Protokoll:
18066

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 66

  • date_rangeDatum: 13. November 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:04 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/66 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 66. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 I n h a l t : Begrüßung des neuen Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6115 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6115 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 12 . . . . 6115 D Tagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte: Sterbebegleitung . . . . . 6116 A Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6116 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6117 D Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6118 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6119 D Peter Hintze (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 6121 A Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6121 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6122 D Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6123 D Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 6124 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6125 C Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6126 D Hermann Gröhe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6127 C Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . 6128 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6129 B Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6130 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6131 B Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6132 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 6133 B Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6134 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6135 D Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 6136 C Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6137 C Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6138 B Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6139 B Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6140 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6141 B Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6142 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6143 B Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6144 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6145 A René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6146 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6147 A Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . 6148 A Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 6149 C Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6150 C Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6151 B Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6152 C Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6153 B Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6153 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6154 D Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . 6155 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6156 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6157 C Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6158 D Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6159 C Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6160 D Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6162 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6162 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6163 B Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6164 C Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . 6165 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . 6166 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6167 A Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6168 A Gisela Manderla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6168 D Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6169 C Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6170 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6170 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6171 C Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6172 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . 6173 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . 6173 C Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6175 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fünf-Punkte-Programm zur Be- kämpfung und Vermeidung von Langzeit- erwerbslosigkeit Drucksache 18/3146 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6176 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6176 D Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6178 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6180 A Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6181 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6181 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6183 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 6184 A Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6185 A Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . 6186 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6186 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 6187 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 6188 B Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6189 B Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6190 C Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Mietrechts- novellierungsgesetz – MietNovG) Drucksache 18/3121 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6191 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mieterhöhungs- stopp jetzt Drucksachen 18/505, 18/3203 . . . . . . . . . 6191 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6191 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 6193 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6194 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 6195 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6197 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6198 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 6199 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6201 B Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . 6202 B Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6203 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6204 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6205 B Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen des Europa- rats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch Drucksache 18/3122 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6206 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 III b) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Sven-Christian Kindler, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Er- haltung der Schienenwege jetzt neu ver- handeln Drucksache 18/3153 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6206 D Tagesordnungspunkt 27: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Hubertus Heil (Peine), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Strategische Ziele für die Raumfahrt in dieser Legislatur- periode absichern Drucksachen 18/3040, 18/3195 . . . . . . . . . 6206 D c) Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu Ein- sprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 8. Europäischen Parlament am 25. Mai 2014 Drucksache 18/3100 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6207 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 4/14 Drucksache 18/3189 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6207 B e)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 108, 109, 110, 111, 112, 113 und 114 zu Petitionen Drucksachen 18/3057, 18/3058, 18/3059, 18/3060, 18/3061, 18/3062, 18/3063. . . . . 6207 B Tagesordnungspunkt 6: Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der Stiftung „Deutsches Historisches Mu- seum“ Drucksache 18/3148 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6208 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterschied- liche Auffassungen in der Bundesregierung zur Abschaltung von Kohlekraftwerken und zum Erreichen der Klimaziele . . . . . . . 6208 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6208 B Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6209 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 6210 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 6211 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6213 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6214 B Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6215 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6216 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6218 D Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6220 A Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6221 A Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . 6221 D Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 91b) Drucksachen 18/2710, 18/3141. . . . . . . . . 6222 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kooperationsverbot abschaffen – Ge- meinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Katja Dörner, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kooperationsverbot kippen – Zu- sammenarbeit von Bund und Län- dern für bessere Bildung und Wis- senschaft ermöglichen Drucksachen 18/588, 18/2747, 18/3141 . . 6222 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6223 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 6225 B Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 6226 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6227 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6229 B Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 6231 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 Namentliche Abstimmungen 6232 C, 6232 C, 6237 B Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . 6232 D, 6235 A, 6241 C Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Von Anfang an beteiligen – Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche im demografi- schen Wandel stärken Drucksache 18/3151 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6238 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6238 B Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6239 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 6243 B Svenja Stadler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6244 D Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6245 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6247 D Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6248 C Tagesordnungspunkt 13: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Fünfundzwanzigsten Ge- setzes zur Änderung des Bundesaus- bildungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) Drucksachen 18/2663, 18/3142 . . . . . . 6249 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3143 . . . . . . . . . . . . . . 6249 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofort besser fördern – BAföG-Reform überarbeiten und vor- ziehen Drucksachen 18/2745, 18/3142 . . . . . . . . 6249 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: BAföG-Reform zügig umsetzen Drucksachen 18/479, 18/715 . . . . . . . . . . 6249 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6250 S Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6252 B Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6253 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6255 B Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6256 B Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6258 B Namentliche Abstimmungen 6259 B, 6259 B, 6259 C, 6259 C, 6270 A Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . 6260 C, 6262 B, 6265 A, 6267 B, 6282 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Klaus Ernst, Jan van Aken, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Einstieg in den Ausstieg – Sanktionen gegen Russ- land aufheben Drucksache 18/3147 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6270 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6270 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6271 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6272 C Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6273 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . 6275 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6276 A Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6277 A Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6278 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6279 B Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6280 C Tagesordnungspunkt 9: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen ge- führten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolu- tion 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2155 (2014) vom 27. Mai 2014 Drucksachen 18/3005, 18/3191. . . . . . . . . 6284 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 V – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3192 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6284 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6284 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6286 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6287 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6288 A Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6289 D Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 6290 D Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6292 C Tagesordnungspunkt 27: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nationales Reformprogramm 2014 nut- zen – Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitio- nen stärken Drucksachen 18/978, 18/1675 . . . . . . . . . 6290 D Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutio- nen, zuletzt 2173 (2014) vom 27. August 2014 Drucksachen 18/3006, 18/3193 . . . . . . . . . 6291 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3194 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6291 B Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6291 B Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6294 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6295 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6296 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6297 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 6298 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6300 A Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Für eine transparente Haushaltskontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten Drucksachen 18/2872, 18/3085 . . . . . . . . . . . 6298 B Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenar- beit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Katrin Albsteiger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), Heinz- Joachim Barchmann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Gute Ar- beit weltweit – Verantwortung für Pro- duktion und Handel global gerecht werden Drucksachen 18/2739, 18/3133 . . . . . . . . 6298 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenar- beit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Sozial-ökologischen Rah- men für die Aktivitäten transnationaler Unternehmen schaffen und durchsetzen Drucksachen 18/2746, 18/3134 . . . . . . . . 6298 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Kordula Schulz-Asche, Harald Ebner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Einsatz in der Tier- haltung auf vernünftiges Maß reduzieren Drucksache 18/3152 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6299 A Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Be- schluss des Rates über einen Dreigliedrigen VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 Sozialgipfel für Wachstum und Beschäfti- gung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG Drucksachen 18/2953, 18/3190 . . . . . . . . . . . 6299 B Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechts- stellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern Drucksache 18/3144 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6299 C Tagesordnungspunkt 19: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) Drucksachen 18/2654, 18/3198 . . . . . . . . . . . 6299 D Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutz- anordnung, zur Durchführung der Verord- nung (EU) Nr. 606/2013 über die gegensei- tige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Ge- setzes über das Verfahren in Familiensa- chen und in den Angelegenheiten der frei- willigen Gerichtsbarkeit Drucksachen 18/2955, 18/3200 . . . . . . . . . . . 6302 B Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6302 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6303 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Für eine transparente Haushaltskontrolle nach- richtendienstlicher Tätigkeiten (Tagesordnungs- punkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6303 C Johannes Kahrs (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . 6303 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6304 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6305 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte: – Gute Arbeit weltweit – Verantwortung für Produktion und Handel global gerecht werden – Sozial-ökologischen Rahmen für die Akti- vitäten transnationaler Unternehmen schaf- fen und durchsetzen (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 6306 A Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6306 A Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6307 C Niema Movassat (DIE LINKE). . . . . . . . . . . 6309 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6310 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wirksamkeit von Antibiotika er- halten – Einsatz in der Tierhaltung auf ver- nünftiges Maß reduzieren (Tagesordnungs- punkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6311 C Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6311 C Dieter Stier (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . . . 6312 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . 6313 C Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . 6315 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6315 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Be- schlusses 2003/174/EG (Tagesordnungs- punkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6316 C Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6316 D Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU). . 6317 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . 6318 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6319 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 6319 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und ge- duldeten Ausländern (Tagesordnungspunkt 18). 6320 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 VII Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6320 C Rüdiger Veit (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6321 D Ulla Jelpke (DIE LINKE). . . . . . . . . . . . . . . 6322 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6323 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6324 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäi- schen Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revi- diert) (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . 6325 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . 6325 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . 6326 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6326 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6327 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäi- sche Schutzanordnung, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die ge- genseitige Anerkennung von Schutzmaßnah- men in Zivilsachen und zur Änderung des Ge- setzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 20) . . . 6328 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . 6328 B Dennis Rohde (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6329 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE). . . . . . . . . . . 6330 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6330 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Nationales Reformprogramm 2014 nutzen – Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen stärken (Ta- gesordnungspunkt 27 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6331 B Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6331 B Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6332 D Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6334 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6335 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6115 (A) (C) (D)(B) 66. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6303 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 13.11.2014 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.11.2014 Behrens, Herbert DIE LINKE 13.11.2014 Bülow, Marco SPD 13.11.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 13.11.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 13.11.2014 Helfrich, Mark CDU/CSU 13.11.2014 Henn, Heidtrud SPD 13.11.2014 Kömpel, Birgit SPD 13.11.2014 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 13.11.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 13.11.2014 Dr. Nick, Andreas CDU/CSU 13.11.2014 Pau, Petra DIE LINKE 13.11.2014 Post (Minden), Achim SPD 13.11.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 13.11.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 13.11.2014 Strässer, Christoph SPD 13.11.2014 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 13.11.2014 Tack, Kerstin SPD 13.11.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.11.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 13.11.2014 Wöllert, Birgit DIE LINKE 13.11.2014 Zypries, Brigitte SPD 13.11.2014 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Für eine transparente Haushalts- kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten (Tagesordnungspunkt 14) Johannes Kahrs (SPD): Wir diskutieren heute ei- nen Antrag der Fraktion Die Linke, der mehr Transpa- renz bei den Haushalten der Nachrichtendienste fordert. Das klingt zwar erst mal nach einem vernünftigen Vor- schlag – Transparenz ist ja immer etwas Schönes und steht insbesondere einem Parlament stets gut zu Gesicht. Nun gibt es aber auch von dieser Regel Ausnahmen – und dazu zählen die Nachrichtendienste. Über diese we- nigen Ausnahmen herrschte in den vergangenen Jahr- zehnten der Bundesrepublik stets ein weitestgehender Konsens im Parlament, der sich darin begründet, dass ein gewisser Grad der Geheimhaltung nötig ist, damit die Nachrichtendienste effektiv arbeiten können. Auch darüber, dass die Arbeit der Nachrichtendienste eben jene Effektivität benötigt, gab es in der Vergangenheit ei- nen breiten Konsens in unserem Land. Diesen Konsens gab es nicht ohne Grund – und dieser Grund ist nicht, wie Sie hier suggerieren, dass dem Par- lament daran gelegen wäre, Intransparenz zu schaffen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung in- frage zu stellen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen effektiv arbeitende Nachrichtendienste, um uns vor inne- ren und äußeren Feinden zu schützen, die unserer frei- heitlich-demokratischen Grundordnung schaden wollen. Denn ohne diesen Schutz und ohne innere und äußere Si- cherheit sind Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und alles, was uns an dieser Republik lieb und teuer ist, in Gefahr. Das ist auch ein ganz elementarer Teil der Leh- ren, die wir aus unserer Geschichte gezogen haben: Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie. Es geht hier also um mehr als um die durchsichtig populistische Forderung nach mehr Transparenz. Der Antrag der Linken stellt einen langjährigen Konsens in- frage, wenn dort zu lesen ist, dass „... die Haushalte der Nachrichtendienste ab dem Haushalt 2015 entsprechend den Haushalten der anderen Sicherheitsbehörden öffent- lich“ dargestellt werden sollen. Denn natürlich beinhal- ten die Haushalte der Nachrichtendienste sicherheits- politisch sensible Informationen, aus denen auch potenzielle Feinde für sie wertvolle Informationen ge- winnen könnten und die somit eine effektive Arbeit der Dienste erschweren. Das liegt nun mal im Wesen der Nachrichtendienste. Ich kann verstehen, dass die Linke, die wegen ihrer programmatischen Inhalte und Aussagen einzelner Mit- glieder lange Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, einen skeptischen Blick auf die Nachrichten- dienste hat. Ich will natürlich auch gern zugestehen, dass es bei dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit stets Anlagen 6304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) einen Ermessenspielraum und subjektive Meinungen gibt. Und selbstverständlich brauchen die Nachrichten- dienste gesetzliche Grenzen und Kontrollen. Deshalb gibt es nicht nur ein Vertrauensgremium, sondern auch ein Parlamentarisches Kontrollgremium und das Mittel des Untersuchungsausschusses. Wie in allen Bereichen, in denen Menschen arbeiten, verhindert dies natürlich nicht, dass zuweilen Einzelne gegen Gesetze verstoßen, aber das Parlament hat die Möglichkeit, dies zu erken- nen und ein solches Verhalten zu sanktionieren. Ein Fehlverhalten Einzelner stellt meiner Meinung nach auch nicht die Verdienste unserer Nachrichtendienste für die Sicherheit oder deren Loyalität zur Demokratie in- frage. Mir ist wichtig, dass der Umgang des Parlaments mit den Nachrichtendiensten in Hinblick auf die nötige Transparenz und die nötige Geheimhaltung stets verant- wortungsvoll geschieht, denn wir als Abgeordnete sind letztendlich nicht nur unserer freiheitlichen Demokratie, sondern auch deren Sicherheit verpflichtet. Dass diese Sicherheit nicht selbstverständlich ist, machen uns die vielen aktuellen Krisen in der Welt wieder einmal deut- lich bewusst. Dieser Linie bleibt die Große Koalition selbstverständlich treu, auch wenn die Fraktion der Lin- ken einen anderen Eindruck zu vermitteln versucht. Zu guter Letzt sei mir noch einmal ein Verweis auf die Geschichte erlaubt – diesmal auf die 150-jährige Ge- schichte der SPD. Dieser lange Zeitraum hat gezeigt, dass sich die SPD bezüglich unserer freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung nicht belehren lassen muss – schon gar nicht von Abgeordneten der Linken, die das gleiche über die eigene Geschichte wohl kaum behaup- ten können. In der DDR hätte sich jeder mit einem sol- chen Antrag, wie Sie ihn hier vorlegen, ganz sicher vor Beamten der Stasi wiedergefunden. Zum Glück ist das heute nicht mehr so. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Geheim arbeitende Dienste, die einer Regierung unterstehen, sind ganz of- fenkundig das Gegenteil von Transparenz. Transparenz politischer Entscheidungen und eine wirksame parla- mentarische Kontrolle sind jedoch wiederum Grundfes- ten demokratischer Staaten. Der vorliegende Antrag der Linken beinhaltet daher im Kern zwei Punkte: Zum einen wollen wir einen Bun- destagsbeschluss herbeiführen, dass die pauschale Mög- lichkeit der Flexibilisierung der Haushaltsmittel – anders als von der Koalition offenbar beabsichtigt – für die Etats der Nachrichtendienste nicht zur Anwendung kommt. Und zweitens sind wir der Ansicht, dass die Haushalte der Ge- heimdienste nicht länger hinter den verschlossenen Türen des sogenannten Vertrauensgremiums verhandelt werden sollen, sondern wie die Etats der anderen Sicherheitsbe- hörden öffentlich in den Parlamentsausschüssen, und mit der entscheidenden Abstimmung letztlich auch hier im Plenum des Bundestages beschlossen werden müssen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie pro- blematisch das Agieren der Geheimdienste ist, dann ha- ben ihn die jüngsten Presseveröffentlichungen über den angeblich oder tatsächlich geplanten millionenschweren Ankauf von Software-Sicherheitslücken durch den BND auf dem Schwarzmarkt geliefert. Was da beabsichtigt wird, ist politisch völlig indisku- tabel und auch rechtlich höchst fragwürdig. Ich könnte dazu jetzt noch sehr viel mehr sagen, will aber ange- sichts der leider eng begrenzten Redezeit nur eine kurze Passage eines Kommentars von Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung zitieren. Er sagt zu den Plänen des BND: „Das ist keine gute Idee. Die Frage nach der Relation von Kosten, Nutzen und Schaden drängt sich auf. Wer sich in solchen Märkten tummelt, treibt die Preise hoch. Davon können Online-Kriminelle profitie- ren und mehr Schwachstellen zum Verkauf erzeugen. Die Dienste müssen Bürger und Wirtschaft vor Schaden bewahren. Sie sollen Sicherheitslücken transparent ma- chen und keine neuen schaffen.“ Genau diese Position vertreten auch wir. Und genau deshalb haben wir auch ein Problem mit der beabsichtigten Flexibilisierung der Haushaltsmittel, die nach dem Willen der Bunderegierung mit dem Wirt- schaftsplanentwurf für 2015 erstmals auch für die Ge- heimdienste zur Anwendung kommen soll. Die Einräumung weitestgehender Deckungsmöglich- keiten leistet einen wesentlichen Beitrag zur vereinfach- ten Mittelverschiebung und Verschleierung von über- planmäßigen Ausgaben bei flexibilisierten Titeln – auf diese Weise wird der praktische Haushaltsvollzug deut- lich erleichtert und die Regierung in die aus ihrer Sicht komfortable Lage versetzt, ihre Ausgaben schnell und unbürokratisch an ihre eigenen Entscheidungsprozesse anzupassen. Bezogen auf die Nachrichtendienste wollen wir als Linke das ganz ausdrücklich nicht. Wegen der Geheimhaltungsbestimmungen muss ich ja immer ein wenig vorsichtig sein und will deshalb nur ganz allgemein formulieren: Es kann doch nicht sein, dass Gelder, die eigentlich für die Bezahlung von Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern der Dienste vorgesehen sind, aufgrund unbesetzter Stellen plötzlich womöglich zur Erhöhung der Prämien für die dubiosen V-Leute ein- gesetzt werden oder ungeplant frei zur Verfügung ste- hende Mittel für die Verbesserung der Spionageabwehr gegen die Ausspähung deutscher Bürgerinnen und Bür- ger, zum Beispiel durch die NSA, unter Umgehung des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrau- ensgremiums vielleicht für den Kauf neuer Überwa- chungstechniken eingesetzt werden, die im Zweifel auch gegen die eigene Bevölkerung zur Anwendung kommen könnten. Die Lockerung des Grundsatzes der sachlichen Bin- dung von Haushaltsmitteln, wodurch die Voraussetzun- gen geschaffen werden, im Haushaltsvollzug eigene Schwerpunkte zu setzen, eigenmächtig Ressourcen zu verlagern und Ausgaben in priorisierten Bereichen zu verstärken, ist gerade im Bereich der Nachrichtendienste mehr als problematisch und sollte deshalb unterbleiben. Sieht man diese gravierenden Änderungen und die daraus resultierenden Einbußen hinsichtlich der parla- mentarischen Kontroll- und Steuerungsfunktion vor dem Hintergrund der politisch-gesellschaftlichen Erschütte- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6305 (A) (C) (D)(B) rungen der letzten zwei bis drei Jahre – Stichworte NSU/ V-Männer, NSA, Datenlecks in allen kommerziellen Be- reichen – und nimmt dazu die von der Regierung ange- kündigten und zum Teil sogar bereits umgesetzten Groß- projekte und Maßnahmen wie die Strategische Initiative Technik mit einem finanziellen Volumen von 300 Mil- lionen Euro, das IT-Sicherheitsgesetz, die faktische Aus- trocknung des aus dem BMI herausgenommenen BfDI und die organisatorischen Änderungen in den Behörden – Stichwort: Aufbau EFI –, zeichnet sich eine ziemlich bedrohliche Schwerpunktsetzung ab. Obwohl – wie wir erst heute wieder im NSA-Untersu- chungsausschuss feststellen mussten – massiver Rechts- bruch des BND mittlerweile offenkundig ist und wir le- diglich noch nicht genug über sein tatsächliches Ausmaß wissen, verfolgt die Bundesregierung konsequent nur ein Konzept, nämlich das der Ausweitung der Aktivitäten deutscher Nachrichtendienste im In- und Ausland. Die Anwendung des Instruments der Flexibilisierung auf die Haushalte der Geheimdienste erhöht die Gefahr des unkontrollierten und immer unübersichtlicheren Mit- teleinsatzes durch diese. Dem wollen wir entgegentreten und bitten um Zu- stimmung zu unserem Antrag. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Frage, auch wir finden die derzeitige Haushaltskontrolle unserer Nachrichtendienste sehr unbefriedigend. Daher danke ich den Kolleginnen und Kollegen von den Lin- ken, dass sie mit ihrem Antrag dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt haben. Im Bereich der Nachrichtendienste müssen der Grund- rechtsschutz und die Sicherheit in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Aufgrund der Gesetzgebungs- und Kontrollkompetenz des Bundestages über die Nachrich- tendienste ist eine enge Kooperation der parlamentari- schen Kontrollorgane dringend erforderlich. Ich sehe hier noch Nachholbedarf. Und ich wundere mich, warum wir nicht bei besonderen Projekten als Parlamentarisches Kontrollgremium und Vertrauensgremium auch mal zu- sammen tagen. Denn die Kontrolle der Nachrichten- dienste ist bei weitem nicht trivial, daher sollte es oberste Priorität der parlamentarischen Kontrollorgane sein, in diesem Themenbereich zu einer ausgewogenen Ent- scheidungsgrundlage zu kommen. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die Snowden-Enthüllungen gibt es bei der Bevölkerung und in der öffentlichen Wahrnehmung Zweifel, wie gut wir überhaupt mit unse- rer Kontrolle sind. Das hat auch damit zu tun, dass die technischen Weiterentwicklungen das Verhältnis zwi- schen Grundrechtschutz und der Tätigkeit der Nachrich- tendienste komplizierter machen und zudem mit einer hohen zeitlichen Dynamik versehen. Darüber hinaus sind auch die Erkenntnisse aus dem NSU-Untersuchungsaus- schuss und die Erfahrungen aus dem laufenden NSA- Ausschuss eine Aufforderung an uns Parlamentarier, unsere Kontrollfähigkeiten bestmöglich weiterzuentwi- ckeln und anzupassen. Angesichts der steigenden fachlichen und technologi- schen Komplexität dieses Bereiches ist dies nicht immer leicht. Ein Beispiel bietet die aktuelle Berichterstattung über einen möglichen digitalen Fähigkeitsausbau der Nachrichtendienste. In einer solchen Diskussion sind die parlamentarischen Kontrollgremien aufgefordert, nicht nur sicherheitspolitische und haushälterische Argumente abzuwägen, sondern immer auch sofort an den Daten- schutz der Bevölkerung zu denken. Deswegen sind wir davon überzeugt und hielten für richtig, die Bundesbe- auftragte für den Datenschutz um ein Gutachten zu bit- ten, wenn der Fähigkeitsausbau der Nachrichtendienste erörtert wird. Diese Möglichkeit steht uns nach dem Bundesdatenschutzgesetz zu: Laut § 26 Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes kann der Deutsche Bundes- tag die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ersuchen, ein Gutachten zu erstellen oder Berichte zu erstatten. Dies ist eine wichtige Mög- lichkeit, die Wahrnehmung unserer Kontrollaufgaben zu optimieren, die wir gerade jetzt auch nutzen sollten. An dieser Stelle sei mir ein kleiner Exkurs erlaubt, da zeitgleich zu dieser Debatte der Haushaltsausschuss in seiner Bereinigungssitzung tagt. Der Datenschutz hat in den letzten Jahren aufgrund neuer technischer Möglich- keiten sehr stark an Bedeutung gewonnen. Die Ausstat- tung der Landes- und Bundesdienststellen für Daten- schutz wird dieser Bedeutung noch nicht gerecht. Ein angemessener Datenschutz braucht auch die entspre- chende Personalstärke und Sachmittelfinanzierung. Wir Grüne haben daher beantragt, in den Haushalt 2015 2 Millionen Euro mehr Mittel für den Datenschutz ein- zustellen. Die Haushaltskontrolle von Nachrichtendiensten liegt auf dem sehr schmalen Pfad des aus Sicherheitsgründen gebotenen Schutzes nachrichtendienstlicher Tätigkeiten und der Einhaltung der Bürgerrechte. Ich finde, dass in dem Antrag der Linken, insbesondere in dem Punkt fünf, die Probleme gut analysiert sind, allerdings glaube ich, dass die Folgerungen nicht optimal sind: Die Kritik an der sicherlich nicht unproblematischen Flexibilisierung und Ausweitung der Deckungsmöglichkeiten hat ihre Berechtigung und ist wichtig – aber das alles pauschal auszuschließen, halte ich doch für über das Ziel hinaus- geschossen. Und was die Quasiveröffentlichung der Haushalte angeht, bin ich mir auch nicht sicher, ob das unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten nicht auch zu einseitig ausgelegt ist. Vielmehr ist die richtige Maßnahme, unsere eigenen parlamentarischen Kontrollmechanismen intensiver wahr- zunehmen. Die Möglichkeiten hierfür habe ich oben be- schrieben; hierzu zählt eine verstärkte Zusammenarbeit der parlamentarischen Kontrollgremien, die Hinzunahme externer Beratung zum Beispiel durch die Datenschutz- beauftragte in fachlich oder technisch komplexen Frage- stellungen und, hier stimme ich mit der Linken überein, mehr Transparenz. Inspiration für eine höhere Transpa- renz in der Haushaltskontrolle können wir ganz gezielt auch in der Praxis anderer Parlamente suchen, zum Bei- spiel der des amerikanischen Kongresses. 6306 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) An einer transparenten Haushaltskontrolle der Nach- richtendienste werden wir intensiv weiterarbeiten und, ich hoffe, auch hier im Parlament Mitstreiter finden. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte: – Gute Arbeit weltweit – Verantwortung für Produktion und Handel global gerecht wer- den – Sozial-ökologischen Rahmen für die Aktivi- täten transnationaler Unternehmen schaffen und durchsetzen (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Vor zwei Wochen war ich in Indien. Dort hatte ich die Gelegenheit, meh- rere Tage die Arbeit in einer Textilfabrik hautnah zu erleben. Im Rahmen des Programms habe ich auch den Arbeits- und den Familienalltag mit einem Arbeiter und seinen Angehörigen geteilt. Ich habe Menschen in ihrem realen Umfeld erlebt, die mit ihrer Arbeit ihre bescheide- nen Bedürfnisse befriedigen, aber auch Wünsche und Zukunftsträume verbinden. Das Unternehmen lag mit seinen Arbeitsbedingungen schon sehr nah an unseren Vorstellungen von guter Arbeit, war also ein Vorzeige- unternehmen, wenngleich auch noch deutlich Verbesse- rungsbedarf zu erkennen war. Nichtdestotrotz macht einem eine solche Erfahrung noch einmal besonders ein- drücklich klar, wie eng das Lebensglück der Arbeiter in einer solchen Produktionsstätte mit den dort umgesetz- ten Richtlinien zusammenhängt. Eingehaltene Arbeits- normen plus existenzsichernder Lohn gleich menschen- würdiges Leben. So einfach scheint die Rechnung dann zu sein, doch die Realität ist komplexer. Diesem Ansin- nen tragen wir mit unserem Antrag gerade Rechnung. Die Welt ist so nah zusammengerückt. Vor 30 Jahren waren uns die Arbeiter im entlegenen Asien noch so fern. Heute können wir die Augen nicht mehr so einfach vor dem Schicksal dieser Menschen verschließen. Und das wollen wir auch nicht mehr. Wir wollen die Welt ein Stück weit fairer machen. Wir nehmen das Schicksal der Textilarbeiterinnen in Bangladesch ernst. Wir nehmen unsere Verantwortung für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen ernst. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass das Vorhandensein von Arbeitsplätzen in Entwicklungs- und Schwellenländern selbst keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Auch dies müssen wir im Auge behalten. Menschen müssen von ihrem Lohn existieren können, ihre Kinder zur Schule schicken können und auch Rücklagen bilden können. Es braucht dabei nicht viel, um faire Löhne durchzusetzen. Der Unterschied kann bei 2 Cent liegen. Das erläuterte Minister Müller bei der ersten Beratung dieses Antrags. Aber es muss auch sichergestellt sein, dass dieser Mehrwert beim Arbeiter an der Maschine ankommt. Und dies ist im Rahmen der vertraglichen Gestaltungskompetenzen der jeweiligen Vertragsstufe wesentlich leichter gesagt als getan. Lassen Sie mich die Kernelemente des Antrags dar- stellen: Erstens. Beachtung der Menschenrechtskonven- tionen und der internationalen Sozial- und Umweltstan- dards. Zweitens. Durchgängige Beachtung der deutschen arbeitsrechtlichen und kollektivrechtlichen Standards bis in das letzte Glied der Produktionskette. Drittens. Trans- parenz des weltweiten Handels. Viertens. Das Merkmal der „Guten Arbeit“ im Sinne sozialer Nachhaltigkeit bei internationalen Großereignissen. Fünftens. Rückblickend die Durchsetzung der Entschädigung gegenüber den ver- antwortlichen Importeuren für das erlittene Unrecht aus Rana Plaza. Um diese Ziele aber zu erreichen, bedarf es des Zu- sammenspiels einer Reihe von Faktoren. International agierende Unternehmen müssen die Wahrung der aner- kannten Arbeitsnormen in ihren Produktions- und Lie- ferketten durchsetzen. Hier ist der Faktor Wirtschafts- macht gefordert. Die Konsumenten müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Ich sehe es auch als Aufgabe der Politik, bei den Bürgerinnen und Bürgern Bewusstsein zu schaffen für die Herkunft der Produkte, die sie kaufen – egal ob T-Shirt oder Kaffee. Hier geht es dann um die moralische Verantwortung. Nur mit dem Bewusstsein der Konsumenten kann sich das Kaufver- halten nachhaltig ändern. Wir dürfen die Verantwortung nicht nur bei den Unternehmen sehen, sie liegt genauso beim Verbraucher, und nicht zuletzt natürlich bei den Produktionsländern selbst. Auch sie müssen den Spagat zwischen Ankurbelung ihrer Wirtschaft und Ausbeutung der eigenen Bevölkerung in den Griff bekommen. Hier können wir aber schlussendlich nur sensibilisierend tätig werden, weil die Gesetzgebung und deren Inhalte nicht unserer direkten Einflussnahme unterliegen. Es muss aber auch für die Entwicklungs- und Schwellenländer eine Frage der internationalen Akzeptanz sein, ihre Bür- gerinnen und Bürger von Unrecht und Schaden in der Arbeitswelt zu schützen. An dieser Stelle bekommt die internationale politische Einflussnahme ihre entschei- dende Rolle. Sehen wir uns hierzu das Beispiel Bangladesch an. Seit dem tragischen Zusammensturz des Rana-Plaza- Fabrikgebäudes in Dhaka hat sich in Bangladesch eini- ges getan. Ein neues Arbeitsgesetz wurde verabschiedet, und Fabrikgebäude wurden vielerorts überprüft sowie Verbesserungen durchgeführt. Für eine langfristige Veränderung bildet die deutsche Entwicklungszusam- menarbeit neu eingestellte staatliche Inspektoren aus. Die deutsche EZ berät staatliche Stellen, Unternehmen sowie ihre Belegschaften insbesondere im Hinblick auf Sozial- und Umweltstandards. Der Textilsektor und die Einhaltung nationaler Arbeits- und Umweltgesetze sowie internationaler Sozial- und Umweltstandards ste- hen hierbei im besonderen Fokus. So konnten bislang über ein TZ-Programm seit 2010 direkt mehr als 200 000 Arbeiterinnen und Arbeiter, Manager und Fa- brikbesitzer entsprechend erreicht und geschult werden. Durch den persönlichen Einsatz von Herrn Parlamentari- schen Staatssekretär Fuchtel aus dem Entwicklungsmi- nisterium gewinnt der Prozess an zusätzlicher Dynamik. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6307 (A) (C) (D)(B) So wurde mit der bangladeschischen Regierung die wei- tere deutsche Unterstützung für lokale Textilunterneh- men bei der Etablierung einer transparenten Lieferkette vorbesprochen. Entsprechende Mittel wurden anlässlich der Regierungsverhandlungen vom 3. November zuge- sagt. Man sieht, dass der Boden bereitet ist, es muss aber noch gesät und gedüngt werden. „Gute Arbeit“ muss zum internationalen Wert werden. Die Schwellen- und Entwicklungsländer brauchen die Chancen der Globalisierung für ihre Entwicklung und ihr Wachstum. Sie brauchen aber auch faire Rahmen- bedingen vor Ort, um von ihnen profitieren zu können. Wir müssen die entscheidenden Impulse setzen, aber die Umsetzung kann dann nur im eigenen System erfolgen. Und damit komme ich zu Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Ja, die Produktions- und Lieferketten von international agierenden Unternehmen sind zunehmend global verzweigt. Ja, die Arbeitsbedin- gungen in vielen Produktionsstätten der Entwicklungs- und Schwellenländer sind derzeit inakzeptabel. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, „Gute Arbeit“ lässt sich nicht durch Ideologie oder Wirt- schaftsfeindlichkeit erreichen. Deutsche Unternehmen sind keine Monster, denen es entgegenkommt oder je- denfalls vollkommen gleichgültig ist, wenn ihre Töchter und Zulieferer Menschenrechte verletzen und Sozial- und Umweltstandards missachten. Wirtschaft ist keines- wegs gewissenlos. Pauschalierung und Polarisierung ist der falsche Weg. Es ist nicht zielführend, und meine persönliche Erfahrung ist auch eine andere. Sowohl die Beobachtungen auf meiner Reise als auch meine Gesprä- che haben mir Akteure gezeigt, die sich in höchstem Maße dafür engagieren, dass ihre Zulieferunternehmen den Werten guter Arbeit entsprechen. Es werden auf- wendige Audits durchgeführt und auch Know-how ver- mittelt, um die Missstände abzustellen. Dies geschieht aber in der Regel lautlos und effektiv. Die Zahl dieser Beispiele ist aber leider noch viel zu gering und muss deshalb dringend gesteigert werden. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die Katastrophe von Rana Plaza im letzten Jahr hat auch mich nachhaltig erschüttert. Keinen Menschen können solche Tragödien unberührt lassen. Strafrechtliche Sanktionen und Zwang sind aber keine geeigneten Mittel für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Diskussion im Zusammenhang mit dem Textilbünd- nis hat gezeigt, dass sich die Wirtschaft ihrer – auch in- ternationalen – Verantwortung sehr wohl bewusst ist und auch die Bereitschaft besteht, sich der Aufgabe zu stel- len. Allerdings müssen wir auch daran arbeiten, dass un- sere Unternehmen geeignete Mittel an die Hand bekom- men, mit denen sie zuverlässig ihrer Aufsichtspflicht gerecht werden können. Denn nicht jedes Unternehmen hat die internationalen Erfahrungen und Kontakte, die lokalen Verhältnisse ausreichend zu durchleuchten. Im Rana Plaza gab es auch zahlreiche Zertifikate, die ein- fach nur gekauft waren. Die Kontrollverfahren müssen belastbar und zuverlässig sein, bevor sie mit Sanktionen belegt werden können. Dies setzt voraus, dass in den Entwicklungsländern die gesellschaftlichen, sozialen und ebenso ordnungs- behördlichen Rahmenbedingungen so entwickelt und an- gepasst werden, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem die Werte der „Guten Arbeit“ überhaupt real umge- setzt werden können. Dazu gehört ebenso der Respekt vor dem Mitmenschen wie die Beachtung technischer Sicherheitsstandards. Die notwendigen Normierungen sind in der Verantwortung der lokalen Regierungen und politischen Kräfte. Wirtschaftsunternehmen können lediglich Impulse geben und innerhalb ihrer Vertrags- beziehungen Regelungen treffen. Dies reicht aber für eine grundlegende Verbesserung der Arbeits- und Le- benssituationen nicht aus. Natürlich darf und muss die wirtschaftliche Macht des Einkäufers zur Durchsetzung der Standards eingesetzt werden. Wir haben aber auch in den Gesprächen mit den Interessenvertretern der Arbei- ter der betroffenen Länder die Bitte vernommen, keine umfassenden Wirtschaftsboykotts durchzuführen, um den Menschen nicht sofort das Einkommen und damit die Lebensgrundlage zu entziehen. Dies macht die Aus- wahl der Handlungsoptionen besonders schwierig und besonders verantwortungsvoll. Hier ist die sensibilisierte und motivierte Wirtschaft der bessere Partner als vorver- urteilte Akteure. Der neue Weg muss gemeinsam und entschlossen beschritten werden. Den Wegweiser hierzu liefert der Antrag, ausgewogen und nachhaltig, umfassend und fundiert – und deshalb erfolgversprechend. Geben Sie daher für „Gute Arbeit“ den Startschuss. Geben Sie dem Antrag Ihre Zustimmung. Dr. Bärbel Kofler (SPD): 1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufs- wahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedin- gungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. 2. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf glei- chen Lohn für gleiche Arbeit. 3. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Fa- milie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch an- dere soziale Schutzmaßnahmen. 4. Jeder hat das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten. Das ist Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom Dezember 1948. Leider sieht die Realität auch 66 Jahre später noch oft anders aus. Hundert Millionen Frauen, Männer und Kin- der arbeiten unter lebensgefährlichen Bedingungen, ob als Quasileibeigene auf Plantagen in Lateinamerika, in von Quecksilber verseuchten Bergwerken in Afrika oder in einsturzgefährdeten Textilfabriken in Asien. Allein in Asien nähen 15 Millionen Menschen Bekleidung, oft un- ter unwürdigen und gefährlichen Bedingungen. Sie er- halten dafür einen Lohn, der kaum zum Leben für sie und ihre Familien reicht. Ich habe erst vor kurzem auf einer Indienreise zum Thema „Internationale Normen für Gute Arbeit im Tex- 6308 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) tilsektor – Herausforderungen für die Akteure entlang der Wertschöpfungskette“ Kontakt mit Textilarbeiterfa- milien gehabt und auch einige Tage bei ihnen gelebt. Klar ist, dass zwei Akteure gefordert sind, um eine wirk- same Verbesserung zu erreichen. Zum einen müssen in- ternationale Einkäufer entsprechende Preise bezahlen, sodass existenzsichernde Löhne gezahlt werden können, zum anderen brauchen wir in den Ländern eine Arbeits- gesetzgebung, die es ermöglicht, dass die Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer auch von den höheren Prei- sen profitieren. Am Beispiel meiner Indienreise kann man die grund- sätzliche Problematik deutlich machen, dass in vielen Ländern existenzsichernde Löhne fehlen. Auch wenn es wie in Indien auf der Ebene der Bundesstaaten Mindest- löhne gibt, reichen diese in der Regel nicht aus. Daher werden dringend handlungsfähige Gewerkschaften ge- braucht, die sich in Verhandlungen mit den Arbeitgebern dafür einsetzen könnten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihrem Verdienst auch leben kön- nen. Mitglieder von Gewerkschaften werden von Betrie- ben derzeit oft gar nicht eingestellt. Konkret an diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig eine Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen für die Beschäftigten weltweit ist. Diese Normen beinhalten für die Mitgliedstaaten der ILO unter anderem das Recht auf Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Gründung von Gewerkschaften, die Besei- tigung der Diskriminierung im Arbeitsleben und das Ziel von gleichem Lohn für gleiche Arbeit von Frauen und Männern. Als Sozialdemokratin und Gewerkschaftsmit- glied ist für mich eine Grundvoraussetzung für men- schenwürdige Arbeit, dass sich die Arbeitnehmervertre- ter in allen Ländern für die Rechte der Beschäftigten vor Ort einsetzen können und dies auch tun. Um die katastrophalen Zustände in der Arbeitswelt wirksam zu verbessern, ist unser Antrag zur Guten Ar- beit weltweit, den wir heute abschließend beraten, ein erster, aber wichtiger Schritt. Er greift ein Kernanliegen sozialdemokratischer Politik auf; daher war es mir ein besonderes Anliegen, dass wir ihn als ersten Aufschlag noch in diesem Jahr in den Deutschen Bundestag ein- bringen und die Punkte klar benennen, wie wir zu mehr Verantwortung für Produktion und Handel in unserer globalisierten Welt kommen. Damit setzen wir auch ein Wahlversprechen um. In unserem Wahlprogramm 2013 hat die SPD eine gesetzli- che Verankerung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen gefordert, um von der Rohstoffgewinnung bis zum ferti- gen Produkt menschenrechtliche, soziale und ökologi- sche Standards für die Arbeits- und Produktionsbedin- gungen zu verankern. In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns für eine Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und einen entspre- chenden nationalen Aktionsplan stark gemacht. Damit stehen wir im Wort, der Forderung des UN-Menschen- rechtsrats, der EU-Kommission und zahlreicher NGOs nach verbindlichen Regelungen nachzukommen und nicht – wie die letzte Bundesregierung – einseitig auf freiwillige Initiativen der Unternehmen zu setzen. Es geht bei allen anstehenden Entscheidungen, sei es der staatlichen und privaten Wirtschafts- und Handels- kooperation mit Entwicklungs- und Schwellenländern, den aktuellen EU-Richtlinien und Verordnungen zu Kon- fliktmineralien und CSR oder einem Textilsiegel im Kern um die Frage, ob das bisherige Prinzip der Frei- willigkeit weiter bestehen bleibt oder ob verbindliche Regelungen getroffen werden. Hierzu muss die Bun- desregierung eine zwischen den beteiligten Ressorts ab- gestimmte Haltung entwickeln und Möglichkeiten auslo- ten, wie wir zu Verbindlichkeit kommen können. Zu unserem Antrag konkret: Die Produktions- und Lieferketten von international agierenden Unternehmen sind, wie wir alle wissen, zunehmend global verzweigt und durch internationale Arbeitsteilung gekennzeichnet. Viele multinationale Unternehmen haben sich selbst einer verantwortungsvollen Unternehmensführung verpflichtet, der sogenannten CSR, und legen über die ökologischen, so- zialen, menschenrechtlichen und ökonomischen Auswir- kungen ihrer Geschäftstätigkeit Nachhaltigkeitsberichte vor. Das begrüße ich. Auf europäischer Ebene sind wir jetzt ein ganzes Stück weitergekommen mit der Ende September vom Europäischen Rat angenommene EU- Richtlinie, die eine verpflichtende CSR-Berichterstat- tung für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten vorsieht. Die Umsetzung in nationales Recht wird jetzt angegangen. Hier müssen wir ein klares Zeichen für mehr Verbindlichkeit setzen. Zur Frage einer verbesserten Unternehmensverant- wortung gehört aber auch, dass die Vorreiterunterneh- men im Wettbewerb mit denjenigen stehen, die hohe so- ziale Standards nicht einhalten und dadurch Kosten sparen. Hier hat der Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 wieder gezeigt, dass es in einigen Entwicklungsländern Probleme mit der staatlichen Schutzpflicht gibt und dass einige multinatio- nal agierende Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung und Sorgfaltspflicht für ihre Lieferkette nicht nachkom- men. Lohndumping, Zwangs- und Kinderarbeit, Diskri- minierung von Frauen und Minderheiten, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Organisationsverbote und gravie- rende Mängel bei der Sicherheit am Arbeitsplatz prägen die Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken. Die Verant- wortung für die Einhaltung international vereinbarter Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte liegt so- wohl bei den Unternehmen als auch bei den Regierungen und Parlamenten der jeweiligen Länder, welche die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und durch- zusetzen haben. Mit unserem Antrag „Gute Arbeit weltweit – Verant- wortung für Produktion und Handel global gerecht wer- den“ wollen wir erreichen, dass sich die Bundesregierung entsprechend dem Koalitionsvertrag für die Transparenz von Lieferketten und die Einhaltung völkerrechtlich ver- pflichtender Konventionen einsetzt. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung die hier ansässigen Unterneh- men, die in den zusammengestürzten Textilfabriken in Bangladesh produzieren ließen, auffordert, endlich ihren Anteil an Entschädigung der Opfer in den ILO-verwalte- ten Fonds zu zahlen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6309 (A) (C) (D)(B) Mit unserem Antrag fordern wir die Regierung des Weiteren auf, Transparenz und international vereinbarte Konventionen weiterhin national und international zu stärken, was einfach zugängliche Beschwerdemöglich- keiten bei der Verletzung dieser Rechte und Standards zum Beispiel über die Nationale Kontaktstelle, OECD, beinhaltet. Hierzu gehören Transparenz im Rohstoffhan- del entsprechend den EU-Richtlinien und EITI-Verein- barungen sowie die Einhaltung der Standards bei Vorbe- reitung, Auftragsvergabe und Durchführung sportlicher Großveranstaltungen. Die Bundesregierung soll sich aber auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion bei der ILO dafür einsetzen, dass das Streikrecht als wichtiger Bestandteil der Vereinigungsfreiheit international weiterhin aner- kannt wird. Auch das ist ein Auftrag der eingangs ge- nannten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. In den vergangenen Wochen habe ich viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen der beteiligten Ressorts Wirtschaft, Justiz, Arbeit und Soziales und Menschen- rechte geführt und unser Anliegen für verbindliche so- ziale, ökologische und menschenrechtliche Standards auch den zuständigen Ministerinnen und Ministern ge- schildert. Diese vielen Gespräche stimmen mich opti- mistisch, dass nicht nur unser Antrag gut ankommt, son- dern das Thema ernst genommen wird. Ich sehe eine große Chance darin, dass wir im nächs- ten Jahr, dem Europäischen Jahr der Entwicklung, The- men auf die Agenda des G-7-Gipfels unter deutscher Präsidentschaft setzen können, die unserem Anspruch an eine Vorreiterrolle Deutschlands endlich wieder gerecht werden. Das ist erstens die Frage der neuen Millen- niumsziele für den Prozess der Vereinten Nationen, die im September 2015 beschlossen werden, zweitens die Pariser Klimakonferenz am Ende des Jahres 2015 und drittens das Thema „Gute Arbeit weltweit“ und die Frage der Wertschöpfungskette. Besonders freue ich mich, dass es Bundesarbeitsmi- nisterin Andrea Nahles gelungen ist, ressortübergreifend mit dem BMZ hierzu eine Anfang 2015 stattfindende Veranstaltung im Vorfeld von G7 zu initiieren. Ich sehe das auch als Bestätigung, dass wir das Thema Gute Ar- beit und Wertschöpfungskette zu Recht als Schwerpunkt der parlamentarischen Arbeit der Arbeitsgruppe wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der SPD- Bundestagsfraktion gesetzt haben. Meine Position, wie wir wirksam regieren und die Ar- beitsbedingungen weltweit verbessern können, ist klar: Wenn es – wie das Beispiel Textilbündnis zeigt – Unter- nehmen nicht gelingt, die Arbeitsbedingungen zu ver- bessern, muss der Gesetzgeber handeln. Eine freiwillige Verpflichtung wird nicht ausreichen. Wir brauchen ge- setzliche Mindeststandards. Die Süddeutsche Zeitung hat das am 16. Oktober 2014 unter der Überschrift „Siegel der guten Absicht“ auf den Punkt gebracht: „Erfolg versprechen einzig verbindliche Standards in punkto Umweltschutz und Soziales. Das ist die Lehre aus den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen die Politik immer wieder darauf setzte, dass die Unternehmen auf Willensbekundungen auch Taten folgen lassen. Natürlich ziehen hier einige Unternehmen mit, deren Geschäft dann eben darauf beruht, dass sie sich als soziale und grüne Unter- nehmen profilieren. Ansonsten hat diese Vorge- hensweise viel grüne PR und wenig Veränderungen hervorgebracht.“ Ich möchte dabei nicht missverstanden werden. Na- türlich finde ich die Pioniere unter den Unternehmen gut, die bereits freiwillig auf menschenwürdige Arbeit achten und die nötigen Nachweise bringen, dass ihre Produkte ohne Ausbeutung oder Umweltverschmutzung hergestellt worden sind. Aber ich bleibe skeptisch, ob sich eine ganze Branche wie die Textilindustrie einfach von heute auf morgen umkrempeln lässt. Häufig sieht die Realität anders aus: Wer voranschreitet, läuft Gefahr, aus dem Markt gedrängt zu werden. Denn es gibt viele, die keine Skrupel haben, alle legalen Möglichkeiten zur Gewinnmaximierung auszuschöpfen. Erst wenn die öko- nomischen Rahmenbedingungen für alle Unternehmen geändert werden, herrscht wieder ein freies und faires Spiel der Kräfte – am besten nicht nur in Deutschland, sondern in der Europäischen Union und irgendwann weltweit. Die Diskussion um die geeigneten Maßnahmen für eine Verbesserung der weltweiten Arbeitsbedingungen und mehr Transparenz in den Lieferketten ist im vollen Gange, das hat nicht zuletzt die Eröffnungskonferenz des Auswärtigen Amts für den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte vergangenen Donners- tag gezeigt. Damit startet ein auf zwei Jahre angelegter Arbeitsprozess unter der breiten Einbindung aller gesell- schaftlichen Gruppen. Ich freue mich, dass wir so viele engagierte und sachkundige Vertreter von Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Verbänden und Wissenschaft zusammenbringen können, um gemeinsam unser Ziel zu erreichen, die UN-Leitprinzipien in Deutschland umzu- setzen und endlich einen Ordnungsrahmen für eine ver- besserte Unternehmensverantwortung im Bereich des Menschenrechtsschutzes zu entwickeln. Das ist Gute Ar- beit, ganz konkret, und sollte weiter Schule machen. Niema Movassat (DIE LINKE): „Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis“ scheint das Motto der Bundesregierung zu sein. Mit einem lang- jährigen Beratungsprozess versucht sie, dem steigenden Druck für gesetzliche ökologische, soziale und menschen- rechtliche Mindeststandards bei Geschäftstätigkeiten deutscher Unternehmen im Ausland etwas entgegenzuset- zen, ohne wirklich handeln zu müssen. Letze Woche hat sie deshalb im Auswärtigen Amt mit der Konferenz „Wirtschaft und Menschenrechte“ einen Dialogprozess mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Wissenschaft Re- gierung, Verwaltung und politischen Parteien gestartet. Das klingt natürlich hervorragend. Nur leider erweckt es ein wenig den Eindruck, als sei auch genau das das pri- märe Ziel der ganzen Aktion: dass sie hervorragend klingt. 6310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Bis Ende 2016 soll also in mehreren Konferenzen und unter Einbeziehung vieler Ministerien dem Kabinett ein fertiger Aktionsplan zur Abstimmung vorliegen. Anfang 2017 wird das Kabinett diesen dann beschließen. Dann wird er in eine Hochglanzbroschüre gegossen. Dann kommt der Bundestagswahlkampf. Danach gibt es eine neue Bundesregierung. Die muss dann erst mal prüfen, wie sie zum Aktionsplan der vorherigen Bundesregie- rung steht. Das dürfte ungefähr so Mitte bis Ende 2018 abgeschlossen sein. Ich möchte nicht alles schlechtreden: Es ist ein Fort- schritt, dass auch die Union im vorliegenden Bundes- tagsantrag ankündigt, ein Unternehmensstrafrecht we- nigstens zu prüfen. Es ist ein Fortschritt, dass die Bundesregierung das Thema Wirtschaft und Menschen- rechte auf so breiter Basis zur Debatte stellt. Der kon- krete Output für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Textilfabriken Asiens ist jedoch gleich null. Die sklavenar- tigen Arbeitsbedingungen sind ein dringendes Problem – heute! Wir können doch nicht ernsthaft die betroffenen Menschen damit abspeisen, dass wir sagen: „Wir haben das Problem nun endlich alle erkannt und arbeiten daran. Aber sorry, vor 2019 werden wir wohl keine gesetzli- chen Änderungen bei uns in die Wege leiten, die euch helfen könnten.“ Es ist ja eben nicht so, dass wir es hier mit einer neuen Problematik zu tun hätten, dass wir erst mal Fak- ten sammeln, Analysen erstellen und das alles wirken lassen müssten. Das Thema steht seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung der Zivilgesellschaft, von Gewerk- schaften und fortschrittlichen Organisationen. Bereits vor fünf Jahren, als ich in den Bundestag kam, besuchten mich Fischer aus Brasilien, denen Thyssen-Krupp mit seinem desaströsen Stahlwerkprojekt die Lebensgrund- lage entzogen hatte. Textilarbeiterinnen haben in Ge- sprächen mit mir geklagt, sie würden in Fabriken, die für deutsche Textilunternehmen produzieren, eingeschlos- sen und dürften nur einmal am Tag die Toilette aufsu- chen. Die EU-Kommission hat bereits im Jahr 2011 alle EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, die Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte des Sonderbeauftragten John Ruggie voranzutreiben. Das war 2011. 2014 startet die Bundesregierung einen Beratungsprozess, der bis 2017 andauert. Und am Ende wird ein Aktionsplan stehen, der völlig unverbindlich ist. Ich halte das ganze Projekt insgesamt deswegen lei- der für Augenwischerei. Sicher gibt es innerhalb der Union und der SPD Abgeordnete, die gesetzliche Regeln für deutsche Unternehmen im Ausland tatsächlich in Er- wägung ziehen. Entwicklungsminister Müller hat sich auch glaubwürdig für ambitionierte Ziele im Rahmen seiner Verhandlungen mit der Wirtschaft um ein Textil- siegel eingesetzt. Dennoch ist die Bundesregierung ins- gesamt weit davon entfernt, die Interessen der betroffe- nen Menschen in den Ländern des globalen Südens gegen die Profitinteressen der deutschen Wirtschaft durchzusetzen. Es ist sehr bedauerlich, aber freiwillig werden auch in Zukunft deutsche Firmen der Profitmaxi- mierung im Zweifel immer Vorfahrt geben. Das haben sie eben erst bewiesen, als sie Minister Müller kurz vor Abschluss des Textilsiegels mit Argumenten von vor 15 Jahren auflaufen ließen. Die Zeit ist überfällig, dass die Politik ihre Aufgabe erfüllt und regulierend eingreift. Die Linke fordert das auch schon seit vielen Jahren. In der juristischen Fachde- batte gibt es auch bereits heute schon ausreichend Vor- schläge, um sofort zu handeln, nicht erst in fünf Jahren. Es ist sinnvoll, ein Unternehmensstrafrecht einzuführen, und im Zivilrecht ist es dringend nötig, Sorgfaltsanfor- derungen für die Tätigkeit von Unternehmen zu definie- ren. Im Zivilprozessrecht müssen wir dafür sorgen, dass die Beweislast nicht einseitig bei den Betroffenen liegt, die oft gar nicht nachweisen können, wie unterneh- mensintern gehandelt worden ist. Und natürlich müssen wir auch europaweit und international für verbindliche Standards eintreten und Klagemöglichkeiten für Betrof- fenen einrichten. Wenn wir nicht handeln, wenn wir nicht konkrete Än- derungen auch im deutschen Recht auf den Weg bringen, dann wird es weiter die massiven Menschenrechtsverlet- zungen gegen Arbeiterinnen und Arbeiter geben, ohne dass Unternehmen Konsequenzen zu befürchten haben. Das darf nicht länger sein. Bringen Sie also endlich den politischen Willen auf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und SPD, konkret etwas zu ändern, statt weitere Jahre nur zu debattieren. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Thema Unternehmensverantwortung bzw. die Kontrolle internationaler Lieferketten ist in den vergangenen Wo- chen ausgiebig von uns diskutiert worden. Es wurden fundierte Argumente und plumpe Plattitüden ausge- tauscht. Kurz: Man könnte den Eindruck gewinnen, es sei alles gesagt. Dieser Einschätzung möchte ich ent- schieden widersprechen. Menschenwürdige Arbeit und der Schutz der Umwelt in der Lieferkette sind Problem- stellungen, mit denen wir uns langfristig und immer wieder aufs Neue intensiv befassen müssen, wenn wir unseren Job ernst nehmen. Dass hier dicke Bretter zu bohren sind bestreitet keiner. Lieferketten sind komplexe Gebilde. Oft wird ein Produkt in hunderten Arbeitsschritten, an völlig unter- schiedlichen Standorten, rund um den Globus verteilt, hergestellt. Auch die Lieferantenkette in der Textilindus- trie ist durchaus komplex. Allerdings ist es möglich, sie betriebswirtschaftlich lückenlos zu überwachen. Somit muss das auch in Bezug auf die Arbeitsbedingungen machbar sein. Außerdem hindert uns niemand daran, an der Spitze der Lieferkette mal anzufangen. Die ver- meintliche Komplexität darf nämlich nicht als Alibi die- nen, verantwortungsvolle Politik hier bei uns zu verhin- dern. Beim Thema Lieferkette könnte man meinen, die Menschen – und insbesondere die Politik – würden sich dafür interessieren, wie diese Lieferketten funktionieren und wie sie überwacht werden können. Und das tun wir auch. Allerdings nur an einem Ende der Lieferkette. Nämlich hier bei uns. Wir haben hier in der EU und in der Bundesrepublik unzählige Gesetze, Richtlinien und Bestimmungen, die garantieren sollen, dass die Pro- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6311 (A) (C) (D)(B) dukte, die auf unsere Märkte kommen, keine Gefahren für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeuten. Und das ist auch gut so. Es ist die Aufgabe des Staates, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Wenn man jetzt sagt: Warum schützen wir nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produktionsländern?, wird man insbe- sondere von den Kollegen der CDU-Fraktion verwun- dert angeschaut. Das BMZ scheint hier doch deutlich weiter zu sein als die Bundestagsfraktion. Der Tenor: Wie soll das gehen? Und dann der völlig ernst gemeinte Vorschlag: Wir können ja mal bei den Unternehmen nachfragen, ob sie nicht auf freiwilliger Basis etwas mehr auf Mensch und Umwelt achten wol- len. Die Betonung liegt hier ganz klar auf „freiwillig“. Denn Freiwilligkeit ist das Zauberwort, wenn wir von höheren Produktionsstandards in Schwellen- und Ent- wicklungsländern sprechen. Hierzulande würde niemand darauf kommen, den Unternehmen auf freiwilliger Basis selbst zu überlassen, inwieweit sie Rücksicht auf Umwelt- und Sozialstandards nehmen. Die Gewinn- maximierungs- oder Optimierungsstrategien der Unter- nehmen sind an sich in Ordnung, aber nur dann, wenn sie sich an die Gesetze halten. Und es ist völlig klar: Die Wirtschaft braucht Regeln, um der Gesellschaft zu die- nen. Dieses Haus hat die Verpflichtung und die Möglich- keit, solche Regeln zu erarbeiten. Und wir sollten sie endlich nutzen. Wer in seiner Wirtschaftspolitik immer noch glaubt, dass Unternehmen von sich aus und ohne verbindliche Regelungen Mehrkosten zugunsten ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter in Kauf nehmen oder gar karitative Zwecke verfolgen, verschließt sich den Reali- täten. Das Schlimme ist: Wir wissen es besser. – Um genau zu sein, Deutschland ist nur deshalb so erfolgreich, weil wir es besser wissen. Die soziale Marktwirtschaft hat dieses Land erfolgreich gemacht – keiner wird das be- streiten. Die soziale Marktwirtschaft funktionierte, weil sie klare Regeln hatte. Aber wir höhlen die Grundprinzi- pien dieses Systems immer weiter aus. Und wir verweh- ren anderen, auf die gleiche Art Erfolg zu haben. Wir pumpen Millionen in die Entwicklungszusammenarbeit, aber wollen unser Erfolgsrezept nicht exportieren. Das ist doch absurd. Glauben Sie mir: Dem armen Ludwig Erhard würde bei einem Blick auf die Abgeordneten- ränge der Union heutzutage vor Schreck die Zigarre aus dem Mund fallen. Ich appelliere daher an Sie: Verschließen sie nicht die Augen vor dem, was hinter den jämmerlichen Arbeitsbe- dingungen in den Produktionsländern steckt. Es reicht nicht aus, immer nur dann schockiert und betroffen zu sein, wenn in Bangladesch mal wieder eine Fabrik aus- brennt oder zusammenstürzt. Wir müssen unsere Ver- hältnisse hier grundlegend ändern, um die Lage der Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern. Ent- wicklungspolitik muss Weltinnenpolitik werden. Mit Ih- rem Antrag wird das nicht passieren. Ich verstehe bis heute nicht, was das Brimborium soll – insbesondere vonseiten der SPD! Da schreiben sie doch tatsächlich ei- nen Antrag, in dem sie freiwillige Maßnahmen unterstüt- zen wollen, die Regierung über den grünen Klee loben und sich darüber freuen, wie erfolgreich dieser Weg doch sei. Das wirkt grotesk. Insbesondere nachdem wir in den vergangenen Jahren gemeinsam für verbindliche Standards gekämpft haben. Freiwillige Maßnahmen kann jeder einleiten, dazu braucht man die Regierungs- parteien nicht – und einen solchen Antrag schon gar nicht. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Einsatz in der Tierhal- tung auf vernünftiges Maß reduzieren (Tages- ordnungspunkt 16) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Anti-Biotikum – richtet sich gegen das Leben. Antibiotikum – schützt das Leben. So widersprüchlich uns obige Aussage zunächst er- scheinen mag, so widersprüchlich ist jeher das heute von Ihnen thematisierte Arzneimittel. So heilsbringend und lebensrettend die Vergabe eines Antibiotikums wirken kann, so gefahrbringend und lebensbedrohlich können die Folgen durch eine ent- wickelte Resistenz sein. Da stimme ich mit Ihnen über- ein. Und gegen diese Resistenzen müssen wir gemein- sam kämpfen. Die Europäische Kommission teilte bei der Vorstel- lung des letzten Aktionsplanes zur Abwehr der steigen- den Gefahr der Antibiotikaresistenz mit, dass jährlich über 25 000 Todesfälle auf die Wirkstoffimmunität zu- rückzuführen sind. Im Agrarsektor wird gleichermaßen eine erhöhte mikrobielle Widerstandsfähigkeit festge- stellt. Der konkrete Handlungsbedarf besteht. Diese Einig- keit in diesem Hause müssen Sie doch aber nicht durch einen Seitenhieb auf scheinbare Qualzuchten in der Landwirtschaft zunichtemachen. Thematisch ohnehin nicht zielführend fordern Sie weitere Verbote. Eine artgerechte Tierhaltung ist in der deutschen Landwirtschaft gängige Praxis. Die deutsche Agrarwirt- schaft arbeitet im gleichen Jahrtausend wie Sie. Zumin- dest arbeiten die Landwirte im 21. Jahrhundert. Doch Ihr Antrag erweckt den Eindruck – wohl versehentlich –, dem wäre nicht so. Ich will Ihnen da keine Absicht un- terstellen, will aber zu Beginn diese Fehleinschätzung klarstellen. Die Bekämpfung der Antibiotikaresistenzen wird uns bei einer so starren Fokussierung allein auf die Veteri- närmedizin nicht gelingen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, meine Damen und Herren, die Weltgesundheitsorganisation spricht von einem Eine-Gesundheit-Prinzip, und auch die Welttiergesundheitsorganisation unterscheidet nicht zwischen Tiergesundheit und Menschengesundheit, wenn es zu Antibiotikaresistenzen kommt. Das verkennt 6312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Ihr Antrag leider. Sie sind damit nicht allein. Ich will Ihnen eine einfache Rechnung machen, die aufzeigt, dass die Frage antibiotischer Medikation in der Human- medizin nicht wesentlich verschieden ist von der Veteri- närmedizin. Ich greife dabei auf einen Bericht der Arbeitsgruppe GERMAP 2012 zurück, die auf Initiative des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmit- telsicherheit in Zweijahresrhythmen dazu berichtet, und auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Der Jahres- verbrauch von Antibiotika im Humanbereich liegt nach Schätzungen bei 700 bis 800 Tonnen. Der Jahresver- brauch von Antibiotika im Nutztierbereich ist knapp doppelt so hoch. Die Zahlen belegen die Menge, doch mich interes- siert, wie sich diese Medikamentengabe je Kilogramm darstellt. Eine plausible Rechnung machte mir folgendes deutlich. 80 Millionen Menschen in Deutschland wiegen bei einem angenommenen Durchschnittsgewicht von 50 Ki- logramm zirka 4 000 Millionen Kilogramm. Berechnet man im Vergleich das Gesamtgewicht des deutschen Nutztierbestandes mittels tierart- und nutzungsformspe- zifischen Durchschnittsgewichten, kommt man auf et- was mehr als 9 850 Millionen Kilogramm. Der Nutztierbestand in Deutschland wiegt also mehr als das Doppelte des Gewichts der deutschen Bevölke- rung. Alles nur Statistik? Nein. Es wird deutlich, dass die antibiotischen Medikationsmengen von Veterinär- und Humanmedizin je Kilogramm im Vergleich beinahe übereinstimmen. Wobei bei dieser Berechnung zu erken- nen ist, dass die verbrauchten Tierantibiotikamengen 20 bis 40 Prozent geringer sind als die Jahresantibiotika- menge in der Humanmedizin. Statistische Berechnungen lassen nie absolute Schlüsse zu, aber diese deutliche Tendenz ist belegt. Tierärzte verschreiben proportional weniger Antibiotika als Humanmediziner. Dieser Trend verstärkt sich, wenn wir uns bewusst werden, dass 50 Prozent der in der Humanmedizin verschriebenen Antibiotika wirkungs- stärkere Reserveantibiotika sind. Diese wirken bereits in geringeren Mengen. Daher bedarf der Kampf gegen Antibiotikaresisten- zen immer einer einheitlichen Betrachtung von Mensch und Tier. Das verkennt dieser Antrag leider. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen, in der Zielsetzung stimmen wir über- ein, in der Methodik liegen wir auseinander. Ich wün- sche mir eine effektive Antibiotikavergabe; dazu hat sich auch die Koalition verständigt. Wenn wir Antibiotika als einen Wirkstoff bewahren wollen, der das Leben rettet, dann müssen wir auch über Fraktionsgrenzen hinaus handeln, dann müssen wir auf Seitenhiebe verzichten und zum Wohle unserer Bürge- rinnen und Bürger ressortübergreifend beraten. Eine Debatte zulasten der Landwirte ist einfach unsachlich und führt nicht zum Ziel. Dieter Stier (CDU/CSU): Wir beraten heute den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Einsatz in der Tierhaltung auf vernünftiges Maß reduzieren“. Liest man Ihren Antrag, liebe Kollegen und Kollegin- nen von den Grünen, dann erkennt man sofort: Sie ha- ben den Überblick über die Faktenlage mittlerweile vollständig verloren. Anstatt immer wieder aufs Neue die Ängste der Verbraucher vor Resistenzen zu schüren, sollten Sie sich lieber die tatsächliche Situation ansehen. Das Thema Antibiotikaresistenzen ist viel zu ernst – man darf es nicht für plakative Kampagnen missbrauchen. Gern helfe ich Ihnen, den Durchblick in der Sache zu- rückzugewinnen. Wir alle stimmen darin überein, dass es drei wissen- schaftlich fundierte Gründe für den Einsatz von Antibio- tika in der Tierproduktion gibt: Erstens. Sie dienen der Sicherstellung der Tiergesund- heit. Zweitens. Sie haben den Zweck, wirtschaftliche Schäden in unseren landwirtschaftlichen Nutztierbestän- den zu verhindern. Drittens. Sie schützen vor Zoonosen, also den von Tieren auf den Menschen übertragbaren Krankheiten. Der Einsatz von Antibiotika hat also einen vernünfti- gen Hintergrund. Größere Tierbestände auf begrenztem Raum bergen nun einmal die Gefahr in sich, dass sich Erkrankungen dort schnell verbreiten können. Antibio- tika verhindern eine solche weitere Verbreitung. Bis hier besteht Konsens. Der Blick in Ihren Antrag offenbart nun allerdings zwei entscheidende Fehler. Fehler, die Sie immer wieder machen: Sie behaupten zum einen, es gebe einen rücksichtslo- sen und vor allem ungezielten Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, der nicht mehr beherrschbar wäre. Ein Ge- neralverdacht, der im Einzelnen überhaupt nicht beleg- bar ist. Und zum anderen suchen Sie immer nach einem Schuldigen, den sie öffentlich vorführen und brandmar- ken können. Diesmal sind die Tierärzte dran. Denen unterstellen Sie, sie würden aus reinem Profitinteresse einen hemmungslosen und ungezügelten Antibiotikaein- satz praktizieren. Folglich wären sie mitverantwortlich für die multiresistenten Erreger. Das ist Unsinn, und das wissen Sie genau. Wer solche Bilder malt, disqualifiziert sich als ernst- zunehmender Diskussionsteilnehmer. Mit diesen Gru- selszenarien erschrecken Sie die Menschen, verunsi- chern die Verbraucher und schaden den Tierärzten und der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Eines wird aus Ihrem Antrag deutlich: Bei der Lösung des Problems laufen Sie in die völlig falsche Richtung. Den Antibiotikaeinsatz senken wir nicht, indem wir den Tierärzten neue Restriktionen auferlegen. Denn die Tier- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6313 (A) (C) (D)(B) ärzte sind unsere Partner bei der Minimierung des Anti- biotikaeinsatzes und nicht die Gegner. Lassen Sie uns die Lage nüchtern betrachten: Anzeichen für eine Resistenzproblematik sind unbe- stritten, auch wenn bis heute keine verlässlichen und wissenschaftlich fundierten Daten vorliegen, in welchem Umfang der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zur Resistenzproblematik in der Humanmedizin beiträgt. Weil wir aber in der Union den gesundheitlichen Ver- braucherschutz sehr ernst nehmen und ihm den höchsten Stellenwert mit einräumen, haben wir genau deshalb in der vorausgegangenen Legislaturperiode das Arzneimit- telgesetz novelliert. Auf den Punkt gebracht lautet die Zielsetzung der 16. AMG-Novelle: Der Antibiotikaeinsatz in der Tier- haltung wird reduziert. Nur das therapeutisch notwen- dige Mindestmaß ist in der Tierhaltung akzeptabel. Das ist inhaltlich die identische Zielstellung wie in Ihrem Antrag. Das bedeutet, wir machen das bereits. Nur unser Weg ist besser. Gern führe ich Ihnen noch einmal vor, wie wir zum Ergebnis kommen: Seit dem 1. April dieses Jahres gilt das neue Gesetz. Der rechtliche Rahmen für den Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin ist damit deutlich verschärft worden. Die gewerblichen Tierhalter werden in die Pflicht genommen und müssen sich einem Erfassungs- und Ver- gleichssystem unterwerfen. Dazu zählt die Verpflich- tung, die Häufigkeit der angewendeten Antibiotika zu melden. Es gilt, sie mit bundesweiten Kennzahlen abzu- gleichen, und es muss im Zusammenwirken mit dem Tierarzt der Antibiotikaeinsatz minimiert werden, wenn er die vorgegebenen Vergleichswerte übersteigt. Bei diesen Vorgaben haben wir es aber nicht belassen. Damit das Melde- und Kontrollsystem auch effektiv greift, haben wir zugleich das Sanktionsspektrum erwei- tert. Die Tierarzneimittelüberwachung der Länderbehör- den hat jetzt mehr Befugnisse und kann Verstöße besser ahnden: Tierhalter können zu Änderungen in Haltung, Fütterung oder Besatzdichte verpflichtet werden, es kön- nen Bußgelder bei Nichtanzeigen des Antibiotikaeinsat- zes verhängt werden, oder es kann sogar die Einstellung der Tierhaltung angeordnet werden. Ein umfassender Rechtsrahmen ist somit vorhanden. Einer weiteren Re- glementierung, insbesondere die Tierärzte betreffend, bedarf es daher nicht. Jetzt schon wieder neue Vorschriften zu fordern, wo erst vor einem halben Jahr das Änderungsgesetz in Kraft getreten ist, das ist absurd und nicht nachvollziehbar. Lassen Sie das Gesetz doch erst einmal zur Anwendung kommen. Die Ergebnisse werden uns Recht geben. Dem Hauptanliegen Ihres Antrages, „den Antibiotika- einsatz in der Tierhaltung auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren“, sind wir von der Union heute viel näher, als Sie es jemals waren. Denn wir haben in der AMG-No- velle wesentlich geeignetere Maßnahmen festgeschrie- ben, als sie in Ihrem Antrag anzubieten haben. Sie fordern weiter, die Haltungsbedingungen von Nutztieren zu verbessern. Auch diese Forderung kann nicht die Bundesregie- rung realisieren. Sie liegt vielmehr in den Händen der Tierhalter, die überwiegend in unserem Land verantwor- tungsbewusst mit ihren Tieren umgehen und die keine Kosten und Mühen scheuen, auch aktuellste Neuerungen in ihren Ställen einzusetzen. Ich empfehle Ihnen gerade unter dem aktuellen Eindruck des Besuchs unserer AG in dieser Woche auf der Messe „EuroTier“ in Hannover: Schauen Sie sich an, was technisch alles möglich ist. Ich sage es hier abermals: Jeder Stallneubau in unserem Land schafft einen Fortschritt in den Haltungsbedingun- gen. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wir sind gegenwärtig gut gerüstet, den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, der bereits aufgrund der eingeleiteten Maß- nahmen gesunken ist, weiter herunterzufahren. Ich lade Sie ein, dabei konstruktiv mitzuwirken, Ihres heute vorliegenden Antrages bedarf es dazu nicht. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Für die heutige Debatte des Antrags der Grünen-Bundestagsfraktion „Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Einsatz in der Tierhaltung auf ein vernünftiges Maß reduzieren“ hätte ich mir zeitlich einen besseren Debattenplatz mit mehr Öffentlichkeit gewünscht. Übrigens haben wir als SPD- Fraktion schon 2011 mit einem fast gleichlautenden An- trag klar Stellung bezogen. Es scheint mir, dass die Frage der Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung sehr emotional diskutiert wird. Ich finde, es ist daher an der Zeit, die Diskussion zu versachlichen. Das Thema taugt nicht für eine Grund- satzdebatte, ob Tierhaltung und Veredlung in bestimm- ten Haltungsformen noch möglich sind. Bakterien, resis- tent oder nicht, lassen sich zwar schwarz, grün oder rot färben, haben aber kein politisches Bekenntnis. Sie un- terscheiden nicht nach konventionellen, ökologischen, großen oder kleinen Betrieben. Die Verordnung und die Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung bedürfen einer besonderen Sorgfalt, sowohl durch den Tierarzt als auch durch den Landwirt. Nur nach gründlicher Untersu- chung und Anamnese und einer gesicherten Diagnose dürfen Antibiotika verordnet werden, nur dann. Der pro- phylaktische Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ist daher EU-weit zu verbieten. Der neue EU-Kommissar für Gesundheit und Lebens- mittelsicherheit Vytenis Andriukaitis sieht das genauso wie ich; das hat mir ein Gespräch mit dem Kommissar am Montag dieser Woche bestätigt. Der Einsatz von An- tibiotika in der Nutztierhaltung, das Management von Antibiotikaresistenzen und die Organisation eines aussa- gekräftigen Antibiotikamonitorings sind wichtige Vo- raussetzungen, um die Sicherheit tierischer Lebensmittel und das Verbrauchervertrauen in sie zu erhalten, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Mit der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes vom Juni 2013 sind wir darum einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Die Meldepflicht für den 6314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Antibiotikaeinsatz und die Anwendung des Therapie- indexes auf Grundlage dieser Novelle werden die einge- setzte Antibiotikamenge sicher reduzieren. Aber es gibt weitere Handlungsoptionen. Ich selbst weiß, wovon ich rede. Zum Thema Antibio- tikaeinsatz in der Tierhaltung kann ich auf eine langjäh- rige Erfahrung als praktizierender Tierarzt mit eigener Hausapotheke zurückgreifen. Ich weiß, wie es in der Praxis aussieht. Eine mengenmäßige Antibiotikareduk- tion allein wird das Problem zunehmender Resistenzen nicht lösen. Das erkennt man am Beispiel von Däne- mark. Dänemark hat bereits vor vielen Jahren eine strikte Reglementierung der Antibiotikaverordnung und -abgabe umgesetzt. Trotzdem ist der Befund von MRSA-positiven Schlachtschweinen innerhalb weniger Jahre von etwa 20 auf mehr als 80 Prozent der unter- suchten Schlachtkörper gestiegen. Ursache dafür sind mit Sicherheit auch Faktoren wie die Bedingungen des Transports zum Schlachthof, aber auch die Zerlegung und Weiterverarbeitung im Schlachtbetrieb. Eine Viel- zahl von Schlachtkörpern wird offensichtlich während der Verarbeitung kontaminiert. Mangelnde Stallhygiene, ein schlechtes Stallklima, mangelhafte Haltungsbedin- gungen und ein unzureichendes Betriebsmanagement machen unsere Tiere krank. Darum brauchen wir einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Tierhaltung, der die Arzneimittelanwendung und die Haltungsbedingungen in unseren Ställen regelt. Wir brauchen ein Tiergesundheitsgesetz, das seinen Namen verdient. Es reicht bei weitem nicht aus, einzelne Stellschrauben wie die verordnete Antibiotikamenge zu justieren. Nur ein ganzheitlicher Ansatz, der auch Tier- wohl und Tierschutz berücksichtigt, kann zum Ziel füh- ren. Diese Forderung hat die SPD in den Koalitionsvertrag geschrieben, und wir werden es mit unserem Koalitions- partner umsetzen. Auf der EU-Ebene wird der Bereich der Zulassung von Tierarzneimitteln von der Zulassung der Humanarzneimittel getrennt werden. Auch das wer- den wir in Deutschland umsetzen müssen. Der vermehrte Einsatz von Impfstoffen ist eine weitere Option. In den letzten 20 Jahren ist nach meiner Einschätzung die Anwendung von Antibiotika bereits durch den prophylaktischen Einsatz von Impfstoffen be- grenzt worden. Das ist ein Erfolg; daran sollten wir an- knüpfen! Die Verwendung von Impfstoffen bei Be- standserkrankungen ist zwar häufig teurer als der Einsatz von Antibiotika. Es ist aber sinnvoll, wenn Impfstoffe eine Alternative darstellen, den Einsatz von Impfstoffen verpflichtend zu machen und damit den Einsatz von An- tibiotika zu verringern. Dennoch muss auch weiterhin si- chergestellt sein, dass Tiere, die ernsthaft erkrankt sind, angemessen behandelt werden können. Das gebietet al- lein schon der Tierschutzgedanke. Das Dispensierrecht der Tierärzte ermöglicht den Be- zug, das Lagern, die Abgabe und die Herstellung von apotheken- und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch den Tierarzt. Es ist eine wichtige wirtschaftliche Grundlage für tierärztliche Praxen. Die Abgabe von Arz- neimitteln durch den Tierarzt ermöglicht das schnelle Reagieren auf akute Krankheitsausbrüche. Das bestätigt auch das Gutachten im Auftrag des BMEL zur Überprü- fung des tierärztlichen Dispensierrechts vom Oktober 2014. Nach meiner Einschätzung sollte das Dispensier- recht nicht infrage gestellt werden. Es vereinfacht auch die Kontrolle des Arzneimittelflusses vom Hersteller über den Tierarzt zum Tierhalter und macht diesen über- schaubar und nachvollziehbar. Die Kontrollen sind durch die entsprechenden Landesbehörden sehr effizient organisiert. Eine Schlussfolgerung aus dem Gutachten des BMEL ist, dass man sich durchaus mit der Preisgestaltung der Hersteller und der abgebenden Tierärzte beschäftigen sollte. Die Arzneimittelpreisverordnung regelt die Höchstzuschläge für den Großhandel sowie für die Tier- ärzte; diese orientieren sich in der Regel am Verkaufs- preis des pharmazeutischen Unternehmens. Im Gegen- satz zu den Apothekern, die bei der Abgabe von Tierarzneimitteln an den Preisaufschlag gebunden sind, ist der Tierarzt in seiner Preisgestaltung frei. Dadurch gibt es einen heftigen Wettbewerb zwischen vielen Be- treuungspraxen. Dabei steht häufig nicht die Leistung und das Können der jeweiligen Kollegen im Vorder- grund, sondern der Abgabepreis. Ich bin der Ansicht, es sollte keine zusätzlichen materiellen Anreize geben, die den leichtfertigen Einsatz von Tierarzneimitteln, vor al- lem von Antibiotika, befördern. Bereits 2006 haben wir das Gewähren von Natural- rabatten auf den Einkauf und Bezug von Arzneimitteln abgeschafft. Die Hersteller von Tierarzneimitteln haben darauf flexibel reagiert und einen Ausweg gefunden: Sie gewähren den Tierärzten je nach Bezugsmenge ganz un- terschiedliche Einkaufspreise. Damit wird ein Anreiz ge- schaffen, möglichst große Mengen einzukaufen. Das kann dazu führen, dass eine große tierärztliche Betreu- ungspraxis im Bereich Schweine- oder Geflügelhaltung Arzneimittel zu Preisen an den Tierhalter abgeben kann, zu denen Kollegen aus kleineren Praxen noch nicht ein- mal einkaufen können. Dieses Vorgehen der Arzneimit- telhersteller ist wettbewerbsrechtlich äußerst bedenklich. Es stellt unter Umständen die Niederlassungsfreiheit vor allem junger Tierärzte mit kleineren Tierarztpraxen in- frage. Wir finden heute Tierarztpraxen, deren Umsatz aus Arzneimittelabgabe mehr als 75 Prozent des Ge- samtumsatzes ausmacht. Schon seit langem werden diese Praxen steuerlich nicht wie Freiberufler behandelt, sondern die Arzneimittelabgabe dieser Praxen unterliegt der Gewerbesteuerpflicht. Im Vordergrund sollte nach meiner Auffassung die Honorierung tierärztlicher Leis- tung wie Untersuchungen, Diagnosen und die Beratung stehen und nicht das Durchhandeln von verordneten Arzneimitteln. Darum sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, dass zukünftig die Arzneimittelhersteller und der Großhandel allen Beziehern von Medikamenten nach dem Prinzip der Meistbegünstigung Einkaufspreise gewähren müssen, die auch großen Praxen eingeräumt werden. Auch sollten die in § 10 der Arzneimittelpreis- verordnung vorgesehenen Zuschläge angepasst und in verbindliche Festzuschläge umgewandelt werden; dies entspräche dann den Vorgaben für Apotheken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6315 (A) (C) (D)(B) Ich finde, dass der Antrag der Grünen ein ernst zu nehmender Denkanstoß ist, und ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Anwen- dung von Antibiotika ist notwendig und ethisch geboten. Unter zwei Voraussetzungen: Eine Infektionskrankheit ist zweifelsfrei diagnostiziert, und die Wirksamkeit des Wirkstoffs gegen den Erreger ist nachgewiesen. Das gilt für Nutztierbestände ebenso wie für die Behandlung von Haus- und Heimtieren und selbstverständlich auch für die Humanmedizin. Es ist gut und überfällig, dass sich Veterinär- und Humanmedizin nun gemeinsam darum kümmern, dass der missbräuchliche und sorglose Ge- brauch von Antibiotika aufhört. Die Entdeckung des Penicillins war ein sehr wertvol- les Geschenk an die Menschheit, mit dem plötzlich die Geißel verheerender Krankheiten beherrschbar wurde. Diese Therapiemöglichkeit darf auf keinen Fall verspielt werden. Doch dieses Risiko wird tagtäglich eingegangen, wenn Antibiotika missbräuchlich oder sorglos ange- wandt werden. Zum Beispiel, wenn, statt die Ursachen von Infektionskrankheiten in Nutztierbeständen zu behe- ben, ganze Bestände häufig, regelmäßig und unsachge- mäß behandelt werden. Das damit verbundene Risiko der Resistenzbildung und damit der Unwirksamkeit der Antibiotika betrifft uns alle. Deshalb fordert die Öffent- lichkeit völlig zu Recht, dass wir als Gesetzgeber un- seren Teil der Verantwortung übernehmen und, da nö- tig, gesetzliche Regeln zum Schutz der Allgemeinheit verschärfen und, mindestens ebenso wichtig, ihre Durchsetzung auch zu sichern. Denn die seit drei Jahren veröffentlichten Antibiotikamengen und das Resistenz- monitoring in der Tierhaltung reichen ja offensichtlich nicht aus, um das Problem zu lösen. Der Heimtierbereich und die Humanmedizin müssen zwingend in die strategischen Überlegungen zu Mini- mierungskonzepten einbezogen werden. Die Linksfrak- tion fordert seit langem, die Wirkstoffe für die Human- und die Veterinärmedizin konsequent zu trennen. Auch die Resistenzentwicklung bei Desinfektionsmitteln ist ein dringendes Forschungsthema. Darüber hinaus gehört für die Linksfraktion zum Thema auch die Forderung nach gut ausgebildetem und fair entlohntem Betreuungspersonal, welches mit den Tie- ren arbeitet. Dazu soll auch ein Sachkundenachweis für Betriebspersonal ohne landwirtschaftliche Ausbildung dienen, der bei nachgewiesenen Verstößen mit Auflagen versehen werden oder in schweren Fällen bzw. bei Wie- derholung auch entzogen werden kann. Weitere Forde- rungen zu einem strategischen Ansatz für mehr Tierge- sundheit haben wir bereits 2012 mit dem Antrag „Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren“ (Bundestagsdrucksache 17/8348) vorgelegt. Angesichts der Bedeutung dieses Themas ist es gut, dass der Ton des Antrags der Grünen heute deutlich we- niger schrill ist als in der Vergangenheit. Sie halten nun am Dispensierrecht fest und verzichten darauf, die Re- duktion absoluter Abgabenmengen zu fordern. Es ist sinnvoll, Herstellerrabatte zu reduzieren. Auch einheitliche Abgabepreise können sinnvollerweise öko- nomische Anreize zum übermäßigen Einsatz von antimi- krobiellen Wirkstoffen reduzieren. Reserveantibiotika, wie beispielsweise Fluorchinolone und Cephalosporine, sollten nur noch im absoluten Ausnahmefall eingesetzt werden dürfen. Ein Antibiogramm zur Prüfung der Wirksamkeit der jeweiligen Wirkstoffe muss zum Stan- dard werden. Alarmierend ist auch der erstmalige Nachweis von Sulfadimidin im Grundwasser im Kreis Cloppenburg, ei- nes ausschließlich als Tierarzneimittel verwendeten Wirkstoffs, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Antibiotikaverbrauch wirksam zu reduzieren heißt zwingend, die Haltungsbedingungen der Tiere zu verbes- sern. Tiergesundheit muss in den Mittelpunkt gestellt wer- den. Dazu gehören Besatzdichten und -größen ebenso auf den Prüfstand wie Qualzuchten oder Bestandsmanage- ment. Wir brauchen verbindliche Kriterien, die sowohl den Anforderungen des Tierschutzes und vernünftigen Arbeitsbedingungen, aber auch dem Schutz der Lebens- qualität in den Dörfern und einer nachhaltigen Regional- entwicklung gerecht werden. Die Größe der Nutztierbe- stände an einem Standort, ihre Zahl in der jeweiligen Region, ist dabei nur ein, wenn auch wichtiger, Aspekt. Unsere Vorschläge zur Definition von Bestandsober- grenzen für Tierhaltungen am Standort und in Regionen liegen längst auf dem Tisch. Die Öffentlichkeit erwartet von uns zu Recht endlich Entscheidungen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie alle wissen, wir Grüne kämpfen für eine artgerechte Haltung von Tieren. Doch was sagt man dazu: Bei der Eröffnung der weltgrößten Fachmesse für Nutztierhaltung, der EuroTier in Hannover, verkündete DLG-Präsident Bartmer in dieser Woche, Tierhaltung könne gar nicht artgerecht sein. Welche Konsequenzen sind nun aus seiner Aussage zu ziehen? Doch das nur ne- benbei. Ich möchte heute mit Ihnen in erster Linie über unsere Aufforderung an Sie diskutieren, die Regelungen beim Handel mit Antibiotika für die Tierhaltung umzugestal- ten. Denn was ist die Legitimation für Mengenrabattie- rungen bei Antibiotika in der Tierhaltung? Der Einsatz dieser hochwirksamen Arzneimittel muss auf die akute Behandlung des erkrankten Einzeltiers reduziert werden. Die Gewährung von hohen Mengenrabatten und die großen Spannen bei der Preisgestaltung sind hierfür das denkbar falsche Signal und bieten zu viele ökonomische Anreize, in hohen Mengen Antibiotika billigst zu ver- scherbeln. Stellen wir uns kurz vor, ich sei ein Landtierarzt mit eigener Praxis: Ich kaufe 40 Flaschen eines Antibioti- kums mit dem Listenpreis 20 Euro und bekomme sie für 18 Euro. Dies führt zu einem Verkaufspreis von 26 Euro, der meiner Apotheke einen Rohertrag von 8 Euro ein- bringt. Mein Nachbar dagegen, ein Veterinär, der in einer 6316 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Großpraxis mit 10 Kolleginnen und Kollegen Geflügel- mastställe „betreut“, kauft 400 Flaschen. Der Listenpreis bleibt gleich bei 20 Euro, er bekommt sie aber für 10 Euro pro Stück. Wenn er sie für 21 Euro an den Landwirt abgibt, ist dieser natürlich begeistert über den geringen Preis, und die tierärztliche Apotheke kann einen Rohertrag von 11 Euro verbuchen. Das ist nicht vernünftig, das ist nicht zielführend, das ist Schwach- sinn. Und eine Mischung aus unternehmerischem Ehr- geiz und menschlicher Gier kann hier leicht dazu führen, dass mehr Antibiotika in den Ställen landen als notwen- dig. Ich teile die Einschätzung, die 2012 der damalige Staatssekretär Gerd Lindemann im BMELV gab: Tier- ärztinnen und Tierärzte müssen für ihre medizinische Leistung bezahlt werden, nicht für das Ausfüllen von Abgabebelegen für Antibiotika. Der aktuelle Bericht der Europäischen Arzneimit- telagentur macht es deutlich: Deutschland ist Spitzenrei- ter beim absoluten Verbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung. Und bezogen auf den vorhandenen Tierbe- stand befinden wir uns in der Spitzengruppe mit Zypern, Ungarn, Spanien und Italien. Die Bundesregierung un- ternimmt nichts, um daran etwas zu ändern! Es wurde zwar als großer Erfolg gefeiert, dass die absoluten Abga- bemengen von 2011 auf 2013 gesunken sind. Dabei wird allerdings unter den Teppich gekehrt, dass im gleichen Zeitraum die Abgabe von Reserveantibiotika sprunghaft angestiegen ist. Bei den Cephalosporinen der dritten Ge- neration stieg die Abgabe innerhalb von zwei Jahren um 25 Prozent, bei den Fluorchinolonen sogar um 60 Pro- zent. In der Dosierung unterscheiden sich die verschie- denen Antibiotika erheblich, und gerade die kritischen Reserveantibiotika werden sehr niedrig dosiert. Es wer- den bei Tetracyclinen beispielsweise 80 mg pro kg Kör- pergewicht eingesetzt, bei Cephalosporinen dagegen nur 1 bis 2 mg pro kg Körpergewicht. Berücksichtigt man diese fachliche Ebene, ist die signifikante Erhöhung der Reserveantibiotika geradezu alarmierend und nivelliert den Rückgang der absoluten Menge. Deshalb muss die Tagesdosis endlich mit erfasst werden. Reserveantibio- tika müssen weitestgehend aus der Tierhaltung ver- schwinden. Deshalb: Verbieten Sie endlich den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierhaltung, mit wenigen begründeten Ausnahmen. In der letzten Woche mussten wir zur Kenntnis neh- men, dass im Landkreis Cloppenburg Sulfadimidin, ein Antibiotikum, das nur in der Tierhaltung eingesetzt wird, in Trinkwassermessstellen nachgewiesen wurde. In der Region mit der höchsten Viehdichte in ganz Europa. Und wieder: Die Bundesregierung unternimmt nichts, um daran etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil: Der Bau- ernverbandsvorsitzende der Region behauptete steif und fest, die gefundenen Antibiotika kämen aus der Human- medizin, obwohl sie dort nachweislich nicht zugelassen sind. Ich möchte einerseits heute um Ihre Unterstützung werben, das Dispensierrecht anzupassen und zu mehr Vernunft umzugestalten. Das heißt, das Rabattierungs- system muss abgeschafft werden, weil es falsche An- reize gibt. Nicht weniger, sondern mehr Verbrauch wird hier belohnt. Aber andererseits möchte ich Sie fragen, wie wir die Tierhaltung in der Landwirtschaft handhaben wollen. Sehen wir unsere Bäuerinnen und Bauern, da beziehe ich mich mit ein, als Tierhalter, die sich verantwortungsvoll um die ihnen anvertrauten Geschöpfe kümmern, ihnen ein artgerechtes Leben ermöglichen und so wertvolle Lebensmittel erzeugen? Oder degradieren wie sie als Mäster oder Ferkelproduzenten, die so in der Tretmühle aus Ramschpreisen, Kosteneffizienz und Produktivität gefangen sind, dass sie gar keine Wahl haben, als immer mehr Tiere zu halten und ihnen eine immer unnatürli- chere Leistung abzutrotzen? Es muss Schluss sein damit, dass 70 Prozent des Schweinefleischs in Rabattschlach- ten verramscht werden. Ich sage Nein, und die Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten sagt Nein. Nun bedarf es etwas Mut und Rückgrat, um gemachte Fehler einzugestehen und die Tierhaltung umzugestalten. Es wäre für alle ein Ge- winn, für die Tiere, für die Umwelt und für die Men- schen. Nehmen wir den Wunsch der Menschen endlich ernst, mit unseren Nutztieren verantwortlich umzugehen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über ei- nen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Be- schlusses 2003/174/EG (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Der Erfolg der so- zialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutsch- land basiert im Wesentlichen auf der Sozialpartnerschaft von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Gemein- sam wird verhandelt, abgestimmt und diskutiert, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung darstellt und wie Kapital und Arbeit gerecht verteilt werden können. Dadurch ist es uns gelungen, ein beträchtliches Maß an Wohlstand für alle zu erreichen. Die soziale Marktwirtschaft ist der Ursprung, warum die Bundesrepublik Deutschland gestärkt aus der Fi- nanzkrise im Jahr 2008 gekommen ist. Und daran hatten gerade die Sozialpartner, die sich in Lohnzurückhaltung geübt haben, einen wesentlichen Anteil. Auch mit ver- nünftigen politischen Instrumenten der Bundesregierung wie beispielsweise der Kurzarbeit ist es gelungen, die negativen wirtschaftlichen Folgen abzufedern. Mit dem Dreigliedrigen Sozialgipfel verfolgt die Europäische Union seit einigen Jahren das Ziel, auf hochrangiger Ebene eine Abstimmung mit den Sozial- partnern in Europa zu gewährleisten. Zweimal jährlich werden wirtschaftliche, soziale und beschäftigungspoli- tische Fragen diskutiert. Es wird nach Lösungen gesucht, die ökonomische Schieflage in Europa zu beheben. Und gerade in diesen Zeiten, in denen sich die Jugendarbeits- losigkeit auf einem enorm hohen Niveau befindet, die wirtschaftlichen Verhältnisse sich nicht annähern, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6317 (A) (C) (D)(B) sondern wieder auseinandergehen, ist ein Austausch auf dieser Ebene notwendig. Die sozialen Herausforderungen in der Europäischen Union sind enorm: Ausufernde Arbeitslosigkeit bei Jung und Alt, schwaches Wirtschaftswachstum und zu hohe Staatsverschuldungen sind drei Kernprobleme. Die Poli- tik hat die Verantwortung, alles dafür zu tun, dass keine verlorene Generation in Europa entsteht, die fern von Perspektiven ist. Deswegen ist es so bedeutend, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dazu sind Struk- turanpassungen in den betroffenen Mitgliedstaaten not- wendig. Um eine gerechtere Gesellschaft in Deutschland und in Europa zu schaffen, brauchen wir einen verlässlichen Staat, einen Staat, der auch morgen noch in der Lage ist, den Schwachen zu helfen, Schulen und Straßen zu bauen und die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Die Aufgabe der Politik ist es, die Nachhaltigkeit der sozia- len Sicherheit zu gewährleisten. Die Generationenge- rechtigkeit erfordert aber auch, die Schulden des Staates zu begrenzen, um seine Funktionsfähigkeit zu stärken. In diesem Spannungsfeld befindet sich die Europäische Union derzeit. Deswegen ist es nicht richtig, mehr Geld auszugeben und mehr Schulden zu machen – das sind die falschen Antworten auf die heutigen Probleme. Das sehen wir in der Bundesrepublik Deutschland und in den Mitglied- staaten der Europäischen Union. Es bedarf tiefgreifender Änderungen, bei denen Sozialpartner mitwirken und so die Grundlagen für nachhaltiges wirtschaftliches Wachs- tum legen: mit dem Ziel, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Staatsverschuldung einzudämmen. Der Dreigliedrige Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung soll eine engere Abstimmung zu diesen Fragen sicherstellen. Mit dem Präsidenten des Europäi- schen Rates, dem Präsidenten der Europäischen Kom- mission, Vertretern des Europäischen Rates sowie einer jeweils zehnköpfigen Delegation des Europäischen Gewerkschaftsbundes und dem Verband europäischer Unternehmen sind Akteure beteiligt, die wesentliche Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Union tragen. Mit diesem Gesetzentwurf soll der Ratsbeschluss vom 6. März 2003 an die durch den Vertrag von Lissa- bon eingeführten institutionellen Änderungen angepasst und den positiven Erfahrungen mit den praktischen Modalitäten des Dreigliedrigen Sozialgipfels Rechnung getragen werden. Dabei geht es schwerpunktmäßig um die Vertretung des Europäischen Rates im Dreigliedrigen Sozialgipfel. Diese soll nach Schaffung des Amtes des Präsidenten des Europäischen Rates durch den Vertrag von Lissabon künftig durch diesen und nicht mehr durch den amtieren- den Ratsvorsitz wahrgenommen werden. Zusätzlich wird der politische Rahmen an die Strategie Europa 2020 an- gepasst, die die Strategie von Lissabon ersetzt hat. Mit diesem Gesetz wird die Bundesregierung dazu er- mächtigt, dieser Anpassung zuzustimmen. Das ist sinn- voll und begrüßenswert. Deswegen unterstützt die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion dieses Anliegen. Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU): Wir be- raten den Entwurf eines Gesetzes zum Vorschlag für ei- nen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen So- zialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Ratsbeschlusses vom 6. März 2003. Der Dreigliedrige Sozialgipfel dient als Austausch- plattform zwischen, wie der Name schon sagt, drei Pro- tagonisten: dem Rat, der Europäischen Kommission und den Sozialpartnern. Die Rolle der Sozialpartner und der soziale Dialog sollen gefördert werden, und das unter Wahrung der Autonomie der Sozialpartner. Der Ratsbeschluss aus dem Jahr 2003 zur Einrichtung eines Dreigliedrigen Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung stützte sich auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Mit dem Vertrag von Lissabon ist nun eine Anpassung notwendig geworden. Mit dem vorliegenden Vorschlag der Kommission vom 31. Oktober 2013 soll der Ratsbeschluss an die durch den Vertrag von Lissabon eingeführten institutionellen Änderungen angepasst werden. Es geht also in erster Li- nie um eine institutionelle Anpassung, die bisherige Pra- xis wird mit dem Vorschlag nicht angetastet. Die Organi- sation und die Funktionsweise nationaler Systeme der Arbeitsbeziehungen bleiben unberührt. Der Präsident des Europäischen Rates, dessen Amt mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen wurde, soll künftig die Vertretung für den Rat im Rahmen des Drei- gliedrigen Sozialgipfels übernehmen. Die alte Regelung, wonach der amtierende Ratsvorsitz die Vertretung inne- hatte, würde somit entfallen. Ein weiterer Vorschlag betrifft eine Überarbeitung, mit der der Ablösung der Lissabon-Strategie durch die Strategie Europa 2020 Rechnung getragen wird. Europa 2020 ist die Wachstumsstrategie der EU. Intelligente, nachhaltige und integrative Wirtschaft ist das, was wir uns für Europa wünschen. Die Strategie enthält ehrgei- zige Leitziele für Europa: Beschäftigung, Innovation, Bildung, Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgren- zung, Klimawandel und nachhaltige Energiewirtschaft. Durch konkrete Maßnahmen soll die Strategie in all die- sen Bereichen auf EU-Ebene und auf der Ebene der Mit- gliedstaaten untermauert werden. Diese Ziele können jedoch nicht ohne die Sozialpart- ner erreicht werden. Um die Mitverantwortung für die Umsetzung der Strategie zu fördern, müssen die Sozial- partner, bestehend aus Vertretern branchenübergreifender Arbeitnehmer und Arbeitgeberverbände, in die Durchfüh- rung der Wirtschafts- und Sozialpolitik eingebunden werden. Der Dreigliedrige Sozialgipfel erfüllt genau diese Funktion. Die gemachten Erfahrungen zeigen, dass der Gipfel einen positiven Beitrag zur Förderung des so- zialen Dialogs auf Unionsebene leistet. Ich begrüße es ausdrücklich, dass durch das vorlie- gende Gesetz die innerstaatlichen Voraussetzungen ge- schaffen werden, die dem deutschen Vertreter ermögli- chen, dem Beschlussvorschlag im Rat zuzustimmen. Mit 6318 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) der Zustimmung im Rat schaffen wir eine neue Rechts- grundlage für die Fortführung des Forums. Die abschlie- ßende Beschlussfassung im Rat steht noch aus, da sie den Abschluss von Gesetzgebungsverfahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in einigen anderen EU-Staa- ten erfordert. Ein gemeinsamer Änderungsantrag der CDU/CSU- und der SPD-Fraktionen zur Ermächtigungsgrundlage im SGB IX für die Versorgungsmedizin-Verordnung liegt ebenfalls zur Abstimmung vor. Um die Zweifel auszu- räumen, ob die derzeitige Ermächtigungsgrundlage für die Versorgungsmedizin-Verordnung in § 30 Absatz 16 des Bundesversorgungsgesetzes auch Regelungen ab- deckt, die sich auf die medizinische Bewertung des Gra- des der Behinderung und die medizinischen Vorausset- zungen für die Vergabe von Merkzeichen beziehen, soll eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage auch im SGB IX verankert werden. Der Antrag steht zwar in kei- nem inhaltlichen Zusammenhang mit dem hier vorlie- genden Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel, ist aber dem Umstand geschuldet, die Anwendung der Versor- gungsmedizin-Verordnung nicht zu verzögern. Daher sollte auch diesem Antrag unsere Zustimmung erteilt werden. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Am 23. Okto- ber dieses Jahres tagte der Dreigliedrige EU-Sozialgipfel in Brüssel. Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, sowie Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände betonten gleichermaßen die Not- wendigkeit, das Vertrauen der Menschen in die Europäi- sche Union wiederherzustellen und die soziale Dimen- sion Europas zu stärken. Fakt ist aber, dass diese Forderung leider im klaren Widerspruch zur aktuellen Krisenbewältigungsstrategie der EU steht. Die Spar- und Austeritätspolitik war und ist kein Zukunftskonzept, weder ökonomisch, fiskalisch, sozial noch politisch. Ganz im Gegenteil: Sie hat die Problemlagen in den Krisenländern zum Teil zusätzlich noch verschärft. Die Lösungsstrategie der EU zur Überwindung der Krise umfasst vor allem Sparpakete und Strukturrefor- men, die durch Sozialabbau, Eingriffe in die Tarifauto- nomie und die Kürzung von Löhnen und Renten dazu geführt haben, dass sich die soziale Schieflage in Europa verschärft hat. Insbesondere die unteren Einkommens- schichten leiden massiv unter Ausgabenkürzungen im Gesundheitsbereich und einer mangelnden sozialen Ab- sicherung. Die aktuelle Situation in den Mitgliedstaaten erfor- dert, dass wir Europa gerechter, demokratischer und sozialer gestalten. Die Europäische Union ist mehr als eine „Fiskalunion“. Aus diesem Grund müssen die Grundwerte der europäischen Idee, wie die Solidarität unter den Mitgliedstaaten wieder in gelebtes politisches Handeln münden. Bereits in unserem Wahlkampfprogramm für die Europawahl 2014 haben wir gefordert, dass wirtschaftli- che Ungleichgewichte im Euroraum bekämpft werden müssen. Auf der einen Seite brauchen wir Konjunkturanreize und Zukunftsinvestitionen für eine Wachstumsperspek- tive. Damit haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gemacht und sind am besten von allen Mitgliedstaaten durch die Krise gekommen. Auf der anderen Seite ge- hört zu einer sozial gerechten Investitionspolitik nach meiner Ansicht, die Wettbewerbs- und Innovationsfähig- keit in den Mitgliedstaaten mit sozial- und beschäfti- gungspolitischen Maßnahmen zu verbinden. Wirtschaftliche Prosperität und soziale Teilhabe gehö- ren zusammen. Wer sie gegeneinander ausspielt, gefähr- det den europäischen Einigungsprozess und sorgt schlussendlich dafür, dass sich immer mehr Menschen von Europa abwenden. Die Menschen müssen spürbar erleben, dass es für sie einen Mehrwert gibt. Wir wollen den Schutz von sozia- len Rechten, nicht deren Abbau. Wir wollen den Schutz der Spareinlagen, nicht den Schutz der Banken, und wir wollen mehr Demokratie, nicht mehr Bürokratie. Perspektivisch müssen wir die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion stärken. Dazu gehört auch die Vereinbarung gemeinsamer europäischer Ziele für nationale Sozialausgaben. Diese Debatte gibt mir Gelegenheit, einmal herauszu- stellen, dass wir in der EU aber auch schon viel erreicht haben. Die Strukturpolitik der EU hat dazu geführt, dass die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euro-Raum abgenommen haben. Der europäische Sozialfonds, ESF, beispielsweise investiert in der Förderperiode von 2014 bis 2020 über 80 Milliarden Euro in Beschäftigungs- und Bildungsmaßnahmen. Hinzu kommen mindestens 3,2 Milliarden Euro für die Jugendbeschäftigungshilfe. Aufgrund der aktuellen Situation in Griechenland oder Spanien, wo jeder zweite Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren nach einer Ausbildung oder einer Festanstel- lung sucht, muss die Bekämpfung der Jugendarbeits- losigkeit im Zentrum einer gemeinsamen Sozialpolitik stehen. Diese jungen Menschen sind darauf angewiesen, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, um ihnen die Chance auf Bildung, eine qualifizierte Ausbildung und gute Jobs zu ermöglichen. Unter anderem hängt die Zukunft der Europäischen Union auch davon ab, dass wir diese jungen Menschen nicht im Stich lassen. Wie sollten sie an einem europäi- schen Haus weiterbauen, wenn sie auf dem Weg zum Er- wachsenwerden chancenlos bleiben? Aus diesem Grund unterstützt die SPD-Fraktion die Anstrengungen der EU- Kommission, junge Menschen in qualitativ hochwertige Arbeit zu bringen, uneingeschränkt. Was wir brauchen, ist eine europäische Jugendgarantie, die vorsieht, dass jeder arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren binnen vier Monaten ein qualitativ hochwertiges Angebot für einen Job, eine Ausbildung oder ein Praktikum bekommt. Der Beschluss der EU, die finanzielle Ausstattung der Be- schäftigungsinitiative für Jugendliche auf die Jahre 2014 und 2015 vorzuziehen, ist deshalb durchweg zu begrü- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6319 (A) (C) (D)(B) ßen. Wir dürfen die Sozialpolitik nicht als reinen Kos- tenfaktor sehen, sondern als die zentrale Voraussetzung zur Überwindung der Krise. Selbstverständlich stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, der lediglich eine institutionelle Anpassung vorsieht, und wünschen uns, dass die Er- folgsgeschichte der Europäischen Union durch eine so- zial gerechtere Politik fortgeschrieben werden kann. Eu- ropa braucht neue Ideen und Impulse, um die Ideale der Freiheit, des Wohlstands und der sozialen Gerechtigkeit für alle Menschen in der EU zu verwirklichen. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Jeder vierte Euro- päer ist heute von Armut betroffen. In einigen ost- und südeuropäischen Ländern sind es deutlich über 30 Pro- zent, teilweise über 40 Prozent. Vor allem in den letzten Jahren hat die Armut rasant zugenommen. Dabei sollte mit der Europa-2020-Strategie das Gegenteil erreicht werden. Diese Strategie ist gescheitert. Beispiel Griechenland: Dort ist die Armutsquote zwi- schen 2009 und 2013 von 27,6 auf 35,7 Prozent gestie- gen. Und selbst dieser deutliche Anstieg bildet das Drama nur teilweise ab. Definiert wird Armut nämlich als ein Einkommen, dass niedriger ist als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der jeweiligen Gesellschaft. Da aber die Einkommen insgesamt stark gesunken sind, sind auch das Durchschnittseinkommen und damit die Armutsgrenze immer weiter gesunken. So galt 2009 in Griechenland noch als arm, wer weniger als 7 521 Euro im Jahr bekam. Heute liegt die Grenze nur noch bei 5 452 Euro. Ähnlich ist die Lage in den anderen südeuropäischen Ländern auch. In Osteuropa sieht es teilweise noch schlimmer aus – und zwar nicht erst seit der Krise. Aber Armut ist bei weitem nicht ausschließlich ein südosteuropäisches Problem. Auch in Deutschland liegt die Armutsquote heute bei über 20 Prozent. 8,6 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten hierzulande zu Löhnen un- terhalb der Armutsgrenze. Unter den Arbeitslosen sind dank Hartz IV und Agenda 2010 sogar fast 70 Prozent betroffen – deutlich mehr als in jedem anderen EU-Mit- gliedstaat. Dabei sind das Schlimmste gar nicht einmal die nack- ten Zahlen. Es sind nämlich nicht nur immer mehr Men- schen von Armut betroffen, die Armut ist auch härter ge- worden. Immer häufiger geht sie mit dauerhafter sozialer Ausgrenzung, mit Obdachlosigkeit oder Krankheiten einher, die heute nur noch bei jenen behandelt werden, die es sich leisten können. Wo wir also auch hinschauen, wenn es um Armut geht, haben wir in Europa dringenden Gesprächsbedarf. Insofern ist der Sozialgipfel eine begrüßenswerte Initia- tive. Aber wir haben nicht nur Gesprächsbedarf, wir ha- ben vor allem Handlungsbedarf. Hier wird uns der Gip- fel nicht weiterhelfen. Dieser Gipfel ist Ausdruck eines grundlegenden Pro- blems, das sich durch die gesamte Geschichte der EU- Integration zieht. Während es im Bereich der Wirtschafts- und Fiskalpolitik immer weitere Kompetenzübertragun- gen auf die EU-Ebene gab, blieb es im Bereich der So- zialpolitik bei unverbindlichen Lippenbekenntnissen. So ist ein riesiges Ungleichgewicht entstanden. Ökonomische Interessen werden sozialen Interessen systematisch über- geordnet. Dieses Ungleichgewicht können wir heute ganz prak- tisch beobachten: Während Gesundheitssysteme kolla- bieren, Familien ihre Kinder nicht mehr ernähren kön- nen und eine ganze Generation junger Südeuropäer ins Exil getrieben wird, haben EU und EU-Mitgliedstaaten 1 700 Milliarden Euro zur Rettung maroder Banken mo- bilisiert und die Steuern auf Vermögen und Profite sogar noch weiter gesenkt. Da hilft uns auch kein Sozialgipfel weiter, der nur zu neuen Lippenbekenntnissen führt. Wir müssen handeln! Wir müssen das Europäische Haus vom Kopf auf die Füße stellen. Solange der Steuerwettbewerb und die Steuerflucht nicht gestoppt werden, solange Maastricht- Regeln und Fiskalpakt permanent Druck auf die staatli- chen Ausgaben legen, solange Pleitebanken mit Steuergel- dern gerettet werden und solange es keine verbindlichen sozialen Rechte und keine ernsthafte demokratische Kontrolle auf EU-Ebene gibt, so lange werden wir nicht in der Lage sein, die schwerwiegenden sozialen Pro- bleme in den Griff zu bekommen. Wenn wir die Grund- fehler der EU-Integration nicht schnell und entschieden beheben, dann wird uns das ganze Projekt bald um die Ohren fliegen. Was glauben Sie, warum der immense Vertrauensvor- schuss, den die Europäische Integration einmal hatte, fast vollkommen verpufft ist, warum es in kaum einem Mitgliedstaat mehr eine Mehrheit für diese Art der Inte- gration gibt? Weil immer mehr Menschen mit Europa eine Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse, Armut und Ausgrenzung verbinden. Europa muss sozial und demokratisch sein! Ein Europa der Banken und Konzerne wird scheitern! Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wir behandeln heute ein Zustimmungs- gesetz, welches nötig ist, damit der deutsche Vertreter im Rat einem Beschlussvorschlag im Rat zustimmen kann. Bei diesem Beschlussvorschlag geht es um eine Anpas- sung des Dreigliedrigen Sozialgipfels an die durch den Vertrag von Lissabon veränderten institutionellen Gege- benheiten. Daran ist selbstverständlich nichts auszuset- zen, auch wenn die Frage erlaubt sein muss, weshalb diese Anpassung erst über zehn Jahre nach dem Vertrag von Lissabon nun final erfolgen kann. Nichtsdestotrotz möchte ich diese Gelegenheit zum Anlass nehmen, die Bedeutung der Sozialpartnerschaft gerade auch für die Beratungen auf europäischer Ebene zu unterstreichen. Wir machen in Deutschland schon lange sehr gute Erfahrungen damit, dass die Sozialpart- ner eine Vielzahl von Angelegenheiten selbst regeln und in anderen wichtige Ansprechpartner für die Politik sind. Auch die internationale Arbeitsorganisation kennt schon lange das Prinzip der guten Zusammenarbeit zwischen 6320 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Politik, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden. Diese Zusammenarbeit hat auch auf der europäischen Ebene bereits eine lange Tradition. Seit 1957 tagt als beratendes Organ regelmäßig der Europäische Wirtschafts- und So- zialausschuss, ab 1970 gab es den Ständigen Ausschuss für Beschäftigungsfragen der Europäischen Gemein- schaft, welcher – basierend auf einem Vorschlag der So- zialpartner – nach der Jahrtausendwende in seine heutige Form, den Dreigliedrigen Sozialgipfel, umgebaut wurde. Dort treffen sich nun mindestens einmal jährlich Ver- treter der Sozialpartner, der Kommission und des Rates. Einer der Gründe für diesen Umbau war die Wahrneh- mung bei einigen Teilnehmern, dass das frühere Format „etwas erlahmt sei“ mit der Zeit. So weit die Geschichte und Theorie. Aber wie sieht es denn nun in der Praxis aus, was kann eine solche Veranstaltung bewirken? Nach eigener Darstellung soll der Dreigliedrige Sozialgipfel „einen Beitrag zur Effizienz des sozialen Dialogs für die Ausar- beitung und Durchführung der Wirtschafts- und Sozial- politik der Europäischen Union“ leisten: ein durchaus spannendes und ambitioniertes Unterfangen – gerade in Krisenzeiten, wie den letzten Jahren –, möchte man mei- nen. Kann man also nach zehn Jahren davon sprechen, dass der Umbau geglückt ist? Offen gestanden habe ich meine Schwierigkeiten, auf diese Fragen eine Antwort zu finden: Wenn wir für einen Moment auf die zum Teil fatalen sozialen Folgen der Krise schauen, kann ich mir schwerlich vorstellen, dass es hier einen sozialen Dialog gegeben hat oder dass So- zialpartner signifikant eingebunden waren. Im Gegen- teil, das Ergebnis ihrer Verhandlungen wurde stellen- weise schlicht aufgehoben durch die Krisenpolitik. Auch muss ich zu meinem großen Bedauern feststel- len, dass von diesem Sozialgipfel selten etwas in den Medien zu vernehmen ist. Das erweckt zumindest nicht den Anschein, dass es um die Einbindung der Sozialpart- ner ums Beste bestellt ist. Sehr geehrte Frau Nahles, sicher stimmen Sie mit mir darin überein, dass gerade eine effektive Einbindung der Sozialpartner dringend vonnöten ist, wenn mit der Ver- tiefung der sozialen Dimension in der Wirtschafts- und Währungsunion ernst gemacht werden soll. Allerdings möchte ich, ohne das zuletzt Gesagte schmälern zu wol- len, auch darauf hinweisen, dass es eine Reihe wichtiger, weiterer Akteure in der Zivilgesellschaft gibt – darunter zuvörderst die Wohlfahrtsverbände –, welche auch in entsprechenden Fragen der Sozialpolitik einbezogen werden sollten. Dies ist bekanntermaßen auch gute Übung hierzulande. Daher möchte ich an Sie, Frau Bundesministerin ap- pellieren: Setzen Sie sich sowohl in Deutschland als auch in der EU für einen funktionierenden sozialen Dia- log ein, einen sozialen Dialog, der diesen Namen ver- dient und den entsprechenden Akteuren auch hinreichen- den Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt. Und wenn es dafür einer Revision des Sozialgipfels bedarf – die So- zialpartner werden dann sicher selbst Vorschläge unter- breiten –, bitte ich Sie um eine aktive Rolle. In jedem Fall bitte ich Sie, sich dafür einzusetzen, dass der Sozial- gipfel im Rahmen des Europäischen Semesters eine deutlichere und auch gewichtigere Rolle bekommt – ja, und damit eine Rolle, die auch öffentlich wahrgenom- men wird. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsu- chenden und geduldeten Ausländern (Tagesord- nungspunkt 18) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Wir erleben derzeit die größte Flüchtlingskatastrophe seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Vereinten Nationen schätzen, dass weltweit 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Rund 17 Millionen gelten als Flüchtlinge im völker- rechtlichen Sinne. Das entspricht in etwa der Bevölke- rung von Nordrhein-Westfalen. Europa ist ein Hauptziel für Flüchtlinge, die nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Heimatregion verlassen. Der europäische Kontinent verspricht ihnen Sicherheit, Hilfsbereitschaft, Freiheit und Wohlstand. Die traurige Wahrheit aber ist, dass die meisten EU- Staaten für Flüchtlinge kaum mehr als Transitländer sind. Der massive Flüchtlingsdruck konzentriert sich auf wenige Länder innerhalb Europas. Jeder zweite Asyl- antrag in Europa wird heute in Deutschland oder Schwe- den gestellt. Deutschland erbringt seit Jahren eine einzigartige Leistung beim Flüchtlingsschutz, einerseits mit massiver Hilfe vor Ort in den Krisenregionen wie rund um Syrien, andererseits durch die großzügige Aufnahme und Inte- gration von Flüchtlingen. Der UN-Flüchtlingskommis- sar Guterres lobte Deutschland ausdrücklich als Vorbild für Europa. Bereits 2013 waren die Asylbewerberzahlen hierzu- lande um 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestie- gen. In diesem Jahr sind sie erneut um über 55 Prozent gestiegen. Allein im vergangenen Oktober hat das Bun- desamt für Migration und Flüchtlinge mehr Asylanträge verzeichnet als im gesamten ersten Quartal 2013. Die Zeitung Die Welt titelte daher kürzlich: „Deutschland ist das Flüchtlingsheim Europas“. Greifbar werden diese Zahlen, wenn man in unsere Kommunen geht, die den Zustrom an Flüchtlingen mit großartigem Einsatz und unglaublicher Hilfsbereitschaft bewältigen. Die Leistungen auf der kommunalen Ebene können nicht hoch genug bewertet werden. Allein in meinem Wahlkreis in der Region Aschaffen- burg kommen jede Woche bis zu 30 neue Asylbewerber an und werden versorgt. Insgesamt beherbergt Bayern derzeit rund 49 600 leistungsberechtigte Flüchtlinge. Damit bietet Bayern mehr Flüchtlingen Schutz als Ita- lien, Spanien und Griechenland zusammen im laufenden Jahr neue Asylanträge angenommen haben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6321 (A) (C) (D)(B) Flüchtlinge erhalten bei uns nicht nur Essen, Klei- dung, Unterkunft und eine gute Gesundheitsversor- gung. Ihre Kinder werden zudem beschult und Erwach- sene in Integrations- und Sprachkursen auf ein Leben in Deutschland vorbereitet. Zahllose Helfer in Deutschland kümmern sich um die Flüchtlinge. Für diesen Einsatz sind wir überaus dankbar. In diesem Jahr werden insgesamt über 200 000 Asyl- anträge in Deutschland erwartet. In rund 30 Prozent aller Fälle wird Schutz gewährt. Ein Rückgang der Flücht- lingszahlen und der Gesamtschutzquote ist nicht zu er- warten. Die desaströse Lage in Syrien, Afghanistan oder Eritrea wird sich auf absehbare Zeit wohl kaum verbes- sern. Die Ebolakrise in Westafrika oder der Konflikt in der Ostukraine können hingegen zusätzliche Flüchtlings- ströme verursachen. Angesichts dieses massiven Flüchtlingsdrucks ist es elementar wichtig, dass wir unsere begrenzten Mittel ef- fektiv einsetzen. Wir müssen unsere Hilfe auf diejenigen konzentrieren, die tatsächlich asylberechtigt sind, weil sie in ihrer Heimat verfolgt werden. Flucht vor Armut ist zwar verständlich, sie ist aber keine Begründung für Flüchtlingsschutz. Das deutsche Asylsystem dient dem Schutz vor Verfolgung und nicht der Entwicklungshilfe. Um die steigende Zahl der sogenannten Wirtschafts- flüchtlinge einzudämmen, hatten wir bereits im Juli beschlossen, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Maze- donien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Aus diesen Ländern stammen rund 17 Prozent aller Asyl- anträge in Deutschland, obwohl die Schutzquote für diese Länder seit Jahren quasi bei 0 Prozent liegt. Solche aussichtlosen Asylanträge können nun schneller abge- schlossen werden. Dieses Gesetz war wichtig, weil es zur Entlastung des deutschen Asylsystems beiträgt. Damit es in Kraft treten konnte, war ein Kompromiss im Bundesrat notwendig. Das Ergebnis dieses Kompromisses ist der vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechtsstellung von Asylsuchenden und Geduldeten in Deutschland. Im Wesentlichen sieht der Gesetzentwurf drei Verbes- serungen vor. Erstens soll die Residenzpflicht nach drei Monaten gelockert werden. Die ausgeweitete Bewe- gungsfreiheit kann die Integration und die Arbeitsplatz- suche fördern. Zweitens wird das Sachleistungsprinzip auf Aufnahmeeinrichtungen beschränkt. Sachleistungen bleiben aber möglich, um Versorgungsengpässe zu über- brücken. Drittens wird die Vorrangprüfung für Asylbe- werber oder Geduldete aufgehoben, wenn sie sich seit 15 Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland aufhalten. Diese Regelung wird gemäß der Protokollerklärung des Bundesrates auf drei Jahre befristet und verfällt, sofern sie nicht erneut beschlossen wird. Sollte sich die Ar- beitsmarktsituation in Deutschland eintrüben, kann die bisher geltende Vorrangprüfung also wieder aufleben. Ebenso müssen wir auch die Auswirkungen der anderen beiden Verbesserungen genau beobachten und evaluie- ren. Zweifellos ist es richtig, dass wir die Integration in unsere Gesellschaft und in unseren Arbeitsmarkt erleich- tern. Das Ziel muss sein, schutzbedürftige Flüchtlinge möglichst schnell zu integrieren und auf die eigenen Fü- ßen zu stellen. Gleichzeitig müssen wir aber darauf achten, dass die Verbesserungen auf diejenigen beschränkt bleiben, die tatsächlich asylberechtigt sind. Das erreichen wir nur, wenn aussichtslose Asylanträge zügig abgeschlossen und die Rückführung konsequent durchgeführt wird. Dazu müssen wir die Dauer der Asylverfahren auf drei Monate reduzieren, so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Das ist genau der Zeitraum, in dem die Residenzpflicht auch weiterhin Bestand haben soll. Um die Asylverfahren entsprechend zu beschleuni- gen, hat die Koalition bereits 650 neue Stellen für das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge be- willigt. Zusätzlich müssen wir das Asylverfahrensrecht vereinfachen und bestehende Vollzugshemmnisse bei der Aufenthaltsbeendigung reduzieren. Nur so können wir ein ausgewogenes Asylsystem in Deutschland schaf- fen, das den wirklich Schutzbedürftigen die beste Hilfe bietet. Entscheidend bleibt aber die Implementierung und Weiterentwicklung des europäischen Asylsystems. So- lange nur wenige Mitgliedstaaten der EU den Asylschutz so ernst nehmen wie Deutschland, wird es bei der un- gleichen Verteilung der Lasten bleiben. Das stellt ein er- hebliches Risiko für die Akzeptanz unseres Asylsystems in der Bevölkerung dar. Diese Gefahr darf niemand un- terschätzen, dem ein funktionierender Asylschutz wirk- lich am Herzen liegt. Rüdiger Veit (SPD): Vor rund einem Jahr befanden wir uns in den Koalitionsverhandlungen. Im Bereich Ausländer- und Asylrecht war ich an den Verhandlungen für die SPD-Fraktion beteiligt. Viele Punkte, die wir gerne für die SPD-Fraktion in den Koalitionsvertrag mit hineinverhandelt hätten, wurden damals so strikt nicht von dem Koalitionspartner gewollt und kamen somit auch nicht in den Koalitionsvertrag. Umso mehr freut es uns heute, dass sich einige der Verbesserungen für Asyl- bewerber und Geduldete, die wir damals schon gewollt haben, nunmehr in dem vorliegenden Gesetzentwurf wiederfinden. Dabei fing diese Erfolgsgeschichte zunächst mit dem Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeits- marktzuganges für Asylbewerber und Geduldete an. Mit Bauchschmerzen haben wir diesem Gesetz zugestimmt, in erster Linie und vor allem deshalb, weil wir die in dem Gesetz enthaltenen Erleichterungen für die Arbeits- aufnahme von Asylbewerbern und Geduldeten für notwendig erachten. Es ist an dieser Stelle schon häufig gesagt worden, aber weil es gut und richtig ist, sage ich es noch einmal: Nunmehr wird die Frist, die ein Asyl- bewerber oder Geduldeter warten muss, bis er eine Ar- beit aufnehmen kann, auf drei Monate verkürzt werden. Bislang mussten Asylbewerber neun und Geduldete 6322 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) zwölf Monate warten, bis sie in Deutschland arbeiten konnten. Diese Menschen haben nunmehr die Chance, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen und ein selbstbe- stimmtes Leben zu führen. Auch die Mehrheit des Bundesrates hatte große Be- denken bezüglich der Aufnahme weiterer Staaten in den Katalog der sicheren Herkunftsstaaten. Die notwendige Zustimmung konnte nur erfolgen, nachdem die Bundes- regierung ganz in unserem Sinne weitere lebensnahe Verbesserungen für Asylbewerber und Geduldete zuge- sagt hatte, die jetzt in das vorliegende Rechtsstellungs- verbesserungsgesetz Eingang gefunden haben. So hatten wir bereits in unserem Regierungspro- gramm zur Bundestagswahl 2013 unseren Willen bekun- det, die sogenannte Residenzpflicht gänzlich abschaffen zu wollen. Leider konnten wir diese Position so nicht in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln, sondern nur in einer abgeschwächten Form. Umso besser ist es, dass die Residenzpflicht nun doch abgeschafft wird nach einem dreimonatigen geduldeten, gestatteten oder erlaubten Voraufenthalt. Vollständigkeitshalber sei angemerkt, dass ich mir die Abschaffung der Residenzpflicht vom ersten Tag an hätte vorstellen können. Ich habe immer gesagt – und als ehemaliger Landrat weiß ich auch, wovon ich spreche –, dass es nicht nur für die Betroffenen von großem Vorteil ist, wenn sie statt Sachleistungen Geldleistungen erhalten, sondern auch die Kommunen darüber hinaus davon profitieren. Dies entspricht unserer Beschlusslage in der letzten Legislatur – Drucksache 17/11674: „Menschenwürdige Lebens- bedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicherstellen – Asylbewerberleistungs- gesetz reformieren“. Im Rechtsstellungsverbesserungs- gesetz wird nun dementsprechend das bislang geltende Prinzip des Vorrangs von Sachleistungen vor Geldleis- tungen umgekehrt: Mit Inkrafttreten des Gesetzes sind Geldleistungen gegenüber Sachleistungen grundsätzlich vorrangig. Problematisch ist allerdings die Möglichkeit einer Rückausnahme von diesem neuen Grundsatz, nachdem anstelle der Geldleistungen, „soweit es nach den Umständen erforderlich ist“, wieder Sachleistungen er- bracht werden können. Die Formulierung „nach den Umständen erforderlich“ ist beliebig weit ausdehnbar. Hier bedarf es meiner Ansicht nach einer Konkretisie- rung. Nicht im Rechtsstellungsverbesserungsgesetz, son- dern in einer am Montag dieser Woche durchs Kabinett gegangenen Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurden – entsprechend der Verein- barung des Bundesrates mit der Bundesregierung vom 19. September 2014 und auch in Fortführung unseres Bestrebens, für weitere Erleichterungen bei der Arbeits- aufnahme für Geduldete und Asylbewerber zu sorgen –, neue Verbesserungen erreicht: Nunmehr ist geregelt, dass für Geduldete und Asylbewerber nach 15 Monaten Voraufenthalt in Deutschland die Vorrangprüfung ent- fällt. Die im Rechtsstellungsverbesserungsgesetz enthalte- nen guten Regelungen sind ein Erfolg, der nicht nur die Handschrift der fordernden grünmitregierten Länder trägt, sondern setzt vor allem um, was wir Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten seit langem an Verbes- serungen im Flüchtlingsbereich gefordert haben. Es verdient unserer aller Zustimmung. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung legt hier heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem der so ge- nannte „Asylkompromiss“ des Bundesrates umgesetzt werden soll. Im September hatte das Land Baden-Würt- temberg im Bundesrat der Einstufung von Bosnien-Her- zegowina, Mazedonien und Serbien als „sichere Her- kunftsstaaten“ gegen alle Kritik auch aus den Reihen der Grünen zugestimmt. Im Gegenzug hat sich die Bundes- regierung verpflichtet, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Rechtsstellung Asylsuchender und Gedulde- ter verbessert werden soll. Im Kern geht es um eine Lo- ckerung der Residenzpflicht und die Ablösung des Sach- leistungsprinzips im Asylbewerberleistungsgesetz durch den Vorrang von Geldleistungen für einen Teil der Leis- tungsberechtigten. Der ebenfalls versprochene Wegfall der Vorrangprüfung beim Zugang zu Beschäftigung nach den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland ist mittlerweile per Verordnung umgesetzt worden, eine Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zur Entlastung der Länder insbesondere bei der Gesund- heitsversorgung von Asylsuchenden und Geduldeten steht hingegen noch aus. Vorliegend werden also die Residenzpflicht und das Asylbewerberleistungsgesetz neu geregelt. Die Residenzpflicht für Asylsuchende und Geduldete soll nach dem Entwurf nach dreimonatigem Aufenthalt erlöschen. Für die Zeit der Unterbringung in einer Erst- aufnahmeeinrichtung im Asylverfahren gilt somit weiter die Residenzpflicht. Die Betroffenen können den Bezirk ihrer Ausländerbehörde nur mit einer Erlaubnis verlas- sen. Diese Erlaubnis soll auch weiterhin nur in sehr en- gen Grenzen erteilt werden, um beispielsweise Termine bei Behörden oder Gerichten wahrnehmen zu können. Asylsuchenden bleibt weiter verwehrt, Verwandte oder Freunde zu besuchen oder einfach das Land kennenzu- lernen, in dem sie zukünftig leben werden. Und auch nach den ersten drei Monaten kann die Ausländerbehörde weiter Aufenthaltsbeschränkungen verfügen. Dazu reicht jedwede rechtskräftige Verurtei- lung aufgrund einer Straftat, also auch bei Bagatelldelik- ten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. Diese Ein- schränkung gilt ohne jede zeitliche Befristung; gerade langjährig Geduldete bleiben so dauerhaft belastet, wenn sie zu Beginn ihrer Zeit in der Bundesrepublik einfache Straftaten begangen haben. Das ist vollkommen unver- hältnismäßig. Gleiches gilt für die zweite Ausnahmere- gelung: Wird Asylsuchenden oder Geduldeten ein Ver- stoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt, reicht schon der einfache Verdacht, um wieder die Resi- denzpflicht zu verhängen. Ebenfalls soll die Residenz- pflicht verhängt werden, wenn „aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen“. Diese Formulierung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6323 (A) (C) (D)(B) ist dehnbar; darunter kann schon der Versuch der Aus- länderbehörde fallen, einen Pass zu besorgen. Auch diese Regelung ist unverhältnismäßig und lässt Spielraum für willkürliches Behördenhandeln. Außerdem stellt sich die Frage, was diese Regelung in Bezug auf Asylsuchende soll – sie haben eine Aufenthaltsgestattung und sind im Gegensatz zu den Geduldeten nicht ausreisepflichtig. Bei ihnen können also aufenthaltsbeendende Maßnah- men ohnehin erst ergriffen werden, wenn ihr Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde. Solange Betroffene Sozialleistungen beziehen, gelten für sie Wohnsitzauflagen, sie können also nicht selbst wählen, wo sie in Deutschland leben wollen. Mit der Neuregelung soll ihnen sogar eine bestimmte Wohnung zugewiesen werden können; das geht über das geltende Recht noch hinaus. Der Ministerpräsident von Schles- wig-Holstein, Torsten Albig, hat in seiner Rede vor dem Bundesrat zu Recht kritisiert, dass durch die Wohnsitz- auflage faktisch die Residenzpflicht erhalten bleibt – ein Wohnsitzwechsel ist ausgeschlossen, und bei den gerin- gen finanziellen Mitteln, die Beziehern von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zur Verfügung stehen, ist es mit ihrer Bewegungsfreiheit dann auch nicht weit her. Wer den Wohnort eigenmächtig wechselt, soll keine Sozialleistungen mehr erhalten. Wie das mit der grundgesetzlich gebotenen menschenwürdigen Exis- tenzsicherung vereinbar sein soll, geht aus dem Gesetz- entwurf nicht hervor. Der Vorrang des Sachleistungsprinzips nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wird künftig auf die Unter- bringung in Erstaufnahmeeinrichtungen beschränkt. Bei der Unterbringung außerhalb der Erstaufnahmeeinrich- tungen gilt spiegelbildlich der Vorrang der Geldleistung. Auch das ist nur ein Fortschritt mit angezogener Hand- bremse. Zudem enthält der Gesetzentwurf auch eine Öff- nungsklausel, die es Ländern wie Bayern ermöglicht, an ihrem ineffizienten und unwürdigen Lagersystem und am Sachleistungsprinzip in der Praxis festzuhalten. Da- mit gibt es weiterhin keine einheitlichen Lebensbedin- gungen für Asylsuchende in Deutschland. Die Koalition wird im weiteren Gesetzgebungsverfahren einiges nach- zubessern haben, damit das Gesetz seinem hochtraben- den Titel wenigstens einigermaßen gerecht werden kann. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Abschreckungspolitik, wie sie in Deutschland seit Jahrzehnten praktiziert wird, ist inhuman und erfolglos. Sie setzt sich unter anderem aus folgenden Bestandteilen zusammen: Arbeitsverbot, elend lange Wartezeiten auf ei- nen Sprachkurs, Sachleistungen statt Bargeld, Einschrän- kungen der Bewegungsfreiheit durch die „Residenz- pflicht“, gesundheitliche Unterversorgung durch das Asylbewerberleistungsgesetz und der Zwang, in Mas- senunterkünften wohnen zu müssen. Wer aus seinem Heimatland vor Verfolgung und Krieg fliehen musste, lässt sich von solchen Schikanen aber nicht abhalten. Dennoch stellen sie gravierende Eingriffe dar und bedeuten einen ungeheuren – und auch teuren – bürokratischen Aufwand. All diese Abschreckungsmaßnahmen gehören restlos abgeschafft. Denn sie schaden nicht nur den Betroffe- nen, sondern der Gesellschaft insgesamt. Nun unternimmt die Bundesregierung – nicht ganz freiwillig – einen halbherzigen Versuch, einige der übelsten Auswüchse einer verfehlten und gescheiterten Politik abzumildern. Vorgesehen ist, dass die räumliche Beschränkung für Asylsuchende und Geduldete – die sogenannte Resi- denzpflicht – ab dem vierten Monat des Aufenthalts ab- geschafft wird. Das klingt gut. Denn die Residenzpflicht verbietet den Betroffenen das Reisen innerhalb Deutsch- lands unter Strafandrohung – eine gravierende, europa- weit einmalige Schikane, gegen die Flüchtlingsinitiati- ven zu Recht seit Jahren ankämpfen. Das Recht auf Bewegungsfreiheit soll nach der Neu- regelung jedoch nicht uneingeschränkt gelten. Denn für Geduldete ist vorgesehen, dass die Residenzpflicht im Einzelfall doch angewandt werden kann, wenn „aufent- haltsbeendende Maßnahmen … konkret bevorstehen“. Mit dieser angeblichen Ausnahme könnte die Residenz- pflicht für Geduldete durch die Hintertür wiedereinge- führt werden. Denn die Duldung besagt ja gerade, dass der Betroffene ausreisepflichtig bleibt und eine Abschie- bung theoretisch jederzeit möglich ist. Weiterhin wäre es durch restriktive Auslegung der Ausländerbehörde mög- lich, von der Schikane „Residenzpflicht“ Gebrauch zu machen. Ein klares „Nein“ zur Residenzpflicht sieht an- ders aus. Außerdem ist vorgesehen, durch eine parallele Ände- rung der Beschäftigungsverordnung den Arbeitsmarkt- zugang zu erleichtern. Das generelle Arbeitsverbot soll auf drei Monate begrenzt werden. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland soll auch die Vorrangprüfung, wonach Deutsche und Unionsbürger bei der Stellenver- gabe grundsätzlich zu bevorzugen sind, vorläufig entfal- len. Aber auch hier gibt es zumindest einen gravierenden Haken: Denn es bleibt die Regelung unangetastet, wo- nach Ausländerbehörden generell die Arbeitsaufnahme verbieten können, wenn den Betroffenen vorgeworfen wird, sie seien selbst daran Schuld, dass sie bisher nicht abgeschoben werden konnten. Wer restriktiv agieren will, der hat rechtlich alle Mittel dazu. Die Abschaffung des Vorrangs des Sachleistungsprin- zips ist sicher ein Fortschritt. Aber auch hier soll es wie- der Ausnahmen geben können. Lebensmittelpakete und Gutscheine stellen eine unerträgliche Gängelung und Bevormundung dar; sie müssen endgültig der Vergan- genheit angehören. Im Übrigen zeigt der Gesetzentwurf in jeder einzel- nen Bestimmung, wie schwer der Bundesregierung der lang überfällige Abschied von Restriktionen und Schika- nen fällt. Beispielsweise müssen sich geduldete Auslän- der, die ihren zugewiesenen Wohnort für mehr als drei Tage vorübergehend verlassen wollen, weiterhin vorher bei der Ausländerbehörde abmelden. So fallen die Rege- lungen insgesamt engherzig und kleingeistig aus und überaus bürokratisch, so sehr, dass in der Ressortabstim- mung sogar die Länderbürokratien – in diesem Fall 6324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Rheinland-Pfalz – zu dem Schluss kommen: Die vorge- sehene Regelung erscheint zu kompliziert und wird aus fachlicher Sicht nicht befürwortet. Dies ist nach fachpolitischer Betrachtung nicht der große Wurf; es sind kleine Trippelschritte – angeschoben von der Opposition. Notwendig wäre es vielmehr, das Asylbewerberleis- tungsgesetz vollständig aufzuheben und nicht nur das Sachleistungsprinzip – ohnehin ein Auslaufmodell – ab- zuschaffen. So bleibt das Asylbewerberleistungsgesetz immer noch ein zentrales Instrument zur Diskriminie- rung und Ausgrenzung. Es ist längst an der Zeit, die Ver- sorgung von Flüchtlingen so zu regeln wie die Versor- gung anderer hilfsbedürftiger Menschen auch: durch Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch und men- schenwürdige medizinische Versorgung. Für den notwendigen Paradigmenwechsel – Inklusion statt Ausgrenzung – ist es unerlässlich, Schutzsuchenden in unserem Land ein selbstbestimmtes Leben zu ermög- lichen. Wir setzen uns daher für weitere Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang und frühzeitigen Zugang zu Sprachkursen ein. Denn Sprache und Arbeit sind die ent- scheidenden Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland. Es wird Zeit, dass auch die Bundesregie- rung dies begreift. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Angesichts der zahlreichen Krisen- regionen der Welt und erheblich steigender Asylbe- werberzahlen stehen Bund, Länder und Gemeinden vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland steigt seit Jahren stark an: Im Jahr 2013 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 127 000 Asylanträge gestellt. Das waren fast 50 000 mehr als 2012. Von Januar bis Oktober dieses Jahres gab es bereits über 158 000 Anträge. Gegenüber dem Vergleichszeit- raum 2013 ist die Zahl der Asylanträge damit um rund 57 Prozent gestiegen. Der Migrationsdruck auf Europa, insbesondere über das Mittelmeer, ist hoch und wird al- ler Voraussicht nach weiter anhalten. Für 2014 prognos- tiziert das BAMF circa 200 000 Anträge, Tendenz stei- gend. Die Herausforderungen für Bund, Länder und Gemeinden werden daher künftig eher größer als kleiner werden. Ein großer Teil der Asylbewerber ist tatsächlich schutzbedürftig, ein Teil verfolgt aber auch wirtschaftli- che Motive mit der Asylantragstellung. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Asylpolitik verfolgen, die hier aus- gewogen reagieren kann. Letzte Woche ist das Gesetz in Kraft getreten, mit dem die Westbalkanstaaten Serbien, Bosnien-Herzego- wina und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten ein- gestuft werden. Dies sind Staaten, bei denen die asyl- rechtliche Schutzquote bei nahezu null liegt. Mit dem Gesetz wurde auch die Wartefrist für den Ar- beitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete auf drei Monate abgesenkt. Das Gesetz ist damit ein gutes Beispiel für die Balance, die wir im Asyl- und Auslän- derrecht gerade jetzt brauchen. Zum einen setzt das Gesetz das Signal, dass unser Rechtssystem nur den Menschen asylrechtlichen Schutz bieten soll, die diesen Schutz auch tatsächlich benötigen. Zum anderen ermöglichen wir den Asylbewerbern jetzt sehr früh, selbst für sich zu sorgen und sich mit ihren Fä- higkeiten am Arbeitsmarkt einzubringen. Solch ein ausgewogenes Vorgehen brauchen wir, um dem derzeitigen massiven Anstieg der Asylbewerber- zahlen zu begegnen und unser Asylsystem funktionsfä- hig zu halten. Wir wollen denen effektiv Schutz bieten können, die ihn tatsächlich brauchen, und die Vorausset- zungen für die Einbindung und Teilhabe der tatsächlich Schutzbedürftigen aufrechterhalten. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung an- lässlich der Zustimmung des Bundesrates zum genann- ten „Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten“ am 19. September 2014 einem Kompromiss zugestimmt. Sie hat eine Protokollerklärung abgegeben, mit der wei- tere Maßnahmen festgelegt wurden. Damit soll die Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Aus- ländern verbessert werden. Die Kosten für ihre Versor- gung werden aber weiter gerecht verteilt. Auch die Voraussetzungen, dass die Verwaltungen von Bund, Län- dern und Gemeinden weiterhin effizient handeln können, bleiben bestehen. Der heute diskutierte Gesetzentwurf der Bundesregie- rung setzt diese Protokollerklärung – soweit sie gesetzli- che Änderungen erfordert – um. Ziel der Bundesregie- rung ist es, die gemachten Zusagen möglichst rasch zu realisieren. Sie hat für den Gesetzentwurf daher ein stark verkürztes Verfahren gewählt und auch den Bundesrat um Fristverkürzung gebeten. Entsprechend der Protokollerklärung vom 19. Sep- tember 2014 enthält der Gesetzentwurf zum einen Anpassungen im Asylverfahrensgesetz und im Aufent- haltsgesetz bei der räumlichen Beschränkung für Asyl- bewerber und Geduldete, der sogenannten Residenz- pflicht. Ziel ist die grundsätzliche Abschaffung der Residenzpflicht nach drei Monaten Aufenthalt im Bun- desgebiet. Um dabei weiterhin eine gerechte Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern zu gewährleis- ten, wird eine Wohnsitzauflage für solche Asylbewerber und Geduldete eingeführt, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Sozialleistungen sollen lediglich an dem in der Wohnsitzauflage festgelegten Wohnsitz erbracht wer- den. Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf Anpassungen im Asylbewerberleistungsgesetz vor. In seiner bisheri- gen Form gilt das Sachleistungsprinzip zukünftig nur noch während der Zeit, in der sich Asylbewerber in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufhalten. Im Anschluss sollen die Länder und Kommunen Leistungen an den an- spruchsberechtigten Personenkreis dann vorrangig als Geldleistungen erbringen. Nachrangig sollen Sachleis- tungen, zum Beispiel um Versorgungsengpässe aufgrund steigender Asylbewerberzahlen zu decken, aber weiter- hin möglich bleiben. Leistungen für Unterkunft, Hei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6325 (A) (C) (D)(B) zung und Hausrat können wahlweise als Geld- oder Sachleistung erbracht werden, um hier die Flexibilität des Behördenhandelns zu wahren. Schließlich soll nach der Protokollerklärung gleichzeitig mit den genannten Maßnahmen auch die Vorrangprüfung für den Arbeits- marktzugang für Asylbewerber und Geduldete – bei Fachkräften gänzlich und bei allen anderen nach einem Inlandsaufenthalt von 15 Monaten – entfallen. Die hierzu erforderliche Rechtsverordnung der Bundes- ministerin für Arbeit und Soziales zur Änderung der Beschäftigungsverordnung ist bereits vorgestern, am 11. November 2014, in Kraft getreten. Auch dieser As- pekt der Protokollerklärung ist damit umgesetzt. Der Gesetzentwurf stellt damit einen wichtigen Bau- stein dar, um unser Asylsystem funktionsfähig zu erhal- ten, um Asylmissbrauch zu bekämpfen und die Möglich- keit der Teilhabe für Verfolgte zu erhöhen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur dem Europäischen Übereinkommen vom 27. No- vember 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute dem Plenum eine einstimmig ange- nommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vorlegen können. Über die Fraktionsgrenzen hinweg sind wir uns einig, dass Deutschland das revidierte Euro- päische Übereinkommen über die Adoption von Kindern nach der bereits geleisteten Zeichnung am 23. Mai die- ses Jahres nun auch ratifizieren soll. Für was steht das revidierte Europäische Überein- kommen zur Adoption von Kindern? Ziel des Übereinkommens ist die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten des Europa- rats bezüglich der Adoption von Kindern. Ich möchte besonders darauf hinweisen, dass unser deutsches Recht dafür nur in einem einzigen Punkt an das Übereinkommen angepasst werden muss: Die Frist zur Aufbewahrung der Vermittlungsakten ist anders zu berechnen, als es der § 9 b des Adoptionsvermittlungs- gesetzes derzeit vorsieht. Dieser geringe Anpassungsbe- darf zeigt: Die Bundesrepublik Deutschland hat hohe Standards, wenn es um die Adoption von Kindern geht. Mit der Zeichnung und Ratifikation unterstützt Deutsch- land nun auch die Durchsetzung dieser Standards in den Mitgliedsländern des Europarats. Deutschland wäre damit das achte Land innerhalb der Runde der Mitgliedstaaten des Europarats, welches das Übereinkommen umsetzt. 17 Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen bislang unterzeichnet. Das revidierte Übereinkommen ersetzt das Europäi- sche Übereinkommen von 1967 über die Adoption von Kindern, das bereits früh, insbesondere durch die tief- greifenden gesellschaftlichen Veränderungen Ende der Sechzigerjahre, nicht mehr als zeitgemäß anzusehen war. Um diesem Umstand Abhilfe zu verschaffen, wurde das Übereinkommen durch mehrere Übereinkommen erwei- tert. Die Rechte der Kinder sind unter anderem durch das Europäische Übereinkommen von 1975 über die Recht- stellung der unehelichen Kinder, das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom November 1989 über die Rechte des Kindes, das Haager Übereinkommen von 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammen- arbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption und das Europäische Übereinkommen von 1996 über die Ausübung von Kinderrechten gestärkt worden. Geändert hat sich auch die Rechtsposition des nicht- ehelichen Vaters. Sie hat sich deutlich verbessert. In vie- len Ländern ist nicht mehr nur die Ehe die rechtliche Verbindung zwischen zwei Menschen, die zusammen le- ben, füreinander Verantwortung übernehmen oder eine Familie gründen wollen. In Deutschland können zwei gleichgeschlechtliche Partner seit 2001 eine eingetra- gene Lebenspartnerschaft begründen. Vor diesem Hintergrund wurde es zwangsläufig not- wendig, das Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 1967 im Rahmen des Europarats unter Federführung des Europäischen Ausschusses für rechtliche Zusammenar- beit zu überarbeiten. Nach Annahme des Übereinkom- mens durch das Ministerkomitee des Europarats wurde es 2008 zur Zeichnung aufgelegt. Wo liegen nun die Unterschiede? Die Kinderrechte und das Kindeswohl werden noch stärker in den Mittel- punkt gestellt als in der Fassung von 1967. So ist nach der neuen Fassung nach Artikel 5 Absatz 1 b nunmehr die Zustimmung des Kindes zur Adoption notwendig, wenn dieses hinreichend verständig ist. Andernfalls – das regelt der Artikel 6 des revidierten Übereinkom- mens – ist das Kind dennoch soweit möglich anzuhören, und seine Meinung und Wünsche sind zu berücksichti- gen. Die Rechtsposition nichtehelicher Väter wird eben- falls verbessert, da nun auch ihre Zustimmung zur Adop- tion erforderlich ist. Im Übereinkommen von 1967 war die Zustimmung des Vaters beim „nichtehelichen“ Kind überhaupt nicht erforderlich. Dies widerspricht unter an- derem der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- hofs für Menschenrechte. Die Rechtstellung des Vaters eines nichtehelichen Kindes im deutschen Adoptions- recht wurde bereits im Zuge der Kindschaftsrechtsre- form von 1997 wesentlich gestärkt. Weitere zentrale Neuerungen des revidierten Überein- kommens beziehen sich auf die in Artikel 7 geregelten Bedingungen für die Adoption. In der „neuen“, revidier- ten Fassung des Übereinkommens ist etwas vorgesehen, das uns in Deutschland fremd erscheint: Auch heterose- xuelle Paare, die nicht verheiratet sind, sondern in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, können Kin- der adoptieren. Dies kann selbstverständlich nur dort gelten, wo das nationale Recht die Möglichkeit der Ein- gehung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft für He- terosexuelle vorsieht. Wie gesagt, das gibt es in Deutsch- land nicht. 6326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Wie Sie, meine Damen und Herren, sicher schon ver- muten, gestattet das „alte“ Übereinkommen von 1967 nur heterosexuellen Ehepaaren die Adoption. Im neuen Abkommen sollen nun auch homosexuelle Partner, die entweder verheiratet sind oder in einer eingetragenen Le- benspartnerschaft leben – die Regelungen sind innerhalb der Mitgliedstatten des Europarats sehr verschieden –, Kinder adoptieren dürfen. Das ist auch eine entschei- dende Änderung des revidierten Übereinkommens. Es wird den Mitgliedstaaten nunmehr freigestellt, die Suk- zessivadoption durch Paare, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, gleich welchen Geschlechts, leben, zuzulassen. In Deutschland ist das Gesetz zur Umset- zung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner vom 20. Juni 2014 am 27. Juni desselben Jahres bereits in Kraft getreten. Zudem besteht nunmehr die Möglichkeit im revidier- ten Übereinkommen, fakultativ im jeweiligen Adop- tionsrecht der Mitgliedstaaten auch die gemeinsame Adoption durch Lebenspartner zuzulassen. Soweit geht unser nationales Recht bekanntlich nicht. Bekanntermaßen haben wir im Frühsommer das Le- benspartnerschaftsgesetz in § 9 Absatz 7 geändert. Damit haben wir das Urteil des Bundesverfassungs- gerichts umgesetzt, das uns vorgegeben hatte, die Suk- zessivadoption für eingetragene Lebenspartner zu re- geln. Wir haben damals eine durchaus kontroverse Debatte zur Frage geführt, ob wir das deutsche Adop- tionsrecht auch dahingehend verändern sollten, eine ge- meinsame Adoption durch homosexuelle Paare zuzulas- sen. Die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages hat sich im Mai dieses Jahres dagegen aus- gesprochen. Die Sachlage hat sich seitdem nicht ent- scheidend verändert. Deshalb sieht die CDU/CSU-Frak- tion auch nicht im Kontext des revidierten europäischen Adoptionsübereinkommens die Notwendigkeit, von die- ser Option Gebrauch zu machen. Den Entschließungsan- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir folglich nicht mittragen. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Erst letzte Woche wurde die Debatte zur Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern zu so später Stunde angesetzt, dass die Redebeiträge zu Proto- koll gingen. Ich bedauere sehr, dass auch die zweite und dritte Lesung ohne mündliche Debatte stattfindet. Ers- tens wird dies dem Thema Gleichstellung gleichge- schlechtlicher Lebenspartnerschaften bei Weitem nicht gerecht, zweitens hat es eine größere Öffentlichkeit verdient, und drittens hätte eine öffentliche Auseinander- setzung der Diskussion sicherlich gutgetan. Ziel des Übereinkommens ist es, „gesellschaftliche und rechtliche Entwicklungen zu berücksichtigen und gleichzeitig die Europäische Menschenrechtskonven- tion einzuhalten“. Gelebte gesellschaftliche Realität ist es, dass sich gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaf- ten in keiner Weise von der Ehe unterscheiden. Dies haben auch der Europäische Gerichtshof sowie letztendlich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Februar 2013, in dem es das Verbot der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner für verfassungswidrig erklärte, bekräftigt. Deshalb überlässt das revidierte Übereinkommen es auch den Staaten, gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern die gemeinsame Adoption zu ermöglichen. Bereits letzte Woche habe ich in meinem Beitrag deutlich gemacht, dass ich die Ratifizierung des Euro- päischen Übereinkommens für einen kleinen, aber den- noch wichtigen Schritt auf dem Weg hin zur absoluten Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspart- nerschaften halte. Jedoch ist er leider allenfalls hinreichend. Denn der letzte Schritt, Kindern eine fürsorgliche Familie zu ermöglichen, also auch die Volladoption für gleich- geschlechtliche Lebenspartner, ist mit unserem Koali- tionspartner bisher nicht möglich. Doch aufgeben gibt’s nicht! Ich werde weiter für die absolute Gleichstellung kämpfen. Es hat lange genug gedauert, bis Deutschland das re- vidierte Europäische Übereinkommen unterzeichnet hat. Sogar eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war dazu notwendig. Jetzt müssen wir bei der Ratifizie- rung mit gutem Beispiel vorangehen. Dem entsprechen- den Gesetz stimmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten selbstverständlich zu. Uns zufrieden zurücklehnen können und wollen wir jedoch nicht. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich beziehe mich auf die Protokollrede zur ersten Lesung und wiederhole und ergänze das dort Geschriebene. Das Europäische Übereinkommen vom 27. Novem- ber 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) ist am 1. September 2011 in Kraft getreten. Es ersetzt und modernisiert das Europäische Übereinkommen vom 24. April 1967 über die Adoption von Kindern, dessen Vertragsstaat auch die Bundesrepublik Deutschland ist, unter stärkerer Berücksichtigung des Kindeswohls und insbesondere im Hinblick auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, das Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zu- sammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adop- tion und das Europäische Übereinkommen vom 25. Ja- nuar 1996 über die Ausübung von Kinderrechten. Durch das Zustimmungsgesetz sollen die erforderli- chen Voraussetzungen gemäß Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz für die Ratifikation des revidierten Über- einkommens geschaffen werden. Ziel des revidierten Übereinkommens ist, in den Un- terzeichnerstaaten – unter anderem Mitgliedstaaten des Europarats – gemeinsame Grundsätze hinsichtlich des Adoptionsrechts zu schaffen und so auch grenzüber- schreitende Adoptionen und deren Anerkennung zu er- möglichen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6327 (A) (C) (D)(B) Anpassungsbedarf im deutschen Recht besteht laut Bundesregierung nur insoweit, als die Frist zur Aufbe- wahrung der Vermittlungsakten anders zu berechnen sei, als es § 9 b des Adoptionsvermittlungsgesetzes, AdVer- miG, derzeit vorsieht. Dem Vertragsgesetz ist zuzustimmen. Das Überein- kommen ist recht progressiv und leistet einen Beitrag zu hohen Standards bei der Adoption im Sinne des Kindes- wohls in den Unterzeichnerstaaten. Vor allem begrüßenswert ist der Artikel 7 Absatz 2 des Übereinkommens. Danach steht es den Staaten frei, den Anwendungsbereich des Übereinkommens „auf gleichgeschlechtliche Paare zu erstrecken, die miteinan- der verheiratet oder eine eingetragene Partnerschaft mit- einander eingegangen sind. Es steht den Staaten auch frei, den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens auf verschieden-geschlechtliche Paare und gleichge- schlechtliche Paare zu erstrecken, die in einer stabilen Beziehung zusammenleben.“ Da sich in den Ausschussberatungen keine Änderun- gen ergeben haben, bleibt es bei der Zustimmung durch die Linke. Auch wenn eine Verpflichtung dazu nicht durchsetz- bar war, ist schon allein die Einräumung dieser Möglich- keit ein deutlicher Fortschritt. Und wenn Mitgliedstaaten diese Möglichkeit regeln, müssen die anderen Unter- zeichnerstaaten dies anerkennen, was ebenfalls ein Fort- schritt ist. Leider führt die Bundesregierung zur Beschwichti- gung konservativer Kreise, eingeschlossen sie selbst, in der Gesetzesbegründung aus: „Von der in dem Überein- kommen eröffneten Möglichkeit, im nationalen Adop- tionsrecht die gemeinsame Adoption durch Lebenspart- ner zuzulassen, wird die Bundesregierung keinen Gebrauch machen“ (Seite 6). Hier will die Regierung nach wie vor bestehende Fa- milienstrukturen nicht entsprechend akzeptieren und an- erkennen und Kindern dieser Familien gesicherte Rechtspositionen, was nur beispielsweise das Erbrecht betrifft, verweigern. Aber für diese Gleichberechtigung und verbesserte Rechtsposition von Kindern wird Die Linke weiter kämpfen, notfalls auch wieder mit Unter- stützung des Bundesverfassungsgerichts. Schauen wir mal, wie lange die Regierung an ihrer Position festhalten will, kann oder darf. Und in diese Richtung geht der nun vorliegende An- trag der Grünen, die sich ebenso wie die Linke an dieser Ungleichbehandlung stören. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist höchste Zeit, dass wir auch beim Adoptionsrecht Lebenspartnerschaften und Ehe hundertprozentig gleich- stellen. Mit dem heutigen Gesetzesbeschluss entfallen die letzten europarechtlichen Ausreden, dies nicht zu tun. 100 Prozent Gleichstellung hatten Sie von der SPD doch beschlossen! Stimmen Sie unserem Antrag heute zu, dann kann dies für das Adoptionsrecht heute wahr werden. Nicht das Bauchgefühl der Kanzlerin, sondern das Grundgesetz sollte Sie bei Ihrer Entscheidung leiten. Bereits zu Jahresbeginn hat meine Fraktion einen Ge- setzentwurf zum Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern eingebracht. Zu dem Zeitpunkt hat die Koalition den Gesetzentwurf allerdings noch ab- gelehnt. Jetzt fragt man sich, ob die Bundesregierung zur Ein- sicht gekommen ist und endlich die verfassungswidrige Benachteiligung von Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen abschaffen will. Doch genau diesen längst notwen- digen Schritt in Sachen Gleichberechtigung schließt die Koalition in ihrer Antragsbegründung aus: „Von der in dem Überabkommen eröffneten Möglichkeit, im natio- nalen Adoptionsrecht die gemeinsame Adoption durch LebenspartnerInnen möglich zu machen, wird die Bun- desregierung keinen Gebrauch machen.“ Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang 2013 ein- getragenen Lebenspartnerinnen und -partnern das Recht auf Sukzessivadoption eingeräumt. Jetzt muss die Ratifi- zierung der revidierten Fassung des Europäischen Adop- tionsübereinkommens folgen. Mit der neuen Fassung be- kommen die Vertragsstaaten die Möglichkeit, gleichgeschlechtlichen Paaren in ihrem nationalen Recht Adoption zu erlauben. Die Adoption für gleichge- schlechtliche, verpartnerte Paare ist allerdings als Opt- out-Option formuliert, das heißt, es bleibt den Mitglied- staaten überlassen, ob sie diese Möglichkeit nutzen. Das Übereinkommen in der Fassung von 1967 sah die ge- meinschaftliche Adoption nur für Verheiratete vor. Es war lange Ausrede für SPD wie Union, eine gemein- schaftliche Adoption durch eingetragene Lebenspartner nicht zuzulassen. Schweden und das Vereinigte König- reich haben aus diesem Grund das Übereinkommen vor einigen Jahren gekündigt, um nicht gegen diese Passage zu verstoßen. Seit 2008 ist nun die revidierte Fassung verabschiedet und seit 2011 in Kraft, und es wird Zeit, dass auch Deutschland endlich einen gleichstellungspo- litischen Schritt voran macht und das Abkommen ratifi- ziert. Der Bundestag sollte der Bundesregierung in ihrer diskriminierenden Stillstandspolitik nicht folgen und sich den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu Her- zen nehmen. In seiner Entscheidung vom 19. Februar 2013 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Le- benspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, beste- hen nicht“ (BVerfG, 1 BvL 1/11 vom 19. Februar 2013, Rn. 104). Genau das wird hier allerdings – mal wieder – ignoriert. Das ist nicht nur falsch und beschämend, son- dern auch gleich doppelt verfassungswidrig. Nicht nur werden Schwule und Lesben in Lebenspartnerschaften bei der Sukzessivadoption gegenüber Ehepaaren benach- teiligt, sondern auch die gemeinschaftliche Adoption wird verweigert. Den Kindern fehlt es dadurch an Si- cherheit: Sie leben nicht in einer rechtlich anerkannten Familie, und sie werden im Unterhalts- und Erbrecht be- nachteiligt. Dabei sind die Bedenken, dass es Kindern in Regenbogenfamilien weniger gut gehe, längst ausge- 6328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) räumt. Sämtliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern auf- wachsen, keinen Nachteil davon haben. Dies hat sogar die Bundesregierung bestätigt. Die Koalition sollte diese Gelegenheit nutzen und ihre Blockade bei der Anglei- chung des Adoptionsrechts für Lesben und Schwule end- lich aufgeben. Gerade weil Studien zu Regenbogenfamilien und An- hörungen von Experten immer wieder zu dem Schluss kommen, dass das Kindeswohl in Regenbogenfamilien nicht gefährdet ist, sondern gefördert wird, ist es umso absurder, dass CDU/CSU immer wieder diesen ideologi- schen Zombie aus der Argumentekiste holen. Ganz of- fensichtlich ist das Kindeswohl für CDU/CSU immer noch zweitrangig. Ihnen geht es darum, Ressentiments zu bedienen, und um die Zustimmung von homophoben Stammtischen. Aus Angst vor den Rechtspopulisten der AfD wird hier auf dem Rücken von Kindern verfas- sungsfeindliche Politik gemacht. Ginge es wirklich um den Schutz der Familie und um das Kindeswohl, dann würden Sie sich dafür einsetzen, diese Eltern-Kind-Be- ziehungen rechtlich abzusichern. Und die SPD, die im Wahlkampf 100 Prozent Gleichstellung versprochen hat, scheitert, blamiert sich gerade mit der Umsetzung. Die ist nämlich nicht nur mangelhaft, liebe SPD, sondern un- terirdisch. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung, zur Durchfüh- rung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaß- nahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Ge- richtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Der vor- liegende Gesetzentwurf dient in erster Linie der Umset- zung der Richtlinie über die Europäische Schutzanord- nung sowie der Durchführung der Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zi- vilsachen. Bereits heute gibt es in allen EU-Staaten Opferschutz- maßnahmen. Diese können bislang aber nur in dem Mit- gliedsstaat durchgesetzt werden, in dem sie erwirkt wor- den sind. Derartige Maßnahmen können erwirkt werden, wenn das Leben der zu schützenden Person, ihre körper- liche oder psychische Unversehrtheit, ihre Freiheit, Si- cherheit oder sexuelle Integrität in Gefahr sind. Die ge- richtlich festzustellenden Schutzmaßnahmen können beispielsweise die Verpflichtung beinhalten, sich der ge- fährdeten Person nicht weiter als bis auf eine bestimmte Entfernung zu nähern oder bestimmte Orte nicht zu be- treten oder – heute ganz wichtig – nicht mit ihr in einen wie auch immer gearteten medialen Kontakt zu treten. Aufgrund der Richtlinie und der Verordnung kann in Zu- kunft jeder, der seinen Wohnort in ein anderes Mitglieds- land verlegt, einen ähnlichen Schutz beantragen, den er bereits in seinem Heimatland erstritten hat. Es findet keine erneute Sachprüfung statt, sodass hier eine wesent- liche Erleichterung für die Betroffenen zu verzeichnen ist. Der entscheidende Unterschied zwischen der Richtli- nie und der Verordnung besteht in der Entstehungsart der Schutzmaßnahmen. Die Richtlinie ist nur auf Schutz- maßnahmen in Strafsachen anwendbar. Diese Schutz- maßnahme muss also nach einer strafrechtlichen Ent- scheidung bzw. in einem Strafverfahren angeordnet worden sein. Ausschlaggebend für die Anordnung einer nationalen Schutzmaßnahme ist ausschließlich, dass nach dem nationalen Recht strafbares Verhalten vorliegt. Das deutsche Recht kennt jedoch nur Gewaltschutzanord- nungen nach dem Gewaltschutzgesetz, die auf zivilrecht- licher Grundlage ergehen. Das Opfer von Gewalttaten ist berechtigt, einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz zu stellen. Dies kann sowohl in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung als auch in einem Hauptsache- verfahren geschehen. Die strafrechtlichen Schutzmaß- nahmen sind folglich dem deutschen Recht fremd und können auf diese Weise nicht erlassen werden. Aufgrund der Richtlinie kommt Deutschland daher lediglich als vollstreckender Staat in Betracht. Die Verordnung hinge- gen vervollständigt die Richtlinie und regelt die Über- tragbarkeit der zivilrechtlichen Gewaltschutzanordnun- gen, sodass die in Deutschland erlassenen Maßnahmen in anderen Mitgliedsländern einen ähnlichen Schutz ge- nießen. Am 13. Dezember 2011 verabschiedete die Europäi- sche Union die Richtlinie über die Europäische Schutzan- ordnung. Am 12. Juni 2013 beschloss sie die Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnah- men in Zivilsachen. Diese Rechtsakte sollen sich gegen- seitig vervollständigen und gemeinsam einen effektiven, europaweiten Schutz der Opfer vor Gewalt gewährleis- ten. Diese Richtlinie ist bis zum 11. Januar 2015 umzu- setzen. Ab diesem Tag gilt ebenfalls die Verordnung. Für die Umsetzung der Richtlinie sowie Durchfüh- rung der Verordnung bedarf es nationaler Umsetzungs- bzw. ergänzender Durchführungsvorschriften, die dieser Gesetzentwurf beinhaltet. Diese Vorschriften werden aufgrund der besonderen Bedeutung in einem eigenstän- digen Gesetz, namentlich EU-Gewaltschutzverfahrens- gesetz, normiert. Durch die Richtlinie sollen Schutzmaßnahmen für Opfer von Straftaten gewährleistet bleiben, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen und ihren Wohnort in ei- nen anderen EU-Mitgliedstaat verlegen. Durch das Recht auf Freizügigkeit dürfen den Unionsbürgern keine Nachteile durch möglichen Verlust des Schutzes entste- hen. Die Gewährleistung des Schutzes für die Opfer soll wie folgt geregelt werden: Die Behörde eines EU-Staa- tes ordnet eine Schutzmaßnahme nach dem nationalen Recht an. Im zweiten Schritt erlässt die Behörde des ent- sprechenden Staates eine Europäische Schutzanordnung. Nach dem Umzug des EU-Bürgers in einen anderen EU- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6329 (A) (C) (D)(B) Staat erkennt dieser Staat die bereits erlassene Schutzan- ordnung an und erlässt eine nach dem nationalen Recht in einem vergleichbaren Fall vorgesehene Maßnahme. Die Verordnung vervollständigt die Richtlinie, indem sie die Übertragbarkeit der angesprochenen zivilrechtli- chen Gewaltschutzanordnungen regelt. Die Verordnung betrifft ebenfalls den Gewaltopferschutz, der in einem Mitgliedstaat durch die Justiz- oder eine andere Behörde angeordnet wurde und in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen ist. Diese Verordnung beseitigt also das bisher erforderli- che Exequaturverfahren, in dem die Voraussetzungen der Anerkennung der Vollstreckbarkeit im Inland geprüft werden. Um eine Schutzmaßnahme in einem anderen EU-Mitgliedstaat geltend zu machen, benötigt die zu schützende Person eine Bescheinigung, die auf Antrag durch die Entscheidungsbehörde des Heimatstaats aus- gestellt wird. Mit dieser Bescheinigung kann die gefähr- dete Person in dem Mitgliedstaat ihres Aufenthaltes die Anerkennung und gegebenenfalls Vollstreckung der Schutzmaßnahme beantragen. Entscheidend ist, dass keine erneute Sachprüfung stattfindet. Die zeitgerechte Umsetzung der Richtlinie und der Verordnung ist zu begrüßen. Hierdurch schaffen wir Rechtssicherheit und erhöhen das Vertrauen in den grenzüberschreitenden Schutz der EU-Bürger. Körperli- che und seelische Gewalt bedeutet für das Opfer immer einen enormen Einschnitt in das eigene Leben. Beson- dere Bedeutung hat diese Gewalt, wenn sie im engen so- zialen Umfeld stattfindet. Daher gilt es, die Opfer sol- cher Taten effektiv und schnell schützen zu können. Meine langjährige anwaltliche Tätigkeit verdeutlichte mir, dass die meisten Gewaltschutzverfahren emotional belastend und entsprechend aufwendig für die Beteilig- ten waren. Aus diesem Grund sollte der Schutz der ge- fährdeten Person im Vordergrund stehen. Sie sollte des- halb das Verfahren im Falle eines Umzugs in einen EU- Mitgliedstaat nicht erneut durchlaufen. Die Anerken- nung und Vollstreckung der Schutzmaßnahmen dürfen keine wiederholte Belastung für das Opfer darstellen. Um diesem notwendigen Schutz der EU-Bürger/innen gerecht zu werden, wird die Erleichterung beim Aner- kennen und Vollstrecken der Schutzmaßnahmen durch die Richtlinie und die Verordnung von unserer Fraktion befürwortet. Im vorliegenden Entwurf wird ferner eine Änderung des FamFG aufgenommen, die das Scheidungsverbund- verfahren betrifft. Für einen ganz speziellen Fall sollen den Beteiligten im Ehescheidungsverbundverfahren Rechtsmittel abge- schnitten werden. Damit soll eine mögliche Doppelehe vermieden werden. Da aber auch ein wirtschaftliches Ungleichgewicht entstehen kann, habe ich Bedenken. Dieser Teil unterliegt im Übrigen nicht der bereits ge- nannten Umsetzungsfrist zum 11. Januar 2015. Das Verbundprinzip soll eine gleichzeitige und ab- schließende Regelung aller Folgen einer Ehescheidung ermöglichen. An diesem Verfahren wird der Versor- gungsträger im Rahmen des Versorgungsausgleichver- fahrens ebenfalls beteiligt. Durch diese Beteiligung im Verfahren erlangt der Versorgungsträger ein Beschwer- derecht, wenn er materiell in seinen Rechten verletzt ist. Wird dennoch der Versorgungsträger fälschlicherweise nicht beteiligt oder einem beteiligten Versorgungsträger die Entscheidung nicht bekannt gegeben, hat er die Mög- lichkeit, auch nach vermeintlichem Eintritt der Rechts- kraft Rechtsmittel einzulegen, da für ihn nach den allge- meinen Rechtsgedanken keine Fristen laufen. Hat nun nach vermeintlichem Eintritt der Rechtskraft einer der ehemaligen Eheleute erneut geheiratet, besteht die Ge- fahr der Doppelehe, da die alte Ehe nicht rechtskräftig geschieden worden ist. Dies will der Gesetzentwurf ver- hindern. Wenn nun allerdings, wie es der Gesetzentwurf vor- sieht, die Anschlussrechtsmittel der Beteiligten für die- sen speziellen Fall abgeschnitten werden, wird zwar die Gefahr der Doppelehe vermieden, das Gesamtkonstrukt des Verbundes Ehescheidung, bestehend aus Versor- gungsausgleich, Zugewinnausgleich, Kindes- und Ehe- gattenunterhalt, könnte aber in Schieflage geraten. Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Die Beteiligten haben eine Gesamtvereinbarung getroffen, in der ein ausgeglichenes Verhältnis der zuvor genannten Folgesa- chen besteht. Da nun aber der Versorgungsträger die Möglichkeit hat, einen Baustein des Konstruktes, näm- lich den Versorgungsausgleich, zu ändern, kann das Gesamte unausgeglichen werden. Für den Fall der nachträglichen Einlegung eines Rechtsmittels des Ver- sorgungsträgers müssen die Beteiligten also die Mög- lichkeit haben, die anderen Folgesachen auch zu ändern. Sie müssen daher die Möglichkeit der Anschlussbe- schwerde behalten. Die Rechtskraft der Ehescheidung soll unangetastet bleiben. Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Sache ist kompliziert. Es besteht aus unserer Sicht weiterer Dis- kussionsbedarf, den wir innerhalb der Umsetzungsfrist der Gewaltschutzanordnung nicht sachgerecht bewälti- gen können. Deshalb hält es meine Fraktion für notwen- dig, den Artikel 5 des Gesetzentwurfs abzutrennen und, dem Änderungsantrag folgend, eine mögliche Regelung der ursprünglich vorgesehenen Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen vorerst zurückzu- stellen. Dennis Rohde (SPD): Heute verabschieden wir das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung. Damit kommen wir als deutscher Bundestag unserer Verantwortung nach, unseren Beitrag zu Sicherheit und Freiheit in Europa zu leisten. Indem wir dafür sorgen, dass auch in Deutsch- land der Schutz vor Gewalt und Nachstellung verein- facht und verbessert wird, leisten wir heute auch einen Beitrag zur fortschreitenden Einigung Europas und zur Realisierung der Freizügigkeit. Die Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung normiert ein unkompliziertes, unbürokratisches Verfah- ren, mit dem gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdung innerhalb Europas auch über die Staatsgren- zen hinaus anerkannt und angewandt werden können. 6330 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) Wer nach Deutschland zieht und an seinem vorherigen Wohnort gesetzliche Schutzmaßnahmen genossen hat, der soll nicht befürchten müssen, in unserem Land plötz- lich ungeschützt dazustehen. Bislang war es nötig, in diesem Fall am neuen Wohn- ort Schutzmaßnahmen zu beantragen. Bei der damit un- trennbar verbundenen zeitlichen Verzögerung konnte dies zu realen Gefahren führen. Künftig hingegen soll die Anwendung ausländischer Schutzmaßnahmen in un- serem Land erheblich vereinfacht werden: Auf Antrag der zu schützenden Person beim für ihre Wohngegend zuständigen Familiengericht wird eine europäische Schutzanordnung erlassen, mit der die in einem anderen europäischen Land erlassenen Schutzmaßnahmen auch in Deutschland angewandt werden. Abgelehnt werden kann dies ausschließlich aus formellen Gründen, wenn zum Beispiel relevante Informationen fehlen oder es im Land des vorherigen Wohnorts eben gar keine Schutz- maßnahmen gegeben hat. In jedem anderen Fall soll die Anpassung zügig und unbürokratisch erfolgen. Im Vergleich mit dem ursprünglichen Entwurf dieses Gesetzes enthält der Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU noch Verbesserungen. Statt der wenig konkreten Begriffe „Gläubiger“ und „Schuldner“ werden die Parteien nun klar und deutlich als „ge- schützte Person“ und „gefährdende Person“ bezeichnet. Zudem haben wir klargestellt, dass die gefährdende Per- son nicht angehört werden muss, ehe eine europäische Schutzanordnung erlassen werden kann. Hier setzen wir klar auf den Schutz des Opfers. Die europäische Einigung sollte gerade daran gemes- sen werden, wie sie ganz reale Verbesserungen für schutzbedürftige Menschen bringt. Solange Opfer von Stalking und Gewalt bei einem Umzug innerhalb Euro- pas riskieren, sich wieder schutzlos Gefahren auszuset- zen, so lange ist die Freizügigkeit nicht für alle Realität. Eine europäische Einigung der Wirtschaft und des Wa- renflusses, die dabei die Freiheit und Sicherheit des Ein- zelnen ausklammert, ist nicht unsere sozialdemokrati- sche Vorstellung von Europa. Erst die Schaffung eines europäischen Raums, in dem jeder Mensch sich tatsäch- lich frei bewegen kann, ohne durch veraltete rechtliche Regelungen Gefahren befürchten zu müssen, verwirk- licht die europäische Einigung. Erst dann wächst Europa wirklich zusammen. Darum ist der heutige Gesetzentwurf auch so wichtig. Das Konzept Europäische Schutzanordnung beschäftigt dieses Haus nicht zum ersten Mal. Schon im Jahr 2010 hat der Bundestag sich mit den damals kursierenden Plä- nen befasst. Die SPD-Bundestagsfraktion hat damals die Europäische Schutzanordnung richtigerweise begrüßt, aber auch die noch allzu bürokratischen und komplizier- ten Regelungen kritisiert. Ich freue mich, dass wir heute eine viel konkretere, einfachere und damit den Bedürf- nissen schutzbedürftiger Personen besser angepasste Richtlinie umsetzen können. Hier hat sich gezeigt, dass es sich lohnt, wenn die nationalen Parlamente sich klar zu europäischen Vorhaben positionieren. Die Änderung von § 145 des Gesetzes über das Ver- fahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG, die aus prakti- schen Erwägungen ursprünglich ebenfalls in diesem Ge- setzentwurf enthalten war, nehmen wir zunächst per Än- derungsantrag heraus. Wir wollen mit dieser Regelung eine Lücke im Familienrecht schließen, bei der durch die rechtliche Ausgestaltung von Folgesachen im Schei- dungsverbund das Problem auftreten kann, dass durch Versehen der Verwaltung Ehescheidungen nicht rechts- kräftig werden und so potenziell Doppelehen entstehen können. Diese Änderung ist wichtig und richtig. Aber wir sind der Meinung, dass es mehr Zeit für weitere Be- ratungen bedarf, damit am Ende auf jeden Fall eine zu- friedenstellende Lösung steht. Gerade in solchen Fragen ist es wichtig, gründlich zu arbeiten. Mit der Umsetzung der Richtlinie zur Europäischen Schutzanordnung tragen wir als Bundestag dafür Sorge, dass in Europa Freizügigkeit, Gleichheit und Sicherheit weiter Realität werden. Wir zeigen damit, dass wir fakti- sche Hindernisse der Freizügigkeit erkennen und mit Augenmaß und Sachverstand beseitigen. In diesem Sinne begrüße ich noch einmal den breiten Konsens auch über die Fraktionsgrenzen hinaus, den die Europäi- sche Schutzanordnung zumindest grundsätzlich erfahren hat. Ich würde mich freuen, wenn diese konstruktive Zu- sammenarbeit nicht nur bei diesem Thema ausgebaut werden könnte. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ich beziehe mich auf den Inhalt meiner Protokollrede von der ersten Le- sung und wiederhole diesen ausdrücklich. In den Beratungen sind die Berichterstatter der Frak- tionen zu der Überzeugung gelangt, dass die Änderun- gen hinsichtlich des FamFG nicht so schnell behandelt werden können, sondern eingehender Beratung bedür- fen. Von daher wurde dieser Teil des Gesetzes abgetrennt und zunächst zurückgestellt. Damit ist ein wesentlicher Teil, der noch Änderungs- bedarf hat, vorerst nicht entschieden, sodass dem vorlie- genden restlichen Gesetzentwurf zugestimmt werden kann. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bun- desregierung legt uns hier ein Gesetz vor, das zum einen die EU-Richtlinie über die Europäische Schutzanord- nung umsetzen soll und ursprünglich eine Rechtsschutz- verkürzung im Scheidungsverfahren beinhaltete. Nachdem der Gesetzentwurf zunächst ohne Debatte durchs Parlament gehen sollte, haben wir aufgrund von Bedenken der Anwaltsverbände hinsichtlich der Rechts- schutzverkürzung auf einer Befassung bestanden. Hier sollte den geschiedenen Eheleuten die An- schlussbeschwerde künftig versagt werden, wenn ein Versorgungsträger nach Rechtskraft der Ehescheidung Beschwerde gegen den Versorgungsausgleich eingelegt hat. Diese Konstellation kann sich ohnehin nur dann erge- ben, wenn der Versorgungsträger nicht ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt wurde; denn anderenfalls laufen für alle Beteiligten die gleichen Rechtsmittelfristen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6331 (A) (C) (D)(B) Durch den Verbund von Ehescheidung und Versor- gungsausgleich soll aber gerade der wirtschaftlich schwächere Ehegatte geschützt werden, indem er sich auf eine gleichzeitige und abschließende Regelung aller Folgen einer Ehescheidung verlassen können soll. Es kann nämlich durchaus so sein, dass man sich über an- dere Folgesachen, wie bspw. Unterhalt oder Zugewinn im Hinblick auf den Versorgungsausgleich, geeinigt hat. Die Ehescheidung und die Folgesache sind deshalb im- mer als „Paket“ zu betrachten. Am Ende sind dann sowohl die Berichterstatterin der Union als auch ich selbst zu der übereinstimmenden Auffassung gelangt, dass die Änderung des § 145 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG, nicht zielführend ist. Mit einem Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen wurde das Problem beseitigt, sodass es jetzt nur noch um die Umsetzung der Richtlinie zum Gewaltschutz geht. So stellt man sich ein ordnungsgemäßes parlamentari- sches Verfahren vor, in dem dann auch sinnvolle Verbes- serungen ihren Weg ins Gesetz finden und Fehler recht- zeitig erkannt werden. Ich betone das gerade in dieser Woche, in der die Große Koalition mal wieder in einer komplexen Materie umfangreiche Gesetzesänderungen an einem Dienstagnachmittag an den Rechtsausschuss übermittelt, um sie Mittwochmorgen beschließen zu las- sen. Die Umsetzung der Gewaltschutzrichtlinie ist hinge- gen weitgehend unstrittig. Dass Schutzmaßnahmen in Strafsachen in anderen EU-Ländern leichter anerkannt und vollstreckt werden können, ist sicher sinnvoll, zumal sich das rot-grüne Gewaltschutzgesetz seit seiner Ein- führung sehr bewährt hat. Die praktische Bedeutung des grenzüberschreitenden Gewaltschutzverfahrensgesetzes dürfte allerdings eher gering sein. Es ist daher bedauerlich, dass es nicht gelun- gen ist, diese Regelungen in bestehende Gesetze zu inte- grieren. So gibt es jetzt ein weiteres gesondertes Gesetz zu Fällen, von denen man noch gar nicht weiß, ob sie praktisch relevant sind. Dennoch wollen wir dieser Um- setzung von EU-Recht nicht im Wege stehen und werden dem Gesetz zustimmen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Nationales Reformprogramm 2014 nutzen – Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen stärken (Ta- gesordnungspunkt 27 a) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Erneut fordern Bündnis 90/Die Grünen in Ihrem Antrag: Nationales Re- formprogramm 2014 nutzen. Da auch Sie sich mit Ihrem Antrag wiederholen, kann ich Ihnen nur wiederholt ent- gegenbringen: Wir nutzen das Reformprogramm, um die deutsche Wirtschaft voranzubringen, mehr denn je. Der Antrag Ihrer Fraktion ist im Wesentlichen über- flüssig. Viele Ihrer Forderungen sind bereits im Koali- tionsvertrag aufgenommen und werden bereits umge- setzt. Die falschen Dinge, die sie fordern, werden nicht richtiger, nur weil Sie sie erneut fordern. Wir nehmen die Analyse der EU-Kommission selbstverständlich ernst. Wir wissen, dass wir eine zu geringe Investitionsquote haben. Unsere Außenhandelsüberschüsse sind hoch, was ein Zeichen der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deut- schen Wirtschaft ist; Sie kritisieren dies. Die Binnen- nachfrage steigt bereits – wir wissen aber, dass hier wei- tere Steigerungen wünschenswert wären. Die deutschen Außenhandelsüberschüsse sind Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, darunter zahlreicher kleiner und mittelständischer Unternehmen, die in ihrem Bereich Weltmarktführer sind. Deutsche Produkte werden nach wie vor auf den Weltmärkten stark nachgefragt. Hier muss noch einmal klar betont werden, dass die Kommission für Deutschland eben ge- rade keine „zukunfts- und stabilitätsgefährdenden“ Un- gleichgewichte festgestellt hat. Es handelt sich laut Kommission zwar um Ungleichgewichte, aber um keine exzessiven Ungleichgewichte. Von dieser Wettbewerbs- fähigkeit profitieren die gesamten EU-Länder. Im Übrigen finden 43 Prozent der Wertschöpfung deutscher Exportprodukte durch Vorleistungen im EU- Ausland statt. Und: 57 Prozent aller deutschen Importe stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Diese Tatsachen bzw. Erfolge schaffen Beschäftigung und Wohlstand nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen EU-Ländern. Es lässt sich überdies feststellen, dass der Anteil der deutschen Exporte an Länder außerhalb der EU zuneh- mend wächst. So beträgt der Anteil der Handelsüber- schüsse in Drittländer außerhalb der EU 140,5 Milliar- den Euro, also 72 Prozent. Der Anteil des Überschüsse in die Nicht-Euro-EU beträgt 42,1 Milliarden Euro, der Handelsbilanzüberschuss in die Euro-Länder lediglich 1 Milliarde Euro. Es schadet also auch hier nicht, eine europäische Perspektive einzunehmen. Auch die Euro- zone insgesamt konnte einen Handelsüberschuss in Höhe von 152 Milliarden Euro erzielen, und das, obwohl der Euro rund 7 Prozent an Wert zulegte, sich also die Exporte in Relation verteuerten. Nicht nur die Kommission, auch die Bundesregierung weist auf die international zu niedrige Investitionsquote Deutschlands hin. Ich möchte betonen, dass wir die Be- lebung der privaten und öffentlichen Investitionen für Deutschland zu einem Schwerpunkt dieser Legislaturpe- riode erklärt haben. Investitionen sind das Fundament für Wachstum und Beschäftigung einer Volkswirtschaft. Deshalb besteht eine zentrale wirtschaftspolitische Auf- gabe darin, die Investitionen in Deutschland zu stärken. Erste umfangreiche Maßnahmen sind bereits durch die Umsetzung des Koalitionsvertrags auf den Weg ge- bracht: Wir investieren: 4 Milliarden Euro in die For- schung, 5 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur, 5 Milliarden Euro für die Kommunen, 6 Milliarden in 6332 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) die Bildung und Betreuung. In diesem Jahr werden die Kommunen durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den Bund um 1,1 Milliarden Euro ent- lastet. Letzte Woche erst bewilligte Bundesminister Schäuble für den Zeitraum von 2016 bis 2018 weitere zusätzliche Mittel für öffentliche Investitionen in Höhe von 10 Milliarden Euro. Diese Investitionen sollen best- möglich eingesetzt werden. Hierfür können auch die Er- gebnisse einer Expertenkommission aus Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern, Verbandsspitzen und Wis- senschaft beitragen, die an einem Bericht über die Inves- titionslage in Deutschland arbeiten. Wenn Sie jetzt glauben, dieses Investitionsprogramm sei wegen Ihnen und Ihren Anfragen entstanden, dann ist das in etwa so, als wenn der Hahn morgens meint, die Sonne ginge wegen seines Krähens auf. Darüber hinaus prüft das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie weitere Handlungsoptionen, um die gesamtwirtschaftliche Investitionsdynamik zu stär- ken. Es geht dabei zum einen darum, die Rahmenbedin- gungen für private Investitionen zu verbessern und In- vestitionshemmnisse abzubauen. Zum anderen geht es um Konzepte, wie in Zukunft der Erhalt und der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur finanziert werden kann. Dafür soll insbesondere privates Kapital mobilisiert wer- den. Nun ist es so, dass von den jährlichen Investitionen in Deutschland in Höhe von circa 460 Milliarden Euro circa 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor fallen. Über 90 Prozent der Investitionen werden vom privaten Sek- tor geleistet. Es gilt also vor allem, ein investitions- freundliches Klima zu schaffen. Und das machen wir, beispielsweise auch dadurch, dass wir die Steuern für Unternehmen nicht erhöht ha- ben. Hier sind aber auch noch weitergehende Schritte sinnvoll: Das Instrument der degressiven Abschreibung kann raschere Ersatzinvestitionen herbeiführen. Aber auch Sanierungsprogramme für Gebäude im Rahmen der CO2-Minderungsziele werden geprüft. Dies alles steht allerdings unter dem Primat der Fortführung einer wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung. Wir stehen zu dem Ziel, 2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Die Investitionslücke ist nur mithilfe einer soliden Wirtschaftspolitik zu schließen. Dafür bedarf es eines stabilen Rahmens, genauso wie eines flexiblen und aufnahmefähigen Arbeitsmarktes. Auch hier sind bereits wichtige Weichen gestellt worden: Wir haben bereits heute eine positive Entwicklung bei den Reallöhnen. Mit einem Bruttolohnzuwachs von 2,7 Prozent und einem Reallohnzuwachs von 1,1 Prozent erwarten wir 2014 den größten Lohnzuwachs seit 2010. Unser flexibler Ar- beitsmarkt ermöglicht erst die Rekordbeschäftigung von 42,1 Millionen Beschäftigten, welche 2014 erwartet werden. Diese Flexibilität dürfen wir nicht gefährden. Eine wachstumsfreundliche Wirtschaftspolitik ist im- mer noch das beste Investitionsprogramm. Es wird we- nig nützen, durch konkrete Maßnahmen private Investi- tionen fördern zu wollen, wenn die Unternehmen berechtigte Zweifel an der grundsätzlichen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik hegen – Zweifel, die sie beispiels- weise immer wieder durch Ihre wachstumsfeindliche Energiepolitik schüren. International liegt Deutschland auf der globalen Wettbewerbsfähigkeitsrangliste des Weltwirtschaftsforums auf Platz fünf – nur hinter der Schweiz, Singapur, den USA und Finnland. Gelobt wer- den vor allem die gute Infrastruktur, die Rechtssicher- heit, die hohe Kompetenz deutscher Unternehmen bei der Organisation von Prozessen und die Stärken bei Innovationen sowie Forschung und Entwicklung. Um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, müssen wir diese Stärken erhalten, und außerdem neue Akzente setzen. Ein wichtiges Signal für den Arbeits- markt setzen wir auch mit der Digitalen Agenda 2014 bis 2017. Die Digitalisierung bietet unzählige Chancen für Innovation und Investitionen. Beim Breitbandausbau wird es bis 2018 in Deutschland eine flächendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Megabit pro Se- kunde geben. Außerdem werden wir mehr Investitionssi- cherheit für Netzbetreiber im ländlichen Raum schaffen. Für die nächsten Jahre kann also mit einer schrittweisen Korrektur der Leistungsbilanz auch durch einen stärke- ren Wachstumsbeitrag der Binnenwirtschaft gerechnet werden. Lassen Sie mich noch Folgendes betonen: Man wird diese Ungleichgewichte nicht über Nacht abbauen kön- nen – da werden auch Ihre Anträge wenig bis gar nichts helfen. Wenn die Standortbedingungen für Investoren gut sind, kann sich eine Investitionsdynamik im privaten Sektor entwickeln, die die Außenhandelsdefizite auto- matisch reduziert. Wir stehen gerade mitten in einer solchen Dynamik: Die Investitionen steigen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Wir legen die Grundlagen für diese positive Entwicklung und schaffen Stabilität für Investi- tionen. Wolfgang Tiefensee (SPD): In den vergangenen Jahren ist eine Reihe von neuen Verfahren zur besseren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitiken auf europäischer Ebene entstanden. Diese Verfahren werden jetzt praktisch umgesetzt. Dies gilt auch und insbeson- dere für die jährliche Durchführung des Europäischen Semesters. Ein wichtiger Eckpfeiler des Europäischen Semesters ist die Vorlage der Nationalen Reformprogramme, NRP. Ein wichtiges Anliegen der Europäischen Kommission war es, das NRP auf eine möglichst breite gesellschaftli- che Basis zu stellen. Das Kabinett hatte das NRP im April des Jahres verabschiedet. Er ist eine Grundlage für die nächsten „Länderspezifischen Empfehlungen“ an die einzelnen Mitgliedstaaten. Die wesentlichen Inhalte des deutschen NRP 2014 sind die Länderspezifischen Empfehlungen, Europa 2020 und der Euro-Plus-Pakt: Die Bundesregierung be- richtet im NRP über die Umsetzung der Empfehlungen des Rates der Europäischen Union an Deutschland. Der Bericht macht deutlich: Die Bilanz kann sich sehen las- sen. In nahezu allen angesprochenen Bereichen – öffent- liche Finanzen, Arbeitsmarkt und Erwerbsbeteiligung, Energie und Wettbewerb – kann Deutschland erhebliche Fortschritte im Sinne der Empfehlungen vorweisen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6333 (A) (C) (D)(B) Auch im Hinblick auf die Europa-2020-Ziele kann Deutschland Erfolge verzeichnen. Zum Beispiel ist das Ziel eines Anteils von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 3 Prozent erreicht. In den Be- reichen Beschäftigung, Bildung und Armut haben wir erneut einige unserer Ziele übererfüllt. Die Bundesregierung berichtet im NRP zudem über die Umsetzung des Aktionsprogramms 2013 für den Euro-Plus-Pakt und stellt das neue Aktionsprogramm 2014 vor. All dies zeigt: Die Bundesregierung setzt sich intensiv mit den europäischen Empfehlungen auseinan- der und nimmt ihre Verpflichtungen ernst. Im Rahmen des diesjährigen NRP nimmt die Bundes- regierung darüber hinaus Stellung zur sogenannten vertieften Analyse Deutschlands im Rahmen des Makro- ökonomischen Ungleichgewichtsverfahrens. Die Euro- päische Kommission hat hier insbesondere den deut- schen Leistungsbilanzüberschuss untersucht, und wir teilen die Auffassung der Kommission, dass die Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ein wichtiger Stützpfeiler für Europa ist. Mit der Umsetzung der im Koalitionsvertrag verabredeten Maßnahmen werden wir – wie von der Kommission angeregt – die staatlichen In- vestitionen und damit das Wachstumspotenzial stärken. Aber kommen wir zu Ihrem Antrag, liebe Kollegin- nen und Kollegen, der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wie ich Ihnen bei der ersten Lesung Ihres Antrags mitteilte, sind die Vorwürfe Ihres Antrags, die Bundes- regierung habe weder die Ursachen der Leistungsbilanz- überschüsse ausreichend analysiert noch konsequent Ge- genmaßnahmen eingeleitet, unzutreffend. In Ihrem Antragsentwurf wird der deutsche Leis- tungsbilanzüberschuss mitverantwortlich für die Krise einiger Euro-Länder gemacht, da er zu den Kreditblasen in diesen Ländern beigetragen habe. Hauptursächlich für die Überschüsse sei die schwache Binnennachfrage. Da- hinter stünden die schwache staatliche und private Inves- titionstätigkeit sowie die schwache Lohnentwicklung. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Bundesre- gierung die Ursachen der Leistungsbilanzüberschüsse sehr umfassend analysiert und sehr konsequent Gegen- maßnahmen eingeleitet hat. In dieser Frage unterschei- den wir uns von den Autoren dieses Antrags. Zu den Maßnahmen, die auch die Binnennachfrage stärken, zählen unter anderem die Einführung eines ge- setzlichen Mindestlohnes, die Erhöhung der Investitio- nen im Bereich öffentliche Infrastruktur – insbesondere im Verkehrsbereich. Für Letzteres werden 5 Milliarden Euro vom Bund bis 2017 zusätzlich für die Verkehrsin- frastruktur eingesetzt. Hinzu kommt die weitere Entlas- tung von Kommunen und Ländern, nicht zuletzt durch die heute im Parlament verabschiedete Reform des BAFöG. So können die Kommunen und Länder ihren Aufgaben bei Krippen, Kitas, Schulen und Hochschulen besser nachkommen. Dafür sind im Zeitraum bis 2017 insgesamt rund 10 Milliarden Euro zusätzlich vorgese- hen – sowie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Investitionen. Etliche dieser Maßnahmen überschneiden sich mit den Forderungen Ihrer Fraktion. Daher zeugt Ihr Antrag von einer sehr selektiven Lektüre des NRP 2014; dem können wir daher nicht zustimmen. Die in Ihrem Antrag aufgeführte Forderung, einen nationalen Energiesparfonds zur Finanzierung unter an- derem von energetischen Sanierungen zu errichten, hatte ich bereits in der letzten Debatte abgelehnt. Ich hatte schon mitgeteilt, dass das eine recht unüberlegt vorgetra- gene Forderung sei, welche die Gretchenfrage, nämlich wo so viele finanzielle Mittel herkommen sollen, nicht beantwortet. Denn 3 Milliarden aus dem Abbau von klima- und umweltschädlichen Subventionen zu gewin- nen, ist sehr anspruchsvoll. Wir gehen einen soliden Weg und stellen im aktuellen Haushalt für dieses Jahr 1,8 Milliarden Euro für die Förderung des energetischen Bauens und Sanierens bereit. Das sind 1,5 Milliarden aus dem KfW-Programm – Zinsvergünstigungen. Dazu kommen 300 Millionen Euro Zuschüsse an Privateigen- tümer zur Förderung von Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung. Zudem gibt es das Programm „Ener- getische Stadtsanierung“, aus dem quartiersbezogene Konzepte und deren Umsetzung gefördert werden. Auf Ihre Forderung, mehr Investitionsanreize für Un- ternehmen zu schaffen, bin ich ebenfalls schon in der letzten Debatte eingegangen und möchte dies jetzt nicht wiederholen. Denn gerade diese Koalition legt besonde- ren Wert auf eine stärkere Ausrichtung der Wirtschafts- politik auf Investitionen und Innovationen sowie auf eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene. Das BMWi hat erreicht, dass es im Rahmen der Euro- päischen Struktur- und Investitionsfonds gelungen ist, bis 2020 für Deutschland ausreichend Spielräume – 27,5 Milliarden Euro – zu gewinnen, die auch zur In- vestitionsförderung eingesetzt werden können. Unsere Wirtschaftspolitik ist immer auch Industriepolitik. An- fang der 2000er-Jahre haben andere Länder stärker auf Dienstleistungen, insbesondere im Finanzbereich, ge- setzt. Deutschland hat seine Industrien hingegen nicht aufgegeben, sondern weiterentwickelt. Auf unserem Programm stehen auch die „Leit- märkte“. Damit ist gemeint, dass dort, wo Potenziale für Wachstum und Beschäftigung existieren, die Industrie gestärkt bzw. erneuert werden soll. Im Wirtschaftskapitel werden folgende Leitmärkte definiert: Maschinen- und Anlagenbau, neue Werkstoffe, Mobilität und Logistik, Informations-und Kommunikationswirtschaft, Energie- und Umweltwirtschaft, Medien- und Kreativwirtschaft sowie Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik. Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Unter- nehmen wollen wir neue Potenziale erkennen und heben. Das gilt zum Beispiel im Hinblick auf das Feld „Indus- trie 4.0“, also bei der stärkeren Digitalisierung von Pro- duktionsprozessen in klassischen Industrien. Bei der Elektromobilität verfolgt die SPD einen technologieoffe- nen Ansatz. Dieser kommt auch zum Tragen in der For- derung nach einem KfW-Programm zur Förderung be- sonders umweltfreundlicher Fahrzeuge. Die Mittel für das wichtige Zentrale Innovationsförderprogramm Mit- 6334 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 (A) (C) (D)(B) telstand, ZIM, werden im Haushaltsentwurf für 2015 nochmals angehoben. Auch auf Ihr Argument, ein europäisches Investi- tionsprogramm zu stärken, bin ich letztes Mal schon ein- gegangen. Nun hat aber gerade die deutsche Sozialde- mokratie einen erheblichen Anteil daran, dass die Mittel der Europäischen Investitionsbank deutlich erhöht wur- den. Und dort wird kein Geld nach dem Gießkannen- prinzip verteilt, sondern Geld geht in sinnvolle Projekte, die in einem sorgfältigen Prozess ausgewählt wurden und maßgeblichen positiven Einfluss auf die Infrastruk- tur und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Emp- fängerländern haben. Zu Jahresbeginn wurde der Mehrjährige Finanzrah- men der EU in Kraft gesetzt. Damit steht frisches Geld über die Struktur- und Investitionsfonds zur Verfügung. Deshalb bleiben die Mitgliedstaaten aufgerufen, zügig ihre Projekt- und Programmvorstellungen zu entwickeln und das Geld abzurufen. Zu guter Letzt möchte ich Sie noch auf die Arbeit ei- nes Expertengremiums beim Bundesminister für Wirt- schaft und Energie hinweisen, das sich um die Stärkung der Investitionen in Deutschland kümmern und entspre- chende Vorschläge erarbeiten soll. Entgegen Ihrer Auf- fassung ist es ein wichtiges Anliegen Sigmar Gabriels, zu einer weiteren Stärkung der privaten und öffentlichen Investitionen beizutragen. Denn Investitionen sind ein Schlüsselfaktor für eine Stärkung von Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. In den nächsten Monaten wird das Bundesministe- rium für Wirtschaft und Energie weitere Handlungs- optionen prüfen, um die gesamtwirtschaftliche Investi- tionsdynamik zu stärken. Es geht dabei zum einen darum, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu ver- bessern und Investitionshemmnisse abzubauen. Zum an- deren geht es um Konzepte, wie in Zukunft der Erhalt und der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur finanziert werden kann. Dafür soll insbesondere privates Kapital mobilisiert werden. Thomas Nord (DIE LINKE): Mit Beginn der dritten Stufe der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999 sind die Geld- und die Wechselkurs- politik in die gemeinschaftliche Verantwortung überge- gangen. Um realwirtschaftliche Verwerfungen innerhalb der WWU zu vermeiden und die Stabilität der gemein- samen Währung zu sichern, sehen der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV, und der Stabilitäts- und Wachstumspakt eine verstärkte haus- haltspolitische Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten der EU vor. Die Nationalen Reformprogramme, NRP, bilden das wirtschaftspolitische Gegenstück zu den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen. In den jährlich erstellten Na- tionalen Reformprogrammen stellen die Mitgliedstaaten dar, mit welchen Reformmaßnahmen sie die Ziele der Europa-2020-Strategie und die sogenannten integrierten Leitlinien – Grundzüge der Wirtschaftspolitik, beschäfti- gungspolitische Leitlinien – erreichen wollen und wel- che Fortschritte sie im vergangenen Jahr erreicht haben. Nun will ich hier die Kritik der Linken an der Strategie „Europa 2020“ nicht detailliert wiederholen, sie ist die Fortführung der gescheiterten Lissabon-Strategie und in- sofern aus unserer Sicht kein guter Bewertungsmaßstab für ein stabiles und soziales Europa. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen thematisiert aus Sicht der Linken eine wichtige Kritik und benennt die auch aus unserer Sicht hochproblematischen makro- ökonomischen Ungleichgewichte als eine Ursache der derzeitigen Krise der EU. Was dem einen sein Haben, ist dem anderen sein Soll. Wenn auf der einen Seite ein hoher Überschuss entsteht, also ein sehr hohes Haben, dann ist es nur logisch, das auf der anderen Seite ein sehr hohes Soll entsteht. Das Ungleichgewicht kann eine solch große Schlagseite bekommen, dass die Asym- metrie der Leistungsbilanzungleichgewichte vollständig technisch, aber eben auch politisch, wirtschaftlich und sozial dysfunktional wird. In einer solchen Situation steht die Fortdauer des Euro, aber auch die jetzige Verfasstheit der Europäischen Union auf dem Spiel. Und die momentanen politischen Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich belegen dies eindrucksvoll, wenn nicht schon gar ein bisschen beängstigend, wenn man an die 30 Prozent Umfragewerte für Marine Le Pen und ihr Programm zur Einführung eines neuen Franc denkt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, für einen Ausgleich der Bilanzen in einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion zu sorgen. Die eine Möglichkeit ist es, zwischen den Mitgliedstaaten des Euro einen Ausgleich zu organisieren, in etwa nach dem Vorbild des Länder- finanzausgleichs. Aber dazu fehlt der politische Wille in allen Staaten. Die andere Möglichkeit ist es, die Unter- schiede zwischen den Mitgliedstaaten zu akzeptieren und eine Form des Ausgleichs innerhalb der Bilanzen der jeweiligen Mitgliedstaaten zu organisieren. Nun hat gerade die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel sich dafür stark gemacht, das in der neuen Economic Gover- nance der EU die Bilanzüberschüsse nicht sanktionsfä- hig sind, sondern nur die Defizite. Wenn man aber von Gleichgewichten spricht und zugleich das Modell der mitgliedstaatsbezogenen Austarierung befürwortet, muss man schon beide Seiten betrachten. Das heißt hier, die Binnenseite der Bilanz zu stärken. Der Euro bietet der traditionell stark außenpolitisch orientierten deutschen Wirtschaft einen globalen Wettbe- werbsvorteil. Denn hätte nur Deutschland den Euro oder eine Alleinwährung, müsste es diese im Vergleich erheb- lich aufwerten, worunter die Exportvorteile schwinden würden. Die Wirtschaft ist in Deutschland von 2000 bis 2013 um fast 14 Prozent gewachsen. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen haben in diesem Zeitraum um rund 31 Prozent zugelegt. Die Bruttolöhne und -ge- hälter je Beschäftigtem hingegen sind um rund 2 Prozent gesunken. Einkommenszuwächse gab es nur bei den Spitzeneinkommen. Am unteren Ende der Einkommens- skala kam es zu weiteren Rückgängen. Jeder vierte Be- schäftigte in Deutschland arbeitet für einen Niedriglohn. Die Einführung von Hartz IV hat ein Angstregime eta- bliert, mit dem bei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerin- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2014 6335 (A) (C) (D)(B) nen die Bereitschaft zur Lohnzurückhaltung gestärkt wurde. Laut EU-Kommission haben die privaten Haushalte in Deutschland mehr gespart; für eine ausgeglichene Bilanz ist es notwendig, die Verteilung von Einkommen und Vermögen gerechter zu gestalten. Aber auch die privaten Unternehmen investieren zu wenig, die öffent- lichen Investitionen sind viel zu gering. Die Binnen- nachfrage sollte durch öffentliche Investitionen – insbe- sondere Infrastrukturmaßnahmen – gesteigert werden. Deutliche Lohnsteigerungen sind gerade für Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer am unteren Ende der Lohn- skala nötig. Dies erfordert ein konsequentes Verbot von Leiharbeit und sachgrundlosen Befristungen, die Verhin- derung des Missbrauchs von Werkverträgen sowie die Abschaffung des Zwangssystems Hartz IV. Die Stabili- tätswarnung der EU-Kommission hat bei der Bundesre- gierung dazu geführt, dass sie ein Mindestlöhnchen ein- geführt hat, man solle ja nicht meinen, in der schwarz- roten Koalition wäre über Nacht ein sozialpolitisches Denken eingezogen. Die Linke fordert 10 Euro pro Stunde ohne Ausnahmen für die Stärkung der Binnen- nachfrage. Die Steuerpolitik muss gerechter gestaltet werden durch eine höhere Besteuerung von großen Erb- schaften und Finanzgeschäften sowie die Einführung ei- ner Millionärssteuer. Die Linke fordert außerdem ein nachhaltiges Investitionsprogramm für den sozialökolo- gischen Umbau und zugunsten von Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr. Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist aus unserer Sicht das Problem in einer zutreffenden Weise benannt, allerdings wird darin aus unserer Sicht die aus dieser Analyse zu ziehende politische Konsequenz gescheut, und deshalb enthält sich die Fraktion Die Linke in der Abstimmung über diesen Antrag. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist noch nicht so lange her, da haben wir schon einmal über EU-Verfahren zu den makroökonomischen Un- gleichgewichten diskutiert. Ich habe Sie als Regierungs- fraktionen und die Bundesregierung damals aufgefor- dert, die wirtschaftspolitische Steuerung in der EU endlich ernst zu nehmen und im Rahmen des Nationalen Reformprogramms eine Antwort darauf zu formulieren, wie die deutsche Investitionsschwäche behoben werden kann. Das war im April, also vor etwas mehr als einem halben Jahr. Damals erzählten Sie uns, sehr geehrte Kol- leginnen und Kollegen von Union und SPD, dass das mit den Investitionen doch alles kein Problem sei. Die Bun- desregierung würde hier alles Nötige tun, um das Pro- blem zu lösen. Unsere Forderungen seien quasi erledigt. Nur ein paar Monate später stellen wir fest, wie viel Gehalt in diesen Worten steckte: reichlich wenig. Alle Mahnungen führender nationaler und internationaler Wissenschaftler und Institutionen wie der EZB, des IWF und der Europäischen Kommission für eine aktivere Fis- kalpolitik, für ein entschlossenes Vorgehen gegen die In- vestitionsschwäche haben Sie bisher ignoriert. Jetzt trübt sich die Konjunktur in Deutschland ein, und die Gefahr der Deflation im Euro-Raum wird immer konkreter. Das ist auch Ihre Verantwortung, meine Da- men und Herren von Union und SPD. Durch Untätigkeit und Zögern haben Sie das Problem der schwachen Bin- nennachfrage und der mangelnden Investitionen in Deutschland verschärft, und dies hat auch Auswirkun- gen auf den gesamten Euro-Raum. Sehr geehrte Kolle- ginnen und Kollegen von CDU und SPD, man muss den Eindruck gewinnen, dass die ökonomischen Zeichen lei- der tatsächlich so deutlich werden mussten, damit Sie es nicht mehr schaffen, sie komplett zu ignorieren. Jetzt ringen Sie sich durch, zusätzliche Investitionen zu tätigen – 10 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, zwei- fellos. Allein, er ändert rein gar nichts an den großen He- rausforderungen, vor denen unser Land steht. Bildung, Infrastruktur, Klimaschutz – wer jetzt nicht investiert, verspielt unsere Zukunft. Da reichen 10 Milliarden Euro, noch dazu über drei Jahre verteilt, hinten und vorne nicht. Wie wenig entschlossen Sie handeln, zeigt ein Beispiel: Allein durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen und die Abschaffung des Betreuungsgel- des könnten Sie kurzfristig ein Dreifaches des von Ihrer Regierung angepeilten Betrags finanzieren. Das ist ein weiterer Trippelschritt in Angela Merkels Wirtschaftspolitik, die weder Ziel noch Richtung kennt. Sie versucht nur, der wirtschaftlichen Entwicklung hin- terherzulaufen. Dabei ist es gerade in der Wirtschafts- politik entscheidend, dass die Politik auch einen Kurs vorgibt und den Unternehmen und Beschäftigten Ziele aufzeigt, an denen sie sich orientieren können, und Ver- trauen in die Zukunft erzeugt. Gerade private Investitio- nen fußen auf Erwartungen in künftige Entwicklungen: der Konjunktur, der Nachfrage und der Preise, aber auch der Fachkräfte und der Infrastruktur eines Standorts. Diese Erwartungen könnten Frau Merkel, Herr Schäuble und Ihre Bundesregierung mit klaren Zielen zu öffentli- chen Investitionen in den Breitbandausbau, in Klima- schutz und Energieeffizienz, in die Bildung und Betreu- ung stabilisieren. Stattdessen haben Sie versucht, Ihr Nichthandeln mit einem durchschaubaren Manöver zu verdecken. Sie ha- ben den ausgeglichenen Haushalt – keine neuen Schul- den 2015 – zu ihrem Prestigeobjekt erklärt, weil Sie wis- sen, dass das erst mal gut klingt, erzählen Sie davon landauf, landab. Aber Ihr Haushalt ist durch die falschen Prioritäten im Gegenteil weder ausgeglichen noch nach- haltig. Sie verschieben die Schulden lediglich in die Zu- kunft. Sie verschulden sich bei künftigen Generationen, indem Sie heute notwendige Investitionen in die Instand- haltung von Brücken und Schienen oder in die Sanierung maroder Schulgebäude nicht heute tätigen, obwohl sie jetzt anstehen. Sie verschieben das alles auf übermorgen; damit müssen kommende Generationen Ihre Rechnung bezahlen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union und der SPD, Europa braucht eine Wirtschafts- politik in Deutschland, die jetzt entschlossen handelt. Wachen Sie endlich auf aus Ihrem Dornröschenschlaf, und nehmen Sie die makroökonomischen Probleme ernst, die Ihnen die EU-Kommission in ihrem Bericht aufgeschrieben hat. 66. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung TOP 4 Langzeitarbeitslosigkeit TOP 21 Mietrecht ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 27 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Wahl Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ ZP 3 Aktuelle Stunde zur Abschaltung von Kohlekraftwerken und zu Klimazielen TOP 7 Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b) TOP 8 Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche TOP 13 Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes TOP 10 Sanktionen gegen Russland TOP 9 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 27 a Investitionsquote und Binnennachfrage TOP 11 Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID) TOP 14 Haushaltskontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit TOP 15 Verantwortung für Produktion in Entwicklungsländern TOP 16 Antibiotika in der Tierhaltung TOP 17 Dreigliedriger EU-Sozialgipfel TOP 18 Rechtsstellung von asylsuchenden Ausländern TOP 19 EU-Übereinkommen über die Adoption von Kindern TOP 20 EU-Richtlinie über europäische Schutzanordnung Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806600000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

