Gesamtes Protokol
Ich begrüße Sie herzlich zu unserer ersten Sitzung imParlamentsjahr 2015. Die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Personalausweisgesetzes zur Einfüh-rung eines Ersatz-Personalausweises und zur Ände-rung des Passgesetzes.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Thomas deMaizière.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieEreignisse von Paris vom 7. Januar 2015 haben erneutauf bedrückende Weise gezeigt, dass es gilt, unsere frei-heitlich-demokratische Grundordnung mit den erforder-lichen und rechtsstaatlichen Mitteln entschlossen gegenden internationalen Terrorismus zu verteidigen. DieBundesregierung verfolgt bereits seit längerem – auchschon vor dem Anschlag von Paris – einen breiten An-satz, um dieser Aufgabe zu begegnen: Prävention, derVersuch der Vermeidung von Radikalisierung, Deradika-lisierung und vieles andere mehr.Dazu gehört aber auch Gesetzgebung. Eine gesetzge-berische Maßnahme von mehreren ist der Entwurf einesGesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zurEinführung eines Ersatz-Personalausweises. Diesen Ge-setzentwurf hat die Bundesregierung in ihrer heutigenSitzung beschlossen.Ziel des Gesetzentwurfes ist die Verhinderung derAusreise und der Wiedereinreise von Gefährdern desextremistisch-terroristischen Personenspektrums. Bislanghaben sich ungefähr 3 400 Kämpfer aus Europa demKrieg des sogenannten „Islamischen Staates“ in Syrienund dem Irak angeschlossen. Allein aus Deutschland sindrund 600 – das ist die aktuelle Zahl; zuvor waren es 550 –Ausreisen in das Gebiet erfolgt. 150 bis 180 sind nachDeutschland zurückgekehrt, 30 davon als kampferprobteFundamentalisten.Wir können schon auf der Basis der bisherigenRechtslage deutschen Staatsbürgern den Pass entziehenund ihnen die Ausreise untersagen. Das ist unstreitig.Wir wollen verhindern, dass Personen trotz einer verfüg-ten räumlichen Beschränkung und trotz des Entzugs desReisepasses unmittelbar aus Deutschland oder aus ande-ren Schengen-Staaten in solche Drittstaaten ausreisen,bei denen für die Einreise die Benutzung des Personal-ausweises als Reisedokument ausreicht.Wenn wir den Pass entziehen, ist es nach bisherigerRechtslage so, dass sich der Geltungsbereich des Perso-nalausweises automatisch auf Deutschland beschränkt.Man sieht es aber dem Ausweis nicht an. Auch einGrenzbeamter eines anderen Staates sieht es dem Aus-weis nicht an. Deswegen fahren viele, obwohl es unter-sagt ist, mit ihrem Personalausweis zu einer Schengen-Außengrenze und reisen aus, um in Kampfgebiete zukommen, oder kommen mit dem Personalausweis zu-rück.Wir müssen sicherstellen, dass kein Zweifel darüberbesteht, ob ein Ausweisinhaber ausreisen darf oder nicht.Aufgrund der neuen Regelung soll für bestimmte Perso-nen nicht mehr nur der Pass, sondern auch der Personal-ausweis versagt oder entzogen werden können. Der Be-troffene bekommt dann einen Ersatz-Personalausweis.Ich habe ein Musterexemplar mitgebracht. Vielen wirder bekannt vorkommen: Er sieht ungefähr so aus wie derAusweis, den jemand erhält, der seine Plastikkarte imAusland, in den Ferien, verloren hat, zu einem Konsulatgeht und sagt: Ich brauche einen vorläufigen Personal-ausweis. – Er bekommt dann ein Papier, das im Wesent-lichen so aussieht wie der Ersatz-Personalausweis.Mit dem Ersatz-Personalausweis ist die betroffenePerson nicht mehr berechtigt, Deutschland zu verlassen.Wenn man sich bei Geschäften oder Identifizierungen,die in Deutschland erforderlich und geboten sind, aus-weisen muss, kann man das mit diesem Ersatz-Personal-ausweis tun.Die Entziehung des Ausweises soll möglich sein,wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht begründen,
Metadaten/Kopzeile:
7432 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
dass ein Gefährder einer terroristischen Vereinigung an-gehört oder eine solche unterstützt, Gewalt als Mittel zurDurchsetzung seiner politischen oder religiösen Über-zeugungen anwendet, unterstützt oder hervorruft odereine staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet. Die Ent-ziehung des Ausweises und Ausstellung eines Ersatz-Personalausweises unterliegt der sofortigen Vollziehung,um Rechtsbehelfen eine aufschiebende Wirkung zu neh-men und die Maßnahmen effektiver zu machen; das istin diesem Fall sicherlich verständlich.Was passiert, wenn ein Ausweisinhaber entgegen derausreiseverhindernden Maßnahme die BundesrepublikDeutschland trotzdem verlässt? Oft wird der Vorwurf ge-macht, man könne auch irgendwo hinreisen, ohne denAusweis vorzuzeigen, und die Frage gestellt, was dasdann eigentlich solle. Wenn das bekannt wird, zum Bei-spiel weil sich derjenige im Internet damit brüstet, imAusland aktiv zu sein, dann sind – das sieht der Gesetz-entwurf vor – die Ausweispapiere, auch der Personalaus-weis, kraft Gesetzes ungültig. Das ist wichtig, denn dasermöglicht den Behörden eine unmittelbare Ausschrei-bung des jeweiligen Ausweises im Schengener Infor-mationssystem und in der Stolen-and-Lost-Travel-Documents-Datenbank von Interpol. Damit erhöhen wirdeutlich die Wahrscheinlichkeit des Aufgreifens des Rei-senden bereits in Transitländern oder bei der Rückkehr.Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terroris-mus stellt dieser Gesetzentwurf also einen konzeptionellrichtigen Ansatz dar. Es ist ein wichtiger Baustein nebenanderen, die wir bereits haben oder an denen wir nocharbeiten und die die Sicherheit der BundesrepublikDeutschland und ihrer Bürger erhöhen.Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Bundesminister. – Die erste
Frage stellt die Abgeordnete Frau Irene Mihalic, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, vielen
Dank für Ihren Bericht, für Ihre Ausführungen. Sie ha-
ben vorhin gesagt: Wenn jemand mit einem normalen
Personalausweis an eine Grenze kommt und eine Aus-
reisebeschränkung vorliegt, dann sieht man es diesem
Ausweis nicht an, dass diese Ausreisebeschränkung
vorliegt. – Deswegen ist natürlich auch eine Datenab-
frage im Schengener Informationssystem in so einem
Fall relativ nutzlos, weil eine Ausreisebeschränkung, die
ein Grenzbeamter im Ausland, etwa in einem Transit-
land, sehen könnte, in diesem System noch nicht hinter-
legt werden kann; sie kann dort nicht ausgeschrieben
werden. Meine Frage: Ist es daher richtig, dass die Bun-
desregierung die Änderung des Personalausweisgesetzes
unter anderem deswegen für nötig hält, da Ausreisebe-
schränkungen bisher noch nicht im Schengener Informa-
tionssystem ausgeschrieben werden können?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete, das ist so nicht richtig. Ihre Be-
schreibung ist zwar richtig, aber es sind diesbezüglich
zwei Maßnahmen vorgesehen. Die erste Maßnahme ist:
Auf diesem vorläufigen Dokument steht auf der letzten
Seite: „Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands“. –
Das ist in mehr oder weniger allen wichtigen europäi-
schen Sprachen niedergelegt, in Englisch, Französisch,
Griechisch usw., sodass der Grenzbeamte zum Beispiel
in Griechenland weiß, dass dieser Ersatzausweis nicht
zum Verlassen Deutschlands berechtigt und daher kein
gültiges Ausreisedokument vorliegt. – Das ist die erste
Maßnahme.
Was das Schengener Informationssystem angeht, so ha-
ben die europäischen Innenminister zusammen mit der
Kommission längst vereinbart, „terrorism-related activity“
als Tatbestandsmerkmal im Schengener Informations-
system niederzulegen, sodass eine Kontrolle stattfinden
kann und dann, wenn der Ausweis gezeigt wird, fest-
steht, dass der Betreffende Dschihadist ist. Dann kann er
nicht ausreisen oder wird bei der Einreise gegebenenfalls
verhaftet.
Schönen Dank. – Die nächste Frage stellt der Abge-
ordnete Herr Harald Petzold, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, auchvon mir vielen Dank für den Bericht. Ich habe allerdingsein Problem mit der Frage der Verhältnismäßigkeit dervon Ihnen beschriebenen Maßnahmen; denn immerhinwerden die Maßnahmen durch eine Behörde vorgenom-men und nicht durch ein Gericht. Außerdem gilt doch ei-gentlich für die betroffenen Personen – wenn ich dasrichtig verstanden habe – die Unschuldsvermutung. Des-wegen möchte ich Sie fragen, wie Sie die Verhältnismä-ßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen einschätzen,vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass eine Stig-matisierung durch die Gestaltung des vorläufigen Perso-nalausweises nicht zu vermeiden ist.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Lassen Sie mich zunächst feststellen: Ihre kritischeFrage nach der Verhältnismäßigkeit wäre nur dann rich-tig, wenn Sie auch die Entziehung des Passes für unver-hältnismäßig hielten; das habe ich aber nirgends gehört.Bei deutschen Staatsbürgern ist die Entziehung des Pas-ses sogar dann möglich, wenn die Sicherheit der Bun-desrepublik Deutschland gefährdet ist. Der Tatbestandist also viel weiter gefasst als in dem geplanten Gesetz-entwurf, der sich auf terroristische Aktivitäten be-schränkt. Von daher finde ich es nicht unverhältnismä-ßig, wenn die Regelungen, die für den Reisepass gelten,auch für den vorläufigen Personalausweis gelten.Zweitens. Wir haben die grundrechtsschonende Va-riante eines Ersatzpapiers gewählt. Es wurde auch disku-tiert, ob man einen roten Balken mit dem Hinweis „Giltnur für die Bundesrepublik Deutschland“ aufdruckt oderob man einen Aufkleber verwendet – wenn Sie ein Kindhaben, dann kennen Sie solche Aufkleber für Reisepässe –;diesen Aufkleber kann man allerdings abrubbeln, vondaher ist diese Variante nicht vernünftig. Die Variante
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7433
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
mit dem Balken würde zu einer viel größeren Stigmati-sierung führen als das jetzt vorgeschlagene Ersatzpapier.Deswegen ist unser Vorschlag verhältnismäßig undgrundrechtsschonend.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Jörn
Wunderlich, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie ha-
ben gerade gesagt, die roten Balken seien viel stigmati-
sierender. Also geben Sie zu, dass dieses Ersatzpapier
stigmatisierend ist; denn wenn man zum Beispiel eine
Wohnung mieten möchte, wenn man sich in Geschäften
ausweisen muss, wenn man ein Konto eröffnen möchte
und man nur ein solches Ausweispapier vorlegt, dann
legt das schon den Verdacht nahe, dass irgendetwas nicht
stimmt. Das entspricht nicht der Unschuldsvermutung.
Sie begründen die Notwendigkeit einer solchen Maß-
nahme mit der UN-Resolution vom September zur Be-
kämpfung der Terrorgruppe ISIS. Es gibt eine Ausarbei-
tung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen
Bundestages, in der es heißt – ich teile diese Einschät-
zung voll und ganz –, aufgrund der Resolution sei eine
Änderung des Pass- und Personalausweiswesens bei uns
in Deutschland nicht erforderlich.
Zum Thema Verhältnismäßigkeit. Sie haben einige
Beispiele genannt. Ich frage mich: Gibt es überhaupt
eine Evaluation, aus der hervorgeht, wie wirksam so ein
Verfahren ist, wie viele Fälle es schon gegeben hat? Ich
frage mich auch: Woran erkennen Sie überhaupt die be-
troffenen Personen? Wenn meine Frau sich ein Kopftuch
aufsetzt, wird ihr dann auch der Pass oder der Personal-
ausweis entzogen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das war jetzt ein Durcheinander ganz vieler Aspekte.
Erstens. Ihre Argumentation wäre dann logisch, wenn
Sie sagen würden: Ich halte die Entziehung des Passes
für falsch. – Das habe ich aber nicht gehört. Wenn man
sagt, die Entziehung des Passes ist in bestimmten Fällen
richtig und die Entziehung des Passes dient dazu, die
Ausreise aus Deutschland zu verhindern, dann ist es ge-
radezu geboten, einen Umgehungstatbestand, nämlich
die Bundesrepublik Deutschland auf andere Weise zu
verlassen, zu verhindern.
Zweitens. Der grundrechtliche Schutz gilt allen. Aber
ich finde es nicht unverhältnismäßig, wenn wir einen
Beitrag dazu leisten, dass von Deutschland aus kein Ex-
port von Terrorismus stattfindet. Das ist, finde ich, ein
ziemlich hochrangiges Gut; verglichen mit dem, was Sie
als unverhältnismäßig ansehen.
Zur Erforderlichkeit der Maßnahmen. Der Sachver-
halt ist folgender: Es gibt über 400 Ermittlungsverfah-
ren. Es gibt terroristische Vorgänge, im Wesentlichen im
Bereich Ausreise. Die Kontrollen der Bundespolizei ver-
hindern im Durchschnitt jede Woche eine Ausreise, auch
wenn keine Verfügung einer Ausländerbehörde vorliegt.
Hier spielt natürlich das Aussehen der betroffenen Per-
sonen eine Rolle; denn die Betroffenen nähern sich zum
Teil einem bestimmten Aussehen an, um deutlich zu ma-
chen, wer sie sind. Dann findet eine Durchsuchung der
Koffer statt; und wenn man in den Koffern Nachtsicht-
geräte, Schutzwesten und Ähnliches findet, dann spricht
viel dafür, dass mit dieser Reise ein bestimmter Zweck
verbunden ist.
Ich will gerne hinzufügen, dass mein Kollege Maas
noch im Januar einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der
in Umsetzung des VN-Sicherheitsratsbeschlusses – ich
weiß, dass die Linke sehr gerne auf Sicherheitsratsbe-
schlüsse hinweist – das Reisen als solches strafbar
macht. Wenn das Reisen als solches strafbar ist, dann ist
es recht und billig, den Personalausweis zu entziehen,
damit es gar nicht erst zu einer Straftat kommt.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Clemens
Binninger, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Minister, vielenDank für die Ausführungen. Ihnen geht es ja darum, dieReisebewegungen von Terrorverdächtigen einzuschrän-ken, sie zumindest zu erschweren und im Idealfall zuverhindern. Sie haben zum Schluss Ihrer Ausführungengesagt, das sei ein Baustein und es gebe noch weitereBausteine. Können Sie uns bitte sagen, was Sie sich da-runter vorstellen, mit welchen Maßnahmen man auf na-tionaler wie internationaler Ebene die Mobilität bzw. dieReisebewegungen von Terrorverdächtigen erkennen,einschränken oder auch verhindern kann?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Abgeordneter, zunächst einmal finde ich eswichtig, darauf hinzuweisen, dass wir mit Blick auf denTerroranschlag zwar prüfen, ob wir weitere gesetzgebe-rische Maßnahmen und Bausteine brauchen, wir abernicht den Eindruck erwecken dürfen, dass wir vorhersorglos gewesen wären. Es ist ja sehr viel geschehen:Der Deutsche Bundestag hat das Antiterrordateigesetzim letzten Jahr geändert. Manches wurde reduziert, an-deres entfristet, und vieles andere mehr wurde gemacht.Auch über den hier in Rede stehenden Gesetzentwurf ha-ben wir vor dem Terroranschlag gesprochen. Er ist auchmit den Innenministern unterschiedlicher parteipoliti-scher Ausrichtungen besprochen worden. Der Gesetz-entwurf, den mein Kollege Maas vorlegen wird, wurdeebenfalls angekündigt und besprochen.Es gibt zwei weitere Maßnahmen, die, was die Reise-tätigkeit angeht, wichtig sind. Eine Maßnahme ist dieÄnderung des Schengener Informationssystems. Das
Metadaten/Kopzeile:
7434 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
habe ich eben in meiner Antwort auf die Frage der Kol-legin Mihalic angesprochen. Die zweite Maßnahme istdas Europäische Fluggastdatenabkommen, das alle In-nenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Unionfür dringend geboten halten. Das Europäische Parlamentsieht das noch nicht so. Wir halten es für dringend gebo-ten, diesbezüglich zu einem Kompromiss zu kommen.Ich arbeite an einem solchen Kompromiss. Das habenwir in der Sitzung in Paris besprochen.Dazu gehört weiterhin, dass wir besser als bisher ins-besondere mit unseren Partnern und Verbündeten Infor-mationen über gefährliche Personen austauschen. Das ist– jetzt spreche ich den PKGr-Vorsitzenden an – eineFrage der Dienste und gar nicht so sehr der Polizei. Wirwerden zu prüfen haben, ob dieser Austausch in erfor-derlichem Maße erfolgt und ob deutsche Gesetze deut-sche Sicherheitsbehörden daran hindern, die Namen vonGefährdern mit Staaten auszutauschen, die für uns imAntiterrorkampf wichtige Verbündete sind. Das ist viel-leicht eine Umschreibung, die viele verstehen.Natürlich gibt es auch noch andere Themen, die um-stritten sind. Diese Themen haben mit der Reisetätigkeitdirekt nichts zu tun, aber mit der Aufklärung von kom-pliziert nachzuweisenden Verbrechen und deren Bestra-fung. Es geht dabei um die Mindestspeicherfrist.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Marian
Wendt, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, vielen Dank für den Vortrag. Sie haben
gerade gesagt, dass wir nicht nur die Mobilität von Ter-
roristen und Islamisten einschränken müssen, sondern
auch weitere Schritte hinsichtlich Aufklärung und Er-
mittlung gehen müssen. Meine Frage zielt deswegen auf
die Notwendigkeit sogenannter Mindestspeicherfristen
für Telekommunikationsmetadaten. Wie ist die Haltung
der Bundesregierung dazu, und welche Vorteile ergeben
sich dadurch hinsichtlich der Ermittlung terroristischer
Sachverhalte? – Vielen Dank.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat dazu
noch keine gemeinsame Auffassung, sondern es werden,
wie allgemein bekannt ist, unterschiedliche Auffassun-
gen vertreten. Das hat vor allem mit den Auswirkungen
des EuGH-Urteils zur europäischen Richtlinie zu tun.
Vor diesem Urteil gab es eine gemeinsame Auffassung
der Bundesregierung, nämlich: Umsetzung der Richtli-
nie. Jetzt ist es geboten, dass wir weiter darüber reden.
Ich kenne natürlich die Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts. Ich kenne auch die Rechtsprechung
des EuGH. Ich weiß, dass wir einen Kompromiss brau-
chen. Ich kenne auch das politische Umfeld. Das gilt es
zu berücksichtigen.
Als Bundesinnenminister, der für die Sicherheit die-
ses Landes eine große Verantwortung trägt, will ich aber
keinen Zweifel daran lassen, dass ich aus fachlichen
Gründen und in Übereinstimmung mit nahezu allen Si-
cherheitsexperten dieses Landes und Europas eine ver-
fassungsgemäße Regelung über Mindestspeicherfristen
für zwingend geboten und rechtsstaatlich erlaubt halte.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Britta
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Ich bin froh, in der bisherigen Diskussion feststellenzu können, dass der Maßstab die höchstrichterlichenEntscheidungen des EuGH und des Bundesverfassungs-gerichts sind und nicht das, was Fraktionen oder ein-zelne Abgeordnete denken. Ich bin auch sehr froh, dassdie anlasslose Massenüberwachung als verfassungswi-drig eingestuft wurde. Herr Minister, ich glaube, dasswir uns deshalb noch sehr kontrovers mit Ihnen aus-einandersetzen werden, so Sie denn als Bundesregierunghierzu etwas vorlegen werden.Meine Frage bezieht sich auf das Thema der Regie-rungsbefragung, nämlich auf das Personalausweisgesetz.Sie hatten ja Ihren Vorschlag in Bezug auf die Neufas-sung skizziert. Sie haben in Ihrem Eingangsvortrag er-wähnt, welche rechtlichen Möglichkeiten derzeit beste-hen. Mir leuchtet nicht ein, warum Sie nicht zunächsteine Intensivierung der Kontrollen angehen. Ich ver-weise in diesem Zusammenhang auf die Abwägung derGrundrechtsfragen, mögliche Umsetzungsschwierigkei-ten und das Schengen-Abkommen, das meine Kolleginangesprochen hat. Bei dem, was heute möglich ist,müssten sich doch bestimmte Schwierigkeiten, die Sieskizziert haben, auch dadurch abschwächen lassen, dassman stärker auf den Vollzug achtet und die Kontrollen,die heute schon möglich sind, intensiviert.Wo ist da der Anknüpfungspunkt? Da fehlt mir etwas.Dazu höre ich nichts. Stattdessen setzen Sie sofort aufneue Instrumente.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Zunächst einmal möchte ich Ihrer Sachverhaltsdar-stellung widersprechen. Weder das Bundesverfassungs-gericht noch der EuGH hat eine Regelung zu Mindest-speicherfristen für verfassungswidrig oder für miteuropäischen Grundrechten nicht vereinbar erklärt, son-dern das Bundesverfassungsgericht hat ein konkretesGesetz für verfassungswidrig erklärt und Maßgaben ge-macht, wie man eine solche Regelung verfassungsgemäßgestalten könnte. Auch der EuGH hat in seinem Urteilausgeführt, dass eine andere Regelung mit den europäi-schen Grundrechten vereinbar sein könnte. Das nur zurRichtigstellung des Sachverhalts.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7435
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
Zum zweiten Punkt möchte ich sagen, dass ich dieKritik der Grünen, die sich hinter den Fragen verbirgt,nicht so ganz verstehe. Ich stand an diesem Pult, als derAbgeordnete Beck, der zufällig oder absichtlich jetztnicht da ist, uns aufgefordert hat, wir sollten nicht nurden Pass, sondern gefälligst auch den Personalausweisentziehen, bevor wir neue Gesetze machen. Das fand ichein ziemlich starkes Argument. Auf meine Frage hin,warum wir nicht den Personalausweis entziehen, habenmir meine Mitarbeiter gesagt, dass wir dafür ein Gesetzbrauchen. Das, was wir jetzt vorlegen, fußt mehr oderweniger also auch auf einer Anregung des AbgeordnetenVolker Beck, die dieser im Rahmen einer Regierungsbe-fragung gegeben hat.
