Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
nung um eine Vereinbarte Debatte mit dem Thema
„Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der Ebolaepide-
mie“ zu erweitern und diese im Anschluss an die Frage-
stunde als Zusatzpunkt 1 mit einer Debattendauer
von einer Stunde aufzurufen. Gibt es dagegen Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesre-
gierung zum Stand der deutschen Einheit.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Energie, Frau Iris Gleicke. –
Bitte schön.
I
Schönen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Heute auf den Tag genau vor 25 Jahren,am 24. September 1989, wird die Botschaft der Bundes-regierung in Prag zum Sammelpunkt für fast 900 DDR-Flüchtlinge; 200 Kinder waren darunter. Einen Tag spä-ter, am 25. September 1989, fordern mehrere TausendDemonstranten auf der Montagsdemo in Leipzig demo-kratische Reformen und die Zulassung des Neuen Fo-rums. Stasivizechef Mittig ruft am 26. September 1989die Chefs der MfS-Bezirksverwaltungen zusammen undfordert, die „feindlich-oppositionellen Zusammen-schlüsse“ mit dem Ziel der Zerschlagung „operativ zubearbeiten“. Auf Grundlage eines Honecker-Befehls zur– ich zitiere – „Verhinderung von Provokationen unter-schiedlicher Art“ zum 40. Jahrestag der DDR bringt Ver-teidigungsminister Keßler vorsorglich die NVA für denEinsatz in Ostberlin in Stellung. – So viel zu den Tagenim September vor 25 Jahren. Heute klingt das wie einBericht aus einer fernen Welt oder aus einem anderenZeitalter.Der vorliegende Jahresbericht zum Stand der deut-schen Einheit würdigt in besonderer Weise die mutigenProteste und Demonstrationen im Herbst 1989 in Leip-zig und in vielen anderen Städten der DDR. Die Demon-stranten haben mit ihrer Zivilcourage den Grundstein fürFreiheit und Demokratie in Ostdeutschland gelegt. In-dem sie die Mauer niedergerissen haben, haben sie dieEinheit unseres Landes ermöglicht.Die Aufarbeitung der Diktatur in der DDR, die Wür-digung und Rehabilitierung der Opfer der Diktatur blei-ben über den Tag hinaus auf der Tagesordnung.Die Annäherung der Lebensverhältnisse zwischenOst und West in den letzten 25 Jahren ist weitgehendgelungen. Denken Sie an die Modernisierung der Infra-struktur, den Wiederaufbau vieler Innenstädte, die Ver-besserung der Wohnsituation, die Beseitigung der verhee-renden Umweltverschmutzung, den Aus- und Neubaueines modernen Verkehrsnetzes. Und: Die ostdeutscheWirtschaft steht auf einem breiten Fundament. Aber wirmüssen heute feststellen: Der wirtschaftliche Aufholpro-zess der neuen Länder im Verhältnis zu Westdeutschlandist in den vergangenen Jahren nur noch sehr langsam vo-rangeschritten. Deshalb ist die weitere Stärkung derWirtschaftskraft unbedingt erforderlich. Denn das si-chert und schafft Arbeitsplätze, verbessert die Steuer-kraft der Länder und hat positive Auswirkungen auf dieLänderhaushalte.2019 läuft der Solidarpakt II aus. Vor diesem Hinter-grund kommt der Neuordnung der Bund-Länder-Finanz-beziehungen für die Zeit ab 2020 eine überragende Be-deutung zu. Eines ist klar: Eine reine Ostförderung kannund wird es ab 2020 nicht mehr geben. Wir müssen diebisherige Förderung weiterentwickeln zu einem Systemder Förderung strukturschwacher Regionen in ganzDeutschland. Wir brauchen ein festes Bündnis der struk-turschwachen Regionen in Ost und West.Meine Damen und Herren, fast 25 Jahre nach derWiedervereinigung brauchen wir endlich ein einheitli-ches Rentenrecht in ganz Deutschland. Hier soll entspre-
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4836 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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chend der Koalitionsvereinbarung mit Ende des Solidar-pakts II, wenn die Lohn- und Gehaltsangleichung weiterfortgeschritten sein wird, in einem letzten Schritt einevollständige Angleichung erfolgen. Die Bundesregie-rung wird 2016 prüfen, ob ein Zwischenschritt erforder-lich ist.Zum Arbeitsmarkt. Im Jahresdurchschnitt 2013wurde die niedrigste Arbeitslosenzahl seit der Wieder-vereinigung registriert. Aber auch hier gibt es ein großes„Aber“; denn gegenüber der Arbeitslosenquote West mit6,0 Prozent ist die Arbeitslosenquote Ost mit 10,3 Pro-zent im Jahresdurchschnitt 2013 noch immer unverhält-nismäßig hoch. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in denletzten Jahren deutlich zurückgegangen. Sie lag im Jahr2013 in Ostdeutschland bei 9,6 Prozent und damit im eu-ropäischen Vergleich auf einem niedrigen Niveau.Auch die Binnenwanderungsverluste zwischen Ostund West sind in den letzten Jahren deutlich zurückge-gangen. Nach Projektionen des Statistischen Bundesam-tes wird die Bevölkerungszahl in den ostdeutschen Flä-chenländern allerdings weiter abnehmen. Dies wirkt sichauf alle Lebensbereiche aus. Beim Umgang mit den da-durch verursachten Veränderungen vor Ort leisten dieostdeutschen Länder in Bezug auf intelligente Modelleder Daseinsvorsorge seit Jahren Pionierarbeit. Der Ostenist hier Avantgarde.Mein Damen und Herren, Sie finden in diesem Be-richt einen Satz, der mir sehr wichtig ist: „Der ganz gro-ßen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger“ der DDR„ging es darum, ein anständiges Leben zu führen.“ Diesgilt es zu erkennen, zu akzeptieren und in einem solidari-schen Miteinander zu verbinden. Wir brauchen einen un-verkrampften Umgang miteinander, wie ihn die jungeGeneration heute schon so erfreulich vorlebt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön. – Die erste Frage hat der Kollege
Wolfgang Tiefensee, SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Staatssekretärin, ganz herzlichen
Dank für den Vortrag und für die Vorlage des Berichtes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst konstatiere
ich: Der Bericht trägt eindeutig die Handschrift des Vi-
zekanzlers und seiner Beauftragten. Die Situation wird
sehr kritisch beschrieben, es werden aber auch die Vor-
teile aufgezeigt. Vor allen Dingen wird erstmalig das En-
gagement der Bürgerinnen und Bürger vor 1989 dezi-
diert gewürdigt.
Frau Staatssekretärin, wir haben eine gute Entwick-
lung bezüglich des Bruttoinlandsproduktes und der Ar-
beitslosigkeit, auch wenn wir hier sicherlich noch Nach-
holbedarf haben. Meine Fragen:
Erstens. Es gibt Förderprogramme wie zum Beispiel
INNO-KOM und ZIM. Ich wünschte mir, dass bei
INNO-KOM nicht gekürzt wird. Warum kürzen wir da
um 500 000 Euro, von 65,5 Millionen Euro auf 65 Mil-
lionen Euro?
Zweitens. Sie haben die Angleichung der Rentensys-
teme angesprochen. Reden wir nach wie vor auch da-
rüber, dass es einen Härtefallfonds geben könnte?
Schließlich: Mich interessiert, wenn es um die Ar-
beitslosigkeit geht: Wenden Sie sich auch ganz beson-
ders der Langzeitarbeitslosigkeit zu, und was ist dort ge-
plant?
Vielen Dank.
I
Schönen Dank. – Zum Thema Arbeitslosigkeit: Es ist
so, dass die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
auch und gerade mit den ESF-Mitteln, die jetzt zur Ver-
fügung stehen, ein Programm auflegen will, das in die-
sem Jahr beschlossen werden soll, damit im nächsten
Jahr Förderungen ermöglicht werden, um gerade unter
dem Aspekt der Altersarmut die Langzeitarbeitslosigkeit
zu bekämpfen und um den Menschen, die dem Arbeits-
prozess schon lange nicht mehr zur Verfügung gestanden
haben, eine Perspektive zu ermöglichen.
Zu den verschiedenen Förderprogrammen. Sie wis-
sen, dass wir die Förderkulisse der Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
schon zu einer gesamtdeutschen umgestaltet haben. Die
Präferenz ist aufgrund der Wirtschaftsdaten nach wie vor
in Ostdeutschland gegeben. Es fließen also nach wie vor
mehr Mittel nach Ostdeutschland.
Programme wie das Zukunftsinvestitionsprogramm
Mittelstand, INNO-KOM-Ost usw. liegen uns besonders
am Herzen und entfalten eine besondere Wirkung für
Ostdeutschland, die wir auch erhalten wollen. Deshalb
haben wir beispielsweise beim Zukunftsinvestitionspro-
gramm 30 Millionen Euro draufgelegt, wir haben bei
den IKT etwas draufgelegt, finanziert aus den Mitteln in
Höhe von 3 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt zu-
sätzlich für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen
zur Verfügung stehen.
Zum Thema Rente. Wir haben in den Koalitionsver-
handlungen vereinbart, die Rentenangleichung bis zum
Jahr 2019, also bis zum Auslaufen des Solidarpakts, zu
schaffen. Sie kennen meine persönliche Meinung aus der
Zeit, als ich noch auf der anderen Seite des Parlaments
gesessen habe, und wissen, dass ich immer für die Ein-
richtung eines Härtefallfonds gestritten habe. Dieser ist
aber in der Koalitionsvereinbarung nicht enthalten. Des-
halb ist natürlich die Frage, ob und inwieweit sich die
Koalitionsfraktionen zum Beispiel über einen solchen
Mechanismus verständigen könnten. Aber ich bitte ganz
herzlich um Verständnis: Das ist im Moment nicht vor-
derste Aufgabe der Bundesregierung, sondern eine Par-
lamentsangelegenheit.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem AbgeordnetenStephan Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4837
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Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, auch ich möchteauf die Zeit zu sprechen kommen, als Sie auf der Abge-ordnetenseite saßen. Da haben wir gemeinsam davor ge-warnt, diesen Bericht zu einem reinen Routineberichtverkommen zu lassen, der sozusagen nur den Status quobeschreibt, und waren uns einig: Wenn man sich die Ar-beit macht, einen solchen Bericht zu erstellen, dannmuss er wirklich neue Ideen und Impulse enthalten. Dawir noch nicht die Gelegenheit hatten, den Bericht zustudieren, möchte ich die Frage stellen: Welche zentralenImpulse und Ideen enthält der Bericht?Die Frage, die sich daran anschließt, ist mit der For-mulierung verknüpft, Ostdeutschland sei Avantgarde,oder anders ausgedrückt: Ostdeutschland ist für die Trans-formationsprozesse sozusagen das Labor. Ganz entschei-dend ist die Frage der Rahmenbedingungen dafür, dass– so wurde es im letzten Bericht genannt – noch nichtgenutztes Potenzial für bürgerschaftliches Engagementgehoben werden kann, sprich: welche Rahmenbedingun-gen die Leute vor Ort haben, um Eigeninitiative ergrei-fen und die zukünftige Entwicklung selber in die Handnehmen zu können. Welche Instrumente schlagen Sie dain dem neuen Bericht jetzt vor?I
Zunächst: Wenn ich über Modellprojekte oder da-
rüber rede, dass Ostdeutschland an vielen Stellen Avant-
garde ist, weil eben versucht wird, mit weniger Mitteln
den gesetzlichen Vorschriften zur öffentlichen Daseins-
vorsorge nachzukommen und sie auch aufrechtzuerhal-
ten, dann denke ich dabei nicht zuerst an Labormäuse.
Ich will einfach sagen: Es geht uns nicht darum, irgend-
eine Grundsicherung zu schaffen, sondern darum, Le-
bensqualität zu schaffen und dafür zu sorgen, dass es
auch in strukturschwachen Regionen Perspektiven gibt.
Das hat sehr viel mit dem zweiten Teil Ihrer Frage zu
tun.
Natürlich geht es uns darum, Menschen zu aktivieren,
sodass sie sich zum Beispiel selbstständig machen. Wir
fangen schon bei den Schülerinnen und Schülern an; wir
wollen mit Projekten an Schulen tatsächlich den Grün-
dergeist stärken. Wir versuchen, gerade auch die Poten-
ziale von Frauen zu heben. Das ist insgesamt eine wichtige
Aufgabe. Denn der Fachkräftemangel in Ostdeutschland
wird aufgrund der demografischen Entwicklung und der
Wanderungsverluste der letzten Jahre einen viel höheren
Stellenwert bekommen.
Es ist heute schon so, dass die ostdeutschen Unterneh-
men – die ostdeutsche Wirtschaft ist nach wie vor von
kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt –
händeringend nach Führungspersonal suchen. Insofern
wollen wir den Mittelstand unterstützen, damit er weiter
wachsen kann. Dazu braucht er entsprechendes Füh-
rungspersonal. Wir wollen natürlich überall dafür wer-
ben. Sie kennen wahrscheinlich die Thüringer Initiative,
die sich an Rückkehrer wendet: „Thüringen braucht
dich.“ – Das sind Dinge, von denen ich glaube, dass sie
wirklich zum Erfolg führen. An der Stelle wollen wir an-
setzen.
Dazu gehört aber auch eine ordentliche Wirtschafts-
förderung – gar keine Frage –, damit das Größenwachs-
tum der kleinteiligen ostdeutschen Wirtschaft weiter vo-
ranschreiten kann.
Nächste Fragestellerin die Abgeordnete Annalena
Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Gleicke, für den kurzen Bericht. Es
ist natürlich wirklich bedauerlich, dass die Koalitions-
fraktionen schon einen Blick darauf werfen konnten, die
Opposition aber nicht. Deswegen kommen wahrschein-
lich auch mehr Fragen von unserer Seite.
Ich knüpfe an das an, was mein Kollege Kühn schon
zur Neustrukturierung des Berichts gesagt hat; Sie haben
es ganz kurz angesprochen. Insbesondere über die finan-
zielle Ausstattung nach dem Auslaufen der Solidarpakt-
mittel haben wir mit Ihnen im Zusammenhang mit dem
letzten Bericht intensiv diskutiert. Wir haben damals in
der Debatte auch die Korb-II-Mittel angesprochen und
gefragt, wo sie sich in der neuen Finanzgestaltung wie-
derfinden könnten. Könnten Sie vielleicht einen Satz
dazu sagen, ob bereits entsprechende Überlegungen in
dem Bericht enthalten sind? Die Investitionsmittel für
Ostdeutschland werden ja nach wie vor noch anders be-
messen.
Wir hatten auch bereits gemeinsam festgestellt, dass
insbesondere die Ausstattung der Kommunen – gerade
viele ostdeutsche Gebiete haben ja strukturell eine an-
dere Prägung – bisher nicht in den Berichten aufgetaucht
ist. Daran anknüpfend möchte ich Sie fragen, inwieweit
im jetzt vorliegenden Bericht ein Schwerpunkt auf die
Situation der Kommunen gelegt wird und inwieweit auf
Kassenkredite und weitere Fragen eingegangen wird.
I
Frau Baerbock, die von Ihnen angesprochenen The-men kommen in dem Bericht in beschreibender Weisevor. Wir weisen dabei darauf hin, dass die Ausstattungder Kommunen von zentraler Bedeutung ist, wenn es da-rum geht, öffentliche Daseinsvorsorge auch in struktur-schwachen Regionen zu erhalten. Sie finden dazu im Be-richt ein paar kurze Ausführungen. Wir sagen allerdingsganz klar: In der Diskussion über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen muss es uns auch darum gehen, eineentsprechende Ausstattung für die finanzschwachenLänder hinzubekommen, damit die öffentliche Daseins-vorsorge wirklich erhalten werden kann. Das ist mirganz wichtig. Das ist im Endeffekt auch die Quintessenzdes vorliegenden Berichtes. Wir brauchen in Ostdeutsch-land also auch nach 2019 eine besondere Förderung.
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4838 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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Ich habe an dieser Stelle zwar hauptsächlich die Si-tuation in Ostdeutschland im Blick, sehe aber auch dieProbleme in den alten Bundesländern. Deshalb sage ich:Wir brauchen ein Fördersystem, durch das die struktur-schwachen Regionen in Ost und West gleichermaßen ge-fördert werden, damit wir da vorankommen können.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Karin
Binder, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Liebe Kollegin
Gleicke, Sie haben die Annäherung zwischen Ost und
West als weitgehend gelungen bezeichnet. Ich muss sa-
gen: Da haben wir doch eine unterschiedliche Sicht der
Dinge. Ich sehe nach wie vor Unterschiede bei der
Rente, ich sehe nach wie vor unterschiedliche Löhne und
Gehälter, ich sehe nach wie vor unterschiedliche Lebens-
standards. Ich glaube, dass wir noch einiges zu tun ha-
ben.
Was ich gar nicht verstehen kann, ist, dass auch
25 Jahre nach der deutschen Einheit von dieser Bundes-
regierung immer noch unterschiedliche Mütterrenten für
Ost und West beschlossen werden. Wir erklären Sie das
im Zusammenhang mit dem Bestreben, ein einheitliches
Rentenrecht zu schaffen?
Ich habe noch eine andere Frage: Wird in Ihrem Be-
richt endlich auch einmal die Rolle der Treuhand ordent-
lich beleuchtet? Ich glaube, dass die Treuhand eine we-
sentliche Rolle im Zusammenhang mit der meiner
Auffassung nach noch nicht stattgefundenen Annähe-
rung zwischen Ost und West spielt. Ich glaube schon,
dass die Politik, die die Treuhand mit ihrem Ausverkauf
der Ost-Bundesländer betrieben hat, in diesem Zusam-
menhang von entscheidender Bedeutung ist.
I
Frau Kollegin Binder, zum Thema Mütterrente. Ganz
klar: Die unterschiedlichen Werte bei der Mütterrente
entstehen dadurch, dass wir ein unterschiedliches Ren-
tensystem in Ost und West haben. Deshalb ist es das er-
klärte Ziel der Bundesregierung, ab 2019 gleiches Ren-
tenrecht zu verankern. Es wurde also nicht beschlossen,
die Mütterrente in Ost oder West unterschiedlich zu ge-
stalten, sondern das resultiert aus den unterschiedlichen
Rentenwerten.
Im Bericht ist kein Kapitel explizit zur Treuhandan-
stalt enthalten. Es gab ja nach Abschluss der Arbeit der
Treuhandanstalt einen Untersuchungsausschussbericht,
dessen Länge, glaube ich, fast einen Meter im Bücherre-
gal umfasst und der eine ganze Menge Hinweise enthält
bzw. deutlich macht, was gut oder was weniger gut ge-
laufen ist.
