Gesamtes Protokol
Guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bittePlatz.Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich Ihnen mit:Interfraktionell ist vereinbart worden, die Unterrichtungder Bundesregierung auf Drucksache 18/4051 zur Stel-lungnahme des Bundesrates zu dem bereits überwiese-nen Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom5. Dezember 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Republik Polen zum Export besondererLeistungen für berechtigte Personen an den federführen-den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mitbe-ratung an den Innenausschuss zu überweisen. Sind Siemit diesem Vorschlag einverstanden? – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Zweite Änderung der Verein-barung über die Errichtung, Finanzierung und Ver-waltung des Fonds „Heimerziehung in der DDR inden Jahren 1949 bis 1990“.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauenund Jugend, Frau Manuela Schwesig. – Bitte, FrauMinisterin.Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass ichIhnen heute über den Beschluss des Kabinetts zur Unter-zeichnung einer neuen Verwaltungsvereinbarung, ge-meinsam mit den ostdeutschen Bundesländern und Ber-lin, zur Aufstockung des Hilfsfonds für Heimerziehungin der DDR berichten kann. Ich freue mich deshalb, weilich weiß, dass es vor einem Jahr ein gemeinsames wich-tiges Anliegen über alle Fraktionsgrenzen hinweg war,den bestehenden Hilfsfonds aufzustocken, nachdem wirfestgestellt hatten, dass er nicht mehr ausreicht, um allenBetroffenen zu helfen und die Leistungen, die es bishergab, weiterhin zu sichern.Wie Sie wissen, haben wir 2011 gemeinsam mit denostdeutschen Bundesländern und Berlin einen Hilfsfondsfür Männer und Frauen eingerichtet, die als Kinder inDDR-Heimen untergebracht waren und dort Gewalt, Re-pressalien und Übergriffe erlebt haben, unter denen sieheute noch leiden.Ich will vorwegschicken, dass es beide Seiten gab.Ich persönlich kenne einen sehr erfolgreichen Unterneh-mer, der ein hohes soziales Engagement an den Tag legtund der in ein DDR-Heim kam, weil – um es mit seinenWorten zu sagen – er es zu Hause nicht überlebt hätte. Erkam also aus guten Gründen in ein Heim: damit er derKindeswohlgefährdung in seinem Elternhaus nicht wei-terhin ausgesetzt war. Er hat in diesem Heim Gutes er-lebt. Er sagt, die Beziehung zu den Erzieherinnen imHeim war für ihn wichtig und hat ihm geholfen, einenguten Weg zu gehen.Es gab aber auch die andere Seite. Wie in westdeut-schen Heimen haben leider auch Kinder und Jugendlichein DDR-Heimen Repressalien erlebt. Insbesondere inden Spezialheimen und Jugendwerkhöfen mussten sieunter massiver Gewalt, entwürdigender Behandlung undunmenschlichen Strafen leiden. Die Folgen davon spü-ren sie bis heute.Ich gehöre einer jüngeren Generation an, die dasGlück hat, in einer guten Umgebung aufgewachsen zusein und die Freiheit des wiedervereinigten Deutschlanderleben zu dürfen. Deshalb ist es für mich eine beson-dere Verpflichtung, denjenigen zu helfen, die anderes er-lebt haben.Dieser Hilfsfonds mit einem Volumen von 40 Millio-nen Euro wurde 2011 in großer Einigkeit aufgelegt. Wirwollen die Leute damit nicht entschädigen, aber zumTeil das wiedergutmachen, was ihnen widerfahren ist.Aus Gesprächen mit Betroffenen wissen wir, dass unsdas auch gelingt. Es geht darum, den Betroffenen im All-tag zu helfen, mit den Folgen besser klarzukommen:durch Therapien, durch finanzielle Unterstützung in so-zialen Notlagen, durch Qualifizierung – viele Heimkin-
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der waren von Bildungs- und Entwicklungschancen aus-geschlossen – oder durch Ausgleichszahlungen fürRentenansprüche, die ihnen entgangen sind, weil sie inden Heimen ohne Lohn oder Sozialversicherung arbeitenmussten.Knapp 5 000 ehemaligen Heimkindern konnte derFonds bereits helfen. Bis September 2014 haben weitere27 500 ehemalige Heimkinder ihre Bedarfe angemeldet.Das sind rund 5,5 Prozent der 500 000 Kinder und Ju-gendlichen, die in 40 Jahren DDR in Heimen waren.Zum Start des Fonds hatten wir versprochen, dass wirniemanden im Regen stehen lassen, dass jeder Hilfe be-kommt. Deshalb war es notwendig, den Fonds aufzusto-cken, und zwar von 40 Millionen Euro auf nunmehr364 Millionen Euro. Das ist das Neunfache der veran-schlagten Summe – eine immense finanzielle Leistung.Wichtig ist, dass wir bei den bisherigen Leistungen keineAbstriche machen.Ich möchte mich daher bei den Abgeordneten desDeutschen Bundestages, die in den Haushaltsverhand-lungen geholfen haben, diese zusätzlichen Mittel zurVerfügung zu stellen, aber auch bei den Ministerpräsi-denten – wir haben nur Ministerpräsidenten in den ost-deutschen Bundesländern und Berlin –, die in ihren Län-dern sichergestellt haben, dass wir das gemeinsammachen konnten, herzlich bedanken.Mit dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ helfenwir Menschen, denen wir helfen müssen. Dazu sind wirpolitisch und moralisch verpflichtet. Ich bin sehr froh,dass wir das jetzt auf den Weg bringen und dass wir wei-tere Hilfe leisten können. Das ist eine gute Botschaft im25. Jahr nach der deutschen Einheit.
Danke, Frau Ministerin. – Die erste Frage stellt die
Kollegin Dörner.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für den Bericht. – Sie
haben darauf hingewiesen, dass dieser Fonds interfrak-
tionell im Bundestag immer gewünscht worden ist. Vor
diesem Hintergrund freuen wir uns, dass die Durststre-
cke jetzt überwunden werden konnte und diese Aufsto-
ckung erfolgt.
Angesichts der engen Fristen und insbesondere ange-
sichts der sehr knappen Beratungskapazitäten in den Be-
ratungsinstitutionen frage ich Sie: Können Sie tatsäch-
lich sicherstellen und gewährleisten, dass bis zum Ende
der Laufzeit des Fonds alle Anträge bearbeitet und zur
Auszahlung gebracht werden können?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Wenn es mehr Anträge als geplant gibt, bedarf es
mehr Kapazitäten, diese Anträge zu bearbeiten. Dazu ge-
hört aber vor allem Beratung. Sie ist besonders wertvoll,
wie mir Betroffene in Gesprächen gesagt haben: Es ist
das erste Mal, dass mir jemand zuhört, dass sich jemand
meine Geschichte anhört, mir glaubt und mir die Bot-
schaft gibt, dass das nicht richtig war und ich deshalb
nun unterstützt werde.
Das ist das Wertvolle an dieser Aufarbeitung. Die ent-
sprechende Hilfeleistung findet in den Anlauf- und Bera-
tungsstellen vor Ort statt. Dort werden die Anträge ent-
wickelt. Die Bearbeitung der Anträge selbst erfolgt
durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftli-
che Aufgaben. Wir haben in unserem Bereich Personal
aufgestockt, und auch die Länder haben dies zum Teil
gemacht und wollen noch weiter aufstocken.
Insgesamt haben wir die Laufzeit des Fonds bis zum
Ende des Jahres 2018 verlängert, weil wir glauben, dass
wir diese Zeit benötigen, um alle Fälle zu bearbeiten.
Wichtig ist, dass wir mit der neuen Vereinbarung so viel
Geld zur Verfügung stellen, dass jeder, der sich noch an-
gemeldet hatte, darauf vertrauen kann, dass er eine Bera-
tung bekommt und dann, wenn er Anspruch auf Leistung
hat, diese auch bekommt.
Danke, Frau Ministerin. – Bevor wir fortfahren, nur
ein kleiner Hinweis für all diejenigen, die unseren Bera-
tungen hier folgen, aber auch für die Kolleginnen und
Kollegen. In diesem Teil unserer heutigen Sitzung gilt
die Vereinbarung: Für die Frage und für die Antwort ste-
hen je eine Minute zur Verfügung. Um alle bei Einhal-
tung dieser Vorgabe zu unterstützen, haben wir hier ein
optisches Signal. Wenn die Lampe auf Rot geht, ist die
eine Minute definitiv abgelaufen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Martin Patzelt.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, da-mals, als der Runde Tisch entschieden hatte, den ehema-ligen Heimkindern in der DDR angesichts der Bedräng-nisse, in die sie geraten waren, zu helfen, wurden zweiBeschlüsse gefasst. Der eine Beschluss zielte darauf,dass sich die Verantwortlichen nach Möglichkeit bei denBetroffenen entschuldigen. Leider ist es dazu nicht ge-kommen, obwohl doch die Erbschaft angetreten wurde.Auch meine Anregungen haben nicht geholfen.Insofern interessiert mich jetzt besonders: Gibt es beiIhnen im Hause eine Erkenntnis dazu, wie die Hilfen an-gekommen sind? Mit diesen Hilfen können wir zwar dasUnrecht niemals wiedergutmachen – ich glaube, die in-nere, seelische Verwundung ist das Allerschwierigste –,aber wir können – wenn schon nicht mit einer klarenStellungnahme und Entschuldigung – doch wenigstensmateriell ein Zeichen setzen. Gibt es dazu eine Evalua-tion? Wie ist das aufgenommen worden?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Die Hilfen des Fonds und vor allem auch die Bot-schaft, wie wir die Bereitstellung der Hilfen umsetzen,kommen an; ich habe es eben schon geschildert. Ichhabe zum Beispiel die Beratungsstelle in Leipzig be-sucht. Da haben mir Betroffene erzählt: Das war daserste Mal, dass mir Leute zugehört haben, dass sich
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Leute meine Geschichte angehört haben und mir kon-krete Hilfeleistungen anbieten. – Die Hilfeleistungenumfassen, wie gesagt, Rentenansprüche und Therapien,aber zum Beispiel auch konkrete materielle Unterstüt-zungen im Lebensalltag. Das sind Leistungen, die an-kommen.Was ich ganz besonders wichtig finde – ich habe esmir zusammenstellen lassen –: Es existieren in den Län-dern vor Ort Fachbeiräte, denen Vertreterinnen und Ver-treter der Betroffenen angehören. Es gibt bei dem Fondsauch einen Lenkungsausschuss, in dem die Betroffenendurch eine Ombudsperson und durch einen Betroffenen,der die Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDRvon Anfang an begleitet hat, vertreten sind. Die konkreteBeteiligung der Betroffenen an der Umsetzung der Leis-tungen des Fonds und an der Aufarbeitung ist ein Zei-chen der Wertschätzung und kommt dort auch so an.Wir haben überwiegend positive Rückmeldungen.Natürlich gibt es hier und da den Fall, dass es jemandemnicht schnell genug geht, dass jemand enttäuscht darüberist, dass er vielleicht nicht alles kriegt, was er sich vorge-stellt hat. Aber die Leistungen des Fonds sind ganz wert-voll.Man kann in Bezug auf die große Summe, die wirjetzt draufgelegt haben, sagen: Es ist Geld, das bei denBetroffenen wirklich ankommt und das sie auch brau-chen. Ich weiß, dass Sie, Herr Patzelt, sich persönlichsehr für die Hilfestellung vor Ort eingesetzt haben.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Annalena
Baerbock.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Anknüpfend an die
Frage meiner Kollegin Frau Dörner möchte ich wissen,
wie Sie verfahren wollen, wenn das mit den Wartezeiten
nicht besser wird. Sie sagten: Wir haben personell ein
bisschen aufgestockt. – Aber derzeit wartet man zwei
Jahre, bis ein Antrag bearbeitet ist. Das bedeutet eigent-
lich: Ende nächsten Jahres müssten alle Anträge einge-
reicht sein, um das Limit, nämlich das Ende der Laufzeit
des Fonds im Jahr 2018, einzuhalten. Das führt schon zu
einem ziemlichen Druck, der auf denjenigen Betroffenen
lastet, die jetzt 60 Jahre und älter sind und in den letzten
Jahren keine Beratungsmöglichkeiten hatten. Haben Sie
vorgesehen, in den nächsten anderthalb Jahren eine Eva-
luation durchzuführen, um festzustellen, was der Stand
der Bearbeitung dieser Anträge ist, damit man die Op-
tion hat, die Frist doch noch zu verlängern?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Wir verlängern die
Laufzeit des Fonds bis zum 31. Dezember 2018. Diese
Verlängerung beruht auf unserer Hochrechnung auf
Grundlage der Angaben der Anlauf- und Beratungsstel-
len vor Ort, in welchem Zeitraum es zu schaffen ist.
Es ist nicht richtig, dass die Antragsbearbeitung zwei
Jahre dauert. Die Antragsbearbeitung beim Fonds „Heim-
erziehung in der DDR“ erfolgt zurzeit sogar schneller als
beim Fonds „Heimerziehung West“. Sie findet, wie
schon gesagt, beim Bundesamt statt und dauert dort bis
zu drei Wochen. Das Entscheidende ist, dass die Leute
einen Termin in den Anlauf- und Beratungsstellen vor
Ort bekommen, sodass sich aus der Beratung und Auf-
arbeitung ein Antrag entwickeln kann. Ich glaube, dass
Sie das gemeint haben. Es ist natürlich wichtig, dass
jetzt die Anlauf- und Beratungsstellen der ostdeutschen
Länder und Berlins personell so ausgestattet werden,
dass sie das auch leisten können.
Ich sage noch einmal: Die Leute bekommen keine
08/15-Beratung, sondern eine ganz individuelle. Nur Ex-
perten können das mit den Leuten gut aufarbeiten. Ich
glaube, es ist wichtig, sich die Zeit zu nehmen, auch
wenn es hier und da länger dauert. Insgesamt haben wir
das im Blick und wollen durch Personalaufstockung die
Fristen entsprechend verkürzen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Petra Crone.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, es gab imvergangenen Jahr einen mehrmonatigen Auszahlungs-stopp. Das hat – so ist es bei mir angekommen – vieleBetroffene verunsichert. Ich möchte Sie fragen, ob dasnoch einmal passieren kann.Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank. – Ich schließe das aus. Warum? DiesenStopp gab es, weil der Fonds „Heimerziehung in derDDR“ nicht mehr liquide war. Das Geld war ausge-schöpft, es lagen aber noch viele Anträge vor. Als ichBundesministerin wurde, waren die Mittel des Fonds imGrunde aufgebraucht. Eine meiner ersten Amtshandlun-gen war, mit Ihnen gemeinsam im Fachausschuss – dannaber auch über den Haushaltsausschuss – dafür zu sor-gen, die Mittel aufzustocken.Im letzten Jahr wurde eine Antragsfrist gesetzt. Wirhaben gesagt, dass Ansprüche bis zum 30. September2014 angemeldet werden müssen. Dazu musste man kei-nen fertigen Antrag einreichen, sondern es reichte, ein-fach nur formlos zu schreiben: Ich melde mich. – DieZahl derjenigen, die sich gemeldet haben, haben wir beider Hochrechnung der Maximalsumme zugrunde gelegt.Dabei sind wir davon ausgegangen, dass jeder bis zu10 000 Euro für materielle Hilfen bekommt, obwohl wirnoch gar nicht wissen, ob jeder, der sich gemeldet hat,wirklich anspruchsberechtigt ist und diese Summe be-kommt. Von daher stellt die Aufstockung, die wir jetztvorgenommen haben, die Obergrenze dar. Damit könnenwir eigentlich gewährleisten, dass wir nicht noch einmalan einen Punkt kommen, wo das Geld des Fonds nichtmehr reicht, und dass wir nicht noch einmal einen sol-chen Bearbeitungsstopp erleben. Deswegen sage ich al-len Beteiligten herzlichen Dank.
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Sie wissen es selber: Die Summe, die wir im Rahmendieses Projektes stemmen mussten – es gibt ja noch an-dere Projekte –, war gewaltig. Es mussten in kurzer Zeitmit den Ländern Vereinbarungen getroffen werden. Allesind sehr froh, dass uns das gelungen ist. Nicht auszu-denken, was passieren würde, wenn das nicht gelungenwäre.
Das Wort hat der Kollege Norbert Müller.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin
Schwesig, Sie haben gerade auf die Stichtagsregelung
September 2014 hingewiesen. Schätzungen gehen davon
aus, dass etwa 6 Prozent der Betroffenen entschädigt
werden können, sofern deren Anträge eine Anspruchs-
wirkung haben. Mich würde interessieren, ob Sie davon
ausgehen, dass es ausreichend ist, mit diesem Anteil von
6 Prozent zu kalkulieren. Wenn Sie nicht davon ausge-
hen, möchte ich gerne wissen, wie Ihre Planungen in Be-
zug darauf aussehen, wie man in Zukunft – auch wenn es
hier um sehr viel Geld geht – Wege finden kann, um ei-
nen größeren Kreis von betroffenen Heimkindern über
die 6 Prozent hinaus zu erreichen.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Es gibt keine va-
lide Schätzung, wie viele der ehemaligen circa
500 000 Heimkinder tatsächlich betroffen sind und wie
viele Anspruch auf solche Leistungen haben. Es ist eine
ganz individuelle Entscheidung, ob man einen solchen
Anspruch überhaupt geltend machen möchte. Deshalb
können wir nicht wissen, ob die Zahl der Betroffenen
größer ist als die derjenigen, die sich schon gemeldet ha-
ben.
Fakt ist, dass der Fonds, der 2012 aufgelegt wurde,
zeitlich und eben auch in der Höhe der Mittel begrenzt
wurde. Wir haben uns ganz bewusst für eine Anmelde-
frist entschieden, um die benötigten Mittel kalkulieren
zu können.
Ich bin sehr froh, dass sich bis zum Ende der Anmel-
defrist am 30. September 2014 über 27 000 Menschen
gemeldet haben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten erst
5 000 eine Leistung bekommen. Das zeigt, dass die Bot-
schaft „Meldet euch an“ funktioniert hat. Wir sollten uns
jetzt darauf konzentrieren, dass diejenigen, die sich ge-
meldet haben, eine entsprechende Beratung und, wenn
sie einen Anspruch haben, auch die vorgesehenen Leis-
tungen bekommen.
Der Kollege Marian Wendt stellt die nächste Frage.
Frau Ministerin, vielen Dank dafür, dass wir diesesThema heute im Rahmen der Regierungsbefragung de-battieren. Das ist ein wichtiges Zeichen für die Betroffe-nen, für die Opfer.Ich selber bin seit über zwölf Jahren Mitglied der Ini-tiativgruppe „Geschlossener Jugendwerkhof Torgau“.Dieser Jugendwerkhof, der der Auslöser der Debatte imJahr 2010 war, war die Zentralstelle des DDR-Heimsys-tems, des Unrechtssystems, in dem die betroffenen Kin-der und Jugendlichen zu sozialistischen Persönlichkeitenumerzogen werden sollten.Wir haben schon festgestellt: Ein bisschen Geld kannkeine seelischen Wunden heilen. Mit der Verwaltungs-vereinbarung, die jetzt erweitert wird, wird zwar Rechts-frieden hergestellt, aber es stellt sich die Frage, ob ausIhrer Sicht auch eine immaterielle Entschädigung erzieltwerden kann. Das wäre wichtig, damit die Betroffenenihren inneren Frieden finden.Ich haben die Selbsthilfegruppe „Verbogene Seelen“besucht, wo mir die Betroffenen gesagt haben: Das Geldist das eine, aber es macht nicht glücklich. Das habe ichauf dem Konto, davon kann ich eine Anschaffung täti-gen oder eine Psychotherapie machen, aber ich habe nieeine Entschuldigung gehört, nie ein Wort der Anerken-nung des Leides von den Tätern, die mich geschlagenhaben.Eigentlich ist es doch Ziel unseres Rechtssystems, ei-nen Täter-Opfer-Ausgleich zu schaffen. Ich würde michfreuen, wenn Sie ein paar Gedanken dazu äußern könn-ten, wie wir das gemeinsam erreichen könnten. – VielenDank.Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Die Frage, waswir mit dem Hilfsfonds erreichen können – sie schließtan die Frage von Herrn Patzelt an –, ist eine spannendeFrage. Natürlich können wir nicht alles wiedergutma-chen. Aber wir haben in dieser Richtung einen wichtigenBeitrag geleistet.Ich habe Anlauf- und Beratungsstellen besucht undvor allem mit Betroffenen persönlich gesprochen. Siesagten: Es war nicht allein das Materielle, was mir ge-holfen hat. – Man muss wissen: Viele haben keine Aus-bildung erhalten, sie hatten daher nicht die Chance, spä-ter einen guten Job zu bekommen, ein gutes Einkommenzu erzielen; das Materielle spielt also schon eine großeRolle. Aber insbesondere das Anerkennen ihres Leideskommt bei den Betroffenen an. Daher möchte ich michan dieser Stelle für die wirklich sehr gute Arbeit derFrauen und Männer in den Anlauf- und Beratungsstellenbedanken.Das politische Signal ist bei vielen angekommen. WirPolitikerinnen und Politiker übernehmen stellvertretendfür die Gesellschaft die Verantwortung, die eigentlichbei den Täterinnen und Tätern liegt. Die Botschaft dieserVerwaltungsvereinbarung ist: Wir erkennen das Unrechtan und übernehmen die Verantwortung dafür.Der konkrete Täter-Opfer-Ausgleich hängt natürlichdavon ab, ob noch Täter zu finden sind bzw. wie die zi-vilrechtlichen Prozesse verlaufen. Aber ich kann Ihnenrückmelden, dass das, was wir leisten, bei den meisten
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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ankommt. Das sollte nicht unterschätzt werden. Wir leis-ten einen ganz wertvollen Beitrag.
Die nächste Frage stellt der Kollege Philipp
Lengsfeld.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, mir geht
es um die politische Bewertung und Einordnung; das
knüpft eigentlich unmittelbar an unsere heutige Diskus-
sion an. Da die verantwortliche SED-Politikerin Frau
Margot Honecker noch lebt, will ich für das Protokoll
festhalten – ich finde, das ist in Ihrem Eingangsstate-
ment nicht so ganz klar geworden –: Wir reden nicht da-
rüber, dass es in der DDR Heime gab, in denen Kinder
regulär betreut wurden, wir reden auch nicht nur von
persönlichen Verfehlungen – die es im Übrigen auch im
Westen gegeben hat; Sie hatten das anklingen lassen –,
sondern wir reden von einem System systematischer Un-
terdrückung und Repression gegen unliebsame Jugendli-
che oder gegen Kinder aus politisch unliebsamen Fami-
lien. Deshalb meine ganz klare Frage: Würden Sie mir
zustimmen, dass sich der Unrechtscharakter der DDR-
Diktatur im System der Spezialheime und Jugendwerk-
höfe besonders drastisch und dramatisch manifestiert
hat, weshalb wir uns in Bezug auf diese Opfergruppe be-
sondere Mühe geben sollten? – Danke.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank. – Da das Prozedere der Regierungsbe-
fragung – die Präsidentin hat vorhin die Bedeutung der
Ampel erklärt – nur ein eingeschränktes Eingangsstate-
ment zulässt und ich für die Beantwortung einer Frage
nur eine Minute Zeit habe, bitte ich um Verständnis, dass
ich nicht alle Aspekte erwähnen konnte.
Das ist eine ganz wichtige Frage, die schon durch die
Bundesregierung und auch durch die Landesregierungen
der ostdeutschen Länder inklusive Berlin beantwortet
wurde. Wir haben damals 2011 – ich kann mich daran
gut erinnern, weil ich zu der Zeit die zuständige Landes-
ministerin war – gemeinsam einen klaren Beschluss ge-
fasst. Wir haben die Ereignisse aufarbeiten lassen; dazu
gab es einen Bericht. In Mecklenburg-Vorpommern,
zum Beispiel, hat der Landtag den klaren Beschluss ge-
fasst, dass das Unrecht, das den Kindern systematisch
angetan worden ist, anerkannt wird und dass es deshalb
die entsprechenden Leistungen gibt.
Wir haben erfahren müssen, dass es sowohl in Hei-
men in Westdeutschland als auch in Heimen in der DDR
Probleme gab. Natürlich ist es so, dass ein System wie
das der DDR ein solches Unrecht noch verschärft.