Ich möchte der Frage gar nicht ausweichen, sondernich möchte lediglich die Debatte beleben.
Sie wissen sicherlich, dass nach dem geltendenSchengener Informationssystem, also nach jetzigerRechtslage, eine Personenfahndungsabfrage bei EU-Bürgern nur auf nicht systematische Weise zulässig ist.Wir reden gerade in Europa darüber, ob wir das ändern.Zulässig ist lediglich eine sogenannte Mindestkontrolle.Diese Mindestkontrolle umfasst die Feststellung derIdentität anhand der vorgelegten Reisedokumente. Dasheißt, irgendwie muss ich bei geltender europäischerRechtslage dazu kommen, dass ein Grenzbeamter andem Reisedokument erkennt, um wen es eigentlich geht.Genau das ist mit diesem neuen Papier möglich. Da, woman einen Pass braucht, um auszureisen, geht es nicht,weil der Betroffene keinen Pass hat.Ich weiß nicht, ob Ihre Frage sozusagen auch eineAnregung war, eine systematische Personenkontrolle ander Schengen-Außengrenze einzuführen. Ich denke so-fort darüber nach, wenn Sie dies fordern.
Rückfragen sind eigentlich nicht zulässig, dennoch
frage ich Sie, ob Sie darauf reagieren möchten, Frau
Haßelmann.
– Nicht. Gut, Sie halten sich an die Geschäftsordnung.
Das ist sehr positiv.
Nächste Fragestellerin ist Kollegin Irene Mihalic,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, da Sie für Anregungen der Grünen so
empfänglich sind, möchte ich Ihnen gleich noch eine
Anregung geben. Ich komme noch einmal auf den Punkt
Schengener Informationssystem zurück bzw. auf den
letzten Punkt, wo Sie ausführten, Mindestkontrollen
seien anhand der vorgelegten Reisedokumente durchzu-
führen. Das stimmt nur zur Hälfte. Im Rahmen einer
Mindestkontrolle ist auch ein Datenabgleich möglich;
dies kann auch lageangepasst intensiviert werden. Wenn
wir jetzt keine Lage haben, die es rechtfertigen würde,
bei der Ausreise einen Datenabgleich von vorgelegten
Reisedokumenten durchzuführen, dann weiß ich auch
nicht, wie eine solche Lage aussehen könnte. Ich bin of-
fen gestanden ratlos, was noch passieren muss, damit so
etwas möglich wird. Insofern gehe ich davon aus, dass
ein Datenabgleich bei einer Ausreisekontrolle auch nach
heutiger Rechtslage durchaus machbar ist.
Jetzt geht es aber natürlich um die Frage: Was kann
bei einem solchen Datenabgleich herauskommen? Sie
haben vorhin gesagt, dass in einem Ersatz-Personalaus-
weis in mehreren gängigen Sprachen steht, dass dieses
Dokument nicht zur Ausreise aus der Bundesrepublik
Deutschland berechtigt. Meiner Auffassung nach könnte
nach entsprechender Ertüchtigung des Schengener In-
formationssystems eine solche Information, dass eine
Ausreisebeschränkung vorliegt, auch im Schengener Da-
tenbestand hinterlegt werden. Diese würde der Grenzbe-
amte dann bei Kontrolle des entsprechenden Dokuments
und beim Datenabgleich bei der Ausreise sehen. Dann
bräuchte es diesen Ersatz-Personalausweis nicht. Des-
wegen frage ich: Stimmen Sie dem zu? Könnten Sie
dazu noch einmal Stellung nehmen? Wie nehmen Sie
diese Anregung auf?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zum ersten Teil Ihrer Frage. In der Tat kann bei einer
Mindestkontrolle abgefragt werden.
Was ist das Ergebnis der Abfrage? Der Name.
– Nein, dies ist im Schengener Informationssystem bis-
her gar nicht vermerkt. Es geht darum, das zu vermer-
ken.
Deswegen sind wir uns im zweiten Punkt völlig einig.
Wir versuchen jetzt, dies auf technischer Ebene ohne
Rechtsänderung hinzubekommen. Es gibt aber, auch in
der Kommission, viele kluge Juristen, die sagen: Wir
brauchen dazu eine Änderung des Schengener Informa-
tionssystems. – Das wiederum dauert aber zwei Jahre.
Ehrlich gesagt, in der Lage, von der Sie selbst sprechen
– wir wissen, dass sie kompliziert ist –, haben wir keine
zwei Jahre Zeit.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Barbara
Woltmann, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, vielen Dank für Ihre bisherigen Aus-führungen. Das Personalausweisgesetz und demzufolge
Metadaten/Kopzeile:
7436 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Barbara Woltmann
(C)
(B)
natürlich auch die Änderung können sich nur an Deut-sche mit einem deutschen Personalausweis richten. Wirhaben aber auch viele Menschen, die eine doppelteStaatsbürgerschaft haben. Wie geht die Bundesregierungdamit um? Reichen dafür die auch von Ihnen schon ge-nannten Systeme, zum Beispiel das Schengener Infor-mationssystem, aus? Wie läuft da die Zusammenarbeitmit den europäischen Mitgliedstaaten, aber auch mit denStaaten, die nicht in der EU sind?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete, wenn es sich um Doppelstaatlerhandelt, so haben sie möglicherweise zwei Pässe. Schonnach geltendem Recht, und zwar nach der heutigen Fas-sung des Aufenthaltsgesetzes – dort ist das niedergelegt –,darf zur Durchsetzung eines Ausreiseverbotes die Einbe-haltung von ausländischen Pässen und Dokumenten er-folgen. Diese Untersagung der Ausreise ist nach gelten-dem Recht, dem Aufenthaltsrecht, also dann möglich,wenn die Anwendung der einschlägigen pass- und per-sonalausweisrechtlichen Verwaltungsvorschriften einensolchen Entzug ermöglichen. Das bedeutet, dass bei ei-nem Doppelstaatler beide Pässe entzogen werden müs-sen. Bisher konnte aber in diesen Fällen der deutschePersonalausweis oder ein entsprechender ausländischerAusweis, sofern es ihn gibt, nicht entzogen werden, weileine entsprechende Regelung fehlte. Daher verhindernwir mit dieser Änderung des Personalausweisgesetzesauch eine denkbare Umgehung bei Doppelstaatlern, diesonst ihre ausländischen Papiere nutzen könnten. Vondaher passt das alles in ein gemeinsames Konzept.
Schönen Dank. – Abgeordneter Harald Petzold, Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
meinen Kollegen Wunderlich vorlassen würden, weil er
eine direkte Nachfrage zur Antwort des Ministers auf die
Frage von Frau Mihalic hat.
Einverstanden. – Herr Abgeordneter Wunderlich,
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie ha-
ben gerade gesagt, eine Ausschreibung im SIS, also im
Schengener Informationssystem, sei nicht möglich.
Wenn man abfrage: „Wer ist das?“, dann komme die
Antwort: Fritz Müller. – In der Antwort auf eine Kleine
Anfrage meiner Fraktion vom 29. Dezember 2014 – die
Druckerschwärze ist also noch nicht getrocknet – hat die
Bundesregierung in Nummer 10 ausgeführt, die Mit-
gliedstaaten des Schengen-Raums hätten sich darauf ver-
ständigt, dass national ausgestellte Dokumente, die nicht
zur Ausreise berechtigen, künftig im Schengener Infor-
mationssystem auszuschreiben sind. Sie haben das als
Spezifizierung des bestehenden Rechts dargestellt, über
die bislang vorhandenen Möglichkeiten hinaus, dass Do-
kumente gestohlen wurden, für ungültig erklärt wurden
usw.; das ist ja gesagt worden. Jetzt ist das also machbar;
es ist möglich. Meine Frage lautet: Wird diese verabre-
dete Änderung derzeit schon von den Mitgliedstaaten
umgesetzt, und wenn nein, für wann ist die Umsetzung
geplant?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das habe ich in der Antwort auf die Frage von Frau
Mihalic schon vorgetragen. In der Tat ist das die Absicht
der europäischen Innenminister. Aber das ist nicht so
leicht. In das Schengener Informationssystem – inzwi-
schen SIS II – ein neues Kriterium einzuführen, ist kein
technisch trivialer Vorgang; dies braucht ein bisschen
Zeit. Deswegen gibt es das noch nicht. Eine Änderung
des Rechtssystems, die wir gegebenenfalls auch anstre-
ben, dauert zwei Jahre; das habe ich eben schon gesagt.
Deswegen ist der Hinweis auf die Absicht der europäi-
schen Innenminister kein Argument gegen die Notwen-
digkeit dieses Gesetzes.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Harald
Petzold, Fraktion Die Linke.
Ich möchte auf den Reisepassentzug und die trotzdemmögliche Ausreise, wenn man einen Personalausweisbesitzt, zurückkommen. Sie haben nämlich in Ihrer Ant-wort auf eine Kleine Anfrage auf die Frage meiner Frak-tionskollegin Frau Jelpke ausgeführt, dass in 20 Fällennachvollzogen werden konnte, dass trotz Ausreisever-botsverfügung und Reisepassentzug eine Ausreise statt-gefunden habe und diesen Personen ein Personalausweiszur Verfügung gestanden habe. Ich möchte Sie fragen,auf Grundlage welcher Informationen es bei diesen20 Personen zur Entziehung des Passes gekommen ist,von welchen staatlichen Stellen die Informationen überdiese 20 Personen stammen und ob sie dann tatsächlichmit ihrem Personalausweis ausreisen konnten.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Den ersten Teil der Frage kann ich naturgemäß nichtbeantworten. Ich bitte, ihn schriftlich beantworten zudürfen.Zum zweiten Teil der Frage. Es ist so: Jeder einzelneFall, in dem die zuständige Ausländerbehörde oder Ein-wohnerbehörde – je nachdem, ob es sich um einen Aus-länder oder einen Deutschen handelt – eine Ausreise-verbotsverfügung erlässt, wird im GemeinsamenTerrorismusabwehrzentrum besprochen, weil es ja mög-licherweise geboten ist, nicht nur die Ausreise zu verhin-dern, sondern auch ein strafrechtliches Ermittlungsver-fahren nach § 129 a des Strafgesetzbuchs einzuleiten.Möglicherweise entscheidet man auch, im Rahmen derErmittlungen nach § 129 a des Strafgesetzbuchs – solcheVerfahren finden laufend statt, wie Sie der Presse ent-nehmen können – eine Hausdurchsuchung durchzufüh-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7437
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
ren, um festzustellen, ob es Hinweise auf eine terroristi-sche Tätigkeit gibt, und bei dieser Gelegenheit den Passzu entziehen, in Zukunft auch den Personalausweis. Dasheißt, die Ausreiseverhinderung durch Entziehung desPasses und des Personalausweises ist keine isolierteMaßnahme, sondern dies ist auch für die Ausreisever-hinderung oder die Einleitung eines Ermittlungsverfah-rens bei Einreise oder Wiedereinreise ein Element desrechtlichen Instrumentariums, das wir zur Abwehr derterroristischen Gefahr für geboten halten.Ich will ein weiteres Argument vortragen, das ich beiIhnen durchgehört habe, das bisher aber noch nicht the-matisiert worden ist. Es geht um die Frage: Wie vielePersonen gibt es denn, denen zwar der Pass entzogenworden ist, die aber trotzdem ausgereist sind? Es wäreschön, wenn ich die Antwort kennen würde. Sie sagen janicht: „April, April, ich reise jetzt mit dem Personalaus-weis aus“, und die Grenzbeamten an den Außengrenzendes Schengen-Bereichs wissen das natürlich nicht. Des-wegen beträgt die Dunkelziffer hier 100 Prozent, es seidenn, die betreffende Person brüstet sich im Auslandund sagt: Ätsch, bätsch, ich bin mit dem Personalaus-weis ausgereist. – Das ist aber wahrscheinlich noch nichtvorgekommen. Deswegen kann ich Ihnen diese Fragenicht beantworten.Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, dass die Bun-despolizei im Durchschnitt ungefähr einmal in der Wo-che eine Person an der Ausreise hindert oder bei Wieder-einreise ein Strafverfahren einleitet. Gerade erst gab eseine wichtige Verhaftung eines Verdächtigen mit usbeki-scher Staatsangehörigkeit; im Zusammenhang mit us-bekischer Staatsangehörigkeit werden bei Eingeweihtensicherlich Erinnerungen wach.In ganz vielen Fällen wird hier also möglicherweisedazu beigetragen, die Sicherheit unser Mitbürgerinnenund -bürger zu erhöhen, ohne dass ich sage, das sei einAllheilmittel. Wir wollen die Zahl der Ausreisen undWiedereinreisen verringern bzw. vermindern. Ganz aus-schließen können wir das in der Lage, in der wir in Eu-ropa sind, natürlich nicht. Diesen Anspruch will ich auchgar nicht vortragen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Britta
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, mich
interessiert in diesem Zusammenhang ein weiterer Kom-
plex. Europol warnt aktuell davor, dass Terrorzellen und
die organisierte Kriminalität oft Hand in Hand arbeiten,
zum Beispiel bei Geldwäsche, Schleuserkriminalität
oder auch der Fälschung von Pässen. Meine Frage lautet:
Glauben Sie nicht, dass der Versuch, dieses neue Ersatz-
dokument einzuführen, auch zu einem deutlichen An-
stieg bei den Fälschungen führen kann?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht ausschließen. Je
umfangreicher das wird, desto mehr wird natürlich ver-
sucht werden, die rechtlichen Regelungen durch Fäl-
schungen zu umgehen.
Wir kennen das auch aus dem Bereich des Menschen-
handels und sogar aus dem Bereich der Asylanträge.
Beispielsweise müssen wir gerade eine verdächtig hohe
Anzahl an nagelneuen Pässen aus dem Kosovo zur
Kenntnis nehmen, die entweder gefälscht oder in Ser-
bien für Bürger ausgestellt worden sind, bei denen nicht
ganz klar ist, ob sie Kosovaren sind.
Es ist sehr schwierig, dieses Problem zu lösen. Ich
glaube aber, es wäre falsch, zu sagen: Weil Pässe, Aus-
weise und Geld gefälscht werden können, arbeiten wir
jetzt nicht daran, dass Pässe, Ausweise und Geld so fäl-
schungssicher wie nur irgend möglich sind und wir
durch den internationalen Informationsaustausch wissen,
wen wir vor uns haben.
Die Gefahr, die Sie sehen, ist also real, aber das ist
kein Gegenargument gegen diese Maßnahme.
Nächster Fragesteller ist der AbgeordneteDr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ichglaube, bei den Diskussionen, die wir hier führen, gehtes im Kern um die Effektivität der Maßnahme des Aus-weisentzugs. Ich will Ihnen hier einmal zwei Tatsachennennen und Sie diesbezüglich fragen, ob Sie nicht mitmir an der Effektivität dieses Gesetzes, das jetzt kom-men soll, zweifeln.Erstens. Es ist schon heute möglich, aus der Europäi-schen Union auszureisen, ohne seine Ausweisdoku-mente auch nur an einer Stelle vorzeigen zu müssen. Dasliegt mit daran, dass die Kontrollen an den Außengren-zen teilweise nur stichprobenartig erfolgen, und das liegtauch an den von der Kollegin Haßelmann geschildertenSchleuseraktivitäten. Bei der Problematik, mit der wirim Augenblick konfrontiert sind, stellt sich die Frage: Istdas, was in dieser Woche durch das Parlament gehensoll, ein Placebo oder nicht?Zweitens. Wir reden ja nicht nur über die 260 – in An-führungsstrichen gesprochen – deutschen Gefährder, diebei uns leben, sondern in einem Europa mit offenenGrenzen können auch Menschen aus Frankreich, Bel-gien, Holland und anderen Ländern, wo gegebenenfallsganz andere rechtliche Regelungen im Hinblick auf dieAusweisdokumente gelten, nach Deutschland kommen.Deswegen die Frage: Ist das Ganze angesichts dieserProblemlage ein effektives Mittel, um mehr Sicherheitzu schaffen? Oder ist das nur eine Silvesterrakete, mitder zwar suggeriert wird, dass es mehr Sicherheit gibt,wobei die Probleme aber bestehen bleiben?
Metadaten/Kopzeile:
7438 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
(C)
(B)
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Abgeordneter von Notz, Sie sind ein bisschenspäter hierhergekommen und haben mit Ihrer Frage imGrunde Ihre Kollegin Mihalic in Probleme gebracht;denn sie hat uns gerade dazu aufgefordert, die Mindest-kontrollen an den Schengener Außengrenzen zu ver-schärfen und zu verbessern.
Diese Auffassung teile ich, jedenfalls in Teilen; dennbekanntlich steckt der Teufel im Detail. Im Prinzip halteich diese Forderung für richtig, ohne dass wir den Reise-verkehr natürlich besonders erschweren wollen. Trotz-dem gibt es illegale Grenzübertritte; das ist klar. Aberich habe nie behauptet und werde nie behaupten, dassdieses Gesetz dem Terror in Deutschland den Garausmacht. Es ist jedoch ein effektiver Baustein, verbundenmit anderen Maßnahmen, etwa dem Schengener Infor-mationssystem. Dazu muss ich sagen: Angesichts derLage, in der wir sind, sind auch effektive Maßnahmen,die ein Problem mindern, aber nicht lösen, dringend ge-boten.Der zweite Punkt: Die Logik Ihrer Argumentationhieße ja, dass der Staat letztlich auf Sanktionsmaßnah-men verzichten solle, weil sie doch umgangen werden.Diese Logik kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht zu eigenmachen.
Nein, das dürfen Sie nicht. Aber Sie dürfen sich noch
einmal melden; dann setze ich Sie noch einmal auf die
Liste der Fragesteller, wobei es schon ganz gut ist, wenn
man bei einer solchen Debatte von Anfang an dabei ist,
um mögliche Wiederholungen zu vermeiden. Ich setze
Sie also noch einmal auf die Liste.
Dann erhält die Abgeordnete Irene Mihalic, Bünd-
nis 90/Die Grünen, das Wort und dann noch einmal Herr
Dr. von Notz.
Herr Minister, es ist interessant, dass Sie diese Maß-
nahme als Sanktion begreifen. Ich habe bisher immer ge-
glaubt, es handele sich um eine präventive Maßnahme,
um mutmaßliche Terroristen an der Ausreise zu hindern.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Da haben Sie recht, aber es wird sicher als Sanktion
empfunden; sagen wir einmal so.
Ich möchte noch einmal zur Änderung des Schengener
Informationssystems zurückkommen. Mit diesem Thema
sind wir vorhin nicht ganz fertig geworden. Sie haben ge-
sagt, die Änderung des Schengener Informationssystems
in dem Sinne, wie ich das vorhin beschrieben habe – das
muss ich, glaube ich, nicht wiederholen –, würde unge-
fähr zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Diese Aussage erstaunt mich etwas. Ich komme ge-
rade aus der Sitzung des Innenausschusses, bei der ein
Vertreter Ihres Hauses anwesend war. Auch da haben wir
diesen Sachverhalt erörtert. Ich habe explizit nachge-
fragt, ob es eine Verständigung darüber gibt, wann es
möglich sein soll, im Schengener Informationssystem
solche Ausreisebeschränkungen – das ist heute noch
nicht möglich – tatsächlich auszuschreiben. Darauf hat
mir der Mitarbeiter Ihres Hauses geantwortet, dass dies
im ersten Quartal abgeschlossen sein soll; also nicht in
zwei Jahren, sondern im ersten Quartal.
Das ist ein deutlicher Unterschied zu Ihrer Aussage.