Wir sind darauf eingegangen, was die Deindustriali-
sierung Anfang der 90er-Jahre für das zukünftige
Wachstum in Ostdeutschland bedeutete, nämlich dass
eine Kleinteiligkeit bei den Unternehmen entstanden ist.
Das ist ja im Kern das Problem, weil uns natürlich die
Headquarters mit entsprechenden Forschungs- und Ent-
wicklungsabteilungen fehlen und eben auch die Kon-
zernzentralen, die aufgrund der Wertschöpfungskette
Steuereinnahmen für die Länder generieren würden. In-
sofern ist es an der Stelle unsere Hauptaufgabe, dass wir
weiter am Transformationsprozess arbeiten.
Ich bin auf die unterschiedlichen Renten eingegan-
gen. Ich bin auch auf die unterschiedlichen Löhne einge-
gangen. Die Lohnhöhe ist nach wie vor ein großes Pro-
blem. Wir reden über einen durchschnittlichen Abstand
von 20 Prozent zwischen den Löhnen in Ost und West.
Wir wissen, dass der Abstand in einzelnen Branchen
sehr viel größer ist, in anderen Branchen aber auch klei-
ner. Wenn wir uns das genau anschauen – damit komme
ich noch einmal auf die Fragen von Herrn Kühn und
Frau Baerbock zurück – und uns insbesondere dem
Aspekt Fachkräfte zuwenden, dann wird klar, dass das
Thema Einkommen im Zusammenhang mit der Gewin-
nung von Fachkräften und Führungspersonal in Ost-
deutschland ganz entscheidend ist. Wer gute Ingenieu-
rinnen und Ingenieure in Ostdeutschland halten will, der
wird sie auch gut bezahlen müssen. Insbesondere in der
Großindustrie bzw. in größeren Betrieben manifestiert
sich dieses Problem. Das Einkommensniveau liegt in
diesem Bereich erst bei 73 Prozent des Westniveaus.
Entscheidend ist, dass wir in diesem Bereich hinsichtlich
der Angleichung der Einkommensverhältnisse weiter
vorankommen.
Ansonsten möchte ich noch einmal Folgendes beto-
nen: Wenn ich mich in meiner Thüringer Heimat um-
schaue, sehe ich sehr wohl, wie sich der Lebensstandard
aller Menschen und nicht nur der, die ein höheres Ein-
kommen beziehen, an das Westniveau angeglichen hat.
Ich glaube – das wird auch deutlich, wenn man sich die
aktuellen Umfrageergebnisse ansieht –, dass die Ost-
deutschen durchaus sehen und anerkennen, dass sich viel
getan hat. Das heißt aber nicht, dass wir nicht weiter da-
nach schauen, wo es nach wie vor die großen Abers und
Probleme gibt. Gerade das tut diese Bundesregierung.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich will Sieausdrücklich unterstützen. Ich finde es gut, dass Sie inIhrem Bericht nicht nur die harten Fakten genannt ha-ben, die natürlich wichtig sind – Arbeitslosigkeit, sozialeStandards –, sondern auch auf das kulturelle Umfeld derVeränderungen aufmerksam gemacht haben. Das ist einneuer Ton; den finde ich sehr gut.Finden Sie nicht auch, dass der Umstand, dass in Thü-ringen möglicherweise ein Mitglied der Linken zum Mi-nisterpräsidenten gewählt wird, ein Ausdruck dafür ist,dass sich das kulturelle Umfeld in diesem Land im posi-tiven Sinne entwickelt hat? Es handelt sich um ein west-deutsches Mitglied.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4839
Wolfgang Gehrcke
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I
Herr Kollege Gehrcke, die Thüringer SPD wird sich
in Sondierungsverhandlungen mit der CDU und auch
mit den Linken und den Grünen unterhalten. Wenn Sie
den – so sage ich es einmal – Zuwanderer Bodo
Ramelow ansprechen,
sage ich: Wir freuen uns über Zuwanderung nach Ost-
deutschland. Wir sind sehr froh darüber, dass sich außer
den vielen Studentinnen und Studenten, die in den letz-
ten Jahren gekommen sind, auch eine ganze Menge an-
derer aufgrund der verbesserten Lebensqualität Ost-
deutschland zuwenden.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Daniela
Kolbe, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Vielen Dank für
die Vorlage des Berichts zum Stand der deutschen Ein-
heit. Er kommt zum rechten Zeitpunkt. Er wird nicht nur
rechtzeitig zu den 25-Jahr-Feiern vorgelegt, zum Bei-
spiel anlässlich der Großdemonstration in Leipzig am
9. Oktober 1989, sondern auch in einer spannenden
Phase der Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanz-
beziehungen. Ich denke, dass in dem Bericht einige
spannende Fakten zur Steuerkraft der ostdeutschen Wirt-
schaft und zu den Steuereinnahmen sowie zur Wirt-
schaftskraft und Wirtschaftsstruktur in den neuen Bun-
desländern zu finden sind.
Ich habe zwei Fragen:
Erstens. Diese Bundesregierung hat einen gesetzli-
chen Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt, der insbe-
sondere in den neuen Bundesländern greifen wird. Kön-
nen Sie mir darlegen, welche Auswirkungen dieser
Mindestlohn Ihrer Einschätzung nach haben wird, wo-
möglich auch auf die Angleichung der Rentensysteme in
Ost und West?
Meine zweite Frage stelle ich angesichts der niedri-
gen Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen: Inwiefern
halten Sie Programme für eine lebendige Demokratie
weiter für notwendig? Können Sie noch einmal darle-
gen, was diesbezüglich geplant ist?
Vielen Dank.
I
Schönen Dank. – Was Programme für mehr Demo-
kratie und Teilhabe angeht: Da wurde einiges auf den
Weg gebracht. Verschiedene Häuser sind beteiligt und
engagieren sich auf diesem Gebiet. Das Ministerium von
Frau Schwesig zum Beispiel oder auch die BKM bemü-
hen sich immer wieder, durch Programme deutlich zu
machen, wie Demokratie und Teilhabe funktionieren.
Der Engagementbericht hat ja gezeigt, dass sich immer
mehr Menschen in Ostdeutschland engagieren und in
den verschiedensten Vereinen einbringen. Ich glaube,
auch das gehört ein Stück weit zur veränderten Lebens-
qualität dazu. Ich bin jetzt nicht in der Lage, im Einzel-
nen die Programme herunterzurattern, aber wir werden
sicherlich im Ausschuss und in den Fraktionen Gelegen-
heit haben, darüber zu diskutieren. Es gibt ja einiges,
was an ganz verschiedenen Stellen schon auf den Weg
gebracht wurde.
Thema Mindestlohn. Natürlich wird der Mindestlohn
in Ostdeutschland eine positive Wirkung haben. Denn
überproportional viele Ostdeutsche, die bisher deutlich
weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient haben, wer-
den davon profitieren. Ich glaube, dass sich dann auch
der Lohnabstand in den normalen Tarifbereichen verrin-
gern wird. Dazu gehört, dass wir für eine größere und
stärkere Tarifbindung in Ostdeutschland werben; sie ist
dort deutlich geringer als in den alten Bundesländern. In
diesem Zusammenhang muss ich auch sagen, dass das
getrennte Rentenrecht an dieser Stelle von Vorteil für
Ostdeutschland ist. Denn dadurch, dass mehr Ostdeut-
sche vom Mindestlohn profitieren, wird es in der Folge
eine größere Steigerung der Renten in Ostdeutschland
geben. Dadurch wird die Lücke ein Stück weiter ge-
schlossen. Insofern profitieren auch die ostdeutschen
Rentnerinnen und Rentner vom Mindestlohn. Wir wol-
len natürlich trotzdem ein einheitliches Rentenrecht
schaffen; aber im Moment sieht die Analyse so aus.
Sie haben vollkommen recht: Löhne und Einkommen
haben natürlich auch Auswirkungen auf die Länderhaus-
halte. Sie sprachen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen
an. Man muss rekapitulieren, dass Ostdeutschland nur
62 Prozent der Steuerkraft der vergleichbaren finanz-
schwachen Flächenländer in Westdeutschland hat. Das
muss man einfach zur Kenntnis nehmen, wenn man jetzt
in die Verhandlungen geht. Uns muss es darum gehen,
ein wirklich solidarisches System der Bund-Länder-
Finanzbeziehungen zu schaffen. Ich bin ganz zuversicht-
lich, dass Herr Schneider uns da helfen wird.
Danke schön. – Der Abgeordnete Stephan Kühn,Bündnis 90/Die Grünen, hat sich zu einer weiteren Fragegemeldet. Bitte.Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Staatssekretärin, ich wollte noch auf die ThemenEngagementbereitschaft und Initiative vor Ort zu spre-chen kommen. Wie kann man Eigeninitiative stärken,sozusagen eine Kultur der Selbstständigkeit entwickeln?Der vorletzte zuständige Minister, Thomas de Maizière,hatte in der zurückliegenden Legislaturperiode ja Regio-nalbudgets vorgeschlagen, um die Verantwortung einStück weit an die Regionen abzugeben; von Berlin auswissen wir ja nicht, was das Beste und Richtige ist. Er
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4840 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Stephan Kühn
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wollte auch in diesem Bereich die Rahmenbedingungenso verändern, dass die Leute selber entscheiden können.Wie ist Ihre Position dazu? Gibt es in der RegierungÜberlegungen dazu? Findet da in dieser Legislaturpe-riode noch Regierungshandeln statt?Die zweite Frage. Das Programm „Stadtumbau Ost“läuft 2016 aus. Ob man 25 Jahre nach der Wende Stadt-umbauprogramme noch nach Ost und West, also nachHimmelsrichtungen, benennen muss, sei dahingestellt.Aber klar ist: Die Aufgabe Stadtumbau steht unverändertan, Revitalisierung der Innenstädte, Rückbau etc. DasThema ist also 2016 nicht erledigt. Daher frage ich: Waswird aus dem Programm, wenn es 2016 planmäßig aus-läuft? Wird es verlängert? Wie geht es damit weiter?I
Zunächst zum Thema Engagement. Ich glaube, dass
die Finanzausstattung von Ländern und Kommunen eine
zentrale Voraussetzung ist, um auch in ländlich struk-
turierten Regionen, die nicht immer, aber sehr häufig
strukturschwache Regionen sind, Engagement zu för-
dern. Deshalb ist für mich im Moment die zentrale
Frage: Was passiert bei den Verhandlungen zu den
Bund-Länder-Finanzbeziehungen? Schaffen wir es, an
der Stelle für eine vernünftige Ausstattung zu sorgen?
Ob sich Programme daraus entwickeln lassen, will ich
dahingestellt sein lassen. Ich persönlich finde es span-
nend, über Regionalbudgets nachzudenken. Wir haben
auch schon im Kulturbereich über solche Projekte nach-
gedacht. Dies muss sich aber noch ergeben. Herr Kühn,
nehmen Sie es mir nicht übel, aber heute kann ich für die
Bundesregierung keine Aussage dazu treffen, weil wir
dies natürlich auch in unterschiedlichen Ressorts zu be-
werten und zu entwickeln haben. Da bitte ich herzlich
um Verständnis.
Das Programm „Stadtumbau Ost“ hat seit 1999 – seit-
dem gibt es das Programm – eine gigantische Aufgabe
erfüllt. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich persönlich ei-
nen Anteil daran gehabt habe, dass es zu einem solch er-
folgreichen Programm geworden ist. Wir haben in den
Koalitionsverhandlungen vereinbart, die Bezeichnun-
gen „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ abzu-
schaffen – wir hatten das Programm ja später auch für
Westdeutschland eingeführt – und die Benennung zu
vereinheitlichen. Dabei werden wir aber eine besondere
Förderung für Ostdeutschland, weil die Aufgaben dort
noch größer sind, beibehalten. Wir haben im Koalitions-
vertrag festgehalten, dass diese Vereinheitlichung unter
Beibehaltung der Intention des Korbs II, also der über-
proportionalen Ausgaben, erfolgt.
Wir werden sicherlich darüber zu reden haben – ich
bin gespannt, was dazu in den Fachausschüssen disku-
tiert wird; es liegt ja nicht in unserem Ressort –, wie es
weitergeht. Eine Aufgabe bleibt die, ich will es mal so
sagen, Anpassung an veränderte Bedingungen, was die
Zuwanderung bzw. die Abwanderung betrifft. Wir haben
ja Städte, die Zuwanderung erfahren, Dresden zum Bei-
spiel; diese Städte stehen unter einem ganz anderen
Druck, was beispielsweise den Wohnungsneubau an-
geht. Auf der anderen Seite haben wir nach wie vor Re-
gionen, die sich entleeren. Diesen Befund gibt es übri-
gens in Westdeutschland genauso. Deshalb muss man
natürlich schauen, dass man entsprechende Förderinstru-
mentarien zur Verfügung stellt. Bei sich entleerenden
Regionen ist der Anpassungsdruck sicherlich deutlich
größer; denn dort muss die öffentliche Daseinsvorsorge
von den wenigen Bürgern, die dann noch dort leben,
finanziert werden können. Darüber werden wir uns un-
terhalten müssen.
Die Abgeordnete Annalena Baerbock hat sich auch
noch zu einer Frage gemeldet. – Bitte schön.
Im letzten Bericht hat die Energiewirtschaft eine
große Rolle gespielt, weil die ostdeutschen Länder hier
Vorreiter waren, insbesondere beim Ausbau der erneuer-
baren Energien. Wir hatten schon damals festgestellt,
dass es aufgrund der Änderungen im EEG vor allen Din-
gen im Bereich der Solarwirtschaft zu einem massiven
Einbruch und auch zu einer Abwanderung von Firmen
gekommen ist. Liegt Ihnen eine Analyse vor, wie sich
die jetzigen Änderungen des EEG auswirken werden
– wieder ist der Bereich Photovoltaik stark betroffen –,
gerade im Hinblick auf die Arbeitsplätze in der Region?
Der zweite Punkt. Die Stromkosten sind in Ost-
deutschland tendenziell ein Stück höher, weil der Aus-
bau der erneuerbaren Energien vorangetrieben wurde
und die Modernisierung der Energienetze vor allen Din-
gen über die Netzentgelte bezahlt wird. Es gibt Initiati-
ven aus den Ländern – auch aus dem Bundesland, aus
dem ich komme, aus Brandenburg –, über die Netzent-
gelte zu sprechen. In welcher Form greifen Sie das als
auch dafür zuständiges Ministerium auf, und wie wollen
Sie diesem aus meiner Sicht berechtigten Anliegen der
ostdeutschen Länder nachkommen?
I
Frau Baerbock, Sie haben vollkommen recht: Die Er-zeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ist inOstdeutschland ein ganz wichtiger Wirtschaftszweig ge-worden. In Brandenburg hat sich das Verhältnis zwi-schen Braunkohle und erneuerbaren Energien in denletzten Jahren zugunsten der erneuerbaren Energien ver-ändert. Das ist ein positiver Befund, gar keine Frage.Wir sehen es nicht so, dass wir mit der Novelle desEEG den erneuerbaren Energien sozusagen den Steckerziehen. Wir verhelfen den erneuerbaren Energien mitden klaren Vorgaben, die im Erneuerbare-Energien-Ge-setz festgelegt wurden, auch in Zukunft zu einem ver-nünftigen Ausbau.Wichtig ist aber auch, dass wir die Kostendynamik,die durch die EEG-Umlage entstanden ist, brechenmussten. Das ist nicht nur für die westdeutsche Wirt-schaft wichtig gewesen, sondern gerade auch für die ost-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4841
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
(C)
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deutsche Wirtschaft, die natürlich durch die hohenStrom- bzw. Energiepreise belastet wird.Nun haben Sie einen besonderen Punkt angespro-chen: Tatsächlich sind die Netzentgelte in Ostdeutsch-land deutlich höher. Das hat etwas damit zu tun, dassAnfang der 90er-Jahre eine Sanierung der maroden In-frastruktur anstand. Diese Sanierungsleistungen werdennach wie vor auf die regionalen Stromkunden umgelegt.Hinzu kommt, dass das Mehr an Energie, das in Ost-deutschland produziert, aber nicht verbraucht wird undsomit in andere Bundesländer transportiert werden muss,einen gewissen Netzausbau erforderlich macht, welcherauch hauptsächlich regionale Stromkunden trifft. Des-halb steht in dem Bericht auch ganz klar, dass das Sys-tem der Netzentgelte überprüft werden soll und gegebe-nenfalls im Zuge der Energiewende an die gewandeltenRahmenbedingungen angepasst werden muss. Wir müs-sen nur – das ist auch ganz klar – darauf achten, dassOstdeutschland an dieser Stelle nicht doppelt bezahlt;schließlich sind wir da einen ganzen Schritt vorange-kommen.Ich glaube, dass die Aussagen im Bericht insgesamtzum EEG Ihr besonderes Interesse finden sollten.
Wir sind zwar schon fast am Ende der Befragung der
Bundesregierung; aber ich lasse noch die Frage vom
Kollegen Harald Petzold, Fraktion Die Linke, zu. – Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich würde gerne auf
die gerade gestellte Frage zurückkommen. Denn eigent-
lich haben Sie nicht beantwortet, wie Sie mit den Vor-
schlägen der Bundesländer, was die Ungerechtigkeit der
Umlage der Netzausbaukosten lediglich auf diejenigen
Stromkunden betrifft, in deren Bereich das Netz ausge-
baut wird, umgehen wollen. Die ostdeutschen Länder
schlagen seit mindestens 2009 beispielsweise vor, dass
die Kostenwälzung gesamtdeutsch erfolgen muss. Wel-
che Position vertritt die Bundesregierung hier?
I
Die Position der Bundesregierung steht auf Seite 33
des Berichtes. Da heißt es:
Das System der Netzentgelte soll daher überprüft
und ggf. an die im Zuge der Energiewende gewan-
delten Rahmenbedingungen angepasst werden.
Es ist auch Aufgabe dieses Berichtes, dies zu doku-
mentieren. Wir kennen den Befund in Ostdeutschland
natürlich; gleichwohl ist es nicht Aufgabe des Berichtes,
Bundesratsverhandlungen sozusagen vorwegzunehmen.