begrüße Sie zu unserer 66. Plenarsitzung. Ich habe zu-
nächst einige amtliche Mitteilungen zu machen.

Die Kollegin Diana Golze hat mit Ablauf des 6. No-
vember 2014 auf die Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet. Für sie ist der Kollege Norbert
Müller nachgerückt. Im Namen des ganzen Hauses be-
grüße ich den neuen Kollegen herzlich und wünsche eine
gute Zusammenarbeit.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-

nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion

DIE LINKE:
Haltung der Bundesregierung zu den umstrit-
tenen Steuermodellen in Luxemburg und der
Rolle Jean-Claude Junckers

(siehe 65. Sitzung)


ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen des Europarats vom
25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern
vor sexueller Ausbeutung und sexuellem
Missbrauch
Drucksache 18/3122
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias Gastel, Sven-Christian Kindler,
Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Leistungs- und Finanzierungsvereinba-
rung zur Erhaltung der Schienenwege
jetzt neu verhandeln

Drucksache 18/3153
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Haushaltsausschuss

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Unterschiedliche Auffassungen in der Bun-
desregierung zur Abschaltung von Kohle-
kraftwerken und zum Erreichen der Klima-
ziele

Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Der Tagesordnungspunkt 12 soll abgesetzt und statt-
dessen der Tagesordnungspunkt 27 a aufgerufen werden.

Des Weiteren soll an der Stelle des Tagesordnungs-
punktes 9 der Tagesordnungspunkt 13 im Umfang von
38 Minuten debattiert werden. Die Tagesordnungs-
punkte 9 und 11 der Koalitionsfraktionen rücken mit ei-
ner Debattenzeit von jeweils 25 Minuten weiter nach
hinten.

Darüber hinaus sollen die Tagesordnungspunkte 5
und 21 miteinander getauscht werden und die Debatten-
zeit hier jeweils 60 Minuten betragen. Sind Sie mit die-
sen Veränderungen einverstanden? – Das ist offensicht-
lich der Fall.

Ich weise nur vorsichtshalber noch einmal darauf hin,
dass wir heute im Laufe des Nachmittags und Abends
eine Reihe von namentlichen Abstimmungen durchfüh-
ren werden. Wie diese sich unter Berücksichtigung der
teilweise verschobenen Tagesordnungspunkte mit Blick
auf den voraussichtlichen Zeitpunkt sortieren, werden
wir verlässlich erst nach Abschluss des ersten Tagesord-
nungspunktes sagen können. Deswegen empfehle ich je-
dem, sich am frühen Nachmittag noch einmal besonders
sorgfältig zu informieren.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe zuerst den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Vereinbarte Debatte

Sterbebegleitung

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Tages-
ordnungspunkt beginnen wir das vielleicht anspruchs-
vollste Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode.
Bei der Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung geht es um die
Frage, wie der Staat seine unaufgebbare Verpflichtung
zum Schutz des Lebens und zum Schutz der Menschen-
würde auch und gerade gegenüber dem sterbenden Men-
schen wahrnehmen kann. Dabei wird der Gesetzgeber
seine ganze Sorgfalt nicht nur der Frage widmen müs-
sen, wo es zwischen individueller Selbstbestimmung auf
der einen Seite und ärztlicher Verantwortung auf der an-
deren Seite Handlungs- und Regelungsbedarf gibt, son-
dern auch, ob überhaupt und wie dieser Handlungsbe-
darf in allgemeinverbindlichen gesetzlichen Regelungen
überzeugend gelöst werden kann.

Ich will vor allem für die vielen an dieser Debatte in-
teressierten Zuhörer darauf hinweisen, dass wir uns
wegen der besonderen Ansprüche dieses Gesetzge-
bungsverfahrens zu einem ungewöhnlichen Beratungs-
verfahren entschlossen haben. Wir werden uns im Ple-
num des Deutschen Bundestages mindestens dreimal mit
diesem Thema beschäftigen. Heute, in der Orientie-
rungsdebatte, auf die wir uns verständigt haben, wollen
wir miteinander die Fragestellungen erörtern und viel-
leicht auch Gestaltungsoptionen deutlich machen. Es
wird dann Anfang nächsten Jahres eine weitere Plenar-
debatte geben, wenn es die Gesetzentwürfe gibt, für die
inzwischen erste Vorstellungen erkennbar sind, die aber
alle noch nicht eingebracht sind. Dann wird das selbst-
verständlich auf der Basis der eingebrachten Gesetzent-
würfe nach einem sicherlich auch nicht ganz schnellen
Beratungsverlauf in den beteiligten Fachausschüssen in
zweiter und dritter Lesung im Plenum des Deutschen
Bundestages beraten und abschließend entschieden.

Ich möchte für all diejenigen, die heute dieser Debatte
auf der Besuchertribüne folgen, stellvertretend die
Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Frau Professor
Woopen, herzlich begrüßen


(Beifall)


und mich beim Ethikrat für seine Begleitung dieser und
ähnlicher Fragestellungen herzlich bedanken. Im Übri-
gen wird auch der Deutsche Ethikrat am 27. November
eine öffentliche Sitzung zu diesem Thema durchführen.

Ich möchte Sie schließlich, bevor ich die Redner auf-
rufe, bitten, damit einverstanden zu sein, dass wir bei
dieser Debatte, die in Form von Fünf-Minuten-Beiträgen
stattfinden soll, ähnlich wie bei der Aktuellen Stunde
und den dortigen Fünf-Minuten-Beiträgen keine Zwi-
schenfragen zulassen. Im Übrigen besteht natürlich die
Möglichkeit, zu diesem Tagesordnungspunkt Redebei-
träge zu Protokoll zu geben, weil verständlicherweise
viele Kolleginnen und Kollegen ihre persönliche Auffas-
sung und den gegenwärtigen Stand ihrer eigenen Mei-
nungsbildung gerne vortragen würden, was aber auch in
dem für unsere Tagesordnung unüblichen Format von
vier Stunden technisch schlicht nicht für alle möglich
sein wird. Sind Sie auch mit diesem Verfahrensvorschlag
einverstanden? – Das ist ganz offenkundig der Fall.
Dann können wir so verfahren.1)

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem
Kollegen Michael Brand das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1806600100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

ist für mich heute keine Rede wie jede andere. Im Jahr
meiner Geburt erhielt mein Vater die Diagnose Krebs
und erkrankte schwer. Immer wieder hieß es, er habe
nicht mehr sehr lange zu leben. Gott sei Dank waren ihm
und uns noch viele Jahre geschenkt. Aber das prägt:
Krankheit und Tod waren bei uns zu Hause immer mit
am Tisch. So ist auch unsere heutige Debatte für mich
keine wie jede andere. Das ist sie wohl für niemanden
hier im Haus.

In dieser Woche haben wir als eine Gruppe von Abge-
ordneten unsere Position zum Thema Suizidbeihilfe vor-
gestellt. Nun arbeiten wir dafür, dass es gute Kompro-
misse und am Ende eine breite Mehrheit für einen
gemeinsamen Gruppenantrag gibt. Was wollen wir? Wir
wollen Hilfen stark ausbauen, und wir wollen Miss-
brauch stoppen. Das sind die beiden Seiten derselben
Medaille.

Ich habe in meiner Familie palliative Begleitung beim
Sterben erlebt. Diese Begleitung nimmt Schmerz, Angst
und Druck und bewahrt die Würde auch beim Sterben.
Mir hat diese Erfahrung gezeigt: Wir haben heute dank
palliativer Medizin ganz andere Möglichkeiten als noch
vor Jahren. In dieser Woche gab es einen wichtigen
Schritt voran für den Ausbau der Palliativ- und Hospiz-
versorgung. Es ist gut, dass wir in dieser Frage eine
große Übereinstimmung hier im Deutschen Bundestag
haben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir wissen inzwischen: Dank palliativer Medizin
muss niemand mehr mit unaushaltbaren Schmerzen ster-
ben, niemand muss wegen der Schmerzen in die
Schweiz reisen. Sterbehilfevereine oder Einzelne, die or-
ganisiert bzw. geschäftsmäßig Suizidbeihilfe leisten,
wollen wir aufhalten. Auch hier bin ich froh, dass wir in
diesem Parlament eine große Mehrheit haben.

Dabei wollen wir weder ärztliche Beihilfe noch Bei-
hilfe aus der Familie in Notlagen unter Strafe stellen.
Hier soll es bei den jetzigen Regelungen bleiben. Wir
wollen kein Sonderstrafrecht für Ärzte. Es geht aus-
schließlich um diejenigen, die, auf Wiederholung ange-
legt, Beihilfe zum Suizid anbieten. Was wir aber auf gar
keinen Fall wollen, ist eine Regelung, die eine Tür öff-
net, die wir nicht mehr zubekommen und durch die am
Ende Menschen geschoben werden können, die nicht
durch diese Tür wollen.

1) Zu Protokoll gegebene Reden ab Seite 6162 D





Michael Brand


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen darf der ärztlich assistierte Suizid keine
normale Behandlungsoption werden. Wir hören auch
ernstzunehmende Stimmen aus der Ärzteschaft – Präsi-
dent Montgomery, viele Palliativmediziner, die er-
drückende Mehrheit der Ärzte –, die sagen: Wir werden
am Ende Töten auf Verlangen bekommen, auch wenn
heute gesagt wird, dass wir das nicht wollen. Deswegen
wehrt sich die Ärzteschaft in ihrem Standesrecht dage-
gen, dass sie auch nur in den Ruf gerät, nicht hin zum
Leben, sondern hin zum Tod zu arbeiten.

In Holland gibt es zu diesem steigenden Druck inzwi-
schen große Debatten. Ich empfehle die Lektüre des Bu-
ches des Journalisten Gerbert van Loenen. Sein Buch
heißt Das ist doch kein Leben mehr! Warum aktive Ster-
behilfe zu Fremdbestimmung führt. Van Loenen hat sei-
nen Partner, der durch eine Hirnverletzung schwerstbe-
hindert wurde, begleitet. Er mahnt, die Erfahrungen in
Holland zu beherzigen. Das heißt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir müssen nicht über den großen Teich nach
Oregon schauen, es reicht der Blick in die unmittelbare
Nachbarschaft.

In Belgien und in den Niederlanden sind Tausende
Tote – im letzten Jahr waren es über 6 500 Menschen –
aufgrund der dort auch so genannten Euthanasiegesetze
zu beklagen. Immer hat es mit engen Kriterien begon-
nen, mit zahlenmäßig kleinen Ausnahmen. Aber diese
Kriterien halten einfach nicht. Es hat sich erwiesen:
Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nachfrage. In Bel-
gien wurde das Euthanasiegesetz in den letzten zehn Jah-
ren 25-mal geändert und erweitert. Inzwischen können
selbst Kinder und Demenzkranke betroffen sein, zuletzt
auch verurteilte Sexualstraftäter. Das ist nicht über
Nacht passiert, das ist scheibchenweise passiert. Deswe-
gen muss jeder wissen: Wer diese Tür auch nur einen
Spaltbreit öffnen hilft, der wird sie nicht mehr schließen
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht nicht allein um Kranke, sondern es geht auch
um junge, um sprichwörtlich lebensmüde Menschen.
Diese Menschen wären in großer Gefahr, wenn der
Schritt von der scheinbar ausweglosen Situation oder ei-
ner Depression zum ärztlich assistierten Suizid nur noch
kurz wäre. Mir ist lebhaft in Erinnerung, was ein Pallia-
tivmediziner mir berichtet hat. Von über 100 Suizidbe-
reiten, die verzweifelt bei ihm waren und die er begleitet
hat, hat kein einziger den Weg am Ende gewählt. Was
wäre eigentlich, wenn der Weg ein kurzer wäre?

Franz Müntefering hat recht, wenn er betont: Wir
müssen die Schwachen und die Alten schützen. Der
Grund, über einen schnellen Tod nachzudenken, ist doch
oftmals auch die Angst, anderen Menschen zur Last zu
fallen. Er hat recht mit der Begründung, weil wir sonst
eben auf die schiefe Ebene geraten würden, weil nämlich
Leben am Ende unterteilt würde: in solches, für das sich
der Einsatz lohnt, und solches, das nach Ansicht vieler
besser beendet würde. Wer nimmt sich eigentlich das
Recht, über Leben und Tod zu entscheiden?

Wir alle tragen hier bei diesem Thema die größte vor-
stellbare Verantwortung, nämlich die über Leben und
Tod. Dieser Verantwortung können wir in dieser Frage
nicht entrinnen. Deshalb bitte ich Sie: Werden wir dieser
Verantwortung gerecht! Entscheiden wir uns für das Le-
ben und die Hilfe.

Schließen möchte ich mit einem Brief, den eine 48-jäh-
rige Frau mir in diesen Wochen geschrieben hat. Sie
macht in wenigen Sätzen deutlich, was auf dem Spiel
steht und was wir auch menschlich gewinnen können.
Ich zitiere:

Ich bin 48 Jahre alt und habe seit sechs Jahren eine
Krebserkrankung, die mittlerweile gestoppt wurde.
Ich habe in dieser Zeit viele Höhen und Tiefen er-
lebt, aber immer haben mich mein Mann und meine
drei Kinder begleitet. Wir sind durch diese Erfah-
rung immer mehr zusammengewachsen. In dieser
Zeit, wo es mir am schlechtesten ging und ich den
Tod schon vor Augen hatte, dachte ich aber nie da-
ran, mein Leben selbst beenden zu wollen.

Ich frage mich, was wäre gewesen, wenn der psy-
chische Druck von außen gekommen wäre, als
meine Lage hoffnungslos schien. Vielleicht wäre
ich schon tot.

Wie viel bin ich mit meinem leidenden Zustand
noch wert? Die Hilfe zum Suizid beantwortet diese
letzte Frage eindeutig mit: nichts.

Bitte setzen Sie sich weiter für das Leben ein!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806600200

Das Wort erhält nun die Kollegin Kathrin Vogler.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806600300

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich
glaube, mir ist die Vorbereitung auf eine Rede hier im
Plenum noch nie so schwergefallen wie heute.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Denn wenn wir über das Sterben reden, dann wird es
einfach persönlich; das kann man gar nicht verhindern.
Selbst wenn es am Ende um konkrete Gesetze und Para-
grafen gehen muss: Niemand von uns weiß, wie das
geht, das Sterben.

Doch es kommt unwiderruflich auf jeden und jede
von uns zu. Auch die modernste Medizin kann uns nicht
darüber hinwegtäuschen, dass das Leben endlich ist. Sie
kann die Lebenserwartung erhöhen, die Lebensqualität





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

verbessern, Leiden lindern; aber den Tod, den kann sie
nicht überwinden. Das Recht auf Leben, das ist wahr-
scheinlich das grundlegendste Menschenrecht; denn es
ist die Voraussetzung dafür, dass wir andere Menschen-
rechte überhaupt wahrnehmen können.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Dennoch ergibt sich daraus für mich keine Pflicht
zum Leben, jedenfalls nicht für Menschen wie mich, die
zu keiner Religionsgemeinschaft gehören. Es gibt aber
auch andererseits keine Verpflichtung für die Gesell-
schaft, den Tod für Sterbewillige zu einer möglichst
leicht erreichbaren Dienstleistung zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte nicht in
einer Gesellschaft leben, in der Menschen ihren Lebens-
sinn oder gar ihren Lebensunterhalt daraus gewinnen,
anderen den Tod zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die Selbsttötung ist in unserer Gesellschaft zum Teil
noch immer tabuisiert. Doch es gibt auch die andere
Seite: Es führt zu einer gewissen Faszination, und es
führt zu dem, was wir den Werther-Effekt nennen. Un-
tersuchungen belegen, dass Berichte, ja sogar fiktive Er-
zählungen über Selbsttötungen zur Nachahmung anre-
gen können. Schon dies belegt, dass die Frage, welcher
Suizid wirklich aus eigenem, wohlerwogenem Willen
vollzogen wird, für Außenstehende ganz schwer zu ent-
scheiden ist.

Wir haben in dem, was und wie wir heute hier debat-
tieren, eine große nicht nur politische, sondern auch ge-
sellschaftliche Verantwortung. Wir müssen offen und
frei über das Sterben sprechen; aber wir sollten den Tod
nicht verklären. Wenn wir das täten, liefen wir Gefahr,
Menschen in Not nicht das Recht auf bestmögliche Hilfe
zum Leben zuzusprechen; sondern dass ihnen eines Ta-
ges mehr oder weniger subtil vermittelt wird, wann es
für sie Zeit wird, freiwillig sterben zu wollen – und das
möchte ich nicht.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Nicht nur, dass unser gesamtes Gesundheitswesen in den
letzten Jahren mehr und mehr in einen profitorientierten,
wettbewerbsgetriebenen Wirtschaftszweig umgebaut
worden ist: Soll nun auch noch der wortwörtlich letzte
potenzielle Markt erschlossen werden?

Wenn ich mir die Werbung eines der Vereine ansehe,
die in diesem Bereich unterwegs sind, dann kann ich
mich dieses Eindrucks nicht erwehren. Dabei habe ich
zum Beispiel ein Video vor Augen, in dem ein sehr alter
Mann mit einer deutlich jüngeren Beraterin spricht – ei-
ner sogenannten Beraterin. Diese versichert ihm immer
wieder, dass seine Entscheidung, zu sterben, richtig sei.
Seine vorsichtig geäußerten Zweifel wischt sie resolut
beiseite. Seine demenzkranke Frau würde es ja gar nicht
merken, ob er bei ihr sei oder ob das jemand anders sei.

Auf mich macht dieses Video den Eindruck, dass hier
jemand Kontakt zu diesem Verein gesucht hat, weil ihm
das die Gelegenheit für ein intellektuell anregendes und
menschlich zugewandtes Gespräch bietet. Auf jeden Fall
hat er für diese Gespräche gut bezahlt: zwischen 1 000
und 7 000 Euro nach der Satzung dieser Organisation
– je nachdem, wie lange er dort Mitglied ist – plus eini-
ges an Honoraren für die Ärzte, die ihm bescheinigen,
dass er in der Lage ist, für sich selbst zu entscheiden. Die
sogenannte Beraterin will offenbar ganz dringend zu ei-
nem Abschluss kommen.

Wollen wir wirklich zulassen, Kolleginnen und Kolle-
gen, dass mit solchen Methoden in unserem Land neue
Geschäftsfelder erschlossen werden? Ich möchte das
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Für mich widerspricht das zutiefst der Menschenwürde,
und ich möchte daher einen Gesetzentwurf unterstützen,
der die geschäftsmäßige, organisierte und auf Wiederho-
lung abzielende Suizidassistenz und die Werbung dafür
wirksam verbietet. Gleichzeitig sollen Personen, die aus
einer Vertrauensbeziehung heraus im Einzelfall Men-
schen helfen, zu sterben, auch in Zukunft straffrei blei-
ben. Auch Ärztinnen und Ärzte, die einer ihrer Patientin-
nen oder einem ihrer Patienten auf keine andere Art das
Leiden erleichtern können, sollen diese letzte Möglich-
keit legal haben. Das erscheint mir einfach menschli-
cher, als Kriterienkataloge und festgelegte Verfahren zu
etablieren und damit das Aufgabenspektrum für die Ärz-
teschaft insgesamt zu erweitern, was wir auch noch ge-
gen den Willen einer zumindest deutlichen Mehrheit der
Ärzteschaft täten.

Als Gesetzgeber sollten wir das Recht auf Selbstbe-
stimmung auch am Lebensende sowie das Recht auf Le-
ben und körperliche Unversehrtheit miteinander in Ein-
klang bringen, soweit uns das irgend möglich ist, und ich
finde, wir sollten mindestens dieselbe Energie aufwenden,
um mit guten Renten, guter Pflege, flächendeckender Pal-
liativversorgung und einer Kultur des solidarischen Zu-
sammenhalts die Bedingungen für ein würdevolles, le-
benswertes Leben bis zum Ende zu verbessern.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806600400

Die Kollegin Carola Reimann ist die nächste Redne-

rin.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1806600500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die wenigsten sprechen gern über das Sterben. Das
Thema ist im Privaten schwierig, aber auch im Politi-
schen; denn die Fragen, die das Lebensende betreffen,
sind nicht nur rechtlicher Natur. Es handelt sich um
wichtige ethische und moralische Fragen. Hinzu kom-
men persönliche Erfahrungen und tiefe persönliche
Überzeugungen. Das erklärt das teils emotionale und lei-
denschaftliche Ringen um den richtigen Weg.





Dr. Carola Reimann


(A) (C)



(D)(B)

Da ist es gut, sich zunächst einmal dem zuzuwenden,
was uns alle eint. Es ist völlig unstrittig, dass wir die
Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland weiter
verbessern müssen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben hier große Fortschritte erzielt, aber wir sind
erst auf halber Strecke. Diesen Weg müssen wir weiter-
gehen. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun,
um kranken Menschen durch die bestmögliche medizini-
sche Versorgung und menschliche Begleitung ein Ja zum
Leben zu ermöglichen.

Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch dafür
sorgen, dass medizinischen Laien, selbsternannten Sterbe-
helfern und anderen zwielichtigen Personen, das Hand-
werk gelegt wird. Ich will nicht, dass verzweifelte Men-
schen sich an anonyme Sterbehilfevereine wenden
müssen. Ich will, dass Menschen in großer Not sich ih-
rem persönlichen Umfeld und ihrem Arzt anvertrauen
können, weil er es ist, der fachlich am besten über die
Alternativen aufklären kann. Wir brauchen auf ärztlicher
Seite einen Freiraum, damit gerade in dieser Phase ein
starkes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient
möglich ist.

Mich treibt die Sorge um, dass ein Verbot der Sterbe-
hilfevereine, das ich im Grundsatz begrüße, am Ende zu
einer Situation führt, in der die ärztlichen Freiräume
weiter eingeschränkt werden und in der das Vertrauens-
verhältnis Schaden nimmt; denn schon heute sorgen
17 Landesärztekammern und eine Bundesärztekammer
für einen Flickenteppich an Regelungen, der dazu führt,
dass in Essen hinsichtlich des ärztlich assistierten Sui-
zids etwas anderes gilt als in Bochum.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Posi-
tionspapier sieht daher vor, Patientinnen und Patienten
sowie Ärztinnen und Ärzten mehr Rechtssicherheit zu
geben – Rechtssicherheit, die das offene Gespräch zwi-
schen Arzt und Patient auch über die eigene Lebensbe-
endigung möglich macht. Denn nur so kann der Ster-
benskranke fundiert über medizinische Alternativen
informiert werden. In sehr vielen Fällen wird das Ergeb-
nis dieser Gespräche eine gute Palliativversorgung sein.
Aber – das zu sagen, gehört zu einer offenen Debatte
dazu – es wird auch unheilbar Kranke geben, die trotz
optimaler medizinischer palliativer Versorgung und lie-
bevoller Begleitung ihr Leben beenden wollen. Diese
Schicksale können uns nicht unberührt lassen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Es ist also keine Frage des Entweder-oder; es geht
auch nicht um, wie es im Papier vom Kollegen Brand
heißt, „Begleiten statt Beenden“. Wir sollten keine Ge-
gensätze konstruieren, wo keine sind.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir wollen alle Möglichkeiten der Palliativmedizin aus-
schöpfen, aber wir wollen nicht die Augen verschließen,
wenn Sterbenskranke den Wunsch äußern, ihr Leben zu
beenden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die ärztliche
Beihilfe zum Suizid wird auch mit der Regelung, die wir
vorschlagen, die krasse Ausnahme bleiben. Wir haben
eine strenge Begrenzung vorgesehen. Das wird nicht zur
normalen Behandlungsoption und auch nicht zu einem
neuen Beschäftigungsfeld; denn wir gehen ja nicht über
das hinaus, was in einigen Bundesländern schon heute
möglich ist. Im Gegenteil: Wir legen weitere enge Krite-
rien fest und gehen damit einen Mittelweg. Wir lassen
Freiräume für ärztlich-verantwortliches Handeln. Wir stär-
ken auf der einen Seite die Selbstbestimmung, und auf
der anderen Seite machen wir durch Zugrundelegung
von sehr strengen Voraussetzungen ganz klar: Der assis-
tierte Suizid ist kein Normalfall.

Gelegentlich kommt der Einwand, unser Vorschlag
betreffe nur sehr wenige Menschen. Das ist richtig und
zugleich auch falsch. Unser Vorschlag erfasst zwar nur
wenige Fälle, bewegt aber sehr viele Menschen. Insofern
machen wir hier keine Regelung für ein paar wenige
Ausnahmefälle, sondern wir wenden uns Schicksalen zu,
die ganz viele zum Nachdenken anregen, wie sie selbst
sterben wollen.

Es ist gut, dass wir uns für diese Debatte viel Zeit
nehmen. Sie darf sich aber nicht auf dieses Haus be-
schränken. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche
Debatte darüber, um zu einer Regelung mit breiter ge-
sellschaftlicher Akzeptanz zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Mit den Umfragen ist das ja immer so eine Sache. Da-
raus kann man ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen.
Das gilt selbst dann, wenn sich wie bei dieser Frage stets
eine große Mehrheit der Befragten für Sterbehilfe aus-
spricht. Manche kritisieren die Fragestellung, manche
glauben, dass die große Mehrheit nicht genug Bescheid
weiß über Palliativmedizin und darüber, was sie leisten
kann, oder sie unterstellen, dass viele sich nicht genug
mit dem Thema befasst haben. Vielleicht, Kolleginnen
und Kollegen, könnten diese Umfragen aber auch ein-
fach ein Hinweis darauf sein, dass eine große Mehrheit
in Deutschland schlicht und einfach selbstbestimmt ster-
ben will.

Danke fürs Zuhören.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806600600

Renate Künast ist die nächste Rednerin.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806600700

Meine Damen und Herren! Das ist ja keine einfache

Debatte. Jede und jeder von uns, die wir hier unten sit-
zen, und jede und jeder von denen, die oben sitzen und
zuhören, haben das erlebt, wenn im Bekannten- oder
Verwandtenkreis jemand geht, jemand stirbt. Gut, wenn
man dabei sein kann und darf, gut, wenn jemand so alt
ist, dass man sagen kann, sie hat ihr Leben gelebt.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Schrecklich, wenn man erlebt, dass jemand verunglückt
oder schwer an Krebs erkrankt ist, und man sich mit der
Frage des gemeinsamen Gehens des letzten Stücks We-
ges auseinandersetzen muss. Wir alle und viele Men-
schen in dieser Gesellschaft machen sich wirklich mas-
siv Sorgen, haben Ängste und fragen sich: Wie werde
ich in Würde und selbstbestimmt sterben können? – Gut,
dass wir dies hier diskutieren. Ich hoffe, das ist der Auf-
takt einer langen, intensiven und offenen Debatte.

Zwei Dinge gehen mir durch den Kopf: einmal, dass
wir uns wirklich die Mühe machen, über die Gestaltung
der letzten Lebensphase zu reden, nicht nur über den Au-
genblick des Sterbens, sondern der gesamten letzten Le-
bensphase, über das Leid und vielleicht auch die Ein-
schränkungen, die jemand erlebt. Richtig finde ich auch,
dass endlich die Demografiedebatte erweitert wird. Wir
hatten zwar lange Berichte, auf denen auf fast 100 Seiten
über demografischen Wandel geredet wurde, aber Le-
bensende, Tod, Sterben, Hospize und Palliativmedizin
kamen darin gar nicht vor.

Es geht um die Gestaltung der letzten Lebensphase,
und es geht für meine Begriffe, da jetzt der Anlass die
Strafbarkeit ist, auch um die Frage – auf Palliativmedi-
zin und Hospize komme ich nachher zurück –: Wie ist
das Recht heute, und wie wollen wir es eigentlich gestal-
ten? Heute ist es so, dass der Einzelne über sein eigenes
Leben frei bestimmen darf, entscheiden kann, wann und
wie sein Leben endet. So sagen es das Strafgesetzbuch
und die Rechtsprechung, so regelt es faktisch auch das
Grundgesetz. Und: Er oder sie darf sich dazu einer Bei-
hilfe bedienen. Fakt ist, meine Damen und Herren: Der
Freitod – ich nenne ihn so, weil es ja um Selbstbestim-
mung und freie Entscheidung geht – ist straffrei und die
Beihilfe dazu auch. Wenn wir uns jetzt überlegen, ob wir
Hand an das Strafgesetzbuch legen wollen, meine ich,
sollten wir uns nicht nur Gedanken über unsere Gefühle
und Werte machen, sondern auch darüber, was das
Schutzgut des Strafgesetzbuches ist. Alle entsprechen-
den Paragrafen regeln doch eines: dass man einen ande-
ren nicht töten darf. Aber mein eigenes Leben darf ich
beenden. Was ist an dieser Stelle unsere Aufgabe? Ich
glaube, unsere Aufgabe ist nicht, für den Menschen zu
entscheiden, sondern ihn vor Fremdbestimmung zu
schützen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir sollten uns nicht nur damit beschäftigen, ob eine
Gelegenheit zum Suizid verschafft wird – wir, die wir
ein gemeinsames Papier erstellt haben, finden, dass das
nicht der Kern ist –, ob und unter welchen Bedingungen
Kosten erstattet werden oder warum einer einen Verein
gründet. Sondern auch mit dem Kernproblem: Wir dür-
fen nicht zulassen, dass ein mangelhaft informierter
Mensch, der unentschlossen ist und der das gar nicht
will, zum Suizid verleitet wird. Das ist das zu schützende
Gut. Auf dieser Basis fragen wir uns: Muss man das
Strafgesetzbuch ändern?

Ich setze mich gerne mit den Fakten, mit den Tatsa-
chen auseinander, die heute diskutiert werden. Da wird
zum Beispiel gesagt, dass die Tätigkeit von Vereinen die
Suizidrate erhöhen könnte. Aber es gibt dazu keine Zah-
len, und wenn, dann aus anderen Ländern mit anderen
Bedingungen – Steigerungen um vielleicht 0,5 Prozent.

2012 gab es einen Versuch, das Gesetz zu ändern. Da-
mals hieß es: Wenn es Sterbehilfevereine gäbe und Ärzte
Sterbehilfe regelmäßig als letztes Mittel anbieten dürf-
ten, könnten sich die Menschen ja als zur Last fallend
fühlen. Meine Damen und Herren, ich habe beim Justiz-
ministerium nachgefragt, ob es neue Daten gibt. Dort
wurde ich auf die damalige Situation verwiesen. Jetzt
frage ich Sie aber: Wo ist denn die Begründung dafür?
Wenn man sagt, dass sich die Menschen als zur Last fal-
lend fühlen könnten, dann müsste das doch heute schon
so sein, weil das geltende Recht das alles zulässt: Die
Beihilfe ist straffrei, egal ob von Ärzten, nahen Angehö-
rigen oder Vereinen, aber es muss Beihilfe sein und nicht
Tötung auf Verlangen. Die jetzige Rechtslage belegt also
keine Fehlentwicklung.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Genau darauf muss es für uns ankommen.

Wir meinen, wir sollten der Versuchung widerstehen,
unseren Glauben, unsere Ansichten und unsere ethischen
Vorstellungen ins Strafgesetzbuch zu schreiben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Stattdessen müssen wir uns mit den Ursachen von Ver-
zweiflung beschäftigen, endlich Gespräche und Entlas-
tung anbieten. 800 000 Menschen brauchen Palliativme-
dizin oder Hospizplätze, nur 35 000 bekommen sie. Das
wäre der Ansatzpunkt.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Haben wir doch Erbarmen mit den Menschen, die
sich Sorgen machen. Selbst 66 Prozent der Mitglieder
der Katholischen Kirche sagen: Wir sind für Sterbehilfe.
Haben wir Erbarmen und lassen wir zu, dass die Men-
schen ihrer Überzeugung entsprechend leben, aber auch
– weil es um Leben, Würde und Selbstbestimmung
geht – ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen dür-
fen, wenn sie das wollen. Die heutige Rechtslage ist für
unsere Begriffe klüger als alles, was sonst vorgeschlagen
wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Widerstehen wir der Versuchung. Lassen wir dies den
Auftakt zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte sein.
Wir träumen davon, dass wir am Ende nicht die Hand an
das Strafrecht, so wie es heute ist, legen, weil es keine
Fehlentwicklung unterstützt, sondern dass wir den Men-
schen in der letzten Lebensphase die Hand reichen. Der
Bundestag hat noch nicht angefangen, ernsthaft zu da-
rüber diskutieren. Dazu sind Personal, Ausbildung und
Geld notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806600800

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hintze.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806600900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Wahrheit ist konkret. Wer einmal den Todes-
kampf eines Menschen miterlebt hat, dem bleibt das ins
Gedächtnis eingebrannt: Panik vor dem Erstickungstod,
eine ALS-Lähmung, die es dem Menschen beim Ein-
schlafen nicht einmal mehr ermöglicht, die Augenlider
zu schließen, ein Mundbodenkarzinom, das stinkend aus
dem Kopf herauswächst. In solchen Situationen stößt die
Palliativmedizin manchmal an ihre Grenzen.

Schutz des Lebens? Ein klares Ja. Bei einer zum Tode
führenden Krankheit geht es aber gar nicht um das Ob
des Sterbens, sondern es geht um das Wie des Sterbens.
Ich halte es für unvereinbar mit dem Gebot der Men-
schenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein
Zwang zum Qualtod würde.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Hier muss der Arzt dem Wunsch des Patienten folgen
dürfen: Wenn der Arzt es nach seiner Gewissensent-
scheidung für richtig hält, wenn er es nach seiner medi-
zinischen Überzeugung für richtig hält, dann muss er
dem Patienten helfen dürfen und ihm beim friedlichen
Entschlafen beistehen dürfen.

Deshalb setze ich mich mit vielen Kolleginnen und
Kollegen aus Fraktionen dieses Hauses für eine Rege-
lung ein, die es Patienten und Ärzten ermöglicht, ihrem
Gewissen zu folgen. Wir wollen, dass die Patienten die-
ses Recht haben, und wir wollen Rechtssicherheit für un-
sere Ärzte. Das will auch die große Mehrheit der Bevöl-
kerung. Ich meine, der Deutsche Bundestag sollte dieser
Mehrheit eine Stimme geben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wo es um die Situation eines sterbenden Menschen geht,
sollte sich der Staat, finde ich, weitgehend zurückhalten;
da ist staatliche Bevormundung fehl am Platze.

Ein umkämpfter Begriff in dieser Debatte ist der Be-
griff der Menschenwürde. Für mich gehört in einer frei-
heitlichen Demokratie Selbstbestimmung zum Kern der
Menschenwürde. Was ein schwer leidender Mensch, der
den Tod vor Augen hat, zu ertragen noch als würdig er-
achtet, das kann nur er selbst bestimmen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Im katholischen und evangelischen Bereich, im Be-
reich der Kirchen und der Theologie wird die Frage nach
dem Sinn des Leidens diskutiert. Ich sage dazu: Leiden
ist immer sinnlos. Wenn wir in die Bibel schauen, in das
letzte Buch der Bibel, lesen wir: Die große biblische
Hoffnung, die große christliche Hoffnung ist, dass es
einmal ein Leben ohne Leiden gibt. So heißt es in der
Offenbarung des Johannes: Kein Leid, kein Geschrei,
kein Schmerz wird mehr sein. – Das ist die biblische Vi-
sion: kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz.

Die ganze Werteordnung der westlichen Welt ist von
dem Bestreben getragen, Menschen ein selbstbestimm-
tes, gutes Leben zu ermöglichen. Deswegen wollen wir
die Palliativmedizin ausbauen. Wir wollen Ärzten und
Krankenschwestern gute Arbeitsbedingungen für die
Sterbebegleitung ermöglichen. Wir wollen durch unsere
Debatte Menschen sagen: Einen Sterbenden zu begleiten
– einen Angehörigen, einen Freund, einen Verwandten
oder auch einen Fernstehenden, dem man sich verbun-
den fühlt –, das ist die menschlichste und wichtigste
Form der Zuwendung überhaupt.

Nun hören wir in der Debatte Warnungen vor einer
schiefen Ebene, einem Dammbruch, einer Tür, durch die
jemand gestupst wird. Meine sehr geehrten Damen und
Herren, für mich sind die Warnungen vor einem Damm-
bruch nichts anderes als tiefes Misstrauen gegenüber un-
seren Ärzten, ja tiefes Misstrauen gegenüber uns selbst,
tiefes Misstrauen gegenüber dem Menschen, der frei und
selbstbestimmt sein Leben führen will. Ich habe ein an-
deres Menschenbild: Ich finde, wir können den Men-
schen trauen, wir können uns selbst trauen, wir können
unseren Ärzten trauen,


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


wir brauchen sie nicht zu bevormunden. Wir brauchen
keinen paternalistischen Staat, wir brauchen einen Staat,
der Freiraum schafft und Freiheit sichert und Freiheit ga-
rantiert. Ich bin der Überzeugung, dass gerade dadurch
das Ja zum Leben und die Bereitschaft, Ja zum Leben zu
sagen, gestärkt werden.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Der große Wert dieser Debatte liegt für mich darin,
dass wir sie überhaupt führen, dass wir das Sterben der
Menschen – diese kritischste Situation in der Existenz
eines Menschen überhaupt – aus dem allgemeinen
Schweigen herausholen, dass wir es als Thema anerken-
nen, dass wir darüber sprechen, was wir zur Versorgung
Sterbender besser tun können, und dass vielleicht eines
Tages jeder Mensch den Lebensrest, der ihm verbleibt,
auch annehmen kann. – Wenn unsere Debatte das auslöst
und das bewirkt, dann haben wir viel erreicht.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806601000

Petra Sitte ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806601100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irgend-

wann war es dann doch zu viel für ihn, weil er zu wenig
vom Leben erwarten konnte. Er mochte es nicht mehr er-
tragen. Dauerschmerz in einem kaputtgearbeiteten Rü-
cken, fortschreitende Alzheimererkrankung, nahezu völ-
lige Taubheit und Erblindung hatten sein Fenster zum
Leben, ein Leben nach seiner Vorstellung, fast völlig
aussichtslos – im Wortsinne – geschlossen.

„Ich habe es so satt!“, habe ich oft gehört. Man gebe
ihm die falschen Medikamente, sie würden sein Leiden
nur verlängern. Und so hörte er schließlich auf, zu essen





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)

und zu trinken. Und auch die Medikamente hat er dann
verweigert, selbst in den trüben Phasen seiner Tage. Es
blieb ihm auch nichts anderes; er wusste, es würde sich
nichts zum Besseren wenden. Wenigstens half ihm dabei
dann seine Patientenverfügung.

Über viele Tage schleppte sich dieses Sterben hin, bis
er endlich mit multiplem Organversagen hinüberdäm-
mern konnte. Meine Damen und Herren, aus meiner
Sicht war das kein würdevolles Sterben. Das war – über
Tage – eine elende Quälerei, und er hat sich seinen Tod
ertrotzt. Wir – meine Mutter und ich – konnten ihm nicht
helfen, außer in Liebe für ihn da zu sein. Meine Mutter
und ich, wir sind uns ganz sicher, dass er in den immer
weniger werdenden lichten Momenten tiefunglücklich
war, und das trifft uns heute immer noch am meisten.
Diese Ohnmacht und Hilflosigkeit, meine Damen und
Herren, soll niemand erleben müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und doch geht es Tausenden so – zugegebenermaßen
wohl kaum unter palliativmedizinischer und Hospizbe-
gleitung, aber in unzähligen Pflegeheimen dieses Lan-
des. Pflegekräfte haben mir bestätigt, dass Nahrungs-
und Medikamentenverweigerung in ihrem Berufsalltag
immer wieder vorkommen.

Wir sprechen heute in einer Orientierungsdebatte zu-
einander. Deshalb will ich mich auch nur mit dem ganz
Grundsätzlichen beschäftigen: Selbstbestimmt zu ster-
ben durch Verhungern und Verdursten, weil es unsere
Moralvorstellungen und Gesetze nicht anders zulassen,
ist das nicht erbarmungslos?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gute Pflege und gute Palliativmedizin sind unbestrit-
ten für viele, viele Kranke und Leidende extrem wichtig
und gut, um würdevoll sterben zu können. Aber mein
Vater wurde und Tausende andere werden damit nicht er-
reicht. Sie haben sich Leben – auch am Ende – anders
vorgestellt. Was sie in den letzten Lebensjahren oder
letzten Lebensmonaten erleiden, empfinden sie weder
als würdevolles Leben noch als würdevolles Sterben.
Dass sie, auch wenn alles bestens klappt, gut gepflegt
dem Tod entgegengehen, ist ihnen nicht Trost, sondern
eher schreckliche Vorstellung.

Eine Erleichterung für diese Menschen ist nach der
jetzigen Debatte im Bundestag leider nicht zu erwarten.
Während eine Mehrheit der Bevölkerung diesen Kon-
flikt sieht und von uns Hilfe erwartet, sehe ich keine
Mehrheit dafür in diesem Hause. Ja, meine Damen und
Herren, ich vertrete eine weiter gehende Position. Wer
will oder kann eigentlich belegen, dass in aktiver Sterbe-
hilfe eine Geringschätzung des Lebens liegt?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Sinnfrage steckt in uns Menschen. Wir leben
mehr oder weniger bewusst. Und so stellt sich diese
Sinnfrage auch bis ins hohe Alter, bis in die schwerste
Krankheit nicht nur als Sinnfrage fürs Leben, sondern
auch als Sinnfrage fürs Sterben, auch für die Art und
Weise, in der wir sterben. Dabei spreche ich wahrlich
niemandem hier die Berechtigung seiner Position ab,
auch nicht den konfessionell Motivierten. Ich bin Athe-
istin. Auch für mich ist das Leben ein großes Geschenk.
Dieses weitgehend selbstbestimmt zu führen, schließt
auch das Sterben ein.

Sterbehilfe umfasst im engeren Sinne nicht nur Ster-
bebeihilfe, um das Leben schneller und früher zu been-
den. Sie muss eigentlich viel mehr leisten. Sie sollte hel-
fen, Frieden mit dem Sterben zu schließen. Im Frieden
mit sich und seinem Leben zu gehen, ist doch für alle
eine absolut wunderbare Vorstellung. Das sei allen Men-
schen gegönnt. Daher halte ich Verbote zum Ende, zur
Beendigung des Lebens nicht für zulässig. Infolgedessen
sollten wir zulassen, dass dabei Ärzte freiwillig und An-
gehörige Hilfe geben können.

Warum eigentlich sollen nicht auch anerkannte Ver-
eine uneigennützig und kompetent Hilfestellung geben
können?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt diese doch noch gar nicht in dieser Form. Digni-
tas und Sterbehilfe Deutschland e. V. von Roger Kusch
sind nicht das Angebot, was ich mir vorstelle. Lassen Sie
uns daran arbeiten, andere Angebote zu schaffen.


(Beifall der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] und Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sofern man es noch nicht erlebt hat, so kann es doch
jeden und jede von uns schon morgen treffen. Ihre Ant-
wort muss aber nicht nur für Sie selbst taugen, sondern
sie muss auch vielen anderen Menschen in unserem
Land helfen. Lassen Sie uns das in den weiteren Debat-
ten und in den Beratungen der Anträge bitte nicht ver-
gessen.

Danke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806601200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl Lauterbach.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1806601300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Bevor ich auf die Unterschiede zu sprechen
komme, will ich zunächst betonen, was uns alle eint, und
das ist die Überzeugung, dass wir mehr für eine bessere
Palliativmedizin in Deutschland tun müssen. Herr Gröhe
und Kollegen aus der Großen Koalition haben ein breit
aufgestelltes Konzept erarbeitet, das sicher an der einen
oder anderen Stelle noch geändert wird. Aber uns alle
eint der Versuch, die Palliativmedizin in Deutschland zu
verbessern.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)






Dr. Karl Lauterbach


(A) (C)



(D)(B)

Was uns auch alle eint – und ein anderer Eindruck
darf nicht entstehen –, ist, dass wir uns alle für das Le-
ben einsetzen. Die Frage ist nur: Wie schaffen wir das?
Das hat mit der Palliativmedizin allerdings nur indirekt
zu tun. Es gibt Menschen, die auch im Lichte aller Ange-
bote der Palliativmedizin ihr eigenes Leben und den be-
vorstehenden Tod nicht als würdevoll empfinden; sie
selbst empfinden es so, das ist ihre eigene Einschätzung,
und niemandem von außen steht es zu, darüber zu urtei-
len. Diese kleine Gruppe von Menschen ist auf unsere
Hilfe angewiesen. Die Frage ist: Was können wir anbie-
ten? Ich glaube, dass wir diesen Menschen nicht die Tür
verschließen dürfen.

Es ist wichtig, dass wir überlegen, ob wir die derzeiti-
gen Regelungen so lassen können, wie sie jetzt sind. Ich
glaube, dass das nicht geht; denn das einzige Angebot
– das Zurückgreifen auf Sterbehilfeorganisationen, ich
drücke es einmal so aus: Seriensterbehelfer –, das die be-
troffenen Menschen oft haben, ist keine gute Lösung.
Die Mitarbeiter der entsprechenden Organisationen ken-
nen die Betroffenen oft überhaupt nicht, sie kennen die
Krankheiten nicht. Sie reisen an und helfen in einer Si-
tuation, in der der Tod oft noch vermeidbar wäre, bei-
spielsweise wenn es sich um Depressive oder psychisch
Kranke handelt. Das ist der Grund, weshalb ich dem
Vorschlag von Renate Künast, dass wir es so lassen, wie
es ist, nicht zustimmen kann; denn es funktioniert nicht.
Selbst Sterbehelfer sagen, dass 50 Prozent der Men-
schen, denen sie – in Anführungsstrichen – „geholfen“
haben, an psychischen Erkrankungen gelitten haben.


(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Viele dieser betroffenen Menschen waren wahrschein-
lich depressiv und hätten von Ärzten gerettet werden
können. Von daher können wir es nicht so lassen, wie es
ist, sondern wir müssen die Tätigkeit der Sterbehilfe-
organisationen, insbesondere die organisierte Sterbehilfe
und auch die Sterbehilfe durch Seriensterbehelfer, unter-
binden. Das ist eine wichtige Initiative, die uns hier eint.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen aber auch bedenken: Was bleibt übrig?
Welche Gefahren gehen wir damit ein? Wenn wir das so
machen, gehen wir natürlich die Gefahr ein, dass diejeni-
gen, die ihren Tod vor Augen haben und die im Prinzip
nur noch Kontakt zu ihren Ärzten haben, ohne jede Hilfe
dastehen. Todkranke, die den eigenen Tod so nicht erle-
ben wollen, können nicht einfach Heimat und Familie
verlassen, um in die Schweiz zu reisen und dort Hilfe zu
suchen. Viele dieser Menschen haben keine Angehöri-
gen.

Die Frage ist: Darf der Arzt helfen? Ich kenne keinen
einzigen Vorschlag, der es dem Arzt verbieten würde.
Allen Anträgen ist gemein, dass wir die Hilfe des Arztes
in Einzelfällen erlauben wollen. Aber unser Antrag ist
der einzige, der das sicherstellt. Alle anderen Anträge lö-
sen nicht das Problem, dass die Beihilfe zum Suizid in
zehn Ärztekammern derzeit unter Androhung des Ver-
lustes der Approbation schlicht nicht erlaubt ist. Ich
kann nicht sagen: „Ich wünsche mir, dass es anders ist“,
wenn ich aber nichts dagegen tue, dass es im Moment so
ist. Von daher ist aus unserer Sicht notwendigerweise
festzuhalten: Wenn wir die organisierte Sterbehilfe wirk-
lich verbieten wollen – was ich für richtig halte, weil es
eben nicht gut läuft –, dann müssen wir Rechtssicherheit
für Ärzte schaffen. Diese Rechtssicherheit schulden wir
der kleinen Gruppe von Patienten, die sonst ohne jede
Alternative wäre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Man könnte natürlich auch die Position vertreten,
dass die Ärzte das selbst regeln können. Es gibt aber
zwei Gründe, die dagegen sprechen: Zum einen sieht es
im Moment nicht danach aus – wichtige Ärztefunktio-
näre tragen vor, dass sie das schlicht nicht wollen –, und
zum anderen ist das aus meiner Sicht nichts, was die
Ärzteschaft entscheiden sollte, weil es sich um eine
grundsätzliche Werteentscheidung für unsere Gesell-
schaft handelt. Das muss der Deutsche Bundestag ent-
scheiden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hier ist der Punkt erreicht, wo, wie Wittgenstein sa-
gen würde, sich der Spaten zurückbiegt. Wenn wir die
Sterbehilfeorganisationen verbieten, müssen wir ein An-
gebot schaffen. Dabei handelt es sich nicht um eine Kas-
senleistung. Es geht nicht um eine Gebührenordnungs-
ziffer. Der Leistungskatalog der Krankenkassen soll
nicht erweitert werden. Es handelt sich vielmehr um eine
humanitäre Einzelaufgabe, um eine Gewissensentschei-
dung eines jeden einzelnen Arztes, der Rechtssicherheit
braucht, wenn er sich zu diesem tragischen Schritt ent-
scheidet. Der Arzt braucht, nachdem er alles unternom-
men hat, den Patienten umzustimmen, diese Rechtssi-
cherheit, um in einer Situation helfen zu können, in der
der Patient sonst niemanden hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806601400

Die Kollegin Elisabeth Scharfenberg erhält nun das

Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! In der Debatte über die Beihilfe zum Suizid geht es
nicht nur um die Frage, ob wir eine bestimmte strafrecht-
liche Regelung brauchen oder ob wir sie nicht brauchen.
Nein, es geht um viel, viel mehr. Unsere Gesellschaft
wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ra-
dikal wandeln und verändern. Immer mehr Ältere, im-
mer mehr pflegebedürftige Menschen, immer mehr Al-
leinlebende und immer mehr Menschen mit psychischen
Erkrankungen werden in unserer Mitte leben. Das wer-





Elisabeth Scharfenberg


(A) (C)



(D)(B)

den auch wir selbst sein. Wie wir uns das Leben und
Sterben in einer solchen Gesellschaft vorstellen, dazu
werden wir mit dem Ausgang dieses Gesetzgebungsver-
fahrens ein ganz wichtiges Zeichen setzen.

Mehr Selbstbestimmung steht hier zweifellos im Mit-
telpunkt. Ich frage aber auch ganz deutlich: Wenn wir
über eine Neuregelung des assistierten Suizids reden, re-
den wir dann wirklich von Selbstbestimmung? Es stimmt,
in zahlreichen Umfragen geben viele Menschen an, Angst
davor zu haben, im Alter nicht mehr bestimmen zu kön-
nen, was mit ihnen geschieht. Sie haben Angst vor Pfle-
gebedürftigkeit, Angst vor Schmerzen, Angst vor Ein-
samkeit, Angst davor, dass ihnen niemand hilft, Angst
vor einem Leben, das selbst als würdelos empfunden
wird. Sehr viele Menschen sagen eben auch, sie wollen
im Alter niemandem zur Last fallen. Dazu kommt, dass
gerade bei alten Menschen psychische Erkrankungen
sehr oft unerkannt und dann auch unbehandelt bleiben.

Doch verhält sich wirklich frei und selbstbestimmt,
wer nur den assistierten Suizid als Ausweg aus einer sol-
chen Situation sieht, und fördern wir Selbstbestimmung,
wenn wir diesem vermeintlichen Ausweg als abrufbare
Leistung auch noch den Weg ebnen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Sollten wir also Vereine wie Dignitas oder Sterbehilfe
Deutschland gewähren lassen, oder sollte man zumin-
dest die Suizidbeihilfe durch Ärzte innerhalb bestimmter
Kriterien ausdrücklich zulassen?

Ich halte das gerade angesichts des demografischen
Wandels für ein katastrophales Signal. Die Botschaft
hieße doch: Unsere Gesellschaft, also auch wir, stellen
uns diesen Problemen nicht. Nein, wir kapitulieren vor
ihnen. Deshalb wird der assistierte Suizid zu einer regu-
lären Dienstleistung ausgebaut. Unsere Botschaft kann
doch nicht sein: Wer einsam ist und niemanden hat, der
ihm hilft, der kann doch zu einem dieser Sterbehilfever-
eine gehen. – Damit steigt auch der Druck, eine solche
Dienstleistung doch bitte irgendwann in Anspruch zu
nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, das kann nicht unsere Ant-
wort sein. Das ist keine Selbstbestimmung.

Gemeinsam mit meinem Kollegen Harald Terpe
schlage ich eine moderate Lösung vor. Die Beihilfe zum
Suizid sollte grundsätzlich straffrei bleiben. Sie sollte
aber dann unter Strafe stehen, wenn sie geschäftsmäßig
erfolgt, also regelmäßig, und auf Wiederholung angelegt
angeboten wird. Das trifft dann Organisationen wie etwa
Dignitas.

Ein vollständiges Verbot der Suizidbeihilfe hingegen
halten wir für unangemessen. Wir müssen individuelle
Freiräume lassen. Für Personen, die einander besonders
nahe stehen, sollte im Einzelfall die Suizidbeihilfe auch
weiterhin straffrei bleiben, wenn sie nicht eigennützig
handeln. Diese Personen können Verwandte oder enge
Freunde sein. Es kann aber auch der Arzt sein, wenn er
zum Patienten in einer langjährigen Behandlungsbezie-
hung steht. Doch aus dem Einzelfall darf eben keine Re-
gel werden. An einer solchen Regelung möchten wir in
den kommenden Wochen und Monaten gerne gemein-
sam mit möglichst vielen von Ihnen aus allen Fraktio-
nen, liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten.

Genauso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – muss
aber sein, dass wir Alternativen aufzeigen. Wir dürfen
uns nicht in einer reinen Strafrechtsdebatte verzetteln,
sondern müssen auch über die eigentlich zentralen Auf-
gaben sprechen: eine teilhabeorientierte Pflege, den wei-
teren Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung sowie
die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung. Eine
ganz wichtige Rolle spielen hier auch die Suizidpräven-
tion und die Hilfe in akuten und existenziellen Krisen.
Da gibt es zweifellos noch einiges zu tun. Auch hier sind
wir mehr als gefordert.

Ich wünsche mir, dass am Ende dieser Debatte die
Botschaft steht: Diese Gesellschaft nimmt die Heraus-
forderungen an. Wir drücken uns nicht, und wir werden
jeder und jedem Einzelnen dabei helfen, sein Leben bis
zum Schluss voller Würde und ohne Angst leben zu kön-
nen. Niemand ist uns eine Last.

Zum Schluss: Die Debatte, die wir heute hier führen,
ist zweifellos eine ganz wichtige Debatte. Das Thema
Suizidbeihilfe bewegt uns alle. Genauso aber sollte uns
eine breite und tiefe Debatte zum Thema Pflege am Her-
zen liegen. In neun Jahren Parlamentszugehörigkeit habe
ich leider noch keine vierstündige Debatte zum Thema
Pflege erlebt. Das sollten wir nachholen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806601500

Johannes Singhammer erhält nun das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1806601600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zum Leben gehört auch das Sterben. In Würde ster-
ben zu können, war immer schon eine herausragende
Aufgabe im Miteinander der Generationen auch unseres
Landes. Die meisten von uns – eigentlich jeder – machen
sich Sorgen, ob am Ende des eigenen Lebens nicht uner-
trägliche Schmerzen warten, die vermieden werden kön-
nen, und machen sich Gedanken darüber, wie man am
Lebensende Hilflosigkeit und Verlust der Selbstbestim-
mung und der Autonomie abwenden kann.

Einige meinen, mit einer organisierten und geschäfts-
mäßigen sogenannten Sterbehilfe sei die Verwirklichung
des Anspruchs auf Selbstbestimmung zu erreichen. Ich
meine, dass ein solcher individualisierter Anspruch aber





Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

auch entscheidende Konsequenzen für alle hätte; denn
keiner lebt für sich allein. Ich wünsche auch niemandem,
dass er alleine stirbt.

Wenn der assistierte Suizid in schweren Lebenssitua-
tionen eine legal wählbare Wirklichkeit werden würde,
dann würde sich in Deutschland einiges ändern. Ich
bitte, einfach einmal zu überlegen: Welche Erwartungen
würden entstehen? Welcher Druck auf schwerstkranke
Menschen würde entstehen, die ihren Angehörigen am
Ende nicht zur Last fallen wollen? Welcher Erwartungs-
druck könnte wachsen, obwohl er gar nicht gewollt ist?
Zeigt nicht die schmerzliche Erfahrung von Eltern, die
trotz der Prognose einer Behinderung Ja zur Geburt ihres
Kindes sagen, dass diese Sorgen alles andere als unbe-
gründet sind? Brauchen wir nicht stattdessen eine Kultur
der Wertschätzung gegenüber kranken und sterbenden
Menschen? Brauchen wir nicht eine Mobilisierung aller
– wirklich aller – Möglichkeiten, dass niemand am Le-
bensende allein bleibt, sondern bis zum Ende geborgen,
aufgefangen, selbstbestimmt und schmerzfrei im ver-
trauten sozialen Umfeld leben kann? Ich meine deshalb,
wir sollten ein umfassendes und strafbewehrtes Verbot
der organisierten und geschäftsmäßigen Sterbehilfe im
Strafgesetzbuch und ein Werbeverbot dafür anstreben.
Die Möglichkeit, dass Tod mit einem Geschäft in Zu-
sammenhang gebracht wird, sollten wir nicht zulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Für Angehörige sollten wir die gegenwärtige Rechts-
lage nicht ändern. Dabei handelt es sich nicht um eine
Grauzone, die bestehen bleiben soll, sondern es geht um
einen Verantwortungsbereich, der sich einer Regelung in
feinziselierten Paragrafen weitgehend entzieht.

Die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung ist keine Lö-
sung. Der immer wieder beschworene hippokratische
Eid der Ärzte, vor fast 3 000 Jahren erstmals gespro-
chen, lautet eindeutig und klar: „Ich werde niemandem
… ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat
dazu erteilen.“

Ich glaube, wir brauchen eine einheitliche Lösung in
Deutschland, und wir brauchen auch den Schutz des Ver-
trauensverhältnisses zwischen dem Arzt und dem Patien-
ten.

Das Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid und
der umfassende Aufbau einer Palliativ- und Hospizver-
sorgung gehören untrennbar zusammen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Eine bessere Palliativversorgung als derzeit verringert
vielfach den Wunsch nach einer sogenannten Sterbehilfe
erheblich, weil dann durch entsprechende Therapien, die
immer besser werden, Schmerzfreiheit und Selbstbe-
stimmung auch bis zum Lebensende besser ermöglicht
werden. Deshalb brauchen wir eine umfassende Unter-
stützung des Ausbaus von Hospiz- und Palliativnetzwer-
ken, eine bessere ärztliche Qualifikation, eine kostende-
ckende Vergütung bei stationärem Aufenthalt und die
entsprechende Unterstützung des Ehrenamts und auch
der Familien.

Daher sage ich: Leben miteinander gestalten bis zu-
letzt ist besser, als Sterben zu organisieren. Als Christ
sage ich für mich persönlich: Mein Leben ist in Gottes
Hand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806601700

Thomas Oppermann erhält nun das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1806601800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt

nicht oft vor, dass wir eine schwierige Diskussion in die-
sem Haus mit so viel Fingerspitzengefühl und Respekt
führen wie heute. Aber das ist auch angemessen. Denn
die Frage, wie Menschen ihr eigenes Leben bewerten,
wie sie sich den Tod vorstellen, wie sie sterben wollen,
wie viel Leid, Schmerz oder Ohnmacht sie glauben am
Ende ihres Lebens aushalten zu können, das sind höchst-
persönliche Angelegenheiten, die zum absolut geschütz-
ten Kernbereich der Menschenwürde gehören. Deshalb
steht es nach meinem Verständnis von Freiheit in einem
liberalen Rechtsstaat und einer pluralistischen Gesell-
schaft dem Gesetzgeber nicht zu, Menschen in solch
existenziellen Fragen Vorschriften zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nicht wenige haben Angst, dass ihnen aus religiösen,
ideologischen oder rechtlichen Gründen vorgeschrieben
wird, wie sie zu sterben haben. Manche suchen Unter-
stützung bei Organisationen, die ihnen helfen, mit einem
Suizid rechtzeitig aus dem Leben zu scheiden. Mir berei-
tet es großes Unbehagen, wenn sich Menschen in die
Hände von Sterbehilfevereinen begeben. Ich empfinde
das als trostlos und deprimierend. Denn der Wunsch
nach Sterbehilfe ist in Wirklichkeit ganz oft ein Hilferuf.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Von den 10 000 Menschen, die sich jährlich in
Deutschland das Leben nehmen, sind über 4 000 älter als
65 Jahre. Viele von ihnen leiden unter akuten Depressio-
nen, die mit professioneller Hilfe von Ärzten und Thera-
peuten gut behandelbar wären. Ich möchte nicht, dass
Menschen darauf angewiesen sind, Sterbehelfer aufzusu-
chen, die ihnen eine schnelle Lösung versprechen, um
am Ende ihre Dienste mit Erfolg anbieten zu können.