Wenn ich mir dann überlege, dass auch dieses Gesetzge-
bungsverfahren möglicherweise im ersten Quartal dieses
Jahres abgeschlossen sein wird, dann frage ich mich, ob
das Ganze dann nicht obsolet ist.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Nein. Es ist eine richtige Information, dass die techni-
sche Änderung des Schengener Informationssystems im
ersten Quartal oder sogar schon zum 1. Februar dieses
Jahres zustande kommt; das streben wir an. Dabei wird
mitgeteilt, dass es sich um einen Gefährder – den ge-
nauen Ausdruck habe ich jetzt nicht im Kopf – handelt.
Diese technische Änderung bekommen wir hin.
Eine Ausreisebeschränkung bedarf einer Rechtsände-
rung. Dies dauert viel länger. Das, von dem wir hoffen,
dass es geschieht, ist, dass ein Grenzbeamter einen Ge-
fährder an der Ausreise hindert. Dabei muss aber ein
Grieche, ein Finne, ein Däne oder ein Belgier einen
Deutschen an der Ausreise hindern; das ist sozusagen
das Problem.
Was wir ohne Rechtsänderung erreichen können, ist,
den Grenzbeamten besser zu informieren, aber keine re-
pressive oder ähnliche Maßnahme, die zur Fahndung
oder zur Festnahme berechtigt. Deswegen ist das eine so
wichtig wie das andere.
In der Frage von Gefahrenabwehr und Repression ha-
ben Sie völlig recht: Die Ausreiseverhinderung ist eine
Maßnahme der Gefahrenabwehr, wird allerdings von
den Betroffenen sicherlich eher als repressiv empfunden
werden. Rechtlich ist es eine Gefahrenabwehr.
Dr. von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, noch einmal.
Herr Minister, ich will noch einmal auf das Argument„Das ist eine Maßnahme, die man jetzt durchführenkann, und alles, was wir machen, hilft“ eingehen. Ichstimme Ihnen zu: Wir sind in einer schwierigen Situa-tion. Ich bin deshalb der Meinung, dieses Parlament
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7439
Dr. Konstantin von Notz
(C)
(B)
sollte sich mit effektiven Maßnahmen beschäftigen. ImHinblick auf die Effektivität dieser Maßnahme ist unsereWahrnehmung offensichtlich unterschiedlich. Mir er-scheint es sehr viel sinnvoller, auf europäischer Ebene zueinheitlichen Standards zu kommen und das SchengenerInformationssystem zu vereinheitlichen. Das dauertzwar seine Zeit, aber es ist dringend; denn die Lage istso, wie sie ist. Stattdessen beschäftigen wir uns jetzt miteinem Gesetz zum Passentzug.Deshalb frage ich Sie, ob Sie in einer so interessantenFragestunde, deren Anfang ich tatsächlich verpasst habe,nicht auch zu dem Ergebnis kommen, dass dieses Haussich lieber mit effektiveren Maßnahmen beschäftigensollte.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Nein. Man soll das eine tun und das andere nicht las-sen. Richtig ist, dass europäische Maßnahmen sehrwichtig sind. Wenn Sie das auch so sehen, dann möchteich Sie sehr herzlich bitten, mit der Fraktion der Grünenim Europäischen Parlament zu sprechen, damit wir ins-besondere beim Passagierdatenabkommen und auchbeim Thema Änderung des Schengener Informationssys-tems auf die breite Zustimmung der Grünen zu diesensehr wichtigen Maßnahmen setzen können.
Letzte Frage zu diesem Themenkomplex: die Abge-
ordnete Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich glaube,
alle in diesem Hause sind sich der Lage bewusst. Aber es
geht darum, gesetzliche Schnellschüsse zu verhindern.
Sie haben eben bei einer Antwort den Eindruck er-
weckt, als wenn es sich um bereits überführte Straftäter
handelt. Der Gesetzentwurf, der heute im Kabinett be-
schlossen wurde, richtet sich vor allen Dingen gegen
Personen bzw. Dschihadisten, die unter Verdacht stehen,
eine Straftat begehen zu können oder vorbereiten zu
wollen. Deswegen ist meine Frage: Warum wird in die-
sen Fällen kein Richter eingeschaltet? Es müssen doch
sehr viele Anhaltspunkte vorhanden sein, damit das Vor-
gehen gerechtfertigt ist, damit Grundrechte nicht zu Un-
recht geschliffen werden. Sind Sie sich darüber bewusst,
welche diffamierenden Möglichkeiten es dabei gibt? Sie
wissen selbst: Wenn man zur Bank geht oder eine Woh-
nung mieten will, dann muss man einen Ausweis vorle-
gen. Welche Folgen hätte das möglicherweise für Leute,
die unschuldig in dieses Verfahren hineingeraten?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, wenn ich
jetzt eine Antwort wiederhole; denn die Abgeordnete
Jelpke konnte noch nicht hier sein, als ich diese beiden
Fragen schon einmal beantwortet habe.
Zu der ersten Frage will ich noch einmal sagen: Wenn
Sie der Auffassung sind, dass wir hierfür einen Richter-
vorbehalt oder anderes vorsehen sollten, dann müssten
Sie eine Änderung des Passgesetzes beantragen. Denn
bereits jetzt kann der Pass durch eine Verfügung der
Ausländerbehörde entzogen werden, wenn die Sicher-
heit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist. Das
ist ein sehr weiter Tatbestand. Wir machen nicht mehr
und nicht weniger, als diesen Tatbestand, was den Perso-
nalausweis betrifft, einzuschränken. Denn auch nach jet-
ziger Gesetzeslage gilt bereits, dass mit der Entziehung
des Passes der Geltungsbereich des Personalausweises
auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist. Wir
ändern das im Grunde nur dahin gehend, dass das im
Personalausweis sichtbar gemacht wird, damit beim Ver-
such einer Ausreise für alle klar ersichtlich ist, dass die-
ser Ausweis nicht zum Verlassen der Bundesrepublik
Deutschland berechtigt.
Mein Mitleid gegenüber Dschihadisten ist im Übrigen
nicht übergroß.
Insofern finde ich die Gleichbehandlung von Pass- und
Personalausweisentziehung verhältnismäßig. Wenn das,
was beim Pass erlaubt ist, in engerer Form auch beim
Personalausweis Anwendung finden darf, kann ich einen
zusätzlichen Grundrechtseingriff nicht erkennen.
Der letzte Punkt ist – auch das habe ich gesagt, als Sie
noch nicht hier sein konnten –: Wenn Sie im Urlaub auf
Mallorca Ihren Personalausweis verlieren, dann bekom-
men Sie schon jetzt einen solchen Ersatz-Personalaus-
weis. Wenn Sie sich nach dem Urlaub irgendwo auswei-
sen müssen, bevor Sie einen Reiseausweis als Passersatz
haben – denn die Bundesdruckerei braucht dafür ein paar
Wochen –, dann sind Sie doch genauso stigmatisiert. Wir
haben deswegen den Ersatz-Personalausweis optisch
weitestgehend genauso gestaltet wie das Ersatzpapier im
Verlustfall, sodass wir den Stigmatisierungsverdacht auf
ein Minimum reduziert haben.
Schönen Dank.Gibt es andere Fragen zu Themen der Kabinettssit-zung oder sonstige Fragen an die Bundesregierung? –Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Regierungs-befragung.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache 18/3710Die Frage 14 des Abgeordneten Harald Ebner wurdedurch die Bundesregierung nachträglich dem Geschäfts-bereich des Bundesministeriums des Innern zugeordnetund wird nach Frage 18 aufgerufen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
Metadaten/Kopzeile:
7440 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Die Frage 1 der Abgeordneten Renate Künast wirdschriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen.Die Frage 2 des Abgeordneten Oliver Krischer unddie Frage 3 des Abgeordneten Richard Pitterle werdenschriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortungsteht die Parlamentarische Staatssekretärin AnetteKramme bereit.Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Markus Kurth,Bündnis 90/Die Grünen, auf:Welche jährlichen Kosten würden der Deutschen Renten-versicherung entstehen, wenn sich die Rentenbeitragszahlungfür Altersrentnerinnen und -rentner, die einer sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigung nachgehen – geringfügige Be-schäftigung ausgenommen –, künftig rentensteigernd auswir-ken würde, und welche jährlichen Kosten würden derBundesagentur für Arbeit entstehen, wenn die Beiträge zurArbeitslosenversicherung für Altersrentnerinnen und -rentnerabgeschafft würden?Frau Staatssekretärin Kramme, bitte.A
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kurth, Sie
haben Ihre Fragestellung in zwei Teilfragen unterglie-
dert. Zuerst zum Bereich der Rentenversicherung. Die
diesbezügliche Frage können wir nicht beantworten, da
wir die genaue Ausgestaltung eines möglichen Modells
nicht kennen. Nun zur Frage betreffend die Arbeitslo-
senversicherung. Legt man Ihre Annahmen zugrunde, ist
davon auszugehen, dass der Arbeitslosenversicherung
Einnahmen in Höhe von bis zu 80 Millionen Euro verlo-
ren gehen.
Herr Abgeordneter, wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Es ist traurig, dass es noch nicht einmal Modellrech-
nungen gibt, aus denen hervorgeht, welche jährlichen
Kosten der Deutschen Rentenversicherung entstehen
würden, wenn sich die Rentenbeitragszahlungen für
Rentner, die einer sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigung nachgehen, künftig rentensteigernd auswir-
ken würden. Wenn ich aber die Berichterstattung zur
Koalitionsarbeitsgruppe betreffend flexible Rentenüber-
gänge richtig verfolgt habe, dann sollen die von dieser
Arbeitsgruppe erarbeiteten Vorschläge nicht zu Mehr-
kosten führen. Ist vor diesem Hintergrund der von der
Union eingebrachte Vorschlag betreffend den Flexi-Bo-
nus nicht ohnehin völlig obsolet?
A
Es handelt sich um eine Arbeitsgruppe der Koali-
tionsfraktionen, an der das Arbeitsministerium beteiligt
ist. Die Arbeitsergebnisse dieser Arbeitsgruppe werden
abzuwarten sein, bevor ein entsprechender Gesetzge-
bungsprozess in Gang gesetzt wird und wir Berechnun-
gen in der Tiefe anstellen.
Eine Zusatzfrage? – Bitte schön.
Wird die Bundesregierung, wenn diese Koalitionsar-
beitsgruppe zu keinen Ergebnissen kommt, eigene Vor-
schläge unterbreiten, oder mutiert sie quasi zum passi-
ven Klotz der Rentenpolitik?
A
Man muss als Hintergrund den ursprünglichen Koali-
tionsvertrag sehen, in dem verabredet ist, Lösungsvor-
schläge für flexible Rentenübergänge zu prüfen und ge-
gebenenfalls auszugestalten. Wie Sie wissen, wird die
Koalition einerseits durch die SPD-Fraktion und ande-
rerseits durch die Unionsfraktion getragen. Es wird da-
her zu beachten sein, ob es Arbeitsergebnisse geben wird
und wie diese gegebenenfalls aussehen.
Es gibt keine weiteren Fragen dazu.
Dann kommen wir zu Frage 5 des Abgeordneten
Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen:
Inwiefern haben nach Ansicht der Bundesregierung ältere
Beschäftigte schon heute die Möglichkeit, sofern sie dies
selbst wünschen und körperlich können, über das gesetzliche
Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten, und in welchem Maße
nehmen Arbeitgeber die durch das Rentenpaket ermöglichte
Option wahr, Arbeitsverträge nicht mehr automatisch mit dem
Erreichen des Regeleintrittsalters zu beenden?
Frau Staatssekretärin, bitte.
A
Herr Kurth, auch hier stellen Sie zwei Teilfragen. Zu-
erst zur Frage, ob ältere Beschäftigte schon heute, sofern
sie das selbst wünschen und dazu körperlich in der Lage
sind, die Möglichkeit haben, über das gesetzliche Ren-
teneintrittsalter hinaus zu arbeiten: Ja, selbstverständlich
können sie dies tun.
Nun zur zweiten Teilfrage, die sich wahrscheinlich
auf die Neuregelung des § 41 SGB VI bezieht: Über die
tatsächliche Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten auf-
grund der Neuregelung haben wir noch keinerlei Er-
kenntnisse.
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordne-ter Kurth?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7441
(C)
(B)
Ja.
Bitte schön.
Die Erkenntnisarmut der Bundesregierung in diesem
Fall ist außerordentlich bedauerlich. Das Institut der
deutschen Wirtschaft hat bezüglich der Weiterbeschäfti-
gung nach Erreichen der Altersgrenze erst jüngst darge-
legt, dass es erhebliche finanzielle Anreize gibt, wenn
man über das gesetzliche Regelalter hinaus arbeiten will,
und hält insofern zusätzliche finanzielle Anreize für das
Arbeiten jenseits der Regelaltersgrenze für überflüssig.
Andererseits befürwortet es beim Kündigungs- und
Befristungsrecht, also im arbeitsrechtlichen Bereich,
Eingriffe. Meines Wissens befürwortet das auch der
Wirtschaftsflügel der Union. Was hält eigentlich die
Bundesregierung von arbeitsrechtlichen Einschnitten an
den Stellen, die ich genannt habe?
A
Ich kann Ihnen nur noch einmal die Antwort geben,
die ich Ihnen gerade schon gegeben habe: Das Ganze ist
Diskussionsgegenstand einer Arbeitsgruppe zweier
Koalitionspartner, einerseits der SPD-Fraktion und ande-
rerseits der Unionsfraktion. Wir werden die Arbeitser-
gebnisse abwarten und dann in einen etwaigen Gesetzge-
bungsprozess einsteigen. Eigenständige Planungen des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Schaf-
fung von neuen Befristungsregelungen liegen derzeit
nicht vor.
Mögen Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Abge-
ordneter Kurth?
Ja, weil ich erneut, wie bedauerlicherweise auch
schon in der Fragestunde in der vergangenen Sitzungs-
woche im letzten Jahr, keine richtige Antwort auf meine
Frage erkennen kann. – Ich habe nicht nach den Ergeb-
nissen der Koalitionsarbeitsgruppe in diesem Fall ge-
fragt, sondern nach der Haltung der Bundesregierung,
arbeitsrechtliche Einschränkungen beim Kündigungs-
schutz und bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen
von Personen zu machen, die jenseits der Regelalters-
grenze arbeiten.
Sie müssen doch zumindest eine Meinung zu einem
bestimmten Vorschlag haben. Ich habe extra einen Vor-
schlag des Instituts der deutschen Wirtschaft und nicht
einen der Koalitionspartner genannt, um Ihnen die Be-
antwortung der Frage möglicherweise zu erleichtern.
A
Ganz herzlichen Dank, Herr Kurth, für diese Mög-
lichkeit. Dennoch: Arbeitsgrundlage der Regierung ist
selbstverständlich der Koalitionsvertrag, in dem steht,
dass flexible Übergänge in die Rente überprüft werden.
Zu dieser Detailfrage gibt es keine abgestimmte Position
der Regierung.
Die Fragen 6 und 7 der Abgeordneten Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Frage 8 des Abgeordneten Harald Ebner wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentari-
sche Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter bereit.
Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Dr. Julia
Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wird die von der Bundesregierung geplante unabhängige
Expertenkommission zum Fracking, die im Einzelfall prüfen
soll, ob eine kommerzielle Fracking-Aktivität in Schiefer-
oder Kohleflözgesteinen oberhalb von 3 000 Metern Tiefe in
einer bestimmten Lagerstätte als unbedenklich einzustufen ist,
auch zu Fracking-Erprobungsmaßnahmen in Schiefer- oder
Kohleflözgesteinen oberhalb von 3 000 Metern Tiefe Stellung
beziehen, oder soll die Prüfung im Fall von Erprobungsmaß-
nahmen in solchen Lagerstätten ausschließlich durch die zu-
ständigen Behörden erfolgen und somit auch bereits vor der
Einsetzung der Expertenkommission ausdrücklich möglich
sein?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Ri
Frau Kollegin Dr. Verlinden, die unabhängige Exper-
tenkommission soll Erprobungsmaßnahmen im Schie-
fer- oder Kohleflözgestein oberhalb von 3 000 Metern
wissenschaftlich begleiten und auswerten sowie hierzu
und zum Stand der Technik Erfahrungsberichte zum
30. Juni eines Jahres, beginnend mit dem 30. Juni 2018,
erstellen; sie wirkt aber nicht bei der Zulassung dieser
Erprobungsmaßnahmen mit. Die zuständige Landesbe-
hörde kann ausnahmsweise eine wasserrechtliche Er-
laubnis für kommerzielle Fracking-Maßnahmen nur
erteilen, wenn ein positives Votum der Expertenkommis-
sion auf der Grundlage der genannten Berichte vorliegt.
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen, Frau
Dr. Verlinden?
Ja.
Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
7442 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
(C)
(B)
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Wenn dem nicht
so ist, wenn also die Expertenkommission nicht schon
bei den Probebohrungen dahin gehend zurate gezogen
wird, ob sich diese ohne gravierende Auswirkungen
durchführen lassen, dann heißt das theoretisch, dass
diese Probebohrungen oberhalb von 3 000 Metern im
Schiefergestein schon relativ bald beantragt werden
könnten, also dann, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Sehe
ich das richtig? Wann wird dieses Gesetz in Kraft treten,
und für wann rechnen Sie mit den ersten Probebohrun-
gen?
Ri
Damit Probebohrungen erfolgen können, muss erst
einmal ein genehmigter Antrag vorliegen; das ist lo-
gisch. Bis dahin muss der Gesetzentwurf verabschiedet
sein. Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird in
diesem Jahr erfolgen.
Möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Frau
Dr. Verlinden?
Gerne.
Bitte schön.
Das heißt, die ersten Probebohrungen könnten theore-
tisch relativ bald beantragt werden.
Die Bundesregierung behauptet ja immer wieder, dass
es ihr wichtig ist, dass die Entscheidungen der Behörden
vor Ort eine größere Relevanz bekommen. Viele Men-
schen möchten, dass vor Ort mehr Einfluss auf solche
Entscheidungen genommen werden kann. Wenn die Ex-
pertenkommission, die Sie mit der Verabschiedung des
Fracking-Gesetzes einrichten wollen, in einem ganz
konkreten Fall mehrheitlich einen Antrag auf kommer-
zielles Fracken – diese Expertenkommission entscheidet
ja mit Mehrheit; so ist es zumindest in Ihrem Referenten-
entwurf vorgesehen – für unbedenklich hält, mit welcher
Begründung könnte dann die vor Ort zuständige Be-
hörde einen solchen Antrag überhaupt ablehnen? Wäre
das überhaupt möglich, oder muss sich die Behörde dem
Mehrheitsvotum dieser Expertenkommission anschlie-
ßen, weil ihr juristisch wenig Handhabe bleibt, diesen
Antrag abzulehnen?
Ri
Ich möchte einfach noch einmal betonen, dass vor
Ende 2018 kein kommerzielles Fracking stattfindet; das
ist klar.
Hinsichtlich der Erprobungsmaßnahmen habe ich Ih-
nen gerade erklärt, dass das wissenschaftliche Experten-
gremium diese Maßnahmen begleitet und auswertet und
ab 2018 einen Bericht erstellt. Wenn es zu Erprobungs-
maßnahmen kommt, dann sind natürlich immer die Lan-
desbehörden bzw. die Wasserbehörden diejenigen, die
zuständig sind. Ich wiederhole: Es sind immer die Lan-
desbehörden bzw. die Wasserbehörden zuständig. Die
Zulassungsbehörden sind an das Urteil der Experten-
kommission nicht gebunden. Die Empfehlung der Ex-
perten muss bei der Zulassungserteilung vorliegen. Sie
wird der Zulassungsbehörde helfen, die grundsätzliche
Eignung der geologischen Formation für ein normales
Fracking zu beurteilen.
Danke schön. – Die Frage 10 der Abgeordneten
Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet. Auch die
Frage 11, ebenfalls der Abgeordneten Kotting-Uhl, wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie.
Die Frage 12 des Abgeordneten Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 13 der Abge-
ordneten Sevim Dağdelen.
Wie zu Beginn der Fragestunde mitgeteilt, wird
Frage 14 des Abgeordneten Harald Ebner nach Frage 18
aufgerufen.
Die Frage 15 der Abgeordneten Heike Hänsel wird
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminis-
terin Professor Dr. Maria Böhmer bereit.
Die Frage 16 der Abgeordneten Heike Hänsel wird
schriftlich beantwortet. Die Frage 17 des Abgeordneten
Niema Movassat wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Fraktion Die Linke, auf:
Welchen Stand hat die seit acht Monaten ausstehende Be-
antwortung eines Fragenkataloges der Bundesregierung an die
US-Regierung zur Beteiligung von US-Anlagen in Ramstein
oder Stuttgart am US-Drohnenkrieg, an die das Auswärtige
Amt angeblich zunächst „fortgesetzt“, dann „eindringlich“
und „mit Nachdruck“ und mittlerweile „fortgesetzt eindring-
im Auswärtigen Amt, Dr. Maria Böhmer, mir im Juli 2014
eine Antwort auf meine mündliche Frage 3, Plenarprotokoll
18/45 „innerhalb weniger Wochen“ versprach, und welche
Fragenkataloge an die USA wurden seit dem Jahr 2012 über-
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die in demFragenkatalog enthaltenen Fragen sind Gegenstand vonlaufenden vertraulichen Gesprächen mit der amerikani-schen Regierung. Zur Frage einer möglichen Beteiligung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7443
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
(C)
(B)
in Deutschland stationierter amerikanischer Streitkräftean bewaffneten Einsätzen unbemannter Flugzeuge istdem Auswärtigen Amt kein weiterer Fragenkatalog derBundesregierung bekannt.