Danke schön. – Gibt es weitere Fragen zu anderen
Themen der Kabinettssitzung oder sonstige Fragen an
die Bundesregierung? – Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich diesen Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksache 18/2567
Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Rei-
henfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswär-
tigen Amts. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministe-
rin Professor Dr. Maria Böhmer bereit.
Die Fragen 1 und 2 hat der Abgeordnete Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke, gestellt.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gehrcke auf:
Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu den, nach
mir vorliegenden Informationen, auf der Beratung des Aus-
schusses der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, AStV,
am 10. September 2014 erhobenen Forderungen, dass die
Europäische Union mit einer Listung von Journalistinnen und
Journalisten auf die neue „unkonventionelle Art der Kriegs-
führung“ antworten müsse?
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung
hat sich in der genannten Sitzung im Rahmen einer all-
gemeinen Aussprache zur möglichen Listung von Jour-
nalisten und Propagandisten mit Blick auf Bedenken im
Hinblick auf eine mögliche Einschränkung der Mei-
nungsfreiheit zurückhaltend geäußert.
Eine Listung soll aus Sicht der Bundesregierung
grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn einer Person die
Beteiligung an Aktivitäten, die den EU-Listungskriterien
entsprechen, gerichtsfest nachgewiesen werden kann.
Dies betrifft beispielsweise die aktive Unterstützung der
Destabilisierung der Ukraine. Eine Listung allein auf-
grund der Tatsache, dass eine Person journalistisch tätig
ist, schließt sich für die Bundesregierung aus. Die voll-
ständige Übersicht der aktuellen Listungskriterien findet
sich im EU-Ratsbeschluss vom 8. September 2014.
Darf ich die Antwort auf die zweite Frage gleich an-
schließen?
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke auf:
Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung eine Listung
von Journalistinnen und Journalisten nicht mit dem Verweis
auf das Grundgesetz generell abgelehnt hat, sondern nur auf
die Schwierigkeit einer „Unterscheidung zwischen Journalis-
mus und Propaganda“ verwiesen hat?
D
Es handelte sich um eine grundsätzliche Aussprachezur möglichen Listung von Journalisten oder Propagan-disten, die an Aktivitäten beteiligt sind, die den Lis-tungskriterien der Europäischen Union entsprechen. Sol-che Aktivitäten betreffen beispielsweise die aktive
Metadaten/Kopzeile:
4842 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
(C)
(B)
Unterstützung der Destabilisierung der Ukraine, wie ichbereits ausgeführt habe.Die Einlassung Deutschlands erfolgte zu einem Zeit-punkt, als unter anderem der Vertreter des EAD bereitsklargestellt hatte, dass eine Einschränkung der Mei-nungsfreiheit nicht hinnehmbar sei – eine Position, zuder in der EU ohnehin Einigkeit besteht. Die Linie desEAD wurde im Raum allgemein unterstützt. Deutsch-land hat, wie andere Partner, ergänzend darauf hingewie-sen, dass eine Differenzierung zwischen Journalistenund Propagandisten oft nur schwer möglich ist. Deutsch-land hat zudem betont, dass mit Blick auf eine möglicheListung in jedem Fall eine Einzelfallprüfung und einegerichtsfeste Listenbegründung erforderlich sind. EineListung allein aufgrund der Tatsache, dass eine Personjournalistisch tätig ist, schließt sich aus Sicht der Bun-desregierung aus.
Der Abgeordnete Gehrcke hat jetzt das Recht auf vier
Nachfragen. Das heißt nicht, dass er sie alle stellen
muss; aber er darf sie stellen. – Ihre erste Nachfrage,
bitte.
Herr Präsident, das konnte ich ja eben fast wie eine
Aufforderung verstehen.
Das war ein Hinweis.
Herzlichen Dank. – Frau Staatsministerin, finden Sie
es nicht in einem gewissen Umfang befremdlich, dass im
21. Jahrhundert in einem Leitungsgremium der Europäi-
schen Union überhaupt über die Listung von Journalis-
ten debattiert wird? Ich habe das Protokoll gelesen.
Einige haben sich ja sehr deftig für die Listung ausge-
sprochen. Ich stimme Ihnen zu: Die Bundesregierung
war etwas zurückhaltend. Aber ich denke, es ist berech-
tigt, zu fragen: Passt das aus Sicht der Bundesregierung
ins 21. Jahrhundert, oder passt das nicht?
D
Kollege Gehrcke, ich glaube, das hat nichts mit dem
21. Jahrhundert zu tun, sondern es geht um die entspre-
chenden Aktivitäten. Ich betone noch einmal sehr deut-
lich, dass die bloße Tätigkeit als Journalist auf keinen
Fall ein hinreichendes Kriterium ist. Ein Journalist kann
aber auch anders als journalistisch handeln, und darum
geht es hier.
Noch eine Zusatzfrage.
Genau für den Fall, dass zu Gewalt oder Ähnlichem
aufgerufen wird, gibt es das Strafrecht. Das hat ja nichts
mit diesem Bereich zu tun.
Die Bundesregierung will, dass zwischen Propagan-
disten und Journalisten unterschieden wird. Eine solche
Unterscheidung wäre übrigens, wenn man so manchen
Artikel liest, zum Teil auch in der Innenpolitik gut. Wel-
che Auswirkungen wird die Festlegung, dass eine solche
Unterscheidung vorgenommen werden soll, nach Mei-
nung der Bundesregierung auf osteuropäische Journalis-
ten in Deutschland haben?
D
Ich wiederhole gerne das, was ich schon gesagt habe
– auf Ihre Fragen habe ich Ihnen bereits eine Antwort
gegeben –: Wir haben sehr deutlich gesagt, dass es Lis-
tungskriterien gibt, die sich im EU-Ratsbeschluss wie-
derfinden, und wir legen großen Wert darauf, dass ent-
sprechende Aktivitäten auch gerichtsfest nachgewiesen
werden können.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Jetzt kommt die
dritte.
Ihr Kollege, Herr Staatsminister Roth, war heute im
Auswärtigen Ausschuss sehr viel deutlicher. Er hat ge-
sagt: Es kommt nicht infrage, dass Journalisten gelistet
werden. – Ich will Ihre Antwort auch so verstehen. Weil
ich möchte, dass die russischen und anderen Kollegen,
die hier arbeiten, eine gewisse Rechtssicherheit haben
– dafür muss die Bundesregierung sorgen –, frage ich
aber noch einmal: Darf ich Ihre Antwort so verstehen,
dass die reine journalistische Tätigkeit nicht zu einer
Listung führen wird?
D
Es gibt zwischen meiner Auffassung und der des Kol-
legen Roth keinen Unterschied; die gesamte Bundes-
regierung ist der gleichen Auffassung. Ob Sie jetzt das
Wort „reine“ oder „bloße“ benutzen – ich habe es schon
einmal gesagt –: Die bloße bzw. die reine Tätigkeit als
Journalist ist auf keinen Fall ein hinreichendes Krite-
rium.
Ich habe eine letzte Frage zu diesem Bereich.
Bitte schön.
Wie würde man es Ihrer Ansicht nach in Deutschlandeinschätzen, wenn die russische Regierung über einemögliche Listung deutscher Journalistinnen und Journa-listen in Russland für den Fall, dass sie dieses oder jenes
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4843
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
nicht beachten, überhaupt nur debattieren würde? Ichwürde so etwas entsetzlich finden, und ich hoffe, dieBundesregierung auch.
Bitte, Frau Staatsministerin.
D
Wir legen selbstverständlich die gleichen Maßstäbe
an.
Schönen Dank. – Wir kommen damit zur Frage 3 des
Abgeordneten Harald Petzold , Fraktion Die
Linke:
Begrüßt die Bundesregierung die geplante Berufung des
ungarischen Außenministers Tibor Navracsics zum neuen
EU-Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürger-
gesellschaft angesichts seiner „Verdienste“ um Demokratie-
abbau, die Einschränkung der Pressefreiheit und die staatliche
Bevormundung von Kunst und Kultur in seinem Heimatland
Ungarn ?
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Ich möchte Ihnen folgende Antwort auf Ihre Frage
geben: Die Bundesregierung kommentiert die Nominie-
rung anderer EU-Regierungen für das Amt eines Kom-
missars nicht.
Kollege Petzold, bitte.
Sie sind sich natürlich darüber im Klaren, dass damit
jemand berufen wird, der gerade für die Themenberei-
che, für die er verantwortlich sein soll, erhebliche Maß-
nahmen mit zu verantworten hat, die von der Bundes-
regierung früher durchaus schon einmal kritisiert worden
sind. Insofern interessiert mich hier noch einmal Ihre
Stellungnahme dazu, inwieweit Sie sich wirklich da-
rüber bewusst sind.
D
Ich bleibe dabei, dass wir das nicht kommentieren.
Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Kekeritz und die
Fragen 6 und 7 des Kollegen Nouripour werden schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Volker Beck
, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob der Belgrad Pride ge-
nehmigt bzw. mit der Begründung erneut abgesagt wird, dass
die Polizei nicht willens oder in der Lage sei, die Teilnehmer
vor Gewalt von Homosexuellenfeinden zu schützen, und wie
rechtfertigt die Bundesregierung die Einstufung von Serbien
als sicheres Herkunftsland, wenn der Staat nicht willens oder
in der Lage ist, seine Bürger vor gewalttätigen Übergriffen zu
schützen?
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Ja, gerne. – Herr Kollege Beck, der Bundesregierung
ist derzeit nicht bekannt, ob die für den 28. Septem-
ber 2014 geplante Pride Parade in Belgrad stattfinden
können wird. In den vergangenen Jahren – das wissen
Sie – erfolgte die Absage jeweils sehr kurzfristig.
Die Bundesregierung hat gegenüber der serbischen
Regierung in verschiedenen Gesprächen in den letzten
Tagen klar die Erwartung formuliert, die Parade nicht zu
verbieten und die Teilnehmer zu schützen. Der Beauf-
tragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik
und Humanitäre Hilfe, Herr Kollege Strässer, besuchte
Belgrad vom 11. bis 14. September 2014 anlässlich einer
LGBTI-Konferenz. Er hat dort mit dem Premierminister
und dem Innenminister über das Thema Pride Parade ge-
sprochen.
Sie fragen auch nach sicheren Herkunftsstaaten. Bei
sicheren Herkunftsstaaten wird vermutet, dass keine
politische Verfolgung existiert. Dies ist im Einzelfall wi-
derlegbar, schließt also eine Asyl- oder Flüchtlingsaner-
kennung nicht aus, wenn der Asylbewerber im Einzelfall
darlegen kann, dass er Verfolgungsmaßnahmen unter-
liegt. Dadurch wird eine bessere Fokussierung auf Ver-
folgungsschicksale ermöglicht. Bosnien und Herzegowina,
Serbien und die ehemalige jugoslawische Republik Ma-
zedonien haben deutliche Fortschritte beim Aufbau de-
mokratischer Strukturen gemacht. Systematische Verfol-
gung politisch Andersdenkender oder gesellschaftlicher
Minderheiten ist dort nicht gegeben.
Sie kennen die Begründung, warum die serbische Re-
gierung seit 2011 alle Paraden untersagt hat: 2010 ist
eine Parade in Chaos und in massiver Gewalt unterge-
gangen. – Bislang hat die serbische Regierung die Nicht-
genehmigung dieser Parade immer wieder damit begrün-
det, sie könne – in Klammern: sie wolle – diese
Veranstaltung nicht vor rechter Gewalt schützen und un-
tersage sie deshalb.
Sind Sie als Bundesregierung nicht auch der Auffas-
sung, dass eine solche Argumentation, wenn sie erneut
zur Einschränkung der Rechte serbischer Bürger durch
ein Demonstrationsverbot führen würde, faktisch nicht-
staatlicher Verfolgung nahekommt, da sozusagen die
Grundrechte nicht gewährt werden und die Menschen,
wenn sie die Grundrechte dennoch wahrnehmen, unge-
schützt der rechtsradikalen Gewalt auf Belgrads Straßen
ausgesetzt werden?
D
Herr Kollege Beck, ich teile die Schlussfolgerung sonicht. Aber ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen, dasswir uns vonseiten der Bundesregierung – das wissen Sieauch aus verschiedenen Gesprächen; wir haben uns da-
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4844 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
(C)
(B)
rüber am Rande auch schon unterhalten – bei der serbi-schen Regierung sehr dafür einsetzen, dass diese Paradestattfinden kann. Ich bin dem Kollegen Strässer auchsehr dankbar dafür, dass er sich in Gesprächen immerwieder so intensiv darum bemüht. Auch vonseiten derBotschaft erfolgt dies. Die serbische Regierung sagt unsin Reaktion darauf immer wieder, sie werde nur kurzfris-tig aufgrund der Lageeinschätzung handeln können.Ich glaube, es ist wichtig, dass wir auch vonseiten derBundesregierung deutlich für das Stattfinden dieser Pa-rade eintreten.
Zweite Zusatzfrage.
Ich kenne den Einsatz von Herrn Strässer gut. Wir
waren nämlich gemeinsam auf derselben Veranstaltung
in Belgrad.
D
Sehr schön.
Diese Veranstaltung war weniger schön, –
D
Das meinte ich damit nicht.
– weil ein deutscher Teilnehmer an dieser Veranstal-
tung auf den Straßen in Belgrad mit einem Aschenbe-
cher angegriffen wurde, hinfiel und danach wegen einer
Gehirnblutung nur durch eine Notoperation gerettet wer-
den konnte. Er ist jetzt Gott sei Dank in einer Spezial-
klinik in Deutschland, und wir wollen hoffen, dass er das
Ganze ohne Schäden übersteht. Das ist aber überhaupt
nicht gewiss.
Die Reaktionen der serbischen Behörden waren, dass
sie deutschen Stellen gegenüber im Hinblick auf die Pa-
rade argumentiert haben: Angesichts dieser Gewalt kön-
nen wir niemanden schützen.
Ich finde, ein Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger
vor Gewalttaten nicht schützen will und sagt: „Bei Ver-
anstaltungen auf der Straße kann kein hundertprozenti-
ger Schutz gewährleistet werden“, erfüllt nicht die Krite-
rien eines sicheren Herkunftslandes. Deshalb würde ich
Sie, weil ja Bundestag und Bundesrat auf Initiative Ihrer
Regierung nun festgestellt haben, dass Serbien ein siche-
res Herkunftsland ist, noch einmal fragen, wie Sie denn
reagieren werden, sollten die Belgrader Behörden bzw.
die serbische Regierung sich jetzt nicht entschließen
können, diese Veranstaltung zu genehmigen. Ich finde,
das können Sie jetzt eigentlich nicht mehr hinnehmen;
denn Sie haben Verantwortung übernommen, indem Sie
Bundestag und Bundesrat diese Einstufung vorgeschla-
gen haben, die nun auch vom Gesetzgeber vollzogen
wurde.
D
Herr Kollege Beck, Sie sprechen hier ja verschiedene
Dinge an. Wenn ich eben sagte, wir hätten uns kurz aus-
getauscht, dann stand das auch im Zusammenhang mit
den Angriffen auf diesen jungen Mann. Ich war sehr be-
troffen, als ich von diesem Vorfall gehört habe. Ich habe
mich in unserem Haus noch einmal sehr kundig ge-
macht, wie vonseiten der deutschen Botschaft vor Ort
reagiert worden ist. Sie wissen, dass der deutsche Bot-
schafter persönlich den Betroffenen im Krankenhaus be-
sucht hat. Wir haben uns also sehr intensiv gekümmert.
Ich sage nicht, dass das eine Selbstverständlichkeit ist,
sondern es ist Ausdruck einer besonderen Achtung, dass
man sich kümmert. Ich hoffe genauso wie Sie, dass er
auf dem Weg der Besserung ist und dass keine bleiben-
den Schäden zurückbleiben. – Das ist das eine, was uns
umtreibt.
Das andere, worauf Sie mit Ihrer Frage eigentlich ab-
zielen, ist die Sache mit den sicheren Herkunftsstaaten.
– Ich habe eben sehr deutlich gemacht, wie die Haltung
der Bundesregierung hierzu ist. Ich betone noch einmal,
dass wir uns immer wieder und sehr nachhaltig dafür
einsetzen, dass diese Parade durchgeführt werden kann
und auch durchgeführt wird. Aber ich will trotzdem noch
einmal, weil das in Ihrer Frage mitschwingt – Stichwort
„sicherer Herkunftsstaat“; Sie haben das eben mit ange-
sprochen –, auf die Entscheidung des Bundesrates vom
vergangenen Freitag verweisen; auch Sie diskutieren ja
innerhalb Ihrer Partei mit dem Ministerpräsidenten des
Landes Baden-Württemberg darüber.
Ich möchte Ihnen, was die Frage eines sicheren Her-
kunftsstaates angeht, die sehr ausführlichen Erläuterun-
gen der Bundesregierung in dem Gesetz zur Einstufung
weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten ans Herz
legen. Hier wird deutlich, dass diese Einstufung sehr,
sehr gründlich geprüft wurde und nicht aus der Lamäng
heraus entschieden worden ist.
Lieber Kollege Beck, es ist jetzt gut.Die Frage 9 der Abgeordneten Heike Hänsel und dieFragen 10 und 11 der Abgeordneten Sevim Dağdelenwerden schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten AndrejHunko, Fraktion Die Linke, auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4845
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über dieUnterstützung des „Islamischen Staats“, IS, oder von mit dem
sche Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, Civaka Azad, in
sie aus derartigen Erkenntnissen oder Berichten für die Bezie-hungen zum NATO-Partner Türkei?Zur Beantwortung, Frau Staatsministerin, bitte.D
Gerne. – Die Bundesregierung, Herr Kollege Hunko,
hat diesbezüglich keine eigenen Erkenntnisse. Der türki-
sche Außenminister versicherte bei seinem Besuch in
Berlin am 18. September dieses Jahres, dass die Türkei
potenziellen IS-Kämpfern die Einreise in die Türkei ver-
wehre und bereits etwa 1 000 insoweit verdächtige Per-
sonen ausgewiesen habe.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hunko?
Vielen Dank, Frau Dr. Böhmer. Dieses sehr aktuelle
Thema werden wir auch morgen hier diskutieren. – Vor
einigen Tagen wurden türkische Geiseln aus den Händen
des IS befreit – Gott sei Dank. Haben Sie irgendwelche
Erkenntnisse darüber, was der Deal hinter dieser Geisel-
befreiung war, auf welcher Grundlage die Geiseln plötz-
lich freigekommen sind? Auch Erdogan hat angedeutet,
dass es hier möglicherweise Absprachen gegeben hat.