(Beifall der Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Für mich gehört die Sterbebegleitung nicht in die Hände
solcher Vereine, sondern in die Sphäre des Vertrauens
des schwerstkranken Patienten zu seinen nahen Angehö-
rigen, Freunden, Seelsorgern und vor allen Dingen den
behandelnden Ärzten.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt also gute Gründe für ein Verbot der organisierten
Sterbehilfe.

Aber, meine Damen und Herren, damit allein ist den
Menschen noch nicht geholfen. Menschen in einer sol-
chen Situation brauchen Verständnis, liebevolle Zuwen-
dung, Hilfe und vor allem das Gefühl, in einer ausweglos
erscheinenden Lage nicht alleingelassen zu werden.
Deshalb, finde ich, sollten wir eine endgültige Entschei-
dung über die Regeln der Sterbebegleitung erst dann
treffen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

Die erste Voraussetzung: Die Palliativmedizin muss
in Deutschland umfassend ausgebaut und gefördert wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich gehörte vor 14 Jahren zu den Mitinitiatoren einer der
ersten Professuren für Palliativmedizin an der Universi-
tät Göttingen. Wir haben dann auch eine Palliativstiftung
gegründet, um gesellschaftliche Unterstützung und Res-
sourcen zu organisieren. Es gab einen ungeheuren Zu-
spruch für diese Stiftung, auch für das Hospiz in der
Stadt. Ich sage Ihnen: Die Kraft, die hinter diesem bür-
gerlichen Engagement steckt, ist die Wertschätzung des
Lebens, die ganz viele Menschen umtreibt. Das ist eine
positive Kraft.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die Palliativmedizin ist eine ganz junge Wissen-
schaft, aber sie ist außerordentlich erfolgreich. Sie er-
möglicht es, Menschen beim Sterben eine gewisse Le-
bensqualität zu erhalten, sodass die Hoffnung am Ende
des Lebens nicht ganz schwindet. Palliativmedizin kann
vielen Menschen dabei helfen, wie es Peter Hintze for-
muliert hat, den verbleibenden Lebensrest nicht mit
Angst, sondern als einen Gewinn zu betrachten. Des-
halb, meine Damen und Herren, muss es jetzt darum ge-
hen, die hochwertige Palliativmedizin, die es an einigen
Orten in Deutschland gibt, allen Menschen in diesem
Lande zugänglich zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die zweite Voraussetzung: Wir sollten die Ärztinnen
und Ärzte bitten, die Entscheidung des Deutschen Ärzte-
tages aus dem Jahre 2011 zu überdenken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich finde es nicht haltbar, dass einzelne Landesärztekam-
mern in Deutschland ihren Mitgliedern im klaren Gegen-
satz zum Strafrecht die Hilfe zum Suizid ohne Aus-
nahme verbieten. Ich habe durchaus Verständnis für den
Wunsch nach Rechtssicherheit. Natürlich muss die Hilfe
zum Leben Aufgabe der Ärzte bleiben. Niemand will,
dass Ärzte eigenmächtig entscheiden. Aber natürlich
muss ein Arzt den freiverantwortlich gebildeten Willen
eines Patienten respektieren und ihm im Interesse des
Patienten auch helfen dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich finde, ein Arzt, der in einer extremen Ausnahme-
situation eine Gewissensentscheidung trifft und sich
dazu entschließt, einem schwerstkranken Patienten – na-
türlich im Rahmen dessen, was das Strafrecht zulässt –
Beistand zu leisten, darf nicht von einer Ärztekammer
belangt werden können, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser zentralen ethischen Frage muss es eine ein-
heitliche Rechtslage in ganz Deutschland geben. Ich
habe allerdings Zweifel, ob es richtig ist, den ärztlich as-
sistierten Suizid jetzt auch explizit rechtlich auszugestal-
ten. Laufen wir dann nicht Gefahr, den ärztlich assistier-
ten Suizid zu institutionalisieren? Wird hier nicht der
Anschein einer vermeintlich einfachen Alternative auf-
gezeigt, die den Druck auf die Betroffenen, dem Leiden
freiwillig ein Ende zu machen, am Ende erhöht?


(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806601900

Herr Kollege.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1806602000

Es ist richtig, dass wir uns jetzt die Zeit nehmen, über

diese Fragen ein Jahr lang sorgfältig zu diskutieren, be-
vor wir entscheiden. Aber diese Debatte ist auch für sich
wertvoll; denn sie hilft ganz vielen Menschen, ein so
schwieriges Thema wie Suizid jetzt offener anzuspre-
chen, sich an ihre Angehörigen zu wenden, auch an die
behandelnden Ärzte. Das hilft den Menschen. Deshalb
freue ich mich sehr über diese Debatte.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806602100

Franz Josef Jung ist der nächste Redner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1806602200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Für mich steht im Mittelpunkt dieser Debatte
unser Verfassungsauftrag:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-
lichen Gewalt. … Jeder hat das Recht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit.

Dies gilt vom Anfang bis zum Ende des Lebens. Aus
meiner Sicht sind mit diesem Verfassungsgebot die Vor-
schläge zum assistierten Suizid nicht vereinbar, ja sie
sind verfassungswidrig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Erhalt der Würde des Menschen und der Schutz
des Lebens sind Kernaufgaben des demokratischen Staa-
tes. Nicht das Schaffen von Voraussetzungen für einen





Dr. Franz Josef Jung


(A) (C)



(D)(B)

schnellen und effektiven Tod ist das Gebot unserer Ver-
fassung, sondern die Schaffung von Voraussetzungen,
dass Menschen in Würde sterben können.

Aus diesem Grunde ist aus meiner Sicht die ge-
schäftsmäßige oder organisierte Sterbehilfe rechtlich zu
untersagen. Ich weiß aber auch, dass heute noch immer
viele Menschen Angst haben, unter Schmerzen oder hilf-
los zu sterben. Deshalb kann ich nur unterstreichen, was
auch die Vorredner teilweise gesagt haben: Es ist not-
wendig, dass die Palliativmedizin sowohl stationär als
auch ambulant weiter ausgebaut wird, um damit Men-
schen zu helfen, dass sie ohne Schmerzen und in Würde
sterben können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt auch für den Ausbau der Hospizstrukturen.

Was hier noch nicht erwähnt worden ist: Wir haben,
wie ich finde, eine grundlegende Veränderung der Situa-
tion durch das Patientenverfügungsgesetz, das dieser
Bundestag beschlossen hat. Jeder Mensch hat damit das
Recht, dem natürlichen Tod eine Chance zu geben. Uns
geht es grundsätzlich um die freie Entscheidung des Pa-
tienten, die würdige Sterbebegleitung, die lindernde
Hilfe und nicht darum, den ärztlich assistierten Suizid
zur Behandlungsoption zu machen und damit letztlich
beim Töten auf Verlangen zu enden.

Wir haben in Deutschland, wie ich finde, eine liberale
Regelung zum Suizid, sodass aus unserer Sicht nur die
Untersagung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe notwen-
dig ist und keine weitere gesetzliche Regelung geboten
ist. Erlaubt sind ausdrücklich die passive und die indi-
rekte Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe bedeutet den Ver-
zicht auf lebensverlängernde Maßnahmen durch die frei-
willige Entscheidung des Patienten. Indirekte Sterbehilfe
bedeutet den Einsatz eines schmerzlindernden Mittels,
auch wenn es den Todeseintritt beschleunigen kann. Das
nennt man palliative Sedierung. Sie hat eindeutig das
Ziel der Leidenslinderung. Hierfür sind aus meiner Sicht
allerdings Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes
und gegebenenfalls des Arzneimittelgesetzes notwendig.
Ein Zwang zum Leiden, wie hier gerade vorgetragen, be-
steht aus meiner Sicht gerade nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb stellt sich im Zusammenhang mit dieser De-
batte für mich die Frage: Was ist der Auftrag, den unsere
Verfassung auch uns gegenüber formuliert? Meines Er-
achtens lautet der Auftrag, ein Sterben in Würde zu ge-
währleisten, und nicht, aktive Sterbehilfe zu ermögli-
chen. Werden wir diesem Verfassungsauftrag gerecht!

Besten Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806602300

Hermann Gröhe ist der nächste Redner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1806602400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Orientierungsdebatte dient der Vorbereitung auf
kontroverse Entscheidungen über die Zulässigkeit ärzt-
lich assistierten Suizids oder über ein mögliches Verbot
organisierter Selbsttötungsbeihilfe. Worüber wir uns
nicht streiten – und es ist gut, dass dies heute an vielen
Stellen festgehalten wurde –, ist die Notwendigkeit des
Ausbaus der Hospiz- und Palliativversorgung in diesem
Land. In diesem Bereich haben wir – auch aufgrund des
Drängens aus der Zivilgesellschaft, allen voran der Hos-
pizbewegung – in den letzten Jahren gemeinsam viel er-
reicht. Wenn ich mich als Gesundheitsminister für den
Ausbau ebendieser Angebote einsetze, weiß ich mich
von diesem Haus insgesamt unterstützt.

Frau Künast, Sie haben gesagt, dass noch wichtige
Debatten vor uns liegen. Ja, darin gebe ich Ihnen recht.
Nicht zustimmen kann ich allerdings der These, wir hät-
ten das noch gar nicht erörtert. Es hat schon in der Ver-
gangenheit zu Recht wichtige Debatten hierzu gegeben,
und Wichtiges ist gemeinsam auf den Weg gebracht wor-
den. Dabei und auch heute ist deutlich geworden: Wir
sind uns darin einig, dass wir schwerstkranken und ster-
benden Menschen zuallererst menschliche Zuwendung
und bestmögliche Hilfe schulden. Jede und jeder von uns
möchte selbst in dieser Weise gut begleitet sein Leben
beenden können.

Hilfe zu geben und Hilfe zu empfangen, gehört zum
Menschsein. Hilfsbedürftigkeit hat nichts Entwürdigen-
des. Deswegen müssen wir, glaube ich, jeder Haltung
nach dem Motto „Ich möchte anderen nicht zur Last fal-
len“ entschieden entgegentreten.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Meine Damen, meine Herren, für die heutige Debatte
und angesichts des öffentlichen Rufs nach Zulässigkeit
aktiver Sterbehilfe ist es mir wichtig, festzuhalten:

Erstens. Die Rechtsprechung und der Gesetzgeber ha-
ben das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und
Patienten im Hinblick auf die Ablehnung lebensverlän-
gernder Maßnahmen, etwa beim Thema Patientenverfü-
gung, nicht nur anerkannt, sondern ausdrücklich ge-
stärkt.

Zweitens. Es ist heute medizinisch, juristisch und
ethisch unstrittig, dass bei hochdosierter Schmerzmedi-
kation auch das Risiko einer lebensverkürzenden Wir-
kung in Kauf genommen werden darf. Diese Verkürzung
darf nicht das Ziel der Medikation sein. Gerade diese
Unterscheidung macht deutlich, in welcher Weise wir
uns in diesem sensiblen Feld von unserem Vertrauen in
die Ärzteschaft leiten lassen.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Dieses Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und
Arzt und den Patienten wollen wir schützen. Deswegen
lehne auch ich jedes Sonderstrafrecht für Ärztinnen und
Ärzte ausdrücklich ab.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)






Hermann Gröhe


(A) (C)



(D)(B)

In unserer Rechtsordnung sind Selbsttötung und auch
entsprechende Beihilfehandlungen straffrei – zu Recht.
Hier schweigt das Recht zu Lebensdramen. Zugleich
werden wir weitere Anstrengungen im Bereich der Sui-
zidprävention unternehmen müssen.

Ich sage aber genauso deutlich: Eine Verklärung der
Selbsttötung gleichsam als Akt wahrer menschlicher
Freiheit lehne ich ab.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Deswegen möchte ich, dass die Selbsttötungshilfe nicht
zur öffentlich beworbenen Behandlungsvariante wird,
und setze mich als Abgeordneter für die Strafbarkeit or-
ganisierter Beihilfe zur Selbsttötung ein.

Ich begrüße es dabei ausdrücklich, dass die deutsche
Ärzteschaft mit deutlicher Mehrheit auch den ärztlich as-
sistierten Suizid ablehnt. Dies ist bei allen unterschiedli-
chen Formulierungen in einzelnen Ärztekammern der
gemeinsame Kern der berufsethischen und berufsrechtli-
chen Positionierung der deutschen Ärzteschaft. Wir soll-
ten dies ernst nehmen, wenn wir das Vertrauen in Ärztin-
nen und Ärzte beschwören.

Befürworter eines ärztlich assistierten Suizids argu-
mentieren mit besonders dramatischen Einzelfällen; un-
ser Kollege Peter Hintze hat dies heute eindrücklich ge-
tan. Diese müssen uns Ansporn sein, noch besser zu
werden in einer schmerzlindernden Medizin, von der
viele Expertinnen und Experten schon heute sagen, dass
sie unerträgliches Leiden in nahezu allen Fällen verhin-
dern kann. Wahr ist aber auch, dass Einzelfälle beschwo-
ren werden und dass gleichzeitig die Befürworter des
ärztlich assistierten Suizids diese Möglichkeit auch auf
Fälle der Demenz ausweiten wollen, mit dem Hinweis,
da müsse die Entscheidung rechtzeitig und bei klarem
Verstand erfolgen. Ich finde die Vorstellung schier uner-
träglich, dass der Schock über die Diagnose Demenz in
Zukunft mit einem solchen Hinweis verbunden werden
muss.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ja, auch ich kann mir Grenzfälle vorstellen, in denen
Ärztinnen und Ärzte um ihres Gewissens willen Normen
brechen bzw. gegen sie verstoßen. Dann ist es Aufgabe
der Rechtsanwendung, im Einzelfall dieser Gewissens-
entscheidung Rechnung zu tragen. Sie darf uns aber
nicht Anlass sein, die Norm selber und damit den lebens-
schützenden Charakter unserer Rechtsordnung zu relati-
vieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806602500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katherina Reiche.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1806602600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu

einem würdevollen Leben gehört auch ein Sterben in
Würde. Es gibt ein Recht auf ein selbstbestimmtes Le-
ben. Somit gehört zu einem selbstbestimmten Leben
auch ein selbstbestimmtes Sterben.

In unserem Antrag richten wir uns an Menschen, die
an einer organischen, irreversiblen, zum Tode führenden
Erkrankung leiden, bei denen die Palliativmedizin an
ihre Grenzen stößt, die Schmerz und Qual und damit
verbundene Not nicht mehr aushalten. Von unserem Re-
gelungsansatz nicht erfasst sind Menschen, die an einer
psychischen Erkrankung leiden, die minderjährig oder
nicht einwilligungsfähig sind. Wir richten uns auch aus-
drücklich nicht an Menschen, die aus anderen Gründen
des Lebens müde oder überdrüssig sind.

Was für einen Menschen am Ende seines Lebens noch
zu ertragen ist, was er als Qual und Schmerz empfindet,
ist absolut individuell. Nicht jeder kann gleich viel tra-
gen. Patienten, die die letzte Strecke ihres Lebens als
nicht mehr erträglich empfinden, geht es neben den
Schmerzen um den Verlust ihrer Autonomie, um den
Verlust der Kontrolle über ihren Körper, um den Verlust
der Kommunikationsfähigkeit und den Verlust ihrer
Würde.

Unser Antrag öffnet einen Ausgang bzw. möchte
– das haben manche Vorrednerinnen und Vorredner
schon gesagt –, dass die Regelungen, die in einigen Lan-
desärztekammern, zum Beispiel in der bayerischen, sehr
wohl möglich sind, allen Ärzten im gesamten Bundesge-
biet offenstehen. Wir meinen, dass im Angesicht von si-
cher zum Tode führenden Erkrankungen das Arzt-Pa-
tienten-Verhältnis besonders geschützt werden sollte.
Dorthin gehört die Entscheidung, in Würdigung der Le-
bens- und Leidensumstände des Patienten dem behan-
delnden Arzt zu vertrauen und ihm zu ermöglichen, den
Patienten straffrei auf einem selbst gewählten und selbst
vollzogenen letzten Schritt zu begleiten, ohne das Straf-
recht fürchten zu müssen.

Dank der modernen Medizin und dank der Palliativ-
medizin können Menschen heute viel besser, viel länger
und mit weniger Schmerzen am Ende ihres Lebens be-
gleitet werden. Das ist ein Segen. Die Menschen, die
sich hingebungsvoll jenen Patienten widmen, sind eben-
falls ein Segen. Die palliativmedizinischen Angebote
müssen ausgeweitet werden. Ich bin Hermann Gröhe
ausdrücklich dankbar, dass er nun die Initiative ergreift.

Die Grenzen der Leidminderung, der Schmerzthera-
pie sowie der Sterbehilfe und -begleitung als ärztliche
Aufgaben sind aber nicht schematisch, sondern fließen
ineinander über. Was möchte ein Patient? Er möchte
Heilung. Er möchte Leidminderung. Er möchte, dass
seine Beschwerden vermindert werden. Er möchte natür-
lich verhindern, dass er vorzeitig stirbt. Dem sollen
Ärzte entsprechen. Wo aber nun die moderne Medizin
als Schattenseite ihrer segensreichen Fähigkeiten Siech-
tum, chronisches Leiden und eine zuverlässige Unheil-
barkeitsprognose hervorbringt, sollten Ärzte in der Mit-
verantwortung bleiben dürfen, soweit es sich mit ihrem
persönlichen Gewissen vereinbaren lässt; darum geht es.





Katherina Reiche (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

Ich appelliere, die Gewissensfreiheit zu respektieren und
nicht durch rechtliche oder religiöse Dogmen zu be-
schränken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es wird argumentiert, dass der Suizidwunsch man-
cher Patienten Ausdruck von falsch verstandener Ent-
scheidungsfreiheit sei oder gar eine mangelnde Achtung
vor dem Geschenk, das uns Gott mit auf den Weg gege-
ben hat. Wer so argumentiert, verkennt die existenzielle
Not, in der solche Entschlüsse gefasst werden. Für mich
jedenfalls wäre es ein Verstoß gegen das Gebot von
Nächstenliebe und Menschenwürde, wenn aus dem
Schutz des Lebens ein Zwang zum Leiden würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen Ärzten für die Fälle, in denen die Pallia-
tivversorgung für die Patienten keine Alternative mehr
ist, eine mitfühlende Hilfestellung bei der selbst vollzo-
genen Lebensbeendigung ermöglichen. Die Ärzte bitten
uns, ein Zeichen gegen ihre Kriminalisierung zu setzen,
wenn es sich um ein einzelfallbezogenes, gemäß dem
Patientenwillen ethisch verantwortliches ärztliches Tun
oder Unterlassen handelt. Hier setzt unser Antrag an.

Ich bin zudem überzeugt: Wenn sich Patient und Arzt
auf diesen geschützten Freiraum verlassen können,
würde dies den Bedarf an organisierter Laiensuizidhilfe
oder gar an gewinnorientierten Sterbehilfeorganisatio-
nen, die ich strikt ablehne, absehbar überflüssig machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Würde eines Sterbenden zu respektieren, heißt im
Übrigen gerade nicht, den Wert eines Menschenlebens
von außen zu beurteilen. Ich meine, was zählt, ist das
Urteil des Patienten über sein eigenes Dasein.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns den
Ärzten und den Patienten vertrauen und eine zivilrechtli-
che Regelung finden, die der Selbstbestimmung von Pa-
tienten Raum lässt und ihnen und ihren behandelnden
Ärzten Sicherheit gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806602700

Das Wort erhält nun der Kollege Harald Weinberg.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806602800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

gebe zu: Ich konnte mich am Anfang nicht recht mit ei-
ner Diskussion über Sterbehilfe anfreunden, die ich vor
dem Hintergrund der gegebenen Rechtslage eigentlich
für überflüssig gehalten habe. Jetzt haben wir diese Dis-
kussion. Ich bin beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und
auch der Würde, mit der sie geführt wird.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ganz unabhängig vom letztendlichen Ausgang hat die
Diskussion sicher eines schon positiv bewirkt: Wir, die
Politik, und die Gesellschaft haben genauer in den Blick
genommen, ob und wie in Deutschland ein würdevolles
Sterben möglich ist und was dagegensteht. Wir haben ei-
nen nüchternen Blick auf die Versorgungslage im Be-
reich der Palliativmedizin und Hospizarbeit geworfen.
Ich will gleich darauf zurückkommen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über einen as-
sistierten Suizid wurde besonders von ärztlicher Seite
auf die weitreichenden Möglichkeiten der Palliativmedi-
zin verwiesen. In der Tat sind die Fortschritte, die dort
gemacht wurden, gewaltig. Auch der Gesetzgeber hat
mit der Ermöglichung der spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung mit dazu beigetragen, die Versor-
gung zu verbessern. Aber – hier zitiere ich den Palliativ-
mediziner de Ridder –:

Das Bemühen um bestmögliche palliative Versor-
gung schließt die Möglichkeit der ärztlichen Bei-
hilfe zum Suizid nicht von vornherein aus …

Das steht – hier schließe ich mich de Ridder an – nicht
gegeneinander, sondern kann sich in ganz bestimmten
eingrenzbaren Fällen sogar ergänzen.

Aus meiner Sicht kann eine Erleichterung des assis-
tierten Suizids weder mit dem Verweis auf eine schlechte
palliativmedizinische Versorgungslage begründet wer-
den – das wäre sogar zynisch –, noch kann eine straf-
rechtliche Ahndung oder Einschränkung der Beihilfe zur
Selbsttötung mit dem Verweis auf die Palliativmedizin
begründet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber natürlich ist es allgemein einleuchtend, dass
eine bessere Bekanntheit der palliativmedizinischen
Möglichkeiten sowie eine flächendeckende Versorgung
mit Palliativmedizin auch präventiv gegen Suizidversu-
che wirken können. Von einer ausreichenden flächende-
ckenden Versorgung sind wir jedoch noch weit entfernt.
Zwar haben wir eine Palette von Angeboten, zum Bei-
spiel ambulante Hospizdienste, stationäre Hospizein-
richtungen, Palliativstationen und SAPV-Teams, sowie
– das muss man sagen – eine eher unbekannte Zahl von
mehr oder weniger guten und würdevollen Sterbebeglei-
tungen in Altenpflegeheimen, was ein recht problemati-
sches Thema ist.

Aber aus einem Standardwerk über Palliativmedizin,
dem Oxford Textbook of Palliative Medicine aus dem
Jahr 2011, ergibt sich, dass 60 Prozent der Sterbenden
eigentlich eine palliativmedizinische Behandlung benö-
tigen.

Wir hatten im Jahre 2012 rund 870 000 Sterbefälle in
Deutschland. 522 000 dieser sterbenden Menschen hät-





Harald Weinberg


(A) (C)



(D)(B)

ten demnach eigentlich eine palliativmedizinische Be-
handlung benötigt. Zählt man die Zahlen der Menschen,
die in den oben von mir genannten Einrichtungen in die-
sem Jahr tatsächlich palliativmedizinisch behandelt wur-
den, zusammen, und zwar recht großzügig zusammen,
dann dürften das nicht mehr als 100 000 Menschen ge-
wesen sein. 100 000 von 522 000 potenziell Bedürftigen,
da klaffen Anspruch auf würdevolles Sterben und Wirk-
lichkeit noch weit auseinander.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Deutsche Stiftung Patientenschutz vertritt dann
auch die These: Das Konzept des Sozialgesetzgebers
– das sind wir alle – aus Hospiz- und Palliativversorgung
setzt bei der Sterbehilfediskussion um Jahre zu spät an.
Jenseits der Frage, wie wir zum assistierten Suizid im
Einzelnen stehen – meine Haltung dürfte einigermaßen
deutlich geworden sein –, führt uns die Diskussion die-
ses Themas hoffentlich diese Herausforderung vor Au-
gen, der wir uns dringend und ohne weitere Verzögerung
stellen müssen.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Der Gesundheitsminister Gröhe hat jetzt, sicher nicht
ganz zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit dieser
Debatte, angekündigt, den Hospiz- und Palliativbereich
auszubauen. Ich begrüße das ausdrücklich. Meine Frak-
tion, Die Linke, wird dies kritisch, aber konstruktiv be-
gleiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806602900

Eva Högl ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1806603000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
ist gut und richtig, dass wir hier im Deutschen Bundes-
tag diese schwere Debatte über Sterbehilfe führen, und
es ist auch gut, dass sie in der Gesellschaft breit geführt
wird. Wir führen eine intensive Debatte, an der viele
Bürgerinnen und Bürger – das zeigen die zahlreichen
Veranstaltungen, die schon stattgefunden haben und
noch stattfinden werden – mit großem Interesse teilneh-
men. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es noch
einmal betonen: Es ist gut und richtig, dass wir uns hier
Zeit nehmen für diese Debatte im Deutschen Bundestag,
dass wir diese Debatte mit Fragen und nicht mit fertigen
Antworten beginnen und dass wir hier heute vielmehr
eine Orientierungsdebatte führen.

Es geht um die Menschenwürde, es geht um das Ende
des Lebens, es geht um den Umgang mit schweren
Krankheiten, und genau darauf müssen wir eine Antwort
geben. Es geht um die Angst vor Schmerzen, vor Hoff-
nungslosigkeit, vor Einsamkeit. Menschen möchten nie-
mandem zur Last fallen. Sie haben aber auch Angst vor
einer Apparatemedizin, und sie haben Angst vor schlech-
ter Pflege. Darauf müssen wir hier im Deutschen Bun-
destag eine Antwort geben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich möchte am Anfang ganz deutlich sagen, liebe
Kolleginnen und Kollegen: Ich halte die bisherigen Re-
gelungen in Deutschland für sehr gut. Die Abgrenzung
zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und straffreier
Beihilfe zum Suizid hat sich in Deutschland bewährt.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Deswegen dürfen wir die ärztlichen Behandlungsmög-
lichkeiten, die bestehen, auf keinen Fall einschränken.

Ausgangspunkt ist der Patientenwille, und insofern
müssen wir auch noch einmal an die Patientenverfügung
denken, mit der die Patientinnen und Patienten, die be-
troffenen Menschen, ihren Willen zum Ausdruck brin-
gen. Ärzte und Ärztinnen können schon heute eine Be-
handlung gar nicht erst aufnehmen. Sie können eine
Behandlung unterbrechen, und sie können auch schmerz-
lindernde Maßnahmen vornehmen, bei denen sie in Kauf
nehmen, dass das Leben verkürzt wird. Diese ärztlichen
Möglichkeiten dürfen wir auf keinen Fall einschränken.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Der ärztlich assistierte Suizid oder gar die aktive Ster-
behilfe dürfen aber auf keinen Fall zu einem Rechtsan-
spruch oder zu einem Normalfall werden.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das Ende des Lebens muss unter Einbeziehung der An-
gehörigen, der Ärztinnen und Ärzte, der Pflegerinnen
und Pfleger unter ethischen Gesichtspunkten individuell
gestaltet werden. Unsere Antwort hier im Deutschen
Bundestag auf Alter, Krankheit, Schmerzen und Ängste
darf niemals ein erleichterter Tod sein, darf niemals eine
erleichterte Möglichkeit, zu sterben, sein – und dann
auch noch durch Ärztinnen und Ärzte.

Deshalb sehe ich gesetzgeberisch nur an einer einzi-
gen Stelle Handlungsbedarf, und zwar bei Vereinen und
Einzelpersonen, die Sterbehilfe geschäftsmäßig, regel-
mäßig und organisiert anbieten. Ich finde es richtig, dass
wir hier – das zeichnet sich ab – eine breite Mehrheit da-
für haben, dass niemand mit Sterbehilfe Geld verdienen
darf, dass niemand das regelmäßig machen darf und dass
wir deswegen diese Einzelpersonen und diese Vereine
verbieten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ich möchte ein paar Bemerkungen zum ärztlichen
Standesrecht machen, weil das nicht ganz einfach ist und
die Ärztinnen und Ärzte selbstverständlich wichtige An-
sprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Betroffene
sind. Das Vertrauen in Ärzte ist groß, aber Ärztinnen und
Ärzte brauchen auch Rechtssicherheit. Deswegen stellt





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)

es ein Problem dar, dass der Deutsche Ärztetag 2011 be-
schlossen hat, dass Ärztinnen und Ärzte keine Hilfe zur
Selbsttötung leisten. Die Ärzteschaft schränkt damit die
straflose Beihilfe für Ärztinnen und Ärzte ein. Deswe-
gen müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir
den Flickenteppich von Regelungen, die die Landesärz-
tekammern erlassen haben, beseitigen und wie wir den
ärztlichen Freiraum, den ich – ich sagte es schon – als
ganz entscheidend erachte, erhalten können. Jede gesetz-
liche Regelung, die einen begrenzten Ausnahmetatbe-
stand für Ärzte vorsieht, bedeutet eine Einschränkung
dieses ärztlichen Freiraums, und das sollten wir uns sehr
gut überlegen.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben keine
Gesetzgebungskompetenz, das ärztliche Standesrecht zu
regeln. Dazu müssten wir unser Grundgesetz ändern.
Unser Grundgesetz erlaubt nur, die Zulassung zum Arzt-
beruf und zu Heilberufen hier im Deutschen Bundestag
zu regeln. Wir können das ärztliche Standesrecht weder
mit dem bürgerlichen Recht noch mit dem Strafrecht re-
geln. Da sind die Ärztinnen und Ärzte gefordert. Deswe-
gen appelliere ich an die Ärzteschaft, ihr Standesrecht zu
überarbeiten mit dem Ziel, den Flickenteppich zu besei-
tigen und die klare Aussage zu treffen, dass ärztlicher
Beistand und auch Beihilfe in Einzelfällen zwar keine
ärztlichen Aufgaben sind – das ist klar, und das sollte
deutlich werden –, jedoch als Gewissensentscheidung
des einzelnen Arztes und der einzelnen Ärztin möglich
und auch wünschenswert sind. Das halte ich für drin-
gend erforderlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen ein, bei dem
Gruppenantrag, den meine Kollegin Kerstin Griese und
ich jetzt schon einmal in einem Positionspapier skizziert
haben, mitzumachen. Wir würden uns freuen, wenn viele
Kolleginnen und Kollegen das tun und die Position, die
ich hier vorgestellt habe, unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806603100

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden und debattieren heute hier quasi in einer Doppel-
rolle, nämlich als Gesetzgeber und über uns selbst. Jedes
Leben führt unweigerlich zum Tod; nicht nur über
schwere Krankheiten. Warum wird eigentlich ausgerech-
net dann so viel über Selbstbestimmung gesprochen,
wenn es um den Tod geht? „Mein Ende gehört mir“, für
wen spricht man dann und für wie viele? Zwei Dinge
sind mir in dieser Debatte wichtig:
Erstens. Es diskutieren vorzugsweise gebildete, selbst-
bewusste, sehr reflektierte Menschen, die ihr Leben im
Griff haben oder zumindest meinen, sie hätten es, Men-
schen, die ihre gesundheitlichen und finanziellen Risi-
ken kennen, die die Gesetzeslage, die Rechtslage und
das Standesrecht der Ärzte kennen, für die es ein Zei-
chen von Stärke ist, selbst bestimmen zu können. Stark
und eigenverantwortlich sind aber auch die anderen, die
in jeder Phase des Lebens – nichts anderes ist das Ster-
ben; es ist auch eine Phase des Lebens – bei sich bleiben,
Menschen, die zeigen, was Leben wert ist, auch wenn es
beschädigt ist, wenn es unselbstständig ist und wenn es
schwer wird, wenn es ertragen werden muss, Menschen,
die Krankheit nicht empörend finden und Tod auch nicht
als Schöpfungs- oder Schönheitsfehler ansehen, die ein
Zeichen setzen gegen ein überhöhtes Bild des strahlen-
den, selbstoptimierten, funktionstüchtigen Menschen bis
zum Ende, meine Damen und Herren.

Umgekehrt sorge ich mich um diejenigen, die meinen,
nicht nur ihr Leben, sondern auch ihren Tod in den Griff
bekommen zu müssen. Ich sorge mich um eine Welt, in
der die Alten im Vorwege sagen – viele haben diesen
Satz hier heute schon gebraucht –: Ich will ja nicht zur
Last fallen; ich will doch nicht stören im Ablauf, im Ge-
triebe, im Funktionieren. – Ich sorge mich um Men-
schen, deren scheinbarer Mut zur Selbstbestimmung im
Kern nur die Angst vor Einsamkeit beim Sterben ist.
„Mut zum Leben – mitten im Sterben“, das ist unsere
Herausforderung, aber nicht „Hilfe zum Sterben“.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Heute wird gern von einer Erbengeneration gespro-
chen; das ist richtig. Daneben wächst aber auch eine Ge-
neration Elternunterhalt heran. Man kann auch Schulden
erben, sogar schon vor dem Tod. Kinder werden nach
dem Bürgerlichen Gesetzbuch für die Kosten von Pflege
und Palliativmedizin herangezogen, wenn das Vermögen
der Eltern aufgebraucht ist. Das verschärft die Gegen-
sätze zwischen denjenigen, die ärztliche Betreuung in
Anspruch nehmen, und denen, die ihren Kindern auch
auf diese Weise nicht zur Last fallen wollen. Ich finde,
auch diese Gesetzeslage bedarf eines Überdenkens,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens. Wir müssen uns klarmachen, dass wir in ei-
ner demografisch drastisch veränderten Welt und in ei-
ner sich weiter verändernden Gesellschaft leben. Auf
diese schöne alte Welt sind wir nicht vorbereitet. Die
Debatte der Sterbehilfe scheint mir auch ein Spiegelbild
der Angst unserer Gesellschaft vor dem Altern zu sein.
Ist es nicht eigentlich zynisch, dass wir, wenn wir über
Überalterung reden, als Erstes an den Seniorensuizid
denken? Bevor wir also ehrlich und ernsthaft über das
Sterben in Würde und unsere Position dazu reden, über
Anträge entscheiden, müssen wir – das haben hier viele
gesagt –, über Palliativversorgung und Hospize reden.





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt in Deutschland über 10 000 Suizide, und bei
über 90 Prozent davon liegt eine psychische Erkrankung
vor. Es ist nur in ganz seltenen Fällen so, dass sich Men-
schen aufgrund von schwerer Erkrankung umbringen.
Die meisten dieser Menschen haben psychische Erkran-
kungen. In Deutschland wartet man bei Depressionen
übrigens – gesetzlich versichert – ein halbes Jahr auf ei-
nen Therapieplatz. Heute fehlen vor allem Fachärzte für
Psychiatrie, es fehlen Plätze in häuslicher Pflege, es feh-
len qualitativ gute Plätze in der Heimunterbringung und
auch in Wohngemeinschaften, und es fehlt trotz der Ver-
besserungen genügend Hilfe für Demente und ihre An-
gehörigen.

Zuletzt: Ja, auch ich habe Menschen, ganz enge
Freunde, Verwandte, sterben sehen. Ich war noch keine
18, da sollte ich entscheiden, ob die Geräte abgeschaltet
werden sollen – die Geräte abschalten, also das Leben
abschalten. Natürlich war ich völlig unvorbereitet auf
diese Situation. Letztlich ist es wahrscheinlich jeder und
jede, egal wie alt er oder sie ist. Ich habe aber auch am
Sterbebett gestanden und miterlebt, wie Sterben begleitet
werden kann mit Schmerzlinderung, mit Nähe, mit dem
Wissen der Profis, dass es kein Schema gibt, dass man
nicht automatisch weiß, was dann gut für denjenigen
oder diejenige ist. Von daher weiß ich auch, dass es Si-
tuationen gibt, in denen die Schmerzlinderung eben
nicht mehr ausreicht. Ich glaube nicht, dass man im Vor-
hinein weiß, was man ertragen kann. Es gibt auch Situa-
tionen, wo Ärztinnen oder Ärzte und Sterbende spüren,
dass es nicht mehr weitergeht und dass die Kraft nicht
reicht. Wann dieser Moment gekommen ist, werden wir
nicht allgemeinverbindlich und mit letzter Rechtssicher-
heit regeln können. Vor allem sollten wir uns davor be-
wahren, Sterbebegleitung zur Sterbehilfe werden zu las-
sen, organisieren zu lassen, zur Dienstleistung werden zu
lassen und damit Menschen unter Druck zu setzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten des ganzen Hauses)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806603200

Hubert Hüppe hat nun das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1806603300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, Menschlichkeit in unserer Gesellschaft erweist
sich daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern
umgeht. Wenn wir heute über assistierte Selbsttötung de-
battieren, dann ist für mich der Kernpunkt die Frage:
Was wird passieren, wenn erst einmal akzeptiert wäre,
dass ich mithilfe eines Arztes oder einer Organisation
aus dem Leben scheiden kann und dass das meine selbst-
bestimmte Entscheidung ist? Der Umkehrschluss ist:
Dann trage ich selbst die Verantwortung dafür, wenn ich
weiterleben will, und damit nicht nur die Ressourcen der
Allgemeinheit in Anspruch nehme, sondern auch meine
Angehörigen.

Ich habe in den letzten Wochen verdächtig viele Talk-
shows gesehen, in denen Sterbehelfer auftraten – oder
vorgestern beispielsweise eine Frau, die ihre Mutter in
die Schweiz fuhr, wo sie sich töten ließ – und bei denen
ich das Gefühl hatte, dass das Ziel der Darstellung war,
zu zeigen: Das sind die wirklich Mutigen. Das sind die,
die die richtigen Entscheidungen treffen. – Mir fehlen in
diesen Talkshows Leute wie der Kollege Müntefering,
die nicht sagen: „Wir gehen diesen Weg“, sondern die
sagen: Ich bin bis zuletzt dabei – auch wenn das hart ist –,
ich halte die Hand, und ich genieße die Solidarität mei-
ner Verwandten, meiner Angehörigen und meiner
Freunde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Es geht nicht nur darum, dass ein Erwartungsdruck
ausgeübt wird, sondern auch darum, dass es schon ge-
fährlich wäre, wenn er mit Blick auf die Solidarität der
Gesellschaft als solcher empfunden würde und wenn
nicht mehr das Schicksal, sondern der Patient selbst für
sein Weiterleben verantwortlich wäre. Was mir an dieser
Diskussion Sorge bereitet, ist, dass es nicht nur um
Intendanten und Playboy-Legenden geht, sondern dass
wie in Belgien und Holland irgendwann auch über die
Frage diskutiert wird: Was ist eigentlich mit Menschen,
die behindert zur Welt kommen, die schon am Anfang
nicht bis 100 zählen können und es am Ende ihres Le-
bens auch nicht können, die inkontinent sind, die ihren
Stuhl nicht halten können? Das können manche Men-
schen mit Behinderung von Geburt an nicht. Sie werden
es nie können. Natürlich wird dieser Dammbruch nicht
von heute auf morgen kommen. Aber das Beispiel ande-
rer Länder hat gezeigt, dass es immer größere Löcher
gibt, wenn dieser Damm erst einmal gebrochen ist.

Frau Künast hat gesagt: Es gibt da keine Zahlen. –
Meine Damen und Herren, ich habe hier die Priorisie-
rungsliste aus Oregon.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland! Ich rede von Deutschland!)


– Ich erwähne Oregon, weil Herr Lauterbach das heute
Morgen im Fernsehen als Beispiel gebracht hat. – Dort
steht, was die, die auf die staatliche Gesundheitshilfe an-
gewiesen sind, noch an Leistungen bekommen. Es steht
ausdrücklich darin, dass die Leistungen unter dem Ge-
sichtspunkt der Effizienz ausgewählt worden sind. Eines
wird immer bezahlt: die assistierte Selbsttötung. Wäh-
rend andere Therapien ausgeschlossen oder rationiert
werden,


(Christine Lambrecht [SPD]: Bei uns doch nicht!)


wird die assistierte Selbsttötung durch den Arzt garan-
tiert. Davor habe ich Angst. Wenn es so ist, wie die offi-
ziellen Zahlen aus Oregon sagen – ich will sie noch ein-





Hubert Hüppe


(A) (C)



(D)(B)

mal nennen; man muss einfach einmal sehen, welche
Entwicklungen es geben könnte –, dass inzwischen über
die Hälfte, nämlich 53,2 Prozent, derjenigen, die in Ore-
gon den assistierten Suizid in Anspruch nehmen, Men-
schen sind, die nur noch diese medizinische Mindestver-
sorgung beanspruchen können, dann zeigt das, dass es
die armen Menschen und es, wie gesagt, nicht diese be-
kannten Persönlichkeiten trifft, denen die Solidarität der
Gesellschaft entzogen wird, dass es also zumindest die
alten, vereinsamten Menschen sind. Übrigens sind es zu
einem großen Teil die Frauen, die einsam sind, die
schlecht versichert sind, bei denen keiner mehr da ist,
der ihnen Mut zuspricht.

Ich glaube – wir sprechen ja sehr viel über Inklusion;
ich persönlich ja insbesondere –, dass es bei solchen
Menschen auch um Inklusion, um Teilhabe geht, dass
auch diese Menschen ein Recht auf Teilhabe haben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich halte es für äußerst gefährlich, wenn wir den Arzt
zum Sterbehelfer machen, der seinen Patienten bei ihrer
Selbsttötung hilft. Das wird den kranken, behinderten
und sterbenden Menschen die Solidarität entziehen, und
das möchte ich nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806603400

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Birkwald.


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806603500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am

11. September 2010 starb mein jüngerer Bruder Stephan
im Alter von nur 47 Jahren an einem Oligoastrozytom.
Neun Jahre hatte er sehr tapfer gegen den unheilbaren
Gehirntumor gekämpft. Mein Bruder wusste, dass er
würde sterben müssen; doch in den langen Jahren seiner
schweren Krankheit hat er nicht ein einziges Mal den
Wunsch geäußert, in den Freitod zu gehen. Im Gegen-
teil: Den 18. Geburtstag seines Sohnes noch erleben zu
wollen, hat ihm Kraft gegeben, und seinen eigenen
50. Geburtstag hätte er ebenfalls nur allzu gerne noch er-
lebt. Woher er nach neun Jahren Leiden diese Kraft
nahm, weiß ich nicht; aber ich weiß, dass mein Bruder in
mehrfacher Hinsicht ausgesprochen privilegierte Bedin-
gungen hatte: Seine gesamte Familie, sein gesamter
Freundeskreis und vor allem auch seine Kolleginnen und
Kollegen und sein Arbeitgeber, Volvo in Köln-Rodenkir-
chen, haben ihn voll unterstützt, getragen und viel Ver-
ständnis für ihn gehabt, und das auch schon zu Zeiten,
als noch nicht offensichtlich war, ob und wann die
Krankheit zum Tode führen würde. In den letzten vier
Monaten seines Lebens wurde mein Bruder von meinen
Eltern liebevoll in seinem Elternhaus gepflegt. Er hat in
Würde gelebt, und er ist in Würde gestorben.
Die freie Entscheidung über das eigene Ende, meine
Damen und Herren, die wünsche ich mir für alle Men-
schen bis ins hohe Greisenalter.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die Realität sieht für viele alte Menschen leider völlig
anders aus. Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zei-
tung vom vergangenen Samstag über einen „Aufschrei
gegen den Pflegenotstand“ geschrieben. Sieben Be-
schwerdeführer haben in Karlsruhe gegen den Pflegenot-
stand Verfassungsklage eingereicht, Zitat:

Eingesperrt, ruhiggestellt, verwahrlost: Die Situa-
tion vieler Menschen in Altenheimen ist alarmie-
rend.

Weiter heißt es aus einem Pflegeheim – Zitat –:

die Bewohner seien nur alle vier Wochen geduscht
worden, es gab keine Zahnpflege, die Alten muss-
ten oft in verkoteten Windeln oder verkoteter Klei-
dung stundenlang ausharren, Medikamente wurden
nicht oder nur unzuverlässig verabreicht, Notrufe
nicht beachtet …

Einzelfälle seien dies nicht; aber ich füge hinzu: Selbst-
verständlich gibt es auch viele gute Gegenbeispiele.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


Aber diese sieben Kläger erbitten vom Bundesverfas-
sungsgericht „Hilfe in schreiender Not“. Ich denke, dies
zeigt, dass eine Gesundheits- und Pflegereform, die die
massiven Defizite behebt, schon lange überfällig ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Denn auch und gerade für Todkranke, für Demente und
alte Menschen gilt Artikel 1 unseres Grundgesetzes:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ich sage:
Wir brauchen dringend mehr gut geführte Hospize und
eine flächendeckende und bedarfsdeckende Palliativme-
dizin auf höchstem Niveau.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Davon sind wir heute weit entfernt. Ich denke, je bes-
ser die palliativmedizinische Versorgung schwerstkran-
ker Menschen sein wird, desto weniger Menschen wer-
den ihr Leben durch einen assistierten Suizid beenden
wollen. Aber die, die ihrem Leben ein Ende setzen wol-
len – wie dies zum Beispiel die 29-jährige Brittany
Maynard, die an einem aggressiven Gehirntumor litt,
Anfang November in Oregon getan hat –, sollen dies
meines Erachtens in freier Selbstbestimmung tun dürfen –
auch in Deutschland, auch mit Hilfe.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mein Wunsch ist es, selbstbestimmt zu leben und
selbstbestimmt sterben zu dürfen. Die Erfüllung dieses
Wunsches gestehe ich selbstverständlich auch allen an-
deren Menschen zu. In unserem Grundgesetz ist ein





Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)

Recht auf Leben verankert, aber keine Pflicht zum Le-
ben – die gibt es nicht. Darum ist der Freitod in Deutsch-
land auch straffrei und die Beihilfe zum Freitod eben-
falls. Dabei sollte es bleiben. Darum plädiere ich dafür,
die von Angehörigen, Nahestehenden, Ärztinnen und
Ärzten und Sterbehilfevereinen geleistete Beihilfe zum
Freitod auch weiterhin straflos zu lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine Be-
merkung zum Schluss. Im Vorfeld der Debatte habe ich
viele Gespräche geführt und viel gelesen. Ganz beson-
ders überzeugt hat mich das Buch Letzte Hilfe des Berli-
ner Arztes Uwe-Christian Arnold. Es ist ein Plädoyer für
das selbstbestimmte Sterben, und in ihm heißt es:

So wie es ein Recht auf Erste Hilfe gibt, das dafür
sorgt, dass unser Leben im Notfall gerettet wird,
sollte es auch ein Recht auf Letzte Hilfe geben, das
garantiert, dass wir unser Leben in Würde beschlie-
ßen können.

Entweder mit dem assistierten Suizid – wie Brittany
Maynard –


(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


oder mit bester Pflege bis zum Schluss – wie mein Bru-
der Stephan –, das Prinzip sollte lauten: Mein Ende ge-
hört mir.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Darum bin ich für das „Recht auf Letzte Hilfe“ und da-
für, dass den Helferinnen und Helfern daraus keine
Nachteile erwachsen dürfen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1806603600

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1806603700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und

auch – denn dieses Thema geht uns alle an – liebe Bür-
gerinnen und Bürger! Wir reden über etwas sehr Grund-
sätzliches: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In
einer Gesellschaft, in der man in Würde leben und in
Würde sterben kann. Ich wünsche mir, dass wir eine so-
lidarische Gesellschaft sind, eine sorgende Gesellschaft,
die sich um Menschen kümmert und sie nicht allein
lässt, die die Ängste von Menschen aufgreift, die oft ein-
sam und alt sind und die Angst haben – das hören Sie
immer wieder, wenn Sie in Pflegeheime gehen –, jeman-
dem zur Last zu fallen. Dem müssen wir etwas entge-
gensetzen. Dem müssen wir eine Kultur des Lebens, eine
helfende Gesellschaft, eine sorgende Gesellschaft entge-
gensetzen, die Menschen in schwerer Krankheit hilft und
ihre Schmerzen lindert.

Die Antwort der Gesellschaft darf meines Erachtens
nicht der Todestrank auf dem Nachttisch für den Suizid
sein. Die Antwort sollten auch nicht organisierte Vereine
sein, die Sterbehilfe als ihr Geschäft anbieten. Die Ant-
wort darf auch nicht sein, dass wir quasi einen Anspruch
auf assistierten Suizid gesetzlich verankern, der als Re-
gelleistung der Krankenkassen abrufbar ist. Das wird
dem Einzelfall nicht gerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Wir müssen stattdessen alles tun, damit Menschen im
Leben gestärkt, im Leben und im Tod begleitet und best-
möglich palliativ behandelt werden. Und wir müssen
mehr tun, um Suizidprävention – gerade bei jungen
Menschen – zu verstärken. Da tun wir noch viel zu we-
nig. „Lebenshilfe statt Sterbehilfe“ hat das der an ALS
erkrankte Tagesspiegel-Journalist Benedict Mülder diese
Woche genannt. In seinem Beitrag, der mich sehr berührt
hat, schreibt er: „Autonomie ist nur in Gemeinschaft
denkbar.“ Das ist ein wichtiger Satz; denn auch der er-
krankte Mensch braucht ein Umfeld aus Familie, Freun-
den, Pflegenden und Ärzten. Wir sollten alles dafür tun,
damit sie mit ihm gemeinsam Entscheidungen treffen
können. Selbstbestimmung geschieht immer in Gemein-
schaft.

Gleichzeitig – das ist mir genauso wichtig – wollen
Eva Högl und ich in dem Positionspapier, das wir Ihnen
vorgelegt haben, alle jetzt bestehenden Freiräume ärztli-
chen Handelns am Ende des Lebens erhalten, sowohl die
indirekte Sterbehilfe, die passive Sterbehilfe, den Be-
handlungsabbruch, die Behandlungsunterlassung – wir
hören immer wieder, dass Ärzte eher zu viel behandeln
am Lebensende – und auch die palliative Sedierung, die
in Kauf nimmt, dass der Tod früher eintreten kann, wenn
schmerzlindernde Medikamente in hoher Dosis gegeben
werden.

Wir schlagen Ihnen deshalb einen Weg der Mitte vor.
Wir wollen kein Verbot der ärztlichen Maßnahmen, die
heute möglich sind. Wir wollen, dass Beihilfe zum Sui-
zid und auch der Suizid straffrei bleiben. Aber wir sagen
ein klares Nein zu Vereinen und Einzelpersonen, die or-
ganisiert und als Geschäft Sterbehilfe betreiben. Das hal-
ten wir für ethisch nicht verantwortbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Wir haben lange überlegt, wie man diese Vereine ver-
bieten kann, und sind nach Prüfung darauf gekommen,
dass das nur über das Strafrecht möglich ist. Aber im
Mittelpunkt der Debatte, die wir heute im Bundestag be-
ginnen und die wir auch noch eine Weile führen werden,
muss zuallererst stehen, dass wir Menschen über die
heutige Rechtslage, über Patientenverfügungen, über
Möglichkeiten der Palliativmedizin aufklären. Ich bin





Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)

froh, dass die Debatte schon erste Ergebnisse gezeigt hat
und jetzt vonseiten der Gesundheitspolitiker ein Papier
zum Ausbau von Hospizen und der Palliativmedizin vor-
liegt. Das ist dringend nötig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht ja darum,
dass wir alle möglichst selbstbestimmt und schmerzfrei
leben und sterben wollen. Ich möchte dazu den bisheri-
gen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider zitie-
ren, der in dieser Woche gesagt hat:

Die Würde und der Sinn unseres Lebens hängen
nicht an der Unversehrtheit körperlicher und geisti-
ger Fähigkeiten.

Dieser Satz ist wichtig, denn diese Debatte muss in dem
großen Zusammenhang der Achtung vor dem Leben ge-
führt werden, und uns ist wichtig zu betonen, dass auch
das leidende, das schwerkranke, das behinderte Leben
ein würdiges Leben ist und geachtet wird.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Uns bewegt zu Recht die Rolle der Ärztinnen und
Ärzte; dazu ist hier auch schon viel ausgeführt worden.
Ich habe in Gesprächen sehr viele verantwortungsbe-
wusste Medizinerinnen und Mediziner erlebt, die mit
dem Freiraum umgehen können. Trotzdem sagen wir:
Das muss im ärztlichen Standesrecht geklärt werden.
Wir plädieren für eine Regelung, die besagt, dass Ärzte
keine Sterbehilfe leisten sollen, weil selbstverständlich
der Grundsatz bestehen bleibt, dass sie das nicht tun sol-
len, aber Einzelfälle individuell zu bewerten sind.

In dieser Woche hat die Deutsche PalliativStiftung
deutlich gemacht, dass sie die Rechtslage, so wie sie ist,
für gut halten, dass keine Unsicherheit besteht, wenn
Ärztinnen und Ärzte ihren Freiraum nutzen. Ich will aus-
drücklich betonen: In Deutschland ist noch nie ein Arzt
wegen Beihilfe zum Suizid belangt worden, noch nie!
Das ist nicht strafbar.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Bei uns ist eindeutig aktive Sterbehilfe und Tötung auf
Verlangen verboten. Wir halten diese Abgrenzung auch
für genau richtig.

Die schwierigen ethischen Fragen am Ende des Le-
bens können meines Erachtens nicht dadurch gelöst wer-
den, dass man in einem Gesetz sieben Bedingungen fest-
schreibt, wann Sterbehilfe geleistet wird. Wir werden
Ärztinnen und Ärzte auch dazu nicht verpflichten kön-
nen; denn es bleibt für sie eine Gewissensentscheidung.
Wir müssen sie stattdessen besser ausbilden. Ethische
Fragen, Palliativmedizin und Hospizarbeit müssen in der
medizinischen und pflegerischen Ausbildung einen viel
größeren Raum einnehmen.

Hier wird mit teilweise wirklich furchtbaren Krank-
heitsbildern – diese Menschen haben mein volles Mitge-
fühl – der Eindruck hervorgerufen, als müsste man in
Deutschland elendiglich sterben und niemand würde ei-
nem helfen. Das ist falsch; das macht Angst. Einen sol-
chen Eindruck zu erzeugen, ist unverantwortlich. Des-
halb ist Aufklärung darüber, was möglich ist, so wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel unserer De-
batte sollte sein, dass niemand mehr sagt: Ich will in die
Schweiz, hier hilft mir keiner. – Ziel sollte sein, dass nie-
mand mehr sagt: Ich habe Angst, jemandem zur Last zu
fallen, und deshalb bringe ich mich lieber selber um. –
Unser Ziel sollte sein, dass alle Menschen die bestmögli-
che palliative Versorgung bekommen, dass Hospize aus-
gebaut und finanziert werden, dass allen Menschen, die
ihn brauchen, früh genug ein Hospizplatz angeboten
werden kann, dass man sich dort liebevoll und intensiv
um jeden Einzelnen kümmern kann. Dann sind wir eine
sorgende Gesellschaft, die das Leben achtet und die
weiß, dass der Tod zum Leben dazugehört.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806603800

Vielen Dank, Kerstin Griese. – Einen schönen guten

Morgen von meiner Seite. – Nächste Rednerin: Lisa
Paus.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806603900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erin-

nere mich noch: Es war meine erste Anhörung im Deut-
schen Bundestag, 2009, sinnigerweise zum Wachstums-
beschleunigungsgesetz, da bekam ich den Anruf von zu
Hause: Diagnose Lungenkrebs, stark fortgeschrittenes
Stadium. Am Ende der dann folgenden vier Jahre Sterbe-
begleitung war für mich endgültig klar: Es braucht end-
lich eine Enttabuisierung der Sterbehilfe in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Jetzt diskutieren wir stattdessen das Gegenteil, und das
treibt mich ans Mikrofon.

Um es gleich vorweg zu sagen: Meine Position lässt
sich auf drei Punkte zuspitzen. Erstens. Ich finde, das
Strafrecht ist für dieses Thema völlig unangemessen.
Zweitens. Die allgemeine standesrechtliche Ermögli-
chung des ärztlich assistierten Suizids ist unbedingt ge-
boten. Und drittens. Das Verbot von Sterbehilfevereinen
ist nicht begründbar.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Die derzeitige Situation ist aber auch nicht befriedigend.
Es braucht klarere Regeln, wie sie im Papier von Renate
Künast und anderen vorgeschlagen werden.





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)

Warum finde ich, dass das Strafrecht im Bereich des
assistierten Suizids nichts zu suchen hat? Das meine ich
nicht nur aus rechtsdogmatischen Gründen, obwohl
mich schon wundert, dass das hier infrage gestellt wird.
Aus meiner Sicht ist das eindeutig: Wenn ein Suizid
straffrei ist – und das will anscheinend niemand än-
dern –, wie soll dann, bitte schön, die Beihilfe zu einer
Nichtstraftat, ob von Freunden, Ärzten oder Sterbeverei-
nen, plötzlich zu einer Tat werden? Ich verstehe das
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Will doch keiner!)


Ich bin fest davon überzeugt, dass die gesellschaftli-
che Würdigung von Pflege und zu Pflegenden, dass die
finanzielle Ausstattung und dass die Art und der Umfang
der palliativen Versorgung nichts mit dem Strafrecht zu
tun haben. Denn wäre es so: Wie erklärt sich dann der
Istzustand in Deutschland?


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Dass die Situation so ist, wie sie ist, dafür gibt es
zahlreiche Gründe. Sie liegen im Gesundheitssystem in
Deutschland, sie liegen in der Anerkennung der Berufe,
sie liegen in den wirtschaftlichen Anreizen im Gesund-
heitssystem, sie liegen in den Logiken der Gesundheits-
industrie etc., etc; aber sie liegen eben nicht in der man-
gelnden Unterstrafestellung der Suizidbeihilfe.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie ich inzwischen weiß, war das, was ich miterlebt
habe, durchaus typisch für unheilbar Krebskranke. Des-
halb möchte ich das hier kurz skizzieren: Dieser Mensch
lebte in Berlin, in einer Stadt, die, was die ambulante
palliative Versorgung angeht, bundesweit zu den Vorrei-
terregionen zählt. Er litt also nicht unter der Angst vor
einer schlechten Versorgung. Er war auch nicht allein. Er
wusste, er war keine Last, sondern wurde von seinem
kleinen Kind gebraucht. Und trotzdem ging es nach der
erhaltenen Diagnose sofort und zentral darum, wie die
Medikamente zu beschaffen sind, die ein sicheres und
erträgliches selbstbestimmtes Ende ermöglichen. Warum
war das so? Natürlich ging es um Angst und um ein Um-
gehen mit der Angst – die Angst, zu sterben, aber vor al-
lem eben auch die Angst, im Versorgungsapparat die
Selbstbestimmung zu verlieren. Außerdem hatte der
Mann bereits seine Schwester und seine Mutter an Krebs
sterben sehen. Es war bei ihm keine Diskussion. Es war
völlig klar.

Ich fand den Aufwand und die Hindernisse, die zu
überwinden waren, bis er endlich einen Arzt gefunden
hatte, der ihm die passenden Tabletten gab, unsäglich.
Und mit den Sterbehilfevereinen ist es eben auch nicht
so einfach, wie es manche hier darstellen.

Und dann? Über drei Jahre waren die Tabletten griff-
bereit. Und am Ende hat er sie nicht genommen. Aber
ohne Hilfe ging es eben auch nicht. Seine Todesum-
stände fielen unter die Kategorie, die gerade beschrieben
wurde: indirekte Sterbehilfe. Und die Tabletten waren
dennoch nicht überflüssig. Wie wichtig sie waren, das
zeigt die Wahnsinnsenergie, die er da reingesetzt hat,
diese Tabletten zu bekommen. Die Medikamente entfal-
teten nachweislich über drei Jahre eine starke suizidprä-
ventive Wirkung. Dieser Weg, der war ein guter Weg.
Ich bin dankbar dafür, dass ich ihn begleiten durfte. Die-
ser Weg sollte dennoch einfacher werden, er sollte mehr
Menschen offenstehen, und er sollte nicht kriminalisiert
werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806604000

Vielen Dank, Lisa Paus. – Nächste Rednerin:

Dr. Claudia Lücking-Michel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1806604100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte heute
Morgen macht deutlich: Unsere Vorstellungen von ei-
nem Sterben in Würde sind bestimmt von unseren Vor-
stellungen von einem Leben in Würde. Das Gleiche gilt
auch umgekehrt. Beides hängt untrennbar miteinander
zusammen.

Als Christin bin ich überzeugt, dass unser aller Leben
ein Geschenk Gottes ist. Ich bin überzeugt, dass wir als
Abbild Gottes geschaffen sind und deshalb mit einer un-
veräußerlichen Würde ausgestattet sind. Besonderer
Ausdruck dieser Würde und damit wichtiges Gut für je-
den von uns ist das Recht auf Freiheit und Selbstbestim-
mung. Das Motto „Mein Ende gehört mir“ bezeichnet
trotzdem eine vollkommen verkürzte Position. Wir sind
nämlich nur begrenzt autonom. Wir können nicht selbst
bestimmen ohne Beachtung der Einflüsse und der Rah-
menbedingungen, die uns prägen. Wir leben in Bezie-
hungen. Vom Anfang bis zum Ende ist unser Leben ver-
flochten mit dem Leben anderer.

Freiheit und Selbstbestimmung – gerade weil das so
ein hohes Gut ist, will ich festhalten: Schon heute ent-
scheidet jeder bei uns über Ende oder Fortsetzung seiner
Behandlung. Niemand muss lebensverlängernde Maß-
nahmen akzeptieren. Ja, man ist im Äußersten selbst frei,
sich selbst zu töten. Suizid ist nicht strafbar. Ein zu-
nächst rein logischer Schluss lautet dann, dass auch Bei-
hilfe zum Suizid nicht strafbar ist. Hier sehe ich auch
keinen Änderungsbedarf.

Aber in einer Hinsicht gibt es aus meiner Sicht trotz-
dem Regelungsbedarf, den ich zusammen mit meinen
Kollegen Brand und Frieser in unserem Papier deutlich
benannt habe. Wir wollen jegliche Art von organisierter
Sterbehilfe unter Strafe stellen. Dabei ist es nicht von
Bedeutung, ob der Anbietende mit der Absicht handelt,
Gewinne zu erzielen oder nicht. Das Motiv, warum ich
so votiere, liegt weniger in meinen religiösen Überzeu-
gungen begründet als in meinem Verständnis von Gesell-





Dr. Claudia Lücking-Michel


(A) (C)



(D)(B)

schaft. Ich sehe nämlich die Verpflichtung für unsere
Gesellschaft, sich ganz besonders für diejenigen einzu-
setzen, die besonders wehrlos und schwach sind.

Wenn Beihilfe zum Suizid zuerst ein legales und dann
bald ein scheinbar normales Angebot werden würde,
sehe ich die Gefahr, dass sich ältere oder lebensbedroh-
lich erkrankte Menschen unter ökonomischen und psy-
chosozialen Druck gesetzt fühlen. Dann kommen sie
jedenfalls nicht mehr darum herum, sich zu dieser mög-
lichen Option verhalten zu müssen, sich zu entscheiden.
Die Tür für organisierte Sterbehilfe zu öffnen, bedeutet,
die Schutzbedürftigsten womöglich über eine Schwelle
zu drängen, die sie selbst ursprünglich gar nicht über-
schreiten wollten. Wir sollten stattdessen keinerlei Zwei-
fel daran lassen, dass das Leben eines jeden Menschen
für uns als Gesellschaft unter jeder Bedingung schüt-
zenswert ist. Wie wir mit Alter, Krankheit und Sterben
umgehen, entscheidet darüber, ob unsere Gesellschaft
menschlich bleibt oder nicht.

Was heißt das nun für ärztliche Assistenz zum Suizid?
Nach meinem Verständnis muss für Ärzte wie für alle
anderen auch gelten, dass nicht organisierte Beihilfe
keine strafrechtlichen Konsequenzen hat. Ärztliche Bei-
hilfe zum Suizid lässt sich aus meiner Sicht andererseits
nicht mit dem hippokratischen Eid und dem ärztlichen
Berufsethos vereinbaren. Die Bundesärztekammer for-
muliert das sehr zutreffend. Der Präsident der Landes-
ärztekammer Westfalen-Lippe sagte noch gestern:

Wir wollen nicht töten. … Wir haben eine Berufs-
ethik. Wir sind Sterbebegleiter, aber nicht Sterbe-
helfer.

Meine Damen und Herren, eines macht die Debatte
heute Morgen ganz deutlich: Wir alle sind der Meinung,
dass sich viele Menschen den schnellen Tod wünschen,
weil sie Angst vor großen Schmerzen, Einsamkeit und
Leid haben. Wenn die Debatte eines bringen muss, dann
das: die gemeinsame Anstrengung, alles zu tun, um die
palliativmedizinische und pflegerische Versorgung flä-
chendeckend und grundsätzlich besser auszubauen so-
wie die Hospizversorgung zu unterstützen. Ich danke un-
serem Bundesgesundheitsminister daher ausdrücklich
für seine Initiativen in diesem Bereich. Wir alle werden
in diesem Zusammenhang noch viel mehr tun müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sterben ist Teil unseres Lebens, letztgültig, unum-
kehrbar und im wahrsten Sinne des Wortes einmalig. Je-
der stirbt am Ende für sich selbst; aber es bleibt eine
Frage an uns als Gesellschaft, was wir tun, um Beglei-
tung und Schutz der Würde am Ende des Lebens für je-
den von uns möglich zu machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806604200

Vielen Dank, Frau Kollegin Lücking-Michel. –

Nächste Rednerin: Bärbel Bas.


(Beifall bei der SPD)


Bärbel Bas (SPD):
Rede ID: ID1806604300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese
Orientierungsdebatte gibt uns heute die Zeit, unsere Ein-
stellungen zu Leben und Tod miteinander auszutau-
schen. Das allein ist, finde ich, schon viel wert. Ich bin
auch all denen dankbar, die hier persönliche Worte ge-
funden oder auch ihre Erfahrungen mit Sterbebegleitung
mit uns geteilt haben. Sich zu orientieren, heißt auch,
sich einmal ein Stück frei zu machen, über den Teller-
rand zu schauen, vielleicht aber auch ein paar Schritte
zurückzugehen, um sich einmal das ganze Bild dieser
Debatte anzusehen. Vor allem aber heißt es auch, für Ar-
gumente offen zu sein.

Vielleicht spreche ich heute für viele hier im Hause,
die noch gar nicht entschieden sind. Wir haben viele ge-
hört, die Positionspapiere vorgetragen haben. Ich will
hier offen sagen: Ich gehöre zu denen, die sich noch
nicht entschieden haben. Das ist vielleicht auch ein
Grund, warum ich heute in dieser Orientierungsdebatte
versuchen will, einen kleinen Beitrag zu leisten.

Ich habe mich entschlossen, mich dem Thema Sterbe-
hilfe als Gesundheitspolitikerin zu nähern; denn ein gro-
ßer Teil – da sind wir uns alle einig – betrifft die Berei-
che Palliativmedizin und Hospizversorgung sowie den
Hospizgedanken.

Wir haben sicherlich in den letzten 20 bis 25 Jahren
schon eine gute Entwicklung auf diesem Gebiet gehabt.
Im Hospiz findet Sterben nicht im Verborgenen statt
– das wissen viele, die sich dort engagieren –, sondern es
ist in diesen Einrichtungen Teil des Lebens. Wie viele
von Ihnen auch habe ich in meinem Wahlkreis eine
Schirmherrschaft über ein Hospiz. Dadurch weiß ich al-
lerdings auch, wo es im Zusammenhang mit dem Hos-
pizgedanken Schwierigkeiten mit gesetzlichen Normen
gibt. Ich komme vielleicht gleich noch einmal darauf zu-
rück.

Die Würde des Menschen spiegelt sich im Umgang
mit dem Sterben. Deshalb braucht der Mensch am Ende
– gerade bei größtem Leid, wie es ja hier schon von Kol-
leginnen und Kollegen geschildert wurde – eine ange-
messene medizinische Versorgung – da sind wir uns alle
einig –, aber auch eine menschliche Pflege – auch das
war hier schon Thema – und eine würdevolle Beglei-
tung. Das alles gehört für mich zusammen. Deshalb bin
ich der Kollegin Scharfenberg dankbar. Sie hat das
Thema Depressionen und die psychische Begleitung an-
gesprochen. Viele suchen den Freitod, weil sie Depres-
sionen haben, weil sie vielleicht nicht früh genug in ärzt-
liche Versorgung und Behandlung kommen. Wir sollten
daher nicht nur über den Ausbau der Palliativversorgung
diskutieren, sondern auch darüber, den Zugang zu diesen
medizinischen Therapien für die Menschen zu verbes-
sern.

Meine persönlichen Erfahrungen sagen mir, dass wir
unser Ziel allerdings mit Geboten, Verboten, Strafrecht
und Rechtsansprüchen nicht unbedingt erreichen kön-





Bärbel Bas


(A) (C)



(D)(B)

nen. Die Bedürfnisse der Menschen für ein würdevolles
Lebensende sind genauso individuell wie das Leben
selbst. Die Politik ist allerdings gut beraten – das tun wir
hier –, Impulse zu setzen oder eben auch gesellschaftli-
che Debatten, so wie heute, anzustoßen und zu begleiten.

Wir können auf der einen Seite sicherlich mehr Fakul-
täten für Palliativmedizin – das brauchen wir auch – und
palliative Geriatrie fordern, wir können uns Gedanken
über die palliative Regelversorgung machen, über ge-
sundheitliche Vorausplanung in Pflegeeinrichtungen,
über die Vernetzung von Betreuung und Versorgung,
auch über die Unterschiede zwischen allgemeiner und
spezialisierter Palliativversorgung; die Gesundheitspoli-
tiker hier, die auch im Ausschuss sitzen, wissen, wovon
ich rede. Das alles müssen wir auch tun. Auf der anderen
Seite steht die Frage nach der verlässlichen Finanzierung
von Hospizen. Im Moment finanzieren wir 90 Prozent
und bei Kinderhospizen 95 Prozent der Kosten über die
Krankenkassen. Dabei frage ich mich immer: Passt das
überhaupt zusammen?

Ich will das Problem noch einmal kurz schildern:
Hospize arbeiten sehr stark mit dem Anspruch von
Selbstlosigkeit, Aufopferung und sehr viel mit Ehren-
amt. Das ist der Punkt, über den wir noch einmal disku-
tieren müssen. Denn das wird zum Teil nicht finanziert,
aber es wird geleistet. Krankenkassen wiederum sind
sehr in Normen verhaftet; da geht es um Standards, Effi-
zienz usw. Dies müssen wir zusammenbringen. Auf der
einen Seite müssen wir Normen finden, und auf der an-
deren Seite müssen wir dafür sorgen, dass wir den Hos-
pizgedanken nicht nur in den Hospizen haben, sondern
eben auch dorthin tragen, wo Menschen sonst noch ster-
ben, nämlich auch in Pflegeeinrichtungen und zu Hause.
Wie bekommen wir diesen Gedanken genau dorthin, wo
die Menschen am Ende hoffentlich nicht allein sind?

Ich habe die Hoffnung, dass diese Debatte dazu bei-
trägt. Ich habe noch viele offene Fragen. Ich hoffe, dass
der eine oder andere mir diese im Laufe dieser Debatte
beantworten kann. Am Ende werde ich mich, so wie
viele hier im Hause, sicherlich für einen bestimmten
Weg entscheiden müssen. Ich bin mir allerdings nicht si-
cher, ob es uns weiterhilft, auf Normen, Regelungen und
das Strafrecht zu setzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806604400

Vielen Dank, Bärbel Bas. – Nächste Rednerin: Emmi

Zeulner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1806604500


Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nut-
zen der Kranken nach meiner Fähigkeit und nach
meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor,
sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwen-
den. Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift
geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde,
und ich werde auch niemanden dabei beraten …

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der hippokratische Eid steht stellvertretend
für das medizinische Ethos. Ich möchte es an dieser
Stelle noch einmal in Erinnerung rufen. In der heutigen
Debatte stehen sich zwei vermeintlich unvereinbare Ge-
gensätze gegenüber: auf der einen Seite das Recht auf
Selbstbestimmung, auch bei der Wahl des eigenen To-
deszeitpunktes, auf der anderen Seite der Schutz unseres
höchsten Gutes, des Lebens selbst. Doch ich bin über-
zeugt, dass sich diese beiden Seiten nicht widersprechen,
sondern ergänzen. Ein Nein zur aktiven Sterbehilfe be-
deutet nicht, auf das Selbstbestimmungsrecht zu verzich-
ten. Schon heute bietet unsere Rechtslage zahlreiche
Möglichkeiten, den Menschen ihre Ängste – wie die vor
unerträglichen Schmerzen am Lebensende oder vor einer
unnötigen Abhängigkeit von medizinischen Apparaten –
zu nehmen und ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung
zu entsprechen. Denn sowohl die passive Sterbehilfe,
das heißt das Sterbenlassen durch den Verzicht auf oder
Abbruch von lebensverlängernden Maßnahmen, als auch
die indirekte Sterbehilfe, das heißt die Inkaufnahme der
Beschleunigung des Todeseintritts durch die Gabe von
schmerzlindernden Medikamenten, sind nicht strafbar.

Um aber Missbrauch im Rahmen der aktiven Sterbe-
hilfe entgegenzuwirken und keine Türen zu öffnen, die
wir nicht mehr schließen oder kontrollieren können, sehe
ich einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Wir soll-
ten die gewerbsmäßige und organisierte Sterbehilfe, wie
sie von Organisationen oder einzelnen Personen ausge-
übt wird, unter Strafe stellen. Und wenn ein Arzt an
mein Krankenbett tritt, möchte ich sicher sein, dass sein
einziges Interesse meinem Leben gilt. Ich möchte nicht,
dass es bei uns zu der absurden Situation kommen kann,
dass sich Alte und Kranke für ein Weiterlebenwollen
rechtfertigen müssen, und ein Druck, auch wenn er nur
subtil ist, hin zur Entscheidung für den Tod und nicht für
das Leben ausgeübt wird.

Mich stört die Romantisierung der aktiven Sterbe-
hilfe. Denn auch hier passieren Fehler bei der Anwen-
dung, und das vermeintliche Therapieziel wird nicht er-
reicht. Der oft zitierte Sterbetourismus hat auch seine
Schattenseiten, wie Schilderungen von Pflegeheimen am
Bodensee zeigen. Dort sind Fälle bekannt, in denen alte
Menschen aus dem Ausland nach Deutschland in Pflege
gehen, um ihre letzten Lebenstage frei von jeglichem
Entscheidungsdruck in Bezug auf die aktive Sterbehilfe
sehr selbstbestimmt zu verbringen.

Das Lebensende muss unter der Prämisse stehen, dass
der Patient individuell und von Vertrauten aus seinem
Umfeld betreut wird. Der Ruf nach einem schnellen Tod
ist oftmals Ausdruck einer als unerträglich empfundenen
Situation. Die aktive Sterbehilfe ist meiner Meinung
nach nicht die richtige Antwort auf dieses Bedürfnis.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nein, ich bin der Überzeugung, der Schlüssel ist ein
anderer: Mit der Errungenschaft der Hospiz- und Pallia-
tivversorgung kann den Ängsten der Menschen wir-





Emmi Zeulner


(A) (C)



(D)(B)

kungsvoll begegnet werden. Mit seinem Ursprung in der
Hospizbewegung wurde dieser Bereich in den letzten
Jahren ständig ausgebaut. Es gilt, diesen nun weiterzu-
entwickeln und den Hospiz- und Palliativgedanken in
die Fläche zu tragen. Ich freue mich, dass ich Bundes-
minister Gröhe an unserer Seite weiß und bereits ein
konkreter Maßnahmenkatalog auf dem Tisch liegt. Kern-
punkte werden unter anderem folgende sein:

Erstens. Nur wenige Menschen sind vollends über
sämtliche Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativver-
sorgung informiert. Um dies zu ändern, soll jeder Versi-
cherte künftig einen Anspruch auf individuelle Beratung
für die Auswahl und Inanspruchnahme der vorhandenen
Möglichkeiten haben.

Zweitens. Es gibt weiterhin weiße Flecken in der spe-
zialisierten ambulanten Palliativversorgung, gerade im
ländlichen Raum. Diese Lücken zu schließen, ist eine
große politische Herausforderung. Hierfür müssen wir
Anreize schaffen und zusätzlich dafür sorgen, dass aus-
reichend qualifizierte Pflegekräfte ausgebildet werden
und zur Verfügung stehen.

Drittens. Auch bei den Ärzten unterstützen wir die
palliativmedizinische Weiterqualifikation. Die Vergü-
tung palliativmedizinischer Leistungen wird zukünftig
an eine entsprechende Weiterbildung gekoppelt.

Viertens. Um die Arbeit der Hospize mit ihren zahl-
reichen Ehrenamtlichen noch angemessener zu honorie-
ren, verbessern wir unter anderem die finanzielle Aus-
stattung und ermöglichen eine regelmäßige Überprüfung
der Rahmenbedingungen in diesem Bereich.


(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


Das Versprechen einer flächendeckenden Hospiz- und
Palliativversorgung, die jedem Einzelnen offensteht, gilt
es einzulösen. Ein Sterben im Leiden muss mit den heute
vorherrschenden hohen Standards und zahlreichen Mög-
lichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung nicht
mehr gefürchtet werden. Es bleibt aber eine abschre-
ckende Vorstellung, in einer Gesellschaft zu leben, in der
sich auch nur ein Einziger aufgrund eines bewussten
oder unbewussten Drucks gedrängt fühlt, eine Entschei-
dung gegen das Leben und für die Sterbehilfe zu treffen.

Danke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806604600

Vielen Dank, Frau Zeulner. – Nächster Redner:

Volker Kauder.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1806604700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Bei Diskussionen in den letzten Monaten im Wahl-
kreis und in ganz Deutschland zu dem Thema Sterbebe-
gleitung bin ich immer wieder gefragt worden: Was ist
eigentlich der Grund, dass sich der Deutsche Bundestag
mit diesem Thema beschäftigt?

Der Anlass, bei uns über das Thema zu diskutieren
und zu reden, war nie, was Ärzte dürfen und was nicht.
Es wird nicht bezweifelt, dass bestimmte freie Berufe,
Rechtsanwälte, Architekten, Ärzte, das Recht haben,
Kriterien für ihr Standesrecht festzulegen, also in einem
vom Gesetzgeber bewusst gelassenen Freiraum eigen-
ständig zu entscheiden. Nicht das war das Thema. Die
Frage noch einmal: Was hat euch veranlasst, diese De-
batte zu führen?

Veranlasst dazu hat uns alle eine Entwicklung in den
letzten zwei, drei, vier Jahren, die viele, ja die allermeis-
ten hier in diesem Haus mit großer Sorge beobachtet ha-
ben, dass nämlich Vereine gegründet wurden – vor allem
der Verein von Herrn Kusch war der Auslöser –, die
Menschen angeboten haben, Mitglied zu werden, einen
Beitrag zu zahlen und dann von diesen Vereinen Hilfe
bei der Realisierung des Wunsches, zu sterben, zu erhal-
ten.

Die Perversion dieses Gedankens war, dass es dabei
unterschiedliche Beiträge geben sollte: Derjenige, der
viel Geld investieren kann, kann verlangen, sofort die
Leistung Tod in Anspruch zu nehmen, der andere mit
weniger Geld muss länger warten. Was das mit Humani-
tät zu tun hat, hat sich mir nie erschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies war der Grund, dass wir uns die Frage stellen:
Wollen wir so etwas in unserer Gesellschaft haben, oder
wollen wir das nicht? Selbst diejenigen, die in der Frage
des ärztlichen Beistandes, der Assistenz beim Suizid
durch einen Arzt, anderer Auffassung sind als ich, der
Kollege Lauterbach zum Beispiel, sind sich mit mir da-
rin einig, dass wir solche Vereine nicht in unserem Land
haben wollen, dass dies nicht die menschlich adäquate
Antwort auf die Sorgen und Ängste der Menschen in un-
serem Land ist. Deswegen bin ich dankbar dafür, dass
sich hierzu offensichtlich ein breiter Konsens abzeich-
net.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus der heutigen Debatte, die ja noch keine Entschei-
dungen bringt, was richtig ist, soll die Botschaft an die
Menschen gehen: Wir suchen nach einer Lösung, mit der
zuverlässig für Beistand in der schwersten Stunde des
Lebens gesorgt wird. Viele Menschen haben keine Angst
vor dem Tod, sondern sie haben Angst vor dem Sterben,
Angst davor, in diesem Prozess alleingelassen zu wer-
den.

Wir diskutieren im Deutschen Bundestag viel über
Würde, Beistand, Hilfen im täglichen Leben. Angesichts
dessen kann hier nicht die Antwort sein: Wir lassen euch
im Sterben allein. Vielmehr muss die Antwort heißen:
Wir werden alles dafür tun, dass im Sterben niemand al-





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

lein ist, sondern dass er begleitet wird, dass er Beistand
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen halte ich es für richtig, dass wir die organi-
sierte Sterbehilfe verbieten. Darüber hinaus sollten wir
das, was es in unseren Krankenhäusern heute tausend-
fach gibt, nämlich das Vertrauensverhältnis von Arzt und
Patient, nicht durch gesetzliche Regelungen stören,
meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten dies dem ärztlichen Standesrecht überlassen.

Eine einzige kritische Anmerkung möchte ich ma-
chen. Genau diejenigen, die vorschlagen, dass in be-
stimmten Bereichen bei schwerer Krankheit und entspre-
chender Prognose der ärztliche Beistand, die Hilfe zum
Töten, zulässig sein soll, machen genau das, was sie ei-
gentlich nicht wollen: Sie bringen den Arzt in ernste
Konflikte mit dem Strafrecht.


(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Denn dann muss er in allen anderen Fällen erklären, wa-
rum er diese Voraussetzungen nicht erfüllt sieht.

Ich fordere Sie daher auf: Machen wir das, was drin-
gend geboten ist, verbieten wir die organisierte Sterbe-
hilfe, und stärken wir das Vertrauensverhältnis zwischen
Arzt und Patient!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806604800

Vielen Dank, Volker Kauder. – Das Wort hat Thomas

Rachel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1806604900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Wir diskutieren derzeit sehr intensiv über
Begriffe wie Sterbehilfe, Selbsttötung oder Beihilfe zum
Suizid. Darin offenbart sich eine schwierige Engführung
der Herausforderung, vor der wir ethisch und politisch
stehen; denn Aufgabe des Gesetzgebers kann es doch
nur sein, die bestmögliche Hilfe beim Sterben, aber nicht
die Hilfe zum Sterben zu organisieren und zu gewähr-
leisten.

Im Zentrum unserer Bemühungen steht der schwerst-
leidende Mensch selbst. Aber der schwerstleidende
Mensch will in aller Regel überhaupt nicht selbst seinem
Leben ein Ende setzen, sondern möchte sein Leiden ver-
mindern und seine letzte Lebensstrecke in einer erträgli-
chen Art und Weise erleben. Deshalb sollte sich unser
ganzes Bemühen auch genau auf dieses Ziel konzentrie-
ren: Leiden und Schmerzen nach Menschenmöglichkeit
zu mindern, persönliche Fürsorge und Betreuung zu leis-
ten und die beste palliativmedizinische und hospizliche
Versorgung für alle in unserem Lande sicherzustellen.

Jede Ethik, jedes Nachdenken darüber, was der
Mensch tun oder lassen soll, spiegelt immer auch ein
Stück weit das zugrunde liegende Menschenbild wider.
Wie wir miteinander und mit uns selbst umgehen, hat
seinen Grund und Ausgangspunkt zuallererst in der Art,
wie wir uns und die anderen Menschen sehen bzw. sehen
wollen.

Entsprechend dem christlichen Menschenbild, dem
wir uns als CDU/CSU besonders verpflichtet fühlen,
steht der leidende Mensch in besonderer Weise im Mit-
telpunkt. Dabei gehören Selbstbestimmung und Solidari-
tät, Freiheit und Verantwortung, Selbst- und Nächsten-
liebe untrennbar zusammen. Selbstsorge und Fürsorge
für andere sind untrennbar miteinander verbunden, weil
der Mensch aus christlicher Sicht ein Beziehungswesen
ist. Wir sind auf Beziehungen mit anderen Menschen
– und ich ergänze: auch mit Gott – angewiesen. Der
Kranke, Leidende und Sterbende steht nicht singulär mit
seinem Schicksal allein, sondern darf auf die Unterstüt-
zung der Gemeinschaft bauen. Das ist letztlich eine
Grundhaltung, die auch für andere Religionen prägend
sein kann und prägend ist. Und gerade diese notwendige
– im Sinne von „die Not wirklich wendende“ – Unter-
stützung dürfen wir dem betroffenen Menschen nicht
versagen.

In der evangelischen Ethik unterscheiden wir zwi-
schen der individualethischen und der sozialethischen
Perspektive. In Grenzerfahrungen des menschlichen Le-
bens, in Situationen schwersten Leidens wissen wir um
die ganz tiefen Gewissenskonflikte, die die Betroffenen
und ihre nächsten Angehörigen ereilen. Wir kennen sol-
che Grenzfälle, in denen – auch wenn man dies selbst
nicht bejahen kann – Beihilfe zum Suizid geleistet und
persönlich verantwortet wird.

Evangelische Ethik weiß, dass zu einem ethischen
Handeln auch die Übernahme von Schuld gehört. Eine
organisierte Form der Beihilfe zum Suizid muss aber un-
ter sozialethischen Gesichtspunkten betrachtet werden,
weil sie sich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Was
allenfalls als Ausnahme aufgrund einer persönlich ver-
antworteten Entscheidung infrage kommen kann, darf
nun nicht rechtlich geregelte Normalität werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Vorschlag für solche Grenzfälle, die Möglichkeit
des ärztlich assistierten Suizids rechtlich genauer zu re-
geln, birgt mindestens zwei Gefahren. Erstens würden
wir die Beihilfe zum Suizid, wenn auch nur in Ausnah-
mefällen, zur ärztlichen Aufgabe machen. Damit würde
das Berufsbild des Arztes, der doch dem Leben ver-
pflichtet ist, verändert, ich würde sagen: beschädigt. Es
bedarf keiner weiteren Verrechtlichung des Arzt-Patien-
ten-Verhältnisses. Zweitens könnte sich die Einstellung
in unserer Gesellschaft zum Suizid sowie zur Beihilfe
zum Suizid verändern. Dieser würde vermutlich nicht
mehr als tragischer Einzelfall, sondern als „normale“
Möglichkeit empfunden.





Thomas Rachel


(A) (C)



(D)(B)

Machen wir uns doch nichts vor: Suizid, in welcher
Form auch immer, hinterlässt Spuren bei den Hinterblie-
benen und in der gesamten Gesellschaft. Ein Gesetz
kann der Ausnahmesituation des persönlichen und indi-
viduellen Sterbens nicht gerecht werden. Eigentlich ist
der Gedanke sogar vermessen. Deshalb erscheint der
Ruf nach gesetzlicher Regelung der Beihilfe zur Selbst-
tötung genauso irreführend. Aus der tragischen Not indi-
vidueller Ausweglosigkeit kann keine gesetzgeberische
Tugend, quasi ein einklagbarer Normalfall werden.

Ich sage deshalb abschließend: Was wir brauchen, ist
ein Verbot der gewerblichen und organisierten Form der
Sterbehilfe; denn hier wird Hilfe versagt, wo doch Hilfe
notwendig wäre. Mit Blick auf die Beihilfe zum Suizid
benötigen wir keine Maßnahme des Gesetzgebers. Statt-
dessen brauchen wir einen flächendeckenden und konse-
quenten Ausbau von Hospizen sowie beste ambulante
und stationäre palliativmedizinische Versorgung. Jetzt
geht es um die Verantwortung für das Leben und nicht
für den schnellen Weg aus dem Leben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806605000

Vielen Dank, Thomas Rachel. – Nächste Rednerin ist

Pia Zimmermann.


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806605100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den vielen Jahren meiner Tätigkeit im Pflegebereich
sind mir viele Fragen und Wünsche zu Ohren gekom-
men, darunter auch der Wunsch, nicht mehr leben zu
wollen. Ich will es vorwegnehmen: Ich selbst bin noch
zu keiner ganz endgültigen Entscheidung gelangt, wie
mit dem Thema Sterbebegleitung umzugehen ist. Aller-
dings bin ich mir sicher, dass wir gemeinsam dafür
Sorge tragen müssen, dass die Palliativversorgung aus-
kömmlich finanziert, gestärkt und ausgebaut wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es darf nicht sein, dass aufgrund einer schlechten Ver-
sorgung, aufgrund von Schmerzen oder deshalb, weil
kein Hospizplatz zur Verfügung steht, oder aus Angst
davor, die Angehörigen durch hohe Pflegezuzahlungen
finanziell zu belasten, nach einem assistierten Suizid
verlangt wird.

Mehr als 300 000 Menschen versterben in Pflegeein-
richtungen. Auch hier muss medizinisch, strukturell und
ökonomisch eine souveräne Palliativversorgung sicher-
gestellt werden, sodass niemand aus Einsamkeit, wegen
Schmerzen oder Vernachlässigung zu einem Sterbe-
wunsch kommt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Hospizversorgung muss im ländlichen wie im urba-
nen Raum ausgebaut werden. Es muss auch ein Rahmen
geschaffen werden, in dem die ambulante Hospizversor-
gung uneingeschränkt gewährleistet wird; denn viele
sterbende und schwerstkranke Menschen würden gerne
in der letzten Lebensphase im gewohnten Umfeld ver-
sorgt werden.

Ich teile die Auffassung von Hermann Gröhe und an-
deren, die in einem Papier der letzten Tage schreiben,
dass schwerkranke und sterbende Menschen die best-
mögliche menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege
und Betreuung erhalten müssen. Ich möchte das um zwei
Punkte ergänzen: Sie müssen erstens eine bestmögliche
medizinische Begleitung bekommen. Zweitens muss das
alles unabhängig davon stattfinden, ob sich die Familien
und Angehörigen das leisten können.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese vollumfängliche gute Versorgung für Menschen
mit hohem oder sehr hohem Pflegebedarf, für Menschen
mit nahendem Lebensende sind für mich durch Artikel 1
des Grundgesetzes sichergestellt; denn zu einem Leben
in Würde gehört auch das Sterben in Würde.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Doch diese Würde ist meiner Überzeugung nach nicht
denkbar ohne Selbstbestimmung. Dazu möchte ich hier
einige Fragen in die Diskussion einbringen: Gehört zu
der Autonomie, frei über sich entscheiden zu können,
auch, lebensverlängernde Maßnahmen jederzeit ohne
Patientenverfügung ablehnen zu dürfen? Wer entschei-
det außer den Betroffenen selbst, welche Schmerzen er-
träglich sind? Wer entscheidet außer den Betroffenen
selbst, ob ein Leben zwar ohne Schmerzen, aber in Be-
wegungsunfähigkeit noch würdevoll ist? Darf der Staat
darüber entscheiden, ob sich Betroffene Hilfe zum Ster-
ben erbitten dürfen, um somit nach eigenem Empfinden
würdevoll aus dem Leben zu scheiden? Wie weit darf
oder muss Selbstbestimmung gehen?

Eine gute Freundin sagte mir einmal, ausschließlich
sie allein habe zu entscheiden, wie lange sie ein als qual-
voll empfundenes Leben zu ertragen habe. Das hat mich
sehr berührt, weil ich der Auffassung bin, niemand sollte
ein Leben als qualvoll empfinden. Selbst Hippokrates
verlangte von dem Arzt – ich zitiere –: Im Unheilbaren
aber muss er sich auskennen, damit er nicht nutzlos
quäle. – Diese Entscheidung über Empfindungen kann
aber nur der oder die Betroffene selber treffen, und das
muss akzeptiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


In der Sache liegt meine Freundin auch richtig, da der
Suizid juristisch nicht relevant ist.

Ich wünsche mir natürlich – das habe ich vorhin
schon angesprochen –, dass wir alle Voraussetzungen
schaffen, dass die Wünsche nach Suizid gar nicht erst
aufkommen. Aber wenn der Entschluss, nachvollziehbar
oder nicht, durch den Betroffenen oder die Betroffene
selbst getroffen ist und wir anerkennen, dass Selbstbe-
stimmung zur Würde des Menschen gehört, müssen wir
uns als Gesetzgeber die Frage stellen: Wie können wir
sicherstellen, dass auch Menschen, die nicht in der Lage





Pia Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)

sind, einen selbstständigen Suizid zu vollziehen, selbst-
bestimmt über Leben und Tod entscheiden können?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Auf der anderen Seite ist zu klären, ob es in Zukunft eine
Institutionalisierung geben soll, in der verzeichnet wird,
wer auf Verlangen berechtigt ist, aktive Suizidassistenz
zu leisten und wer nicht. Einer geschäftsmäßigen Sterbe-
hilfe, um wirtschaftlich oder aus anderen Gründen davon
zu profitieren, kann ich persönlich nicht zustimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, dass ich
bei diesem Thema mehr Fragen als Antworten habe. Ich
bin aber zugleich froh, dass wir uns die Möglichkeit ge-
geben haben, in dieser Orientierungsdebatte eben diese
auch aufzuwerfen.

Zusammengefasst bin ich der festen Überzeugung,
dass wir alles dafür tun müssen, dass eine Pflege- und
Palliativversorgung in Würde und selbstbestimmt ohne
seelische und materielle Not gewährleistet wird.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806605200

Vielen Dank, Pia Zimmermann. – Nächster Redner ist

Burkhard Lischka.


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1806605300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worüber

debattieren wir hier heute vier Stunden unter dem Titel
„Sterbebegleitung“? Nun, wir sprechen über Menschen,
und zwar über Menschen, die leben wollen – mit jeder
Faser ihres Körpers. Sie wünschen sich nichts sehnlicher
als eine Heilung ihrer tödlichen Erkrankung. Sie wissen
aber auch, oft nach einem jahrelangen Kampf, dass sie
diesen Kampf verloren haben. Insoweit sprechen wir
heute nicht über einige unmündige und dumme Men-
schen, denen wir nur einmal richtig erklären müssen, wie
wir sie künftig besser betreuen und pflegen, und schon
wird das Sterben leichter. Anstand, Respekt und Ehr-
furcht vor Menschen in einer ausweglosen Situation
sollte der Kern der Debatte sein, die wir heute und in den
kommenden Monaten führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dabei gibt es Krankheiten, die so schrecklich sind, dass
sie uns vor gegenseitigen Unterstellungen, aber übrigens
auch vor Prinzipienreiterei schützen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit Prinzipienreiterei konnten noch keine qualvollen
Schmerzen gelindert werden. Es muss uns stattdessen in
dieser Debatte gelingen, Brücken zu bauen, anstatt neue
Gräben aufzureißen.

Meine Damen und Herren, der Schutz des Lebens ist
ein elementarer Grundsatz, eine rote Linie in dieser Ge-
sellschaft. Die Politik und der Gesetzgeber müssen alles
tun, um diese rote Linie zu wahren. Insofern: Ja, es gibt
ein Recht auf Leben. Aber: Nein, es gibt in dieser Ge-
sellschaft keine Pflicht, qualvoll zu verrecken,


(Dr. Eva Högl [SPD]: Das gibt es auch nicht!)


weil die Würde des Menschen eben nicht nur in seinem
Leben, sondern auch in seinem Tod unantastbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eine 85-jäh-
rige Mutter. Sollte die mich eines Tages mit dem
Wunsch nach Sterbehilfe konfrontieren, dann werde ich
persönlich alles tun, ihr diesen Wunsch auszureden. Ja,
das hat durchaus auch etwas mit meinen eigenen Werte-
und Moralvorstellungen zu tun. Aber ich werde als Ge-
setzgeber in diesem Hohen Haus nicht meine Hand dafür
heben, dass todkranke Menschen zum Objekt meiner ei-
genen Werte- und Moralvorstellung gemacht werden;
denn am Ende zählt der Mensch und nicht die strafrecht-
liche Bevormundung.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Der Staat hat das zu verbieten, was vollkommen inak-
zeptabel ist, beispielsweise eine gewinnorientierte Ster-
behilfe oder die obszöne Werbung dafür. Der Staat muss
auch dafür Sorge tragen, dass die Sterbehilfe nicht zu
leicht gemacht wird, weil sonst die Gefahr besteht, dass
Dämme brechen und Missbrauch entsteht. Insofern habe
ich auch kein Problem damit, sogenannte Sterbehilfever-
eine zu verbieten. Ich will auch nicht, dass Laien ohne
jegliche Kontrolle Todkranken Suizidbeihilfe leisten.
Aber ich will, dass es in diesem Land einen letzten Frei-
raum für mitfühlendes ärztliches Ermessen in unvorstell-
baren Notlagen gibt. Ärzte, das sind diejenigen, die auf-
grund ihrer Ausbildung und beruflichen Praxis heute
schon ganz schwierige Entscheidungen über Leben und
Tod treffen müssen. Wer demgegenüber auch den ärzt-
lich assistierten Suizid unter Strafe stellt – ich sage es
einmal deutlich: der Entzug der Approbation eines Arz-
tes ist auch eine solche Strafe –, der schafft ein fatales
Schweigen zwischen Arzt und Patienten,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Existiert doch gar nicht! – Dr. Eva Högl [SPD]: Gibt es doch gar nicht! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das passiert doch gar nicht!)


dass die existenzielle Not vieler Menschen nur noch ver-
größern wird.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Eine humane Gesellschaft muss in Situationen, in denen
Atemnot, Schmerzen, Angst und Verzweiflung nicht
mehr beherrschbar sind, auch die Kraft aufbringen, ster-
ben zu lassen. Ich will jedenfalls nicht, dass todkranke
Menschen dieses Land verlassen müssen, um frei verant-
wortlich ärztlich begleitet in Würde sterben zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann bei dieser
Debatte nicht um ein Entweder-oder gehen; wir müssen
vielmehr zu einem Sowohl-als-auch kommen. Menschen
muss das Ende ihres Lebens so erträglich wie möglich
gestaltet werden; das ist eine der Hauptaufgaben der Me-
dizin. Aber wenn es für den Einzelnen nicht mehr erträg-
lich ist, dann muss es auch die Möglichkeit geben, dass
dem Einzelnen geholfen wird, frei verantwortlich sein
Leben in Würde zu beenden. Auch das kann die Gewis-
sensentscheidung eines Mediziners sein, übrigens, eine
höchst individuelle Entscheidung – für den Patienten, für
seine Angehörigen, aber auch für den Arzt.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in diesem
Zusammenhang Grenzen und Extremsituationen, an die
Recht und Strafe nicht heranreichen. Diese Einsicht
sollte uns vor jedem Rigorismus in der Gesetzgebung
bewahren.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806605400

Vielen Dank, Burkhard Lischka. – Nächster Redner

ist Kai Gehring.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806605500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohl jeder hier
in diesem Raum hat so wie ich einschneidende Erfahrun-
gen machen müssen, geliebte Menschen zu verlieren, sie
beim Sterben begleitet zu haben, sei es auf der Intensiv-
station, in einer Pflegeeinrichtung oder in einem Hospiz.
Diese frühen persönlichen Erfahrungen und die Aus-
einandersetzung mit der Patientenverfügung haben mir
gezeigt: Sehr viele Menschen bewegt, was für sie ein
würdiges Lebensende bedeutet. Sie wollen, dass die
letztendliche Entscheidung über Leben und Tod bei ih-
nen verbleibt.

Sie, meine Damen und Herren, wissen: Nur die Hilfe
zur Selbsttötung, nicht aber die anderen Formen von
Sterbehilfe stehen heute zur Diskussion. Die passive und
die indirekte Sterbehilfe sind verbrieftes Patientenrecht,
bestehende Praxis, und sie stehen nicht zur Disposition.
Es geht im Kern um die Beibehaltung der Hilfe zur
Selbsttötung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Zusammen mit Renate Künast, Petra Sitte und vielen
anderen habe ich eine Position erarbeitet, für die ich
auch heute um Zustimmung werbe. Wir wollen kein Ver-
bot von Suizidbegleitung durch Ärzte und Sterbehilfeor-
ganisationen. Wir wollen, dass das Spektrum der letzten
Hilfe beim frei verantwortlichen Suizid so bleibt, wie es
ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Für uns ist der einzelne Mensch Souverän seines eigenen
Lebens. Nicht andere haben darüber zu entscheiden, wie
ich zu sterben habe. Für mich zählt, wie ein Mensch sein
Dasein einschätzt. Für mich zählen seine ganz persönli-
che Definition von Würde, die ganz persönliche Entschei-
dung, ob und, wenn ja, wie er oder sie in einer extremen,
unerträglichen Leidenssituation um Assistenz bittet.

Der Freitod ist hierzulande straffrei. Das soll auch so
bleiben; denn als Gesetzgeber haben wir diese wohl
schwerwiegendste aller Entscheidungen zu achten und
zu respektieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wir wollen, dass auch die Beihilfe zum Suizid weiter
straffrei bleibt, und zwar straffrei für alle infrage kom-
menden Gruppen, also die Angehörigen, die Ärzte und
die Sterbehilfevereine.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Das Strafrecht ist das schärfste Regelwerk einer Ge-
sellschaft, aber überhaupt keine adäquate Antwort für
Sterbende und Sterbewillige in existenzieller Not, die
um letzte Hilfe nachsuchen. Das Strafrecht ist auch kein
Ort, die eigene Weltanschauung oder Religion zum Maß-
stab für alle zu erheben, erst recht in einer so pluralisti-
schen und vielfältigen Gesellschaft, wie wir sie heute ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht. Es
braucht ein breites, flächendeckendes Angebot an Unter-
stützung, an helfenden Händen und ergebnisoffene Ge-
spräche, damit eine autonome Entscheidung getroffen
werden kann. Es ist bei allen Fortschritten der letzten
Jahre heute mitnichten so, dass alle, die Palliativversor-
gung oder Hospizhilfe suchen, ebendiese auch finden,
und das muss sich endlich ändern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten deswegen als Bundestag gemeinsam zual-
lererst beschließen, worüber hier heute offenbar Einig-
keit besteht: eine Ausbauoffensive sowohl für Hospize
als auch für Palliativmedizin.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Von der Koalition erwarte ich endlich auch eine Pflege-
reform, die gleiche Würde in Pflegeeinrichtungen si-
chert. Dafür braucht es deutlich mehr Geld, deutlich
mehr Personal, bessere Bezahlung und Ausbildung als
bisher.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Zu einem flächendeckenden Hilfesystem gehören für
mich und unsere Gruppe aber auch nichtkommerzielle
Sterbehilfevereine. Für diese schlagen wir klarere Re-
geln vor, vor allem mehr Transparenz durch Dokumenta-
tion und Rechenschaft über ihre Arbeit. Und: Man darf
mit Sterbehilfe kein Geld machen dürfen.





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Ich sage Ihnen, warum mir die Arbeit von Sterbehilfe-
vereinen so wichtig ist: weil es immer mehr Menschen in
diesem Land gibt, die gar keine Angehörigen haben oder
die kein Vertrauensverhältnis zu ihren Verwandten ha-
ben, die ganz bewusst über letzte Hilfe mit einem Arzt
oder einem Verein sprechen wollen und diese gegebe-
nenfalls um Suizidassistenz bitten. Wieso sollten wir das
diesen Menschen verwehren, indem wir ihre möglichen
Assistenten kriminalisieren? Wäre es nicht ethisch hoch-
problematisch, sterbewillige Patienten abzuweisen? Das
treibt mich um.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Die geäußerte Sorge, dass der heute erlaubte assis-
tierte Suizid den Druck erhöhe, sich umzubringen, teile
ich nicht. Dafür gibt es hierzulande keine belastbaren In-
dizien. Dem Druck Dritter muss und kann vorgebeugt
werden: durch gesellschaftliche Wachsamkeit, durch
ärztliche Achtsamkeit, also durch genaues Hinsehen und
genaues Hinhören. Ich habe erlebt, dass Menschen in
höchster Not die bloße Option der Suizidhilfe Ängste
nehmen kann, sei es vor Würdeverletzung oder vor völli-
gem Autonomie- oder Kontrollverlust im Sterben.

Daher ist unser Weg: Beihilfe zur Selbsttötung straf-
frei belassen; Ja auch zu Vereinen, aber mit klareren Re-
geln, damit die Freiheit zur Selbstbestimmung auch am
Lebensende gesichert ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806605600

Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächster Redner:

Michael Frieser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1806605700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich bin heute wirklich stolz, ein Mitglied
dieses Parlamentes zu sein, weil sich dieser Bundestag
mit dem richtigen und notwendigen sittlichen Ernst die-
ser Debatte widmet. Diesen Eindruck habe ich nicht im-
mer bei den Debatten. Die Tatsache, dass sich die Kolle-
gen so intensiv auch mit ihrer persönlichen Geschichte
und ihrer persönlichen politischen Motivation in diese
Debatte einbringen, zeigt, wie ich glaube, dass die politi-
sche Klasse, wenn man sie so bezeichnen darf, der vor
uns liegenden Aufgabe gerecht werden kann. Wir befin-
den uns allerdings erst am Anfang des Weges.

Ja, mir persönlich wäre auch wohler, wenn wir nichts
ändern müssten. Nein, es gibt keine Katastrophe in die-
sem Land. Aber Änderungsbedarf zeichnet sich ab. Or-
ganisationen, ob aus dem benachbarten Ausland oder im
Inland, und eine geänderte Rechtsprechung machen es
notwendig, dass auch wir uns mit der Frage des assistier-
ten Suizids beschäftigen. Deshalb bin ich sehr dankbar,
dass es gelungen ist, zusammen mit der Kollegin
Lücking-Michel und dem Kollegen Brand eine Position
zu beschreiben, die uns heute, wie ich sehe, doch mit
sehr vielen eint. Um es noch einmal deutlich zu machen:
Jede organisierte Form von Sterbehilfe, jede organisierte
Form von assistiertem Suizid treibt uns um, und wir wol-
len nicht, dass jemand alleine oder zu mehreren auf
Dauer angelegt mit Erwerbsabsicht oder ohne in diesem
Land den Tod auf Bestellung anbietet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diese Position braucht noch deutlich mehr Unterstützer,
auch in der Öffentlichkeit.

Wir wollen darüber hinaus nicht, dass gerade die
Menschen, die nahen Angehörigen, die in einer ganz
schweren existenziellen Situation mit einem Menschen,
den sie lieben, den sie schätzen und den sie bis zum letz-
ten Tag begleiten, kriminalisiert werden. Wir wollen
auch nicht in dieses emotional ganz stark belastete Ver-
hältnis, in dieses vertrauensvolle, intime Verhältnis eines
Arztes mit seinem Patienten hineinregieren. Deshalb
darf es kein Sonderstrafrecht für Ärzte geben. Deshalb
darf es keinen Katalog geben, mit dem wir beschreiben,
wie ein Arzt den assistierten Suizid zu erbringen hätte.

Es darf aber, wo wir schon nichts Organisiertes wol-
len, auch keinen damit in Zusammenhang stehenden
Ausnahmetatbestand geben. Was wäre denn die Folge?
Die Folge einer solchen Ausnahmeregelung wäre, dass
irgendwann eine Gebührenziffer für diesen Tatbestand
eingeführt werden müsste, dass irgendwann einmal gere-
gelt werden müsste, wie dies vonseiten der Berufshaft-
pflicht zu handhaben ist; denn ein Arzt, der sich auf die-
ses Terrain begibt – als Angehöriger eines freien Berufes
trägt er sowieso schon erhöhte Verantwortung –, muss
mögliche Fälle irgendwann auch einmal einer Berufs-
haftpflicht vorlegen können. Es stellt sich auch die Frage
der Ausbildung: Wollen wir in einem Land leben, in dem
der Tod als Gebührenziffer auftaucht?

All das sind Punkte, über die wir uns noch austau-
schen müssen. Deshalb ist es, wie ich glaube, entschei-
dend, dass wir gerade bei dieser Frage nicht den Ein-
druck erwecken dürfen, eine Tötung auf Verlangen sei in
Ausnahmefällen möglich für Menschen, die zum Bei-
spiel todkrank sind. Denn dann beginnen wir bei der
Leistungserbringung zwischen Krankheitsfall und nicht
Krankheitsfall zu unterscheiden. Ich bin gespannt, wie
lange so ein Vorgehen verfassungsrechtlich überhaupt
Bestand hätte und ob es nicht irgendwann dazu kommt,
dass sich auch der Gesunde dieses Recht auf Leistung ei-
ner Beihilfe, eines assistierten Suizids, im Grunde das
Recht auf diese Täterschaft erstreitet.

Wir müssen uns eines vor Augen halten: Im Augen-
blick sprechen wir noch von assistiertem Suizid. Aber ir-
gendwann, wenn dieser Fall des assistierten Suizids der
Normalfall, der Normfall in dieser Gesellschaft ist, wird
der Arzt vom Helfer zum Täter werden müssen. Diese
Gesellschaft wird nämlich, wenn das zur Normalität
wird, dem Arzt dies irgendwann als Forderung vorlegen.
Dann will man begleitet sein, und zwar nicht nur in
Form einer Beihilfe – bei der wir nichts ändern wollen –,





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)

sondern tatsächlich auch in der Form, dass wir dieses
Schicksal in die Hand des Arztes geben. Das ist eine
Entwicklung, die ich nicht gutheißen kann. Ich bin aber
schon heute der Überzeugung – das zeigt sowohl diese
Debatte als auch unser einheitlicher Wille, eine Alterna-
tive zu bieten –: Wenn wir uns aufschwingen und die
Frage regeln wollen, inwieweit Menschen am Ende ihres
Lebens dieses Ende tatsächlich gestalten wollen und
müssen, dürfen wir das nur tun, wenn wir in Palliativver-
sorgung und Hospizversorgung eine echte Alternative
anbieten und den Menschen deutlich machen, dass in
dieser Gesellschaft niemand durch die Hand eines ande-
ren, sondern an der Hand eines anderen sterben soll.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806605800

Vielen Dank, Michael Frieser. – Nächster Redner ist

Wolfgang Gehrcke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806605900

Schönen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Damen und

Herren und Kolleginnen und Kollegen! Ich denke schon,
dass es eine gemeinsame Verpflichtung des Bundestages
ist, Bedingungen zu schaffen, dass ein Mensch am Ende
seines Lebens oder im Falle einer schweren, nicht über-
windbaren Krankheit in Würde sterben kann, und dass
nicht die finanzielle Bedingungen darüber entscheiden,
ob er die Würde hat oder ihm die Würde genommen
wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann ihm auch durch finanzielle Bedingungen die
Würde nehmen.

Hier besteht Regelungsbedarf. Das liegt hier im Bun-
destag auf dem Tisch, und dem müssen wir uns stellen.
Wenn wir die Verhältnisse nicht ändern, sind viele Re-
den, die hier gehalten werden, hohle Reden. Leider
stimmt ja der Satz: Weil du arm bist, musst du früher
sterben.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Zehn Jahre!)


Ich kann dazusetzen: Aus meiner Sicht sind auch im Tod
nicht alle Menschen gleich. Wenn man sich anschaut,
wie Menschen sterben oder sterben müssen, kann man
die Feststellung: „Auch im Tod sind nicht alle gleich“
– das Ende ist gleich; aber im Tod sind nicht alle
gleich –, nur unterstreichen. Deswegen ist meine Bitte:
Lassen Sie uns gemeinsam die Verhältnisse ändern, da-
mit man wirklich in Würde leben und sterben kann.

Ich möchte einen zweiten Punkt aus meiner Sicht an-
sprechen. Ich stelle ihn anderen Auffassungen nicht ent-
gegen, sondern daneben. Zu meinem Verständnis von
Selbstbestimmung gehören die Selbstbestimmung der
Frau, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder
nicht, und die Selbstbestimmung, zu entscheiden, ob und
wann man seinem Leben ein Ende setzen will –


(Beifall der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE])


Nicht nur bei schweren Krankheiten, nicht nur im Alter:
Ein Mensch muss das Recht haben, über das eigene Le-
ben zu entscheiden. Dafür muss ihm Hilfe angeboten
werden, als soziales Ensemble, von der Medizin, von der
Kultur des Lebens und Sterbens, in vielfacher Hinsicht.
Das müssen wir leisten.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen muss mehr Geld in die Hospizversorgung
fließen und muss mehr Aufmerksamkeit auf sie gerichtet
werden. Wir müssen in der Gesellschaft darauf hinwir-
ken, das Menschenbild zu verändern. Das Menschen-
bild, das propagiert wird, ist: Ein Mensch ist, wer top
leistungsfähig ist. Alles andere, was von dieser Norm
abweicht, wird in der Gesellschaft schon kritisch be-
trachtet. Wir brauchen ein anderes Menschenbild in der
Gesellschaft, das wirklich die vielen Facetten, Verände-
rungen, Entwicklungen und die Unterschiedlichkeit der
Menschen zum Gegenstand hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin für mehr Gleichheit, ich bin aber auch für ein
sehr vielfältiges Menschenbild.

Ich möchte Ihnen zum Schluss gern einen Text vortra-
gen, der mich immer beschäftigt hat, den ich von Zeit zu
Zeit lese, bei dem ich nicht mit allem einverstanden bin,
der mich aber immer wieder anregt. 1911 haben in Paris
zwei für mich wichtige Personen den Freitod – ich be-
nutze diesen Begriff und nicht den Begriff „Selbst-
mord“ – gewählt: Jenny Marx, die Tochter von Karl
Marx, und Paul Lafargue. Paul Lafargue hat darüber ge-
schrieben, warum er und Jenny Marx den Freitod ge-
wählt haben. Ich will Ihnen das nicht vorenthalten. Er
schreibt:

Gesund an Körper und Geist töte ich mich selbst,
bevor das unerbittliche Alter, das mir eine nach der
anderen alle Vergnügen und Freuden des Daseins
genommen und mich meiner körperlichen und geis-
tigen Kräfte beraubt hat, meine Energie lähmt, mei-
nen Willen bricht und mich für mich und andere zur
Last werden lässt.

Das war seine Begründung, warum er mit seiner Frau
Jenny Marx zusammen den Freitod gesucht hat.

Die Aussage, man möchte nicht anderen zur Last fal-
len, beunruhigt mich. Ich bin nicht gläubig, aber da hat
das Christentum die schöne Begrifflichkeit: „Einer trage
des andern Last.“ Warum können wir nicht zusammen
über eine Gesellschaft nachdenken, in der Solidarität
und Selbstbestimmung keine Widersprüche sind? Für
eine solche Gesellschaft sollten wir eintreten. Dann hat
die Debatte hier einen Sinn. Lassen Sie uns die Verhält-
nisse ändern, die Verhältnisse, die aus den Menschen ge-





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

quälte Wesen machen; man findet sie massenhaft in so-
genannten Pflege- und Altersheimen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606000

Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke. – Nächster Redner:

René Röspel.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1806606100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! „Ich will selbst bestimmen, wie ich sterbe.“ Ich
glaube, jeder und jede in diesem Haus wird diesen Satz
unterschreiben können. Vor etwa zehn Jahre hat eine En-
quete-Kommission des Deutschen Bundestages sich mit
diesem Satz und mit der Frage befasst – einige waren da-
bei –, wie das Ende des menschlichen Lebens denn aus-
sehen soll. In vielen Gesprächen und Anhörungen haben
wir herausfinden können – das kann man auch ohne Ex-
pertenanhörungen –, wovor die Menschen Angst haben,
wenn sie an das eigene Lebensende denken. Es ist die
Angst davor, in Schmerzen, mit Leid und Qualen sterben
zu müssen; es ist die Angst davor, irgendwo einsam in
einem Krankenhaus am Ende des Flures oder in einem
Pflegeheim – das ist häufig der Fall – sterben zu müssen;
es ist die Angst, den lange hinausgezögerten Tod an ir-
gendwelchen Apparaten und Schläuchen hängend erle-
ben zu müssen. Diese Ängste und diese Eindrücke wur-
den häufig durch schlechte Bilder und negative Beispiele
aus Pflegeheimen verstärkt – es gibt sie –, durch extreme
Krankheitssituationen, die sich keiner von uns wünscht
und die Frage aufkommen lassen: Was ist eigentlich der
Ausweg aus diesem Dilemma?

Besser wurde es auch nicht dadurch, dass, wie wir vor
zehn Jahren herausgefunden haben, viele Ärztinnen und
Ärzte nicht wirklich in der Lage waren und sind – es hat
sich gebessert –, zu unterscheiden, was überhaupt mög-
lich und erlaubt ist. Untersuchungen und gute Studien
zeigten, dass ein Therapieabbruch, ein Behandlungsab-
bruch, der erlaubt, der zulässig ist, dass das Abschalten
von Apparaten, das erlaubt ist, häufig als aktive Sterbe-
hilfe angesehen wurden, die verboten ist. Den Richterin-
nen und Richtern ging es häufig auch so. Das hat es si-
cherlich nicht besser gemacht. Denn vieles wurde als
verboten angesehen, was doch zulässig, erlaubt und
sinnvoll ist.

Was ist jetzt die Antwort auf die Ängste, die die Men-
schen umtreiben? Ist es wirklich, wie gefordert wird,
mehr Selbstbestimmung? Ich gebe zu, ich verstehe dies
nicht wirklich. Das Selbstbestimmungsrecht ist eines der
höchsten Verfassungsrechte, die wir haben. Ich glaube,
es wird in Deutschland wirklich garantiert. Niemand
darf gegen seinen Willen von seinem Arzt behandelt
werden. Wenn Ihr Arzt etwas machen will und Sie es
nicht wollen und sagen: „Lass es sein!“, dann hat er es
zu lassen. Das ist Selbstbestimmungsrecht.
In Deutschland ist auch der Freitod zulässig; die
Selbsttötung ist nicht strafbar. Wer sich dazu entscheidet
– wir alle wollen sicherlich jeden davon abhalten, den
Freitod zu wählen –, darf das tun. Zulässig ist in
Deutschland auch die Beihilfe zur Selbsttötung. Wer
sagt: „Ich kann das nicht alleine“, und jemanden findet,
der den Schierlingsbecher hinstellt, der kann das tun las-
sen. Er muss allerdings selbst den Becher oder den
Strohhalm in die Hand nehmen und selbst trinken.

Was also ist die Forderung nach mehr Selbstbestim-
mung? Eigentlich kann es nur um den Fall gehen, in dem
jemand sagt: Ich kann mich nicht mehr selbst töten, ich
will mich nicht mehr selbst töten; mach du das bitte für
mich! – Das ist Tötung auf Verlangen oder aktive Sterbe-
hilfe – aus meiner Sicht der Rubikon, der nicht über-
schritten werden darf.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich glaube nicht, dass es eine Antwort auf die Ängste
der Menschen ist, jetzt, wie es eines der Positionspapiere
vorsieht, gesetzlich und sehr eng zu regulieren, inwie-
weit Ärzte diese Beihilfe zum Suizid leisten dürfen. Ich
glaube, dass der Automatismus sein wird, dass gefragt
werden wird – wir haben das bei der Patientenverfü-
gungsdiskussion vor fünf Jahren gehabt –: Warum macht
ihr das nur für diesen kleinen Bereich? Wann kommt der
nächste Schritt, und mit welcher Begründung vollzieht
ihr diesen nächsten Schritt nicht, mehr zuzulassen? Ich
glaube, das wird uns nicht weiterführen.

Ich bin auch sehr überzeugt, dass nicht Antwort sein
kann, das Treiben der Sterbehilfevereine weiter zuzulas-
sen, sondern – das ist der Punkt, wo ich mich mit Eva
Högl, Kerstin Griese und anderen treffe – zu überlegen
ist, wie wir das Treiben der organisierten Sterbehilfever-
eine eindämmen und verhindern oder verbieten können.

Meiner Überzeugung nach ist die Antwort auf die
Ängste, die die Menschen umtreiben, nicht mehr Selbst-
bestimmung, sondern mehr Fürsorge. Wir nehmen den
Menschen die Angst vor Schmerzen, wenn wir ihnen die
Schmerzen nehmen, und wir nehmen ihnen die Angst
vor Einsamkeit, wenn wir Hospizsysteme ausbauen,
wenn wir eine Gesellschaft haben, die Einsamkeit nicht
mehr so zulässt, wie es jetzt der Fall ist. Wir brauchen
Nächstenliebe und Solidarität.

Das sind genau die Punkte, die auch die Enquete-
Kommission vor zehn Jahren in einem guten Bericht
vorgeschlagen hat, von dem vieles umgesetzt worden ist;
denn Medizinstudenten lernen mittlerweile Palliativme-
dizin. Es gibt den Rechtsanspruch auf Palliativmedizin
und -pflege. Auch die Hospizarbeit wird ausgebaut, aber
wir haben noch längst nicht eine flächendeckende Pallia-
tivversorgung. Es muss also noch viel getan werden. Da
bin ich froh über das, was Elisabeth Scharfenberg vor-
schlug: Warum führen wir nicht einmal eine vierstündige
Debatte über Pflege und darüber, wie wir das Leben ver-
bessern können, und vor allen Dingen darüber, wie wir
das finanzieren, denn das gehört zur Ehrlichkeit dazu?


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






René Röspel


(A) (C)



(D)(B)

Folgender abschließender Gedanke sei mir erlaubt,
weil er noch relativ frisch ist. Wir haben vor drei oder
vier Wochen in Gevelsberg ein ambulantes Hospiz
eingeweiht, und ich habe – wie wahrscheinlich alle –
größten Respekt vor der Arbeit der vielen Tausend
Ehrenamtlichen in Deutschland, die in ambulanten oder
stationären Hospizen Sterbebegleitung leisten. Das sind
für mich die stillen Helden unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir diesen stillen Heldinnen – meist sind es Hel-
dinnen – und Helden etwas besser zuhören würden,
wüssten wir vielleicht auch, wie wir das Sterben mensch-
licher und würdiger gestalten können.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606200

Vielen Dank, René Röspel. – Nächster Redner ist

Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sterben

ist nie würdelos, aber die Umstände und die Versorgung,
unter denen Menschen in unserem Land an schweren
Krankheiten leiden oder sterben, sind es oftmals leider
schon. Deshalb muss es in dieser Debatte meines Erach-
tens auch um die Lebensqualität im Sterben gehen, denn
die Situation vieler Sterbender, die viele Menschen gese-
hen oder über die sie in Berichten gelesen haben, findet
Ausdruck in dem breit verankerten Wunsch, man solle
da doch mehr zulassen.

Im Kern der Debatte geht es um den grundgesetzli-
chen Auftrag an den Gesetzgeber, Freiheit und Leben
der Menschen zu schützen. Artikel 2 unseres Grundge-
setzes konkretisiert die Würde des Menschen darin, dass
das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit der
Menschen, aber auch das Recht auf Leben und körperli-
che Unversehrtheit geschützt sind. Wir haben also die
Aufgabe, dem Willen des Sterbenden Rechnung zu tra-
gen und sein Recht auf Leben und körperliche Unver-
sehrtheit in den Mittelpunkt zu stellen.

Das große Problem, das wir haben, besteht darin:
Rechtsrahmen und Rechtswirklichkeit klaffen in unserer
Gesellschaft in den Krankenzimmern, in den Hospizen
und im häuslichen Bereich der Menschen leider drama-
tisch auseinander. Die Rechtsordnung hat längst durch
Urteile des Bundesgerichtshofes klargestellt, dass pas-
sive und indirekte Sterbehilfe erlaubt sind. Aber es ist
nicht im Bewusstsein vieler Ärzte und Krankenhäuser,
dass eigentlich jeder medizinische Eingriff eine Körper-
verletzung darstellt und sie nur durch die Einwilligung
des Patienten gerechtfertigt wird.

Auch am Krankenbett müssen Ärzte Patienten und
ihre gesetzlichen Vertreter befähigen, informierte Ent-
scheidungen zu treffen. Sie sollten nicht einfach Appa-
rate anbieten und medizinische Prophylaxebehandlun-
gen, die ein Patient seit Jahrzehnten mitbringt,
gedankenlos fortsetzen. Vielmehr müssen sie mit dem
Patienten darüber reden: Was nützt dir in dieser konkre-
ten Situation für deine Lebensqualität, und was ist
lebensverlängernd und damit unter Umständen auch
qualenverlängernd? Darüber findet oftmals kein reflek-
tierter Prozess statt, sodass die Patienten und ihre Ange-
hörigen keine informierte Entscheidung treffen können.
Ich würde gerne eine Debatte über diesen Punkt führen.
Wir müssen überlegen, wie man gesetzlich die Informa-
tion stärker in den Mittelpunkt des medizinischen Auf-
trags der Ärzte stellt; denn hier geht es tatsächlich um
den Schutz des Lebens und um den Schutz der Selbstbe-
stimmung der Sterbenden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Palliativversorgung
wurde in dieser Debatte immer wieder in den Vorder-
grund gestellt. Ich musste vor einigen Jahren in dieser
Stadt die Erfahrung machen, wie es um die Palliativ-
versorgung tatsächlich bestellt ist. Ich muss sagen: Wäre
ich nicht so entscheidungserfahren, durchsetzungsstark
und jung, dann wäre ich an dieser Aufgabe gescheitert.
Es gibt selbst in einer Stadt wie Berlin keine verlässliche
ambulante palliative Versorgung, es gibt Ansätze dazu.
Wir haben auch viel Geld dafür auf den Tisch gelegt.
Was Sie zum Thema ambulante Palliativversorgung vor-
gelegt haben, Herr Gröhe, löst die Probleme nicht. Es
kann doch nicht sein, dass ein älterer Mensch, der seinen
Lebenspartner oder Ehegatten zu Hause versorgen will,
weil er austherapiert ist und weil sie denken: „Es ist
schöner, wenn wir gemeinsam die letzten Stunden in der
gewohnten Umgebung verleben können“, sich als Mana-
ger dieses Versorgungssystems bewähren muss, dass er
dem standhalten muss, dass er Apothekengänge, den Be-
such von Pflegediensten und Ärzten – die Fachärzte
kommen noch nicht einmal – organisieren muss, damit
sein Angehöriger anständig versorgt ist. Eigentlich will
er sich um seinen Partner kümmern, aber er kommt gar
nicht mehr dazu, das Zwischenmenschliche, das Ab-
schiednehmen in den Mittelpunkt zu stellen, weil das in
unserer Versorgung nicht vorgesehen ist. Hier müssen
wir dringend etwas tun. Das Thema Palliativversorgung
sollte nicht Ausrede in der jetzigen Debatte über das
Strafrecht sein. Wir müssen es anpacken. Ich denke, die-
ses Thema können wir über alle Positionen hinweg in
Angriff nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Ich will ein letztes Wort zum Strafrecht sagen. Ich
finde, das Strafrecht muss nicht im Zentrum stehen. Wir
müssen vielmehr darüber reden, ob wir wollen, dass die
Beihilfe zum Suizid eine ganz normale Dienstleistung
ist, die in der Gesellschaft angeboten werden kann. Ich
will den Suizid und die Beihilfe zum Suizid grundsätz-
lich straflos lassen. Durch die organisierte und ge-
schäftsmäßige Form verändert sich unsere Gesellschaft
aber in einer Art und Weise, dass es dann am Ende des
Lebens tatsächlich zwei Wege gibt: den normalen, bei





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

dem man dem Tod eine Chance lässt, und den anderen,
bei dem man den Weg abkürzt. Das macht Druck auf die
Menschen, die sich im Sterbeprozess befinden.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606400

Herr Kollege.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606500

Deshalb ist es gerechtfertigt, die organisierten und ge-

schäftsmäßigen Formen strafrechtlich zu unterbinden,
ohne die Beihilfe, auch die durch Ärzte, grundsätzlich
unter Strafe zu stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606600

Vielen Dank, Volker Beck. – Nächste Rednerin ist

Annette Widmann-Mauz.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1806606700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

So wie wir heute hier diskutieren, tun wir das nicht all-
gemein und abstrakt als Politikerinnen und Politiker, die
pragmatisch einen Interessenausgleich suchen, wie wir
das an dieser Stelle sonst häufiger tun. Nein, heute de-
battieren hier zuallererst Menschen, Menschen, die Er-
fahrungen mit sterbenden Angehörigen und Freunden
haben, Menschen, die sich auch ganz persönlich fragen:
Wie möchte ich sterben? Viele sagen: „Ich möchte in
Würde sterben“, und sie verstehen dabei unter „Würde“
sehr Unterschiedliches. Die einen verstehen darunter,
dass sie ihren Tod mit ärztlicher Assistenz zu einem
bestimmten Zeitpunkt herbeiführen können. Andere ver-
stehen unter würdevollem Sterben, dass sie nicht allein-
gelassen, sondern von Menschen liebevoll begleitet wer-
den, dass sie keine Schmerzen haben und, wie man sagt,
in Frieden gehen können, in Frieden mit sich, mit dem
eigenen Leben versöhnt, mit Menschen, denen man Un-
recht getan hat oder die einem Unrecht getan haben. Re-
ligiöse Menschen wie ich mögen hinzufügen: und in
Frieden mit Gott.

Aber, ob religiös oder nicht, wir sollten uns dabei im
Klaren sein: Diesen Frieden kann man nicht machen,
auch die moderne Medizin nicht. Dieser Friede lässt sich
nicht an- und verordnen. Auch alle Vorkehrungen und
Bedingungen für Selbsttötungshilfe, die sich ersinnen
lassen, schaffen diesen Frieden nicht. Die moderne
Medizin kann aber im Sterben helfen, und zwar in einem
Maße, das leider noch immer zu wenig bekannt ist. Der
Tod wird deshalb nie sein Unheimliches verlieren; aber
wir sollten uns und auch andere nicht in zusätzliche
Ängste hineinreden.

Mir sagte vor einiger Zeit ein sehr erfahrener Pallia-
tivmediziner, auch er habe Patienten gehabt, die ihn aus
lauter Angst vor dem qualvollen Sterben um Suizidhilfe
gebeten hätten. Er habe aber nie – er betonte: nie – er-
lebt, dass sie an ihrem Suizidwunsch festgehalten hätten,
sobald er und sein spezialisiertes ambulantes Palliativ-
team mit der Schmerztherapie angefangen haben. In der
Regel sei bereits nach einer schmerzfrei durchgeschlafe-
nen Nacht der Lebenswille wieder da, spätestens nach
zwei, drei schmerzfreien Tagen. In all den Jahren seiner
Arbeit habe er einen Suizid erlebt, aber gerade dieser Pa-
tient habe zuvor nie über seinen Wunsch gesprochen.

Meine Damen, meine Herren, diese medizinischen
Möglichkeiten gibt es also, und – verschiedentlich
wurde schon darauf hingewiesen – es gibt alle rechtli-
chen Möglichkeiten, Behandlungen zu untersagen oder
abbrechen zu lassen. Was zu tun bleibt, ist, über diese
Möglichkeiten aufzuklären, ihre Nutzung zu fördern und
die Lücken, die in der Palliativ- und Hospizversorgung
noch existieren, zu schließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben in den letzten Jahren die Bedingungen der
schmerzlindernden Medizin und der Palliativversorgung
bereits verbessert. Ich nenne nur den Aus- und Aufbau
der spezialisierten ambulanten Teams. Ich nenne die
Neuregelungen im Betäubungsmittelrecht und die Ver-
ankerung der Palliativmedizin als Pflicht- und Prüfungs-
fach in der ärztlichen Ausbildung. Ich selbst habe im
Bundesministerium für Gesundheit das Forum „Pallia-
tiv- und Hospizversorgung in Deutschland“ ins Leben
gerufen, das der Vernetzung wichtiger Akteure dient und
das zentrale Ziel verfolgt, die Hospiz- und die Palliativ-
versorgung in der Regelversorgung besser zu verankern
und weitere Bedarfe zu identifizieren.

Ganz in diesem Sinne haben wir jetzt konkrete Vor-
schläge für eine gezielte, flächendeckende Weiterent-
wicklung der Hospiz- und Palliativversorgung vorgelegt.
Lieber Kollege Beck, es lohnt, sich mit diesem Papier zu
befassen;


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ich eine Zwischenfrage stellen dürfte!)


denn Themen wie die Pflegevorausplanung und das Ziel,
dass man sich auf ein funktionierendes Netz verlassen
kann, sind darin nicht nur adressiert, sondern es werden
auch konkrete Lösungsmöglichkeiten angesprochen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wenn das Sterben eine Herausforderung bleibt,
die wir nicht wegreglementieren können, sind wir, denke
ich, auf einem guten Weg, das voranzubringen und be-
reitzustellen, was den Menschen in ihrer letzten Lebens-
phase wirklich hilft.

Nun sagen einige: Es gibt aber Ausnahmefälle, die
wollen einfach nicht weiterleben, trotz aller Möglichkei-
ten der Schmerztherapie. Sollen die sich denn weiterhin
vor den Zug werfen müssen? – Ich möchte dazu sagen:
Die allermeisten der 10 000 Menschen, die sich in unse-
rem Land jährlich das Leben nehmen, und der 100 000,
die es versuchen, tun dies nicht, weil sie sterben wollen,
sondern weil sie so nicht weiterleben wollen. Wir kön-
nen viel dafür tun und wir tun viel dafür, ihnen zu einem





Annette Widmann-Mauz


(A) (C)



(D)(B)

anderen, von ihnen wieder als lebenswert empfundenen
Leben zu verhelfen.

Ich rate auch davon ab, genau diese Menschen dann
dafür in Anspruch zu nehmen, das Anliegen oder die
Möglichkeit des ärztlich assistierten Suizids rechtlich zu
regulieren. Menschen, die in einer solchen verzweifelten
Lage ihres Lebens sind, die befolgen keine Prozeduren,
die suchen keinen Arzt auf, um ihn davon zu überzeu-
gen, dass die Kriterien für die straffreie Suizidhilfe
erfüllt sind. Erst recht gehen sie nicht, wie ein Gesetzent-
wurf dies ernsthaft vorsieht, zu einem zweiten Arzt, der
die Zulässigkeit der Suizidhilfe bestätigen müsste.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806606800

Frau Kollegin, bitte.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1806606900

Meine Damen, meine Herren, das ist eine Bürokrati-

sierung des Todes, die wir nicht brauchen, weil sie nicht
wirklich hilft. Es geht dem Sterbenden nicht um Proze-
duren und Verwaltungsverfahren, sondern es geht um
persönliche Zuwendung, menschliche Begleitung, pro-
fessionelle Hilfe, Vertrauen und Verantwortung.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806607000

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1806607100

Frau Präsidentin, gestatten Sie mir noch einen Satz? –

Die Menschen in Deutschland sollen das uneinge-
schränkte Vertrauen haben, dass ihnen der Arzt, der an
ihr Bett tritt, helfen will. Die Ärzte müssen immer
wieder neu beantworten, was ihre Verantwortung ist: ihr
berufliches Selbstverständnis und ihr Berufsethos auf
der einen Seite und ihre individuelle Verantwortung ge-
genüber dem einzelnen ihnen anvertrauten Patienten auf
der anderen Seite. Sie müssen erkennen und anerkennen:
Wenn keine Chance auf Heilung mehr besteht, dann
dürfen und sollen sie sich ganz der Schmerzlinderung
widmen. Schließlich mögen sie in den wenigen gesetz-
lich nicht fassbaren Einzelfällen, in denen einem Men-
schen einfach nicht mehr zu helfen ist, weil er nicht
mehr will, das tun, was sie vor ihrem Gewissen verant-
worten können.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806607200

Frau Kollegin, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen!


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1806607300

Im Zweifel, in individuellen Grenzsituationen

menschlicher Existenz gilt: Das Recht kann das Gewis-
sen nicht ersetzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806607400

Ich bitte wirklich alle Kollegen, sich an die vereinbare

Redezeit zu halten. Das war jetzt deutlich überzogen. Es
tut mir in dieser sehr spannenden und sehr intensiven
Debatte sehr leid, das sagen zu müssen. Aber Sie haben
fast doppelt so lang geredet. – Jetzt kommt Dr. Johannes
Fechner.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1806607500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir beginnen heute
eine Debatte darüber, wie würdevolles und selbst-
bestimmtes Sterben ermöglicht werden kann. Das ist zu-
nächst eine ethische Debatte, aber auch mit vielen juris-
tischen Fragen verbunden. Als Rechtspolitiker möchte
ich mein Augenmerk heute auf die rechtlichen Fragen le-
gen.

Wenn wir diese Diskussion heute führen, sprechen
wir über den höchstpersönlichen Lebensbereich unserer
Mitbürgerinnen und Mitbürger. Da müssen wir uns ganz
besonders fragen: Wieso gibt es überhaupt gesetzgeberi-
schen Handlungsbedarf? Wo müssen wir als Gesetzge-
ber überhaupt tätig werden?

Die derzeitige Rechtslage sieht so aus, dass die aktive
Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen strafbar ist und die
Beihilfe zur Selbsttötung – der sogenannte assistierte
Suizid – straffrei ist. Aus meiner Sicht geht es genau
darum, dass der ärztlich assistierte Suizid auf jeden Fall
straffrei bleibt. Ich glaube, dass die Ärzteschaft mit den
Möglichkeiten, die sie nach der heutigen Rechtslage
schon hat, sehr verantwortungsvoll umgeht.

Wo also sehe ich den Handlungsbedarf? Nach einer
Umfrage der Bundesärztekammer sind 30 Prozent der
Ärzte bereit, die schwierige Aufgabe der Sterbehilfe, der
Sterbebegleitung zu übernehmen. Weil das eine schwie-
rige Aufgabe ist, finde ich, dass wir die Ärzte, die diese
Aufgabe übernehmen möchten, nicht einmal dem theo-
retischen Risiko aussetzen sollten, ihre Zulassung zu
verlieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Damit ich komme ich zum ärztlichen Standesrecht.
Die Berufsordnungen der Ärztekammern enthalten einen
regelrechten Flickenteppich. So heißt es in § 16 der Be-
rufsordnung in Brandenburg, dass Ärzte keine Hilfe zur
Selbsttötung leisten dürfen, wohingegen sie in Westfa-
len-Lippe lediglich keine Hilfe leisten sollen. In Bayern
und Baden-Württemberg heißt es lediglich recht allge-
mein, Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter
Achtung ihres Willens beizustehen. Ich finde, dass Ärzte
Rechtssicherheit brauchen, wenn sie diese schwierigen
Aufgaben übernehmen. Deswegen sehe ich hier einen
Regelungsbedarf.