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordne-
ter Hunko?
Ja.
Bitte.
Vielen Dank, Frau Böhmer. – Ich habe nicht nach ei-
nem weiteren Fragenkatalog gefragt, sondern nach dem
Fragenkatalog, den Sie der US-amerikanischen Seite
vorgelegt haben. Seit acht Monaten sind die Antworten
darauf ausständig. Sie haben mir hier noch vor einigen
Monaten gesagt, Sie rechneten in Kürze – von „wenigen
Wochen“ war die Rede – mit einer Antwort. Ich muss
mich jetzt doch sehr wundern, dass es offenbar immer
noch keine Antwort gegeben hat, jedenfalls keine Ant-
wort, die in irgendeiner Form der Öffentlichkeit zugäng-
lich ist.
Meine Nachfrage: Wie steht es konkret um den Fra-
genkatalog, den Sie vor acht Monaten der US-amerika-
nischen Seite vorgelegt haben? Die Beantwortung der
darin enthaltenen Fragen haben Sie hier noch vor einigen
Monaten „innerhalb weniger Wochen“ in Aussicht ge-
stellt.
D
Ich hatte damals gesagt – Sie haben es eben zitiert –,
dass die Beantwortung einige Wochen dauern werde. In
der Tat sind mittlerweile mehr als einige Wochen ver-
gangen, und wir bemühen uns nach wie vor.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hunko?
Ich möchte jetzt trotzdem noch einmal meine Unzu-
friedenheit zum Ausdruck bringen. Es geht ja nicht um
irgendwas, sondern es geht um die Beteiligung Deutsch-
lands an den rechtswidrigen Drohnenkriegen der USA,
und zwar über Ramstein, wo die deutsche Seite, wenn
man den ehemaligen Drohnenpiloten Glauben schenken
kann, mitverantwortlich ist, weil Ramstein als Relaissta-
tion genutzt wird. Es ist also nicht so, dass von dort die
Drohnen fliegen würden oder befehligt würden, aber
Ramstein ist ein untrennbarer Bestandteil dieses Droh-
nenkrieges. Finden Sie es nicht auch höchst misslich,
dass die deutsche Öffentlichkeit über viele Monate hin-
weg keine Antwort kriegt, was diesen Drohnenkrieg und
die Rolle von Ramstein angeht?
D
Herr Kollege Hunko, es ist nicht das erste Mal, dass
wir uns zu diesem Thema austauschen. Sie haben
schriftlich und mündlich auch entsprechend nachgehakt.
Vor dem Hintergrund verstehe ich, dass Sie jetzt erneut
nachfragen. Aber ich kann Ihnen heute keine andere
Auskunft geben.
Damit sind wir mit diesem Geschäftsbereich durch.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Günter
Krings bereit.
Die Frage 14 des Abgeordneten Harald Ebner – sie
sollte an dieser Stelle aufgerufen werden – wird schrift-
lich beantwortet.
Jetzt kommen wir zur Frage 19 des Abgeordneten
Andrej Hunko, Fraktion Die Linke:
Was ist im Einzelnen damit gemeint, wenn die Bundesre-
gierung in ihrer Digitalen Agenda unter der Überschrift
„Mehr Sicherheit im Cyberraum“ davon spricht, im Bundes-
kriminalamt das Cybercrime Center weiter auszubauen und
die Bearbeitung „phänomenübergreifender Internetaktivitä-
ten“ zusammenzufassen, und auf welche konkrete Art und
Weise soll auch die Bundespolizei, wie erwähnt, von einer
„strategischen Neuausrichtung der Cyber-Sicherheitsarchitek-
tur“ und einer „besseren Ausstattung der Sicherheitsbehörden
in technischer und personeller Hinsicht“ im Bereich „Cyber-
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Lieber Herr Hunko, der weitere Aus-
bau des Cybercrime Center im Bundeskriminalamt be-
zieht sich auf den bereits 2013 begonnenen Ausbau der
Referatsgruppe SO 4 „Cybercrime“, die aus dem Referat
SO 41, das schon vorher bestand, hervorgegangen ist,
um auf die weiter stark steigenden Fallzahlen und die zu-
nehmende Professionalisierung der Täter in diesem Phä-
nomenbereich angemessen reagieren zu können. Die
strategische Neuausrichtung der Cyber-Sicherheitsarchi-
tektur ist ein Ziel der Bundesregierung für die gesamte
18. Legislaturperiode. Die Überprüfung der Rollen,
Strukturen und Fähigkeiten der mitwirkenden Organisa-
tionen und Einrichtungen wird dann auch alle Sicher-
heitsbehörden einbeziehen. Konkrete Maßnahmen sind
hier noch nicht überall geplant.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr AbgeordneterHunko? – Das ist nicht der Fall.Die Frage 20 des Abgeordneten Volker Beck wirdschriftlich beantwortet.Im letzten Moment erscheint die nächste Fragestelle-rin, die Abgeordnete Martina Renner. Wir waren einen
Metadaten/Kopzeile:
7444 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Millimeter davor, schon zur nächsten Frage voranzu-schreiten. – Ich rufe also die Frage 21 der AbgeordnetenRenner auf:Wie viele Waffen haben Bundesbehörden, insbesondereZoll, Bundespolizei und Bundeskriminalamt, BKA, seit dem1. Januar 2012 bei Islamisten und Rückkehrern aus Syrien,Afghanistan, Pakistan und Irak festgestellt und beschlag-nahmt?Herr Staatssekretär, bitte.D
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Renner, gestatten
Sie mir, die Fragen 21 und 22 zusammen zu beantwor-
ten, da sie in unmittelbarem fachlichen Zusammenhang
stehen? Ich glaube, das darf ich, Herr Präsident.
Dann haben Sie vier Zusatzfragen, Frau Renner, und
der Herr Staatssekretär beantwortet die beiden Fragen
zusammen. So machen wir es. – Ich rufe also auch noch
die Frage 22 der Abgeordneten Renner auf:
Welche Waffen haben Bundesbehörden, insbesondere
Zoll, Bundespolizei und BKA, seit dem 1. Januar 2012 bei Is-
lamisten und Rückkehrern aus Syrien, Afghanistan, Pakistan
und Irak festgestellt und beschlagnahmt?
D
Das klingt nach einem fairen Deal.
Nach Kenntnis der Bundesregierung sind in dem
nachgefragten Zeitraum in zwei Fällen im Jahr 2013 im
Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren des Bundes-
kriminalamts gegen Islamisten im Inland – also keine
Rückkehrer – Waffen beschlagnahmt worden. Dabei
handelte es sich um eine Schusswaffe der Marke Beretta
sowie um einen als Handy getarnten Elektroschocker,
der Stromstöße bis zu 1 200 Kilovolt erzeugt. Der Elek-
troschocker besaß kein Prüfzeichen der Physikalisch-
Technischen Bundesanstalt und gilt daher gemäß § 2
Absatz 2 bis 4 des Waffengesetzes als verbotene Waffe.
Darüber hinaus konnte der Zoll seit 2012 in insgesamt
drei Fällen Waffenteile sicherstellen, bei deren Benut-
zung ein islamistischer Hintergrund eindeutig erkennbar
war. Im Einzelnen handelte es sich bei der Einfuhr nach
Deutschland um eine Zielvorrichtung und bei der Aus-
fuhr aus Deutschland um insgesamt neun Zielvorrichtun-
gen für Gewehre und Sturmgewehre, 183 Magazine für
Sturmgewehre, 35 Magazine für Pistolen sowie 14 wei-
tere Waffenteile.
Frau Renner, Sie müssen übrigens die Zahl Ihrer
möglichen Zusatzfragen nicht ausschöpfen, aber Sie dür-
fen es. Bitte schön.
Danke schön, Herr Präsident. – Zu den vom Zoll be-
schlagnahmten Waffen, diesen Zielvorrichtungen für
Sturmgewehre, habe ich die Frage, ob diese bei Grenz-
kontrollen oder im Zusammenhang mit Kontrollen an
Flughäfen sichergestellt wurden.
Wenn ich dann gleich eine zweite Frage anschließen
darf: Welche Kenntnisse hat denn die Bundesregierung
zu möglichen Waffenmitnahmen aus den Krisen- und
Kriegsregionen durch Foreign Fighters in die Bundesre-
publik, wie zum Beispiel einer Einreise in die Bundesre-
publik über die normale Transitstrecke via Türkei, Bul-
garien, also nicht erneut über den Flugweg? Und gibt es
spezielle Kontrollen an den Grenzen hinsichtlich der
Feststellung von illegalen Waffenexporten bzw. -impor-
ten aus dem Bereich des Dschihadismus?
Hintergrund der Frage – ich will es einfach noch ein-
mal erläutern –: Wir reden ja bei dem schlimmen Atten-
tat in Paris über Sturmgewehre, also Waffen, die sozusa-
gen schon durch ihre Größe und Bauart doch irgendwie
schwerer zu besorgen sind und vor allem auch schwerer
an Kontrollstellen vorbeizubringen sind. Wie geht man
eigentlich mit der Problematik „mögliche Waffenmit-
nahme durch rückkehrende Foreign Fighters“ seitens der
Sicherheitsbehörden um?
D
Vielen Dank. – Die erste Frage kann ich nicht endgül-
tig und absolut zweifelsfrei beantworten. Nach dem, was
ich mir bisher habe sagen lassen, gehe ich davon aus,
dass es sich in der Tat um Flugreisende handelt, die da
ausgereist sind und bei denen Waffenteile – ein Fall ging
auch durch die Medien – und auch Waffen gefunden
worden sind. In zwei der genannten Fälle müssten wir es
noch einmal endgültig verifizieren, wenn Sie es genau
wissen wollen.
Mit Ihrer zweiten Frage haben Sie ja im Prinzip schon
den richtigen Einstieg gefunden, nämlich dass es in der
Tat faktisch nicht um Flugreisende gehen kann; denn na-
türlich wird auch in Flughäfen außerhalb von Deutsch-
land und auch außerhalb des Schengen-Raumes Flugge-
päck durchleuchtet. Wir wissen, dass auch dabei nicht
alles gefunden wird. Aber natürlich wissen diejenigen,
die etwas mitbringen wollen, dass die Wahrscheinlich-
keit nicht gering ist, dass im Flugverkehr Waffen und ge-
rade auch solche großen Waffen entdeckt werden. Da
aber die meisten dieser Reisebewegungen offenbar im
Flugverkehr erfolgen, gehen wir davon aus, dass da eine
Mitnahme nicht stattfindet. Im Übrigen haben wir ja
praktisch keine relevanten Landgrenzen, wo die deut-
sche Bundespolizei so etwas in eigener Regie auffinden
könnte. Solche Waffen kommen ja, wie Sie schon be-
schrieben haben, über andere Staaten hinein.
Ich kann Ihnen hier und heute ad hoc nicht beantwor-
ten, wie im Schengen-Verbund die Kontrollen verstärkt
worden sind oder noch verstärkt werden, um so etwas
auszuschließen. Es ist aber sicherlich ein wichtiges
Thema, und wir müssen schauen, ob wir bei der Siche-
rung der Schengen-Außengrenzen noch nachsteuern
müssen.
Haben Sie noch eine Frage? – Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7445
(C)
(B)
Das wäre dann auch die letzte. – Wir wissen ja zum
Beispiel aus dem Bereich des Rechtsterrorismus, dass
sich die entsprechenden Gruppierungen europaweit, zum
Teil auch über dieselben Wege, Waffen beschaffen oder
auch mit Sprengstoff versorgen. Gibt es einen speziellen
Austausch mit anderen europäischen Ländern beim Auf-
finden von illegalen Waffen oder Sprengstoff im Bereich
des Dschihadismus, in dessen Rahmen man sich verstän-
digt: Wo kommen die Waffen oder der Sprengstoff her,
und gibt es möglicherweise größere Lieferungen, die
vielleicht an mehrere Empfänger in verschiedenen Län-
dern gegangen sind? Wird also dieses Thema „Waffen-
und Sprengstoffbesitz“ auch im Informationsaustausch
zwischen den europäischen Ländern dezidiert als Extra-
thema behandelt?
D
Ein Informationsaustausch zwischen den Polizeibe-
hörden – auch zwischen den Nachrichtendiensten – in-
nerhalb von Europa ist ganz entscheidend und umfasst
natürlich auch solche Fragen, woher Waffen kommen.
Ob es da jetzt ein eigenes Programm oder einen eigenen
Jour Fixe gibt, kann ich Ihnen ad hoc nicht beantworten.
Dieses Thema, wie Waffenlieferungen und Waffendistri-
butionen an der Stelle funktionieren, ist aber ein ganz
wesentlicher Teil des Informationsaustausches. Wenn
Sie es noch genauer wissen möchten, können wir an der
Stelle gerne noch im Gespräch bleiben.
Schönen Dank. – Dann kommen wir zur Frage 23 des
Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen:
Über wie viele Personen aus Deutschland mit vermutetem
Bezug zum Islam – vor allem in Richtung Irak bzw. Syrien wohl
zum Kampf Ausgereiste – übermittelten Behörden des Bundes
– oder der Länder nach Kenntnis der Bundesregierung – seit
dem Jahr 2013 auch eigeninitiativ Informationen an US-ameri-
kanische Sicherheitsbehörden – bitte nach Absender- bzw.
Empfängerbehörde, Zahl und Art der Datensätze, Ausge-
reiste/nicht Ausgereiste aufschlüsseln –, deren Antiterroris-
mus-Zentrum NCTC – National Counterterrorism Center –
eine Datenbank mit bereits 15 000 mutmaßlichen IS-Kämp-
nach je welchen Kriterien wählten deutsche Behörden diese
Personen sowie die über sie übermittelten Datenarten aus?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Vielen Dank. – Das ist ja eine ganz nette Koinzidenz,dass wir auch bei dieser Frage über Informationsaus-tausch sprechen, nachdem wir ihn gerade noch als be-sonders wichtig bezeichnet haben. In Ihrer Frage geht esnatürlich um Informationen über Personen. Die Erarbei-tung der Antwort war allerdings gar nicht so einfach.Die Übermittlung personenbezogener Daten an aus-ländische Stellen gehört natürlich gemäß gesetzlicherAufgabenzuweisungen zum Kerngeschäft deutscher Si-cherheitsbehörden. Wir haben gerade bei den furchtba-ren Vorfällen in Frankreich in der letzten Woche nocheinmal gesehen, wie wichtig dieser Austausch ist.Personendaten werden nach den gesetzlichen Übermitt-lungsvorschriften übermittelt. Soweit die Bundessicher-heitsbehörden im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmungentsprechend den gesetzlichen Übermittlungsbefugnis-sen Informationen an ausländische Partnerbehörden wei-tergeben, wird stets den datenschutzrechtlichen VorgabenRechnung tragen und diese mit dem Hinweis versehen,dass diese Informationen nur zu polizeilichen bzw. nach-richtendienstlichen Zwecken übermittelt werden. Hierzusind das Bundeskriminalamt gemäß § 14 Absatz 7 desBKA-Gesetzes und das Bundesamt für Verfassungs-schutz gemäß § 19 Absatz 3 des Bundesverfassungs-schutzgesetzes verpflichtet. Entsprechendes gilt für denBundesnachrichtendienst gemäß § 9 Absatz 2 des Geset-zes über den Bundesnachrichtendienst. Diese Normenschreiben den jeweiligen Behörden vor, den Empfängerder Information darauf hinzuweisen, dass die übermittel-ten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen,zu dem sie ihm auch übermittelt wurden. Alle Daten-übermittlungen werden vorab sorgfältig geprüft. Diemöglichen Auswirkungen für den Betroffenen werdendabei im Rahmen einer Einzelfallprüfung berücksichtigt.Es handelt sich hierbei um eine Einzelfallbearbeitung,bei der keine statistische Erhebung erfolgt, weil wirkeine Listen oder Ähnliches übermitteln. Das quantita-tive Ausmaß des Austausches personenbezogener Datenwird statistisch nicht gesondert erfasst und ist dahernicht nach dem Empfänger auswertbar.Eine händische Sichtung – das wäre die Alternative –der entsprechenden Fall- und Sachakten wäre dazu erfor-derlich. Diese Sichtung hätte sich angesichts der poten-ziellen Übermittlungswege auf die Unterlagen, auf dieVerbindungsbeamten der betroffenen Sicherheitsbehördender Vereinigten Staaten sowie auf die Informationswegeim Rahmen des polizeilichen Informationsaustauscheswie etwa im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit zuerstrecken. Mithin würde sich eine entsprechende retro-grade Datensicherung etwa im Falle des Bundeskriminal-amtes auf Datenbestände einer Vielzahl von Organisa-tionseinheiten der Abteilung „Polizeilicher Staatsschutz“,aber auch der Abteilung „Zentrale kriminalpolizeilicheDienste“, zum Beispiel in Fahndungsfällen, erstrecken.Unberücksichtigt blieben Datenbestände, die aufgrundvon gesetzlichen Löschungsfristen keiner Auswertungzugänglich sind, etwa im Falle von Gefahrenabwehrvor-gängen, bei denen sich der Sachverhalt nicht bestätigthat und entsprechende Datenbestände gemäß gesetzli-cher Vorschriften gelöscht wurden. Bezogen auf polizei-liche Aktenbestände ist ferner zu berücksichtigen, dassein Teil der Ermittlungsakten bereits an die sachleiten-den Staatsanwaltschaften bzw. Justizbehörden überge-ben wurde.Ich kürze es etwas ab. Ich kann Ihnen aber einen posi-tiven Bescheid geben. Für den von Ihnen nachgefragtenSachverhalt in Bezug auf Syrien und Irak konnte jedochmanuell ermittelt werden, dass der BND den gesetzli-chen Bestimmungen folgend seit 2013 personenbezo-gene Daten zu 220 Personen aus Deutschland mit ver-mutetem Bezug zum islamistischen Terrorismus an die
Metadaten/Kopzeile:
7446 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
(C)
(B)
NSA übermittelt hat. Diese Übermittlungen betrafenmutmaßliche Mitglieder oder Unterstützer ausländischerterroristischer Vereinigungen in Syrien oder im Irak.Sämtliche betroffene Personen befinden sich im Krisen-gebiet Syriens und Iraks bzw. sind auf dem Weg dorthin.
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordne-
ter Ströbele?
Ja. Danke, Herr Präsident. – Die nächste Frage ist
auch noch einmal dazu geeignet, Licht hinsichtlich der
Verwendung des Wortes „Sicherheit“ hineinzubringen.
Zu den Zahlen. Ich habe nach den Zahlen seit 2013
gefragt. Hier sagen Sie, wenn ich es richtig verstanden
habe, 220.
D
Bezogen auf den BND. Wir konnten nur für eine Be-
hörde händisch sichten.
Also nur Bundesnachrichtendienst. Ich entnehme Ih-
rer Antwort, dass Sie die Zahlen für das Bundesamt für
Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt nicht
kennen oder nicht ermitteln können.
D
Ich habe gerade ausführlich berichtet, wo die Schwie-
rigkeiten lagen.
Also gibt es gar keine Zahlen?
D
Eine händische Sichtung der entsprechenden Fall-
und Sachakten wäre dazu erforderlich. Diese Sichtung
hätte sich angesichts der potenziellen Ermittlungswege
auf die Unterlagen, auch auf die Verbindungsbeamten
der betroffenen Sicherheitsbehörden in den Vereinigten
Staaten sowie Informationswege im Rahmen des polizei-
lichen Informationsaustausches wie etwa im Rahmen der
justiziellen Zusammenarbeit zu erstrecken. Ich habe aus-
führlich dargestellt, warum es aus unserer Sicht unver-
hältnismäßig war, diese Zahlen komplett zu ermitteln.
Sie haben mit dem für den BND ermittelten Wert, den
ich Ihnen genannt habe, einen Anhaltspunkt.
Sie hätten die Antwort nicht noch einmal wiederholen
müssen.
D
Vielleicht war ich ja zu schnell.
Damit ist die Sache geklärt. – Das wissen Sie also
nicht und können es auch nicht feststellen oder wollen es
nicht feststellen. Ich habe aber auch nach den Kriterien
gefragt, nach denen sie ausgesucht sind. Haben Sie dazu
etwas feststellen können?
D
Die Kriterien kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht
nennen. Wir können einmal schauen, was wir offen kom-
munizieren können; denn hier bewegen wir uns in Berei-
chen, die nicht in allen Einzelheiten offen kommuniziert
werden können. Ich kann gerne noch einmal nachprüfen,
was wir Ihnen ergänzend dazu sagen können.