Haben Sie darüber irgendwelche Erkenntnisse?
D
Ich kenne, wie Sie auch, die Mutmaßungen dazu in
der Presse. Aber ich kann Ihnen dazu nicht aus eigener
Erkenntnis eine Antwort geben.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Hunko?
Ja, eine Zusatzfrage zum Thema der Flüchtlingslager
in der Türkei. Ich selbst habe Flüchtlingslager an der
syrischen Grenze besuchen können, die, soweit sie zu-
gänglich sind, vom humanitären Standpunkt einen guten
Eindruck machen. Es ist eine große Leistung, so viele
Flüchtlinge aufzunehmen.
Allerdings hat man mir von quasioffizieller türkischer
Seite signalisiert, dass es auch andere Lager gibt, die für
uns nicht zugänglich sind und die auch für die Unterstüt-
zung von islamischen Dschihadisten genutzt wurden,
zum Beispiel in Reyhanli in der Provinz Hatay. Haben
Sie darüber irgendwelche Erkenntnisse?
D
Mir ist darüber jetzt nichts bekannt. Aber wenn Sie
konkreter werden könnten und nicht nur Vermutungen
aussprechen, dann dürfen Sie uns das gerne direkt mit-
teilen.
Das darf er jetzt nicht mehr, aber er kann das sicher-
lich hinterher tun.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums des Innern. Die Frage 13 des Kollegen Hunko soll
schriftlich beantwortet werden. Gilt das noch? – Ja.
Dann verlassen wir diesen Geschäftsbereich und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz. Hier stehen die
Staatssekretäre Lange und Kelber zur Beantwortung zur
Verfügung. Die Fragen 14, 15, 17 und 18 beantwortet
der Parlamentarische Staatssekretär Lange, Frage 16 der
Parlamentarische Staatssekretär Kelber.
Die Frage 14 des Abgeordneten Volker Beck soll
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 15 der Abgeordneten Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen:
Wo und wie genau beabsichtigt der Bundesminister der
Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, geläuterten
Herr Staatssekretär Lange, bitte.
C
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Künast,der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutzhat in einem Interview vom 12. September 2014 zumProblem deutscher Dschihadisten im Irak und in Syrienerklärt – ich zitiere –:Wir haben es mit einem ganz neuen Phänomen zutun. Fertige Antworten gibt es nicht. Unter denRückkehrern sind vielleicht auch solche, die demTerror abschwören wollen, weil sie erkannt haben,auf welchem Irrweg sie waren. Man wird sich da-rüber unterhalten müssen, wie diese wieder denWeg zurück in die Realität finden können. Denenmuss man Angebote machen, Hilfe geben. Wer aberhierher zurückkommt mit der Absicht, Straftaten zubegehen, der wird die volle Härte des Strafrechtsspüren.Zitatende.Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucher-schutz hat damit einen Denkanstoß für eine weitere ge-samtgesellschaftliche Debatte gegeben, wie über bereitsbestehende Ausstiegshilfen hinaus Rückkehrern speziellaus Irak und Syrien, die dem Terror abschwören wollen,geholfen werden und ihre Reintegration in die Gesell-schaft vorbereitet werden kann.
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4846 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
(C)
(B)
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Danke, Herr Staatssekretär. – Ich nehme zur Kennt-
nis, dass an dieser Stelle wie auch an vielen anderen
Stellen der Minister Denkanstöße gegeben oder Ankün-
digungen gemacht hat. – Das Mikro rutscht immer wie-
der nach unten.
Das ist absolut eine Einschränkung der Opposition
– das sehe ich ein –, aber die Technik wird dafür sorgen,
dass es bis zum nächsten Mal funktioniert.
Gut. Aber ich schaffe es noch so lange. Ich halte es
einfach fest.
Also, es gibt eine Menge von Ankündigungen. Manch-
mal vermisse ich, dass der Ankündigung dann auch die
Umsetzung bzw. eine Vorlage folgt. Wenn jemand einen
Denkanstoß gibt, dann wird der Denkanstoß doch sicher-
lich schon eine Idee beinhalten. Der Staat sollte ein Bün-
del an Maßnahmen für Aussteigerhilfen schnüren. Das
habe ich, glaube ich, bei Spiegel Online als Aussage des
Ministers gelesen.
Deshalb frage ich: Was beinhaltet das? Beinhaltet das,
dass man zum Beispiel wie früher bei anderen Terror-
gruppen entsprechende Anlaufstellen bei Verfassungs-
schutzämtern und Polizeidienststellen hat? Beinhaltet
das, dass es ein Aussteigerprogramm gibt wie das Pro-
gramm Exit für den Bereich Rechtsextremismus, das
dann dementsprechend entweder vom Justizministerium
oder von anderen Stellen gefördert wird? Beinhaltet das,
dass man sich gemeinsam mit den Familien und musli-
mischen Gemeinden, die sich teilweise auch um ihre
Mitglieder sorgen – über die Ausnahmen unter ihren
Mitgliedern, würde ich sagen –, Gedanken macht und
vielleicht auch Ideen hat, wo man ansetzen kann?
Ist das alles darin mit enthalten und führt es, weil es
ein dringendes Problem ist, noch in der laufenden Haus-
haltsberatung zu Vorlagen oder Finanzierungsvorhaben
für das Jahr 2015? Das muss schließlich irgendwie zu
der angekündigten schwarzen Null passen.
Herr Staatssekretär.
C
Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Kollegin
Künast, dass Sie in Ihren Worten auf die seitherigen Ak-
tivitäten der Bundesregierung hingewiesen haben. Diese
möchte ich zunächst einmal darstellen.
Die Bundesregierung hat verschiedene Ebenen, auf
denen ein Gesprächsangebot an geläuterte Dschihad-
Rückkehrer in Betracht kommen kann. Hier kommen die
unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund und Län-
dern zum Tragen. Aus Sicht meines Hauses kommt es
hierbei auf ein gutes Zusammenwirken aller verantwort-
lichen Dienststellen an. Dazu gehört die Zuständigkeit
des Auswärtigen Amtes für die konsularische Betreuung
von geläuterten rückkehrwilligen Personen, die sich in
den deutschen Auslandsvertretungen melden. Dazu ge-
hört das Ausstiegsprogramm im Zuständigkeitsbereich
des Bundesministeriums des Innern. Das ist das Aus-
stiegsprogramm HATIF: „Heraus aus Terrorismus und
islamistischem Fanatismus“. Schließlich gehören dazu
auch die von den Ländern im Rahmen ihrer Zuständig-
keit für den Strafvollzug anzustellenden Überlegungen
für eine spezifische Vorbereitung der im Strafvollzug
einsitzenden ehemaligen Dschihadisten auf ihre Reinte-
gration in die Gesellschaft.
Was das konkrete Nachdenken angeht, was über die
bisherigen Möglichkeiten hinaus zu tun ist: Viele der aus
Deutschland ausgereisten Dschihadisten sind jung und
unerfahren und wissen wenig über die ganz sicherlich
wenig romantische Realität in Syrien und im Irak. Diese
Realität hat mit der im Internet verbreiteten Dschihadisten-
Romantik wenig bis gar nichts zu tun. Der Bundesminis-
ter schließt es nicht aus – er hält es vielmehr für wahr-
scheinlich –, dass viele dieser jungen Dschihadisten
durch ihre Erfahrungen in Syrien und im Irak ihre Illu-
sionen verlieren, einsichtig werden und lernen, welches
hohe Gut der Rechtsstaat mit seinem staatlichen Gewalt-
monopol und seiner Rechtssicherheit tatsächlich für sie
persönlich und ihre Familien darstellt.
Der Rechtsstaat ist aus seiner Sicht gut beraten, den
Lernprozess aus den Erfahrungen mit zynischen Macht-
kämpfen jenseits aller Ideologien und religiösen Bekennt-
nisse in Syrien und im Irak zur Kenntnis zu nehmen und
unter anderem durch Gespräche und Hilfsangebote zu
unterstützen, und die ersten, die wir bereits haben, habe
ich Ihnen genannt.
Zusatzfrage?
Ja.
Bitte schön.
Verstehe ich Sie richtig, dass es in den Haushaltsbera-
tungen 2015 noch keine konkreten Ideen gibt, wenn es
um die Frage geht, ob die Programme fortgesetzt bzw.
ausgeweitet und entsprechend finanziell unterlegt wer-
den sollen?
Herr Staatssekretär.
C
Frau Kollegin, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass essich hier um einen gesellschaftlichen Denkanstoß desHerrn Ministers handelt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4847
(C)
(B)
Wir kommen damit zu Frage 16 der Abgeordneten
Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Wie genau beabsichtigt der Bundesjustizminister Heiko
Maas zu erreichen, dass das Unternehmen Google Inc. in
Deutschland den Algorithmus offenlegt, der die Suchergeb-
der Bundesregierung der derzeitige Zustand, wonach der
Suchalgorithmus nicht offengelegt wird?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Kelber bereit. – Bitte, Herr Staatssekretär.
U
Herr Präsident! Werte Kollegin Frau Künast, ich darf
Ihre Frage wie folgt beantworten: Gegenwärtig ist für
die Nutzerinnen und Nutzer der Suchmaschine nicht
ohne Weiteres nachvollziehbar, welche Kriterien und In-
formationen für die Bestimmung der Reihenfolge der auf
eine Anfrage hin angezeigten Suchergebnisse verwendet
werden. Die Bundesregierung wird im Zuge der Digita-
len Agenda prüfen, wie Nichtdiskriminierung durch
Plattformbetreiber und diskriminierungsfreier Zugang zu
Inhalten sichergestellt werden können. Die berechtigte
Erwartung der Verbraucherinnen und Verbraucher, die
Kriterien nachvollziehen zu können, nach denen Inter-
netplattformen ihnen Suchergebnisse anzeigen, wird
hierbei einbezogen. Mehr Transparenz gegenüber ihren
Nutzerinnen und Nutzern ist eine Möglichkeit, mit der
Suchmaschinenbetreiber diesen Erwartungen entspre-
chen können.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Sie haben
gesagt, dass im Rahmen der Digitalen Agenda darüber
beraten wird. Das dauert mir, ehrlich gesagt, zu lang.
Schließlich geht es um die Frage, welche konkreten
Maßnahmen jetzt ergriffen werden. Seit 2010 gibt es auf
europäischer Ebene ein Wettbewerbsverfahren hinsicht-
lich der Suchergebnisse. Dabei wurde der Vorwurf erho-
ben, dass Dienste, die Google selbst betreibt, bei den
Suchergebnissen an viel prominenterer Stelle angezeigt
werden als Dienste von Dritten, zum Beispiel bei Flug-
reisen und Shoppingdiensten. Man schien sich am An-
fang des Jahres geeinigt zu haben. Dann ist aber aus
Brüssel erneut Kritik geübt und die Forderung erhoben
worden, wie das darzustellen ist.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was konkret
unternehmen Sie zusammen mit der Wettbewerbsbe-
hörde auf Brüsseler Ebene, und gibt es Ihrerseits Überle-
gungen, hier gesetzliche Regelungen vorzunehmen? Al-
gorithmen bereiten uns an vielen Stellen Probleme, zum
Beispiel bei der Schufa; das betrifft das Bundesdaten-
schutzgesetz. Es ist nicht klar, wie die Schufa zu Ergeb-
nissen und Bewertungen kommt. Daher stellt sich für
mich die Frage, was jenseits der Debatte über die Digi-
tale Agenda konkret unternommen wird.
U
Frau Kollegin, die Bundesregierung hatte sich mit ei-
nem Brief an Kommissar Almunia, der diesen Bereich in
der scheidenden Kommission verantwortet hatte, ge-
wandt und dies auch öffentlich gemacht. Sie hat dabei
darauf gedrängt, den von Almunia angekündigten Kom-
promiss mit Google nicht einzugehen, sondern stärker
auf ein transparentes Verfahren hinzuwirken; das ist ein
Schritt. Außerdem suchen wir – auch das haben wir in
der Öffentlichkeit dargelegt – direkte Gespräche mit den
Anbietern, um zu sehen, inwieweit die Bereitschaft zu
einem transparenten Verfahren gegeben ist. Ansonsten
ist die Digitale Agenda ein Prozess, der nicht nur am
Ende ein Ergebnis zeitigen kann, sondern auch zwi-
schendurch, wenn die entsprechenden Gespräche, Über-
legungen und Einschätzungen abgeschlossen sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja, Herr Präsident. – Grundsätzlich soll Transparenz
für die Nutzer solcher Suchdienste hergestellt werden.
Ich bezweifle, dass es sinnvoll ist, mit jedem Betreiber
einer Suchmaschine einzeln zu sprechen, nach dem
Motto: Könntest du bitte bei dir etwas mehr Transparenz
herstellen, bis hin zur Offenlegung des Algorithmus,
also der Bewertung und der daraus entstehenden Reihen-
folge der präsentierten Angebote? – Mich interessiert als
Nutzerin, wenn ich beispielsweise eine Schiffsreise nach
Alaska buchen möchte, in welcher Reihenfolge mir was
angeboten wird. Dabei geht es um die entscheidende
Frage, ob die Kriterien, die zur Bestimmung der Reihen-
folge der angezeigten Suchergebnisse verwendet wer-
den, für mich als Kundin nachvollziehbar sind. Wo ist
für Sie die Deadline, ab der Sie darauf drängen, dass es
eine entsprechende rechtliche Regelung gibt, wenn es
State of the Art ist, dass nicht alle Betreiber ihre Algo-
rithmen freiwillig veröffentlichen?
Herr Staatssekretär, bitte.
U
Danke schön, Herr Präsident. – Frau Kollegin, paral-lel versuchen wir, Einfluss auf die Gesetzgebung und dieRichtlinienentscheidungen auf europäischer Ebene aus-zuüben. Als Beispiel nenne ich die Datenschutz-Grund-verordnung, die europaweite Regelungen vorsieht. Mankann hierbei auf unterschiedliche Weise vorgehen. Mankann auf nationaler Ebene entsprechende Erkenntnissegewinnen, Druck aufbauen und zu Entscheidungen kom-men. Aber man muss auch die Partnerinnen und Partner– bis hin zur Europäischen Kommission – überzeugen,entsprechend zu handeln. Es ist ein Irrglaube, zu glau-ben, dass es möglich ist, morgen eine rote Linie zu zie-hen und dann schnell einen entsprechenden Gesetzent-wurf durchzusetzen.
Metadaten/Kopzeile:
4848 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber
(C)
(B)
Sie haben zum Beispiel bei der Reaktion auf das Ur-teil des Europäischen Gerichtshofs zu den Löschberech-tigungen gemerkt, dass das zwar für die unmittelbar inEuropa angedachten Webseiten durchgesetzt werdenkonnte, aber jeder Europäer, der unmittelbar auf dieamerikanischen Angebote geht, bekommt dort die glei-chen Informationen, die in Europa nach europäischemRecht gelöscht werden. Von daher sind gute Entschei-dungen besser als schnelle Entscheidungen.
Diese Zusatzbemerkung nehmen wir noch friedlich
entgegen.
Ich rufe die Frage 17 der Abgeordneten Ulle Schauws
auf:
Warum hat die Bundesregierung die Prüfung, ob und in-
wieweit sich aus der Umsetzung des Artikels 36 des Überein-
kommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
den §§ 177, 179 des Strafgesetzbuchs im Hinblick auf die
Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen be-
steht, noch nicht abgeschlossen, obwohl, wie sich aus der
Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage 17
auf Bundestagsdrucksache 18/1590 ergibt, diese Prüfung be-
reits seit Mai 2014 andauert?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Lange zur Verfügung.
C
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wegen des Sachzu-
sammenhangs möchte ich die Fragen 17 und 18 gerne
gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 18 der Abgeordneten
Ulle Schauws auf:
Sieht die Bundesregierung jetzt doch Handlungsbedarf für
eine Änderung der §§ 177, 179 StGB, nachdem dies die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bereits mit ihrem Antrag „Arti-
kel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen – Bestehende Straf-
barkeitslücken bei sexueller Gewalt und Vergewaltigung
schließen“ auf Bundestagsdrucksache 18/1969 vom 2. Juli
2014 gefordert hat und nun auch die rechtspolitische Spreche-
rin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker,
am 17. Juli 2014 erklärt hat, dass die „… beim Vergewalti-
gungsparagrafen bestehende Gesetzeslücke dringend ge-
schlossen werden muss“ sowie auch die Abgeordnete Eva
Högl, SPD, in der Frankfurter Rundschau vom 12. September
2012 erklärt hat: „Für mich ist völlig klar, dass eine Reform
noch diese Legislaturperiode kommt“?
C
Die Bundesregierung wird sich unabhängig von der
im Detail unterschiedlich beurteilten Frage, ob das ge-
nannte Europaratsübereinkommen tatsächlich konkreten
Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht auslöst, der Frage
der Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Hand-
lungen grundsätzlich und umfassend annehmen.
Um eine möglichst weitgehende Übersicht über Re-
gelungsnotwendigkeiten und Regelungsmöglichkeiten
zu erhalten, hat das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz die Landesjustizverwaltungen ge-
beten, gegebenenfalls konkrete Beispiele aus der straf-
rechtlichen Praxis mitzuteilen, die auf Probleme bei der
Anwendung der gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen
hindeuten. Die Stellungnahmen der Landesjustizverwal-
tungen werden Ende nächsten Monats erwartet und müs-
sen dann ausgewertet werden.
Frau Kollegin, Sie haben bis zu vier Nachfragen, weil
die beiden Fragen zusammen beantwortet wurden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie haben die Fra-
gen jetzt zusammen beantwortet. Meine Frage ist: Wa-
rum hat diese Prüfung so lange gedauert, und warum ist
mir bisher noch keine Information zugegangen? Denn
die Frage ist bereits im Mai gestellt worden.
Herr Staatssekretär, bitte.
C
Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir die Landesjus-
tizverwaltungen um Stellungnahme gebeten haben. Wir
müssen ihnen eine Frist einräumen. Diese Frist endet
Ende nächsten Monats. Danach müssen wir auswerten.
Wenn wir Auswertungen haben, können wir darüber be-
richten. Vorher können wir auch nicht informieren.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Schauws?
Ich wüsste gerne, ob Sie dazu noch eine Stellung-
nahme der Frauenministerin Manuela Schwesig einge-
holt haben und deren Stellungnahme in die Beurteilung
einbeziehen.
Herr Staatssekretär.