Das führt uns natürlich zu der Frage – ich räume ein,
dass es verfassungsrechtlich schwierig ist –, ob der Bun-
desgesetzgeber hier tatsächlich eine Kompetenz hat.
Aber ich will Ihnen meine Zweifel, ob eine Landesärzte-
kammer diese wesentliche Frage der Sterbehilfe über-
haupt regeln kann, nicht verheimlichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Dr. Johannes Fechner


(A) (C)



(D)(B)

Ich glaube, dass wir im Verfahren durchaus darüber
sprechen müssen, ob wir als Bundesgesetzgeber hier
nicht doch eine Gesetzgebungskompetenz haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wichtig ist mir dabei, dass klargestellt wird, dass es
auf keinen Fall einen Rechtsanspruch eines Patienten ge-
genüber einem Arzt geben darf. Diese Frage ist für den
Arzt viel zu schwierig, als dass es hier einen Anspruch
geben sollte. Ich denke, unser Hauptaugenmerk sollte
auf einer einheitlichen, rechtssicheren Regelung für die
Ärzte liegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt. Ich halte, wie gesagt, die momen-
tane Rechtslage für gut und nur in Nuancen für zu än-
dern, aber da, wo wir Auswüchse haben – das ist mehr-
fach angesprochen worden –, nämlich bei der
organisierten Sterbehilfe, müssen wir, finde ich, eingrei-
fen. Für mich ist ein Punkt ganz wichtig, nämlich dass
Sterbehilfe in Deutschland kein Geschäftsmodell sein
darf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es darf nicht sein, dass erhebliche Summen genom-
men werden und dann noch höhere Summen, wenn man
„früher bedient“ werden möchte. Was ich auch für be-
sonders bedenklich halte, ist, dass bei diesen Vereinen
und Organisationen selten differenziert wird, ob jemand
überhaupt in der Lage ist, frei verantwortlich die Ent-
scheidung zu treffen, ob er nicht depressiv ist oder ob es
nicht psychische Erkrankungen gibt, die ihn einschrän-
ken. Ich meine also, dass wir da genau prüfen sollten, ob
im Gewerberecht, im Vereinsrecht oder – dazu tendiere
ich – im Strafrecht eine gesetzgeberische Lösung erfor-
derlich ist, um das Treiben dieser Vereine, diese Aus-
wüchse zu unterbinden.

Ich komme zum Schluss. Ich meine, dass die rege-
lungsbedürftigen Punkte überschaubar sind, dass wir in
diesem höchstpersönlichen Bereich nur im Sinne der
Rechtssicherheit für die Ärzte eingreifen und den Miss-
brauch der Sterbehilfe durch die Organisationen ein-
schränken sollten. Wenn ein Dammbruch befürchtet
wird, dann lassen Sie uns darüber diskutieren, ob wir
nicht eine Norm auf Bundesebene brauchen, die konkret
die Regelungen einschränkt, wann der ärztlich assistierte
Suizid zulässig sein soll, um eben die Verhältnisse, wie
wir sie in Belgien haben, einzuschränken.

In diesem Sinne herzlichen Dank. Ich freue mich auf
die Diskussion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806607600

Vielen Dank, Dr. Fechner. – Nächster Redner: Rudolf

Henke.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1806607700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Herr Fechner hat von der
Frage gesprochen, ob man nicht doch diese Vereine ver-
bieten sollte. Es hat ja zumindest – zuletzt 2012 – von
dem prominentesten dieser Vereine, „Sterbehilfe
Deutschland“, von Roger Kusch geleitet, eine Übersicht
über das gegeben, was dort vollzogen worden ist. Von
diesem Verein wird berichtet, dass 26 Personen im Jahr
2011 Sterbehilfe, Suizidassistenz in Anspruch genom-
men haben. Sechs dieser Suizidenten waren körperlich
gesund, nur sechs weitere Personen litten überhaupt an
einer tödlichen Krankheit. Bei neun ist der Suizid ohne
jede Diskussion über Alternativen vollzogen worden.
Das geht aus den Dokumentationen des Vereins selbst
hervor. Solchen Geschäften, ob sie kommerziell betrie-
ben werden oder im Gewand eines Vereins, der Mit-
gliedsbeiträge nimmt, solchen Usancen müssen wir,
glaube ich, ein Ende bereiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Ich komme zu dem Thema Wertungswiderspruch. In
dem Positionspapier von Peter Hintze, Carola Reimann,
Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und anderen wird
gesagt, es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Patien-
ten einerseits das Recht haben, dass ihre medizinische
Behandlung auch gegen ärztlichen Rat auf Wunsch je-
derzeit abgebrochen werden kann, ihnen andererseits
aber eine ärztliche Hilfe bei der selbstvollzogenen Le-
bensbeendigung vorenthalten wird. Wenn das ein Wer-
tungswiderspruch ist, warum ist das dann nur ein Wer-
tungswiderspruch in Situationen unerträglichen Leids, in
Situationen, in denen Palliativversorgung nicht mehr
möglich ist, in Situationen, in denen das Leiden so ex-
trem ist, dass man – so hat es Herr Lischka eben ausge-
drückt – von einem „Verrecken“ spricht? Wenn es in be-
stimmten Situationen möglich ist, die Behandlung
abzubrechen, und es ein Wertungswiderspruch dazu ist,
wenn man dann keine selbst vollzogene Lebensbeendi-
gung mithilfe anderer als Anspruch durchsetzen kann,
dann muss das eigentlich – gedanklich – immer gelten.

Im Übrigen ist meine Sorge, dass wir dann, wenn wir
das realisieren, in der Tat mit einer gänzlich anderen Er-
wartung der Menschen konfrontiert sein werden, als sich
mit dem Ausdruck der Suizidassistenz verbindet. Denn
in Wirklichkeit wollen die Menschen doch nicht, dass
der Arzt ihnen einen Becher mit Pentobarbital hinstellt,
dann das Zimmer verlässt und sich nicht weiter um sie
kümmert,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Tja, aber wer soll es machen?)


sondern sie wollen doch, dass der Arzt da bleibt. Sie
wollen auch, dass der Arzt sie dabei begleitet, dass er,
wenn der Suizid nicht gelingt, irgendwie interveniert,
dass er, wenn sie sich übergeben, irgendwie interveniert,
dass er auch dann, wenn sie sich quälen, während sie
sterben, interveniert. Was sie eigentlich wollen, ist eine
komplette Präsenz und auch Herrschaft des Arztes über
diesen Prozess. Deswegen sage ich: Die Abgrenzung zur
Tötung auf Verlangen ist sehr, sehr unscharf, und diese





Rudolf Henke


(A) (C)



(D)(B)

Grenze wird mit der Zeit notwendigerweise verschwim-
men.

Ich glaube, dass wir vor ein paar Missverständnissen
stehen, die ausgeräumt werden müssen: Es ist oft die
Rede davon gewesen, die Ärzte seien von einem Appro-
bationsentzug bedroht. Ja, mit Sicherheit nicht durch die
Ärztekammern.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Keine Ärztekammer in Deutschland kann die Approba-
tion entziehen, sondern das ist eine Entscheidung, die
von der dafür eingerichteten staatlichen Instanz – das
sind in der ganz überwiegenden Zahl der Bundesländer
die Bezirksregierungen – getroffen wird. Ich finde es
auch sehr missverständlich, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wenn immer so getan wird, als sei einzig die
Durchsetzung der Suizidabsicht ein Sterben in Würde.
Was ist es denn, das nicht zu tun? Ist das kein Sterben in
Würde?


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das eine ist selbstbestimmt. Ist das andere nicht selbst-
bestimmt?

Es ist der Satz gesagt worden, die moderne Medizin
würde dazu beitragen, dass es chronische Krankheiten,
Siechtum, chronische Leiden und sichere Unheilbar-
keitsprognosen gibt. Nein, das bringen unsere Bedingt-
heit als sterbliche Menschen und ein auch mit eigenem
Leiden konfrontiertes Leben mit sich. Wir sollten uns
davor hüten, den einen Helfern Hilfe zu attestieren und
den anderen nicht.

Ich habe eine letzte Bitte. Wenn ich einmal sterbe, bin
ich nicht bange vor Schmerzen; ich glaube, die Medizin
konnte da noch nie besser helfen als heute. Ich bin aber
bange davor, dass ich dann vielleicht alleine bin, dass
mich keiner berührt, dass ich meine letzten Dinge nicht
regeln kann und dass ich vielleicht nur wenige Chancen
habe, nach dem Sinn zu fragen, ihn zu erfahren, ihn mit
anderen zu besprechen. Deswegen: Palliativhilfe und
das, was wir uns da jetzt vornehmen, sind viel, viel mehr
als die Linderung körperlichen Leids. Es geht um die
Überwindung des sozialen Todes eines Todkranken vor
dem körperlichen Tod. Lassen Sie uns daran arbeiten!


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806607800

Vielen Dank, Rudolf Henke. – Nächster Redner:

Patrick Schnieder.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Patrick Schnieder (CDU):
Rede ID: ID1806607900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich will mich – wie alle, die hier um die richtige
Antwort auf die Frage, die sich uns stellt, ringen – dem
Ausgangspunkt und dem Kern des Problems zuwenden.
Das ist der Todeswunsch des Einzelnen, den er in einer
Situation angesichts von Leid, von Schmerzen, von Kon-
trollverlust, von der Angst vor dem Verlust der Selbst-
ständigkeit formuliert, der ein existenzieller ist, auf den
wir eine Antwort finden wollen.

Wenn wir uns diesen Todeswunsch anschauen, dann
stellen wir fest, dass er zunächst ein Schrei nach Hilfe
ist. Er besagt: Ich will in der Situation, in der ich mich
befinde, nicht sterben. Ich möchte nicht so sterben, wie
mir das im Moment droht. – Deshalb können wir vielen,
die diese Frage stellen und die sich in dieser Notsituation
befinden, mit der Palliativmedizin und mit dem Ausbau
der Hospize eine Antwort geben. Ich will nicht ver-
schweigen, dass es dann immer noch Menschen geben
wird, die bei ihrem Tötungswunsch bleiben, die keine
andere Lösung sehen und für die wir, vielleicht auch die
Medizin, keine letztlich befriedigende Antwort anbieten
können.

Ich will ausdrücklich sagen: Es ehrt alle, die dafür
eine Lösung finden wollen, egal wie sie aussieht. Das
nimmt jeder für sich in Anspruch. Ich glaube aber, dass
man sich in dem Moment nicht nur auf den Einzelfall fo-
kussieren darf, sondern sich auf die Fragen zubewegen
muss: Was bedeutet die Antwort, die ich darauf gebe, für
all die anderen in einer Gesellschaft? Welche Wirkung
hat das auf eine Gesellschaft? Sind solche Extremsitua-
tionen und Fälle, wie sie zum Beispiel Peter Hintze ge-
schildert hat, geeignet, Grundlage einer allgemeinen ge-
setzlichen Regelung zu werden?

Ich möchte Udo Di Fabio zitieren, der sehr treffend
gesagt hat:

Eine Gesellschaft, die ihre Hand zur Selbsttötung
reicht, verändert den Umgang mit dem menschli-
chen Leben.

Das beschreibt neben der Wirkung auf den Einzelnen,
der in seiner Not schreit, das, was wir anderen Menschen
damit antun, welchen Rahmen wir bieten und in welcher
Gesellschaft und in welchem Staat wir leben. Deshalb
glaube ich, dass wir neben dem Recht auf Selbstbestim-
mung und der Freiheit des Individuums fragen müssen:
Was prägt eine Gesellschaft? Gerade auf diese grund-
sätzliche Frage müssen wir eine Antwort geben.

Es besteht Regelungsbedarf in einem begrenzten Fall,
nämlich in dem Fall der hier beschriebenen organisierten
und/oder geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Wir drohen hier
in eine Situation zu geraten, in der das Drama, das jeder
Suizid darstellt, zu einer normalen, gesellschaftlich ak-
zeptierten Option wird. Daraus kann ein Klima entste-
hen, das ältere, kranke und schwache Menschen unter
Druck setzen könnte, anderen nicht zur Last zu fallen,
sondern diese akzeptierte, vielleicht normale Option zu
wählen.

Aus der Menschenwürde folgt nicht nur, die Selbstbe-
stimmung zu maximieren, sondern auch, den anderen zu
zeigen: Wir haben eine Pflicht zum Schutz des Lebens
und dafür, für das Leben einzutreten. Das kann auch an-
gesichts der betroffenen Rechtsgüter wegen der Signal-
wirkung, die wir damit in die Gesellschaft geben, nur mit
dem Strafrecht geschehen. Es geht nicht in erster Linie
um Kriminalisierung, sondern es geht um die Frage der
Bedeutung des Rechtsgutes, um das wir hier kämpfen.





Patrick Schnieder


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir über Selbstbestimmung reden, dann möchte
ich klar betonen: Nein, es gibt keine Pflicht zum Leben.
Diese kann jeder für sich selbst empfinden, aber ein
Staat kann sie nicht statuieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber daraus zu folgern, dass dann, wenn der Staat nicht
die Hand zum Töten reicht, eine Pflicht zum qualvollen
Sterben bestehe, halte ich für unzulässig. Diesen Schluss
darf man nicht ziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Frage nach der Selbstbestimmung müssen wir
auch die Fragen stellen, die sich daran anschließen: Ist
ein Leben in Abhängigkeit ohne Würde, oder hat es we-
niger Würde? Hat ein Leben, das nur noch mit der inten-
siven Begleitung durch andere geführt werden kann, ei-
nen geringeren Wert? Kann Krankheit, kann Leid einem
Menschen die Würde nehmen? Ist dann der Schritt nicht
klein, zu sagen, dass nur noch die autonome, aktive Ent-
scheidung, aus dem Leben zu treten, in einer solchen Si-
tuation würdevoll ist? Ist es wirklich selbstbestimmt, den
Tod in die Hände von Fachleuten zu legen, die jeman-
dem nach bestimmten Voraussetzungen zum Tod verhel-
fen können? Ich glaube, dass man aus einer Unsicherheit
heraus nur neue Unsicherheit, aber keine abschließende
Regelung schafft.

Nein, meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich glaube, wir sollten in etwas vertrauen,
das in unserem Land Realität ist: Es gibt Zuwendung,
Solidarität, Beistand und Einfühlungsvermögen. Es gibt
Gewissensentscheidungen, auch von Ärzten. Da, wo wir
das ausbauen können und müssen, sollten wir das tun.

Kollege Hintze hat recht, wenn er sagt: Wir alle haben
die Vision von einem Leben ohne Leid und ohne
Schmerz. Die Realität sieht anders aus, und sie wird im-
mer anders aussehen. Wir alle können nicht leidloses Le-
ben und leidloses Sterben versprechen. Wir müssen ver-
sprechen, da zu sein, wenn Hilfe gebraucht wird. Alles
andere, die Hand zum Töten zu reichen, wäre, glaube
ich, die Kapitulation vor dem Leid, und es wäre das Si-
gnal einer Gesellschaft, –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806608000

Herr Kollege.


Patrick Schnieder (CDU):
Rede ID: ID1806608100

– die nicht die Zuwendung im Sterben praktiziert. Wir

brauchen eine Zuwendung im Sterben und damit eine
Zuwendung zum Leben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806608200

Vielen Dank, Kollege Schnieder. – Nächster Redner

ist Dr. Peter Tauber.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1806608300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!

Meine Herren! Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat
gesagt: Die Beschäftigung mit dem Tod ist eine giganti-
sche Quelle für sprudelnde Lust am Leben. – Doch wenn
das Leiden unerträglich, die Depression so stark und die
Angst so groß wird, wo ist dann diese Lust am Leben?
Wie viel Leben braucht es, und wie wenig Leben reicht
aus, dass wir es wollen, daran festhalten und es wert-
schätzen? Wer mag das definieren?

Fakt ist: Viele Menschen in unserem Land haben
Angst davor, beim Sterben zu leiden und alleine zu sein.
Genau mit dieser Frage müssen wir uns intensiv beschäf-
tigen. Das ist unsere Aufgabe. Es reicht deswegen nicht,
teilweise auch mit Hinweis auf die deutsche Geschichte,
die gewerbsmäßige und die organisierte Sterbehilfe un-
ter Strafe zu stellen.

Wir müssen den Menschen sagen, dass wir alles dafür
Notwendige tun, um die Hospizbewegung zu unterstüt-
zen. An dieser Stelle muss man allen, die sich dort enga-
gieren, auch den Kirchen, ein großes Dankeschön sagen.
Wir müssen alles dafür tun, um palliativmedizinische
Angebote gerade auch im ländlichen Raum auszubauen.
Darauf haben die Menschen einen Anspruch.

Trotzdem bleibt es dabei: Ich habe ein Problem damit,
mir vorzustellen, dass aktive Sterbehilfe ein Bestandteil
des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen
ist. Wir müssen am Ende mehr tun, als Leistungen be-
reitzustellen und abstrakt darüber zu reden. Wir müssen
uns mit der Frage beschäftigen: Was macht unsere Ge-
sellschaft – gerade auch dann, wenn es auf das Ende des
Lebens zugeht – menschlich und lebenswert?

Wie viele andere in der Debatte treibt auch mich ein
Satz um, den Eltern, vielleicht manchmal ohne nachzu-
denken, zu ihren Kindern sagen: Ich will dir später nicht
zur Last fallen. – Was ist das für ein Satz? Dort, wo
Pflege in der Familie erfolgt, oft unter großen Anstren-
gungen und Entbehrungen, sind es meist Kinder, die ihre
Eltern pflegen – bis zum letzten Tag.

Wenn man bedenkt, dass beim Sterben niemand allein
ist, sondern immer jemand zurückbleibt, dann relativiert
das, finde ich, den Satz „Mein Tod gehört mir“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn wir sind soziale Wesen. Wer stirbt, lässt jemanden
zurück.

Ich finde auch, dass Artikel 1 Grundgesetz uns ver-
bietet, den Wert eines Lebens zu bemessen. Wenn das
gilt, dann muss dieser Satz nicht nur im privaten Umfeld
– ich glaube, dass viele Kinder ihren Eltern widerspre-
chen, wenn sie diesen Satz sagen – infrage gestellt wer-
den, sondern dann müssen wir allgemein widersprechen,
wenn Menschen in unserer Gesellschaft das Gefühl ha-
ben, dass sie anderen zur Last fallen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)






Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)

Deswegen glaube ich, wir müssen mehr tun. Ich
glaube, niemand muss sich wegen einer Depression um-
bringen oder daran sterben. Aber die Wahrheit ist: Wir
haben natürlich Nachholbedarf im Bereich der palliativ-
medizinischen Versorgung und im Bereich der Hospiz-
versorgung.

Mich treibt noch etwas anderes um – das merken wir
immer wieder, auch in der heutigen Debatte –: Wir erwe-
cken den Eindruck, als ob wir das Sterben gesetzlich re-
geln könnten. Wenn wir ehrlich sind, dann merken wir
auch bei anderen Gesetzgebungsvorhaben, über die wir
hier diskutieren und beschließen, dass es uns selten ge-
lingt, eine Regelung zu treffen, die wirklich allen gerecht
wird und alle umfasst. Und genau bei diesem Thema
glauben wir, dass wir das können? Da bin ich persönlich
skeptisch.

Die heutige Debatte ist trotzdem ein Gewinn, ein Ge-
winn für uns alle und wahrscheinlich auch für viele
Menschen, die sich intensiv mit dem Tod eines Angehö-
rigen oder vielleicht sogar mit dem eigenen Sterben be-
fassen. Das, was Ärzte hier oft leisten, und zwar nicht als
Dienstleistung im Gesundheitswesen, sondern gegen-
über einem Menschen, der ihnen als Patient oft lange an-
vertraut ist, wird, glaube ich, allerhöchstens standes-
rechtlich neu zu regeln oder klarer zu fassen sein, aber
nicht durch den Gesetzgeber im Deutschen Bundestag.
Wenn das so ist, dann ist ein wichtiger Beitrag, den wir
leisten können, dass wir über Tod und Sterben sprechen;
denn je mehr wir darüber sprechen, desto mehr verliert
der Tod seinen Schrecken. Je mehr der Tod seinen Schre-
cken verliert, desto weniger werden Menschen in der
Selbsttötung einen Ausweg sehen.

Ich glaube fest daran, dass wir unser Leben im Be-
wusstsein des eigenen Todes besser bewältigen können.
Wie heißt es im 90. Psalm so treffend:

Herr, … lehre uns bedenken, dass wir sterben müs-
sen, auf dass wir klug werden.

Das wünsche ich uns allen in dieser schwierigen De-
batte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806608400

Vielen Dank, Dr. Peter Tauber. – Nächster Redner ist

Thomas Lutze.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806608500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Ich bin kein Freund einer Verschär-
fung der gegenwärtigen Rechtslage. Ich bin dagegen,
dass Sterbehilfe oder die Beihilfe strafrechtlich relevant
wird. Ich habe aber auch Zweifel, wenn hier die Rechts-
lage weiter liberalisiert werden soll. Ich bin noch nicht
davon überzeugt, dass der Gesetzgeber zweifelsfrei si-
cherstellen kann, dass sich alle Betroffenen zu 100 Pro-
zent über ihre Entscheidung für einen Suizid klar sind.
Der Tod bzw. eine Selbsttötung ist unumkehrbar; das ist
relativ sicher. Jeder Fehler bei diesem Schritt wäre fatal.
Was ist zum Beispiel mit todkranken Menschen, die ih-
ren Angehörigen vielleicht nach langer schwerer Krank-
heit und entsprechender Pflege nicht zur Last fallen wol-
len? Das sagen die Betroffenen ihren Angehörigen oder
ihren Ärzten vielleicht gar nicht. Es kann aber ihr Han-
deln bestimmen. Wie gesagt, ich bin noch nicht über-
zeugt und weiter offen für Argumente. Deshalb ist es gut
und wichtig, dass diese Debatte heute noch nicht beendet
ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ein Aspekt bleibt dieser wichtigen Debatte von heute
aber haften. So wichtig eine offene Debatte zum Thema
Sterben ist, mindestens genauso wichtig wäre eine ver-
gleichbar offene und intensive Debatte zum Thema
Pflege.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zahlreiche Vorrednerinnen und Vorredner haben das ge-
nauso ausgesprochen. Ich erinnere zum Beispiel an die
Kollegin Scharfenberg von den Grünen und den Kolle-
gen Birkwald aus meiner Fraktion, aber auch an viele
Rednerinnen und Redner der Koalition. Zahlreiche Red-
nerinnen und Redner forderten mehr und bessere Hos-
pize. Die Palliativmedizin soll ausgebaut und verbessert
werden. Das alles ist richtig. Ich glaube – ich habe die
ganze heutige Debatte verfolgt –, darüber ließe sich fast
Einstimmigkeit im Bundestag herstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der CDU/CSU)


Nur, wenn die gesprochenen Worte ernst gemeint
sind, dann nutzen Sie bitte die kommende Haushaltswo-
che und stellen Sie die dafür notwendigen Mittel in den
Haushalt ein. Das wäre konsequent.


(Beifall bei der LINKEN)


Allein eine ehrliche Debatte hier im Deutschen Bundes-
tag, so wichtig sie auch ist, reicht den Betroffenen und
ihren Angehörigen nicht aus.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806608600

Vielen Dank, Thomas Lutze. – Nächster Redner ist

Dr. Lars Castellucci.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1806608700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Es steht nicht uns
zu, zu bewerten, ob diese Debatte hier heute eine gute
Debatte ist. Das sollen die Menschen entscheiden, die ihr
folgen. Aber für mich als Abgeordneten ist es doch neu





Dr. Lars Castellucci


(A) (C)



(D)(B)

und beispielgebend, dass wir uns Zeit nehmen und dass
wir über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg eine
Orientierungsphase ermöglichen. Ich frage mich, ob wir
so etwas nicht häufiger ermöglichen könnten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will sagen, was ich teile: Ich teile die Meinung,
dass wir den Bereich der palliativen Versorgung massiv
ausbauen müssen. Ich teile die Meinung, dass wir das
Gleiche mit der Hospizarbeit tun müssen, damit diese
auch auf dem flachen Land erreichbar wird. Wir müssen
dann nicht nur spezialisierte Dienste finanzieren, son-
dern auch Ärztinnen und Ärzte, die dort tagtäglich ihren
Dienst tun.

Wir brauchen – das ist ein Thema, das mir besonders
wichtig ist und das ich in dieser Debatte stärken
möchte – eigentlich flächendeckend Patientenverfügun-
gen oder Vorsorgevollmachten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, mit diesem Instrument lösen wir die größ-
ten Konflikte, denen die Menschen in diesen Fragen im-
mer begegnen müssen. Wir wissen, dass das rückläufig
ist. Deswegen müssen wir hier überlegen, wie wir das
stärken können.

Wir müssen auch die ärztlichen Freiräume sichern,
und wir müssen in die Aus- und Weiterbildung in diesem
Bereich investieren. Auch für mich steht fest: Ich will
kein Geschäft mit dem Tod, ich will nicht, dass ausge-
rechnet wird, ob der „Oma ihr Häuschen“ schon drauf-
geht oder ob man die Sache nicht beschleunigen kann.
Das ist nicht die Gesellschaft, an deren Aufbau wir mit-
wirken wollen. Ich kann mir auch keine Abrechnungs-
ziffer für Sterbedienstleistungen vorstellen.

Mit all dem, was ich gesagt habe, glaube ich, dass nie-
mand in Deutschland einen Qualtod sterben muss, den
hier einige angesprochen haben, wenn wir diesen Aus-
bau wirklich schaffen.

Lassen Sie mich zwei Punkte ansprechen, die mir in
der Debatte ein Stück weit fehlen und die ich ergänzen
möchte. Der eine Punkt ist: Ich bin für den Ausbau pro-
fessioneller Dienste, aber ich spüre gleichzeitig eine
Sehnsucht der Menschen nach Zuwendung, einer Zu-
wendung, die eben nicht professionell ist, nicht Dienst-
leistung ist, nicht Service ist, nicht unter Zeitdruck steht,
nicht bürokratisch ist und bei der der oder die Pflegende
nicht gleich wieder weg ist. Es geht einfach um Men-
schen, die da sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen müssen wir die Debatte ein Stück weiter
führen. Wir müssen schauen, wo der Raum und die Zeit
sind, die wir den Menschen wieder neu schenken müs-
sen, eine Zeit, die doch von Verdichtung und Beschleu-
nigung geprägt ist, damit sie dieses Füreinander-Dasein
in ihrem Alltag leben können.

Die Umfragen sind für mich ein Schrei gegen die Ein-
samkeit. Deswegen müssen wir hier aktiv werden, eben
nicht nur professionell. Wir müssen die Gesellschaft ein
Stück weit befreien, zu sich selbst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Selbstbestimmung: Liebe Kolleginnen und Kollegen,
übertreiben wir es nicht mit diesem Wort von der Selbst-
bestimmung! Wir alle sind hier für Selbstbestimmung,
aber wir alle kommen völlig abhängig auf diese Erde,
und wir sind auf andere angewiesen. Dann werden wir
erwachsen und stärker, und dann sind wir auch selbstbe-
stimmter. Aber wir sind genauso weiter auf andere ange-
wiesen. So ist der Mensch.

Deswegen schmerzt mich dieser Satz so, dass man ei-
nem anderen nicht zur Last fallen möchte. Das ist un-
menschlich. Der Mensch fällt immer auch anderen zur
Last. Das gehört zu unserem Schicksal. Einer trage des
anderen Last, das ist die Botschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


So wie wir als Kinder unseren Eltern natürlich Freude
bereitet haben, aber ihnen auch zur Last gefallen sind, so
dürfen – das will ich allen Eltern in Deutschland zuru-
fen – auch die Eltern ihren Kindern zur Last fallen. Das
ist das Land, das wir brauchen. Wo es keine Kinder gibt
oder sie weit weg sind oder wenn man sich mit den Kin-
dern nicht ausreichend versteht, dann, ja, sind spätestens
die professionelle Hilfe und Zuwendung nötig, die aus-
bauen zu wollen wir uns hier in die Hand versprechen.

Meine Damen und Herren, niemand soll in Schmer-
zen sterben, und niemand soll allein sterben. Das sind für
mich die Hauptaufgaben, vor denen wir stehen: Nie-
mand soll in Schmerzen sterben, und niemand soll allein
sterben. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen zu
danken. Ich denke dabei auch an die vielen, die in den
Hospizen freiwillig oder als Hauptamtliche arbeiten, an
die Ärztinnen und Ärzte, an das Pflegepersonal. Sie alle
setzen sich dafür schon heute nach Kräften und unter Be-
dingungen, die immer zu verbessern sind, ein. Ihnen al-
len ein herzliches Danke von dieser Stelle von diesem
Hause aus.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806608800

Vielen Dank, Lars Castellucci. – Nächste Rednerin:

Corinna Rüffer.


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806608900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich bin dankbar dafür,
dass ich in dieser so wichtigen ethischen Debatte das
Wort ergreifen darf. Es geht heute um nichts weniger als
die Würde des Menschen, eine wahrhaft große Sache.
Das Besondere an dieser Debatte ist – ich will es mit
Oliver Tolmein formulieren –, dass wir alle einmal ster-
ben werden und dass damit immer auch die Protagonis-
ten der jeweiligen Positionen über Entwürfe und Mög-
lichkeiten für den Fall sprechen, dass ihr eigenes Leben
zu Ende geht oder in eine schwere Krise gerät. Die Vor-





Corinna Rüffer


(A) (C)



(D)(B)

stellungen darüber gehen, wenig verwunderlich, ausein-
ander.

Unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parla-
mentarier ist es aber, zuvorderst nicht das eigene Inte-
resse, sondern die gesamte Herausforderung und das
gesamtgesellschaftliche Wohlergehen im Blick zu behal-
ten. Vor diesem Hintergrund schauen wir uns für den
Moment den Begriff „Sterbehilfe“ etwas näher an. Dem
Wortlaut nach geht es darum, beim Sterben zu helfen
bzw. Hilfe zu bekommen. Helfen ist ja allgemein aner-
kannt eine gute und respektierte Sache. Aber Helfen
beim Sterben? Warum sollte das nötig sein? Warum ent-
scheiden sich Menschen für den Tod, dafür, sich das Le-
ben zu nehmen? Häufige Argumente sind: die Angst da-
vor, nicht mehr selbstbestimmt leben zu können,
abhängig zu sein von anderen Menschen, unter Schmer-
zen zu leiden, ein aus ihrer Sicht würdeloses Leben zu
führen. Weil sie das fürchten, sprechen sich viele Leute
für die Beihilfe zum Suizid aus. Ich finde, es wäre eine
politisch zutiefst deprimierende Antwort auf die berech-
tigten Sorgen und Ängste, der organisierten Sterbehilfe
das Wort zu reden. Ich finde, wir sollten eine andere
Antwort geben.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen am Lebens-
ende nicht unter unerträglichen Schmerzen leiden müs-
sen. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen am Le-
bensende nicht alleingelassen werden. Das ist etwas
anderes, als die Angebote zu stärken, das eigene Leben
zu beenden. Wir müssen daran arbeiten, dass sich unsere
Vorstellungen von einem Leben in Würde erweitern. Es
ist nicht unwürdig, zu vergessen, wer man ist. Es ist
nicht unwürdig, nicht selbst auf die Toilette gehen zu
können. Es ist nicht würdelos, gefüttert zu werden. Wir
dürfen den Verlust von Fähigkeiten nicht mit dem er-
leichterten Weg in den Tod beantworten.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir sollten bedenken, welche Wirkung eine solche
Diskussion bei denen hat, die die genannten Fähigkeiten
nicht verloren, sondern nie gehabt haben. Bei vielen be-
hinderten Menschen ist das so. Wir sollten uns klar da-
rüber werden, dass wir vereinzelt nicht existieren kön-
nen. Ein Leben lang sind wir abhängig von anderen
Menschen, mehr oder weniger intensiv. Wir brauchen
eine Unterstützung in den intimsten Lebensbereichen.
Die richtige Antwort auf die Herausforderung, vor die
uns diese Tatsache stellt, ist nicht der Tod. Die richtige
Antwort ist, politisch die Möglichkeiten zu schaffen, in
Situationen, in denen wir uns abhängig fühlen, Raum für
selbstbestimmtes Leben zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Wie in vielen anderen Fällen auch ist es leichter, aus
einer starken gesellschaftlichen Rolle heraus das Recht
auf ein selbstbestimmtes Leben und die Autonomie im
Tod einzufordern. Selbstbestimmung setzt schließlich
voraus, dass man zwischen Alternativen wählen kann.
Dem Matheprofessor wird es in der Regel leichter fallen,
sich im Bedarfsfall eine geeignete Pflegesituation zu or-
ganisieren und sich frühzeitig um einen Platz im Hospiz
zu bemühen, als es jemand kann, der einen weniger pri-
vilegierten Hintergrund hat. Was für den einen die „freie
Wahl“ sein mag, darf auf der anderen Seite nicht den
Druck erzeugen, das, was man seit einiger Zeit als „Exit-
Strategie“ bezeichnet, zu wählen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Aber oft geht es auch gar nicht um die Schwerstkran-
ken und Sterbenden, wenn es um die Sterbehilfe geht.
Erschreckend häufig sind es Menschen mit psychischen
Erkrankungen, vielfach solche mit Depressionen, die aus
dem Leben scheiden wollen, und diese Gruppe wächst.

Ist unsere Gesellschaft wirklich so schwach, dass sie
alten und kranken Menschen im Leben nicht gerecht
werden kann? Gestern stand in einer Meldung:

… immer mehr Menschen lebten im Alter als Sing-
les und hätten keine Angehörigen, die sie beim
Sterben begleiteten. Sie dürfe man nicht alleinlas-
sen.

Unsere Antwort auf diese Feststellung darf aber nicht
sein, dass wir ihnen Sterbehelfer zur Seite stellen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ansonsten würden wir das Plädoyer des ALS-Kranken
Benedict Maria Mülder für „Lebenshilfe statt Sterbe-
hilfe“ ignorieren,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Genau!)


der viele bedenkenswerte Fragen aufwirft:

Doch wie viel Einsamkeit, verzweifelte Verloren-
heit und mangelndes Vertrauen motivieren eine sol-
che Tat, die man auch als Anklage an uns alle lesen
kann? Wer hat die Hilfeschreie vorher überhört?
Vielleicht wollten wir sie gar nicht hören.

… Und ist die Debatte um die assistierte Suizidbei-
hilfe durch Ärzte die Spiegelung eines trostlosen
Zustands unserer Gesellschaft?

Ich sage deutlich: Bevor die organisierte Sterbehilfe
am Markt akzeptiert wird, sollten wir alle Energie darauf
richten, dass jeder Mensch eine Wahl hat, und damit
werden wir noch lange beschäftigt sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806609000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1806609100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Als Mitglied dieses Hauses,
als evangelischer Christ, der wie wir alle hier Verantwor-
tung spürt, der die Verantwortung in diesen Punkten im-
mer im Blick hat, der weiß, dass wir alle Teil dieser Fra-





Christian Schmidt (Fürth)



(A) (C)



(D)(B)

gestellung, aber auch Teil dieser Entscheidung sind, der
sich mit diesen Fragen intensiv auseinandersetzen muss
und sich natürlich auch die Frage stellt: „Wie halte ich es
denn selbst?“, zeigt sich mir, dass wir uns in unserer in-
dividuellen Verantwortung, aber auch in der Verantwor-
tung, die wir kraft unseres Mandats für die gesamte Ge-
sellschaft ausüben, selbst eine Orientierung geben
müssen. Diese Orientierung kann sich nicht an den Maß-
stäben der Nützlichkeit ausrichten. Über die Maßstäbe
müssen wir in einer gewissen Abstraktion hier intensiv
und mit gegenseitigem Respekt diskutieren.

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass der Weg
zum assistierten Suizid ein Weg ist, der eine Grenze zu
überschreiten versucht, die man nicht überschreiten darf.
Das ist hart – auch im Hinblick auf manche Hoffnungen
und Wünsche, die man für sich selbst in guten Zeiten
formuliert; wir haben heute von vielen Kolleginnen und
Kollegen Beispiele gehört. Aber ich glaube, angesichts
der Begrenztheit unserer Möglichkeiten und Fähigkei-
ten, solche Dinge zu entscheiden, müssen wir dabei blei-
ben, dass weder gewerblich noch individuell noch ärzt-
lich Unterstützung gegeben werden kann, wenn jemand
seinem Leben ein Ende setzen will.

Nach unserem Verständnis ist der von Gott geschaf-
fene Mensch von ihm mit einem besonderen Auftrag für
die Schöpfung versehen – in Freiheit und Verantwor-
tung. Gewisse Handlungsoptionen sind daher von vorn-
herein bereits ausgeschlossen. Das sind all jene Hand-
lungsschritte, die die unantastbare Würde des Menschen
verletzen; wir haben heute schon sehr intensiv darüber
gesprochen. Die Anerkennung der unveräußerlichen
Würde des Menschen gilt unabhängig von seinen Eigen-
schaften oder seiner Leistungsfähigkeit, und sie gilt
selbstverständlich auch für das ungeborene Leben, für
den Sterbenden oder den Menschen mit Behinderung.
Sie ist nicht differenzierbar. Unsere Bemühungen müs-
sen daher darauf abzielen, mit den Mitteln, die uns zur
Verfügung stehen, in diesem Rahmen zu handeln. Hos-
pizversorgung und Palliativmedizin sind genannt wor-
den. Ja, sie werden letztendlich nicht in jeder Situation
jedem helfen können, erträglich dem Ende entgegenzu-
gehen. Ich mache meine Haltung aber an einem Zu-
spruch fest, den ich vor kurzem bei einer Diskussion zu
diesem Thema von einer pensionierten Krankenschwes-
ter, 83 Jahre alt, agil und fit, erhalten habe. Sie sagte:
Wissen Sie, ich habe mich für die Hospizbewegung en-
gagiert, und ich mache Sterbebegleitung. Ich darf Ihnen
versichern, eine gute Palliativbetreuung, die auch
Schmerzen lindert, soweit sie Schmerzen lindern kann,
gibt mehr als medizinische Unterstützung; sie gibt auch
geistige und geistliche Orientierung. – Das hat mich sehr
stark beeindruckt. Diese Krankenschwester hat mich er-
mutigt, nicht den Weg zu gehen, die Sterbehilfe, wie es
gerne heißt, zu unterstützen.

Der gedankliche Ansatz von der Selbstbestimmung
des Menschen hat ja zwei Ebenen: Die eine ist die
ethisch-christliche. Römer 14 – unser keiner lebt sich
selber, unser keiner stirbt sich selber – wurde ja heute
schon zitiert. Die andere Ebene bei der Frage nach der
Selbstbestimmung ist, ob Selbstbestimmung, die Beglei-
tung und Hilfe gebraucht, eigentlich noch Selbstbestim-
mung ist oder eine solche Form von Selbstbestimmung
nicht dazu tendiert, in einen gesellschaftlichen Rahmen
und in eine Erwartungshaltung gestellt zu werden, wo-
durch eigentlich mehr das beantwortet wird, was Teile
der Gesellschaft vom Einzelnen fordern mögen. Meine
Vorrednerin hat das sehr treffend und für mich voll zu-
stimmungsfähig ausformuliert. Ich glaube, das sind die
entscheidenden beiden Ebenen. Beide geben uns die
Antwort, dass wir das Zur-Last-Fallen an die Gesell-
schaft richten müssen und dass die Gesellschaft die Last
auf sich nehmen muss, dem Sterbenden all das zu geben,
was sie geben kann. Das ist aber nicht, Gift zu reichen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806609200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Sabine Dittmar, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Sabine Dittmar (SPD):
Rede ID: ID1806609300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 15 Jahre lang habe ich als Hausärztin auf dem
Land gearbeitet und in dieser Zeit viele Patientinnen und
Patienten in ihrer letzten Lebensphase begleitet. Ge-
meinsam mit meinem Praxisteam und der Sozialstation
war es immer mein Anliegen, dem Patienten ein Sterben
unter Bewahrung seiner Würde und Berücksichtigung
seines Willens im häuslichen Umfeld zu ermöglichen.
Aufgrund der fehlenden Hospiz- und Palliativstrukturen
in meiner ländlichen Heimatregion war das nicht immer
ganz einfach.

Ich muss Ihnen sagen, meine Kolleginnen und Kolle-
gen: Bei der Betreuung von Sterbenden baut sich ein
sehr enges, ein ganz spezielles, intensives Arzt-Patien-
ten-Verhältnis auf. Als Arzt überbringe ich die tod-
bringende, die das Leben des Patienten auf den Kopf
stellende Diagnose. Ich bespreche die möglichen Thera-
pieoptionen. Und als Arzt erlebe ich mit dem Patienten
gemeinsam das Hoffen und Bangen, die Freude, wenn
ein kleiner Fortschritt erzielt wurde, und die tiefe Enttäu-
schung, wenn eine Therapie wieder nicht den erhofften
Erfolg bringt.

Und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem Arzt,
Patient und Angehörige gleichermaßen erkennen und ak-
zeptieren müssen: Es gibt keine Therapieoption mehr
oder der Patient will keine weitere Therapie mehr. Es
bleibt mir dann nur noch die Aufgabe, Schmerz und
Angst zu nehmen und zu begleiten. Deshalb ist es so
wichtig, dass wir unsere Anstrengungen verstärken, flä-
chendeckend die ambulante und stationäre Hospiz- und
Palliativversorgung weiter auszubauen. Ich bin sehr
dankbar für das vorgelegte Eckpunktepapier. Ich erwarte
aber auch, dass die jetzt formulierten Forderungen um-
gehend in gesetzgeberisches Handeln umgesetzt werden –
in Bund und Ländern!





Sabine Dittmar


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß
aber auch, dass es Einzelfälle gibt, in denen der Patient
trotz Palliativmedizin letztendlich seinen Sterbewillen
äußert. In dieser Situation wünsche ich mir, dass der Pa-
tient nicht auf kommerzielle bzw. organisierte Sterbehil-
fevereine zurückgreifen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Situation wünsche ich mir, dass mein Patient
offen mit mir reden kann. Als Ärztin wünsche ich mir,
wenn in dieser tief gewachsenen und vertrauten Arzt-Pa-
tienten-Beziehung der Sterbewille an mich herange-
tragen wird, dass ich zu einer ethisch abgewogenen
Entscheidung kommen kann, einer Entscheidung, die
geleitet ist vom Patientenwohl und vom Patientenwillen
und die ich mit meinem Gewissen in Einklang bringen
kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Diese Einzelfallentscheidung muss ich ohne Andro-
hung von berufsrechtlichen Konsequenzen treffen kön-
nen. Ich sage Ihnen: In Bayern ist mir das möglich. Die
bayerische Berufsordnung gab und gibt mir dieses
Quäntchen Entscheidungsfreiheit. Aber für Kolleginnen
und Kollegen in anderen Bundesländern ist es schwieri-
ger. Hier wurde die explizite Verbotsregelung der Bun-
desärztekammer übernommen. Ich muss Ihnen sagen:
Ich kam mit den ursprünglichen Grundsätzen der Bun-
desärztekammer zur Sterbebegleitung sehr gut zurecht.
Sie stellten heraus: Meine Aufgabe ist es, Leben zu er-
halten, Leid zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten.
Die Mitwirkung bei der Selbsttötung ist dagegen keine
ärztliche Aufgabe. Sie gaben mir Orientierung und
gleichzeitig den notwendigen Entscheidungsspielraum,
den ich in Grenzsituationen brauche, um eine sorgfältig
überlegte Entscheidung zu treffen.

Die neue Berufsordnung der Bundesärztekammer
schränkt diesen Handlungsspielraum ein. Noch viel dra-
matischer ist: Wir haben seitdem völlig unterschiedliche
Regelungen in den einzelnen Bundesländern, einen Fli-
ckenteppich. In diesem Zusammenhang muss ich Profes-
sor Wiesing, der bis 2013 Vorsitzender der Zentralen
Ethikkommission bei der Bundesärztekammer war, recht
geben, wenn er sagt: „Eine solche Vielfalt im Standes-
recht ist den Patienten in Deutschland nicht zumutbar.“
Ich füge hinzu: Diese Unterschiede sind auch den Ärz-
tinnen und Ärzten nicht zumutbar.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir brauchen hier Rechtssicherheit. Wenig hilfreich ist
in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, dass mein
Handeln in dieser Grenzsituation durch das Strafrecht
gedeckt ist; denn das Berufsrecht hat für uns Ärzte und
Ärztinnen eine ganz hohe moralische Bindung. Da be-
findet man sich in einem wirklichen Zwiespalt.
Insofern gibt es für mich in dieser Debatte noch viele
offene Fragen, auf die ich Antworten suche: Kann und
darf in einer Berufsordnung eine solche ethische Frage,
ein solcher ethischer Konflikt, der sowohl in der Ärzte-
schaft als auch in der Gesellschaft so kontrovers und dif-
ferenziert diskutiert wird, per Mehrheitsentscheidung
geklärt werden? Kann und darf das Berufsrecht wirklich
über das Strafrecht hinausgehende Regelungen treffen?
Wie schaffen wir Rechtssicherheit für Ärzte und Ärztin-
nen? Können wir durch Regelungen im BGB den Kon-
flikt zwischen Standesrecht und Strafrecht auflösen?

Ich suche Antworten. Ich hoffe sehr, dass unsere in-
tensive parlamentarische Befassung mir diese in den
nächsten Monaten auch gibt, Antworten, die dem Wohle
der Patientinnen und Patienten dienen und ihnen eine
menschenwürdige letzte Phase ermöglichen, aber auch
Antworten, die den Ärztinnen und Ärzten in ganz
Deutschland Rechtssicherheit geben.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806609400

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806609500

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Jeder Mensch kommt auf die
Welt und verlässt diese auch wieder. So ist der Lauf der
Dinge. In einem langen Prozess der Schaffung einer mo-
dernen, aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft
haben wir es geschafft, den Menschen verbindliche
Rechte mitzugeben. Es ist uns sogar gelungen, nach vie-
len Gräueln durch Kriege, die Menschenrechte weltum-
spannend in der Charta der Vereinten Nationen zu fixie-
ren. Dafür sind wir heute dankbar.

In Deutschland wurde die Todesstrafe erst vor drei
Generationen abgeschafft. Die Gesellschaft war bis zu
dieser Zeit Richter über Leben und Tod. Das entspricht
nicht dem Verständnis von Menschenrechten, das wir
heute in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft ha-
ben. Darum bin ich froh, in Deutschland zu leben, wo
die Menschenrechte Verfassungsrang haben. Allein ein
Blick in den Artikel 1 unseres Grundgesetzes zeigt uns,
welche Aufgabe wir als Abgeordnete unseres gesamten
Volkes haben, also als Delegierte auf Zeit: Wir müssen
die Würde der Menschen hier im Land und ihre Men-
schenrechte schützen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Zur Menschenwürde gehört auch, sich bei klarem
Verstand für einen frei verantwortlichen Suizid zu ent-
scheiden. Bettina Schöne-Seifert zeigt in ihrem sehr
nachdenklichen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung vor wenigen Tagen deutlich, dass es dabei nicht
um Suizidabsichten im Affekt oder unter Drogen geht.
Frei verantwortliche Selbsttötung ist in Deutschland zu-
lässig. Das ist unbestritten, seit nunmehr 250 Jahren.





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)

Derzeit lassen wir diese Menschen aber mit ihrem
Wunsch allein. Sie erhalten keine ärztliche Hilfe. Sterbe-
hilfe ist hier nach dem Trauma der menschenverachten-
den Naziherrschaft ein Tabuthema. Wenn ich jedoch die-
ses Thema anspreche, dann schallt mir in breiter Front
der Wunsch entgegen, bei Bedarf selbst aus dem Leben
scheiden zu können, und das in Würde. Ich habe den
Eindruck, viele Menschen wünschen sich hier endlich
eine Lösung von der Politik; sie wünschen sich, wenn
nötig, ärztliche Hilfestellung bei der Erfüllung des Wun-
sches, selbst aus dem Leben zu scheiden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Dürfen wir das den Menschen in unserem Land län-
ger vorenthalten? Das ist nach meiner Auffassung die
zentrale Frage, über die wir im Rahmen der Debatte zur
Sterbehilfe entscheiden müssen. Oder wollen wir den
Kopf weiter in den Sand stecken? Dann sind diese Men-
schen in unserem Land bei der Erfüllung ihres Sterbe-
wunsches weiterhin darauf angewiesen, eine brutale
Form der Lebensbeendigung zu wählen. Es gibt viele
brutale Methoden, das Leben zu beenden, und häufig
werden dabei auch nicht betroffene Menschen traumati-
siert oder verletzt; ich denke da zum Beispiel an ICE-
Lokführer.


(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Werte Kolleginnen und Kollegen, solch würdelose Me-
thoden dürfen wir den Menschen hier im Lande nicht
mehr länger zumuten.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wer will das?)


Wie kann eine Lösung aussehen, die ein würdevolles
selbstbestimmtes Sterben ermöglicht, ohne dass dabei
andere Menschen gefährdet werden? Sie liegt sicherlich
nicht darin, weiterhin aktive Sterbehilfe zu verbieten,
nicht darin, zu versuchen, die schon vorhandenen Ster-
behilfevereine zu verbieten, auch nicht darin, Ärzten mit
dem Standesrecht zu drohen, oder darin, Palliativmedi-
zin als Ersatz anzubieten.

Gerade die Palliativmedizin wird oft vordergründig
als Lösung angeboten, um ein „schmerzloses Sterben in
Würde“ zu ermöglichen. Aber reicht ein mögliches Ster-
ben in Schlafnarkose wirklich aus, um die Selbstbestim-
mung der Menschen beim Sterben zu gewährleisten?
Dazu sage ich eindeutig Nein. Denn diejenigen, die ein
selbstbestimmtes Sterben erbitten, erleben den mit der
Palliativmedizin verbundenen Autonomieverlust als ent-
scheidende Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkei-
ten. Wir nehmen ihnen am Ende die Kontrolle über den
eigenen Körper und die Kommunikation mit anderen
Menschen. Mit dem Ausweg Palliativmedizin wird ih-
nen eine Unmündigkeit ihres eigenen Handelns aufge-
zwungen, nach der Devise: Schmerzfreiheit ja, aber
durchhalten müssen sie schon bis zum natürlichen
Ende. – Nirgendwo in unseren Gesetzen steht geschrie-
ben, dass wir ein naturgewolltes Ende unseres Lebens
zwingend abwarten müssen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, werfen wir einen
Blick auf den Fall Udo Reiter, ein aktuelles Beispiel aus
der Gesellschaft. Der ehemalige Intendant des MDR hat
sich dazu entschieden, in freier, eigener Verantwortung
aus dem Leben zu scheiden. Dazu musste er sich eine
Waffe besorgen. Muss das heute wirklich noch sein?


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Dr. Eva Högl [SPD]: Das wollen wir auch nicht!)


Werfen wir einen Blick über die Landesgrenzen, nach
Holland oder Belgien. Dort gibt es nicht nur eine akzep-
tierte und transparente Praxis der Sterbehilfe; sogar die
aktive Sterbehilfe ist erlaubt. So ist für Betroffene wirk-
lich Selbstbestimmung möglich, auch bei der Beendi-
gung ihres Lebens, ohne die Gefährdung anderer. Von
einem Anstieg der Suizidzahlen ist dort nichts zu erken-
nen, auch wenn das fälschlicherweise immer wieder be-
hauptet wird.

Lassen Sie mich hier zu meinen Schlussfolgerungen
kommen. Wir sollten hier in diesem Parlament nicht
nach Verboten suchen, sondern eine Lösung finden, mit
der jeder frei verantwortbare Wunsch nach Suizid akzep-
tiert wird. Die dafür nötige auch ärztliche Hilfe müssen
wir ermöglichen. Sie darf weder unter Strafe gestellt
werden noch einer standesrechtlichen Sanktion unterste-
hen. Nur so schaffen wir den von vielen Menschen hier
im Land gewünschten Sterbehilfeliberalismus.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806609600

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr. Kristina Schröder, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1806609700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben heute viel über Menschenwürde gesprochen, und
wir sind uns alle einig: Dem menschlichen Leben kommt
in jedem Stadium und in jeder Situation die unveräußer-
liche Menschenwürde zu. Niemand kann und darf von
außen sagen, dass menschliches Leid, so unerträglich es
ist, mit der menschlichen Würde nicht vereinbar sei, zu-
mal es doch immer wieder erstaunlich und für uns Ge-
sunde auch hoffnungsstiftend ist, zu sehen, wie sehr
schwerstkranke Menschen, die aus unserer Sicht phy-
sisch und psychisch Schreckliches erdulden müssen, ihr
Leben als lebenswert und jeden Tag als sinnstiftend und
beglückend empfinden.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört nicht
auch zur Menschenwürde, dass der Mensch selbst das
Gefühl hat, über sie zu verfügen? Wenn alle palliativme-
dizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und ein
sterbender Mensch sein eigenes Leid und das, was es mit
ihm anrichtet, selbst nicht mehr als seiner Menschen-
würde gemäß empfindet – was ist dann? Natürlich ändert
dieses subjektive Empfinden nichts an seiner objektiven





Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden)



(A) (C)



(D)(B)

Menschenwürde; das ist glasklar. Aber haben wir in ei-
ner solchen Situation wirklich das Recht, zu sagen: „Das
musst du jetzt ertragen“? Ich glaube, dass es in diesen
wenigen Fällen, um die es uns hier geht, ein Gebot der
Nächstenliebe und auch ein Gebot der Menschenwürde
ist, diesen Menschen zu ermöglichen, so zu sterben, wie
sie es ihrer eigenen Menschenwürde gemäß empfinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Viele Redner – auch in der heutigen Debatte – haben
trotz unterschiedlicher Positionen anerkannt, dass es
diese menschlichen Grenzsituationen gibt. Viele sagen
dann jedoch: Aber das sollten wir nicht explizit gesetz-
lich regeln. Einen ärztlich assistierten Suizid in so einer
Situation müssen die Mediziner selbst verantworten. –
Ich finde diese Haltung, ehrlich gesagt, ein wenig feige.
Wenn wir heute als Gesetzgeber sagen: Ja, es gibt diese
menschlichen Grenzsituationen – selten zum Glück, aber
es gibt Situationen, in denen die Palliativmedizin ver-
sagt, in denen der ärztlich assistierte Suizid eine mensch-
liche Antwort sein kann –, dann, finde ich, müssen wir
als Gesetzgeber auch den Mut haben, dies in Gesetzes-
form zu bringen. Denn sonst waschen wir zwar unsere
Hände in Unschuld, überlassen es aber dem Patienten,
dem sterbenskranken Patienten, abwägen zu müssen. Er
muss dann abwägen: Bitte ich meinen vertrauten Arzt
um Beistand, auch wenn er dadurch in Zukunft vielleicht
seinen Beruf nicht mehr ausüben kann? Oder will ich
diese Verantwortung nicht tragen und suche deswegen
doch nach anderen Wegen des Suizids? – Diese Wege
sind fast immer qualvoller und würdeloser, als es eine
professionelle und empathische Unterstützung durch den
Arzt sein kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass viele
von Ihnen das Bauchgefühl haben, dass unsere geltenden
gesetzlichen Regelungen im Bereich der Sterbehilfe ei-
gentlich ganz gut sind. Die organisierte Sterbehilfe wol-
len viele verbieten; das unterstütze ich auch. Aber an-
sonsten – so ein verbreitetes Empfinden – gibt es keinen
großen Regelungsbedarf; wir lassen bereits heute einen
angemessenen Freiraum, in dem Patient, Arzt und Ange-
hörige einen guten Weg finden können.

Gerade diejenigen unter Ihnen, die dieses Gefühl ha-
ben, bitte ich, sich unsere Initiative ganz genau anzu-
schauen. Sie werden feststellen, dass unser Weg ein sehr
behutsamer ist.

In diesem Zusammenhang wende ich mich besonders
an die Kolleginnen und Kollegen in der Unionsfraktion.
Sie alle kennen und schätzen Peter Hintze. Deswegen
denken jetzt bestimmt ganz viele unter Ihnen: Peter
Hintze ist wieder einmal mit einem total liberalen Kurs
unterwegs. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Das ist er
diesmal nicht! Die Initiative, die Peter Hintze gemein-
sam mit Kollegen anderer Fraktionen angestoßen hat,
will an den bestehenden Regelungen nur ganz behut-
same Korrekturen vornehmen.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Ganz behutsam!)


Die aktive Sterbehilfe ist verboten und soll verboten
bleiben. Die ärztliche Assistenz beim Suizid ist bereits
jetzt in Deutschland vom Gesetzgeber nicht verboten.
Wir wollen sie lediglich erstmals explizit zivilrechtlich
regeln, um den Ärzten mögliche standesrechtliche Kon-
sequenzen zu ersparen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Das wäre ein Paradigmenwechsel!)


Das sind behutsame Änderungen, für die wir werben;
denn in unserer heutigen Regelung steckt schon viel: an
menschlicher Erfahrung, an gesetzgeberischer Beschrän-
kung und an Respekt vor dem Sterbenden und seinen
Angehörigen. Ich bitte Sie, uns auf diesem behutsamen
Weg zu unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806609800

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr. Edgar Franke, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1806609900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe in letzter Zeit mit vielen Menschen, mit
vielen Ärztinnen und Ärzten über Fragen der Sterbehilfe
gesprochen und fast alle sagen, dass man mit der Pallia-
tivmedizin menschliches Leid lindern oder oftmals
völlig ausschalten kann. Als einer der letzten Redner in
dieser Debatte möchte ich zunächst festhalten, dass diese
Debatte dazu führen muss, dass wir Geld in die Hand
nehmen, Palliativangebote zu erweitern und die Hospiz-
versorgung weiter zu verbessern. Wir müssen dafür sor-
gen, dass aus der Diskussion die entsprechenden Konse-
quenzen gezogen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Viele fragen: Brauchen wir Regelungen zur Sterbe-
hilfe, wenn das palliativmedizinische Angebot erweitert
wird? Man muss ehrlich zugeben, dass dieses Thema in
der Öffentlichkeit zum Teil ganz anders diskutiert wird.
Laut einer Umfrage – wir alle haben sie gelesen – sind
angeblich sogar 70 Prozent für eine aktive Sterbehilfe in
Deutschland. In den Niederlanden, in der Schweiz und in
Belgien wird ganz anders über das Thema Sterbehilfe
diskutiert. Dort herrscht allerdings auch eine ganz an-
dere Rechtslage: Es gibt rechtliche Optionen für aktive
Sterbehilfe. Der eine oder andere, auch hier in der Dis-
kussion, befürwortet das auch für Deutschland. Persön-
lichkeitsrecht und Selbstbestimmung wurden in diesem
Zusammenhang als Stichworte genannt.

Gegner der aktiven Sterbehilfe befürchten – meiner
Ansicht nach zu Recht –, dass es zu einer Veränderung
im gesellschaftlichen Klima in Deutschland und zu einer
Ökonomisierung des Denkens kommen könnte. Sie
befürchten, dass Menschen an ihrer Leistungsfähigkeit
gemessen werden, dass sozialer Druck auf Alte und
Kranke erhöht wird, auch der Druck, aus dem Leben zu





Dr. Edgar Franke


(A) (C)



(D)(B)

scheiden. Man will niemandem zur Last fallen – so die
Redensart. In der heutigen Diskussion wurde auch pla-
kativ gesagt, man mache eine Tür auf, die man nicht
mehr zubekommt; von einem Dammbruch war die Rede.
Der Gesetzgeber soll nun diesen Konflikt auflösen. Das
ist schwierig, mit gesetzgeberischen Mitteln eigentlich
kaum möglich.

Es liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, unter anderem
von der hochgeschätzten Kollegin Carola Reimann for-
muliert, in dem die Voraussetzungen für einen ärztlich
assistierten Suizid aufgelistet sind. Man will im BGB
entsprechende Regelungen schaffen, dass das Standes-
recht durch Bundesrecht außer Kraft gesetzt werden
kann. Bei Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über
eine unheilbare Erkrankung oder ein schweres Leiden
soll – bei Nichtvorliegen einer psychischen Erkrankung –
die ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung gerechtfer-
tigt sein; so lautet es sinngemäß. Das liest sich erst ein-
mal gut. Aber was bedeutet das konkret für die Praxis?
Was passiert, wenn der Patient unerkannt an einer psy-
chischen Erkrankung leidet? Was passiert, wenn eine
Fehldiagnose vorliegt? Was passiert, wenn die Voraus-
setzungen der angedachten Regelungen nicht erfüllt sind
und der Arzt dennoch handelt? – Es passiert nichts. Es
sind keine Sanktionen vorgesehen. Ich glaube, man muss
überlegen, ob man diesbezüglich gesetzgeberisch in die
eine oder andere Richtung gehen sollte.

Für mich geht es vor allen Dingen um rechtliche Auf-
klärung, darum, die Verunsicherung in der Gesellschaft,
die Verunsicherung aller Beteiligten zu beseitigen, und
weniger um eine Rechtsänderung. Wir wissen alle – das
haben wir heute oft gehört –, dass der Suizid in Deutsch-
land straffrei ist. Das stimmt, aber das bedeutet nicht,
dass uns das als Gesellschaft nichts angeht.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])


So ist die Polizei verpflichtet, einzugreifen und einen
Suizidwilligen zu retten, auch wenn dieser frei verant-
wortlich handelt und gar nicht gerettet werden will. Die
Polizei muss etwas tun. Die Beihilfe zum Suizid ist
ebenfalls straffrei – auch das haben wir heute gehört –;
aber das bedeutet nicht, dass die Polizei nicht ermittelt.
Es wird immer geprüft: Handelt es sich um eine Tötung
auf Verlangen, oder ist es eine straffreie Beihilfe? Dieser
Kategorien sollte man sich bewusst sein.

Auch das Thema Sterbehilfevereine hat uns heute be-
gleitet. Sterbehilfevereine, deren Vereinszweck es ist,
Beihilfe zu leisten, können aber nicht ohne Weiteres ver-
boten werden, gerade weil die Beihilfe straflos ist. Aber
auch ich bin der Meinung: Wenn es Sterbehilfevereine
gibt, wenn es Seriensterbehelfer gibt, wenn man über
Todesengel spricht, dann braucht man rechtliche Lösun-
gen, im Einzelfall auch eine strafrechtliche. Dabei ist der
Gesetzgeber aber – auch das sage ich hier ganz aus-
drücklich – an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gebunden. Man muss fragen: Gibt es mildere Mittel? Ist
ein Verbot eines Vereins wirklich ein milderes Mittel?
Das sind wichtige Fragen, gerade angesichts der Tatsa-
che, dass in Deutschland traditionell auch Parteien und
viele andere gesellschaftliche Gruppen als Vereine orga-
nisiert sind und bisher in der Tat nur links- und rechtsra-
dikale Vereine verboten werden konnten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der ak-
tuellen Debatte wird häufig über würdiges Sterben ge-
sprochen. Was ist würdiges Sterben? Was ist großes und
was ist kleines Leid beim Sterben? Was ist ein guter Tod,
was ist ein schlechter Tod? Im Rahmen des Selbstbe-
stimmungsrechts des Patienten ist der Abbruch einer
ärztlichen Behandlung oder eine palliative Sedierung,
wie wir sagen, die mittelbar zum Tod führt, rechtlich
nicht zu beanstanden. Aber die ärztliche Therapie muss
sich immer am Leben orientieren. In Fragen der Sterbe-
hilfe, der Sterbebegleitung muss man deshalb – das sage
ich ausdrücklich auch als Vorsitzender des Gesundheits-
ausschusses – zusammen mit den Ärzten, mit der Ärzte-
schaft Lösungen finden. Ich sage aber auch: Die Ärzte-
schaft ist aufgefordert, selbst darüber nachzudenken, ob
sie nicht andere Regelungen schaffen sollte. Die Ärzte-
schaft muss, glaube ich, über ihre bisherigen Regelungen
hinaus Einzelfallentscheidungen ermöglichen. Sie muss
wirklich über Änderungen nachdenken. Die Diskussion
in diesem Parlament sollte dazu führen, dass die Ärzte-
schaft intern darüber diskutiert, ob ihre aktuellen Rege-
lungen zur sogenannten Beihilfe noch zeitgemäß sind,
ob sie den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht
werden.

Ich glaube, abschließend sagen zu können – der Präsi-
dent hat mir gerade ein Zeichen gegeben, dass meine
Redezeit abläuft –, dass wir alle gemeinsam versuchen
sollten, diese ethischen und rechtlichen Fragen zu beant-
worten. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs.
Wir brauchen einen offenen Diskurs mit allen gesell-
schaftlichen Gruppen. Ich denke, diese Debatte dient der
Orientierung und ist ein guter Anfang für diesen gesell-
schaftlichen Diskurs, in dem wir die eine oder andere
Frage, die ich aufgeworfen habe, gemeinsam mit allen
Beteiligten beantworten können.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806610000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Jens Spahn, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1806610100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zum Ende der Debatte kann man, glaube ich, festhalten,
dass es erwartungsgemäß einen großen Konsens hin-
sichtlich des Ausbaus der Palliativ- und Hospizversor-
gung in Deutschland gibt. An einigen Stellen müssen wir
noch besser werden. Zum Zweiten gibt es meiner An-
sicht nach einen relativ großen Konsens hinsichtlich der
gewerblich organisierten Sterbehilfe: Ein Geschäft mit
dem Tod soll verboten werden. Auch Werbung für Assis-
tenz beim Suizid, also für Sterbehilfe, soll verboten wer-
den. Niemand möchte an der Litfaßsäule neben der





Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

Cola-Werbung die Werbung fürs sanfte Sterben sehen.
Dass da klare Grenzen gezogen werden müssen, darüber
besteht, glaube ich, ein großer Konsens.

Wo aber sehe ich die große Differenz in der Debatte?
Das betrifft vor allem das Arzt/Patienten-Verhältnis und
die Frage, was da zu regeln ist und was nicht. Wenn ich
auf die Debatte zurückschaue, kann ich feststellen, dass
wir aufpassen müssen, da nicht Probleme großzureden,
die eigentlich gar nicht so groß sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Beihilfe zum Suizid – das ist jetzt bereits mehr-
fach gesagt worden – ist in Deutschland straffrei. Dem
gegenüber steht das ärztliche Berufsrecht. Mit Blick auf
dieses Berufsrecht sage ich: Nennen Sie mir einen Fall in
Deutschland, bei dem ein Arzt berufsrechtliche Pro-
bleme bekommen hat, weil er im Rahmen einer intimen,
persönlichen Vertrauenssituation zum Patienten Beihilfe
zum Suizid geleistet hat. Nennen Sie mir einen einzigen
Fall! – Den gibt es nicht, Sie werden ihn nicht finden.
Etwas anderes ist es, wenn jemand mit System, also wie-
derholt, diese Beihilfe geleistet hat. Wenn aber jemand
im Rahmen eines Arzt/Patienten-Verhältnisses im Ein-
zelfall Unterstützung gegeben hat, hat es nicht ein einzi-
ges Mal berufsrechtliche Probleme gegeben. Ich finde,
wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir hier nicht
ein Problem, das eigentlich gar keines ist, großreden, um
es dann anschließend zu regeln.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das höchst intime und höchst individuelle Verhältnis
zwischen Arzt und Patient macht, wenn es um einen ex-
tremen Einzelfall geht, schon heute eine entsprechende
Unterstützung möglich. Das müssen die beiden mitei-
nander ausmachen. Wer sonst soll es denn entscheiden?
Etwas anderes ist es aber, wenn wir anfangen, das zu
verrechtlichen. Dann machen wir aus dem extremen Ein-
zelfall auf einmal einen Normalfall. Das ist eine Option
von vielen anderen, die wie selbstverständlich aufge-
führt ist. Wir fangen dann auf einmal an, Kriterien zu
normieren.

Gerade sprach ein Redner von „bei Bedarf“. „Bedarf“
ist ein spannendes Wort.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wie ist der Bedarfsfall definiert?)


Ein Vorschlag beinhaltet den Begriff „tödlich verlau-
fende Krankheit“. Diejenigen, die das vorschlagen, sind
– seien Sie ehrlich – am Ende auch nicht konsequent.
Wenn Sie sagen, dass Sie das Selbstbestimmungsrecht in
die Mitte Ihres Vorschlags stellen: Warum begrenzen Sie
dann das Selbstbestimmungsrecht wieder nur auf tödlich
verlaufende Krankheiten?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen meinen Sie jetzt?)


– Ich will jetzt keine Namen zuordnen. Es gibt diese
Vorschläge.
Ich war vor kurzem bei einer Radiosendung mit An-
rufern zu dem Thema, das wir hier diskutieren. Eine An-
ruferin sagte: Für mich ist das Leben schon dann nicht
mehr lebenswert, wenn ich einen künstlichen Darmver-
schluss habe. Ich möchte nicht, dass sich dann andere
um mich kümmern müssen. Beim Stuhlgang möchte ich
nicht von der Hilfe anderer abhängig sein. – Darauf habe
ich geantwortet: Über den Fall reden wir aber eigentlich
gar nicht; das ist keine tödlich verlaufende Krankheit.

Ich habe folgende große Sorge: In dem Augenblick,
wo wir auf einmal Kriterien aufstellen, kommen wir
ganz schnell zu einer Debatte über die Frage, was denn
möglicherweise noch alles da mit hineinzunehmen ist.
Ich sage noch einmal: Es ist nicht konsequent, sich ei-
nerseits auf das Selbstbestimmungsrecht zu berufen
– dann gilt das auch für einen Menschen mit Darmver-
schluss –, während man es dann an anderer Stelle wieder
begrenzt. Sie wissen genau: Wenn man keine klaren
Grenzen zieht, gerät man auf eine schiefe Bahn, auf der
es dann ganz schnell sehr rutschig wird.

Deswegen möchte ich sehr davor warnen, dass wir
irgendwie versuchen, das persönliche Arzt/Patienten-
Verhältnis zu verrechtlichen bzw. mit Kriterien zu füllen.
Denn jedes Kriterium, das da irgendwie definiert wird,
führt sofort wieder zu der Frage: Warum nicht andere?
Warum nicht mehr? Der Fall Belgien, wo es 25 Ände-
rungen am Gesetz gab, ist schon genannt worden.

Ich möchte auch noch auf den beispielhaft angespro-
chenen Fall eingehen, dass jemand Selbstmord begeht,
indem er sich vor den Zug schmeißt. Die allermeisten
derjenigen, die das tun – 80 bis 90 Prozent; diese Zahl
bezweifelt niemand –, sind psychisch krank. Dabei han-
delt es sich um Menschen mit schweren Depressionen,
denen man vielleicht mit einer entsprechenden rechtzei-
tigen Behandlung hätte helfen können. Ich kenne hier
niemanden, der sagt, dass das für psychisch Kranke
selbstverständlich genauso gelten soll. Eigentlich sagen
in der Debatte alle: Psychisch Kranke sind, was ihre
Selbstbestimmung angeht, natürlich nicht völlig frei. Für
sie sollen die Regelungen nicht gelten. – Dann darf man
in diese Debatte aber auch nicht das Beispiel des ICE-
Lokführers einführen. Das passt an der Stelle nicht zu-
sammen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte abschließend dafür werben, hier schnell
zu einem Konsens in Bezug auf die Punkte zu kommen,
wo wir großen Konsens haben: Verbesserung der Pallia-
tivversorgung sowie Verbot des Geschäftsmodells Ster-
behilfe. Ich bitte um Abstimmung bei den einzelnen
Punkten. Anschließend könnten wir uns vielleicht darauf
verständigen, dass wir mehr Debatten brauchen, die auf-
zeigen, dass der Tod zum Leben gehört.

Ich war Ende 20, als ich zum ersten Mal einen Toten
gesehen habe. Meine Eltern und meine Großeltern haben
mir gesagt, dass es früher für ein Kind ganz normal war,
dass man auch einen Menschen sterben, einen toten
Menschen sieht. Wir haben heute den Tod, die direkte





Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

Konfrontation mit dem Tod für Kinder, für junge Men-
schen, zum Teil schon für Erwachsene völlig aus dem
Leben verbannt. Kaum einer hat je einen Toten gesehen.
Vielleicht hilft eine Debatte wie diese, deutlich zu ma-
chen, dass Tod und Sterben auch zum Leben gehören.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806610200

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das

Wort der Abgeordneten Maria Michalk, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1806610300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als letzter Rednerin in dieser Debatte ist es
mir ein Herzensbedürfnis, allen ganz herzlich für diese
großartige, inhaltsreiche und auch differenzierte Debatte
zu danken, die uns mit Sicherheit in dieser ganz konkre-
ten Frage weiterbringen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will einmal an den Anfang des Lebens gehen.
Niemand von uns hat bestimmt, wann und unter welchen
Umständen er oder sie auf die Welt gekommen ist. Wir
gebären uns ja nicht selbst, sondern wir werden geboren.
Am Anfang sind wir alle gleich, nämlich Kinder der
Liebe. Ich reflektiere für mich daraus den Urwunsch des
Menschen, auch am Ende des Lebens in eine liebevolle
Umgebung eingebettet zu sein: Angehörige, Ärzteschaft,
Palliativmediziner, Schwestern, Freunde, vielleicht auch
die Nachbarn. Aber weil sich dieser Wunsch in unserer
modernen, schnelllebigen Zeit nicht für jedermann erfül-
len kann, sind Ängste entstanden. Was wird sein, wenn
ich in eine solche Situation komme? Deshalb bin ich zu-
nächst einmal sehr glücklich darüber, dass wir uns unab-
hängig von den verschiedensten Positionen in einer
Frage einig sind, nämlich darin, dass die Würde des
Menschen unantastbar ist und bleiben muss,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und zwar sowohl am Anfang des Lebens als auch am
Ende des Lebens.

Für mich ist auch eine andere Frage relevant. Manche
sagen ja: Mir wäre es am liebsten, mich ereilt gar keine
Krankheit und irgendwann falle ich tot um. Dann brau-
che ich nicht zu leiden, und dann brauchen auch meine
Angehörigen nicht zu sehen, wie ich leiden muss. – Das
sind Wünsche, die man in manchen Situationen viel-
leicht sogar verstehen kann, aber menschlich sind sie
nicht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns auch in der
folgenden Frage einig sind: Was müssen wir noch alles
tun, damit in schwierigen Situationen bei Ängsten, bei
Schmerzen die Hilfe da ist, die wir in einer so reichen
Gesellschaft erwarten dürfen? Sind wir als reiche Gesell-
schaft nicht auch arm, nämlich arm wegen mangelnder
Zuneigung, notfalls auch durch Dritte? Da kommt diese
Debatte für mich an einen Punkt, an dem ich sage: Hilfe
zum Sterben unter medizinischen Gesichtspunkten in
den Grenzen, die uns heute schon das Gesetz vorgibt, ja,
aber niemals ein Geschäft mit dem Tod. Das muss ver-
boten bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir irgend-
wann Kriterien finden, die in einer ganz individuellen
Situation des Menschen, des Umfeldes abgearbeitet wer-
den können nach dem Motto: Hier ist es erlaubt und hier
nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Deshalb ist es
auch so wichtig, welche Worte wir in dieser Debatte
wählen. Denn wir müssen mit unserer politischen De-
batte in unserem Land auch Vertrauen schaffen.

Dass, wie manche erwähnt haben, viele Menschen,
die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben, sa-
gen: „Ich möchte am Ende des Lebens selbst bestimmen,
wann ich von dieser Welt gehe“, kann ich als Christ
nicht verstehen. Denn wir sagen ja auch nicht: „Er ist
von uns gegangen“, sondern: „Er ist vor uns gegangen.“
Wir haben da auch eine Hoffnung in uns.

Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Bevölkerung in-
formieren. Die absoluten Ausnahmen, die in unserem
Leben passieren können, dürfen wir nicht zur Regel ma-
chen. Vor diesem Hintergrund rate ich uns am Ende die-
ser Debatte – das ist eher ein Wunsch von mir –, dass wir
uns in dieser modernen Welt, die fast alles kann, ab und
zu einmal an alte Lebensweisheiten erinnern und alte
Volksweisheiten, die die geballte Lebenserfahrung vieler
Generationen vor uns in sich bergen, lesen oder sie uns
anhören.

Eine dieser Volksweisheiten möchte ich uns, auch ein
Stück weit als Leitlinie für die jetzt folgenden Diskussio-
nen hier im Deutschen Bundestag, auf den Weg geben:

Achte auf deine Gedanken; denn deine Gedanken
werden Worte. Achte auf deine Worte; denn sie
werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen;
denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine
Gewohnheiten; denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter; denn er wird dein
Schicksal.

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1806610400

Wir werden alle sterben, aber eigentlich wollen wir

es nicht. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, wenn keine
Überlebenschance mehr besteht. Selbst wenn die
93-jährige Mutter vom Arzt erfährt, dass die medizini-
schen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, ist es nicht
leicht, dies anzunehmen. Und noch schwerer ist es, ab-
zuwarten bis es so weit ist. Denn niemand weiß, wann
der Tod eintritt. Mal sind es Stunden, mal Tage, mal
Monate. Oft dauert es lang. Das Nachlassen der
Kräfte oder auch das Leiden mit anzusehen, fällt uns
schwer. „Wenn man dem doch ein Ende setzen





Heike Baehrens


(A) (C)



(D)(B)

könnte“, wird von den Betroffenen gesagt und macht
uns als Angehörige oft ratlos. Sterben ist nicht leicht.

Selbst wenn mitentschieden werden kann, ob die
medizinischen Geräte abgestellt werden sollen, ist es
in den allermeisten Fällen ein großes Ringen, ob man
dem wirklich zustimmen soll.

Sterben und Sterbenlassen fällt uns nicht leicht.
Denn der Tod bedeutet endgültiges Abschiednehmen
vom Leben. Er ist ein tiefer Einschnitt für alle, die zu-
rückbleiben. Nichts kann mehr ausgesprochen werden,
was einem auf dem Herzen liegt. Was man noch ge-
meinsam vorhatte, kann nicht mehr miteinander erlebt
werden. Unmittelbare Beziehung wird für immer abge-
brochen. Darum ist es für die Zurückbleibenden zu-
nächst auch gar nicht so tröstlich, wenn einer so aus
dem Leben geht, wie wir es uns im Innersten eigentlich
alle wünschen: einfach nachts auf ewig einschlafen, so
wie es einem meiner Großväter vergönnt war.

Wenn es uns so schwerfällt, uns mit dem Tod abzu-
finden, das Sterbenmüssen selbst im schweren Krank-
heitsfall zu akzeptieren, warum brauchen wir dann
eine Debatte darüber, wie wir Menschen ein rasches
Ende bereiten können? Kann der Gesetzgeber das
Sterben überhaupt leicht(er) machen? Und sind die be-
stehenden gesetzlichen Regelungen hierfür nicht be-
reits ausreichend?

Als Gesetzgeber können wir vor allem dazu beitra-
gen, die medizinische und pflegerische Versorgung zu
verbessern, die Palliativversorgung und Hospizkultur
stärker zu fördern. Mit der Patientenverfügung wurde
bereits die Möglichkeit geschaffen, Vorkehrungen zu
treffen für den Ernstfall des Lebens. Dennoch wird es
weiterhin tragische Ausnahmesituationen geben, in
denen auch Hospiz- und Palliativmedizin und liebe-
volle Zuwendung durch vertraute Menschen den Ster-
bewunsch nicht zurückdrängen können. Hatte der Ge-
setzgeber solche existenziellen Nöte im Blick, als er
entschieden hat, Assistenz beim Suizid straffrei zu las-
sen? Weitergehende Regelungen zu treffen, erscheint
mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig.

Sterben ist nicht leicht – den Tod herbeizuführen,
muss schwerer sein.

Es ist gut, dass es sich der Deutsche Bundestag
nicht leicht macht, über diese existenziellen Fragen zu
entscheiden.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1806610500

Es ist ein emotionales Thema, weil es jeden Men-

schen betreffen kann, weil es ethische und moralische
Fragen aufwirft: die Sterbehilfe. Deshalb begrüße ich,
dass der Deutsche Bundestag heute diese wertschät-
zende Debatte führt, um mit viel Sorgfalt, ausreichend
Zeit und der nötigen Sensibilität über dieses wichtige
gesellschaftliche Thema der Sterbehilfe zu entschei-
den.

Beim Thema der organisierten Sterbehilfe, aber
auch bei der Beihilfe zum Suizid geht es um nichts we-
niger als um den Umgang mit Leben und Tod, die
Würde des Menschen, Nächstenliebe und unser Men-
schenbild, aber auch um die Frage: In welcher Gesell-
schaft möchten wir leben? Und das ist für mich in ganz
besonderer Weise eine Gewissensfrage.

Unser gesellschaftliches Fundament ist das christli-
che Menschenbild. Unsere Werte und Normen entstan-
den auf Grundlage dieses Fundaments. Und wenn wir
uns dieser christlichen Wurzeln besinnen und sie auch
für die Zukunft als Maßstab nehmen, dann können wir
nur zu einem Ergebnis kommen – nämlich: Jegliche
Form der organisierten Sterbehilfe, sei es durch Ver-
eine unter dem Deckmantel der „Barmherzigkeit“
oder durch Gewerbetreibende, ist abzulehnen.

Nur so kann verhindert werden, dass aus dem Tod
eine Dienstleistung oder gar eine Geschäftsidee wird.
Ein Verbot muss alle Arten von Sterbehilfevereinen
und Sterbehelfern umfassen. Denn ob gewerblich oder
„nur“ gemeinnützig, jede Form von öffentlich erlaub-
ter Suizidbeihilfe öffnet die Tür für Missbrauch, die
Ausübung von psychischem Druck und Altersdiskrimi-
nierung.

Ich halte es für nicht zutreffend, wenn die Befürwor-
ter der Sterbehilfe den Anschein erwecken, dass die
Deutschen sich eindeutig für die organisierte Sterbe-
hilfe in Umfragen aussprechen. Erst recht, wenn die
Fragestellungen sehr unpräzise sind. Fragt man nach
dem Wunsch auf „Hilfe am Ende des Lebens“, dann ist
die Antwort naturgemäß: Ja. Ja zur Hilfe, aber sicher-
lich nicht Ja zur Überdosis an Medikamenten oder der
„Todesspritze“.

Hier soll aus Angst vor dem unsicheren Leben ein
sicheres Ende gesucht werden. Doch das Sterben ist
Teil des Lebens. Die öffentliche Darstellung von Ster-
behilfe suggeriert oft, auf diese Weise könne gleichsam
die „dunkle Seite“ des Lebens abgeschafft werden.
Das Leid ist aber kein Fehler der Schöpfung. Wie die
Freude muss es zum Leben dazugehören. Die men-
schenwürdige Antwort auf Schmerz und Qual ist nicht
der Tod, sondern echte Nähe und Zuwendung. Freiheit
ohne Solidarität gibt es nicht.

Dieser Respekt vor dem Schwachen und Kranken
macht gerade eine moderne Gesellschaft zu einer le-
benswerten Gesellschaft. Schon heute haben viele alte
und kranke Menschen Angst, anderen zur Last zu fal-
len. Eine Liberalisierung der Sterbehilfe durch den
Gesetzgeber würde den Druck auf alle erhöhen, die
sich aufgrund ihres Alters oder einer schweren Er-
krankung nicht mehr genug leistungsfähig fühlen. Die
Frage, die alte oder kranke Menschen sich oft stellen,
ist: Darf ich meinen Nächsten zur Last fallen? Diese
Frage kann recht schnell zu einer Anklage oder einem
Druck werden. Das dürfen wir nicht zulassen.

Auch Ärzte haben hier eine ganz besondere Verant-
wortung. Sie müssen immer für den Erhalt des Lebens
stehen. Menschen sollen bei ihren Arztbesuchen das
Gefühl von Sicherheit haben. Daran muss festgehalten
Zu Protokoll gegebene Reden





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

werden, denn gerade ärztlich assistierter Suizid und
Tötung auf Verlangen sind nicht zu trennen.

Angst vor den Schmerzen, vor dem grausamen lan-
gen Sterben, das ist ein Argument. Aber unsere Pallia-
tivmedizin kann viel. Viel wichtiger ist es doch, den
Menschen die Angst vor einem qualvollen Tod zu neh-
men, anstatt den schnellen Tod per Knopfdruck zu er-
möglichen. Sprechen Sie doch einmal mit den Pallia-
tivmedizinerinnen und -medizinern, wie sie zum Leben
mit Schmerzen stehen. Sie werden Ihnen antworten:
Wenn Sie sich in palliative Betreuung begeben, dann
werden Sie merken, dass Sie nicht den Wunsch haben,
unmittelbar zu sterben. Sie entscheiden sich für das
Leben.

Daher müssen wir die Palliativmedizin in Deutsch-
land weiter stärken. Hier sind in den letzten Jahren
erhebliche Fortschritte gemacht worden, die in der öf-
fentlichen Debatte um Sterbehilfe oft zu kurz kommen.
Hospize und andere Formen der Sterbebegleitung leis-
ten eine wichtige Arbeit, indem sie den Sterbenden und
ihren Angehörigen ein würdiges Abschiednehmen er-
leichtern.

Deshalb müssen wir uns der Herausforderung stel-
len, eine flächendeckende, bestmögliche medizinische
und palliativmedizinische Versorgung bereitzustellen,
und den Aufbau und Ausbau von Hospizen weiter för-
dern. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Uns muss auch bewusst sein, welche Bedeutung die
organisierte und geschäftsmäßige Sterbehilfe für un-
sere Gesellschaft hat und welche weitreichenden Fol-
gedebatten ausgelöst werden. Schauen wir doch nach
Belgien! Belgien hat die Altersgrenze für aktive Ster-
behilfe herabgesetzt. Werden wir dann in zwei Jahren
darüber diskutieren, ob ein 14-Jähriger über seinen
Tod selbst entscheiden soll? Oder werden wir verur-
teilten Mördern und Vergewaltigern ein Recht auf Ster-
behilfe einräumen, weil sie unter ihren „unerträgli-
chen psychischen Qualen“ leiden?

Schauen wir in ein anderes Nachbarland: die Nie-
derlande, wo kurz nach der Legalisierung der aktiven
Sterbehilfe in vielen Fällen die Formalitäten, wie die
direkte Willensäußerung des Patienten, nicht beachtet
wurden. Wie wird also mit Missbrauch umgegangen?
Letztlich tangieren die genannten negativen und ge-
fährlichen Entwicklungen unsere gesamte Werteord-
nung.

Unsere Rechtsordnung verpflichtet, das Leben und
die Würde der Menschen zu schützen. Sie impliziert ein
generelles Tötungsverbot. Auch wenn die Beihilfe zur
Selbsttötung straffrei ist, ist es etwas anderes, wenn die
Beihilfe organisiert und geschäftsmäßig angeboten
wird und die Selbsttötung damit gleichsam als eine Be-
handlungsvariante neben der Palliativmedizin und an-
dere Hilfe tritt.

Deshalb spreche ich mich klar und deutlich für ein
Verbot von jeglicher Form von organisierter Sterbe-
hilfe aus!

Heike Brehmer (CDU):
Rede ID: ID1806610600

Das Thema Sterbebegleitung bewegt die Menschen

in unserem Land. Es ist eine höchst emotionale und
zum Teil sehr kontrovers geführte Debatte. Schließlich
geht es hier um die Frage, wie wir in unserer Gesell-
schaft mit Alter, Krankheit, Pflege und dem Ende des
Lebens umgehen. Durch eine stetig steigende Lebens-
erwartung, medizinischen Fortschritt und die demo-
grafische Entwicklung gewinnt die Frage einer men-
schenwürdigen Sterbebegleitung zunehmend an
Bedeutung.

Laut Berechnungen des Bundesgesundheitsministe-
riums wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen
bis zum Jahr 2030 auf über 3,2 Millionen ansteigen.
Die meisten Menschen möchten, dass das medizinisch
Notwendige und Sinnvolle für sie getan wird. Und das
ist auch gut so. Gerade in der letzten Phase des
menschlichen Lebens, die häufig durch Krankheit und
Schwäche gekennzeichnet ist, sind Menschen beson-
ders schutz- und pflegebedürftig. Als Gesetzgeber ist
es unsere Aufgabe, die bestmöglichen Rahmenbedin-
gungen für ein menschenwürdiges und würdevolles Le-
ben und Sterben zu schaffen. Deshalb steht für uns als
Union der Ausbau der Hospiz- und Palliativversor-
gung, insbesondere der spezialisierten ambulanten
Versorgung, im Vordergrund.

Wir benötigen einen weiteren Ausbau der Bera-
tungsangebote zum Thema Sterbebegleitung. Diese
Angebote bieten den Betroffenen die notwendige Hilfe
in der letzten Lebensphase. Sie basieren auf den beste-
henden rechtlichen Regelungen und ethisch vertretba-
ren Formen der Sterbebegleitung.

Diese beinhalten – einen entsprechenden Willen des
Patienten vorausgesetzt – Ansätze vom Verzicht auf
lebensverlängernde Maßnahmen über den aktiven
Abbruch lebenserhaltender Therapien bis hin zu
Schmerztherapien, die im Extremfall das Bewusstsein
einschränken und eine Lebensverkürzung in Kauf neh-
men. In Deutschland ist bisher niemand gegen seinen
Willen lebensverlängernden medizinischen Maßnah-
men ausgesetzt. Vielen Menschen ist dies jedoch nicht
bekannt, weil die Beratungsangebote in Deutschland
sehr unterschiedlich ausgebaut sind. In Zukunft wird
es wichtig sein, in den verschiedenen Bundesländern
entsprechende Angebote für sterbende Menschen und
ihre Angehörigen weiter auszubauen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir eine organi-
sierte Sterbehilfe als Dienstleistung wollen. Niemand
darf mit dem Leid und der Verzweiflung von Menschen
sein Geld verdienen. Die Würde des Menschen bleibt
vom Beginn des Lebens bis zu seinem Ende unantast-
bar. Dies ist durch Artikel 1 in unserem Grundgesetz
besonders geschützt.

Sollte sich erst einmal eine scheinbare Normalität
der unterstützten Selbsttötung für schwerkranke Men-
schen einstellen, ist zu befürchten, dass bei diesen
Menschen der Erwartungsdruck entsteht, ihren Ange-
hörigen oder der Gemeinschaft nicht dauerhaft zur
Zu Protokoll gegebene Reden





Heike Brehmer


(A) (C)



(D)(B)

Last zu fallen. Je selbstverständlicher und einfacher
zugänglich Optionen zur Hilfe bei Selbsttötung wer-
den, umso eher ist zu befürchten, dass sich Menschen
dazu verleitet sehen, von der bestehenden Option Ge-
brauch zu machen und ihrem Leiden ein Ende zu berei-
ten. Viele haben schon den Satz gehört: „Ich will doch
aber niemandem zur Last fallen.“ Suizid darf niemals
gesellschaftsfähig werden! Natürlich soll der Wunsch
des Einzelnen, über sein Leben und auch über dessen
Ende zu entscheiden, respektiert werden. Dieser
Wunsch sollte immer auf freiem Willen beruhen und
nicht durch andere Personen, Institutionen oder orga-
nisierte Dienstleistungen beeinflusst werden. Aus mei-
ner Sicht ist das Geschäft mit der Sterbehilfe, egal ob
gewerbsmäßig oder als erbrachte Hilfeleistung, nicht
hinnehmbar.

Wir brauchen für diesen Gesichtspunkt klare gesetz-
liche Regelungen. Dabei sollten die flächendeckende
medizinische, pflegerische und seelsorgliche Betreu-
ung und Begleitung schwer kranker Menschen und
Sterbender im Mittelpunkt all unserer Überlegungen
stehen. Palliativmedizin und das Hospizwesen in am-
bulanten und stationären Einrichtungen sollten weiter
ausgebaut werden. Es ist bekannt, dass eine qualitativ
hochwertige und professionelle palliative Begleitung
den Menschen Schmerz und Angst vor dem Sterben
nehmen kann. Die wenigsten Menschen halten aktiv
am Suizid fest, wenn ihnen Ängste genommen und ak-
tive Angebote zur Unterstützung gemacht werden.

Der katholische Theologe Adolph Kolping schrieb
einst: „Das erste, das der Mensch im Leben vorfindet,
das letzte, wonach er die Hand ausstreckt, das Kost-
barste, das er im Leben besitzt, ist die Familie.“ Be-
sonders wichtig ist daher die Einbeziehung der Fami-
lie und der Angehörigen.

Doch nicht alle Menschen haben eine Familie oder
Angehörige, die sie auf dem letzten Weg begleiten kön-
nen. Das Engagement von Ehrenamtlichen in Hospiz-
einrichtungen hat deshalb eine besondere Bedeutung,
die von der Öffentlichkeit oft nur am Rande wahrge-
nommen wird. Für diese wahrlich nicht einfache und
sehr verantwortungsvolle Aufgabe gebührt den Ehren-
amtlichen ein großes Dankeschön für ihr Engagement
und ihren persönlichen Einsatz.

Laut Aussage der Caritas ergab eine bundesweite
Umfrage, dass die Vorstellung, alleine zu sterben, für
viele Menschen die schlimmste Vorstellung überhaupt
darstellt. Die meisten Menschen wollen zu Hause ster-
ben. In die Obhut eines Hospizes will sich jeder vierte
begeben. Ein Grund dafür ist, dass die Hospizbewe-
gung noch immer nicht ausreichend bekannt ist. Es
gibt bundesweit circa 200 stationäre Hospize sowie
zahlreiche ambulante Hospizdienste. Überträgt man
diese Anzahl jedoch auf 80 Millionen Einwohner in
Deutschland, reicht dies nicht aus. Hinzu kommt, dass
die Themen Tod und Sterben in der Öffentlichkeit häu-
fig noch ein Tabuthema sind.
Es ist ein großer Unterschied, ob ein sterbender
Mensch sagt: „Ich kann nicht mehr“, oder ob man sich
als gesunder Mensch diese Situation vorstellt und
sagt: „So möchte ich es bestimmen.“ Die meisten Ster-
benden haben große Angst. Sie haben Angst vor mög-
lichen Schmerzen, Angst vor dem Alleinsein.

An dieser Stelle sollten wir uns die Frage stellen,
was wir tun können und was notwendig ist, um mögli-
che Ängste und Schmerzen zu lindern. Unsere Ge-
sellschaft muss sich in Zukunft verstärkt der Heraus-
forderung stellen, das Sterben menschenwürdig zu
gestalten. Die Gewissheit, am Ende des Lebens nicht
allein zu sein, entlastet die Betroffenen und nimmt ih-
nen die Ängste. Diese Aufgabe erfüllen Hospize, Fami-
lien und Freunde, medizinisches Fachpersonal und
viele Ehrenamtliche. Sie ermöglichen ein Lebensende
in Würde und Geborgenheit.

Diese Leistung verdient allerhöchste Anerkennung
und meinen persönlichen Respekt. Wir wollen diese
Leistung stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rü-
cken. Mit der Schaffung von guten und nachhaltigen
Rahmenbedingungen können wir dies ermöglichen. Je-
der Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges
Leben und ein ebenso menschenwürdiges Lebensende.


Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1806610700

Wir diskutieren heute über die organisierte Beihilfe

zum Suizid und insbesondere die Frage, inwiefern sie
gesetzlich geregelt werden sollte. Sogenannte „Sterbe-
hilfevereine“, wie es sie auch in meiner Heimatstadt
Hannover gibt, verursachen Regelungsbedarf des Ge-
setzgebers. Wir haben dabei Menschen vor Augen, die
an schweren, unheilbaren Krankheiten leiden, die im
Alter in hohem Maße auf Hilfe angewiesen sind – oder
die Angst haben, in solche Lagen zu geraten. Eine
Angst, die viele von uns sicherlich gut nachvollziehen
können.

Zuallererst stellt sich dabei aber die Frage: Ist es
überhaupt notwendig, dass wir ein neues rechtliches
Instrument einführen, nämlich das des assistierten
Suizids, um eine unerträgliche Situation am Lebens-
ende zu vermeiden oder zu beenden? Seit zwölf Jahren
gehöre ich diesem Hause an, und wir haben nicht nur
mehrfach über diese Thematik diskutiert, sondern
auch einige rechtliche Instrumente eingeführt, die die
Situation am Lebensende regeln:

Erstens: Solange eine Person im Vollbesitz ihrer
geistigen Kräfte ist, hat sie jederzeit das Recht, eine
Behandlung abzulehnen. Niemand muss sich gegen
seinen Willen behandeln lassen, zum Beispiel auch
keine Magensonde legen lassen. Mein eigener Vater,
selbst Arzt, hat schwer chronisch erkrankt im Vollbe-
sitz seiner geistigen Kräfte ärztliche Behandlungen
abgelehnt und ist an den Folgen verstorben. Also: Nie-
mand muss eine Behandlung an sich vornehmen las-
sen.

Zweitens: Auch für den Fall, dass die Sorge besteht,
dass nach Verlust des Bewusstseins medizinische Be-





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)

handlungen an einer Person durchgeführt werden, die
sie bei Bewusstsein nicht billigen würde, haben wir in
den letzten Jahren rechtliche Instrumente eingeführt.
Das ist auf der einen Seite die Patientenverfügung.
Man kann darin dezidiert aufschreiben, welche Be-
handlungen vorgenommen werden sollen und welche
nicht – und wenn ja oder nein, unter welchen Bedin-
gungen. Und falls man sich nicht in Form einer Pa-
tientenverfügung im Voraus selbst auf ein konkretes
Vorgehen festlegen möchte oder kann: Schon jetzt hat
jeder und jede die Möglichkeit, einer selbst gewählten
Vertrauensperson eine Vorsorgevollmacht zu erteilen.
Dies ist für alle Lebensbereiche möglich: für die Rege-
lung der persönlichen Finanzen bis hin zu der Frage,
wie man medizinisch behandelt werden will – oder
eben nicht.

Und drittens ist auch eine Form „passiver Sterbe-
hilfe“ als rechtliches Instrument vorhanden: Ärztliche
Maßnahmen zur Bekämpfung von Leiden und Schmer-
zen, ausdrücklich im Rahmen der Palliativmedizin,
können dazu führen, dass Leben verkürzt wird – dies
ist nicht strafbewehrt.

Ich kann darum wirklich keine Notwendigkeit er-
kennen, warum assistierter Suizid notwendig sein sollte,
um erstens Selbstbestimmung zu garantieren – das will
ich selbstverständlich auch, und es ist mittels der so-
eben genannten rechtlichen Instrumente ja auch schon
möglich – und um zweitens Leiden und Schmerzen zu
vermeiden oder zu beenden.

Hingegen sehe ich sehr wohl die Notwendigkeit, ge-
schäftsmäßigen und gewerbsmäßigen assistierten Sui-
zid gesetzlich zu verbieten. Wir sind dem Grundgesetz
verpflichtet. Das Recht auf Leben ist als Grundrecht in
Artikel 2 unserer Verfassung festgeschrieben: Ich zi-
tiere Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz: „Jeder hat das
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Aber auch – ich zitiere weiter –: „Die Freiheit der Per-
son ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund
eines Gesetzes eingegriffen werden.“

Die Gesetzgebung muss sich darum für den Schutz
jedes menschlichen Lebens einsetzen – besonders in
seinen verletzlichen Phasen –, selbstverständlich in
Respekt vor der Selbstbestimmtheit der Person. Eine
humane Gesellschaft muss deshalb gerade Menschen,
die verzweifelt, schwerstkrank, einsam oder lebens-
müde sind, andere Angebote unterbreiten als die Bei-
hilfe zu einem Suizid – oder gar die Tötung auf Verlan-
gen.

Ich denke dabei insbesondere an den weiteren Aus-
bau der Hospizarbeit und der Palliativversorgung.
Hier gilt es, insbesondere dort nachzubessern, wo es
– gerade in der ambulanten – Palliativversorgung
noch Lücken gibt, und für die nötige finanzielle Aus-
stattung zu sorgen, damit Schwerstkranke in Hospizen,
Krankenhäusern, Alteneinrichtungen und im privaten
Umfeld würdevoll und begleitet sterben können. Ich
denke aber auch an eine Stärkung der Maßnahmen zur
Suizidprävention sowie eine Verstärkung der Aufklä-
rung über die legalen Möglichkeiten, schwerem Leid
und Schmerzen am Lebensende zu begegnen, wenn
kurative Behandlungsmaßnahmen nicht ausreichen.
Nicht zuletzt müssen offenbar die Informationen zu Pa-
tientenverfügung und Vorsorgevollmacht noch weiter
verbessert werden. Dass diese als rechtliche Möglich-
keiten bereits heute jedem zur Verfügung stehen,
scheint leider nicht allgemein bekannt zu sein.

Solange das Recht auf Leben ein Grundrecht ist,
kann die Hilfe zum Suizid keine normale Dienstleis-
tung sein und darf nicht als solche angesehen werden.
Organisierte Formen solcher Beihilfe müssen wir da-
rum gesetzlich verbieten und auch die Werbung dafür.

Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der jeder
Mensch willkommen ist, unabhängig von seinem Le-
bensalter, seiner Leistungsfähigkeit oder seiner Ge-
sundheit. Es wäre eine humane Katastrophe, wenn
Menschen, die – egal in welcher Lebensphase – auf
Hilfe angewiesen sind, sich womöglich rechtfertigen
müssten, überhaupt noch am Leben zu sein. Sterben an
der Hand eines anderen Menschen ist das Ziel – nicht
das Sterben durch die Hand eines anderen. Insofern ist
es die Aufgabe von Politik und Gesellschaft, schwerst-
kranke oder verzweifelte Mitmenschen nicht allein zu
lassen, sondern sie bis zuletzt lebensbejahend zu be-
gleiten. Und es ist unsere Aufgabe als gewählte Abge-
ordnete, dafür geeignete rechtliche Rahmenbedingun-
gen zu schaffen.


Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1806610800

Eine eindeutige Regelung zum Thema aktive Sterbe-

hilfe ist seit langem überfällig. In der vergangenen Le-
gislaturperiode ist eine Einigung an der Frage ge-
scheitert, ob neben gewerbsmäßiger auch organisierte
Sterbehilfe unter Strafe zu stellen sei. Für mich hat
sich seither in dieser Frage nichts geändert. Aktive
Sterbehilfe, also eine Tötung auf Verlangen, lehne ich
ganz grundsätzlich aus tiefster innerer Überzeugung
ab.

Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe wird aus der
Verzweiflung geboren, weil es den Betroffenen natür-
lich schwerfällt, mit dem Verlust der Selbstbestimmung
und der totalen Abhängigkeit von anderen umzugehen.
Hinzu kommen Schmerzen und die Angst, alleine ge-
lassen zu werden. Statt diesem Zustand ein vorzeitiges
Ende zu bereiten, müssen wir als Gesellschaft Alterna-
tiven bieten, damit die Würde der Menschen erhalten
bleibt.

Wenn wir aktive Sterbehilfe zulassen, wäre dies ein
Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Es wäre gera-
dezu pervers, das Töten von Kranken per Gesetz frei-
zugeben, statt Hilfe zum Leben zu bieten. Wir müssen
und wir können andere Antworten geben auf das Leid
und die Einsamkeit von Schwerstkranken. In Deutsch-
land sind in den vergangenen Jahren viele Hospize
entstanden, die ein würdevolles Sterben ermöglichen.
In der Öffentlichkeit wird leider auch viel zu wenig
über die Möglichkeiten der modernen Schmerzthera-
Zu Protokoll gegebene Reden





Hans-Werner Kammer


(A) (C)



(D)(B)

pie gesprochen. Die Aufgabe der Ärzte muss es sein,
Schmerzen zu lindern, nicht Todkranke auf deren
Wunsch hin zu töten. Das sehen auch die meisten Ärzte
so, denn auch in der Medizin gibt es bewährte ethische
Prinzipien.

Schon aus ethischen Gründen kann es daher keine
Unterscheidung zwischen gewerbsmäßiger und orga-
nisierter Sterbehilfe geben. Schon die Duldung organi-
sierter Sterbehilfe wäre ein Schritt dahin, aktive Ster-
behilfe in die gesellschaftlich akzeptierte Normalität
zu holen. Schon der Eindruck der Normalität von Ster-
behilfe erhöht den Druck auf die Betroffenen. Für eine
moralische Gesellschaft ist das undenkbar. Wir brau-
chen ein echtes Verbot ohne Schlupflöcher!

Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft auf allen
Ebenen für eine bessere Sterbebegleitung arbeiten.
Wir brauchen bessere Pflege sowie eine Ausweitung
der Hospizangebote und der Palliativmedizin, damit
niemand am Lebensende leiden muss. In einer huma-
nen Gesellschaft gibt es einen würdevollen Tod nicht
durch die Hand der Ärzte und Angehörigen, sondern
an ihrer Hand.


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1806610900

Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt hat einmal

gesagt: „Die Beschäftigung mit dem Tode ist die Wur-
zel der Kultur.“

Der Umgang mit der eigenen Endlichkeit gehört zu
den großen Fragen der Menschheit und bestimmt
unser christliches Menschenbild, einen Grundpfeiler
unserer Werteordnung. In der heutigen Debatte geht es
um dieses Menschenbild. Und zwar nicht nur im Hin-
blick auf den Umgang mit dem Tod, sondern auch mit
dem Sterben. Es geht um die Bedeutung menschlichen
Lebens in seiner letzten, schweren Phase.

Dies ist nicht nur eine Fragestellung für die Betrof-
fenen selbst: Wir alle müssen uns einer Verantwortung
stellen. Wir müssen für uns als Gesellschaft beantwor-
ten, wie wir mit schwerstkranken, sterbenden Men-
schen umgehen wollen. Es ist eine schwierige Frage,
das gebe ich zu.

Die aktuelle Diskussion ist von Ängsten geprägt, die
nachvollziehbar und verständlich sind: die Angst vor
einem Tod in Einsamkeit und Schmerzen, die Angst,
ausgeliefert zu sein an andere und vor der absoluten
Hilflosigkeit, der Wunsch, bis zum Schluss ein selbst-
bestimmtes Leben zu führen.

Dabei entsteht aber das Bedürfnis schwerstkranker
Menschen, ihrem Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen,
nach meiner Erfahrung meist nicht nur aus unerträgli-
chem körperlichem Leid. Vielmehr ist es ein seelisches
Leid, nämlich die Angst, alleingelassen zu werden, die
Angst, anderen zur Last zu fallen. Sie empfinden ein
solches Leben als nicht mehr lebenswert.

Das ist eine individuelle Entscheidung. Sie ist aber
auch durch die gesellschaftliche Wahrnehmung dessen
geprägt, was lebenswert ist und was nicht. Sie wird
auch davon bestimmt, wie viel Solidarität zwischen
den Menschen herrscht. Wenn alte und kranke Men-
schen nur als Belastung gesehen werden, ist es nach-
vollziehbar, dass sie sich selbst als solche empfinden.

Wir haben in der deutschen Geschichte schon ein-
mal erlebt, wohin es führen kann, wenn die Gesell-
schaft entscheidet, ab wann ein Leben nicht mehr
lebenswert ist.

Wir müssen uns fragen: Wollen wir eine Gesell-
schaft, die bis zur völligen Vereinsamung und Ver-
zweiflung individualisiert ist, in der Menschen den
Ausweg des schnellen Todes wählen, weil sie nieman-
den haben, der ihnen in den letzten Wochen und Stun-
den beisteht?

Wenn wir die assistierte Sterbehilfe als gesellschaft-
liche und rechtliche Normalität etablieren, steigt der
Druck auf die Menschen, diese Möglichkeit in An-
spruch zu nehmen. Davon bin ich überzeugt.

Bei unseren europäischen Nachbarn können wir
sehen, was es bedeutet, wenn der ärztlich oder
gewerblich assistierte Suizid erlaubt wird: In den
Niederlanden gibt es die Möglichkeit des assistierten
Suizids seit 2001. Die Zahl der Tötungen wächst stetig,
im Jahr 2012 lag sie bei mehr als 4 000. Nun wird
diskutiert, ob die Sterbehilfe nicht auf psychisch Er-
krankte ausgeweitet werden soll. Das ist der Damm-
bruch, den ich befürchte, wenn der organisierte oder
ärztlich assistierte Suizid gesetzlich legitimiert wird.

Ein Leben in Würde bis zuletzt ist das Recht aller
Menschen. Es ist unsere Pflicht als Gesellschaft, dies
zu gewährleisten und uns solidarisch zu zeigen.

In meiner langjährigen Hospizarbeit habe ich viele
Menschen auf ihrem letzten Weg kennengelernt und
auch begleitet. Viele von ihnen haben mir anfangs ge-
sagt, dass sie am liebsten sofort sterben wollten. Als
sie dann erfahren haben, was eine liebevolle, aufmerk-
same, respektvolle Sterbebegleitung sein kann, haben
sie Abstand von ihrem Sterbewunsch genommen. Sie
waren letztlich dankbar für die zusätzliche Lebenszeit,
die ihnen ermöglicht hat, vom Leben und von ihren
Lieben Abschied zu nehmen, letzte Dinge zu regeln,
auch Unangenehmes zu besprechen, bisher nicht Ge-
sagtes zu sagen.

Die Antwort auf die schwierige Frage nach dem
Umgang mit dem Ende des Lebens liegt daher nicht in
einer Ausweitung der Hilfe zu Selbsttötung, sondern in
einer Stärkung der Hospiz- und Palliativarbeit. Ich
sage es ganz klar: Die Begleitung des sterbenden Men-
schen bis ganz zum Schluss ist eine besondere Aufgabe
und eine Frage des sozialen und kulturellen Anspruchs
einer Gesellschaft an sich selbst.

Unsere Gesellschaft muss sich an ihrem Verhalten
gegenüber den hilfsbedürftigsten und schwächsten
Mitgliedern messen lassen. Sterben darf nicht im Ver-
borgenen, ausgelagert in Institutionen, stattfinden.
Sterbenskranken Menschen beizustehen, sie in der
Mitte unserer Gesellschaft zu behalten, ihre Leiden zu
Zu Protokoll gegebene Reden





Barbara Lanzinger


(A) (C)



(D)(B)

lindern und sie zu trösten, ist eine Aufgabe, die wir
politisch unterstützen müssen.

Der Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung ist
der richtige Weg, um Menschen ein schmerzfreies und
würdevolles Lebensende im vertrauten sozialen Um-
feld zu ermöglichen. Dabei ist vor allem die Hospizar-
beit eine Botschaft an und für das Leben, indem sie
dem Sterbenden hilft, das Leben bis zuletzt zu leben
und dem Sterben die Zeit zu geben, die es braucht.

Gute Sterbebegleitung bedeutet vor allem eines:
keine Maske zu tragen, nicht die Augen vor dem Leid
anderer und dem eigenen Erschrecken angesichts die-
ses Leids zu verschließen. Sterbebegleitung heißt, bei
und mit diesen Menschen zu sein, sich mit ihnen ausei-
nanderzusetzen, statt sie zu bemitleiden.

Wir müssen dem Leben auch in seiner letzten Phase
Raum geben, wir müssen dafür sorgen, dass das
Wesentliche – nämlich der Wert und die Würde des
Menschen auch in Krankheit und Schmerz – wesent-
lich bleibt.

Diese lebensbejahende Grundhaltung ist ein huma-
ner Gegenentwurf zu einer Haltung, die im schnellen
Tod die beste Lösung sieht.


Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1806611000

Die heutige erste Orientierungsdebatte im Deut-

schen Bundestag zum Thema Sterbebegleitung ist gut
und sinnvoll – ich empfinde es auch persönlich als gut,
heute einmal die unterschiedlichsten Argumente hören
und nachvollziehen zu können. Ich gestehe offen:
Meine Meinungsbildung habe ich noch nicht abge-
schlossen. Schließlich ist es keine leichte Frage, über
die wir sprechen und entscheiden müssen, wenn es um
das Ende des Lebens, um den Tod geht.

Es ist ein Thema, was viele Menschen zutiefst um-
treibt. Dabei haben viele Menschen vor allem Angst
vor einem qualvollen Tod. Die Würde des Menschen
muss auch für den Tod gelten. Ein Sterben in Würde ist
ein wichtiges Anliegen für viele Menschen, dem wir
Rechnung tragen müssen.

Aber wie? Wo beginnt, wo endet die staatliche Ver-
antwortung, hier einzugreifen?

Darüber müssen wir sprechen und am Ende ent-
scheiden, jeder nach seinem Gewissen.

Meine persönliche Meinungsfindung orientiert sich
dabei an zwei Leitplanken:

Erstens. Das Leben steht nicht in der Verfügungs-
gewalt von uns Menschen. Das Leben ist uns von Gott
gegeben. In dieser Verantwortung vor Gott handeln
wir, handle ich persönlich auch in meiner christlichen
Verantwortung. Dies ist für mich die eine Seite der
Diskussion über Sterbebegleitung, über Sterbehilfe,
über den Übergang vom Leben in den Tod.

Zweitens. Auf der anderen Seite steht der Wunsch,
sicherlich auch das Recht eines jeden Menschen,
selbstbestimmt sein Leben zu führen – und es gegebe-
nenfalls auch zu beenden. Die Zeiten sind vorbei, in
denen die Selbsttötung ein christliches Begräbnis aus-
schloss. Der Freitod ist nicht verboten.

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem
Sterben ist keine leichte Frage. Die heutige Debatte
zeigt dies. Jeder Standpunkt hat seine Berechtigung,
seine individuelle ethische Begründung. Hier gibt es
kein Richtig, hier gibt es kein Falsch: Hier gibt es nur
sehr persönliche Auffassungen, die oft genug auch ge-
prägt sind von persönlichem Erleben. Ich denke an die
letzten Stunden meines Vaters, als ich an seiner Seite
war – es war gut, dass er im Kreise seiner Familie aus
dem Leben scheiden konnte.

Nun erleben wir aber auch eine ganze Reihe von
Organisationen, gewerblicher oder halbgewerblicher
Art, die Menschen beim Übergang vom Leben in den
Tod unterstützen. Für mich ist eines klar: Gewerbliche
oder organisierte Sterbehilfe ist nicht akzeptabel. Auf
keinen Fall darf es ein Geschäft mit dem Tod geben.

Wenn ich eingangs davon gesprochen habe, dass
viele Menschen beim Thema Sterbebegleitung vor
allem von der Angst getrieben werden, dass ihr Ster-
ben mit Qual und Leid verbunden sei, so ist dies der
Auftrag für uns, in erster Linie Palliativmedizin und
Hospizarbeit zu unterstützen. Ich habe vor wenigen
Jahren den Aufbau eines Hospizes in meinem Wahl-
kreis als Mitglied im Förderverein unterstützt und tue
dies weiter. Schmerz und Leid zu lindern, Qual zu ver-
hindern und stattdessen menschliche Nähe im Sterben
sicherzustellen, das ist für mich die erste und wich-
tigste Aufgabe echter Sterbebegleitung.

Und dennoch mag es die Fälle geben, in denen auch
dies alles nicht ausreicht, um Menschen Angst und
Qual zu nehmen. Allen Beteiligten, den Sterbenden wie
den Angehörigen und den Ärzten, dabei Sicherheit und
Gewissheit verantwortungsbewussten und rechtssiche-
ren Handelns zu geben, das ist unsere Aufgabe in der
jetzt anstehenden Diskussion.


Gisela Manderla (CDU):
Rede ID: ID1806611100

An manchen Tagen wird einem die besondere Ver-

antwortung, die wir hier in diesem Hause zu tragen
haben, deutlich bewusst. Heute ist einer dieser Tage.
Unser grundsätzlicher Auftrag, das gesellschaftliche
Miteinander in diesem Land gesetzgeberisch zu ord-
nen, stößt beizeiten auch in Grenzbereiche vor. Die
Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbebegleitung
gehört ganz bestimmt dazu, insbesondere mit Blick auf
die gegenwärtigen Tendenzen, die bestehende Grau-
zone mittels eines regelrechten Sterbetourismus zu um-
gehen.

Grundsätzlich geht es hier um das Selbstbestim-
mungsrecht des Menschen, das gewährleistet sein
muss. Selbstbestimmung aber setzt nach meinem
christlichen Werteverständnis auch Selbstverantwor-
tung voraus, und dies verbietet mir als Christin Selbst-
tötung. Besonders mit Blick auf unsere Vergangenheit
Zu Protokoll gegebene Reden





Gisela Manderla


(A) (C)



(D)(B)

in Deutschland, mit den schrecklichen Erfahrungen
der Euthanasie während der NS-Diktatur, lehne ich
jede Form aktiver Sterbehilfe ab.

Und doch ist es unsere Aufgabe, die Argumente der
Befürworter ernst zu nehmen. Das tue auch ich. Wer im
Kreise seiner Familie oder Freunde angefleht wird, ei-
nem in einigen Fällen sicher kaum noch menschen-
würdigen Dasein ein Ende zu setzen bzw. aktiv dabei
zu helfen, steht vor einem kaum fassbaren Dilemma.
Ich habe größtes Mitgefühl für all diejenigen, die sich
solchen Extremsituationen ausgesetzt sehen.

Diesen Extremsituationen sind nicht nur Familien-
mitglieder und Freunde ausgesetzt, sondern auch die
Ärzte und das Pflegepersonal, die sich tagtäglich mit
diesen Fragen konfrontiert sehen. Was ich mir nicht
vorstellen möchte, ist ein Arzt als Sterbehelfer. Medizi-
ner sind Ärzte für das Leben, nicht Ärzte für das Ster-
ben. Es geht hier um die Bewahrung der Integrität des
ärztlichen Berufes. Kann man den Ärzten zumuten, al-
leine zu entscheiden, ob sie eventuell bewusst einige
Minuten später zur Notfallversorgung eines Sterben-
den gehen, um diesem weiteres Leiden zu ersparen?
Ärzte benötigen Rechtssicherheit und eine belastbare
Verfahrensgrundlage. Wie das im Detail, mit Blick auf
die unterschiedlichsten Einzelschicksale wirksam um-
gesetzt werden kann, wird die Diskussion in den nächs-
ten Wochen und Monaten hoffentlich aufzeigen. Eines
ist jedoch klar: Wir sollten sie sehr sorgfältig führen
und mit besonderer Verantwortung auf mögliche zu-
künftige Interpretationsmöglichkeiten überprüfen.

Es geht hier um das Ringen um ein Modell, das
nicht die „eine“ Lösung darstellt, sondern das Miss-
brauch verhindern und Handlungsmöglichkeiten ge-
setzeskonform ermöglichen soll. Auf keinen Fall er-
laubt werden darf Sterbehilfe als gewerbliche oder
berufliche Tätigkeit. Mir geht es darum, das Thema
passive Sterbehilfe politisch in dem Maße zu diskutie-
ren, dass das Sterben in Würde gewährleistet wird,
dass aber auch den Menschen geholfen werden kann,
die es versäumt haben, vor einer lebensbedrohlichen
Krankheit eine entsprechende Patientenverfügung ver-
fasst zu haben. Die Möglichkeit der Patientenverfü-
gung ist bisher viel zu wenig bekannt und wird auch
nur sehr wenig genutzt. Ich sehe es also als Aufgabe
der Politik, das Thema Patientenverfügung breit in die
Gesellschaft zu tragen.

Der wichtigste Punkt aber ist – und auch hier ist
wieder die Politik gefragt –: Palliativ- und Hospizbe-
treuung muss in Deutschland verbessert und aus-
gebaut werden, auch angesichts einer immer älter
werdenden Gesellschaft, für die immer weniger junge
Menschen zur Betreuung zur Verfügung stehen. Der
klassische Dreigenerationenhaushalt, in dem die
Frauen der mittleren Generation sich ausschließlich
um Kinder und Alte kümmern können, gehört endgültig
der Vergangenheit an. Deshalb ist es unsere christliche
Pflicht, Sterbenden Einsamkeit zu ersparen, ihre Lei-
den zu mildern und, ich sage es noch mal, ihnen ein
würdiges Sterben zu ermöglichen.

Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1806611200

Wir setzen uns heute damit auseinander, wie wir das

Thema „Sterbehilfe“ – oder genauer gesagt: „Suizid-
beihilfe“ – in Deutschland regeln wollen. Doch dieses
Thema ist Teil einer viel größeren Frage. Es geht da-
rum: Wie wollen wir leben, und wie wollen wir ster-
ben? Diese Fragen betreffen die ganze Gesellschaft.
Darum: Für ein Leben in Würde bis ganz zuletzt!

Die Würde des Menschen ist unantastbar, vom Be-
ginn bis zum Ende des Lebens. Wir müssen dem Men-
schen ein Sterben in Würde ermöglichen. Nicht durch
die Hand eines anderen, sondern an der Hand eines
anderen sollen Menschen sterben können. Eine Gesell-
schaft darf nicht zulassen, dass Menschen einsam und
unter Schmerzen sterben müssen. Wir dürfen nicht
Hilfe zum Sterben leisten, sondern wir müssen die
Menschen beim Sterben begleiten, ihnen Schmerzen
und Ängste nehmen.

Die aktuelle Sterbehilfediskussion in Deutschland
ist in meinen Augen fehlgeleitet: Wir brauchen keine
Sterbehilfe, sondern wir brauchen einen weiteren Aus-
bau der hospizlich-palliativen Angebote zur Betreuung
von Schwerstkranken und Sterbenden. Das, was wir
also wirklich brauchen, ist Lebenshilfe statt Sterbe-
hilfe!

Als Schirmherrin des Franziskus-Hospiz in Erkrath,
einer Stadt in meinem Wahlkreis, weiß ich, wie wichtig
es ist, einem Menschen ein Sterben in Würde zu ermög-
lichen, einem Sterbenden die Hand zu reichen. Men-
schenwürdiges Sterben heißt gut begleitetes Sterben.
Dafür müssen wir die Palliativ- und Hospizversorgung
in Deutschland noch weiter ausbauen. Wir haben be-
reits viele gute Einrichtungen und exzellente, enga-
gierte Palliativmediziner. Das haben wir auch hier bei
unserer fraktionsoffenen Sitzung zu dieser Thematik
erfahren. Eine gute palliativmedizinische Versorgung,
eine verantwortungsvolle Gesellschaft und familiärer
Zusammenhalt sind die wirkungsstärksten Hilfen für
schwerstkranke Menschen am Ende ihres Lebens.

Wenn ich sage „verantwortungsvolle Gesellschaft“,
geht es insbesondere auch darum, dass das Thema
Sterben kein Tabu sein darf. Das Sterben ist ein Teil
des Lebens. In Würde alt zu werden und in Würde ster-
ben zu können, ist eine der wichtigsten Fragen des
menschlichen Miteinanders. Als Christen haben wir
dieses Bild des Lebens. Für uns hat der Schutz des Le-
bens Vorrang. In der letzten Phase des menschlichen
Lebens, die häufig durch Schmerzen, Krankheit,
Schwäche und leider auch oft durch Einsamkeit ge-
prägt ist, brauchen Menschen besondere Zuwendung.
Es darf nicht passieren, dass Menschen sich in einer
derart verzweifelten Lage befinden, dass sie sich das
Leben nehmen wollen.

Es darf nicht sein, dass Menschen sich unter Druck
gesetzt fühlen, dass sie das Gefühl haben, anderen zur
Last zu fallen, und deshalb ein Angebot der Suizidbei-
hilfe in Anspruch nehmen wollen.
Zu Protokoll gegebene Reden





Michaela Noll


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(D)(B)

Ich spreche mich ganz klar gegen Sterbehilfevereine
und andere organisierte Formen der Förderung der
Selbsttötung oder der Beihilfe zum Suizid aus. Und es
darf auch keine organisierte ärztliche Beihilfe zum Su-
izid geben. Das ist mit der ärztlichen Ethik und dem
ärztlichen Berufsrecht nicht vereinbar. Ein Arzt hat die
Aufgabe, Leben und Gesundheit zu schützen. Ärzte
sind Helfer zum Leben! Wenn ein Mensch sterbens-
krank ist, kann der Arzt das Leiden lindern und den
Patienten beim Sterben begleiten. Ich sehe deshalb
keine Notwendigkeit, die gesetzlichen Regelungen für
Ärzte im Umgang mit schwerstkranken Menschen neu
zu regeln. Es sollte dabei bleiben, was die ureigensten
Aufgaben des Arztes sind: Heilen manchmal, lindern
oft, trösten immer – töten nie!

Wir dürfen hier keine Grenzen öffnen. Es darf nicht
sein, dass sich geschwächte oder verzweifelte Men-
schen in Situationen wiederfinden, in denen sie den
einzigen Ausweg im assistierten Suizid sehen. Oder
schlimmer noch: Wenn durch die bloße Existenz eines
Angebots ärztlicher Hilfe beim Suizid gesellschaftli-
cher Druck entsteht.

Viele Palliativmediziner, Forscher und Begleiter
von Menschen, die sich das Leben nehmen wollten, be-
richten, dass der Wunsch, seinem Leben ein Ende zu
setzen, verworfen wird, wenn psychologische und pal-
liativmedizinische Hilfe in Anspruch genommen wur-
den. In unserer fraktionsoffenen Sitzung haben wir
vom Palliativmediziner Thomas Sitte gehört, dass er in
99 Prozent der Fälle den schwerkranken Patienten
helfen könne. Das muss unser Ziel sein: Helfen, beglei-
ten und Schmerzen lindern!

Kommen wir noch einmal zu der grundsätzlichen
gesellschaftlichen Frage, die ich am Anfang gestellt
habe: Wie wollen wir leben, und wie wollen wir ster-
ben? Die meisten Menschen möchten selbstbestimmt,
ohne Schmerzen und in einem ihnen vertrauten Umfeld
sterben dürfen.

Deshalb wiederhole ich es noch einmal: Ich wün-
sche mir, dass palliativmedizinische Betreuung und
Hospizarbeit deutlich gestärkt werden. Und wir brau-
chen ein flächendeckendes Netzwerk nicht nur statio-
närer, sondern vor allem auch ambulanter Angebote.

Ganz wichtig ist in meinen Augen auch die Bera-
tung. Das Problem ist, dass viele Menschen alternative
Wege, die letzte Lebensphase zu bewältigen, nicht ken-
nen. Viele wissen zu wenig über die verschiedenen
Möglichkeiten der Leidenslinderung, über die wir
heute durch die moderne Medizin verfügen. Gerade
auch das Wirken der Palliativmedizin und der Hos-
pize, in der die Menschen ganzheitlich betreut werden
– nicht nur medizinisch, sondern auch seelsorgerisch,
psychisch und sozial –, wird oft zu wenig wahrgenom-
men.

Für schwerkranke Menschen sind die Familie, das
soziale Umfeld sehr wichtig. Deshalb müssen wir auch
die Familien stärken. Wir müssen den Angehörigen
helfen, mit Situationen, in denen ein Familienmitglied
schwerstkrank oder sterbend ist, umgehen zu können.

Ich bin überzeugt: Wenn es uns gelingt, die Ange-
bote der Hospize und der Palliativmedizin weiter aus-
zubauen und ihre wertvolle Hilfe für die Menschen
erfahrbar zu machen, wird auch der Ruf nach organi-
sierter Suizidbeihilfe und aktiver Sterbehilfe verstum-
men.


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1806611300

Die Diskussion um das Thema Sterbehilfe bewegt

viele Menschen in unserem Land. Nötig wurden eine
breite Diskussion und eine Reaktion, da sich kommer-
zielle Sterbehilfe, das heißt gewerblich organisierte
Vereine und Organisationen, gründeten, um ein
„schnelles“ Sterben zu organisieren.

An erster Stelle steht für mich ein würdevolles und
selbstbestimmtes Leben, und ich möchte keinen Zwei-
fel daran lassen, dass das Leben aller Menschen, ob
sie behindert, krank oder alt sind, schützenswertes Le-
ben ist. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich den Aus-
bau der Hospizarbeit und der Palliativmedizin und
nicht die aktive Sterbehilfe oder das Töten auf Verlan-
gen.

Zurzeit ist in Deutschland die passive Sterbehilfe,
also das Unterlassen von lebensverlängernden Maß-
nahmen, erlaubt. Patienten können in einer Verfügung
selbst bestimmen, wann lebenserhaltende Maßnahmen
unterlassen werden sollen. Auch das Bereitstellen ei-
nes tödlichen Cocktails ist nicht strafbar. Wir erkennen
damit das Recht des Menschen auf sein selbstbestimm-
tes Ende an.

Ich halte das derzeitige Strafrecht für ausreichend.
Der Freitod und die Beihilfe zum Freitod sind straffrei.
Die aktive Sterbehilfe und die Tötung auf Verlangen
sind zu Recht verboten.

Die Politik kann derzeit weder mit dem Strafrecht
noch mit Bürgerlichem Recht in das Standesrecht der
Ärzte eingreifen. Das sollte auch so bleiben. Es sollte
weiterhin straflos bleiben, wenn Angehörige, Naheste-
hende, Ärzte und Sterbehilfevereine selbstlose Beihilfe
zum Freitod leisten. Es darf nicht dazu kommen, dass
sich Alte, Kranke und Behinderte rechtfertigen müs-
sen, weil sie leben wollen, obwohl sie Kosten verursa-
chen. Wir benötigen gute Hilfe beim Sterben, aber
keine Hilfe zum Sterben, und wir müssen verhindern,
dass sich die Sterbehilfe zu einem Geschäftsmodell
entwickelt.


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1806611400

Es ist ein Gebot der Menschenwürde und Selbstbe-

stimmung, in Fällen irreversibel zum Tod führender
Erkrankungen und wenn Palliativmedizin an Grenzen
stößt, dem Wunsch schwer leidender Menschen nach
ärztlicher Hilfe bei selbstbestimmter und selbst zu voll-
ziehender Lebensbeendigung zu entsprechen.
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Nina Scheer


(A) (C)



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Zwar ist die Hilfestellung zum Suizid in Deutsch-
land straflos. Dieser Rahmen sollte aufrechterhalten
bleiben. Einige Ärztekammern untersagen aber jede
Form der Hilfestellung zur selbst vollzogenen Lebens-
beendigung. Allein der Umstand, dass es heute ent-
sprechend ungleiches Landesärztekammer-„Recht“
gibt, wonach Ärztinnen und Ärzte verbreitet eine nach
den heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen legale
Sterbebegleitung nicht leisten können, vermittelt
Rechtsunsicherheiten und bei den betroffenen Men-
schen Angst vor dem Alleingelassenwerden. Entspre-
chende Ängste mögen heute dazu verleiten, statt medi-
zinischer Hilfe durch vertraute Ärztinnen und Ärzte
Hilfe bei kommerziellen Sterbehilfeeinrichtungen zu
suchen. Dies halte ich für einen menschenunwürdigen
Zustand.

In Fällen irreversibel zum Tod führender Erkran-
kungen muss es Ärztinnen und Ärzten möglich sein, bei
selbst zu vollziehender Lebensbeendigung im Rahmen
fachlicher Leitlinien zu helfen. Insofern bedarf es eines
Abbaus bestehender Rechtsunsicherheiten und einer
entsprechenden Anpassung des ärztlichen Standes-
rechts. Eine Beseitigung von Rechtsunsicherheiten und
gegebenen standesrechtlichen Einschränkungen wird
auch dem Abbau von Ängsten vor ärztlichen Therapie-
grenzen dienen.

Auf der politischen Ebene bedarf es aber eines ge-
nauen Hinschauens auf die Wurzeln der Diskussion um
die Sterbehilfe. Und diese sind vielfältig. Zum einen
existieren die skizzierten Rechtsunsicherheiten. Zum
anderen wird aber auch zunehmend offenbar, dass un-
sere Gesellschaft bislang nicht hinreichend auf eine äl-
ter werdende Gesellschaft vorbereitet und eingestellt
ist. Verbreitete Missstände in Pflegeheimen, wie sie
nicht nur durch die jüngst eingereichte Verfassungsbe-
schwerde offenbar werden, vermitteln Ängste vor ei-
nem Altwerden in Abhängigkeiten oder gar vor einem
physischen Ausgeliefertsein – mit leidvollem Lebens-
ende.

Das Modell, wonach Großfamilien die Pflege ihrer
Angehörigen übernehmen und die bei Alt wie Jung be-
stehenden körperlichen Abhängigkeiten auffangen,
kann mit der gegebenen Sozial-, Arbeits- und Alters-
struktur unserer Gesellschaft nicht überall realisiert
werden. Immer mehr Menschen werden ohne Angehö-
rige alt, und immer mehr Menschen werden in Armut
alt. Die Erwartung an den Sozialstaat, auch bei Pfle-
gedürftigkeit garantiert eine menschenwürdige Be-
handlung zu erfahren, wird heute mangels Kapazitäten
und Ausstattung verbreitet nicht hinreichend erfüllt.
Selbst wenn die Herausforderungen inzwischen er-
kannt sind und auch mit der jüngsten Pflegereform
richtigerweise angegangen wurden, bleibt hier eine
große Aufgabe mit Blick auf die Erfüllung des An-
spruchs menschenwürdiger Pflegeumstände bestehen.

Solange in der Vorstellung unserer Gesellschaft und
der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger ein den
Realitäten entsprechendes Abbild unzureichender
Pflege und nicht altersgerechter Fürsorge für alternde
Menschen gezeichnet werden kann, wird es auch die
Angst vor einem Altwerden und die Angst vor hiermit
möglicherweise einhergehenden physischen Abhän-
gigkeiten geben. Diese Angst findet sich auch im Stre-
ben nach Selbstbestimmtheit und eigens zu setzendem
Lebensende wieder. Menschen, die von sich aus nie an
Suizid denken würden, finden heute teilweise ange-
sichts der Vorstellung über eine unwürdige Behandlung
in physischer Abhängigkeit aufgrund körperlichen Al-
terns keine andere Antwort als die des selbstbestimm-
ten Lebensaustritts, für den sie möglicherweise auf
Hilfe angewiesen sein werden. Eine Gesellschaft mit
grundgesetzlich verbrieftem Sozialstaatspostulat darf
es zu solchen Ängsten und zu solchem Notempfinden
nicht kommen lassen!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Demokratische Gesellschaften zeichnen sich durch
die Freiheit des Individuums und sein umfassendes
Recht auf Selbstbestimmung aus. Auch wenn Men-
schen frei entscheiden können, wie sie leben möchten,
bleiben sie dennoch auf die Solidarität der Gesell-
schaft angewiesen; denn niemand kann für sich allein
leben. Dies gilt für das gesamte Leben und besonders
für das menschenwürdige Ende des Lebens und beim
Sterben. Keine Religionsgemeinschaft, keine Ideolo-
gie, kein Staat hat das Recht, diese Selbstbestimmung
einzuschränken. Die Zeiten, in denen sogenannte
Selbstmörder außerhalb des Friedhofs begraben wer-
den mussten, sind glücklicherweise in Deutschland
vorbei.

Was diskutieren wir eigentlich im Moment im Bun-
destag?

Wir sind uns einig, dass die passive Sterbehilfe, das
heißt der Abbruch einer Therapie oder lebenserhalten-
den Maßnahme, wenn die Betroffenen dies ausdrück-
lich oder durch Patientenverfügung wollen, nicht nur
erlaubt ist, sondern sogar umgesetzt werden muss. Wir
sind uns einig, dass eine möglicherweise mit einer Le-
bensverkürzung einhergehende leidens- und schmerz-
mindernde Behandlung erlaubt und gewollt ist.

Wir sind uns weitgehend einig, dass die aktive Ster-
behilfe, das sogenannte Töten auf Verlangen, in
Deutschland verboten ist und es auch bleiben soll. Bei-
spiele aus anderen europäischen Ländern, wie zum
Beispiel den Niederlanden, in denen ärztliche aktive
Sterbehilfe praktiziert wird, mahnen zu äußerster Vor-
sicht. Es ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht
auszuschließen, dass diese zur weiteren Vernachlässi-
gung einer menschenwürdigen Behandlung und Pflege
am Lebensende führt.

Wir sind uns einig, dass es in Deutschland ein Recht
auf Freitod gibt und der Versuch der Selbsttötung nicht
bestraft wird. Wir sind uns auch einig, dass es Bera-
tungs- und Unterstützungsangebote geben sollte, die
ehrenamtlich und uneigennützig Menschen in Notla-
Zu Protokoll gegebene Reden





Kordula Schulz-Asche


(A) (C)



(D)(B)

gen bei der schwerwiegenden Entscheidung über ihren
eigenen, selbstbestimmten Tod beraten.

Was also ist der Anlass der aktuellen Diskussion?
Denn auch die Beihilfe zum Suizid ist grundsätzlich
nicht strafbar. Wir diskutieren das Thema, weil es Un-
ternehmen oder sogenannte Sterbehilfevereine gibt,
die gegen Bezahlung oder wegen einer öffentlich-
keitswirksamen Selbstdarstellung die konkrete Hilfe-
stellung bei der Selbsttötung zum Dienstleistungsange-
bot erklärt haben. Ich halte es für wesentlich, genau zu
unterscheiden: Nicht die uneigennützige Beratung und
Begleitung ist für mich das Problem, sondern der as-
sistierte Suizid als Geschäftsmodell.