Die Kollegin Daniela Kolbe hat das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministe-
rin, ich möchte Ihnen ganz herzlich zu dem heutigen Be-
schluss gratulieren, weil er wirklich ein Meilenstein und
ein großer Kraftakt ist. Dieser Beschluss wird den Be-
troffenen zugutekommen. Alle, die sich bis zum Stichtag
gemeldet haben, werden eine Hilfeleistung und vor al-
lem eine Beratung bekommen.
Aus den Beratungsstellen weiß ich, dass die meisten
Betroffenen dort zum ersten Mal von ihrer Vergangen-
heit erzählen und sich mit den negativen, mit den
schlimmen Erfahrungen, die sie gemacht haben, aus-
einandersetzen. Auf der anderen Seite haben sie natür-
lich auch schöne Kindheitserinnerungen. Viele setzen
sich bei der Beratung zum ersten Mal mit dieser Ambi-
valenz auseinander und fragen sich, was diese Erfahrun-
gen mit ihnen und ihrer Biografie gemacht haben. Man-
che nutzen die Möglichkeit, auch nach der Beratung den
Kontakt zu anderen Betroffenen zu pflegen.
Aus den Gesprächen mit den Beraterinnen und Bera-
tern weiß ich, dass in den Gesprächen ganz viele Details
zutage treten, auch zeitgeschichtlich Interessantes über
die DDR und über das, was in bestimmten Heimen pas-
siert ist. Meine Frage lautet: Ist daran gedacht, das in ir-
gendeiner Weise zu dokumentieren? Falls nicht, würden
Sie diesen Vorschlag dann als Anregung mitnehmen? Ich
glaube, dass in den Beratungsstellen ganz viel Wissen
über das, was in der DDR passiert ist, angesammelt
wird. Möglicherweise entspricht es auch dem Wunsch
des Kollegen Lengsfeld, dass man darüber mehr erfährt.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank, Frau Kolbe. – Wir haben zusammen
eine Beratungsstelle besucht und dort erfahren, dass es
den Leuten oft darum geht, ihre persönlichen Erfahrun-
gen aufzuarbeiten. Wir haben aber auch erfahren, dass
dadurch in den Beratungsstellen Erkenntnisse über das
DDR-System angesammelt werden. Dass sich das Un-
recht, das es in der DDR gab, in Heimen verstärkt ge-
zeigt hat, war die Konsequenz aus der Tatsache, dass das
System in den Heimen noch geschlossener war als au-
ßerhalb dieser Heime. Für mich ist es daher keine Frage,
dass sich das Unrecht der DDR in den Heimen ganz
massiv widergespiegelt hat.
Diese Beratung ist ein Beitrag zur Aufarbeitung der
DDR-Geschichte. Ich gehe fest davon aus, dass geplant
ist, dazu einen Bericht bzw. ein Dokument zu erstellen.
Ich würde gerne noch einmal nachfragen, ob das so ist
und wann dieser Bericht vorgelegt werden soll. Diese In-
formation würde ich, wenn Sie einverstanden sind, gerne
im Fachausschuss nachreichen.
Die Kollegin Annalena Baerbock stellt die nächsteFrage.
Der Fonds war nicht als Ersatz, sondern als Ergän-zung des Rehabilitierungsgesetzes geplant. Wir wissen,dass die Anwendung dieses Gesetzes relativ problema-tisch ist und wegen der strengen gesetzlichen Regelun-
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8210 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Annalena Baerbock
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gen in diesem Bereich nur 10 Prozent der Anträge bewil-ligt werden können. Das Bundesverfassungsgericht hatjüngst harsche Kritik daran geübt, wie die Justiz in Bran-denburg dieses Gesetz anwendet. Angesichts der niedri-gen Anwendungsquote und der Probleme bei der Umset-zung dieses Gesetzes durch die Justiz in einigenBundesländern frage ich: Planen Sie, wie von einigenangeregt, eine Kommission einzusetzen, die sich diesesGesetz und die Defizite bei der Anwendung ansieht?Welches Vorgehen ist neben der Aufstockung des Fondsgeplant?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Diese Frage müsste ich mitnehmen, da mein Hausnicht direkt für dieses Gesetz zuständig ist. Dieser Hilfs-fonds ist entstanden, weil das Rehabilitierungsgesetznicht alle Fälle, die es in DDR-Heimen gab, abdeckt.Das ist genau das Problem. Es gab zum Beispiel Kinder,die in ein Heim kamen, weil ihre Eltern politisch ver-folgt wurden. Diese Personen haben einen leichteren Zu-gang zu einer Entschädigung über das Rehabilitierungs-gesetz. Es gab aber auch Kinder, die auf den ersten Blickzu Recht in ein DDR-Heim kamen, zum Beispiel, weilzu Hause eine Kindeswohlgefährdung bestand – das gabes früher wie heute –, die dann aber in diesem Heim Un-recht erlebt haben, weil das System in den Heimen Un-recht war, weil sich das Unrecht der DDR in diesen Hei-men widergespiegelt hat.Die Gruppe derer, die auf diese Weise in ein DDR-Heim kamen und dort Gewalt und Übergriffe erlebt ha-ben, war bisher von Entschädigung ausgeschlossen. Des-halb haben wir gesagt: Wir brauchen diesen Hilfsfonds.Ich erinnere daran, dass wir, die ostdeutschen Ländermi-nister, uns damals, als wir den Fonds eingerichtet haben,sehr stark dafür ausgesprochen haben, dass wir uns dasRehabilitierungsgesetz noch einmal anschauen.Die konkrete Frage nach den Problemen bei der Um-setzung in den Ländern würde ich gerne mitnehmen.Diesen Aspekt habe ich mir nicht so genau angeschaut,weil ich, wenn ich das so sagen darf, ziemlich gebundenwar durch die Aufgabe, diesen Fonds am Leben zu hal-ten.
Die Kollegin Katja Dörner fragt als Nächste.
Da es ja gelungen ist, beim Fonds „Heimerziehung
Ost“ einen erheblichen Schritt voranzukommen, möchte
ich den Blick auf einen weiteren, wie ich finde, sehr
wichtigen Aspekt richten, den wir in dem damaligen in-
terfraktionellen Antrag thematisiert haben. Es geht da-
rum, im Rahmen eines Fonds eine analoge Lösung für
die Menschen zu finden, die als Kinder in Behinderten-
einrichtungen oder in psychiatrischen Einrichtungen
Schaden genommen haben. Können Sie etwas zu den
hoffentlich erzielten Fortschritten auf dem Weg zu einer
Lösung für diese Personengruppe sagen?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank, Frau Dörner. – Da sprechen Sie eine
echte Baustelle an, die zeigt, dass Hilfsfonds generell
nur begrenzt gute Lösungen sind. Sie sind eine gute Lö-
sung, um einer bestimmten Personengruppe akut zu hel-
fen. Sie führen aber immer dazu, dass andere Personen-
gruppen, die auch Unterstützungsbedarf haben, außen
vor bleiben.
Wir haben schon den Hilfsfonds „Heimerziehung
West“ und den Hilfsfonds „Heimerziehung Ost“; die
Mittel für beide Fonds müssen wir massiv aufstocken.
Wir haben außerdem den Hilfsfonds für Opfer sexueller
Gewalt in Familien, darüber hinaus das ergänzende Hil-
fesystem für Opfer sexueller Gewalt in Institutionen. Of-
fen ist nach wie vor die Frage: Was ist mit Kindern und
Jugendlichen, die in psychiatrischen Einrichtungen und
in Einrichtungen der Behindertenhilfe waren?
Kinder und Jugendliche, die durch die Jugendhilfe in
psychiatrische Einrichtungen und in Einrichtungen der
Behindertenhilfe eingewiesen wurden, können Leistun-
gen aus dem Hilfsfonds geltend machen. Einige Betrof-
fene können das also tun; aber diese Möglichkeit ist sehr
stark eingeschränkt. Für die andere Personengruppe gibt
es bisher keine Lösung. Ich weiß, dass sich das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales hier bemüht, will an
dieser Stelle aber sagen, dass dieses Thema generell
wirklich schwierig ist. Unser gemeinsamer Fokus sollte
darauf liegen, die sogenannten Regelsysteme zu stärken.
Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch, der – in wel-
cher Form auch immer – Opfer von Gewalt geworden
ist, Zugang zu Reha- und Therapieleistungen haben
muss, ohne dass immer wieder Fonds aufgelegt werden
müssen. Denn es ist so, wie Sie sagen: Jetzt müsste es ei-
gentlich weitere Fonds für andere Personengruppen ge-
ben. Aber auch dann würde es Gruppen geben, die sa-
gen: Ja, aber da finden wir uns nicht wieder. – Ich weiß,
dass die Bundesarbeitsministerin mit den Ländern über
dieses Thema spricht. Das ist aber sehr schwierig. Auch
Sie wissen, dass die Länder in die Fonds, bei denen der
Finanzbedarf unklar ist, nicht gern einzahlen. Das ist
also eine schwierige Baustelle.
Der Kollege Norbert Müller hat das Wort.
Vielen Dank für die Möglichkeit, eine weitere Fragezu stellen. – Frau Schwesig, ich möchte an vorhin an-knüpfen: Die Summe ist in der Tat neunmal so hoch wiezu Beginn, und es sind deutlich mehr Betroffene einbe-zogen, als sich in der ersten Phase gemeldet haben. Ichfinde, wir sollten nun beobachten, wie die Anträge abge-arbeitet werden. Gesetzt den Fall, dass, nachdem sie ab-gearbeitet worden sind, in den Anlaufstellen weitereMenschen anzeigen, dass sie betroffen sind, was nachFristablauf ein Problem darstellt, weil sie dann keinenAnspruch mehr haben: Könnten Sie sich vorstellen, dassdie Bundesregierung den Fonds nochmals öffnet, um da-für zu sorgen, dass eine größere Personengruppe einbe-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8211
Norbert Müller
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zogen werden kann, sollten weitere Bedarfe angemeldetwerden?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Das ist natürlich immer die Frage, die sich stellt, wennman einen Antragsschluss festsetzt. Bund und Ländersind sich einig, dass die Aufstockung, die wir jetzt vorge-nommen haben – der Umfang der Mittel ist mittlerweile,wie gesagt, neunmal so groß wie zu Beginn –, und dieVerlängerung der Laufzeit des Fonds über die erste Ver-einbarung hinaus eine endgültige Lösung darstellen soll-ten. Wir können nicht nach einem Jahr sagen: „Es habensich weitere 100 Leute gemeldet; jetzt fangen wir vonvorne an“, weil Sie als Parlament, aber auch die Ländervon mir erwarten, dass ich dafür sorge, dass diese Mittelirgendwann einmal zu einer planmäßigen Größe werden.Wir sind mit einem Volumen von 40 Millionen Euro ge-startet, jetzt liegen wir bei 364 Millionen Euro. Ich finde,jeder einzelne Cent ist gerechtfertigt; aber wir brauchenauch Planungssicherheit.Mit der Frage, die Sie gestellt haben, haben auch wiruns befasst. Irgendwann muss man sich entscheiden. Siethematisieren hier allerdings ein Problem, das wir der-zeit noch nicht haben. Mir zumindest ist, auch wenn ichdas nicht ausschließen möchte, kein Fall bekannt. Es gibtderzeit keine große Personengruppe, die gesagt hat: Wirhaben uns erst am 5. Oktober 2014 gemeldet. – Wir ha-ben vorher viel Werbung dafür gemacht, sich zu melden.Aber es ist auch darauf hinzuweisen: Wenn man einenFonds auflegt, heißt das, dass die Antragsfrist irgend-wann einmal abgelaufen ist.Meine Redezeit ist zu Ende. Trotzdem würde ich Ih-nen, wenn Sie es erlauben, Frau Präsidentin, gerne nochsagen, dass mir die Bundesbeauftragte Iris Gleicke eineInfo gegeben hat – vielen Dank dafür –, die auch Sie in-teressieren wird. Es geht dabei um die Frage, wie dasRehabilitationsgesetz vor Ort umgesetzt wird, und umdie Aufarbeitung und die Praxisprobleme insgesamt. DieBundesbeauftragte Iris Gleicke wird das demnächst ineinem entsprechenden Dialog mit den Opfern ausloten.Damit sehen Sie: Das Thema ist bei der Bundesbeauf-tragten gut aufgehoben.
Keine Sorge, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
lasse alle mir angezeigten Fragen zu diesem wichtigen
Themenkomplex noch zu. Die anschließende Frage-
stunde verkürzt sich entsprechend unseren Regeln, falls
das notwendig ist.
Die nächste Frage stellt der Kollege Arnold Vaatz.
Frau Bundesministerin, in meiner täglichen Arbeit als
Abgeordneter begegne ich gelegentlich Opfern des
DDR-Jugendstrafsystems, die mir sagen, dass die mate-
rielle Wiedergutmachung nur die eine Seite ist und es sie
zutiefst verletzt, wie viele Personen, die persönlich für
das verantwortlich sind, was diesen Menschen damals
dort angetan wurde, in der Gesellschaft der Bundesrepu-
blik Deutschland jetzt eine hohe gesellschaftliche Repu-
tation und Anerkennung genießen.
Ich möchte hier Herrn Professor Dr. Eberhard
Mannschatz ganz speziell namentlich nennen, der, wenn
ich richtig informiert bin, vor einiger Zeit vom Rauhen
Haus in Hamburg eingeladen wurde, an einem Buch mit-
zuwirken, in dem es um die Erziehung von Jugendlichen
geht. Bis zum Jahr 2012 – ich beziehe mich hier auf eine
Veröffentlichung von Peter Grimm in Horch und Guck –
ist er zudem als politischer Berater der Linkspartei tätig
gewesen.
Frau Bundesministerin, meine Frage ist: Betrachten
Sie es als Ihre Aufgabe und wirken Sie und die Regie-
rung darauf hin, dass auch die persönliche Verantwor-
tung für die damaligen Zustände herausgearbeitet und
veröffentlicht wird?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Dieser Fall war
mir bisher nicht bekannt. Ich würde Sie gerne bitten, mir
im Nachgang zu dieser Fragestunde Informationen zuzu-
senden und zu sagen, woher Sie diese Information ha-
ben. Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass Leute,
die sich gegenüber Kindern und Jugendlichen schon ein-
mal Verfehlungen geleistet haben, nicht als Berater auf
diesem Gebiet tätig sein sollten.
Ich kann jetzt den Zusammenhang nicht beurteilen.
Fakt ist aber: Wenn wir von solchen Fällen erfahren,
dann fragen wir vor Ort, was los ist. Sie wissen aber
auch: Man kann dann zwar entweder die Möglichkeiten
des Strafrechts oder des Zivilrechts nutzen, aber das ist
nur sehr eingeschränkt möglich. Es gibt hier kein Gesetz
und keine Verordnung der Bundesregierung, sondern es
ist unser gemeinsamer politischer Auftrag, das vor Ort
zum Thema zu machen, wenn es solche Fälle gibt.
Ich kann nur sagen, dass ich hier alle Fraktionen und
alle Parteien in einer politischen Verantwortung sehe und
dass ich solche Dinge im Guten wie im Schlechten be-
reits erlebt habe.
Die Kollegin Britta Haßelmann hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, vie-len Dank für Ihre Ausführungen zu dem Fonds, über denwir hier heute hauptsächlich reden. Mit meiner Frageknüpfe ich an eine Frage der Kollegin Dörner zu einemFonds für Menschen an, die als Kinder Schaden in Be-hinderteneinrichtungen genommen haben.Sie haben vorhin in Ihrer Antwort gesagt, Sie hätteneine Lösung für die Menschen, die damals durch die Ju-gendhilfe in psychiatrische Einrichtungen oder in Ein-richtungen für Menschen mit Behinderungen eingewie-sen wurden. Wenn es um andere gesetzliche Grundlagengehe, gebe es eine solche Lösung jedoch nicht. Das be-trifft einen zwar relativ überschaubaren, aber doch auchgroßen Personenkreis.
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8212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Britta Haßelmann
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Meine Frage ist: Inwieweit befassen Sie sich im Kabi-nett damit, dass man es natürlich in keiner Weise fach-lich und sachlich begründen kann, dass es für Menschen,die damals durch die Jugendhilfe beeinträchtigt wurden– es geht um psychische Erkrankungen und Behinderte –,einen Fonds gibt, während für Menschen, die aufgrunddes PsychKG oder aus anderen Gründen in einer ent-sprechenden Einrichtung waren, kein Entschädigungs-fonds existiert? Beabsichtigen Sie als Kabinett, hierzuzeitnah etwas vorzulegen?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Ich habe bereitsgesagt, dass die Bundesarbeitsministerin an diesemThema arbeitet. Ich weiß nicht, ob die ParlamentarischeStaatssekretärin hierzu einen aktuellen detailliertenSachstand geben kann, wenn Sie dies mögen.Ich will aber auf Folgendes hinweisen: Wir debattie-ren hier in der Runde isoliert einen Fonds für eine Perso-nengruppe, für die es bisher noch keine Hilfe gibt. Ichverantworte als zuständige Bundesministerin vier Fonds,die ich zu einem Zeitpunkt übernommen habe, als esdort Probleme gab. Ich nenne hier einmal den Fonds„Heimerziehung Ost“. Ich bin da nahe bei Ihnen undsage: Auch der Fonds „Heimerziehung West“ muss auf-gestockt werden. Es gibt den Fonds für die Opfer von se-xuellem Missbrauch in Familien. In diesen Fonds zahlennur zwei Länder ein: Mecklenburg-Vorpommern undBayern. Auch im Rahmen des ergänzenden Hilfesystemsgibt es mit Blick auf die Länder noch Baustellen; diesbetrifft insbesondere einzelne ostdeutsche Länder. Ichweise darauf hin: Wir haben vier Fonds versprochen, dieRiesenbaustellen darstellen. Die Schwierigkeit ist, dieseVersprechen einzulösen, und das ist unsere politisch-mo-ralische Verantwortung. Jetzt soll möglicherweise Weite-res hinzukommen.Das wollte ich zur Abrundung der Problemlage an-führen. Man kann immer schnell sagen: Warum seid ihrda noch nicht so weit? – Das liegt – das darf ich zumSchutz der Bundesarbeitsministerin sagen – auch daran,dass es mit Blick auf die Länder bei den Fonds, die wirbereits versprochen und aufgelegt haben, teilweise nochBaustellen gibt.Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, an Sie zu ap-pellieren – Ihre Parteien sind alle in Landesregierungenvertreten –, darauf hinzuwirken, eine gemeinsame Kraft-anstrengung zu unternehmen, damit die versprochenenund aufgelegten Fonds vernünftig ausgestattet werdenund möglicherweise Weiteres hinzukommt.
Danke, Frau Ministerin. – Weitere Fragen zu diesem
Themenbereich liegen mir nicht vor.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Entschuldigung, Frau Präsidentin: Ich weiß nicht, ob
das im Rahmen unserer Redezeit möglich ist. Ich hatte
angeboten, dass die Parlamentarische Staatssekretärin
meine Antwort auf die Frage der Abgeordneten der Grü-
nen ergänzt. Oder habe ich die Redezeit schon ver-
braucht? Das täte mir leid.
Nein, das können wir gerne machen. Wir nehmen das
einfach noch mit hinein. Da es die Möglichkeit gibt, wei-
tere Fragen zur Kabinettssitzung zu stellen, hat die Frau
Staatssekretärin das Wort.
G
Frau Kollegin, ich kann hierzu ergänzen: In der Tat ist
es so, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les einen Vorschlag unterbreitet hat, der die Einrichtung
eines weiteren Fonds zur Folge haben würde. Wir argu-
mentieren, dass das notwendig ist, weil wir die Ziel-
gruppe, die Sie zutreffend beschrieben haben, bisher
noch gar nicht im Blick hatten. Das sind jene, die nicht
in Einrichtungen der Jugendhilfe waren, sondern in Ein-
richtungen, die im Grunde genommen anderen Perso-
nenkreisen galten.
Dazu gibt es einen Vorschlag. Sie wissen sicherlich,
dass dieser Vorschlag in der ASMK, also der Konferenz
der Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer, disku-
tiert worden ist. Dort hat man mehrfach beraten. Im
Grunde genommen ist dieser Prozess noch nicht abge-
schlossen. Wir setzen sehr darauf, dass er zu einem posi-
tiven Ergebnis kommt.
Die gute Nachricht ist, dass die Kirchen ihre Bereit-
schaft zur Zusammenarbeit signalisiert haben. Sie sind
an einigen Stellen Rechtsnachfolger oder Träger dieser
Einrichtungen gewesen. Insofern bin ich zuversichtlich,
dass wir in absehbarer Zeit eine Lösung anbieten kön-
nen, die allerdings der Einschränkung unterliegt, die
Frau Ministerin Schwesig schon so treffend beschrieben
hat: Eine solche Lösung kann entstandenes Unheil nicht
rückgängig machen. Sie ermöglicht eine kleine mate-
rielle Anerkennung oder Entschädigung. Wesentlich ist
ganz sicher auch für diesen Personenkreis der Prozess
des Gesprächs und der Beratung.
Vielen Dank. – Gibt es Fragen zu anderen Themen
der heutigen Kabinettssitzung? – Das ist nicht der Fall.
Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? – Kol-
legin Haßelmann.
Ich würde gerne von der Bundesregierung wissen,
welche Entscheidungen die Bundesregierung nach den
Ankündigungen des Bundesinnenministers in Sachen
Kirchenasyl vorbereitet, um hier Änderungen vorzuneh-
men?
Wer kann oder will für die Bundesregierung spre-chen? – Herr Staatssekretär Krings.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8213
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D
Das kann ich gerne tun,
wenn die Parlamentarische Geschäftsführerin damit ein-
verstanden ist, dass ich antworte.
– Ich kann das anbieten. Das muss aber von höherer
Stelle entschieden werden. Ich gebe einfach einmal eine
Antwort. Vielleicht sind Sie ja damit einverstanden.
Die Frage ist ja, ob die Bundesregierung in irgend-
einer Weise sprechfähig ist.
Das war die Frage.
D
Also, ich bin sprechfähig.
Mir wurde einfach nichts angezeigt. – Frau Ministe-
rin.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Also, ich kann Ihnen die Sorge nehmen: Die Bundes-
regierung ist jederzeit sprechfähig. Das Thema Kirchen-
asyl war kein Thema in der heutigen Kabinettssitzung.
Weil ich weiß, dass das viele umtreibt, wäre ich Ihnen
sehr dankbar, wenn Sie damit einverstanden wären, dass
der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Innenmi-
nisterium zur aktuellen Entwicklung berichtet.
Gut, dann machen wir das so.
Im Übrigen, nur zur Erklärung: Wir sind zurzeit in ei-
nem Klärungsprozess, wie die Regierungsbefragung zu-
künftig stattfindet. Richtig ist, dass für diesen letzten
Punkt der Regierungsbefragung die Bundesregierung je-
weils selbst entscheidet, wem sie das Wort gibt. Aber das
löst sich ja gerade auf. – Herr Staatssekretär Krings.
D
Ich bin jetzt auch sprechfähig; das Mikrofon ist an. –
Frau Kollegin, der Bundesinnenminister hat auf die be-
stehende Rechtslage hingewiesen; ein Kirchenasyl ist in
der Rechtsordnung nicht vorgesehen. Insofern gibt es
keine Entscheidungen, die zu veranlassen sind, sondern
es war ein Hinweis auf die bestehende Rechtslage, die
natürlich auch keine weiteren Entscheidungen nach sich
zieht.
Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung.Ich danke allen Beteiligten hier im Haus.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache18/4043Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Rei-henfolge auf.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. DieFrage 1 des Kollegen Volker Beck wird schriftlich be-antwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen. Die Frage 2 des KollegenAndrej Hunko und die Frage 3 der Kollegin HeikeHänsel werden schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales. Hier sollen dieFrage 4 der Kollegin Erika Steinbach, die Frage 5 derKollegin Veronika Bellmann sowie die Fragen 6 und 7der Kollegin Sabine Zimmermann ebenso schriftlich be-antwortet werden.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. ZurBeantwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Peter Bleser zur Verfügung.Die Frage 8 des Kollegen Friedrich Ostendorff sollschriftlich beantwortet werden.Wir kommen damit zur Frage 9 der Kollegin SteffiLemke:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus denErgebnissen des Indikatorenberichtes zur Strategie der biologi-schen Vielfalt 2014 mit Blick auf die anstehende Novellierungder Düngeverordnung sowie die Änderung des Düngegesetzes,und wird sie den im Referentenentwurf vorgeschlagenenGrenzwert für den erlaubten Stickstoffüberschuss anpassen?Bitte, Herr Staatssekretär.