C
Wie Sie wissen, spricht die Bundesregierung immer
mit einer Zunge.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung stehtder Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meisterbereit.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4849
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Dr. ValerieWilms, Bündnis 90/Die Grünen, auf:Wird die Bundesregierung im Haushaltsjahr 2015 die Pra-xis aus dem Jahr 2014 fortsetzen, nach der bei den Bundesäm-tern die Behördenausgaben pauschal um 5 Prozent reduziertwerden und eventuell nicht verausgabte Mittel den jeweiligenÄmtern zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zur Verfü-gung stehen – bitte jeweils begründen?Herr Staatssekretär, bitte.D
Herr Präsident! Liebe Kollegin Wilms, im Regie-
rungsentwurf zum Haushaltsgesetz 2015, der sich der-
zeit im parlamentarischen Beratungsverfahren befindet,
ist eine vergleichbare Regelung nicht enthalten.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Wilms? – Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, es
ist schön, zu hören, dass Sie diesen Fehler 2015 nicht
wieder machen wollen. Zu welchen negativen Auswir-
kungen für die Behörden führte denn diese Praxis 2014
mit der pauschalen Begrenzung auf 95 Prozent des
Haushaltsansatzes? Es interessiert mich insbesondere,
welche Folgen das für das Bundesamt für Seeschifffahrt
und Hydrografie gehabt hat; denn darüber ist ausführlich
in der Presse berichtet worden.
Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin Wilms, es steht mir als Mitglied der
Bundesregierung nicht zu, den Deutschen Bundestag für
seine Entscheidungen bei der Haushaltsgesetzgebung zu
kritisieren. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in die-
sem Haushaltsvermerk seitens des Bundestages eine
volle Deckungsfähigkeit zwischen den Haushaltsgrup-
pen 5 bis 8 innerhalb des jeweiligen Kapitels vorgesehen
haben, sodass die Möglichkeit gegeben ist, die gegensei-
tige Deckungsfähigkeit herbeizuführen. Zudem besteht
für jedes Ressort, das von der Sperre betroffen ist, die
Möglichkeit, einen Antrag beim Bundesministerium der
Finanzen zu stellen, um eine Aufhebung zu erreichen,
wenn erkennbar sein sollte, dass es sachlich oder zeitlich
unabweisbar zu einer Überschreitung der gesetzlichen
Obergrenze kommen würde. Ein solcher Antrag liegt
uns nach meiner Kenntnis bisher nicht vor.
Frau Dr. Wilms, haben Sie noch eine Zusatzfrage? –
Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Was mich noch inte-
ressieren würde – in einem Artikel im Hamburger
Abendblatt wurde sehr deutlich gesagt, dass ein Kapitän
mit seinem Schiff nicht auslaufen konnte, weil nicht ge-
nügend Kraftstoff und auch nicht genügend Rettungs-
inseln da waren –: Was hat das wirklich für Auswirkun-
gen auf die Sicherheit in der Nordsee und in der Ostsee
gehabt? Gerade die Schiffe des BSH sind durchaus dem
Havariekommando unterstellt. Hat man da hinsichtlich
der Sicherheit nicht ein bisschen sehr nachlässig gehan-
delt? Insofern wundert es mich, dass Sie diesen Antrag
noch nicht bekommen haben.
D
Ich habe in meiner vorherigen Antwort darauf hinge-
wiesen, dass es mir als Vertreter der Bundesregierung
nicht zusteht, den Deutschen Bundestag für seine Ent-
scheidungen zu kritisieren. Insofern ist die Frage, wer
nachlässig gehandelt hat, eine Frage, die Sie anderweitig
adressieren müssen.
Zum Zweiten habe ich darauf hingewiesen, dass es
eine Festlegung des Parlaments bezüglich dieser Haus-
haltssperre gibt. Jedoch gibt es die Möglichkeit, innerhalb
der Haushaltsgruppen durch eigene Bewirtschaftung
Schwerpunkte zu setzen. Wenn man nicht zurechtkommt
und der Meinung ist, dass weitere Haushaltsmittel not-
wendig sind, kann außerdem durchaus ein Antrag auf
Anhebung der Haushaltsmittel gestellt werden. Das ist
bisher nicht der Fall.
Sehen Sie mir bitte nach, dass das Bundesfinanz-
ministerium nicht im Einzelnen nachvollziehen kann,
welches Schiff sachlich oder personell in der Lage ist,
auszulaufen oder auch nicht.
Die Frage 20 des Abgeordneten Markus Kurth, die
Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Stephan Kühn
, die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten
Richard Pitterle sowie die Fragen 25 und 26 des Abge-
ordneten Dr. Axel Troost werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Anette Kramme bereit.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft
zur Vereinfachung der passiven Leistungen im Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch, SGB II, beabsichtigt die Bundesregierung
in ihren Referentenentwurf aufzunehmen, und welche zusätz-
lichen Maßnahmen plant die Bundesregierung in ihrem Refe-
rentenentwurf zur Vereinfachung der passiven Leistungen im
SGB II?
Frau Staatssekretärin, bitte.
A
Herr Strengmann-Kuhn, der Referentenentwurf fürein Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten BuchesSozialgesetzbuch ist hausintern fertiggestellt. Wir befin-den uns jedoch noch in weiteren internen Abstimmungs-gesprächen, sodass ich zu einzelnen Inhalten – ich denke,
Metadaten/Kopzeile:
4850 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Parl. Staatssekretärin Anette Kramme
(C)
(B)
das beantwortet sowohl Ihre Teilfrage eins als auch IhreTeilfrage zwei – noch keine Stellung nehmen kann.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Strengmann-Kuhn? –
Bitte.
Sie haben gesagt: Der Referentenentwurf ist fertig. –
Vielleicht können Sie schon zu der Frage Stellung neh-
men, ob Bezug genommen wird auf die 36 Punkte aus
dem Endbericht der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft
oder ob einzelne Punkte davon aus politischen oder aus
verfassungsrechtlichen Gründen gestrichen worden sind.
Werden in dem Referentenentwurf Themen behandelt,
die von diesen 36 Punkten nicht umfasst sind?
A
Ich habe Sie bereits vorhin darauf hingewiesen, dass
wir uns in internen Abstimmungsprozessen befinden.
Das beinhaltet natürlich, dass einzelne Vorschläge weg-
fallen und dass andere Vorschläge hinzukommen kön-
nen. Sie werden sich also leider noch etwas gedulden
müssen.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte.
Wie lange wird sich das Parlament da gedulden müs-
sen? Wie ist der weitere Zeitplan?
A
Es ist geplant, dass die Kabinettsbefassung bis Ende
des Jahres erfolgen soll.
Ich rufe die Frage 28, ebenfalls von Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung bei der
Reform der Sanktionen im SGB II, und sieht die Bundesregie-
rung verfassungsrechtliche Probleme bei den derzeitigen Son-
derregeln bei den Sanktionen im SGB II für die unter 25-Jäh-
rigen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
A
Auch da kann ich nur auf den Koalitionsvertrag ver-
weisen, in dem steht, dass das Sanktionsregime für die
unter 25-Jährigen überprüft werden soll. In diesem
Überprüfungsprozess, der natürlich auch Diskussionen
beinhaltet, befinden wir uns derzeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ich habe eine Nachfrage, die sich auf den zweiten Teil
meiner Frage bezieht. Das BMAS hat sicherlich auch ge-
prüft, ob die geplanten Regelungen verfassungsrechtlich
problematisch sind. Das Ergebnis dieser Prüfungen kön-
nen Sie uns vielleicht mitteilen, weil es ja jenseits des
politischen Prozesses ist.
A
Zu dieser Frage haben wir Ihnen gegenüber bereits
mehrfach Stellung bezogen. Insoweit ergibt sich kein
neues Prüfergebnis. Es ist so, dass es bislang keinerlei
gerichtliche Entscheidungen, die das Sanktionsregime
beanstanden, gibt.
Danke schön. – Es gibt keine weiteren Zusatzfragen
dazu.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-
Mauz bereit.
Ich rufe die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten
Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, dass
zwei Drittel der privat Krankenversicherten bereits innerhalb
von drei Tagen einen Facharzttermin erhalten, während mehr
als zwei Drittel der gesetzlich Krankenversicherten erst inner-
halb eines Monats einen Termin erhalten, wie unter anderem
eine Erhebung von Bundestagsabgeordneten der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen aus Nordrhein-Westfalen ergab?
Sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, wenn
gesetzlich Krankenversicherte drei Wochen länger warten als
privat Krankenversicherte, solange sie innerhalb eines Monats
einen Termin erhalten?
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, zur Frage unter-schiedlicher Wartezeiten für gesetzlich Versicherte undPrivatversicherte liegen verschiedene Untersuchungenvor. Unbestritten ist, dass eine angemessen zeitnahe Be-handlungsmöglichkeit Ausdruck eines funktionierendenmedizinischen Versorgungssystems ist und daher inDeutschland für alle Versicherten gewährleistet seinmuss, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privatversichert sind.Mit der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Regelungzur Reduzierung der Wartezeiten auf einen Facharztter-min sollen die Wartezeiten der gesetzlich Versichertenreduziert werden. Beabsichtigt ist, den Sicherstellungs-auftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen insoweit zukonkretisieren, dass diese verpflichtet werden, Termin-servicestellen einzurichten. Aufgabe dieser Terminser-vicestellen wird es sein, gesetzlich Versicherten, die eineÜberweisung zu einem Facharzt haben, innerhalb einerWoche einen Behandlungstermin bei einem Facharzt zuvermitteln. Die Wartezeit auf diesen Behandlungstermindarf im Regelfall vier Wochen nicht überschreiten. Kann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4851
Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
(C)
(B)
die Terminservicestelle keinen Termin innerhalb derVierwochenfrist vermitteln, ist sie – außer in medizi-nisch nicht begründeten Fällen – verpflichtet, dem Versi-cherten einen Behandlungstermin in einem Krankenhausanzubieten. Damit kann sich der Versicherte darauf ver-lassen, dass er eine fachärztliche Behandlung innerhalbvon vier Wochen erhält, sei es bei einem niedergelasse-nen Facharzt oder in medizinisch begründeten Fällen ineinem Krankenhaus.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja. – Meine Frage war etwas genauer gestellt, weil
wir in unserer eigenen Untersuchung, die wir kürzlich in
NRW durchgeführt haben – eine solche hatten wir auch
schon 2011 durchgeführt –, festgestellt haben, dass zwei
Drittel aller Privatversicherten innerhalb von drei Tagen
einen Termin beim Facharzt erhalten, während zwei
Drittel aller gesetzlich Versicherten innerhalb von vier
Wochen einen solchen Termin erhalten. Das ist eine sehr
deutliche Diskrepanz, ein Unterschied von durchschnitt-
lich 23 Tagen. Da frage ich Sie: Was gedenkt die Bun-
desregierung zu tun, damit gesetzlich Versicherte nicht
so deutlich oder gar nicht benachteiligt werden?
Frau Staatssekretärin.
A
Frau Kollegin, ich weise noch einmal darauf hin, dass
angemessen zeitnahe Behandlungsmöglichkeiten und
angemessene Wartezeiten insgesamt Ausdruck eines
funktionierenden Versorgungssystems sind und daher für
beide Patientengruppen, also gesetzlich Versicherte und
Privatversicherte, zu gelten haben. Ich möchte auch da-
rauf hinweisen, dass Unterschiede in den Wartezeiten
unterschiedliche Ursachen haben können, was in den
verschiedenen Untersuchungen nicht unbedingt zum
Ausdruck kommt. Ursachen können tatsächliche Versor-
gungsengpässe sein. Da können wir Unterschiede insbe-
sondere zwischen ländlichen und städtischen Regionen
feststellen. Es kann von der Frequentierung des Arztes
abhängen. Auch die Praxisorganisation kann eine Rolle
spielen. Deshalb muss es uns insgesamt darum gehen,
die Wartezeiten zu verkürzen. Das wollen wir in einem
der nächsten Gesetzgebungsverfahren umsetzen.
Noch eine Zusatzfrage dazu?
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. – Heißt das, dass
Sie Wartezeiten von bis zu vier Wochen als zulässig im
Sinne einer zeitnahen Behandlung ansehen? Das Verfah-
ren mit den Terminservicestellen und der Termingarantie
stellt ja auf vier Wochen ab. Wenn schon jetzt zwei Drit-
tel aller gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wo-
chen einen Termin erhalten, bleibt die große Frage: Ist es
tatsächlich zeitnah, wenn die Wartezeit drei Wochen und
mehr beträgt?
A
Frau Kollegin, welche Wartezeit angemessen ist, ist
sehr stark vom individuellen medizinischen Einzelfall
abhängig. Deshalb sind pauschale Aussagen dazu nur
sehr schwer möglich. Aus unserer Sicht bieten Termin-
servicestellen die Möglichkeit, eine solche Beurteilung
vorzunehmen.
Angesichts der insgesamt guten Versorgungssituation
in Deutschland ist allerdings die Zugänglichkeit medizi-
nischer Leistungen in unserem Land grundsätzlich auf
einem hohen Niveau gewährleistet. Das gilt insbeson-
dere auch für dringende medizinische Fälle.
Es gibt dazu eine Frage der Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin
Widmann-Mauz, Ihren Antworten entnehme ich, dass
die Bundesregierung bestreitet, dass es eine Diskrepanz
zwischen den Wartezeiten von Privatversicherten und
gesetzlich Versicherten gibt. Ich frage Sie, wie Sie das
angesichts der vielen Untersuchungen und auch öffent-
lich immer wieder thematisierten Feststellungen, die in
diesem Bereich getroffen wurden, weiterhin behaupten
können.
A
Frau Kollegin, ich verweise an dieser Stelle ausdrück-lich auf die Beantwortung einer Kleinen Anfrage derAbgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermannund anderer, Fraktion Die Linke, worin wir deutlich ma-chen, wie viele unterschiedliche Untersuchungen mitsehr unterschiedlichen Aussagen es zu diesem Themagibt. Zum Beispiel können Sie dieser Kleinen Anfrageentnehmen, dass einer Umfrage der KassenärztlichenBundesvereinigung aus dem Jahr 2013 zufolge 21 Pro-zent der GKV-Versicherten mehr als drei Wochen auf ei-nen Termin warten. Das widerspricht den Aussagen, aufdie Sie sich in Ihrer Fragestellung beziehen.Es ist uns wichtig, dass die Menschen, egal ob gesetz-lich versichert oder privat versichert, möglichst schnell,innerhalb eines angemessenen Zeitraumes von höchstensvier Wochen, Zugang zu einem niedergelassenen Fach-arzt oder der Behandlung in einem entsprechendenKrankenhaus erhalten. Es muss uns gemeinsam darangelegen sein, dass sich die Situation, unabhängig von derRegion und der sonstigen Versorgungssituation, für alleVersicherten in unserem Land verbessert.
Metadaten/Kopzeile:
4852 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
(C)
(B)
Danke schön. – Da die Fragen 29 und 30 zusammen
beantwortet wurden, stehen Frau Kollegin Klein-
Schmeink noch zwei Zusatzfragen zu.
Ich komme jetzt noch einmal auf meine Frage zurück:
Heißt das im Endeffekt, dass Sie eine Versorgung von
gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wochen als
zeitnah und angemessen betrachten, während Sie es als
normal hinnehmen, dass Privatversicherte in der Regel
innerhalb von drei Tagen einen Facharzttermin erhalten?
Wollen Sie tatsächlich nichts gegen diese unterschiedli-
che Behandlung tun?
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, ich weise noch ein-
mal darauf hin, dass die Frage, welche Wartezeit auf ei-
nen Arzt- oder Facharzttermin angemessen ist, aus der
Situation des konkreten medizinischen Einzelfalls he-
raus zu beurteilen ist, da es sich einerseits um Notsitua-
tionen und andererseits um planbare Facharztbesuche
handeln kann, also eine sofortige Behandlung oder eine
Behandlung innerhalb von wenigen Tagen nicht notwen-
dig ist.
Es kommt für uns darauf an, dass genau diese medizi-
nische Einzelfallbetrachtung im Vordergrund steht. War-
tezeiten auf einen Facharzttermin von mehr als vier Wo-
chen sind für uns nicht akzeptabel, es sei denn, es
handelt sich um routinemäßige Kontrollen; aber auch
das kommt auf den Einzelfall an. In der Regel ist in ei-
nem Zeitraum von vier Wochen eine gute medizinische
Versorgung möglich. Das schließt natürlich nicht aus,
dass sie deutlich schneller erfolgen muss, wenn es sich
um entsprechende Notfälle handelt.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? Das wäre dann Ihre
letzte. – Bitte schön.
Wir haben sowieso eine ganz klare Regelung, was in
Notfällen zu passieren hat. Insofern reden wir jetzt nicht
über akute Notfälle, sondern über die Regelversorgung.
Dabei geht es zum Beispiel um einen Termin beim Ra-
diologen oder Hautarzt, der eine Kontrolluntersuchung
macht, die einen fraglichen Befund mit sich bringt, was
für die Patienten mitunter sehr belastend sein kann.
Ich frage Sie noch einmal: Wollen Sie als Maßstab für
eine angemessene, zeitnahe Versorgung tatsächlich einen
Zeitraum von vier Wochen hinnehmen? Das ist nämlich
der Zeitraum, den ein gesetzlich Versicherter hinzuneh-
men hat, während sich nach etlichen Untersuchungen
– im Übrigen auch der KBV selber – zeigt, dass Privat-
versicherte innerhalb kürzester Zeit – in der Regel inner-
halb von drei Tagen; das ist in unserer Studie erneut un-
terlegt – einen Termin erhalten.
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, auch wenn Sie es mit
einer vierten Nachfrage bei mir versuchen: Wir beurtei-
len keinen konkreten Zeitraum als Normzeitraum. Er ist
vom individuellen medizinischen Einzelfall abhängig.
Die Terminservicestellen, die wir in die Verantwortung
der Kassenärztlichen Vereinigungen legen, können auf-
grund einer Überweisung des Hausarztes für den Fach-
arzt Beurteilungen vornehmen, inwieweit ein kurzfristi-
ger Termin, zum Beispiel innerhalb einer Woche oder
weniger Tage, für eine entsprechende Vermittlung erfor-
derlich ist und wo aus medizinischen Gründen ein Zeit-
raum von bis zu vier Wochen durchaus akzeptabel sein
kann. Längere Wartezeiten sind aus unserer Sicht nur in
seltenen medizinisch begründeten Ausnahmefällen mög-
lich. Deswegen wollen wir durch die Terminservicestel-
len insgesamt zu einer deutlichen Beschleunigung und
zu mehr Sicherheit für die Patientinnen und Patienten
beitragen und generell zu einer Verkürzung von Warte-
zeiten kommen.