Die Beihilfe zum Suizid ist, wie bereits gesagt,
grundsätzlich nicht strafbar. Dies wird aber durch die
Beistandspflicht bestimmter Personengruppen, wie
Ärztinnen und Ärzten, eingeschränkt. Sie machen sich
des Totschlags durch Unterlassen strafbar, wenn sie
bei Suizidanten, die bereits ohne Bewusstsein sind, auf
Rettungsmaßnahmen verzichten. In der Rechtspre-
chung wird die Strafbarkeit bei freiverantwortlichen
Suiziden gelegentlich verneint, aber es herrscht derzeit
große Unsicherheit. In einigen Bundesländern besteht
zudem ein berufsrechtliches Verbot für Ärztinnen und
Ärzte, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten. Hier wären
mehr Rechtssicherheit und vor allem bundeseinheitli-
che Regelungen wünschenswert.

Was jetzt zu tun ist:

Wir brauchen eine starke Förderung des bürger-
schaftlichen Engagements im Bereich der Begleitung
von Menschen am Lebensende, um ihnen ein men-
schenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Dazu gehören
die vielen Hospize und die professionelle Begleitung
der dort ehrenamtlich Tätigen.

Ja, und wir brauchen dringend einen Ausbau der
Palliativversorgung, und zwar nicht die häufige Politi-
kerlyrik, sondern in knallharter Finanzierung für eine
integrierte, ganzheitliche Versorgung schwerstkranker
Menschen. Umfassende multiprofessionelle Therapie-
konzepte gehören ebenso dazu wie die umfassende
Aufwertung eines wesentlichen Elements der Betreu-
ung Schwerstkranker – die patientenzentrierte Kran-
kenpflege – und dazu gehört auch die angemessene
Entlohnung. Die noch junge Wissenschaft der Pallia-
tivmedizin und -pflege zeichnet sich durch vieles aus,
was unserem traditionellen Gesundheitswesen fehlt:
Der Mensch steht tatsächlich im Mittelpunkt. Sein Lei-
den zu lindern, ist Aufgabe berufsübergreifender
Teams von Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften,
Sozialarbeitern bis hin zu den ehrenamtlich Engagier-
ten – in Zusammenarbeit mit den Patientinnen und Pa-
tienten. Um dies zu erreichen, bedarf es eines Umden-
kens in unserer gesamten Krankenversorgung, eines
Endes standesrechtlicher Egoismen und einer abgesi-
cherten Finanzierung durch die Pflege- und Kranken-
versicherung.
Ohne Zweifel braucht es in Einzelfällen allerdings
auch Beratung und Assistenz, um eine selbstbestimmte
Entscheidung zum Freitod umsetzen zu können. Dies
kann nicht durch Geschäftsverträge, sondern nur ge-
meinsam mit Personen des Vertrauens geschehen.

(Wahlschaften auch Personen aus Hospizvereinen und ärztliches oder pflegendes Personal gehören. Der vorgeschlagene Nachweis der besonderen Nähebeziehung ist dabei wesentlich und hebt den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung für Angehörige, aber auch für Gesundheitsberufe auf. Insgesamt würde es der Debatte guttun, wenn wir weniger nur über Selbstbestimmung bei der Wahl der Todesart und des Todeszeitpunkts, sondern mehr über Autonomie und Selbstbestimmung von Individuen am Lebensende reden würden. Dazu gehört auch das Recht auf ein menschenwürdiges Umfeld und auch das Recht auf einen natürlichen Tod. Zu Beginn die Feststellung: Die anstehende Debatte wird schon seit längerem von einer öffentlichen Diskussion begleitet, in der immer stärker die „Protagonisten des süßen Todes“ an Raum gewinnen. Zurzeit werden für mich wahrnehmbar die „Helden der Selbsttötung“ geradezu hofiert. Ich lese und höre da von einem falschen Verständnis von Selbstbestimmung. Daher unterstütze ich voll und ganz die Position der katholischen wie der evangelischen Kirche. Wir brauchen eine „Kultur der Begleitung im Sterben“ und nicht eine „Kultur der Hilfe zum Sterben“. Unsere Ärzte haben sich vor allem verpflichtet, Leben zu erhalten. Eine gesetzliche Erlaubnis für den assistierten Suizid aber würde sie in einen gewaltigen Gewissenskonflikt und viele Menschen in eine tiefe Verunsicherung führen. Wenn in Holland nach vollkommener Liberalisierung bereits einzelne ältere Menschen den Zettel vorhalten: „Maak mij niet dood, Doktor“, dann sollte uns dies nachdenklich werden lassen, die große Tür zum assistierten Suizid nicht zu öffnen. Ich höre, eine Mehrheit in der Bevölkerung befürworte den assistierten Suizid. Dieser Mehrheitsauffassung müsse der Gesetzgeber folgen. Nein, hier geht es um unser höchstes Gut, das Leben, ja, und um die Würde des Menschen, die durch unsere Verfassung geschützt ist. Warum werben wir nicht intensiver für den Erhalt des Lebens, warum führen wir nicht häufiger eine solche Wertediskussion? Wo bleibt bisher die Kampagne der Kirchen vor Ort? Ich bin ganz sicher, eine Mehrheit der Menschen in unserem Lande wird dann mit mir gegen den assistierten Suizid stimmen. So trete ich weiterhin ein für das Verbot der aktiven Sterbehilfe, für ein Verbot der gewerblich organisierten Sterbehilfe sowie vor allem für den Ausbau der schmerzlindernden Palliativmedizin und -pflege. Hier sollten wir zukünftig deutlich mehr leisten. So unterstütze ich den Gruppenantrag von Michael Brand und weiterer Abgeordneter. Zu Protokoll gegebene Reden Bei der Sterbebegleitung müssen wir eine Beglei tung bis in den Tod fördern und nicht die Beförderung in den Tod. Wenn Menschen sich den Tod wünschen, wünschen sie sich eigentlich nur ein schmerzfreies Leben. Hier müssen wir helfen. Dies gelingt uns, indem wir Hospizund Palliativversorgung verbessern und somit Schmerzen gelindert werden können. Schon heute wird vertreten, dass kein Mensch unter Schmerzen sterben muss. Hierzu muss aber auch alles im Bereich der Palliativmedizin getan werden. Krankheit und Sterben sind Teil des Lebens. Die meisten Menschen wünschen, dass das medizinisch Notwendige und Sinnvolle für sie getan wird. Deshalb müssen wir eine flächendeckende, gerade auch ambulante Palliativversorgung und Hospizdienste gewährleisten. Nicht hinnehmbar ist vor diesem Hintergrund völlig unstreitig das Geschäft mit der Sterbehilfe. Dies müssen wir verbieten und müssen hier auch als Staat ein klares Signal für das Leben setzen. Doch damit kann es nicht genug sein. Wirkliche Humanität kann nämlich nur Hilfe beim Leben sein, niemals aber Hilfe beim Sterben, und dies darf auch nicht unter dem Deckmantel von Vereinen geschehen. In Artikel 1 Absatz 1 GG steht für die Ewigkeit festgeschrieben der Grundsatz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das bedeutet aber, dass der Mensch würdevoll lebt, nicht, dass er würdevoll stirbt. Mit der erlaubten Hilfe zum Sterben wird die Würde des Menschen gerade angetastet. Weiter heißt es in Artikel 1 Absatz 1 GG zur Würde: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Genau das also ist auch unsere Pflicht. Wir als Parlament dürfen uns nicht von einem angeblich „leichten Tod“ verführen lassen. Wir müssen an dem festhalten, was uns der Grundsatz der Unantastbarkeit der Würde gebietet. Das Leben und vor allem die Würde sind dem Menschen nicht disponibel. Anfang und Ende bestimmt nicht der Mensch. Insoweit zumindest sind wir in Gottes Hand. Wir dürfen hier keine Ausnahmen zulassen. Jede Ausnahme würde nämlich bereits die Grundfesten des Würdeschutzes erschüttern und zerstören. Ich spreche mich daher für ein grundsätzliches Verbot der Suizidbeihilfe für alle Personen aus. Hierbei kann man sich am Vorbild Österreichs orientieren. Entsprechend der österreichischen Rechtslage wäre dann unter Strafe zu stellen, „wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet“. Hier sollten wir über die vorliegenden Gruppenanträge hinaus die Einführung eines § 217 StGB diskutieren Die Sterbehilfe auch durch nahe Angehörige darf nicht als humane Tat gewertet werden. Einem anderen dabei behilflich zu sein, das Leben zu beenden, ist niemals eine menschliche Tat. Die menschliche Tat wäre es nämlich, dem anderen in seiner Not beizustehen. Ich hoffe, dass in der folgenden Debatte auch diese Position noch deutlicher vertreten werden wird. Erst dann werde ich mich einem der Anträge anschließen können oder Überlegungen, die ergänzend zu den vorliegenden Anträgen sind, zur Diskussion stellen. Die Themen Sterbebegleitung und Sterbehilfe sind Anlass für eine Debatte im Deutschen Bundestag, in der jeder einzelne Abgeordnete sein persönliches Gewissen besonders eindringlich prüft. Es ist eine Debatte, bei der keine einfachen Antworten existieren, bei der es schwierig ist, zwischen richtig oder falsch zu unterscheiden. Die aktuelle Diskussion um die Sterbebegleitung und Sterbehilfe wühlt nicht nur uns als Parlamentarier auf. Das Pro und Contra wühlt die Gesellschaft insgesamt auf. Die Kirchen, eine Vielzahl von Verbänden und Organisationen nehmen Stellung. Viele Frauen und Männer haben zu den Themen Sterbebegleitung und Sterbehilfe ihre ganz persönliche Meinung. In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir als Abgeordnete die Wirkmächtigkeit dieses Themas bereits durch eine Vielzahl von Zuschriften aus unseren Wahlkreisen, von Verbänden und Privatpersonen hautnah erleben können. Auch über die Medien, ob in Funk und Fernsehen oder in den sozialen Medien, wurde bereits deutlich, wie differenziert und wie emotional besetzt dieses Thema ist. Ich bin mir sicher, dass die Meinungsbekundungen in den kommenden Wochen sogar noch zunehmen werden. Ich halte aber diesen Prozess für notwendig und dringend geboten. Dieser Diskussionsprozess wird für den Zusammenhalt der Menschen in unserem Land hilfreich und ein Gewinn sein. Schließlich geht es in dieser Diskussion, die wir hier in diesem Haus, aber auch außerhalb, in der gesamten Gesellschaft, führen, nicht nur um das Gewissen jedes Einzelnen. Vielmehr wird die Entscheidung, die wir am Ende dieses Diskussionsprozesses treffen werden, eine gesamtgesellschaftliche Tragweite haben. Die große Frage wird daher sein, welche Signale wir aus diesem Plenum heraus, aus Berlin heraus in unser Land senden werden? Ich bin überzeugt, dass die Debatte um dieses gesellschaftlich so wichtige Thema bereits zu diesem Zeitpunkt eine positive Wirkung entfaltet hat. Der Prozess, in dem wir uns alle gemeinsam derzeit befinden, zeigt eindrucksvoll die Funktionsfähigkeit, Vitalität und Stärke der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Die Debatte zeigt, wie ernsthaft und verantwortungsvoll wir ethische Grundsatzfragen der Zeit parlamentarisch und gesellschaftlich diskutieren. Im Vorfeld dieser heutigen Debatte im Bundestag wurden bereits verschiedene Positionspapiere von Abgeordneten erarbeitet und veröffentlicht. Einige von diesen Positionspapieren sind unter parteiübergreifender Beteiligung entstanden. Sie haben verschiedene Zu Protokoll gegebene Reden Peter Weiß Schwerpunkte und differenzieren untereinander. Ich begrüße es sehr, dass nicht die Parteizugehörigkeit bei der Erstellung der Positionspapiere im Mittelpunkt stand, sondern einzig und allein die gemeinsame Überzeugung in der Sache. Dieses Signal der Kooperation stimmt mich optimistisch, dass von der heutigen Debatte ein positiver Impuls in die Gesellschaft ausgehen wird. An dieser kooperativen Arbeitsweise sollten wir daher gemeinsam in den kommenden Wochen und Monaten festhalten. Schließlich darf es am Ende dieses Prozesses – so ist meine feste Überzeugung – keine Gewinner oder Verlierer, insbesondere nicht bei den Betroffenen geben. Am Ende dieses Prozesses sollte ein möglichst großer gesellschaftlicher Konsens stehen, hinter dem sich die Menschen in unserem Land gemeinsam versammeln können. In der jüngeren Vergangenheit haben einige Beispiele der Selbsttötung für öffentliche Furore gesorgt. Am 1. November dieses Jahres hat die todkranke 29jährige Amerikanerin Brittany Maynard ihre Ankündigung wahrgemacht und sich selbst getötet. Der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter nahm sich nach fast 50 Jahren im Rollstuhl das Leben. Seiner im Fernsehen verlesenen Erklärung war zu entnehmen, dass er nicht als ein von anderen abhängiger Pflegefall enden wollte. Auch beim US-amerikanischen Schauspieler Robin Williams, der wohl an Parkinson in einer frühen Phase litt, mag die Angst vor dem Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper ein zentrales Motiv gewesen sein. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sind aber auch durch weniger öffentlichkeitswirksame Fälle für das Thema Suizid und Sterbehilfe sensibilisiert. Ob im eigenen Familienund Bekanntenkreis – jeder von uns wurde und wird mindestens einmal im Leben mit der Kombination von Tod, Schmerz und Leiden konfrontiert. Der Tod, der oftmals mit den Leiden und Qualen des Betroffenen, des Ehepartners, der Eltern oder auch der eigenen Kinder verbunden ist, wirft häufig die Frage auf, ob es nicht besser wäre, wenn dieses Leiden durch die aktive Handlung einer anderen Person beendet werden könnte. Das bedeutet, das eigene Schicksal in die Hände eines anderen legen, der entscheiden kann, ob man von dem Leiden erlöst wird oder nicht. Meiner Ansicht nach ist es nicht verwunderlich, wenn rund zwei Drittel der in Deutschland lebenden Menschen die „aktive Sterbehilfe“ befürworten. Allerdings zeigen Nachfragen, dass unter „aktiver Sterbehilfe“ von denselben Personen sehr Unterschiedliches verstanden wird, erst recht wird darunter mehrheitlich nicht aktive Mithilfe zur Selbsttötung verstanden. Häufig wird in diesem Zusammenhang vor allem geäußert, dass in unserer Gesellschaft ein Sterben in Würde möglich sein muss. Niemand wünscht anderen und niemand wünscht sich selbst, qualvoll, unter Schmerzen und auch noch alleine, ohne liebende Zuwendung anderer zu sterben. Daraus den Schluss zu ziehen, dass „aktive Sterbehilfe“ eine Lösung sein könnte und daher generell nicht unter Strafe zu stellen sei, halte ich jedoch für fatal. Sterben in Würde heißt für mich, dass ein Leben nicht nur am Anfang und in der Mitte des Lebens in Würde möglich sein muss, sondern auch insbesondere am Ende des Lebens. Gerade in der letzten Phase des menschlichen Lebens, welche oft durch Leid, Krankheit und Schwäche geprägt ist, sind Menschen besonders schutzbedürftig und hilfebedürftig. Und deshalb muss es in erster Linie um Hilfe und Begleitung gehen. Ich sperre mich entschieden gegen jeden Versuch, den in unserer Verfassung verankerten Grundsatz des Schutzes der Menschenwürde aufzuweichen. In Deutschland sind der Suizid und die Beihilfe zum Suizid bisher straflos. Das soll auch meiner Meinung nach so bleiben. Die Kriminalisierung der Selbsttötung sowie deren indirekten Beihilfe halte ich für schwierig. Ich möchte es mir nicht anmaßen, einen Menschen zu verurteilen, der die Selbsttötung als letzten Weg gewählt hat. Die Motive für seine Wahl sind wahrscheinlich vor allem auf die eigene Ausweglosigkeit zurückzuführen und für ihn selbst schwierig genug gewesen. Die Moralkeule möchte ich daher nicht schwingen, wenngleich ich für mich persönlich jede Form der Selbsttötung ablehne. Eine klare Trennlinie muss aber gezogen werden gegenüber den verschiedenen Formen der organisierten Selbsttötung. Das trifft vor allem auf die Arbeitsweise der Sterbehilfevereine zu. Meist handelt es sich dabei um eine seltsame Verquickung von geschäftlichen und vermeintlich helfenden Aspekten. Jeder Versuch, der organisierten Sterbehilfe die Tür einen Spalt zu öffnen, würde meiner Meinung nach unweigerlich dazu führen, dass irgendwann Tür und Tor für jedwede Sterbehilfe geöffnet ist. Ich kann in diesem Zusammenhang nur ausrufen: Wehret den Anfängen! Wer in Sachen aktiver Sterbehilfe einen Ausnahmetatbestand schafft, weckt Begehrlichkeiten, und wer Begehrlichkeiten weckt, schafft neue Ausnahmetatbestände bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Ausnahmetatbestand zum Regelfall geworden ist. Das betrifft auch die ärztliche Tätigkeit im Sterbeprozess. Deshalb sage ich auch in aller Deutlichkeit: Ärzte sind keine Sterbehelfer, sondern Sterbebegleiter! Die Äußerungen der Standesvertreter der Ärzteschaft in den vergangenen Tagen und Wochen haben mich in dieser Auffassung noch einmal bestätigt. Die Ärzteschaft selbst lehnt die Beihilfe zum Suizid als ärztliche Regelleistung ab. Es ist nicht Aufgabe der Ärzte, den Tod aktiv herbeizuführen. Es darf auch niemals dazu kommen, dass eine einzelne Personengruppe jemals zum Richter über Leben und Tod wird. Im Bereich der Ärzteschaft ist es allein für das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt unerlässlich, dass dieser Grundpfeiler niemals erschüttert wird. Was Ärzte brauchen, ist eine einwandfreie Rechtssicherheit, und diese müssen wir ihnen in einem gesellschaftlichen Konsens geben. Statt ärztlich assistierten Suizid zu einer scheinbar normalen Behandlungsoption zu machen, die im Ergebnis eine Öffnungsklausel für Töten auf Verlangen Zu Protokoll gegebene Reden Peter Weiß beinhaltet, müssen wir uns daher eher auf die ethischen Grundsätze der ärztlichen Sterbebegleitung besinnen, die lindernde Hilfe und nicht das schnelle Herbeiführen des Todes zum Ziel haben. Mit den gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung ist übrigens ein zuverlässiges Instrument geschaffen worden, im Voraus klare Anweisungen für das ärztliche Handeln am Ende des Lebens niederzuschreiben. Wir dürfen die Menschen, insbesondere die Armen und Schwachen, die Alten und diejenigen, die ohne Familie dastehen, in den Stunden des Schmerzes und des Leidens nicht alleine lassen. Umfragen haben auch ergeben, dass es gerade diese Gruppen sind, die infolge einer legalisierten Form der organisierten Sterbehilfe unter Druck geraten, das Angebot einer organisierten Form der Sterbehilfe anzunehmen, weil sie den Eindruck haben, niemanden mehr belasten zu wollen, aus Scham vor dem eigenen Dasein, aufgrund der scheinbaren Ausweglosigkeit ihrer Situation oder einzig und allein aus Kostengründen. Für mich darf sich niemand aus Angst vor Schmerz, Einsamkeit und Kontrollverlust gedrängt fühlen, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der diese Argumente – nicht schon jetzt, aber vielleicht irgendwann einmal – eine Rolle spielen. Die Frage ist daher: Was müssen wir tun, um zu verhindern, dass eine solche gesellschaftliche Entwicklung eintritt? Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir die Hospizarbeit, die Palliativversorgung und die Arbeit der Schmerztherapeuten in Deutschland stärker fördern müssen. Niemand muss unerträgliche Schmerzen erdulden. Hilfe ist möglich. Schon heute wird in diesem Bereich eine hervorragende Arbeit geleistet. Eine Arbeit, die auch geprägt ist durch das großartige Engagement von vielen Bürgerinnen und Bürgern, die sich ehrenamtlich für ihre Mitmenschen zum Beispiel in Hospizgruppen engagieren. Bürgerinnen und Bürgern, die sich bewusst dafür entschieden haben, sich um ihre Mitmenschen zu kümmern. Bürgerinnen und Bürgern, welche für diese Menschen eine Stütze sind und ihnen auch in scheinbar dunklen Stunden Beistand leisten. Die Stärkung der palliativen Versorgung und der Hospizarbeit stellt uns aber auch vor enorme Herausforderungen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels werden die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in Zukunft sogar noch zunehmen. Wie ist es beispielsweise heute, wenn jemand alt und schwer erkrankt ist? In den allermeisten Fällen existieren Angehörige in der Nähe, die sich auch um diese Mitmenschen kümmern können und die für diese Mitmenschen da sind. Aber wie wird es sein, wenn keine Familie mehr im Umkreis vorhanden ist, weil sie in einer anderen Stadt leben oder gar in einem anderen Bundesland? Wir verlangen von den Menschen heute, dass sie flexibel sind. Wir brauchen dann aber auch Strukturen, die diese Anforderungen auffangen. Wir dürfen Menschen, auch wenn sie alt sind, auch wenn sie schwerkrank sind, nicht alleine lassen. Daher sind wir gefordert, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Bereich zu stärken, alternative Angebotsformen für die Versorgung von alten und schwerkranken Menschen zu finden und die weißen Flecken in der Hospizversorgung und Palliativmedizin zu beseitigen. Ziel muss es sein, ein flächendeckendes und leistungsfähiges Hospizund Palliativangebot in ganz Deutschland sicherzustellen. Ganz wichtig ist dabei auch, die Sterbebegleitung dort zu stärken, wo die Menschen sind. Dazu gehören insbesondere auch die Pflegeeinrichtungen. Es geht ums Kümmern und das Bekämpfen von Ängsten. Die Botschaft aus dem Deutschen Bundestag sollte lauten: Hilfe und Begleitung am Ende des Lebens, um menschenwürdig sterben zu können, sind unsere zentralen Anliegen. Dafür wollen wir bessere Rahmenbedingungen und Regelungen schaffen. Den Anfängen organisierter oder auch verdeckt organsierter Sterbehilfe sollten wir wehren! Wer die Schleuse für die organsierte Selbsttötung in Deutschland einmal öffnet, wird den Fluss nicht mehr aufhalten können, sondern einen Dammbruch erreichen. Der Schutzauftrag unserer Verfassung verlangt, sicherzustellen, dass auch aufgrund schwerer Krankheit oder Alters hilfebedürftige Menschen den Wert ihres Lebens erkennen können und nicht etwa aus Sorge und Angst, anderen lästig zu fallen, am Ende den Suizid anstreben. Ein Leben in Würde bedingt auch ein Sterben in Würde. Dafür wollen wir gemeinsam eintreten. Bei der Debatte über das Thema Sterbehilfe gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Das Wertvollste an der Diskussion heute aber ist, dass sie stattfindet, dass wir anfangen, über elementare Fragen zwischen Leben und Tod zu sprechen, dass wir beginnen, Parameter abzustecken zwischen juristischen, medizinischen, philosophischen, theologischen, ethischen Fragen – ruhig, sachlich, nachdenklich, aber nicht ideologisch oder gar parteipolitisch. Unser Grundgesetz gibt es vor: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Daraus leiten wir ab, dass wir ein selbstbestimmtes Leben führen können müssen. Daraus muss sich aber auch ableiten lassen, dass man selbstbestimmt sterben darf. Dies jedoch nicht um jeden Preis. Wir dürfen keine Ökonomisierung des Sterbens in Deutschland zulassen, das heißt ein an den Maßstäben der Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnmaximierung orientierter Markt für Suizidbeihilfeleistungen darf nicht entstehen. Deshalb lehne ich persönlich gewerbliche und organisierte Unterstützung zum Suizid ab. Eine Hilfestellung bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung sollte nur auf der Grundlage ärztlicher Fachkenntnis und in medizinischer Begleitung erfolgen. Nicht sollte die VerZu Protokoll gegebene Reden Dagmar G. Wöhrl antwortung alleine auf enge Angehörige übertragen werden. Unsere Verantwortung gebietet es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um kranken Menschen durch die bestmögliche medizinische und menschliche Begleitung ein Ja zum Leben zu ermöglichen. Dazu gehören eine konsequente Inanspruchnahme und Fortentwicklung palliativmedizinischer Möglichkeiten und ein Ausbau des Hospizwesens. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, dass Menschen besser und länger leben können. Dies ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Zugleich führt die medizinisch ermöglichte Lebensverlängerung zu neuen Herausforderungen in der Behandlung eines krankheitsbedingten Leidens in der Sterbephase. In den Fällen, in denen auch die Palliativmedizin bei zum sicheren Tod führenden Erkrankungen für den Patienten nicht infrage kommt, leiden schwerstkranke Menschen oftmals eine große Not. Das körperliche und psychische Leiden ihrer Patienten stellt auch für die Ärzte eine äußerst belastende Situation dar. Während die Hilfestellung zum Suizid gesetzlich straflos ist, untersagen einige Ärztekammern in Deutschland jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung ihrer Patienten. Dies sowie eine in Bezug auf Grenzfälle komplizierte Rechtslage führen zur Rechtsunsicherheit bei Ärzten und Patienten. Menschen in auswegloser Lage werden hierdurch zusätzlich belastet, gerade auch durch die zahlreichen Graubereiche, die es im momentanen Regelungskonstrukt gibt. Derzeit ist es so, dass die 17 Landesärztekammern in Deutschland unterschiedlich in ihrem jeweiligen Standesrecht regeln, ob Ärzte ihren Patienten bei der Selbsttötung assistieren dürfen. Es kann aber nicht sein, dass wir in Deutschland 17 verschiedene Wege zum Sterben haben. Und erst recht möchten wir einem möglichen „Sterbetourismus innerhalb und außerhalb Deutschlands“ vorbeugen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf die Bayerische Landesärztekammer verweisen. In der Berufsordnung für bayerische Ärzte steht, dass sie Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und ihres Willens beizustehen hätten. Die Unterstützung von Sterbenden führt also nicht zu einem möglichen Berufsverbot. Auf diese Gewissenfreiheit, die bayerische Ärzte genießen, sollen sich alle Ärzte in Deutschland berufen können. Wir haben Regelungen für ein menschenwürdiges Leben. Wir benötigen aber auch Normen für ein menschenwürdiges Sterben. Eine solche Regelung, wie ich sie mit meinen Kollegen Peter Hintze, Katherina Reiche, Dr. Carola Reimann, Professor Dr. Karl Lauterbach und Burkhard Lischka vorgestellt habe, sollte es volljährigen und einsichtsfähigen Menschen ermöglichen, die freiwillige Hilfe eines Arztes bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch zu nehmen, wenn feststeht, dass eine unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, der Patient objektiv schwer an einer organischen Krankheit leidet, eine umfassende Beratung des Patienten bezüglich anderer, insbesondere palliativer Behandlungsmöglichkeiten stattgefunden hat und die ärztliche Diagnose von einem anderen Arzt bestätigt wurde. Bei unserem Entwurf steht also ein umfassendes und lebensbejahendes Gespräch zwischen Patient und Arzt im Mittelpunkt. Die Ermutigung zum Leben sowie eine umfassende Aufklärung über die palliativmedizinischen Möglichkeiten müssen dabei immer Vorrang haben. Allein das sichere Wissen, im Falle einer aussichtslosen Lebenssituation auf die Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe zur Beendigung ihres Lebens zurückgreifen zu können, hilft schwer leidenden Menschen, von einer tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Möglichkeit abzusehen. Aus Sterbehilfe wird somit Lebenshilfe. Auch wenn wir hier über das Ende der menschlichen Existenz sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass das Leben unser wertvollstes Geschenk ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss einer wichtigen und ernsthaften Debatte, aber noch lange nicht an deren Ende. Heute ist jedenfalls, wie ich denke, ein guter Tag für die Palliativmedizin und die Hospizbewegung in Deutschland. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Zimmermann W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit Drucksache 18/3146 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland sind über 1 Million Menschen ein Jahr und länger erwerbslos. Jeder dritte registrierte Erwerbslose ist inzwischen langzeiterwerbslos. Betroffen sind vor allem ältere Menschen, Erwerbslose ohne Berufsausbildung, Menschen mit Behinderung, Frauen und Alleinerziehende. Für diejenigen, die in der Arbeitslosenstatistik nicht auftauchen, gilt noch lange nicht, Sabine Zimmermann dass sie keine Probleme hätten. Nein, viel zu viele pendeln zwischen kurzfristigen Jobs und Erwerbslosigkeit hin und her. Hinter all diesen nüchternen Zahlen stehen Einzelschicksale, die uns betroffen machen und nicht ruhen lassen sollten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Reinhold Sendker (CDU):
Rede ID: ID1806611500




(A) (C)


(D)(B)

Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1806611600
Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1806611700




(A) (C)


(D)(B)





(A) (C)


(D)(B)

Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1806611800




(A) (C)


(D)(B)

Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806611900

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


(Beifall bei der LINKEN)

Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806612000




(A) (C)


(D)(B)


Deshalb legt die Linke heute ein Programm zur Bekämp-
fung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit vor.

Was heißt heute eigentlich „Langzeiterwerbslosig-
keit“? Jeder siebte Erwerbslose lebt unter der Armuts-
grenze. Fast alle Langzeiterwerbslosen befinden sich im
Hartz-IV-Bezug. Das heißt: ständige Gänge zu den Äm-
tern, oft Auflagen, Gängeleien, aber meist wenig Aus-
sicht auf eine gute Förderung bzw. einen guten Job. Ih-
nen und ihren Kindern wird eigentlich gesellschaftliche
Teilhabe verweigert. Dass wir diese Zustände bekämp-
fen müssen, sollte nicht nur unser soziales Gewissen for-
dern, sondern das ist auch eine zutiefst demokratische
Aufgabe.


(Beifall bei der LINKEN)


Erwerbslose nehmen ihr Wahlrecht viel zu selten
wahr, weil sie auch der Meinung sind, dass sie von der
Politik nichts mehr zu erwarten haben. Das, meine Da-
men und Herren, gefährdet die Demokratie. Ich muss Ih-
nen sagen: Ihre Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre hat
hier deutlich versagt.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin seit 20 Jah-
ren in der Arbeitsmarktpolitik unterwegs: als Gewerk-
schafterin, in einigen Verwaltungsausschüssen der
Bundesagentur für Arbeit und in vielen Beiräten der Job-
center. Mit dieser Erfahrung im Hintergrund sage ich Ih-
nen: Die Ankündigungen Ihrer Bundesarbeitsministerin
machen mir wenig Hoffnung.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das von ihr vorgelegte Konzept zum Abbau der
Langzeiterwerbslosigkeit greift aus unserer Sicht viel zu
kurz und ist in weiten Teilen völlig unverbindlich. Es ist
auch nichts Neues; das haben wir alles schon gehabt. Die
Bundesarbeitsministerin will zwei kleine Schmalspur-
programme auflegen, die höchstens 43 000 Langzeiter-
werbslose erreichen. Ich frage mich wirklich – schade,
dass die Frau Ministerin heute nicht da ist –: Was pas-
siert mit der verbleibenden 1 Million betroffener Men-
schen?


(Beifall bei der LINKEN)


Was mich am meisten ärgert, ist, dass die Ursachen
für die Langzeiterwerbslosigkeit immer wieder bei den
Einzelnen und ihren angeblich zahlreichen Vermittlungs-
hemmnissen gesucht werden. Aufgezählt werden Gründe
wie Alter über 50, Migrationshintergrund, alleinerzie-
hend oder eine Behinderung. Aber all das sagt überhaupt
nichts über die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen
aus, über das individuelle Leistungsvermögen. Es deutet
vielmehr auf ein diskriminierendes Einstellungsverhal-
ten der Arbeitgeber hin. Wir wissen aus Untersuchun-
gen, dass zwei von drei Betrieben Langzeiterwerbslose
im Bewerbungsverfahren schon vorher aussortieren.

Die Arbeitsministerin verliert auch kein Wort über
den arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag, den wir seit
2010 erlebt haben: Auf der einen Seite wurden Milliar-
den für die Bankenrettung bereitgestellt, auf der anderen
Seite wurden Milliarden in der Arbeitsmarktpolitik ge-
kürzt. Ich frage mich wirklich: Ist die Arbeitsmarktpoli-
tik das Sparschwein der Nation? Das kann doch so nicht
weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Sie noch nicht an der Regierung waren, liebe Kol-
leginnen und Kollegen der SPD, haben Sie dagegen ge-
wettert; ich höre Sie hier noch reden. Und heute? Heute
passiert nichts mehr. Zwischen 2010 und 2013 ist die
Zahl der Langzeiterwerbslosen nur um 5 Prozent zu-
rückgegangen, aber bei der Zahl der Fördermaßnahmen
gab es einen Rückgang von 41 Prozent. – Ja, Frau Mast,
da brauchen Sie nicht zu lachen.


(Katja Mast [SPD]: Ich lache nicht! Ich höre Ihnen zu!)


Ich sage Ihnen: Das passt doch nicht zusammen.

Wir als Linke legen heute ein Fünf-Punkte-Programm
zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbs-
losigkeit vor. Wir haben dieses Programm mit den Ge-
werkschaften, Erwerbsloseninitiativen und Vertretern
der Wissenschaft zusammen beraten.

Erstens. Wir sagen: Wer Erwerbslosigkeit wirksam
bekämpfen will, braucht mehr Beschäftigung. Bundes-
weit kommen trotz günstiger Arbeitsmarktentwicklung
mehr als drei Erwerbslose auf eine offene Stelle. In
Nordrhein-Westfalen kommen fünf Erwerbslose und in
Sachsen-Anhalt neun Erwerbslose auf eine Stelle. Das
ist natürlich eine schwierige Situation.

Notwendig ist aus unserer Sicht ein Investitions- und
Zukunftsprogramm für mehr gute Arbeitsplätze. Zudem
muss es die Regierung endlich möglich machen, dass
Mittel der Arbeitsmarktpolitik zur Schaffung sozialver-
sicherungspflichtiger Beschäftigung genutzt werden kön-
nen. Ich will hier nur das Stichwort Aktiv-Passiv-Trans-
fer nennen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir schlagen ein Programm zur öffentlich geförderten
Beschäftigung im Umfang von 200 000 Stellen vor.

Die Kolleginnen und Kollegen der SPD möchte ich
an Folgendes erinnern: Im Wahlkampf sprachen Sie vom
„sozialen Arbeitsmarkt“.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wir sprechen auch heute noch davon!)


Da muss ich Sie fragen: Haken Sie das unter „Verspro-
chen – Gebrochen“ ab? Oder wie sollen wir das einord-
nen?


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)






Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(D)

Zweitens. Qualifizierung ist das A und O; ich denke,
darin sind wir uns alle einig. Etwa die Hälfte aller Be-
troffenen hat keine oder eine veraltete Berufsausbildung.
Das sind etwa eine halbe Million Menschen. Hier pas-
siert zu wenig. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf
Qualifizierung für die Betroffenen. Nur das kann auf
dem Arbeitsmarkt wirklich wirksam sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Wir müssen die Vermittlung vom Kopf auf
die Füße stellen. Ich weiß nicht, mit wie vielen Betroffe-
nen Sie zu tun haben. Ich zumindest habe mit sehr vielen
Betroffenen zu tun. Mir hat eine Betroffene geschrieben,
dass viele Menschen psychische Probleme bekommen,
nicht nur wegen der anhaltenden Erwerbslosigkeit, son-
dern wegen – ich zitiere – des wenig menschenfreundli-
chen Umgangs der Jobcenter mit den Betroffenen. Wei-
ter schreibt sie: Drohungen, Schikanen, Willkür und ein
Klima der Angst vertiefen die Probleme, anstatt sie zu
beseitigen.


(Zuruf der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU])


Wir sagen deshalb klar: Die Sanktionen müssen end-
lich abgeschafft werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Betroffenen brauchen eine Vermittlung, die mit ih-
nen gemeinsam an ihren Stärken und an ihren Potenzia-
len ansetzt, also eine Vermittlung auf Augenhöhe, damit
Erwerbslose nicht immer wieder nur als Bittsteller gese-
hen werden. So sollte es nicht sein. So ist keine profes-
sionelle Vermittlung möglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Personalsituation in den Jobcentern ist zu
verbessern. Die 1 000 befristeten Vermittlerstellen, de-
ren Laufzeit Frau Nahles verlängern will, bedeuten nicht
dauerhaft mehr Personal und schon gar nicht einen bes-
seren Betreuungsschlüssel.

Viertens wollen wir die Arbeitgeber wieder stärker in
die Pflicht nehmen. Durch die gesenkten Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung wurden die Arbeitgeber in den
letzten Jahren um 100 Milliarden Euro entlastet. Ich
frage Sie: Warum? Es geht doch nicht an, dass die Ar-
beitgeber immer stärker aus der Finanzierung der Ar-
beitslosigkeit herausgenommen werden.

Wir wollen einen Sonderbeitrag zur Bekämpfung von
Langzeitarbeitslosigkeit einführen. Damit hätten wir
4,5 Milliarden Euro mehr im Jahr zur Verfügung.


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens brauchen wir für die älteren Erwerbslosen
armutsfeste Übergänge. Darauf wird mein Kollege noch
eingehen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die bisherigen Pläne Ihrer Arbeitsministerin deuten an,
dass diese Koalition grundsätzlich nichts verändern
wird. Sie setzen auf Schmalspurprogramme, und Sie
wollen den Betroffenen keine Rechtsansprüche einräu-
men, weil Sie keinen Cent mehr in die Hand nehmen
wollen. Mit einer nachhaltigen Strategie hat das rein gar
nichts zu tun.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das finde ich ungeheuerlich! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wenn Sie ernsthaft etwas gegen Langzeiterwerbslo-
sigkeit tun wollen, dann geht das nicht zum Nulltarif.


(Katja Mast [SPD]: Ist ja auch kein Nulltarif!)


Dann müssen Sie Geld in die Hand nehmen, um den
Menschen wieder eine Perspektive am Arbeitsmarkt zu
geben. Dafür werden wir als Linke weiter streiten.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806612100

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Professor

Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1806612200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große

Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung dafür
ausgesprochen, Geringqualifizierten und Langzeitar-
beitslosen neue Chancen zu erschließen. Zu diesem
Zweck hat die Ministerin ein Eckpunktepapier vorgelegt,
und auch in unserer Fraktion werden zurzeit einige Ideen
diskutiert, wie wir Langzeitarbeitslosen mit besonderen
Vermittlungshemmnissen helfen können, Teilhabe und
Integration am Arbeitsmarkt zu finden.

Wir haben in der Instrumentenreform 2011 vielleicht
zu sehr den Blick auf die schnelle Integration in den ers-
ten Arbeitsmarkt gelegt. Das war für einen großen Teil
der Langzeitarbeitslosen auch richtig. Aber wir müssen
nun nach dem Prinzip des Aufstiegs und Ausstiegs auch
diejenigen an die Hand nehmen, die besondere Schwie-
rigkeiten haben.

Wir müssen davon ausgehen, dass bis zu 200 000 Men-
schen trotz Bemühen keine Chance auf eine Beschäfti-
gung im ersten Arbeitsmarkt haben, da sie mehrere Ver-
mittlungshemmnisse aufweisen, etwa gesundheitliche
Beeinträchtigung, Sucht, Schulden oder aber die Lang-
zeitarbeitslosigkeit selbst.

Ich sage das so deutlich, weil es an groben Unfug
grenzt, zu behaupten: Man muss einfach nur die flexi-
blen Beschäftigungsformen erhalten und ausbauen, dann
würde sich das Problem schon lösen.


(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


Gemeint sind Teilzeit, Zeitarbeit und geringfügige Be-
schäftigung, jedenfalls nach Meinung der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft.


(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


Wir reden bei den verfestigten Formen der Langzeit-
arbeitslosigkeit über Menschen, die teilweise mehrere
Vermittlungshemmnisse haben, die zur Rückkehr auf

(B)






Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)

den ersten Arbeitsmarkt einer engen Begleitung und Be-
treuung bedürfen und die nicht einfach von heute auf
morgen wieder auf den ersten Arbeitsmarkt gehen kön-
nen, sondern Zeit brauchen. Denen nutzen die Rat-
schläge der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
nichts. Die brauchen begleitende und nachbereitende
Betreuung, und die gibt es in der Regel bei den flexiblen
Beschäftigungsformen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in der Union in diesem Zusammenhang
mit einer kleinen Gruppe von Arbeitsmarktpolitikern
den Passiv-Aktiv-Transfer diskutiert und uns die Frage
gestellt, ob das nicht ein geeignetes Instrument sein
könnte. Wir sind uns da selbst nicht sicher. Deswegen
haben wir in einem Thesenpapier gesagt: Lasst uns das
Instrument einmal ausprobieren. – Wir wollen also nicht,
wie es das Institut der deutschen Wirtschaft behauptet
hat, dieses Instrument bei allen Langzeitarbeitslosen zur
Anwendung bringen, sondern wenn überhaupt, dann nur
als Pilotprojekt. Schon gar nicht sollen die Menschen,
für die wir an einen solchen Passiv-Aktiv-Transfer den-
ken, darüber hinaus in einer Art dauerhafter Staatssub-
ventionierung landen. Das Ziel ist eine Beschäftigung im
ersten Arbeitsmarkt. Deswegen kann ich mir einen Pas-
siv-Aktiv-Transfer nur zeitlich eng befristet vorstellen.

Ich bin im Übrigen etwas erstaunt gewesen, dass der
Passiv-Aktiv-Transfer nicht im Eckpunktepapier der
Ministerin auftaucht.


(Daniela Kolbe [SPD]: Ich auch! – Katja Mast [SPD]: Das liegt nicht an der Arbeitsministerin!)


Aber sie hat eine Regelung zu Lohnkostenzuschüssen in
Aussicht gestellt, die mit 150 Millionen Euro im Jahr
finanziert wird. Vielleicht lässt sich unter diesem Schirm
auch ein Pilotprojekt zur Erprobung des Passiv-Aktiv-
Transfers einbinden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unabhängig vom Namen des Ganzen bin ich dafür, dass
wir die Kommunen nicht aus der Verantwortung entlas-
sen und dass es darum gehen muss, Beschäftigung zu
finanzieren, nicht Arbeitslosigkeit.

Der Antrag der Linken, Frau Kollegin Zimmermann,
lässt sich kurz zusammenfassen: mehr Geld. – Das erin-
nert an den Jago aus Shakespeares Othello, dessen Kern-
satz ja lautet: „Open thy purse“ – öffne deine Geldbörse!
Ich will die Linke aber nicht mit dem Erzbösewicht Jago
vergleichen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schon mal nett!)


Da war am Ende Schweigen, und das wäre schade; denn
Ihr Antrag enthält mindestens zwei Aspekte, die ich tat-
sächlich teile.

Zum Ersten teile ich die Forderung, die Vermittlung
und die Betreuung individueller und nachhaltiger zu ge-
stalten; das ist richtig. Die Betreuer vor Ort sollen nicht
nach einem Schema vorgehen, sondern auch sehr indivi-
duell die Hilfe zur Wiedereingliederung zuschneiden
dürfen, etwa über eine Ausweitung der freien Förderung.

Ich bin auch sehr bei Ihnen, wenn es um eine Ände-
rung der Vergabepraxis der Bundesagentur bei Arbeits-
marktdienstleistungen geht. Es ist schon richtig, gerade
aus Gründen der Nachhaltigkeit einer Maßnahme nicht
nur auf den Preis, sondern auch auf die Qualität zu
schauen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Bei der Vergabe solcher Aufträge sollten auch die Kom-
petenz und das Know-how der Träger genutzt werden,
um zu nachhaltigen Ergebnissen zu kommen.

In diesen beiden Punkten steht der Antrag der Linken
durchaus solide auf den Füßen; Sie wollten ja das Ganze
vom Kopf auf die Füße stellen, Frau Kollegin
Zimmermann. Ich will aber auch sagen, wo der Antrag,
wie ich glaube, noch sehr auf dem Kopf steht, also durch
eine ideologische Betrachtung stärker geprägt ist


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Niemals!)


als durch eine realistische Betrachtung der Dinge. Ich
glaube nicht, dass es hilfreich ist, Arbeitgeber durch eine
Sonderabgabe stärker zu belasten. In Deutschland sind
so viele Menschen in sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnissen wie nie zuvor.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ich kenne einen, der hat drei!)


Das hat viele Gründe, aber eben auch den Grund, dass
Firmen investieren, dass sie neue Beschäftigung schaf-
fen. Sie von den Linken sehen die deutsche Wirtschaft
als Geldgeber für Ihre gesellschaftstherapeutischen Uto-
pien.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sehe die deutsche Wirtschaft als Garant dafür, dass
Arbeitsplätze entstehen und erhalten bleiben. Die Fir-
men brauchen Geld, um zu investieren. Ich sehe das
Geld dort besser aufgehoben als bei den Umverteilungs-
ekstatikern der Linken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Erwerbslosigkeit bedeutet
häufig soziale Ausgrenzung. Wir wollen aber die Mög-
lichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe stärken, weil dies
für den Zusammenhalt einer Gesellschaft unabdingbar
ist. Deshalb gilt es, die anstehende Debatte seriös zu füh-
ren, mit Blick auf das Machbare und mit Blick darauf,
für die Menschen klug zu gestalten, nicht nur für die Be-
troffenen, sondern für die Gesellschaft insgesamt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806612300

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806612400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unterstüt-

zung für Menschen am Rand gibt es nicht zum Nulltarif.
Wir müssen ausreichend Geld in die Hand nehmen, um
Langzeitarbeitslose zu integrieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wo bleibt eigentlich der Applaus der SPD-Fraktion? In
der letzten Legislaturperiode haben Sie bei diesem Satz
noch frenetisch geklatscht. Das ist nämlich ein Satz Ihrer
Kollegin Katja Mast.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Es kommt darauf an, wer was sagt!)


Leider haben Sie diese richtige Position beim Übergang
von der Oppositionspartei zur Regierungspartei entsorgt.
Denn mit dem Programm, das Ihre Ministerin hier zur
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt hat,
nimmt sie keinen zusätzlichen Cent in die Hand.


(Katja Mast [SPD]: Das stimmt nicht! Das ist falsch! Das wissen Sie genau!)


Hier wird lediglich ein Programm durch ein anderes Pro-
gramm ausgetauscht.


(Katja Mast [SPD]: Das ist falsch, Frau Pothmer!)


Beispiel ESF-Programm. Dieses Programm von Frau
Nahles ersetzt eins zu eins das Bürgerarbeitsprogramm
von Frau von der Leyen. Das Sonderprogramm von Frau
von der Leyen hatte 33 000 Plätze. Interessanterweise
hat auch das ESF-Programm von Frau Nahles
33 000 Plätze. Jede Ministerin bekommt ihr Profilie-
rungsprogramm. Leider bleibt für die Langzeitarbeitslo-
sen kein einziges zusätzliches Angebot übrig.


(Katja Mast [SPD]: Das ist falsch!)


Beispiel Aktivierungszentren. 1 000 Mitarbeiter sol-
len Langzeitarbeitslose bei der Integration in Arbeit un-
terstützen. Diese 1 000 Mitarbeiter unterstützen derzeit
über 50-Jährige bei der Integration in Arbeit. Das Pro-
gramm 50plus wird schlicht und ergreifend umetiket-
tiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-
Fraktion, die Decke, die die Arbeitslosen wärmen soll,
wird keinen Millimeter größer. Sie ziehen einfach nur an
einem anderen Zipfel, und dabei kommt heraus, dass
dann eben die über 50-Jährigen kalte Füße bekommen.
Das ist zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Beispiel Teilhabeprogramm. Das Geld für dieses Son-
derprogramm wird vorher aus dem Integrationstitel den
anderen Langzeitarbeitslosen schlicht und ergreifend
weggenommen. Sie verteilen um, und zwar von den Mit-
tellosen zu den Habenichtsen.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Ihre
Ministerin da vorgelegt hat, reicht weder quantitativ
noch qualitativ. In der öffentlich geförderten Beschäfti-
gung sind in den letzten Jahren 200 000 Plätze weggefal-
len. Sie machen ein Angebot von 43 000 Plätzen. Sie
glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie für ein 4-Prozent-
Angebot hier auch noch Applaus bekommen. In der Op-
position haben Sie dieses Programm und eine solche
Politik noch Kahlschlagpolitik genannt.

Dieses Programm ist auch qualitativ enttäuschend.
Hier wird ein Projekt durchgeführt und noch ein Projekt
und wieder ein Projekt.

Wir wollen … keine Projektitis …, sondern wir
wollen dauerhafte Möglichkeiten, auf die sich die
Menschen auch verlassen können …


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Mast, diesen Text hätten Sie mitsprechen können.
Auch das haben Sie in der letzten Legislaturperiode hier
unter viel Applaus gesagt. Ich frage mich wirklich: Wel-
che wundersame Wandlung haben Sie eigentlich in die-
ser kurzen Zeit der Regierungsbeteiligung durchge-
macht, dass Sie dieses Programm-Hopping, das Sie in
der Vergangenheit zu Recht kritisiert haben, jetzt loben?


(Widerspruch bei der SPD)


Sie wissen doch genauso gut wie ich: Mit dieser Form
der Politik für Langzeitarbeitslose sind wir grandios ge-
scheitert. Deshalb reden wir hier seit Jahren, und zwar in
einem breiten Bündnis, darüber, dass wir einen verlässli-
chen sozialen Arbeitsmarkt brauchen. Von dieser Er-
kenntnis findet sich in dem Vorschlag von Frau Nahles
leider nichts. Wissen Sie, was ich wirklich als Armuts-
zeugnis empfinde? Ganz offensichtlich ist die CDU da
weiter als eine sozialdemokratische Arbeitsministerin,
jedenfalls wenn ich die Worte von Herrn Zimmer hier
ernst nehme.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Widerspruch bei der SPD)


Sie lassen nicht nur die Arbeitslosen im Stich, Sie las-
sen Ihre eigenen grün-roten und rot-grünen Regierungen
im Stich. Die haben in Form von Landesprogrammen in-
zwischen Vorleistungen erbracht, und die brauchen jetzt
dringend Ihre Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ab dem Haushalt 2013 wollten Sie den Eingliede-
rungstitel jedes Jahr um 1,6 Milliarden Euro aufstocken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie mal zum Antrag der Linken sprechen?)


„Daran lassen wir uns gerne messen, wenn wir in der
Regierung sind“, haben Sie, Frau Mast, gesagt. Wir ha-
ben Sie, wir haben die SPD an diesem Programm gemes-
sen, und ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben Sie für zu
leicht befunden.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Gewogen heißt das, nicht gemessen!)


Wir haben einen Regierungswechsel; aber einen Poli-
tikwechsel für Langzeitarbeitslose haben wir nicht be-
kommen. Schade eigentlich!

Ich danke Ihnen.





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806612500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Daniela Kolbe, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1806612600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sie gestatten mir, dass ich die Tonlage jetzt
ein bisschen in Richtung Sachlichkeit verschiebe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte mich zunächst bei der Fraktion der Linken
dafür bedanken, dass sie ein sehr wichtiges Thema an-
spricht, das für uns Sozialdemokraten eins der ganz zen-
tralen ist. In der Tat haben wir in unserem Land mehr als
1 Million Menschen, die langzeitarbeitslos – sie sind
also länger als ein Jahr ohne Erwerbstätigkeit – sind, und
das, obwohl die Arbeitsmarktlage äußerst gut ist. Wir se-
hen, in diesem Bereich bewegt sich nichts, und das be-
wegt uns sehr. Denn hinter jedem dieser mehr als 1 Mil-
lion Menschen steckt ein Schicksal, von dem oft auch
weitere Menschen, etwa der Partner oder die Partnerin
oder auch Kinder, betroffen sind. Jeder, der Betroffene
kennt, weiß, was Langzeitarbeitslosigkeit aus ihnen und
ihren Familien macht und wie stark das zerstörerische
Potenzial von Langzeitarbeitslosigkeit ist.

Langzeitarbeitslosigkeit hat auch objektive Auswir-
kungen, und zwar manifeste: auf den Gesundheitszu-
stand der Betroffenen, auf deren psychisches Wohlbefin-
den – es ist nachweisbar deutlich schlechter –, auf die
Lebenschanchen der betroffenen Kinder aus den Be-
darfsgemeinschaften, aber auch – wenn viele Menschen
keine Perspektive mehr sehen – auf ganze Stadtteile.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist alles richtig!)


Deswegen ist es richtig und wichtig, dass Ministerin
Andrea Nahles dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat,
und zwar nicht erst letzte Woche im Ausschuss. Ich kann
mich an kaum eine Rede der Ministerin hier im Plenum
erinnern, in der sie das Thema „Perspektiven für Lang-
zeitarbeitslose“ nicht auf das Tableau gehoben und nicht
als eines der für sie wichtigsten Themen adressiert hat.


(Beifall bei der SPD)


Das trägt dazu bei, dass ein Thema, das sonst gerne ver-
drängt wird, sichtbar gemacht wird. Brigitte Pothmer,
ich finde den Vorwurf, dass sich Andrea Nahles mit die-
sem Thema profilieren will, wirklich vollkommen dane-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])


In der Tat, in den vergangenen Jahren hat es eine ganz
starke Kürzung in diesem Bereich gegeben und auch
eine Instrumentenreform, die dazu beigetragen hat, dass
wir den Betroffenen relativ wenig Lebenschancen anzu-
bieten haben. Andrea Nahles will das jetzt verändern
und kehrt den Trend damit deutlich um. Wir finden uns
jedenfalls nicht damit ab, diese Menschen zu Hause sit-
zen zu lassen und ihrem Schicksal zu überlassen. Das
wäre nämlich verantwortungslos und unmenschlich.


(Beifall bei der SPD)


Die Ministerin wählt genau den richtigen Ansatz.
Denn hinter der Zahl von 1 Million Langzeitarbeitslosen
verbergen sich tatsächlich 1 Million ganz unterschiedli-
che Schicksale; da gleicht keines dem anderen. Deswe-
gen ist der differenzierte Ansatz der Ministerin hier
goldrichtig. Wir haben zum Beispiel langzeitarbeitslose
Alleinerziehende, die gerade in den Randzeiten, also
sehr früh und sehr spät, das Problem der Kinderbetreu-
ung haben. Die Ministerin hat angekündigt, hier tätig
werden zu wollen und dieses Thema immer wieder zu
adressieren.

Es gibt auch diejenigen, bei denen vor allen Dingen
Betreuung wichtig ist, damit der Sprung in den ersten Ar-
beitsmarkt wieder gelingt und sich Erfolg einstellt. Für sie
gibt es eine Betreuungsoffensive, und die 1 000 Stellen,
die im Bereich der Perspektive 50plus enthalten waren,
werden erhalten und in Aktivierungszentren überführt,
damit bestes Profiling möglich ist und gute Angebote an
die Betroffenen gemacht werden können. Das Programm
wäre ausgelaufen. Die Ministerin hat wie eine Löwin da-
für gekämpft, diese 1 000 Stellen dauerhaft zu erhalten.
Ich finde, dafür gilt ihr unsere Anerkennung, und zwar
zu Recht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir erhöhen überdies den Eingliederungstitel. Wir
haben auch noch weitere Gruppen, zum Beispiel jüngere
Menschen, die eher marktfern sind, denen eine Ausbil-
dung fehlt, deren Ausbildung veraltet ist oder nicht
passt. Für sie gibt es das ESF-Programm „Perspektive in
Betrieben“. In diesem Zusammenhang werden die Be-
triebe ganz gezielt angesprochen; denn es ist in der Tat
richtig, dass derzeit sehr viele Betriebe pauschal Lang-
zeitarbeitslose ablehnen, was ich krass finde, was wir
aber ändern wollen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806612700

Frau Kollegin, Frau Kollegin Pothmer würde gerne

etwas fragen oder sagen. Möchten Sie weitersprechen
oder das zulassen?


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1806612800

Unbedingt zulassen, wenn das nicht auf meine Rede-

zeit angerechnet wird.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806612900

Ja, das ist ein weiterführender Hinweis, dem ich nach-

komme. – Bitte schön.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806613000

Vielen Dank, Frau Kolbe, dass Sie die Frage zulassen. –

Sie haben gerade gesagt, die Ministerin habe wie eine





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Löwin gekämpft, um diese 1 000 Stellen auch in Zukunft
zu erhalten. Jetzt stelle ich aber fest, dass der Ansatz
beim Eingliederungstitel auf 3,9 Milliarden Euro festge-
schrieben ist, und zwar nicht nur für 2015, sondern auch
für 2016 und die folgenden Jahre. Im Ausschuss hat Frau
Nahles ausdrücklich gesagt, dass sie den Personalkos-
tenetat und den Verwaltungskostenetat der Jobcenter
nicht aufstocken will. Heißt das, dass Sie dann, wenn
diese 1 000 Stellen weggefallen wären, die Absicht ge-
habt hätten, den Ansatz beim Eingliederungstitel weiter
zu kürzen? Wollten Sie ihn eigentlich noch zusätzlich
kürzen?


(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])


– Der Personalkostenetat wird auch nicht aufgestockt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das hat mit dem Eingliederungstitel nichts zu tun!)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1806613100

Wir sollten schon sauber trennen. Es geht an dieser

Stelle um den Eingliederungstitel. Daneben gibt es das
weitere Programm – darauf wollte ich gleich noch einge-
hen – zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor,
das über einen Vorabzug beim Eingliederungstitel orga-
nisiert wird. Wir wollen an dieser Stelle natürlich nicht
kürzen. Dieser Vorwurf ist wirklich absurd.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keinen Cent mehr! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: Doch, es gibt mehr Geld!)


Das Wort „Kürzung“ an dieser Stelle in den Mund zu
nehmen, wo wir erhöhen, finde ich schon reichlich
merkwürdig. Vielleicht können wir versuchen, gemein-
sam einen etwas konstruktiveren Weg zu finden; es ist
nicht alles schwarz oder weiß.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es ist natürlich eine Herausforderung finanzieller Art,
es bei 1 Million Menschen vernünftig zu organisieren,
Lebenschancen zu ermöglichen. Das ist tatsächlich eine
starke Herausforderung. Die wollen wir aber annehmen.
Dass wir das nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent
schaffen, ist klar; wir sind ja nicht im Wolkenkuckucks-
heim. Sie sollten schon anerkennen, dass diese Regie-
rung einen Schwerpunkt bei diesem Thema setzt und
diese Menschen gerade nicht alleinlassen will.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen Cent mehr!)


Ich komme zurück zu den jüngeren Menschen und
zum ESF-Programm. Wir werden die Betriebe aktiv an-
sprechen und die Betroffenen – das ist ganz wichtig –
auf ihrem Weg begleiten; denn wir haben in der Vergan-
genheit oft gesehen, dass die Beschäftigung abgebro-
chen worden ist. Das wollen wir vermeiden. In diesem
Zusammenhang werden degressive Lohnkostenzuschüsse
bezahlt.
Dann gibt es aber auch solche Menschen – sie sind
mir als ostdeutscher Abgeordneten besonders wichtig –,
die wirklich sehr marktfern sind, viele Vermittlungs-
hemmnisse haben und bei denen wir zunächst nicht da-
von ausgehen können, dass wir sie in den ersten Arbeits-
markt vermitteln können. Frau Nahles schlägt vor,
150 Millionen Euro für Teilhabe auszugeben, für Lohn-
kostenzuschüsse bis zu 100 Prozent. Zielgruppe sind da-
bei Menschen, die gesundheitlich besonders einge-
schränkt sind oder die mit Kindern zusammen in einer
Bedarfsgemeinschaft leben. Das, finde ich, ist der abso-
lut richtige Ansatz.

Teilhabe ist dabei der zentrale Begriff. Diese Men-
schen haben nur ein Leben, ihr eigenes Leben, und wir
wollen sie bestärken, ihren Weg zu gehen, sodass sie aus
der Langzeitarbeitslosigkeit herauskommen und Selbst-
wirksamkeit und Wertschätzung erleben. Wenn sie dann
irgendwann den ersten Arbeitsmarkt erreichen, ist das
wunderbar, aber wir müssen realistischerweise sagen:
Das ist ein sehr langer Weg. Deshalb kann das auch nicht
das unmittelbare Ziel sein.

Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube:
Ich hätte mir aus dem Finanzministerium etwas mehr
Mut gewünscht, wenn es darum geht, den Passiv-Aktiv-
Tausch auszuprobieren, zumal ich aus der Unionsfrak-
tion höre, dass man da aufgeschlossen ist. Wir wollen
das gern ausprobieren. Vielleicht sollten wir miteinander
noch einmal ins Gespräch kommen und schauen, ob wir
da etwas bewirken können.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, das hättet ihr schon gemacht! Sprecht ihr nicht vorher miteinander? – Gegenruf der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ständig!)


Wir jedenfalls sagen: Diese Regierung nimmt die
Menschen und ihre Problemlagen ernst. Für uns ist das
kein zusätzliches Sahnehäubchenthema, sondern ein für
die Menschen und für den gesellschaftlichen Zusam-
menhalt ganz zentrales Thema. Wir wollen Lebenschan-
cen schaffen, und darauf bin ich stolz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806613200

Frau Kollegin, Sie hätten die Chance, zusätzliche

Redezeit zu gewinnen, wenn Sie noch auf Frau
Zimmermann antworten wollen, aber Sie müssen diese
Chance nicht wahrnehmen.


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1806613300

Wir können das am Platz machen oder auch in Form

einer Kurzintervention, sodass ich zu meinem Platz ge-
hen kann.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806613400

Dann wird das am Platz geregelt. – Ich erteile als

Nächstem das Wort dem Kollegen Matthäus Strebl,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1806613500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag der
Fraktion Die Linke zur Bekämpfung und Vermeidung
von Langzeitarbeitslosigkeit. Der Anteil der Langzeitar-
beitslosen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen lag im
Sommer dieses Jahres bei 37 Prozent. Das sind – wir ha-
ben es vorhin schon gehört – 1 Million Menschen. Wir
sprechen also über eine nicht gerade geringe Anzahl von
Menschen, die über einen längeren Zeitraum Leistungen
nach dem SGB II erhalten.

Meine Damen und Herren, die Gruppe der Langzeit-
arbeitslosen ist keine homogene Gruppe, und sie umfasst
Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensgeschich-
ten und auch Hemmnissen. Besonderes Risiko, von
Langzeitarbeitslosigkeit betroffen zu sein, besteht für äl-
tere Menschen, für Alleinerziehende, für gering qualifi-
zierte Arbeitnehmer und für Menschen mit gesundheitli-
chen Einschränkungen.

Hervorheben möchte ich schon, dass sich die Große
Koalition, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, der Pro-
blematik widmet, gleichwohl mit anderen Ideen, als die
Fraktion Die Linke es vorschlägt. Natürlich kann man in
der Opposition leicht kostenwirksame Programme for-
dern;


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die SPD in der Vergangenheit auch gemacht!)


man muss ja keine gerechten Finanzen gewährleisten.
Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea
Nahles, hat vor kurzem bei uns im Ausschuss ihr Kon-
zept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorgestellt.
Ihr Konzept befasst sich genau mit den eben genannten
Personengruppen.

Lassen Sie mich auf einige Vorschläge aus dem An-
trag der Linken eingehen:

Sie wollen die Rechtsposition von Erwerbslosen stär-
ken. Hierfür sehe ich überhaupt keinen Bedarf; denn Be-
zieher von Arbeitslosengeld II haben schon verschie-
dene Möglichkeiten, ihre Beschwerden und Wünsche zu
artikulieren. Zunächst haben sie die Möglichkeit, sowohl
mit ihrem Vermittler als auch mit dessen Teamleiter und
dem Standortleiter ihre Problematik zu besprechen. Zu-
sätzlich können die Leistungsbezieher eine Dienstauf-
sichtsbeschwerde als auch einen Widerspruch einlegen.
Letztendlich steht ihnen auch der Rechtsweg zu den So-
zialgerichten offen.

Außerdem lehne ich den von der Fraktion Die Linke
geforderten Rechtsanspruch auf Durchführung von
Weiterbildungsmaßnahmen entschieden ab. Bei dem
Anspruch auf Weiterbildung handelt es sich um eine Er-
messensleistung; das heißt, der jeweilige Vermittler im
Jobcenter prüft, ob die Voraussetzungen für eine Weiter-
bildung vorliegen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Oder ob noch Geld da ist! – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Nach Kassenlage!)


Nicht jede Weiterbildung, werte Kolleginnen und Kolle-
gen der Linksfraktion, ist sinnvoll, insbesondere wenn
kein Bedarf in der betroffenen Region auf dem Arbeits-
markt vorhanden ist. Sie dürfen mir glauben, dass ich
mich bei mir zu Hause im Wahlkreis des Öfteren im Job-
center nach diesbezüglichen Möglichkeiten erkundigt
habe.

Wie nicht anders erwartet, enthält der Antrag der
Fraktion Die Linke natürlich auch die Absicht, Sanktio-
nen im Arbeitslosengeld II abzuschaffen. Zu diesem
Thema haben wir uns ja bereits in diesem Sommer aus-
führlich ausgetauscht. Auch der Petitionsausschuss hat
sich, wie ich weiß, mit diesem Thema befasst. Meine
Position hat sich seitdem nicht geändert. Ich halte Sank-
tionen für eine notwendige Konsequenz. Wenn Leis-
tungsbezieher sich ihren Mitwirkungspflichten und Mel-
determinen entziehen, dann müssen Sanktionen greifen.
Davon bin ich zutiefst überzeugt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, was denken
denn die vielen Menschen draußen, die tagtäglich zur
Arbeit gehen, von der Politik, wenn ein solches Verhalten
keine Konsequenzen nach sich ziehen würde? Ansonsten
könnten wir ja gleich ein bedingungsloses Grundein-
kommen in Deutschland einführen, und das wollen wir
doch nicht.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist doch anders!)


Mir ist durchaus bewusst, dass Langzeitarbeitslosig-
keit sowohl individuelle wie auch gesamtgesellschaftli-
che Auswirkungen hat. Gesamtgesellschaftliche Folgen
sind: Verlust von Steuern und Sozialabgaben, Kosten für
Arbeitslosengeld II und verringerte Kaufkraft. Für den
einzelnen Betroffenen sind insbesondere die Entwertung
von Qualifizierungen und erhebliche finanzielle Einbu-
ßen die größten Auswirkungen der Langzeitarbeitslosig-
keit. Aus diesem Grund befürworte ich auch den gesetzlich
verankerten Grundsatz des Förderns von Leistungsbezie-
hern.

Zweifelsfrei werden Langzeitarbeitslose von den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter unterstützt.
Diese leisten bereits jetzt hervorragende Arbeit.


(Beifall der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])


Ich bin allerdings weiterhin der Überzeugung, dass auch
von den Langzeitarbeitslosen Eigeninitiative gefordert
werden kann und auch gefordert werden muss. Dazu ge-
hören eben auch die Grundsätze des Förderns und For-
derns; denn die Leistungen nach dem Zweiten Buch So-
zialgesetzbuch werden von der Allgemeinheit finanziert.
Die Koalition unterstützt das Konzept zum Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit des Bundesministeriums für Ar-





Matthäus Strebl


(A) (C)



(D)(B)

beit und Soziales und lehnt daher den Antrag der Frak-
tion Die Linke ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten gerade die erste Lesung!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806613600

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806613700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Einer der Vorgänger von Arbeits- und Sozialminis-
terin Andrea Nahles, Arbeitsminister Franz Müntefering,
hat die Rente erst ab 67 mit den Worten gerechtfertigt:
Ohne Anstrengung geht es nicht. – Das sollte wohl be-
deuten: Ältere Menschen müssen länger arbeiten, Ältere
müssen sich mit Krankheiten und Stress am Arbeitsplatz
arrangieren, und Ältere müssen sich leider oft mit
Minijobs über Wasser halten, das heißt, sie bekommen
höchstens 450 Euro im Monat. Knapp 2 Millionen der
über 55-Jährigen haben nur einen Minijob, zum Beispiel
als Hausmeister, Putzhilfe oder Taxifahrerin. Die stren-
gen sich an. Aber viele von ihnen sind offiziell arbeits-
los, und die meisten hätten lieber einen Vollzeitjob.
Deswegen sage ich: Münteferings Satz war damals
zynisch, er ist heute zynisch, und er wird noch lange zy-
nisch bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, keine Altersgruppe hat es
auf dem Arbeitsmarkt so schwer wie die Älteren. Erstens
sind Ältere im Durchschnitt häufiger von Arbeitslosig-
keit betroffen. Zweitens ist die Hälfte der 55- bis 64-jäh-
rigen Erwerbslosen langzeiterwerbslos. Drittens ist die
durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von Älteren
in nur zwei Jahren um 14 Wochen gestiegen. Im Januar
2013 waren Ältere im Schnitt noch 81 Wochen ohne
Erwerbsarbeit. Heute sind es schon 95 Wochen. Das sind
22 Monate, also fast zwei Jahre. Das heißt dann, dass ein
hartes Arbeitsleben oft auf den letzten Metern mit
Hartz IV und all seinen Schikanen endet. Das ist
schlimm, und damit muss endlich Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber damit noch nicht genug: Hartz-IV-Zeiten wer-
den nicht auf die Rente ab 63 bzw. 65 angerechnet. Der
Maurer und die Krankenschwester schauen dann in die
Röhre, wenn sie nur 43 Jahre geschafft haben. Aber
auch der Bezug von Arbeitslosengeld I in den letzten
beiden Jahren vor dem Renteneintritt wird nicht auf die
45 Beitragsjahre angerechnet, die man für die abschlags-
freie Rente ab 63 braucht. Nicht einmal die sechs
Wochen Mutterschutz werden anerkannt. Das ist un-
glaublich, aber es geht noch weiter.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber zehn Jahre Kindererziehung berücksichtigt!)


In die Rentenkasse wird für Langzeiterwerbslose auch
nichts mehr eingezahlt. Union und FDP haben die
Pflichtbeiträge abgeschafft. Die sogenannte 58er-
Regelung wurde abgeschafft. Und – das ist der größte
Skandal –: Bezieht man nach dem 63. Geburtstag Hartz-
IV-Leistungen, bekommt man vom Jobcenter ein
brutales Geburtstagsgeschenk: einen Brief, der einen mit
hohen Abschlägen in die vorgezogene Zwangsrente be-
fördert.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Genau!)


So geht unsere Gesellschaft mit langzeiterwerbslosen
Älteren um. Das ist beschämend, und das führt direkt in
die Altersarmut. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ohne Anstrengung geht es nicht, sagt Franz

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1806613800

Was tun Sie, um die Lage von älteren Erwerbslosen zu
verbessern? Ich sage: bisher zu wenig. Haben Sie
den Zugang zur Erwerbsminderungsrente erleichtert?
Nein! Jeder zweite Antrag auf Erwerbsminderungsrente
wird nach wie vor abgelehnt. Wie viele Betriebe kennen
Sie, die einen der 282 000 langzeiterwerbslosen Älteren
über 55 Jahre eingestellt haben? Ich würde sagen: we-
nige. Deshalb sage ich: Hören Sie mit der Gesundbeterei
auf. Solange Sie an Verbesserungen auf dem Arbeits-
markt für Ältere nichts vorweisen können, ist es unver-
antwortlich, an der Rente erst ab 67 festzuhalten. Schaf-
fen Sie die Rente erst ab 67 ab. Ein Renteneintrittsalter
von 65 Jahren ist genug, für viele mehr als genug.


(Beifall bei der LINKEN)


Darum fordern wir:

Erstens. Zahlen Sie aus Steuermitteln wieder Renten-
beiträge für Hartz-IV-Betroffene, und zwar in Höhe ei-
nes halben Durchschnittsverdienstes.

Zweitens. Schaffen Sie die Zwangsverrentung ab 63
ab, solange die Altersarmut in Deutschland Jahr für Jahr
ansteigt.

Drittens. Fördern Sie die öffentlich geförderte
Beschäftigung von Älteren, solange Unternehmen sich
weigern, sie einzustellen.

Viertens. Erleichtern Sie den Zugang zur Erwerbs-
minderungsrente, und schaffen Sie die durch nichts
zu rechtfertigenden Abschläge ab. Durchschnittliche
Abschläge in Höhe von 77 Euro monatlich sind für die
betroffenen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rent-
ner viel Geld.

Frau Staatssekretärin, ohne Anstrengung geht es
nicht. Lassen Sie die älteren Langzeiterwerbslosen nicht
im Regen stehen!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806613900

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Katja Mast, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1806614000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber
Matthias Birkwald, wenn eine Partei zurzeit mit dem
Stempel „Wir tun etwas für Ältere“ unterwegs ist, dann
ist das die SPD,


(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach so!)


und zwar deshalb, weil wir die abschlagsfreie Rente
nach 45 Versicherungsjahren beschlossen haben, Verbes-
serungen bei der Erwerbsminderungsrente vorgenom-
men haben, den Rehadeckel gelupft haben und vieles
Weitere. Insofern würde eine ein bisschen differenzierte
Argumentation im Plenum uns allen guttun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/ CSU]: Die Mütterrente haben wir gemacht!)


Wenn ich auf die Debatte eingehen darf, die wir hier
gerade führen: Es geht um die Vermittlung von langzeit-
arbeitslosen Menschen in Arbeit und dort, wo das nicht
geht, darum, dass wir ihnen eine Aufgabe in unserer
Gesellschaft geben, also soziale Teilhabe organisieren.
Da will ich an erster Stelle mit ein paar Vorurteilen auf-
räumen, die hier geäußert worden sind aber so einfach
nicht stimmen. Natürlich nimmt diese Bundesregierung
für Langzeitarbeitslose zusätzliches Geld in die Hand.
Es sind wir, die bei den Leistungen im Eingliederungsti-
tel die Trendwende bei der Pro-Kopf-Summe hinbekom-
men haben: 2012 waren wir noch bei 1 792 Euro, 2014
sind wir bei 1 975 Euro.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wir in den letzten Jahren immer gemeinsam kritisiert haben!)


Wenn dazwischen nicht ein paar Euro liegen, dann habe
ich in Baden-Württemberg auf dem Wirtschaftsgymna-
sium keine Mathematik gelernt!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt hier einen Unterschied von knapp 200 Euro.
Wenn unsere Bundesarbeitsministerin – und ich bin so
verdammt stolz, dass Andrea Nahles das macht – sagt,
dass Maßnahmen für Langzeitarbeitslose bei ihr Chef-
sache sind und nicht nebensächlich, wenn sie sich nicht
zufriedengibt mit den Vereinbarungen im Koalitionsver-
trag, in dem nur auf ein ESF-Programm verwiesen wird,
wenn ihr das zu wenig ist, wenn sie mehr machen will
und dem Kollegen Finanzminister für 1 000 Stellen zu-
sätzlich Geld aus dem Kreuz leiern will, dann verstehe
ich nicht, wie Sie sich hier hinstellen und behaupten
können, dafür gebe es kein zusätzliches Geld. Frau
Pothmer, das ist keine Frage der Mathematik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen zusätzlichen Cent!)


Wir erhöhen nicht nur die Mittel für den Eingliederungs-
titel und stellen zusätzliches Geld für 1 000 Stellen be-
reit, wir geben auch zu, dass wir uns mit unserem Koali-
tionspartner beim Passiv-Aktiv-Tausch noch nicht einig
sind, und geben uns damit nicht zufrieden.


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie haben ihn ja gar nicht vorgeschlagen!)


Lieber Kollege Zimmer, ich reiche Ihnen gerne die
Hand stellvertretend für die ganze SPD-Fraktion, wenn
es darum geht, ein Modellprojekt zum Passiv-Aktiv-
Tausch zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass die CDU/CSU in ihrer Fraktion Mehr-
heiten dafür suchen muss und nicht in der Bundestags-
fraktion der SPD.


(Beifall bei der SPD)


Wir stehen zu dem Antrag, den wir in der letzten
Legislatur gemacht haben. Ich darf an dieser Stelle auch
sagen: Ich bin stolz darauf, dass Katrin Altpeter, die
SPD-Sozialministerin in Baden-Württemberg, dem ein-
zigen Bundesland in Deutschland, das grün-rot-regiert
ist, den einzigen Modellversuch zum Passiv-Aktiv-
Tausch macht,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nordrhein-Westfalen auch!)


– den einzigen und damit auch ersten flächendeckenden
Modellversuch, der nicht nur Einzelne betrifft, sondern
bei dem über 500 Menschen gefördert werden.


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Mathematik war gut! Aber Gemeinschaftskunde?)


Deshalb will ich schon sagen: Ich habe das Gefühl,
dass es mehr daran hapert, dass der Finanzminister für
den Passiv-Aktiv-Tausch keine dauerhafte Finanzzusage
machen will; denn der politische Wille ist im Bundes-
arbeitsministerium auf jeden Fall vorhanden, lieber
Kollege.


(Beifall bei der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806614100

Frau Kollegin, den Kollegen Zimmer drängt es zu

einer Zwischenfrage oder -bemerkung – wenn Sie die
zulassen.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1806614200

Das mache ich gerne.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806614300

Bitte schön, Kollege Zimmer.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1806614400

Ganz herzlichen Dank, Frau Kollegin Mast. Es freut

mich natürlich immer sehr, wenn sich die SPD so staats-
tragend äußert, wie Sie das heute tun.


(Heiterkeit – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war lange nicht der Fall!)


Aber darf ich in diesem Zusammenhang noch einmal
fragen, ob ich richtig informiert bin – oder richtig gele-
sen habe –, dass in dem Eckpunktepapier, das die Minis-
terin vorgelegt hat, der Passiv-Aktiv-Tausch mit keinem
Wort erwähnt wird?


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Warum wohl?)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1806614500

Lieber Kollege – Sie müssen stehen bleiben, wenn ich

Ihnen antworten soll –,


(Heiterkeit)


es ist richtig, dass da nichts drinsteht; aber Frau Nahles
äußert sich in solchen Papieren ja auch nicht als Indivi-
duum, sondern als Mitglied der Bundesregierung.


(Zuruf von der SPD: Genau!)


Damit man einen Aktiv-Passiv-Tausch machen kann,
muss sich die Bundesregierung an der Stelle einig sein.
Deshalb steht da nichts drin.

Wenn wir es zusammen hinbekämen, einen Passiv-
Aktiv-Tausch in Modellprojekten zu erproben, würde
ich mich wie eine Schneekönigin freuen. Er wird zwar in
seiner Wirkung überschätzt, nämlich als – umgangs-
sprachlich – Allheilmittel zur Bekämpfung der Langzeit-
arbeitslosigkeit angesehen – ich behalte die Umgangs-
sprache an der Stelle bei –, ist aber im Kern ein
Finanzierungsinstrument, und zwar ein kluges; denn
man nimmt das Geld zur Finanzierung der Arbeitslosig-
keit, wandelt es quasi um und finanziert damit Arbeit
bzw. Lohnkostenbestandteile. Es generiert also Geld, es
ist ein Finanzierungsinstrument.

Da ich nicht glaube, dass wir uns einigen können, zur
Finanzierung von Maßnahmen für Langzeitarbeitslose
die Steuern zu erhöhen, ist es sinnvoll, gemeinsam zu-
sätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen.


(Beifall bei der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806614600

Sie haben die Chance, noch eine Zwischenfrage zuzu-

lassen, und zwar von der Kollegin Zimmermann. Möch-
ten Sie die zulassen?


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1806614700

Gerne.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806614800

Bitte schön, Frau Zimmermann.

Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806614900

Vielen Dank, liebe Kollegin Mast. Ich habe zwei Fra-

gen. Sie sprechen davon, dass die Bundesministerin
Geld in die Hand nimmt, und von den 150 Millionen
Euro für Ihren sogenannten sozialen Arbeitsmarkt. Sie
wissen jedoch auch, dass das die Restmittel aus dem
letzten Jahr sind und das dann praktisch jedes Jahr wie-
der so laufen soll. Daher ist meine erste Frage: Müssen
Sie jetzt dafür beten, dass die 150 Millionen auch für
nächstes Jahr bereitgestellt werden?

Die zweite Frage: Sie sprechen davon, dass jetzt die
Verträge für 1 000 Vermittlerstellen wieder verlängert
worden sein sollen.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1806615000

Sie werden verlängert.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806615100

Sie werden verlängert, genau. Ja, es muss schon alles

korrekt sein. – Sie wissen aber auch, dass wir in den letz-
ten Jahren viel Geld aus den Eingliederungstiteln ge-
nommen haben, um die Verwaltungskosten abzudecken.
Da ist schon die Frage: Wie viele Stellen davon werden
aus dem Eingliederungstitel bezahlt, sodass diese Mittel
dann nicht für Maßnahmen für arbeitslose Menschen zur
Verfügung stehen?


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1806615200

Vielen Dank für die Frage. – Ihre erste Frage, Frau

Kollegin Zimmermann, betrifft das Programm – es heißt
übrigens nicht „sozialer Arbeitsmarkt“, sondern „Chan-
cen eröffnen – soziale Teilhabe sichern“ – für 10 000
Langzeitarbeitslose, die ganz am Rand des Arbeitsmark-
tes stehen, bei denen selbst bei großen Anstrengungen in
den nächsten zwölf Monaten nicht mit einer sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigung zu rechnen ist. Ich
halte es für einen guten Ansatz, dass wir da herangehen.
Ich habe es gerade gesagt: Ich bin eine Freundin dessen,
dafür auch zusätzlich Geld zu generieren über den Pas-
siv-Aktiv-Tausch.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Das weiß ich, ja!)


– Das weiß ich. Ich will es nur noch einmal so klar sa-
gen.

Wenn wir dafür keine gemeinsame Mehrheit finden,
hat Ministerin Nahles vorgeschlagen, im ersten Jahr
75 Millionen, ab dem zweiten Jahr kontinuierlich weiter
150 Millionen dem Eingliederungstitel der Jobcenter im
Vorwegabzug zu entnehmen, sodass wir ein festes Bud-
get für diese sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung haben. Das ist aus meiner Sicht die zweitbeste
Lösung; denn ich hätte lieber einen Passiv-Aktiv-Trans-
fer, wie ich gerade gesagt habe. Aber es ist die zweit-
beste und nicht die dritt-, viert-, fünft- oder sechstbeste
Lösung. Es hat nichts damit zu tun, wie viele Restmittel
im Eingliederungstitel pro Jahr übrig bleiben. Diese bei-
den Debatten müssen Sie trennen.





Katja Mast


(A) (C)



(D)

Dieser Vorwegabzug von 150 Millionen ist deshalb
wichtig, weil sich sonst verschiedene Arbeitsmarktins-
trumente in den Jobcentern „kannibalisieren“, weil hohe
Lohnkostenzuschüsse für das einzelne Jobcenter, wenn
keine Extrabudgets da sind, eine recht teure Maßnahme
im Verhältnis zu anderen Maßnahmen sind. So haben
wir eine Garantie dafür, dass auch 10 000 Plätze reali-
siert werden können.

Ich finde, dass man an der Stelle, was Haushaltspoli-
tik angeht, tatsächlich aus den Fehlern der Vergangen-
heit gelernt hat, als man dieses Budget nie vorher
separierte, sondern den Jobcentern immer gesagt hat: Ihr
könnt entscheiden, welches Instrument ihr wählt. – Das
halte ich für einen richtig guten Ansatz an der Stelle.

Die zweite Frage:


(Daniela Kolbe [SPD]: Die 1 000 Stellen!)


– Die 1 000 Stellen des Bundesprogramms „50plus“
werden zusätzlich finanziert.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind in dem Eingliederungstitel drin!)


Der Arbeitsministerin ist es gelungen, gemeinsam mit
dem Finanzminister dafür die Lösung zu finden. Die
Stellen waren bis 2015 befristet, also – für Feinschme-
cker – mit kw-Vermerk versehen. Dieser kw-Vermerk
wird – immerhin – um zwei Jahre nach hinten verscho-
ben. Vielleicht schaffen wir es ja, ihn irgendwann noch
weiter nach hinten zu schieben oder ihn ganz abzuschaf-
fen. Das bedeutet, die Stellen werden aus einem zusätzli-
chen Bundesprogramm finanziert und nicht aus den Mit-
teln des Eingliederungstitels.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin durch die Zwischenfrage in meiner Rede un-
terbrochen worden; was nicht schlimm ist. Lassen Sie
mich darauf zurückkommen, was diese Regierung für
Langzeitarbeitslose tut. Über einzelne Punkte des Pro-
gramms „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern“,
das Ministerin Nahles vorgestellt hat, haben wir schon
gesprochen, aber wir haben noch nicht alle Aspekte dis-
kutiert. Ich habe es bereits erwähnt: Der Eingliederungs-
titel wurde erhöht. Zudem sollen die Rechtsvereinfa-
chungen im SGB II umgesetzt werden. Hier geht es
darum, im Bereich der Arbeitsvermittlung für Langzeit-
arbeitslose Bürokratie abzubauen und dafür zu sorgen,
dass Vermittler mehr Zeit für die Vermittlung haben und
sich weniger mit Verwaltung beschäftigen müssen. Auch
das ist ganz wichtig für die Langzeitarbeitslosen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen nämlich: Je mehr Zeit vorhanden ist und je
höher die Kontaktdichte, desto besser ist es für die Ver-
mittlung von Langzeitarbeitslosen in Arbeit. Deshalb
finde ich die reine Fokussierung in der Debatte auf nur
ein Instrument, nämlich die öffentlich geförderte Be-
schäftigung, nicht richtig.

Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland hat unheim-
lich viele Gesichter: Ein Jugendlicher, der nach sechs
Monaten keinen Job hat, gilt als langzeitarbeitslos, bei
über 25-Jährigen beträgt die Frist zwölf Monate. Da ist
die alleinerziehende Mutter, die viele Jahre zu Hause
war, noch keine Berufsausbildung gemacht hat und die
unbedingt eine Ausbildung machen will. Sie braucht et-
was völlig anderes als der alleinstehende langzeitarbeits-
lose ehemalige Handwerker, der schon sieben oder acht
Jahre zu Hause sitzt und keine Aufgabe hat. Das sind
völlig unterschiedliche Problematiken. Deshalb ist es so
wichtig, dass unsere Bundesarbeitsministerin betont,
dass es darum geht, für alle eine Antwort zu finden und
nicht nur für einen; denn nur ein Instrument wird die
Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland nicht beseitigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann für meine Fraktion sagen: Wir sind stolz da-
rauf, dass wir eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt
hinbekommen haben. Ich freue mich, mit Ihnen weiter-
hin diese spannende Debatte zu führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806615300

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Kollegin Mast, ich möchte ergänzen:
Nicht nur in Baden-Württemberg gibt es das Programm
„Passiv-Aktiv-Transfer“, sondern auch in Nordrhein-
Westfalen und demnächst auch in Hessen. Allen drei
Ländern ist eines gemein: Dort regieren Grüne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern finde ich es klasse, dass Sie mit Herrn Zimmer
darum wetteifern, wer sich am stärksten für den Passiv-
Aktiv-Transfer eingesetzt hat.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es kommt nichts dabei heraus!)


Ich kann nur sagen: Willkommen im Klub; allerdings
nicht so ganz, aber darauf komme ich gleich noch einmal
zu sprechen.

Ich will beschreiben, worum es eigentlich geht. Die
Arbeitslosigkeit ist wie ein Bus. Viele von uns sind
schon einmal mitgefahren, manche auch nicht. Die meis-
ten Menschen fahren eher kurze Zeit mit diesem Bus,
weil sie nicht mehr weiterkommen, an der nächsten Sta-
tion steigen sie aber wieder aus. Manche fahren etwas
länger mit dem Bus, viele über ein Jahr. Aber auch von
denen kommen viele wieder gut aus dem Bus raus, man-
che mit einer gewissen Unterstützung. Aber problema-
tisch ist eine Gruppe – leider nimmt ihre Zahl zu –, die
trotz der guten Arbeitsmarktzahlen dauerhaft in diesem
Bus sitzt. Das ist die Kerngruppe, um die wir uns vor al-
len Dingen kümmern müssen.

(B)






Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

Laut einer neuen Studie der Hochschule Konstanz
gibt es mehr als 480 000 Menschen, die länger als drei
Jahre arbeitslos sind. Kollege Zimmer hat die Zahl
200 000 genannt. Die Zahl kann schwanken, je nach-
dem, welche Vermittlungshemmnisse man zugrunde
legt, aber das ist die Größenordnung, wenn wir von den-
jenigen sprechen, die dauerhaft langzeitarbeitslos sind
und große Schwierigkeiten haben, wieder aus der Ar-
beitslosigkeit herauszukommen.

Wir sind der Meinung: An dieser Stelle müssen wir
entsprechende Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik
ergreifen. Es reicht nicht aus, wie es die Bundesministe-
rin gemacht hat, nämlich einfach alte Programme zu
nehmen, diese umzuetikettieren und so zu tun, als sei das
eine geeignete Maßnahme für diese Gruppe. Das ist
nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich freue mich sehr, dass wir in unseren Analysen zu
teilweise ähnlichen Ergebnissen kommen, aber die ent-
scheidenden Schritte fehlen noch. Ich wünsche mir hier
einfach mehr Mut. Ich habe drei Bundesländer genannt,
die das Thema angehen. Dort könnte man Modellpro-
jekte auflegen. Letztlich muss aber der Bund die Rah-
menbedingungen setzen. Die Finanzierung sollte so aus-
sehen: Das Geld, das wir bisher für Arbeitslosengeld II
ausgeben, sollten wir im Sinne eines Passiv-Aktiv-
Transfers einsetzen. Wir sollten statt Arbeitslosigkeit Ar-
beit finanzieren.

Ich fordere Sie auf, ein bisschen mehr Mut zu haben.
Dann erhalten Sie auch Unterstützung. Das, was Sie bis-
her vorgelegt haben, reicht nicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806615400

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1806615500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich, dass wir uns fraktionsübergreifend darüber
einig sind, dass der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit
ein wichtiges Thema ist, welches wir konsequent verfol-
gen müssen.

Richtig ist, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit
der Finanz- und Wirtschaftskrise stagniert. Dennoch
finde ich es nicht in Ordnung, dass wir hier nur die nega-
tiven Aspekte aufzeigen; denn die Zahl der Langzeitar-
beitslosen ist trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise in
den Jahren von 2007 bis 2013 immerhin um 670 000 ge-
sunken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Allein im Jahr 2013 wurden 360 000 Menschen, die dau-
erhaft langzeitarbeitslos waren, in den Arbeitsmarkt in-
tegriert. Damit komme ich zu einem wichtigen Aspekt:
Das heißt, dass die Mitarbeiter der Jobcenter gute Arbeit
leisten und dass der vorhandene Instrumentenkasten
greift.

Dennoch will ich die Situation hier nicht schönmalen.
Richtig ist, dass nicht jeder, der als erwerbsfähig einge-
stuft ist, auch beschäftigungsfähig ist. Aber das gab es in
der Gesellschaft schon immer, und das müssen wir ak-
zeptieren. Richtig ist auch, dass sich gesellschaftliche
Rahmenbedingungen und Strukturen verändert haben,
nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die familiä-
ren Strukturen. Alleinerziehende, Patchworkfamilien
und Lebenspartnerschaften – das sind nur drei Beispiele
dafür, dass sich die Gesellschaft stetig wandelt.

Wir von der CDU/CSU-Fraktion wollen die Men-
schen da abholen, wo sie stehen. Das bedeutet für uns:
Individuelle Unterstützungsangebote und individuelle
Förderung sind notwendig und sollten weiter ausgebaut
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jeder Einzelne mit seinen individuellen Fähigkeiten, sei-
nen Möglichkeiten und Lebensbedingungen hat das
Recht, an die Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu gelangen,
wo er hinpasst und eine Chance hat. Personen, die seit
vielen Jahren arbeitslos sind, haben häufig eine Vielzahl
von Vermittlungshemmnissen. Sie wollen wir passgenau
qualifizieren, begleiten und, wenn notwendig, auch
nachgehend betreuen. „Kompetentes Fallmanagement“
ist das Stichwort.

Der Weg, den wir gehen wollen, ist ein anderer als
der, den Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
hier fordern. Der Arbeitsmarktforscher Werner Eichhorst
vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit sagt dazu
ganz richtig:

Berater brauchen eine große Offenheit, um den Ein-
zelfall mit all seinen Problemen und Schicksals-
schlägen zu verstehen.

Deshalb ist uns die Qualifizierung der Berater ebenso
wichtig wie eine bessere individuelle Förderung der
Langzeitarbeitslosen; denn der Berater wird hierdurch
noch besser in die Lage versetzt, die individuellen Ver-
mittlungshemmnisse und die fehlende Qualifikation der
Langzeitarbeitslosen gezielt anzusprechen. Somit kann
er sie in passgenaue Angebote der Bündnispartner vor
Ort vermitteln. Eine enge Vernetzung mit den örtlichen
Bündnispartnern wie Arbeitgebern und sozialen Anbie-
tern auf kommunaler Ebene ist ein zentraler Bestandteil.

Dies möchte ich an zwei Beispielen deutlich machen:

In meinem Wahlkreis – das ist der Märkische Kreis in
Nordrhein-Westfalen – gibt es – das ist sicherlich kein
Einzelfall – ein spezielles Beratungsangebot für Allein-
erziehende. Acht Integrationsfachkräfte unterstützen und
beraten Alleinerziehende mit dem Ziel, den Einstieg in
den Arbeitsmarkt zu schaffen. Diese Personengruppe
wird durch Bündelung von Hilfsmöglichkeiten und
Netzwerken der spezialisierten Alleinerziehendenbera-
tung unterstützt. Das geschieht einerseits durch verschie-
dene Kinderbetreuungsangebote und soziale Unterstüt-





Christel Voßbeck-Kayser


(A) (C)



(B)

zungsmöglichkeiten, aber auch durch weiterführende
Beratungsstellen und Sprachkurse. Andererseits werden
die Bewerberinnen und Bewerber durch passende Wei-
terbildungsmaßnahmen gefördert und qualifiziert.

Das ist eine erfolgreiche Maßnahme; denn binnen
zwei Jahren wurden 1 004 Alleinerziehende in eine so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darüber hinaus fanden auch 748 dieser Alleinerziehen-
den den Zugang zu einer geringfügigen Beschäftigung.
Ich sage hier sehr deutlich: Jeder einzelne dieser Men-
schen ist ein Erfolg und zeigt, dass individuelle Bera-
tung, Hilfe und Förderung mit guter Netzwerkarbeit der
richtige Weg ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte noch ein Beispiel aus meinem Nachbar-
kreis nennen. Hier gibt es eine Kooperation zwischen
der Kreishandwerkerschaft und dem örtlichen Jobcenter.
Das ist ein Modellprojekt, das dazu führen soll, dass
200 Empfänger von SGB-II-Leistungen in Arbeit
gebracht werden. Wer sich hier zum Handwerker um-
schulen lässt, hat bei erfolgreichem Abschluss einen
Arbeitsplatz sicher. Das ist also eine Jobgarantie für Um-
schulungswillige. Ich finde, dies ist auch ein hervorra-
gendes Beispiel für erfolgreiche Vernetzung und Hinfüh-
rung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung,
gleichzeitig aber auch für Fachkräftesicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann nur sagen: Mit dem SGB II steht ein großes
und vielfältiges Instrumentarium an Eingliederungs- und
Förderungsleistungen zur Verfügung. Dennoch werden
wir diesen Instrumentenkasten auf seine Passgenauigkeit
und Effizienz überprüfen sowie entsprechend den gesell-
schaftlichen Rahmenbedingungen weiterentwickeln.

Wir lassen uns durch linke Experimente die Verläss-
lichkeit unserer sozialen Sicherungssysteme nicht ge-
fährden. Ihr Antrag, Kollegen der Linken, ist nicht unser
Weg. Daher lehnen wir ihn auch ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Haben Sie ihn gelesen?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806615600

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1806615700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es

stimmt: In Deutschland sind fast 43 Millionen Menschen
erwerbstätig. Das sind so viele wie noch nie. Im Oktober
waren nur 2,7 Millionen Menschen arbeitslos. Das sind
so wenige wie zuletzt vor drei Jahren. Wir stehen damit
im europäischen Vergleich hervorragend da.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es stimmt aber auch: Bei uns sind über 1 Million
Menschen langzeitarbeitslos. Das ist mehr als ein Drittel
aller Arbeitslosen. Diese Zahl hat sich außerdem seit
2009 kaum verändert. Von den neu geschaffenen Stellen
und der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes ha-
ben andere profitiert. Deutschland steht damit im euro-
päischen Vergleich schon deutlich schlechter da.

Wir sprechen hier von Menschen, die sich vergeblich
auf Jobsuche befinden: ein Jahr, zwei Jahre und länger.
Ihnen fehlen zum Teil Qualifikationen oder Deutsch-
kenntnisse. Oder sie müssen sich um Kinder oder Ange-
hörige kümmern. Sie sind zu alt, zu krank oder zu lange
nicht beschäftigt. Die Gründe, weshalb sie aus eigener
Kraft keine Beschäftigung finden, sind genauso vielfäl-
tig wie individuell. Auch mit Hilfestellungen gehört ihre
dauerhafte Vermittlung zu den schwierigsten Aufgaben
der Arbeitsmarktpolitik.

Die Teilhabe am Erwerbsleben ist bei uns eine wich-
tige Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft.
Man kann das berechtigt kritisieren. Der Wert eines
Menschen wird sicherlich nicht durch seine berufliche
Tätigkeit bestimmt. Am Ende ist es aber doch so, dass
Arbeitslosigkeit soziale Ausgrenzung provoziert. Wenn
wir Teilhabe wollen, muss uns die Integration der Lang-
zeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt ein Herzensanlie-
gen sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aus diesen Gründen rechne ich es der Bundesarbeitsmi-
nisterin hoch an, dass sie das Thema Langzeitarbeitslo-
sigkeit wieder prominent auf die Agenda gebracht hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist ihr Verdienst, dass wir hier heute stehen und da-
rüber diskutieren. Ihrem Konzept zum Abbau der Lang-
zeitarbeitslosigkeit liegen eine umfassende Analyse und
der Anspruch zugrunde, sich nicht mehr allein auf die
Konjunktur zu verlassen. Nachdem die Bundesarbeits-
ministerin ihr Konzept vergangene Woche präsentiert
hatte, wurde schnell auch Kritik laut. Die Hannoversche
Allgemeine hat zum Beispiel getitelt: „Nahles wird keine
Wunder wirken“. Aber ganz ehrlich: Es geht hier nicht
um Wunder. Es geht darum, mit konkreten Maßnahmen
konkrete Verbesserungen zu erwirken. Das Maßnahmen-
paket der Bundesarbeitsministerin hat großes Potenzial,
neue Chancen für Langzeitarbeitslose zu erwirken. Die
verschiedenen Maßnahmen setzen bei den unterschiedli-
chen Gründen der Langzeitarbeitslosigkeit an: mehr Be-
ratung, bessere Betreuung und weniger Bürokratie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ich mir die Schlagworte aus dem Linkenantrag
anschaue, sehe ich, dass Sie in vielen Punkten durchaus
nicht so weit von uns entfernt sind. Der Unterschied ist:
Sie wollen von allem viel mehr, wie immer,

(D)






Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wir sind besser!)


allein 200 000 Stellen auf einem sozialen Arbeitsmarkt.
Mit Kleinigkeiten wie der Finanzierung halten Sie sich
gar nicht erst länger auf. Wenn Sie auf den Passiv-Aktiv-
Transfer abstellen, muss ich sagen: Er beinhaltet leider
keine Vollfinanzierung des sozialen Arbeitsmarktes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katja Mast [SPD]: Eine Wahrheit gelassen ausgesprochen!)


Wenn ich ehrlich bin: Auch ich will mehr. Aber der
Bund kann nicht beliebig viel Geld drucken. Im Bereich
Passiv-Aktiv-Transfer könnte auch ich mir trotzdem vor-
stellen, noch etwas zuzulegen. Wir haben ja vorhin da-
rüber gesprochen. Da scheint das letzte Wort noch nicht
gesprochen zu sein. Und das finde ich richtig so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin überzeugt, dass das vorliegende Maßnahmen-
paket der Arbeitsministerin einen entscheidenden Unter-
schied machen wird. Es handelt sich eben nicht um
dieselben Programme in einem anderen Gewand. Ja,
Lohnkostenzuschüsse gab es auch schon vorher.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es auch sonst!)


Sie sind aber auch besonders sinnvoll.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Hier haben wir die absolut höchste Eingliederungsquote.
Neu ist aber: Den Langzeitarbeitslosen wird durch das
Programm in Ergänzung ein Coach an die Seite gestellt,
und zwar auch, wenn sie bereits erfolgreich in einen Job
vermittelt worden sind.


(Beifall bei der SPD)


Ein stufenweiser Einstieg ist ebenfalls möglich. Die
Chancen auf eine nachhaltige Vermittlung sind damit
deutlich größer.

Sie werfen uns eine Umetikettierung mit Bezug auf
das Programm „Perspektive 50plus“ vor. Ich sage Ihnen:
Darum geht es nicht. Es geht darum, gewonnene Erfah-
rung und besonders geschulte Vermittler zum Vorteil der
Langzeitarbeitslosen insgesamt einzusetzen. Das ESF-
Programm mag auf 33 000 Teilnehmer und das Pro-
gramm zur sozialen Teilhabe auf 10 000 beschränkt sein.
Die Verbreitung der Aktivierungszentren aber, die indi-
viduell auf Langzeitarbeitslose eingehen, ist flächende-
ckend geplant.

Das vorliegende Konzept ist nur der Anfang. Es zeigt:
Endlich haben wir wieder eine Arbeitsministerin, die die
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit in Angriff
nimmt.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806615800

Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das

Wort der Abgeordneten Jutta Eckenbach, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1806615900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Zuhörer oben auf den Tribünen, auch Ih-
nen ein herzliches Willkommen im Deutschen Bundes-
tag! Wir haben heute Vormittag eine sehr intensive und,
wie ich meine, sehr gute Debatte über menschliche
Schicksale, Ethik und Verantwortung geführt. Unsere
Hochachtung gilt besonders den Menschen, die kranke
und sterbende Angehörige pflegen und bis zum Ende be-
gleiten. Mich hat dies sehr beeindruckt. Ich denke, es
war für uns alle eine sehr nachdenkliche Debatte.

Ich will mit diesem Eingangssatz daran erinnern, dass
es auch eine einschneidende Erfahrung im Leben eines
jeden Menschen ist, arbeitslos zu werden. Je länger die
Arbeitslosigkeit dauert, desto stärker können Selbstwert-
gefühl und Selbstbewusstsein verloren gehen. Eine ab-
wärts gerichtete Spirale kann bewirken, dass das Leben
komplett aus den Fugen gerät. Für mich persönlich war
es daher stets eine Motivation, mich bei der aktiven Poli-
tikgestaltung für die Menschen einzusetzen – dies gehört
zu unserer christlich-sozialen Verantwortung –, die es
ohne Hilfe nicht schaffen, ihr Leben zu gestalten.

Deswegen hat mich diese Debatte bis jetzt geärgert.
Wir führen im Moment eine Debatte auf der Grundlage
eines Antrags der Linken, der uns Kosten in Höhe von
9 Milliarden Euro bescheren würde und in dem an dieser
Stelle aber überhaupt nicht darüber nachgedacht wird,
was es für unsere Wirtschaft und für die Menschen in der
Langzeitarbeitslosigkeit heißt, wenn wir die wirtschaftli-
che Lage in Deutschland gefährden


(Lachen der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn Sie nicht die Menschen vernachlässigen würden!)


und keine ausgewogene Politik, wie wir sie in den ver-
gangenen Jahren gemacht haben, mehr machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mich hat geärgert, dass wir heute auf der Grundlage
eines Antrags der Linken eine Debatte darüber führen,
wie toll unsere Sozialministerin ist, Frau Mast. Ich darf
an dieser Stelle auf eines hinweisen – ich habe mir das
gerade herausgeschrieben –: Grundlage unserer Arbeit
ist der Koalitionsvertrag. Die entsprechenden Aussagen
im Koalitionsvertrag habe ich mir extra notiert; ich
werde sie gleich vorlesen. Ich finde, als Grundlage für
das, was wir als CDU/CSU-Fraktion zukünftig planen,
ist er ganz wichtig. Der Koalitionsvertrag ist unsere
Grundlage, und die Ministerin ist keinen Deut von ihm
abgewichen; aber sie hat letztendlich auch nicht mehr
getan, als darin festgeschrieben worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, leider Jutta Eckenbach nicht! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!)





(A) (C)


(D)(B)


Was den Koalitionsvertrag betrifft, kam von Frau
Mast gerade die ganz deutliche Aussage, dass die Minis-
terin darüber hinausgegangen ist. Der Koalitionsvertrag
– ich finde ihn für diese Debatte wichtig – sagt wort-
wörtlich aus:

Der Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig wie selten zu-
vor.

Ich denke, das können wir alle unterstreichen.

Das eröffnet Chancen bei der Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit.


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Dank der rotgrünen Reformpolitik!)


Deswegen wollen wir hier einen Schwerpunkt der
Arbeitsmarktpolitik setzen.

Personen, die seit vielen Jahren arbeitslos sind, finden
bisher selten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Häu-
fige Gründe sind persönliche Vermittlungshemm-
nisse. Deswegen wollen wir Geringqualifizierte und
Langzeitarbeitslose verstärkt in existenzsichernde Ar-
beit vermitteln, sie passgenau qualifizieren und be-
gleiten sowie bei Bedarf auch nachgehend betreuen
und dafür die notwendigen Rahmenbedingungen
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Besonderes Augenmerk richten wir auf die Perso-
nengruppe langzeitarbeitsloser Menschen, die nur
mit massiver Unterstützung Teilhabe und Integra-
tion am Arbeitsmarkt finden können. Dieses Ziel
wollen wir u. a. durch ein ESF-Bundesprogramm
für Langzeitarbeitslose und die Gewinnung von Ar-
beitgebern für die Gruppe arbeitsmarktferner Perso-
nen in den Vordergrund rücken.

Die Steuerung in der Grundsicherung für Arbeit-
suchende soll verstärkt auf das Ziel „Vermeidung
von Langzeitleistungsbezug“ und die Mittelvertei-
lung stärker auf Wirkungsorientierung ausgerichtet
werden. …

Zur Verstetigung von Förderleistungen wollen wir
die wirksame Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln
von einem Haushaltsjahr ins nächste in der Grund-
sicherung verbessern.

Besser als so, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrie-
ben ist, hätte auch ich es heute nicht sagen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist die Grundlage der Arbeit der CDU/CSU. Darauf
werden wir uns stützen. An dieser Stelle werden wir
weiterarbeiten. Es wird ein Papier dazu von der CDU/
CSU geben. Lassen Sie sich überraschen!

Nur, wir werden eines tun: Wir werden auch darauf
achten, dass wir nicht mehr Mittel einsetzen; denn das
können wir nicht, und das dürfen wir nicht. Wir wollen
die Wirtschaft in Deutschland nicht schwächen, sondern
wir wollen sie stärken, damit sie mehr Langzeitarbeits-
lose aufnehmen kann, als es in der Vergangenheit viel-
leicht möglich war. Auch dafür werben wir.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806616000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3146 an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämp-
fung des Mietanstiegs auf angespannten
Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Be-
stellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung

(Mietrechtsnovellierungsgesetz – MietNovG)


Drucksache 18/3121
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Mieterhöhungsstopp jetzt

Drucksachen 18/505, 18/3203

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Als erstem Redner erteile ich für die Bundesregierung
Herrn Bundesminister Heiko Maas das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident und sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
54 Prozent aller Deutschen wohnen zur Miete – das ist
mehr als in jedem anderen europäischen Land. Immer
mehr Menschen in Deutschland sind heute von steigen-
den Mieten betroffen. Wir wollen etwas tun. Deshalb le-
gen wir Ihnen heute diesen Gesetzentwurf vor.

In den vergangenen Jahren sind die Mieten vor allen
Dingen in zwei Bereichen gestiegen, und zwar drastisch:
erstens in den attraktiven Lagen vieler Großstädte, zwei-
tens in den Universitätsstädten und in den Städten, die
ganz besonders viele Arbeits- und Ausbildungsplätze an-
bieten.





Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

Wenn dort nach einem Auszug eine Wohnung wieder
neu vermietet wird, dann wird dies oft für eine kräftige
Erhöhung der Miete genutzt. Die Preise liegen dann zum
Teil deutlich über den ortsüblichen Vergleichsmieten. In
Regensburg etwa beträgt diese Abweichung im Schnitt
mittlerweile 33 Prozent. In Frankfurt am Main und in
Münster sind es 30 Prozent, und in Hamburg und Mün-
chen sind es – schon bei einem außerordentlich hohen
Niveau – 25 Prozent.

In dieser Situation brauchen wir die Mietpreisbremse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn der vorliegende Entwurf Gesetz wird, dann kann
bei einer Wiedervermietung die angehobene Miete nur
maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichs-
miete liegen. Zudem werden wir im Maklerrecht einen
allgemeinen Rechtsgrundsatz durchsetzen, nämlich dass
die Maklerkosten bei dem anfallen, in dessen Interesse
der Makler tätig wird. Beides zusammengenommen ist
sinnvoll, angemessen und notwendig. Wir brauchen die-
ses Gesetz gerade zum jetzigen Zeitpunkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will einige besondere Aspekte, auch solche, die in
den vergangenen Wochen und Monaten schon intensiv
diskutiert worden sind, noch einmal herausstellen. Die
Geltungsdauer für die Ermächtigungsgrundlage für die
Mietpreisbremse beträgt fünf Jahre. Einige sagen: nur
fünf Jahre. – Aber auch das hat seinen Grund. Wir wis-
sen, dass die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt
zyklisch verläuft. Das hängt von Angebot und Nachfrage
ab, entsprechend entwickeln sich die Preise.

Wenn man zusammenzählt, dass für fünf Jahre die
Länder ermächtigt werden, entsprechende Verordnungen
zu erlassen, und dass diese dann noch einmal fünf Jahre
dauern können, dann sieht man, dass die Wirkungen der
Mietpreisbremse bis zu zehn Jahre dauern. Mit diesem
Zeitraum geben wir durchaus angemessene Antworten
auf das, was im Moment auf dem Wohnungsmarkt statt-
findet.

Ich sage auch dazu: Das ist ein neues Instrument. Wir
sind davon überzeugt, dass dieses Instrument wirken
wird. Aber es ist vollkommen berechtigt, nach fünf Jah-
ren zu evaluieren, ob und wie dieses Instrument gewirkt
hat, um es möglicherweise entsprechend weiterzuentwi-
ckeln.

Die Mietpreisbremse gilt nur für Wohnungsmärkte, in
denen die Lage angespannt ist.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist sie doch überall!)


Es gibt Menschen, die der Auffassung sind, die Miet-
preisbremse solle überall gelten.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Gute Idee!)


Der Grund, warum wir uns auf diesen Geltungsbereich
beschränkt haben, ist ganz einfach: Die Mietpreisbremse
wird nicht überall gebraucht. Es gibt viele Regionen, von
Mecklenburg-Vorpommern bis ins Saarland, in denen
wir andere Probleme haben: Da fehlen aufgrund der de-
mografischen Entwicklung eher die Mieter. Dort gibt es
auch keine Preissprünge. Vielmehr ist es für Vermiete-
rinnen und Vermieter außerordentlich schwierig, für ihre
Wohnung überhaupt einen Mieter zu finden. Deshalb
wollen wir, dass die Mietpreisbremse dort gilt, wo sie
wirklich notwendig ist. Alles andere würde nur zu unnö-
tiger Bürokratie führen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in diesem Gesetzentwurf auch die Voraus-
setzungen definiert, nach denen die Länder eine Verord-
nung zur Einführung der Mietpreisbremse umsetzen
können. Auch das wird unterschiedlich diskutiert. Letzte
Woche ist der Gesetzentwurf bereits in den Bundesrat
eingebracht worden. Dort ist zum Beispiel von dem
Land Brandenburg moniert worden, dass man den Län-
dern überhaupt Spielräume belässt. Aus Bayern kam da-
gegen der Einwand, dass die festgelegten Kriterien die
Länder vielleicht doch etwas zu sehr einengen. Mögli-
cherweise ist das, was der Gesetzentwurf vorsieht, näm-
lich die Mitte, auch die goldene Mitte. Es ist nichts ande-
res als das Angebot einer sachgerechten Lösung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Was für eine Selbstlobhudelei!)


Denn wir sind davon überzeugt, dass aufgrund der Sach-
und Ortsnähe am besten vor Ort darüber entschieden
werden kann, wo diese Kriterien erfüllt sind.

Die Kriterien als solche halte ich für unbestreitbar:
Ein Wohnungsmarkt gilt dort als angespannt, wo die
Mieten hoch sind, wo sie besonders stark steigen, wo die
Wohnbevölkerung bei stagnierendem Wohnraum wächst
und wo geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb ist es richtig, es den Ländern zu überlassen, wo
sie von diesem Instrument Gebrauch machen.

Ein weiterer Punkt in unserem Gesetzentwurf, einer,
der vielleicht am heftigsten diskutiert worden ist, ist das
Vorhaben, Neubauten von der Mietpreisbremse auszu-
nehmen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Falsch! Eingeknickt! Aber dazu sage ich nachher noch was!)


Auch das ist, wie ich finde, eine richtige Entscheidung.
Wir wollen niemanden, der in den Wohnungsbau inves-
tieren will, mit der Mietpreisbremse zum Nachdenken
veranlassen, was die Amortisation angeht, was mögli-
cherweise zur Folge hat, dass diese Investition nicht
durchgeführt wird.

Die Einwände dagegen, die Neubauten von der Miet-
preisbremse auszunehmen, gehen aber auch aus einem
anderen Grund völlig ins Leere. Wir haben in Deutsch-
land 20 Millionen Bestandsmietwohnungen. Jedes Jahr
kommen etwa 200 000 neue Wohnungen, also Neubau-





Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

ten, dazu. Die Hälfte dieser 200 000 neuen Wohnungen
sind Mietwohnungen. Das heißt, weniger als 1 Prozent
der Wohnungen kommt überhaupt für die Mietpreis-
bremse in Betracht.

Bedenkt man zudem, dass statistisch gesehen eine
Wohnung alle zehn Jahre wieder- und weitervermietet
wird, dann wird sehr schnell deutlich, dass es nur margi-
nale Ergebnisse bringen würde, Neubauten miteinzube-
ziehen, weil es praktisch überhaupt keine Fälle gibt, die
wir mit dieser Regelung erfassen würden. Deshalb ist es,
finde ich, richtig, in dem Fall der Investitionsbereitschaft
den Vorrang zu geben. Es gibt praktisch keine Mieter bei
Neubauten, die wir mit der Mietpreisbremse schützen
müssten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um die Durchschnittsmieter!)


– Für die Durchschnittsmiete gilt: Die Mietpreisbremse
soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt gel-
ten, und wenn dort neue Wohnungen gebaut werden,
dann werden in der Regel Quadratmeterpreise von weit
über 10 Euro pro Quadratmeter verlangt.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das liegt an der Liegenschaftspolitik des Bundes! Unter anderem!)


Das bewegt sich in Regionen, wo es um Menschen geht,
die nicht unbedingt von der Mietpreisbremse geschützt
werden müssen.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, der
schon diskutiert worden ist: Bei der Mietpreisbremse
stellen wir nicht auf einen Mietspiegel, sondern auf die
ortsübliche Vergleichsmiete ab. Die ortsübliche Ver-
gleichsmiete ist im Mietrecht bereits heute ein anerkann-
ter Maßstab. Mietspiegel reflektieren lediglich die orts-
übliche Vergleichsmiete.

Bis heute haben aber lediglich 7 Prozent aller deut-
schen Gemeinden einen Mietspiegel. Selbst unter den
Städten mit hohen Mietpreisen haben nur 20 Prozent ei-
nen Mietspiegel. Über die Einzelheiten, wie ein einfa-
cher oder ein qualifizierter Mietspiegel genau aussehen
soll – das sind Fragen, mit denen wir uns anschließend
intensiv und zügig beschäftigen müssen –, gibt es bis-
lang keinen Konsens zwischen den Beteiligten.

Wir können aber nicht abwarten, bis sich alle Betei-
ligten auf die Gestaltung eines – am besten eines qualifi-
zierten – Mietspiegels geeinigt haben. Wir müssen sofort
etwas gegen die steigenden Mieten tun. Deshalb stellen
wir auf das anerkannte Kriterium der ortsüblichen Ver-
gleichsmiete ab. Alles andere würde dazu führen, dass
die Einführung, Umsetzung und Anwendung der Miet-
preisbremse genau dort, wo sie gebraucht wird, gefähr-
det würde.

Meine Damen und Herren, alles in allem: ein sinnvol-
les und notwendiges Gesetz, zu dem ich um Ihre Zustim-
mung bitte.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie denn jetzt nichts zu den Maklergebühren gesagt?)


Ich will noch eine Anmerkung machen. Es kann sein,
dass ich die Debatte etwas früher verlassen muss, aber
nur deshalb, weil in wenigen Minuten der Haushalt des
Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher-
schutz in der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-
schusses aufgerufen wird. Da muss ich selber hin. Das
hat nichts damit zu tun, dass mir der Respekt vor dem
Hohen Hause fehlt. Ich bitte darum um Verständnis.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806616100

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Caren Lay.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806616200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Minister, Sie haben Ihren Gesetzentwurf
heute eingebracht mit dem Begriff der Mietpreisbremse.
Das ist ein schillernder Begriff, der Hoffnungen bei den
Zuhörerinnen und Zuhörern weckt, die Ihr Gesetzent-
wurf aber leider nicht erfüllen kann.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Linke haben lange eine Mietpreisbremse gefor-
dert. Wir fordern sie noch immer. Aber gut gemeint ist
noch lange nicht gut gemacht. Bevor zu viele Mieterin-
nen und Mieter denken, dass sie von dem Gesetzentwurf
der Großen Koalition profitieren werden, möchte ich auf
die Bedingungen und Ausnahmen eingehen, die aus mei-
ner Sicht der Pferdefuß des vorliegenden Gesetzentwurfs
sind.

Sie haben es selber gesagt: Die Umsetzung liegt bei
den Ländern. Aber es ist nicht nur so, dass die Länder
fünf Jahre Zeit haben, das umzusetzen. Vielmehr haben
die Länder die Wahl, ob sie es überhaupt umsetzen wol-
len. Das heißt, wenn man Pech hat und in einem Bundes-
land lebt, dessen Landesregierung nicht gewillt ist, die
Mietpreisbremse umzusetzen, dann hat man gar nichts
davon.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das nennt sich Demokratie!)


Es muss weiterhin definiert werden, wann ein soge-
nannter angespannter Wohnungsmarkt vorliegt. Über die
Kriterien wurde bereits im Bundesrat diskutiert. Darüber
wird in der Anhörung sicherlich weiter diskutiert wer-
den. Sie binden also das Inkrafttreten der Mietpreis-
bremse an einen angespannten Wohnungsmarkt.


(Sören Bartol [SPD]: Das haben wir doch jetzt schon! Das ist nichts Neues!)






Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

Sie regulieren überhaupt nicht die bestehenden Mietver-
hältnisse. Da gilt die Gesetzeslage aus der letzten Legis-
laturperiode wie bisher. Man hat nur dann das Glück,
von der Mietpreisbremse zu profitieren, wenn man um-
zieht. Wie gesagt, das soll auch nur für fünf Jahre gelten.


(Sören Bartol [SPD]: Das geht auch nicht anders!)


Das ist angesichts der rasanten Mietenexplosion in den
letzten Jahren völlig lächerlich.


(Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Sie können doch nicht so einen Mist erzählen! Entschuldigung!)


Ich will auf die Ausnahmen eingehen, beispielsweise
auf die Staffelmieten, die im Gesetzentwurf ausgenom-
men sind, oder auf die Ausnahmen beim Neubau; das
haben Sie selber gesagt. Im Endeffekt ist die Gruppe, die
von Ihrem Gesetz profitieren wird, ziemlich klein. Des-
wegen sagen wir als Linke: Diese Mietpreisbremse ver-
dient ihren Namen nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Dirk Wiese [SPD]: Bei der Staffelmiete müssen Sie aber noch mal nachlesen!)


Sie haben im Vorblatt Ihres Gesetzentwurfs selber
ausgerechnet, dass die Mieterinnen und Mieter in Höhe
von 280 Millionen Euro im Jahr – ich vermute, dass das
hochgerechnet wurde – von Ihren Wohltaten profitieren.
Das ist besser als nichts; das sagen wir als Linke ganz
klar. Aber wir sagen auch: Das steht in gar keinem Ver-
hältnis zu den Milliardenrenditen und -gewinnen, die die
Immobilienlobby und die Immobilienspekulanten in den
letzten Jahren eingefahren haben.

Ich möchte auf die sehr umstrittene Änderung einge-
hen, die Sie in der Sommerpause auf Druck der Immobi-
lienlobby und der Union vorgenommen haben, nämlich
die Neubauten komplett aus dem Gesetzentwurf heraus-
zunehmen. Das Problem ist nicht, dass es Wohnungen
für Mieter mit mehr Geld gibt, die dann auch eine höhere
Miete zahlen können. Das ist nicht das zentrale Problem.
Das eigentliche Problem ist, dass durch die Dynamik des
Mietspiegels auch die Miete der Oma nebenan perspekti-
visch ansteigen wird. Deswegen sagen wir als Linke:
Das ist ein völlig unnötiges Einknicken vor der Immobi-
lienlobby gewesen. Wir lehnen das ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier wird gerne ein Gespenst an die Wand gemalt und
behauptet: Dann wird nicht mehr gebaut, und man müsse
bauen, bauen, bauen. – Das haben wir bislang von der
Union gehört. Das werden wir sicherlich heute noch ein
paar Mal hören. Ich halte das für ein Gespenst. Es ist
festzustellen, dass bereits mehr gebaut wird. Der Vize-
präsident eines Immobilienverbandes sagt nach wie vor,
dass das Geschäft boomt. Jedem Kapitalanleger wird ge-
raten: Wenn du die schnelle Mark machen willst, dann
investiere in Rohstoffe in Madagaskar oder in Mietwoh-
nungen in Berlin. – Hier so zu tun, als würde nicht ge-
baut, ist völlig falsch. Wenn man einen Schritt auf die
Straße macht, dann sieht man, dass hier überall gebaut
wird. Aber in der Regel werden Lofthouses und Town-
houses gebaut. Solche Neubauten meinen wir als Linke
nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie für Neubau sind und Ihre Forderung ernst
meinen, dann müssen Sie aus meiner Sicht mehr in den
sozialen Wohnungsbau investieren. Hier waschen Sie
Ihre Hände angeblich in Unschuld und schieben die Ver-
antwortung auf die Länder.


(Sören Bartol [SPD]: Wir haben eine Verfassung! Es gibt ein Grundgesetz!)


Wir brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungs-
bau. Das ist noch immer die beste Mietpreisbremse.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806616300

Frau Lay, darf die Kollegin Winkelmeier-Becker eine

Zwischenfrage stellen?


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806616400

Ja, selbstverständlich.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806616500

Bitte, Frau Winkelmeier-Becker.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1806616600

Frau Kollegin, ich habe eine Frage, weil Sie den Zu-

sammenhang zwischen der Mietpreisbremse und den
Lofthouses und Townhouses, die jetzt gebaut werden,
herstellen. Das sei nicht die Bautätigkeit, die Sie sich
vorstellen. Inwiefern würden Sie einen Zusammenhang
zwischen einer Mietpreisbremse und einem verstärkten
Bau einfacher Wohnungen herstellen? Würde das denn
dazu führen, dass mehr Wohnungen von der Art gebaut
werden, wie Sie sie sich wünschen?


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806616700

Da haben Sie mich falsch verstanden. Ich habe ge-

sagt: Wenn wir mehr Mietwohnungen im hochpreisigen
Segment bauen – es geht um den Neubau von Mietwoh-
nungen –, dann führt die Dynamik des Mietspiegels
dazu, dass die Mieten insgesamt steigen werden. Denn
der Mietspiegel steigt ja.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie dem einen Riegel vorschieben wollen, dann
müssen Sie die Dynamik und die Berechnungsweise des
Mietspiegels berücksichtigen. Nur das wäre wirkungs-
voll.

Ich habe zweitens gesagt, dass wir in der Tat einen
Neustart im sozialen Wohnungsbau brauchen. Dazu hät-
ten Sie die Möglichkeit. Hier nur zu sagen: „Wir haben
das an die Länder gegeben“, ist aus meiner Sicht nicht
zielführend. Wir müssen endlich mehr Haushaltsmittel
in die Hand nehmen. Dazu haben Sie bei den Haushalts-
verhandlungen in der übernächsten Woche die Chance.





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, ich möchte zu einem
nächsten großen Pferdefuß kommen: Das ist aus meiner
Sicht der Deckel in Höhe von 10 Prozent über der orts-
üblichen Vergleichsmiete, den Sie vorschlagen. Das hört
sich erst einmal ganz vernünftig an. Aber schauen wir
uns an, was das in der Praxis bedeutet.

Eine vierköpfige Familie hat einen alten Mietvertrag
und zahlt für die Wohnung in einer einfachen Wohnlage
in Berlin – weiß ich nicht genau – vielleicht noch
480 Euro. Irgendwann wird der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung umgesetzt. Ortsübliche Vergleichsmiete
plus 10 Prozent kann dann bedeuten, dass der Nachmie-
ter locker 680 Euro oder 700 Euro zahlen würde. Das
verdient doch wirklich nicht den Namen einer wirkungs-
vollen Bremse.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen sagen wir auch ganz klar: Der Maßstab
kann nicht die ortsübliche Vergleichsmiete sein, erst
recht nicht, wenn man die Berechnungsweise des Miet-
spiegels nicht ändert, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
nicht tun. Wir sagen: Wir wollen an der Vorgängermiete
anknüpfen. Ich verstehe ehrlich gesagt gar nicht, warum
der Nachmieter mehr bezahlen soll als der Vormieter,
wenn an der Wohnung überhaupt kein Pinselstrich getan
wurde. Das ist einfach nur ungerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Bestandsmieten müssen wir aus meiner
Sicht neu regeln. Das, was in der Vergangenheit dazu ge-
ändert wurde, ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Wir
als Linke haben vorgeschlagen, man soll sich am Infla-
tionsausgleich orientieren. Es hieß, dass wir mit unserem
Vorschlag zu einer Mieterhöhung beitragen würden. Ich
habe es extra nachgerechnet. Nach der gegenwärtigen
Gesetzeslage können Sie die Miete in drei Jahren um
15 Prozent erhöhen, nach unserem Vorschlag wären es
gerade einmal 4,5 Prozent in den letzten drei Jahren ge-
wesen. Das spricht wirklich für den Linkenantrag.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Und in den letzten 10 oder 20 Jahren? Da war es anders!)


Ich möchte zuletzt darauf eingehen, was in dem Ge-
setzentwurf alles nicht geregelt ist. Ein ganz großes Pro-
blem ist, dass gerade die Modernisierung in ihrer jetzi-
gen Form dazu beiträgt, dass Mieterinnen und Mieter
aus ihren angestammten Kiezen vertrieben werden. Sie
alle haben die Fälle gelesen, die in den letzten Wochen
und Monaten durch die Presse gegangen sind. Da war
der 69-jährige Rentner aus Düsseldorf, der nach 50 Jah-
ren seine Wohnung verlassen sollte. Das hat das Gericht
so entschieden. Hoch und runter diskutiert wurde das
Beispiel aus Berlin-Prenzlauer Berg in der Kopenhage-
ner Straße, wo nach einer energetischen Sanierung plötz-
lich das Dreifache der vorherigen Miete verlangt wurde.
Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Wenn man es
mit einer Mietpreisbremse wirklich ernst meint, dann
müssen wir an die Modernisierungsumlage heran. Wir
wollen sie von derzeit 11 Prozent auf 5 Prozent reduzie-
ren.


(Beifall bei der LINKEN)

Bei aller Kritik gibt es zwei Dinge, die ich befür-
worte. Das eine ist, dass im aktuellen Entwurf der Wu-
cherparagraf wieder aufgenommen worden ist. Das fin-
den wir gut. Es hat viel Kritik von der Linken und auch
von den Mieterverbänden daran gegeben, dass er gestri-
chen wurde. Er ist jetzt wieder hereingekommen. Wir
müssen allerdings auch sagen: In der jetzigen Form ist er
leider ziemlich wirkungslos. Wir müssen ihn also verän-
dern, nämlich dahin gehend, dass die Beweislast nicht
weiterhin beim Mieter liegt. Sonst kann man damit nicht
ganz so viel anfangen.

Ein letzter Punkt. Das Bestellerprinzip bei Maklerver-
trägen war längst überfällig. Ich finde, dass auf dem
Wohnungsmarkt das Gleiche wie in jeder Kneipe gelten
sollte: Wer bestellt, bezahlt. Ich freue mich, dass auf die-
sem Wege endlich eine langjährige Forderung der Lin-
ken umgesetzt wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806616800

Als nächster Redner hat der Kollege Jan-Marco

Luczak das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1806616900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Das Zustandekommen des Kabinettsentwurfs
zur Einführung einer Mietpreisbremse, über den wir jetzt
reden, war ein wirklich langer und auch steiniger Weg,
den wir zurückgelegt haben. Das merken wir auch an
den Schlagzeilen, die wir heute überall lesen können.
Nach einer Studie im Auftrag der Grünen haben viele
Vermieter diese Zeit genutzt, um die Mieten gerade in
großen Städten, in Ballungsgebieten noch einmal zu er-
höhen. Ich persönlich finde das schade. Der Justizminis-
ter ist leider nicht mehr da; sonst hätte ich es ihm noch
einmal gesagt. Wenn Sie die Fraktionen rechtzeitig ein-
gebunden hätten, wenn wir uns rechtzeitig abgestimmt
hätten, dann wären wir wesentlich schneller gewesen
und dann wären uns diese Schlagzeilen vielleicht erspart
geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Herr Luczak, wenn Sie nicht den ganzen Tag immer nur blöde Pressemitteilungen geschrieben hätten, wäre das auch schneller gegangen!)


Aber man muss sagen: Wir haben die Zeit natürlich ge-
nutzt,


(Sören Bartol [SPD]: Ja, Sie haben die Zeit für sich genutzt! Unverschämtheit!)


und zwar gut, weil wir in den Referentenentwurf viele
Verbesserungen noch haben einfügen können,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben sie verzögert und blockiert zum Schaden der Mieterinnen und Mieter in Deutschland!)






Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

die sich im Kabinettsentwurf, über den wir jetzt spre-
chen, wiederfinden.

Ich will am Anfang sehr klar und deutlich betonen:
Die Union steht zur Mietpreisbremse. Wir wollen nicht,
dass Menschen und insbesondere junge Familien aus ih-
ren angestammten Kiezen verdrängt werden. Deswegen
sagen wir: Die Mietpreisbremse ist ein Instrument, das
in der Tat kurzfristig Abhilfe schaffen kann. Für uns als
Union war aber auch immer klar, dass wir, wenn wir
nachhaltig etwas gegen steigende Mieten machen wol-
len, wenn wir den Menschen nachhaltig helfen wollen,
etwas für den Wohnungsneubau tun müssen, gegen die
Ursachen des Mietpreisanstiegs angehen müssen und
nicht nur an dessen Symptomen herumdoktern dürfen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch in Berlin Wohnungsneubau! Das schaffen Sie doch auch nicht!)


Das zentrale Anliegen der Union war immer, zu sa-
gen: Die Mietpreisbremse darf keine Investitionsbremse
werden. Das haben wir mit dem Kabinettsentwurf er-
reicht. Die Neubauten sind von der Mietpreisbremse
ausgenommen. Alle Wohnungen, die ab dem 1. Oktober
2014 – das ist das Datum des Kabinettsentwurfs – erst-
mals genutzt und vermietet werden, fallen nicht unter die
Mietpreisbremse. Das ist gut, weil es somit Planungs-
und Investitionssicherheit für all diejenigen gibt, die
Geld in die Hand nehmen wollen, die in den Wohnungs-
neubau investieren wollen. Damit haben wir gegenüber
dem Referentenentwurf einen großen Fortschritt er-
reicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns interessiert: Für wen?)


Im Zusammenhang mit Planungs- und Investitions-
sicherheit ist ein zweiter Punkt ganz wichtig: Dieser
Gesetzentwurf sieht eine klare zeitliche Befristung vor;
bis zum 31. Dezember 2020 können die Länder von der
Ermächtigungsgrundlage Gebrauch machen. Ich will das
betonen: einmalig Gebrauch machen. Nach dem Refe-
rentenentwurf wäre es noch möglich gewesen, davon
mehrmals Gebrauch zu machen. Man hätte dann eine
Mietpreisbremse nach der anderen schalten können.
Solche Kettenmietpreisbremsen sind nach dem Kabi-
nettsentwurf nicht mehr möglich. Damit haben wir eine
klare Perspektive, wann mit der Mietpreisbremse
Schluss ist. Auch das ist ein Beitrag dazu, dass es Pla-
nungs- und Investitionssicherheit gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben in dieser Zeit weitere Dinge erreicht – das
ist schon angesprochen worden –, zum Beispiel was die
örtliche Abgrenzung der Mietpreisbremse anbelangt. Im
jetzigen Gesetzestext sind klare, objektive und nachprüf-
bare Kriterien enthalten, wann ein angespannter Woh-
nungsmarkt vorliegt; und das ist gut so, dass wir das ha-
ben. Das war auch notwendig, weil die Länder mit
solchen Ermächtigungsgrundlagen – das hat die Vergan-
genheit gezeigt – sehr freihändig umgegangen sind. Man
muss sich das immer wieder vor Augen halten: Die
Mietpreisbremse ist ein gravierender Eingriff in die
Rechte der Eigentümer. Ein solcher Eingriff muss ver-
fassungsrechtlich sauber begründet werden. Deswegen
war es notwendig, dass wir diese Kriterien im Gesetzes-
text formuliert haben.

Ich muss an dieser Stelle aber auch sagen: Wenn man
sich die Bezugspunkte dieser Kriterien genau anschaut,
erkennt man, dass wir sie noch einmal prüfen sollten.
Wenn von Leerstand, von Mietbelastung, von Miet-
anstieg gesprochen wird, dann wird immer auf den
Bundesdurchschnitt Bezug genommen. Wir reden hier
aber gerade von angespannten Wohnungsmärkten, von
großen Städten, von Ballungszentren. Insofern, glaube
ich, müssen wir schon schauen, ob es eigentlich ein
sachgerechter Maßstab ist, auf den Bundesdurchschnitt
abzustellen, oder ob es nicht viel besser wäre, auch re-
gionale, lokale Gesichtspunkte heranzuziehen und den
Gesetzestext daran zu orientieren. Das scheint mir hier
der sachgerechtere Maßstab zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben den Ländern hier eine qualifizierte Be-
gründungspflicht auferlegt. Sie müssen im Einzelfall
nachweisen, wieso in einem bestimmten Gebiet ein an-
gespannter Wohnungsmarkt herrscht. Das ist erst einmal
gut. Wir haben aber einen zweiten Punkt in die qualifi-
zierte Begründungspflicht mit hineingenommen: Die
Ländern müssen zukünftig genau darlegen, welche Maß-
nahmen sie ergreifen wollen, um gegen die Wohnungs-
knappheit etwas zu tun, um Abhilfe zu schaffen. Da sind
die Länder und die Kommunen ganz klar in der Pflicht.
Zu der Vorstellung des einen oder anderen, wonach es
ausreicht, wenn die Länder sagen: „Uns schwebt vor,
hier eigentlich überhaupt nichts zu tun“, muss ich sagen:
Das reicht in keiner Weise aus. Wir erwarten von den
Ländern, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden
und dass sie konkrete Maßnahmen ergreifen, dass sie
mehr für den Wohnungsneubau tun, um damit den Mie-
tern in den betroffenen Gebieten zu helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Stellungnahme des Bundesrates ärgert mich
schon ein bisschen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist gut!)


Sie besagt nämlich im Prinzip: Alles das, was wir in den
letzten Wochen und Monaten erreicht haben, soll wieder
auf null zurückgesetzt werden. Da müssen sich die
Länder auch an die eigene Nase fassen. Die Grund-
erwerbsteuer wird ständig erhöht. 2015 wollen Nord-
rhein-Westfalen und das Saarland die Grunderwerb-
steuer auf 6,5 Prozent anheben; in Schleswig-Holstein
liegt sie schon bei 6,5 Prozent. Die Kommunen erhöhen
die Grundsteuer. Das Volumen aus Grunderwerbsteuer
und Grundsteuer ist in den letzten vier Jahren um
25 Prozent gestiegen. Meine Damen und Herren, wer
bezahlt das denn? Natürlich sind das letztendlich die
Mieterinnen und Mieter in unserem Land. Das ist also
eine vom Staat verursachte Mehrbelastung der Mieter.
Die Welt hat vor ein paar Tagen getitelt „Wie der Staat
die Mieter schröpft“ – und das nicht ganz zu Unrecht.
Das gehört zur Wahrheit dazu, wenn wir über steigende





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

Mieten sprechen. Auch die Länder sind hier in der
Pflicht. Man darf nicht immer nur auf den Bund schauen. –
Das ist der eine Punkt.