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8214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
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P
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Kollegin
Lemke, wie bereits in dem von Ihnen angesprochenen
Indikatorenbericht angeführt ist, gibt es in Betrieben mit
ähnlicher Produktionsstruktur eine hohe Bandbreite bei
der Berechnung der Nährstoffsalden und damit auch er-
hebliche Potenziale zur Verbesserung der Effizienz der
Stickstoffnutzung und zur Verringerung von Nährstoff-
verlusten in die Umwelt.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass durch die
vorgesehenen Änderungen der Düngeverordnung hier
erhebliche Fortschritte erzielt werden können. Beispiel-
haft möchte ich Ihnen folgende Maßnahmen darstellen:
Konkretisierung und bundeseinheitliche Regelung der
Düngebedarfsermittlung für Stickstoff auf Acker- und
Grünland; Einbeziehung aller organischen und orga-
nisch-mineralischen Düngemittel, einschließlich der
Gärreste pflanzlichen Ursprungs, in die nach EG-Nitrat-
richtlinie einzuhaltende Obergrenze von 170 Kilogramm
Stickstoff je Hektar im Durchschnitt des Betriebes; Ver-
längerung der Zeiträume, in denen keine stickstoffhalti-
gen Düngemittel aufgebracht werden dürfen; Auswei-
tung der Mindestabstände für die Stickstoff- und
Phosphatdüngung in der Nähe von Oberflächengewäs-
sern und auf Flächen mit Hangneigung zu Oberflächen-
gewässern; Länderermächtigung zur Regelung zusätzli-
cher Maßnahmen in besonders mit Nitrat belasteten
Gebieten.
Der Referentenentwurf enthält keinen Grenzwert für
einen erlaubten Stickstoffüberschuss, sondern einen
Kontrollwert für die Differenz von Zu- und Abfuhr im
Nährstoffvergleich. Laut Referentenentwurf soll dieser
ab dem Jahr 2018 auf 50 Kilogramm abgesenkt werden.
Ob sich hierzu im Laufe der noch andauernden Abstim-
mungen Änderungen ergeben, wird sich zeigen.
Im Übrigen wird die Bundesregierung mit der No-
velle der Düngeverordnung den Nährstoffvergleich wei-
terentwickeln. Dabei wird insbesondere die Berechnung
der Nährstoffabfuhr von Grundfutterflächen zukünftig
über die Nährstoffaufnahme der Tiere aus dem Grund-
futter erfolgen. Damit ist eine genauere Abbildung der
innerbetrieblichen Stoffströme möglich.
Im Entwurf ist weiter vorgesehen, ab dem 1. Januar
2018 schrittweise eine Bilanzierung der Nährstoffzufuhr
und -abfuhr für den Gesamtbetrieb zunächst für größere
Betriebe mit hohem Viehbesatz einzuführen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für den Versuch der
Beantwortung meiner Frage. Ich nenne es einmal so,
weil Sie meiner Meinung nach ziemlich genau daran
vorbeigeschürft sind. Meine Frage war, ob – vor allem
im Landwirtschaftsministerium, das sich gegenwärtig
mit dem Umweltministerium über die Düngeverordnung
streitet – aus dem Indikatorenbericht zur Biodiversität,
in dem ganz klar dargelegt wird, dass die Vergüllung un-
serer Landschaft durch die Landwirtschaft ein Riesen-
problem darstellt und wir gravierende Probleme mit dem
Trinkwasser haben, Konsequenzen gezogen werden. An-
gesichts dessen, dass Sie jetzt in Kenntnis des Indikato-
renberichtes darstellen, dass Sie eine Hoftorbilanz erst
ab 2018 erwägen, wiederhole ich meine Frage, ob Sie
Konsequenzen aus dem Indikatorenbericht ziehen, in
dem dargelegt wird, dass das Landwirtschaftsministe-
rium mit den gegenwärtigen Strategien das Ziel der Bio-
diversitätsstrategie nicht erfüllen kann, bis 2020 den
Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen. Das ist – da
brauchen wir nicht um den heißen Brei herumzureden –
der Konflikt, der gegenwärtig zwischen den beiden Häu-
sern ausgetragen wird.
P
Frau Kollegin Lemke, Streit in der Sache ist nichts
Negatives, weil es um das Finden des richtigen Weges
geht.
– Das mache ich öfter so.
Die Frage ist doch, wie wir jetzt zeitlich vorgehen.
Wir haben die Verbändeanhörung Ende Januar abge-
schlossen. Uns liegen über 50 Anregungen von Verbän-
den, auch Ökoverbänden, und elf Stellungnahmen von
Ländern vor, die jetzt mit dem Umweltministerium, aber
auch mit den Ländern beraten werden. In Kürze steht ein
Termin auf Staatssekretärsebene an, um die verschiede-
nen Anregungen zu bewerten und Entscheidungen vor-
zubereiten. Dann werden wir im Sinne des von Ihnen ge-
wünschten Zieles die entsprechenden Entscheidungen
treffen, die auch die im Indikatorenbericht aufgezeigten
Probleme zu beseitigen helfen. Ich will aber darauf hin-
weisen, dass in diesem Bericht auch schon ein Fort-
schritt aufgezeigt worden ist, der in den letzten zehn Jah-
ren erzielt wurde. Er reicht zwar noch nicht aus – es gibt
innerhalb Deutschlands unterschiedliche Schwerpunkte –,
aber wir haben keine flächendeckende Problematik.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Das ist sicherlich eine Interpretationsfrage. Dazu,dass wir zusammen mit Malta die höchsten Stickstoffbe-lastungen im Grundwasser haben, kann man zwar sagen,das sei kein flächendeckendes Problem; man kann aberauch sagen: Wir haben ein gravierendes Problem.Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie mirgerade versprochen, dass Sie im Sinne meiner Fragestel-lung den gegenwärtigen Entwurf der Düngeverordnungüberarbeiten wollen. So haben Sie sich eben ausge-drückt. Ich weiß nicht, ob das willentlich passiert ist.Denn das hieße, dass Sie am ursprünglichen Entwurf tat-sächlich noch relevante Änderungen vornehmen müss-ten. Der Indikatorenbericht ist, zumindest in den Details,erst nach der Vorlage des Entwurfs der Öffentlichkeit
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8215
Steffi Lemke
(C)
(B)
und der Bundesregierung zur Kenntnis gelangt. Erschlägt Alarm, was die Nitratbelastung des Grundwas-sers, aber auch der Oberflächengewässer anbetrifft, under macht deutlich, dass der Handlungsbedarf in diesemBereich größer ist, als Sie ihn bisher bei Ihrer Düngever-ordnung zugrunde gelegt haben.Ich bleibe beim Thema Hoftorbilanz ab 2018. Ichbleibe aber auch bei einem so konkreten Detail wie derFrage, ob auf tauenden Böden Gülle aufgebracht werdendarf, mit der Folge, dass wesentlich mehr Gülle abfließt,wenn Sie diese Praxis beibehalten. Es geht um eine For-derung der EU-Kommission an die Bundesregierung we-gen der Verletzung der Nitratrichtlinie bzw. wegen einesVertragsverletzungsverfahrens, die in Ihrem Entwurfnicht berücksichtigt worden ist. Meine konkrete Frageist: Werden Sie die Regelung zu den tauenden Böden än-dern? Werden Sie tatsächlich noch Änderungen an derDüngeverordnung vornehmen?P
Wie ich schon berichtet habe, geht es nun darum, mit
welchen Maßnahmen wir die angestrebten Ziele errei-
chen können. Hier gibt es unterschiedliche fachliche
Vorstellungen und Strategien, aber auch belegbare Ver-
änderungsnotwendigkeiten. Die ökologischen Anbau-
verbände zum Beispiel haben uns gebeten, das Aufbrin-
gen von Festmist auch noch im Winter zu erlauben. Das
möchte die Europäische Kommission nicht mehr zulas-
sen. Da braucht man etwas mehr Fachverstand; den
möchte ich Ihnen nicht absprechen.
– Das weiß ich, Frau Lemke.
Wir ringen zurzeit um eine Lösung. Wir liegen auf je-
den Fall im Zeitplan. Es muss praktikabel sein, ohne bü-
rokratischen Mehraufwand. Aber die Zielsetzung ist un-
strittig. Die Ziele werden wir auch erreichen.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Meiwald das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bleser, vielen
Dank für Ihre Ausführungen.
Ich bin froh, dass Sie sagen, dass wir in der Zielset-
zung gar nicht weit voneinander entfernt sind. Frau
Lemke hat darauf hingewiesen, dass der Indikatorenbe-
richt warnende bzw. sogar alarmierende Rufe beinhaltet.
Die Wasserversorger zum Beispiel machen sich massiv
Sorgen. Zudem gibt es das EU-Vertragsverletzungsver-
fahren, das Anlass für die jetzige Novelle ist. Deswegen
stellt sich mir die Frage, warum Sie den Stickstoffüber-
schuss erst ab 2018 auf 50 Kilogramm pro Hektar absen-
ken wollen. Alle fachlich befassten Behörden versuchen,
wieder einen proaktiven Verbesserungszustand zu errei-
chen, und sind der Auffassung, dass man 2018 schon
sehr viel weiter sein muss. Wie begründen Sie, dass Sie
damit erst 2018 anfangen wollen, oder sehen Sie im
Rahmen der weiteren Verhandlungen noch Möglichkei-
ten, das zu beschleunigen?
P
Der Entwurf sieht zum Beispiel vor, dass alle organi-
schen Dünger, auch Gärreste, bei den Obergrenzen be-
rücksichtigt werden. Schon das führt zu einer Reduzie-
rung der aufzubringenden Gesamtmenge. Darüber
hinaus wollen wir die Kontrollwerte, die in der Natur
beispielsweise aufgrund der Witterung nicht exakt vo-
rauszusagen sind, im Hinblick auf die Überschüsse wei-
ter zurückführen. Bei allem Verständnis für schnelles
Handeln wird man in der Praxis eine einigermaßen an-
wendbare Übergangsfrist brauchen. Ob das 2018 oder
früher der Fall sein wird, wird sich herausstellen. Aber
ich denke, dass 2018 schon ambitioniert genug ist.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Die Fragen 10 und 11
der Kollegin Höger sollen schriftlich beantwortet wer-
den.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Matthias Gastel
auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die
Stuttgart-21-Planung für den Fildertunnel – Planfeststellungs-
abschnitt 1.2 – erst seit wenigen Tagen zusätzlich zum bisher
vorgesehenen Zugsicherungssystem ETCS – European Train
Control System – auch die konventionelle Technik für S-Bah-
nen umfasst, obwohl dieser Tunnel seit langem als Ausweich-
strecke für den S-Bahn-Verkehr für den Fall einer Sperrung
des S-Bahn-Tunnels zwischen den Haltestellen „Österfeld“
und „Hauptbahnhof“ vorgesehen ist, der Tunnel aber ohne die
herkömmliche Technik von den S-Bahnen gar nicht genutzt
werden kann, und wer trägt nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Mehrkosten für die zusätzliche Ausstattung des Tun-
nels mit konventioneller Zugsicherungstechnik?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Aussageist nach Angaben der Deutschen Bahn AG nicht zutref-fend. Im Zuge der Schlichtung zu Stuttgart 21 wurde diesignaltechnische Ausstattung dargelegt. Im Schlichter-spruch wurde zur flexiblen Nutzung der gesamten neuerrichteten Hochgeschwindigkeitsinfrastruktur die volle
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8216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
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Doppelausrüstung mit Ks-Signaltechnik und ETCS ge-fordert. Die Ks-Signaltechnik gestattet, das gesamteNetz direkt mit allen Regional- und S-Bahnzügen zu be-fahren. Diese Forderung des Schlichters führte zur Ent-scheidung für die Umplanung der Signaltechnik am9. Dezember 2012. Seit diesem Zeitpunkt werden alleSignaltechnikplanungen für den Bereich des KnotenStuttgart, also auch für den Fildertunnel, mit der Doppel-ausrüstung ETCS und Ks-Signaltechnik durchgeführt.Damit ist für Störungsfälle signaltechnisch eine voll-kommen flexible Umleitung der Regional- und S-Bahn-züge im gesamten Streckennetz möglich.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, meine erste Nachfrage bezieht
sich auf den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr
2005. Schon damals waren beide Signaltechniken vorge-
schrieben, also nicht erst seit dem Schlichterspruch. Wa-
rum kam das deutlich später?
E
Die Angaben, die ich Ihnen gemacht habe, stammen
von der DB AG, da es sich um ein eigenwirtschaftliches
Projekt der Deutschen Bahn handelt und nicht um ein
Projekt des Bedarfsplans.
Damals ist nach dem Schlichterspruch entschieden
worden, dass man zur Redundanz aller Strecken dann
eben auch beide Sicherungstechniken einführt, was ich
auch sehr begrüße.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Vielen Dank. – Ich habe eine zweite Frage an die
Bundesregierung. Was hält denn die Bundesregierung
davon, für S-Bahnen die ETCS-Technik zu verwenden?
Gibt es Ihres Wissens diese Technik in S-Bahnen in
Deutschland oder in anderen Metropolregionen Europas
bereits jetzt, und welche Erfahrungen gibt es dazu?
E
Ob es das in anderen Metropolregionen Europas gibt,
kann ich Ihnen nicht beantworten. Das würde ich gerne
schriftlich nachreichen.
Sicherlich ist es sinnvoll, wenn man Strecken mit bei-
den Techniken ausstattet, sodass bei Redundanz aller
Strecken, zum Beispiel für eine notwendige Umfahrung
bei Störungen an einer Strecke, auch eine andere Strecke
benutzt werden kann. Das macht verkehrstechnisch
Sinn.
Danke, Herr Staatssekretär. – Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-
Sutter zur Verfügung.
Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Sylvia Kotting-
Uhl sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Steffi Lemke auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Fehlen eines Fi-
scherei-Indikators im Indikatorenbericht zur Strategie der bio-
logischen Vielfalt 2014?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Lemke, ein erster Vor-
schlag für einen Indikator zur Meeresfischerei wurde im
Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens
von PAN, Planungsbüro für angewandten Naturschutz,
in München in Zusammenarbeit mit GEOMAR, dem
Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, in Kiel entwi-
ckelt. Auf der Basis dieses Vorschlags haben das Bun-
desministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit und das Bundesamt für Naturschutz eine
Diskussion mit den Fischereiforschungsinstituten des
Thünen-Instituts, dem Institut für Seefischerei in Ham-
burg und dem Institut für Ostseefischerei in Rostock und
dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft begonnen. Der Indikator hat daraufhin mehrere
Modifikationen erfahren. Die Arbeiten hieran konnten
aber wegen noch offener methodischer und inhaltlicher
Fragen und Defizite bei den Daten noch nicht abge-
schlossen werden.
Der Diskussionsprozess wird mit dem Ziel fortge-
führt, in den nächsten Indikatorenbericht einen wissen-
schaftlich abgesicherten, aussagekräftigen Indikator zur
Meeresfischerei aufzunehmen. Es wird auch erwartet,
dass bis dahin die offiziellen Festlegungen der Referenz-
werte zur Biomasse und Häufigkeit für weitere kommer-
ziell genutzte Bestände durch den ICES, International
Council for the Exploration of the Sea, vorliegen. Außer-
dem sollen bei der weiteren inhaltlichen und methodi-
schen Ausgestaltung des Indikators die Erkenntnisse, die
bei der aktuellen Entwicklung von Indikatoren im Zu-
sammenhang mit der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie
gewonnen werden, berücksichtigt werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Zunächst vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für dieAntwort. – Wir sind im Prinzip bei dem gleichen The-menkomplex wie bei meiner vorhergehenden Frage. Dagab es zwischen dem Landwirtschaftsministerium und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8217
Steffi Lemke
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dem Umweltministerium einen Dissens in der Frage desnotwendigen und machbaren Meeresschutzes.Hielten Sie es denn nicht für notwendig, wenn wirüber die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie reden, tat-sächlich auch einen Indikator für die biologische Vielfaltzur Verfügung zu haben? Es ist das größte Problem, dassin den Meeresschutzgebieten nach wie vor keine Schutz-maßnahmen von der Bundesregierung umgesetzt wordensind und wir keine Fischerei-Indikatoren bzw. Messstel-len haben, um eine Bewertung vorzunehmen.Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich denke, auf europäi-
scher Ebene, auch bei der Meeresstrategie-Rahmenricht-
linie, bestehen Zielkonflikte zwischen der Fischerei und
der Biodiversität, die wir gemeinsam angehen müssen.
Wir prüfen, welche Erkenntnisse wir gewinnen können,
um Lösungen nachher umzusetzen.
Das ist eine schöne Antwort, die um den real existie-
renden Konflikt elegant herumgeht. Das Hauptproblem
ist doch, dass sich das Landwirtschaftsministerium hin-
ter der europäischen Ebene versteckt und sagt: Wir kön-
nen für die biologische Vielfalt im Rahmen der Meeres-
strategie-Rahmenrichtlinie nur etwas auf europäischer
Ebene tun; wir können alles, was Fischerei anbetrifft,
nur europäisch regeln. – Das ist faktisch falsch, weil an-
dere europäische Staaten nationale Regelungen erlassen
haben. Deshalb sage ich: Man versteckt sich einfach nur
hinter der europäischen Ebene.
Ich bleibe dabei, dass es hilfreich wäre, wenn wir
über den Einfluss der Fischerei auf die biologische Viel-
falt im Meer mehr wüssten, wenn es einen Indikator da-
für gäbe, wenn es eine aussagekräftige Information da-
rüber gäbe, die Ihnen in der Auseinandersetzung mit
dem Landwirtschaftsministerium helfen könnte.
Ri
Frau Kollegin, ich habe gerade schon gesagt, dass wir
einen solchen Indikator erarbeiten und dass er bis zum
nächsten Bericht vorliegen soll. Insofern gehen wir mit
dem Problem auf nationaler Ebene durchaus entspre-
chend um.
Die Frage 16 des Kollegen Movassat soll schriftlich
beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Peter Meiwald
auf:
Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregie-
rung, um den Anteil von Mehrweg- und ökologisch vorteil-
haften Einweggetränkeverpackungen von 47 Prozent
ordnung angestrebten 80 Prozent zu erhöhen, angesichts der
Ankündigung von Coca-Cola, aus dem Mehrwegsystem aus-
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Meiwald, mit dem Mehr-
wegsystem in Deutschland existiert sicherlich ein ökolo-
gisches Vorzeigeprojekt. Insoweit nimmt die Bundesre-
gierung den von Coca-Cola beabsichtigten Ausstieg aus
dem Mehrwegsystem bei 1,5-Liter-Gebinden und bei
0,5-Liter-Gebinden mit Sorge zur Kenntnis.
Die Bundesregierung hat das Mehrwegsystem in der
Vergangenheit wiederholt durch rechtliche Initiativen
und durch die Unterstützung von Werbemaßnahmen ge-
fördert. Insbesondere hat die Bundesregierung bereits in
der letzten Legislaturperiode ergänzend zur Pfandpflicht
für ökologisch nicht vorteilhafte Einweggetränkever-
packungen eine Verordnung zur Hinweispflicht des
Handels beim Vertrieb bepfandeter Einweg- und Mehr-
weggetränkeverpackungen vorgelegt. Durch eine Ver-
besserung der Transparenz für die Verbraucher und Ver-
braucherinnen sollen diese die Möglichkeit erhalten, bei
einem Einkauf bewusst zwischen Einweg- und Mehr-
weggetränkeverpackungen zu unterscheiden.
Die Bundesregierung entspricht damit auch einem
ausdrücklichen Wunsch der Umweltverbände und der
Verbraucherverbände. Die Verordnung liegt seit dem
Frühjahr 2013 dem Bundesrat zur Zustimmung vor. Die
Bundesumweltministerin hat ihre Kolleginnen und Kol-
legen in den Ländern aufgefordert, dieser Verordnung
zuzustimmen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Herr
Meiwald.
Vielen Dank, Frau Kollegin StaatssekretärinSchwarzelühr-Sutter. – Es freut mich zunächst einmal,dass auch Sie es positiv, als Erfolgsgeschichte fürDeutschland sehen, dass es hier überhaupt noch einenAnteil der Mehrwegverpackung gibt. Trotzdem müssenwir uns zunehmend einer Diskussion über die ökologi-sche Vorteilhaftigkeit des Mehrwegsystems stellen. Eshat im Jahr 2002 die letzte unabhängige Studie des Um-weltbundesamtes dazu gegeben. Mittlerweile gibt es ei-nige Interessenvertreter der Einwegbranche, die infragestellen, ob die ökologische Vorteilhaftigkeit des Mehr-wegsystems heute eigentlich noch gegeben ist. Deswe-gen meine Nachfrage: Beurteilt die Bundesregierung wiewir Grüne, die Umweltverbände und auch das UBAMehrwegsysteme heute immer noch als ökologisch vor-teilhaft und als den eindeutig besseren Weg, den wir an-streben müssen, um die Zielvorgaben der Verpackungs-verordnung wieder erreichen zu können?
Metadaten/Kopzeile:
8218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
(C)
(B)
Ri
Die Einschätzung der Bundesregierung zur ökologi-
schen Vorteilhaftigkeit von bestimmten Getränkeverpa-
ckungen beruht natürlich auf Ökobilanzuntersuchungen,
die den einschlägigen nationalen wie auch internationa-
len Normen entsprechen und die auch vom Umweltbun-
desamt geprüft und bewertet sind. Diese Studien belegen
die grundsätzliche ökologische Vorteilhaftigkeit von
Mehrwegflaschen. Dabei erweisen sich Mehrwegfla-
schen aus PET jeweils als die ökologisch günstigere Ver-
packung. Einige Einweggetränkeverpackungen schnei-
den in den vorliegenden Ökobilanzen allerdings im
Vergleich zu Glasmehrwegflaschen vergleichbar gut ab.
Deshalb sind in der Verpackungsverordnung ökologisch
vorteilhafte Einweggetränkeverpackungen von der
Pfandpflicht befreit.
Bei der Beurteilung der ökologischen Effekte einer
Verpackung spielt das Recycling zwar eine wesentliche
Rolle, aber nicht die allein ausschlaggebende; vielmehr
ist wirklich der gesamte Lebensweg einer Verpackung zu
betrachten. Die Studien aus dem Jahr 2010 haben ge-
zeigt, dass sich das Recycling der im Pfandsystem sor-
tenrein zurückgenommenen PET-Flaschen positiv auf
deren ökologische Bewertung auswirkt.
Sie sehen: Wir beschäftigen uns sehr intensiv damit
und bleiben auch da bei der Bewertung nicht stehen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Vielen Dank. – Daran schließt sich meine Nachfrage
an, ob Sie vorhaben, über das Umweltbundesamt einmal
wieder eine generelle neue Bewertung vornehmen zu
lassen, ob das schon in Arbeit ist oder in welchem
Zeitrahmen wir da mit neuen Ergebnissen rechnen kön-
nen, um wieder entsprechend Druck in die gesellschaftli-
che Diskussion bringen zu können.
Ri
Die gesellschaftliche Diskussion – wenn ich das so
anmerken darf – ist natürlich durch die aktuelle Ankün-
digung von Coca-Cola sehr wohl in Gang gekommen.
Das schafft auch noch einmal Bewusstsein in dieser
Frage.
Den vorliegenden Ökobilanzstudien liegen teilweise
unterschiedliche Methoden und Annahmen zugrunde.
Im Auftrag des Umweltbundesamts wird zurzeit vom
IFEU-Institut in Heidelberg ein Vorhaben zur Prüfung
und Aktualisierung der Ökobilanzen für Getränkeverpa-
ckungen durchgeführt. Die Ökobilanzen werden vergli-
chen, bewertet; Ziel sind einheitliche Bewertungsan-
sätze.