Schönen Dank. – Die Frage 31 des Abgeordneten
Dr. Harald Terpe wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Katherina Reiche zur Verfügung.
Frage 32 der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 33 der Abgeordneten Dr. Katarina
Barley, SPD-Fraktion, auf:
Welche Rolle wird der barrierefreie Aus- und Umbau von
Bahnhöfen in der neuen Leistungs- und Finanzierungsverein-
barung, LuFV, zwischen Bund und Deutscher Bahn AG spie-
len?
Frau Staatssekretärin, bitte.
K
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, ich be-
antworte Ihre Fragen aufgrund des Sachzusammenhangs
zusammen.
Dann rufe ich zusätzlich Frage 34 der Abgeordneten
Katarina Barley auf:
Welche Voraussetzungen müssen nach der neuen LuFV
gegeben sein, um zukünftig Mittel aus der LuFV für den bar-
rierefreien Ausbau von Verkehrsstationen einsetzen zu dür-
fen?
K
Die Verhandlungen zur LuFV II sind noch nicht abge-schlossen. Die DB Station & Service AG als Eigentüme-rin und Bauherrin der Verkehrsstationen wird durch dieLuFV II ermächtigt sein, Bundesmittel aus der LuFV zur
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4853
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
Finanzierung von Investitionen in die barrierefreie Aus-gestaltung von Bahnstationen einzusetzen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Meine erste Zusatzfrage ist, ob es eine Erhöhung der
Mittel für den barrierefreien Umbau von Bahnhöfen ge-
ben wird. Ist dies bereits absehbar?
K
Wir verhandeln gerade die LuFV II. Insoweit kann
ich Ihnen zum konkreten Ausgang derzeit nichts sagen.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte.
Gibt es ein mittel- oder langfristiges Ziel, bis wann
wie viel Prozent der Bahnhöfe in Deutschland barriere-
frei umgebaut werden sollen?
K
Sie müssen in diesem Punkt zwischen Bahnhöfen mit
Fernverkehr und solchen mit Regionalverkehr unter-
scheiden. Das Bundesverkehrsministerium kümmert
sich gemeinsam mit der Bahn um den Fernverkehr.
Wenn es um einen Ausbau von Bahnhöfen mit Regional-
verkehr geht, sind die Länder mit im Boot und in der
Pflicht. Wenn Sie einen konkreten Einzelfall vor Augen
haben, müssten wir dies prüfen. Für unseren Bereich
kann ich sagen, dass alle großen Bahnhöfe im DB-Fern-
verkehr barrierefrei umgebaut sind. Dies ist ein ganz
wichtiges Ziel. Auch bei den Bahnhöfen mittlerer Größe
sind wir sehr weit. Der Umbau von Bahnhöfen mit bis zu
1 000 Passagieren pro Tag hat begonnen. Noch einmal:
Auch Mittel der LuFV II stehen dafür zur Verfügung.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte.
Ja, ich habe tatsächlich einen konkreten Bahnhof vor
Augen und habe eine Nachfrage zu der Messzahl von
1 000 Passagieren pro Tag. Ist es angedacht oder aus Ih-
rer Sicht denkbar, dass man von dieser willkürlich ge-
griffenen Größe von 1 000 Fahrgästen abweicht, wenn
es in einem konkreten Ort zum Beispiel eine besondere
Häufung von Einrichtungen für Senioren oder Menschen
mit Behinderungen gibt?
K
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Zahl von
1 000 Passagieren sicherlich nicht willkürlich ist. Es lie-
fen bzw. laufen zwei Programme; einmal von 2005 bis
2010 und jetzt in der Periode von 2010 bis 2015. Es wur-
den erhebliche Fortschritte gemacht. Wenn Sie einen
konkreten Bahnhof im Blick haben, würde ich Sie bitten,
sich noch einmal an uns zu wenden, damit wir uns die
Situation anschauen können.
Noch eine Zusatzfrage?
Dann würde es mich interessieren, welche Indikato-
ren dazu geführt haben, die Zahl 1 000 festzulegen.
K
Man braucht wie in vielen Bereichen Größenordnun-
gen, bis zu denen man prioritär baut; die Maßnahmen für
darunter liegende Größenordnungen stellt man zurück.
Die LuFV umfasst nicht nur Maßnahmen im Bereich
des barrierefreien Ausbaus, der – das will ich noch ein-
mal betonen – sehr wichtig ist; sie sieht Finanzinvestitio-
nen in die gesamte Eisenbahninfrastruktur vor. Hier ist
es sicherlich nicht unüblich, bestimmte Grenzen festzu-
legen –, was nicht heißt, dass unterhalb dieser Grenze
gar nichts passiert.
Frau Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine
Zusatzfrage dazu.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Reiche, ich kann
mir nicht so richtig vorstellen, was es heißen soll, wenn
Sie sagen, bei Bahnhöfen mittlerer Größe seien Sie
schon relativ weit. Was soll das heißen? – Ich bitte Sie,
das einmal dem Parlament zu erklären. Ich kann mir da-
runter nichts vorstellen.
Wenn Sie nicht in der Lage sind, jetzt mündlich dazu
Stellung zu nehmen, würde ich Sie bitten, uns eine Über-
sicht darüber zu geben, welche Bahnhöfe den Standards
entsprechen bzw. umgebaut sind und welche noch nicht.
Das würde sicherlich uns allen konkretisieren, was es
heißt, wenn Sie sagen, Sie seien bei Bahnhöfen mittlerer
Größe relativ weit.
K
Ich verstehe Ihre Frage als Bitte an die Regierung,
eine solche Übersicht zu erstellen; ich bin mir sicher,
dass sie im Haus vorhanden ist. Das war aber nicht Ge-
genstand der Fragen, die an uns gegangen sind. Wenn
Sie das interessiert, werden wir Ihnen das Datenmaterial,
das uns vorliegt, sicherlich zukommen lassen.
Herzlichen Dank.Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-aktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht derParlamentarische Staatssekretär Florian Pronold bereit.
Metadaten/Kopzeile:
4854 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Ich rufe Frage 35 der Abgeordneten Bärbel Höhn,Bündnis 90/Die Grünen, auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Deutsche-Bank-Experten Caio Koch-Weser, der einen CO2-Preis von
schaft effektive Signale für mehr Klimaschutz zu geben, und,wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus für dieanstehende Reform des Emissionshandels?Herr Staatssekretär, bitte.Fl
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Frage bezieht sich auf
eine Pressemitteilung zur Vorstellung des Expertenbe-
richts im Vorfeld des Klimasondergipfels, der gerade in
New York stattgefunden hat. In diesem Bericht beschrei-
ben alle beteiligten Sachverständigen die zentralen He-
rausforderungen der kommenden 15 Jahre, um die lang-
fristigen Klimaschutzziele und ein angemessenes
Wirtschaftswachstum zu erreichen. Eine der zentralen
Forderungen dieses Berichts ist die Schaffung eines in-
ternationalen Kohlenstoffmarktes mit robusten und vor-
hersehbaren Kohlenstoffpreisen
Die Bundesregierung teilt die Vorstellung, dass es ei-
nen solchen robusten und vorhersehbaren Kohlenstoff-
preis geben muss. Wir benötigen allerdings zuerst ein
neues und verbindliches Klimaschutzabkommen auf in-
ternationaler Ebene. 2015 in Paris ist der Zeitpunkt, zu
dem es dazu kommen soll und muss.
Bei der Reform des europäischen Emissionshandels
setzt sich die Bundesregierung für die frühzeitige Festle-
gung eines verbindlichen EU-Klimaschutzziels für 2030
ein: Minderung der Treibhausgasemissionen um mindes-
tens 40 Prozent gegenüber 1990. Wenn wir das erreichen
wollen, dann muss der Emissionshandel funktionieren.
Im Hinblick auf die kurzfristige Stärkung des EU-
Emissionshandels unterstützt die Bundesregierung den
Vorschlag der EU-Kommission, die wegen der Wirt-
schafts- und Finanzkrise entstandenen Zertifikatsüber-
schüsse in eine Marktstabilitätsreserve zu überführen.
Allerdings soll dieser Mechanismus nach unseren Vor-
stellungen und den Vorstellungen einiger anderer Mit-
gliedstaaten bereits deutlich früher und konsequenter
eingeführt werden, damit er funktioniert.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin? – Bitte schön.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Einer der wesentli-
chen Gründe, warum wir momentan – nicht nur in
Deutschland, sondern weltweit – viel zu hohe CO2-
Emissionen haben, sind die Kohlekraftwerke. Deshalb
gibt es eine Diskussion darüber, inwieweit der Bau von
Kohlekraftwerken im Ausland weiter mit Hermesbürg-
schaften und durch die KfW unterstützt werden kann,
wie es momentan noch der Fall ist. In diesem Zusam-
menhang hat Bundesumweltministerin Hendricks in der
Presse angekündigt, dass sie eine Abkehr von der inter-
nationalen Finanzierung des Baus von Kohlekraftwerken
– zum Beispiel durch die KfW, aber auch in anderen Be-
reichen – erreichen will. Das ist durch die Aussage des
Bundeswirtschaftsministeriums relativiert worden. Da
hätte ich gerne gewusst: Gibt es jetzt eine verbindliche
Position der Bundesregierung im Hinblick auf das Aus-
laufen der Finanzierung von ausländischen Projekten im
Bereich des Kohlekraftwerksbaus? Welche konkreten
Schritte sind da geplant, und wann?
Fl
Die Bundesumweltministerin hat in New York noch
einmal bekräftigt, dass dies für die Frage der Förderung
von Auslandsvorhaben durch die KfW gilt. Wir befinden
uns dort in einem guten Abstimmungsprozess innerhalb
der Bundesregierung.
Ich interpretiere Ihre Antwort so, dass es doch keine
gemeinsame Positionierung war, die Sie soeben vorge-
tragen haben.
Sie haben den Ban-Ki-moon-Gipfel in New York an-
gesprochen. Teilen Sie die Auffassung – Sie teilen ja
nicht die der gesamten Bundesregierung –, dass die
Kanzlerin auch deshalb nicht zu diesem Gipfel gefahren
ist, weil sie nichts vorzuweisen hat?
Deutschland wird sein Klimaziel einer CO2-Reduk-
tion um 40 Prozent bis 2020 nicht erfüllen können; das
hat die Bundesumweltministerin bereits anklingen las-
sen. Auch sonst steht Deutschland schlecht da: mehr
CO2-Emissionen in den letzten zwei Jahren als in den
Jahren zuvor. Ist es richtig, dass die CO2-Bilanz so
schlecht ist, dass die Kanzlerin entschieden hat, lieber zu
einer im gleichen Zeitraum stattfindenden langweiligen
BDI-Veranstaltung zu gehen?
Fl
Liebe Frau Höhn, Sie haben zusammen mit der Frak-tion Die Grünen der Terminplanung der Kanzlerin zudiesem Zeitpunkt eine Kleine Anfrage gewidmet. Wirhaben diese Kleine Anfrage ausführlich beantwortet.Ich darf darauf verweisen und Ihnen gleichzeitig auchden Hinweis geben – da ich wie auch Sie nicht in NewYork war, ist mir das nur schriftlich übermittelt wor-den –, dass insbesondere das Engagement Deutschlands– die Bereitschaft, in den Clean Climate Fund einzuzah-len, und viele andere Maßnahmen – von vielen Staatenund Nichtregierungsorganisationen sehr positiv bewertetworden ist. Das Engagement der BundesrepublikDeutschland und unser Engagement im Zuge der Ener-giewende sind auf ein besonders positives Echo gesto-ßen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4855
(C)
(B)
Die Frage 36 des Kollegen Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor-
tung steht der Parlamentarische Staatssekretär Stefan
Müller bereit.
Die Frage 37 des Kollegen Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Welche finanziellen Zusagen wurden bisher vonseiten der
Bundesregierung an das US-amerikanische Department of
Energy im Zusammenhang mit einem möglichen Export der
AVR-Brennelemente aus Jülich getroffen – bitte, wenn mög-
lich, den Zeitraum angeben –, und für welche Zwecke wurden
bzw. werden diese Mittel verwendet?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin
Kotting-Uhl, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Bundesregierung hat gegenüber dem Department of
Energy der Vereinigten Staaten von Amerika im Zusam-
menhang mit einer möglichen Verbringung der AVR-
Brennelemente und der damit verbundenen Rückführung
des von den USA gelieferten Kernbrennstoffs bisher
keine finanziellen Zusagen gegeben.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
das finde ich jetzt verwunderlich. Dem Savannah River
Nation Lab, wohin diese abgebrannten Brennelemente
verbracht werden sollen, falls der Option US-Export zu-
gestimmt wird, wurden bereits 10 Millionen Dollar zu-
gesprochen, die sich auch im Haushalt für das Jahr 2015
niederschlagen. Unter dem Titel „US-Option“ sind im
Haushalt 65,4 Millionen Euro eingestellt. Für die Jahre
2016 bis 2018 sind noch einmal 170,9 Millionen Euro
veranschlagt. Können Sie diesen Widerspruch aufklä-
ren?
Herr Staatssekretär.
S
Ich will es gerne versuchen, Frau Kollegin. Die im
Bundeshaushaltsplan entsprechend für die US-Option
ausgewiesenen Gesamtausgaben des Bundes in Höhe
von rund 246 Millionen Euro beruhen auf Informationen
des Forschungszentrums Jülich zu einer vorläufigen
Kostenabschätzung zwecks vorsorglicher Sicherung der
Finanzierung einer möglichen Verbringung der AVR-
Brennelemente in die USA. Diese vorläufig und vor-
sorglich veranschlagten Kosten betreffen Ausgaben für
zum Beispiel die Prüfung der technischen und rechtli-
chen Machbarkeit einer Verbringung der hochangerei-
cherten AVR-Brennelemente in die USA – übrigens das
Herkunftsland dieses uranhaltigen Kernbrennstoffs –
oder betreffen Ausgaben für die Räumung des Behälter-
zwischenlagers Jülich, den Transport der AVR-Brenn-
elemente und eine schadlose Verwertung der AVR-
Brennelemente in den USA. Im Falle einer Realisierung
jener Transportoption wären die unmittelbar für das For-
schungszentrum Jülich anfallenden Gesamtkosten von
Bund und Land Nordrhein-Westfalen als Zuwendungs-
geber entsprechend zu tragen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kotting-Uhl?
Ja. – Herr Staatssekretär, ich bin immer noch verwun-
dert über Ihre Aussage, es gebe keine Zusagen an die
USA. Das Statement of Intent wurde sowohl von der
Bundesregierung, vom zuständigen Ministerium in
Nordrhein-Westfalen als auch von der US-Seite unter-
schrieben.
Hier steht unter Punkt II.4:
Forschungszentrum Jülich … is to bear the costs of
the preparatory phase work and, if there is a de-
cision to proceed with the project, the costs associa-
ted with the acceptance, processing, and disposition
of the fuel.
Also alles. Wie können Sie angesichts der Tatsache, dass
das hier steht – Sie haben das alle unterschrieben – sa-
gen, dass Sie keine Zusagen gemacht haben?
S
Frau Kollegin, ich weise noch einmal darauf hin: Die
Bundesregierung hat gegenüber dem Department of
Energy der Vereinigten Staaten keinerlei Zusagen in fi-
nanzieller Hinsicht gemacht.
Schönen Dank. – Ich rufe die Frage 39 der Abgeord-
neten Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche konkreten Schritte bezüglich der Option der Er-
richtung eines neuen und erdbebensicheren Zwischenlagers
auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich oder in un-
mittelbarer Nähe sind nach Kenntnis der Bundesregierung
bisher unternommen worden, und welche Erkenntnisse haben
diese Prüfungen erbracht?
Herr Staatssekretär.
S
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, IhreFrage will ich gern wie folgt beantworten: Auf Bitten derRegierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Auf-sichtsrat der Forschungszentrum Jülich GmbH vor ge-raumer Zeit mit entsprechenden Beschlüssen den Vor-stand gebeten, einen geeigneten Standort für den Baueines neuen Zwischenlagers auf dem Gelände des For-
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4856 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Parl. Staatssekretär Stefan Müller
(C)
(B)
schungszentrums Jülich im Rahmen eines Auswahlver-fahrens zu identifizieren und eine Umweltverträglich-keitsuntersuchung durchzuführen. Es konnte dabeiseinerzeit ein potenziell geeigneter Standort ermitteltwerden. Laut Auskunft des Vorstands der Forschungs-zentrum Jülich GmbH auf der 91. Aufsichtsratssitzungam 20. November 2013 ergaben sich aus dieser Umwelt-verträglichkeitsuntersuchung keine grundsätzlichen Be-denken gegen diesen ausgewählten Standort auf demGelände des Forschungszentrums.Seitdem hat es natürlich Änderungen gegeben. Mittedes Jahres 2014 ist bekannt geworden, dass nach derEinschätzung des Erdbebengutachtens von ProfessorSavidis im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zurdreijährigen Verlängerung der Aufbewahrungsgenehmi-gung der AVR-Brennelemente bei der Annahme einesbestimmten Referenzerdbebens eine Bodenverflüssi-gung am Standort des AVR-Behälterlagers nicht ausge-schlossen werden kann. Dies und die nicht absehbarenFolgen für das Verlängerungsgenehmigungsverfahrenhat die atomrechtliche Genehmigungsbehörde in Nord-rhein-Westfalen, das Ministerium für Wirtschaft, Ener-gie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, am 2. Juli die-ses Jahres dazu veranlasst, die unverzügliche Räumungdes AVR-Zwischenlagers in Jülich anzuordnen, und eshat das FZJ aufgefordert, ein Konzept hierzu vorzulegen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja. Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatssekre-
tär, was Sie referiert haben, ist öffentlich bekannt. Auch
den Inhalt des von Ihnen benannten Gutachtens kenne
ich. Meine Frage war: Welche konkreten Schritte werden
nach Ihrer Kenntnis unternommen, um die dritte Option
zu prüfen? Der Auftrag des zuständigen Ministeriums in
Nordrhein-Westfalen, das für die Atomaufsicht zustän-
dig ist, war, drei Optionen zu prüfen, nämlich den Export
in die USA, den Export nach Ahaus und die Option – das
ist die dritte Option, die aus vielerlei Gründen die zu prä-
ferierende wäre –, auf dem Gelände des Forschungszen-
trums Jülich nach einem neuen geeigneten Standort zu
suchen. Ich fragte nach konkreten Schritten; denn auf
der Homepage des Forschungszentrums Jülich ist nur
von der USA-Option die Rede. Von anderen Optionen
liest man dort nichts. Ich gehe davon aus, dass der Bun-
desregierung, die mit 90 Prozent, also zum absolut über-
wiegenden Teil Inhaber des Forschungszentrums Jülich
ist, weitere Kenntnisse vorliegen, und um die bitte ich.