Dann kommen wir zur Frage 24 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen:
Wie schloss die Bundesregierung, als sie US-Sicherheits-
behörden zum Beispiel Handydaten von Personen aus
Deutschland mit vermutetem Bezug zum Islam oder
sicher aus, dass US-Stellen damit etwa solche deutschen
Staatsbürger nach Ortung unter Umständen durch gezielten
Drohnenbeschuss töten, und wie viele Datensätze über diesen
Personenkreis – etwa anlässlich deren Wiedereinreisen in die
EU – erhielten deutsche von US-Sicherheitsbehörden seit dem
Jahr 2013, wobei hiesige Empfängerbehörden nicht ausschlie-
ßen konnten, dass sie selbst diese Daten nicht hätten generie-
ren dürfen wegen deutscher bzw. EU-Beschränkungen zum
Datenabgleich?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Gerne, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damenund Herren! Herr Ströbele, für die Informationsübermitt-lung an andere Stellen gelten für die Bundessicherheitsbe-hörden die gesetzlichen Übermittlungsvorschriften. Dem-nach sind Übermittlungen zum Zwecke sogenanntergezielter Tötungen ausgeschlossen. Hierauf werden Über-mittlungsempfänger durch entsprechende Vorbehalts-und Zweckbindungsklauseln hingewiesen. Die Sicher-heitsbehörden des Bundes geben grundsätzlich keine In-formationen weiter, die unmittelbar für eine zielgenaueLokalisierung genutzt werden können. Ergänzend wirdauf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-frage der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/13169,verwiesen.Eine Protokollierung von Übermittlungen personen-bezogener Daten von ausländischen Behörden an deut-sche Behörden ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.Solche Übermittlungen werden je nach Bedeutung desEinzelfalls dokumentiert. Eine statistische Erhebung er-folgt hier nicht. Die Erhebung personenbezogener Daten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7447
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
(C)
(B)
im Ausland richtet sich nach dem für die ausländischenBehörden geltenden dortigen nationalen Recht.Die Speicherung personenbezogener Daten stellt ei-nen eigenständigen Grundrechtseingriff dar, der deshalbnatürlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt.Die deutschen Sicherheitsbehörden prüfen daher vor je-der Speicherung personenbezogener Daten, ob die Datenfür die Erfüllung der jeweiligen gesetzlichen Aufgabenerforderlich sind.
Herr Abgeordneter Ströbele, haben Sie eine Zusatz-
frage dazu?
Ja. – Herr Staatssekretär, Sie haben natürlich meine
Frage genau nicht beantwortet.
Sie haben nämlich nicht gesagt, wie Sie ausschließen,
dass es mithilfe der Daten unter Umständen zu Tötungen
kommt. Dass das ausgeschlossen sein soll, ist ja prima;
das haben Sie schon auf viele Fragen, die ich in der Ver-
gangenheit gestellt habe, geantwortet. Aber wie geht
das? Werden sie gelistet? – Sie kennen wahrscheinlich
die neueste Veröffentlichung in der Bild-Zeitung, auf die
ich mich sonst gar nicht so gerne beziehe, wonach ganz
gezielt Informationen zur Gefangennahme oder Neutra-
lisierung von Personen weitergegeben worden sind, ge-
rade auch vom Bundesnachrichtendienst. Wie können
Sie das dann ausschließen?
D
So schlimm ist die Bild-Zeitung eigentlich gar nicht.
Den konkreten Bericht kenne ich nicht. Ich habe darauf
hingewiesen – das will ich noch einmal hervorheben –,
dass wir diejenigen Dienste, die von uns Informationen
bekommen und zu denen wir solche Beziehungen pfle-
gen – egal, wo sie nun sind –, darauf hinweisen, zu wel-
chem Zweck – und zwar nur zu diesem Zweck – die Da-
ten verwandt werden können. Natürlich gibt es keine
deutsche Rechtsaufsicht über ausländische Nachrichten-
dienste.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? Es wäre die letzte.
Ja. – Ist Ihnen bekannt, dass diese Personen gelistet
werden? – Wenn ich mich recht erinnere, wurde in der
Veröffentlichung unter anderem eine Person mit der
Nummer viertausendsoundso genannt. Die Daten, die
dann gegeben werden, insbesondere Handydaten, wer-
den ganz konkret für solche Kill-Aktionen genutzt, und
zwar von Drohnen aus; da ist eine Festnahme nicht mög-
lich, da gibt es nur die Möglichkeit einer Tötung.
D
Wir weisen darauf hin, dass die Daten nicht zu diesem
Zweck übermittelt werden und auch nicht genutzt wer-
den. Es ist in der Tat so, dass die Amerikaner – Sie haben
gerade die USA angesprochen – solche Informationen
natürlich aus verschiedenen Quellen erhalten; Informa-
tionen von deutschen Behörden sind natürlich nicht die
einzigen Informationen. Es kann Fälle geben, in denen
den Amerikanern auch aus einer anderen Quelle Infor-
mationen zu einer Person zugetragen werden, zu der wir
Informationen gegeben haben. Es kann im Einzelfall
sein, dass diese Person dann zum Zielobjekt einer sol-
chen Drohne wird. Das ist eine Sache, die wir völker-
rechtlich im Einzelfall zu prüfen haben. Nicht alle Droh-
nenangriffe sind völkerrechtswidrig; es gibt da klare
Kriterien. Noch einmal: Von deutschen Behörden wer-
den Daten nicht zum Zweck übermittelt, solche Droh-
nenangriffe vorzubereiten.
Die Frage 25 der Abgeordneten Sevim Dağdelen und
die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Dr. André Hahn
werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Bundestages bis
15.35 Uhr. Dann wird der Zusatzpunkt Aktuelle Stunde
aufgerufen: Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD ha-
ben eine Aktuelle Stunde zum Thema „Bundeshaushalt
2014 ohne neue Schulden“ verlangt. Ich unterbreche bis
dahin die Sitzung des Deutschen Bundestages.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Bundeshaushalt 2014 ohne neue Schulden
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Anfang dieser Woche hat uns dasBundesfinanzministerium bestätigt, dass der Jahresab-schluss 2014 ergeben hat, dass wir keine neuen Schuldenmehr machen müssen. Das war ein Tag der Freude. Erst-mals seit 45 Jahren kann der Bund seine Ausgaben täti-gen, ohne neue zusätzliche Schulden zu machen. Erst-mals seit 45 Jahren wächst der Schuldenberg nicht mehr.Erstmals seit 45 Jahren können wir den Menschen drau-ßen im Lande sagen: Wir kommen mit dem Geld aus,das Sie uns zur Verfügung stellen. – Das ist die beste
Metadaten/Kopzeile:
7448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Norbert Barthle
(C)
(B)
Botschaft für unser Land; gerade in diesen Tagen, in de-nen es viele negative Schlagzeilen gibt.
Ich will deshalb als Allererstes unserem Bundes-finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble ein Dankeschönsagen, der es durch große Beharrlichkeit und mit großemWeitblick und großem Überblick immer wieder ge-schafft hat, Ausgabewünsche zu deckeln und durch kon-tinuierliche Politik einen ausgeglichenen Haushalt vor-zulegen. Er ist der Erste seit 1969, der das geschafft hat.Deshalb gilt ihm unsere große Anerkennung für dieseLeistung.
Ich will zum Zweiten unserer Bundeskanzlerin dan-ken. Es wäre leicht für die Bundeskanzlerin gewesen,dem internationalen Druck nachzugeben und zu sagen:„Ach komm, lasst uns 20 Milliarden für Investitionenoder Ähnliches in die Hand nehmen“, und damit die Ver-schuldung in die Höhe zu treiben. Sie hat es aber nichtgetan. Sie unterstützt die Linie der wachstumsorientier-ten Konsolidierung. Sie muss sich ab heute nicht mehrmit der schwäbischen Hausfrau vergleichen lassen. ImGegenteil: Die schwäbische Hausfrau kann sich ein Bei-spiel an Angela Merkel nehmen. Das ist der eigentlicheWechsel, der sich vollzogen hat.
Ich wäre natürlich froh, wenn sich nicht nur dieschwäbische Hausfrau ein Beispiel an Angela Merkelnehmen würde. Ich wäre auch froh, wenn sich derschwäbische Ministerpräsident und sein Finanzministerein Beispiel an Angela Merkel nehmen würden. Daswürde unserem Land ebenfalls guttun.
Es gibt immer wieder Volkswirtschaftsprofessoren inunserem Lande, die uns raten, jetzt, da die Kreditzinsenso niedrig sind, mehr Kredite aufzunehmen, um zu in-vestieren. Meine Damen und Herren, diese Volkswirtekönnen uns nicht sagen, welches Zinsniveau wir in20 oder 30 Jahren haben werden.
Sie können aber mit Sicherheit bestätigen, dass wir in20 oder 30 Jahren – selbst wenn wir jedes Jahr Schuldentilgen können – immer noch einen riesigen Schuldenberghaben werden, für den Zinsen zu zahlen sind. Deshalb istes gut und richtig, es so zu machen, wie wir das machen.Ich frage mich manchmal: Wo bleibt der Weitblick die-ser Professoren?Drittens. Wir erleben in diesen Tagen, dass sehrschnell Vorschläge an uns herangetragen werden, wasman mit den finanziellen Spielräumen anfangen könne,die sich möglicherweise im Laufe des Jahres ergeben. Esvergeht ohnehin kaum eine Woche, in der nicht irgendje-mand Vorschläge an uns heranträgt, wie man unser Landnoch schöner, noch angenehmer und noch sozialer ge-stalten kann. Es ist gar keine Frage: Wir haben bisherimmer vernünftig gehandelt. Wir haben die Ausgabengedeckelt. Deshalb sind die Ausgaben 2014 um 4 Pro-zent niedriger gewesen als im Vorjahr.Nun wird es in den kommenden Wochen und Monatendarauf ankommen, diesbezüglich Linie zu halten. Ichnehme gerne eine Anregung von Carsten Schneider auf,die er an uns herangetragen hat, als er noch in der Opposi-tion war, nämlich Vorsorge zu treffen für schlechtere Zei-ten. Es gibt im Einzelplan 60, Kapitel 6002, Titel 915 01eine sogenannte Konjunkturausgleichsrücklage. DieserTitel wurde bisher nie befüllt. Ich rate uns sehr, wennsich in diesem Jahr Spielräume ergeben, diese Rücklagezu bilden; denn die Zeiten könnten auch wieder schlech-ter werden. Wenn wir dann tatsächlich noch Luft haben,sollten wir die Investitionen stärken; denn investive Aus-gaben sind Einmalausgaben, während Sozialausgabenden Haushalt in der Regel auf Dauer belasten. Das istmeine Empfehlung. Ich bin mir sicher, unser Finanz-minister wird ganz im Sinne des vorsichtigen Kauf-manns ähnlich handeln.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freuemich, dass wir Gelegenheit haben, diesen großartigenErfolg der deutschen Fiskalpolitik, der sicherlich weitüber Deutschland hinaus seinen Widerhall finden wird,mit dieser Aktuellen Stunde zu würdigen. Danke sehr.
Nun hat der Kollege Dietmar Bartsch für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichglaube, ich sollte als Erstes den Antrag stellen, in dieListe unserer parlamentarischen Instrumentarien die„Aktuelle Feierstunde“ aufzunehmen; denn jedes Mal,wenn die Große Koalition etwas zu feiern hat, haben wireine „Aktuelle Feierstunde“. Das wäre doch einmal einVorschlag.
– Sehr schön. Ich freue mich immer über Beifall aus derUnion. – Ich will aber betonen, dass wir Sie nicht zurschwarzen Null beglückwünschen werden.Ich will an unsere Debatten im vorigen Jahr erinnern;im Juni und im November haben wir Haushaltsberatun-gen durchgeführt. Sie wissen, dass diese schwarze Nullmit einmaligen Sondereffekten zusammenhängt: Das Er-gebnis hat mit höheren Einkommensteuereinnahmen zutun, es hat mit dem Bundesbankgewinn von 2 MilliardenEuro zu tun, es hat aber auch damit zu tun, dass wir einhalbes Jahr lang vorläufige Haushaltsführung hatten– das brachte natürlich einen positiven Effekt mit sich –,und letztlich hat das auch mit den niedrigen Zinsen zutun. Ich will einen ehemaligen Finanzminister zitieren,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7449
Dr. Dietmar Bartsch
(C)
(B)
dessen Namen ich allerdings nicht nennen möchte. Ersagt: Mit diesen Zinsen hätte ich das auch geschafft.
Das ist zwar nicht meine Meinung, aber offensichtlichspielen die niedrigen Zinsen eine Rolle. Das war übri-gens kein Linker; das hatten wir in dieser Republik nochnicht.Ich will ganz klar sagen, welche Position wir vertre-ten: Wir sind nicht der Auffassung, dass neue Schuldenirgendwie sinnvoll sind. Da, wo wir Verantwortung tra-gen, verhalten wir uns dementsprechend. In Thüringenzum Beispiel haben wir vereinbart, dass es in den nächs-ten fünf Jahren keine Nettokreditaufnahme geben wirdund wir Schulden tilgen wollen. In Brandenburg, wo wirseit vielen Jahren regieren, machen wir seit vier Jahrenkeine neuen Schulden, sondern haben mit Rückzahlun-gen begonnen. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlinhaben wir die finanzpolitische und haushaltspolitischeWende eingeleitet. Dort, wo wir Verantwortung tragen,bekennen wir uns also zu einer Politik ohne neue Schul-den und betreiben eine entsprechende Politik. Um dasklar und deutlich zu sagen: Wir Linke können das, undwir wollen das auch.
Es ist falsch und letztlich sogar zutiefst zynisch, wennder CDU-Generalsekretär behauptet, dass jetzt endlichSchluss damit sei, über die eigenen Verhältnisse und aufPump zu leben. Ich frage mich: Wer hat in den vergange-nen Jahren und Jahrzehnten eigentlich die Schulden ge-macht? In den letzten zehn Jahren regierte AngelaMerkel, und in dieser Zeit wurden 225 Milliarden Euroneue Schulden gemacht. Das ist die Wahrheit. Diese225 Milliarden Euro neue Schulden haben Sie doch zuverantworten.
Wann immer Sie regiert haben, wurden Schulden ge-macht. Grund dafür ist, dass Sie Steuergeschenke ge-macht und Millionäre und Milliardäre nicht belastet ha-ben. Das ist die eigentliche Ursache. Aufgrund IhrerPolitik zahlen wir – das war auch im letzten Jahr so –26 Milliarden Euro Zinsen. Ihre Politik ist verantwort-lich dafür, dass dieses Geld nicht für andere Dinge zurVerfügung steht.Der entscheidende Punkt aber ist der Preis dieserschwarzen Null: Ihre schwarze Null und die verspieltenZukunftschancen sind zwei Seiten derselben Medaille.
Wir haben marode Brücken und Straßen, teilweisekatastrophale bauliche Zustände in Schulen und Turn-hallen, es fehlen Lehrer und Erzieher, wir haben Kinder-armut, Armut bei Jugendlichen und Armut im Alter. Dasalles gehört zur Wahrheit in unserem Land. Mit dieserPolitik gefährden Sie den sozialen Zusammenhalt in un-serem Land.
Auch heute noch gilt in Deutschland der Satz, der früherein geflügeltes Wort war: Wenn du arm bist, stirbst dueher.
Und in einer solchen Situation plündern Sie den Gesund-heitsfonds. Das ist doch eine widersprüchliche Politik.
Norbert Barthle hat gesagt, wir müssten mehr inves-tieren. Ja, Investitionen in die Zukunft sind angesagt, siewären notwendig, aber wann hören Sie auf, nur davon zureden? Sie haben 10 Milliarden Euro für die Jahre 2016bis 2018 angekündigt. Ehrlich gesagt, das ist doch einWitz. Wenn mein Bundesland Mecklenburg-Vorpom-mern das machen würde, wäre das die richtige Dimen-sion. Es wäre nötig, in diesem Jahr 10 Milliarden Euro indie digitale Infrastruktur zu investieren. Das wäre eineInvestitionspolitik. Sie reden darüber, tun dafür aber zuwenig.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Derausgeglichene Haushalt ist der eine Punkt. Sie verbindenihn immer damit, dass bei den Steuern gar nichts pas-siert. Das ist das eigentliche Problem. Sie müssten dieVermögenden in diesem Land, die auch in der Krise ih-ren Reichtum weiter vermehrt haben, mehr belasten, da-mit das Gemeinwesen seine Aufgaben bewältigen kann.Das ist die Aufgabe.
Dort sollte endlich einmal etwas abgeholt werden. Siegehen das aber nicht an und sagen: um Gottes willen.Leider macht Ihr Koalitionspartner dabei mit und hatalle Wahlversprechen in dieser Hinsicht völlig verges-sen. Das ist eine falsche Politik. Greifen Sie bei den Su-perreichen, bei den Milliardären etwas ab durch eineVermögensteuer, die wie auch immer ausgestaltet seinkann. Über die Ausgestaltung einer Vermögensteuerkönnen wir reden. Da Sie das aber nicht tun, können Sieauf die schwarze Null nicht stolz sein.
Krisenrobuste, nachhaltige Haushaltskonsolidierung,Zukunftsinvestitionen und konsequente Umverteilungvon oben nach unten – dieser Dreiklang würde neueMöglichkeiten schaffen. Wenn man das machen würde,könnte man auch auf einen ausgeglichenen Haushaltstolz sein.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für dieSPD-Fraktion.
Metadaten/Kopzeile:
7450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
(C)
(B)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Bartsch, ich
schätze Sie ja sehr. Aber wenn man eine Rede aufbaut,
dann muss man sich an gewisse Gesetze der Logik hal-
ten. Sie stellen sich hierhin und feiern die schwarze Null
in Brandenburg und in Thüringen, wo wir Sozialdemo-
kraten gemeinsam mit Ihnen Verantwortung tragen. Das
ist richtig, das loben Sie. Da haben Sie etwas verstanden.
Das ist eine gute Sache.
Eine Sekunde später verdammen Sie jedoch die
schwarze Null auf Bundesebene, reden diese in Grund
und Boden und sagen, sie sei der Untergang des Abend-
landes und der Menschen, die darin wohnen.
Das ist erstens nicht logisch, hat zweitens höchstens
den Hauch von billiger Polemik, und drittens merkt das
jeder. Herr Bartsch, in der Vergangenheit waren Sie
deutlich intelligenter. Deswegen: Das war nichts. Man
kann eine Rede auch besser vorbereiten.
Schauen wir uns die heutige Debatte einmal an. Es
wird deutlich, dass diese Große Koalition wirkt. Schauen
wir uns einmal den Haushalt 2014 und die Debatten zum
Haushalt 2014 an, in denen uns die versammelte Opposi-
tion um die Ohren gehauen hat, wie unsolide das wäre,
wie knapp genäht das wäre. Wir hätten angeblich nur
Schein- und Fantasierechnungen aufgemacht.
In der Bundespressekonferenz haben wir jedoch als
SPD und CDU/CSU gemeinsam erklärt, dass das solide
ist, dass das so kommen wird, dass man sich darauf be-
rufen kann und dass es das schriftlich gibt. Deswegen ist
es meines Erachtens eine gute Gelegenheit, heute daran
zu erinnern, dass wir unser Versprechen gehalten haben.
Wir haben sogar noch mehr getan, als wir versprochen
haben.
Wir haben nämlich nicht versprochen, dass wir 2014
keine neuen Schulden mehr machen werden. Vielmehr
waren wir bei 6,5 Milliarden Euro. Jetzt läuft es sogar
besser. Woran liegt das denn?
Nachdem wir schon Frau Merkel und Herrn Schäuble
gedankt haben, muss man sich überlegen, woher das
Geld denn kommt. Diese Einnahmen des Staates sind
darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen erfolg-
reich sind und dass die Menschen in diesem Land hart
arbeiten. Das Ergebnis dieser harten Arbeit spiegelt sich
im Bundeshaushalt wider, weil Steuern gezahlt werden,
weil mehr Menschen als jemals zuvor in diesem Land in
Arbeit sind und weil die Unternehmen Gewinne machen.
Deswegen funktioniert das. Wir haben deswegen eine
schwarze Null, weil es Steuermehreinnahmen gibt. Der
Dank gilt Rot-Grün unter Gerhard Schröder, der die
Agenda auf den Weg gebracht hat. Das waren die Refor-
men, die dieses Land aus der Krise gerissen haben, in die
Helmut Kohl und Schwarz-Gelb dieses Land geführt ha-
ben.
Gleichzeitig wurde mit diesen Reformen die Grund-
lage dafür gelegt, dass wir im Gegensatz zu allen ande-
ren Ländern in Europa sehr wachstumsstark durch die
Krise gekommen sind und für Europa der Anker sind,
um sie nach vorne zu bringen.
Etwas nachdenklich gestimmt möchte ich an dieser
Stelle anmerken, was in den nächsten zwei bis drei Jah-
ren passieren wird. Dann werden wir die Auswirkungen
der Reformen erleben, die unter Schwarz-Gelb passiert
sein sollen. Die Hoteliers wurden begünstigt. Außerdem
wurde die Luftverkehrsteuer eingeführt, die dazu geführt
hat, dass Lufthansa und Air Berlin schlechtere Zukunfts-
aussichten haben. Das hat aber nicht viel gebracht.