Im Rahmen dieses Vorhabens wurden methodische
Vorgaben für zukünftige Ökobilanzen für Getränkever-
packungen erarbeitet und vorliegende Erkenntnisse aktu-
alisiert. Ein Kreis von relevanten Akteuren aus Indus-
trie-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden hat
dieses Vorhaben begleitet; es fand also nicht im stillen
Kämmerlein statt. Das Vorhaben wird in Kürze abge-
schlossen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine um-
fassende neue Ökobilanz, also nicht um eine Studie
UBA III, mit der die Ergebnisse früherer Studien revi-
diert würden. Für eine solche umfassende neue Bewer-
tung ist derzeit kein Anlass zu erkennen.
Wir kommen zur Frage 18 des Kollegen Peter
Meiwald:
Welche Umwelt- und Arbeitsplatzeffekte erwartet die
Bundesregierung bei einem Ausstieg des Marktführers für Er-
frischungsgetränke, Coca-Cola, aus Mehrweggetränkever-
packungen bei 0,5- und 1,5-Liter-Flaschen, wie er in der letz-
ten Woche vom Konzern angekündigt wurde, und von einem
kompletten Ausstieg von Coca-Cola aus allen Mehrwegge-
tränkeverpackungen, wie er von den Umweltverbänden mit-
telfristig erwartet wird ?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ri
Herr Kollege Meiwald, grundsätzlich tragen Mehr-
wegflaschen zur Abfallvermeidung bei, und sie schnei-
den in gesamtökologischen Untersuchungen nach wie
vor besser ab als Einweggetränkeverpackungen. Das gilt
insbesondere für Mehrwegflaschen aus Kunststoff – ich
hatte das vorhin schon genannt –, insbesondere also die
PET-Flasche. Eine Prognose der ökologischen Auswir-
kungen einer teilweisen Umstellung des Sortiments ei-
nes bestimmten Unternehmens, so wie das besagte Un-
ternehmen sie angekündigt hat, ist der Bundesregierung
im Moment nicht möglich. Mit Blick auf die angekün-
digte Umstellung ist im Übrigen nicht abschätzbar, wel-
cher Teil der aufgelisteten Mehrwegflaschen durch an-
dere Mehrwegflaschen substituiert wird und welcher
Teil durch Einweggebinde; es gibt da unterschiedliche
Annahmen, auch vom Hersteller selber. Von der bereits
genannten Hinweispflicht wird ein Anreiz ausgehen, auf
Mehrwegflaschen zu setzen.
Eine Prognose etwaiger Arbeitsplatzeffekte bei einer
teilweisen oder vollständigen Umstellung des Sortiments
eines bestimmten Unternehmens von Mehrwegflaschen
auf Einwegsysteme ist der Bundesregierung derzeit nicht
möglich.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Den Optimismus, dass es eine Substi-tution durch andere Mehrwegsysteme geben wird, teileich nicht ganz. Im Gegenteil: Wir machen uns eigentlichgroße Sorgen, dass bei dem Konzern am Ende des Tagesdie 1-Liter-Flasche ebenfalls durch ein Einwegangebotsubstituiert wird. Insofern beschäftigt uns natürlich wei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8219
Peter Meiwald
(C)
(B)
terhin die Frage, inwieweit dadurch auch Auswirkungenauf die Arbeitsplätze zu befürchten sind, nicht nur beidem Konzern selbst, sondern auch in Handel und Logis-tik. Es wäre für uns schon von Interesse, ob sich IhrMinisterium Gedanken darüber macht, in welcher Form– über die Hinweispflicht hinaus – Maßnahmen ergriffenwerden können, um den eigentlich auch nach wie vor ge-setzlich vorgeschriebenen Mehrweganteil wieder zu er-reichen.Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Meiwald, ich bin weder
optimistisch noch pessimistisch. Es gilt, abzuwarten.
Wenn der Fall eintritt, wird das Bundesumweltministe-
rium sehr genau beobachten, welche Entwicklung sich
abzeichnet, und gegebenenfalls entsprechende Maßnah-
men ergreifen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Welche ökologischen Vorteile der Mehrwegsysteme
würden Sie denn in den Diskussionen, jetzt insbesondere
auch mit der Branche, besonders in den Vordergrund
stellen, und welche könnten dabei als Argumentations-
hilfe dienen, um die Überzeugung durchzusetzen, dass
wieder mehr auf Mehrwegsysteme gesetzt werden soll?
Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Meiwald, es wäre jetzt
einfach wichtig, dass wir die Hinweispflicht im Handel
tatsächlich umsetzen, damit der Verbraucher schlussend-
lich klar und deutlich, auch sehr schnell wahrnehmbar,
sieht, was er, wenn er ins Regal greift, tatsächlich kauft –
ein Einweg- oder ein Mehrwegprodukt. Insofern legen
wir Wert darauf, dass das jetzt als erster Schritt umge-
setzt wird.
Danke. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbe-
reichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwor-
tung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekre-
tärin Brigitte Zypries zur Verfügung.
Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Krischer sollen
schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Welche Vertreter deutscher Wirtschaftsunternehmen haben
Uwe Beckmeyer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Energie, bei seinem jüngsten
Indien-Besuch begleitet, und mit welchen Politikern auf der
indischen Seite wurden Gespräche geführt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
B
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin
Vogler, die Reise meines Kollegen Uwe Beckmeyer be-
stand aus drei Teilen: Er hat erstens die Eröffnung und
den Ko-Vorsitz des 6. Deutsch-Indischen Energie-
forums am 13. Februar gemacht. Er hat zweitens an ei-
ner Investitionskonferenz zu erneuerbaren Energien der
indischen Regierung teilgenommen und hat dabei den
Ausstellerbereich besucht. Er hat drittens eine Wirt-
schaftsdelegation zu Sicherheitstechnologien geleitet,
die auch an dieser Reise teilgenommen hat.
Es gab nun unterschiedliche Teilnehmer bei den un-
terschiedlichen Veranstaltungen.
Bei den Veranstaltungen zu erstens und zweitens, also
beim Energieforum und bei der Investitionskonferenz zu
erneuerbaren Energien, waren folgende deutsche Unter-
nehmen dabei: Bosch, EXXERGY GmbH, 50Hertz,
Future Innovation, Hensel, IBC SOLAR, Nanak Con-
sult-Holding GmbH, Solea Pinpoint Energy GmbH,
STEAG, SunOyster, Siemens, Suntrace GmbH, Terra-
watt Planungsgesellschaft mbH.
Bei der unter drittens genannten Unternehmung, also
der Leitung der Wirtschaftsdelegation zu Sicherheits-
technologien, waren vonseiten der Unternehmen dabei:
Airbus Defence and Space, Ambassadors Associates,
Atlas Elektronik, Bosch Sicherheitssysteme, Diehl
Defence, DLR, Drägerwerk, German-European Secu-
rity Association, Heckler & Koch, Horizon Group, SAP
India, TKMS, TÜV Rheinland AG, WEW Westerwälder
Eisenwerk.
Dann hatten Sie gefragt, mit wem der Kollege Ge-
spräche geführt hat. Das will ich Ihnen auch gerne vorle-
sen; das dauert aber einen Moment. Er hat geredet mit
Herrn Piyush Goyal, Minister of State, Ministry of
Power, mit Herrn Satish Kumar, Joint Secretary, Minis-
try of Power, mit Herrn Jain, Secretary, National Disas-
ter Management Authority, Ministry of Home Affairs,
mit Herrn Mohan Kumar, Secretary, Department of
Defence, Ministry of Defence, mit Herrn Mathur, Secre-
tary, Department of Defence, Ministry of Defence, mit
Herrn Inderjit Singh, Union Minister of State for Plan-
ning, Ministry of Defence, mit Herrn Somasundaran,
Secretary, Ministry of Civil Aviation, mit Herrn Goyal,
Home Secretary, Ministry of Home Affairs, mit Herrn
Prasad, Additional Secretary, Ministry of Home Affairs,
mit Frau Raje Scindia, Minster of Commerce, Industries
and Employment, Government of Madhya Pradesh, mit
Frau Ratna Prabha, Additional Chief Secretary,
Commerce and Industries Department, Government of
Karnataka, und mit Herrn Mukherjee, Chief Secretary,
Government of Karnataka.
Bevor Sie das Wort zur ersten Nachfrage bekommen,möchte ich Folgendes anmerken: Ich habe das allge-meine Interesse an der vollständigen und ausführlichenAntwort der Frau Staatssekretärin vorausgesetzt unddeshalb die Überschreitung der Antwortzeit natürlichentsprechend toleriert. Ich bitte jetzt aber, sowohl die
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8220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Nachfragen als auch die Antworten so zu gestalten, dasswir wieder auf die vereinbarte Zeit kommen. – Bitte,Kollegin Vogler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich denke, das bekom-
men wir hin. – Wir haben mitbekommen, dass das
Thema Rüstungs- und Sicherheitstechnologie bei diesem
Indien-Besuch offensichtlich eine größere Rolle gespielt
hat, als in der öffentlichen Darstellung dieser Indien-
Reise seitens des Ministeriums zum Ausdruck gekom-
men ist. Deshalb möchte ich gerne nachfragen, welche
Rolle das Thema „Rüstungslieferungen nach Indien“
beim Besuch des indischen Ministerpräsidenten Modi
zur Hannover Messe im April, beim geplanten Besuch
von Ursula von der Leyen in Indien und bei der für den
Herbst anstehenden Regierungskonsultation spielen
wird. Ich glaube, das ist von allgemeinem Interesse.
B
Ich kann Ihnen leider nicht sagen, was die Frau
Ministerin von der Leyen für Pläne hat und was Herr
Modi auf der Hannover Messe machen will. Das entzieht
sich leider meiner Kenntnis.
Ihre zweite Frage, bitte.
Ich komme zu meiner zweiten Nachfrage: Wegen
Korruptionsvorwürfen des indischen Central Bureau of
Investigation gegen eine Tochterfirma wurde das deut-
sche Rüstungsunternehmen Rheinmetall auf eine
schwarze Liste gesetzt und bis 2022 vom indischen Rüs-
tungsgeschäft ausgeschlossen. Inzwischen gibt es wei-
tere Vorwürfe, wonach Rheinmetall einem indischen
Lobbyisten 530 000 Euro zur Bestechung der Behörden
gegeben haben soll, um das sozusagen aus dem Weg zu
räumen. Inwieweit haben das Thema Rheinmetall und
die Streichung von Rheinmetall von der Blacklist beim
Besuch des Staatssekretärs eine Rolle gespielt, und hat
sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass die indi-
sche Regierung ihre schwarze Liste der korrupten Rüs-
tungsunternehmen überarbeitet?
B
Nach meiner Kenntnis hat das Thema bei dem Besuch
keine Rolle gespielt. Es gibt meiner Kenntnis nach auch
keinen Einsatz der Bundesregierung gegenüber der indi-
schen Regierung dahin gehend, irgendwelche Überarbei-
tungen vorzunehmen.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Ströbele das
Wort.
Danke. – Frau Staatssekretärin, ich habe gerade mit-
bekommen, dass die Firma Heckler & Koch auch an den
Gesprächen beteiligt gewesen ist. Bestehen bei der Bun-
desregierung nicht Bedenken gegenüber der Firma
Heckler & Koch, gegen die ein strafrechtliches Ermitt-
lungsverfahren läuft und von der gerade in den letzten
Wochen immer neue Verfehlungen bei Rüstungsexpor-
ten und der Einhaltung der gegebenen Zusagen über die
Verwendung der exportierten Waffen auch in der Öffent-
lichkeit bekannt geworden sind? So wurde festgestellt,
dass Waffen, die entgegen der Absprachen von Heckler &
Koch nach Mexiko geliefert worden sind, vermutlich so-
gar bei den Morden an mehr als 43 Studenten benutzt
worden sind. Jedenfalls wurden sie auf der Polizeiwache
in dem Ort gefunden, in dem die Studenten verschwun-
den sind.
B
Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
Die Frage ist, ob die Bundesregierung nicht Bedenken
hat, eine solche Firma an solchen Gesprächen in Indien
zu beteiligen, und ob die Bundesregierung nicht Anlass
dazu hat, diese Firma von weiteren Exportverhandlun-
gen und -gesprächen auszuschließen?
B
Herr Abgeordneter, zunächst einmal muss erstens
festgestellt werden, dass es tatsächlich Waffen waren,
die die Firma Heckler & Koch hergestellt hat.
Zweitens muss festgestellt werden, in welcher Art und
Weise sie dort hingekommen sind, also ob die Firma
überhaupt eine Ursache dafür gesetzt hat. Das ist nach
allem, was ich weiß, nicht der Fall.
Es ist äußerst geschickt, dass Sie Ihr Mikrofon ange-
lassen haben, Herr Ströbele. Trotz alledem ist dies die
Fragestunde und kein Zwiegespräch.
B
Genau. – Ich glaube auch, dass es richtig ist, dass mangleichwohl mit der Firma redet. Selbst wenn Verfehlun-gen vorgelegen haben sollten, wäre es sinnvoll, dass manmit der Firma im Gespräch bleibt und darauf drängt,dass Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, die sol-che Dinge künftig ausschließen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8221
(C)
(B)
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Karawanskij das Wort.
Vielen Dank. – Ich habe mir einmal die öffentliche
Darstellung dieses Besuchs seitens des Ministeriums an-
gesehen. Auf der Webseite ist vor allem etwas über die
umweltpolitische und energiepolitische Komponente des
Besuches zu lesen. Sie haben gerade ausgeführt, mit
wem Gespräche geführt worden sind. Leider befindet
sich auf der Webseite sehr wenig zu den sicherheitspoli-
tischen Aspekten bzw. zu den Firmen und Menschen, die
Sie gerade aufgezählt haben. Wie ist das zu verstehen?
Ist das eine Teil der öffentlichen Arbeit und das andere
eher geheimer Natur? Wie kommt diese Diskrepanz zu-
stande?
B
Keineswegs. Es liegt daran, dass der Parlamentari-
sche Staatssekretär Beckmeyer Ko-Vorsitzender des
6. Deutsch-Indischen Energieforums war, es eröffnet hat
und eine offizielle Rede gehalten hat. Er hat außerdem
an einer Investitionskonferenz zu erneuerbaren Energien
teilgenommen und einen offiziellen Ausstellerbesuch
gemacht. Das sind Themen, die offiziell auf den Websei-
ten aufgeführt sind, im Gegensatz zu irgendwelchen Ge-
sprächen, die auch längst nicht den Anteil hatten wie die
Gespräche über erneuerbare Energien. Das ist der
Grund, weshalb der Kollege Beckmeyer gefahren ist. Er
ist bei uns im Hause für Energie zuständig. Das
6. Deutsch-Indische Energieforum und die Investitions-
konferenz zu erneuerbaren Energien waren der eindeu-
tige Schwerpunkt dieser Reise. Das andere war nur by
the way.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Wir kommen damit
zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Be-
antwortung der Fragen steht die Staatsministerin Profes-
sor Dr. Maria Böhmer zur Verfügung. Die Fragen 22
und 23 des Kollegen Nouripour sowie die Fragen 24
und 25 der Kollegin Brugger werden schriftlich beant-
wortet. Dies gilt auch für die Frage 26 der Kollegin
Hänsel sowie für die Frage 27 des Kollegen Movassat.
Auch die Fragen 28 und 29 der Kollegin Jelpke wie auch
die Frage 30 des Kollegen Hunko werden schriftlich be-
antwortet.
Wir kommen zur Frage 31 der Kollegin Dağdelen.
Diese ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Ge-
schäftsordnung vorgesehen, das heißt, sie wird nicht be-
antwortet.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
War der Bundesregierung während der Waffenstillstands-
verhandlungen in Minsk am 12. Februar 2015 bekannt, dass
in der Ostukraine in der Stadt Debalzewe und deren Umge-
bung ein Großteil der ukrainischen Armee – circa 8 000 Sol-
daten – von den Truppen der Separatisten nahezu vollständig
eingekesselt und kurz vor der Aufgabe war, und warum hat
die Bundeskanzlerin als Teilnehmerin der Verhandlungen
nicht auf einer ausdrücklichen und klaren Regelung für diese
akute und das Funktionieren eines Waffenstillstandes mögli-
cherweise entscheidende Konfrontationssituation bestanden,
um zu vermeiden, dass die militärische Lage wegen Missver-
ständnissen eskaliert?
Bitte, Frau Staatsministerin.
D
Frau Präsidentin, ich antworte dem Kollegen
Ströbele: Dass die ukrainischen Truppen in Debalzewe
aufgrund des Frontverlaufs in eine schwierige Situation
kommen konnten, war allen Beteiligten und Beobach-
tern schon vor dem 12. Februar bekannt. Dass ein Groß-
teil der ukrainischen Truppen am 12. Februar kurz vor
der Aufgabe stand, kann die Bundesregierung nicht be-
stätigen. Darüber, ob und gegebenenfalls ab wann die
Truppen eingekesselt waren, gibt es weiterhin unter-
schiedliche Darstellungen. Das bezieht sich auch auf die
Anzahl der Truppen.
Wie Ihnen bekannt ist, wurde in Minsk eine umfas-
sende Regelung getroffen, die insbesondere zum Waf-
fenstillstand und zum Abzug schwerer Waffen keine
Missverständnisse zulässt. Die nach dem Beginn der
Waffenruhe am 15. Februar fortgesetzten Angriffe der
Separatisten auf Debalzewe und die Erstürmung der
Stadt sind eindeutig eine Verletzung der Abmachung.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Davon, dass es eineVerletzung der Abmachung ist, bin ich auch ausgegan-gen. Das ergibt sich schon aus dem Text des Abkom-mens. Mich interessieren dabei mehr die Haltung unddie Tätigkeit der Bundesregierung. Die Bundeskanzlerinhat gemeinsam mit dem französischen Präsidenten inten-sive Verhandlungen geführt. Bezüglich der Dauer habenwir sie alle sehr bewundert, dass sie so gut durchgehal-ten hat. Aber mich interessiert: Ist, nachdem auch derBundesregierung bekannt war, dass mindestens eine kri-tische Situation in Debalzewe besteht, eine Regelung ge-troffen worden? Da sitzen sie nun zusammen und wis-sen: Da ist ein Kessel. Wie eng er ist und wie schnelldiese Lage möglicherweise zu einer Aufgabe führt, warvielleicht nicht bekannt; aber es war bekannt, dass dieSituation kritisch ist. Hat man denn da gesagt: „Dasmuss jetzt sofort aufhören“, oder hat man gesagt: „Ihrhabt jetzt noch drei Tage Zeit, da könnt ihr praktischvollendete Tatsachen schaffen, und wir werden mit de-nen soundso umgehen“? Was ist denn da geregelt wor-den?
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8222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
(C)
(B)
D
Herr Ströbele, es ging ja weitgehend durch die Presse,
was da geregelt worden ist; es dürfte auch Ihnen bekannt
sein. Ich verstehe andererseits Ihre Frage. Wir alle setzen
auf der einen Seite große Hoffnungen in diese Abma-
chung, aber auf der anderen Seite wissen wir, wie fragil
die Situation ist.
Es ist sehr deutlich geworden, dass die ukrainischen
Soldaten diese Situation verlassen konnten. Das bedeu-
tete auch, dass viele heil aus dieser Situation herauska-
men. Trotzdem sage ich: Es war außerordentlich schwie-
rig. Wir wissen auch: Mit solchen Vereinbarungen, von
denen ich eben sagte, dass sie keine Missverständnisse
zulassen, verhindert man nicht, dass wir aufgrund von
Handlungen und Entwicklungen doch immer wieder ent-
täuscht werden. Mit dieser Situation sind wir leider wie-
derholt konfrontiert worden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Danke, Frau Staatsministerin. Das war sogar schon
ein bisschen mehr als das, was ich vorhin im Auswärti-
gen Ausschuss erfahren habe.
D
Es ist doch gut, wenn man immer nachfragt. – Ent-
schuldigung, Frau Präsidentin.
Ich habe Sie jetzt so verstanden, dass Sie froh darüber
sind, dass jedenfalls ein Teil der Soldaten abziehen
konnte oder nur gefangen genommen wurde, aber nicht
getötet wurde. War das Gegenstand der Vereinbarung?
Hat man vereinbart, dass man, wenn ein solcher Abzug
aus dem Kessel ermöglicht wird, die Tatsache hinnimmt,
dass der Kessel gefallen ist?
D
Herr Ströbele, ich glaube, jeder von uns ist erleichtert,
wenn Menschenleben gerettet werden können und die
Soldaten, wie in diesem Fall, abziehen können.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs, Frau
Staatsministerin. Herzlichen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole
Schröder zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welches sind die szenetypischen Straftaten nach Auffas-
sung der Bundesregierung, die nach dem Interview des Präsi-
denten des Bundesamtes für Verfassungsschutz von V-Leuten
im IS-Milieu – IS: „Islamischer Staat“ – begangen werden
dürfen, wenn sie nach Syrien reisen, um Informationen über
Personen aus Deutschland zu erhalten über mögliche Terror-
pläne , und soll nach
dem von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines
Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich
des Verfassungsschutzes vom 6. Februar 2015 über Ausnah-
men von der Beendigung solcher Einsätze auch der Behörden-
leiter oder sein Vertreter entscheiden, wenn V-Leute Straftat-
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Abgeordneter,
ich beantworte Ihre Frage wie folgt: V-Leute des Bun-
desamtes für Verfassungsschutz dürfen keine Straftaten
begehen. Im Rahmen ihres Einsatzes nehmen sie Amts-
rechte wahr. Eine katalogmäßige Auflistung des hier-
nach zulässigen Verhaltens ist auch in Bezug auf
Straftatbestände nicht möglich, da dem eine Güterabwä-
gung im konkreten Einzelfall zugrunde liegt. Eingriffe in
Individualrechte setzen aber eine besondere Befugnis
voraus. So ist die Erhebung personenbezogener Daten
unter Einsatz von V-Leuten nach Maßgabe des § 9 Ab-
satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zulässig.
Der in der Frage in Bezug genommene Gesetzentwurf
ist von der Bundesregierung noch nicht beschlossen. Er
befindet sich derzeit in der Länderbeteiligung. Die Zu-
leitung an die Geschäftsstellen der Fraktionen des Deut-
schen Bundestages ist mit dem ausdrücklichen Hinweis
erfolgt, dass der Entwurf noch nicht abschließend abge-
stimmt ist. Er enthält ausdrückliche Regelungen zu den
eingangs beschriebenen Amtsrechten. Dabei stellt er ins-
besondere klar, dass eine Beteiligung an strafbaren Ver-
einigungen zu deren Aufklärung zulässig ist.
Im Übrigen enthält der Entwurf eine Regelung zur
Einsatzbeendigung bei zureichenden tatsächlichen An-
haltspunkten für eine Straftat von erheblicher Bedeutung
durch eine Vertrauensperson. Es handelt sich um eine
Sollvorschrift, da im Einzelfall eine Bewertung der kon-
kreten Umstände erforderlich bleibt. Relevant ist dabei
insbesondere, wie vage oder verdichtet der Straftatver-
dacht und wie bedeutsam der Aufklärungsbeitrag der
Vertrauensperson etwa zur Verhinderung terroristischer
Anschläge ist. Über Ausnahmen vom Grundsatz der Ein-
satzbeendigung entscheidet nach dem Entwurf die Be-
hördenleitung selbst.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage
Ich weiß nicht, ob ich mich für die Antwort bedankensoll, Herr Staatssekretär, weil Sie meine Frage nicht be-antwortet haben. Ich habe Sie gefragt – das kommt auchin dem Interview mit dem Präsidenten des Bundesamtes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8223
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
für Verfassungsschutz zum Ausdruck –, was zulässigeszenetypische Straftaten von V-Leuten im Milieu etwavon ISIS in Syrien oder des IS im Irak sein können. HerrMaaßen befürwortet in dem Interview den Einsatz vonV-Leuten dort. Es gibt Bedenken, ob er im Auslandüberhaupt zulässig ist; es handelt sich schließlich um ei-nen Inlandsgeheimdienst, aber sehen wir einmal davonab.V-Leute, die hier geworben werden, gehen nach Sy-rien und begehen dort szenetypische Straftaten im IS-Milieu. Da gruselt es mich. Was könnte das denn sein?Was kommt da Ihrer Auffassung nach in Betracht? Siemüssen das jetzt nicht umfassend aufzählen, mich inte-ressiert ein konkretes Beispiel: Was könnte es sein, wasmich nicht gruselt?D
Das können Straftaten mit entsprechendem subkultu-
rellen Hintergrund sein. Ein Beispiel ist natürlich die Be-
teiligung an einer solchen terroristischen Vereinigung.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sie haben hier den entsprechenden Gesetzentwurf zi-
tiert. Ich fürchte, es hat hier kaum einer verstanden, was
Sie damit zum Ausdruck bringen wollten. Dieser Ge-
setzentwurf ist nun einmal vorhanden. Sie sagen, er be-
finde sich in der Länderabstimmung. In ihm findet sich
ein bemerkenswerter Satz: Wenn in Zukunft Straftaten
von erheblicher Bedeutung verübt werden, muss der Be-
hördenleiter – also der Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutzes – oder sein Stellvertreter entschei-
den, ob der Einsatz abgebrochen wird. Mit anderen Wor-
ten: Es gibt auch Fälle, wo der Einsatz nicht abgebro-
chen wird und das lediglich intern – das heißt vom
Präsidenten bzw. Vizepräsidenten – entschieden wird.