S
Sie haben recht. Es gibt drei Optionen, die zur Dis-
kussion gestanden haben. Die erste Option ist die US-
Option, über die wir schon geredet haben. Die zweite
Option ist eine Verbringung der Brennelemente in das
TBL Ahaus. Die dritte Option ist die Errichtung eines
Zwischenlagers in Jülich. Insbesondere aufgrund der si-
cherheitsrechtlichen Veränderungen, die sich durch die
Untersuchungen im Hinblick auf die Erdbebensicherheit
des Standorts ergeben haben, wird die dritte Option der-
zeit nicht aktiv weiterverfolgt. Ich verweise diesbezüg-
lich auch auf die Stellungnahme des Landesministers
Duin vom vergangenen Montag in der Sitzung der End-
lagerkommission.
Landesminister Duin hat in der Sitzung der Endlager-
kommission, deren Mitglied ich ja bin, nicht eindeutig
Stellung bezogen, sondern er hat die Fakten referiert.
Dem ist auch gar nichts hinzuzufügen. Es bleibt aber die
Frage offen, warum diese Option, die sowohl aus Sicher-
heitsgründen wie auch aus vielen anderen Gründen zu
präferieren wäre, nicht verfolgt wird. Es erschwert uns
die Arbeit in der Atomendlagersuchkommission extrem,
wenn die Bundesregierung einen Atommüllexport ins
Ausland vorbereitet, während wir versuchen, ein Verfah-
ren zu entwickeln, um einen sicheren Standort für hoch-
radioaktiven Müll in Deutschland zu finden, der auch
von der Gesellschaft akzeptiert wird. Das ist eine unge-
heure Erschwernis unserer Arbeit.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie noch einmal
danach fragen, und ich möchte Sie, falls Ihre Antwort
ähnlich ausfällt wie die gerade eben gegebene, auffor-
dern, sich für eine ernsthafte Untersuchung dieser Op-
tion, die als einzige all diese Gefährdungen ausschließt,
starkzumachen.
S
Frau Kollegin, ein mögliches Zwischenlager in Jülich
setzt voraus, dass es aus sicherheitsrechtlichen Gründen
keine Bedenken gibt. Diese Bedenken sind jedenfalls
nach dem Gutachten zur Erdbebensicherheit am Standort
Jülich nicht ausgeräumt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie.
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staats-
sekretärin Brigitte Zypries zur Verfügung.
Die Frage 40 des Kollegen Jens Spahn sowie die Fra-
gen 41 und 42 der Kollegin Dr. Julia Verlinden werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 43 der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesre-
gierung aus dem in New York vorgestellten sogenannten
Stern-II-Bericht und der darin formulierten Erkenntnis, dass
der Ausstieg aus der Kohleverstromung und ein Ende der
Subventionierung von Kohlekraftwerken einzuleiten ist, und
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Baerbock, die Frage befasst sich ja miteinem Thema, das gerade schon Gegenstand war. Die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4857
Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries
(C)
(B)
Bundesregierung unterstützt die internationalen Bestre-bungen, sich auf solche einheitlichen Standards für dieFinanzierung von Energietechnologien zu verständigen,die mit dem Ziel einer Begrenzung des globalen Klima-wandels auf maximal 2 Grad Celsius vereinbar sind. Vordiesem Hintergrund muss jeder Neubau selbst der effi-zientesten Kohlekraftwerke kritisch geprüft werden. Ei-nes der Hauptanliegen hierbei ist die Transformation derEnergiesysteme von fossilen hin zu erneuerbaren Ener-gien, um die globale Energieversorgung bis Mitte diesesJahrhunderts fast vollständig zu dekarbonisieren.Weiterhin wird die Bundesregierung in der klima- undentwicklungspolitischen Zusammenarbeit keine Finan-zierung für den Neubau von Kohlekraftwerken mehr zurVerfügung stellen und die Modernisierung laufenderKohlekraftwerke in diesem Zusammenhang nur nocheingeschränkt nach klar definierten Kriterien finanzieren.Damit schließt sich die Bundesregierung der Initiativemehrerer Industriestaaten an. Die genaue Formulierungvon Finanzierungskriterien ist essenzieller Bestandteilder laufenden Ressortabstimmung und wird, wie ange-kündigt, noch diesen Herbst im Wirtschaftsausschussdes Deutschen Bundestages vorgelegt.
Schönen Dank. – Haben Sie dazu eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin? Bitte.
Das war jetzt zum Teil die Beantwortung der
Frage 44. In Frage 43 geht es ja vor allen Dingen um die
Schlussfolgerungen aus dem Stern-II-Bericht, also um
ein Auslaufen der Nutzung der fossilen Energie und ins-
besondere um den Ausstieg aus der Kohleverstromung,
auch national. Deswegen würde mich jetzt interessieren,
was aus Sicht der Bundesregierung die Schlussfolgerun-
gen des Stern-II-Berichtes sind und was sie gedenkt, hin-
sichtlich der nationalen Maßnahmen und des Ausstiegs
aus der Kohleverstromung national zu tun. Denn das
Bundesumweltministerium hat ja angekündigt, einen
Vorschlag für den Kraftwerkspark zu machen. Aus Ih-
rem Hause hört man aber immer, dass sich an dem fossi-
len Kraftwerkspark mittelfristig nichts ändern wird. Was
sind Ihre Antworten auf den Stern-II-Bericht konkret bei
der nationalen Kohlefrage?
B
Das ist ja Teil der Abstimmung, um die es eben schon
einmal ging. Deswegen kann ich eigentlich nur wieder-
holen, was ich eben schon einmal sagte. Wir werden eine
Gesamtschau erarbeiten und im Ausschuss für Wirt-
schaft in diesem Herbst vorstellen.
Zusatzfrage?
Gut, also haben Sie derzeit nur die Auslandsfinanzie-
rung im Blick?
B
Genau, generell. Die zwei unterschiedlichen Kompo-
nenten, Auslands- und Inlandsfinanzierung, werden
beide bearbeitet.
Im Inland wird ja nichts direkt finanziert, sondern da
geht es darum, den Ausstieg einzuleiten.
B
Erneuert.
Wir kommen zur Frage 44 ebenfalls der Abgeordne-
ten Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen:
Bis wann soll es nach Plänen der Bundesregierung einen
verbindlichen Beschluss über die von der Bundesministerin
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit,
Dr. Barbara Hendricks, vor der Bundespressekonferenz am
17. September 2014 angekündigten Abkehr von der interna-
tionalen Kohlefinanzierung geben, und welche konkrete Posi-
tionierung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie zu diesen Plänen?
Frau Staatssekretärin.
B
Dabei geht es im Grunde um dieselben Anhörungen.
Wir haben am 16. September eine Anhörung mit Um-
weltverbänden und am 21. August eine Anhörung mit
der betroffenen Industrie durchgeführt. Wir sind jetzt im
Abstimmungsprozess zwischen den Ressorts und wer-
den nach Beendigung dieses Abstimmungsprozesses
zwischen den Ressorts den Ausschuss informieren.
Danke schön. – Haben Sie eine Frage dazu?
Ja. – Meine Nachfrage bezieht sich auf die Abstim-mung der Ressorts. Es ist verwunderlich, dass das Bun-desumweltministerium auf einer internationalen Konfe-renz schon das Ergebnis verkündet, während hier imHause, sowohl vorhin im Umweltausschuss als auchjetzt hier von den beiden Staatssekretären, erklärt wird,man sei noch in der Abstimmung.International ist jetzt nachzulesen, man wolle aus derentwicklungspolitischen und klimapolitischen Kohlefi-nanzierung aussteigen. Dann bleibt da noch die wirt-schaftspolitische Kohlefinanzierung, die zwei Drittel der
Metadaten/Kopzeile:
4858 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Annalena Baerbock
(C)
(B)
entsprechenden Finanzierung durch die KfW ausmacht;der andere Teil macht nur ein Drittel aus.Deswegen stelle ich jetzt ganz konkret die Frage:Wird es bei der Ressortabstimmung auch um den IPEX-Teil der KfW gehen und um die Hermesbürgschaften,oder werden Sie sich nur um den Teil – er macht einDrittel aus – der entwicklungspolitischen Zusammenar-beit kümmern?B
Wir haben mit diesen beiden Aktivitäten unter einem
Dach, unter dem Dach der KfW, die Sie eben sehr an-
schaulich geschildert haben, ein internationales Novum;
so etwas gibt es sonst nicht. Deswegen glaube ich schon,
dass wir bei unserer Abstimmung beide Teile in den
Blick nehmen müssen. Ob wir dann tatsächlich zu bei-
den Teilen Entscheidungen fällen, ist aber eine andere
Frage.
Noch eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine Frage zu einem Punkt, über den
es eine internationale Debatte gab. Die KfW hängt auch
in der Finanzierung des Kohlehafens nahe des Great
Barrier Reefs mit drin. Unter welchen Teil der KfW
würde diese Finanzierung fallen, und würden Sie den
mit berücksichtigen? Schließlich geht es hier auch um
erhebliche umweltpolitische Auswirkungen.
B
Das muss ich Ihnen schriftlich beantworten, Frau
Kollegin; das weiß ich schlicht nicht.
Schönen Dank. – Dann kommen wir zur Frage 45 der
Abgeordneten Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen:
Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die in der Euro-
päischen Union verbreitete Definition, gemäß der Internatio-
nalen Energie-Agentur, IEA, von Subventionen, wonach eine
Subvention auf der Nachfrageseite dann vorliegt, wenn das
inländische Preisniveau den um Transport- und Distributions-
kosten bereinigten Weltmarktpreis unterschreitet, breiter zu
fassen und auch steuerliche Begünstigungen als Subvention
auszuweisen, und welche konkreten Schritte unternimmt sie
– auch als Gastgeber des G-7-Gipfels 2015 – selbst, um der
im Rahmen der G 20 getroffenen Übereinkunft zum Abbau
fossiler Subventionen Nachdruck zu verleihen?
Zur Beantwortung Frau Staatssekretärin Zypries bitte.
B
Die G 20 haben in Pittsburgh im Jahre 2009 beschlos-
sen, ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger
mittelfristig abzubauen. Dazu zählen die Hilfen für An-
bieter fossiler Energieträger, aber eben auch Subventio-
nen für Nachfrager von Energieträgern, mit denen die lo-
kalen Preise unter das Weltmarktpreisniveau gedrückt
werden. Der Großteil dieser Subventionen wird außer-
halb der Industrieländer gewährt. Von den in Deutsch-
land gewährten Subventionen fallen nur die Steinkohle-
beihilfen in diese Kategorie.
Wir verfolgen im Rahmen der Subventionspolitik ei-
gene Leitlinien, die sich auch – selbstverständlich – an
umweltpolitischen Wirkungen orientieren. Der Abbau
von Subventionen für fossile Energieträger wird insbe-
sondere in der Gruppe der G 20 diskutiert. Wir setzen
uns auch auf dieser Ebene für den Abbau von Subventio-
nen ein. Das gilt nicht nur für die generelle Diskussion in
diesen Gremien, sondern auch für bilaterale Kooperatio-
nen mit anderen Ländern. Aber, Frau Höhn – weil das
ein Teil Ihrer Frage war –, es gibt derzeit keine Initiative,
diese Definition von Subventionen zu ändern.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Höhn?
Ja, habe ich. – Frau Staatssekretärin, das Wuppertal-
Institut hat bekanntlich den Bereich Braunkohle unter-
sucht und festgestellt, dass im Zusammenhang mit der
Braunkohle eine Menge Kosten entstehen, welche die
Gesellschaft zu tragen hat, indirekte Subventionen, die
auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr hochgerechnet
wurden. Somit hat, wenn man den Subventionsbegriff
des Wuppertal-Instituts zugrunde legt, auch die Förde-
rung von Braunkohle hier in Deutschland – es geht jetzt
nicht international um Braunkohle – direkte oder indi-
rekte Subventionen bekommen. Habe ich Ihre Antwort
eben richtig verstanden, dass Sie genau diese Tatbe-
stände, die das Wuppertal-Institut aufgelistet hat, nicht
als Subventionen werten?
Frau Staatssekretärin.
B
Das ergibt sich aus der mir vorliegenden Antwort des
Hauses. Aber auf diese konkrete Nachfrage möchte ich
vorsichtshalber lieber sagen, dass wir das noch einmal
überprüfen lassen und wir Ihnen dazu schriftlich antwor-
ten.
Herzlichen Dank.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine zweite Zusatzfrage. – Wennwir, auch im Rahmen des Ban-Ki-moon-Gipfels, jetztüber CO2-Reduktionen nachdenken und uns einmal an-schauen: „Wer sind die größten Verursacher?“, dann stel-len wir – das gilt auch für Deutschland – fest: Das istinsbesondere die Braunkohle, bei deren Nutzung zur
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4859
Bärbel Höhn
(C)
(B)
Stromerzeugung ungefähr 1,5-mal mehr CO2 ausgesto-ßen wird als bei der Nutzung von Steinkohle.Die Bundesumweltministerin kämpft für Klimaschutz;aber die Instrumente, mit denen man Klimaschutz errei-chen kann, liegen im Bundeswirtschaftsministerium. Wieweit will das Bundeswirtschaftsministerium hier auchAuflagen gegen die Braunkohle machen, um angesichtsdieses besonders klimaschädlichen Produktionsverfah-rens etwas für den Klimaschutz zu tun?B
Auch diese Frage, Frau Kollegin, muss ich Ihnen
schriftlich beantworten, weil sich das Haus nur mit der
Frage der Steinkohle auseinandergesetzt hat; ich kann
dazu schlicht nichts sagen.
Okay.
Die Frage 46 der Kollegin Hänsel wird schriftlich be-
antwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Das ist ein
bisschen schade für die vielen Besucherinnen und Besu-
cher, die gerade auf die Besuchertribüne gekommen
sind. Ich unterbreche nämlich jetzt die Sitzung des Deut-
schen Bundestages, bis wir um 15.35 Uhr zur gemein-
sam vereinbarten Debatte über die Ebolaepidemie in
Afrika kommen.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Gäste auf den Tribünen! Liebe Regierungsvertreterinnen
und -vertreter! Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen für
den Zusatzpunkt 1, den ich hiermit aufrufe:
Vereinbarte Debatte
Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der
Ebolaepidemie
Zu dieser Debatte liegen uns ein Entschließungsan-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je
ein Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Debatte und gebe dem Staatsminister
Michael Roth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In unserer politischen Arbeit begegnen wir immer wie-der tragischen Situationen, die uns bewegen und soschnell nicht mehr loslassen. In diesen Momenten fälltes schwer, zur Tagesordnung zurückzukehren. Die Mel-dungen und Bilder, die uns derzeit aus der Krisenregionin Westafrika erreichen, haben auch mich sehr berührtund erschüttert.Das Ebolavirus breitet sich immer schneller aus. Fas-sungslos blicke ich auf die dramatisch wachsenden Op-ferzahlen in Liberia, Guinea und Sierra Leone. VieleKrankenstationen sind mittlerweile derart überfüllt, dassneue Patienten nicht mehr behandelt werden können. Beidiesen Zahlen und Bildern spüren wir alle: In Westafrikaspielt sich derzeit eine humanitäre Katastrophe von un-vorstellbarem Ausmaß ab. Für die Bundesregierung istklar: Wir dürfen die Not leidenden Menschen in West-afrika in dieser dramatischen Lage nicht alleinelassen.
Die Ebolaepidemie besitzt eine andere Qualität als diemeisten Krisen, die die moderne Welt bislang gesehenhat; sie verlangt andere, neue Antworten. Dies macht dieReaktion auf Ebola eben auch so schwierig. Deswegenhat die Weltgemeinschaft im Kampf gegen das Virus vielZeit verloren. Das will ich überhaupt nicht beschönigen.Wir sind derzeit mit einer Vielzahl von humanitärenGroßkrisen konfrontiert; Sie alle kennen sie: in Syrien,im Nordirak, in der Ostukraine. Hinzu kommen dieFlüchtlingsströme im Libanon, in Jordanien und in derTürkei. Umso wichtiger ist es, dass wir auf diese Krisenkoordiniert, zügig und entschlossen reagieren.Eine Blaupause zur Lösung der Ebolakrise haben wirnicht. Einfache Antworten gibt es ebenso wenig wieschnelle Erfolge; denn wir wissen: Trotz all unserer Be-mühungen wird es noch Monate dauern, bis die Epide-mie endlich unter Kontrolle ist, und unabhängig von dermedizinischen und humanitären Lage wird uns auch derWiederaufbau der Wirtschaft und der Gesundheitssys-teme in den betroffenen Staaten noch lange Zeit fordern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ebolaepidemiein Westafrika ist weit mehr als nur eine humanitäre Kata-strophe. Die Verbreitung der Krankheit hat sich auch zueiner massiven Bedrohung von Frieden und Sicherheit inder Welt entwickelt, wie der UNO-Sicherheitsrat kürz-lich in seiner Resolution 2177 festgestellt hat.Die betroffenen Länder Liberia, Guinea und SierraLeone werden in ihrer Entwicklung weit zurückgewor-fen. Die jüngsten Fortschritte bei Friedenssicherung undEntwicklung drohen durch die Folgen der Epidemie aufeinen Schlag zerstört zu werden. Deswegen hat sich dieStaatspräsidentin Liberias kürzlich in einem dramati-schen Appell an die Bundeskanzlerin gewandt.Über die Region Westafrika hinaus strahlt die Kriseauf den gesamten Kontinent aus. Auch deswegen stehtdie internationale Gemeinschaft in der Verantwortung,zügig und entschlossen zu handeln.Mittlerweile bekämpfen wir Ebola mit zahlreichenProjekten. Wir sind bereits seit Monaten – insbesondereauch mein Haus – im Kampf gegen die weitere Verbrei-
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4860 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Staatsminister Michael Roth
(C)
(B)
tung des Ebolavirus aktiv. Seit Ausbruch der Epidemiehaben wir Sofort- und Entwicklungshilfe in Höhe vonrund 17 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. DieseGelder fließen an erfahrene Helferinnen und Helfer, diedirekt vor Ort die dringend notwendige Unterstützungleisten: die Weltgesundheitsorganisation, Ärzte ohneGrenzen, Welthungerhilfe, das Robert-Koch-Institut unddas Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Ihnendanke ich im Namen der Bundesregierung für ihren un-ermüdlichen und herausragenden Einsatz.