Deswegen ist es richtig und gut, dass wir jetzt in die-
ser Großen Koalition, nachdem wir in der letzten die
Schuldenbremse eingeführt haben, gemeinsam solide
Haushaltspolitik machen. Das heißt, die Große Koalition
wirkt. SPD hilft. Wir bekommen es vernünftig hin. Das
heißt, wir haben die Möglichkeit, nicht nur in 2014 und
2015, sondern auch danach, wenn die Schuldenbremse
verbindlich gilt, keine neuen Schulden zu machen. Das
wollen wir als SPD so durchsetzen.
Gleichzeitig investieren wir aber auch. Damit all das,
was Sie aufgezählt haben, Herr Bartsch, nicht eintrifft,
gibt diese Koalition – das haben wir im Koalitionsver-
trag festgehalten – viel Geld für Infrastruktur, für Fa-
milien, für Kinder und für Bildung aus. Wir haben mit
einem 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm nach-
gelegt und machen trotzdem keine neuen Schulden.
Es ist richtig, dass man den Menschen in diesem
Land, die dies ermöglichen, dankt, dass man den Unter-
nehmen dankt, die wettbewerbsfähig sind. Wir hoffen,
dass das so bleibt und dass die Politik das Notwendige
dazu tut. Dafür muss es Reformen geben. Das haben wir
mit Rot-Grün vorgemacht. Die Große Koalition wird es
jetzt auch so handhaben. Wir werden in den nächsten
Jahren die notwendigen Reformen durchführen, damit
dieses Land weiterhin eine Zukunft hat, damit sich die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, damit sich die
Wirtschaft auf diese Bundesregierung, auf diese Politik
verlassen können.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-lege Sven-Christian Kindler das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7451
(C)
(B)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich finde es gut, dass die Koalition uns heutedurch diese Aktuelle Stunde die Gelegenheit gibt, aufdie eklatanten Schwächen ihrer Haushaltspolitik einzu-gehen. Wir dürfen nicht vergessen: Der Etat 2014 warnicht ausgeglichen und ist heute nicht ausgeglichen. Siehaben nur trickreich Schulden in Schattenhaushaltenversteckt. Bei den Sozialkassen haben Sie Schulden auf-genommen. Sie leihen sich das Geld nicht mehr bei derBank, aber bei der Rentenversicherung und bei denKrankenkassen. Sie haben im Haushalt 2014 nicht gear-beitet. Sie hatten viel Glück mit extrem niedrigen Zin-sen. Die Investitionen im Haushalt sind immer noch sehrgering. Liebe Koalition, das ist wahrlich kein Grund zufeiern. Ich finde, es ist Anlass zu großer Sorge.
Zu den Schattenhaushalten. Sie haben sich 3,5 Mil-liarden Euro aus dem Gesundheitsfonds gegriffen.3,3 Milliarden Euro für die Mütterrente haben Sie ausBeitragsmitteln der Rente genommen, obwohl jedemklar ist, dass sie aus Steuermitteln hätte finanziert wer-den müssen. Das sind insgesamt etwa 7 Milliarden Euroversteckte Schulden bei den Sozialkassen. Eine ehrlicheBilanz zeigt, dass es dort 7 Milliarden Euro versteckteSchulden gibt.
Wer zahlt eigentlich die Zeche dafür? Fast alle Kran-kenkassen haben Zusatzbeiträge erhoben. Die Renten-kasse wird in ein paar Jahren leer sein.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen nach-her die Zeche dafür. Ich sage Ihnen: Das hat mit seriöserHaushaltspolitik nichts zu tun. Das ist richtig ungerecht.
Man muss festhalten: Sie haben extrem viel Glück. Esgibt historisch niedrige Zinsen und gute Steuereinnah-men. Das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Kernbrenn-stoffsteuer kam kurz vor Weihnachten. Sie können sichhier im Bundestag zwar für Glück loben,
aber dann können Sie sich auch gleich für gutes Wetterloben. Mit ehrlicher und harter Haushaltspolitik hat dasleider nichts zu tun, liebe Koalition.
Man darf in der Haushaltspolitik nicht nur kurzfristigauf Sicht fahren, sondern man muss Haushalte dauerhaftstrukturell konsolidieren, man muss dauerhaft dafür sor-gen, dass Investitionen solide finanziert werden. Mandarf nicht die Arbeit verweigern. Man muss im Haushaltarbeiten, man muss ihn entrümpeln, man muss Subven-tionen abbauen, zum Beispiel umweltschädliche, manmuss die Einnahmen verbessern und Dinge umschich-ten. Wenn man sich das letzte Jahr dieser Koalition an-schaut, sieht man: null Idee in der Haushaltspolitik, nullVision, kein Wille, kein Mut. Das ist Arbeitsverweige-rung. So macht man keine Haushaltspolitik.
Es wird sich mittelfristig rächen, dass Sie nichts ver-ändern wollen und nur auf den Status quo schauen. Sieverschieben ganz viele Kosten in die Zukunft. In den Be-reichen Gesundheit und Rente, also bei den Sozial-kassen, verschieben Sie viele Kosten auf die nächsteRegierung, auf die nächste Legislaturperiode. Auch In-vestitionen verschieben Sie, obwohl wir wissen, dass wirjetzt Milliardeninvestitionen in Klimaschutz, in Energie-effizienz, in Bildung und den Ausbau digitaler Infra-struktur, in Breitbandausbau, benötigen. Wir müssenjetzt richtig in die Zukunft investieren.
Wenn wir uns den Jahresabschluss des Haushalts2014 anschauen, sieht man, dass die Investitionsquoteerstmals einstellig geworden ist. Die Investitionsquotewar schon sehr gering. Beim Abschluss sieht man, dass600 Millionen Euro weniger investiert wurden, als ge-plant war. Das heißt, Sie konsolidieren diesen Haushaltleider auch zulasten der Investitionen. Ich sage Ihnen:Das ist ganz klar gegen Generationengerechtigkeit.
Was ist Ihre Alternative dazu? Anstatt jetzt auf öffent-liche Investitionen zu setzen, damit Anreize für privateInvestitionen zu schaffen und das solide zu finanzieren,plant die Bundesregierung eine neue Welle von ÖPP;Minister Gabriel plant sie, und Minister Dobrindt hat sieschon angekündigt. Der Bundesrechnungshof hat letztesJahr trotzdem festgestellt, dass es im Hinblick auf denStraßenbau bei neuen öffentlich-privaten Partnerschaf-ten Mehrkosten in Milliardenhöhe gibt. Das ist nicht nurteuer, sondern damit umgehen Sie de facto auch dieSchuldenbremse, weil Sie Kosten in die Zukunft verla-gern. Wir fordern Sie auf: Stoppen Sie diese gefährlicheÖPP-Strategie! Sie ist ein teurer Irrweg.
Was müsste man jetzt machen? Man müsste jetzt da-für sorgen, dass umweltschädliche Subventionen abge-baut werden. Aber ihr Volumen ist auf 52 MilliardenEuro gestiegen. Subventionen von rund 9 MilliardenEuro könnte man schnell abbauen. Man könnte jetzt dieEinnahmesituation verbessern, zum Beispiel durch Maß-nahmen bei der ungerechten Abgeltungsteuer, mankönnte im Rüstungsbereich sparen, und das Betreuungs-geld könnte man sich schenken. Dann könnte man – Vor-
Metadaten/Kopzeile:
7452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Sven-Christian Kindler
(C)
(B)
schläge dazu haben wir Grüne im Hinblick auf denHaushalt 2014/2015 vorgelegt – einen Gestaltungsspiel-raum von über 10 Milliarden Euro schaffen. Diesenkönnte man für Investitionen nutzen: in den Klima-schutz, in den Breitbandausbau, in gute Bildung. Dasmüsste man jetzt machen, anstatt weiterhin Schulden inSchattenhaushalten zu verstecken und die Zukunft zuverspielen. Ich fordere Sie auf: Hören Sie endlich mitder Arbeitsverweigerung auf, fangen Sie an, zu arbeiten,und hören Sie auf, sich selbst für den Haushalt zu loben!Vielen Dank.
Der Parlamentarische Staatssekretär Steffen
Kampeter hat das Wort.
S
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es war für mich als Haushaltsstaatssekretär beiWolfgang Schäuble schon ein etwas ungewöhnlichesSchriftstück, das Dienstagfrüh von mir versandt wurde.Ich habe den Haushaltsausschuss im Namen der Bundes-regierung davon unterrichtet, dass wir zum ersten Malseit 1969 einen Haushalt ohne neue Nettokreditauf-nahme abschließen können. Dieses Schriftstück habe ichzum ersten Mal mit freudigen Grüßen unterzeichnet. Ichfinde, das war wirklich ein Tag der Freude.
Abweichungen vom Haushaltsansatz hat es schon im-mer gegeben. Schulden in Höhe von 6,5 Milliarden Eurohaben wir nicht aufgenommen. Gegenüber dem Vorjahrentspricht das einer um rund 20 Milliarden Euro geringe-ren Nettokreditaufnahme. Ein bisschen technischer for-muliert – so schreiben es einem die Experten auf –: Wirhaben in Deutschland sogar einen strukturellen Über-schuss. Für einen strukturellen Überschuss kann mansich vielleicht nicht unmittelbar etwas kaufen. DieserUmstand zeigt aber, dass wir nicht nur nominal bei nullsind, sondern dass wir in Deutschland auch bereinigt umkonjunkturelle Effekte einen recht soliden Bundeshaus-halt haben.Auch im Hinblick auf das Maastricht-Kriterium, dasüber viele Jahre in aller Munde war, haben wir einenÜberschuss von 0,5 Prozent. Auch wenn das öffentlichnoch nicht so sehr beachtet worden ist: Wir haben im ab-gelaufenen Jahr aufgrund des überschießenden Bundes-bankgewinns und anderer Effekte sogar 2,5 MilliardenEuro der Bundesschuld aktiv getilgt. Das ist zwar nichtdie Welt, aber ich will es einmal so sagen: Die Richtungstimmt. Wir dürfen jetzt nur nicht nachlassen. Wachs-tumsorientierte Konsolidierung zahlt sich aus.
Ich finde, Johannes Kahrs hat einen richtigen Punktangesprochen: dass wir uns zunächst einmal bei denMenschen bedanken müssen.
– Ja, einmal hat Johannes Kahrs etwas Richtiges gesagt.Darf ich das nicht feststellen?
Wir sollten uns bei denjenigen Menschen bedanken, diemit ihrer Hände und Köpfe Arbeit diese wirtschaftlicheLeistung erbracht und damit die hohen Steuereinnahmenermöglicht haben. Es sind weit über 40 Millionen Men-schen, die in Deutschland in unterschiedlichen Struktu-ren arbeiten. Ihnen, meine sehr verehrten Damen undHerren, müssen wir in erster Linie danken. Der hohe Be-schäftigungsstand und der Fleiß der Menschen, die die-ses Land jeden Tag aufs Neue nach vorne bringen, sinddie Grundfundamente dieses ausgeglichenen Haushalts.
Die Grünen unterhalten sich, anstatt zu klatschen,wenn ich sage, dass die Menschen in diesem Land flei-ßig sind. Das sagt über diese Opposition mehr als allesandere.
Mein zweiter Dank richtet sich an die Unternehmen:an die Tüftler, die Dienstleister und die industriellen Pro-duzenten, die im In- und Ausland darum kämpfen, wett-bewerbsfähig zu sein. Die Wettbewerbsfähigkeit derdeutschen Volkswirtschaft im In- und Ausland, die darandeutlich wird, dass deutsche Produkte und Dienstleistun-gen in Deutschland und im Ausland gekauft bzw. nach-gefragt werden, hat dazu geführt, dass wir nicht nur beider Einkommensteuer, sondern auch bei den Unterneh-mensteuern ein sehr respektables Ergebnis vorzuweisenhaben. Danke an den Wirtschaftsstandort Deutschland!Danke an die Tüftler und Unternehmer, die Risikenübernehmen und dazu beigetragen haben, dass wir einsolides Steuerergebnis hatten.
Ja, es ist richtig: Es gab auch einen Sondereinfluss.Die Kernkraftindustrie wollte eine Steuer nicht zahlenund hat deshalb geklagt. Das war ihr gutes Recht. Wirhaben aber Recht bekommen. Auch aus der Energiewirt-schaft – auch der Kernenergiewirtschaft – brauchen wireinen Beitrag zur Finanzierung dieses Gemeinwesens;das finde ich nur billig und gerecht. Dass der Bundesfi-nanzhof unserer Position jetzt Recht gegeben hat, ist einBeitrag zum ausgeglichenen Haushalt, aber, wie ichglaube, auch ein Beitrag zur Steuergerechtigkeit. Diesensollten wir, anders als die Fraktion Die Linke, nicht ge-ringschätzen. Deswegen ist das an dieser Stelle nicht zuverschweigen, sondern besonders hervorzuheben.Wenn man guckt, woher wir kamen: Als WolfgangSchäuble Bundesfinanzminister wurde, hat er nach einer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7453
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
(C)
(B)
Großen Koalition – das ist nicht zu kritisieren, sondernwar der Wirtschaftskrise geschuldet – einen Haushalts-entwurf mit einer Nettokreditaufnahme von 80 Milliar-den Euro vorgelegt.
Heute, etwa fünf Jahre später, sind wir bei null. Daszeigt, mit welcher Geschwindigkeit diese Entwicklungvorangegangen ist. Das ist schon einigermaßen erstaun-lich.Das, was wir wachstumsfreundliche Konsolidierungnennen, ist ein Erfolgsrezept. Schauen Sie sich einmalandere Länder bei gleichen weltwirtschaftlichen Bedin-gungen – in Europa beispielsweise – an, die Regierun-gen haben, die vielleicht auch nicht alle viel schlechterals unsere sind: Da ergeben sich ganz andere Defizitzah-len. Das führt zu meiner Feststellung: Ein ausgegliche-ner Haushalt ist nicht das Ergebnis von Technik oder vonZufällen, sondern er ist das Ergebnis eines entschlosse-nen politischen Willens, mit dem Geld auszukommen,das man hat.
Über Politikergenerationen hinweg haben wir das nichtgetan. Jetzt machen wir es. Das ist ein Bewusstseinswan-del in der deutschen Politik, der an dieser Stelle beson-ders hervorzuheben ist.Diese wachstumsfreundliche Konsolidierung – daswill ich an dieser Stelle einmal sagen – ist auch ein In-vestitionsprogramm. In den Defizitländern dieser Weltsinken die Investitionen. In Deutschland, einem Konsoli-dierungsland, steigen sie – insbesondere im Bereich Bil-dung und Forschung, aber auch im Bereich Infrastruktur;in der mittelfristigen Finanzplanung haben wir geradenoch einmal einige Milliarden draufgelegt –: von 2005bis 2013 um durchschnittlich 5 Prozent. Seit 2005 habenwir sie um 44 Prozent erhöht. Wer spart, der investiert:Das ist die Botschaft einer wachstumsfreundlichen Kon-solidierung.
Ich höre immer wieder, dass in diesem föderalen Sys-tem das eine oder andere nicht geleistet werden kann.Ich will sagen: Wir haben die finanzielle Situation desBundes in den letzten Jahren zugunsten der Länder undGemeinden erheblich verschlechtert. Hätten wir all dieseSolidaritätsleistungen – beispielsweise die Investitionenin die Kinderbetreuung – nicht erbracht, dann hätten wirdie schwarze Null schon sehr viel früher liefern können.
Das zeigt aber auch, dass unser Konzept, unser Ver-ständnis von Haushaltspolitik auch mit Solidarität imRahmen des Föderalismus einhergeht. Deswegen findeich es unangemessen, dass der Kollege Bartsch hier sagt,wir sparen die Länder kaputt.Im Rahmen des Föderalismus sind zusätzlich Milliar-denbeträge vom Bund auf die Länder transferiert wor-den. Wir stehen zu unserem Wort und sagen deutlich:Der Föderalismus ist ein Geschäft, das wir gemeinsambetreiben. Ich finde, die Tatsache, dass diese Milliarden-beträge auf eine andere Gebietskörperschaftsebene über-führt worden sind, muss man ab und zu auch im Deut-schen Bundestag erwähnen.
Auf einen Punkt, den Norbert Barthle schon ange-sprochen hat, will ich besonders hinweisen: Ich habemich auch gewundert, dass die Mitteilung über den aus-geglichenen Haushalt 2014 von manchen zum Anlassgenommen worden ist, eine Forderungsliste gegenüberdem Bund aufzustellen: Von Verbänden, von einzelnenPersonen und selbst innerhalb der Großen Koalition isteine Wunschliste aufgestellt worden. Ich will eines fest-stellen: Wir werden auch zukünftig die notwendigenpolitischen Schwerpunkte dabei setzen, das Wichtigevon dem Unwichtigen zu unterscheiden.
Der Haushaltsausgleich ist nur möglich geworden, weildiese Koalition Politik nicht als eine Wunschliste sieht,sondern die Unterscheidung von dem Wichtigen unddem weniger Wichtigen vorgenommen hat. Das ist dieGrundlage für eine verlässliche, stabilitätsorientierteHaushaltspolitik. Daran wollen wir und daran werdenwir festhalten.
Ich will zum Schluss noch eines festhalten – ich binseit Mitte der 90er-Jahre in unterschiedlichen Funktio-nen im Haushaltsausschuss,
die letzten fünf Jahre rechts vom Vorsitz, davor vieleJahre links vom Vorsitz –: Wir haben über die Partei-grenzen hinweg immer daran gefeilt, diesen Haushaltbesser zu machen. Wir haben auch ab und zu davon ge-träumt, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Icherinnere mich, dass Carsten Schneider und ich in derletzten Großen Koalition überlegt haben: Wann fordernwir einen ausgeglichenen Haushalt?Dann kam die große Wirtschaftskrise. Es gab Regie-rungswechsel und Mentalitätswechsel. Für viele Politi-ker ist Politik mit Schuldenmachen verbunden. Wir ha-ben den Haushaltsausgleich jetzt geschafft; das darfkeine Eintagsfliege sein. Dass ich mich persönlich da-rüber freue, dass das innerlich ein schönes Gefühl ist,will ich nicht verschweigen. Sie gestatten mir diese An-merkung; das ist keine Anmerkung der Regierung, son-dern ein persönliches Bekenntnis eines Haushälters. Dasist richtig schön; ich muss es Ihnen sagen.
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für dieFraktion Die Linke.
Metadaten/Kopzeile:
7454 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
(C)
(B)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Diese aktuelle Feierstunde, die Sie hier abhalten, ist einziemlich absurdes Theater, wie ich feststellen muss.
Es sind ja auch nicht viele Gäste zu Ihrer Party gekom-men.
Das Thema schuldenfreier Haushalt 2014 hat im Jahr2015 erstens nichts mit Aktualität zu tun, und zweitensist dieser schuldenfreie Haushalt auch nicht Ihr Ver-dienst. Das Einzige, was Sie hier machen, ist: Sie blo-ckieren wertvolle Zeit im Plenum für die wirklich ak-tuellen Themen, über die wir sprechen sollten.
– Sie lachen, ich kann Ihnen ein paar nennen. Seit demTerroranschlag in Paris letzte Woche ist zum Beispieldas Thema Terrorismus mit Brutalität zurück auf die Ta-gesordnung gekommen.
Eine andere Frage ist: Wie gehen wir in unserem Landhuman und vernünftig mit Flüchtlingen um? Wie begeg-nen wir dem besorgniserregenden Anstieg von fremden-feindlichen und antisemitischen Einstellungen bis hin zuStraftaten?
Oder – um ein anderes Thema zu nennen –: Wie ge-hen wir mit der mangelnden Familienfreundlichkeit undder Kinderarmut in Deutschland um? Der Deutsche Kin-derschutzbund hat erst im Dezember 2014 ein nationalesProgramm gegen Kinderarmut gefordert, weil sich inden letzten zehn Jahren die Anzahl der von Armut be-drohten Kinder auf 2,8 Millionen verdoppelt hat. Ein ak-tueller Dauerbrenner ist auch: Wie gehen wir mit der Fi-nanznot der Kommunen und den fehlenden Investitionenin die Infrastruktur um? Das sind die aktuellen Themen,die wir hier besprechen müssten.
Das bewegt auch die Menschen, nicht eine schwarzeNull im Haushalt 2014.Aber das war nun einmal Ihr großes Projekt, vielleichtIhr einziges:
Sie wollten im Haushalt 2015 keine neuen Schulden auf-nehmen, so war der Plan. Dafür mussten wir schon imDezember 2014 eine Feierstunde über uns ergehen las-sen. Jetzt kommen Sie und sagen: Wir haben den Plansogar schon übererfüllt. – Es kommt im Osten auch sehrgut an, den Plan übererfüllt zu haben. Wir haben imHaushaltsvollzug 2014 schon keine Schulden mehr auf-genommen, sagen Sie.Dafür nennen Sie einige Gründe – sie sind hier schonangesprochen worden –: Sie sagen, wir hätten mehrSteuereinnahmen erzielt. – Sie alle haben erwähnt, dassdie Menschen fleißig gearbeitet haben. Sie haben sichauch dafür bedankt, dass die Unternehmen gut wirt-schaften. Aber genau das ist eben nicht Ihr Verdienst.Das von den Menschen erwirtschaftete Bruttoinlands-produkt kam nicht wegen, sondern trotz Ihrer Politik zu-stande.