Kann es sein, dass dann da etwas außer Kontrolle gerät?
D
Dass das möglich ist, war bisher auch so. Es ist mei-
nes Erachtens aber dringend erforderlich, um beispiels-
weise schwere terroristische Straftaten zu verhindern.
Das ist dann im Einzelfall natürlich eine Güterabwä-
gung.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Habe ich Ihr Zwiegespräch gerade richtig verstanden,
dass Sie es für möglich halten, dass V-Leute – kurioser-
weise auch des Bundesamtes für Verfassungsschutz im
Ausland; sehen wir aber einmal von dieser Tatortvoraus-
setzung ab – künftig im Einzelfall auch Straftaten von
erheblicher Bedeutung im Rahmen des V-Mann-Einsat-
zes begehen können sollen? Wenn ja, an welche Strafta-
ten von erheblicher Bedeutung, die Sie noch für tolera-
bel halten, denken Sie dabei?
D
Straftaten gegen Individualrechte sind V-Leuten nicht
erlaubt. Wenn es dann aber doch dazu kommt, ist im
Einzelfall abzuwägen, ob ein Einsatz abgebrochen wird
oder nicht. Wenn es beispielsweise Eingriffe in die kör-
perliche Integrität – dabei geht es zum Beispiel um Kör-
perverletzungsdelikte – gibt, ist es eine Frage des Einzel-
falles, ob der V-Mann-Einsatz sofort abgebrochen wird.
Wenn es aber zum Beispiel notwendig ist, den V-Mann
in der Operation zu belassen, weil nur so ein schwerer
terroristischer Anschlag verhindert werden kann, ist das
natürlich eine Gütererwägung, die zu dem Ergebnis füh-
ren kann, dass der V-Mann-Einsatz nicht beendet wird.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Haßelmann das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
Sie schließen den V-Mann-Einsatz im Ausland nicht aus.
Ich kann mir das gar nicht vorstellen, dafür haben wir
doch gar keine Rechtsgrundlage. Des Weiteren irritiert
mich Folgendes: Sie haben gerade über szenetypische
Straftaten von V-Leuten im subkulturellen Milieu ge-
sprochen. Ich bin, ehrlich gesagt, überfordert, mir vorzu-
stellen, was das ist. Ich möchte Sie dringen bitten, mir
das einmal zu erläutern. Wenn Sie nicht in der Lage sind,
das mündlich zu tun, dann lassen Sie mir bitte eine
schriftliche Ausarbeitung ihrer Antwort zukommen.
D
Eine szenetypische Straftat im subkulturellen rechts-
extremen Milieu wäre beispielsweise der Hitlergruß.
Ich trage jetzt einmal nach, was ohne Mikrofon in denRaum geworfen wurde. Es ging in Ihrer Beantwortungder Frage – wenn ich das richtig verstanden habe – umStraftaten im Milieu von IS, und die Nachfrage war jetzt,welche Straftaten da gemeint sein könnten. Es ging alsonicht um das, was das Hohe Haus die letzten zwei, dreiJahre in Bezug auf diesen anderen Phänomenbereich be-schäftigt hat.
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8224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Vizepräsidentin Petra Pau
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(B)
Die Frage ist, ob Sie dazu ein Beispiel liefern könnenoder ob wir das an anderer Stelle vertiefen müssen.
D
Das ist eine rein spekulative Frage. Insofern kann ich
darauf jetzt keine Antwort geben.
Gut. – Eine Nachfrage können Sie nach unseren Re-
geln leider nicht stellen, Kollegin Haßelmann.
Aber ich denke, wir werden im Nachgang zur heutigen
Fragestunde zu Regelungen kommen müssen, wie wir
eine gewünschte Beantwortung erreichen.
Herr Staatssekretär, wir fahren fort. Die Frage 34 der
Kollegin Erika Steinbach, die Fragen 35 und 36 des Kol-
legen Dr. André Hahn sowie die Frage 37 des Kollegen
Özcan Mutlu sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Sevim Dağdelen
auf:
Welche Änderungen am Erlass des Auswärtigen Amts
vom 4. August 2014 zur Umsetzung des Dogan-Urteils des
Europäischen Gerichtshofes vom 10. Juli 2014 bzw. welche
gesetzlichen Änderungen sind vor dem Hintergrund des dro-
henden Vertragsverletzungsverfahrens wegen unzureichender
waltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 2015
, und wie weit sind die Prüfungen innerhalb
der Bundesregierung seit dem Dogan-Urteil zu der Frage ge-
reift, ob an der Regelung der Sprachnachweise beim Ehegat-
angesichts des Schlussantrages des Generalanwalts am Euro-
päischen Gerichtshof Maciej Szpunar vom 28. Januar 2015 in
der Rechtssache C-579/13, der auch mit Bezug auf die EU-
Familienzusammenführungsrichtlinie erklärte, dass Integra-
tionsmaßnahmen keine Erfolgspflichten, keine Pflicht zur Ab-
legung einer Prüfung und auch nicht den Nachweis eines be-
stimmten Sprach- oder Wissensniveaus vorsehen dürfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Frau Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung prüft nach Abschluss des Pi-
lotverfahrens zur Umsetzung der Dogan-Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs und nach der Rechtspre-
chung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg
vom 30. Januar 2015 etwaigen gesetzlichen Anpas-
sungsbedarf beim Sprachnachweis zum Ehegattennach-
zug. Die Bundesregierung beabsichtigt zudem, gegen die
Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg in Revision
zu gehen.
Was das EuGH-Verfahren angeht, so handelt es sich
um ein Verfahren aus den Niederlanden, welches die
Auslegung der Richtlinie 2003/19/EG, also der Fami-
lienzusammenführungsrichtlinien, betreffend die Rechts-
stellung der langfristig Aufenthaltsberechtigten und in
diesem Zusammenhang reine Inlandssachverhalte be-
trifft. Diese Konstellation unterscheidet sich somit von
der Frage des Nachweises von Sprachkenntnissen vor
Einreise im Rahmen des Ehegattennachzugs nach deut-
schem Recht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrter Herr
Schröder, der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Michael Roth, erklärte mir in einem Schreiben vom
11. August letzten Jahres, dass das Dogan-Urteil des Eu-
ropäischen Gerichtshofs nicht nur per Erlass, sondern
auch gesetzlich umgesetzt werden solle. Wörtlich sagt er
– ich zitiere –: Nach der parlamentarischen Sommer-
pause soll dies auch gesetzlich geregelt werden. – Dies
ist bis heute offenkundig nicht erfolgt. Ich frage Sie als
Vertreter der Bundesregierung: Warum ist dies bis heute
nicht erfolgt? Warum hat die Bundesregierung sich ge-
gen eine gesetzliche Umsetzung des Urteils entschieden,
obwohl das von der Europäischen Union bzw. von der
EU-Kommission so verlangt wurde?
D
Wir haben das EuGH-Urteil zunächst auf dem Erlass-
wege umgesetzt. Nach der Entscheidung des OVG Ber-
lin-Brandenburg wird nun innerhalb der Regierung eine
Diskussion darüber geführt, ob wir eine gesetzliche Um-
setzung brauchen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Vielen Dank für die Nichtbeantwortung, HerrSchröder. – Ich würde gerne zu einer zweiten Frage an-setzen, die Sie eventuell beantworten können: Warumorientiert sich die Bundesregierung eigentlich nicht amNachbarland Österreich, das beim Ehegattennachzug zutürkischen Staatsangehörigen bereits seit Jahren vonSprachnachweisen im Ausland absieht, weil sie gegendas Verschlechterungsverbot im Assoziationsrecht EU-Türkei verstoßen? Ebenso sehen die Niederlande beimEhegattennachzug vom Nachweis von Sprachkenntnis-sen im Ausland ab, weil auch sie sagen, dass er gegendas Assoziationsrecht verstößt. In diesem Zusammen-hang würde ich gerne wissen, ob diese Nachbarstaaten inden Augen der Bundesregierung eventuell unfähig sind,zu sehen, dass das etwas anderes ist als das, was dieBundesregierung macht?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8225
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(B)
D
Wir sehen den Sprachnachweis vor der Einreise – es
handelt sich um den Nachweis ganz einfacher Sprach-
kenntnisse, um den Nachweis eines aktiven Wortschat-
zes von lediglich circa 300 Wörtern – als wichtiges
Instrument an, um Parallelgesellschaften hier in
Deutschland zu verhindern und die Integration zu beför-
dern.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Beck das Wort.
Man gewinnt ein bisschen den Eindruck, dass es so
etwas wie eine parallele Justiz in der Bundesregierung
gibt.
Das Dogan-Urteil besagt ganz klar, dass das europäi-
sche Recht dahin gehend auszulegen sei, dass die darin
enthaltene Stillhalteklausel einer Regelung des nationa-
len Rechts entgegensteht, die eingeführt wurde, nach-
dem das Zusatzprotokoll in dem betreffenden Mitglied-
staat in Kraft getreten ist, und vorschreibt, dass
Ehegatten von in diesem Mitgliedstaat wohnenden türki-
schen Staatsangehörigen, wenn sie zum Zweck der Fa-
milienzusammenführung in das Hoheitsgebiet dieses
Staates einreisen wollen, vor der Einreise nachweisen
müssen, dass sie einfache Kenntnisse der Amtssprache
dieses Mitgliedstaats erworben haben. Das Urteil ist da
klar – es ist völlig egal, wie Sie das empfinden; es ist
auch völlig egal, ob Sie 275, 325 oder wie bisher
300 Wörter fordern –: Das ist nicht rechtmäßig, weil das
Assoziationsrecht nach Abschluss der entsprechenden
Verträge eine Schlechterstellung von Menschen, die zu
türkischen Staatsbürgern ziehen, die ihren Wohnsitz
rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschlands haben,
nicht zulässt.
Deshalb frage ich Sie noch einmal: Wann wollen Sie
das Dogan-Urteil gesetzlich umsetzen? Ich konzediere
Ihnen: Das gilt nicht für alle Türken, sondern für alle zu
uns kommenden Familienangehörigen von türkischen
Staatsbürgern, die bei uns leben. Man muss allerdings
überlegen, ob es unter Gleichheitsgesichtspunkten Sinn
machen würde, bei diesem Recht eine solche Kasuistik
zu betreiben. Von der in diesem Urteil angesprochenen
Gruppe dürfen Sie aber keine Sprachtests verlangen,
auch nicht den Nachweis eines aktiven Wortschatzes von
50 Wörtern, weil das rechtswidrig ist.
D
Wir interpretieren das Urteil anders.
Notwendig ist eine Härtefallregelung. Die Frage, die
sich rechtlich stellt, ist lediglich: Geht das auf dem Er-
lasswege, oder brauchen wir eine gesetzliche Regelung?
Entscheidend ist doch die politische Frage: Wollen wir
das, oder wollen wir das nicht? Wir sagen ganz klar: Wir
brauchen diese Regelung nach wie vor, um Parallelge-
sellschaften hier in Deutschland zu verhindern. Das ist
unser Ziel.
Kollege Beck, Sie können stehen bleiben; denn Sie
haben sofort wieder das Wort.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie will die Bundesregierung das Vertragsverletzungsver-
fahren zur Europarechtswidrigkeit von Sprachtests beim Ehe-
gattennachzug vermeiden, und wann wird sie das deutsche
Recht an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
anpassen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Wie bereits ausgeführt, prüft die Bundesregierung
derzeit etwaigen gesetzlichen Anpassungsbedarf beim
Sprachnachweis zum Ehegattennachzug.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie einer Verur-
teilung in diesem Vertragsverletzungsverfahren dadurch
vorbeugen wollen, dass Sie jetzt doch eine gesetzliche
Regelung planen?
D
Wir sind ja noch gar nicht im Vertragsverletzungsver-
fahren. Wir sind lediglich im Pilotverfahren und nicht in
dem Verfahren, das Sie angesprochen haben, im Ver-
tragsverletzungsverfahren.
Sie haben eine zweite Nachfrage?
Es tut mir leid, aber da appelliere ich als einfacher
Abgeordneter an die Präsidentin: Wenn die Staatssekre-
täre gar nicht auf eine gestellte Frage antworten, sondern
einfach irgendetwas anderes sagen, dann macht diese
Veranstaltung keinen Sinn, wenn wir nicht einmal bei Ih-
nen Zuflucht nehmen können, damit Sie das gegenüber
der Bundesregierung durchsetzen.
Ich stehe ja schon die ganze Zeit zur Verfügung, so-wohl als Übersetzerin von Nachfragen, auch wenn sienicht über das Mikrofon kommen, als auch, indem ichentsprechend versuche, das hier zu handhaben. Zum
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Schluss stehen wir natürlich alle mit den gegebenen odernicht gegebenen Antworten da und müssen sie gegebe-nenfalls an anderer Stelle nacharbeiten. Jetzt versuchenwir, damit umzugehen.D
Frau Präsidentin, ich bin gerne bereit, das noch weiter
zu spezifizieren, –
Ja, bitte.
D
– um auch einmal die rechtliche Lage darzustellen.
Ich möchte mir nur ungern nachsagen lassen, dass ich
nicht bereit bin, hier auf Fragen zu antworten. Nur: Das
macht wenig Sinn, wenn die Antworten immer so inter-
pretiert werden, wie es dem jeweiligen Abgeordneten in
den Sinn kommt, und zwar unabhängig davon, was ei-
gentlich gesagt wurde. Auch darauf ist zu achten.
Wir haben doch die Situation, dass wir zurzeit ein – –
Herr Staatssekretär, tun Sie mir bitte einfach den Ge-
fallen, Ihrem ersten Antwortsatz die Fakten, die Sie ja
offensichtlich dabei haben, hinzuzufügen?
D
Habe ich jetzt das Wort, Frau Präsidentin?
Ja.
D
Okay.
Wir haben die EuGH-Entscheidung, in der es darum
geht, ob der Sprachnachweis mit dem Assoziationsab-
kommen mit der Türkei in Einklang steht. Der EuGH hat
klar gesagt, dass es weiterhin möglich ist, ihn einzufor-
dern, dass wir aber eine weiter gehende Härtefallrege-
lung brauchen. Die Frage ist – das hat vor kurzem das
OVG Berlin formuliert –: Geht das auf dem Erlasswege,
oder brauchen wir eine gesetzliche Regelung? Dazu sind
wir in Gesprächen. Das ist jetzt die entscheidende Frage,
die es zu beantworten gilt. Wir wollen an dem Sprach-
nachweis nach wie vor festhalten.
Außerdem geht es noch um die Frage, inwieweit der
Sprachnachweis mit der Familienzusammenführungs-
richtlinie im Einklang steht. Dazu gibt es ein Pilotver-
fahren, das von Ihnen angesprochen wurde. Da Sie eben
beide Sachverhalte bzw. beide Rechtsfragen durcheinan-
dergebracht haben, ist es wichtig, klarzustellen: Die
Frage, inwieweit der Sprachnachweis mit der Familien-
zusammenführungsrichtlinie in Einklang steht, ist recht-
lich noch nicht abschließend beantwortet. Sie haben es
eben aber so dargestellt, als sei das schon klar. Ich habe
gesagt: Wir befinden uns erst im Pilotverfahren, noch
nicht im Vertragsverletzungsverfahren. – Sie haben aber
den Eindruck erweckt, als sei rechtlich schon entschie-
den, dass dieser Sprachnachweis nicht im Einklang mit
der Familienzusammenführungsrichtlinie steht. Das ist
aber nicht der Fall.
Jetzt haben Sie die Möglichkeit, eine zweite Nach-
frage zu stellen, aber bitte in der vorgegebenen Zeit.
Ja. – Nur ein Satz vorweg: Natürlich geht es bei der
Familienzusammenführungsrichtlinie um den Nachzug
aller Ehegatten und Familienangehörigen. Im Dogan-Ur-
teil geht es um eine Gruppe von hier ansässigen türki-
schen Staatsbürgern, die Niederlassungsfreiheit besitzen,
und um den Nachzug ihrer Ehegatten oder Familienan-
gehörigen. Ich bitte Sie, mir zu sagen, wo in dem Urteil
– es besteht aus nur einem Satz, Frau Präsidentin – das
Wort „Härtefallklausel“ oder etwas Ähnliches zu finden
ist.
Ich zitiere das Urteil jetzt vollständig – es ist, wie ge-
sagt, nur ein Satz –:
satzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüs-
sel unterzeichnet und durch die Verordnung
Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972
über den Abschluss des Zusatzprotokolls und des
Finanzprotokolls, die am 23. November 1970 un-
terzeichnet wurden und dem Abkommen zur Grün-
dung einer Assoziation zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei als An-
hänge beigefügt sind, und über die zu deren Inkraft-
treten zu treffenden Maßnahmen im Namen der Eu-
ropäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossen,
gebilligt und bestätigt wurde, ist dahin auszulegen,
dass die darin enthaltene Stillhalteklausel einer Re-
gelung des nationalen Rechts entgegensteht, die
eingeführt wurde, nachdem das Zusatzprotokoll in
dem betreffenden Mitgliedstaat in Kraft getreten ist,
und vorschreibt, dass Ehegatten von in diesem Mit-
gliedstaat wohnenden türkischen Staatsangehöri-
gen, wenn sie zum Zweck der Familienzusammen-
führung in das Hoheitsgebiet dieses Staates
einreisen wollen, vor der Einreise nachweisen müs-
sen, dass sie einfache Kenntnisse der Amtssprache
dieses Mitgliedstaats erworben haben.
Wo steht hier das Wort „Härtefallklausel“? – Ich kann
nichts dafür, dass der EuGH so lange Sätze bildet.
Ich kann es auch nicht ändern, dass dort zwischen-durch kein Punkt gemacht wurde. Trotz alledem bitte ich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8227
Vizepräsidentin Petra Pau
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wirklich um Einhaltung der Regeln. – Bitte, Herr Staats-sekretär.D
Für uns ist klar, dass der Sprachnachweis nach wie
vor möglich ist. Wir können Ihnen das gerne auch noch
einmal schriftlich nachreichen.
Ich glaube, es würde nur wenig Sinn machen, wenn
wir hier im Rahmen der Fragestunde jetzt eine ausführli-
che Interpretation des Urteils vornehmen würden. Das
würde dem mit Sicherheit nicht gerecht.
Die Kollegin Dağdelen hat Gelegenheit zu einer
Nachfrage.
Herr Schröder, wir debattieren hierüber seit Jahren. –
Ich will für Dritte kurz noch einmal erläutern, dass es um
eine Regelung geht, die durch die vorangegangene
Große Koalition beschlossen wurde und gemäß der seit
dem 1. August 2007 Deutschkenntnisse Voraussetzung
für einen Ehegattennachzug sind. Zu dieser Regelung
gab es schon verschiedene höchstrichterliche Rechtspre-
chungen in Deutschland. Das Bundesverwaltungsgericht
hat zum Beispiel gesagt, dass diese Voraussetzung unter
unzumutbaren Bedingungen nicht zu verlangen ist.
Sie haben jetzt gerade noch einmal kundgetan, dass
Sie in Bezug auf das Dogan-Urteil vom Juli 2014 noch
in der Interpretationsphase sind, und ich habe Ihnen vor-
getragen, dass Ihr Kollege vom Auswärtigen Amt, Herr
Staatsminister Roth, gesagt hat, dass man das Urteil
nicht nur per Erlass, sondern auch gesetzgeberisch um-
setzen möchte. Dazu haben Sie ausweichend geantwor-
tet.
Nun droht ein Vertragsverletzungsverfahren durch die
EU-Kommission. Das Pilotverfahren – Sie haben gesagt,
es laufe noch – ist meines Wissens abgeschlossen, und
die EU-Kommission hat gesagt, sie behalte sich weitere
Schritte gegen die Bundesregierung vor. Meine Frage
ist: Was benötigt die Bundesregierung eigentlich noch an
Sachverstand und Expertenwissen – offensichtlich sind
Sie seit Monaten mit der Interpretation beschäftigt, Sie
kommen aber nicht zum Schluss –, um dieses Urteil um-
zusetzen und diese Schikane gegen Tausende Menschen
zu beenden?
D
Wir sind nicht der Auffassung, dass der Sprachnach-
weis eine Schikane ist, sondern er ist eine wichtige Vo-
raussetzung für die Menschen, die nach Deutschland
kommen, um sich hier integrieren zu können. Es ist
keine Schikane, wenn man verlangt, dass man wenige
Worte Deutsch spricht, bevor man zu seinem Ehegatten
nach Deutschland zieht, sondern das ist für uns ein sehr
wichtiger Grundsatz für gelingende Integration hier in
Deutschland.
Der Kollege Staatsminister Roth hat nicht gesagt,
dass er eine gesetzliche Regelung für notwendig hält,
sondern er hat gesagt, er würde eine solche Regelung un-
terstützen. Dafür gibt es auch gute Gründe. Schauen Sie
sich insbesondere das Urteil des OVG Berlin-Branden-
burg an.
Ich finde, es ist ein völlig normaler Vorgang, dass
man sich jetzt darüber unterhält, ob das weiterhin auf
dem Erlasswege gelten oder ob man jetzt erst einmal das
Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht ab-
warten soll. Insofern sehe ich nicht, dass die Bundesre-
gierung hier nicht zügig handelt.
Die Kollegin Haßelmann hat das Wort zu einer Nach-
frage.
Herr Schröder, wir gehen von einem Vertragsverlet-
zungsverfahren aus. Darauf deuten alle vorliegenden öf-
fentlichen Kommentierungen auf EU-Ebene hin, und das
entspricht auch den Wertungen und Interpretationen aller
Fachbereiche. Der Staatsminister des Auswärtigen Amts
wurde gerade zitiert. Sie sind Staatssekretär im Innen-
ministerium. Meine Frage lautet: Gibt es eine einheitli-
che Auffassung der Bundesregierung, einen Gesetzent-
wurf dazu vorzulegen?
D
Bisher ist die Bundesregierung darin einig, das aufdem Erlasswege zu regeln. Ob wir darüber hinaus einegesetzliche Regelung schaffen sollen, besprechen wirgerade. Da gibt es überhaupt keine unterschiedlichenAuffassungen. Vielmehr haben wir zusammen mit demAuswärtigen Amt einen Erlass herausgebracht.Die einzige rechtliche Frage, die sich stellt, ist: Wol-len wir den Inhalt dieses Erlasses in einen Gesetzestextgießen? Das ist eine juristische und keine politischeFrage. Die politische Frage lautet: Brauchen wir diesenSprachnachweis, bevor der Ehepartner ins Land kommt,nicht? Da sagen wir politisch ganz klar: Wir tun alles da-für, dass dieser Sprachnachweis nach wie vor möglichist, weil wir das als ein ganz wichtiges Integrations-instrument ansehen, anders als Sie, die sagen: Sprachespielt überhaupt keine Rolle. Diejenigen, die zu unskommen, müssen kein Deutsch sprechen.
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8228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
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Das ist die entscheidende politische Frage, um die esgeht.