Der zweite Punkt, der mich dabei ärgert: Wir reden
hier immer von Mieten. Wenn man die Grunderwerb-
steuer so stark erhöht, erschwert das natürlich auch die
Eigentumsbildung. Es sollte doch eigentlich unser politi-
sches Ziel sein, gerade jungen Familien zu ermöglichen,
zu einem kleinen Eigenheim zu kommen. Wer nämlich
im Eigentum wohnt, braucht hinterher keine Miete mehr
zu zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch zwei Punkte aufgreifen, die mir für
das weitere parlamentarische Verfahren wichtig sind.
Das ist zum einen die Bestimmung der ortsüblichen
Vergleichsmiete. Da ist die Frage – darauf wurde schon
hingewiesen –: Wie bekommen wir es hin, dass sie sich
klar und rechtssicher bestimmen lässt?


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist heute schon rechtssicher!)


Das ist etwas, was nicht nur für die Vermieter entschei-
dend ist. Es ist natürlich für beide Parteien, für den Mie-
ter wie für den Vermieter, wichtig, klar und zuverlässig
sagen zu können, was die zulässige Miete ist.

Der einzige Maßstab, der da sachgerecht ist, ist der
Mietspiegel. Da befinden wir uns übrigens auch in Über-
einstimmung mit dem Deutschen Mieterbund. Der sagt
ganz genauso: Wir brauchen hier irgendeine Form der
Verknüpfung, sodass wir auf den Mietspiegel rekurrieren
können. Nur über die Verknüpfung der ortsüblichen
Vergleichsmiete mit dem Mietspiegel erreichen wir das
notwendige Maß an Rechtssicherheit. – Ich bin zwar An-
walt, will aber trotzdem nicht, dass wir die Menschen zu
den Gerichten treiben. Eine solche Belastung für das
Mietverhältnis ganz zu seinem Beginn will ich nicht.
Deswegen brauchen wir Rechtssicherheit an dieser
Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte am Ende der Rede einen letzten Punkt an-
sprechen, und dabei geht es um die Makler. Ich habe ge-
rade auf den Bundesrat geschimpft. An der Stelle hat er
aber recht gehabt. Er hat nämlich gesagt: Wir müssen
beim Bestellerprinzip nachbessern. – Im Koalitions-
vertrag haben wir sehr klar formuliert: Wer bestellt,
bezahlt. – Daran gibt es auch nichts zu rütteln. Wir ha-
ben aber immer Wert darauf gelegt, dass es sich um ein
echtes, um ein marktwirtschaftliches Bestellerprinzip
handeln muss, das ermöglicht, dass beide Parteien,
Vermieter wie Mieter, als Besteller, als Auftraggeber
auftreten.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806617000

Herr Kollege Luczak, Sie müssen zum Schluss kom-

men.

Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1806617100

Ich komme sehr gern zum Schluss. – Das ist im Ge-

setzentwurf nicht gewährleistet. Ich glaube, da müssen
wir rangehen. Die Makler haben es ein bisschen schwer.
Sie sind von ihrem Berufsbild her unbeliebt; da haben
sie etwas mit Politikern gemeinsam. Aber, ich glaube,
wir dürfen sie da nicht im Regen stehen lassen.

Ich glaube, dass uns ein ordentlicher Gesetzentwurf
vorliegt. Aber auch hier gilt das Struck’sche Gesetz:
Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hereinge-
kommen ist. – Auch wenn der eine oder andere meint,
hier werde kein Komma mehr geändert, bin ich mir
sicher, dass es noch einige Veränderungen geben wird.
Am Schluss werden wir dann ein sehr gutes Gesetz
haben, das beiden Parteien, Vermietern und Mietern,
eine gute Grundlage für ihre Zusammenarbeit gibt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806617200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie

noch einmal bitten, sich an die Redezeiten zu halten. Der
Kollege hat fast eine Minute überzogen. Wir haben jetzt
schon eine Überziehung von 45 Minuten. Sie wissen, wir
haben eine lange Tagesordnung. Deswegen meine ganz
herzliche Bitte, sich wirklich an die vorgegebene Zeit zu
halten.

Als nächster Redner spricht Christian Kühn.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Danke, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Miet-
preisbremse ist im Kern ein Rettungsschirm für bezahl-
bares Wohnen, ein Rettungsschirm, der schnell aufge-
spannt werden muss, und ein Fiebermedikament gegen
die Überhitzung angespannter Wohnungsmärkte in
Deutschland. Doch die Mietpreisbremse, die Sie heute
hier von der Großen Koalition vorlegen, ist ziemlich
löchrig und wird das Fieber in den Ballungsräumen nur
unzureichend senken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diesen Sommer, als die meisten Menschen im Urlaub
waren, haben die Sektkorken bei der Immobilienlobby
geknallt, und zwar in dem Augenblick, als Herr Maas in
Sachen Mietpreisbremse beim Neubau eingeknickt ist.
Er ist da eingeknickt, und es war sicherlich auch kein
Zufall, dass das mitten im Sommer passiert ist. So
konnte es schön geräuschlos laufen, und niemand
merkte, dass die SPD hier den Interessen der Immo-
bilienlobby ganz klar nachgegeben hat und eingeknickt
ist.


(Ulli Nissen [SPD]: Im Interesse der Mieter!)


Ich kann deshalb nicht verstehen, dass Sie sich heute
hier hinstellen und sagen: Alles ist prima. – Sie legen
heute eine ziemlich durchlöcherte, verzögerte Mietpreis-
bremse vor und machen dabei dicke Backen. Ich sage





Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

Ihnen: Wir hätten eine robuste, schnell eingeführte
Mietpreisbremse in Deutschland dringend gebraucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Mietpreisentwicklung kennt nicht erst seit gestern
nur eine Richtung, nämlich die nach oben. Wir von der
Bundestagsfraktion der Grünen haben hier bereits 2011
eine Mietpreisbremse beantragt, also vor drei Jahren.
Kern dieser grünen Mietpreisbremse war, dass die
Miethöhe bei Neuverträgen in Gebieten mit Wohnraum-
mangel bei 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichs-
miete begrenzt wird, und zwar ohne Ausnahmen. Das
war auch richtig so. Die jetzt vorliegende Mietpreis-
bremse ist voller Ausnahmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass das keine ganz dumme Idee von uns Grünen
war, sieht man daran, dass die Linke, die SPD und am
Ende auch die Union mit Angela Merkel auf den Zug
aufgesprungen sind. Alle haben schließlich im Wahl-
kampf verkündet, es solle eine Mietpreisbremse geben.
Sie von der Großen Koalition stehen heute in der Pflicht,
eine Mietpreisbremse zu bringen. Ich sage Ihnen eines:
Die jetzt vorgelegte durchlöcherte Mietpreisbremse ist
Wählertäuschung oder zumindest Wählerenttäuschung.
Sie legen heute eine Minimietpreisbremse vor, deren
Wirkung begrenzt ist, die viele Ausnahmen beinhaltet
und gravierende Probleme.

Das erste Problem ist aus meiner Sicht das, was Herr
Luczak qualifizierte Begründungspflicht genannt hat.
Die von den Ländern geforderten Maßnahmenpakete be-
deuten nichts anderes als eine weitere Verzögerung der
dringend notwendigen Umsetzung der Mietpreisbremse
vor Ort. Das ist falsch. Wir brauchen diesen Rettungs-
schirm jetzt und in vielen Gebieten nicht erst in zwei
Jahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zweitens. Die generelle Herausnahme des Neubaus
ist auch falsch. Sie heizen die Mietpreise damit weiter an
und drehen an der Preisspirale. Das ist falsch. Sie sind
hier vor der Immobilienlobby eingeknickt; Sie haben
sich da kirre machen lassen. Das müssen Sie im weiteren
Gesetzgebungsverfahren rückgängig machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das dritte gravierende Problem ist die Ausnahme der
umfassenden Modernisierung. Wenn hier „30 Prozent
vergleichbarer Neubaukosten“ das Kriterium ist, dann
reizt man damit ja die Vermieter in den angespannten
Wohnungsmärkten an, möglichst hochpreisig zu moder-
nisieren, um dann nicht unter die Mietpreisbremse zu
fallen.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da haben Sie recht! Die Schwelle ist zu niedrig!)

Das ist doch Irrsinn! Wenn ich ein Instrument will, das
preisdämpfend wirkt, dann muss ich es so machen, dass
es funktioniert. Das, was Sie hier vorhaben, ist Irrsinn.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ich gebe Ihnen doch völlig recht, Herr Kollege!)


Ich glaube, Ihnen von der Union und gerade Ihnen als
Berliner Abgeordneter ist es egal, dass Menschen in
Berlin heraussaniert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Des Weiteren sage ich Ihnen: Nehmen Sie die Kritik
der Bundesländer ernst! Diese müssen letztlich die Miet-
preisbremse umsetzen. Wenn das nicht gelingt und sie
weiterhin verzögert wird, ist das Ihre Schuld. Schauen
Sie sich deswegen noch einmal ganz genau an, welche
Kritik die Bundesländer in der Strichdrucksache geübt
haben. Wir dürfen die Mietpreisbremse nicht weiter
verzögern. Sie haben bereits viel zu lange aufgrund Ihrer
internen Querelen gebraucht, um eine Mietpreisbremse
hier im Deutschen Bundestag vorzulegen.

Nach unserer Studie zahlt ein Berliner, der im letzten
Jahr umgezogen ist, 1 200 Euro mehr, als er hätte zahlen
müssen, wenn die Mietpreisbremse schon vor einem
Jahr gekommen wäre. Das zeigt, dass die Große Koali-
tion auch die Mieterinnen und Mieter sehr teuer zu ste-
hen kommt. Deswegen sage ich: Spannen Sie diesen
Rettungsschirm schnell auf, und zwar ohne Löcher und
ohne Ausnahmen!

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806617300

Als nächster Redner spricht der Kollege Dirk Wiese.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1806617400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Stellen Sie sich vor, es ist Streik und keiner
geht hin – so erging es nämlich dem Maklerverband.
Nicht einmal die eigenen Makler konnten in den letzten
Wochen mobilisiert werden. Allein 65 Prozent der
Angeschriebenen enthielten sich. Vielleicht sollte der
Maklerverband, der zu dem Streik aufgerufen hatte, ein-
mal Nachhilfe bei der GDL nehmen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Doch was war der Grund für den geplanten Streik? Es
war die Ablehnung eines Grundprinzips der sozialen
Marktwirtschaft, das da lautet: Wer die Leistung bestellt,
der zahlt diese auch. Das ist ein natürliches Grundprin-
zip der Wirtschaft, das wir in unserem heute vorgelegten
Gesetzentwurf durch die Einführung des Bestellerprin-
zips im Maklerrecht verankert haben, einem Gesetzent-
wurf, der ursprünglich – das wollen wir anmerken – auf
einen Vorschlag der SPD-regierten Bundesländer im
Bundesrat zurückgeht und von uns, insbesondere mei-





Dirk Wiese


(A) (C)



(D)(B)

nem Kollegen Sören Bartol, in den Koalitionsverhand-
lungen durchgesetzt werden konnte.


(Beifall bei der SPD)


Darum heißt es ab heute auch für Wohnungsmakler:
Herzlich willkommen in der sozialen Marktwirtschaft!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt es aber auch für Herrn Maas!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, jede Maklerin und
jeder Makler kann auch zukünftig gutes Geld verdienen.
Aber sie bekommen ihr Geld nicht mehr automatisch
von den Mieterinnen und Mietern, sondern von demjeni-
gen, der sie beauftragt. Und wenn Makler jetzt mit der
Marktwirtschaft konfrontiert werden, dann wird auch
ihre Leistung transparenter; denn jeder Auftraggeber
kann konkret sehen, was der Makler für sie macht, und
das ist gut so. Das Bestellerprinzip – das möchte ich an-
merken – greift weder in die Vertragsfreiheit ein noch
belastet es eine ganze Branche unsachgemäß, weil das
Grundprinzip „Wer bestellt, bezahlt“ allgemein aner-
kannt ist. Außerdem kann man heute nicht von einer
wirklichen Vertragsfreiheit sprechen; denn der Mietsu-
chende hat oft aufgrund der Verknappung auf dem Woh-
nungsmarkt kaum Ausweichmöglichkeiten. Weiterhin ist
es wahrscheinlich, dass Mieter bei der Wohnungssuche
aufgrund der angespannten Situation auf dem Woh-
nungsmarkt zunehmend selbst einen Makler einschalten
werden, was zu neuen Verdienstmöglichkeiten für diese
Branche führen kann.

Mit zwei weiteren Gerüchten bzw. Fehlinformatio-
nen, die durchaus gezielt verbreitet werden, möchte ich
hier und heute auch noch aufräumen. Herr Kollege
Luczak, hören Sie einmal gut zu; denn dann können wir
das Struck’sche Gesetz außer Acht lassen. Passen Sie
also jetzt auf, dann sind Ihre Bedenken ausgeräumt.

Erstens. Entgegen den geäußerten Befürchtungen kön-
nen selbstverständlich auch Wohnungssuchende einen
Makler beauftragen, müssen ihn dann allerdings selbst
bezahlen. Für den die Wohnungsvermittlung betreffen-
den Maklervertrag ist künftig die Textform vorgesehen.
Die in diesem Zusammenhang neue gesetzliche Form
soll sowohl dem Wohnungssuchenden als auch dem Ver-
mieter noch einmal vor Augen führen, dass er einen
rechtsverbindlichen Vertrag schließt und deshalb bei er-
folgreicher Vermittlung oder erfolgreichem Nachweis
eine Vergütung fällig werden kann.

Zweitens. Sehr wohl kann der Makler einem Woh-
nungssuchenden auch eine Wohnung aus seinem Be-
stand vermitteln. Entgegen den Aussagen vieler Makler
ist die Wohnung nach einem Vermittlungsversuch natür-
lich nicht verbrannt. Allerdings kann der Makler die
Kosten dann nicht mehr dem Mieter in Rechnung stel-
len. Die Kosten des Maklers hat in einem solchen Fall
der Vermieter zu tragen, und das ist richtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Christian Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn derzeit – um das anzumerken – haben die Mietsu-
chenden meist keine andere Wahl, als die Maklerkosten
zu übernehmen, wenn sie eine Wohnung finden wollen.
Der Schutz des Schwächeren in diesem Verhältnis ist uns
als SPD ein wichtiges Anliegen. Deshalb führen wir ein
Prinzip ein, welches im Wirtschaftsleben völlig selbst-
verständlich ist. Damit machen wir Schluss mit einer
Politik auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter. Das
machen wir zügig, trotz der Äußerungen von Herr
Luczak.

Um es abschließend auf den Punkt zu bringen: Es
handelt sich um einen guten Gesetzentwurf, um gute und
richtige Änderungen im Bereich der Wohnungsvermitt-
lung. Wir sorgen mit diesem Gesetzentwurf als Große
Koalition für mehr Transparenz und verteilen die Kosten
gerecht. Das kann sich sehen lassen.

Frau Lay, eines noch zu Ihrer Anmerkung, die Sie
vorhin in Sachen Staffelmietverträge gemacht haben.
Mein Professor hat im ersten Semester einmal gesagt:
Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. –
Vielleicht können Sie diesen Rechtsirrtum zukünftig
nicht mehr vortragen. Was Sie gesagt haben, war einfach
falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist ja ein toller Witz!)


Ich mache an dieser Stelle einen Punkt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806617500

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Elisabeth

Winkelmeier-Becker das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1806617600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Erste Lesung des Gesetzentwurfs
zur Mietpreisbremse – angesichts der Diskussion, die
wir darum schon geführt haben, meint man fast, man
wäre im Gesetzgebungsverfahren schon weiter fortge-
schritten.

Lieber Kollege Dirk Wiese, Sie haben gesagt, dass
wir hier mit einem guten Gesetzentwurf starten. Das hat
auch eine Vorgeschichte. Der erste Entwurf aus dem
Hause des Ministers ging in vielen Punkten noch in eine
andere Richtung, und wir haben in der Diskussion eben
schon Verbesserungen erzielt. Daran wollen wir in der
ersten Lesung und im weiteren parlamentarischen Ver-
fahren anknüpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es verzögert und durchlöchert! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschimpfen Sie noch ein bisschen den Minister!)






Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

Was uns allen gemeinsam ist, ist sicherlich die Ein-
schätzung, dass die Wohnung eine ganz besondere Be-
deutung für jeden Menschen hat. Sie ist der Ort des pri-
vaten Lebens, der eigene Lebensmittelpunkt. Sie ist der
Ausgangspunkt für soziale Kontakte. Sie hat eine große
Bedeutung. Deshalb ist nachvollziehbar, dass jemand,
der über viele Jahre in einer Wohnung, in einem Kiez, in
einem Wohnviertel gelebt hat, auch dort bleiben und sich
nicht aus finanziellen Gründen vertreiben lassen will.

Die Wohnung ist auch deshalb existenziell, weil sie
bei den Haushaltsausgaben ganz schön ins Kontor
schlägt; die Wohnkosten machen häufig über ein Drittel
aus. Das heißt ganz einfach: Wenn sich da noch Erhö-
hungen ergeben, dann ist das nur schwer auszugleichen.
Deshalb ist das für uns ein ganz wichtiges Thema. Wir
wollen Tendenzen entgegenwirken, dass Menschen, die
ein geringeres Einkommen haben, nicht in ihren ange-
stammten Wohngebieten bleiben können. Deshalb ist es
uns nicht egal, dass der Befund so aussieht, dass in den
Ballungszentren ganz erhebliche Mietsteigerungen zu
verzeichnen sind, dass neu vereinbarte Mieten manch-
mal 20 Prozent, 30 Prozent über dem liegen, was vorher
zu zahlen war. Das kann man so nicht hinnehmen.

Es ist verständlich, dass die Bürger von der Politik er-
warten, dass wir da mit den Mitteln der Politik dagegen-
halten. Deshalb haben wir ja auch – Sie haben es zu
Recht gesagt – im Programm der Union den Menschen
eine Mietpreisbremse zugesagt, und zwar genau in der
Art und Weise, wie wir das jetzt andenken: regional be-
grenzt, zeitlich begrenzt, mit der Möglichkeit für die
Landesregierung, zu verfügen, dass neue Mietverträge
nur noch 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichs-
miete liegen dürfen.

Aber wir müssen zusehen, dass der Schuss nicht nach
hinten losgeht; denn nicht immer ist gut gemeint auch
gut gemacht. Am Ende wird sich die Situation auf den
angespannten Mietmärkten nur dann entspannen, wenn
es dort mehr neue Wohnungen gibt. Das müssen wir im
Auge behalten. Wir müssen die Zusammenhänge be-
trachten, weil sich eben nicht alles so regeln lässt, wie
wir das gerne hätten. Wir sehen doch die Ausweichreak-
tionen der Vermieter – Sie haben es selber gerade darge-
legt –, die sich schon jetzt auf die zu erwartenden Rege-
lungen einstellen und die Mieten ausreizen, so gut sie
können. Das wollen wir nicht.

Für uns folgt daraus, dass wir die Zusammenhänge re-
alitätsnah betrachten müssen. Wir wollen die Mietpreis-
bremse nur dort, wo sie wirklich gebraucht wird, näm-
lich dort, wo der Wohnungsmarkt wirklich angespannt
ist. Wir wollen die Festlegung, wo das der Fall ist, nicht
in das Belieben der Landesregierungen stellen, die das
gerne politisch festlegen würden, sondern brauchen da
objektive Kriterien. Die nennt der Gesetzentwurf der
Bundesregierung völlig zutreffend: Dort, wo überdurch-
schnittliche Mietsteigerungen, eine überdurchschnittli-
che Belastung der Haushalte durch Mietkosten zu ver-
zeichnen sind, dort, wo die Bevölkerung stärker wächst
als im Durchschnitt, oder dort, wo es besonders wenig
Leerstand gibt, da haben wir einen angespannten Woh-
nungsmarkt und da kann dann die Mietpreisbremse wir-
ken.

Der zweite Punkt, der wichtig ist: Wenn die Miet-
preisbremse für fünf Jahre angeordnet wird, dann muss
diese Zeit auch genutzt werden. Wenn eine Landesregie-
rung sagt: „Wir haben hier einen angespannten Miet-
markt“, dann ist sie aufgefordert, zu überlegen, was mit
den Mitteln der Politik möglich ist, und dies auch zu tun.
Da gibt es einen ganzen Strauß von Möglichkeiten.
Nicht umsonst gibt der Bund jedes Jahr eine halbe Mil-
liarde Euro für den sozialen Wohnungsbau dazu. Das
muss dann ganz zielgenau für die Regionen mit einem
angespannten Wohnungsmarkt genutzt werden. Es gibt
weitere Möglichkeiten: Zusammen mit den Kommunen
kann mehr Bauland ausgewiesen werden; die Bebau-
ungspläne können so zugeschnitten werden, dass bau-
rechtliche Hürden vereinfacht werden.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gerade bei den Bundesliegenschaften blockiert doch die Union alles! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso machen Sie nichts bei den Bundesliegenschaften? Nicht reden, handeln!)


Gut ist, dass Neubauten von der Mietpreisbremse aus-
genommen sind. Das heißt nämlich, dass Investitionen
weiter möglich sind. Das entlastet den Wohnungsmarkt
da, wo er besonders angespannt ist; genau da brauchen
wir ja Neubauten. Deshalb ist es konsequent, die Neu-
bauten auszunehmen.

Wir brauchen aber auch – das ist wichtig – eine ge-
wisse Praktikabilität der Regelungen. Ich glaube, da ist
ein Fehler im System, dass wir zu sehr den Blick auf die
großen, professionellen Vermieter richten. Die Union hat
vor allem die privaten und kleinen Vermieter im Blick;
ihre Wohnungen machen nämlich 60 Prozent der ver-
mieteten Wohnungen aus. Das sind zum Beispiel selbst-
ständige Handwerker, die zwei Wohnungen als Alters-
versorgung haben, oder Fälle, in denen jemand aufgrund
eines beruflichen Ortswechsels sein Eigenheim vermie-
tet und am neuen Arbeitsort Mieter wird; auch das ist gar
nicht so selten. Das sind eben nicht die Profis, die schon
zig Mietverträge geschlossen haben und genau wissen,
was die ortsübliche Vergleichsmiete ist. An diese Perso-
nenkreise müssen wir ebenfalls denken; deshalb brau-
chen wir bei den Regelungen eine gewisse Praktikabili-
tät.

Aus unserer Sicht wäre der qualifizierte Mietspiegel
vor Ort hilfreich. Der gibt einen objektiven Anhalts-
punkt dafür, was die ortsübliche Vergleichsmiete ist.
Wenn wir das nicht auf diese oder eine andere Weise
hinbekommen, schicken wir die Parteien sehenden Au-
ges zu den Gerichten. Da fallen erst einmal hohe Kosten
für die Gerichte und die Sachverständigen an, die dann
– je nach Ausgang – vom Mieter oder Vermieter zu tra-
gen sind. Das sind dann Beträge, von denen man lange
Zeit die strittige Miete hätte bezahlen können; man hätte
sich das also besser gespart. Das würden wir gern ver-
hindern, indem wir auch qualifizierte Mietspiegel zur
Voraussetzung machen.





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

Noch kurz zum Bestellerprinzip: Wir halten es für
richtig, dass das Drei-Personen-Verhältnis zwischen Ver-
mieter, Mieter und Makler noch einmal unter die Lupe
genommen und im Sinne des Bestellerprinzips neu gere-
gelt wird. Derzeit haben wir da die typischen Fehler ei-
nes Vertragsverhältnisses zulasten Dritter. Da einigen
sich Vermieter und Makler auf die gesetzlich höchstzu-
lässige Maklergebühr, und bezahlen muss es ein anderer.
Das kann so nicht gehen. Allerdings sehen wir die Aus-
gestaltung des Bestellerprinzips, wie es im Gesetzent-
wurf steht, als zu eng geführt. Es fallen einige Fälle da-
runter, bei denen das keinen Sinn macht. Da müssen wir
sicherlich noch einmal heran. Dazu werden wir sicher-
lich auch von den Sachverständigen einige Tipps be-
kommen.

Schön wäre es gewesen, wenn wir noch den Sach-
und Fachkundenachweis für die Makler mit hereinge-
nommen hätten.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806617700

Frau Winkelmeier-Becker, Sie müssen zum Schluss

kommen.


(Renate Künast NEN: Ich rede auch gleich zehn Minuten!)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1806617800

Auch das hätte zur Qualität beigetragen. – Damit soll

es für mich genug sein.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806617900

Jetzt spricht Renate Künast.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806618000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gut,

dass wir hier über eine sogenannte Mietpreisbremse
sprechen. Noch schöner wäre gewesen, die sogenannte
Mietpreisbremse hätte auch eine Bremse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jedes Auto, das solche Bremsen hätte, würde beim TÜV
durchfallen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schön, Herr Minister, dass Sie wieder da sind. Ich
hoffe, Sie waren im Haushaltsausschuss erfolgreich. –
Daumen hoch! Das ist ja schon einmal gut. Jetzt ist na-
türlich Ihr Nachteil, dass ich Sie umso netter kritisieren
kann. Dumm gelaufen; aber so ist Parlamentarismus, wie
wir wissen.

Ich sage: Wahrheit bei dieser Mietpreisbremse ist,
dass seit der Ankündigung dieses Gesetzes ein Jahr lang
jeder Tag ein guter Tag für die Vermieter war, aber kein
einziger guter Tag für die Mieterinnen und Mieter in die-
sem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Medial war das grandios gemacht – Frau Merkel hat sich
zwischendurch auch dazu eingelassen –: Herr Maas
kommt – gefühlt für mich – jedes dritte Wochenende mit
diesem Thema. Für die Mieter war es so, dass die Ver-
mieter in der Sorge, es könnte tatsächlich ein tatkräftiges
Instrument kommen, alle Möglichkeiten genutzt und die
Mieten heraufgesetzt haben. Wir haben ein Gutachten
dazu und stellen fest: Seit der Koalitionsvereinbarung ist
mehr erhöht, mehr ausgeschöpft worden als vorher.

Aber das Allerschärfste heute ist – ich habe bewun-
dernd dagesessen; herzlichen Glückwunsch, Herr Kol-
lege Luczak –, dass man als Berliner Abgeordneter, in
dessen Stadt es wirklich Wohnungsnot gibt, wo Zentrifu-
galkräfte die Leute raustreiben – auch in Ihrem Wahl-
kreis –, eine solche Rede halten kann. Chapeau! Dazu
gehören Chuzpe und Mut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was Nachhaltiges machen, das ist das Entscheidende!)


Sie waren hier der parlamentarische Arm der Immobili-
enwirtschaft, der internationalen Investoren, derer, die
Geld haben. Kein einziges Wort der Wärme für Miete-
rinnen und Mieter!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Wo geht es denn da um Ausgleich? Es geht um Eigen-
tumsrechte und die Sozialbindung des Eigentums. Wenn
viele Leute in bestimmte Städte ziehen – sei es Berlin,
sei es Hamburg, wo Studentinnen und Studenten keine
Wohnung mehr bekommen –, dann kann man doch nicht
sagen: „Wir machen das so!“, sondern Sie müssen das
Recht des einen, des Vermieters wahren, aber seine Ver-
pflichtung, die Sozialbindung, auch realisieren.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Genau so machen wir das!)


Kein Wort dazu ging über Ihre Lippen, obwohl Sie Jurist
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, Sie waren heute hier am Podium eine traurige
Gestalt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach!)


Wir wissen, wo die CDU/CSU definitiv nicht steht: auf
der Seite der Mieterinnen und Mieter.

Nun zum Gesetzentwurf. Was mich, was uns an der
Geschichte stört, ist, dass es an der Stelle gar nicht um
die Bekämpfung der Ursachen geht.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Doch, darum geht es!)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Die Ursachen liegen nämlich darin, dass in attraktiven
Städten schlichtweg zu wenig Wohnungen zur Verfü-
gung stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Herr Luczak hier sagt, wenn Sie hier sagen, es
müsse mehr Wohnungsbau geben, dann frage ich Sie: An
welcher Stelle sorgen Sie denn mit Ihren Maßnahmen
dafür, dass nicht nur die reichen, wohlhabenden interna-
tionalen Investoren Geld anlegen,


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Am Flughafen Tempelhof, wogegen Sie als Grüne interveniert haben!)


sondern es auch Wohnungen gibt, die für Otto Normal-
verbraucher in den Städten bezahlbar sind? Das ist nicht
Ihr Interesse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deshalb sind Sie zum Beispiel mit der Senatsvorlage bei
der Abstimmung über das Tempelhofer Feld in Berlin
gescheitert. Es gab kein einziges entsprechendes Krite-
rium.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806618100

Frau Kollegin Künast, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Luczak zu?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806618200

Gern. Von wem? – Bitte.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist doch nicht überraschend!)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1806618300

Frau Kollegin Künast, jetzt haben Sie mich doch zu

einer Zwischenfrage provoziert. Sie kennen doch die Si-
tuation in Berlin. Sie haben eben gesagt, wir würden
keine Anreize dafür setzen, dass Wohnungen gebaut
werden. Ich wundere mich dann schon. Wenn ich mich
recht erinnere, dann haben wir hier in Berlin eine sehr
intensive Diskussion darüber geführt, ob wir auf dem
Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof etwa
5 000 Wohnungen bauen wollen, und zwar Wohnungen,
die ganz ausdrücklich für alle bezahlbar gewesen wären.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nein, eben nicht! Hochpreisig!)


Wenn ich mich recht erinnere, dann hat Ihre Partei, die
Grünen hier in Berlin, ganz massiv dagegen agitiert, und
das Volksbegehren, das es in Berlin dazu gegeben hat, ist
nicht erfolgreich gewesen. Das akzeptiere ich als Demo-
krat, überhaupt keine Frage, aber ich wundere mich
schon, dass Sie hier Dinge behaupten und an anderer
Stelle in die völlig entgegengesetzte Richtung argumen-
tieren. Das hat mit konsequentem politischem Handeln
und mit Glaubwürdigkeit nichts zu tun, Frau Kollegin.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Steilvorlage!)


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806618400

Ich danke für diese Nachfrage. Eigentlich habe ich er-

wartet, dass Sie noch darauf hinweisen, dass es die SPD
in Berlin war, die während der langen Zeit ihrer Verant-
wortung keine Wohnungen gebaut hat, keine Grundstü-
cke an Wohnungsbaugesellschaften weitergegeben hat
und sogar noch 70 000 Wohnungen auf dem freien
Markt verkauft hat. Die Chance, das anzusprechen, ha-
ben Sie verpasst, aber ich jetzt nicht.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu meiner Antwort. Sie sagen, wir waren nicht für
preiswerte Wohnungen. Herr Luczak, in der Vorlage des
Senats stand nichts von einer Preisbindung.


(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] und Christian Kühn [Bündnis 90/Die Grünen])


In der Vorlage des Senats stand nicht drin, dass die
Grundstücke auch an Genossenschaften oder an alle
kommunalen Wohnungsbaugesellschaften gehen. Davon
stand null drin. Wir als Grüne hatten Ihnen angeboten,
mit dem Senat gemeinsam eine Vorlage zu erstellen, in
die wir genau das hineingeschrieben hätten: Preise, die
nach oben gedeckelt sind. Bei Ihnen wäre nichts unter
10 Euro gelaufen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehr richtig! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist einfach unwahr!)


Im Gesetz stand keinerlei Kriterium drin. Ehrlich gesagt:
Wer eine Gesetzesvorlage macht und behauptet, dass da
etwas drinsteht, was dann aber im Gesetz nicht drinsteht,
dem traue ich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich möchte meine restliche Redezeit nutzen, um zwei
Fragen zu stellen. Erstens. Wo ist eigentlich die Woh-
nungsbauförderung geblieben? Sie sagen: Der Bund gibt
Geld, er hat aber keinen Finger drauf, dass die Länder
das Geld wirklich für den Bau bezahlbarer Wohnungen
ausgeben. Ich finde, da muss der Bund anders verhan-
deln.

Zweitens. Durch den Verkauf von Bundesimmobilien
ist der Bund zu einem Preistreiber geworden. Herr
Luczak, in den Zeitungen ist überall zu lesen, man würde
Gespräche über die BImA-Verkäufe führen oder versu-
chen, bestimmte Verkäufe nicht durchzuführen. Meine
Damen und Herren, ich will endlich, dass die Bundesan-
stalt für Immobilienaufgaben in den attraktiven Städten
nicht mehr Preistreiber ist, sondern Wohnungen für Otto
Normalverbraucher anbietet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mein letzter Satz. Wenn man ins Kleingedruckte die-
ses Gesetzentwurfs blickt, zum Beispiel dem geplanten
§ 556 g Absatz 2 BGB, stellt man fest, dass der Mieter
bei einer Falschberechnung der Miete die zu viel ge-





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

zahlte Miete nur zurückverlangen kann, wenn er den
Verstoß schon früh gerügt hat. Das ist schon wieder so
eine Regelung zugunsten der Eigentümer und nicht zu-
gunsten der Mieter.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Zugunsten der Rechtssicherheit!)


Denen wird Bürokratie vor die Füße geknallt. Das hat
auch der Bundesrat letzte Woche kritisiert.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806618500

Jetzt, liebe Frau Kollegin, muss ich Sie wirklich un-

terbrechen.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die kann man nicht unterbrechen!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806618600

Es gab in unserem Land Zeiten, in den 20er-Jahren,

da wurden Arbeitersiedlungen gebaut, da war der Staat
Bauherr der Schwächeren. Ich würde mir wünschen,
dass wir uns an diese Zeit erinnern und nicht nur an die
reichen Investoren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806618700

Als nächster Redner spricht Michael Groß.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1806618800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kühn, wir wären
gerne schon vor einem Jahr an der Regierung gewesen.
Ich kann mich erinnern: Da waren wir noch nicht in der
Regierung, da haben wir gerade die Koalitionsverhand-
lungen durchgeführt. Wir haben uns für die Mietpreis-
bremse mit ihrer sozialen Funktion eingesetzt, und jetzt
ist sie da. Ich bin Bundesminister Heiko Maas dankbar,
dass er die Vorgaben in dieser Zeit umgesetzt hat. Sie ha-
ben im Januar noch bezweifelt, dass das in dieser Zeit
geht. Das ist eine gute Vorlage. Auf dieser Grundlage
können wir weiter diskutieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hätte schneller gehen können! Viel schneller!)


Gerade hat man sich hier aufgeregt und behauptet, wir
hätten nur die Vermieter im Blick. Ich kann Ihnen sagen:
Eigentum verpflichtet. Das ist für die SPD ein hohes
Gut, und das werden wir in den nächsten Monaten zei-
gen.

Es ist schon über die Situation der Mieterinnen und
Mieter viel gesagt worden. In manchen Regionen
Deutschlands, insbesondere in den Ballungsgebieten,
zum Beispiel in den Universitätsstädten, steigen die
Mieten schneller als die Einkommen. Die Warmmiete
beträgt zum Teil 50 Prozent des Einkommens. Das ist für
uns nicht akzeptabel. Die Mietpreisbremse ist ein gutes
Instrument, dem entgegenzuwirken und den Menschen
zu zeigen, dass sie in den Quartieren, in denen sie woh-
nen wollen, auch ein Zuhause finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für viele Familien ist es nicht mehr machbar, sich auf
dem Mietmarkt zu bewegen, sich eine neue Wohnung zu
suchen. Die Mietpreisbremse ist nur ein Instrument. Sie
tun heute so, als wenn wir den Wohnungsmarkt allein
über die Mietpreisbremse regulieren. Wir haben das
Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen, auf das ich
hinweisen möchte. Alle Akteure sind eingeladen und ha-
ben sich bereit erklärt, gemeinsam nach Lösungen zu su-
chen, wie wir die Mieten bezahlbar halten können.

Die Mietpreisbremse wird, wie gesagt, das Problem
nicht alleine lösen. Wir brauchen ohne Zweifel auch
Neubau. In den Wachstumsregionen brauchen wir Neu-
bau, aber eben nicht nur teuren Neubau, sondern wir
brauchen auch sozialen Wohnungsbau. Neben den Hun-
derttausenden Wohnungen, die neu gebaut werden müs-
sen, brauchen wir circa 60 000 bis 70 000 Sozialwoh-
nungen im Jahr. Wir müssen natürlich auch andere Wege
gehen: Neben den neuen Wohnungen brauchen wir auch
neue Belegungsbindungen.

Ein weiteres wichtiges Thema wird die Baukosten-
senkungskommission sein. Wir erhoffen uns natürlich,
dass wir über die technischen Standards bzw. generell
über Standards zu einer Senkung der Miete kommen.

Ich muss auch die Warmmiete ansprechen; denn die
Nebenkosten laufen davon. Wenn wir an den Klima-
schutz denken – Stichwort „Energieeffizienz“ –, wird
uns klar, dass wir eine Riesenaufgabe vor uns haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Sie versagen, völlig versagen!)


Wir müssen beides zusammenbringen: Energieeffizienz
und Klimaschutz sowie bezahlbare Mieten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das werden wir tun, und zwar über verlässliche Förder-
instrumente. Wir werden die Mittel für die CO2-Gebäu-
desanierung aufstocken,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht 2015! Wann dann?)


und wir werden andere Instrumente wie die steuerliche
Förderung nutzen. Allerdings – das sage ich insbeson-
dere denjenigen, die jetzt rufen – werden wir nicht unbe-
dingt dafür sorgen müssen, dass die Leuchtturmprojekte
noch leuchtender leuchten, sondern wir müssen in der
Breite fördern. Wir müssen dafür sorgen, dass Hundert-
tausende von Vermietern ihre Häuser und Wohnungen
– technologieoffen – sanieren, damit alle in den Quartie-
ren davon profitieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie kürzen! Sie reduzieren die Mittel im nächsten Haushalt!)






Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)

Noch ein Satz an diejenigen, die sich ständig über die
Erhöhung der Grunderwerbsteuer und der Grundsteuer
beschweren. Das können wir hier beklagen. Das können
wir auch noch drei Jahre beklagen. Wir können täglich
über NRW und andere Regionen und Länder sprechen,
die dazu gezwungen sind, die Grunderwerbsteuer und
die Grundsteuer zu erhöhen. Die Kolleginnen und Kolle-
gen in den Landtagen und Räten erhöhen die Grunder-
werbsteuer und die Grundsteuer doch nicht aus Liebe,
sondern weil sie sich in finanziellen Zwängen befinden.
Jetzt ist der Bund aufgefordert, die versprochenen 5 Mil-
liarden Euro den Kommunen tatsächlich zur Verfügung
zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein letzter Satz zur BImA, zur Bundesanstalt für Im-
mobilienaufgaben. Wir halten es für unbedingt erforder-
lich, dass die BImA auf dem Wohnungsmarkt als Vorbild
auftritt und nicht als Preistreiber.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben keine Lust, als Bundesheuschrecke in die An-
nalen einzugehen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])


Die soziale Stadt ist für uns ein großes Ziel. Wir wollen
für Menschen und mit Menschen Politik machen.

Danke schön. Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806618900

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Anja

Weisgerber das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1806619000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! In einigen Teilen Deutschlands steigen die Mie-
ten stark an mit der Folge – wir haben es gehört –, dass
die Menschen aus ihren angestammten Wohnvierteln
verdrängt werden, weil sie sich die Miete nicht mehr
leisten können. Das dürfen wir nicht zulassen. Mit der
zeitlich befristeten, gezielt eingesetzten Mietpreisbremse
werden wir genau hier gegensteuern und die Mieten in
Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten dämpfen.
Es kommt aber auch auf die richtige Ausgestaltung an.
Richtig eingesetzt, kann die Mietpreisbremse ein flan-
kierendes Mittel sein, um die Mietentwicklung in den
Ballungsgebieten zu bremsen.

Der Vorschlag der Linken-Fraktion, nach dem Mieter-
höhungen nur noch in Höhe des Inflationsausgleichs zu-
lässig sein sollen,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Guter Vorschlag!)


ist aber bestimmt nicht das richtige Instrument. Diese
Regelung wäre nicht nur eine Mietpreisbremse, sondern
eine Investitionsbremse, und genau das können wir nicht
wollen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Uns hingegen ist es wichtig, Wohnungssuchende vor
überhöhten und überzogenen Mietforderungen gezielt zu
schützen. Aber gleichzeitig müssen wir Investitionen in
Gebieten mit Wohnraumknappheit fördern und Anreize
dafür geben. Deshalb haben wir gefordert, dass Neubau-
ten und umfassend modernisierte Wohnungen von der
Mietpreisbremse komplett ausgenommen werden. Wir
sind froh darüber, dass dies im Gesetzentwurf auch so
vorgesehen ist. Denn, werte Frau Künast, der Bau neuer
Wohnungen ist und bleibt der beste Mieterschutz, um der
Anspannung auf den Wohnungsmärkten auch wirklich
zu begegnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Ausnahme von umfassend modernisierten Woh-
nungen ist außerdem nicht nur im Hinblick auf Investi-
tionen in den Wohnungsbau bedeutsam, sondern auch
aus klimapolitischen Gesichtspunkten, werter Herr
Kühn. Als Klimapolitikerin ist es mir – ich denke, uns
allen – wichtig, dass Anreize für Investitionen in eine
energetische Modernisierung nicht abgewürgt werden.
40 Prozent der Energie werden im Gebäudesektor ver-
braucht. Er kann deshalb einen enormen Beitrag leisten,
die Energieeffizienz zu steigern und die Energieeinspar-
ziele zu erreichen. Diese Einsparpotenziale müssen wir
nutzen, und wir müssen Anreize für die energetische Sa-
nierung setzen. Wir dürfen sie nicht eher behindern. Ein
Anreiz wäre zum Beispiel auch die steuerliche Absetz-
barkeit der energetischen Gebäudesanierung. Auch dies
fordern wir energisch, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der vorliegenden Mietpreisbremse schützen wir
die Mieter und schaffen Rechtssicherheit für Investoren;
denn die neue Regelung wird nur dort zum Einsatz kom-
men, wo wirklich Wohnungsnot herrscht. Die Länder
müssen nachweisen, dass es in einem bestimmten Gebiet
einen angespannten Wohnungsmarkt gibt. Gleichzeitig
müssen sie auch die entsprechenden Maßnahmen einlei-
ten, um den bestehenden oder drohenden Wohnungs-
mangel abzubauen. Auch das ist wichtig.

Damit die Mieterinnen und Mieter in den betroffenen
Gebieten schnellstmöglich von der Mietpreisbremse pro-
fitieren können, ist es aber auch wichtig, dass die Länder
sie zielgenau dort anwenden können, wo sie wirklich
notwendig ist, und dass die Länder und die betroffenen
Kommunen die Regelungen zügig umsetzen können.
Auch darauf müssen wir jetzt natürlich schauen, wenn es
um die Ausgestaltung der Kriterien geht.

Die Mietpreisbremse allein jedoch kann das Problem
steigender Mieten nicht lösen, denn sie behandelt nur die
Symptome. Wir müssen aber auch die Ursache bekämp-
fen. Die Ursache ist, dass wir zu wenig Wohnraum ha-
ben. Hier stehen Bund, Länder und Kommunen gemein-
sam in der Verantwortung. Die Zuständigkeit für die
soziale Wohnraumförderung liegt bei den Ländern. Da-
für stellt ihnen der Bund jährlich 518,2 Millionen Euro





Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)

zur Verfügung. Werte Frau Künast, auch wenn die Län-
der diese Mittel aus der sozialen Wohnraumförderung
vom Bund bekommen


(Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] unterhält sich mit ihrer Sitznachbarin)


– es wäre schön, wenn Sie mir einmal zuhören würden,
Frau Künast –, erwarten wir von Ihnen im Gegenzug,
dass sie auch zweckgebunden für neue Wohnungen ein-
gesetzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Berlin ist das nicht geschehen. Es kann nicht sein,
dass der Bund den Ländern Millionen an Mitteln für den
sozialen Wohnungsbau überweist, die Länder damit die
Haushaltslöcher stopfen, aber keine einzige neue Woh-
nung bauen. Das muss sich in Zukunft ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir beraten heute auch über die Stärkung des Bestel-
lerprinzips bei der Wohnungsvermittlung. Das haben wir
im Koalitionsvertrag vereinbart und setzen es nun um.
Künftig soll das Prinzip „Wer bestellt, der zahlt“ gelten.
Wir von der Union sind der Meinung, dass wir dabei
aber marktwirtschaftliche Prinzipien nicht völlig aus-
blenden können. Das heißt, Vermieter und Mieter sollen
auch weiterhin als Auftraggeber in die Verantwortung
kommen. Dem entspricht meiner Meinung nach der Ge-
setzentwurf jedoch nicht. Demnach müssen Mieter nur
noch dann die Courtage an den Makler zahlen, wenn die-
ser ausschließlich aufgrund des Vermittlungsvertrages
mit dem Wohnungssuchenden tätig wird und auch einen
Auftrag vom Vermieter einholt, die Wohnung anzubie-
ten. Also selbst wenn ein Wohnungssuchender einen
konkreten Suchauftrag an einen Makler richtet, aber der
Makler ihm Wohnungen aus seinem Bestand anbietet,
müsste künftig der Vermieter die Courtage zahlen. Das
ist unserer Meinung nach kein echtes marktwirtschaftli-
ches Bestellerprinzip. Deshalb müssen wir hier im parla-
mentarischen Verfahren noch nachbessern und so die In-
teressen aller Beteiligten, der Mieter, der Eigentümer
und der Makler, in Einklang bringen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806619100

Als letzte Rednerin in der Debatte hat die Kollegin

Sylvia Jörrißen das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1806619200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Maas, schön, dass Sie wieder da sind. Ich
möchte Ihnen jetzt nämlich für diesen Gesetzentwurf
danken, über den ich mich sehr gefreut habe, weil er
deutlich besser ist als der erste Entwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durchlöcherter!)

Mit diesem Gesetzentwurf werden Wohnungssuchende
zukünftig vor überzogenen Mieten geschützt. Dem Vor-
gehen, dass Eigentümer ihre Eigentumsrechte quasi
missbrauchen und die angespannte Marktlage ausnutzen,
um Mietpreisforderungen zu stellen, die weit über das
ortsübliche Normalmaß hinausgehen, wird jetzt ein Rie-
gel vorgeschoben. Mit diesem Gesetzentwurf ist ein
schwieriger Spagat gelungen, einerseits kurzfristig die
Symptome auf den angespannten Märkten zu lindern
und andererseits langfristig die Investitionsbereitschaft
bei Neubau nicht zu verhindern.

In einem Punkt sind wir uns hier, denke ich, alle ei-
nig: Die Mietpreisbremse lindert nur die Symptome.
Man könnte sie als Schmerztablette bezeichnen. Was
nützt eine einzige Wohnung, auch wenn sie mietpreisge-
deckelt ist, wenn fünf Menschen in ihr wohnen möch-
ten? Am Ende kann nur einer den Zuschlag bekommen,
und das ist in den allermeisten Fällen der Zahlungskräf-
tigste.

Die Ursache für den Wohnungsmangel wird nur durch
den Bau neuer Wohnungen behoben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Neubaumaß-
nahmen komplett aus diesem Gesetzesvorhaben ausge-
nommen sind. Gleichzeitig ist es wichtig, dass dort, wo
die Mietpreisbremse gelten soll, die Länder und Kom-
munen verpflichtet werden, einen Maßnahmenkatalog
aufzustellen, wie dem Wohnungsengpass begegnet wer-
den soll.

Ich möchte eine andere Überlegung ins Spiel bringen.
Durch eine steuerliche Förderung in Form einer Sonder-
abschreibung ausschließlich im Geltungsbereich der
Mietpreisbremse könnte Wohnungsneubau gezielt dort,
wo er benötigt wird, gefördert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben doch das Finanzministerium! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie nichts?)


Lassen Sie mich auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen. Mit der Mietpreisbremse greifen wir massiv in
das marktwirtschaftliche Prinzip und in die Eigentums-
rechte ein. Dessen bin ich mir bewusst. Dennoch halte
ich es an einigen Stellen für richtig und erforderlich. Die
Entscheidung, wo die Mietpreisbremse gelten soll, über-
lassen wir den Ländern, weil diese näher an den Märkten
dran sind. Aber wir übertragen den Ländern damit auch
eine große Verantwortung, und wir müssen an dieser
Stelle einen willkürlichen Einsatz verhindern. Deshalb
ist es richtig, dass im Gesetz Kriterien festgelegt werden,
und zwar die richtigen und konkrete Kriterien, die diesen
Eingriff in die Eigentumsrechte und in den Markt recht-
fertigen.

Ich habe den Gesetzentwurf jetzt in vielen Punkten
gelobt. Ich frage mich aber auch: Wie funktioniert das
Ganze in der Praxis?





Sylvia Jörrißen


(A) (C)



(D)(B)


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das funktioniert gar nicht! Die Frage ist gut!)


Woher weiß der Mieter, wie hoch die ortsübliche Miete
ist? Woher weiß der Mieter, wann sich ein Vermieter ge-
setzeswidrig verhält? Um hier ein Stück weit mehr
Rechtssicherheit zu schaffen, sollten wir das Bestehen
der Mietpreisbremse an einen qualifizierten Mietspiegel
knüpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ansonsten wären teure Gutachten die Folge, und das Ge-
setz würde sich zu einem Konjunkturprogramm für
Rechtsanwälte entwickeln.

Ich möchte am Ende noch kurz zu einem anderen As-
pekt kommen, nämlich zur Stärkung des Bestellerprinzips
in der Wohnungsvermittlung. Grundsätzlich begrüße ich
das marktwirtschaftliche Prinzip „Wer die Musik be-
stellt, bezahlt sie“; denn es ist richtig. Es soll auf jeden
Fall auch bei der Wohnungsvermittlung gelten. Aber
auch hier müssen wir uns die Frage stellen: Wie würde
sich der jetzige Wortlaut des Gesetzentwurfes in der Pra-
xis auswirken?

Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Ich als
neue Abgeordnete bin im letzten Jahr in Berlin auf
Wohnungssuche gewesen. Ich habe einen Makler einge-
schaltet und ihn beauftragt, mir Wohnungen anzubieten,
wissend und bereit, dafür eine Courtage zu zahlen. In
Zukunft kann der Makler mir nur dann eine Wohnung
provisionspflichtig anbieten, wenn er diese explizit für
meinen Suchauftrag in Auftrag genommen hat. Die
Wohnung, die er eine Woche zuvor für den Suchauftrag
meiner ebenfalls neuen Kollegin in Auftrag genommen
hat, wäre für mich schon nicht mehr courtagepflichtig.
Herr Wiese, es stimmt nicht, dass dann der Vermieter die
Courtage zu zahlen hat; denn er hat dem Makler diese
Wohnung ja nur im Hinblick auf den Suchauftrag über-
geben. Das heißt, der Makler müsste umsonst arbeiten
– das kann nicht einmal den Linken gefallen –, oder er
würde mir die Wohnung gar nicht mehr anbieten; dann
sind am Ende doch wieder die Suchenden die Leidtra-
genden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Wiese [SPD]: Ich erkläre Ihnen gerne, wie es in der Praxis aussieht!)


Alles in allem beinhaltet der Gesetzentwurf viele gute
Ansätze, und er bietet eine gute Arbeitsgrundlage. Ich
freue mich auf die weiteren Beratungen in den Aus-
schüssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806619300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen gleich

zu den Abstimmungen.

Zunächst geht es aber um die Überweisung des Ge-
setzentwurfs auf der Drucksache 18/3121 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Gibt es andere
Vorschläge für die Überweisung? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Mieterhöhungsstopp jetzt“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3203, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/505 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions-
fraktionen und das Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt
dagegen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Da-
mit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.

Ich rufe die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen des Europarats vom 25. Ok-
tober 2007 zum Schutz von Kindern vor
sexueller Ausbeutung und sexuellem Miss-
brauch

Drucksache 18/3122
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Sven-Christian Kindler, Dr. Valerie Wilms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
zur Erhaltung der Schienenwege jetzt neu
verhandeln

Drucksache 18/3153
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Haushaltsausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 b bis 27 k auf.
Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Zunächst rufe ich Tagesordnungspunkt 27 b auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Joachim
Pfeiffer, Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

CDU/CSU sowie der Abgeordneten Wolfgang
Tiefensee, Hubertus Heil (Peine), Niels Annen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Strategische Ziele für die Raumfahrt in dieser
Legislaturperiode absichern

Drucksachen 18/3040, 18/3195

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf der Drucksache 18/3195, den Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache
18/3040 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt
dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das ist die Op-
position. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition
angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 c auf:

Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses

zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 8. Europäischen Parlament am
25. Mai 2014

Drucksache 18/3100

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das
sind alle. Ich frage trotzdem: Gibt es Gegenstimmen
oder Enthaltungen? – Damit ist diese Beschlussempfeh-
lung einstimmig angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 d auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss)


zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-
fassungsgericht 2 BvE 4/14

Drucksache 18/3189

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellung-
nahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen
Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand.
Wer enthält sich? – Die Linke. Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition und von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen worden.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses. Auch das ist eine ganze Reihe von
Beschlussempfehlungen, über die wir hier abzustimmen
haben.

Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 27 e auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 108 zu Petitionen

Drucksache 18/3057
Wer stimmt dafür? – Alle. Gibt es jemanden, der da-
gegen stimmt? – Das ist nicht der Fall. Gibt es jeman-
den, der sich enthält? – Auch das ist nicht der Fall. Dann
ist die Sammelübersicht 108 einstimmig angenommen
worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 f auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 109 zu Petitionen
Drucksache 18/3058

Wer stimmt dafür? – Ebenfalls alle, wenn ich das
richtig sehe. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der
Fall. Enthält sich jemand? – Auch nicht. Damit ist auch
die Sammelübersicht 109 einstimmig angenommen wor-
den.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 g auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 110 zu Petitionen
Drucksache 18/3059

Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dage-
gen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die
Grünen. Damit ist die Sammelübersicht 110 mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken
bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 h auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 111 zu Petitionen
Drucksache 18/3060

Wer stimmt dafür? – Alle. Gibt es jemanden, der da-
gegen stimmt? – Nein. Gibt es jemanden, der sich ent-
hält? – Auch das ist nicht der Fall. Damit ist die Sam-
melübersicht 111 ebenfalls einstimmig angenommen
worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 i auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 112 zu Petitionen
Drucksache 18/3061

Wer stimmt dafür? – Die Koalition plus Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer ent-
hält sich? – Die Linke. Damit ist die Sammelübersicht
112 mit den Stimmen der Koalition und Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung von der Linken angenommen
worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 j auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 113 zu Petitionen
Drucksache 18/3062





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A)



(D)(B)

Wer stimmt dafür? – Koalition plus Bündnis 90/Die
Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Linke. Wer enthält
sich? – Niemand. Damit ist die Sammelübersicht 113 mit
den Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/Die
Grünen bei Gegenstimmen der Linken angenommen
worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 k auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 114 zu Petitionen

Drucksache 18/3063

Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dage-
gen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Gibt es je-
manden, der sich enthält? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Sammelübersicht 114 mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der
Stiftung „Deutsches Historisches Museum“

Drucksache 18/3148

Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen von
CDU/CSU, SPD und der Linken auf Drucksache 18/3148
vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Die Koali-
tion, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es je-
manden, der dagegen stimmt? – Nein, das ist nicht der
Fall. Enthaltungen? – Auch keine. Dann ist der Wahlvor-
schlag einstimmig angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Unterschiedliche Auffassungen in der Bun-
desregierung zur Abschaltung von Kohle-
kraftwerken und zum Erreichen der Klima-
ziele

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Krischer.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806619400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Es wird wohl nicht anders gehen, als dass wir auch
Kohlekraftwerkskapazitäten abbauen.“ Das hat Barbara
Hendricks am 3. November dem Spiegel mit Blick auf
das deutsche Klimaschutzziel gesagt. Ich sage, Frau
Hendricks – auch wenn sie heute leider nicht an dieser
Debatte teilnehmen kann –: Das ist richtig. Diese Aus-
sage ist zutreffend. Wir werden das deutsche Klima-
schutzziel nicht erreichen, wenn wir nicht auch ernsthaft
darüber reden, dass Kohlekraftwerkskapazitäten abge-
baut werden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Jetzt und sofort! Gleich abschalten! In dieser Stunde!)

Das hat Frau Hendricks gesagt. Aber nur eine Woche
später war das alles auch für Frau Hendricks nicht mehr
wahr, nachdem Siggi Kohle deutlich gemacht hat, wo in
der SPD der Hammer hängt. Dann hieß es plötzlich wie-
der: Es wird nicht abgeschaltet; der Kohlekraftwerkpark
in Deutschland bleibt unangetastet.

Meine Damen und Herren, ich hätte mich sehr ge-
freut, wenn in dieser Aktuellen Stunde die beiden Minis-
ter zu diesem Thema gesprochen hätten. Aber beide sind
nicht anwesend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Debatte darüber findet bei den Champagnerempfän-
gen der deutschen Wirtschaft statt, aber nicht im Deut-
schen Bundestag. Das ist nicht in Ordnung.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das Niveau ist ja im Keller! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Im Kohlenkeller!)


Ich bin, ehrlich gesagt, fassungslos, dass der Wirt-
schaftsminister der Bundesrepublik Deutschland selbst
glaubt oder zumindest davon redet, dass die Zukunft des
Wirtschaftsstandortes Deutschland an Kraftwerken
hängt, die zur Zeit von Ludwig Erhard gebaut worden
sind. Das ist alles schon ein bisschen länger her. Wir
haben in Deutschland Überkapazitäten. Das Problem ist
doch nicht, dass wir nicht genug Kohlekraftwerke haben.
Das Problem ist vielmehr, dass diese Methusalem-Kraft-
werke rund um die Uhr laufen und moderne Gaskraft-
werke und Kraft-Wärme-Kopplung aus dem Markt drän-
gen, sodass klimaschonende, effiziente und flexible
Kraftwerkskapazitäten nicht zum Zuge kommen. Das
kann doch nicht sein.

Das ist keine Energiewende. Das steht allem entge-
gen, was wir eigentlich wollen, meine Damen und Her-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was ist das eigentlich für ein Signal, das wir damit in
die Welt schicken? Nicht nur, dass die deutschen Kraft-
werksemissionen steigen und dass wir längst die Vorrei-
terrolle im Klimaschutz verloren haben: Jetzt ist es so
weit, dass die ersten Betreiber ernsthaft überlegen,
hocheffiziente vorhandene Kraftwerke in Deutschland
abzubauen, weil sie nicht mit den Methusalem-Anlagen
konkurrieren können. Was senden wir damit für ein Si-
gnal? Ist das die Zukunft des Wirtschaftsstandortes
Deutschland, dass wir auf Kraftwerkstechnologien unse-
rer Großväter bauen? Das kann doch nicht sein, meine
Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb fordern wir die Herausnahme von Kraft-
werkskapazitäten aus den 60er- und 70er-Jahren. Der
Strukturwandel im fossilen Kraftwerkspark – und darum
geht es – ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes,
sondern auch eines zukunftsfähigen Strommarktdesigns.
Er ist ein notwendiger Beitrag zur Energiewende und
– das betone ich ganz bewusst – auch für den Atomaus-

(C)






Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

stieg. Das gehört zusammen. Das sind zwei Seiten einer
Medaille.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt haben wir die Situation, dass das Klimaschutz-
ziel wahrscheinlich nicht erreicht werden kann. Barbara
Hendricks hat gestern ein mittelfristiges Sofortpro-
gramm vorgelegt, das „Aktionsprogramm Klimaschutz“
heißt. Wenn ich es lese, weiß ich, ehrlich gesagt, nicht,
ob ich lachen oder weinen soll. Die großen Brocken
Kohlekraftwerke, Gebäudesanierung und Verkehr wer-
den gar nicht angepackt. Aufgeführt sind so schöne
Sachen wie 1 Million Elektrofahrzeuge, die soundso
viele Millionen Tonnen an CO2-Einsparungen bringen
sollen. Dabei haben Sie bisher überhaupt keine Maßnah-
men vorgelegt und auch nichts in petto, wie Sie diese
1 Million Elektrofahrzeuge bis 2020 erreichen wollen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Busspuren!)


So können Sie das in allen Bereichen durchdeklinie-
ren. Sie betreiben Schönfärberei und Schönrechnerei mit
Maßnahmen, die durch nichts hinterlegt sind. Das ist
nicht seriös, meine Damen und Herren. Das ist keine
Klimaschutzpolitik. Das ist das exakte Gegenteil davon.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Sammelsurium, das Sie vorlegen, enthält noch
weitere Punkte von nett bis skurril. So werden tatsäch-
lich Fahrerlehrgänge mit einem Klimaschutzbeitrag
belegt. Ich habe nur noch auf ein Pullover-Promotion-
Programm gewartet, mit dem die Leute in kälteren Woh-
nungen nicht so viel CO2 ausstoßen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, was Sie vorgelegt haben, zeigt: Nach einem Jahr
kommt die Große Koalition wieder dort an, wo Philipp
Rösler bei der letzten Wahl aufgehört hat. Das ist die
Realität Ihrer Klimaschutzpolitik. Anders kann man das
nicht sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dirk Becker [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Wir
werden Ihnen diese Schönrechnerei und Simulation von
Klimaschutzpolitik nicht durchgehen lassen. Das werden
wir weiter problematisieren. Wir werden von Ihnen ver-
langen, dass Sie am 3. Dezember tatsächlich ein
Maßnahmenprogramm vorlegen. Das, was Sie jetzt ma-
chen, hat mit Klimaschutz rein gar nichts zu tun. Das ist
Klimazerstörung. Das ist das exakte Gegenteil von Ener-
giewende.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist heiße Luft!)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806619500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da auch Zeit eine

Ressource ist, weise ich noch einmal darauf hin, dass in
der Aktuellen Stunde die Redezeit fünf Minuten beträgt
und nicht sechs Minuten.

Als nächster Redner hat der Kollege Andreas Jung
das Wort.


Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1806619600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nachdem der Kollege Krischer offensichtlich das Ziel
schon bei seiner Redezeit verfehlt hat, werde ich mich
bemühen, hier auf den Punkt zu kommen. Genau darum
geht es bei dem Klimaziel.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Redezeit einhalten? Da gibt es schon ein paar wichtigere Sachen!)


Wir haben in Deutschland fraktionsübergreifend das Ziel
formuliert und es gutgeheißen, bis 2020 den CO2-Aus-
stoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist Ausdruck unserer besonderen Verantwortung, die
wir als der größte Emittent innerhalb der Europäischen
Union haben. Das ist auch Ausdruck unserer Vorreiter-
rolle. Unsere Botschaft ist klar: Es gibt kein Vertun. Die-
ses Ziel gilt. Es muss erreicht werden. Deshalb werden
wir beim Klimaschutz einen Zahn zulegen und eine
Schippe drauflegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schippen Kohle drauf!)


Herr Krischer, wir sind uns doch einig, dass wir auf
dem Weg zum 3. Dezember noch über die eine oder an-
dere Frage diskutieren müssen. Wir haben gerade einmal
die Ressortabstimmung eingeleitet. Aber Ihre Behaup-
tung, dieses Programm enthalte nichts zu Gebäudesanie-
rung und Energieeffizienz, geht an der Wirklichkeit und
der Wahrheit total vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben immer gesagt, wir wollen einen besonderen
Schwerpunkt auf die Energieeffizienz legen; denn hier
ist in der Vergangenheit – übrigens auch während Ihrer
Regierungszeit – viel versäumt worden. Hier besteht viel
Potenzial.

Was steht konkret in dem Papier? Die steuerliche För-
derung der Gebäudesanierung soll nun eingeführt wer-
den. Für diese Maßnahme kämpfen wir seit langem.
Aber diese Maßnahme haben Ihre Kollegen im Bundes-
rat bislang blockiert und verhindert. Diese Maßnahme
muss nun kommen. Dafür treten wir ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wird uns voranbringen und einen wichtigen Beitrag
zum Klimaschutz leisten.





Andreas Jung


(A) (C)



(D)(B)

Das Gleiche gilt für das CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm. Unsere Forderung lautet, die Förderung auszu-
bauen und zu verbessern. Vorgeschlagen ist, die Mittel
für dieses Programm auf 2 Milliarden Euro aufzusto-
cken. Unter Rot-Grün beliefen sich die Mittel auf ledig-
lich 300 Millionen Euro. Wir legen nun noch etwas
drauf. Im Rahmen der Fördersystematik werden aber
nicht nur Kredite und Zuschüsse gewährt. Vielmehr gibt
es neue Programme für Kommunen und zur Quartierssa-
nierung. Es soll Netzwerke geben. Auch beim Neubau
werden neue Anreize gesetzt. Die Vorschläge beinhalten
viel Neues. Es geht nun darum, gemeinsam darüber zu
diskutieren und es dann zu verabschieden. Dieses
Programm wird uns bei der Energieeffizienz und beim
Klimaschutz voranbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dann haben Sie die Elektromobilität angesprochen.
Hier bin ich über Ihre Behauptung verwundert, es gebe
zwar Ziele, aber keine Maßnahmen. Jetzt steht auch bei
der Elektromobilität – aufbauend auf dem, was wir
schon gemacht haben mit Nutzervorteilen mit diesbe-
züglichen Gesetzen – ganz konkret drin, was angestrebt
wird,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 000 E-Fahrzeuge!)


eine steuerliche Förderung einzuführen, um diese Elekt-
roautos auf die Straße zu bringen und gewerblichen Nut-
zern die Anschaffung solcher Autos zu erleichtern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


So steht es in dem Papier. Das sollten wir auch machen.
Unterstützen Sie diese Maßnahme! Dann kommen wir
voran.

Zum letzten Punkt, zur Energie. Um diese ist es nicht
so schlecht bestellt, wie Sie behaupten. Ich will darauf
hinweisen, dass die erneuerbaren Energien in diesem
Jahr zum ersten Mal die Braunkohle als die wichtigste
Energiequelle überholt haben. Die erneuerbaren Ener-
gien sind Herbstmeister. Wahr ist aber auch, dass nicht
alle Fragen gelöst sind und dass wir in den letzten Jahren
einen Anstieg des CO2-Ausstoßes aufgrund der Braun-
kohlekraftwerke zu verzeichnen hatten; das ist ein Pro-
blem. Dieses Problem wird adressiert, auch schon in der
Vorlage zum „Aktionsprogramm Klimaschutz“. Es steht
hier drin, dass der Emissionshandel saniert werden muss,
dass es die Haltung der Bundesregierung ist, dass es wie
in der EU vorgesehen, vor 2020 kommen soll und dass
die Bundesregierung dafür kämpft, das schon 2017 zu
machen. Weiterhin steht darin, dass die Bundesregierung
darauf drängt, dass dieser Beschluss im ersten Halbjahr
2015 in der EU getroffen und umgesetzt wird. Ich
glaube, das wäre ein wichtiger Beschluss. Der
Emissionshandel ist das Herzstück der europäischen
Klimapolitik. Der muss saniert werden, und dabei kom-
men wir voran.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir werden darüber hinaus noch weitere Fragen auch
in diesem Programm diskutieren, um zu klären, wie wir
es schaffen, dass wir bessere Rahmenbedingungen für
effiziente Gaskraftwerke bekommen, um damit den
CO2-Ausstoß zu reduzieren. Das ist unser gemeinsames
Ziel. Wir wollen die Trendwende beim CO2-Ausstoß.
Dafür arbeiten wir.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806619700

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-

Schröter das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806619800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Dezember 2007 hat Umweltminister
Gabriel bei der UN-Klimakonferenz in Bali das 40-Pro-
zent-Ziel verkündet. Er hat eine wirklich gute Rede ge-
halten und konnte viele Leute auf der Klimakonferenz
begeistern. Er hat über Nachhaltigkeit und zukünftige
Generationen gesprochen, und er bekam viel Applaus.
Dann kam die Debatte über die Verlängerung der AKW-
Laufzeiten in der letzten Legislatur. Auch der Opposi-
tionsführer Gabriel hat sich echauffiert. Ich lese Ihnen
das einmal vor:

Sie schüren Ängste in Europa. Sie treiben die Anti-
europäer in die Parlamente und in die Regierungen.
Europa braucht wieder Hoffnung, und erneuerbare
Energien bringen Hoffnung und Arbeitsplätze in
Deutschland und in ganz Europa.

Gut, kann ich da nur sagen.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, stimmt auch!)


Jetzt sind wir in dieser Woche. In dieser Woche gab es
den dena-Kongress, den Kongress der Deutschen Ener-
gie-Agentur.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Super Auftritt!)


– Das war ein super Auftritt, sagt der SPD-Kollege. –
Greenpeace hat demonstriert, wie ich finde, sehr gut an
dieser Stelle. Meine herzliche Gratulation.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es geht um den Kohleausstieg. Es geht um die CO2-
Reduzierung um 40 Prozent, die wirklich erreichbar sein
sollte. Ich sage als linke Abgeordnete: Wir haben schon
zweimal einen Antrag zum Kohleausstieg in dieses
Plenum eingebracht. Wir stehen dahinter.


(Dirk Becker [SPD]: Für das Jahr 2040! Nicht 2020!)


Es geht auch um den Bericht des IPPC, der zum x-ten
Male sagt: Klimaerwärmung ist menschengemacht. Es
ist eigentlich schon fünf nach zwölf, und wir müssen he-
raus aus den fossilen Energien. Was sagt Herr Gabriel?
Arbeitsplätze in Gefahr, Versorgungssicherheit in
Gefahr, Industriestandort Deutschland in Gefahr, die
Bezahlbarkeit von Strom in Gefahr.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er recht!)






Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

Ich kann Ihnen sagen: Das hätte Rösler in der letzten
Legislatur genauso sagen können. Da gibt es keinen
Unterschied.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe mir die Rede im Internet wirklich angeschaut.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber nicht verstanden! – Gegenruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht so schwer!)


Ich habe mich auch nicht gewundert, dass vorher ein
Werbefilm einer Erdölfirma anzusehen war. Das war na-
türlich reiner Zufall.

Da fallen dann solche Worte wie „blauäugiger
Ökopopulismus“ oder „Illusion der Energiewendepropa-
ganda“. Ich frage mich dann: Wie kommt er dazu, Befür-
wortern eines geordneten Kohleausstiegs die Fähigkeit
abzusprechen, zu differenzieren? Ich sage Ihnen: Nie-
mand will den sofortigen Ausstieg aus der Kohleenergie.
Das ist eine Unterstellung.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!)


Wenn Sie unsere Anträge lesen, dann stellen Sie fest,
dass da etwas von 2040 steht. Wenn Sie die Greenpeace-
Programme lesen, dann stellen Sie fest, dass auch dort
nichts von einem sofortigen Ausstieg steht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Von 2020 steht gar nichts!)


Es ist vielmehr von einem geordneten Kohleausstieg mit
übertragbaren Laufzeiten die Rede. Sie sollten das ein-
mal lesen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sprechen von Arbeitsplätzen, um die es Ihnen
gehe. Um die geht es auch uns. Dazu kann ich Ihnen
Folgendes sagen: Vor meiner Bundestagszeit war ich
Betriebsrätin in einer Metallfirma. Ich habe nämlich
Schlosserin gelernt. Ich kann Ihnen sagen: Damals
hatten die Kollegen auch ab und zu Angst. Es gab
Entlassungen. Ich kann die Angst nachvollziehen. Nur,
ich habe in der Zeit, als ich auf einer Gewerkschafts-
schule war, gelernt: Verpasster Umweltschutz vernichtet
Arbeitsplätze. Bitte, meine Kolleginnen und Kollegen,
schreiben Sie sich das hinter die Ohren.

Ich weiß auch, dass Konversionspläne nicht so ein-
fach zu erfüllen sind. Das ist doch kein Geheimnis. Ich
denke, wir sollten anfangen und wir sollten Gelder in
solche Konversionspläne stecken. Wir brauchen Regio-
nalpläne, und wir brauchen keine Verschiebung des
Strukturwandels. Der kommt, ob wir wollen oder nicht.
Aus diesem Grund sage ich: Wir müssen jetzt etwas tun.

Herr Gabriel hat das Allgemeinwohl beschworen.
Zum Allgemeinwohl gehören ja auch Kosten. Es gibt
eine neue Studie der EU, für die Herr Oettinger verant-
wortlich ist. Diese Studie besagt: 140 Euro pro Mega-
wattstunde aus Kohle sind die Folgekosten für Mensch
und Umwelt. 86 Milliarden Euro an europaweiten Folge-
kosten entstanden im Jahr 2012 aus der Kohleverstro-
mung zusätzlich. Diese Folgekosten tragen alle. Das
Ganze geht auf Kosten des Klimas. Deshalb brauchen
wir definitiv ein gutes Aktionsprogramm Klimaschutz.
Es kann uns wirklich nicht egal sein, was am anderen
Ende der Welt mit Klimaflüchtlingen, mit Menschen, die
demnächst absaufen werden, die aufgrund des Klima-
wandels verhungern werden, passiert. Ich wiederhole:
Das kann uns allen nicht egal sein. Ob Sozialisten, So-
zialdemokraten, Grüne oder Christen: Wir haben eine
Verantwortung, und dieser Verantwortung müssen wir
endlich gerecht werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806619900

Als nächster Redner hat der Kollege Hubertus Heil

das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1806620000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Deutschland hat sich mit der Energiewende auf
den Weg gemacht. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir
darauf hinweisen, dass es in Deutschland um eine dop-
pelte Energiewende geht. Zum einen wollen und werden
wir als hochindustrialisiertes Land aus der Kernkraft
aussteigen, und zum anderen haben wir uns sehr ehrgei-
zige Klimaschutzziele gesetzt.

Meine Damen und Herren von den Grünen und von
der Linkspartei, die Ziele, die wir damit verbinden, sind
eine saubere, aber eben auch eine bezahlbare und eine
versorgungssichere Energieversorgung in Deutschland.
Das mag uns unterscheiden. Einfach nur darauf zu drin-
gen, dass es sauber sein soll, und die anderen Dinge
nicht im Blick zu haben, ist eben falsch. Ich sage Ihnen:
Mit dem, was Sie hier betreiben, streuen Sie den Leuten
Sand in die Augen. Ich will es Ihnen deutlich sagen: Wir
sind uns alle einig, dass die fossilen Energieträger auf
der Strecke an Bedeutung abnehmen werden und abneh-
men müssen. Zur Frage, wie das geschehen muss, sage
ich Ihnen: Wir wollen diesen Prozess marktwirtschaft-
lich organisieren,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht!)


indem wir den Emissionshandel in Europa stärken, da-
mit es an dieser Stelle die richtigen Preissignale gibt.
Das ist der wahre Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der läuft gar nicht!)


Da gibt es einen Unterschied zwischen Grünen und
Linkspartei. Die Linkspartei tut hier so, als würde das,
was sie hier gerade vorgeführt hat, einen Beitrag zur Er-
reichung des 40-Prozent-Ziels bis zum Jahr 2020 leisten.
Das ist natürlich Quatsch, wenn die Linke, wie sie sagt,
bis 2040 aus der Kohle aussteigen will.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ganz!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Für die Erreichung des 40-Prozent-Ziels bis zum Jahr
2020 bringt das gar nichts. Die Grünen sind da noch ein
bisschen eleganter: Sie nennen nicht mal ein Jahr. Bis zu
welchem Jahr wollt ihr denn den Kohleausstieg? Dazu
kann man nachher ja vielleicht noch einmal Stellung
nehmen.

Wenn wir der Meinung sind, es solle so laufen, wie
ich es eben beschrieben habe – sauber, sicher und be-
zahlbar –, dann müssen wir darauf achten, dass wir die
Energiewende in Deutschland nicht gegen die Wand fah-
ren. Dazu gehört, dafür zu sorgen, dass wir die erneuer-
baren Energien in Deutschland weiter ausbauen, und
zwar systematisch, dass wir Versorgungssicherheit in
Deutschland gewährleisten und dass wir das Ganze be-
zahlbar machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein ordnungspolitischer Eingriff in den Kraftwerks-
park, der im Moment durch den Merit-Order-Effect da-
für sorgt, dass die Kohlekraftwerke ganz schnell stillge-
legt werden und dass ganz teure Gaskraftwerke
kurzfristig nach vorne kommen, führt zu steigenden
Preisen. Die Frage an dieser Stelle ist, ob die Grünen das
wollen.

So zu tun, als würde das zur Erreichung des 40-Pro-
zent-Ziels bis zum Jahr 2020 irgendetwas bringen, Oli
Krischer, ist etwas unterkomplex. Wenn wir hier Kohle-
kraftwerke in kurzer Frist scheinbar stilllegen und den
Menschen suggerieren, wir würden damit 1 Tonne CO₂
in Europa sparen, ist das auch nicht richtig. Die Wahrheit
ist an dieser Stelle, dass der Emissionshandel dazu führt,
dass, wenn hier ein Kohlekraftwerk zwangsabgeschaltet
wird, das entsprechende Zertifikat in ein anderes euro-
päisches Land wandert und dass dieses Verschmutzungs-
zertifikat dort genutzt wird.

Der Schlüssel ist ein anderes Marktdesign, und dazu
gehört im Übrigen auch der Emissionshandel.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie auch verschlafen! Das macht ihr auch nicht!)


– Nein, Moment mal. Wir sind uns einig, dass da in den
letzten Jahren zu wenig passiert ist. Aber ich sage: Diese
Bundesregierung macht Druck in Europa.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Jetzt passiert zu wenig!)


Das ist der richtige Weg.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass in der Vergangenheit zu wenig passiert ist, ist kein Argument, jetzt gar nichts mehr zu machen!)


Das andere ist, dass ihr Grünen den Menschen sugge-
riert, es gehe bei der Energiewende nur um Strom, um
den Strommarkt. Wir werden die Klimaschutzziele nicht
allein über den Kraftwerkspark und den Strommarkt er-
reichen, sondern wir müssen auch über den Wärme-
markt, die Gebäudesanierung, den Verkehrsbereich und
den Landwirtschaftsbereich gehen. Das ist das, was wir
brauchen.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie auch nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nirgendwo machen Sie das!)


Ich finde es ein bisschen traurig, dass ihr Grüne, die
ihr die Energiewende einmal mit auf den Weg gebracht
habt, inzwischen allein der Propaganda willen, um noch
ein Alleinstellungsmerkmal zu haben – das habt ihr beim
Atomkraftausstieg nicht mehr, weil inzwischen alle da-
für sind; freut euch darüber! –, an dieser Stelle einen Po-
panz aufbaut.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Genau! Das ist der Grund!)


Wir haben eine Verantwortung dafür, dass die Energie-
wende in Deutschland gelingt, damit andere uns folgen.


(Beifall des Abg. Johannes Selle [CDU/CSU])


Deshalb sind für uns eine saubere, sichere und bezahl-
bare Energieversorgung gleichrangige Ziele, und das
mag uns unterscheiden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich doch mal die abgebaggerten Dörfer in den Braunkohlegebieten an, wenn Sie von Popanz sprechen!)


Noch einmal: Das 40-Prozent-Ziel bis 2020 im Be-
reich CO2-Minderung in Europa in Deutschland durch-
zusetzen, wird von uns angepeilt. Wir alle wissen: Das
ist nicht leicht zu erreichen. Aber wir halten an dem Ziel
fest, eine Reduktion von CO2 um 40 Prozent, gemessen
an dem Wert von 1990, zu erreichen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!)


Das ist anstrengend, aber es muss auch weitergehen,
über 2020 hinaus. Die Frage ist, wie wir das miteinander
erreichen. Ich sage noch einmal: Diese Bundesregierung
diskutiert darüber, wie man das erreicht. Es wird am
3. Dezember Vorschläge dazu geben.

Die Frage, wie wir eine saubere, sichere und bezahl-
bare Energieversorgung auf den Weg bringen, die noch
viel entscheidender ist, wird im nächsten Jahr entschie-
den, wenn wir über das Strommarktdesign in Deutsch-
land zu diskutieren haben.

Hier Klischees nach dem Motto „Die einen sind für
die Kohle, die anderen sind für die Erneuerbaren“ zu
verbreiten, das ist, mit Verlaub, unterkomplex. Das hat
mit der Realität nichts zu tun. Da kann ich den Grünen
und den Linken nur sagen: Fortschrittlich zu sein, heißt
nicht, mythisch zu sein, sondern aufklärerisch tätig zu
sein. Das wäre auch etwas, was den Menschen helfen
würde, das Ganze zu begreifen, dieses komplexe Thema
Energiewende zu verstehen; das ist nämlich komplex;
das ist nicht einfach. Hier mit einfachen Parolen zu ar-
beiten, wird der Sache nicht gerecht.

Ich sage es noch einmal: Wir müssen es in Deutsch-
land schaffen, die Energiewende zu stemmen, sicher,
sauber und bezahlbar, damit andere uns folgen. Wenn





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

wir die Energiewende gefährden oder die Akzeptanz der
Energiewende gefährden, weil Versorgungssicherheit in-
frage gestellt wird


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Nettoexporten? Quatsch!)


oder die Bezahlbarkeit auf der Strecke bleibt, würden
wir der Energiewende einen Tort antun. Das wollen wir
nicht. Das werden wir nicht. Deshalb werden wir konse-
quent daran festhalten, eine sichere und saubere Energie-
versorgung in Deutschland auf den Weg zu bringen. Wir
werden uns dabei von solchen Aktuellen Stunden nicht
aufhalten lassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806620100

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Anja

Weisgerber.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1806620200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Zu den Klimazielen: Ende Oktober ist es
uns gelungen, dass sich die 28 Staats- und Regierungs-
chefs der EU auf ein Treibhausgasminderungsziel von
mindestens 40 Prozent bis 2030 geeinigt haben. Das ist
auch ein Verdienst unserer Kanzlerin Angela Merkel und
von Umweltministerin Hendricks.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Noch ein paar Tage zuvor war es nicht klar, ob überhaupt
eine Einigung erzielt werden kann. Damit sind wir nicht
nur die Ersten, die einen konkreten Beitrag vorlegen,
sondern im internationalen Vergleich sind wir auch die
Ambitioniertesten, und das ist gut so, meine Damen und
Herren.

Die Tatsache, dass die EU-Mitgliedstaaten sich trotz
dieser unterschiedlichen Ambitionsniveaus einigen
konnten, ist einzigartig in der Welt und zeigt, dass die
EU ein klares Ziel vor Augen hat, nämlich den Ab-
schluss eines international verbindlichen Abkommens
für die Zeit nach 2020. Mit unseren Beschlüssen senden
wir ein klares Signal in die Welt, dass wir entschlossen
gegen den Klimawandel ankämpfen, und wir sagen zu
den anderen Staaten: Jetzt seid ihr an der Reihe, und jetzt
müsst ihr eure Beiträge auf den Tisch legen.

Wir in Deutschland stehen auch national ganz klar zu
unseren Klimazielen. Wir wollen den CO2-Ausstoß bis
2020 um 40 Prozent reduzieren. Aber es gibt dahin nicht
nur den einen Weg. Es gibt viele Wege und Maßnahmen,
um die Klimaziele, die wir uns gesetzt haben und zu de-
nen auch wir von der Union ganz klar stehen, zu errei-
chen.

Ministerin Hendricks hat gestern das Klimaaktions-
programm vorgelegt, das nun in die Ressortabstimmung
geht. Damit werden sämtliche Bereiche einbezogen: In-
dustrie, Energiewirtschaft, Handel/Dienstleistungen, Ver-
kehr, Haushalte, Landwirtschaft. Sie sehen: Wir reden
nicht nur, sondern wir handeln. Klimaschutz ist eine
große Herausforderung, die wir nur mit klarem Verstand
und mit wirtschaftlicher Vernunft bewältigen können.

Da gilt es jetzt eben auch, Kosten und Nutzen abzu-
wägen und sich zu fragen, welche Maßnahmen am meis-
ten bringen, und dann auch den Einsatz zu bewerten, den
wir dafür bringen müssen. Aus diesem bunten Blumen-
strauß von rund 700 Vorschlägen, die eingebracht wur-
den, werden wir nun solche intelligenten Maßnahmen
herausfiltern. Wenn ich von intelligenten Maßnahmen
spreche, dann meine ich Maßnahmen, die Anreize set-
zen, und nicht solche, die auf Zwang und Verbote setzen.
Das ist in unseren Augen nämlich genau der falsche
Weg. Das Wichtigste dabei ist, dass wir den Fokus auf
eine enorme Steigerung der Energieeffizienz legen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch einmal! Machen Sie es!)


ja, wenn Sie es so wollen, wenn Sie auch diesen Begriff
hören wollen – ich denke, das ist ein guter Begriff –,
auch eine Energieeffizienzrevolution auslösen. Das ist
die richtige Antwort auf den Klimawandel.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Revolution! Ja, in welcher Oppositionspartei sind Sie denn eigentlich?)


Der Klimawandel ist eine so große Herausforderung,
dass wir es uns nicht leisten können, naheliegende Chan-
cen nicht zu ergreifen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist die CSU inzwischen so unwichtig, dass sie in der Opposition ist? Es ist ja unglaublich!)


Deswegen sage ich: Die steuerliche Absetzbarkeit von
Maßnahmen zur energieeffizienten Gebäudesanierung
muss jetzt kommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, toll! Was macht denn die Bundesregierung?)


Es ist unumgänglich, dass wir in Deutschland dieses
Thema endlich angehen.

Jetzt, meine verehrten Damen und Herren von den
Grünen, möchte ich vor allen Dingen an Sie appellieren,
dass auch Sie endlich tatkräftig dazu beitragen, dass
diese Maßnahme kommt, dass wir eine Einigung zusam-
men mit den Bundesländern hinbekommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern war immer dagegen!)


Und da appelliere ich auch an die Bundesländer: Bitte
bewegt euch! Viele Bundesländer haben eigene Kli-
maaktionsprogramme, deren Ziele sie aber auch nicht er-
reichen können, wenn wir die steuerliche Absetzbarkeit
nicht bekommen, und zwar zusammen mit den Bundes-
ländern. Und da müssen die Grünen auch mithelfen,
meine Damen und Herren.





Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bayern hat angekündigt, einen entsprechenden Antrag
im Bundesrat einzubringen. Jetzt müssen wir alle ge-
meinsam diese Chance am Schopf packen.

Diese Maßnahmen sind auch vor dem Hintergrund zu
sehen, dass sie Konjunktureffekte auslösen. Jeder Euro,
der in Sanierungsmaßnahmen investiert wird, löst circa
8 Euro an Folgeinvestitionen aus. Außerdem fließt über
die Mehrwertsteuer Geld in die Staatskasse zurück. Des-
halb ist mehr Energieeffizienz ein Gewinnerthema für
alle, für das Klima genauso wie für die Handwerker, die
dämmen und Fenster einbauen, meine Damen und Her-
ren.

Aber nicht alle können in vollem Umfang von der
steuerlichen Absetzbarkeit profitieren. Ich denke hier
zum Beispiel an die Rentnerin, die in ihrem unsanierten
Häuschen aus den 60er- oder 70er-Jahren wohnt. Hier
müssen die KfW-Mittel aufgestockt, verstetigt und deren
Beantragung deutlich vereinfacht werden, sodass auch
hier saniert werden kann.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn, liebe Frau Weisgerber? Sie müssen es machen!)


– Herr Krischer, da gibt es das ganz positive Signal aus
dem Bundeswirtschaftsministerium, dass es im Rahmen
des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz plant, die
Gebäudesanierungsprogramme um 200 Millionen auf
künftig 2 Milliarden Euro jährlich aufzustocken. Auch
das können Sie honorieren und einmal als ein gutes Si-
gnal anerkennen.

Also, lassen Sie uns weg vom ordnungsrechtlichen
Klein-Klein kommen! Lassen Sie uns die Chancen er-
greifen, die wirklich auch große Potenziale beinhalten, –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806620300

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen!


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1806620400

– wie zum Beispiel Energieeffizienzmaßnahmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806620500

Als nächster Redner hat der Kollege Hubertus Zdebel

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Den Namen auszusprechen, ist immer ein Prolem! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Vorname stimmt schon einmal!)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806620600

Der ist derselbe. – Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es immer
wieder entzückend, zu erleben, wie die CDU/CSU um
den heißen Brei herumredet.

(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Überhaupt nicht!)


Das ist umso bemerkenswerter, als es sich doch im We-
sentlichen um Ministerien handelt, die im Moment in der
Hand von sozialdemokratischen Ministern sind, nämlich
der Umweltministerin Frau Hendricks und des ehemali-
gen Umweltministers Sigmar Gabriel, der jetzt Wirt-
schaftsminister ist. Darum geht es ja.

Wir haben es schon häufiger erlebt, dass es diesen
Zielkonflikt zwischen Umweltpolitik und Wirtschafts-
politik gibt. Aber es ist auch völlig klar – und das haben
Sie eben nicht gesagt –: Um das 40-Prozent-Ziel beim
Klimaschutz zu erreichen, brauchen wir jetzt den schritt-
weisen Ausstieg aus der Kohle, vor allen Dingen der
Braunkohle. Alles andere ist eine Mogelpackung. Das
wissen Sie haargenau.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir erleben heute nicht mehr den Mut des ehemaligen
Umweltministers Gabriel – was er 2007 in Bali verkün-
det hat, ist ja schon zitiert worden –, sondern eine un-
glaubliche und unverantwortliche Rolle rückwärts des
jetzigen Wirtschaftsministers Gabriel. Aber es hat jetzt
wenig Sinn, lange darüber zu spekulieren, welche ver-
meintlichen Unterschiede es zwischen den politischen
Positionen von Frau Hendricks und Herrn Gabriel gibt.
Wir müssen eigentlich darüber reden, um was es hier
wirklich geht, nämlich um die ökonomischen Interessen,
die hinter diesen Entscheidungsprozessen stehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Tatsächlich geht es wieder einmal darum, die wirtschaft-
lichen Interessen einer im Strukturwandel untergehen-
den Branche großer Stromkonzerne dem Klimaschutz zu
opfern. Das ist das, was hier wirklich gespielt wird.

RWE musste im Frühjahr ein Minus von 2,8 Milliar-
den Euro bekannt geben. Der Aktienkurs von RWE ist
zwischen 2008 und 2013 um über 70 Prozent eingebro-
chen, der von Eon sogar um fast 75 Prozent. Vattenfall
ist derart schwer angeschlagen, dass jetzt der Ausver-
kauf des Deutschland-Geschäftes, insbesondere der
Braunkohle in der Lausitz, auf der Tagesordnung steht.

Die Schweizer Großbank UBS stellt fest, dass sich
der Bau privater Solaranlagen in Deutschland schon bald
ganz ohne Fördermittel rentieren wird. Kommt es so
weit, dann bricht das Geschäftsmodell der Stromkon-
zerne, die die Energiewende verschlafen haben, endgül-
tig zusammen. Ihre Stromverkäufe würden laut UBS bis
2020 um weitere 20 Prozent einbrechen, die Gewinne
aus dem Stromgeschäft um 50 Prozent absacken. Das ist
der wirkliche Hintergrund dieser ganzen Geschichte. Die
Politik von Schwarz-Rot dient dazu, dieser sterbenden
Branche lebensverlängernde Maßnahmen auf Kosten der
Allgemeinheit zu gewähren. Das ist die ganze Wahrheit
zu dem, was hier abläuft.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

Das gilt nicht nur für den Klimaschutz, sondern wir
erleben das im Moment auch bei den explodierenden
Kosten der Atommüllendlagerung. Da läuft genau das-
selbe Spiel. Die Stromkonzerne wollen sich aus der Ver-
antwortung stehlen, und eine bundeseigene Stiftung soll
die Kostenrisiken übernehmen. „Bad Bank“ fürs Atom
wurde das richtigerweise in den Medien genannt. Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb damals – ich zi-
tiere –:

Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen Banken und
Energieversorgern. Große und miteinander verwo-
bene Banken gelten als systemrelevant. „Too big to
fail“, sagen Amerikaner dazu und meinen: Zu groß,
als dass man diese Banken untergehen lassen dürfe.
Notfalls müsse sie der Staat retten, weil sie beim
Sturz in den Abgrund zu viel mitreißen. Spätestens
seit die SPD nicht nur in Düsseldorf, sondern auch

(mitsorger Eon und RWE … als quasi systemrelevant. Darum geht es in Wirklichkeit. Genau diesem Verständnis folgt die Politik der Großen Koalition und des Wirtschaftsministers. Der Umweltund Klimaschutz wird einmal mehr kurzfristigen Konzerninteressen geopfert. Sehr geehrte Damen und Herren, es ist nicht neu – auch für Sozialdemokraten nicht neu –: Die Energiewende muss gegen die Atomund Kohlekraftwerkskonzerne durchgesetzt werden. Das hatte bereits der 2010 verstorbene Präsident von Eurosolar, Hermann Scheer, klargemacht und festgestellt – ich zitiere –: „Es bleibt keine andere Wahl, als die Strukturmacht des etablierten Energiesystems zu durchbrechen.“ (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diesen Weg müssen wir fortsetzen; denn mit unserem
Planeten lassen sich keine Kompromisse ausverhandeln.
Deswegen sagt die Linke: Es muss Schluss sein damit,
dass Klimaschutzziele im Interesse der Stromkonzerne
und der energieintensiven Industrie mit Füßen getreten
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Für halbherzige Maßnahmen ist keine Zeit mehr.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806620700

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dirk Becker,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1806620800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Fünf Minuten werden nicht reichen, um mit all dem
ein bisschen aufzuräumen, was hier an Theorien und
Thesen verkündet wurde.
Lieber Oliver Krischer, du hast Seriosität angemahnt.
Ich will bei dem Thema Seriosität einmal an die Auftritte
des Oliver Krischer aus Zeiten der letzten Großen Koali-
tion erinnern. Bei jeder Veranstaltung hast du dich hin-
gestellt und gesagt: Sigmar Gabriel will zusätzliche
Kohlekraftwerke bauen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er auch!)


Er hat aber immer und zu jeder Gelegenheit gesagt: Über
die Kraftwerke, die damals geplant und genehmigt wa-
ren, hinaus wird es keine Kraftwerke geben. – Du hast
das immer bestritten. Die heutige Bilanz besagt: Er hatte
recht, nicht du.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hatte unrecht!)


Populismus alleine reicht nicht. Man muss auch mal
ein paar Gegebenheiten anerkennen. Sich hier hinzustel-
len und zu sagen: „Der Gabriel will, dass die Kohlekraft-
werke weiterlaufen“, ist so unkonkret wie nur was.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt er aber!)


Bitte sagt uns doch mal, welche Kapazitäten ihr an wel-
chen Standorten bis wann abschalten wollt, damit wir
vor Ort auch mal darüber diskutieren können, was vor
dem Hintergrund der Versorgungssicherheit und des
Energiemarkts geht! – Das ist euch zu kompliziert. Ihr
sendet einfach eine blöde Botschaft: Kohle muss weg! –
So einfach geht es nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist schon bitter, wenn man das Gegenteil von dem vertreten muss, was man eigentlich glaubt! Das ist schon hart!)


Jeder, der sich die Mühe macht, sich mit den energie-
politischen Entscheidungen der nächsten zwölf Monate
auseinanderzusetzen, der fragt sich: Wie werden die im
Grünbuch vorgesehenen Maßnahmen wirken? Nach Ab-
schluss der Debatten über das Grünbuch und das Weiß-
buch zum Strommarkt, die die richtigen Akzente für den
Strommarkt setzen, werden ohnehin nicht unwesentliche
Kapazitäten aus dem Markt gehen; bis zum Jahr 2030
wird es altersbedingte Rückgänge am Markt geben. Die
Überkapazitäten, die wir gegenwärtig ja haben, werden
wir doch mittels normaler Abgänge im Kraftwerkspark
abbauen können. Darüber kein Wort von Ihrer Seite.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihr erweckt den Eindruck, es bleibe bis 2050 bei der jet-
zigen Kohleverstromung. Das ist Ausdruck energiepoli-
tischer Ahnungslosigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will zum Thema Energieeffizienz zurückkommen;
denn ich finde, solch eine Debatte ist viel zu wichtig, um





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

hier einfach nur Polemik zu machen und dieses Thema
zu versemmeln.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es war eine gute Debatte bis jetzt!)


Wichtig ist, zu gucken: Was hat die letzte Große Koali-
tion 2008 in Meseberg für Zielgrößen beschlossen, um
das 40-Prozent-Ziel zu erreichen, und an welchen Stel-
len haben wir ein Problem mit der Zielerreichung? –
Andi Jung hat es vorhin angesprochen. Wir haben in ei-
nigen Bereichen der Effizienzpolitik – am Wärmemarkt,
im Bereich Verkehr – Defizite. Da sind wir weg von den
Zielen; da ist in den letzten Jahren zu wenig passiert.
Wenn man dann wie ihr sagt: „Ihr schlagt nichts vor“,
aber nicht einmal die Maßnahmen kennt, die Andi Jung
genannt hat, dann zeigt das: Ihr habt das Papier nicht
einmal gelesen. Dann kann man aber nicht solche Be-
hauptungen aufstellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Ich will allerdings zugeben – ich konzentriere mich
mal auf den Erzeugungsbereich –: Wir haben in zwei
Bereichen ein großes Problem. Den Emissionshandel ha-
ben wir mehrfach angesprochen. Aber jetzt kann man
sich doch nicht allen Ernstes hier hinstellen und sagen,
die Bundesregierung mit Sigmar Gabriel und Barbara
Hendricks


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nicht da sind!)


würde an der Stelle nichts tun oder sei gar zerstritten.
Beide sind in Europa die engagiertesten Kämpfer dafür,
dass wir den Emissionshandel wieder fitmachen. Das
wird europaweit anerkannt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es langsam zu bunt! So geht es echt nicht!)


Ja, wir haben im Erzeugungsbereich an einer anderen
Stelle ein Problem, und zwar ein Problem aufgrund der
Situation, dass ineffiziente Kraftwerke in der Tat effi-
ziente Kraftwerke aus dem Markt nehmen; das Thema
Kraft-Wärme-Kopplung ist eben angesprochen worden.
Da ist es gerade diese Bundesregierung, die ganz aktuell
dabei ist, in intensiven Gesprächen dafür zu sorgen, dass
wir beim Thema KWK zu unserer Zielverpflichtung für
das Jahr 2025 stehen. Wir wollen Effizienz in der Erzeu-
gung; wir wollen den KWK-Ausbau.


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Union klatscht da aber keiner!)


Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass wir
nicht nur beim Ausbau ein Problem haben, sondern auch
im Bestand. Wir erleben das deutschlandweit.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung muss nicht nur wollen, sondern auch handeln!)


– Herr Hofreiter, auch wenn es lauter wird, wird es nicht
besser.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es nicht nur
um den Neubau geht, sondern auch KWK-Bestandsanla-
gen vor der Abschaltung stehen,


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


weil sie nicht wirtschaftlich sind, und die Wärmeversor-
gung stattdessen beispielsweise mit Ölkesseln sicherge-
stellt wird.

Darum sage ich: Wir, die SPD-Bundestagsfraktion,
wollen bis zum 1. August des nächsten Jahres hier für
Abhilfe sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir tun das ohne Klamauk. Wir machen das in der Ver-
antwortung dafür, unsere Effizienzziele bis zum Jahr
2025, also auch das 40-Prozent-Ziel, zu erreichen; zu
diesen Zielen stehen wir ohne Wenn und Aber. Man er-
reicht sie jedoch nur mit viel kleinteiliger, mühsamer Ar-
beit, aber nicht mit Klamaukveranstaltungen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806620900

Danke schön. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Annalena Baerbock das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Lieber Herr Becker, ich versuche gerade,
meiner kleinen Tochter zu erklären, dass man nicht da-
durch überzeugt, dass man sagt: „Du bist aber doof!“,
sondern dadurch, dass man bessere Argumente anführt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Das hätten Sie heute mal machen sollen!)


Wir haben wirklich gehofft, dass Sie heute mit besseren
Argumenten kommen und nicht – wie Ihr Wirtschafts-
minister – einfach sagen: Greenpeace ist aber blöd, die
Grünen übrigens auch.


(Zuruf von der SPD: Wie kann man nur solch einen Blödsinn erzählen?)


Ihr Parteifreund Matthias Miersch hat auf solche sub-
tilen Behauptungen, Greenpeace und die Grünen wollten
sofort – gleichzeitig mit der Atomkraft – aus der Kohle
aussteigen, im Deutschlandfunk die richtigen Worte ge-
funden. Er hat gesagt:





Annalena Baerbock


(A) (C)



(D)(B)

Ich finde, wir führen da im Moment sowieso eine
Phantom-Diskussion, denn ich kenne niemanden,
auch keinen bewegten Umweltschützer, der gleich-
zeitig den Ausstieg aus der Atomkraft und der
Kohle fordert.


(Zurufe von der SPD)


– Genauso ist es. Hören Sie bitte endlich einmal zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und wenn nicht auf uns Grüne, dann hören Sie doch ein-
fach auf Ihre Kollegen.

Sie haben es ja selber angesprochen, und da wird Ihre
ganze Argumentation einfach unstimmig, wenn Sie sa-
gen: Ja, wir brauchen einen Wandel im Strommarkt. Ja,
es gibt Überkapazitäten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


Ja, auch wir wollen irgendwann aus der Kohle ausstei-
gen, nur nicht jetzt.


(Dirk Becker [SPD]: Das machen wir doch nächstes Jahr!)


– Das ist wirklich sehr schön: Wir machen unsere Haus-
aufgaben, aber dann, wenn die nächste Regierung dran
ist. Das ist eine ganz tolle Regierungsverantwortung, die
Sie hier an den Tag legen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich dachte, Sie wollen jetzt nicht aussteigen! Was denn nun?)


Und wie wollen Sie das denn machen?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wann wollen Sie denn aussteigen?)


– Wir wollen jetzt damit anfangen, Herr Heil, den Ein-
stieg in den Kohleausstieg einzuleiten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es passiert doch!)


– So, jetzt hören Sie mir auch einmal zu. Das hat Ihr
Minister bei der Dena ja so schön gesagt: Ich habe das
Mikrofon, jetzt rede ich.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir haben aber auch zugehört!)


Und zwar: Wenn die Anteile der Erneuerbaren auf der
einen Seite ansteigen, dann müssen Sie doch den fossi-
len Kraftwerkspark auf der anderen Seite abbauen.


(Dirk Becker [SPD]: Ja, wie denn?)


Wir haben einen Nettostromexport von 32 Terrawatt-
stunden, und da müssen wir doch irgendetwas machen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Emissionshandel!)


Und dann behauptet Ihr Minister plötzlich, dieser Netto-
stromexport, das sei die Windkraft. Man könnte wirklich
denken, man habe sich verhört.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht zugehört!)


Denn die Windkraftanlagen werden doch abgeschaltet,
und zwar in einem Umfang von mehr als 400 000 Mega-
wattstunden im Jahr, weil die Braunkohlekraftwerke
eben nicht heruntergefahren werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir verstopfen mit unserem Braunkohlestrom die Netze
in Polen und Tschechien. Und wissen Sie was? Der
Minister hat es eigentlich ja auch dadurch eingestanden,
dass es die Überlegung gibt, den Anteil des Exports her-
auszurechnen, um die CO2-Ziele zu schönen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das macht doch niemand!)


Dann muss es doch der Braunkohlestrom sein; denn die
Windenergie erzeugt ja nicht CO2-Emissionen wie die
Braunkohle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wissen es also eigentlich besser.

Da Sie immer davon reden, die anderen sollten nicht
so große Illusionen haben, muss ich jetzt einmal mit ei-
ner Ihrer Illusionen aufräumen. Sie sagen, wir wollen
aus der Kohle aussteigen und der Emissionshandel soll
es richten. Da fragt man sich wirklich, ob das ein Karne-
valsgag gewesen sein soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da sind Sie dann dagegen, oder was?)


– Nein, ich schaue der Realität ins Auge.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh Gott, Sie sehen die Realität und sonst niemand!)


Vor gut zwei Wochen wurde auf dem Europäischen
Rat festgestellt, dass wir eine Reform des Emissionshan-
dels nicht vor 2020/21 in Gang bringen. Das bestreiten
Sie in den Ausschüssen auch gar nicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die Bundesregierung engagiert sich!)


Aber Sie wollen mit diesem Emissionshandel, der nicht
vor 2020/21 reformiert werden wird, den Kraftwerks-
park in Deutschland gestalten. Das passt doch alles vorn
und hinten nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie können da die Augen verdrehen, so viel Sie wol-
len. Andere Länder haben es erkannt und sagen: Der
Preis ist im Keller, deswegen führen wir jetzt einen Min-
destpreis ein.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die haben von Energiepolitik auch keine Ahnung!)


– Ja, machen sie weiter so mit „Die haben ja keine Ah-
nung“.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein, offensichtlich nicht!)






Annalena Baerbock


(A)



(D)(B)

Ich habe eben versucht, Ihr Verhalten am Beispiel eines
kleinen Kindes aufzuzeigen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Andere Länder führen also einen Mindestpreis ein.
Sie machen auch hier nichts, sondern sagen einfach: Die
Reform des ETS wird schon irgendwie vom Himmel fal-
len. – So wird es eben nicht gehen. Es gibt keine Len-
kungswirkung, und deswegen werden die Gaskraftwerke
aus dem Markt gedrängt. Das kann doch wirklich nicht
in Ihrem wirtschaftlichen Interesse liegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dirk Becker [SPD])


– Da Sie dauernd dazwischen schreien und fragen, was
wir denn machen wollen, sage ich Ihnen: Schauen Sie
sich unsere Anträge an.

Vor der Sommerpause haben wir hier eine Debatte
über Instrumente zum Kohleausstieg geführt. Da haben
wir CO2-Grenzwerte vorgeschlagen. Das machen auch
andere Länder. Das hat auch das DIW vorgeschlagen.
Das sind nicht nur die „grünen Spinner“, die so etwas
vorschlagen.


(Dirk Becker [SPD]: Ihr habt gar keinen Fahrplan!)


Die Linken haben etwas anderes vorgeschlagen, und
dann haben auch Sie von der SPD gesagt: Ja, Sie haben
recht. Wir müssen darüber diskutieren. Wir nehmen uns
die Sommerpause, schauen uns die Pläne an – das ist im
Wortprotokoll nachzulesen –, und im Herbst machen wir
uns gemeinsam daran, denn da kommt ja der Klimaakti-
onsplan, und dann legen wir einen Fahrplan für den fos-
silen Kraftwerksplan vor.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welche Kraftwerke wollen Sie denn bis 2020 abschalten?)


Genau auf Ihren Vorschlag warten wir. Keine Sorge, wir
bringen unsere CO2-Grenzwerte wieder ein.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mit Datum!)


Wir können darüber hier dann abstimmen, und dann sind
Sie einfach blank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann kommt noch Ihr letztes, wirklich allerschönstes
Argument: Und wenn wir in Deutschland aus der Kohle
aussteigen, dann hat das für das Klima gar nichts ge-
bracht, denn dann geht es ja in andere Länder.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir müssen den Emissionshandel mal ändern! Verstehen Sie das nicht?)


– Sie müssen darüber verhandeln; denn Sie regieren. Ich
bin hier leider nur Opposition, ich kann es nicht verän-
dern.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein, Sie müssen handeln!)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806621000

Wenn hier Zwiegespräche entstehen, dann muss ich

auf die Redezeit verweisen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht könnten Sie die Zeit stoppen?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806621100

Das mache ich nicht. Bitte denken Sie daran, dass Sie

zum Schluss kommen müssen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen, die Zertifikate würden in andere Länder
gehen. In Deutschland stehen die ältesten Kohlekraft-
werke. In schlechtere Kraftwerke können die Zertifikate
gar nicht reinfließen. Andere Kraftwerke sind effizienter.

Unser Nachbarland Dänemark macht es uns vor. Es
fängt mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung an.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ziehen Sie nach! Erinnern Sie
sich an die Worte Ihres Wirtschaftsministers, der damals
Umweltminister war, als er 2007 sagte:

Wir wissen, dass unsere Wirtschaft leiden wird,
wenn wir den Klimawandel nicht stoppen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806621200

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Thomas Bareiß,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1806621300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Meine

Herren! Frau Baerbock, da war sehr viel heiße Luft da-
bei.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Inhalt auch!)


Von besseren Argumenten habe ich nicht viel mitbekom-
men.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir jetzt einmal gespannt! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erlauben Sie mir eine ganz grundsätzliche Feststel-
lung zu Beginn meiner Rede. Sie haben immer noch
nicht anerkannt, dass wir in Deutschland die höchsten
klima- und energiepolitischen Ziele der Welt haben


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Dänemark hat höhere!)


und am schnellsten mit unserer Zielsetzung vorankom-
men. Die neuesten Zahlen belegen: Schon heute beträgt
der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien 27 Pro-

(C)






Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

zent, so viel wie bei keiner anderen Industrienation der
Welt. Wir haben im Bereich Energieeffizienz – das ist
vielfach angesprochen worden – erreicht, was keine an-
dere Nation geschafft hat: Wir haben das Wirtschafts-
wachstum vom Energiesparen entkoppelt. Wir haben seit
1990 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von
30 Prozent, trotzdem haben wir 10 Prozent Energie ein-
gespart.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie sich jetzt zurücklehnen, oder was?)


Auch im Bereich des Klimaschutzes sind wir Vorrei-
ter. Wir haben die Vorgaben der Kioto-Protokolle weit
übererfüllt. Auch wenn wir früher aus der Kernenergie
aussteigen und somit 50 Millionen Tonnen CO2 bei der
Einsparung verlieren, werden wir es trotzdem schaffen,
unser 40-Prozent-Ziel bis 2020 zu erreichen. Wir haben
entsprechende Vorschläge eingebracht. Wir fordern Sie
auf: Unterstützen Sie uns bei unseren Aktionen!

Wir haben gezeigt: Wir sind in allen Bereichen Vor-
reiter. Es fällt Ihnen schwer, das anzuerkennen, aber ich
glaube: Es ist es wert, bei diesem Projekt mitzumachen.
Ich bitte Sie: Packen Sie die Maßnahmen an, die wir mit
dem „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ vorgelegt
haben.

Genauso, wie wir anerkennen müssen, dass wir beim
Erreichen unserer Ziele enorm vorangekommen sind,
müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass wir es nicht
schaffen werden, aus der Kernenergie und aus der Koh-
lekraft gleichzeitig auszusteigen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zum Emissionshandel! Muss der reformiert werden?)


Wir würden damit einerseits die Versorgungssicherheit
gefährden, andererseits würde die Wirtschaftlichkeit un-
serer Energieversorgung komplett aus dem Ruder laufen.
Wir würden unsere Wettbewerbsfähigkeit, gerade im Be-
reich der energieintensiven Industrie, in besonderer
Weise gefährden.

Deshalb war es wichtig, dass unser Vizekanzler und
Wirtschaftsminister vorgestern klar und deutlich gesagt
hat, dass es das mit uns nicht geben wird, sondern dass
wir eine Energiepolitik machen, die, wie Hubertus Heil
gesagt hat, auf Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit,
Klimaschutz und Umweltverträglichkeit aufbaut. Das ist
unser Maßstab, an dem wir uns auch messen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was würde passieren, wenn wir das tun, was die Grü-
nen vorschlagen: Ausstieg aus der Kohleenergie und der
Kernenergie innerhalb von zwei Jahrzehnten? Damit
würden wir zwei Drittel unserer Energieversorgung ver-
lieren. Dann würden nicht nur die Energiepreise massiv
nach oben drehen. Damit würden wir unsere Energiever-
sorgung massiv gefährden und im energieintensiven Be-
reich unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel setzen.

Wir würden aber auch einen wichtigen Wirtschafts-
zweig in Deutschland innerhalb von wenigen Jahren ka-
puttmachen. Ich spreche von der Braunkohle. Auch
wenn es immer gleich abgetan wird – von den Linken in
ganz besonderer Weise, obwohl die betroffenen Regio-
nen immer sehr stark auf die Linken setzen –, muss man
klar sagen, dass 60 000 Menschen von der Braunkohle
leben, einem heimischen Rohstoff, dessen Abbau viele
Jahre Tradition hat. Wir müssen unsere Verantwortung,
die wir gegenüber den Menschen gerade im rheinischen
Revier und in der Lausitz haben – die, wie gesagt, schon
viele Jahre auf diesen Rohstoff setzen –, wahrnehmen.
Wir brauchen eine Verlässlichkeit in unserer Politik. Wir
übernehmen Verantwortung, auch für diese Regionen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zum Emissionshandel! Muss der reformiert werden?)


Ein weiterer Punkt, den ich unterstreichen will – mein
Kollege Hubertus Heil hat ihn schon angesprochen –, ist:
Auch wenn wir jetzt einseitig aus der Kohle aussteigen
würden, würden wir dem Klimaschutz kein bisschen hel-
fen. Wir haben auf europäischer Ebene ein Instrument
für den Klimaschutz. Wir haben uns 2005 auf den Emis-
sionshandel geeinigt, der richtig und sinnvoll ist. Wenn
wir jetzt aus der Stromerzeugung mittels unserer effi-
zienten Kraftwerke aussteigen, dann werden alle davon
profitieren, die weiterhin auf ineffiziente Kraftwerke set-
zen. Das wäre ein Pyrrhussieg für die Energiewende.
Das würde uns gar nichts bringen. Wir müssen schauen,
dass der Emissionshandel funktioniert und stark ist. Bei
der Klimagasreduktion muss die marktwirtschaftliche
Komponente stärker an Bedeutung gewinnen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss er reformiert werden?)


Wenn wir im Zusammenhang mit dem Klimaschutz
über Braunkohle und Steinkohle diskutieren, müssen wir
berücksichtigen, dass in den nächsten Jahrzehnten der
Anteil der Energiegewinnung aus Kohle in der Welt zu-
nehmen wird. Allein in den nächsten Jahren werden jede
Woche zwei Kohlekraftwerke ans Netz gehen. Ich sage
es ganz offen: Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst
meinen, dann müssen wir dafür sorgen, dass diese Kraft-
werke auf der Basis unserer Technologie klimafreund-
lich sind. Wir müssen sehen, dass, wenn die klima-
freundlichen Kohlekraftwerke aus Deutschland in der
Welt gebaut werden, jedes Jahr 300 Millionen Tonnen
CO2-Ausstoß gespart werden können. Auch das wäre ein
ganz wichtiger Baustein. Statt als Einziger auszusteigen,
müssen wir schauen, dass die Welt auf effiziente und kli-
mafreundliche Produkte setzt. Das ist unser Ziel, das wir
gemeinsam anpacken müssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806621400

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Matthias

Miersch, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1806621500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben heute Vormittag eine sachliche und sehr tief-
gehende Debatte erlebt. Ich glaube, das Thema, über das
wir jetzt reden – der Klimaschutz in der zeitlichen
Perspektive 2020/2050 –, hat es auch verdient, dass wir
einander einfach einmal zuhören und uns gegenseitig un-
sere Sichtweisen erklären.


(Beifall der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich finde, es geht nicht, dass einfach nur mit Unterstel-
lungen und Halbwahrheiten gearbeitet wird. Ich jeden-
falls habe in den Diskussionen der letzten Tage den Ein-
druck gewonnen, dass wir uns gegenseitig etwas
unterstellen, obwohl wir es möglicherweise gar nicht
wollen.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Jetzt hören Sie doch einfach erst einmal zu!

Diese Große Koalition hat einen Koalitionsvertrag
vereinbart. Darin steht als Ziel eine Minderung des CO2-
Ausstoßes um mindestens 40 Prozent. Kein Regierungs-
mitglied hat dieses Ziel infrage gestellt. Das muss hier
noch einmal betont werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diese Bundesregierung gibt erstmalig zu, dass nach
vielen Jahren des Stillstands dieses Ziel mit den bisheri-
gen Maßnahmen nicht zu erreichen ist. Dieser Wirt-
schaftsminister und diese Umweltministerin haben diese
transparente Diskussion überhaupt erst ermöglicht.


(Beifall bei der SPD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Matthias, als wenn du es nicht besser wüsstest! Du weißt es doch besser!)


– Britta Haßelmann, zur Wahrheit gehört auch, dass hier
in diesem Raum keiner ist – so glaube ich; das wurde in
den Beiträgen heute deutlich –, der 2020 aus der Kohle-
verstromung aussteigen will. Damit haben wir hier mög-
licherweise ein gutes Fundament. Wenn ich mir die Ko-
alitionsverträge in Brandenburg und NRW anschaue,
dann weiß ich, dass zumindest die Linken und die Grü-
nen in den Ländern, wo sie mitregieren, anerkennen,
dass das eine große Strukturfrage ist, die wir auch im
Sinne dieser Regionen beantworten müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen weigere ich mich, eine Debatte zu führen
nach dem Motto: Umwelt gegen Wirtschaft und Wirt-
schaft gegen Umwelt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch die Regierungsbank!)


Ich glaube, wir können gemeinsam mehr hinbekommen.

Jetzt kommen wir zum entscheidenden Punkt, Herr
Krischer: Diese Regierung hat gesagt, dass sie am 3. De-
zember 2014 einen Aktionsplan, einen Effizienzplan
vorlegt. Ich finde, es ist das Mindeste, dass man als Op-
position abwartet, was vorgelegt wird. Dann werden wir
uns darüber austauschen müssen.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage Ihnen auch: Am 3. Dezember 2014 wird das
Klima weder gerettet noch wird es verloren sein. Die Fo-
kussierung auf einen Stichtag halte ich für grundfalsch,
im Übrigen auch im internationalen Sektor. Wir werden
kontinuierlich prüfen müssen, ob die Stellschrauben
richtig gesetzt sind und ob sie greifen; denn beim Klima-
schutz geht es immer auch um die Frage, wie das Wetter
aufs Jahr gesehen war und wie sich die Wirtschaft entwi-
ckelt. All diese Geschichten spielen eine Rolle.

Ab dem 3. Dezember 2014 werden wir als Parlamen-
tarier erstmalig in der Lage sein, diese Bundesregierung
diesbezüglich zu kontrollieren. Es gibt offene Fragen,
die die Bundesregierung und wir als Parlamentarier ge-
meinsam beantworten müssen. Eine entscheidende
Frage für mich ist: Wie schaffen wir es, dass hochflexi-
ble Gaskraftwerke am Netz und alte Kohlemöhren vom
Netz sind? Denn wir können nicht wollen, dass der au-
genblickliche Zustand bestehen bleibt, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist die Frage! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Sie unterstellen wieder, dass man das nicht will!


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das unterstellen wir nicht! Hubertus Heil unterstellt das!)


Ich glaube aber, dass dieser Fakt so nicht zutreffend ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dann
auch darüber reden müssen, wie wir beispielsweise all
die anderen Sektoren behandeln. Bislang haben wir nur
über Umwelt und Wirtschaft geredet. Ich glaube, in
diese Debatte gehört auch, zu erwähnen, dass das ein
ganzheitliches Thema ist, welches wir auch unter Mobi-
litäts- und landwirtschaftspolitischen Gesichtspunkten
behandeln müssen. Auch das gehört in die Debatte, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt mache ich einen großen Strich darunter, weil man
ja nicht mehr als fünf Minuten Redezeit hat.

Ich glaube, dass wir alle gut beraten sind, ein bisschen
sachlicher zu sein und dem anderen ein wenig mehr zu-
zuhören. Das Thema ist viel zu groß, als dass wir uns bei
seiner Behandlung zerlegen sollten. Die Lösungen
müssen über Jahre und Jahrzehnte halten. Ich finde, ab
3. Dezember sollten wir das gemeinsam und konstruktiv
tun.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806621600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Josef Göppel,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1806621700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Stimmung für den Klimaschutz ist im Herbst 2014 etwas
günstiger geworden. Es gab den Beschluss der europäi-
schen Regierungschefs, 40 Prozent CO2-Minderung bis
2030 zu erreichen. Das hat eine neue Dynamik in die
Debatte gebracht. Man darf vermuten, dass die jüngsten
Absichtserklärungen der Vereinigten Staaten und Chinas
auch auf das europäische Signal zurückgehen. Diesen
Beschluss der europäischen Regierungschefs hat Frau
Merkel durchgekämpft. Das war das entscheidende Si-
gnal. Deswegen ist für die Konferenzen, die jetzt in Süd-
amerika und nächstes Jahr in Paris stattfinden, eine
günstigere Ausgangslage vorhanden.

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen,
dass trotz des großen Einsatzes der deutschen Kanzlerin
das Ziel einer Minderung des CO2-Ausstoßes um 40 Pro-
zent am unteren Ende des Pfades der Europäischen
Union für 2050 liegt. Das macht klar: Wir haben auf dem
Weg bis 2050 zur Einhaltung des 2-Grad-Zieles mehr zu
tun, als dieser Beschluss jetzt festlegt, obwohl es schon
schwer genug ist, die darin enthaltenen Ziele zu errei-
chen.

Ich richte nun den Blick auf das deutsche Ziel, bis
2020 minus 40 Prozent zu erreichen. Selbstverständlich
spielen da die Emissionen der fossilen Kraftwerke eine
entscheidende Rolle.


(Beifall der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben da nur ein
Problem. Wenn man das jetzt marktwirtschaftlich über
den Emissionshandel lösen will, ist das richtig. Es ist
aber so, dass die Beschlüsse der europäischen Regie-
rungschefs erst ab 2021 gelten.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Hubertus Heil [Peine] [SPD] gewandt: Ja! Gehört?)


Wir müssen uns in der Koalition in der Tat überlegen,
was wir in diesem Jahrzehnt noch tun müssen. Genau
darum geht es. Herr Kollege Heil, ich erinnere mich,
dass im letzten Jahr bei den Koalitionsverhandlungen in
der Arbeitsgruppe Energie eine Liste alter fossiler Kraft-
werke vorgelegt wurde. Ich bin nicht der Meinung, dass
der Staat den Befehl zum Stillstand geben muss; wir
müssen aber die politische Richtung und die Rahmenbe-
dingungen vorgeben.

Wir von der Union halten uns exakt an das, was
Sigmar Gabriel als Umweltminister damals in Meseberg
für die gesamte Bundesregierung verkündet hat. Wir
wollen die Lücke füllen. Insofern unterstützen wir die
Vorlage der Umweltministerin. Ich denke, dass die Ko-
alition aus dieser Debatte überzeugend herauskommen
kann; denn wir dürfen unseren Blick in der Tat nicht nur
auf die Stromerzeugung richten.

Es geht jetzt, meine lieben Kollegen von den Sozial-
demokraten, darum, dass sozialdemokratisch- und grün-
geführte Länder der steuerlichen Absetzbarkeit der Kos-
ten für energetische Sanierungen zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und schwarz! – Dirk Becker [SPD]: Und Bayern! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Wolfgang Schäuble!)


Es geht auch um die Energieeffizienz. Wenn ich heute
in einer großen deutschen Zeitung lese, Energieeffizienz
könne man nicht verordnen, man brauche einen „Instru-
mentenmix, der Lust auf Energieeffizienz macht“, frage
ich mich, ob das ausreichen wird. Auch da ist eine ge-
wisse politische Rahmensetzung unumgänglich.

Die Europäische Union hat eine Untersuchung veröf-
fentlicht, nach der die Kosten der Energieerzeugung in
Europa, und zwar in Bezug auf die Primärenergie,
50 Prozent über dem liegen, was die Verbraucher heute
wirklich zahlen. Gemeint sind die Umwelt- und Gesund-
heitskosten. Wer heute davon spricht, dass wir Rohstoffe
noch lange ausbeuten sollen oder dass wir das eine oder
andere aufschieben sollen, der verkennt völlig, dass wir
uns mit einer solchen Haltung volkswirtschaftlich in die
Tasche lügen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806621800

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Volkmar Vogel,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1806621900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Als Ingenieur und als positiv denkender Mensch
möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal an die
Opposition wenden und daran erinnern, um was es hier
geht: Es geht darum, die Treibhausgasemissionen bis
2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Bei aller
Kritik, die auch heute kam: Wir sind dabei auf einem
sehr guten Weg, weil die richtigen Entscheidungen der
vergangenen Jahre dazu geführt haben, dass wir nach
heutigem Stand eigentlich nur noch eine Lücke – deswe-
gen bin ich auch ein positiv denkender Mensch – von
etwa 6 oder 7 Prozent haben, die wir unter Umständen
noch bis 2020 schließen müssen. Die bereits erreichte
Senkung von 33 oder 34 Prozent kommt auch nicht von
irgendwoher, sondern, ich denke, unser gemeinsames
Handeln in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass wir
hier auf dem richtigen Weg sind.

Wenn wir diese Lücke schließen wollen – das sage ich
jetzt als Ingenieur – gibt es zwei Möglichkeiten: Entwe-
der wir beseitigen die Quelle der Emissionen und schal-
ten die Kraftwerke ab, oder – das ist die zweite Möglich-
keit – wir sorgen dafür, dass der Bedarf, den wir an
Energie haben, weniger wird, sodass wir überhaupt nicht





Volkmar Vogel (Kleinsaara)



(A) (C)



(D)(B)

so viel zu erzeugen brauchen. Letztendlich müssen wir
trotz alledem dafür sorgen, dass dieser Weg für alle wirt-
schaftlich und sozial verträglich ist, vor allen Dingen für
unsere Endverbraucher, für den Bürger, aber in gleicher
Weise natürlich auch für unsere Wirtschaft. Mit dem,
was wir bisher auf den Weg gebracht haben, hat sich ge-
zeigt, dass dies für unsere Bürger vertretbar bzw. hin-
nehmbar ist und unsere Wirtschaft noch keinen großen
Schaden erlitten hat.

Das wird sich aber ändern, wenn wir dem folgen, was
seitens der Grünen vorgesehen ist, nämlich übereilt
Kraftwerkskapazitäten vom Markt zu nehmen. Das hat
auch mit sozialer Verantwortung zu tun. Denken Sie
bitte auch an die Kumpel im Tagebau, denken Sie an die
Mitarbeiter in den Kraftwerken, die natürlich jetzt über
ihre Betriebsräte, über ihre Interessenvertretungen sehr
viele Ängste zum Ausdruck bringen und sich mit diesen
Ängsten auch an uns wenden.

Mit dem Ersatz sind wir auf dem richtigen Weg. Über
25 Prozent wird mittlerweile aus erneuerbaren Energien
erzeugt. Dieser Weg setzt sich fort und wird dazu führen,
dass wir Schritt für Schritt vernünftig die fossilen Ener-
giequellen abschaffen können. Wichtiger ist, dass der
Bedarf reduziert wird. Jede Kilowattstunde, die nicht ge-
braucht wird, muss auch nicht wie auch immer erzeugt
werden. Insofern muss ich sagen, dass die Diskussion
seitens der Opposition zu einem großen Teil ideologie-
gesteuert war.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ich denke, ein Stück weit die physikalischen Gesetze
wirken zu lassen und anzuwenden, kann an dieser Stelle
nicht schaden.

Ein Bereich, den ich als Baupolitiker zu vertreten
habe, der Gebäudebereich, ist mit 40 Prozent an dem be-
teiligt, was wir hier in Deutschland an Energie brauchen.
Deswegen denke ich, dass das, was derzeit in der Dis-
kussion ist und auch auf den Weg gebracht wird, näm-
lich unser Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und der
darin enthaltene Nationale Aktionsplan Energieeffizienz,
ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir werden hier
bereits im nächsten Jahr Sofortmaßnahmen einleiten.
Für mich spielt es eine ganz besonders wichtige Rolle,
die Bürger mitzunehmen. Deswegen bedarf es Beratung.
Deswegen bedarf es Information. Deswegen bedarf es
auch einer Qualitätssicherung im Hinblick auf das, was
wir vorhaben.

Die Menschen brauchen Planungssicherheit. Die Er-
folge der letzten Jahre, besonders der letzten Monate,
zeigen: Wenn wir den Leuten Planungssicherheit geben,
sowohl bei den ordnungsrechtlichen Vorschriften wie
der EnEV als auch bei den Förderinstrumenten wie dem
CO2-Gebäudesanierungsprogramm, wenn wir dafür sor-
gen, dass diese Programme langfristig gut ausgestattet
sind, und zeigen, dass auch eine finanzielle Aufstockung
stattfindet, dann hilft das, die klimapolitischen Ziele zu
erreichen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
an der sich alle beteiligen müssen und an der sich mitt-
lerweile auch alle beteiligen wollen.

Die steuerliche Abschreibung, die zum Glück wieder
in der Diskussion ist – es gab sie ja bereits 2011; leider
ist sie damals an den Ländern gescheitert –, ist dafür ein
wesentlicher Baustein. Wir können nicht alles durch die
Umverteilung von Steuermitteln erreichen. Wir müssen
privates Kapital heben. Privates Kapital heben wir durch
die Schaffung steuerlicher Anreize. Deswegen bin ich
und sind wir Baupolitiker sehr froh, dass diese Diskus-
sion wieder geführt wird.

Ich muss aber anmahnen: Wir müssen hier schnell,
und zwar bis zum Ende des Jahres, zu einem Ergebnis
kommen. Alles andere würde für Unsicherheit sorgen
und dazu führen, dass viele Akteure, die willens sind, in
diesem Bereich etwas zu tun, abwarten würden. Das hilft
weder dem Klima noch der Wirtschaft, etwa dem Hand-
werk und der Industrie, die natürlich auch darauf warten,
dass etwas geschieht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Abschluss sagen: Die Diskussion, die wir hier
führen, sollten wir unideologisch führen. Wir sollten
auch die physikalischen Vorgaben, die es gibt, beachten,
nämlich den Satz von der Erhaltung der Energie.

Ich bin ja in einem Teil unseres Landes aufgewach-
sen, der einmal versucht hat, eine Energieträgerumstel-
lung vorzunehmen. Ich muss sagen: Das Fehlschlagen
dieser Energieträgerumstellung war – auch wenn es
nicht der entscheidende Sargnagel war – zumindest ein
Sargnagel für den Untergang dieses Staates. Meine Ver-
antwortung ist es, hier mit Weitsicht und den richtigen
Entscheidungen dafür zu sorgen, dass uns diese Energie-
wende gelingt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806622000

Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Grundgesetzes

(Artikel 91b)


Drucksache 18/2710

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung (18. Ausschuss)


Drucksache 18/3141

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Kooperationsverbot abschaffen – Gemein-
schaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz
verankern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kai
Gehring, Katja Dörner, Ekin Deligöz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kooperationsverbot kippen – Zusammen-
arbeit von Bund und Ländern für bessere
Bildung und Wissenschaft ermöglichen

Drucksachen 18/588, 18/2747, 18/3141

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung und über die beiden Ände-
rungsanträge werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
erhält jetzt das Wort die Bundesministerin Professor
Dr. Johanna Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns lie-
gen der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes und zwei Änderungsanträge vor; von der
Präsidentin wurden sie gerade genannt. Zudem liegt ein
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vor. Er ist über-
schrieben mit „Kooperationsverbot kippen – Zusammen-
arbeit von Bund und Ländern für bessere Bildung und
Wissenschaft ermöglichen“.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein guter Antrag! Ein sehr guter Antrag!)


Er beginnt mit dem Satz:

Im Jahr 2006 hat die letzte Große Koalition das Ko-
operationsverbot im Grundgesetz verankert.

Dann kommt die Linke mit einem Antrag unter der
Überschrift „Kooperationsverbot abschaffen – Gemein-
schaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz verankern“. Der
erste Satz dieses Antrags lautet:

Das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und
Ländern in der Bildung gilt seit der … Föderalis-
musreform von 2006 …


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Der Witz ist: Es gibt überhaupt kein Kooperationsverbot.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee! Worüber reden wir dann?)

– Das weiß ich auch nicht. – Wir haben so viel Koopera-
tion zwischen Bund und Ländern wie noch nie.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso wollen Sie das Grundgesetz denn dann ändern? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür wollen Sie dann das Grundgesetz ändern?)


2006 ist eine Änderung in das Grundgesetz aufge-
nommen worden, über die wir uns in den Ländern und
auch in den Hochschulen riesig gefreut haben: Mit dieser
Änderung des Grundgesetzes wurden neue Möglichkei-
ten geschaffen. Auch vorher war es schon möglich, zu
kooperieren, etwa im Bereich der Bildungsplanung, im
Bereich der Forschung, und dann ab 2006: auch die
Möglichkeit im Bereich der Lehre. Wir alle haben uns
damals riesig über den Mut der Großen Koalition ge-
freut, dieses Vorhaben anzugehen. Die Verträge und die
Pakte, zum Beispiel der Hochschulpakt oder der Quali-
tätspakt Lehre, wären vorher nicht möglich gewesen.
Ohne diese Grundgesetzänderung hätten diese Pakte
nicht aufgelegt werden können.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das haben wir durchgesetzt!)


Das war die Basis dafür.

Die Minister haben vorletzte Woche in der Gemeinsa-
men Wissenschaftskonferenz die dritte Programmphase
des Hochschulpakts beschlossen. Alle Minister, egal
welcher Partei, haben gemeinsam einen einstimmigen
Beschluss gefasst. Sie haben gesehen, dass dies ein tolles
Instrument ist. Wenn wir etwas gemacht haben, um der
demografischen Entwicklung Rechnung zu tragen, dann
war das diese Grundgesetzänderung. Sie war das
Klügste, was wir machen konnten.

Die Erfolge sind da. Jetzt wollen wir das Ganze noch
verbessern, Herr Mutlu. Das, was immer noch als Nach-
teil angesehen wird – laut Grundgesetz ist seit 2006 eine
Kooperation im Hochschulbereich zwar temporär, aber
nicht institutionell möglich –, ändern wir jetzt. Das
heißt, das, was wir 2006 begonnen haben, werden wir
noch weiter verbessern.

Wenn diese Maßnahmen greifen, dann können wir
vieles machen, was wir bisher nicht machen konnten und
was für eine Industrie- und Wissenschaftsnation wie
Deutschland eigentlich ein Unding ist. Wir konnten in
den letzten Jahren zwar gemeinsame Strategien mit der
Max-Planck-Gesellschaft oder mit der Helmholtz-Ge-
meinschaft entwickeln. Wir konnten fragen: Was wollen
wir als Nächstes machen? Was sind die großen For-
schungsprojekte? Aber wir konnten mit den Hochschu-
len langfristig keine strategischen Kooperationen einge-
hen und entsprechende Zielstellungen entwickeln. Jetzt
schaffen wir diese Möglichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dabei geht es zum Beispiel – Stichwort „Industrie
4.0“ – um die Frage: Wie gelingt es uns, die Ordnung to-
tal zu verändern? Wie gelingt es uns, die Fachkräfte, die
wir dafür brauchen, aber noch nicht haben, zu bekom-





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

men? Das sind strategische Fragen. Dabei geht es nicht
nur ums Geld, sondern es geht auch um Strategien und
Abstimmungen.

Ich kann Ihnen sagen, dass sich in der Wissenschafts-
szene, als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde,
große Enttäuschung breitmachte, weil alle erwartet ha-
ben, dass das Ganze jetzt angegangen und noch einmal
verbessert wird. Dass wir heute diese Änderung bespre-
chen, ist ein ganz großer Erfolg. Dieser wird auch von
außen so wahrgenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das, was wir heute machen, reicht weit über diese Legis-
laturperiode hinaus. Diese Veränderungen im Wissen-
schaftssystem in Deutschland mit positiven Auswirkun-
gen auf die Leistungskraft wirken bis weit über die
nächsten Jahre hinaus.

Wir haben vor kurzem in unserem Ausschuss eine
Anhörung dazu durchgeführt. Alle Sachverständigen,
egal welcher Couleur, haben ohne Ausnahme – wann
passiert einem das schon einmal? – diesen Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – er liegt auf
dem Tisch – begrüßt und haben gesagt: Das ist ein wich-
tiger Schritt, das ist ein richtiger Schritt.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und mehr gefordert!)


Ich möchte Ihnen das Lob dieser Sachverständigen
nicht vorenthalten. So sagte zum Beispiel Professor
Löwer in der Anhörung – man muss bedenken, er ist Ju-
rist –: Ich sehe mich außerstande, die Regelung, die auf
dem Tisch liegt, zu kritisieren.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hohes Lob!)


– Ja, das war klasse. – Herr Hippler, der Präsident der
Hochschulrektorenkonferenz, in der über 300 Hochschu-
len Mitglied sind, und Herr May, der Generalsekretär des
Wissenschaftsrates, haben gesagt, sie sähen das genauso.
Dabei reden sie nicht für sich als Person, sondern als
Vertretung ihrer Institution. Ich denke, das ist ein Rie-
senschritt in der Kooperation zwischen universitären und
außeruniversitären Einrichtungen. Eine Weiterführung
der Exzellenzinitiative wird durch diese Grundgesetzän-
derung sehr viel einfacher und effektiver.

Man muss auch sagen, dass in der Diskussion einige
Sachverständige natürlich weitergehen wollten und
meinten: Das ist ein großer, wichtiger Schritt; aber wir
müssen darüber nachdenken, diesen Schritt auch für die
anderen Bereiche der Bildung zu machen.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Sie haben nicht unrecht!)