Letztendlich hat die Bundesregierung schlicht undeinfach 1 Milliarde Euro nicht ausgegeben; 1 MilliardeEuro, mit der wir sinnvolle Dinge hätten tun können.
Die Linke hat einiges vorgeschlagen und hier mit Antrageingebracht. Aber Sie haben alles abgelehnt, weil angeb-lich kein Geld vorhanden wäre.Ich nenne Ihnen ein paar Dinge. Wir hätten die Städ-tebauförderung bzw. den „Stadtumbau Ost“ mit zusätzli-chen 181 Millionen Euro ausstatten können. Wir hättendringend 50 Millionen Euro für Sportstätten des Breiten-sports gebraucht. Wir hätten 30 Millionen Euro für dieAusbildung von Erzieherinnen und Erziehern gebraucht.Wir hätten – aktuelles Thema derzeit – dringend 67 Mil-lionen Euro für eine gute und ausreichende Integrationvon Flüchtlingen benötigt.Was mich besonders ärgert, ist, dass Sie dem Vor-schlag der Linken nicht gefolgt sind, wenigstens 22 Mil-lionen Euro mehr für die Programme gegen Rechtsextre-mismus zur Verfügung zu stellen. Alles zusammen hätte350 Millionen Euro gekostet, und, wie wir jetzt wissen,das Geld wäre auch da gewesen.
Stattdessen hören wir immer wieder davon – trauri-gerweise gerade über die Feiertage –, dass Programmeunterfinanziert sind. Die UN musste im Dezember kurz-fristig ihre Ernährungshilfe für syrische Flüchtlingestoppen, weil kein Geld mehr zur Verfügung stand. DieKommunen sind mit der Unterbringung von Flüchtlin-gen heillos überfordert, und viele Initiativen gegenRechtsextremismus können sinnvolle geplante Projektenicht umsetzen, weil ihnen das Geld fehlt.Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Ergeb-nisse Ihrer Haushaltspolitik. Was Sie abliefern, ist ebenkeine kluge Haushaltspolitik, sondern es ist letztendlichStillstand und Selbstbetrug.
– Die Linke wird dem, Kollege Kahrs, nicht nur einekluge, sondern auch eine konstruktive und intelligenteAlternative entgegenstellen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7455
Michael Leutert
(C)
(B)
und zwar gerechte Steuern auf der Einnahmenseite undeine soziale Politik auf der Ausgabenseite.Vielen Dank.
Die Kollegin Bettina Hagedorn hat nun für die SPD-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Ja, lieber Steffen Kampeter, das ist nicht nur fürdich, sondern für viele von uns ein richtig guter Tag. Vonden anderthalb Jahrzehnten, die du dem Haushaltsaus-schuss angehört hast, war ich auch mindestens 12,5 Jahredabei. Insofern teile ich deine Freude uneingeschränktund möchte einen Dank hinzufügen. Du hast dich schonbei den fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernund bei den Unternehmen bedankt, und ich möchte michausdrücklich bei den ehrlichen Steuerzahlerinnen undSteuerzahlern bedanken.
Denn wir hatten in der Tat beschlossen, mit dem Haus-halt 2014 noch 6,5 Milliarden Euro an Krediten aufzu-nehmen. Das müssen wir jetzt nicht, und das ist großar-tig. Dafür, wie das zustande gekommen ist, gibt es vieleParameter. Aber eines ist ganz klar, und das will ichnoch einmal ausdrücklich betonen: Das ist nur dadurchgeschafft worden, dass die Ausgaben um 1 MilliardeEuro gesenkt worden sind. Die Einnahmen sind aller-dings um 5,5 Milliarden Euro höher ausgefallen als ge-dacht. Das sind zu einem ganz großen Teil Mehreinnah-men aus Steuern. Ich glaube, das darf nicht unerwähntbleiben. Lieber Sven Kindler, du hast eben gesagt: Mitehrlicher und harter Haushaltspolitik – und damit meinstdu Ausgabenpolitik – hat das Ergebnis nichts zu tun.
Darin will ich dir recht geben. Aber es zeigt auch, dassderjenige, der auf einen guten und ausgeglichenen Haus-halt, auf Konsolidieren und mehr Geld für InvestitionenWert legt, nicht nur auf die Ausgabenseite, sondern auchauf die Einnahmenseite blicken muss. Und das will ichan dieser Stelle ganz kurz tun.
Ich zitiere ein paar Schlagzeilen aus den letzten zweiWochen: „Noch nie waren die Zeiten für Steuerhinter-zieher so schlecht“, hieß es am Silvestertag. „60 Prozentmehr Selbstanzeigen“ titelte die Süddeutsche zwei Tagespäter, „NRW verzeichnet Höchstwert bei Selbstanzei-gen“ das Handelsblatt am 8. Januar und „Zahl derSelbstanzeigen steigt auf Rekordhoch“ die BerlinerMorgenpost am 13. Januar, also gestern.Dazu möchte ich ein paar Zahlen vortragen, diehöchst spannend sind. 2011 – das ist nicht wirklich langeher – hatten wir 4 800 Selbstanzeigen von Steuerhinter-ziehern. 2012 waren es 8 627, also schon doppelt soviele, 2013 26 641 und 2014 – man höre und staune –38 587 Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung inDeutschland. 15 von 16 Ländern haben im Jahr 2014 Re-kordeinnahmen durch Selbstanzeigen wegen Steuerhinter-ziehung erzielt. Seit 2011 haben sich 78 655 Menschen inDeutschland ehrlich gemacht, fast 80 000 Steuerhinterzie-her. Das hat allein im Jahr 2014 in 13 Bundesländern– von drei Bundesländern liegen uns die entsprechendenAngaben nicht vor – zu rund 1,3 Milliarden Euro Steuer-mehreinnahmen geführt. Wir können in diesem Zusam-menhang feststellen: Eine gute Steuerpolitik – wir habenfür entsprechende Verschärfungen gesorgt –, die Steuer-hinterziehern, die in erster Linie von Angst vor Entde-ckung getrieben sind, wenn sie sich selbst anzeigen, dasLeben schwer macht, hat zum Erfolg geführt, und daswird sie weiterhin tun. Lieber Sven Kindler, das ist docheine Strukturmaßnahme, auf die wir gemeinsam stolzsein können.
Nur um die Statistik zu vervollständigen: Die Hitlisteder meisten Selbstanzeigen 2014 wird von Baden-Würt-temberg mit über 9 000 angeführt. Dann folgen NRWmit rund 7 500 und Bayern mit knapp 6 000. In Bremen,im Saarland und in Berlin hat sich 2014 die Zahl derSelbstanzeigen im Vergleich zu 2013 verdoppelt. InSchleswig-Holstein hat sich diese Zahl innerhalb einesJahres sogar verdreifacht. In Berlin hat sich die Zahl derSelbstanzeigen im Vergleich zu 2012 sogar vervierfacht.Wenn das nichts ist! Allein NRW hat von 2010 bis heutedurch fast 20 000 Selbstanzeigen 1,5 Milliarden EuroMehreinnahmen beim Fiskus erzielt. Das kann sicherlichnoch mehr sein. Aber das ist schon einmal eine bemer-kenswerte Summe.
Da meine Redezeit keine ausführliche Diskussionmeines letzten Punktes mehr zulässt, möchte ich nur da-rum bitten, die Abgeltungsteuer, über die wir bereits imvergangenen Herbst diskutiert haben, noch einmal aufdie Tagesordnung zu setzen. Da sich binnen vier Jahrenfast 80 000 Menschen ehrlich gemacht haben, die teil-weise jahrzehntelang ihr Vermögen ins Ausland transfe-riert haben – nun ist es wieder in Deutschland –, solltenwir nach meiner Meinung über die Abgeltungsteuer undihre Höhe erneut diskutieren. Ich hoffe, dass wir 2015den notwendigen Mut dazu finden.Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
7456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
(C)
(B)
Der Kollege Dr. Tobias Lindner hat für die FraktionBündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koali-tion, versuchen teilweise in dieser Aktuellen Stunde, ei-nen Dissens an Stellen aufzuzeigen, an denen er garnicht besteht. Es geht doch nicht darum, dass die eineSeite des Hauses gegen neue Schulden ist, während dieandere Seite des Hauses für neue Schulden ist. Vielmehrgeht es darum, dass Sie die schwarze Null, die Sie heuteso sehr feiern, nur in den Mittelpunkt rücken, um andereStellen zu verdecken.
Schauen wir uns einmal an, wie Sie auf Ihre schwarzeNull im Jahr 2014 gekommen sind. Sie geben 1,7 Mil-liarden Euro weniger für Zinsen aus. Es mag für denBundeshaushalt toll sein, weniger Zinsen zu zahlen. Dasist für die Bürgerinnen und Bürger, die ihr Geld in Le-bensversicherungen investiert oder auf dem Sparkontoliegen haben, nicht unbedingt so toll. Vor allem aber sinddie geringeren Zinsausgaben nicht Ihr Verdienst.
Sie senken die Ausgaben für Investitionen im Vergleichzu dem, was Sie geplant haben, nochmals um 600 Mil-lionen Euro ab. Von 1 Milliarde Euro an Minderausga-ben entfallen 600 Millionen Euro auf Investitionen, diewir in diesem Land an verschiedenen Stellen – Beispielewurden genannt – dringend brauchen.
Dafür sollten Sie heute keine Feierstunde abhalten.
Liebe Bettina Hagedorn, Sie tun recht, den ehrlichenSteuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu danken und da-rauf hinzuweisen, dass gegen Steuerhinterziehung in un-serem Land endlich effektiver vorgegangen wird. Esstimmt auch, dass die Zahl der Selbstanzeigen zugenom-men hat. Aber dann müssen wir uns auch angucken, wel-che Landesregierungen diese Steuer-CDs denn ange-kauft haben. Das waren Länder wie Rheinland-Pfalz,Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen nach dem Re-gierungswechsel, also Länder unter roter und grüner Re-gierungsbeteiligung.
Dagegen hat sich noch vor wenigen Jahren eineschwarz-gelb geführte Bundesregierung auf Druck derFDP gegen den Ankauf solcher CDs gewehrt.
Das ist nichts, wofür Sie sich heute feiern sollten.
Da wir gerade beim Thema Feiern sind: Wir habenvor Weihnachten über Glühwein gesprochen. Ich weißnicht, womit Sie heute gefeiert haben oder feiern wer-den.
Wie es üblich ist: Nach einer Party kommt gewöhn-lich der Kater. Lieber Johannes Kahrs, selbst wenn mankeinen Alkohol trinkt, aber zu lange aufbleibt, kommtam nächsten Morgen das böse Erwachen. Ich prophezeieIhnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das böse Erwa-chen über Ihre Haushaltspolitik wird in wenigen Jahren,es wird schon in Kürze kommen. Es wird dann kommen,wenn Krankenkassen überlegen, Zusatzbeiträge einzu-führen, und die gesetzlich Versicherten die Zeche fürdiese Haushaltspolitik zahlen müssen. Es wird dannkommen, wenn die Rentenkasse aufgrund Ihrer Renten-politik in wenigen Jahren leer sein wird
und die Beitragszahler entweder weniger Rente in Zu-kunft zu erwarten haben oder höhere Beiträge zahlenmüssen.
Das sind die Rechnungen, die Ihre Haushaltspolitik schi-cken wird.Das Erwachen wird noch an einer anderen Stellekommen.
Dazu muss ich sagen: Lieber Kollege Barthle, ichglaube, die schwäbische Hausfrau würde ganz andersvorgehen als von Ihnen unterstellt und der schwäbischeHausmann auch. Die würden es nämlich nicht einfachdurch das Dach regnen lassen, wenn sie entdecken, dasswieder einmal Sanierungsarbeiten notwendig sind. Siewürden nicht bei der Ausbildung ihrer Kinder und En-kelkinder sparen, nur damit am Monatsende irgendwoeine Null steht.Was Sie mit Ihrer Haushaltspolitik machen, ist: Siehalten die Ausgaben im Wesentlichen konstant. Wo es zuRecht Tarifsteigerungen gibt, wo Ausgaben zu leistensind, leisten Sie diese. Sie fahren Investitionen herunterund hoffen auf steigende Steuereinnahmen. Das ist dasGegenteil von Anstrengung in der Haushaltspolitik, wasSie hier machen.
Wenn Sie wirklich einen historischen Schwenk in derHaushaltspolitik vollführen und etwas ändern wollten,dann müssten Sie auch qualitativ etwas in der Haushalts-politik ändern. Dann dürften Sie sich nicht nur auf dieNull fixieren, sondern Sie müssten auch schauen, dass inDeutschland wieder in die Infrastruktur investiert wird,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7457
Dr. Tobias Lindner
(C)
(B)
dass Schienen, Straßen und öffentliche Einrichtungennicht zerfallen. Dann müssten Sie schauen, dass wir inunseren wichtigsten Rohstoff, nämlich in Forschung undBildung, endlich mehr investieren. Dann müssten Sieauch die Zukunftstrends und die Innovationsprozesse,die ablaufen, so unterstützen, dass sie eine Richtung be-kommen und dass wir als starke Industrienation auchnoch in 10, 20 und 30 Jahren die Wirtschaftskraft haben,dass die Steuereinnahmen Haushalte ohne neue Schul-den und vor allem solche zum Wohl der Bürgerinnenund Bürger möglich machen. Das tun Sie nicht, liebeKolleginnen und Kollegen.
Deshalb kann ich Ihnen nur eines sagen: Feiern dür-fen Sie heute alleine. Wenn der Kater nachher kommt,können Sie sich vertrauensvoll an uns wenden; denn wirhaben ein paar Tipps für Sie, was Sie in Ihren Haushal-ten anders machen können, wenn es darum geht, einenwirklich zukunftsfähigen Haushalt aufzustellen.Ich danke Ihnen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Eckhardt
Rehberg das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-ordneten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sindWorte wie „einmalig“, „absurdes Theater“ und „Glückgehabt“ gefallen. Schauen wir uns an, wie es im Haus-haltsausschuss im Jahr 2009 aussah. Wenn ich zum jetzi-gen Koalitionspartner nett bin, dann kann ich sagen:Diese 86 Milliarden Euro waren die Erblast der Finanz-und Wirtschaftskrise.
Wenn ich weniger nett bin, muss ich sagen: Das ist dieErblast von Steinbrück gewesen.
Im Regierungsentwurf stand noch eine Neuverschuldungin Höhe von 86 Milliarden Euro. Wir haben diese Neu-verschuldung innerhalb von nur vier Jahren auf null ge-drückt.
Hier wurde von verspielten Zukunftschancen gespro-chen. Das Gegenteil ist der Fall. Kollege Kindler, es istkeine Arbeitsverweigerung, was wir in den vier Jahrender letzten Legislaturperiode und im letzten Jahr mitdem Koalitionspartner SPD gemacht haben. Eineschwarze Null zustande zu bringen, das sind keine ver-spielten Zukunftschancen, sondern das ist endlich fiska-lische Generationengerechtigkeit. Das eröffnet Chancenfür die zukünftigen Generationen.
Übrigens, wir haben in der letzten Legislaturperiodeim Bereich von Bildung und Forschung einen Aufwuchsvon 14 Milliarden Euro gehabt.Es gibt schon einen Paradigmenwechsel in der Haus-haltspolitik, einen Paradigmenwechsel, den der Bundes-rechnungshof mit Sorge sieht. Ich darf einmal aus Be-merkungen des Bundesrechnungshofs zum Haushaltzitieren. Der Bundesrechnungshof sagt, er sehe „struktu-relle Belastungen und Risiken, die eine nachhaltigeHaushaltspolitik gefährden könnten“. Zu weiteren finan-ziellen Zugeständnissen des Bundes an Länder und Ge-meinden heißt es:Dabei erscheinen im Bund-Länder-Verhältnis diefinanziellen Handlungsspielräume des Bundes an-gesichts der bestehenden Lasten ausgereizt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Koali-tionsvertrag sind 23 Milliarden Euro für prioritäre Maß-nahmen vorgesehen, wovon mehr als die Hälfte nicht fürbundesoriginäre Aufgaben abfließt, sondern für Aufga-ben, die originär die Ländern und die Kommunen erfül-len. Aber diese schwarze Null, die eigentlich erst für die-ses Jahr vorgesehen war, hat die Möglichkeit eröffnet,dass wir in den nächsten drei Jahren bis 2018 wieder ei-nen Ausgabenzuwachs von 30 Milliarden Euro habenwerden. Das ist die Basis dafür, dass wir mehr als in derVergangenheit in Verkehrsinfrastruktur investieren, dasswir noch mehr in Bildung und Forschung investierenkönnen und dass wir Länder und Kommunen noch mehrunterstützen können, Stichwort „Grundsicherung im Al-ter“, wofür pro Jahr insgesamt mehr als 5 MilliardenEuro an die Kommunen fließen werden. Dafür liefert dieBasis die schwarze Null. Diese Basis, Kollege Kindler,haben wir uns in der Koalition mit der FDP und in demeinen Jahr Koalition mit der SPD schon hart erarbeitet.
Meine Damen und Herren, was in der politischen De-batte ganz wenig beachtet wird, ist, dass wir noch in derGroßen Koalition 2008/2009 und dann in der Koalitionmit der FDP
eine Entlastung für die Bürger von 25 Milliarden Euro inder vollen Jahreswirkung ab 2011 und für die Kommu-nen von 17 Milliarden Euro vorgenommen haben. Wennman Steuermehreinnahmen und Entlastungen gegen-einander aufrechnet, wenn man sieht, dass wir im Aus-gabenzuwachs fast konstant geblieben sind, dann, Kol-lege Kindler, muss man feststellen: Das ist schon einegroße Leistung von zwei Bundesregierungen; das isteine große Leistung von zwei Koalitionen. Ich will Ih-nen eins sagen: Dieses lassen wir uns von niemandemund von keinem schlechtreden.
Metadaten/Kopzeile:
7458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Eckhardt Rehberg
(C)
(B)
Ich glaube, dieses Jahr wird von dem Thema Bund-Länder-Finanzbeziehungen sehr stark geprägt sein. DerBund hat in den letzten vier Jahren, von 2010 bis 2014,Steuermehreinnahmen in Höhe von etwa 45 MilliardenEuro gehabt. Die Länder haben in fast gleicher HöheSteuermehreinnahmen gehabt. Die Kommunen haben inder Zeit Steuermehreinnahmen von fast 19 MilliardenEuro gehabt. Jetzt muss man angesichts der vielen For-derungen, die von Ländern und Kommunen auch in denletzten Stunden und Tagen an den Bund gerichtet wor-den sind, in dieses Land die Botschaft senden, dass ander positiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichenEntwicklung in den letzten Jahren Länder und Gemein-den in gleicher Art und Weise partizipieren.In der letzten Legislaturperiode und in dieser Legisla-turperiode haben wir, der Bund, je nach Betrachtung, jenach Berechnungsweise an Länder und Kommunen zu-sätzlich zwischen 70 Milliarden und 90 Milliarden Eurofür Aufgaben gegeben, für die wir eigentlich nicht zu-ständig sind. Angesichts dessen können wir jetzt nichtnur die schwarze Null für das vergangene Haushaltsjahrerfolgreich verbuchen, sondern die politischen Rahmen-bedingungen, die wir heute haben, die wir uns schwer er-arbeitet haben. Das steht für mehr als gute Zukunfts-chancen. Ich glaube, Deutschland steht mit Blick aufEuropa sehr gut da.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Petra
Hinz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer hier im Saal, im Ple-num des Deutschen Bundestages, und auch an den Bild-schirmen! Wir haben jetzt von der Opposition den Vor-wurf gehört, wir feierten uns selbst. Ich will gerne zudieser Party gehen; denn das, was wir zu bieten haben,kann sich in der Tat sehen lassen.Lieber Kollege Sven-Christian Kindler, Stichwort„Arbeitsverweigerung“: Das, was wir nach einem Jahrvorzuweisen haben, soll Arbeitsverweigerung sein. Ichwill am Ende meiner Rede schauen, was tatsächlich Ar-beitsverweigerung ist. Unter Arbeitsverweigerung kannman auch verstehen, dass man sich guten Ideen, gutenVorhaben verschließt, weil man in der Opposition ist.Also, wir haben im zurückliegenden Jahr eine ganzeMenge geleistet.Ein anderer Punkt, lieber Tobias Lindner. Sie sagen,wir hätten Kürzungen vorgenommen. Wir haben keineKürzungen vorgenommen.