Die Kontroverse bleibt uns offensichtlich erhalten. –
Gleichwohl sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Ak-
tuellen Stunde zum Thema: „Haltung der Bundesregie-
rung zu einem bundeseinheitlichen Verbot des Anbaus
gentechnisch veränderter Pflanzen“ um 15.35 Uhr. –
Danke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe den Zu-
satzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu einem bun-
deseinheitlichen Verbot des Anbaus gentech-
nisch veränderter Pflanzen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Harald
Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Seit Samstag reiben wir uns verwundertdie Augen. Minister Schmidt hat mal wieder einen Knal-ler rausgelassen und angekündigt, die Verantwortung fürGentechnikanbauverbote an die Länder abzuschieben.Der Minister der erratischen Dialektik ist der personifi-zierte irrlichternde Versuchsballon, behaupte ich mal.Nach Wurst und Barcode kommt jetzt das nächste Kapi-tel.
Wir erleben seit Samstag den dreisten Versuch, dengroßen, den ganz großen Gentechnikbetrug an der deut-schen Öffentlichkeit zu vollenden. Denn dieser Gesetz-entwurf, der der Presse vorliegt, widerspricht allem, wasden Menschen seit dem Merkel-Mais-Debakel vor einemJahr von der Großen Koalition versprochen wurde. Seit-her werden Sie ja nicht müde, zu betonen: Alles halb sowild. Wir haben den Genmais zwar nicht verhindert,aber wir machen jetzt ein nationales Anbauverbot. – Siebehaupten alle immer noch, Sie wollen ein flächende-ckendes Anbauverbot für ganz Deutschland. Der Minis-ter hat jetzt zudem betont, dass er im Ergebnis keinenFlickenteppich in Deutschland haben wolle. Leider müs-sen wir heute feststellen: Alles nur Lippenbekenntnisse.
Sie haben Ihr Wort beim Thema Gentechnik erneutgebrochen und die Erwartungen der großen Mehrheit derMenschen in diesem Land enttäuscht; das war schonbeim Genmais 1507 so. Denn wenn es kein bundesein-heitliches Anbauverbot gibt, dann kriegen wir doch ge-nau diesen Flickenteppich. Wer garantiert uns denn, dassalle Länder Verbote aussprechen? Ein solcher Flicken-teppich ist der Anfang vom Ende der Gentechnikfreiheitin Deutschland.
Dieser Gesetzentwurf steht im Gegensatz zu allen ak-tuellen Forderungen der Agrarministerkonferenz derLänder, des Bundesrates, der gentechnikfreien Lebens-mittelwirtschaft und der Umweltverbände. Das Land-wirtschaftsministerium folgt Gutachten von BMBF undBMEL und hat es nicht einmal nötig, abzuwarten, wasdenn die anderen Ministerien noch so bieten.Jetzt sollen es plötzlich die Bundesländer richten,weil nationale Verbote angeblich nicht rechtssicher zubegründen sind. Wofür und worüber haben Sie denn inBrüssel monatelang verhandelt, wenn am Ende etwasherauskommt, was angeblich gar nicht funktioniert? IhreKrokodilstränen können Sie sich an dieser Stelle sparen.Sie haben mit Ihrer Haltung zum Genmais 1507 dasGanze erst ermöglicht. Sie hatten die Gutachten schonvor dem Beschluss in Brüssel vorliegen. Sie haben das inBrüssel so mitbeschlossen. Sie haben das gepusht, ge-wollt und somit auch zu verantworten. Sie wussten dasalles. Und Sie hätten in Brüssel nie und nimmer zustim-men dürfen.
Wenn Sie hier schon komplett einknicken und versa-gen, wie sollen die Menschen Ihnen denn glauben, dassSie unsere Regeln zur Gentechnik bei TTIP nicht aufdem Altar des Freihandels opfern werden? Deutschlanddroht jetzt der Flickenteppich anhaltender Ideenlosig-keit. Ihre rechtlichen Schwierigkeiten sind nur ein Vor-wand und eine Rechtfertigung, kein nationales Verboterlassen zu müssen. Die Folgen müssen die Menschenausbaden.Was haben Sie gemacht? Sie haben keinen Fingerkrumm gemacht, um die nötigen Voraussetzungen fürflächendeckende bundeseinheitliche Anbauverbote zuschaffen. Es gibt keine Datengrundlagen zu Kostendurch Koexistenz und Vermeidung von Verunreinigung.Sie haben keine Vorarbeiten für tragfähige Verbots-gründe für die ganze Republik geleistet. Nichts, niente,Fehlanzeige! Sie haben aufgegeben, bevor Sie überhauptbegonnen haben. Sie kapitulieren heute schon vorsorg-lich vor den Anwaltskanzleien von Monsanto und Co.Und dann schieben Sie es an die Länder ab? Wie solldenn das bitte schön gehen? Wenn der Bund mit seinemRiesenapparat an Ministerien, Anstalten, Instituten an-geblich überfordert ist: Wie sollen es dann, bitte, dasSaarland, Bremen oder Thüringen schaffen,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8229
Harald Ebner
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die Herausforderungen eines wasserdichten Anbauver-bots fehlerfrei zu meistern?Das Delegieren der Anbauverbote an die Länder be-deutet in Wahrheit: Sie generieren die 16-fachen Kosten,Sie generieren das 16-fache Risiko des Scheiterns.
Das ist aus meiner Sicht die organisierte Verantwor-tungslosigkeit.
Herr Schmidt, ich frage Sie: Wenn Sie angeblich einflächendeckendes Anbauverbot für ganz Deutschlandwollen, wie kann es dann sein, dass solch ein Gesetzent-wurf, der die Zuständigkeit für ein Verbot an die Länderabschiebt, Ihr Haus verlässt? Wer ist denn da eigentlichHerr im Haus? Macht da jeder, was er will, oder hat derStaatssekretär und bekennende Gentech-Fan Bleser denHut auf? Das würde ich von Ihnen gern mal wissen.Herr Schmidt, Sie machen mit Ihrem Vorgehen einegentechnikfreundliche Politik – gegen die breite Mehr-heit der Menschen in diesem Land. Das ist aus meinerSicht nicht tragbar. Stehen Sie zu Ihrem Wort! SorgenSie dafür, dass es umfassende, echte Verbote für alleGentechnikpflanzen in ganz Deutschland gibt und nichtnur bei Ihnen zu Hause in Bayern! Auch nördlich desWeißwurstäquators gibt es ein Leben. Da müssen Siesich auch gegen die Kanzlerin durchsetzen. Die SPD for-dere ich auf, –
Und Sie müssen zum Schluss kommen.
– hier zu dem Wort, das Sie in diesem Jahr gegeben
haben, zu stehen. – Ich komme zum Schluss. – Frau
Hendricks sollte auch im Sinne des Papiers, das vor ein
paar Monaten durch die Presse geisterte, sich dafür ve-
hement einsetzen. Ich bitte Sie alle: Zerreißen Sie diesen
Entwurf jetzt, hier und heute, –
Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss, Herr Ebner!
– und schreiben Sie ihn neu mit der Überschrift: Flä-
chendeckendes nationales Anbauverbot für Genpflan-
zen.
Danke schön.
Danke schön. – Das Wort für die Bundesregierung er-hält jetzt Bundesminister Christian Schmidt.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetztvom Eifer zur Realität kommen
und erst einmal feststellen, dass wir alle hier im HohenHaus – ich gehe einmal davon aus – und in der Bundes-regierung „die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerunggegenüber der grünen Gentechnik“ anerkennen.
So steht es wörtlich im Koalitionsvertrag. – Hört docheinmal zu! Ihr habt es doch noch gar nicht gelesen. Erstlesen und dann reden! Das ist immer noch besser.
Mein Gott! Politik lebt zwar von Aufregung, lebt aber abund zu auch von Sachkunde. Die wollen wir heute, bitte,einmal auf den Tisch bringen.
So steht es, wie gesagt, wörtlich im Koalitionsvertrag.Den müssen Sie nicht jeden Tag lesen; es reicht, wennwir das tun.
So wurde es inhaltlich auch im vergangenen Jahr vomDeutschen Bundestag bekräftigt, und er hat der Bundes-regierung, mir, den Auftrag gegeben, die Möglichkeitenzum nationalen Ausstieg aus dem GVO-Anbau – Zitat! –rechtssicher zu verankern. Nichts anderes tun wir nun.Unser gemeinsames Ziel ist es, den kommerziellen An-bau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutsch-land flächendeckend zu verbieten
und die Opt-out-Möglichkeit schnellstmöglich zu nut-zen. Übrigens: Diese Opt-out-Möglichkeit ist in Brüsselnoch gar nicht endgültig beschlossen worden, sondernsie wird vermutlich erst nächste Woche beschlossen wer-den. Sie baut auf dem Binnenmarkt auf.Wir müssen uns – ich sage das für die Feinschmecker,die sich damit beschäftigen – natürlich an dem orientie-ren, was uns Europa vorgibt. Ich gehe einmal davon aus,dass sich daran nichts mehr ändert, sondern dass wirdankenswerterweise nächste Woche diesen Richtlinien-entwurf bekommen werden.In den letzten Wochen und Monaten habe ich intensivdafür gekämpft – in Europa gibt es eben Länder, die das
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Bundesminister Christian Schmidt
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anders sehen als wir; das kann ich denen nicht verbieten –,dafür geworben, dass wir für die Opt-out-Regelung eineMehrheit bekommen. Das ist gelungen. Darüber solltenwir uns doch freuen.
Also: Wir wollen das Verbot im gesamten Bundesgebiet.Vorweg halte ich sozusagen zum Mitschreiben fest:Diese Regelungen setzen das gegenwärtige faktischeAnbauverbot, das durch das geltende Gentechnikrechtmit Pufferzonen, sehr hohen Haftungshürden undSchutzklauseln besteht, nicht außer Kraft.Ich sehe Kollegin Künast hier sitzen. Dieses Gesetzträgt eine Künast’sche/Seehofer’sche Handschrift. Siehaben es einer nach dem anderen geprägt.
Auch Ihr Ansatz der Standortregister bleibt in Kraft. Wirverschärfen es sogar und bauen darauf auf.Mit dem Gesetzentwurf habe ich einen Wegweiser zudiesem Ziel aufgestellt. Nun stimmen wir diesen Ent-wurf in der Bundesregierung ab. Wir haben noch nichteinmal die Ressortabstimmung beendet. Ich darf an die-ser Stelle sagen: Ich glaube, es ist ein guter Entwurf.Aber das heißt nicht, dass ich guten Argumenten gegen-über nicht offen bin. Mein Haus hat unter Hochdruck da-ran gearbeitet, dass wir unseren ehrgeizigen Zeitplaneinhalten können, weil die Zeit drängt. Sieben gentech-nisch veränderte Maissorten befinden sich gerade im Zu-lassungsverfahren. Die Maislinie 1507 ist angesprochenworden. Für MON810 läuft der Erneuerungsantrag. Wirmüssen also schnellstmöglich handlungsfähig sein. Ichkann alle nur einladen, sich daran zu beteiligen. Bisherhaben wir das in diesen Fragen schon erreicht.Ich hatte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen derGrünen, auch immer so verstanden, dass Sie gegen denAnbau von GVO in Deutschland sind. Darin sind wiruns wohl einig.
– Können wir vielleicht mit Unterstellungen aufhörenund einfach zuhören bzw. lesen?
– Ja, freilich, selbstverständlich. Sie dürfen dazwischen-rufen, und ich darf reagieren.Um das Anbauverbot in Deutschland umzusetzen,gibt es in der Theorie zwei Möglichkeiten: Entweder er-lässt der Bund die Anbauverbote selbst, oder der Bundschafft den Rechtsrahmen, damit die Länder die Anbau-verbote erlassen können. Wir alle wollen ein Anbauver-bot, das Hand und Fuß hat und nicht nur auf dem Papierschön klingt, sondern auch vor Gericht standhält und inder Praxis wirksam wird.
Auf diesem Weg müssen wir nach meiner rechtlichenErkenntnis die Länder zumindest mit in die Pflicht neh-men. Warum ist das so? Emotionen schwingen in dieserDebatte mit. Darüber dürfen wir nicht vergessen, dassAnbauverbote die Berufsausübungsfreiheit und Eigen-tumsgarantie sowie die Warenverkehrsfreiheit im EU-Binnenmarkt einschränken. Wir greifen damit in meh-rere Grundrechte ein. Auf solche Eingriffe richtet dasBundesverfassungsgericht zu Recht ein strenges Augen-merk.
Deshalb muss jedes Verbot verhältnismäßig sein, und esmuss detailliert und ermessensfehlerfrei begründet wer-den.Im Übrigen weise ich die Kritik an der bremischenund hamburgischen Regierung ausdrücklich zurück.
– Hamburg haben Sie nicht genannt, aber Sie haben esmitgedacht.
Je genauer ein Opt-out auf die Besonderheiten vor Ortabstellt, desto eher wahrt es die Verhältnismäßigkeit undhat damit vor Gericht Bestand.Eines ist doch uns allen klar: Ein allgemeines Anbau-verbot für alle GVO für das gesamte Bundesgebiet kannes nicht geben. Das erlaubt uns das EU-Recht nicht. Ichdenke, dass wir deswegen nach der EU-Richtlinie fürjede einzelne Pflanzensorte ein gesondertes Verbot ver-fügen müssen, und zwar sorgfältig. Dazu müssen wir dieKriterien der Erwägungsgründe in Ziffer 15 der Richtli-nie umsetzen. Staatsrechtlich bestehen erhebliche Zwei-fel, ob diese durch den Bund administriert werden kön-nen.Die Stadt- und Raumordnung ist eine Abweichungs-kompetenz der Länder. In diesem Bereich hat der Bundkeine Kompetenz; ich muss diese Gründe aber mit auf-nehmen.
Ich bin offen für die Überlegung, ob es ein Verfahrengibt, das den Bund über die Koordinierung hinaus nochstärker mit einbezieht. Wir wollen eine flächendeckendeRegelung erreichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8231
Bundesminister Christian Schmidt
(C)
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– Wenn Sie mit Frankreich kommen, weise ich daraufhin: Die anderen Länder sind gerade dabei, sich zu infor-mieren, bevor sie sich entscheiden, wie sie es machenwerden. Es gibt viele, die keine Opt-out-Regelung schaf-fen. Deswegen wird die Koexistenz auch zukünftig einewichtige Frage bleiben. Gerade habe ich von meinem ös-terreichischen Kollegen, der sich für ein nationales An-bauverbot eingesetzt hatte, gehört, dass Österreich einauf die Bundesländer bezogenes Anbauverbot für sinn-voller hält.
Dabei kann man den Österreichern sicherlich nicht vor-werfen, beim Thema Gentechnikfreiheit am Ende desZuges zu sein. Lassen Sie uns deshalb das Ganze inRuhe und nüchtern an den Möglichkeiten ausrichten.Politische Zielsetzung muss bleiben, dass es auf na-tionaler Ebene ein flächendeckendes Anbauverbot gibt.
Wir sollten froh und dankbar sein, dass wir als Erste inEuropa ein solches Gesetz, wenn denn der Entwurf an-genommen wird – die Bundesländer haben die Möglich-keit, mitzureden –, in Kraft setzen werden. Das gibt mirdann die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass derMais 1507 erst gar nicht in den Anbau gelangt.Lassen Sie uns auf dem weiteren Beratungsweg imDetail klären, was des Bundes und was der Länder ist.
Aber dabei sollten wir nicht vergessen, worum es eigent-lich geht. Wir alle wollen keinen Flickenteppich. Aberich will, dass die Textur so gut geknüpft ist, dass sie reiß-fest ist. Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregie-rung dem Parlament einen solchen Gesetzentwurf zügigvorlegen wird.
Wir wollen, dass keine gentechnisch veränderten Pflan-zen zu kommerziellen Zwecken in Deutschland ange-baut werden. Ich freue mich auf spannende und sachbe-zogene Diskussionen, in denen wir uns mit dem Themaauseinandersetzen und nicht mit Geschwätz.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion
Die Linke Dr. Kirsten Tackmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Und täglich grüßt das Murmeltier, das isteiner meiner Lieblingsfilme. Ich habe den Eindruck:Auch bei der Agrogentechnik kommen wir nicht aus derZeitschleife heraus.
Dabei ist unser Auftrag ziemlich eindeutig. Die über-große Mehrheit in diesem Land will keine gentechnischveränderten Pflanzen, aus ethischen Bedenken oder des-halb nicht, weil man Gott nicht ins Handwerk pfuschensoll oder weil man die Natur schützen will. Die Linkewill vor allem keine Macht der Konzerne über unsereTeller.
Auch hier im Bundestag gibt es eine klare und breiteMehrheit gegen die Agrogentechnik – das ist eine inte-ressante Koalition –: rot-rot-grün-blauweiß. Das ist einziemlich breiter Aktionsradius. Eigentlich ist auch Bun-desminister Schmidt als CSU-Abgeordneter dagegen.Aber im Kabinett ist er ein bisschen CDU-fremdbe-stimmt und dann doch irgendwie dafür. Das klingt ab-surd, ist aber so. Das Problem ist: Eine große Mehrheitin der Volksvertretung wird von einer Minderheit erpres-serisch ausgebremst, obwohl sie die Mehrheitspositionin der Gesellschaft vertritt. Auch das klingt absurd, istaber leider so.
Aber bei den Saatgutkonzernen geht es eben um richtigviel Geld, und diese Quelle soll nicht versiegen. Dafürbeerdigen ihre mächtigen politischen Freunde das Ge-meinwohl unter einem Deckmantel der Freiheit vonWissenschaft, Wettbewerb und Handel.Die Linke hat von Anfang an prophezeit, dass sichdas sogenannte Opt-out als vergiftetes Geschenk erwei-sen wird. Dabei geht es um die Möglichkeit, den Anbauvon gentechnisch veränderten Pflanzen in Mitgliedstaa-ten auch dann zu verbieten, wenn sie in der EU zugelas-sen wurden. Auch das hört sich gut an, ist aber nicht gut,weil das ein trojanisches Pferd ist. Die EU-Kommissionerwartet nämlich ein schnelles Ja bei der Zulassung gen-technisch veränderter Pflanzen, wenn die Regierungenin den Mitgliedstaaten sagen können, dass sie den Anbauim eigenen Land verbieten wollen. Auf meine parlamen-tarische Anfrage von vor einigen Wochen hat mir dieBundesregierung genau diese Antwort gegeben: In Brüs-sel ja, hier nein – vielleicht. Auch das klingt absurd, istaber so.
Das zeigt das eigentliche Problem. Wenn wir ein EU-Zulassungsverfahren hätten, das gefährliche Pflanzentatsächlich verhindert, könnten wir uns die heutige De-batte ersparen. Das wäre zwar schön, ist aber leider nichtso. Aber gut, ein Anbauverbot in den Mitgliedstaaten
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8232 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Dr. Kirsten Tackmann
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wäre besser als nichts, zumal beim Opt-out genau dieAblehnungsgründe verankert wurden, die im Zulas-sungsverfahren leider fehlen, zum Beispiel die sozioöko-nomischen Gründe, die agrarpolitischen Ziele und dieöffentliche Ordnung. Das sieht also gut aus, ist abernicht so, nicht nur wegen erheblicher Rechtsunsicherhei-ten, auf die Minister Schmidt bereits hingewiesen hat.Noch schlimmer ist, dass die Bundesregierung die Bun-desländer entscheiden lassen will – das ist deutscheKleinstaaterei –,
und zwar gegen die ausdrücklichen Beschlüsse der Lan-desagrarminister und des Bundesrates für eine bundes-weite Lösung; diese werden wohl wissen, was sie getanhaben. Das nährt meinen Verdacht, dass der Ausstieg ausdem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen eigent-lich sabotiert werden soll. Ich sage ganz klar: Das lassenwir nicht zu.
Statt Gefälligkeitsgutachten mit Bedenkenträgerhin-tergrund wollen wir mal was ganz Neues erleben: eineVerwaltung, die uns sagt, wie die politischen Mehrheits-positionen umgesetzt werden können, und nicht, wie sieverhindert werden.Denn es ist doch längst bewiesen, dass ein möglichstgroßflächiges Anbauverbot die einzige Chance für denSchutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Imkereiist. Das Märchen von der Koexistenz zwischen gentech-nisch veränderten und konventionell gezüchteten Pflan-zen ist doch längst ausgeträumt, zum Beispiel weil dieVerunreinigungen bei der Ernte, beim Transport, bei derVerarbeitung und bei der Vermarktung nicht oder nur mitsehr hohen volkswirtschaftlichen Kosten verhindert wer-den können. Wer trägt diese Kosten? Nicht Monsanto,Pioneer oder wer auch immer, sondern wir alle, die Steu-erzahlerinnen und Steuerzahler. Deshalb ist ein großflä-chiges Anbauverbot alles andere als unverhältnismäßig.
Dass ausgerechnet die Union, die beim Mindestlohngerade ein Bürokratiemonster in unglaublicher Größe andie Wand malt, hier jetzt tatsächlich ein Bürokratiemons-ter schaffen will, schlägt „dem Fass nun wirklich denBoden ins Gesicht“. Das ist Absurdistan. Das ist nicht zuleugnen.Um auf Punxsutawney-Phil, das Murmeltier, zurück-zukommen: Bill Murray kam am Ende des Films zurVernunft und wurde erlöst. Bei der Union habe ich nochnicht alle Hoffnung aufgegeben, und der SPD sage ich:Viel Erfolg!
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion antwortet jetzt
Ute Vogt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kollegin Tackmann, herzlichen Dank für die gu-ten Wünsche für unsere gemeinsame Gesetzgebungsar-beit.
Wir sind dem Minister auf jeden Fall dankbar, dass er zueinem sehr frühen Zeitpunkt diesen Entwurf vorgelegthat,
nämlich bevor die Richtlinie überhaupt in Kraft tritt;denn wir wollen vorbereitet sein, und wir wollen, dassunser Gesetz in Kraft ist, bevor die EU irgendeine wei-tere Zulassung von gentechnisch verändertem Saatgutbeschließt. Deshalb: Danke für den frühzeitigen undrechtzeitigen Entwurf.Allerdings sind wir, was den Text des Entwurfs an-geht, in der Tat in einem noch sehr frühen Stadium. DerMinister hat es selbst gesagt: Der Entwurf ist noch nichtmit den anderen Ressorts abgestimmt. – Deshalb sindwir als Gesetzgeber jetzt in einer sehr guten Lage, in derwir nicht bei jedem Gesetzentwurf sind. Wir könnennämlich jetzt von Anfang an unsere Kompetenz mit ein-bringen. Sonst – Sie kennen das Verfahren – ist es häufigso, dass erst die Ressortabstimmung erfolgt, und erstdann, wenn sich die Ressorts geeinigt haben, hat das Par-lament überhaupt die Chance, sich zu äußern. Dank die-ser frühen Veröffentlichung haben wir die Möglichkeit,schon sehr früh die wichtigen Punkte zu sammeln undauch die unterschiedlichen juristischen Einschätzungenzu berücksichtigen.Ich will für die SPD-Fraktion hier sagen, welchePunkte uns bei der Ausformulierung dieses Gesetzent-wurfs wichtig sind. Für uns ist wichtig, dass im künfti-gen Gesetzentwurf steht, dass wir in Deutschland dieMöglichkeit, ein Anbauverbot auszusprechen, regelmä-ßig nutzen, dass wir uns also im Gesetzentwurf daraufverständigen, dass wir immer dann, wenn es Zulassungs-anträge gibt, in Deutschland für das Opt-out votieren.Das ist eine wichtige Grundsatzposition.
Der zweite Punkt ist, dass wir das Opt-out auf Bun-desebene festlegen wollen. Ich könnte mir vorstellen,Herr Minister, dass wir in der Tat eine Regelung finden,bei der wir von der Bundesebene aus auch die regionalenGegebenheiten beschreiben. Das wäre für mich ein Weg.Der ist aus meiner Sicht besser, als wenn wir die Ent-
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Ute Vogt
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scheidung auf die Länder übertragen und warten, bis16 einzelne Länder ihre Vorschläge machen.