Einige Sachverständige sagten jedoch eindeutig – der
Meinung bin auch ich –: Es ist nicht so, dass man nach
diesem ersten Schritt einfach den zweiten machen kann.
Vielmehr besteht strukturell ein grundlegender Unter-
schied zwischen der Organisation von Schulen und den
Einrichtungen im Wissenschaftsbereich. – Sie haben
auch ausgeführt, was es für die Länder bedeuten würde,
wenn man an dieser Stelle ihre Kompetenzen, die sie
auch auf der kommunalen Ebene haben – die Schulen
werden von den Kommunen getragen –, streichen
würde, und deutlich gemacht, was eine Änderung des
Artikels 91 b des Grundgesetzes bedeuten würde, näm-
lich Mitwirkungsrechte des Bundes. Das wollen die Län-
der nicht, was ich verstehe. Ich kann mich auch nicht da-
ran erinnern, dass die Länder irgendwelche
Mitwirkungsrechte angeboten hätten. Aber nur Geld zu
geben – ohne Mitwirkung –, ist natürlich überhaupt nicht
in Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als wir das Thema im Bundesrat diskutiert haben,
gab es keinen Antrag der Länder dazu. Es gibt keinen
Antrag der Länder im Bundesrat, die Mitwirkungsrechte
zu erweitern. Dort wird vielmehr ganz klar gesagt: Wir
wollen, dass der Bund uns bei den großen Themen wie
der Inklusion mit unterstützt, und zwar unterhalb einer
Grundgesetzänderung.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganztagsschulen!)


Jetzt kommt meine Sozialisation als frühere Landes-
ministerin durch: Ich habe es nie gemocht, wenn einem
Gutes getan wird, wenn einem also von oben gesagt
wird, was man machen soll, ohne dass man entspre-
chende Kenntnisse und Kompetenzen hat. Deswegen
glaube ich, wir sollten an dieser Stelle sagen: Wir gehen
heute einen wichtigen, entscheidenden Schritt für den
Wissenschaftsbereich, und das wollen wir in den nächs-
ten Jahren entsprechend nutzen.

In den Diskussionen und auch in verschiedenen An-
fragen wurde nach dem Hochschulbau gefragt. Der
Hochschulbau ist mit finanzieller Beteiligung des Bun-
des in die alleinige Kompetenz der Länder übergegan-
gen: 700 Millionen Euro jährlich bis 2013.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zweckbindung ist aber entfallen!)


Dies war klasse. Alle, die einmal mit HBFG-Verfahren
zu tun hatten, wissen, wie einem zumute war: Man war
es gründlich leid. Dass in den Ländern das nötige Geld
zur Verfügung stand, um entsprechend zu bauen, galt bis
2013. Die 700 Millionen Euro sollten bis 2019 auf null
abschmelzen.

Was ist im letzten Jahr von der Bundesregierung ver-
handelt worden? Es ist verhandelt worden, dass es bis
2019 bei 700 Millionen Euro bleibt. Jetzt ist es Sache der
Länder, dafür eine Zweckbindung zu schaffen,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Modernisierungsbedarf von zwei Hochschulen!)


Kabinettsbeschlüsse zu schaffen und das Geld wirklich
in den Hochschulbau zu leiten. Das Geld ist dort vorhan-
den.

Mit der Grundgesetzänderung, über die wir jetzt bera-
ten, besteht die Option, nach 2019 neu darüber nachzu-
denken, den Hochschulbau dann möglicherweise wieder
etwas anders zu realisieren.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau!)






Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

Eine letzte Bemerkung. Bei der im Gesetzentwurf
enthaltenen Formulierung, dass es um „Fälle überregio-
naler Bedeutung“ geht, geht es nicht um einzelne Institu-
tionen, auch wenn das ebenfalls möglich ist. Es geht
vielmehr um Themen wie die Frauenförderung. Im Zu-
sammenhang mit der Förderung von Frauen in der Wis-
senschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist zum
Beispiel das Professorinnenprogramm von überregiona-
ler Bedeutung. Es betrifft über 120 Hochschulen; es ist
nicht auf einzelne Institutionen beschränkt.

Es geht auch um das Thema „wissenschaftlicher
Nachwuchs“. Das ist eines der größten Probleme, die
uns beschäftigen. Mit dieser Grundgesetzänderung sind
wir, wenn sie uns gelingt, in der Lage, auch institutionell
in diesem Bereich etwas zu machen. Ich könnte noch
weitere Themen nennen; auch die kleinen Fächer sind
von Bedeutung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten
mir einfach glauben: Wenn das Grundgesetz an dieser
Stelle geändert wird, dann wird die Tür zu einer neuen
Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bund und Län-
dern im Hochschulbereich aufgestoßen. Ich würde mich
sehr freuen, wenn Sie die Tür heute ein Stück aufma-
chen, und wünsche mir, dass Sie zustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806622100

Vielen Dank. – Das Wort hat die Kollegin

Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806622200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem Glauben ist es bei mir so eine Sache: Ich glaube
nicht jedem.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wissen wir!)


Was Sie gesagt haben, Frau Ministerin, kommt mir ein
bisschen vor wie das Pfeifen im Walde. Es gibt gar kein
Kooperationsverbot? Aha.

Ich frage mich nur, worüber wir die ganzen letzten
fünf Jahre, seit ich im Bundestag bin, am laufenden
Band gestritten haben. Immer wenn wir einen Antrag
vorgelegt haben, in dem es um Bildungsfinanzierung
ging, wurde uns gesagt: Das geht nicht. Wir haben doch
das Kooperationsverbot; dafür sind die Länder zustän-
dig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war wirklich so. Deshalb denke ich heute, ich bin im
falschen Film. Ist das alles nicht mehr wahr?


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal zur Sache!)

Warum um alles in der Welt wollen wir dann heute
das Grundgesetz ändern, und wofür? Das müssen Sie
mir schon erklären.


(Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat sie! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben wir doch gemacht! Zuhören!)


Klar, Sie wollen Artikel 91 b des Grundgesetzes än-
dern und nun auch die Zusammenarbeit im Bereich von
Wissenschaft und Lehre erlauben. Aber ebenjener zi-
tierte Professor Löwer hat auch gesagt: Alles, was Sie
danach können, konnten Sie bisher auch schon, wenn
auch über befristete Pakte.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist doch ein Unterschied!)


Nun frage ich mich: Was wird jetzt anders? Ich habe
ein großes Problem damit, dass Sie sagen: Das wird jetzt
alles viel besser.

Ich verstehe auch die Hochschulvertreter. Sie glauben
Ihnen nämlich tatsächlich. Sie glauben, dass sie jetzt
mehr Geld und mehr Verlässlichkeit bekommen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein, sie wissen das vor allem!)


Auch die Länder werden das so konnotieren, in der
Hoffnung, dass sie nun endlich die Grundfinanzierung
der Hochschulen besser gestalten können. Möglicher-
weise werden alle Länder, auch diejenigen, in denen wir
mitregieren, dieser Grundgesetzänderung im Bundesrat
zustimmen. Ich verstehe das auch. Aber das heißt nicht,
dass wir unsere Kritik daran aufgeben. Ich finde, dass
hier kein Erfolg zu vermelden ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir kritisieren vor allem drei Punkte:

Erstens. Der gesamte Bereich der nichtakademischen
Bildung bleibt außen vor, von der Kita bis zur Weiterbil-
dung. Da tun Sie gar nichts. Sie haben natürlich recht:
Das ist nicht erst seit 2006 so. Das ist wohl wahr!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Es sollen nur Vorhaben von überregionaler
Bedeutung gefördert werden. Wir haben gerade in der
Anhörung gehört, wie auslegungsbedürftig das ist und
wie lange man sich darüber streiten kann.

Drittens. Die Länder müssen einstimmig entscheiden;
sonst gibt es gar kein Geld. Das heißt, ein einziges Land
kann eine vernünftige Regelung für alle anderen blockie-
ren. Das ist unbefriedigend. Das reicht uns nicht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir einen Änderungsantrag einge-
bracht, der diese Kritikpunkte und keine anderen zu hei-
len versucht. Ich sage es Ihnen gleich: Wenn Sie diesem
Antrag zustimmen, bekommen Sie auch unsere Zustim-
mung zur Grundgesetzänderung; das ist es uns wert. Das





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

ist dann ein Schritt in die richtige Richtung. Anderen-
falls ist es das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie gesagt, das, was Sie nach der Grundgesetzände-
rung finanzieren wollen, können Sie schon jetzt finan-
zieren, zum Beispiel Hochschulpakte und die Exzellenz-
initiative. Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass es
lediglich um eine Entfristung solcher Pakte geht und
nicht um neue Möglichkeiten der Grundfinanzierung der
Hochschulen. Genau genommen ist das auf Seite 2 des
Gesetzentwurfs sogar zu lesen. Da steht nämlich – ich
zitiere –: „Durch die Grundgesetzänderung ergeben sich
keine finanziellen Auswirkungen.“ Aha! Es geht also
nicht ums Geld, wie die Ministerin schon gesagt hat. Al-
lein das Grundgesetz zu ändern, gefährdet natürlich noch
nicht die schwarze Null. Wenn Sie aber nicht mehr Geld
in das System stecken, ist das Ganze völlig überflüssig.
Dann kann man das alles schon jetzt machen. Dann
brauchen wir keine Grundgesetzänderung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schlimmer allerdings ist, dass sich Bund und Länder
keinen Millimeter bewegen, um die verfahrene Situation
in anderen Bildungsbereichen zu ändern. Vor allem bei
der Schulbildung bleibt alles beim Alten.

Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel dafür nennen:
Gestern Abend wurde eine Studie zur Medienbildung in
den Schulen vorgestellt. In der anschließenden Podiums-
diskussion haben die Vertreter der Koalition im Regen
gestanden. Als sie gefragt wurden, wie der Bund die Me-
dienbildung befördern wolle – das ist ein wichtiges
Thema auch im Koalitionsvertrag –, antworteten sie,
dass sie ein Papier erarbeiten und mit Sicherheit am
Thema dranbleiben wollten. Tatsache ist aber: Ohne eine
Änderung des Grundgesetzes können Sie eben nicht da-
für sorgen, dass zum Beispiel alle Schulen mit WLAN
ausgestattet werden; denn den Schulbau dürfen Sie nicht
mitfinanzieren. Sie können auch nicht für kostenlose
Lehr- und Lernmittel sorgen. Sie können nicht einmal ei-
nen Pakt mit den Ländern zum Ausbau der Medienbil-
dung in den Schulen schließen; denn dann müssten Sie
Schulen finanzieren. Das ist Ihnen aber verboten.

So wird Ihr groß angekündigtes Papier nichts weiter
sein als weiße Salbe, also Medizin ohne Wirkung. Das
wird nichts helfen. Deshalb bleiben wir hartnäckig bei
der Forderung nach einer umfassenden Grundgesetzän-
derung für den gesamten Bildungsbereich. Wir haben in
Erwartung Ihres überschaubaren Abstimmungsverhal-
tens einen Entschließungsantrag vorgelegt; denn nach
der Grundgesetzänderung ist vor der Grundgesetzände-
rung. Es muss weitergehen. Wir haben Ihnen aufge-
schrieben, wie es besser gehen kann. Im Übrigen ist mir
völlig klar, warum Sie diese Debatte in die frühen
Abendstunden gelegt haben: Es soll niemand merken.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Verschwörungstheorie! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Ich befürchte, dass das auch besser so ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist Ihnen eigentlich entgangen, was wir heute Morgen gemacht haben? Wo waren Sie denn heute Morgen? Ballaballa, oder was? – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unparlamentarisch!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806622300

Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Dr. Ernst

Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1806622400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Hein, das soll jeder merken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir heute diese Grundgesetzänderung beschlie-
ßen, dann dürfen Sie sicher sein, dass wir zu den Hoch-
schulen und den Wissenschaftseinrichtungen im ganzen
Land gehen und sagen werden: Wir haben ein gutes
Stück geschafft. – Aber wie alle hier im Bundestag wis-
sen, ist das für die Sozialdemokratie noch nicht das
ganze Stück.


(Beifall bei der SPD)


Denn wir möchten, dass der Geist der gemeinsamen För-
derung von Bildung nicht auf Hochschulen begrenzt ist,
sondern tatsächlich durch die gesamte Bildungskette,
von der frühkindlichen über die schulische und die be-
rufliche Ausbildung bis zur Weiterbildung, geht. An die-
ser Stelle gibt es ein Kooperationsverbot, und es gibt ein
Förderungsverbot, wenn Sie es präzise haben wollen.

Wir, der Bund, wollen natürlich keine Schulgesetze
oder Hochschulgesetze machen, aber wir wollen mög-
lichst das Sinnfällige tun können.


(Beifall bei der SPD)


Da, wo es ein gemeinsames Interesse gibt, wollen wir
die Kräfte des Bundes und der Länder bündeln, und zwar
zum Besten der Bildung.

Wir müssen anerkennen: Das hat der Wähler noch
nicht goutiert, dafür haben wir im Parlament noch keine
Zweidrittelmehrheit. Was wir aber geschafft haben, ist
Folgendes: In der Kontinuität von 1949 bis in die Ge-
genwart hinein haben wir in Sachen Hochschule eine
aufbauende, zusätzliche Förder- und Kooperationsmög-
lichkeit geschaffen.


(Beifall bei der SPD)


1949 gab es gar keine Kooperation. Damals gab es
den separativen Föderalismus. 1969 wurden die Rahmen-
planung, der Hochschulbau und die Bildungsplanung ein-
geführt. Zusätzlich gab es einen ersten gemeinsamen
Aufbruch hin zu mehr Förderung der Hochschulen. 2006
drohte das Ganze in sich zusammenzufallen. Es waren
die SPD-Bildungspolitiker, die durchgesetzt haben, dass





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)

die Vorhaben der Wissenschaft als Gemeinschaftsauf-
gabe in das Grundgesetz aufgenommen wurden. Jetzt
sind alle froh darüber. Wir sind erst recht froh darüber,
dass wir jetzt, 2014, eine erweiterte Kooperation in der
Verfassung verankern. So deutlich hat das für die Wis-
senschaft und die Hochschulen noch nie in einer deut-
schen Verfassung nach dem Nationalsozialismus gestan-
den.


(Beifall bei der SPD)


Das ist etwas, für das wir ohne Weiteres die Fanfaren
erklingen lassen. Wir haben jetzt etwas Modernes er-
reicht, etwas, was der Hochschulrepublik Deutschland
gut entspricht. Das ist wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte das aufnehmen, was die Ministerin gesagt
hat: Ja, im Ausschuss hat es tatsächlich eine volle Unter-
stützung für diesen Vorschlag gegeben. Es ist auch von
den Sachverständigen herausgearbeitet worden, welche
Gestaltungsmöglichkeiten es gibt.

Frau Hein, Sie greifen den einen kritischen Punkt der
Einstimmigkeit auf. Wir sagen doch auch an anderer
Stelle: Wir wollen alle mitnehmen. Wollen wir denn
nicht auch alle bei der Hochschulkooperation zwischen
Bund und Ländern mitnehmen? Oder wollen wir ein-
zelne Bundesländer beiseitelassen? Sie als Vertreterin ei-
nes Bundeslandes würden es auch nicht gut finden, wenn
Sie nicht mitgenommen würden. Deshalb ist auch das et-
was, was den kooperativen Geist ausmacht. Wir wollen
alle mitnehmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Türen werden jetzt geöffnet, wie die Ministerin es
gesagt hat. Das bedeutet nicht, dass jetzt unmittelbar
Milch und Honig fließen und dass es jetzt noch drama-
tisch viel zusätzliches Geld für die Hochschulen und die
Wissenschaft geben könnte. Dafür hat die Gemeinsame
Wissenschaftskonferenz und dafür wird die Bundes-
kanzlerin zusammen mit den Ministerpräsidenten in ei-
nem guten Monat, im Dezember, ein Zeichen setzen
können; denn es sind 25 Milliarden Euro, die wir, Bund
und Länder, über die Jahre hinweg für den Ausbau von
Wissenschaft, Forschung und Lehre mobilisieren. Auch
dass die Lehre zum ersten Mal im Grundgesetz erwähnt
wird – das nur in Klammern –, bedeutet keine Schwä-
chung der Hochschulen; es ist vielmehr eine Stärkung
der Hochschulen. Auch das ist mit dieser Grundgesetz-
änderung verbunden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden das Jahr 2015 mit dieser Grundgesetzän-
derung im Rücken dafür nutzen können, uns neue Ge-
danken über die zukünftige Wissenschafts- und For-
schungsarchitektur zu machen; denn dafür wird jetzt das
Tor geöffnet. Wir werden viel freier und präziser darüber
nachdenken, was das in Bezug auf die bessere Koopera-
tion von außeruniversitären und universitären For-
schungseinrichtungen bedeutet, was das in Bezug auf die
Profilierung der Hochschul- und der Forschungsland-
schaft bedeutet und was das in Bezug auf die nachhaltige
Förderung von Internationalität heißt. Die Aufgabe, die
wir jetzt haben, nachdem das Grundgesetz die Voraus-
setzungen dafür schafft, ist, in den Jahren 2015 und 2016
alles dafür zu tun, dass wir im Jahr 2017 mit einer guten
Fortsetzung der Exzellenzinitiative in der Spitze und in
der Breite weiteren Fortschritt für Deutschland erreichen
können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir setzen auch einen sozialdemokratischen Akzent.
Für uns muss der wissenschaftliche Nachwuchs – wir
haben uns darüber gefreut, dass die Wissenschaftsminis-
terin das in gleicher Weise immer wieder betont – ins
Zentrum rücken. Wir möchten einen zusätzlichen Pakt
für den wissenschaftlichen Nachwuchs,


(Beifall bei der SPD)


zusätzlich zu dem Pakt für Exzellenz, zu dem Pakt für
die Forschung und zu dem Pakt für die Hochschulen.
Dass dies notwendig ist, muss man hier nicht begründen;
denn die Einsicht ist gewachsen, dass es der Wissen-
schaft und der Forschung nicht zuträglich ist, wenn viele
junge Leute mit heißem Herzen in die Wissenschaft und
die Hochschullehre gehen, aber tatsächlich immer darauf
achten müssen, wann ihr Vertrag zu Ende ist. Wenn sie
mit heißem Herzen zum Nutzen von Wahrheit und zum
Nutzen der Menschen und ihrer Lebensverhältnisse et-
was bewegen wollen, aber gleichzeitig merken, dass ihre
Lebens- und Arbeitsbedingungen und ihre Perspektiven
schlechter werden, dann schadet das der Wissenschaft
und Forschung.

Deshalb: Nutzen wir dieses neue Grundgesetz dazu,
auch den in der Wissenschaft handelnden Menschen eine
verlässliche Perspektive zu geben.

Wenn wir diesen Entwurf zur Änderung des Grundge-
setzes jetzt gleich verabschieden, dann wird das hoffent-
lich nicht nur mit Zustimmung der Regierungsfraktionen
geschehen; schließlich sind auch die anderen hier vertre-
tenen Parteien, die Linken wie die Grünen, an anderer
Stelle an der Regierung. Am Ende muss es so wirksam
sein, dass, egal wie Regierungen zusammengesetzt sind,
Länderregierungen wie Bundesregierung zusammen die
neue Qualität des Grundgesetzes nutzen.

Also, etwas pathetisch zum Schluss: Diese Grundge-
setzänderung öffnet neue Horizonte. Kommen Sie mit,
und nutzen Sie diese Horizonte!

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806622500

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kai Gehring,

Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806622600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich freuen auch
wir uns über neue Horizonte; aber da gibt es doch einige





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

Wolken am Himmel. Wir stehen heute vor einer Grund-
gesetzänderung, die einen Schritt in die richtige Rich-
tung bringt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


aber wohl kaum als Meilenstein in die Geschichte ein-
geht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber es ist ein Schritt! Besser ein kleiner Schritt als große Worte!)


Es gab aber solche Meilensteine, zum Beispiel die
Föderalismusreform von 1969. Sie eröffnete die Koope-
ration von Bund und Ländern in der Bildung und machte
den Weg frei für die Bildungsexpansion der 1970er-
Jahre. Außerdem gab es die BAföG-Novelle von 2001.
Mit Kanzler Kohl regierte beim BAföG die Abrissbirne.
Grüne und SPD brachten die Wende und machten die
Studienfinanzierung wieder attraktiver.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Darüber hinaus gab es den Meilenstein des rot-grünen
Ganztagsschulprogramms; das war ja vor dem Koopera-
tionsverbot.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Kein Programm hat je so viele Erneuerungen und so viel
Aufbruchstimmung an den Schulen gebracht.

Im Kreise dieser denkwürdigen Entscheidungen
kommt die Änderung des Grundgesetzartikels 91 b die-
ser Koalition nicht als großer Wurf daher, sondern als
halbgare Lösung. Sie verzwergen die Verfassungsände-
rung auf den Wissenschaftsbereich, anstatt Ihre Zwei-
drittelmehrheit hier im Parlament zu nutzen. Das Koope-
rationsverbot in der Bildung bleibt. Dazu können wir
nicht Ja sagen. Wir wollen den Irrweg Kooperationsver-
bot vollständig verlassen. Die Verfassungsbarriere muss
auch im Bildungsbereich fallen. Alles andere sind halbe
Sachen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Regierungsvorschlag soll mehr und dauerhafte
Kooperation in der Wissenschaft bringen. Das ist gut.
Aber es bleibt mir unklar, ob das irgendwelche realen
Folgen hat.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Doch!)


Denn Sie schreiben ja selbst: Kosten – keine.

Was meint Ihre Verfassungsformulierung „in Fällen
überregionaler Bedeutung“?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gerade erläutert worden!)


– Ja. Ich habe da eine Gegenposition. –


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich erkläre es Ihnen auch noch einmal!)

Was das sein soll, ist rechtlich realistischerweise kaum
trennscharf abzugrenzen; das ist in der Sachverständi-
genanhörung sehr deutlich geworden. Dieses schwam-
mige Kriterium könnte ein Einfallstor werden, zum Bei-
spiel für den Bundesrechnungshof. Ich will aber, dass
Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern nicht in
schweres Fahrwasser kommen. Dieses Kriterium kann
man also streichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein weiterer Punkt. Warum schreiben Sie ein Einstim-
migkeitsprinzip ins Grundgesetz? Alle 16 Länder müs-
sen künftig zustimmen, wenn Vereinbarungen getroffen
werden sollen, die – Zitat – „im Schwerpunkt Hochschu-
len betreffen“. Solche Regeln gehören nicht in die Ver-
fassung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, GWK, kann
und sollte selbst über die Abstimmungsquoren entschei-
den. Das klappt ja schließlich auch genauso bei der Kul-
tusministerkonferenz. Also verankert die Koalition das
Einstimmigkeitsprinzip im Grundgesetz. Dann verzö-
gern Sie innovative Entscheidungen. Das führt dazu,
dass kreative Länder nicht mit dem Bund vorangehen
können, oder die Verabredung kommt gar nicht erst zu-
stande. Daran können doch auch Union und SPD kein
Interesse haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Per Kopplungsgeschäft nach dem Motto „Nur dann,
wenn man der Änderung des Grundgesetzes zustimmt,
gibt es die BAföG-Entlastung“ und in sehr großer Eile
peitscht die Regierung ihre Verfassungsänderung von
Artikel 91 b des Grundgesetzes durch den Bundestag.
Doch offensichtlich ist diese Eile gar nicht angebracht.
Denn vor zwei Wochen haben Bund und Länder in der
GWK die Fortsetzung der abermals zeitlich befristeten
Wissenschaftspakte – Hochschulpakt, Pakt für For-
schung und Innovation und Exzellenzinitiative – grund-
sätzlich auf den Weg gebracht. Das heißt, die Pakte
funktionieren offenkundig ohne Ihre Verfassungsände-
rung. Problematischer ist: Die Koalition hat keine ge-
meinsame Idee, was sie mit der neuen Kooperations-
möglichkeit in der Wissenschaft überhaupt anfangen
will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch dazu habe ich hier heute nichts gehört. Studie-
rende, wissenschaftlicher Nachwuchs, Lehrende und
Forschende brauchen bessere Perspektiven, bessere
Lehr- und Studienbedingungen. Von Kooperation, die
nur auf dem Papier steht, hat niemand etwas.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Endlich besteht allgemeiner Konsens in der Analyse,
dass die Grundfinanzierung und die Ausstattung der
Hochschulen stabilisiert und gestärkt werden müssen.
Wir als Grüne wollen daher einen gesamtstaatlichen
Kraftakt für einen zukunftsgerechten Hochschulbau, und





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

wir brauchen dringend einen Pakt für den wissenschaftli-
chen Nachwuchs und gute Karrierewege.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genauso groß sind aber die bildungspolitischen
Herausforderungen. Man denke nur an die Aufgabe,
Inklusion endlich gesamtstaatlich auszufinanzieren und
für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen! Deswegen
muss auch das Kooperationsverbot bei der Bildung weg.
Das ist möglich, ohne die Kulturhoheit der Länder in-
frage zu stellen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das geht leider nicht!)


Eine Ermöglichungsverfassung für einen kooperativen
Bildungsföderalismus ist machbar; sie ist möglich. Dazu
unterbreiten wir dem Parlament einen schnörkellos kla-
ren Formulierungsvorschlag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zitat:

Bund und Länder können auf der Basis von Verein-
barungen zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit
und der Weiterentwicklung des Bildungswesens zu-
sammenarbeiten.

Das, meine Damen und Herren, eine solche Verfassungs-
änderung, wäre ein Meilenstein.

Wir streiten und werben weiter dafür, das Koopera-
tionsverbot komplett zu kippen. Wir wollen das Grund-
gesetz zu einer Ermöglichungsverfassung für bessere
Wissenschaft und bessere Bildung weiterentwickeln.
Wir wollen ein Bildungsaufsteigerland mit Chancen für
alle und keine Bildungsbarrieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806622700

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Tankred Schipanski, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1806622800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ver-

abschieden heute ein Gesetz, mit dem wir die föderale
Ordnung in unserem Bundesstaat optimieren. Die zweite
und dritte Lesung einer Verfassungsänderung steht dabei
ganz im Geist der Verfassung, und wir wollen dabei un-
serem Auftrag gerecht werden, den Verfassungsanwen-
dern Auslegungshilfe zur Verfügung zu stellen. In einer
solchen Debatte, Herr Gehring, Frau Hein, verbietet sich
daher eigentlich Polemik,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Ihrer Ministerin!)


vor allem mit dem Wissen, dass in der Sachverständi-
genanhörung – die Ministerin hat es gesagt – alle Sach-
verständigen diese Grundgesetzänderung im Grundsatz
gelobt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Grundsatz ist das auch in Ordnung! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann stimmt doch im Grundsatz zu!)


Meine Damen und Herren, ich möchte gleich zu Be-
ginn der Rede mit einer Mär, die in dieser Debatte aufge-
baut wird, aufräumen. Hier wird ein Junktim zwischen
der jetzigen Debatte und der zu dem BAföG-Änderungs-
gesetz hergestellt. Die Änderung des Artikels 91 b
Grundgesetz ist ein lang verabredetes Ziel. Damit grei-
fen wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens auf.
Das bringen wir heute zu einem krönenden Abschluss.

Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir
die Hochschulen in den nächsten vier Jahren auch bei
der Grundfinanzierung unterstützen. Das machen wir
über die Änderung beim BAföG, indem wir die Länder
ab dem 1. Januar nächsten Jahres um jährlich gut
1,2 Milliarden Euro entlasten. Das debattieren wir in
Kürze hier in diesem Hohen Hause.

Die zweite Mär, mit der man aufräumen muss, betrifft
den Artikel 91 b und den Bildungsbereich. Meine
Damen und Herren, für eine weiter gehende Änderung
des Artikels 91 b ist in unserem Bundesstaat keine
Mehrheit zu erblicken. Wir scheitern damit im Bundes-
rat. Die Länder wollen es nicht. Sie alle wissen: Schule
ist ein klassischer Kernbereich der Länderstaatlichkeit.
Es ist mithin müßig, hier über Dinge zu debattieren, die
sich in der Verfassungswirklichkeit nicht umsetzen
lassen. Ich darf die Worte des Sachverständigen Profes-
sor Geis zitieren. Er sagte, wenn man in diese Verfas-
sungsänderung auch den Bildungsbereich einbeziehen
wolle, dann würden wir die Beteiligung des Bundes an
der institutionellen Hochschulförderung wohl erst am
Sankt-Nimmerleins-Tag erleben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)


Daher bekräftige ich in dieser Rede abermals das An-
gebot an die Bundesländer, dass wir als Bund eine stär-
kere Koordinierung im Kultusbereich vorantreiben. Wir
strecken die Hand aus, die Ministerin streckt die Hand
aus, aber wir wissen – das hat sich immer wieder aufs
Neue erwiesen –, dass sie von der KMK ausgeschlagen
wird. Daher kann ich nur sagen: Wir erneuern unseren
Aufruf und unseren Hinweis an die Länder, das für den
Bildungsbereich in einem Staatsvertrag verfassungskon-
form untereinander zu regeln.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine dritte Mär, meine Damen und Herren, die hier
immer wieder vorgetragen wird, ist, dass im Jahr 2006
die Kooperationsmöglichkeiten eingeschränkt worden
sind. Das ist schlichtweg falsch. Die Ministerin hat da-
rauf hingewiesen, dass die Kooperationsmöglichkeiten
im Hochschulbereich bereits 2006 erweitert wurden. Es
wurde nämlich möglich, den Bereich der Lehre an den
Hochschulen von Bundesseite zu unterstützen. Mit Blick
auf den Hochschulbau darf ich auf Artikel 143 c unseres
Grundgesetzes verweisen, gemäß dem wir umfangreiche
Kompensationsbeträge im Moment noch zahlen und





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)

auch weiter zahlen werden. Im Übrigen wurde mit die-
sem Verfassungstext die Grundlage für die erfolgreichen
Pakte, die wir eingegangen sind, gelegt.

Ergänzend der Hinweis, weil immer erzählt wird,
Möglichkeiten im Bildungsbereich seien 2006 einge-
schränkt worden: Die Trennung zwischen Bund und
Land im Schulbereich besteht seit 1949 und ist nicht erst
durch die Föderalismusreform I eingeführt worden.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist richtig!)


Meine Damen und Herren, bezüglich der Gründe und
Erwägungen zur vorliegenden Verfassungsänderung darf
ich auf unsere erste Lesung verweisen. Die Wortbeiträge
der Mitglieder der Unionsfraktion haben eindeutig ge-
zeigt:

Wir wollen Kooperationshemmnisse abbauen, die wir
bei der Einrichtung von KIT in Karlsruhe, von BIG in
Berlin, von JARA in Aachen erlebt haben. Wir wollen
also eine stärkere Kooperation haben.

Wir wollen – der Wissenschaftsrat hat es formuliert –
die Unwucht zwischen außeruniversitärer und universi-
tärer Forschung beheben.

Und wir wollen als Bund die Hochschulen als das
Herz unseres Wissenschaftssystems stärken, indem wir
als Bund zukünftig auch institutionelle Hochschulförde-
rung betreiben dürfen. Wir räumen dem Bund heute eine
Finanzierungsbefugnis ein, ohne dass das automatisch
Ansprüche von irgendjemandem nach sich zieht.

Dabei ist uns wohl bewusst – das hat der Sachverstän-
dige Professor Löwer in der Anhörung auch klar be-
schrieben –, dass die Stärke des deutschen Wissen-
schaftssystems in seiner Gesamtheit in dem breiten
Fundament der Hochschulen liegt. Nur auf diesem brei-
ten Fundament kann man die Beletage der Spitzenfor-
schung überhaupt aufsetzen. Logisch ist aber, dass der
Bund nicht das gesamte breite Fundament fördern kann;
denn wir wollen mit dieser Verfassungsänderung ja auch
die föderale Kompetenzordnung nicht auf den Kopf stel-
len, sondern sie bewahren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Hochschulförderung des Bundes kann also nur
Sinn machen, wenn wir zusätzliches Geld hineingeben.
Um die Länder zu entlasten, haben wir andere Mecha-
nismen in unserem Bundesstaat. Es geht vielmehr
darum, zusätzliche Impulse zu setzen und den Innovati-
onsstandort Deutschland strategisch zu stärken. Dabei
haben wir ganz bewusst Tatbestandsmerkmale eingefügt.

Das Merkmal der überregionalen Bedeutung wurde
schon angesprochen. Der Bund will also nur da investie-
ren, wo wir eine Ausstrahlungskraft über das einzelne
Bundesland hinaus haben, wo es einen internationalen
oder nationalen Kontext gibt. Das heißt, der Bund wird
nur dort mehr Geld geben bzw. mehr Geld investieren,
wo wir einen systematischen Mehrwert für das Wissen-
schaftssystem erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Exzellente Wissenschaftsstrukturen definieren sich
durch eine Ausnahmestellung. Definieren wir alles als
exzellent, ist niemand mehr exzellent. Die Gesetzesbe-
gründung formuliert ganz klar: „Exzellenz in Breite und
Spitze“ – eine spannende Formulierung. Das bedeutet
aber, dass bei der Förderung wissenschaftlicher Exzel-
lenz stets auch sorgfältig geprüft werden muss, inwie-
weit das Wissenschaftssystem als Ganzes davon profi-
tiert.

Wir werden das Geld nicht nach dem Königsteiner
Schlüssel verteilen. Dieser ist ja regionalpolitisch ausge-
richtet; das bringt aber im internationalen Wettbewerb
unsere Hochschulen nicht voran.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806622900

Kollege Schipanski, wenn ich Sie kurz unterbrechen

darf. – Kolleginnen und Kollegen, im Moment hat über-
wiegend der Kollege Schipanski das Wort. Wer nebenbei
reden möchte, der kann das gerne außerhalb des Saales
tun. Ich bitte jetzt aber, auch ein bisschen Respekt vor
dem Redner zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1806623000

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Überregionale Be-

deutung – die Ministerin hat es gesagt – betrifft auch die
Lehre. Es ist uns wichtig, dass wir formuliert haben, dass
es bei der Grundgesetzänderung um Wissenschaft, For-
schung und Lehre geht. In bester Humboldt’scher Tradi-
tion wollen wir auch hier Lehre und Forschung nicht
künstlich trennen. Somit werden wir auch unseren Qua-
litätspakt Lehre weiter aufleben lassen, von dem ja der-
zeit 186 Hochschulen bundesweit profitieren. Sie sehen,
wir sind auf Nachhaltigkeit ausgerichtet.

Lassen Sie uns gemeinsam – der Kollege Rossmann
hat es gesagt – Visionen für die Kooperationskultur ent-
wickeln, die wir jetzt neu durch diese Grundgesetzände-
rung erhalten. Der Wissenschaftsrat hat Vorschläge
gemacht. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat regionale
Leistungszentren in die Diskussion gebracht. Wir den-
ken gemeinsam mit der GWK über die Neugestaltung
der Exzellenzinitiative nach. Wissenschaftlicher Nach-
wuchs ist angesprochen worden. Ich denke, wir sollten
in diesem Hause gemeinsam für unser Wissenschaftssys-
tem nach vorne denken.

Lieber Kai Gehring, es wird Sie überraschen, aber ich
ende mit einem Zitat der grünen Wissenschaftsministe-
rin aus Baden-Württemberg,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist ja auch super!)


die nämlich in einem Interview mit der Süddeutschen
Zeitung mit Blick auf dieses Gesetz feststellte – das ist
die gute Frau Theresia Bauer –:

Ich halte das für einen zielführenden Vorschlag. …
Das ist genau richtig und tut not in diesem Land.





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)

In diesem Sinne: Stimmen Sie diesem Gesetz zu.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806623100

Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski. – Letzter Red-

ner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Swen
Schulz, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1806623200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie
sich einmal für einen Moment vor, bei dieser Debatte im
Deutschen Bundestag hätte sich jemand hingestellt und
gesagt: Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im
Bereich von Hochschule und Wissenschaft gehört verbo-
ten. Dieser Jemand würde ausgelacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es ist noch gar nicht so lange her, dass die Minister-
präsidenten und diejenigen, die die Föderalismusreform
verhandelt haben, das genau so gesehen haben. Ich erin-
nere mich daran, wie wir als Bundestagsfraktion zusam-
mensaßen und uns die Verhandlungsergebnisse vor-
gestellt wurden. Da wurde gesagt: Komplettes
Kooperationsverbot für Schule und für Hochschule.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-
Bundestagsfraktion hat daraufhin einen Aufstand ge-
macht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben durchgesetzt, dass das Kooperationsverbot im
Grundgesetz, was die Hochschulen betrifft, gelockert
wird. Auf dieser Basis haben wir den Hochschulpakt,
den Qualitätspakt Lehre und viele weitere Programme
realisiert. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion haben
viel Kritik, gerade auch von Ministerpräsidenten, einste-
cken müssen, aber wir haben recht behalten. Ohne die
SPD-Bundestagsfraktion hätten die Hochschulen we-
sentlich größere Probleme. Wir würden hier ganz andere
Debatten führen.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist auch ein Märchen!)


Freilich war schon damals in der SPD-Fraktion die
Meinung sehr weit verbreitet, dass das Kooperationsver-
bot für den Bereich Schule auch unsinnig ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr wollt nur das Geld! Sonst nichts!)


Wir haben uns damals nicht durchgesetzt – bis heute ha-
ben wir uns nicht durchgesetzt –, aber ich sage Ihnen vo-
raus: Genauso wie das Kooperationsverbot im Bereich
Hochschule gefallen ist, so wird es auch für den Bereich
Schule fallen. Wir werden da nicht lockerlassen.

(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen wir mal hoffen! Da müsst ihr stark bleiben!)


Nun gehen wir immerhin einen wichtigen Schritt.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen halben Schritt!)


Wir weiten die Zusammenarbeit von Bund und Ländern
im Bereich Wissenschaft und Hochschule aus. Wir ma-
chen sie verlässlich. Wir stellen sie auf eine dauerhafte
Basis. Das ist eine Möglichkeit, die wir auch nutzen wol-
len. Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat es gesagt:
Lassen Sie uns in allererster Linie einen Pakt für den
Nachwuchs, für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wis-
senschaftler schließen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das hilft den Leuten, der Wissenschaft, den Hochschu-
len, den Studierenden. Das hilft ganz Deutschland. Wir
sollten das in der Großen Koalition beschließen.

Lassen Sie mich noch einige Überlegungen zum Ver-
hältnis von Bund und Ländern anschließen, gerade aus
der Sicht eines Mitgliedes des Haushaltsausschusses.

Die Länder sind verantwortlich für Bildung und
Hochschule


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und wir für das Geld!)


und werden vom Bund massiv unterstützt. Der Hoch-
schulpakt ist angesprochen worden, verschiedene andere
Programme, aber auch die BAföG-Entlastung, über die
wir gleich noch diskutieren und abstimmen werden. Der
Deutsche Bundestag respektiert die Eigenständigkeit der
Bundesländer, die Freiheit der Länder, ihre Schwer-
punkte zu setzen. Doch diese Eigenständigkeit und
diese Freiheit enden dort, wo die Zweckentfremdung
von Bildungsmitteln beginnt.


(Beifall bei der SPD)


Ich gehe nicht davon aus, dass das stattfindet;


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch! Doch! Gehen Sie davon aus! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo? In Bayern?)


aber wir sollten schon einmal ordentlich darauf schauen.
Deswegen hat der Haushaltsausschuss bereits einen so-
genannten Monitoringbeschluss gefasst und die Bundes-
regierung gebeten, einmal genau zu schauen, was die
Bundesländer da so veranstalten. Wenn es doch einen
falschen Umgang mit den Bildungsmitteln geben sollte,
dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir das
öffentlich ansprechen. Dann müssen die verantwortli-
chen Landespolitiker ihren Bürgerinnen und Bürgern er-
klären, warum die Bildungsmittel nicht ordentlich aus-
gegeben wurden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir beim BAföG dann aber auch!)






Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)

Ich füge hinzu: Das sollten wir im Deutschen Bundes-
tag dann auch unabhängig von der Farbe der jeweiligen
Landesregierung machen, also nicht nach dem Motto
„Die eigene Landesregierung schützen wir, die andere
greifen wir an“. Ich sage das deswegen, weil ich manch-
mal den Eindruck habe, dass wir hier im Deutschen Bun-
destag gelegentlich weniger bundespolitische Debatten
führen als vielmehr landespolitische Schlachten schla-
gen.


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)


Das sollten wir hier im Bundestag jedenfalls nicht tun.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein
guter Tag für die Wissenschaft und für die Hochschulen.
Ab morgen arbeiten wir weiter daran, dass es einen
nächsten guten Tag geben wird, nämlich für die Schulen:
wenn auch das Kooperationsverbot im Bereich Schule
fällt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806623300

Vielen Dank.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 b). Der Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/3141, den Gesetzentwurf auf
Drucksache 18/2710 anzunehmen.

Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über
die wir zuerst abstimmen. Zu beiden Änderungsanträgen
ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich mache darauf
aufmerksam, dass wir bis zum Vorliegen der Ergebnisse
der namentlichen Abstimmungen die Sitzung dann un-
terbrechen werden. Im Anschluss daran erfolgt die na-
mentliche Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
Wir werden also zu diesem Tagesordnungspunkt insge-
samt drei namentliche Abstimmungen und im Anschluss
daran eine Reihe von weiteren Abstimmungen durchfüh-
ren.

Wir stimmen zuerst ab über den Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3162. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? – Hier links fehlt noch eine Schriftführerin oder
ein Schriftführer der Koalition. – Ist eingetroffen. Oben
rechts fehlt auch noch der Schriftführer oder die Schrift-
führerin. – Ich glaube, jetzt sind überall die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer da. Ich eröffne die erste na-
mentliche Abstimmung, über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3162.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist
nirgendwo der Fall.

Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/3163. Sind die Plätze an den Urnen be-
setzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich eröffne die zweite
namentliche Abstimmung, über den Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3163.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Haben jetzt auch
alle an der Urne 5 abgestimmt? – Ich sehe, das ist der
Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.1)


(Unterbrechung von 18.29 bis 18.37 Uhr)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806623400

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, jetzt

Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.

Wir haben noch Abstimmungen durchzuführen. Ich
bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen. Sonst geht es nicht wei-
ter.

Ich möchte Ihnen das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeord-
neten Dr. Rosemarie Hein und der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/3162 bekannt geben, das von den
Schriftführerinnen und Schriftführer ermittelt wurde: ab-
gegebene Stimmen 592. Mit Ja haben gestimmt 54, mit
Nein haben gestimmt 538. Damit ist der Antrag abge-
lehnt.

1) Ergebnis der zweiten Abstimmung Seite 6235 A
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon

ja: 54
nein: 538
Ja

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)






Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(B)

Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Von den Schriftührerinnen und Schriftführern ermit-
teltes Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3163: abgegebene Stimmen 592.
Mit Ja haben gestimmt 56, mit Nein haben gestimmt
482, Enthaltungen 54. Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon

ja: 56
nein: 482
enthalten: 54

Ja

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Enthalten

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/2710 zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und Ablehnung der Linken angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
forderlich ist. Das sind mindestens 421 Stimmen. Wir
stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den
Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall.

Ich eröffne die dritte namentliche Abstimmung, die
über den Gesetzentwurf.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir kommen nun zu einer Reihe von weiteren Ab-
stimmungen. Ich darf noch einmal bitten, Platz zu neh-
men.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/3164. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
abgelehnt.

1) Ergebnis Seite 6241 C





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(C)



(D)(B)

Tagesordnungspunkt 7 b. Wir setzen die Abstimmun-
gen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf
Drucksache 18/3141 fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/588 mit dem Titel
„Kooperationsverbot abschaffen – Gemeinschaftsauf-
gabe Bildung im Grundgesetz verankern“. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/2747 mit dem Titel „Koopera-
tionsverbot kippen – Zusammenarbeit von Bund und
Ländern für bessere Bildung und Wissenschaft ermögli-
chen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris
Wagner, Beate Walter-Rosenheimer,
Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Von Anfang an beteiligen – Partizipations-
rechte für Kinder und Jugendliche im demo-
grafischen Wandel stärken

Drucksache 18/3151
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Doris Wagner von Bündnis 90/Die Grünen.


Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806623500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Antrag zur
Stärkung der Partizipation von Kindern und Jugendli-
chen im demografischen Wandel vor. Die Jungen werden
immer weniger, und schon sehr bald leben in Deutsch-
land doppelt so viele über 60-Jährige wie unter 20-Jäh-
rige. Die demografische Entwicklung verändert die Le-
benswelten der jungen Menschen. Ich erinnere mich
noch sehr gut daran, wie ich als junges Mädchen in mei-
ner Heimatstadt mit den Nachbarskindern auf der Straße
gespielt habe und herumgestrichen bin. Heute hingegen
haben Kinder und Jugendliche oft wenige Altersgenos-
sen und kaum Freiräume. Aber diese Freiräume brau-
chen sie unbedingt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist nur ein Beispiel dafür, warum Kinder und Ju-
gendliche gehört werden müssen. Denn nur so können
sie Einfluss nehmen und ihre Anliegen artikulieren. Die
Politik der Bundesregierung fokussiert hingegen auf die
ältere Generation. Eine komplette Legislatur hat sie sich
an einer Demografiestrategie versucht, und die Jugend
kam gar nicht vor. Jetzt gibt es zwar endlich eine AG
„Jugend gestaltet Zukunft“, und das ist auch gut so, aber
konsequent wäre es doch, die Belange von Kindern und
Jugendlichen als Querschnittsaufgabe im kompletten
Strategieprozess zu verorten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Inzwischen gibt es auch einen Demografie-Check.
Dabei handelt es sich um einen sanktionslosen unver-
bindlichen Fragebogen ohne jegliche Konsequenz für
neue Gesetze. Er wurde ja auch nicht zufällig erst nach
der Verabschiedung des Rentenpakets eingeführt. Er ist
das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt planen Sie einen Jugend-Check. Selbst Jugend-
verbände glauben nach der Erfahrung mit dem Demo-
grafie-Check nicht mehr an ein wirksames Instrument.
Aber wir brauchen einen Ausgleich zwischen den Gene-
rationen. Für meine Fraktion steht Generationengerech-
tigkeit ganz oben auf der Agenda.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt, junge Menschen sind Expertinnen und Ex-
perten in eigener Sache. Sie müssen ermutigt und in die
Lage versetzt werden, sich für ihre Belange einzusetzen.
Dann werden sie zu artikulationsstarken Bürgerinnen
und Bürgern. Das stärkt den Zusammenhalt unserer Ge-
sellschaft und fördert den Dialog zwischen den Genera-
tionen.

Außerdem heißt Generationengerechtigkeit für mich,
dass die jetzt jungen Menschen und auch die künftigen
Generationen ihre Zukunft tatsächlich selber gestalten
können. Deshalb müssen wir ihnen eigene Gestaltungs-
räume und Handlungsoptionen offenhalten. Wir müssen
ihnen eine Welt hinterlassen, die sie verändern und ge-
stalten können.

Um konkret zu werden: Wir wollen zum Beispiel die
Mitwirkungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der
Baugesetzgebung festschreiben. Wir wollen, dass De-
mokratie und Teilhabe Leitprinzipien der Bildung sind,
und wir wollen das Wahlalter auf 16 senken.

Es ist unsere Aufgabe, es ist die Aufgabe dieses Parla-
ments, in unserer älter werdenden Gesellschaft für Gene-
rationengerechtigkeit zu sorgen. Lassen Sie uns den jun-
gen Menschen eine kräftige und hörbare Stimme geben!
Stimmen Sie bitte für unseren Antrag!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(A)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806623600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Markus Koob,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1806623700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer! Ich möchte diese Rede mit uns allen
bekannten Worten beginnen:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-
lichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich da-
rum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Men-
schenrechten als Grundlage jeder menschlichen
Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit
in der Welt. Die nachfolgenden Grundrechte binden
Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtspre-
chung als unmittelbar geltendes Recht.

Liebe Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen, selbstverständlich besitzen Kinder und Jugendliche
ebenfalls diese Rechte; ja, gerade sie besitzen diese
Rechte. Ich gebe Ihnen recht, dass Kinder aufgrund ihrer
Schutzbedürftigkeit eine ganz eigene Intensität der Er-
wachsenenrechte besitzen. Allerdings ist dies mit allen
bestehenden Gesetzen in Deutschland möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es bedarf daher in meinen Augen keiner zusätzlichen
gesetzlichen Präzisierung. Ansonsten könnten dem-
nächst auch Rentner, Menschen mit Migrationshinter-
grund, Männer oder Frauen explizit ein Grundrecht im
Grundgesetz verlangen, obwohl die Grundrechte so-
wieso für jeden Menschen gelten.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja überhaupt keine Ahnung!)


Ich glaube, diese Aufgabe hat eine Verfassung nicht.
Eine Verfassung ist dazu da, um grundsätzliche Zwecke
zu regeln, nicht dazu, Regelungen für alle möglichen
spezifischen Lebenslagen zu treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Entschuldigen Sie diese Deutlichkeit. Aber nachdem
ich bei Ihrem Antrag zunächst ein durchaus positives
Gefühl hatte, muss ich nun sagen, dass ich damit folgen-
des Grundproblem habe: Er ist zwar gut geschrieben,
aber leider nicht inhaltlich, sondern stilistisch.


(Lachen der Abg. Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Glauben Sie denn, dass nur, wenn Kinder wählen gehen
dürfen, gute Entscheidungen für Kinder getroffen wer-
den können?


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind 16-Jährige Kinder?)


Sie, die Sie Tag für Tag im Ausschuss für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend sitzen, widmen sich die ganze
Zeit den Belangen von Kindern und Jugendlichen. Ha-
ben Sie denn kein Vertrauen in Ihre eigene politische Ar-
beit? Haben Sie kein Vertrauen, dass wir die Kinder und
Jugendlichen gemeinsam politisch gut vertreten können?


(Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rentenpaket!)


Kinder und Jugendliche können bereits heute auf be-
stimmten Feldern partizipieren und sich engagieren. Ge-
rade wir als Parteimitglieder müssen doch wissen und
anerkennen, dass sich rund 200 000 Mitglieder in unse-
ren Jugendorganisationen engagiert an der gesellschaftli-
chen Entwicklung beteiligen,


(Beifall bei der CDU/CSU)


und das bereits ab 14 Jahren. Ich darf an dieser Stelle sa-
gen: Dass ich heute überhaupt hier stehe, liegt auch da-
ran, dass ich mich in unsere Jugendorganisation, die
Junge Union, die größte politische Jugendorganisation in
diesem Land, einbringen konnte.

245 000 organisierte Mitglieder in den Jugendfeuer-
wehren und 113 000 Rotkreuz-Mitglieder sind ebenfalls
gesellschaftlich umfassend engagiert. Ich finde daher
nicht, dass es für die gesellschaftliche Teilhabe von Kin-
dern und Jugendlichen neuer Gesetze bedarf. Es scheint
ja, wenn man die Jugendorganisationen von Gewerk-
schaften, Umwelt- und Naturschutzverbänden, Schüler-
verbände und andere sieht, auch ohne zu funktionieren.
Aber auch Sport- oder Schützenvereine laden zur demo-
kratischen Partizipation ein. Meiner Ansicht nach ist der
Handlungsbedarf daher eher gering.

Die U-18-Wahl, parallel zur letzten Bundestagswahl,
hat gezeigt, dass unter 18-Jährige zwar in der Lage sind,
zu wählen. Studien haben aber belegt, dass Unterschiede
im Wissen und Verständnis von Politik zwischen 16-Jäh-
rigen und 18-Jährigen bestehen. So sind auch erst 18-
Jährige voll geschäfts- und deliktfähig. Wählen, ohne die
volle Geschäftsfähigkeit innezuhaben, bedeutet in mei-
nen Augen ein Rechte-Pflichten-Ungleichgewicht. Für
die CDU/CSU ist die Volljährigkeit das geeignete Alter,
sowohl das Recht als auch die Pflicht, also die Tragweite
in vollem Umfang, wahrnehmen zu können. Allerdings
habe ich auch eine kleine Vermutung, warum Sie sich für
eine Herabsetzung des Wahlalters einsetzen, wenn ich
mir die Ergebnisse der vergangenen U-18-Wahlen an-
schaue – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.


(Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie billig! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Jetzt wissen wir auch, warum Sie das nicht wollen!)


Warum glauben Sie eigentlich an Kinder, aber nicht
an Erwachsene, die diese Kinder erziehen? Sie glauben
nicht an Eltern, dass diese ihren Kindern bei wichtigen
Entscheidungen der öffentlichen Hand Gehör gegenüber
Dritten verschaffen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie glauben offenbar auch nicht an die Lehrerinnen und
Lehrer, da Sie annehmen, dass diese nicht bereits ohne
gesetzliche Regelung Demokratie und sowohl schulische
als auch gesellschaftliche Partizipation in den Schulen
vermitteln würden.





Markus Koob


(A) (C)



(D)(B)

Sie glauben auch nicht an die Erzieherinnen und Er-
zieher in diesem Land, da Sie der kuriosen Annahme
sind, dass diese keine Teilhabekonzepte für ihre Schütz-
linge entwickelt haben. Sie glauben offenbar vielmehr
an die Existenz autoritärer Strukturen in den Kitas, in
den Schulen und zu Hause. Ihr Menschenbild verwirrt
mich.


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach!)


Ich möchte betonen, dass sowohl ich als auch die CDU/
CSU-Fraktion an die Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Er-
zieherinnen und Erzieher in diesem Land glauben. Ich
möchte ihnen für ihr Engagement und ihre Arbeit mit
und für Kinder und Jugendliche ganz herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Einer unserer ureigenen familienpolitischen Schwer-
punkte ist es, gute Politik für die Kinder und Jugendli-
chen in unserem Land zu gestalten. Die CDU/CSU-
Fraktion hat in den vergangenen Jahren vieles für die
Kinder und Jugendlichen in diesem Staat getan.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt! Durch das Kinderschutzgesetz!)


Durch Elterngeld und Elterngeld Plus haben wir gehol-
fen, die Familien finanziell zu stabilisieren, was den
Kindern nicht nur beim Zeitmanagement zugutekommt.


(Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden aber nicht über Familien! Wir reden über Kinder und Jugendliche!)


Darüber hinaus haben wir die Betreuung des Kindes
durch beide Elternteile gefördert. Das ist ein Fortschritt,
auch und gerade für Kinder und Jugendliche.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Betreuungsausbau, in den der Bund trotz Länder-
verantwortung bereits über 6 Milliarden Euro investiert
hat, verbesserte die wirtschaftliche Situation für sehr
viele Familien in Deutschland, da er es den Müttern und
Vätern ermöglichte, ihre Arbeit zumindest in Teilzeit
wieder aufzunehmen. Kinder und Jugendliche profitie-
ren in besonderem Maße davon. Nicht nur, dass durch
die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf über-
haupt mehr Kinder geboren werden, als es ohne Betreu-
ung der Fall gewesen wäre, auch materielle Wünsche
können durch die Arbeit beider Elternteile besser erfüllt
werden.

Nun wird sich die CDU/CSU-Fraktion in den nächs-
ten Jahren nicht zurücklehnen. Wir als Koalition werden
weitere wichtige Belange der Kinder und Jugendlichen
im Auge behalten. Dazu gehört auch der Demografie-
Check, auf den sich SPD und CDU/CSU im Koalitions-
vertrag verständigt haben. Im Gegensatz zu Ihnen von
Bündnis 90/Die Grünen glauben wir schon, dass wir hier
ein wirkungsvolles Mittel haben, mit dem wir die Parti-
zipation von Jugendlichen in den nächsten Jahren deut-
lich stärken können.

Mit diesem Vorhaben sollen künftige Gesetzesvorha-
ben, Richtlinien und Investitionen dahin gehend über-
prüft werden, welche Auswirkungen sie für die Jugend
und darauffolgende Generationen haben. Damit soll das
Bewusstsein für gesellschaftliche Nachhaltigkeit ge-
schärft werden. Gerade wenn die bis 20-Jährigen nur
noch einen kleiner werdenden Teil der Bevölkerung aus-
machen, ist es wichtig, für die Belange der künftigen Ge-
nerationen einzutreten. Um dieses Problem wissen wir.
Daher werden wir dem vorbeugen.

Die schwarze Null im Haushalt ist ein weiteres Pro-
jekt, um die Jugend nicht ihrer Zukunftschancen zu be-
rauben. Durch die schwarze Null heute, die die CDU/
CSU-Fraktion täglich verteidigt, und durch die Rückfüh-
rung der Schulden in den nächsten Jahren schaffen wir
Haushaltsspielräume für die künftigen Generationen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist gut so!)


Knapp 10 Prozent des Bundeshaushaltes fließen ledig-
lich zum Bedienen der Zinsen jährlich in die Bundes-
schuld. Sparen sollte nie ein Selbstzweck sein. Unser
Zweck aber ist die Zukunftssicherung aller Menschen in
Deutschland, der jetzt lebenden und aller in der Zukunft
geborenen.

Uns allen liegen die Rechte von Kindern und Jugend-
lichen sehr am Herzen.


(Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das merkt man aber nicht!)


Dennoch sollte über diese Sache rational gesprochen
werden. Ist eine Verankerung von Kinderrechten im
Grundgesetz notwendig, um in der Alltagsrealität Kinder
zu schützen? Nein, weil sie durch das Grundgesetz be-
reits geschützt werden.

Ja, auch ich möchte den Kindern und Jugendlichen in
einer immer älter werdenden Gesellschaft Gehör ver-
schaffen. Aber das geht nicht durch Symbolpolitik, son-
dern durch tägliche harte pragmatische Arbeit für Kinder
und Jugendliche, wie es die CDU/CSU seit 2005 in der
Bundesregierung macht.

Ich erlaube mir an dieser Stelle eine abschließende
Bemerkung zu den Vorschlägen, die Sie in Bezug auf die
Verankerung von Rechten von Kindern und Jugendli-
chen auf kommunaler Ebene machen. Ich selbst bin
Kommunalpolitiker, und ich vermute, dass viele von Ih-
nen das auch sind. Kommunalpolitiker leiden in den
letzten Jahren darunter, dass viele Vorgaben von Bund
und Ländern nach unten gedrückt werden, ohne darauf
Rücksicht zu nehmen, ob die entsprechenden Rahmen-
bedingungen vor Ort gegeben sind.

Bei dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern, dass die
Rechte von Kindern und Jugendlichen bei Bauleitpla-
nungen, bei allen möglichen Gesetzen und Vorhaben be-
rücksichtigt werden, lassen Sie außer Acht – ich selbst
bin, wie gesagt, Stadtverordneter –, dass wir selber von
vornherein ein Interesse daran haben, wenn wir ein
neues Wohnbaugebiet entwickeln, zu schauen: Gibt es
tatsächlich Spielplätze? Haben wir Schulen? Haben wir
Betreuungseinrichtungen?





Markus Koob


(A) (C)



(B)


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie werden nicht gefragt! Darum geht es doch! Sie werden nicht beteiligt!)


– Natürlich werden sie beteiligt, und der beste Weg der
Beteiligung ist immer noch der, dass Kinder und Jugend-
liche über Wahlen die Möglichkeit haben, in den Stadt-
verordnetenfraktionen bzw. in den Gemeinderäten mit-
zureden.

Von der Variante, dass wir einen Beirat gründen und
Kindern die Möglichkeit geben, das Wort zu ergreifen,
ohne aber im Ergebnis etwas entscheiden zu können,
halte ich persönlich nichts. Das ist Symbolpolitik. Des-
halb lehne ich das ab. Wir sollten auch auf Bundesebene
damit aufhören, den Kommunen ständig neue Vorgaben
zu machen, nur weil wir glauben, dass sich einige mit
neuen Spielplätzen austoben wollen. Ich glaube, die
Kommunen wissen sehr genau, was sie vor Ort machen
und wie sie das umsetzen können. Daher lehnen wir
auch diesen Teil Ihres Antrags ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1806623800

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ih-
nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des Grundgesetzes bekanntgeben: abgegebene
Stimmen 592. Mit Ja haben gestimmt 482, mit Nein
haben gestimmt 54, Enthaltungen 56. Damit hat der
Gesetzentwurf die erforderliche Mehrheit und ist ange-
nommen.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon

ja: 482
nein: 54
enthalten: 56

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)






Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller,
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806623900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Kollege Koob, ich kenne Sie nicht weiter;
aber ich hätte gute Lust, von meiner Rede abzuweichen
und auf Ihren Beitrag zu antworten. Aber dann würde
ich ebenfalls nicht zum Antrag sprechen. Deswegen se-
hen Sie es mir nach, wenn ich zum Antrag rede.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Freuen Sie sich nicht zu sehr, Kolleginnen und Kolle-
gen von den Grünen.
Ich möchte Ihnen zunächst für Ihren Antrag danken,
weil er uns die Möglichkeit gibt, nicht nur in der Kinder-
kommission, sondern auch im Plenum den 25. Jahrestag
der UN-Kinderrechtskonvention zu würdigen. Als ich
Anfang der 90er-Jahre in die Grundschule gegangen bin,
war das bereits ein Thema. Das haben wir aber nicht ver-
standen. Es wurde im Ethikunterricht der fünften oder
sechsten Klasse behandelt, dass die UN-Kinderrechts-
konvention in Deutschland nur unter Vorbehalt umge-
setzt wird. Es ist ein großer Fortschritt, dass sie inzwi-
schen zumindest vollständig umgesetzt werden soll.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Antrag hat in seiner Detailliertheit insbesondere
bei den vorgeschlagenen Maßnahmen einige Stärken.
Das gestehen wir selbstverständlich zu. Die Aufnahme
von eigenständigen Kinderrechten ins Grundgesetz, die
Herabsetzung des Wahlalters, längst überfällige Anpas-
sungen des Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetzes
– vor allem im Hinblick auf die steigende Zahl unbeglei-





Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

teter minderjähriger Flüchtlinge – oder auch die umfas-
sende Demokratisierung des Bildungssystems, dies alles
teilen wir, auch wenn festzuhalten bleibt, dass die
Umsetzung der angeführten Punkte im Antrag im Unkla-
ren bleibt und die Zuständigkeiten zumeist bei den
Ländern und Kommunen liegen. Diese sind schon ganz
unterschiedlich weit damit, das umzusetzen, was Sie
jetzt fordern.

Gerade die Detailliertheit beim Ausbau von Partizipa-
tionsrechten von Kindern und Jugendlichen verschleiert
aber, dass Sie bei Ihrer Definition von Kinder- und
Jugendrechten zentrale Bestandteile schlichtweg außen
vor lassen. Dies ist insbesondere zum 25. Jahrestag der
UN-Kinderrechtskonvention durchaus bedauerlich. Es
geht eben nicht nur um Beteiligung, sondern auch um
die Voraussetzungen für Beteiligung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Förderung und der Schutz von Kindern und Jugend-
lichen sind nämlich kein zu vernachlässigendes Thema,
wie Ihr Antrag nahelegt, ob beabsichtigt oder nicht. Das
Recht auf Förderung und Schutz ist auch nach der UN-
Kinderrechtskonvention nicht vom Recht auf Beteili-
gung zu trennen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das bedeutet: Die soziale Frage stellt sich auch als
eine Frage der Demokratisierung unserer Gesellschaft.
Wenn, wie gestern in der Kinderkommission festgestellt
wurde, 20 bis 25 Prozent aller Kinder in Deutschland durch
Armut oder Armutsgefährdung innerhalb der Gesellschaft
abgehängt zu werden drohen, dann nützt ihnen weder die
Direktwahl eines Schülersprechers noch das Wahlrecht mit
16 – das gestehe ich Ihnen zu, Herr Koob –; denn dann hat
die Gesellschaft ein ganz anderes Problem: Dann steht es
auch um unsere Demokratie schlecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Mein Bundesland
Brandenburg hat auf Initiative von SPD, Linken, FDP
und Grünen als erstes Flächenland das Wahlrecht mit 16
für Landtagswahlen, Kommunalwahlen sowie bei der
Volksgesetzgebung eingeführt und umgesetzt. Bei der
Landtagswahl am 14. September – für die übrigens die
CDU damit geworben hat, man könne mit 16 CDU wäh-
len; die Plakate hingen im Land – gaben gerade einmal
41 Prozent der 16- bis 18-Jährigen ihre Stimme ab. Das
liegt deutlich unter der Wahlbeteiligung insgesamt, trotz
größter Anstrengungen von Verbänden, Initiativen,
Gewerkschaftsjugenden und auch vonseiten der Politik.
Wenn man die regionale Wahlbeteiligung dieser Alters-
gruppe mit der Kinderarmut im Land abgleicht, dann
habe ich keine Zweifel, wie das Ergebnis ausfallen
würde. Das ist deprimierend.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es muss daher darum gehen, zu gesellschaftlicher
Beteiligung zu ermächtigen und sie nicht nur formal,
sondern lebenspraktisch zu ermöglichen. Das heißt, die
soziale Frage bei Kindern und Jugendlichen zu beant-
worten, also den Gedanken von Schutz und Förderung
eben nicht zu vernachlässigen, sondern in den Vorder-
grund zu stellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu benötigen wir zum Beispiel eine gut ausgebaute
soziale Infrastruktur, Kollege Koob. Das heißt, auf die
schwarze Null zu verzichten; denn die schwarze Null
und die Schuldenbremse werden dazu führen, dass wir
die Infrastruktur und ihren Wert nicht mehr erhalten kön-
nen und dass wir die soziale Infrastruktur für Kinder und
Jugendliche nicht weiter ausbauen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen kann es bei der Aufnahme von Kinder- und
Jugendrechten in das Grundgesetz auch nicht bei Beteili-
gungsrechten bleiben und kann der Schwerpunkt auf
Partizipation nicht allein der Hebel sein, um Schutz und
Förderung von Kindern und Jugendlichen zu sichern.

Der Antrag der Grünen enthält wenig Falsches. Aber
er schießt zu kurz und offenbart ein bisschen Ihre alte
Schwäche, was die soziale Frage angeht, liebe Fraktion
der Grünen. Das ist aber gar nicht dramatisch. Viel dra-
matischer finde ich den Redebeitrag des Kollegen Koob,
der offenbar nicht verstanden hat, worum es geht. Noch
dramatischer finde ich die Absetzbewegung der sozial-
demokratischen Fraktion, die in früheren Legislaturpe-
rioden und in ihrem Wahlprogramm schon sehr viel wei-
ter war. Ich finde es armselig, dass im Koalitionsvertrag
ausschließlich darauf hingewiesen wird, dass man inter-
nationale Standards – zu diesen gehört auch die UN-
Kinderrechtskonvention – berücksichtigen werde, wenn
man Normen und Standards hier im Land verändere. Wir
werden im Ausschuss die Möglichkeit nutzen, den
Antrag der Grünen zu qualifizieren. Wir stimmen insge-
samt zu.

Vielen Dank.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806624000

Das war die erste Rede des Kollegen Müller. Herzli-

chen Glückwunsch!


(Beifall)


Als nächste Rednerin hat die Kollegin Svenja Stadler
das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Svenja Stadler (SPD):
Rede ID: ID1806624100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Verehrte Gäste! Eine Studie aus Zürich
zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen fasste
kürzlich eines ihrer zentralen Ergebnisse wie folgt zu-
sammen: Kinder handeln einen Konsens aus. Sobald Er-
wachsene ins Spiel kommen, wird abgestimmt. Erwach-
sene und Kinder verstehen offenbar etwas anderes unter
Partizipation. Sie verhandeln anders und kommen auch
zu ganz anderen Ergebnissen. Wir reden zwar viel über
die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Zu oft





Svenja Stadler


(A) (C)



(D)(B)

soll sie aber nach den Regeln der Erwachsenen funktio-
nieren. Zu wenig wird sich die Mühe gemacht, die Spiel-
regeln der Kinder aufzunehmen oder die Welt aus den
Augen der Kinder und Jugendlichen zu betrachten. Bei
der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vor Ort
können wir gemeinsam dafür sorgen, in Zukunft vieles
für uns alle besser zu machen. Die Devise lautet also:
Wir müssen die Bereitschaft der Kinder und Jugendli-
chen zur Partizipation nach ihren Regeln fördern und sie
als Experten in eigener Sache ernst nehmen.


(Beifall bei der SPD)


Wir in der SPD-Fraktion setzen uns auf allen Ebenen
dafür ein, dass sich Kinder und Jugendliche besser betei-
ligen können. Dazu sind aus unserer Sicht besonders Be-
teiligungsmöglichkeiten vor Ort zentral. Wo beginnt
denn tatsächlich Partizipation von Kindern und Jugendli-
chen? Doch in ihrem unmittelbaren Umfeld, in Kitas, in
Schulen, in Vereinen sowie in Jugendorganisationen und
-zentren. Durch die Integration ihrer Interessen in das di-
rekte Lebensumfeld erfahren sie doch, dass ihre Mei-
nung zählt, dass sie ernst genommen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jugendliche sind keinesfalls politikverdrossen; das
belegen Ereignisse der letzten Zeit und zahlreiche Stu-
dien. Sie finden sich jedoch nicht in den bestehenden
Parteistrukturen wieder. Deshalb ist die Arbeit der Ju-
gendverbände von großer Bedeutung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier, in den eigenen Verbänden und selbstständigen
Strukturen, erfahren Jugendliche am besten, dass ihr
Engagement anerkannt und wertgeschätzt wird, dass sie
etwas erreichen und bewegen können. Das ist, finde ich,
Demokratieunterricht par excellence.


(Beifall bei der SPD)


Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben uns erfolg-
reich dafür eingesetzt, dass die Mittel für die Jugendver-
bandsarbeit im letzten Haushaltsjahr erhöht wurden und
dass diese Förderung auch in den kommenden Jahren an-
gemessen fortgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD)


Sie kennen doch sicher das Förderprogramm
„JUGEND STÄRKEN im Quartier“, oder? Mit dem
Programm unterstützen wir die Kommunen bei der
Durchführung von Projekten für sozial schwache
Jugendliche zwischen 12 und 26 Jahren. Durch die früh-
zeitige und weitgehende Beteiligung der Jugendlichen
an der Entwicklung von Projektideen und ihrer Realisie-
rung verbessern wir die Entwicklung der Team- und
Kommunikationsfähigkeit der Jugendlichen und stärken
ihr Selbstbewusstsein.


(Beifall bei der SPD)


Ob Jugendliche sich bei der Organisation eines Stadtteil-
festes beteiligen, ob sie gemeinsam einen neuen Spiel-
platz anlegen oder sich für ältere Menschen engagieren –
stets machen sie die Erfahrung, dass sie selbst gefragt
werden, dass sie selbst entscheiden können und dass sie
mit ihrem Engagement etwas bewirken können. Das ist
doch toll.

Es gibt weitere Beispiele wie das Bundesprogramm
„Elternchance ist Kinderchance“, um die Beteiligung
auch der Jüngsten in ihrem direkten Lebensumfeld zu
stärken. Damit werden Eltern stärker in die frühe Förde-
rung ihrer Kinder einbezogen. Zudem sind wir in enger
Abstimmung mit den Jugendverbänden bei der Ausar-
beitung eines Jugendchecks und setzen die Entwicklung
einer eigenständigen Jugendpolitik fort.


(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD])


Wir als SPD arbeiten daran, die Partizipationsrechte
von Kindern und Jugendlichen auf allen Ebenen zu stär-
ken und auszubauen.


(Beifall bei der SPD)


Das haben wir gemeinsam mit Ihnen in der rot-grünen
Koalition getan, und wir setzen es in der Großen Koali-
tion fort.


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir warten darauf! Wir freuen uns!)


Echte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
nach ihren eigenen Spielregeln stärkt die Persönlichkeit
der Kinder, eröffnet uns als Erwachsenen neue Perspek-
tiven und stärkt das Miteinander der Generationen. Las-
sen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Packen wir’s an!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806624200

Als nächster Redner hat der Kollege Paul Lehrieder

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1806624300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Herr Kollege Müller, ich darf Ihnen zu-
nächst auch von dieser Stelle aus zu Ihrer ersten Rede in
diesem Hohen Haus gratulieren. Es hat sich gezeigt: Sie
sind ein trockener Schwamm; Sie wollen noch viel
Wissen aufsaugen. Wir sind Ihnen gern dabei behilflich.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Sehr freundlich!)


Neben dem Kollegen Wunderlich sind natürlich auch
wir gern bereit, Ihr Wissen in den nächsten Wochen und
Monaten zu mehren, damit Sie in familienpolitischen
Themen noch kompetenter werden.

Meine Damen und Herren, im Deutschen Bundestag
diskutieren wir viel über den demografischen Wandel.
Der findet sich auch in der Überschrift des heutigen
Antrags. Die Folgen einer geschätzten Bevölkerungs-
abnahme von bis zu 15 Millionen Menschen bis zum
Jahr 2060, so sagt es das Statistische Bundesamt, stellen
uns vor große Herausforderungen. Deswegen ist es umso





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

wichtiger, dass jedes Kind in Deutschland seine spezifi-
schen Fähigkeiten entfalten und zur Gemeinschaft bei-
tragen kann; von der Kollegin Stadler wurde völlig zu
Recht auf die Details hingewiesen. In diesem Kontext
spielen gesellschaftliche und politische Partizipations-
möglichkeiten eine zentrale Rolle. Ja, das ist richtig. Ein
solches Engagement ermöglicht es den Jugendlichen,
soziale Kompetenz zu erwerben und an einem aktiven
Interessenaustausch mit anderen jungen Menschen teil-
zunehmen. Dadurch wird Gemeinschaft erlebbar, mit all
ihren Möglichkeiten, die Gesellschaft mitzugestalten
und zum Positiven zu verändern.

Im Allgemeinen ist das Bild der heutigen jungen Ge-
neration in der Gesellschaft jedoch oft alles andere als
positiv. Vor allem bei vielen Älteren gelten die Jugend-
lichen als antriebslos, uninteressiert und politikverdros-
sen. Doch nichts könnte weiter von der Wirklichkeit ent-
fernt liegen.


(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD])


– Ja, da darf man schon einmal klatschen. Ihr könnt auch
mitklatschen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung
vom Januar 2013 zeigt, dass Jugendliche heute ein gro-
ßes und oft zunehmendes Engagement an den Tag legen.
Im Vergleich zu den Vorjahren sind immer mehr Jugend-
liche sozial engagiert. Sie wirken in Sport-, Musik- und
Kulturvereinen mit, engagieren sich in der örtlichen Kir-
chengemeinde und interessieren sich durchaus für das
politische Geschehen.

Ähnlich wie viele Kollegen hier, habe auch ich meine
ersten Erfahrungen im gesellschaftlichen Umgang natür-
lich in einem Jugendverband, damals in der KLJB, ge-
macht. So waren viele im religiösen Bereich tätig. Sogar
bei der Grünen Jugend gibt es engagierte Jugendliche,
die dort ihre ersten Erfahrungen bei der Gestaltung der
Gesellschaft sammeln dürfen. Außerdem nutzen sie rou-
tiniert das Internet, um sich zu informieren, Gedanken
auszutauschen und sich zu organisieren. In sozialen
Netzwerken wird munter kommentiert, geteilt und dis-
kutiert. Die Jugendlichen nehmen an Umfragen teil und
schreiben selbst Blogs.

Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem
Antrag fordern Sie unter anderem die Aufnahme der
Kinderrechte ins Grundgesetz.


(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– Das Protokoll wird vermerken: Applaus eines einzel-
nen Abgeordneten. – Dieses Vorhaben hat mich und
meine Kollegen erst kürzlich im Petitionsausschuss be-
schäftigt. Unsere Position bleibt indes unverändert: Die
Grundrechte im Grundgesetz gelten für alle Bürger unse-
res Staates,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


für Babys, für Jugendliche, für Erwachsene oder für
Menschen im Ruhestand gleichermaßen. Ich frage mich,
wieso Sie in Ihrem Antrag alle anderen Gesellschafts-
gruppen diskriminieren. Immerhin sollen deren Rechte
nicht explizit ins Grundgesetz aufgenommen werden.
Aber wer weiß, vielleicht habe ich Sie mit meinen heuti-
gen Ausführungen inspiriert, und wir beschäftigen uns in
der kommenden Sitzungswoche mit Grünen-Anträgen,
in denen besondere Rechte für die genannten Gesell-
schaftsgruppen gefordert werden. Man darf gespannt
sein.

Ebenso ist die Senkung des aktiven Wahlrechts auf
16 Jahre für Bundestags- und Europawahlen eine Forde-
rung der Grünen, die immer wieder in die Legislaturpe-
riode eingebracht wird. Fakt ist jedoch, dass das BGB
und das Strafrecht jungen Menschen aus gutem Grunde
erst mit 18 Jahren die volle Verantwortung für ihr Han-
deln übertragen. Nach § 2 BGB beginnt die Volljährig-
keit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Das be-
deutet, dass man ab 18 alle Rechte und Pflichten eines
Erwachsenen hat und für sein Handeln selbst verant-
wortlich ist. Ab diesem Zeitpunkt entfallen alle rechtli-
chen Beschränkungen, die für Minderjährige gegolten
haben. Die Eltern sind nun nicht mehr die gesetzlichen
Vertreter. Damit endet auch die elterliche Sorge, die Per-
sonen- und Vermögenssorge. Mit der Vollendung des
18. Lebensjahres ist man dann voll geschäftsfähig, aber
auch voll strafmündig.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Strafmündig ist man ab 14!)


Für alle angerichteten Schäden ist man nun selbst verant-
wortlich und kann dafür zivilrechtlich belangt werden.
Mit der Volljährigkeit erlangen die jungen Menschen das
aktive und passive Wahlrecht. Von da an kann man selbst
wählen oder auch selbst gewählt werden, zum Beispiel
in den Stadtrat, aber auch in den Landtag oder hier in
den Bundestag.

Doch es war nicht immer so, dass man in Deutschland
mit dem Alter von 18 Jahren volljährig wurde. Erst am
22. März 1974 beschloss der Bundestag, die Alters-
grenze zur Volljährigkeit von 21 auf 18 herabzusetzen,
da man bereits vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres
umfangreiche Pflichten wahrzunehmen hatte. Am 1. Ja-
nuar 1975 trat die neue gesetzliche Regelung in Kraft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch
39 Jahre später beabsichtigen wir nicht, die Altersgrenze
abzusenken, weder für das Wahlrecht noch für andere
rechtliche Beschränkungen, die für Jugendliche unter
18 Jahren gelten.


(Beifall der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/ CSU])


An einer Bundestags- oder Europawahl teilzunehmen,
bedeutet nämlich auch, Verantwortung für die Wahlent-
scheidung zu übernehmen. Sollen Jugendliche nach Ih-
rem Verständnis also schon ab 16 Jahren als voll ge-
schäftsfähig angesehen werden? Welche Maßstäbe legen
Sie denn an, das Wahlalter auf 16 Jahre festzulegen?
Wieso fordern Sie denn eigentlich nicht gleich eine Ab-
senkung auf 14 Jahre?


(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ Paul Lehrieder DIE GRÜNEN]: Kommt schon noch! Im nächsten Schritt dann!)





(A) (C)


(D)(B)


Immerhin dürfen Menschen ab diesem Alter frei über
ihre Religionszugehörigkeit entscheiden.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Weil wir sie nicht überfordern wollen!)


– Danke.

Des Weiteren darf an dieser Stelle wohl auch einmal
kritisch nachgefragt werden, ob Ihr Antrag auch das pas-
sive Wahlrecht ab 16 Jahren beinhaltet; das lassen Sie
offen. Obwohl ich sehr großes Vertrauen in unsere Ju-
gend habe und allergrößten Respekt vor dem, was viele
Jugendliche bereits in jungen Jahren leisten, verwundert
es mich doch sehr, dass Sie allem Anschein nach bereit
sind, 16-Jährige als Bundestagsabgeordnete in dieses
Parlament einziehen zu lassen, und das, obwohl Sie doch
die Komplexität der Aufgaben hier im Hause sehr wohl
kennen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch Herr
Müller wird sie kennenlernen. Die Arbeit in der Opposi-
tion mag zwar weniger fordernd sein als in der Koali-
tion; dennoch glaube ich nicht, dass 16-Jährige dem ge-
wachsen wären.

Fakt ist: Wahlen sind kein Spiel. Ihr Ergebnis muss auf
einen öffentlichen, nach Möglichkeit mit rationalen Argu-
menten zu führenden Diskurs zwischen Wählern und zu
Wählenden zurückführbar sein. Das Wahlrecht setzt die Fä-
higkeit voraus, an einem solchen Kommunikationsprozess
mit einigem Verständnis teilzunehmen.


(Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das können 16-Jährige nicht?)


Ein solcher Grad an Verstandesreife kann typischerweise
bei den über 18-Jährigen leichter vorausgesetzt werden,
bei den 16- bis 17-Jährigen noch nicht in demselben
Umfang.

Meistens begründen die Grünen ihre Anträge auf Ab-
senkung des Wahlalters damit, das Interesse der Jugend
an der Politik zu wecken. Davon abgesehen, dass ein
zentraler Aspekt der freiheitlichen Demokratie nicht als
pädagogisches Hilfsmittel zum schulischen Politikunter-
richt degradiert werden sollte, sprechen Wissenschaft
und empirische Erfahrungen auf Landesebene eine an-
dere Sprache. Laut einer Studie der Universität Hohen-
heim besitzen Jugendliche unter 18 Jahren ein signifi-
kant geringeres politisches Interesse als junge Menschen
über dieser Altersgrenze. Gleiches gilt für das Verständ-
nis von politischer Kommunikation.

Die Erfahrungen auf Landesebene mit dem Wahlrecht
ab 16 sprechen ebenfalls für sich: In Sachsen-Anhalt,
das 1999 das Wahlalter absenkte, lässt sich sogar in ei-
nem Zeitraum von über zehn Jahren keine Zunahme der
Stimmabgabe von Jugendlichen unter 18 Jahren feststel-
len. Die Partizipation der unter 18-Jährigen lag zudem
durchweg unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung.
In Hessen wurde das Wahlalter nach einer Experimen-
tierphase sogar wieder auf 18 Jahre erhöht.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, besonders bezeichnend ist doch, dass sich selbst ei-
ner Ihrer eigenen Jugendverbände gegen die Senkung
des Wahlalters ausgesprochen hat.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Die sind immerhin vernünftig!)


Die „Grüne Jugend Ostalb“ in Baden-Württemberg


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


führte 2009 eine Umfrage unter 550 Aalener Schülern
durch. 58 Prozent der Teilnehmer antworteten mit Nein
auf die Frage, ob sie das Wahlrecht mit 16 für sinnvoll
halten. Ihr eigener Jugendverband folgerte – Zitat –:

Ein Großteil der Jugendlichen hält das Wahlrecht
ab 16 nicht für sinnvoll. Hier zeigt sich, dass die Ju-
gendlichen sich noch sehr unsicher fühlen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806624400

Herr Kollege Lehrieder!


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1806624500

Mehr muss ich an dieser Stelle nun wirklich nicht

mehr sagen. – Liebe Frau Präsidentin, ich habe das
Blinkzeichen zur Kenntnis genommen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806624600

Sehr schön.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1806624700

Wir werden diesen Antrag selbstverständlich mit

größtem Interesse debattieren; aber ich befürchte, dass
es schwer werden wird, ihm in einigen Wochen in letzter
Konsequenz unsere Zustimmung zu erteilen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806624800

Jetzt hat die Kollegin Walter-Rosenheimer das

Wort. – Ich bitte einfach um Verständnis dafür, dass ich
ein bisschen auf die Uhr schauen muss. Ich bitte auch
Sie, das Blinkzeichen nicht zu ignorieren, sondern von
ihm, wie es der Kollege getan hat, Notiz zu nehmen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Koob,
ich könnte Ihnen jetzt antworten; aber ich möchte auch
etwas zu unserem Antrag sagen. Deshalb nur ganz kurz:
Sie wissen schon, dass das Deutsche Kinderhilfswerk
heute in einer Pressemitteilung unseren Antrag sehr be-
grüßt und gelobt hat


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und dass im Vorstand dieses Kinderhilfswerks Ihr Frak-
tionskollege Dr. Tauber sitzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Beate Walter-Rosenheimer


(A) (C)



(D)(B)

Wir alle blicken dieser Tage 25 Jahre zurück. Und an
was denken wir? An den Mauerfall, der für ganze viele
Menschen das Leben verändert hat und der damals den
Geburtstag der UN-Kinderrechtskonvention etwas aus
dem Blickpunkt gerückt hat. Gestern haben wir dieses
Jubiläum in der Kinderkommission mit unserer Bundes-
tagsvizepräsidentin Claudia Roth und vier hochkarätigen
Experten zum Thema Kinderrechte gefeiert; Sie waren
dabei, Herr Müller. Die UN-Kinderrechtskonvention war
ein Meilenstein für die Rechte von Kindern und Jugend-
lichen; ich glaube, da sind wir alle, die wir hier sitzen,
uns einig.

Wir haben von unseren Gästen aber auch gehört, dass
es mit der Umsetzung in Deutschland ganz schön hapert.
Deutschland ist noch immer ein Flickenteppich, was
Kinderrechte angeht. Die Beteiligungsmöglichkeiten
junger Menschen in Deutschland entsprechen immer
noch nicht den Standards der UN-Kinderrechtskonven-
tion und auch nicht der EU-Grundrechtecharta, Herr
Lehrieder; das ist Ihnen, sehr geehrte Kollegen und Kol-
leginnen der Großen Koalition, sicher auch bekannt. Na-
türlich sind Sie hier gefordert. Wir möchten gern, dass
Sie endlich gesetzgeberischen Handlungswillen zeigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das tun Sie nämlich nicht, und dafür gebe ich Ihnen
auch gern ein Beispiel:

In der Antwort auf meine jüngste Schriftliche Frage,
welche Maßnahmen die Bundesregierung plant, um die
Partizipation von Jugendlichen auf Bundesebene zu stär-
ken, lese ich zwar durchaus von einem ganzen Bündel an
Maßnahmen, aber von keiner konkreten Absicht, für
klare gesetzliche Regelungen zu sorgen. Wenn in Ihrem
Haus schon so wenig konkret Gesetzgeberisches dazu
passiert, dann haben Sie doch heute den Mut und unter-
stützen Sie unseren Antrag! Das wäre doch mal was.
Kinder- und Jugendpolitik soll nicht länger eine Alibipo-
litik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem Land
sind dringend weitere konkrete Schritte notwendig.
Mehr Partizipation ist angesagt, vor allem auch deshalb,
weil wir wissen, dass davon besonders Kinder und Ju-
gendliche profitieren, die – da komme ich auf Sie zu-
rück, Herr Müller – nicht auf der Sonnenseite des Le-
bens stehen und die in irgendeiner Weise benachteiligt
sind. Sie profitieren am allermeisten von früher Partizi-
pation. Insofern haben wir sehr wohl an diesen sozialen
Gedanken gedacht.

Wir schlagen in unserem Antrag konkrete Schritte vor
wie mehr Information über die Rechte von Kindern, die
Aufnahme der Kinderrechte in die Leitbilder von Schu-
len und Kitas, Ombudsstellen, Monitoringstellen. Wir
sind für die Senkung des Wahlalters, Herr Lehrieder,
weil wir finden, dass 16-Jährige, wenn wir sie vorher gut
informieren und die politische Information an den Schu-
len ausbauen, sehr wohl imstande sind, teilzuhaben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie ist kein
Geschenk Gottes, sie ist ein ganzes Stück harte Arbeit.
Sie ist auch kein Selbstläufer, sondern muss gelernt wer-
den. Wir fangen damit bei den Kindern an. Wie zitierte
doch gestern in der Kinderkommission einer unserer Ex-
perten ein Kind, das an einer UN-Konferenz teilgenom-
men hatte, so schön: Wir Kinder sind nicht nur die Zu-
kunft. Wir sind jetzt schon da.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806624900

Als nächste Rednerin spricht Susann Rüthrich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Susann Rüthrich (SPD):
Rede ID: ID1806625000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich danke der Fraktion der Grünen für den
Anstoß, heute hier über die Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen sprechen zu können.

Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen, und zwar
aus einem wunderbaren kleinen Büchlein:

Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist,
sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu,
diese Meinung in allen das Kind berührenden An-
gelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen
die Meinung des Kindes angemessen und entspre-
chend seinem Alter und seiner Reife.

Das steht in der Konvention über die Rechte des Kindes
der Vereinten Nationen. Wir haben sie ratifiziert. Damit
ist auch dieses Kinderrecht für uns bindend. In regelmä-
ßigen Abständen wird überprüft, wie weit wir mit der
Umsetzung der Kinderrechtskonvention sind, und uns
wird regelmäßig ins Stammbuch geschrieben, dass wir
die Kinderrechte endlich ins Grundgesetz aufnehmen
sollen, weil sie sonst eben nicht verbindlich gewahrt
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Doch wie hören wir eigentlich die Meinung von Kin-
dern in den sie betreffenden Angelegenheiten, wie es in
der Konvention heißt? Hand aufs Herz, liebe Kollegin-
nen und Kollegen im Verkehrsausschuss, im Haushalts-
ausschuss und auch bei uns im Familienausschuss, in
dem die Kinder ja eigentlich zu Hause sind – wir alle
können uns angesprochen fühlen –: Wie oft haben wir
auch nur ein Kind gefragt, wie dieses entscheiden
würde?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin zutiefst da-
von überzeugt: Wenn wir die Kinder an den sie betref-
fenden Entscheidungen beteiligen, werden wir nicht nur
den Kindern gerecht. Nein, auch das, was bei den Ent-





Susann Rüthrich


(A) (C)



(D)(B)

scheidungen herauskommt, wird besser. Ich nenne ein
Beispiel; es ist einfach zu naheliegend. Ich habe zwei
Städte bei mir zu Hause vor Augen. Beide wollen einen
Spielplatz bauen.

Stadt A: Die Kinder der Grundschule malen und be-
schreiben einen tollen Spielplatz. Diesen Plan geben sie
beim Stadtrat ab. Der legt ihn zu den Akten. Er beauf-
tragt danach einen Architekten; der baut einen Spiel-
platz, seinen Spielplatz. Als dieser fertig ist, kommt die
Überraschung, die eigentlich keine ist: Die Kinder der
Grundschule nutzen den Spielplatz nicht; denn sie sagen:
Die Geräte, die da stehen, sind doch für Babys. – Ein
trauriger Spielplatz, so fast ohne Kinder.

Stadt B dagegen: Der neugewählte Bürgermeister hat
vom Stadtrat nur den Beschluss: Ja, wir bauen eine
Spielplatz. – Er hängt Zettel in die Stadt und postet auf
Facebook: Einladung zur Fahrradtour für alle Kinder der
Stadt. Er zeigt den Kindern die drei potenziellen Bau-
grundstücke. Er fragt sie, was für das eine und gegen das
andere spricht, und fragt: Was wollen wir denn da hin-
bauen? Und das gibt er dann dem Architekten. Die Kin-
der sehen einige Zeit später ihren Spielplatz. Es gingen
nicht alle Wünsche in Erfüllung. Aber es ist ein fröhli-
cher Spielplatz und die Kinder wissen nun: Sie selber
können etwas verändern. – Und sie werden es wieder
tun; denn so lernen wir: durch Tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vieles steht in Büchern, vieles versucht uns jemand
beizubringen. Aber wenn wir es nicht selbst anwenden,
ist es schneller aus dem Kopf, als es reingekommen ist,
und das Herz hat eine solche Erkenntnis erst gar nicht er-
reicht. Wir wollen, dass möglichst alle unsere Kinder
gute Menschen werden: engagiert, mitfühlend, sozial,
bereit, sich einzubringen. Dann müssen wir sie das auch
lernen lassen, indem wir sie jetzt mitmachen lassen.

Doch eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
finde ich das schon viel zu zweckgebunden; denn nicht
für einen möglichst reibungslosen späteren Zweck
müssen wir die Kinder heute beteiligen, sondern weil
jedes Kind seine eigene Welt ist, und die muss heute ih-
ren Platz bei uns haben. Dabei geht es nicht nur um
punktuelle Beteiligung, etwa beim Mittagessensplan in
der Kita, sondern um das pädagogische Prinzip, das
sich durch den gesamten Alltag zieht, damit es wirkt.

Ich selbst habe vor meinem Leben im Bundestag Zu-
kunftswerkstätten in Schulen durchgeführt. Was hatten
die Erwachsenen Sorge, dass die Kinder vielleicht gleich
den Unterricht abschaffen wollen oder sich gegen ein-
zelne Lehrerinnen und Lehrer aussprechen. Weit gefehlt!
Sie wollten ein besseres Mülltrennsystem einführen, sie
wollten einen grüneren Pausenhof, und sie wollten im
Sportunterricht auch einmal auf den Reiterhof nebenan
gehen, also nichts, was das Lernen in der Schule unmög-
lich macht; ganz im Gegenteil.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, fassen wir uns aber
an die eigene Nase. Vieles, was wir hier entscheiden, be-
rührt das Leben von Kindern. In unseren Expertenanhö-
rungen sehe ich aber so gut wie nie Kinder. Ich finde,
das sollten wir ändern. Lassen Sie uns Kinder einladen
und hören wir ihnen zu!


(Beifall bei der SPD – Beate WalterRosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das in der Kinderkommission gemacht!)


Dass wir ihnen zuhören, ist kein Recht, das sie sich er-
kämpfen müssen, sonst wäre es ja kein Recht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806625100

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese De-

batte beendet.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3151 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesausbildungsförderungs-
gesetzes (25. BAföGÄndG)


Drucksache 18/2663

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


Drucksache 18/3142


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/3143

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Sofort besser fördern – BAföG-Reform über-
arbeiten und vorziehen

Drucksachen 18/2745, 18/3142

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

BAföG-Reform zügig umsetzen

Drucksachen 18/479, 18/715





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
fünf Änderungsanträge der Fraktion Die Linke und sechs
Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor. Über zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke und zwei Änderungsanträge der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstim-
men. Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung wer-
den wir ebenfalls namentlich abstimmen. Somit werden
wir also nach der Aussprache fünf namentliche Abstim-
mungen durchführen. Das ist eine ganze Menge.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Debatte 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Debatte und gebe Frau Professor
Dr. Johanna Wanka als erster Rednerin das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrte Damen und
Herren! Das BAföG war für mich immer eine Herzens-
angelegenheit. Ich habe im letzten Jahr, als ich neu in
das BMBF kam, von Beginn an gesagt, dass es mir
wichtig ist, dass das BAföG erhöht wird, und dass ich
mich dafür engagiere – nicht zur Freude einer Reihe von
Ländern. Wir hatten schon Jahre zuvor darüber disku-
tiert. Jetzt haben wir das Gesetz auf dem Tisch liegen.
Wenn man sich dieses Gesetz anschaut und fragt: „Was
bringt denn dieses Gesetz? Was bringt es denn für die
Studierenden? Was bringt es für die Mitarbeiter? Was
bringt es für die Hochschulen?“, dann ist es etwas, was
niemand erwartet hat.


(Zurufe von der SPD: Tonanlage lauter! – Zu leise!)


– Dafür kann ich nichts. Soll ich noch einmal anfangen?


(Zuruf von der SPD: Wir wollen Sie nur hören!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806625200

Entschuldigung. Wir sagen Bescheid; das ist alles ge-

klärt.


(René Röspel [SPD]: Loben Sie noch mal die SPD für die Einführung des BAföG! – Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Redundanz ist zwar ein pädagogisches Prinzip, aber
man darf nicht übertreiben. Da Sie sich selbst loben,
muss ich das, glaube ich, an dieser Stelle nicht machen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


– War nun einmal so, ist aber auch okay.

Meine Damen und Herren, noch einmal, damit es zu
hören ist: Ich habe mich immer für das BAföG engagiert
und im letzten Jahr sehr früh gesagt – nicht zur Freude
aller Beteiligten, die ja auch mit zahlen müssen –: Wir
müssen das BAföG novellieren. Wir müssen das BAföG
erhöhen. – Jetzt haben wir das Gesetz auf dem Tisch,
und die Frage ist: Was bringt es? Was bringt es für die
Studenten? Was bringt es für die Mitarbeiter? Was bringt
es für die Hochschulen? Dieses Gesetz besagt, dass ab
dem 1. Januar 2015 – nicht in zwei Jahren, sondern in
zwei Monaten – der Bund 100 Prozent der BAföG-Zah-
lungen übernimmt. Das heißt, in den Ländern wird Geld
frei in der Größenordnung von 1,2 Milliarden Euro.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist der Hammer!)


– Das ist der Hammer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben in den Koalitionsverhandlungen darüber
diskutiert, dass wir das Problem haben, dass es in den
letzten Jahren nur im Bereich der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen, wo der Bund zum Teil zu
90 Prozent mitfinanziert, regelmäßig Steigerungen gab.
Diese gab es aber nicht in dem Bereich, für den die Län-
der verantwortlich sind, nämlich der Grundfinanzierung
der Hochschulen. Bei den Drittmitteln hat der Bund auch
sehr viel getan, gemeinsam mit den Ländern. Jetzt stehen
den Ländern 1,2 Milliarden Euro jährlich frei zur Verfü-
gung. Das ist etwas, was es ganz viele Jahre nicht gab
– ich kann mich überhaupt nicht an so etwas erinnern –:
Es fließt nicht nur frisches Geld ins System, sondern es
fließt dauerhaft Geld, mit dem Dauerstellen geschaffen
werden können. Das ist das Besondere, das Entschei-
dende.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Auch das ist der Hammer!)


Wofür macht das der Bund? In der Gesetzesbegrün-
dung steht: „insbesondere für Hochschulen“. Wenn Sie
es ganz bis zum Ende lesen, sehen Sie, was wir im Hin-
blick auf die Schulen und Hochschulen vereinbart ha-
ben. Aber auch dort steht: „insbesondere für Hochschu-
len“.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn nun? Handlungsfreiheit für die Länder oder nicht?)


Man könnte also mit diesem Geld etwas machen, wo-
rüber hier viel diskutiert wurde – das hängt jetzt aber
von den Entscheidungen in den Ländern ab –: das große
Problem angehen, das wir dadurch haben, dass wir im
Hochschulbereich viele neue junge Leute in das System
gebracht haben, etwa durch die Exzellenzinitiative.
Durch die Aufstockung haben die Länder jetzt die Mög-
lichkeit, Dauerstellen zu schaffen; denn das Geld steht
dauerhaft zur Verfügung. Jetzt kann man für diese jun-
gen Leute, wenn man es denn will, unbefristete Mitar-
beiterstellen einrichten.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommen gar nicht mehr mit dem Sammeln nach, was die alles mit dem Geld machen sollen! Schulsozialarbeit, alles!)






Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

Man hat das Geld; man hat es für immer. Man kann Juni-
orprofessuren einrichten, man kann den Tenure-Track
damit verlässlich gestalten. Es ist also, wenn man so
will, ein riesenhaftes Programm, um – Sie können ja ein-
mal ausrechnen, was man mit 1,2 Milliarden Euro ma-
chen kann – Tausende von unbefristeten Stellen zu
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man kann das Geld aber auch einsetzen, um zum Bei-
spiel Schulsozialarbeiter unbefristet einzustellen oder
anderes zu tun. Hätte ich mich entscheiden können, dann
hätte ich mich dafür entschieden, etwas für den Mittel-
bau, den Nachwuchs zu tun. Jetzt können die Länder
diese Entscheidung treffen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dürfen sie auch!)


Das ist in einem föderalen System auch vernünftig. Wir
schauen sehr interessiert hin: Wo setzt man die Schwer-
punkte? – Wenn jetzt ein Land, das immer sagt: „Wir
brauchen da mehr Stellen“, nichts von dem Geld dafür
verwendet, dann müssen wir uns zumindest wundern.

Wir haben jetzt eine Situation, die von den Hochschu-
len auch mit Sorge begleitet wird; denn die Hochschulen
verschiedener Länder wissen zum Teil nicht: Was
kommt bei uns an? Das Monitoring, das Herr Schulz
heute angesprochen hat, ist an dieser Stelle sehr wichtig.
Aber es ist eben eine Landesentscheidung, wie das Geld
verwendet wird.

Die Übernahme der Kosten des BAföG durch den
Bund bedeutet zum Beispiel: in der nächsten Legislatur-
periode 4,8 Milliarden Euro mehr – das ist von vornhe-
rein klar –, die zusätzlich in die Länder fließen, unabhän-
gig davon, wie schlecht oder gut die Finanzlage des
Bundes ist. Wenn gesagt wird – das werde ich nachher
sicherlich von links und aus der Mitte hören –, dass die
Länder das Geld brauchen, weil sie eine so schwierige
Finanzsituation haben, dann erwidere ich: Schauen Sie
sich einmal das PwC-Ranking an, in dem die Finanzsitu-
ation aller Bundesländer eingeschätzt wurde! Die
schlechteste hat der Bund. Wir haben Bundesländer, die
schon Schulden tilgen und nicht wollen und sich nicht in
der Lage sehen, im Bereich der Hochschulen Schwer-
punkte zu setzen. Deswegen ist es für mich ganz span-
nend, was in den Ländern geschieht, die jetzt die Mög-
lichkeit haben, Schwerpunkte zu setzen.

Das eine sind also die 1,2 Milliarden Euro, die den
Ländern zusätzlich zur Verfügung stehen; das andere ist
die Novelle, die 2016 in Kraft tritt, mit der es zu einer
entsprechenden Erhöhung der Bedarfssätze, zu einer Er-
höhung und Angleichung des Kinderbetreuungszuschla-
ges, zur Erhöhung der Wohnkostenzuschläge und zur Er-
höhung der Freibeträge kommt. Das muss ich Ihnen hier
nicht erzählen, das haben alle schon gesehen, darüber
haben wir schon geredet. Für mich ist die Erhöhung der
Freibeträge für die Eltern ein ganz entscheidender Punkt.
Denn ich habe folgende praktische Erfahrung gesam-
melt: Wenn jemand den vollen BAföG-Satz bekommt,
kann er sich damit einrichten; aber diejenigen, die knapp
am Anspruch auf BAföG vorbeischrammen, haben sehr
viele Nachteile, die über den Fakt, kein BAföG zu be-
kommen, hinausgehen. Deswegen ist es, glaube ich, un-
ter dem Aspekt der Bildungsgerechtigkeit ganz entschei-
dend, dass die Freibeträge für die Eltern erhöht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Man kann sagen, dass mit diesem Gesetzentwurf die
Gesamtzahl der geförderten Studierenden auf den höchs-
ten Wert seit 30 Jahren steigt und zugleich die Bildungs-
beteiligung nicht sinkt. Das ist entscheidend; denn Bil-
dungsgerechtigkeit ist eine der Baustellen, an denen wir
alle gemeinsam in dieser Legislaturperiode und darüber
hinaus arbeiten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, das Gesetz ist ganz ordentlich.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist der Hammer, das Gesetz!)


Die Anträge vonseiten der Koalition bedeuten keine in-
haltliche Änderung, sondern bedeuten, dass vier Punkte,
die wir genau so formuliert haben, vorgezogen werden.
Sie verursachen keine belastbaren Mehrkosten, sind für
die Geförderten aber schon ein Gewinn, weil sie es ein
Jahr früher haben. Diese Möglichkeit haben die Koali-
tionäre eingeräumt.

Nun wird immer gesagt – das werden wir gleich wie-
der hören –: Die vorgesehenen Änderungen bei den Be-
darfssätzen sind viel zu wenig; es ist seit 2010, 2011
oder 2012 nichts mehr passiert. – Man muss beachten,
dass bei jeder BAföG-Novelle immer prognostiziert
wird: Wie sind die Summen, die Steigerungen in den
nächsten Jahren? Wenn man jetzt sagt, wir haben die Be-
darfssätze um 7 Prozent gesteigert, dann muss man auch
sehen, dass der BAföG-Bericht Anfang dieses Jahres
analysiert hat: Wie haben sich die Nettogehälter von
2012 bis 2014 entwickelt? Um 4,9 Prozent. Wie sind die
Verbraucherpreise gestiegen? Um 3,3 Prozent. Für die
betroffenen Studierenden, die auch den Wohnkostenzu-
schlag bekommen, erhöht sich das, was sie bar haben,
auf 9,7, fast 10 Prozent. Das ist, denke ich, eine beachtli-
che Größenordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die vielen Rufe: „Es muss mehr sein!“ – natürlich, al-
les mehr –, und: „Es muss eher kommen!“, sind aus
Sicht der Betroffenen – das wird Ihnen jeder Studierende
unterschreiben – okay. Sie sind aber auch ein Indiz da-
für, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen guten Ent-
wurf vorgelegt haben. Denn wenn als Kern der Kritik
von der Opposition übrig bleibt, es sollte früher und
mehr sein, dann kann ich damit ganz gut leben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie unsere Änderungsanträge gesehen?)


– Ja, habe ich gelesen, lese ich immer, Herr Gehring. –
Und man muss sagen, dass im Bundesrat von den Red-
nern der Bundesländer kein kritisches Wort zu unserem
Teil der Novelle gefallen ist.





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind jetzt nicht mehr zuständig!)


Ein Argument, das vorgetragen wird, ist, man müsste
das jetzt automatisieren. Der Bund ist jetzt allein verant-
wortlich, also machen wir automatische Anpassungen
und reden gar nicht mehr darüber, sondern das erfolgt
wie an anderen Stellen. – Da muss ich sagen: Den politi-
schen Gestaltungsspielraum, den man gerade an dieser
Stelle hat, sollte man nicht einfach freigeben, denn Stu-
dierende haben andere Situationen. Die müssen nicht
immer an der Nettolohnentwicklung gemessen werden.
Die Studierenden haben andere Bedürfnisse, wenn zum
Beispiel das Teilzeitstudium stärker greift, und darauf
muss man reagieren können. Auch das Meister-BAföG
– nur damit das nachher keiner sagen muss; so steht es
im Gesetz – wird automatisch mit erhöht. Da ist also
keine gesonderte Regelung notwendig, sondern das ist
da schon enthalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich als Vorletztes sehe, dass die Linke in ihrem
Änderungsantrag vorgeschlagen hat, die finanzwirt-
schaftliche Entwicklung, die bisher ein Prüfkriterium
war, als solches zu streichen, dann muss ich fragen: Auf
welchem Planeten leben Sie denn? Schauen Sie sich
doch einmal an, was Sie dort, wo Sie die Verantwortung
haben, machen. Als Sie in Mecklenburg-Vorpommern in
der Regierung waren, haben Sie im Hochschulbereich
die Stellen im Mittelbau um 25 Prozent reduziert. In
Brandenburg haben Sie einen linken Finanzminister, der
das Geld, das wir für die Studierenden gegeben haben,
einkassiert und es nicht einmal an das Wissenschaftsmi-
nisterium weitergegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)


Meine Damen und Herren, ich denke, der Gesetzent-
wurf ist ein starkes Stück. Es ist ein gutes Gesetz, es ist
ein Gesetz für die Zukunft in diesem Land. Ich würde
mich freuen, wenn Sie zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806625300

Als nächste Rednerin hat Nicole Gohlke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806625400

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Jedes

Mal, wenn wir hier im Bundestag zum Thema BAföG
diskutieren, gibt es mindestens einen Redner – meist na-
türlich aus den Reihen der SPD –, der den Geist Willy
Brandts beschwört, gibt es einen oder eine, der oder die
erzählt, wie Willy Brandt als Bundeskanzler 1971 das
BAföG eingeführt hat, und der oder die auf das große
und wichtige Erbe verweist, das es heute zu bewahren
gilt.

Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
ich bin da natürlich ganz bei Ihnen: Das Bundesausbil-
dungsförderungsgesetz, das endlich jungen Menschen
aus Arbeiterhaushalten den Zugang zur akademischen
Bildung eröffnete, war eines der wichtigsten sozialen In-
strumente überhaupt.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich muss Ihnen aber auch sagen – jetzt kommt das Aber –:
Um den Geist der Reformen von 1971 zu erhalten, reicht
es natürlich nicht aus, ihn wieder und wieder zu be-
schwören und die Geschichte von damals zu erzählen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das heutige Handeln muss diesem Geist schon auch ge-
recht werden.

Mit Verlaub, Kolleginnen und Kollegen, bei dieser
BAföG-Novelle der Großen Koalition fehlt so einiges,
wenn man sie an dem sozialen Anspruch von 1971 mes-
sen möchte. Wie war das im Jahr 1971? Nachdem das
BAföG in Kraft getreten war, wurden 44,6 Prozent der
Studierenden damit gefördert. Man hatte also richtig
gute Chancen, zu den Geförderten zu gehören. Man
konnte tatsächlich vom BAföG leben und musste sich als
BAföG-Empfänger im Übrigen nicht verschulden, denn
das BAföG war ein Vollzuschuss.


(Beifall bei der LINKEN)


– Ja, für das BAföG von 1971 kann man klatschen.

Wie sieht das heute aus? 2013 haben nicht einmal
19 Prozent der Studierenden BAföG bekommen, also
nicht einmal jeder Fünfte. Ein BAföG-Empfänger, der
den Höchstsatz bekommt, ist ein noch selteneres Exem-
plar geworden.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das liegt am wirtschaftlichen Aufschwung! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das spricht doch für uns!)


Gerade einmal 7 Prozent haben 2012 den vollen BAföG-
Satz bekommen. Das BAföG ist heute leider kaum mehr
als ein Schatten seiner selbst, und das ist das Ergebnis
vieler Jahre neoliberaler Politik.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Vollkommen verfehlt!)


Es ist ein Drama, dass diese Regierung nicht bereit ist,
das von Grund auf zu korrigieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt hat die Große Koalition ihre BAföG-Novelle
mit sehr wohlklingenden Etiketten versehen. Ich gebe
zu, bei Frau Wanka klang es gerade nicht ganz so eu-
phorisch. Sie hat, glaube ich, von „ganz ordentlich“ ge-
sprochen.


(Lachen der Abg. Dr. Claudia Lücking-Michel [CDU/CSU])


Das ist nicht ganz so enthusiastisch, wie es im Gesetz-
entwurf selber etikettiert worden ist. Dort heißt es „sub-





Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)

stanziell“ und „nachhaltig“; so nennen Union und SPD
ihre Reform.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich weiß, dass es zum politischen Geschäft gehört, sich
selbst und das eigene Handeln möglichst positiv zu
labeln.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oder schlechtzureden, wie Sie das machen!)


Aber man sollte es nicht übertreiben, vor allem wenn es
eben nicht zur Sache passt.

„Substanziell“, das wäre zum Beispiel der Fall, wenn
das BAföG den Bedarf abdecken würde. Aber das von
der Regierung vorgesehene Plus bei den Bedarfssätzen
gleicht nicht einmal die Preissteigerungen der letzten
Jahre aus. Die Anhebung der Wohnkosten, die Sie vor-
nehmen wollen, liegt bereits jetzt, zwei Jahre bevor die
Novelle überhaupt in Kraft tritt, 50 Euro unter dem, was
Studierende im echten Leben für die Miete hinblättern
müssen. Ihre ganze Reform soll überhaupt erst in zwei
Jahren in Kraft treten. Das ist weder substanziell noch
nachhaltig, das ist Verschleppung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


„Nachhaltig“ hätten Sie Ihre Reform dann nennen
dürfen, wenn Sie endlich eine automatische Anpassung
der Bedarfssätze an die Preisentwicklung ins BAföG
eingebaut hätten, sodass wir nicht alle paar Jahre um
Prozentpunkte feilschen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Genau so, wie das die Große Koalition bei der Abgeord-
netendiät erst vor wenigen Monaten beschlossen hat.


(Zuruf von der LINKEN: Genau! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gut, dass Sie die nicht kriegen!)


Aber bei den eigenen Diäten flutscht ohnehin so einiges,
was ansonsten ganz mühsame Prozesse sind. Die Abge-
ordnetendiäten wurden 2012 um 3,5 Prozent erhöht,
2013 um 4 Prozent, 2014 um 5 Prozent, und 2015 sollen
sie noch einmal um 4,8 Prozent steigen. Insgesamt
kommen wir Abgeordnete in vier Jahren auf eine Diäten-
erhöhung um 18,5 Prozent. Das BAföG wurde in dersel-
ben Zeit gar nicht erhöht, und das finden Sie kein
Problem? Manchmal bekommt man leider den Eindruck:
Wären die Kinder der Abgeordneten auf das BAföG an-
gewiesen, gäbe es heute wahrscheinlich eine wirkliche
Erhöhung.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: So billig! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was ist denn das für ein Populismus jetzt? Was war das jetzt? Das ist ja wie Lafontaine!)


Die Linke hat das, was eine nachhaltige und substan-
zielle Reform wäre, in fünf guten Änderungsanträgen
zur Abstimmung vorgelegt. Wir wollen, dass die
BAföG-Sätze und die Freibeträge sofort um 10 Prozent
erhöht werden. Wir wollen endlich die automatische An-
passung des BAföG an die Lebenshaltungskosten. Wir
schlagen vor, dass das BAföG wieder zum Vollzuschuss
umgebaut wird, damit sich junge Menschen nicht erst
verschulden müssen. Wir beantragen, dass Schülerinnen
und Schüler wieder gefördert werden können, auch
wenn sie noch bei ihren Eltern wohnen, und dass
Migrantinnen und Migranten und junge Geflüchtete
bereits nach drei Monaten Aufenthalt gefördert werden
können und nicht erst 15 Monate nachdem sie das
Asylverfahren durchlaufen haben mit ihrem Leben be-
ginnen können.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten zur
Abwechslung unseren Änderungsanträgen einmal zu-
stimmen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Mit Sicherheit nicht!)


Das wäre nicht nur substanziell und nachhaltig, das wäre
auch überaus sympathisch.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806625500

Als nächster Redner hat der Kollege Oliver

Kaczmarek das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt wird es sachlich!)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1806625600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte wieder auf den Gesetzentwurf zurückkom-
men.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wer von uns sich von der gesellschaftlichen Wirkung
des BAföG ein realistisches Bild machen will, dem emp-
fehle ich, die BAföG-Beratung aufzusuchen; denn dort
laufen die Studierenden mit ihren Fragen auf. Ich hatte
kürzlich die Gelegenheit, den Infopoint vom Studenten-
werk Dortmund besuchen zu können. Mit welchen Fra-
gen kommen die jungen Leute dorthin? Das sind zum
Beispiel junge Menschen, die unsicher sind, weil sie
nicht wissen, was sie an der Hochschule erwartet, die
vielleicht auch die ersten aus ihrer Familie sind, die eine
Hochschule besuchen, oder junge Menschen, die aus Fa-
milien kommen, deren erste Sorge nicht war, den akade-
mischen Weg der Kinder zu bestimmen. Es kommen
auch viele Studierende aus Migrantenfamilien. Es
kommt also eine ganze Reihe von Menschen, von denen
wir wissen, dass sie es an der Hochschule ohnehin schon
am schwersten haben. Mit dem BAföG gewährleisten
wir hier ein Stück materielle Sicherheit. Es ist eine poli-
tische Errungenschaft, dass das BAföG diesen Men-
schen Sicherheit gibt und ihnen das Studium ermöglicht.





Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es geht hier auch um bildungs- und sozialpolitische
Grundsatzentscheidungen. Ich will eine aktuelle Debatte
kurz streifen. Die Frage ist: Was gibt Sicherheit im
Studium, und was schafft Unsicherheit im Studium?
Konzentrieren wir uns dabei auf diejenigen, die von zu
Hause nicht unbedingt das Geld zum Studieren mitbrin-
gen. Eine materielle Basis schafft Sicherheit – darum
muss man sich als Student dann schon nicht mehr küm-
mern –, und Unsicherheit wird auch durch materielle
Unsicherheit geschaffen. Man fragt sich deshalb, was
einige Hochschulrektoren derzeit antreibt, die Debatte
über Studiengebühren wieder aufzuwärmen. Das ist das,
was bei den Studierenden für Unsicherheit sorgt. Die
Studiengebühren sind abgeschafft worden, weil die
Menschen das demokratisch so entschieden haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Den Studiengebühren muss man nicht nachweinen. Das
BAföG schafft mehr Sicherheit für junge Menschen, die
ein Studium aufnehmen wollen, und ich bin froh, dass
die Große Koalition das heute mit diesem Gesetzentwurf
bekräftigt und für mehr Chancengleichheit eintritt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir verfolgen drei große Ziele – ich will sie kurz an-
sprechen –:

Erstens. Wir wollen, dass das BAföG substanziell er-
höht wird. Ich glaube, eine siebenprozentige Erhöhung
von Bedarfssätzen und Freibeträgen, die Erhöhung der
Wohnpauschale, die Erhöhung der Hinzuverdienstgren-
zen, die Erhöhung und Vereinheitlichung des Kinder-
zuschlags, das sind tatsächlich substanzielle Fortschritte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man dann noch bedenkt, dass ab dem Jahr 2016
110 000 junge Menschen zusätzlich gefördert werden,
dann ist klar, dass dies ein deutlicher Schritt nach vorne
ist. Deswegen sage ich: Diese BAföG-Erhöhung kann
sich sehen lassen. Sie steht in einer Reihe mit anderen
großen Reformen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens. Wir wollen das BAföG strukturell moder-
nisieren. Ich glaube, dass uns das an einigen Punkten
gelungen ist. Mit dieser Novelle gehen wir auf Verände-
rungen in der Studienorganisation ein; endlich wird die
Förderlücke zwischen Bachelor- und Masterstudiengän-
gen geschlossen. Wir gehen auf Internationalisierungs-
aspekte des Wissenschaftsstandortes ein, indem Men-
schen, die aus dem Ausland zu uns kommen, einen
verbesserten Zugang zum BAföG bekommen. Im
Übrigen profitieren von dieser Regelung nicht nur dieje-
nigen, die BAföG bekommen, sondern davon profitiert
auch der gesamte Wissenschaftsstandort, weil er interna-
tionale Impulse bekommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, das kommt im Konzert der vielen Programme,
die wir auflegen, manchmal ein bisschen zu kurz.

Das BAföG rückt mit dieser Novelle näher an die
Lebens- und Studienrealität junger Menschen heran. Wir
entbürokratisieren das BAföG, und wir unternehmen
erste Schritte in Richtung einer größeren Familien-
freundlichkeit. Das ist unser Ziel. Wir können die
Lebensrealität natürlich nicht eins zu eins abbilden, aber
wir kommen ihr ein deutliches Stück näher. Die Bot-
schaft von heute ist, dass die Studierenden sich darauf
verlassen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Wir setzen ein deutliches Signal für Investi-
tionen in Bildung. Der Bund ist jetzt alleine für das
BAföG verantwortlich. Das ist gut. Das erspart uns
politisch das schaurige Schauspiel von früher, als von
fehlenden Angeboten oder vermeintlichen Blockaden
geredet wurde. Das können wir jetzt alleine und, glaube
ich, auch repolitisiert thematisieren. Ich will das kurz in
Zahlen verdeutlichen: Wir mobilisieren im Bundeshaus-
halt ab sofort – die Ministerin hat es gerade gesagt –
1,2 Milliarden Euro pro Jahr. 3,5 Milliarden Euro erhal-
ten die Länder, um ihrerseits in Bildung, Betreuung und
Wissenschaft investieren zu können. Ab 2016 mobilisie-
ren wir jedes Jahr 2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich kenne nur ganz wenige
Gesetze, die wir hier verabschiedet haben, bei denen so
viel Geld mit einer Entscheidung bewegt wird. Deswe-
gen ist diese Reform substanziell.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das verbessert die Studienbedingungen und ist ein klares
Bekenntnis der Großen Koalition für Zukunftsinvestitio-
nen, für Investitionen in die Bildungs- und Chancen-
gleichheit, und zwar sowohl im Bund wie auch in den
Ländern.

Vielleicht noch einen Satz dazu: Im Moment sind
viele Vorschläge im Umlauf, was die Länder mit diesem
Geld alles machen können. Die Ministerin hat gerade ei-
nige Punkte genannt. Einige Vorschläge konnten wir
auch in der Zeitung nachlesen. Ich glaube, wir sollten
uns darauf verständigen, dass wir darauf vertrauen, dass
die Länder dieses Geld jetzt richtig einsetzen. Wir sind
wirklich der Meinung, die Länder sollen das entschei-
den. Lassen Sie uns die Latte nicht zu hoch hängen. Im
Haushaltsausschuss werden wir ein Monitoring bekom-
men. Die Ergebnisse dieses Monitorings können wir
dann wieder zugrunde legen. Ich denke, wir sollten jetzt
nicht dazu übergehen, in jeder Debatte zu sagen: Die
Länder können das Geld nicht richtig ausgeben. – Wir
haben gerade das Grundgesetz geändert und eine neue
Kooperationskultur festgeschrieben. Ich bin sicher, dass
wir mit dieser BAföG-Reform einen Schritt in diese
richtige Richtung gehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)






Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte noch einen Satz zum Meister-BAföG los-
werden. Tatsächlich steigen – das ist gerade angespro-
chen worden – die Bedarfssätze und Freibeträge in glei-
chem Umfang. Das ist in den Gesetzen so festgelegt. Wir
müssen uns aber darüber hinaus einigen Herausforderun-
gen stellen. Es gibt Veränderungen in den Berufsbio-
grafien und Lebensläufen derjenigen, die über das
Meister-BAföG gefördert werden, die wir noch nicht ab-
gebildet haben. Deswegen werden wir als Koalition das
Meister-BAföG in dieser Wahlperiode noch anfassen.
Wir reden deshalb nicht nur über die Gleichwertigkeit,
sondern dokumentieren das auch in unserem Handeln.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Eine Anmerkung noch: Wir haben hier häufig das
Struck’sche Gesetz zitiert. Es ist in diesem Gesetzge-
bungsverfahren nicht nur zitiert, sondern auch ange-
wandt worden. Es hat einen sehr guten Gesetzentwurf
der Bundesregierung gegeben. Es ist uns gelungen, im
Beratungsverfahren – weil es ein ernst gemeintes Bera-
tungsverfahren war – einige Punkte vorzuziehen, die
sich jetzt unmittelbar und schneller auf die Alltagserfah-
rungen der Studierenden auswirken können als der Rest
des Gesetzes. Ich möchte an dieser Stelle allen Beteilig-
ten dafür danken, dass der Weg dafür im Sinne der Stu-
dierenden freigemacht worden ist.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wir müssen das BAföG immer wieder an der Lebens-
realität der Studierenden und an der Realität des Stu-
diums neu messen; aber wir können auch sagen, dass wir
mit dieser 25. BAföG-Änderungsnovelle einen erhebli-
chen Beitrag dazu geleistet haben, das BAföG substan-
ziell zu erhöhen und strukturell zu modernisieren. Des-
wegen kann man diesem Gesetz mit ruhigem Gewissen
und überzeugt zustimmen. Darum bitte ich Sie.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806625700

Als nächster Redner spricht Kai Gehring.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sag doch mal was Nettes! – Heiterkeit)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806625800

Frau Präsidentin, liebe Ministerin a. D.! Meine sehr

geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Geht doch! – Heiterkeit)


– Genau! Das muss jetzt mit den Nettigkeiten reichen. –
In der über 40-jährigen Geschichte des BAföG bringt die
25. BAföG-Novelle ein Novum. Der Bund wird ab 1. Ja-
nuar 2015, also in sieben Wochen, für das BAföG alleine
zuständig sein. Die BAföG-Reform der Koalition
beglückt also zuallererst die Länder, die entlastet wer-
den. Schüler und Studierende müssen aber bis zum Win-
tersemester 2016/2017 weiter warten. Sie als Koalition
stecken die jüngere Generation in die Warteschleife. Wir
können das nicht hinnehmen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sagen Nein, wenn Ihr Gesetzentwurf so bleibt;
und wir sagen Ja zu unseren BAföG-Änderungsanträ-
gen. Das sollten Sie als Große Koalition auch tun, denn
Sie haben ja jetzt zu 100 Prozent den Gestaltungsauftrag
für das BAföG.

Nach vier Jahren ohne BAföG-Erhöhung verordnen
CDU/CSU und SPD Schülerinnen und Schülern sowie
Studierenden zwei weitere Jahre Nullrunden. Ganze
zwölf Semester ohne BAföG-Erhöhung, das hat Chan-
cen blockiert. Dies ist durch nichts zu rechtfertigen. Das
BAföG muss heraufgesetzt werden, und zwar sofort!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Lebenshaltungskosten, vor allem Mieten und Ne-
benkosten, sind deutlich gestiegen. Das spüren Studie-
rende, wenn das Geld schon aufgebraucht, der Monat
aber noch lang ist. Darum beantragen wir eine angemes-
sene Erstattung der tatsächlichen Wohnkosten, gestaffelt
entlang den regionalen Durchschnittsmieten. Darum be-
antragen wir hier heute im Parlament, das BAföG um
10 Prozent statt um 7 Prozent zu erhöhen, und zwar zum
nächstmöglichen Semester; denn das BAföG muss zum
Leben und zum Lernen reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Freibeträge müssen um 10 Prozent statt um
7 Prozent steigen, damit überhaupt mehr junge Men-
schen BAföG erhalten, statt weiter massenhaft aus der
Förderung und dem Berechtigtenkreis herauszufallen.
Der Anteil der BAföG-Empfänger gehört nicht ge-
schrumpft, sondern er gehört ausgeweitet, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Damit neuerliche Warteschleifen, welche die Koali-
tion hier heute beschließen will, künftig nicht mehr vor-
kommen, brauchen wir auch mehr Verlässlichkeit. Wir
brauchen beim BAföG eine dynamische, regelmäßige
und automatische Anpassung der Bedarfssätze und Frei-
beträge. Das schützt vor Regierungswillkür und bringt
Verlässlichkeit. Wir beantragen das deshalb heute auch.
Auch die SPD hat es einmal gefordert. Sie können da
gerne mitstimmen.

Die 25. BAföG-Novelle kommt nicht nur zu spät und
ist halbherzig, die Koalition produziert auch neue Unge-
rechtigkeiten. Beispiel eins: Bei BAföG und Berufs-
ausbildungsbeihilfe planen Sie unterschiedliche Zugangs-
möglichkeiten für EU-Bürger. Die Gleichwertigkeit
von beruflicher und akademischer Bildung ist für Union
und SPD an dieser Stelle reines Lippenbekenntnis. Wir
sagen: Azubis aus der EU sollen Berufsausbildungsbei-
hilfe erhalten können und damit einen Rechtsanspruch





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

auf eine Förderung. Auch hierzu liegt ein Änderungsan-
trag von uns vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beispiel zwei. Es ist mir unverständlich, dass Flücht-
lingen nach drei Monaten das Arbeiten erlaubt wird,
Flüchtlingen, die studieren, aber erst nach 15 Monaten
BAföG gewährt wird. Wir brauchen endlich eine Politik,
die zügig in alle Talente und alle Potenziale investiert
und selbstverständlich auch in die der Flüchtlinge. Des-
wegen liegt auch hierzu ein Änderungsantrag von uns
vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit der 25. BAföG-Novelle handeln Sie in Zeiten des
Fachkräftemangels ökonomisch kurzsichtig. Sie verzö-
gern Bildungsaufstieg für viele, und Sie verzögern die
überfällige soziale Öffnung der Hochschulen.

Liebe Abgeordnete von Union und SPD, schieben Sie
die BAföG-Erhöhung nicht länger auf die lange Bank,
sondern ziehen Sie sie vor. Stimmen Sie unseren Vor-
schlägen und Änderungsanträgen zu. Andernfalls wer-
den bis zum Inkrafttreten in zwei Jahren mehrere Zehn-
tausend junge Menschen aus dem Kreis der BAföG-
Berechtigten herausfallen. Das kann niemand ernsthaft
wollen. Die junge Generation braucht jetzt ein klares Ja
für eine unverzügliche Reform des BAföG. Denn BAföG
muss zum Leben und zum Lernen reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806625900

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Stefan

Kaufmann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1806626000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Vor 23 Jahren habe ich in Tü-
bingen einen BAföG-Antrag gestellt. Das war mit enorm
viel Papierkram verbunden, und ich musste monatelang
auf eine Entscheidung warten. Es gab bis zur Entschei-
dung kaum Übergangsgeld. Damals sagte ich mir: Das
geht besser. Heute, 23 Jahre später, wird es besser. Ich
bin dankbar, dass ich dabei mithelfen konnte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ab 1. August 2016 wird es ein obligatorisches On-
lineantragsverfahren geben. Es wird schon bei vorläufi-
ger Zulassung zum Master BAföG geben. Die Voraus-
zahlung während der Wartezeit auf die Zulassung wird
erhöht. Der Maßstab war auch für mich im Rahmen die-
ser Diskussion über die BAföG-Reform immer: Was
hilft den Studierenden eigentlich wirklich? Der Kollege
Kaczmarek hat dies auch angedeutet. Wenn man sich
dies fragt, ist ganz schnell klar: Es geht nicht nur um die
Erhöhung der Bedarfssätze. Es geht vielmehr um Büro-
kratieabbau und um Vereinfachung. Es geht um Be-
schleunigung und Planbarkeit. Das sind die Meilensteine
dieser BAföG-Reform, und das, lieber Kai Gehring, las-
sen wir uns nicht schlechtreden, auch nicht von der Op-
position.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der andere Leitgedanke dieser BAföG-Reform lautet:
Wie bekommen wir mehr bedürftige junge Menschen in
die Förderung? Dazu gibt es zwei Wege: zum einen die
Erleichterung bei der Antragstellung – das erhöht die
Zahl der Antragsteller; es nehmen ja nicht alle BAföG in
Anspruch, die es dürften – und zum Zweiten – das hat
die Ministerin gesagt – die signifikante Erhöhung der
Freibeträge. Das hilft insbesondere den Mittelstandsfa-
milien. Die Prognose besagt, lieber Kai Gehring, dass
diese Novelle über 110 000 mehr junge Menschen in die
BAföG-Förderung bringen wird. Das ist ein Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt lassen Sie erst einmal 60 000 aus!)


Deshalb freue ich mich, dass wir heute in zweiter und
dritter Lesung eine große dreistufige BAföG-Reform
verabschieden. In langer Detailarbeit haben wir diese
große Reform in den letzten Jahren ausgearbeitet. Diese
Reform im Umfang von 2 Milliarden Euro – das wurde
jetzt gesagt – kann sich wirklich sehen lassen. In sieben
Wochen – auch das wurde gesagt – werden durch diese
Reform in den Ländern nun 1,17 Milliarden Euro jähr-
lich für Bildung frei, und zwar für Schulen und Hoch-
schulen.

Damit könnten wir den Grundetat aller Hochschulen
inklusive Fachhochschulen um satte 5 Prozent erhöhen,
oder wir könnten – das ist ein Punkt, der der Ministerin
auch sehr wichtig war – Dauerstellen für Nachwuchs-
wissenschaftler schaffen. Auch dieses Thema begleitet
uns hier schon eine ganze Weile. Alternativ könnten wir
Schulen mit IT ausstatten oder zusätzliche Lehrer ein-
stellen. Das Beste: Dieses Geld ist nicht befristet oder an
ein Programm gebunden, nein, es steht den Ländern dau-
erhaft zur Verfügung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist aber nur die erste Stufe der Reform. Auf eine
zweite Stufe haben wir uns hier im Parlament im Rah-
men der Ihnen auch vorliegenden Änderungsanträge bei
der Gesetzesberatung geeinigt. Ich zähle es noch einmal
auf:

Erstens. Die Vorauszahlungen bei nicht kurzfristig zu
bearbeitenden Erstanträgen werden wir auf 80 Prozent
des jeweils zustehenden Förderungsbetrages erhöhen.

Zweitens. Die Förderung von Masterstudierenden
wird bereits ab einer zunächst nur vorläufigen Zulassung
zum Studium unter Rückforderungsvorbehalt ermög-
licht.





Dr. Stefan Kaufmann


(A) (C)



(D)(B)

Drittens. Die Studierenden haben Anspruch auf eine
Vorabentscheidung über die Förderungsfähigkeit eines
geplanten Masterstudiums dem Grunde nach.

Viertens. Wir streichen den Leistungsnachweis vor
dem dritten Semester.

Diese zweite Stufe der Reform, die keine zusätzlichen
Kosten verursacht, werden wir zum 1. August 2015 vor-
ziehen. Erste Erleichterungen kommen den Studierenden
damit schon im nächsten Wintersemester zugute. Zum
Wintersemester 2016/17 zünden wir dann die dritte Stufe
der Reform, und das ist ein wahres Feuerwerk an Ver-
besserungen; das wurde hier schon gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der LINKEN)


– Ja, das ist ein Feuerwerk an Verbesserungen. Das ist
ein Hammer! Das kann man wirklich so sagen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau, ein Hammer ist das!)


Ich zähle auf: Anhebung der Bedarfssätze und der
Freibeträge um 7 Prozent, für auswärts wohnende Stu-
dierende sogar Höchstsatzsteigerungen um fast 10 Pro-
zent auf 735 Euro monatlich, Erhöhung des Wohngeldes
auf 250 Euro monatlich, Anhebung des Vermögensfrei-
betrages auf 7 500 Euro, Anhebung des Kinderbetreu-
ungszuschlags auf einheitlich 130 Euro, Schließung der
Förderlücke zwischen Bachelor- und Masterstudium,
und für die Minijobber wird die Hinzuverdienstgrenze
auf 450 Euro angehoben. Wir stärken Mobilität und
Internationalität durch die Umsetzung von EuGH-
Entscheidungen. Hinzu kommen Maßnahmen zur Ent-
bürokratisierung, Verfahrenserleichterungen, auch das
Thema „Onlineanträge für alle“ und vieles mehr. Das
elektronische Antragsverfahren war mir auch persönlich
besonders wichtig. Wir verpflichten die Länder, die elek-
tronische Antragstellung bis zum 1. August 2016 zu er-
möglichen. Das, meine Damen und Herren, ist mehr als
überfällig und ein richtig großer Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Rupprecht [CDU/ CSU]: Das ist der Hammer!)


Insgesamt bedeutet die dritte Stufe der Reform für die
Studierenden weitere 825 Millionen Euro pro Jahr zu-
sätzlich, und das auf Dauer.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie überschlagen sich im Schönreden!)


– Lieber Kai Gehring, 825 Millionen Euro pro Jahr, und
das auf Dauer: Wenn das eine kleine Reform ist, dann
weiß ich es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Lieber Kai Gehring, in diesem Punkt sind wir unter-
schiedlicher Meinung.

Das sind beeindruckende Investitionen in Hochschu-
len und Schulen durch die CDU-geführte Bundesregie-
rung. Da soll mal einer erzählen, die schwarze Null blo-
ckiere alles. Sie blockiert nichts. Diese Koalition kann
beides.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ziehen Sie die Reform doch vor! Vor lauter schwarzer Null müssen die Studierenden zwei Jahre warten!)


Wir können solide haushalten und in Bildung und For-
schung investieren. Das ist zukunftsorientierte Politik,
die den jungen Menschen und damit uns allen in
Deutschland hilft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen Bildungspoliti-
ker, haben wir jahrelang gekämpft.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ziehen Sie die Reform doch vor!)


Nun ist das eine gemeinsame Leistung der CDU/CSU
und unseres Koalitionspartners, der SPD. Ich danke Frau
Ministerin Wanka und Staatssekretär Rachel für die her-
vorragende Vorbereitung.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu denjenigen sagen,
die ein Haar in der Suppe finden. Ja, natürlich wird auch
diese Reform nicht alles perfekt machen; keine Reform
macht alles perfekt. Aber sie ist ein großer Wurf und ein
großer Fortschritt im Hinblick auf die Chancengerech-
tigkeit in Deutschland, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Weitergehende Forderungen gibt es natürlich immer;

sie wurden hier heute ja auch schon benannt. Wir neh-
men diese auf dem Weg zu einer neuen BAföG-Reform
gerne mit, die wir dann – ohne die Länder; darüber hat-
ten wir gesprochen – in Eigenregie planen können. Da
geht es dann zum Beispiel um die Berücksichtigung des
Ehrenamtes und um die Anforderungen an das BAföG
im Lichte des lebensbegleitenden Lernens.


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

Zum Vorschlag der Grünen noch ein letztes Wort.

Lieber Kai Gehring, Ihr Vorschlag, den Wohnkostenzu-
schlag regional zu verändern, ist undurchdacht; denn
auch der Standort einer Universität ist beim Werben um
Studierende ein Faktor. Bei Ihrem Vorschlag würden
Studierende in München deutlich mehr BAföG erhalten
als Studierende in Essen. Das entspricht jedenfalls nicht
meinen Vorstellungen von Chancengleichheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der muss ja auch eine viel höhere Miete zahlen! Das ist gerecht!)


Jetzt wollen wir sehen, meine Damen und Herren,
was die Länder mit diesem gigantischen finanziellen Pa-
ket für die Bildung in wenigen Wochen anfangen. Ich
kann nur sagen: Die Schüler und Studierenden haben es
verdient. Zusätzliche Investitionen in Bildung zahlen
sich immer aus. Wie sagt man so schön? Es gibt nur ei-
nes, das teurer ist als Bildung, nämlich keine Bildung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Dr. Stefan Kaufmann


(A) (C)



(D)(B)

Wir jedenfalls, Herr Kollege Kaczmarek, werden die
Länder bei der Umsetzung ganz genau beobachten.
Denn es muss schon für jeden nachvollziehbar sein, wel-
che Prioritäten eine Landesregierung setzt, wenn es um
die Übernahme der Mittel geht. Sich in die Büsche
schlagen, das gibt es, jedenfalls aus unserer Sicht, nicht
mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir von der Regierungsko-
alition zeigen heute, dass wir Leistung bringen und zu
unserem Wort stehen. Jetzt sind die anderen am Zuge.

In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen,
freue ich mich über unsere große dreistufige BAföG-Re-
form, die sich wirklich sehen lassen kann. Ich bin ge-
spannt, ob die Kolleginnen und Kollegen der Opposition
bei der nachfolgenden Abstimmung über ihren Schatten
springen und zustimmen; denn es gibt objektiv keinen
Grund, gegen diese BAföG-Reform zu stimmen.