Ich glaube, wir alle wissen aus Erfahrung – zumindestdie Haushälter müssten das wissen –, dass nicht alle Gel-der, die wir in den Haushalt einstellen, auch abfließen.Wir könnten hier einen Catwalk mit noch mehr Zahlenpräsentieren; unter dem Strich ist es so, dass nur ein Teilder Gelder tatsächlich abfließt und ankommt. Wir könn-ten im Bereich der Städtebauförderung oder im Bereichder Verkehrsinfrastruktur noch mehr Gelder bereitstel-len; aber es gibt eben einen Realisierungsstau. Unterdem Strich könnten diese Gelder doch gar nicht abflie-ßen. Sprich doch einmal mit den Vertretern der Kommu-nen oder der Länder! Die Gelder, die jetzt im Haushaltstehen, entsprechen den Maßnahmen, die in diesem Zeit-raum abgearbeitet werden können.Nun zu Ihnen, lieber Herr Rehberg. Im Haushaltsaus-schuss duzen wir uns ja, aber jetzt einmal förmlich: Lie-ber Herr Rehberg,
Sie sagten, Sie wollten einmal nett sein. Dann möchteich jetzt auch einmal nett sein. – Zu sagen: „Zwischen2005 und 2009 war Peer Steinbrück Finanzminister, undjetzt ist es Herr Schäuble und Frau Merkel“, so funktio-niert es nicht.
Frau Merkel war auch 2005 bis 2009 Kanzlerin.
Was hat Frau Merkel da gemeinsam mit dem Finanz-minister gesagt? Bis 2011 werden wir es schaffen, dasswir keine Neuverschuldung mehr haben. – Es ging um11 Milliarden Euro.
Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Banken-krise dazwischen. – Diese Wahrheit muss man in dieserForm auch einmal sagen.
Das Schmunzeln in den Reihen nehme ich einmal alsstille Bestätigung; denn ich habe recht.
Ich habe noch einmal die Pressemitteilungen der Kol-leginnen und Kollegen der Opposition zum Haushalt2014 herausgesucht und gelesen, was denn da alles ge-schrieben wurde. Sie haben im Rahmen der Medien-berichterstattung gesagt: „Haushaltsentwurf 2014 ist einVerschiebebahnhof“.
Falsch! Sie haben behauptet: „Koalition versenkt Bil-dungsrepublik im Haushaltsloch“.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7459
Petra Hinz
(C)
(B)
Falsch!
Sie haben behauptet, wir würden auf Kosten sozialerLeistungen den Schuldenabbau betreiben.
Falsch!Richtig ist, was ich jetzt sage:
Wir entlasten die Städte und Gemeinden bei den Sozial-ausgaben – darauf ist schon mehrfach hingewiesen wor-den; wir gehen über das Maß dessen hinaus, was wir imRahmen der föderalen Strukturen leisten müssen, weilwir einfach die Notwendigkeit sehen –, so in 2014 umrund 5,5 Milliarden Euro. Richtig ist: Wir werden dieKommunen im Sozialbereich, nur im Bereich der Sozial-leistungen direkt, in der Zeit von 2015 bis 2018 um25 Milliarden Euro entlasten. Richtig ist: Wir investierenin den Ausbau der Kindertagesstätten.
– Herr Kindler, nicht wer am lautesten schreit, hat auchrecht.
– Man versteht Sie so sowieso nicht. Sie müssten sich zuWort melden.
Nur, bei einer Aktuellen Stunde können Sie das leidernicht.Richtig ist: Seit dem 1. Januar 2015 haben die Arbeit-nehmer Anspruch auf einen gesetzlichen Mindestlohn.Ab dem 1. Januar 2017 – also nicht sofort; das will ichder Wahrheit halber hinzufügen – haben sie diesen ge-setzlichen Anspruch flächendeckend. Richtig ist: Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer können bereits mit63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.
Richtig ist auch, dass wir Freiräume für die Familienschaffen, einen besseren Ausgleich zwischen Arbeit undFamilie, auch durch die Familienpflegezeit.Ich möchte noch den Bildungsbereich ansprechen undhier das BAföG. Wir haben eine Erhöhung der Bedarfs-sätze um 7 Prozent vorgenommen sowie eine Anhebungder Wohnkosten- und Sozialpauschalen.
Kollegin Hinz, Sie müssen einen Punkt setzen.
Okay, ich fasse zusammen: Der Höchstsatz für die
Studierenden beträgt jetzt 670 Euro. Das sind insgesamt
monatlich 9,5 Prozent mehr, auf die die Studierenden zu-
rückgreifen können.
Das ist ein Jahr Große Koalition. Das nenne ich gute
Arbeit. Das ist keine Arbeitsverweigerung, meine lieben
Kollegen und Kolleginnen!
Danke schön.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. Reinhard Brandl das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Sie merken schon: Das ist heute eine historischeDebatte. Seit gestern, 10 Uhr, haben wir es schwarz aufweiß: Der Bund hat 2014 keine neuen Schulden mehrgemacht. Wenn das nicht Anlass für eine AktuelleStunde ist, dann weiß ich nicht, was Anlass für eine Ak-tuelle Stunde sein soll.
Das Schreiben des Parlamentarischen StaatssekretärsKampeter, in dem er uns das mitgeteilt hat, habe ich beimir im Büro nicht unter „Drucksachen“ abgeheftet, son-dern
in den Ordner „Dokumente der Zeitgeschichte“.
Meine Damen und Herren, da gehört es auch hin.Natürlich war es eine Überraschung, mit der wir beider Aufstellung des Haushaltes 2014 nicht haben rech-nen können. Aber dass es zu einem besseren Haushalts-abschluss gekommen ist, dürfte bei Wolfgang Schäubleniemanden mehr überraschen.
Metadaten/Kopzeile:
7460 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Dr. Reinhard Brandl
(C)
(B)
Seitdem Wolfgang Schäuble im Amt ist, seit fünf Jahren,war der Abschluss am Ende immer besser als der Plan.Das kann man nicht mehr mit Glück erklären. Das hatSystem. Das ist ein Zeichen von vorsichtiger und soliderHaushaltspolitik.
2014 war es sogar so, dass wir statt der geplanten6,5 Milliarden Euro 0 Euro neue Schulden gemacht ha-ben. Lassen Sie mich auch das erwähnen: Das ist zumletzten Mal unter dem Bundesfinanzminister Franz JosefStrauß im Jahr 1969 gelungen.
Wenn es anders gekommen wäre und wir statt 6,5 Mil-liarden Euro weniger 6,5 Milliarden Euro mehr anSchulden aufgenommen hätten: Ich weiß nicht, was fürein Theater, was für ein Spektakel die Opposition hierveranstaltet hätte.Ja, es gab ein paar glückliche Entwicklungen am Jah-resende. Es gab höhere Steuereinnahmen, es gab die Ent-scheidung des Bundesfinanzhofs zur Kernbrennstoff-steuer, und es gab geringere Zinsausgaben. Aber, meineDamen und Herren, das Entscheidende ist: Selbst wennsich diese Punkte alle nicht so positiv entwickelt hätten,wie sie sich entwickelt haben, dann wären wir immernoch unter den veranschlagten 6,5 Milliarden Euro Neu-verschuldung geblieben, und wir hätten bei weitem im-mer noch die Vorgaben, die uns entsprechend der Schul-denbremse erlaubt gewesen wären, unterschritten. DieBotschaft, die die Große Koalition hier sendet, ist: DiePolitik hält sich an ihre Versprechen.
Meine Damen und Herren, bei der Frage der Neuver-schuldung geht es um mehr als darum, dass wir bei unse-rer Bilanz 2017 hinter dieses Vorhaben unserer Wahlpro-gramme einen grünen Haken setzen können. Da geht esum die Glaubwürdigkeit staatlicher Finanzpolitik insge-samt. Es geht auch darum, ob wir als Gesamtstaat – nichtnur als Bund – in der Lage sind, uns an unsere eigenenHaushaltsregeln zu halten.2009 haben Bundestag und Bundesrat mit großenMehrheiten – es waren jeweils über zwei Drittel – dieEinführung der Schuldenbremse beschlossen. In dasGrundgesetz wurde Artikel 109 Absatz 3 aufgenommen:Die Haushalte von Bund und Ländern sind grund-sätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszuglei-chen.Die Übergangszeit endet für den Bund 2016 und fürdie Länder 2020. Wenn wir hier als Bund wackeln unduns in irgendeiner Form um die Vorgaben der Schulden-bremse herumdrücken würden, dann fänden die Bundes-länder sofort Gründe, warum auch sie sich nicht an dieVorgaben der Schuldenbremse halten müssten. Damitwäre eines der großen Versprechen der Nachkriegsge-schichte mit Verfassungsrang gebrochen.Dieser Bruch hätte eine fatale Wirkung auf die Glaub-würdigkeit deutscher Politik im In- und Ausland, unddas in einer Phase, in der Europa immer noch um Ver-trauen in die Tragfähigkeit seiner öffentlichen Schuldenkämpft. Insofern hat die Null nicht nur einen fiskali-schen Effekt, sondern auch eine psychologische Wir-kung. Diese psychologische Wirkung wird durch daszweite Signal, das wir in diesen Wochen ausgesandt ha-ben, verstärkt, nämlich dass wir ab 2016 ein Investitions-paket in Höhe von 10 Milliarden Euro auf den Weg brin-gen.Meine Damen und Herren, das ist solide Haushalts-politik. Das ist ein Markenzeichen der Großen Koalition,das Markenzeichen von Wolfgang Schäuble.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün-sche uns noch einen schönen Nachmittag.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Radomski von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In einem Parlament ist es seit jeher üblich,dass sich die Mehrheit positiv zu den Regierungserfol-gen äußert und die Opposition versucht, an diesen etwasauszusetzen.
Aber kommen wir an einem Tag wie dem heutigen docheinmal aus den parteipolitischen Gräben heraus, undnehmen wir die historische Tatsache wahr, dass die Bun-desrepublik bereits im vergangenen Jahr einen ausgegli-chenen Haushalt hatte! Deshalb ist heute ein Tag derFreude.
Bevor Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von derOpposition, nun doch mit dem Kritisieren weiterma-chen: Freuen Sie sich doch mit uns! Freuen Sie sich,dass die Bundesregierung keine neuen Schulden mit ausIhrer Sicht falschen Projekten macht! Aus unserer Sichtinvestieren wir in die richtigen Projekte, nur eben – imGegensatz zu vielen linken Ideen – ohne dafür zu tief indie Taschen zu greifen. Zukunftspolitik statt Verteilungs-politik, Ansporn statt Gleichmacherei! Dass unsere Poli-tik zum Aufschwung führt, zeigen die Steuereinnahmen,die den ausgeglichenen Haushalt maßgeblich möglichmachen, verbunden mit dem Augenmaß bei den Ausga-ben.Bei einer früheren Haushaltsdebatte hat eine Kolleginvon den Linken Deutschland als „Sanierungsfall“ be-zeichnet. Die solide Finanzlage mit ihren Steuereinnah-men zeigt nun jedoch das Gegenteil. Wenn wir uns überden Bundeshaushalt 2014 und auch den Haushalt 2015
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7461
Kerstin Radomski
(C)
(B)
außerhalb der üblichen Grabenkämpfe unterhalten, dannsollten wir alle berücksichtigen, dass wir doch alle einesgemeinsam haben: Wir alle haben Kinder, Neffen, Nich-ten oder Nachbarskinder. Wenn ich meinen beiden Töch-tern sagen kann, dass in unserem Land die Politiker da-für sorgen, dass nicht mehr Geld ausgegeben alseingenommen wird, dann tue ich das mit Stolz,
weil das Erreichen der schwarzen Null gelebte Nachhal-tigkeit ist, die wir der folgenden Generation vermittelnwollen. Das beginnt mit dem Ressourcenschutz im tägli-chen Leben und endet mit dem Vermeiden unnötigerSchulden. Wie sonst sollen wir den Kindern den verant-wortungsvollen Umgang mit eigenem Geld beibringen,wenn nicht wir als Vorbild dienen?Als langjährige Lehrerin freut es mich umso mehr,dass wir trotz der schwarzen Null an den richtigen Stel-len Geld ausgeben und in die Zukunft investieren, vor al-len Dingen in Bildung und Forschung sowie in die Infra-struktur.
Ebenso wie sich unser Land keine Löcher im Haushalterlauben kann, können wir auch keine Löcher in Bil-dungsbiografien verantworten. Deshalb haben wir imJahr 2014 erneut knapp 14 Milliarden Euro für Bildungund Forschung ausgegeben. Wenn wir auf die vergange-nen zehn Jahre blicken, so haben sich die Ausgaben da-für sogar mehr als verdoppelt, und in diesen zehn Jahren,meine Damen und Herren, wurde die Bundesregierungvon Angela Merkel geführt.
Deshalb ist es nicht vermessen, wenn ich an dieser Stellebetone, dass wir heute ernten, was in diesen Jahren gesätwurde.Lieber Herr Kindler von den Grünen, im vergangenenNovember haben Sie an genau diesem Platz, an dem ichheute stehe, gesagt:Wer die Felder nicht bestellt, der kann nachher auchnicht ernten.Wir haben die Felder bestellt und den ausgeglichenenHaushalt verabschiedet, und nun ernten wir gemeinsamdie Früchte.
Viele, auch in diesem Haus, haben währenddessendas Ziel des ausgeglichenen Haushaltes nicht erkanntoder daran gezweifelt. Doch die unionsgeführten Bun-desregierungen mit ihren unterschiedlichen Koalitions-partnern haben nicht nur die Weichen für den heutigenErfolg gestellt, sondern vor allem eines getan: Wir habenWort gehalten. Die Herausforderung für die kommendenJahre ist, die Nullverschuldung im Haushalt beizubehal-ten und gleichzeitig die Investitionen zu tätigen, die einverantwortungsvolles Voranschreiten in unserem Landermöglichen. Deshalb haben uns die Menschen gewählt,und das bleibt auch in Zukunft unser Ziel.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,auch viele von Ihnen sind Haushaltspolitiker. Uns Haus-hältern liegen solide Finanzen besonders am Herzen.Geben Sie sich deshalb einen Ruck! Freuen Sie sichnicht nur innerlich über den ausgeglichenen Haushalt,sondern geben Sie Ihrer Freude Ausdruck!
Wir freuen uns hier heute gemeinsam über keine neuenSchulden für unser Land und für unsere Kinder.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die
CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Leutert, HerrBartsch, Sie haben Zweifel daran geäußert, dass manAktuelle Stunden zu Themen durchführen kann, bei de-nen es richtig gut läuft.
Sie haben viele Probleme adressiert, die wir haben. Wasist das aber für ein Politikverständnis, dass man sichnicht freuen kann, auch wenn es noch irgendein Problemauf der Welt gibt? – Wir haben ein anderes Politikver-ständnis. Wir gehen die Probleme an, wenn die Zeit da-für ist. Manchmal ist aber auch die Zeit, zu feiern, undheute ist die Zeit, zu feiern.
Gestern hat ein Journalist die Sache so kommentiert:Ein Tag der Genugtuung für die CDU/CSU, ein Tag derGenugtuung für die Union. – Mir gefällt das nicht soganz. Erstens mag ich das Wort „Genugtuung“ nicht.Zweitens ist es zwar ein Tag der Freude, aber ein Tag derFreude für viele. Heute haben hier viele ihre Freude ge-äußert. Ich bekomme übrigens auch Zuspruch aus demWahlkreis durch Anrufe und Mails. Es ist also nicht so,dass wir uns hier im Deutschen Bundestag alleinefreuen. Die Menschen im Land finden das richtig klasseund wissen das wertzuschätzen.
Meine Damen und Herren, wir freuen uns umso mehr,als wir wissen, wo wir vor fünf Jahren gestanden haben.Ich kritisiere gar nicht, dass Peer Steinbrück einen Haus-halt mit einer Nettoneuverschuldung von 80 MilliardenEuro vorgelegt hat, den wir mitgetragen haben. Aber wer
Metadaten/Kopzeile:
7462 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015
Ralph Brinkhaus
(C)
(B)
hätte damals gedacht, dass wir vier Haushaltsjahre späterbei der Null sind? Das ist klasse. Wer hätte gedacht, dasswir das ohne Steuererhöhungen, ohne neue Steuernschaffen? Ich muss an dieser Stelle einmal ganz dezentanmerken: Alle hier im Bundestag vertretenen Parteiensind mit Konzepten in den Wahlkampf gezogen, wie derHaushalt ausgeglichen werden kann; es gab nur zweiParteien, die gesagt haben, dass es ohne Steuererhöhun-gen geht, und das waren wir von CDU und CSU.
Wir haben gesagt, dass es ohne Steuererhöhungen geht,und haben das auch durchgezogen. Wir haben recht be-halten, meine Damen und Herren. Wir freuen uns auchdeswegen – das ist mehrfach angesprochen worden –,weil die schwarze Null von den Menschen in diesemLand ehrlich erwirtschaftet worden ist, mit ihrem Fleißund ihrer erfolgreichen Arbeit. Das ist klasse.Wir haben – das hat die Kollegin Hinz eben erwähnt –aber nicht nur auf uns geachtet, sondern auch die Kom-munen und die Länder entlastet. Wir haben auch an an-dere gedacht. Der Kollege Kampeter, dem das Grinsenimmer noch im Gesicht steht – ich habe ihn selten sofröhlich erlebt wie heute –, hat das eben auch angespro-chen.Es ist ein Tag der Freude; wir alle können uns freuen.Die Menschen im Land freuen sich, bis auf einige we-nige Ausnahmen, die hier im Deutschen Bundestag sit-zen, und zwar in der Mitte bei den Grünen und links beider Linken.
Das wundert mich aber gar nicht. Ich habe einmal dieBerichte zur Verabschiedung des Haushaltes 2014 he-rausgeholt. Herr Kindler, was haben Sie da auf den Putzgehauen:
„desaströs“, „Las Vegas“, „Trickserei“! Der KollegeBartsch hat Sie an der einen oder anderen Stelle nochüberboten.
Haben Sie doch jetzt einfach die Größe, zu sagen: Un-sere Prognose war falsch; wir haben uns geirrt. Es isteine tolle Leistung der Koalition, dass sie das hinge-kriegt hat.
Nein, meine Damen und Herren von den Grünen undvon der Linken, diese Größe fehlt Ihnen leider, und dasist sehr schade.
Sie haben hier von Arbeitsverweigerung gesprochen,Herr Kindler. Ich schätze Sie sehr; aber Arbeitsverwei-gerung ist, wenn man zwei Jahre lang immer die gleicheRede mit den gleichen Argumenten hält und diese Argu-mente nicht richtiger werden.
Meine Damen und Herren, Sie behaupten, wir inves-tierten zu wenig. Fakt ist: Wolfgang Schäuble hat10 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen ange-kündigt.
Fakt ist: Jean-Claude Juncker hat 300 Milliarden Eurofür zusätzliche Investitionen angekündigt. Fakt ist: Wirhaben mehr für Bildung und Forschung ausgegeben.Fakt ist: Wir haben mehr für Kommunen ausgegeben. –Wir haben das alles in diesem Haushalt hingekriegt. IhreBehauptung ist also schlichtweg falsch.Sie sagen, wir plünderten die Sozialversicherungen.
Das ist doch Blödsinn. Wir stecken dieses Jahr 80 Mil-liarden Euro in die Rentenkasse und 10 Milliarden Euroin die Gesundheitssysteme. Wir von der Großen Koali-tion waren es, die die Pflegeversicherung ehrlich ge-macht haben, im Übrigen auch durch Beitragserhöhun-gen. Das war nicht populär, aber wir haben es trotzdemgemacht.
Man sieht: Wir plündern die Sozialkassen eben nicht.Wir können sehr gerne über die Zukunft der Sozial-kassen reden. Wir müssen darüber reden, wie wir sienachhaltig gestalten können. Das muss man aber auf se-riöse Art und Weise machen, Herr Kindler, und nicht so,wie Sie das heute hier gemacht haben.
Nun zu einem Punkt, der uns immer wieder vorgehal-ten wird: Wir haben Glück, weil wir sehr hohe Steuer-einnahmen haben und weil die Zinsen niedrig sind. Ja,das stimmt. Aber das gilt auch für einige Bundesländer.Herr Lindner, Glück hat auch die Regierung in Rhein-land-Pfalz. Sie hat ebenfalls hohe Steuereinnahmen undprofitiert von den niedrigen Zinsen. Die Grünen regierendort in einer Koalition mit der SPD. Sie sind einer der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2015 7463
Ralph Brinkhaus
(C)
führenden Politiker aus Rheinland-Pfalz. Sagen Sie unsdoch einmal, wie der Landeshaushalt in Rheinland-Pfalzaussieht!
Solange Herr Kahrs hier sitzt, darf ich nicht über denLandeshaushalt in Nordrhein-Westfalen reden,
weil er sonst wie ein HB-Männchen in die Luft geht.Aber weil ich der letzte Redner bin, muss er ertragen,dass ich sage: Auch in Nordrhein-Westfalen klappt esnicht, trotz niedriger Zinsen und hoher Steuereinnah-men,
und in Baden-Württemberg erst recht nicht.Die schwarze Null ist kein Zufall, sondern das Ergeb-nis guter Arbeit. Ich gestehe Ihnen von der Oppositionzu, dass Sie diese Arbeit nicht zu schätzen wissen. Ihnenvon der SPD gestehe ich zu, dass wir das gemeinsam ge-macht haben. Aber gestehen Sie uns auch bitte zu, dasswir zusammen mit der FDP vier Jahre lang gut vorgear-beitet haben; insofern kann die sich auch freuen.
Alle freuen sich also, nur die Grünen und die Linkennicht.Einen schönen Abend noch.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 15. Januar 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen bis
dahin alles Gute.