Uns geht es schon darum, dass es eine bundeseinheitli-che Regelung gibt. Wir können gerne definieren, welcheregionalen Besonderheiten es gibt.Wichtig ist uns, dass die Länder nur dann ins Spielkommen, wenn später eine Bundesregierung sagt, siemache vom Opt-out keinen Gebrauch. Das wäre ein Fall,wo die Länder gefragt wären. Ich bin froh, dass wir dieAgrarministerkonferenz mit ihrem Beschluss vomHerbst letzten Jahres an dieser Stelle an unserer Seite ha-ben. Sie hat sich ebenfalls für eine bundeseinheitlicheRegelung ausgesprochen. Ich denke, wenn wir, Länderund Bund, uns da einig sind, dann müssen wir es schaf-fen, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten,dass sie unseren Willen, eine bundeseinheitliche Rege-lung zu schaffen, umsetzen.
Unserer Fraktion wäre es am liebsten gewesen – daswissen Sie –, wenn es gelungen wäre, einen Verzicht aufGrüne Gentechnik EU-weit einzuführen. Das ist nochein weiter Weg, den wir beschreiten wollen und werden.Ich glaube, mit dem Opt-out ist der erste wichtige Schrittgemacht.
Wichtig ist uns, dass es keine weitere Kleinteiligkeit gibtund dass wir als Gesetzgeber – das Parlament ist nuneinmal der Gesetzgeber – all unseren Sachverstand nut-zen, um eine Regelung zu finden, die der EU-Richtliniegerecht wird und auch vor ihr besteht, die aber vor allemden politischen Willen – so habe ich den Minister ver-standen – aller Fraktionen umsetzt, dass der Bund dasHeft des Handelns in der Hand behält, dass also derBund die Regelungen trifft und keine Länderabfragedurchgeführt werden muss, womit wir uns möglicher-weise auf schwieriges Terrain begäben, weil wir die For-mulierungen der einzelnen Länder nicht kennen.In diesem Sinne freue ich mich auf das Gesetzge-bungsverfahren. Ich finde es gut, dass wir schon so frühGelegenheit hatten, die inhaltlich wichtigen Punkte zusammeln. Wenn wir alle in die gleiche Richtung denken,dann sollten wir genügend Fachlichkeit zusammenha-ben, –
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
– um den Weg so zu gestalten, wie ihn das Parlament
möchte.
Nächste Rednerin ist Gitta Connemann, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahr-heit und Klarheit, das wünschen sich und verdienen un-sere Verbraucher, gerade wenn es um das Thema dieserStunde geht, den Einsatz von Gentechnik. Wenn manUmfragen glauben will, lehnt der Großteil unserer Be-völkerung Gentechnik ab.
Umso wichtiger sind Wahrheit und Klarheit von Wissen-schaft, Wirtschaft, Medien, NGOs und natürlich vonuns, der Politik.Zur Wahrheit gehört erstens: In Deutschland gibt eskeinen einzigen Landwirt, der Genmais oder Genkartof-feln pflanzen würde. Der Deutsche Bauernverband rätgenerell jedem Bauern davon ab, übrigens auch aus Haf-tungsgründen. Das ist die Wahrheit.Zur Wahrheit gehört zweitens: Das deutsche Gentech-nikgesetz gehört zu den strengsten auf der ganzen Welt.
Bei Verstößen drohen drakonische Strafen. Gehaftetwird übrigens auch ohne Schuld. Für dieses Risiko fin-det sich keine Versicherung. Und wer hat es erfunden?Es waren nicht die Grünen, sondern die Union.
Zur Wahrheit gehört drittens: Die EU kann den Anbauvon gentechnisch veränderten Pflanzen zulassen; das hatsie in drei Fällen getan. Für das Inverkehrbringen vongentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln gibtes inzwischen sogar rund 60 Zulassungen.
An dieser Zulassung durch die EU wird sich auch nichtsändern. Neu ist: Die Mitgliedstaaten sollen die Möglich-keit erhalten, in bestimmten Fällen den Anbau von Gen-pflanzen zu verbieten.Zur Wahrheit gehört viertens: Die Richtlinie der EUist noch gar nicht in Kraft. Trotzdem hat der Minister ge-handelt und einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Respekt, lieber Christian Schmidt!
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8234 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Gitta Connemann
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Unser Minister handelt; andere reden und schwadronie-ren, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.Sofort muss eine Aktuelle Stunde her. Dabei steht derEntwurf doch erst ganz am Anfang.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt!Besonders stört Sie die angedachte Entscheidungs-kompetenz für unsere Länder.
Sie entwerfen Horrorszenarien – wir konnten es geradehören –: Chaotische Situationen würden entstehen, einFlickenteppich unterschiedlichster Regelungen. Sie for-dern mit den Ländern eine bundeseinheitliche Regelung.Höre ich da richtig? Sind das dieselben Länder, die sonstimmer nach Öffnungsklauseln und Mitbestimmung ru-fen? Es heißt aktuell bei der Umsetzung der EU-Nitrat-Richtlinie: Wir wollen mitentscheiden. – Es heißt aktuellbei der Bundeskompensationsverordnung: Wir wollenmitentscheiden. – Und jetzt heißt es auf einmal: „Wirwollen nicht entscheiden; der Bund soll es machen“?
Was die Flickenteppiche angeht: Die Länder könntengemeinsame Wege gehen; das ist ihnen unbenommen.Flickenteppiche wären dann schon eher 16 Schulgesetze,jeweils anders gestrickt,
oder 30 000 Wasserschutzgebiete mit den unterschied-lichsten Bewirtschaftungsauflagen usw. usf. Das nenntsich Föderalismus,
und den wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen, ja wohl nicht abschaffen.
Nur Mut! Trauen Sie auch Ihren eigenen Agrarministernin den Ländern durchaus etwas zu!
Zur Wahrheit gehört: Wir wollen rechtssichere An-bauverbote, und dafür brauchen wir laut EU zwingendeGründe. Manche Gründe sind eben nicht in allen Regio-nen gleich zwingend. Was am besten vor Ort entschiedenwerden kann, das muss auch vor Ort entschieden wer-den. Deshalb verbieten sich übrigens generelle bundes-weite Anbauverbote.
Das haben uns führende Rechtswissenschaftler bestätigt,
und das hat uns auch Renate Künast bestätigt. Ich darfaus einer Presseerklärung der damaligen Bundesministe-rin vom 11. Februar 2004 zitieren:Ein generelles Anbauverbot für gentechnisch ver-änderte Pflanzen wäre mit EU-Recht nicht verein-bar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Siesehen mich jetzt etwas irritiert. Ist die Rechtslage immerdavon abhängig, wer gerade Minister oder Ministerinist? Ich glaube, das darf nicht sein.
Wir halten etwas von Rechtssicherheit, übrigens auchbei Verfassungsrecht und EU-Recht. Deshalb ist es ge-rechtfertigt, dass Herr Minister Schmidt die Entschei-dung auf die Länder übertragen will. Dafür sind wirdankbar.
Wahrheit und Klarheit,
das verdienen unsere Verbraucher. Dazu gehört übrigensauch eine bittere Erkenntnis: Die Gentechnikfreiheit inDeutschland ist ein Mythos. Auch wenn unsere Bauernkeine Genpflanzen anbauen,
ist Gentechnik heute Alltag. In deutschen Krankenhäu-sern werden Patienten mit gentechnisch hergestelltenMedikamenten und Impfstoffen behandelt.
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Frau Kollegin Connemann, denken Sie bitte an die
Zeit.
Gentechnik wird viel bei Lebensmitteln verwendet;
ich nenne Aminosäuren, Vitamine etc. pp. Lassen Sie
uns ernsthaft, wahr und klar darüber sprechen! Wir als
Union sind dazu bereit und freuen uns auf diese klare
und wahre Auseinandersetzung mit Ihnen.
Herzlichen Dank.
Danke schön. – Ich darf noch einmal daran erinnern,
dass die Redezeit in der Aktuellen Stunde mit unserem
gemeinsamen Einverständnis auf fünf Minuten pro Red-
nerin und Redner begrenzt wurde, und bitte Sie, diese
auch einzuhalten. Das darf jetzt Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke vormachen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gentechnik, ja oder nein? – Mit dieser Grundsatzfragebeschäftigen wir uns hier im Hause schon über vieleJahre. Ich denke, der Widerstand ist groß, und wir sindschon sehr weit gekommen.
Darum möchte ich mich an dieser Stelle bei den vielenaktiven Menschen bedanken, die sich für den Schutz derGesundheit, für die Umwelt und für die genetische Viel-falt der Natur in unserem Land einsetzen, sowie bei denvielen aktiven Bürgerinitiativen. Vielen Dank!
Der Umgang mit der Gentechnikfrage – darum be-grüße ich die Aktuelle Stunde hier – ist trauriger Belegfür den fatalen Politikstil dieser Bundesregierung.
Wie unklar die Große Koalition mit Fragen umgeht, diewirklich vielen auf den Nägeln brennen, wird hier wie-der einmal deutlich. Sie reagieren einfach nicht auf dieSorgen der Leute. Ich teile da mit vielen das ungute Ge-fühl, dass die Menschen nicht mehr ernst genommenwerden.Die Ablehnung der Gentechnik geht mittlerweiledurch alle Parteien. Umso verwunderlicher und umsodreister ist es, dass die Koalition hier nicht eindeutighandelt. Das aber erwarten wir und die Menschen vorOrt.
Bei der Regierung sehe ich sogar wachsende Miss-achtung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, undich sage einmal, warum. Es fängt beim Koalitionsvertragan. Dort steht zu Grüner Gentechnik:Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Be-völkerung gegenüber der grünen Gentechnik an.Ihren Kindern sagen Sie dann also: „Wir erkennen eureVorbehalte gegenüber der versalzenen Suppe an, aberauslöffeln müsst ihr das trotzdem!“
Vorbehalt ist – schauen Sie in den Duden – „geltend ge-machtes Bedenken gegen eine Sache [der man sonst imGanzen zustimmt]“. Zustimmung zur Gentechnik gibt esaber nicht. Ende Januar hat eine Forsa-Umfrage gezeigt,dass Gen- und Klontechnik von 70 bzw. 71 Prozent derVerbraucherinnen und Verbraucher abgelehnt wird. Werda von Vorbehalten spricht, der zieht die Sorgen der Be-völkerung ins Lächerliche.
Im Koalitionsvertrag ist übrigens auch nichts zurGentech-Freiheit zu finden, sondern es finden sich nursolche verschwurbelten Formulierungen wie:An der Nulltoleranz gegenüber nicht zugelassenengentechnisch veränderten Bestandteilen in Lebens-mitteln halten wir fest …
Erst nicht ernst nehmen und dann auch noch veräppeln!Da verplappert sich der Herr WirtschaftsministerGabriel auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos: BeiTTIP seien wir in Deutschland ein wenig „schwierig“,weil wir so „reich und hysterisch“ seien.
So also redet der Vizekanzler über das Verfassungsprin-zip „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“.
Ich meine, da hat jemand wirklich die Hosen runterge-lassen, meine Damen und Herren. Das ist eine ganz neueForm der Transparenz bei der SPD. Wir erleben hier eineVertrauenskrise, und die Menschen vor Ort auch. Statt zusagen: „Wir steigen aus. Basta!“, ist vom ominösen Opt-out die Rede.Es geht hier um die Frage von Souveränität, und zwarvon Staaten. In der Zulassungsphase bei Monsanto undBayer betteln, ob man verschont wird – wo ist da eigent-lich unsere Selbstachtung geblieben? Ich halte das wirk-lich für unwürdig. Wer macht denn so etwas im Ernst?Erst auf EU-Ebene genehmigen, und dann zwingendeGründe für eine Einschränkung vorzubringen – das wirdvor Gericht schwierig. Aber dann wenigstens auf Bun-desebene!
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8236 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Eva Bulling-Schröter
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Herr Miersch, lieber Matthias, du hast im Mai 2014noch Applaus von der Union bekommen, als du wörtlichfordertest, „dass ein nationales Parlament jederzeit voneiner Ausstiegsklausel Gebrauch machen können muss“.Vor diesem Hintergrund, meine ich, sollten wir doch ge-meinsamen kämpfen, dass es nicht zu einer „Bundeslän-der-Ausstiegsklausel“ und damit zu einer zersplittertenRechtslage kommt.
Denn dann können sich die Konzerne wirklich freuen.Statt einen können sie zwischen 16 Richtern wählen, freinach dem Motto: Einer wird schon umfallen.
Was uns ins Haus steht, wenn TTIP fertig geheimverhan-delt ist, das steht noch auf einem ganz anderen Blatt. Wirbrauchen also dringend eine bundeseinheitliche Rege-lung.Wenn Sie noch einen Restrespekt vor dem Bürgerwil-len haben, dann verbieten Sie Gentechnik auf demAcker, und zwar bundesweit!
Vielen Dank. Das war eine Punktlandung.
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist
Dr. Matthias Miersch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Schmidt, ich bin Ihnen ausgesprochendankbar, dass Sie hier noch einmal das Ziel bekräftigthaben, in der Tat alles zu versuchen, um die Vorbehalteder Bevölkerung anzuerkennen und angemessen zu re-agieren. Ich bin Ihnen auch dankbar dafür, dass Sie ge-sagt haben, Sie seien für Argumente offen, das Ganzebefinde sich noch in einem frühen Stadium. Ich gebe Ih-nen auch recht – auch ich gehe fest davon aus –, dass al-les, was wir hier oder auch auf europäischer Ebene ge-setzgeberisch tun, beklagt werden wird; denn das, waswir hier vorhaben, nämlich eine Ausstiegsklausel, ist ju-ristisches Neuland.Ohne unsere Zunft zu schlecht zu machen – wir sindja beide Juristen –, ist natürlich zu sagen: AbsoluteRechtssicherheit ist nicht herzustellen. Sie werden indiesem Land, Sie werden in Europa, Sie werden welt-weit immer jemanden finden, der für das eine oder fürdas andere ein Gutachten schreibt.
Spannend ist es manchmal, zu gucken, für wen die Gut-achter vorher einmal tätig waren.
Ich glaube, dass wir vielleicht in vielen Jahren einmaldurch eine obergerichtliche Entscheidung absoluteRechtssicherheit bekommen; aber wir müssen nach mei-ner Auffassung politisch deutlich sagen, wohin wir wol-len. Deshalb sage ich Ihnen: Wir müssen alles versu-chen, damit es zu einer bundeseinheitlichen Opt-out-Regelung kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
– Das, lieber Harald Ebner, wollen wir gemeinsam in derGroßen Koalition durchsetzen.
Die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hatsich schon ganz deutlich positioniert.Ihnen, Herr Minister, will ich ein paar Argumentenennen, die wir in den nächsten Wochen miteinanderdiskutieren können, spätestens hier im Parlament.Erstens. In der Richtlinie, um die es geht, wird davongesprochen, dass Mitgliedstaaten von der Opt-out-Rege-lung für ihren gesamten Bereich oder für Teile Gebrauchmachen können. Insofern ist der Wortlaut der Richtlinienach meiner Auffassung völlig eindeutig.
Zweitens. Wir haben eine wegweisende Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2010. Indieser Entscheidung hebt das Bundesverfassungsgerichtganz ausdrücklich hervor, dass die Kompetenz zur Ge-setzgebung beim Bund liegt, weil man kein Interesse aneiner Zersplitterung in diesem Bereich haben kann. Des-wegen muss es aus meiner Sicht eine bundeseinheitlicheRegelung geben.
Sie ist gestützt von der Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts.
Wenn wir uns in der Richtlinie die einzelnen Aus-stiegsgründe ansehen, dann stellen wir fest, dass ein Opt-out-Grund einer bundespolitischen Entscheidung agrar-politische Ziele sein können. Aus meiner Praxis als An-walt kann ich Ihnen, Herr Schmidt, sagen: In den Fällen,in denen es in den letzten Jahren zu Verunreinigungendes Saatguts gekommen ist, betraf es nicht nur ein Bun-desland, sondern zog es sich vom Norden bis zum Sü-den. Alle Landwirte waren betroffen. Gerade auch im In-
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Dr. Matthias Miersch
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teresse der Landwirtschaft in der BundesrepublikDeutschland, im Interesse unserer agrarpolitischen Zielebrauchen wir eine einheitliche Regelung.
Ein weiterer Grund, der in der Richtlinie genanntwird, sind die sozioökonomische Auswirkungen. Sozio-ökonomische Auswirkungen sind nur bundesweit zu be-trachten; sie können wir nicht länderspezifisch betrach-ten. Insofern ist auch das ein klarer Hinweis darauf, dassder europäische Gesetzgeber eine bundeseinheitlicheRegelung gemeint hat.Das Dritte sind umweltpolitische Gründe. Hier willich auf einen Aspekt eingehen, der immer hinten runter-fällt. Bei dem Thema Gentechnik haben wir nach wievor die Bienenproblematik. Sie macht an Ländergrenzennicht halt.
Auch das ist ein Argument, dass wir eine bundespoliti-sche Opt-out-Regelung brauchen, liebe Kolleginnen undKollegen.
Das Vierte ist die öffentliche Ordnung. Auch das istein Grund, der dafür spricht, dass es zu einer bundesein-heitlichen Lösung kommt. Deswegen freue ich mich,dass die bayerische Ministerin heute an den Bundesrats-beschluss erinnert und für eine bundeseinheitliche Lö-sung geworben hat. Insofern haben wir einen großenKonsens. Wir können uns nähern. Das müssen wir jetztdiskutieren. Das schließt nicht aus – darauf weisen Sieauch hin –, dass es Kernkompetenzen der Länder gibt,beispielsweise im Bereich der Raumordnung. Wir wer-den überlegen müssen, wie wir das intelligent miteinan-der verknüpfen können. In diesem Sinne freue ich michauf die Debatte.Ich möchte aber noch eines sagen: Ich wünsche mir,dass wir eigentlich nicht zu einer Opt-out-Regelungkommen, sondern dass die Mehrheit der Mitgliedstaatenimmer, wenn es um eine Zulassung auf europäischerEbene geht, erst einmal dagegen votiert. Ich freue michauch über eine Bundesregierung mit einer in Zukunfthoffentlich ablehnenden Haltung in Brüssel.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen hat jetzt Nicole Maisch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! KollegeMiersch, das war eine sehr schöne Rede, klar und gut ar-gumentiert. Ihr Problem ist nur: Der Agrarminister istChristian Schmidt. Geklatscht hat bei Ihrer Rede auchder eine oder andere Grüne, aber niemand bei der Union.Ich finde es schon bezeichnend, dass der CDU-Ministerauf der Grünen Woche gesagt hat, er möchte keinen„Flickenteppich“ bei der Gentechnik. Jetzt wird klar,dass das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, das Siezitiert haben, nämlich dass die Bedenken der Bevölke-rung ernst genommen werden, nicht für alle Bürgerinnenund Bürger in diesem Land gelten soll,
sondern nur für die, deren Landesregierung willens undin der Lage ist, ein Verbot auf Länderebene zu adminis-trieren und politisch durchzusetzen. Beim Thema „poli-tisch durchsetzen“ habe ich schon ein, zwei Wackelkan-didaten vor meinem geistigen Auge. Kollege de Vriesaus Sachsen-Anhalt hat bestimmt schon Hoffnungen,dass in seinem Bundesland gegebenenfalls Öffnungenvorgenommen werden. Ich finde es nicht richtig, einenFlickenteppich zu schaffen. Deshalb streiten wir für einenationale Lösung.
Die Gentechnikpolitik der Union ist anhand desSchaustücks, das Sie hier zeigen, sehr gut zu erkennen:Zuerst hintertreiben Sie in Brüssel alles, was uns dieGentechnik vom Acker und vom Teller fernhalten soll.Sie blockieren sinnvolle Vorschläge des EuropäischenParlaments. Sie winken jede Importzulassung durch.Dann feiern Sie sich groß für das Opt-out, für die Mög-lichkeit, Gentechnik auf nationaler Ebene zu verbieten.Und jetzt, wo es diese Möglichkeit gibt, wollen Sie sienicht nutzen. Das kann doch bitte schön nicht Ihr Ernstsein.
Kollegin Connemann, Sie haben eine Äußerung vonRenate Künast aus dem Jahr 2004 zitiert. Da kann mannur sagen: Jedes Zitat hat seine Zeit. Seit 2004 hat sichder Rechtsrahmen geändert. Inzwischen haben wir einOpt-out. Man kann sich für das Opt-out abfeiern; aberdann muss man anerkennen, dass es vorher eine andereRechtslage gab. Auch wenn es keine neue Rechtslagegäbe, wäre es völlig absurd, Renate Künast ins Feld zuführen, um Ihren vermurksten Umgang mit dem Opt-outschönzureden.
Ich finde, es hat eine gewisse Berechtigung, großesVertrauen in die Bundesländer zu haben. Ein großer Teilder Länder wird von grünen Agrarministerinnen undAgrarministern regiert; sie zeigen – anders als Sie –klare Kante bei der Gentechnik. Aber trotzdem ist undbleibt es falsch, den Anbau von Gentechnik auf Landes-ebene regeln zu wollen. Ich glaube, dahinter steckt einesehr durchsichtige Strategie derjenigen in der Union, dieder Gentechnik immer schon Tür und Tor öffnen woll-ten. Die sogenannte Koexistenz, von der Sie immer spre-
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8238 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015
Nicole Maisch
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chen, ist eine Illusion. Wer Koexistenzen will, der öffnetMonsanto, Syngenta und allen anderen die Tür,
schadet den Verbraucherinnen und Verbrauchern undführt Landwirte in die Abhängigkeit von Gentechnik-konzernen.Wir Grüne sagen klar: Wir wollen keine Gentechnikauf unseren Äckern, keine Gentechnik auf unsern Tel-lern, und zwar in keinem Bundesland.
Das ist die grüne Position. Da haben wir die Mehrheitder Bürgerinnen und Bürger in diesem Land hinter uns.Wir wissen aber, dass der Minister das nicht so klarsieht. Er hat schon angeboten, bei den TTIP-Verhandlun-gen die europäische Gentechnikkennzeichnung zu op-fern.
Wir sollten in Zukunft mit unseren Handys im Super-markt die Barcodes einlesen;
das sei Information genug. Ich finde, wenn man beimThema Gentechnik so agiert, dann ist ganz klar, woherder Wind weht: Hier möchte jemand die Tür für etwasöffnen, was wir nicht wollen.
Meine Damen und Herren, die Pressemitteilungen derCSU zum Thema Gentechnik sind bezeichnend. Zur Er-innerung: Die CSU regiert auch auf Bundesebene, nichtnur in Bayern. Aber in den Pressemitteilungen geht esimmer nur um die bayerischen Äcker, um die bayeri-schen Bauern, um die bayerischen Verbraucher. Ichfinde, hier muss man einer Partei, die auf Bundesebenean der Regierung beteiligt ist, zurufen: Auch nördlichvon Aschaffenburg leben Menschen.
Auch nördlich von Aschaffenburg wird Landwirtschaftbetrieben, und auch nördlich von Aschaffenburg wollendie Leute keine Gentechnik.
Jetzt hat Ihr bayerischer Innenminister Herrmann ange-kündigt, es solle in Bayern wieder Grenzkontrollen ge-ben. Aber man muss ihm sagen, dass sich Bienen undPollen nicht an Grenzkontrollen halten. Es ist eine ab-surde Vorstellung, dass man in der Gentechnikpolitikeine Insellösung für Bayern umsetzen kann. Ich glaube,die Menschen und auch die Landwirte in Bayern werdendieses falsche Spiel durchschauen.Wir haben in dieser Debatte festgestellt: Mit derUnion ist bei der Gentechnik kein Staat zu machen. Wirhaben Interessantes von Kollegin Ute Vogt und vomKollegen Miersch von der SPD gehört. Jetzt müssen siezeigen, ob sie in dieser Frage Biss haben. Ihre Positionsteht diametral zu dem, was die Union in dieser Fragevorgetragen hat. Das ist jetzt die Nagelprobe für Sie vonder SPD: Wenn es Ihnen nicht gelingt, ein einheitlichesnationales Anbauverbot für gentechnisch verändertePflanzen durchzudrücken, dann haben Sie Ihre Glaub-würdigkeit in Sachen Agrarpolitik und Gentechnik einfür alle Mal verspielt.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Franz-Josef
Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Sehr geschätzte Kolleginnenund Kollegen von den Grünen, Sie haben die AktuelleStunde zu diesem Thema beantragt. Ich habe bei Ihnengenau zugehört. Bezüglich dessen, was Sie heute hiervon diesem Pult aus erzählt haben, kann ich Ihnen nurzurufen: Der Karneval ist vorbei. Kommen Sie bitte zu-rück in die Realität!