Danke sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unseren Änderungen zu!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806626100

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin

Saskia Esken das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1806626200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das in der Kanz-
lerschaft von Willy Brandt eingeführte BAföG hat in sei-
ner Geschichte die Bildungsbiografie unzähliger junger
Menschen geprägt und sie unabhängig vom Geldbeutel
der Eltern gemacht. Es schafft damit Chancengerechtig-
keit und ist ein existenzieller Teil des deutschen Bil-
dungssystems. Darauf können wir mit Stolz zurückbli-
cken.


(Beifall bei der SPD)


Aber die Kollegin Gohlke hat natürlich recht: Wir
müssen das BAföG immer wieder für die Zukunft fit ma-
chen, und das tun wir mit dieser Reform. Für die SPD ist
das BAföG deshalb ein ganz besonderes Anliegen, weil
wir das sozialdemokratische Versprechen des Aufstiegs
durch Bildung immer wieder einlösbar machen wollen.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Rahmen eines Fachgesprächs meiner
Fraktion das Vorhaben mit Betroffenen und Sachverstän-
digen diskutiert, einige der Beteiligten sitzen heute auf
der Tribüne. So stelle ich mir die Einbeziehung der Zi-
vilgesellschaft in die politische Arbeit vor. Wir freuen
uns über Ihr Interesse und einen weiteren regen Aus-
tausch.

(Beifall bei der SPD)


Auf zwei mir wichtige Punkte der BAföG-Reform
möchte ich eingehen. Zum einen ist es mir besonders
wichtig, dass wir endlich nach acht langen Jahren die
Freibeträge beim Einkommen, die Bedarfssätze und die
Wohnzuschläge substanziell erhöhen. Das war Zeit;
denn viele Familien waren in diesen Jahren durch gestie-
gene Einkommen aus dem Kreis derer, die BAföG bezie-
hen können, herausgefallen, obwohl ihre Lebenshal-
tungskosten in mindestens gleicher Höhe gestiegen
waren.

Mit der Erhöhung der Einkommensgrenze um 7 Pro-
zent können jetzt mehr als 110 000 zusätzliche junge
Menschen BAföG erhalten; der Kollege Kaufmann hat
es gesagt. Durch höhere Bedarfssätze und Zuschläge
können sie ihre Lebenshaltung wieder besser bestreiten.
Insgesamt 500 Millionen Euro mehr fließen pro Jahr in
die Verbesserung des BAföG. Mehr Geld, mehr Geför-
derte, mehr Bildungsgerechtigkeit – das ist ein wichtiges
Ergebnis dieser Novelle.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum anderen war es unser Ziel, das BAföG an die ge-
änderte Lebenswirklichkeit der Menschen anzupassen.
Mich freut es als Vertreterin des Ausschusses Digitale
Agenda in diesem Haus besonders, dass die BAföG-An-
tragstellung in Zukunft durchgängig über das Internet er-
folgen soll, also da, wo die jungen Leute zu Hause sind.
Dabei ist es wichtig, dass in den Ländern kompatible
Systeme oder, noch besser, sogar nur ein System entwi-
ckelt wird; denn die Mobilität von Studierenden darf
nicht durch neue, künstliche Ländergrenzen gebremst
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beispielhaft sehen wir an dem Onlineantrag das Po-
tenzial von E-Government, also von digitalen Nutzungs-
angeboten und Verfahren von Verwaltungen und Behör-
den. Ein BAföG-Antrag ist sehr umfangreich, und es
müssen dafür zahlreiche Nachweise erbracht werden.
Allzu oft ist der per Post verschickte Antrag unvollstän-
dig. Das erfährt der Antragsteller erst und kann darauf
reagieren, wenn der Antrag geprüft und per Post wieder
zurückgeschickt worden ist. Das entspricht nicht unserer
modernen Zeit. In einem Onlineverfahren kann die Prü-
fung auf formale Vollständigkeit schon beim Ausfüllen
erfolgen. Das Programm kann dem Antragsteller dann
sofort Rückmeldung geben, welche Angaben und wel-
che Nachweise fehlen.

Aber auch das Verwaltungsverfahren kann durch die
Onlinebearbeitung wesentlich vereinfacht und verbessert
werden. Denken wir an mehrstufige Bearbeitungen
durch unterschiedliche Beteiligte, eine Wiederaufnahme
oder Urlaubs- und Krankheitsvertretungen. All das wird
in einem elektronischen Verfahren wesentlich verein-
facht.

Der Onlineantrag vereinfacht das Leben der jungen
Menschen, die auf das BAföG angewiesen sind. Er ver-





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)

einfacht auch die Arbeit der Menschen, die das BAföG
beim Studentenwerk bearbeiten. Anwenderfreundlich-
keit und Optimierung von Verwaltungsvorgängen: Wir
sehen beim BAföG beispielhaft, wie die Digitalisierung
dem Menschen hilft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806626300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgeset-
zes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3142,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/2663 in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegen insgesamt elf Änderungsanträge vor. Zu
zwei Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke und zu
zwei Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen wurde namentliche Abstimmung verlangt. Nach
den daran anschließenden einfachen Abstimmungen
über die sieben verbleibenden Änderungsanträge werde
ich die Sitzung unterbrechen. Nach der Auszählung wird
die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung erfolgen. Hierfür ist ebenfalls namentliche
Abstimmung verlangt.

Wir werden also zu diesem Tagesordnungspunkt ins-
gesamt fünf namentliche Abstimmungen durchführen.
Deshalb bitte ich Sie um etwas Geduld, aber auch um
Disziplin – wenn ich das so sagen darf. Sonst zieht sich
das Ganze sehr lange hin.

Wir kommen zur Abstimmung über die vier Ände-
rungsanträge, zu denen namentliche Abstimmung ver-
langt wurde.

Zunächst Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/3177. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men, falls das noch nicht geschehen ist. – Sind alle
Plätze an den Urnen besetzt? – Das scheint der Fall zu
sein. Damit eröffne ich die erste namentliche Abstim-
mung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen.

Wir kommen nun zur zweiten namentlichen Abstim-
mung, der Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3181. Auch hier
bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze an den Urnen einzunehmen. Sind die Plätze
besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die zweite
namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3181.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.

Wir kommen jetzt zur dritten namentlichen Abstim-
mung: über den Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3182. Auch hier
bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder
ihre Plätze an den Urnen einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die dritte
namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3182. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Wir kommen jetzt zur vierten namentlichen Abstim-
mung, zur Abstimmung über den Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3183.
Es gilt das gleiche Verfahren wie üblich. Sind die
Schriftführerinnen und Schriftführer an den Plätzen? –
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie
schon darauf hinweisen, dass wir im Anschluss an diese
vierte namentliche Abstimmung eine ganze Reihe nicht
namentlicher Abstimmungen haben. Danach gibt es die
Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf, die wiede-
rum namentlich ist. Bitte berücksichtigen Sie das bei Ih-
rer Abendplanung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass es im An-
schluss an die weiteren Abstimmungen, die wir jetzt
gleich beginnen werden, noch eine namentliche Abstim-
mung gibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bleiben Sie jetzt
bitte nicht an den Urnen stehen, sondern setzen Sie sich,
weil wir jetzt eine größere Zahl von Abstimmungen
durchführen werden; sonst kann ich nicht beurteilen, wie
das Abstimmungsergebnis ist. – Liebe Kolleginnen und
Kollegen, auch zu fortgeschrittener Stunde bitte ich Sie
jetzt noch einmal ausdrücklich, die Plätze einzunehmen.

Wir kommen zunächst zu drei weiteren Änderungsan-
trägen der Fraktion Die Linke, über die ich jetzt abstim-
men lasse.

Zunächst komme ich zum Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3178. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Ko-
alition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.

Ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/3179. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition
abgelehnt worden bei Zustimmung der Linken und Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen.

Ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/3180. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann
ist dieser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Zustimmung der Linken.

Wir kommen jetzt zu vier weiteren Änderungsanträ-
gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3184 abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stim-
men der Koalition abgelehnt worden bei Enthaltung der
Linken und Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen.

Ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/3185. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
dieser Änderungsantrag ebenfalls mit den Stimmen der
Koalition abgelehnt worden bei Enthaltung der Linken
und Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen.

Ich komme zum nächsten Änderungsantrag, Drucksa-
che 18/3186. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
auch dieser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke und bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen.
Ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/3187. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Ko-
alition abgelehnt worden bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
noch etwas warten, nämlich bis die Ergebnisse der na-
mentlichen Abstimmungen vorliegen. Deshalb unterbre-
che ich die Sitzung kurz. Wir werden die Sitzung bei
Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmun-
gen wieder aufnehmen.1)


(Unterbrechung von 20.34 bis 20.38 Uhr)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806626400

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Vielen Dank an diejenigen, die die Auszählung so
schnell durchgeführt haben! Ich gebe jetzt die von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Er-
gebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt.

Erste namentliche Abstimmung; Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3177. Hier sind abgegeben worden
580 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 53, mit Nein ha-
ben gestimmt 527, 0 Enthaltungen. Der Änderungsan-
trag ist damit abgelehnt worden.

1) Ergebnisse siehe Seiten 6262 B, 6265 A, 6267 B
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon

ja: 53
nein: 527

Ja

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann

(Zwickau)


Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Zweite namentliche Abstimmung; Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3181. Hier wurden abgegeben 578
Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 54, mit Nein haben 468
gestimmt, enthalten haben sich 56 Kollegen. Damit ist
auch dieser Änderungsantrag abgelehnt worden.





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 579;
davon

ja: 53
nein: 470
enthalten: 56

Ja

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(B)

Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Dritte namentliche Abstimmung; Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3182. Hier wurden wiederum 576
Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 55, mit
Nein haben gestimmt 467, enthalten haben sich 54. Da-
mit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt worden.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon

ja: 55
nein: 467
enthalten: 54

Ja

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Enthalten

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Vierte namentlichen Abstimmung; Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3183: Abgegeben wurden 580 Stim-
men. Mit Ja haben gestimmt 56, mit Nein haben ge-
stimmt 470, enthalten haben sich 54 Kollegen. Auch die-
ser Änderungsantrag wurde damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 578;
davon

ja: 56
nein: 469
enthalten: 53

Ja

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Enthalten

DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)






Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf der Drucksache 18/2663 in der Aus-
schussfassung. Wer dem Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zustimmen will, den bitte ich um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken
angenommen worden.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Es
handelt sich wieder um eine namentliche Abstimmung.
Das Procedere kennen ja alle. Deshalb frage ich gleich:
Sind die Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mit-
glied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht
abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 13 b:
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „So-
fort besser fördern – BAföG-Reform überarbeiten und
vorziehen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3142,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/2745 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 13 c. Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „BAföG-Reform
zügig umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/715, den Antrag
der Fraktion die Linke auf Drucksache 18/479 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt gegen die Beschlussempfehlung? – Enthaltungen?
– Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Klaus Ernst, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

1) Ergebnis Seite 6282 A
Einstieg in den Ausstieg – Sanktionen gegen
Russland aufheben

Drucksache 18/3147
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält
Wolfgang Gehrcke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806626500

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Ich denke, wir könnten, wenn sich die
Kollegen der SPD und der CDU/CSU ein bisschen mehr
zutrauen würden, gemeinsam feststellen, dass die Sank-
tionen gescheitert sind und dass die Sanktionen bisher
nichts Vernünftiges gebracht haben. Das wissen Sie alle.
Sie trauen sich nur nicht, das zuzugeben.


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Sie wissen es auch besser! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


Ich will Ihnen dafür auch ein paar Argumente nennen.

Erstes Argument. Das Verhältnis zu Russland war in
den letzten 20 Jahren noch nie so schlecht, wie es heute
ist. Nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges gab es ein
so schlechtes Verhältnis zu Russland.


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Warum wohl? – Zurufe von der SPD)


– Ja, das war ja ein Teil der sozialdemokratischen Poli-
tik. „Wandel durch Annäherung“ war ja nicht meine
Politik; das war Ihre. Dazu stehen Sie ja bloß nicht mehr.


(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Völkerrecht!)


Wenn man wirklich Sicherheit und Stabilität in
Europa will, muss man ein anderes, besseres Verhältnis
zu Russland herstellen. Dazu wäre ein erster Schritt, dass
man sagt: Wir bauen nicht mehr auf Sanktionen, sondern
wir suchen den Ausstieg aus den Sanktionen, genauer:
den Einstieg in den Ausstieg. Wir haben es ja vorsichtig
formuliert. Sie müssen ja nicht gleich alles aufheben.


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Genau falsch!)


Ich möchte Ihnen ein zweites Argument nennen.
Durch Ihre Politik ist Putins Position in Russland so sta-
bil wie nie zuvor mit Zustimmungsraten von über
80 Prozent. Eigentlich müsste Putin Ihnen ein Dank-
schreiben für das schicken,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da verzichten wir drauf!)






Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

was Sie ihm an Ansehen und Resonanz im eigenen Land
verschafft haben.

Mein drittes Argument ist – da muss man auch genau
hinschauen –: Die Ukraine ist tief gespalten, und die Ge-
fahr wird immer größer, dass sich auch andere Teile der
Ukraine aus dem staatlichen Verbund herauslösen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Propaganda! Wie immer bei den Linken!)


Wenn man das nicht will, muss man für die Ukraine ei-
nen anderen Weg aufzeigen. Ich sage Ihnen noch einmal:
Die Ukraine darf nicht Bollwerk sein, sondern die
Ukraine muss Brücke zu Russland werden. Es ist unbe-
dingt notwendig, einen solchen Schritt zu gehen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806626600

Herr Gehrcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806626700

Ja, gerne.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806626800

Bitte.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806626900

Verehrter Kollege Gehrcke, Sie haben gerade davon

gesprochen, dass Sie eine andere Ukraine haben möch-
ten. Jetzt könnte ich Ihnen natürlich unterstellen – wir
kennen uns ja ein bisschen –, dass zu dieser anderen
Ukraine oder überhaupt zu Ihrem Bild, wie ein Staat sich
positiv entwickeln sollte, die politische Präsenz von
kommunistischen Parteien gehört oder zumindest ein
Beitrag ist, wenn nicht sogar der eigentlich entschei-
dende.

Sie und Ihre Kollegen haben hier im Deutschen Bun-
destag und auch in den Ausschusssitzungen immer wie-
der kritisiert, dass die Kommunistische Partei in der
Ukraine nicht zu den Wahlen zugelassen werden sollte.
Das dortige Verfassungsgericht hat aber den Ausschluss
verhindert, und die Kommunistische Partei hat an den
Wahlen teilgenommen. Sie hat die Fünfprozenthürde lei-
der knapp verpasst, weil die Wähler in den Bollwerken
der Partei, in Luhansk und Donezk, nicht abstimmen
konnten.

Ich frage Sie: Sind Sie bereit, Wladimir Putin zu kriti-
sieren – und damit wirklich deutlich zu machen, dass Sie
sich von seiner Politik distanzieren –, der nicht dafür ge-
sorgt hat, dass die Kommunistische Partei bei den an-
geblichen Wahlen in den sogenannten Volksrepubliken
Donezk und Luhansk antreten konnte? Im Gegensatz
zum angeblich faschistischen Kiew, wo die Kommunis-
tische Partei bei den Wahlen antreten durfte, konnte man
bei den von Separatisten angesetzten Scheinwahlen in
Donezk und Luhansk die Kommunistische Partei nicht
wählen, weil sie dort nämlich gewählt worden wäre.
Sind Sie bereit, sich von diesem Vorgehen in aller
Schärfe zu distanzieren?

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Natürlich nicht!)


Sind Sie bereit, zu sagen: „Ich bin mehr Kommunist, als
dass ich Putin verteidige“?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806627000

Ich will Ihnen zwei Antworten darauf geben.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zwei gleich?)


– Ja, zwei gleich. – Die erste Antwort ist: Bei den Wah-
len herrschte ein unglaublich schlechtes Klima. Es kam
zur persönlichen Bedrohung von Leuten, die für die
Kommunistische Partei kandidieren wollten. Sie waren
überhaupt nicht mehr in der Lage, eigene Versammlun-
gen und Veranstaltungen durchzuführen; das ist für einen
Wahlkampf nie gut. Dass drei Tage nach diesen Wahlen
das Verbotsverfahren gegen die Kommunistische Partei
wieder eröffnet worden ist, halte ich für einen extremen
Fehler.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Sie kriegen ja Ihre Antwort.

Die zweite Antwort. Dass die Kommunistische Partei
in Donezk nicht kandidieren konnte, bedaure ich sehr;
das halte ich für einen großen politischen Fehler. Egal,
ob Putin oder wer auch immer dafür verantwortlich ist:
Wenn man da schon solche Wahlen und Abstimmungen
durchführt, hätte ich es gerne gehabt, dass alle politi-
schen Kräfte, die wollen, auch kandidieren können.
Dann hätten die Kommunistische Partei und andere kan-
didieren können; dann hätte das Ergebnis mehr Substanz
und Aussagekraft gehabt. Das gehört auch zur Antwort
dazu.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben auch erwartet, dass Sie von mir solch eine
Antwort kriegen.

Ich will Ihnen noch ein Argument dafür anführen,
dass die Sanktionen gescheitert sind. In Russland treffen
die Sanktionen nicht die Oligarchen;


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Na, na!)


sie leben nach wie vor nicht schlecht bzw. sehr gut. In
Russland treffen die Sanktionen die einfachen Men-
schen. Sie finden sie in den Metrostationen, wo sie ver-
suchen, sich aufzuwärmen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vor allem, weil von Russland Gegensanktionen getroffen werden!)


In Deutschland werden durch die Sanktionen immer
mehr Arbeitsplätze und auch die Wirtschaft gefährdet.
Ich will Ihnen ehrlich sagen: In der ganzen Zeit, in der
ich im Bundestag war, hatte ich noch nie so viel Besuch
von Unternehmerinnen und Unternehmern, die – ange-
sichts dieser Frage – Interesse an der Politik der Linken
haben.





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Nennen Sie einen Namen!)


Die Linke ist auch für die Unternehmer, für den Ost-
Ausschuss der Deutschen Wirtschaft ein Partner im Hin-
blick auf eine andere und vernünftige Europa- und
Deutschlandpolitik geworden.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darauf bin ich ein Stück weit stolz. Sie müssen sich be-
mühen, wieder dorthin zu kommen.


(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


– Nehmen Sie doch mal Fakten zur Kenntnis.


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Nein! Das sind keine Fakten!)


Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die Betriebsräte
vieler Betriebe gerade des Maschinenbaus höchst verun-
sichert sind im Hinblick darauf, was mit ihren Arbeits-
plätzen passiert. Auch das gehört zu den Ergebnissen der
Sanktionen. In Deutschland ist es nicht besser geworden,
in Russland ist es nicht besser geworden. Das möchte ich
gern geändert sehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte Ihnen gerne noch zwei Argumente vortra-
gen.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich weiß, dass es manchmal schwer ist, so etwas zu ak-
zeptieren.


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: In der Tat!)


– Ja, das weiß ich doch. – Ich habe die Rede von
Gorbatschow, seine öffentlichen Einlassungen, seine
Warnungen, dass wir wieder zum Kalten Krieg zurück-
kehren, sehr ernst genommen, gerade weil ich
Gorbatschow gut kenne und ich mich oft auch kritisch
mit ihm auseinandergesetzt habe.


(Beifall bei der LINKEN)


Da sind wir ja ganz komisch: Eine Zeit lang war es „un-
ser Gorbi“; alle haben geklatscht und gejubelt. Jetzt hat
er uns einmal die Leviten gelesen, und jetzt ist es nicht
mehr „unser Gorbi“, sondern der frühere sowjetische
Parteiführer, der gegeißelt wird und dem man eine Ab-
fuhr erteilt. Ich finde, man hätte Gorbatschow ganz an-
ders behandeln und seine Kritik ernst nehmen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie schon Gorbatschow nicht ernst nehmen,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie:
Ähnliches können Sie von drei ehemaligen Vorsitzenden
Ihrer Partei hören. Helmut Schmidt, Matthias Platzeck
und Gerhard Schröder – alle bedauern, dass man zu einer
Politik des Kalten Krieges zurückgekehrt ist.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806627100

Herr Gehrcke, lassen Sie noch einmal eine Zwischen-

frage zu?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806627200

Ja, gerne. Von wem? – Omid, prima.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806627300

Herr Kollege, Sie haben gerade Gorbatschow zitiert.

Gorbatschow hat unzweifelhaft riesige Verdienste auch
um die deutsche Einheit. Aber das bedeutet ja nicht, dass
man alles, was er sagt, richtig finden muss. Deshalb will
ich Sie fragen, ob Sie auch richtig finden, dass
Gorbatschow dieser Tage wiederholt hat, dass er es völ-
lig richtig findet, dass die Krim annektiert worden und
nun ein natürlicher Bestandteil der russischen Republik
sei.

Außerdem würde mich interessieren – weil Sie es bis-
her nicht gesagt haben –, ob Sie nun, nachdem die Wahl-
ergebnisse in der Ukraine so waren, wie sie waren, und
nachdem Swoboda unter 5 Prozent und der rechte Sektor
unter 2 Prozent gerutscht sind, Abstand von der These
nehmen, dass es in Kiew jetzt eine faschistische Macht-
übernahme gegeben habe.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806627400

Gut, ich werde Ihnen zunächst einmal die Frage zu

Gorbatschow beantworten. Man muss nicht alles akzep-
tieren, was ein Mensch – auch mit den Verdiensten
Gorbatschows – sagt. Man muss sich aber auch offen da-
mit auseinandersetzen.


(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Aha!)


Wenn Gorbatschow sagt, er habe Sorge, dass Europa
wieder in den Kalten Krieg zurückkehrt, halte ich das für
die sehr ernsthafte Aussage eines Mannes, der ein sol-
ches Lebenswerk vollbracht hat, dass man das ernst zu
nehmen und sich mit dieser Aussage auseinanderzuset-
zen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, er hat recht: Wir kehren zum Kalten Krieg zu-
rück. Und genau das möchte ich verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt will ich Ihnen etwas zu dem rechten Sektor sa-
gen.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Krim!)


Also zur Krim: Ich war immer der Auffassung, dass
das Vorgehen Russlands auf der Krim völkerrechtswid-
rig ist. Das habe ich in Russland immer gesagt. Ich darf
meine russischen Kollegen ja nicht nach Deutschland
einladen; denn sie sind hier gelistet worden. Russische
Abgeordnete dürfen noch nicht einmal Deutschland be-
treten. Das ist das, was wir unter Dialog verstehen.

Das habe ich in Russland immer gesagt: Das Vorge-
hen auf der Krim war genauso völkerrechtswidrig wie





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

das Vorgehen im Kosovo. Wenn wir das eine nicht kriti-
sieren, dann haben wir bei dem anderen ganz schlechte
Karten.


(Beifall bei der LINKEN)


Von Ihnen habe ich noch kein Argument gehört, dass das
Vorgehen im Kosovo völkerrechtswidrig war.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war gegen den drohenden Völkermord!)


Zum rechten Sektor in der Ukraine: Mich hat das sehr
entsetzt und besorgt, was an faschistischen Positionen,


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die haben aber verloren!)


an Gewalt, an faschistischer Symbolik da aufgetaucht
ist. Mich hat das Vorgehen der sogenannten Freiwilli-
genbataillone besorgt. Das sind Mörderbanden in der
Ostukraine. Ich bin froh, dass Swoboda und andere Na-
ziparteien nicht wieder hineingekommen sind.


(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Aber schauen Sie sich einmal die Zusammensetzung
der Abgeordneten der Volksfrontpartei von Jazenjuk und
anderen an. Da finden Sie diese ganzen rechten Figuren
wieder, und das kritisiere ich genauso.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Entwicklung nach rechts muss man entgegentre-
ten.

Ich bitte Sie sehr: Wir beantragen einen Einstieg in
den Ausstieg. Lassen Sie uns zumindest für einen Mo-
ment innehalten und uns überlegen, ob wir uns da nicht
anders benehmen können. Könnten wir nicht sagen – wir
müssten es EU-weit regeln –, russische Abgeordnete
sollten wieder nach Deutschland und in andere EU-Län-
der kommen können?


(Beifall bei der LINKEN)


Sollte es hier nicht endlich ein Treffen des Auswärtigen
Ausschusses des Bundestages mit dem Auswärtigen
Ausschuss des russischen Parlamentes geben? Dann
kann man über die Fragen ja streiten und diskutieren.
Sollten wir nicht eine solche Geste an den Tag legen
– mehr ist es ja nicht –, mit der gezeigt wird, dass wir
über eine andere Politik nachdenken?

Ich finde, wir sollten hier auch darüber nachdenken,
ob man nicht die Sanktionen zumindest erst einmal in ei-
nigen Bereichen zurücknimmt, was auch zum Vorteil der
deutschen Wirtschaft und der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer wäre. Ich würde Sie bitten, mit uns min-
destens ernsthaft darüber zu diskutieren, ob die Sanktio-
nen im Bereich des Maschinenbaus zurückgenommen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Mich stimmt die Frage sehr besorgt, ob nicht ein
neuer Krieg im Donezk vor der Tür steht. Vieles spricht
dafür, dass es zu einem neuen Krieg um das Gebiet kom-
men könnte. Das wäre das Letzte, was wir uns in Europa
leisten können. Ich möchte Sie bitten, zumindest in die-
ser Frage mit uns gemeinsam zu agieren, damit diese
Kriegsgefahr ausgeschaltet wird.

Danke sehr.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1806627500

Als nächster Redner hat der Kollege Manfred Grund

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1806627600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es sprach zu uns der Genosse Wolfgang
Gehrcke,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jawohl!)


erster Sekretär der Hauptabteilung für Desinformation
und Propaganda bei der Deutschen Kommunistischen
Partei, gestählt und argumentativ geschult durch viele
Studienaufenthalte in der Sowjetunion bzw. in Moskau.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig! Und?)


Ich will den im Zusammenhang mit dem „Rechten
Sektor“ gemachten Vorwurf des Nationalismus und der
faschistischen Symbolik aufgreifen. Ich habe bei Itar-
Tass, einer der russischen Nachrichtenagenturen, eine
Aussage von Wladimir Putin sowohl auf Russisch als
auch auf Deutsch gefunden. Ich lese Ihnen vor, was
Wladimir Putin über Goebbels gesagt hat. Putin zitiert
Goebbels: Je größer die Lüge, desto schneller wird sie
geglaubt. Er sagte weiter über Goebbels: Er erreichte
seine Ziele, denn er war ein sehr talentierter Mensch. –
Falls Sie des Russischen noch mächtig sind, Herr Kol-
lege,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nein, bin ich leider nicht!)


würde ich Ihnen diesen Artikel gerne geben. – Nur so
viel dazu, was alles zurzeit unter Faschismus subsumiert
wird und als argumentative Waffe eingesetzt wird.

In diesen Tagen hat der Hitler-Stalin-Pakt einen pro-
minenten Verteidiger gefunden: Wladimir Putin hat die-
sen Pakt als Beispiel sowjetischer Friedenspolitik ge-
würdigt. Putin stellt sich damit in die Tradition deutsch-
russischer Großmachtpolitik ohne Rücksicht auf das
Schicksal anderer Völker und Staaten.

Denn was war der Hitler-Stalin-Pakt? Der Hitler-
Stalin-Pakt hat den Zweiten Weltkrieg in Europa einge-
leitet. Vor allem aber war der Hitler-Stalin-Pakt das
schlimmste Beispiel einer Verständigung von Groß-
mächten zulasten der Schwächeren in Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)

Das eigentliche Ziel des Paktes war die Aufteilung Ost-
und Mitteleuropas. Der trügerische Frieden, die Verstän-
digung zwischen Russland und Deutschland, wurde er-
kauft mit dem Krieg gegen Polen, dem sowjetischen
Krieg gegen Finnland, der gewaltsamen Einnahme und
Unterdrückung der baltischen Länder und Bessarabiens.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Geschichtsstunde!)


– Ja, Geschichtsstunde. Das ist notwendig.


(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)


Wenn sich Putin in diese Tradition stellt, zeigt er nur,
dass er eine wirklich unabhängige Ukraine nicht akzep-
tieren kann, nicht akzeptieren will. Eine unabhängige
Ukraine, die sich frei entscheidet, sich der Einfluss-
sphäre von Moskau zu entziehen, muss nach dieser Lo-
gik bekämpft, kleingehalten und destabilisiert werden.
Russen und Ukrainer sind beides Slawen, slawische Völ-
ker; aber, Herr Kollege Gehrcke, die Ukrainer sind nicht
die Sklaven Russlands.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Die gesamte Friedensordnung, die zuerst in Westeu-
ropa nach dem Zweiten Weltkrieg und in Gesamteuropa
mit dem Helsinki-Prozess und dem Zerfall der Sowjet-
union geschaffen wurde, beruht auf einer fundamentalen
Absage an genau diese Logik, die nur die Ansprüche der
großen Mächte gelten lässt. Die Prinzipien der Respek-
tierung von Grenzen und nationaler Souveränität gilt es
zu verteidigen, auch und gerade in der und für die
Ukraine.

Von Anbeginn der Krise in der Ukraine haben wir mi-
litärische Maßnahmen ausgeschlossen. Das Mittel, das
uns, das der Weltgemeinschaft bleibt, sind Sanktionen.
Wir haben diese Sanktionen verantwortungsbewusst und
gezielt eingesetzt: nicht zuerst gegen die Bevölkerung,
sondern gegen diejenigen, die die Verantwortung für die
Aggression in der Ukraine tragen und daran verdienen.
Dabei haben wir in Kauf genommen, dass manche unse-
rer Sanktionen nicht unmittelbar, sondern erst mit der
Zeit wirken. Aber sie wirken, und sie wirken zuneh-
mend.

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat ein
Staat in Europa Gebiete eines Nachbarstaates zuerst be-
setzt und dann annektiert.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Was war beim Kosovo?)


– Das war im Kosovo nicht so gewesen. – Zum ersten
Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat ein Staat in Europa
ohne jegliche Konsultationen mit den Vereinten Natio-
nen oder anderen internationalen Partnern und ohne jeg-
liche vorherige Vermittlungsbemühungen eine gewalt-
same Sezession in einem Nachbarland gefördert, wenn
nicht gar veranlasst, und das auch noch mit einer Inva-
sion der eigenen Streitkräfte auf dessen Territorium.
Nur wenn Russland damit aufhört, die Ukraine wei-
terhin zu destabilisieren, können wir unsere Sanktionen
zurückführen. Bisher haben sich alle Zugeständnisse,
einschließlich derer in Minsk, als reine Kosmetik von-
seiten Russlands herausgestellt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Die Minsker Vereinbarungen – ohnehin eine Konzession
der Ukraine unter dem Druck russischer Waffengewalt –
sind längst wieder gebrochen worden, und zwar einsei-
tig. Die territoriale Integrität der Ukraine wurde durch
die Anerkennung der Wahlfarce in den separatistischen
Gebieten im Osten der Ukraine seitens Russlands erneut
verhöhnt. Der Waffenstillstand im Osten der Ukraine ist
nicht nur brüchig; er wird systematisch unterlaufen – mit
fortgesetzter Unterstützung Russlands für die Rebellen.
Unverhohlen drohen die Rebellen in Donezk und
Lugansk mit der Eroberung weiterer Gebiete der
Ukraine. Und was sagt Russland zu alldem? Es hat
schon mal eine Landkarte gezeichnet von „Novaja Ros-
sija“, von Neurussland, unter Einschluss der Ost- und
Mittelukraine, bis nach Odessa und bis nach Transnis-
trien.

Wir haben unsere Sanktionen wegen eklatanter Brü-
che des Völkerrechts verhängt. Russland hingegen setzt
seit Jahren und bis auf den heutigen Tag wirtschaftliche
Sanktionen gegen seine Nachbarstaaten ein. Es tut dies
nicht nur ohne jede Rücksicht auf die Bevölkerung; es
tut dies auch aus rein politischen Gründen, um russische
Interessen durchzusetzen, und es bedient sich dabei aller
möglichen Erklärungen und Vorwände:

2006 verhängte Moskau ein Embargo für den Import
von Wein und Mineralwasser aus Georgien. Offizielle
Begründung: Gesundheitsstandards. Weitere Sanktionen
folgten unter anderen Vorwänden. Der wirkliche Grund:
Russland wollte Georgien für seinen Westkurs abstrafen.

Zugleich verhängte Russland ein Embargo für den
Import moldauischer Weine. Offizielle Begründung lau-
tete wieder: Gesundheitsstandards. Der wirkliche Grund:
Moskau wollte Moldau abstrafen, nachdem es die russi-
schen Pläne zur Lösung des Transnistrien-Konfliktes ab-
gelehnt und sich stärker der EU zugewandt hatte.

Ebenfalls 2006 stoppte Russland die Öllieferungen an
Litauens einzige Raffinerie. Offizielle Begründung:
Schäden an der Pipeline. Der wirkliche Grund: Russland
wollte den Verkauf der Raffinerie an ein polnisches Un-
ternehmen verhindern.

Bereits 2005 verhängte Russland ein Embargo für den
Import von Fleisch aus Polen. Offizielle Begründung:
Qualitätsstandards. In Wirklichkeit ging es um die kriti-
sche Haltung Polens gegenüber Russland.

Seit 2013 ist wieder ein russisches Verbot zum Import
von moldauischen Weinen in Kraft. Kaum hatte Moldau
das Assoziationsabkommen mit der EU ratifiziert, ver-
hängte Russland ein weitgehendes Handelsembargo. Of-
fizielle Begründung: Gesundheitsstandards. Aber wir
alle wissen: Es geht nur darum, Moldau für seinen pro-
europäischen Kurs zu bestrafen.






(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806627700

Herr Kollege, es gibt einen Wunsch nach einer Zwi-

schenfrage oder Zwischenbemerkung von dem Abgeord-
neten Dr. Neu von der Fraktion Die Linke. Möchten Sie
das zulassen?


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1806627800

Ja.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806627900

Bitte schön.


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806628000

Herr Kollege Grund, es ist Ihnen ja bekannt, dass die

Verschärfung der Wirtschaftssanktionen nicht allein mit
Blick auf die Banken und Oligarchen vorgenommen
wurde, sondern die Wirtschaftssanktionen mit dem Ab-
schuss der MH17 in Verbindung gebracht worden sind.
Nun ist bis heute immer noch nicht bewiesen – es gibt
eine Behauptung des BND, aber auch da gibt es wider-
sprüchliche Aussagen –, dass Russland oder die Auf-
ständischen dahinterstecken. Das heißt, es hat eine Sank-
tionsverschärfung auf Grundlage der Behauptung
gegeben, Russland stecke dahinter, direkt oder indirekt,
was aber bis heute nicht bewiesen ist. Mit anderen Wor-
ten: Sind Sie der Auffassung, dass die Verschärfung der
Sanktionen gerechtfertigt ist, obwohl man nach rechts-
staatlichen Kriterien bis heute immer noch nicht bewei-
sen kann, dass Russland direkt oder indirekt dafür ver-
antwortlich ist? Sind Sie dieser Auffassung, ja oder
nein?


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1806628100

Herr Kollege Neu, bis zum Abschuss der MH17 gab

es überhaupt keine Sanktionen gegen Russland. Erst mit
dem Abschuss sind Sanktionen diskutiert und in Kraft
gesetzt worden.

Zurzeit gibt es Ermittlungen über den Abschuss der
MH17; sie liegen in holländischer Hand. Das Problem
ist, dass das Abschussgebiet im Bereich der Separatisten
liegt, ständig beschossen wird und die holländische Er-
mittlungsgruppe es bis heute nicht gewagt hat, sich die
letzten Trümmerstücke anzusehen. Hinzuzufügen ist,
dass noch nicht einmal alle Leichenteile von den Separa-
tisten an Holland überstellt worden sind.

In den letzten Tagen berichteten investigative Journa-
listen – vielleicht haben Sie es verfolgt –, dass sie nach
ihren Untersuchungen davon ausgehen, dass im Gegen-
satz zu dem, was bisher angenommen worden ist, auch
von unserem Bundesnachrichtendienst, die MH17 von
einer Buk russischer Bauart, genommen aus russischen
Beständen, abgeschossen worden ist. Nach diesen Unter-
suchungen wäre Russland viel stärker als bisher als Ver-
antwortlicher ausgemacht. Ich vermute, dass über diese
Ermittlungsergebnisse in den nächsten Tagen in der brei-
ten Öffentlichkeit diskutiert wird. Vielleicht nehmen wir
uns dann noch einmal Zeit, uns darüber zu unterhalten,
wer ein Interesse daran gehabt hat, diese MH17, ein zivi-
les Flugzeug, in 10 000 Meter Höhe abzuschießen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das möchte ich auch wissen, wer ein Interesse daran gehabt hat!)


Meine Damen und Herren, den russischen Standard
für Sanktionen habe ich eben anhand der von mir aufge-
zählten Beispiele erklärt. Russland wird wegen eklatan-
ter Verletzung des Völkerrechtes sanktioniert, nicht we-
gen Unbeständigkeit oder weil es nicht dem folgt, was
der Westen Russland vorgibt. Vielmehr verletzt Russ-
land Völkerrecht. Bevor wir unsere Sanktionen gegen-
über Russland zurücknehmen, wäre es vielleicht ange-
zeigt, dass zunächst Russland seine willkürlichen
Sanktionen gegenüber seinen Nachbarn beendet.

Was ist mit den Rechten der Ukrainer, der Moldauer,
der Georgier und der baltischen Staaten? Haben diese
Nationen nicht das gleiche Recht auf Respekt, Nichtein-
mischung, freie Entwicklung und freie Entscheidung,
das Russland für sich in Anspruch nimmt? Ich möchte
klarstellen: Wir wollen ein gutes Verhältnis zu Russland.
Ich sage nicht, dass Russland alles falsch gemacht hat.
Auch sage ich nicht, dass wir alles richtig gemacht ha-
ben.

Ich habe mich oft genug für ein besseres Verständnis
und ein Entgegenkommen gegenüber Russland ausge-
sprochen. In diesem Konflikt geht es aber nicht mehr nur
um unterschiedliche Interessen, auch nicht mehr nur um
die Frage, wie wir einen besseren Ausgleich zwischen
diesen Interessen herstellen können, sondern es geht um
eine fundamentale Differenz zwischen Macht und Recht
in den internationalen Beziehungen.

Russland hat sich in der Vergangenheit immer wieder
selbst auf völkerrechtliche Prinzipien wie territoriale
Unversehrtheit und nationale Souveränität berufen, so in
Tschetschenien oder im Kosovo. Es hat diese Prinzipien
aber de facto in der Vergangenheit immer wieder unter-
laufen, wenn dies – wie in Abchasien, Südossetien oder
Transnistrien – den eigenen Interessen entsprach. In der
Ukraine hat Putin dieses Prinzip der territorialen Integri-
tät jetzt aber mit der Leichtigkeit eines Hasardeurs über
Bord geworfen.

Herr Präsident, ich sehe, meine Redezeit geht lang-
sam zu Ende.


(Zuruf von der LINKEN: Endlich!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806628200

Das ist nicht falsch, die ist schon zu Ende.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1806628300

Die ist schon zu Ende. – Wir sehen also zurzeit keinen

Anlass, die Sanktionen zurückzunehmen. Ich hatte, Herr
Kollege Gehrcke, nach den Berichten, die heute in allen,
auch den internationalen, Medien zu lesen sind, nämlich
dass Russland mit militärischen Einheiten in Richtung
Ostukraine unterwegs bzw. dort angekommen ist, eigent-
lich vermutet, dass Sie Ihren Antrag einfach zurückzie-
hen. Das haben Sie nicht gemacht. Deswegen gab es
diese Debatte.





Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das werden Sie von mir nicht erleben! Das wissen Sie doch!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806628400

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Rede des Kollegen Grund beinhaltet eigentlich eine bit-
tere Bilanz. Sie ist ein Ausdruck dafür, was an Hoffnun-
gen zerstört worden ist, die es nach dem Fall der Mauer,
nach 1990, gegeben hat. Einer der Bausteine dieser zer-
störten Hoffnungen ist das Brechen des Budapester Me-
morandums und der damit zusammenhängende Verrat.

Man überlege sich: Ein Land wie die Ukraine gibt
1994 freiwillig seine gesamte atomare Rüstung gegen
das Versprechen ab, dass seine Grenzen integer sein bzw.
bewahrt werden. Ebendieses Land, das dieses Verspre-
chen abgegeben hat, geht mit militärischer Macht über
diese Grenze hinweg. Was das nicht nur für die Ukraine,
sondern auch für uns und die Welt insgesamt in Bezug
auf das bedeutet, was wir wollen, nämlich atomare Ab-
rüstung, was aber natürlich Vertrauen voraussetzt, kön-
nen wir noch gar nicht absehen. Von russischer Seite ist
mit dem Bruch des Budapester Memorandums ein wirk-
lich grundlegender Schlag gegen Vertrauen, mögliche
Vertragsabschlüsse und atomare Abrüstung erfolgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die ganze Geschichte, das ganze Drama der schritt-
weisen Abriegelung, das Luftwegnehmen durch wirt-
schaftlichen und letztlich auch massiven militärischen
Druck auf die Ukraine, kann und will ich hier nicht noch
einmal darstellen. Wir haben es aber mit einer Ge-
schichte von ständigen Versprechen und des ständigen
Bruchs von Versprechen zu tun. Das bedeutet, dass im-
mer wieder Vertrauen missbraucht worden ist.

Es gab die Genfer Vereinbarung. Russland stimmte
der Entwaffnung der Milizen und der Räumung der be-
setzten Territorien zu. Nichts passierte. Es gab das Proto-
koll von Minsk. Das zu erreichen, war schwierig genug;
denn wir haben Präsident Poroschenko nach einer voll-
ständigen militärischen Niederlage ziemlich alleingelas-
sen. Er musste sich auf einer Basis der Asymmetrie al-
leine mit Präsident Putin einigen. Es gibt Zusagen von
Minsk, und es gibt Protokolle. Nichts davon ist eingehal-
ten.

Wir diskutieren hier über den Vorschlag der Rück-
nahme der Sanktionen, der zu meinem großen Bedauern
auch immer wieder vom Ost-Ausschuss der Deutschen
Wirtschaft kommt, von dem ich mir wünschen würde,
dass es mehr Gemeinsamkeit von Ethik, Moral und Geld
gäbe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Herzlichen Dank!)


Wir diskutieren über diesen Vorschlag an einem Tag, an
dem die OSZE uns noch einmal ganz deutlich sagt, dass
es wieder einen massiven Truppenvormarsch in die
Ostukraine gibt. Wollen wir belogen werden? Wollen
wir nicht sehen, dass gegen die Ostukraine Krieg geführt
wird? Sind wir schon bei der Orwell’schen Sprachver-
wirrung? Wir sagen Waffenstillstand, aber eigentlich ist
Krieg? Ist es Orwell’sche Sprachverwirrung, dass von
Verhandlung und Dialog gesprochen wird, während un-
terhalb der scheinbar ganz deutlich belegbaren Schwelle
tatsächlich militärische und kriegerische Aggressionen
stattfinden?


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Wir erklären immer wieder, dass wir keine militäri-
sche Antwort leisten werden. Das ist richtig so. Es ist
schwer genug für die Ukrainer; denn sie zahlen den
Preis. Aber dann diesem bedrängten Land nicht einmal
zur Seite zu stehen und zu sagen: „Wir tun das, was wir
können“, selbst wenn es uns etwas kostet? Wir zeigen,
dass diese fundamentalen Völkerrechtsverletzungen ih-
ren Preis haben. Wir setzen darauf, dass der Preis irgend-
wann so hoch wird,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Für uns!)


dass auch Putin von seiner Strategie Abstand nehmen
muss. Das ist das Mindeste, das wir tun müssen, nicht
nur wegen der Ukraine, sondern auch, weil wir Teil der
europäischen Friedensordnung sind, die zur Diskussion
steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, Sie sollten sich noch einmal überlegen, an
wessen Seite Sie sich stellen. Es geht nicht mehr um das
sozialistische Bruderland Russland.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Um die Sicherheit in Europa!)


Sie haben in Russland ein sehr, sehr zynisches Kartell
der Macht aus ehemaligen Geheimdienstleuten und aus
dem großen Geld. Die Herren bringen ihr Geld auch
noch zu uns in den Westen, ins sichere kapitalistische
Ausland.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das waren doch mal die lupenreinen Demokraten!)


Es sind Personen wie Ken Jebsen und Eva Herman,
die hier inzwischen Sachen sagen wie: Die Ukraine ge-
höre zu Russland, der Westen wolle nur die Kornkam-
mer, Gas und geostrategische Basen. Die unappetitliche
rechtsradikale Zeitschrift Compact liegt an jeder Super-
marktkasse. An wessen Seite stehen Sie eigentlich? Sie
stehen neben UKIP, Jobbik, Le Pen und all den anderen,
die als getarnte Wahlbeobachter auf der Krim und bei





Marieluise Beck (Bremen)



(A) (C)



(D)(B)

diesen Scheinwahlen in der Ostukraine waren und die
auch hier in Deutschland ihr Unwesen treiben, übrigens
getarnt als Montagsdemos.

Ich finde, eine aufrechte Linke gehört nicht an die
Seite dieser unappetitlichen politischen Gesellen.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806628500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Niels Annen, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1806628600

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass der vorlie-
gende Antrag der Linksfraktion mich ein bisschen ratlos
stimmt. Denn er zeichnet sich in erster Linie durch Weg-
lassungen aus, Herr Kollege Gehrcke. Er sagt nichts zu
den Ursachen der aktuellen Krise in der Ukraine. Er sagt
nichts zu der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim
und auch nichts zu den neuen Truppenkonzentrationen
der russischen Armee. Er sagt auch nichts zu den soge-
nannten Wahlen, die in Donezk und Luhansk von Sepa-
ratisten abgehalten worden sind, übrigens eindeutig ge-
gen die internationalen Vereinbarungen verstoßend. Er
sagt auch nichts zu den von der OSZE und der NATO in-
zwischen bestätigten Truppenbewegungen von unge-
kennzeichneten Militärfahrzeugen über die russisch-
ukrainische Grenze in Richtung Donbass, ein Manöver,
das wir schon aus der Krim-Krise kennen. Herr Kollege
Gehrcke, Ihr Antrag weist auch keinerlei ernsthafte
Handlungsalternativen im Hinblick auf die sehr besorg-
niserregende Entwicklung, die wir in Russland beobach-
ten können, auf. Zu guter Letzt – auch das muss man der
Vollständigkeit halber hier erwähnen – sind auch die
Aussagen in Ihrem Antrag, auf den ich mich jetzt einmal
konzentriere, zu den Äußerungen der neuen EU-Außen-
beauftragten Mogherini nachweislich falsch.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Das hat sie selber zurechtgerückt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kritik der
Linksfraktion an der Sanktionspolitik und ihre Forde-
rung, diese Sanktionen aufzuheben – das ist eigentlich
der Kernpunkt meiner Intervention –, sind doch im Kern
inkonsequent. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen,
was Sie hier immer wieder vorgetragen haben, ist, dass
Sie die Politik der Bundesregierung im Kern unterstützt
haben, die da sagt – da sind wir uns im gesamten Hause
einig –: Wir haben in diesem Konflikt keine militärische
Option. – Wenn man das aber sagt, dann muss man auch
die Frage beantworten, welche Instrumente uns zur Ver-
fügung stehen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verhandeln! Reden und verhandeln!)


Es sind die Instrumente der Diplomatie – die auch dafür
sorgen müssen, dass wir eine klare Positionierung vor-
nehmen –,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)


und es ist das politische Instrument der Sanktion. Inso-
fern ist Ihre Haltung inkonsequent. Stattdessen gerieren
Sie sich, Herr Gehrcke – das muss ich einmal sagen,
nachdem Sie so stolz auf Ihre Besuche beim Ost-Aus-
schuss der Deutschen Wirtschaft waren –, als Genosse
der Bosse. Das hilft uns nun wirklich nicht weiter.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war Ihr Chef, nicht ich!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Dreh- und
Angelpunkt unserer Ukraine-Politik ist und bleibt das
Abkommen von Minsk. Warum ist das so? Ganz einfach:
weil es ein Abkommen bzw. ein Protokoll ist, das Russ-
land mit verhandelt und unterzeichnet hat, ein Abkom-
men, dessen Umsetzung wir aktiv unterstützen. Ich muss
an dieser Stelle auch sagen, Frau Kollegin Beck: Diese
Unterstützung ist auch eine Unterstützung der Regierung
Poroschenko. Von „alleinegelassen“ kann da überhaupt
nicht die Rede sein; darauf lege ich allergrößten Wert.
Denn dieses Format basiert auf den unterschiedlichen
Initiativen, die die Bundesregierung in den letzten
Wochen und Monaten in mühsamer Kleinarbeit durch-
gesetzt und umgesetzt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine lieben Kollegen von der Linksfraktion, Sie
schreiben in Ihrem Antrag, die Sanktionen hätten „die
Eskalationsspirale weiter gedreht“; das ist ein Zitat aus
Ihrem Antrag.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, richtig!)


In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt: Doch nicht
die EU hat die Eskalationsspirale weiter gedreht, son-
dern die Russische Föderation hat die Eskalationsspirale
weiter gedreht. Es gibt bis heute keinen belastbaren Waf-
fenstillstand, obwohl er vereinbart war und diese Verein-
barung auch von Russland unterzeichnet worden ist. Es
gibt bis heute kein von der OSZE organisiertes Monito-
ring an der Grenze – Kernbestandteil der Minsker Ver-
einbarung, mit Russland ausgehandelt und von Russland
unterschrieben. Das, Herr Kollege Gehrcke, hätten Sie
an dieser Stelle durchaus erwähnen können,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil es die Grundlage der Politik ist, die von der interna-
tionalen Gemeinschaft unterstützt wird.

Stattdessen gibt es eine De-facto-Anerkennung des
Ergebnisses illegaler Wahlen, die von den sogenannten
Separatisten durchgeführt worden sind, obwohl im
Minsker Abkommen geregelt wurde, dass es zwar Wah-





Niels Annen


(A) (C)



(D)(B)

len geben solle, aber nach ukrainischem Recht und an
einem anderen Datum. Davon haben Sie hier kein Wort
erwähnt. Die Friedensbemühungen, die wir auch weiter-
hin gemeinsam tragen und die in diesem Parlament – da-
rüber bin ich sehr froh – eine breite Mehrheit und große
Unterstützung finden, sind von Russland in den letzten
Wochen systematisch hintergangen und unterlaufen wor-
den. Das führt dazu, dass wir heute vor einer wirklich
schwierigen Situation stehen. Auch die OSZE hat dieses
Verhalten mehrfach verurteilt. Die Vereinten Nationen
haben diese Politik – ich zitiere – als ein „Hindernis für
die Friedensverhandlungen“ bezeichnet. Ich glaube, das
spricht für sich.

Wie lautet die Antwort, die uns von den Kolleginnen
und Kollegen der Linksfraktion vorgeschlagen wird?
Eine Aufhebung der Sanktionen. Ich bin nicht ganz si-
cher, ob uns die polemische Art und Weise, in der wir
diese Debatte – nicht nur heute, sondern an vielen Tagen –
geführt haben, immer weiterhilft. Trotzdem muss man
sagen: Das, was Sie vorschlagen, Herr Gehrcke, ist doch
im Kern – darum kommt man nicht herum – eine Ermu-
tigung des bisherigen Kurses von Wladimir Putin, eines
Kurses, der uns und die internationale Gemeinschaft
– an dieser Stelle bin ich mit der Kollegin Beck in der
Tat einer Meinung – über die Ziele, die die Russische
Föderation verfolgt, im Unklaren lässt. Ich sage nicht,
dass eine klare Politik dazu führen würde, dass wir einer
Meinung wären und uns automatisch einigen könnten.
Aber die systematische Politik der Verunsicherung und
der Täuschung, übrigens eine Politik, die mit chauvinis-
tischen Elementen und der Aufheizung von nationalisti-
schen Gefühlen arbeitet, ist etwas, mit dem wir uns klar
auseinandersetzen müssen.

Am Ende ist es vielleicht sogar so, dass man sagen
kann: Das, was Sie von der Bundesregierung fordern, tut
die Bundesregierung. Sie arbeitet an der Aufhebung der
Sanktionen. Aber dafür müssen die politischen Grundla-
gen stimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806628700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1806628800

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Frau Kollegin Beck, wir waren in diesem
Hause weiß Gott nicht immer einer Meinung.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man so sagen!)


– Das kann man so sagen. –


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!)

Aber gestatten Sie mir dennoch in aller Offenheit und
Ehrlichkeit ein ganz großes Wort des Dankes für Ihre
brillante Analyse der Lage, in der wir uns derzeit befin-
den, wenn es um die Ukraine geht. Vielen herzlichen
Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man merkt und spürt, dass Sie sich wie keine andere
Kollegin oder wie kein anderer Kollege in diesem Hause
mit der Lage in den letzten Monaten befasst haben und
dass es Ihnen ein Anliegen ist, die Wahrheit ans Licht zu
bringen.

Ich möchte mich auch beim Kollegen Grund und auch
bei Herrn Annen bedanken.

An die Linken möchte ich die Frage richten: Wenn
Sie spüren, wie hier alle demokratischen Kräfte dem
Grunde nach einer Meinung sind, muss es Sie doch
nachdenklich stimmen, ob Sie mit der Position, die Sie
einnehmen, richtig liegen. Sie erwähnen nicht die hem-
mungslose Brutalität, mit der Russland gegen die
Ukraine vorgeht, angefangen mit der Krim bis über die
Ostukraine, und auch nicht die Art und Weise des Versu-
ches, diesen Staat mit prorussischen Kräften zu zerstören
und zu zersetzen, die man mit all dem ausstattet, was
notwendig ist, um ein Land zu destabilisieren. Vielmehr
drücken Sie all dies weg und wollen davon ablenken. Sie
geben uns sogar eine Schuld, als hätten wir mit den
Sanktionen einen aggressiven Akt begonnen.

Wir würden diese Sanktionen – ich glaube, auch Sie,
Frau Kollegin Beck – lieber heute als morgen beenden.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Machen Sie es doch!)


Wir haben doch gemeinsam über Jahre, seit der Wende,
an einer strategischen Partnerschaft mit dem Osten, mit
Russland, mit allen Ländern Osteuropas gearbeitet.
Auch heute wollen wir, dass dieses Land wirtschaftlich
blüht und gedeiht. Welches Interesse kann Deutschland
an einem Niedergang Russlands haben?


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Das wäre dann unser ureigenes Problem.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, ist es auch!)


Das wollen wir nicht. Das kann auch niemand in diesem
Hause wollen. Wie gesagt, wir würden die Sanktionen
lieber heute als morgen beenden. Aber wir können das
zurzeit nicht, und das hat einen ganz einfachen Grund.

Auch Sie denken in den Schablonen der Großmacht-
politik, egal ob sich das auf den Hitler-Stalin-Pakt oder
andere schlechte Vorbilder bezieht. Sie arbeiten auch da-
ran – dazu wurde viel zu Papier gebracht, auch in
Deutschland –, den Gedanken zu verbreiten, die Ukraine
habe kein Recht auf Selbstbestimmung. Das ukrainische
Volk habe nicht das Recht, sich zu entscheiden, ob es





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)

sich nach Westen oder nach Osten orientiert. Nein, der
Ukraine wird die Aufgabe zugewiesen, eine Brücken-
funktion zwischen Ost und West zu übernehmen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)


Nach Ihrer Ansicht entscheiden Moskau und der Westen
darüber. Die Ukraine müsse eine Brücke zwischen Ost
und West sein und dürfe sich nicht für den Westen ent-
scheiden.

Was für eine Vorstellung vom Selbstbestimmungs-
recht der Völker!


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was für eine kluge Politik, so vorzugehen!)


Sehr merkwürdig. Das kann nicht richtig sein. Es gilt,
dafür zu kämpfen, dass jedes Volk, auch das ukrainische
Volk, das Recht hat, selbst zu bestimmen, wohin es will.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sollen nicht Moskau, nicht Washington und auch
nicht Berlin entscheiden. Kein Land hat das Recht, über
die Ukraine zu bestimmen und zu sagen, wohin das Land
will.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806628900

Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Beck?


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1806629000

Ja, bitte schön.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806629100

Bitte, Frau Kollegin Beck.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Dr. Uhl, weil Sie über die bedenkliche Verschie-
bung von Maßstäben gesprochen haben, möchte ich Sie
fragen, ob Sie meine Sorge teilen können, die die Einlas-
sungen des ARD-Programmbeirats betreffen. Der Vorsit-
zende des ARD-Programmbeirats hat in einer öffentli-
chen Podiumsdiskussion, als Golineh Atei der Friedrich-
Preis verliehen wurde, erklärt, warum der ARD-Pro-
grammbeirat die Berichterstattung der ARD-Journalisten
für „biased“, also nicht immer objektiv, erklärt hat. Er
hat gesagt, das Gutachten sei unter Verschluss. Aber er
hat vier Punkte angeführt, die einen Beleg für dieses
Monitum bedeuten.

Der erste Punkt, den Herr Dr. Siebertz vorgetragen
hat, war, dass die Krim, und das wisse doch jeder, ei-
gentlich nicht zur Ukraine gehört habe. Der zweite Punkt
war, dass es keine Beweise für russische Truppen auf der
Krim gebe. Der dritte Punkt war, dass die Übergangsre-
gierung illegitim gewesen sei. Der vierte Punkt betraf
Odessa, nämlich dass man schon an dem dramatischen
Abend habe wissen können, dass die 40 Toten im Ge-
werkschaftshaus in Odessa die Opfer ukrainischer Natio-
nalisten gewesen seien.


(Zuruf von der CDU/CSU: Skandalös!)


Ich finde diese Einlassungen bedenklich und frage Sie
angesichts der Tatsache, dass Sie eben angefangen ha-
ben, sich mit Halbwahrheiten auseinanderzusetzen, ob
Sie diesen Vorgang kennen und wie Sie dazu stehen.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1806629200

Ich teile Ihre Auffassung, dass es in Deutschland viele

Kräfte gibt, die auf die Propagandamaschinerie, die auf
vollen Touren läuft, hereingefallen sind,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das bolschewistische Weltbild! Das kenne ich!)


und dass eine Reihe dieser Argumente aus Moskau über-
nommen werden.

Ich möchte nur einen der vier Punkte aufgreifen, die
Sie erwähnt haben, sonst dauert es zu lange. Wie verhält
es sich mit den prorussischen Kräften, die mordend und
brandschatzend durch die Ostukraine ziehen, womit
Moskau angeblich nichts zu tun haben soll? Es ist wahr,
dass keine offiziellen militärischen Einheiten der russi-
schen Armee unter Führung des russischen Verteidi-
gungsministeriums im Einsatz sind. Aber natürlich wer-
den diese prorussischen Kräfte von Moskau mit Gerät
unterstützt; sie sind geschult, und sie sind angehalten,
das zu tun, was sie tun. Der Zeitpunkt wird kommen, wo
der Einfluss Putins auf diese führungslose Gruppe pro-
russischer Kämpfer – zum Teil Ukrainer, aber auch Rus-
sen mit Spezialausbildung – immer deutlicher wird, weil
er sonst sein Ziel nicht erreicht: die Destabilisierung der
Ukraine.

Sie müssen unter seiner Führung weiterkämpfen, und
dann wird ihm die Maske vom Gesicht gerissen. Dann
wird er zeigen müssen, dass er bei diesem Kampf in der
Ostukraine der wahre Feldherr ist. Das ist der Punkt, und
das muss schonungslos aufgedeckt werden. Darüber
müssen wir in aller Offenheit und Klarheit reden. Sie
sollten aufhören, eine Rolle einzunehmen, die dieses
Hauses nicht würdig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das werden Sie nicht erleben!)


Ich weise auch darauf hin, dass in der Ukraine eine
Verfassungsreform notwendig ist, die garantiert, dass
Minderheiten geschützt werden und alle Bevölkerungs-
gruppen in der Ukraine zu ihrem Recht kommen. Das ist
eine ganz wesentliche Aufgabe für die Herstellung des
sozialen Friedens in der Ukraine.

Den Linken möchte ich sagen, dass die Sanktionen,
die wir in mehreren Stufen verhängt haben, uns in der
Tat schaden. Das ist doch eine Binsenweisheit, und die
Stimmen aus der Wirtschaft – auch aus der mittelständi-
schen Wirtschaft – erreichen natürlich auch uns. Aber
das ist der Preis, den wir für das Selbstbestimmungsrecht
der Ukraine bezahlen müssen. Den Preis müssen wir ge-
meinsam mit der Wirtschaft bezahlen.





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich möchte, dass auch Sie ihn mit bezahlen, Herr
Gehrcke: mit Ihrer politischen Unterstützung. Als De-
mokrat haben Sie die Pflicht, dafür zu sorgen, dass jedes
Land in Europa nach den entsetzlichen Erfahrungen
zweier Weltkriege das Recht bekommt, für sich selbst zu
entscheiden, wo es hinwill. Das ist die Lehre aus den
schrecklichen Ereignissen des letzten Jahrhunderts.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])


Es ist richtig, dass eine der Sanktionen ein Reisever-
bot für bestimmte Abgeordnete beinhaltet. Sie sollen auf
diese Weise ermahnt und an ihre Verantwortung erinnert
werden, in der Duma dafür zu sorgen, dass das umstürz-
lerische Treiben Moskaus in der Ostukraine beendet
wird.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was würde passieren, wenn die das Gleiche mit uns machen?)


Deswegen ist das Reiseverbot richtig. Es hat auch keinen
Sinn, den Petersburger Dialog, den wir in den vergange-
nen Jahren sehr intensiv betrieben haben, derzeit fortzu-
führen. Es gibt zurzeit nichts zu besprechen.

Wir müssen uns natürlich Gedanken darüber machen,
wohin die Reise geht, die Putin begonnen hat. Er will
das historische Zeitfenster nutzen, um so viel wie mög-
lich vom alten Russland wiederherzustellen. Was für ein
obskures Ziel! Er will das Zeitfenster bis 2020 nutzen,
weil er davon ausgeht, dass er angesichts der schwachen
amerikanischen Administration und der Probleme, die
die Europäische Union unter anderem mit dem Euro hat,
Gestaltungsspielraum hat. Er meint, er könne so viel wie
möglich vom alten Russland wiederherstellen. Was be-
deutet das? Das bedeutet, dass er nach dem Schwinden
der Kräfte der ehemaligen Sowjetunion neue Bündnisse
in Osteuropa – bis hin zum Balkan – schaffen will. Da-
bei knüpft er an die Kontakte der orthodoxen Kirche und
an gewisse Gemeinsamkeiten an.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was sind das für Verschwörungstheorien? – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Tolle Fantasien!)


Er hofft, auf diese Weise die Einflusssphäre der alten
Sowjetunion wiederherzustellen. Das ist nichts anderes
als Großmachtpolitik. Das ist eine Politik, die wir nicht
unterstützen dürfen. Wir überlassen es jedem Land, zu
entscheiden, wohin es will. Wir werden nicht mit wirt-
schaftlichem Druck und militärischen Mitteln dafür sor-
gen, dass sich bestimmte Länder uns zuwenden. Das ist
die Entscheidung der betreffenden Länder, nicht unsere.

Sanktionen gegen Russland sind nun notwendig. Sie
müssen durchgehalten werden. Wir müssen den Preis da-
für so lange zahlen, bis die Moskauer Führung zur Ein-
sicht kommt, dass sie mit den Mitteln des letzten Jahr-
hunderts keine Politik in diesem Jahrhundert machen
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So eine Rede habe ich noch nie gehört!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806629300

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich

das Wort dem Abgeordneten Franz Thönnes, SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1806629400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, die Antragsteller verkennen in ihrem Antrag die
Realität und die Entwicklung, die wir in den letzten
zwölf Monaten in Europa und in der Ukraine erlebt ha-
ben. Sie blenden die Ereignisse und Entwicklungen aus
und tun so, als bestünde die Antwort Deutschlands und
der Europäischen Union einzig und allein aus Konfron-
tation und einer Absage an den Dialog. Wie sonst ist zu
verstehen, dass von einer „Konfrontationslogik“ die
Rede ist? Das ist falsch und verlogen. Das zeigt, dass es
den Antragstellern im Kern eigentlich nicht darum geht,
einen ernsthaften Beitrag zur Lösung der Krise zu leis-
ten. Wie sonst ist der Vorwurf der Konfrontationslogik
zu verstehen?

Von Anfang an, von Beginn der Zuspitzung an, war
Deutschland klar auf den Kurs eines Dialogs ausgerich-
tet. Von Anfang an haben die EU und Deutschland klar
und deutlich erklärt, dass eine militärische Lösung keine
Option ist. Der Dialog, das Offenhalten von Gesprächs-
kanälen und der permanente Versuch, am Verhandlungs-
tisch zu einer friedlichen Lösung zu kommen, prägten
das europäische und deutsche Verhalten.

Ich will die Beispiele an dieser Stelle deutlich nennen,
damit klar wird, wie falsch die Antragsteller liegen. Am
21. Februar gab es die Verhandlungen mit den Außenmi-
nistern Frankreichs, Deutschlands und Polens zur Been-
digung des Blutvergießens auf dem Maidan in Kiew. Im
weiteren Verlauf wurde immer wieder von unserer Seite
deutlich betont: Wir wollen eine Kontaktgruppe und eine
Genfer Zusammenkunft. – Am 31. März hat das Weima-
rer Dreieck – Deutschland, Polen und Frankreich – ge-
tagt und ganz klar und deutlich erklärt, dass es Frieden
und Sicherheit in Europa nur mit Russland und nicht ge-
gen Russland geben kann. Am 1. April hat der NATO-
Außenministerrat getagt und hat vor dem Hintergrund
der Annexion der Krim deutlich gemacht, dass die prak-
tische Kooperation zurzeit ausgesetzt wird, dass aber
Gesprächskanäle offen bleiben.

Am 17. April haben in Genf die USA, Russland, die
Ukraine und Europa gemeinsam am Tisch gesessen und
die Genfer Vereinbarung getroffen. Es hat die runden Ti-
sche in der Ukraine gegeben, die auf unser Drängen
stattgefunden haben. Es hat die Gespräche im Norman-
die-Format gegeben, sowohl leibhaftig als auch am Tele-





Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)

fon. Es hat die trilateralen Kontaktgruppentreffen gege-
ben. Es hat zweimal Außenministertreffen mit Russland,
der Ukraine, Deutschland und Frankreich hier in Berlin
gegeben, bei denen der Waffenstillstand ausgehandelt
worden ist, was sich nachher in den einzelnen Gesprä-
chen, die in Minsk stattgefunden haben, fortgesetzt hat.
All das, ungefähr 20 Gespräche und Dialoge, Versuche,
die anderen dazu zu bewegen, eine friedliche Lösung zu
finden, ist ein klarer Ausdruck eines deutlichen Dialog-
interesses und ist weit weg von einer Konfrontation.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man dies so ernsthaft betreibt, dann darf man
auch als einigungsfördernde Maßnahme zu einem abge-
stimmten Verfahren von Sanktionen greifen, weil sie
ausdrücklich unterstreichen, dass Gewalt nicht angewen-
det wird, sondern dass man auf diesem Weg die andere
Seite zu einer Veränderung ihres Verhaltens bringen will.

Wenn dann von Ihrer Seite so getan wird, als seien
nun die Sanktionen das schlimme Element, das die
Wirtschaft so beeinträchtigen würde, verwechseln Sie
Ursache und Wirkung; denn wenn die Antworten aus
Russland lauten, dass man die Einfuhr von Landwirt-
schaftserzeugnissen aus Europa untersagt, dann darf
man sich nicht beschweren, wenn auf einmal die Le-
bensmittel nicht in Russland ankommen und wenn die
deutsche Landwirtschaft und die europäische Landwirt-
schaft Einbrüche erleben. Aber die Entscheidung da-
rüber ist in Moskau getroffen worden, sie ist nicht hier
getroffen worden.

Ich empfehle der Linken ausdrücklich, nachzulesen,
was Putin selbst noch am 12. Dezember 2013 in seiner
Jahresbotschaft gesagt hat:

Auch wir bekommen die Folgen der globalen Krise
zu spüren, aber lassen Sie es mich direkt sagen: Die
grundlegenden Ursachen der Verlangsamung unse-
res Wachstums kommen nicht von außen, sondern
sie kommen von innen.

Die fünftgrößte Volkswirtschaft – so fährt er fort – ist
in der Situation:

Was die Arbeitsproduktivität betrifft, die eine ganz
wesentliche Kennziffer darstellt, so ist sie zwei- bis
dreimal niedriger ist als in den führenden Ländern.

Damit ist ganz deutlich, dass die Ursache in dem
Land selbst zu suchen ist. Wir wären ja offen für eine
Modernisierungspartnerschaft, für eine gute Koopera-
tion. Nur, die muss gewollt werden, und das muss auch
überzeugend bekundet werden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will damit abschließen, was man eigentlich hätte
erwarten sollen, was in dem Antrag steht.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Macht ihr doch einen Antrag!)


Der Schlüssel liegt nicht hier, der liegt auch nicht in
Brüssel, der Schlüssel liegt in Moskau, wenn man ein
Ende der Sanktionen will und wenn man will, dass wir
uns auf eine friedliche Entwicklung in Europa hinbewe-
gen. Da liegt der Schlüssel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet auch, dass wir eigentlich erwartet hät-
ten, dass folgende Forderungen aufgestellt werden: Wir
fordern dazu auf, dass mit der Grenzüberwachung durch
die OSZE endlich ernst gemacht wird, dass sich Russ-
land konstruktiv verhält und dabei mitmacht. Wir wollen
einen Waffenstillstand, wir wollen, dass Schluss damit
ist, dass weiterhin schweres Gerät und Truppen über die
Grenze Russlands in die Ukraine kommen. Wir wollen,
dass die Schlussakte von Helsinki der KSZE eingehalten
wird, in der klar und deutlich vermerkt ist, dass wir eine
Enthaltung der Androhung von Gewalt, die territoriale
Integrität der Staaten, keine Verschiebung von Grenzen
mit Gewalt, sondern eine friedliche Lösung von Streit-
fällen wollen. Darum wäre es gegangen. Dies hätte in
dem Antrag stehen müssen. Dann hätte man sich ernst-
haft damit auseinandersetzen können.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer uns an der Stelle sagt, Russland habe keinen Ein-
fluss auf die Separatisten, der will uns wahrscheinlich
die Erde als Scheibe beschreiben. Fordern Sie uns nicht
zu dieser intellektuellen Herausforderung auf. Lassen
Sie das. Was die Dialogbereitschaft angeht: In der nächs-
ten Woche werden wir in Moskau im EU-Russia-Dia-
logue mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zwei Tage zusam-
mensitzen und den Dialog betreiben, wir werden uns
über die Krise unterhalten, über die islamistische He-
rausforderung und über die Migrationsherausforderung.

Eines wissen Sie, Herr Kollege Gehrcke, genau, und
ich weiß nicht, warum Sie das vorhin in eine Frage ge-
kleidet haben: Anfang Dezember wird der Auswärtige
Ausschuss des russischen Parlaments hier nach Deutsch-
land kommen, und wir werden gemeinsam mit Sicher-
heit auch über diese Fragen streiten, über die wir hier
streiten. Die Dialogbereitschaft auf unserer Seite ist da.
Nur, das setzt voraus, dass nicht immer nur Versprechun-
gen gemacht werden, man zwei Schritte vor und drei
Schritte zurückgeht, sondern dass man sich an die Ver-
sprechungen hält.

Was wir in diesem Europa wieder brauchen, ist Ver-
trauen. Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen
dafür, dass wir gemeinsame Sicherheit und gemeinsame
Abrüstung und Frieden in Europa organisieren können.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806629500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der
Drucksache 18/3147 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(B)

verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich verlese nun das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes
zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgeset-
zes, Drucksachen 18/2663 und 18/3142: abgegebene
Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 474, mit Nein ha-
ben gestimmt 57, Enthaltungen 54. Der Gesetzentwurf
ist damit angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon

ja: 474
nein: 57
enthalten: 54

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

DIE LINKE

Inge Höger

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(B)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


(D)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Verein-
ten Nationen geführten Friedensmission in
Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Re-
solution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Fol-
geresolutionen, zuletzt 2155 (2014) vom
27. Mai 2014
Drucksachen 18/3005, 18/3191

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/3192
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-

mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin in der
Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten
Bärbel Kofler, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1806629600

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Wir beschäftigen uns in der Debatte um
UNMISS wieder einmal mit der Situation im Südsudan,
einer Situation, die geprägt ist von Hunger und Gewalt.
Die Welthungerhilfe hat in einer Publikation zu Beginn
dieses Jahres, mit der sie aufrütteln und auf die Situation
in diesem Land aufmerksam machen wollte, die Lage
dort mit dem Titel „Nach den Macheten kommt der Hun-
ger“ beschrieben. Ich glaube, das bringt schon zum Aus-
druck, in welcher desaströsen humanitären Situation sich
die Menschen im Südsudan befinden.

Man hat nach den jahrzehntelangen Bürgerkriegen,
nach den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem
Norden, dem jetzigen Sudan, gehofft, dass nach der Un-
abhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011 der Fokus auf
den Aufbau von Staatlichkeit gelegt wird und dass man
mit einer positiven Entwicklung des Landes beginnen
kann. Ursprünglich war das UNMISS-Mandat, über das
wir heute reden, genau dafür von allen, auch von der Re-
gierung des Südsudan, gewollt: den Aufbau der Staat-
lichkeit zu begleiten und zu unterstützen.

Leider ist die Situation seit Dezember letzten Jahres
erneut völlig gekippt und in kriegerische, militärische
Auseinandersetzungen entglitten. Mittlerweile sind
1,4 Millionen Menschen im Südsudan als Binnenflücht-
linge auf der Flucht. Sie sind in 170 Flüchtlingslagern
untergebracht, zum Teil unter desaströsen Bedingungen,
die wieder zu Gewalt führen und die Gewaltspirale
vorantreiben. Zuletzt gab es 60 Verletzte in einem
Flüchtlingslager in Juba. 470 000 Flüchtlinge sind in den
Nachbarländern untergekommen, zum Teil mehr
schlecht als recht; sie sind in Uganda, Äthiopien, im Su-
dan und in Kenia aufgenommen worden.





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

Was ganz wichtig ist, auch in der Beurteilung von
UNMISS, ist die Tatsache, dass allein 110 000 Flücht-
linge in Einrichtungen der UNMISS Zuflucht gefunden
haben. Ich halte das für eine sehr gute und richtige Hal-
tung der dortigen Verantwortlichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts dieser Zahlen muss man hier mehr tun;
das ist ganz klar. Ich finde es richtig, dass man im Okto-
ber dieses Jahres noch einmal versucht hat, für weitere
28 000 Binnenflüchtlinge Sicherheitseinrichtungen zu
suchen und zu finden. Wir stehen vor großen Herausfor-
derungen. Eine der großen Herausforderungen ist die hu-
manitäre Situation im Südsudan. 4 Millionen Menschen
sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Ernährung
von 7 Millionen Menschen ist akut gefährdet. Die Hälfte
der Bevölkerung in den Regionen, in denen gekämpft
wird, hat nicht genügend Zugang zur Nahrung. Bis zu
50 Prozent der Kinder in diesen Regionen sind unter-
ernährt – mit allen Konsequenzen für die Kindersterb-
lichkeit dort.

Ich schildere es deshalb so drastisch, weil ich der
Überzeugung bin, dass die internationale Gemeinschaft
auf drei Ebenen zum Handeln verpflichtet ist: Es ist die
humanitäre Hilfe, mit der wir tätig werden müssen; es
sind die diplomatischen Bemühungen um Frieden, die
gerade von der Regionalorganisation vorangetrieben
werden, die gestützt und unterstützt werden müssen; es
ist insbesondere die Weiterführung des Mandats von
UNMISS, vor allem zum Schutz der Zivilbevölkerung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])


Die UN gehen davon aus, dass wir einen Bedarf an
humanitärer Hilfe von 1,8 Milliarden US-Dollar haben
werden. Nur 60 Prozent sind zum jetzigen Zeitpunkt
durch Geberzusagen gedeckt. Das macht deutlich: Wir
brauchen mehr finanzielle Mittel und mehr Unterstüt-
zung für die hungernden Menschen im Südsudan.

Ich bin froh, dass der Haushaltsausschuss heute ein
erstes Zeichen gesetzt hat und für die humanitäre Hilfe
wieder 400 Millionen Euro veranschlagt werden. Ich bin
mir aber dessen bewusst – ich glaube, die meisten Kolle-
ginnen und Kollegen im Hause sehen das ähnlich –, dass
angesichts der Herausforderungen, vor denen wir in der
internationalen Zusammenarbeit bei der Unterstützung
notleidender Menschen stehen, diese Mittel nicht rei-
chen werden und wir einen Aufbaupfad darüber hinaus
beschreiten müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es sehr richtig, dass Deutschland sich auf
der Geberkonferenz in Oslo beteiligt hat, auch einen
Aufwuchs gerade für den Südsudan zugesagt hat, so-
wohl über die Mittel des Auswärtigen Amts wie auch
über die Mittel des Ministeriums für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit – in Unterstützung internationaler Fonds
und in Unterstützung auch der Nichtregierungsorganisa-
tionen, die wie die Welthungerhilfe wirklich Unglaubli-
ches leisten, um die Menschen im Südsudan zu unter-
stützen und ihnen Hilfe zukommen zu lassen. Ohne
diese Unterstützung wären im letzten Jahr, glaube ich,
Tausende von Menschen mehr gestorben. An der Stelle
kann man diesen Helfern auch einen Dank aussprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen mehr diplomatische Bemühungen. Die
Regionalorganisation IGAD, die sich bereits seit Anfang
dieses Jahres um Frieden und Waffenstillstandsabkom-
men bemüht und sich dafür einsetzt, muss unterstützt
werden; sie muss in ihren diplomatischen, in ihren Me-
diationsmöglichkeiten unterstützt werden, und zwar mit
allem, was Europa, was die Weltgemeinschaft an Mög-
lichkeiten zu bieten hat. Es ist richtig, dass auch Diplo-
maten aus Deutschland, der Sudan-Sondergesandte der
USA und der der EU die Mission unterstützen und ge-
meinsam einen Weg zu finden versuchen, Frieden zu er-
langen. Die Verhandlungen und die mehrfachen Verein-
barungen zu einem Waffenstillstand in diesem Jahr, die
immer wieder gebrochen wurden und immer wieder
nicht zum Ziel geführt haben, zeigen aber auch, wie
schwierig das ist und wie schwierig es ist, die südsuda-
nesischen Kontrahenten zu einem Friedensschluss zu be-
wegen. Ich glaube, wir dürfen hier nicht nachlassen.

Man muss auch auf UN-Ebene über verschiedene an-
dere Dinge nachdenken. Ich würde mich freuen, wenn
ein Waffenembargo auf UN-Sicherheitsratsebene irgend-
wann zum Ziel führen würde – bei allen Schwierigkei-
ten, die dort sehr wohl noch zu überwinden sind.

Man kann über vieles nachdenken, auch über die
Frage, wie die Öleinnahmen der Bevölkerung und dem
Staatsaufbau zugutekommen können. Zum Beispiel ei-
nen internationalen Fonds zu gründen, der dies beför-
dert, wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung und
würde vielleicht auch dazu beitragen, dass einige der
Kontrahenten, denen es in diesem Konflikt vorrangig um
ihre finanziellen Belange geht, keinen so großen Antrieb
mehr hätten, den Konflikt weiterzuführen.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen aber trotz allem, trotz all dieser Bemü-
hungen das Mandat und die Mission UNMISS, gerade
weil der Schutz der Zivilbevölkerung und die Sicherstel-
lung des Zugangs zu humanitärer Hilfe Kernelemente
dieses Mandats sind und dies ohne diese Unterstützung
für viele Tausende oder Hunderttausende Menschen ein-
fach nicht mehr gewährleistet werden kann.

Auch dann, wenn ein Waffenstillstandsabkommen zu-
stande kommt, wird man UNMISS brauchen; denn dann
wird es um die Umsetzung dieses Abkommens gehen.
Auch dazu wird und muss UNMISS, wie es die Man-
datsbeschreibung festlegt, einen entsprechenden Beitrag
leisten.

Die Welthungerhilfe schildert die Situation ihrer Mit-
arbeiter in manchen Regionen, in denen gekämpft wird,
so: Sie können nicht mehr aus den UNMISS-Camps hi-





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

nausgehen. Sie können außerhalb keine humanitäre Un-
terstützung mehr leisten. Sie können nur noch in den
Flüchtlingscamps, so nötig das auch dort ist, tätig wer-
den. – Das zeigt die katastrophale Sicherheitslage, und
das macht deutlich, dass wir auf eine Verlängerung des
Mandats nicht verzichten können.

Deutschland beteiligt sich mit 16 Soldaten und 7 Poli-
zisten. Ich glaube, das ist keine Überforderung Deutsch-
lands. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Mandat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1806629700

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806629800

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Frau Kollegin, Sie haben ja in Ihren sie-
ben Minuten nur sehr kurz über das Mandat gesprochen.
Das will ich jetzt einmal nachholen. Worüber reden wir?
Der Südsudan, seit 2011 nach einem Referendum un-
abhängig, droht seit Ende letzten Jahres in einem
Bürgerkriegschaos zu versinken. Formal gibt es ein Waf-
fenstillstandsabkommen, aber trotzdem immer wieder
Gefechte. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind auf der
Flucht, der größte Teil innerhalb des Landes. Ein Drittel
bis die Hälfte der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe
angewiesen. Hier muss dringend gehandelt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Antrag der Bundesregierung heißt es nun – ich zi-
tiere –:

Neue Kernelemente des VN-Mandats sind der
Schutz der Zivilbevölkerung, die Beobachtung und
Untersuchung von Verletzungen der Menschen-
rechte und des humanitären Völkerrechts, die Si-
cherstellung des Zugangs für humanitäre Hilfe und
die Unterstützung bei der Umsetzung des Waffen-
stillstandsabkommens …

Meine Fraktion, liebe Kolleginnen und Kollegen, hält
ein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta für die Er-
füllung dieser Aufgaben nicht für notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Mehrheit in diesem Haus ist leider anderer Meinung.

Was ich aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht
verstehe, ist, warum Sie unseren Antrag vom Juni dieses
Jahres zur Umwidmung der nicht verbrauchten Mittel
für die UNMISS-Mission für den unbewaffneten Schutz
der Zivilbevölkerung nicht unterstützt haben. Jedes Jahr
verfallen von den im Bundeshaushalt ausgewiesenen
Mitteln fast zwei Drittel. Allein 2013 war das über
1 Million Euro. Ich finde, das geht gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN)

Wir hatten ja beantragt, diese Mittel für den unbe-
waffneten Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten auszu-
geben. Das machen nun Nonviolent Peaceforce und an-
dere Organisationen im Südsudan sehr erfolgreich und
effizient, indem sie für Sicherheit in den Flüchtlingsla-
gern sorgen, Gerüchte über Gräueltaten überprüfen und
damit helfen, Spannungen abzubauen. In der Debatte ist
uns dann entgegengehalten worden, gewaltfreier Schutz
der Zivilbevölkerung könne nicht funktionieren. Doch,
die Arbeit von Nonviolent Peaceforce und anderen im
South Sudan Protection Cluster zusammengeschlosse-
nen Organisationen beweisen täglich das Gegenteil.

Wie aber steht es um UNMISS? Die Evaluation der
UNMISS-Strategie zum Schutz von Zivilistinnen und
Zivilisten durch eine niederländische Forschungseinrich-
tung hat festgestellt, dass UNMISS vor allem mit politi-
schen und zivilen Initiativen erfolgreich war, das Ver-
sprechen eines militärischen Schutzes aber gerade nicht
einhalten kann. Nun schreiben Sie, die Afrikapolitischen
Leitlinien der Bundesregierung legten einen Schwer-
punkt auf den Südsudan. Nur leider wird der Südsudan
in den Afrikapolitischen Leitlinien offiziell gar nicht er-
wähnt.

Mir scheint ohnehin, dass die Bundesregierung nur
die militärischen Initiativen aus diesen Afrikapolitischen
Leitlinien mit Nachdruck umsetzt. Wo bleiben etwa Ini-
tiativen für die „Zukunftsperspektive von jungen Men-
schen“? Wo bleibt das Engagement der Bundesregierung
„für die Reintegration von Flüchtlingen und internen
Vertriebenen sowie für den wirtschaftlichen Wiederauf-
bau unter aktiver Mitwirkung von Frauen“? Was tut die
Bundesregierung, um die Ernährungssouveränität zu er-
höhen? Was tut sie für den Menschenrechtsschutz? Es
gibt ja Landesteile, in denen nicht gekämpft wird. Da
könnte man ja schon einmal anfangen.

Dass UNMISS mit der südsudanesischen Regierung
kooperieren muss, das hat meine Fraktion ja immer wie-
der als Konstruktionsfehler dieses Mandats kritisiert.
Aber, Kolleginnen und Kollegen, muss diese Koopera-
tion so weit gehen, dass man sich nicht einmal für ein
Waffenembargo einsetzen kann?


(Zuruf der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist, finde ich, wirklich unglaublich, dass in dieser
Bürgerkriegssituation immer noch Waffen in den Süd-
sudan geliefert werden


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und dass die Bundesregierung international nichts unter-
nimmt, um das zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten es für un-
verantwortlich, dass die Bundesregierung angesichts der
desaströsen humanitären Situation dermaßen untätig
bleibt, dass es keine nachhaltigen Initiativen für eine
friedliche Entwicklung im Südsudan gibt und dass sie
sich stattdessen an einem so schlecht konzipierten Mili-
täreinsatz beteiligt. Deshalb lehnt die Linke diesen An-
trag der Bundesregierung ab.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806629900

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Schönen guten Abend

von meiner Seite aus!

Der nächste Redner in der Debatte: Philipp Mißfelder
für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bitte die Kollegen, dieser Debatte zu folgen.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1806630000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Vogler, ich habe, ehrlich gesagt, auch schon bei der
Diskussion im Ausschuss nicht verstanden – ich glaube,
es war der Kollege Schmidt, der diese Frage kürzlich
auch Herrn van Aken gestellt hat –, was eigentlich Ihre
Alternative zu dem Vorgehen bei UNMISS ist. Man
kann sicherlich auch kritische Punkte ansprechen – das
tun wir ja auch –, aber das, was Sie vorgeschlagen ha-
ben, war definitiv gar keine Alternative dazu. Die Ent-
scheidung, sich bei UNMISS zurückzuziehen, würde in
der Konsequenz dazu führen, dass die Situation im Land
unübersichtlicher werden und die Gefährdung der Zivil-
bevölkerung zunehmen würde. Das werden wir nicht zu-
lassen. Wir wollen einen, wenn auch begrenzten, aber
substanziellen Beitrag dazu leisten, dass sich im Südsu-
dan Staatlichkeit entwickeln kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD] und Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dazu trägt UNMISS aus unserer Sicht bei.

Deshalb gilt mein Dank zunächst einmal den 16 deut-
schen Soldatinnen und Soldaten, die sich im Einsatz be-
finden und die unter der Flagge der UNO dort tätig sind.
Angesichts der schwierigen Bedingungen im Südsudan
gehört es gerade am heutigen Abend dazu, neben dem
Dank auch zu sagen: Wir finden es richtig, dass die Bun-
deswehr sich an diesem UNO-Mandat beteiligt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Kampf des Südens um seine Unabhängigkeit ist
ja nun wirklich nicht neu. Seit 1947 hat sich dieses Land
darum bemüht, unabhängig zu werden. 99 Prozent der
Südsudanesen haben für die Unabhängigkeit ihres Lan-
des gestimmt. Vor diesem Hintergrund ist es keine Über-
raschung, dass wir nun seit Jahren über dieses Thema re-
den. Seit 2005 beschäftigen wir uns mit dem Thema
„bewaffnete Streitkräfte im Sudan“. Später ging es dann
um den Südsudan, als dieser seine Eigenstaatlichkeit er-
reicht hatte. Wir glauben, dass dieser Beitrag nach wie
vor sinnvoll ist.

Ich glaube, dass man eines schon kritisch diskutieren
muss – das haben Sie und andere Vorredner ja auch an-
gesprochen –, nämlich die Frage: Reicht das, was wir
tun, aus, oder muss das nicht stärker eingebettet werden
in das, was wir bei der NATO dank Franz Josef Jung, der
den Comprehensive Approach dort eingeführt hat, unter
dem Stichwort „vernetzte Sicherheit“ deutlicher beto-
nen? Da sage ich ganz ehrlich: Das ist etwas, was wir
uns vielleicht im Rahmen dieser Mandatsverlängerung
noch einmal genauer anschauen müssen. Trotzdem
glaube ich, dass die heutige Mandatsverlängerung aus
vier wichtigen Gründen sinnvoll ist.

Erstens. Sie trägt maßgeblich dazu bei, den Zugang
der südsudanesischen Zivilbevölkerung zur Hilfe über-
haupt sicherzustellen; denn ohne militärisches Eingrei-
fen wäre zivile Hilfe gar nicht möglich. Auch das gehört
zu diesem Mandat.

Zweitens. Es ist wichtig, dass das Waffenstillstands-
abkommen, das nach wie vor sehr fragil ist und durch
das die verfeindeten Parteien weiter in einen politischen
Prozess hineingebracht werden müssen, durch militäri-
sche Maßnahmen unterstützt wird.

Drittens. Ein weiterer Punkt ist die Entstehung von
öffentlicher Sicherheit und der Schutz der Flüchtlingsla-
ger. Gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Natio-
nen – auch das ist vorhin angesprochen worden – ist es
aus unserer Sicht sehr wohl richtig, hier einen flankie-
renden Militäreinsatz zu fordern und diesen auch fortzu-
setzen. Insofern passt dieses UNO-Mandat sehr gut in
die Aufgabenstellung hinein, weil gerade der Schutz von
Flüchtlingslagern zum Kernbereich dieses Mandats ge-
hört.

Viertens. Ein letzter Grund, warum das Mandat sinn-
voll und richtig ist, ist die Untersuchung der Verletzung
von Menschenrechten sowie die Überwachung des hu-
manitären Völkerrechts.

Damit bin ich nun bei einem Punkt, bei dem ich natür-
lich sage: Das wird nie allein durch militärische Maß-
nahmen gewährleistet werden können. Vielmehr stellt
sich die Frage: Hat der Südsudan die Chance, dass eine
Staatlichkeit entsteht und dass dadurch im Bereich der
Konfliktprävention zukünftig mehr getan werden kann?
Weiterhin stellt sich die Frage, was wir, auch finanziell,
über das bisherige Maß hinaus tun können. Ich habe es ja
gerade schon gesagt: Wir glauben, dass die vernetzte Si-
cherheit, das Zusammenwirken von Entwicklungshilfe,
Bundeswehrmaßnahmen und diplomatischen Initiati-
ven, dazu führen kann, dass es eine Friedenskonsolidie-
rung gibt, aber auch dazu, dass eine dauerhafte Beile-
gung des Konflikts überhaupt in greifbare Nähe rückt;
denn davon sind wir noch weit entfernt. Ich glaube, dass
der Konflikt nach wie vor zeigt, dass wir immer noch
vor einer Herausforderung stehen, bei der man natürlich
nicht gerne militärische Maßnahmen einsetzt, bei der es
aber nach wie vor sinnvoll ist, diese militärische Kom-
ponente einzubringen, um damit den politischen Prozess
tatsächlich weiter anstoßen zu können.

Ich plädiere dafür – wir haben es in unserer Fraktions-
sitzung, aber auch in anderen Gremien in dieser Woche
besprochen –, dass wir uns über dieses Mandat hinaus,
und nicht erst wieder in zwölf Monaten, mit der Frage
der Zukunft des Südsudan beschäftigen und überlegen:
Was können wir unter dem Stichwort „vernetzte Sicher-
heit“ zusätzlich leisten, um neben den militärischen Auf-
gaben einen politisch stabilisierenden Beitrag zu leisten?
Ob nun die Afrika-Leitlinien der Bundesregierung, die
herausgebracht worden sind, dazu ausreichen, lasse ich





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

einmal dahingestellt sein. Vielleicht können wir darauf
aufbauend aber noch einen weiteren Beitrag leisten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806630100

Vielen Dank, Philipp Mißfelder. – Nächste Rednerin

in der Debatte: Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die
Grünen.

Ich bitte noch einmal die Kollegen, und zwar in allen
Teilen des Hauses, entweder der Debatte zu folgen oder
dann nur zur Abstimmung zu kommen. Die Unruhe stört
total. Es geht hier um ein wichtiges Mandat; es geht um
die Frage, unter welchen Bedingungen wir deutsche Sol-
datinnen und Soldaten entsenden. Da hat jeder Kollege,
der redet, das Recht, dass ihm zugehört wird, weil es
eine sehr wichtige Entscheidung ist, die wir hier treffen
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU])


Bitte, Frau Kollegin Brugger. Sie haben das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über
Jahrzehnte haben die Menschen im Südsudan unter Ge-
walt und Unterdrückung gelitten. Und 2011 gab es mit
der Unabhängigkeit ein großes Aufatmen und die aufkei-
mende Hoffnung, dass nun endlich mehr Frieden und Si-
cherheit herrschen würden. Die internationale Gemein-
schaft hat versucht, den jüngsten Staat der Welt auf
diesem Weg zu unterstützen, auch in Form der VN-Frie-
densmission UNMISS, über deren Verlängerung wir
heute beraten.

Im Dezember 2013 sind all diese Hoffnungen aber
schlagartig erloschen, als Präsident Salva Kiir und sein
Vize Riek Machar ihren persönlichen Machtkampf auf
brutalste Weise ausgetragen haben. Am Wochenende ha-
ben sie sich wieder auf einen Waffenstillstand geeinigt.
Ich habe sehr große Skepsis, ob sie wenigstens dieses
Mal gewillt sind, ihn umzusetzen. Die internationale Ge-
meinschaft muss hier weiter Druck ausüben; sie muss
genau hinschauen. Sie muss mehr Sanktionen verhän-
gen, falls sie sich wieder nicht an die Vereinbarungen
halten. Die Vereinten Nationen sollten darüber hinaus
der Europäischen Union folgen und endlich ein Waffen-
embargo gegen den Südsudan verhängen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Meine Damen und Herren, das grausame Ausmaß der
Gewalt, die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen,
die schrecklichen Massenvergewaltigungen und auch
der Einsatz von Kindersoldaten – all das ist nicht nur un-
fassbar, all das muss aufgeklärt werden und die Täter zur
Verantwortung gezogen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])


Der Südsudan war immer ein armes Land. Der ver-
heerende Bürgerkrieg hat aber nicht nur Tausende To-
desopfer gefordert, sondern auch eine humanitäre Kata-
strophe ausgelöst: Fast 2 Millionen Menschen sind auf
der Flucht, 3,8 Millionen sind auf humanitäre Hilfe an-
gewiesen, eine halbe Million ist unmittelbar von Tod
durch Hunger und Krankheit bedroht. Dass der VN-Auf-
ruf zu humanitärer Hilfe von den Mitgliedstaaten bisher
nur zu 61 Prozent erfüllt wurde, finde ich angesichts der
dramatischen Lage beschämend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, als die Gewalt kurz nach
der letzten Mandatsberatung im Bundestag im letzten
Jahr so extrem eskaliert ist, hat die Friedensmission UN-
MISS umgehend reagiert. Damit meine ich nicht nur die
richtige Anpassung des Auftrages der Mission im Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen, bei dem ihr Fokus
ganz klar vom Staatsaufbau auf den Schutz der Zivilbe-
völkerung gerichtet wurde. Meine Fraktion und ich, wir
haben höchsten Respekt vor der schnellen und mutigen
Entscheidung der Leiterin der UNMISS-Mission, Hilde
Johnson, die in dieser gefährlichen Lage die Tore der
VN-Camps für die Flüchtlinge geöffnet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Ich möchte all jenen danken, die sich unter hohem
persönlichen Risiko für den Schutz der unschuldigen
Menschen eingesetzt haben, ob mit Uniform oder ohne,
ob im Rahmen von UNMISS oder außerhalb der Mis-
sion.

Meine Damen und Herren, wenn ich mit denjenigen
spreche, die bei UNMISS eingesetzt waren, dann macht
mich das sehr betroffen. Denn schnell wird klar: Es hät-
ten noch mehr Menschen gerettet werden können, wenn
die Mitgliedstaaten, auch Deutschland, schneller und en-
gagierter reagiert hätten.

Nach wie vor wäre eine Stärkung von UNMISS not-
wendig. Es gibt einen Mangel an bestimmten Fähigkei-
ten in der Logistik, bei der Aufklärung, bei der Verlege-
fähigkeit, bei der Mobilität der Mission. Aber es mangelt
auch an Personal, an Ärzten, an Ingenieuren und ange-
sichts der Übergriffe in den Camps vor allem auch an
Polizisten.

Und meine Damen und Herren, diese Debatte macht
mich auch ein bisschen wütend. 100 000 Menschen
konnten Zuflucht in den Camps der Vereinten Nationen
finden. Allein das zeigt doch, wie wichtig diese Mission
ist und dass eine Ablehnung dieses Mandates derzeit
nicht nur unverantwortlich, sondern auch grausam wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
dass Sie diesen wichtigen Beitrag immer unerwähnt las-





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)

sen, weil es Ihnen eben nicht in den Kram passt, finde
ich zynisch.


(Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ich kann Ihre Begründung für die Ablehnung auch lo-
gisch nur schwer nachvollziehen. Sie kritisieren, dass
hier mit der südsudanesischen Regierung zusammenge-
arbeitet wird. Sie kritisieren, dass nicht jede Gewalteska-
lation verhindert werden konnte. Folgerichtig müssen
Sie dann doch ein robusteres Mandat und mehr Truppen
fordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
auch Ihre Argumentation finde ich wenig überzeugend.
Aktuell sind im Rahmen von UNMISS 16 deutsche Sol-
daten und 7 deutsche Polizisten im Einsatz. Trotz der
völlig veränderten dramatischen Lage bleibt der deut-
sche Beitrag gleich. Es wäre lächerlich, wenn es nicht so
traurig wäre, dass in der Mandatsbegründung steht:
UNMISS ist ein Schwerpunkt des deutschen Engage-
ments in Afrika. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, ich frage Sie ernsthaft: Sieht so die neue
deutsche Verantwortung aus?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich denke hier auch an die
großen Worte und Ankündigungen von Frau von der
Leyen, die gesagt hat: Wir können nicht zur Seite
schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tages-
ordnung sind. „To sit and wait is not an option.“ Afrika
als Nachbarkontinent lag ihr besonders am Herzen.
Nichts habe ich in den letzten Monaten von der Verteidi-
gungsministerin zur Lage im Südsudan gehört. Da, muss
ich sagen, ist eben nicht mehr Verantwortung übernom-
men worden, sondern es wurde weggeschaut und abge-
wartet.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es mehr als bitter und falsch, dass Sie das
mit diesem Mandat nicht korrigieren, dass der von-der-
Leyen-Show an dieser Stelle keine Taten der Bundesre-
gierung folgen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber Schluss!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806630200

Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, den Menschen im Südsu-
dan helfen weder die wohlfeile Kritik der Linkspartei
noch die leeren Verantwortungsfloskeln der Regierung.
Deshalb fordern wir Grüne Sie auf: Erhöhen Sie die Mit-
tel für die humanitäre Hilfe! Setzen Sie sich für ein VN-
Waffenembargo ein! Stärken Sie UNMISS! Schicken Sie
mehr Polizisten und zivile Experten! Übernehmen Sie
Verantwortung, schauen Sie nicht weg und warten Sie
nicht ab!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806630300

Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Letzte Redne-

rin in der Debatte ist Julia Bartz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage es noch einmal: Auch Frau Bartz hat das
Recht, dass ihr zugehört wird. Wir können es auch so
machen: Bis alle sich hingesetzt und aufgehört haben,
ihre Debatten zu führen, mache ich einfach eine Pause.
Dann kommen Sie aber heute nicht mehr nach Hause.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein! – Beifall der Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] und Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das gilt auch für Herrn Heil. Hubertus Heil, wir ha-
ben hier gerade eine Debatte über ein wichtiges Mandat,
und ich sage es jetzt noch einmal: Setzen Sie sich hin
und hören Sie der letzten Rednerin bitte zu.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sonst kommt sie mit dem Stock!)


Das gilt für alle, auch für die da hinten – die kenne ich
besser.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gibt einen Riesenstunk!)


Jetzt bitte Frau Bartz.


Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1806630400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Rahmen eines Hilfsprojekts für den Bau
von Schulen besuchte der rehabilitierte Drogendealer
Sam Childers in den 90er-Jahren zum ersten Mal den Su-
dan. Als Bauhandwerker erlebte er dort die schreckli-
chen Auswirkungen des Bürgerkriegs. Er musste mit an-
sehen, wie kleine Kinder als Kindersoldaten zum
Kämpfen gezwungen wurden. Ein kleiner Junge, der vor
seinen Augen auf eine Tretmine lief, wurde in Stücke ge-
rissen.

Aufgrund dieser Erlebnisse hat Childers gemeinsam
mit seiner Frau ein Kinderdorf im Südsudan gegründet.


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Im Gegensatz zu vielen anderen Hilfsorganisationen en-
gagiert sich Sam Childers, der auch durch den Film Ma-
chine Gun Preacher bekannt ist, bis heute für Waisen-
kinder im Südsudan.

Viele zivile Helferinnen und Helfer sind durch die
prekäre Sicherheitslage vor Ort an ihrer Arbeit gehin-
dert. Die internationale Gemeinschaft bemüht sich seit
seiner Gründung intensiv um den Südsudan. Gerade
Deutschland setzt sich seit Jahren in der Entwicklungs-
zusammenarbeit stark für das Partnerland Südsudan ein.





Julia Bartz


(A) (C)



(D)

An dieser Stelle danke ich allen ganz herzlich, die sich in
der bilateralen staatlichen Entwicklungsarbeit für den
Südsudan einsetzen;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn auch diese Helferinnen und Helfer begeben sich
vor Ort in Gefahr für Leib und Leben, da sich mit dem
erneuten Ausbruch schwerer bewaffneter Auseinander-
setzungen Ende Dezember letzten Jahres die Sicherheits-
lage in weiten Teilen des Südsudan wieder verschärft
hat.

Entsprechend prekär ist auch die humanitäre Lage.
Über 2 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor
Massenhinrichtungen, vor Folter, vor Massenvergewalti-
gungen, vor Plünderungen und Brandschatzungen.

Wenn aber alle auf der Flucht sind, bestellt niemand
mehr die Felder. Das hat auch nachhaltige Auswirkun-
gen auf die landwirtschaftliche Produktion. So ist die
Versorgung mit Lebensmitteln für über 4 Millionen
Menschen kritisch. Angesichts dieser dramatischen Lage
ruhen eigentlich alle internationalen Projekte zum
Staatsaufbau; denn jetzt heißt es: Helfen beim Nötigsten.

Auch die deutschen Projekte der Entwicklungszusam-
menarbeit wurden entsprechend umgewidmet. Anstatt
städtische Wasserversorgungen aufzubauen und eine
nachhaltige Landwirtschaft zu etablieren, wird nun
Trinkwasser für die Flüchtlinge aufbereitet und Essen
beschafft.

Das BMZ stellt derzeit 10 Millionen Euro für Nothil-
femaßnahmen des Welternährungsprogramms zur Verfü-
gung. Über 5 000 Tonnen Nahrungsmittel wurden be-
reits beschafft. Mit 7,5 Millionen Euro unterstützt
Deutschland unterschiedliche NGOs bei der Versorgung
von 400 000 Flüchtlingen im Südsudan und in den um-
liegenden Ländern.

Insgesamt gibt Deutschland alleine in diesem Jahr
über 45 Millionen Euro, um den Menschen im Südsudan
zu helfen. Aber der Südsudan braucht mehr als Nahrung
und humanitäre Hilfe. Der Südsudan braucht auch Frie-
den, damit die Menschen in ihrer Heimat sicher leben
können, damit sie die nächste Saat ausbringen und damit
die Entwicklungszusammenarbeit und der Staatsaufbau
langfristig Früchte tragen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Am Beispiel des Südsudan wird wieder einmal deut-
lich: Es braucht einen ganzheitlichen und vernetzten An-
satz. Nur im Zusammenspiel aus Sicherheit, Diplomatie
und Entwicklungszusammenarbeit können wir über-
haupt erreichen, dass die Menschen in den Krisenregio-
nen eine bessere Zukunft haben werden. Deshalb beraten
wir heute die Verlängerung des UNMISS-Mandats mit
einer Obergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten. Bis-
her sind 16 deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort
im Einsatz, dazu 7 Polizisten und 4 Sonderberater.

Vorrangiges Ziel der Friedensmission ist es, die Zivil-
bevölkerung im Südsudan zu schützen und die humani-
tären Hilfsmaßnahmen zu sichern. Weitere Aufgaben
sind, den Staatsaufbau im jüngsten Staat der Welt zu un-
terstützen, die Menschenrechtsverletzungen zu untersu-
chen und die Umsetzung des Waffenstillstandsabkom-
mens zu unterstützen.

All diese Ziele sind wichtig, damit die humanitären
Hilfsmaßnahmen bei den Bedürftigen ankommen, damit
die deutschen Projekte der Entwicklungshilfe und des
Staatsaufbaus ihre Wirkung entfalten können, und auch,
damit die Waisenkinder im Kinderdorf von Sam
Childers eine bessere Zukunft im Südsudan erleben kön-
nen. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zum An-
trag der Bundesregierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806630500

Vielen Dank, Frau Kollegin Bartz. – Ich schließe die

Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan, UNMISS. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/3191, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/3005 anzunehmen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, und
möchte Sie darauf hinweisen, dass nach dieser namentli-
chen Abstimmung in etwa 30 Minuten die nächste na-
mentliche Abstimmung stattfindet. – Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Hiermit eröffne
ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)


– Wenn der Herr Kauder „Nein!“ sagt, muss ich doch
noch einmal genauer schauen. – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Ich sage es noch einmal: Die nächste namentliche Ab-
stimmung findet in einer halben Stunde statt. Das heißt,
wenn Sie gerne so lange im Saal bleiben wollen, sind Sie
herzlich eingeladen, der Debatte zu folgen. Wenn nicht,
bitte ich Sie, jetzt zügig den Raum zu verlassen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 a auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Katharina Dröge, Kerstin Andreae,

1) Ergebnis Seite 6292 C

(B)






Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nationales Reformprogramm 2014 nutzen –
Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU
ernst nehmen und Investitionen stärken

Drucksachen 18/978, 18/1675

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/1675, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/978
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die
Grünen und Enthaltung der Linken angenommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-
Operation in Darfur (UNAMID) auf Grund-
lage der Resolution 1769 (2007) des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen vom
31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zu-
letzt 2173 (2014) vom 27. August 2014

Drucksachen 18/3006, 18/3193

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/3194

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
25 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre
und sehe keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1806630600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte die Aussprache zur Mandatsver-
längerung damit beginnen, dass ich, hoffentlich im Na-
men von uns allen hier im Hause, denjenigen danke, die
in Darfur als Soldatinnen und Soldaten, als Polizisten,
als zivile Helfer, als Militärbeobachter ihren Einsatz leis-
ten, weil wir sie dorthin schicken. Ich glaube, das ist ein
angemessener Rahmen, um ihnen einmal Danke zu sa-
gen für die Mühe, die sie sich geben.

1) Anlage 2

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich in dem Zusammenhang aber auch sa-
gen, dass ich mir – selbst wenn es sich aktuell nur um
zehn Soldatinnen und Soldaten und fünf Polizisten han-
delt, die in Darfur im Namen der Bundesrepublik aktiv
sind – gewünscht hätte, dass wir über ein solches Man-
dat in der zweiten und dritten Lesung nicht zu so später
Stunde hier im Parlament entscheiden müssen, sondern
dass wir diese Debatte eher geführt hätten. Ich hätte das
für angemessener gehalten. Ich finde es gut, dass wir als
Deutscher Bundestag über jeden Militäreinsatz nament-
lich abstimmen und dass es hier Debatten dazu gibt; aber
ich finde, ehrlich gesagt, dass solche Diskussionen in
eine frühere Tageszeit gehören. Das hätte ich mir ge-
wünscht. Ich hoffe, dass das viele hier im Haus genauso
sehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber so kriegt man wenigstens zu so später Stunde den Saal voll!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen interna-
tionale Umbrüche. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist
gerade in den letzten Monaten mit brachialer Gewalt in
die Öffentlichkeit gerückt. Wir sehen die Konflikte in
Syrien, in der Ukraine und im Nordirak – Konflikte, die
uns hier im Parlament bewegen. Umso wichtiger ist es,
dass die kleinen Konflikte oder die Konflikte, bei denen
wir als Bundesrepublik nur in geringem Umfang betei-
ligt sind, nicht in Vergessenheit geraten und wir auch
hier im Bundestag über Sudan und Darfur reden.

Schauen wir uns die Zahlen an: Dort sind in den letz-
ten Jahren 300 000 Menschen umgekommen. Es gibt
2,5 Millionen Binnenflüchtlinge, die dort auf der Flucht
sind. Es gibt Not, Vertreibung und Elend. Das alles sind
Dinge, die uns hier im Parlament beschäftigen müssen.
Es ist richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland als
einer der wenigen westlichen Staaten – neben vielen
Ländern der Afrikanischen Union – auch im Sudan und
in Darfur ihrer Verantwortung gerecht wird.

Wir stimmen heute über ein Mandat ab, das einen
wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung leistet. Es han-
delt sich um eine gemeinsame Operation mit der Afrika-
nischen Union im Rahmen der Vereinten Nationen.
Wenn wir uns das Mandat und seine Umsetzung an-
schauen, dann müssen wir feststellen: Es läuft in Darfur
nicht alles so, wie wir es uns wünschen. Wir sehen Fort-
schritte, dann wieder Rückschritte. Ich sage Ihnen aber:
Es ist unabdingbar, dass wir dort einen Militäreinsatz
leisten, der Helfer schützt und für den Schutz der Zivil-
bevölkerung und die Absicherung von humanitärer Hilfe
sorgt, damit es dort in absehbarer Zeit zu politischen Lö-
sungen kommen kann.

Ich bin mir sicher: Wir werden auch heute wieder da-
rüber diskutieren, dass es vielleicht eine Verengung auf
das Militärische gibt. Deswegen will ich hier in aller
Deutlichkeit sagen, dass wir aktuell von zehn Soldatin-





Lars Klingbeil


(A) (C)



(B)

nen und Soldaten sowie von fünf Polizisten reden. Es
gibt viele weitere Unterstützungsleistungen der Bundes-
republik Deutschland, auch in finanzieller Hinsicht.

Es findet im Rahmen des Kofi-Annan-Trainings-
camps für Polizisten eine Unterstützung bei der Ausbil-
dung von afrikanischen Polizisten für Einsätze im Rah-
men von UNAMID statt. Dabei handelt es sich um eine
Vernetzung von Bundespolizei mit afrikanischen Polizis-
ten. Es werden senegalische Polizeieinheiten ausgebil-
det. Diese Ausbildung wird durch das Auswärtige Amt
unterstützt. Das THW ist dort aktiv. Wir sehen auch,
dass bei der Darfur-Unterstützungskonferenz in Doha in
umfangreichem Maße – es handelt sich um 16 Millionen
Euro – BMZ-Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um
den Wiederaufbau in Darfur zu unterstützen.

Es gibt also neben der militärischen Mission, die eine
Schutzmission ist, eine umfangreiche politische Agenda,
mit der wir als Deutscher Bundestag versuchen, den
Friedensprozess in Darfur zu unterstützen, um zu
schauen, wie wir dort zu politischen Lösungen kommen
können. Ich glaube, es gibt keine Alternative zu diesem
Weg, auch wenn wir uns, glaube ich, wünschen würden,
dass es dort an vielen Stellen besser läuft sowie dass es
weniger Gewalt und Tote bei diesem Prozess gibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eigentlich
sieben Minuten Redezeit. Die will ich aber wegen der
fortgeschrittenen Stunde nicht ausnutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir sehen eine Mission, die Sinn macht, bei der es Sinn
macht, dass wir sie weiter unterstützen. Wir setzen große
Hoffnungen auf diese UN-Mission. Ich kann Ihnen des-
wegen sagen, dass die SPD-Fraktion – wie in den letzten
Jahren – dem Mandat zustimmen wird.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806630700

Vielen Dank, Kollege Klingbeil. – Lassen Sie mich

zunächst die Gäste auf der Tribüne recht herzlich begrü-
ßen, die diese Debatte wahrscheinlich aus gutem Grund
mit besonderem Interesse verfolgen. Schönen guten
Abend!


(Beifall)


Lassen Sie mich Ihnen zweitens das Ergebnis der
ersten namentlichen Abstimmung, der über die
UNMISS-Mission – also die Friedensmission im Südsu-
dan –, mitteilen: abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben
gestimmt 523 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein ha-
ben gestimmt 55 Kolleginnen und Kollegen, Enthaltun-
gen 3. Die Beschlussempfehlung ist damit mit großer
Mehrheit angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 581;
davon

ja: 523
nein: 55
enthalten: 3

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Christian Petry

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

SPD

Dr. Ute Finckh-Krämer
Petra Hinz (Essen)

Jeannine Pflugradt
Nächster Redner in der Debatte zu UNAMID Stefan
Liebich für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1806630800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Klingbeil, der Abend ist fortgeschritten, der Plenar-
tag war lang, und viele wollen nach Hause. Ich kann das
gut verstehen. Trotzdem finde ich es richtig und notwen-
dig, dass wir die Argumente für und wider einen solchen
Einsatz hier abwägen. Das Parlamentsrecht – darüber
wird ja diskutiert – ist ein hohes Gut. Wir sollten es
wahrnehmen und auch heute am späten Abend ernst neh-
men.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich denke, niemand von Ihnen sollte einfach Ja sagen,
weil er einer Partei angehört, die die aktuelle Bundesre-
gierung bildet, die den Einsatz hier beantragt.





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und nicht jeder sollte Nein sagen, nur weil er der Opposition angehört!)


– Herr Kauder, Sie nehmen mir die Worte aus dem
Mund. – Niemand sollte einfach Nein sagen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Niemand sollte einfach Nein sagen, nur weil er der Opposition angehört!)


– Richtig, ich gebe Ihnen hinterher mein Manuskript.
Das war genau mein Satz: Niemand sollte Nein sagen,
weil er der Bundesregierung misstraut.

Es geht konkret um den Einsatz. Wir müssen uns an-
schauen, was dafür und was dagegen spricht. Kann man
es verantworten, Soldaten in einen gefährlichen Einsatz
zu schicken? Ich muss an der Stelle sagen: Gerade vor
wenigen Wochen sind wieder drei Soldaten bei diesem
Einsatz getötet worden. Die Bundesregierung weist in
ihrem Antrag selbst darauf hin, dass insgesamt bereits
202 Soldaten bei diesem Einsatz ums Leben gekommen
sind. Auf der anderen Seite wiegt es natürlich schwer,
wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen immer
wieder einstimmig diesen Einsatz befürwortet. Aber
dass er dem Völkerrecht entspricht, bedeutet ja nicht,
dass man ihn befürworten muss oder gar die Beteiligung
Deutschlands automatisch bejaht. Die Frage, über die
wir hier diskutieren und die wir beantworten müssen,
lautet: Helfen wir mit der Beteiligung am konkret be-
schlossenen Einsatz, den blutigen Konflikt in Darfur zu
beenden? Bringt er mehr Sicherheit? Das ist die Frage,
die wir hier heute beraten.

Ich zitiere hier Kristian Brakel, den ehemaligen Leiter
des Büros des Sonderbeauftragten der Europäischen
Union für den Sudan. Er sagte:

Elf Jahre nach dem Kriegsausbruch in Darfur ist die
Mission schon lange am eigenen Mandat geschei-
tert.

Sie kennen wahrscheinlich die Kritik der ehemaligen
Pressesprecherin von UNAMID, Frau al-Basri, die da-
rüber gesprochen hat, dass UNAMID die Medien belo-
gen hat und in einigen Fällen noch nicht einmal den Ver-
such unternommen hat, die Zivilbevölkerung zu
schützen. Es gibt Kritik von Samantha Power, der US-
Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Es gibt auch
Kritik der Chefanklägerin des Internationalen Strafge-
richtshofs, Fatou Bensouda, die sich besorgt zeigt, dass
UNAMID Verbrechen sudanesischer Paramilitärs gegen
die Bevölkerung deckt. Darüber darf man nicht einfach
hinweggehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung, die
diesen Antrag hier einbringt, etwas zu dieser Kritik sagt.

Nun kann man ja sagen, dass man noch mehr Solda-
ten dorthin schicken soll. Das hat Herr Mißfelder in der
Debatte zuvor bei UNMISS gesagt. Ich glaube aller-
dings, dass mehr vom Falschen nicht hilft.


(Beifall bei der LINKEN)

Um zu einer wirklichen Lösung zu kommen, muss man
an die Wurzeln des Konflikts gehen. Wie so häufig geht
es hier um Verteilungsfragen. Sudan ist ja kein armes
Land. Es ist reich an Bodenschätzen: Öl, Erz, Edel-
metalle, insbesondere Gold, Nilwasser und fruchtbares
Ackerland. Was Darfur und die Menschen in ganz Sudan
brauchen, ist Verteilungsgerechtigkeit im ganzen Land.
Wenn das nicht geschieht, werden wir hier wieder und
wieder über Mandatsverlängerungen reden. Das anzupa-
cken, würde den Machtinteressen der Eliten im Sudan
und anderswo widersprechen, ist aber dringend notwen-
dig.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der UNO-Einsatz UNAMID in Darfur steht vor der
unlösbaren Aufgabe, einen Frieden zu schützen, den es
nicht gibt und den man durch den Militäreinsatz der
UNO auch nicht erreichen wird. Deshalb empfehle ich
Ihnen, die Beteiligung der Bundeswehr daran abzuleh-
nen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806630900

Vielen Dank, Stefan Liebich. – Nächster Redner in

der Debatte ist Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1806631000

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In der

vorhergegangenen Debatte habe ich nach einer Rednerin
der Linksfraktion gesprochen. Der Zufall will, dass ich
auch in dieser Debatte nach einem Redner aus Ihrer
Fraktion spreche. Ich muss sagen, dass ich diese Gele-
genheit nutzen möchte, um ein paar Dinge einzuordnen,
die bei der Linksfraktion beim Thema „Auslandseinsätze
der Bundeswehr“ grundsätzlich schieflaufen. In der Re-
gel fordern Sie – das werfen Sie uns an der Stelle vor, wo
wir im Rahmen der NATO unseren Bündnisverpflichtun-
gen nachkommen – ein UNO-Mandat. Hier gibt es nun
ein UNO-Mandat, das breit getragen wird. Trotzdem sa-
gen Sie Nein.

Sie haben Frau Power, die Botschafterin der Vereinig-
ten Staaten von Amerika bei den Vereinten Nationen, zi-
tiert. Aber Sie haben weggelassen, dass sie als Konse-
quenz aus ihrer Kritik an UNAMID eigentlich mehr statt
weniger Engagement fordert. Das Herausziehen von
Soldaten bzw. der militärischen Komponente aus
UNAMID würde bedeuten, dass der Frieden, der noch
lange nicht erreicht ist – das ist der einzige Punkt, in dem
ich Ihnen zustimme –, in noch weitere Ferne rücken
würde. Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Wenn
wir über Verantwortungsethik sprechen, ist die militäri-
sche Komponente hier zwingend notwendig, wenn auch
in einem sehr begrenzten Umfang und wenn das Ganze
auch in einem gefährlichen Rahmen stattfindet.

Da Sie angesprochen haben, dass drei Peacekeeper
ums Leben gekommen sind, sage ich Ihnen: Es ist rich-





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

tig, dass wir uns – da sich nicht alle von uns jeden Tag
mit diesem Konflikt beschäftigen – am heutigen Don-
nerstagabend, wenn auch zu später Uhrzeit, im Rahmen
einer Bundestagsdebatte mit diesem Thema auseinander-
setzen.

Unsere Strategie, was den Konflikt in Darfur insge-
samt angeht – Lars Klingbeil hat das gerade herausgear-
beitet –, ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Es gibt einen
sehr großen zivilen und einen sehr großen entwicklungs-
politischen Teil. Das Auswärtige Amt leistet im Rahmen
internationaler Konferenzen, aber auch bei zahlreichen
bilateralen Gesprächen einen großen Beitrag dazu, den
notwendigen politischen Rahmen zu setzen, um einen
erneuten Völkermord an dieser Stelle zu verhindern.
Aber die entscheidende Komponente besteht darin – wir
können sicherlich darüber reden, ob wir hier nicht noch
mehr tun müssen –, die Ertüchtigungsstrategie weiter zu
forcieren und dort Polizeieinheiten aufzubauen, sodass
man im Rahmen der staatlichen Strukturen in Zukunft in
der Lage ist, selbstständig für Sicherheit zu sorgen. Aber
man muss nüchtern bilanzieren: Davon ist man aktuell
noch sehr weit entfernt.

Es ist an dieser Stelle auch schon gesagt worden: Die
Rahmenbedingungen für beide Länder – das betrifft also
beide Mandate, über die wir im Rahmen dieser zwei De-
batten diskutieren – sind eigentlich von Natur aus gut.
Aber wie so häufig in Afrika ist Rohstoffreichtum eher
ein Fluch als ein Segen. Deswegen müssen wir uns im
Hinblick auf die politische Konzeption, was Afrika an-
geht, schon die Fragen stellen: Welche Formate müssen
wir wählen? Welche regionalen Partner müssen wir stär-
ken? Welche regionale Partnerschaftsorganisation müs-
sen wir stärker in den Blick nehmen? Das tun wir. Wir
engagieren uns dafür, dass diejenigen, die dort versu-
chen, den politischen Prozess zu verstetigen, von uns un-
terstützt werden. Das darf man trotz eines Bundes-
wehreinsatzes bzw. trotz des Einsatzes bewaffneter
Streitkräfte nicht unter den Tisch fallen lassen.

Ich glaube, am heutigen Tag muss man darauf hinwei-
sen: Wir dürfen diesen Konflikt nicht kleinreden. Schon
in der Vergangenheit handelte es sich um eine erhebliche
Auseinandersetzung. Die Gefahr, dass sich eine solche
Auseinandersetzung wiederholt, ist nach wie vor sehr
groß. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind bis zum
heutigen Tag 385 000 Menschen auf der Flucht. Vor die-
sem Hintergrund würde ich nicht von einem kleinen
Konflikt sprechen. Es ist ein sehr großer Konflikt, meine
Damen und Herren. Aus meiner Sicht muss diese Ein-
ordnung vorgenommen werden, weil das in der Debatte
vorhin etwas anders klang.

Auch ich befürworte die Unterstützung des Antrags
der Bundesregierung. Ich bin der Meinung, dass wir hier,
indem wir in begrenztem Maße militärische Mittel ein-
setzen, einen Beitrag zum Frieden leisten. Der zivile
Beitrag, den wir leisten – das ist vorhin schon gesagt
worden –, hat einen größeren Umfang. Ich glaube, dass
dies im Sinne der vernetzten Sicherheit der richtige Weg
ist.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806631100

Vielen Dank, Philipp Mißfelder. – Nächster Redner in

der Debatte ist Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806631200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Einsatz im Rahmen von UNAMID, ein gemeinsamer
Einsatz der Afrikanischen Union und der Vereinten Na-
tionen, ist ein wichtiges Zeichen der internationalen Ge-
meinschaft, ein Zeichen der Solidarität mit Menschen,
die schon sehr lange eine der größten humanitären Kata-
strophen unserer Zeit erleiden müssen. An dieser Stelle
möchte auch ich mich bei den Soldatinnen und Soldaten
und den Polizistinnen und Polizisten, die sich seit nun-
mehr sieben Jahren in diesem gefährlichen und wichti-
gen Einsatz befinden, bedanken. Wir sollten aber auch
denjenigen Truppen danken, die von anderen Staaten
dorthin geschickt worden sind, um dafür zu sorgen, dass
dieser Einsatz tatsächlich trägt. Herzlichen Dank für die-
sen großen Beitrag!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


UNAMID bringt keinen Frieden. Eine politische Lö-
sung würde Frieden bringen. Eine politische Lösung im
Hinblick auf die Situation in Darfur ist aber wahnsinnig
kompliziert, und sie ist nicht in unmittelbarer Reich-
weite. Wir sollten die Ursachen des Konflikts nicht ver-
gessen. Wir reden über unzureichende Strukturen, über
Unterentwicklung. Wir reden über jahrzehntelange Lie-
ferungen von Waffen in die Region. Wir reden über Kli-
maveränderungen, die konfliktverschärfend wirken.
Aber wenn wir schon nicht den Frieden bringen können,
dann müssen wir zumindest das tun, was möglich ist.

Hier wurde die Frage gestellt: Was bringt UNAMID
konkret? Es ist zwar richtig, dass UNAMID weit davon
entfernt ist, sich selbst zu erledigen, was das Ziel des
Einsatzes sein müsste. Aber UNAMID schafft wenigs-
tens zwei Dinge: erstens einen besseren Zugang für
Hilfsorganisationen und zweitens Schutz für die Men-
schen in den Camps, und das sind nicht wenige. Schon
deswegen kommen wir zu dem Ergebnis, dass UNAMID
derzeit sehr wichtig ist. Wir werden der Fortsetzung des
Mandats zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir über politische Ansätze reden, dann steht
fest, dass wir natürlich mehr tun müssen. Deutschland
hat eine Verantwortung in Afrika. Man hat das Gefühl,
dass sich die Bundesregierung nur engagiert, um zu zei-
gen, dass man etwas Gutes tut. Es gibt derzeit drei ver-
schiedene afrikapolitische Strategien. Wir haben Kon-
zepte für Afrika aus dem BMZ, dem Auswärtigen Amt
und dem BMBF vorliegen. Bei einem genaueren Blick
auf diese Konzepte ist zweifelhaft, ob sie aufeinander





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

abgestimmt sind oder nebeneinander existieren. Eine
Koordination der Konzepte wäre aber absolut notwen-
dig. Ich hoffe, dass das Verkehrsministerium nicht auch
noch ein Afrika-Konzept auf den Tisch legt.

Im Ausschuss wurde uns gesagt, Sudan sei ein
Schwerpunkt der deutschen Afrika-Politik; das wurde
schon in der vorangegangenen Debatte gesagt. Schaut
man sich die Afrikapolitischen Leitlinien an, stellt man
fest: Der Sudan kommt darin gar nicht vor. Im Man-
datstext steht aber: Wir werden zustimmen, weil der Ein-
satz im Sudan ein „wichtiges Zeichen“ ist. Dort finden
sich auch Textstellen, bei denen man sich fragt, ob sie ei-
gentlich ernst gemeint sind. Ein Beispiel: Aufgrund des
verstärkten Einsatzes, den wir brauchen, wird die Zahl
der Soldatinnen und Soldaten gleich hoch gelassen. –
Hier wird nicht sauber argumentiert.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie wollen immer mehr schicken, oder?)


Es ist auch erstaunlich, dass auf den UN-Bericht, den
der Kollege Liebich eben völlig zu Recht angesprochen
hat, auf die Kritikpunkte und Mängel an UNAMID nicht
ausreichend eingegangen wird. Die USA, Großbritan-
nien und Frankreich haben hier sehr klare Worte der Kri-
tik gefunden. Sie haben gesagt, dass das nicht gehe und
die UN solche Berichte nicht verfassen dürfe. Es ist er-
staunlich, dass wir als einzige Truppenstellernation Eu-
ropas dazu schweigen. Das ist nicht ausreichend.

Genauso wenig ist es ausreichend, sich beim Thema
China auszuschweigen. China ist das Land, das am meis-
ten blockiert, wenn es darum geht, im Rahmen der UN
eine Waffenblockade durchzusetzen. Hier drückt man
sich vor schwierigen Aufgaben, mit denen man sich aber
beschäftigen und derer man sich annehmen muss.

Erlauben Sie mir, zum Schluss noch etwas Lobendes
zu sagen. Ich finde es hervorragend, dass Deutschland
sich maßgeblich daran beteiligt hat, dass die EU ein
Waffenembargo verhängt hat. Das ist ein guter Schritt.
Wir begrüßen dieses Engagement der Bundesregierung.
Aber wenn man wie bei allen Einsätzen ernsthaft daran
arbeiten will, dass sich UNAMID überflüssig macht,
dann sollte man mehr tun, dann braucht man gerade auch
im politischen Bereich deutlich mehr Ambitionen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806631300

Vielen Dank, Kollege Omid Nouripour. – Der letzte

Redner in dieser Debatte ist Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1806631400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir entscheiden heute über die weitere deutsche Beteili-
gung am UNAMID-Einsatz in Darfur. Blicken wir auf
das Jahr 2003 zurück, als dieser Konflikt gewaltsam aus-
gebrochen ist: Er war omnipräsent in der Welt. Die UNO
hat davon gesprochen, dass es die schrecklichste huma-
nitäre Katastrophe der Welt ist. Heute reden wir über ei-
nen vergessenen Konflikt. Aber das darf nicht dazu füh-
ren, dass wir ob der Zahlen, mit denen wir konfrontiert
sind, abstumpfen. 300 000 Tote in diesem Konflikt,
200 000 Flüchtlinge, die im Tschad unter elenden Bedin-
gungen in Flüchtlingscamps und Zelten hausen, 2,4 Mil-
lionen Binnenflüchtlinge, die durch das Land irren,
4 Millionen Menschen – das ist die Hälfte der Bevölke-
rung in Darfur –, die unmittelbar von humanitärer Hilfe
abhängig sind – das sind die Strukturen, mit denen wir es
dort zu tun haben. Vor diesem Hintergrund ist es richtig,
dass es vor allen Dingen humanitärer Hilfe und Unter-
stützung bedarf. Aber die Sicherheitslage ist so, dass das
ohne ein robustes Mandat nicht funktioniert.

Im April hat die Regierung die bisher größte Offen-
sive gestartet, die neue Flüchtlingsströme in Gang ge-
setzt hat. Im Oktober sind drei Peacekeeper bzw. Blau-
helme gestorben. Insgesamt sind 202 Peacekeeper in
diesem Einsatz getötet worden. Deshalb ist es zunächst
einmal notwendig, dass auch mit militärischer Unterstüt-
zung eine Situation geschaffen wird, in der humanitäre
Hilfe möglich ist und wir darüber hinaus in die Lage ver-
setzt werden, eine Basis dafür zu schaffen, dass eine
politische Lösung des Konfliktes weiter fortschreiten
kann. Es geht am Ende des Tages darum, Infrastruktur
wie die Wasser- und Energieversorgung aufzubauen. Es
müssen Strukturen geschaffen werden, die es dem Land
ermöglichen, sich aus humanitärer Abhängigkeit heraus-
zulösen. Dafür müssen wir etwas tun.

Die Bundesregierung tut deutlich mehr, als nur diesen
Militäreinsatz zu ermöglichen. Ich schätze, dass die zehn
Soldaten im Rahmen dieses Einsatzes Kosten von weni-
ger als 1 Million Euro verursachen werden. Die Kosten
für zivile Hilfe dürften um ein 50-faches höher sein. Al-
lein im Haushaltsplan 2015 sind 43 Millionen Euro an
UN-Beiträgen für diesen Einsatz vorgesehen. Wir tun
nicht nur etwas im Rahmen des Doha-Prozesses und der
humanitären Hilfe, sondern unterstützen auch Aussöh-
nungsprozesse und die Stärkung der Zivilgesellschaft
vor Ort. Ich glaube, das ist in der Tat ein vernetzter, ge-
samthafter Ansatz, der einen wirkungsvollen Beitrag
dazu leisten kann, dass wir in diesem Konflikt einer Lö-
sung näher kommen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, in
dem wir, wie ich glaube, durchaus noch besser werden
können. Wir entscheiden heute nicht über den Einsatz
deutscher Polizeibeamter in Darfur. Aber ich glaube, ins-
gesamt ist das ein Bereich der Krisenprävention, in dem
wir besser werden müssen. Wir haben sehr viel Expertise
und Know-how, was den Einsatz deutscher Polizeibeam-
tinnen und Polizeibeamter im Ausland angeht. Diese
Leistung ist international nachgefragt. Im Innenausschuss
und im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention ha-
ben wir uns vergangene Woche mit der Frage auseinan-
dergesetzt, wie wir es schaffen können, mehr deutsche
Polizeibeamte in Auslandsmissionen zu bringen. Ich glaube,
dass wir in dieser Frage noch Hausaufgaben zu erledigen
haben. Wir müssen besser werden, Karrierehemmnisse





Thorsten Frei


(A) (C)



(D)(B)

abbauen und Leistungsanreize schaffen, damit ein sol-
cher Einsatz eine normale Station in der Karriere eines
Polizeibeamten werden kann.

Zum Schluss möchte ich noch eines ansprechen: Ich
glaube, dass uns dieser Konflikt auf unserem Nachbar-
kontinent nicht kaltlassen darf. Wir müssen uns im Rah-
men unserer Möglichkeiten engagieren, und das tun wir
im gesamthaften Ansatz. Das ist notwendig, weil es un-
sere Verpflichtung ist, weil wir helfen können, Fragilität
zu beseitigen, die letztlich zu weiteren Rückzugsorten
für internationalen Terrorismus führt, und weil wir einen
Beitrag dazu leisten können, in den Herkunftsländern et-
was gegen die Flüchtlingsströme nach Europa zu tun.
Wir müssen neben den Krisen und Schwierigkeiten in
Afrika auch die Chancen sehen. Dieser Kontinent ist
letztlich auch ein Wachstumskontinent voller Chancen.

In diesem Sinne, glaube ich, ist der UNAMID-Einsatz
richtig und notwendig, und ich werbe für Ihre Unterstüt-
zung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1806631500

Vielen herzlichen Dank, Thorsten Frei. – Damit

schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag
der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-
Operation in Darfur, UNAMID. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/3193, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/3006 anzunehmen. Wir stimmen über die Be-
schlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die Plätze an den Urnen
einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? –
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über
die Beschlussempfehlung.

Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab-
gestimmt haben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe
ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für eine transparente Haushaltskontrolle nach-
richtendienstlicher Tätigkeiten

Drucksachen 18/2872, 18/3085

1) Ergebnis Seite 6300 A
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3085, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/2872 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei
Ablehnung der Linksfraktion und Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Katrin
Albsteiger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum),
Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Gute Arbeit weltweit – Verantwortung für
Produktion und Handel global gerecht wer-
den

Drucksachen 18/2739, 18/3133

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Sozial-ökologischen Rahmen für die Aktivitä-
ten transnationaler Unternehmen schaffen
und durchsetzen

Drucksachen 18/2746, 18/3134

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) –
Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Gute
Arbeit weltweit – Verantwortung für Produktion und
Handel global gerecht werden“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/3133, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 18/2739 anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung bei Zustimmung der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

2) Anlage 3
3) Anlage 4





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Sozial-ökologischen Rahmen für
die Aktivitäten transnationaler Unternehmen schaffen
und durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3134, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/2746 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und eines Kollegen aus der SPD-
Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Kordula Schulz-Asche, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Ein-
satz in der Tierhaltung auf vernünftiges Maß
reduzieren

Drucksache 18/3152
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Wie ich sehe, sind Sie einverstanden.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3152 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel
für Wachstum und Beschäftigung und zur
Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG

Drucksache 18/2953

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/3190

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/3190, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/2953 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –

1) Anlage 5
2) Anlage 6
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung bei Zustimmung der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist bei Zustimmung der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstel-
lung von asylsuchenden und geduldeten Aus-
ländern
Drucksache 18/3144
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden3) –
Sie sind einverstanden.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs 18/3144 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweiti-
gen Vorschläge dazu. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen
Übereinkommen vom 27. November 2008
über die Adoption von Kindern (revidiert)

Drucksache 18/2654
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/3198
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen vor.

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.4) –
Ich sehe, Sie sind einverstanden.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/3198, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/2654 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer

3) Anlage 7
4) Anlage 8





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(B)

enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf bei Zustim-
mung von allen Fraktionen im Haus angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/3204. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenprobe! – Der Entschließungs-
antrag ist abgelehnt bei Zustimmung von Bündnis 90/
Die Grünen und der Linken und Ablehnung von CDU/
CSU- und SPD-Fraktion.
Lassen Sie mich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zur Fort-
setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Kräfte
am UNAMID-Mandat bekannt geben: abgegebene Stim-
men 577. Mit Ja haben gestimmt 521, mit Nein haben
gestimmt 54, Enthaltungen 2. Damit ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 521
nein: 54
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)






Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(B)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Christian Petry
DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

SPD

Dr. Ute Finckh-Krämer
Petra Hinz (Essen)


(D)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU
über die Europäische Schutzanordnung, zur
Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 606/
2013 über die gegenseitige Anerkennung von
Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur
Änderung des Gesetzes über das Verfahren in
Familiensachen und in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Drucksache 18/2955
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/3200
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –

Ich sehe, Sie sind einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/3200, den Gesetz-

1) Anlage 9
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2955 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung bei Zustimmung aller Fraktionen an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit Zustimmung aller Fraktionen angenom-
men.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung angekommen. Ich bedanke mich bei den Kolle-
gen. Es war, glaube ich, ein sehr intensiver Tag heute
hier im Plenum.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 14. November, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen sehr schönen Restabend. Bis morgen früh!