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst wür-digen, dass Bundesminister Schmidt Wort gehalten hat,
nämlich zügig und frühzeitig einen Gesetzentwurf fürdie nationale Umsetzung der Opt-out-Regelung vorzule-gen. Das hat er vor Inkrafttreten der EU-Änderungsricht-linie gemacht. Das ist, finde ich, erst einmal beispielhaftfür uns als Parlament. Herr Minister Schmidt, herzlichenDank dafür!
Am letzten Freitagabend, also erst vor wenigen Ta-gen, ist die Ressortabstimmung eingeleitet worden. Ichbin gespannt, wie der Rücklauf sein wird. Für unsereFraktion will ich hier sagen: Wir sind offen für guteIdeen; sie müssen aber bitte auch umsetzbar sein. Ichempfehle uns allen, meine Damen und Herren – weil wirganz am Anfang dieser Diskussion stehen –, das unauf-geregt und entspannt zu machen. Arbeiten wir die DingeSchritt für Schritt ab. Dann werden wir auch zu einemvernünftigen Ergebnis kommen. Lassen Sie also denKlamauk! Der bringt uns nicht weiter.
Wir haben doch ein gemeinsames Ziel. Alle Fraktio-nen hier im Bundestag sind sich einig, die Opt-out-Rege-lung umzusetzen. Wir wollen einen rechtlichen Rahmen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8239
Franz-Josef Holzenkamp
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dafür schaffen, dass der Anbau von gentechnisch verän-derten Pflanzen bundesweit flächendeckend untersagtwird. Das wollen wir, Herr Miersch, möglichst rechtssi-cher machen. Sie haben recht: Vor Gericht und auf hoherSee ist man nur in Gottes Hand. – Den Spruch kennenwir. Wir wollen aber möglichst rechtssicher sein.Dass der Bund hier schon immer unter Unionsregie-rung engagiert unterwegs war,
zeigt die Tatsache, dass Frau Aigner bereits in der letztenLegislaturperiode MON810 wegen der Gefahr für dieMarienkäfer verboten hat. Der Bund steht also in Verant-wortung. Hier geht es aber insbesondere um die rechtssi-chere Umsetzung.Der Einklang mit dem EU-Recht ist schon angespro-chen worden. Wir müssen sauber begründen. Es mussverhältnismäßig sein. Wir dürfen nicht diskriminieren,und die Entscheidung muss auf zwingenden Gründen be-ruhen, wenn wir das grundgesetzlich verbriefte Rechtauf Eigentum und Berufsausübung in unserem Land ein-schränken. Das muss uns bewusst sein. Deshalb reichengenerelle Behauptungen einfach nicht aus. Wir wissen,dass im Gesamtverfahren zuerst die EU – dort ist es dieEFSA – prüft, und zwar den allgemeinen Schutz der Ge-sundheit für Mensch, Tier und Umwelt. Daher ist eineallgemeine Argumentation für eine Ablehnung im Opt-out-Verfahren nicht ausreichend. Zwingende Gründemüssen mit regionalen Begebenheiten belegt werden.Wir wissen doch, dass die Regionen in Deutschlandtotal unterschiedlich sind. Wir haben die Inseln mit be-sonderen Gegebenheiten,
und es gibt hier große landwirtschaftliche Betriebe. Bei-spiel: Im Osten unseres Landes wurden Tausende Hektararrondiert. Was machen wir denn in diesem Fall? Wiewollen wir es begründen, wenn mittendrin – vollkom-men unschädlich für die Umwelt und sonstige Dinge –auf einer kleinen Fläche GVO-Pflanzen angebaut wer-den sollen? Hier müssen wir schon rechtssicher vorge-hen. Frau Connemann hat dazu eben argumentiert. Ichwundere mich schon, dass sich die Landesminister – al-len voran die grünen Landesminister – hier ein Stückweit der Verantwortung entziehen und sich einen schlan-ken Fuß machen wollen. Meine Damen und Herren, dasist wirklich nicht in Ordnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will abschließend– weil wir uns am Beginn des Verfahrens befinden – einenWunsch äußern, dessen Erfüllung mir persönlich ein An-liegen ist. Mit unserer Ablehnung der Gentechnik – ichhabe das hier das eine oder andere Mal angesprochen –geht uns auch Wissenskompetenz verloren. Deshalb soll-ten wir in diesem Verfahren – das ist mein Wunsch –auch miteinander diskutieren, wie wir als Hochtechnolo-gieland Deutschland die Wissenskompetenz erhaltenkönnen.
Ich möchte nicht, dass wir vom Wissen anderer Länderabhängig sind. Wir wissen nicht, was in 10, 15 oder20 Jahren sein wird. Wir wissen nicht, was es dann fürEntwicklungen und neue Erkenntnisse gibt. Deshalbsollten wir uns dafür öffnen.
Aber ich weiß jetzt, Herr Kollege, dass Ihre Redezeit
zu Ende bzw. schon überschritten ist.
Ja, Frau Präsidentin, ich halte mich daran.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf eine in-
tensive Debatte. Ich bin sicher: Wenn wir die Sache ernst
nehmen und es ernst meinen, dann erzielen wir ein gutes
Ergebnis, und zwar Deutschland als Ganzes – so wie Sie
es gesagt haben –, gemeinsam mit den Bundesländern.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist René Röspel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben in den letzten Jahren hier im Deut-schen Bundestag sehr häufig und sehr kontrovers überGrüne Gentechnik diskutiert. Eines ist über die Jahre ge-blieben, nämlich eine große Skepsis gegenüber Agro-gentechnik, gegenüber Grüner Gentechnik auf demAcker. Diese Einschätzungen haben viel mit Gefühlen,mit Emotionen zu tun.Als Forschungspolitiker, aber auch als Biologe habeich in den letzten Jahren versucht, das Ganze auf einewissenschaftliche Basis zu stellen. Ich habe mir ange-schaut, welche wissenschaftlichen Publikationen es überdie Auswirkungen von Gentechnik gibt, und da gibt esüber Grüne Gentechnik eine ganze Menge. Auf der ei-nen Seite gibt es die Einschätzung, dass Grüne Gentech-nik keine großen Auswirkungen auf Umwelt und Ge-sundheit hat, dass es keine Bedenken gibt, dass dasRisiko gering ist. Auf der anderen Seite gibt es eineReihe von Publikationen, in denen das Gegenteil be-hauptet wird. Dort heißt es: Die Auswirkungen sindmöglicherweise groß, sie sind nicht einzuschätzen, undman muss mit Gentechnik vorsichtig umgehen. Beidewissenschaftlichen Strömungen haben eines gemeinsam:Sie beschränken sich immer nur auf einen kleinen Teil– auf einen kleinen Ausschnitt, auf einen kleinen Raum,
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René Röspel
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auf ein paar Äcker – oder eben auf einen kleinen Zeit-raum. Aber die Ausbringung von gentechnisch veränder-ten Pflanzen bedarf eigentlich einer Langzeitbetrach-tung; denn man wird vielleicht erst in 10, 20 oder40 Jahren merken, welche Konsequenzen sich daraus er-geben. Das ist auf Anhieb nicht abzuschätzen. Mein Fa-zit ist, dass es keine wissenschaftlich eindeutige Hand-lungsanleitung für die Politik gibt, Ja oder Nein zusagen. Deswegen muss man die Entscheidung auf eineranderen Ebene treffen.Geht man beispielsweise den Weg der USA, die rechtforsch sind und sagen: „Wir bauen einfach gentechnischveränderte Pflanzen auf großen Flächen an und schauen,was passiert, und versuchen, das in den Griff zu kriegen“– gentechnisch veränderte Pflanzen werden schon aufmehreren Millionen Hektar angebaut –, oder geht manden Weg Deutschlands, der schon seit Jahren ein zurück-haltender, ein beobachtender, ein vorsorglicher Weg ist?Vielleicht stellt man in 50 Jahren in den USA fest: DerAnbau gentechnisch veränderter Pflanzen war überhauptkein Problem. – Dann war es eben kein Problem. Eskann aber auch sein, dass es genau anders herum ist:Man merkt, dass man etwas auf den Äckern angebauthat, das große Probleme verursacht, nun aber nicht mehrrückholbar ist. In 50 Jahren ist es dann zu spät. Dannhinterlässt man künftigen Generationen ein Problem, mitdem sie nicht umgehen können.Wir haben uns als SPD vor vielen Jahren für den an-deren Weg entschieden. Wir haben gesagt: Wir wollenerst sicherstellen, dass wir künftigen Generationen keineLast hinterlassen. Wir wollen Vorsorge betreiben. Wirwollen keinen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzenauf unseren Äckern. – Auch die Grünen haben sich vorvielen Jahren dafür entschieden. Deswegen war es gut,dass wir 1998 gemeinsam eine Regierung gebildet ha-ben, und das in einem ganz anderen Umfeld. Damals gabes auf europäischer Ebene viele Bestrebungen, gentech-nisch veränderte Pflanzen auf den Acker zu bringen. Diedamalige Opposition aus Union und FDP in diesemHaus, Frau Connemann – ich kann nicht umhin, da insProtokoll zu schauen –, war überwiegend dafür, gentech-nisch veränderte Pflanzen auf den Acker zu bringen. Indieser Situation ist Rot-Grün einen vernünftigen und be-sonnenen Weg gegangen, mit Gentechnik umzugehen.Übrigens hat die SPD diesen Weg in der Großen Ko-alition von 2005 bis 2009 fortgesetzt, und wir setzen ihnjetzt fort. Das heißt, wenn es eine Konstante in Bezugauf einen vernünftigen Umgang mit Gentechnologie inDeutschland gibt, dann ist das die Sozialdemokratie. Andie Grünen, die das vorhin aufgebauscht haben, gerichtetsage ich: Sie können sich darauf verlassen – alle anderenübrigens genauso –, dass wir diesen Weg fortsetzen wer-den, auch in dieser Koalition.Es gibt gute Gründe, ein bundesweites Anbauverbotzu fordern. Wir sind auf europäischer Ebene weiter. EineOpt-out-Regelung wird kommen, die es den Mitglied-staaten erlaubt, auf nationaler Ebene Anbauverbote zuerlassen. Alles spricht dafür – Matthias Miersch hat dashervorragend ausgeführt –, dass man auf rechtssichereWeise den Weg eines bundesweiten Anbauverbotes wirdgehen können. Das ist genau unsere Position, und diehalten wir für richtig.Sie, alle Fraktionen und auch die Menschen in diesemLand, können sicher sein, dass sich die SPD weiter dafüreinsetzen wird, dass es keinen Anbau gentechnisch ver-änderter Pflanzen in Deutschland geben wird. Wir wer-den uns auch im anstehenden Gesetzgebungsverfahrenmit unserer Umweltministerin Barbara Hendricks dafüreinsetzen, dass es nicht 16 unterschiedliche Regelungenauf Länderebene geben muss, sondern dass es ein bun-desweit gültiges Gesetz gibt.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kees de Vries,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Gäste! Wir diskutieren in dieser AktuellenStunde über die Gesetzesvorlage der Bundesregierungzur Umsetzung der Opt-out-Richtlinie.Die Haltung der Bundesregierung hat der Bundes-minister in dieser Debatte schon überzeugend dargelegt.Die Gründe, die zu einem Anbauverbot von in der EUzugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen führenkönnen, sind in fachlicher und juristischer Hinsicht vonder Bund-Länder-Arbeitsgruppe Gentechnik und demBundesministerium für Ernährung und Landwirtschaftbeleuchtet worden. Dabei wurde deutlich, dass viele,wenn auch nicht alle Verbotsgründe eindeutig nur lokaloder regional greifen können; denn es lässt sich nicht be-streiten – wer die deutsche Landwirtschaft kennt, wirddas bestätigen –, dass die Agrarbetriebsstrukturen, dieGesetze, die Landschaftselemente, die Raumordnungenetc. in unseren Bundesländern sehr unterschiedlich sind.Nur indem wir diese Argumente zusammenführen, kön-nen wir zu einem rechtssicheren nationalen Verbot kom-men und dafür sorgen, dass es in Deutschland keinenFlickenteppich gibt, und so dem Wunsch der meistenMenschen in unserem Land nachkommen.Ich möchte in dieser Diskussion über Gentechnik aufzwei Argumente aufmerksam machen:Zum Ersten weise ich darauf hin, dass mit der Opt-out-Richtlinie – ich zitiere – „nicht verhindert werden soll,dass biotechnologische Forschungsarbeiten durchgeführtwerden“. Ich begrüße ausdrücklich, dass Forschungstä-tigkeiten in Europa weiterhin möglich sind, einerseitsdamit wir in Zukunft im Zulassungsverfahren eigene Ar-gumente vortragen können, andererseits – das ist nichtweniger wichtig – damit wir Entwicklungen in anderenTeilen der Welt, die vielleicht auch für uns in Deutsch-land einmal attraktiv sein könnten, nicht verschlafen.Zweitens. Frau Maisch, ich habe überhaupt keinenBedarf, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen;
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Kees de Vries
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denn alles, was mir jetzt angeboten wird, ist einfach zuteuer und trägt nicht zu besseren Betriebsresultaten bei.Aber da ich nicht in die Zukunft schauen kann – dashabe ich schon einmal erklärt –, möchte ich nicht aus-schließen, dass sich das einmal ändert und auch wir inDeutschland tatsächlich einmal Bedarf an diesen Pro-dukten haben werden.Zum Schluss. Wenn Sie es mit Transparenz und derWahlfreiheit des Verbrauchers ehrlich meinen – ich spre-che namentlich meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen von den Grünen an –, dann vermisse ich IhrEngagement, das Sie bei vielen anderen Themen zeigen.Kämpfen Sie mit uns für die einfache und klare Kenn-zeichnung „Produziert mithilfe von Gentechnik“. Dannhätten wir die Transparenz
und die Wahlfreiheit, die Sie immer so vehement for-dern.
Vielleicht wäre das ein Beitrag, um in diese ganze De-batte wieder mehr Sachlichkeit hineinzubekommen.
Was mir diese Stunde gezeigt hat, ist, dass wir das unbe-dingt brauchen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als Nächste spricht Marlene Mortler,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen denAnbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutsch-land schnell und wirkungsvoll verbieten – das ist dieklare und eindeutige Haltung der CSU-Landesgruppe imDeutschen Bundestag –, allerdings nicht aus ideologi-schen oder fortschrittsfeindlichen Gründen. Wir haltenAnbauverbote aufgrund einer schlichten Abwägung fürden richtigen Weg.Erstens wissen wir einfach noch zu wenig über dieFolgen des GVO-Anbaus auf komplexe Ökosysteme:Wie wirken sich Resistenzen gegen Schädlinge aus?Kann es Auskreuzungen geben? Welche Folgen hättendiese für andere Arten?Zweitens. Wir wissen, dass der Anbau gentechnischveränderter Pflanzen in kleinräumigen Agrarstrukturendurch Windeinträge zu Beeinträchtigungen der GVO-freien Landwirtschaft führen kann. Das wollen wir ver-hindern.
Drittens. Die Menschen im Land haben einfach keinVertrauen in diese Technologie. Uns ist aber sehr an ei-nem vertrauensvollen Miteinander von Landwirtschaftund Verbrauchern gelegen.Viertens bringt der Anbau gentechnisch veränderterPflanzen in Deutschland einfach keinen relevanten Vor-teil. Das mag in Spanien oder Nordafrika anders sein. InDeutschland jedenfalls brauchen wir den GVO-Anbaunicht.
Deshalb haben wir als CSU-Landesgruppe uns vor ei-nem Jahr mit Nachdruck für eine Zustimmung Deutsch-lands zum Opt-out-Vorschlag eingesetzt und mit unserergroßen Schwesterpartei und mit der SPD hier im Deut-schen Bundestag hart an einem gemeinsamen Antrag ge-arbeitet. Beides hat viel dazu beigetragen, dass der gor-dische Knoten hier in Berlin und wenig später in Brüsseldurchschlagen werden konnte.
Jetzt geht es darum, den Sack zuzumachen und dasGentechnikgesetz so zu ändern, dass wir in Deutschlandschnell und rechtssicher Anbauverbote verhängen kön-nen. Wer diese Anbauverbote verhängt – der Bund, dieLänder, beide gemeinsam –, kann nicht die Kernfragesein. Es muss aus meiner Sicht darum gehen, dass dieseVerbote a) schnell kommen und b) – was noch wichtigerist – einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Dasist für mich die Messlatte.
Lieber Herr Minister, lieber Christian – du bist janoch da –, ich weiß aus vielen Gesprächen, wie intensivdu dich mit der Frage auseinandergesetzt und beschäftigthast, wie man hierbei am besten vorgeht, wie du und wiralle zur besten Lösung kommen. Ich danke dir sehr, dassdu einen Entwurf in die Ressortabstimmung gegebenhast – wir haben das heute mehrfach gehört –, bevor dieOpt-out-Richtlinie überhaupt in Kraft getreten ist. So et-was hat wirklich Seltenheitswert. Ich erkenne auch, dassdieser Vorschlag einzig an den Zielen Schnelligkeit undRechtssicherheit orientiert ist und nicht daran, wofürman in diesem Haus am meisten Beifall erhält. Das istPolitik im Sinne der Sache und im Interesse der Men-schen in unserem Land.Meine Damen, meine Herren, die zentrale Herausfor-derung, wenn man ein Anbauverbot aussprechen will, istdie wasserdichte Begründung. Es ist nicht jeder x-belie-bige Grund geeignet, ein Anbauverbot zu begründen,sondern nur die Gründe, die in der Richtlinie aufgezähltsind: die Umweltpolitik, die Stadt- und Raumordnungund die Vermeidung von GVO-Einträgen. Wenn ich dieListe der Gründe lese, dann frage ich die Befürworter ei-nes bundeseinheitlichen Vorgehens schon, wie denn eineBundesbehörde nachweisen soll, dass ein Anbauverbotaus Gründen der örtlichen biologischen Vielfalt zwin-gend erforderlich sei oder dass es erforderlich ist, weil in
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der konkreten Situation vor Ort Koexistenzmaßnahmennicht möglich sind. Nach allem, was mir bekannt ist, lie-gen dem Bund solche Informationen überhaupt nichtvor. Deshalb sage ich: Mit Anbauverboten, die pauschalfür das ganze Land verhängt werden, ist keinem gehol-fen. Das sind nur Scheinlösungen; denn sie werden derersten Klage zum Opfer fallen. Lassen Sie uns das Ge-setz also so ausgestalten, dass Anbauverbote detailliertzu begründen sind; denn nur so werden sie Bestand ha-ben.
Deswegen finde ich den Vorschlag unseres Bundes-ministers sehr plausibel. Schnell und rechtssicher, darummuss es gehen.Ich danke Ihnen.
Danke schön. – Nächster Redner ist Hermann Färber,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribü-nen! Ich möchte zunächst einmal drei grundsätzliche Be-merkungen zur Gentechnik und zur tatsächlichen undrechtlichen Lage in Deutschland machen.Erstens. Es gibt derzeit keine gentechnisch veränder-ten Nutzpflanzen, deren kommerzieller Anbau sich inDeutschland lohnt.Zweitens. Die in Deutschland geltenden Haftungsre-geln – das wurde ja schon mehrfach angesprochen – undauch die Abstandsregeln werden auch in Zukunft denkommerziellen Anbau von gentechnisch verändertenPflanzen wirtschaftlich extrem unattraktiv machen. Eslohnt sich für die Landwirte einfach nicht, gentechnischveränderte Pflanzen anzubauen, und deshalb werden siedas auch nicht tun.Drittens. Ich bin sehr dafür, dass der Verbraucher beider Entscheidung, was er konsumieren will, wirklichWahlfreiheit hat. Dafür ist eine umfassende Prozess-kennzeichnung notwendig. Das darf nicht nur die GrüneGentechnik betreffen, und es darf hier auch nicht nur umLebensmittel gehen.
Alle Produkte, die in irgendeiner Form während desHerstellungsprozesses mit Gentechnik in Berührung ge-kommen sind, müssen gekennzeichnet werden. Erstdann – wirklich erst dann –, wenn alles gekennzeichnetist, hat der Verbraucher echte Wahlfreiheit, und dafürsetzen wir uns ein.
Ich bin davon überzeugt: Hätten wir diese Kennzeich-nungspflicht schon in den letzten Jahren gehabt, dannhätten sich viele Mythen über die Gentechnik gar nichterst entwickelt; denn dann wüssten die Verbraucher be-reits heute, wie oft sie mit gentechnisch veränderten Pro-dukten in Kontakt kommen.
Wenn hier heute vom gentechnikfreien Teller, von Gen-technikbetrug und von der gentechnikfreien Lebensmit-telproduktion gesprochen worden ist, so entspricht daseinfach nicht der Realität.
In zahlreichen Lebensmitteln sind heute genverän-derte Organismen vorhanden – ganz unabhängig davon,ob sie von genveränderten Pflanzen stammen oder nicht.
Aber nun zum Opt-out-Verfahren: Dieses Verfahrenist ein typisch europäischer Kompromiss. Keiner ist da-mit zu 100 Prozent zufrieden, aber es ist eine Grundlage,mit der man arbeiten kann, und ich bin froh, dass maneine europaweite Lösung gefunden hat, die im Rahmendes Binnenmarktes bleibt. Ein alleiniges nationales An-bauverbot ohne europäische Rechtsgrundlage wäre imÜbrigen eine Öffnung für Einschränkungen des Binnen-marktes gewesen, und von diesem Binnenmarkt profitie-ren gerade die Menschen in Deutschland ganz erheblich.Das wollen wir nicht gefährden, und deshalb begrüßenwir die jetzt gefundene Lösung.Es ist richtig, dass die Opt-out-Regelung Einschrän-kungen enthält, die es nicht erlauben, ein Opt-out mitrein politischen Motiven zu begründen. Das liegt zum ei-nen an grundlegenden Mechanismen des Binnenmark-tes, den wir ja alle wollen, zum anderen aber an Ver-pflichtungen, die Deutschland und die EU internationaleingegangen sind. So müssen ausländische und inländi-sche Produkte nach WTO-Regeln nämlich gleichbehan-delt werden, wenn sie gleichartig sind. Hier stellt sichdie Frage: Ist eine gentechnisch veränderte Pflanzegleichartig einer nicht gentechnisch veränderten Pflanze?
Ein vom BMEL in Auftrag gegebenes Rechtsgutachtenspricht hier von einer „erheblichen Rechtsunsicherheit“.Auch der Gesundheitsschutz kann nur sehr begrenzt einGrund für Opt-out sein, da die Gesundheitsprüfung ja ei-gentlich schon bei der EU-weiten Zulassung vorgenom-men wird.
Hier können also höchstens noch regionale Besonder-heiten angeführt werden. Dazu verlangt das SPS-Ab-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Februar 2015 8243
Hermann Färber
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kommen der WTO über sanitäre und phytosanitäre Maß-nahmen aber eine wissenschaftliche Beweisführung. Wiralle wissen, dass es keinerlei geprüfte wissenschaftlicheBeweise für Gesundheitsschäden durch gentechnischveränderte Pflanzen gibt.
Wegen dieser Schwierigkeiten ist es völlig richtig,dass die Entscheidung für Anbauverbote bei den Län-dern liegt; denn die Gründe, die nach internationalenVerträgen ein Anbauverbot begründen, sind so spe-zifisch, dass sie eben nicht bundesweit gelten, sonderneinen starken regionalen und lokalen Bezug haben müs-sen. Deshalb können diese Regelungen auch nur von denLändern rechtssicher umgesetzt werden.
Ich weiß, Herr Minister Schmidt, dass sich die Bun-desregierung dieser Probleme und Einschränkungen sehrbewusst ist. Deshalb begrüße ich es auch, dass sich dieBundesregierung mit Augenmaß und Fachkenntnis andie Umsetzung macht.
Schnellschüsse helfen in diesem komplizierten Rechts-bereich niemandem. Ich bin froh, dass sich die Bundes-regierung von der Aufregung nicht auf die Bäume jagenlässt. Schließlich muss sich nicht nur Griechenland aninternationale Verträge und Abmachungen halten, füruns in Deutschland gilt das Gleiche.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 26. Februar 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.