Die Bundeswehr wird in den nächsten Tagen von ei-nem Lufttransportstützpunkt in Dakar eine Luftbrücke indie Krisengebiete aufbauen. Die Bundesregierung wirddas Deutsche Rote Kreuz sowohl finanziell als auch lo-gistisch dabei unterstützen, ein mobiles Krankenhausmit mehr als 200 Betten aufzubauen. Auch die Bundes-wehr bereitet die Einrichtung einer Krankenstation fürbis zu 50 Patienten in Liberia vor.Wir helfen. Viele Projekte sind angelaufen. Bis sie dieMenschen in den Ebolagebieten erreichen, wird es aller-dings noch Tage oder gar Wochen dauern. Dies liegt da-ran, dass zunächst qualifiziertes medizinisches Personalgewonnen und vorbereitet werden muss. Ebenso müssenwir sicherstellen, dass die Helferinnen und Helfer imFalle einer Infizierung mit Ebola schnell und sicher eva-kuiert werden können. Aber seien Sie versichert: DieBundesregierung arbeitet mit Hochdruck daran.Deutschland beteiligt sich an den internationalenHilfsmaßnahmen mit aller Entschiedenheit. Es ist uns al-len ein Herzensanliegen, so vielen Menschen wie mög-lich zu helfen. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen,zählen wir insbesondere auf Ihre Unterstützung.Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner in der
Debatte: Kollege Movassat für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor kur-zem sagte Außenminister Steinmeier, Deutschland seiMotor im Kampf gegen Ebola. Das muss aber ein Motorsein, bei dem einige Schrauben locker sitzen. Bis letzteWoche ist er gar nicht angesprungen. Viel Starthilfe warnötig. Und heute bewegt er sich immer noch imSchritttempo.Viele Hilfsorganisationen weisen schon länger daraufhin, wie ernst die Lage in Westafrika ist, dass ganzeStaaten wie Sierra Leone und Liberia vor dem Zusam-menbruch stehen. Ärzte ohne Grenzen hat schon am23. Juni das erste Mal davor gewarnt, dass die Lage au-ßer Kontrolle zu geraten droht. Dennoch unternahm dieBundesregierung lange so gut wie nichts. Kollege Brandvon der CDU/CSU, Vorsitzender des Ausschusses fürMenschenrechte und Humanitäre Hilfe, hat recht, wenner im Spiegel sagt:Wenn wir ehrlich zu uns sind, müssen wir eingeste-hen: Wir sind zu spät dran.
Deshalb ist nicht Eigenlob angebracht, sondern Selbst-kritik.
Als die Präsidentin Liberias letzte Woche ihren dra-matischen Appell an Frau Merkel schrieb, hatteDeutschland bis dahin gerade einmal 2,7 Millionen Eurozugesagt. Die USA hatten da bereits über 140 MillionenDollar bereitgestellt. Laut Weltgesundheitsorganisationhat den wertvollsten Beitrag zur Ebolabekämpfung dasarme Kuba zugesagt, die Entsendung von 165 Ärztenund Pflegern. Deutschland aber, die viertgrößte Wirt-schaftsnation der Welt, steht immer noch auf derBremse.Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung ihre kon-kreten Maßnahmen gegen die Ebolaepidemie vorgestellt.Ich lese einmal vor: Das Bundesamt für Bevölkerungs-schutz und Katastrophenhilfe kann bei Bedarf kurzfristigumfangreiche medizinische Ausrüstung zur Verfügungstellen. Das THW wird sich nach Bedarf an der logisti-schen Unterstützung der Hilfsmaßnahmen beteiligen.Liebe Bundesregierung, „bei Bedarf“ und „kann“ – inWestafrika tobt die größte Ebolaepidemie aller Zeiten.Über 2 800 Menschen sind schon gestorben. Die Helfermüssen Infizierte an den Türen der Krankenhäuser ab-weisen, weil es keine freien Betten mehr gibt. Pessimis-tische Schätzungen sprechen mittlerweile sogar von biszu 1,4 Millionen Infizierten bis Januar 2015. Zudemdroht eine Hungersnot.Die Weltgesundheitsorganisation vergleicht die Lagemit dem Tsunami 2004 und dem Erdbeben in Haiti. Beibeiden Katastrophen gab es Hunderttausende Tote. Wel-che Bedarfsprüfung brauchen Sie noch? Worauf wartenSie? Handeln Sie endlich!
Wir müssen aber auch über die grundlegenden Ursa-chen dieser humanitären Katastrophe sprechen. Dass dieLage in Sierra Leone, Guinea und Liberia dermaßen au-ßer Kontrolle geraten konnte, hat auch mit politischenFehlern Deutschlands zu tun;
denn auch deutsche Pharmaunternehmen forschen vorallem an profitträchtigen Medikamenten für reiche In-dustrieländer. Käme Ebola nicht nur in armen afrikani-schen Staaten vor, es gäbe seit Jahren einen Impf- oderWirkstoff gegen das Virus.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4861
Niema Movassat
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Nur 10 Prozent der globalen Forschungsausgaben be-ziehen sich auf Krankheiten, die 90 Prozent zur globalenKrankheitslast beitragen. Die Pharmabranche investiertdoppelt so viel Geld in Marketing wie in Forschung. Ge-sundheit ist aber keine Ware. Wir dürfen die Erforschungvon lebenswichtigen Medikamenten nicht allein der Pri-vatwirtschaft überlassen.
Zudem fördert Deutschland bis heute Privatisierun-gen im Gesundheitsbereich auch in Entwicklungslän-dern. Das erschwert aber den Aufbau funktionierenderstaatlicher Gesundheitssysteme. In Nigeria gab es Ebola-fälle bereits in der Millionenstadt Lagos, wo eine Aus-breitung des Virus in den Slums eigentlich auf optimaleBedingungen trifft. Dennoch hat es sich dort bisher nichtweit verbreitet. Weshalb? Weil es in Nigeria ein wesent-lich besseres staatliches Gesundheitssystem gibt als inLiberia und Sierra Leone. Deshalb: Schluss mit Privati-sierungen im Gesundheitsbereich!
Es fehlt auch an Geld. Seit Jahren gibt es die Forde-rung von Nichtregierungsorganisationen, mehr Geld fürglobale Gesundheit auszugeben. 0,1 Prozent des Brutto-inlandsproduktes sollen reiche Staaten dafür aufwenden.Die Ausgaben für globale Gesundheit betrugen seitensDeutschlands zuletzt aber nur 0,03 Prozent. Das istselbst im europäischen Vergleich nur absolutes Mittel-maß.Außerdem hat Deutschland seinen Finanzierungsbei-trag für die Weltgesundheitsorganisation WHO immerweiter zurückgefahren: von 33 Millionen Euro 2006 aufheute noch 24 Millionen Euro. Insgesamt hat die WHOin den letzten Jahren ein Fünftel ihrer Finanzmittel ver-loren. Die WHO hat deshalb für ganz Afrika nur nochdrei Spezialisten für Epidemien im Einsatz. Die Zahl derMitarbeiter für Notfälle in der Zentrale ist von 100 auf34 geschrumpft. Wäre die WHO handlungsfähiger ge-wesen, hätte die Ebolaepidemie vielleicht rechtzeitig ge-stoppt werden können. Deutschland muss seinen WHO-Beitrag deutlich erhöhen.
Die jetzige Krise sagt aber auch einiges über die Prio-ritätensetzung der Bundesregierung aus. Seit Monatenhören wir vom Bundespräsidenten und von Regierungs-mitgliedern viel über die gewachsene internationaledeutsche Verantwortung. Dass Sie diese Verantwortungvor allem als militärische verstehen, zeigt sich nun wie-der; denn jetzt, im historischen Fall einer im 21. Jahr-hundert nur wenige Tausend Kilometer von Europa es-kalierenden Seuche, hätten Sie die Gelegenheit gehabt,wahrhaft internationale Verantwortung zu übernehmen:massenhaft Menschenleben zu retten, ohne die Gefahreinzugehen, dabei Unschuldige zu töten.Sie aber liefern lieber für 70 Millionen Euro Waffenin den Irak. Dort werden diese Jahrzehnte im Umlaufsein und Schaden anrichten. Für die Bekämpfung vonEbola haben Sie in den drei Monaten seit der ersten Ka-tastrophenmeldung nicht einmal die Hälfte dieser Mittelbereitgestellt, und das auch erst nach langem Zögern.Bei den Waffenlieferungen ging alles ganz schnell.
Solch eine Außenpolitik, die dem Militärischen den Vor-rang vor dem Humanitären gibt, kann man nur noch alszynisch bezeichnen.
Nun ging ja der Aufruf an Bundeswehrangehörige,sich freiwillig für einen Hilfseinsatz zu melden. Aberwieso ging der Aufruf nur an Bundeswehrangehörige?Die Bundesregierung muss einen Aufruf an das gesamtein staatlichen Einrichtungen beschäftigte medizinischePersonal richten; denn die Profis, die helfen können, sit-zen in den Tropeninstituten. Es braucht schnell einsetz-bares Personal; denn vor Ort gibt es zu wenig Ärzte undPfleger.Als die Seuche ausbrach, gab es für die 10 MillionenEinwohner Liberias und Sierra Leones gerade einmal170 Ärzte. Wer sich freiwillig meldet, braucht klare undsichere Rahmenbedingungen. Eine zeitlich begrenzteFreistellung und finanzielle Anreize sind wichtig, um dienötigen Kräfte zu mobilisieren, aber auch die Gewähr-leistung, ausgeflogen zu werden, falls man sich ansteckt;denn unzählige Helfer haben sich beim Versuch, Lebenzu retten, mit Ebola angesteckt und sind selbst gestor-ben.Ich muss hier eine Selbstverständlichkeit deutlich sa-gen: Humanitäre Katastrophenhilfe ist nicht Aufgabe derBundeswehr. Die Hilfsorganisation medico internationalhat vor kurzem erklärt, dass ziviles Personal leichter dasVertrauen der Bevölkerung gewinnt. Vertrauen ist einganz entscheidender Faktor bei einer Erkrankung wieEbola, die die Menschen bisher nicht kennen und die somassiv Todesopfer fordert.Es kann nicht sein, dass bei humanitären Katastro-phen immer der Ruf nach dem Militär kommt. Soldatensind keine humanitären Helfer.
Wir brauchen deshalb endlich zivile Krisenreaktions-kräfte, die über ausreichende Ressourcen verfügen, umjederzeit überall auf der Welt helfen zu können: mit eige-nen mobilen Krankenhäusern, medizinischem Personal,Flugzeugen, Schiffen, Helikoptern, Räumgeräten und al-lem, was sonst noch dazugehört.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Pfeiffer?
Ja, bitte schön.
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4862 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
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Herr Kollege Movassat, ich habe nur eine kurze
Frage: Meinen Sie nicht, dass es Ihnen, wenn Sie mit
Ebola infiziert sind und dringend auf Hilfe warten, völlig
egal ist, wer Ihnen hilft, ob das ein Bundeswehrsoldat ist
oder ob er vielleicht aus einem Krankenhaus wie der
Charité kommt? Mir persönlich wäre das, um ehrlich zu
sein, ziemlich egal.
Frau Kollegin Pfeiffer, ich habe nichts dagegen ge-
sagt, dass man den Aufruf in der Bundeswehr gestartet
hat. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, es wäre
richtig, den Aufruf an das gesamte medizinische Perso-
nal in allen staatlichen Einrichtungen zu richten. An sie
müsste der Appell gerichtet werden. Dann habe ich ge-
sagt, dass in der Abwägung ziviles Personal, wenn mög-
lich, immer besser ist als militärisches. Ich habe die
Frage beantwortet.
Zu dem, was akut zu tun ist, hat die Linke in ihrem
Entschließungsantrag viele Vorschläge gemacht. Am
wichtigsten ist es derzeit, nach kubanischem Vorbild me-
dizinisches Fachpersonal zu entsenden, außerdem Iso-
lierstationen zu liefern und zu betreiben und die Finanz-
zusagen auf 100 Millionen Euro zu erhöhen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja. – Wenn die pessimistischen Prognosen stimmen
sollten, stehen wir vor einer Seuche, wie es sie seit Jahr-
hunderten nicht gegeben hat. Der Präsident von Ärzte
ohne Grenzen sagte heute, dass es nicht mehr um Wo-
chen und Monate, sondern um Stunden und Tage geht.
Ich appelliere daher an die Bundesregierung: Handeln
Sie jetzt!
Danke für die Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege Movassat. – Nächster Redner in
der Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Silberhorn.
Th
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Ausmaß dieser Ebolaepidemie hat in der Tat inWestafrika dramatische Züge angenommen. Nahezu6 000 Menschen sind nach Angaben der Weltgesund-heitsorganisation bisher infiziert. Mehr als 2 800 Men-schen sind bereits an dieser Krankheit gestorben.Das eigentlich Beunruhigende ist die hohe Anste-ckungsrate. Es muss damit gerechnet werden, dass sichdie Zahl der Ebolafälle etwa alle drei Wochen verdoppelt.Es kann also durchaus sein, dass sich in wenigen Monatendie Zahl der Infizierten auf mehr als 100 000 beläuft. Da-mit erleben wir den bei weitem schlimmsten Ausbruchdieses Virus seit seiner Entdeckung vor fast 40 Jahren.Jenseits all des menschlichen Leids, das mit dieserEpidemie verbunden ist, hat diese Krise auch eine Reiheweiterer gravierender Auswirkungen. Die Gesundheits-systeme in Liberia, Guinea und Sierra Leone als den ammeisten betroffenen Staaten stehen vor dem vollständi-gen Zusammenbruch. Das bedeutet, dass dann auch an-dere Krankheiten nicht mehr behandelt werden können.Es drohen Versorgungsengpässe. Der Ausbruch dieserEpidemie fiel in die Erntezeit. Die Felder können jetztnicht mehr bestellt werden. Die Versorgung ist unterbro-chen, weil die Grenzen dicht und die Straßen gesperrtsind. Nahrungsmittel werden knapp. Die Preise steigen.Der Handel funktioniert nicht mehr.Es gibt auch soziale Auswirkungen dieser Ebolaepi-demie, die wir noch gar nicht ganz absehen können. Esist eine Reihe von Haushalten unter Quarantäne gestellt.Die Schulen sind geschlossen. Das Fußballspielen istden Kindern aus Sorge vor Ansteckung verboten, wiewir heute Morgen im Ausschuss erfahren haben. Krankedrohen stigmatisiert zu werden. Viele Frauen bleiben aufsich allein gestellt. Viele Kinder werden zu Waisen.Die wirtschaftlichen und die sozialen Auswirkungenwerden die betroffenen Länder noch lange spüren. Damitwerden nicht nur die Erfolge unserer Entwicklungszu-sammenarbeit, die wir mühsam erreicht haben, wiedergefährdet, sondern es droht auch neues Konfliktpoten-zial in einer ohnehin fragilen Region. Deshalb dürfenwir uns nicht abwenden von dieser Krise, sondern wirmüssen uns hinwenden zur Bevölkerung. Wir dürfen sienicht im Stich lassen. Wir müssen das Virus isolieren,nicht die betroffenen Länder.
Eine gute Nachricht ist, dass ein Übergreifen auf wei-tere Nachbarstaaten bislang weitgehend verhindert wer-den konnte. In Nigeria und im Senegal gibt es derzeitkeine Neuinfektionen. Ein zweiter Ausbruch von Ebolain der Demokratischen Republik Kongo konnte einge-dämmt werden. Er stand aber auch nicht im Zusammen-hang mit der Epidemie in Westafrika. Es ist sehr deutlichgeworden, dass es sich hier nicht um ein Problem einzel-ner Länder handelt. Vielmehr stehen wir vor der Frage,inwieweit die regionale bzw. sogar die globale Stabilitätgefährdet ist. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationenhat festgestellt, dass die Epidemie eine Bedrohung fürden Weltfrieden und die internationale Sicherheitdarstellt. Sie ist eine Herausforderung für die gesamteinternationale Gemeinschaft. Wir müssen unsere An-strengungen eng koordinieren. Deshalb begrüßt die Bun-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4863
Parl. Staatssekretär Thomas Silberhorn
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desregierung, dass die Vereinten Nationen am Samstageine Sondermission eingerichtet haben als Antwort aufden Ebolanotfall, nämlich die United Nations Missionfor Ebola Emergency Response. Erste Vorausteams sindvorgestern in der Region angekommen.Wir haben uns mit unseren europäischen Partnern da-rauf verständigt, dass die Europäische Union 170 Millio-nen Euro bereitstellt, um diese Ebolaepidemie zu be-kämpfen. Der deutsche Anteil daran beträgt etwa20 Prozent. Wir leisten zudem einen nationalen Beitragmit den Fähigkeiten, die wir zur Verfügung stellen kön-nen. Das Auswärtige Amt unterstützt Hilfsorganisatio-nen, die vor Ort humanitäre Nothilfe leisten können. DasGesundheitsministerium unterstützt deutsche Forschungs-institute, die bei der Diagnostik und der Ausbildung vonFachpersonal vor Ort helfen. Das Verteidigungsministe-rium beteiligt sich am Aufbau einer Luftbrücke und stelltmedizinische Hilfe bereit, ebenso wie das Innenministe-rium. Ich finde, es ist ein bemerkenswertes Zeichen, dasssich bei der Bundeswehr innerhalb von 24 Stunden Hun-derte Freiwillige gemeldet haben, die an der Ebolabekämp-fung mitwirken wollen. Es melden sich täglich mehr.
Das ist ein beeindruckendes Signal von Hilfsbereitschaftund praktizierter Nächstenliebe. Wir alle wissen, dassdieser Einsatz mit Risiken verbunden ist. Deswegenmöchte ich allen, die hier helfen, unsere Hochachtungund unseren Dank aussprechen.
Ich beziehe in diesen Dank ausdrücklich die vielen Hel-ferinnen und Helfer von Rettungsorganisationen ein, wiedem Deutschen Roten Kreuz, Caritas und insbesondereÄrzte ohne Grenzen, deren Experten bis zur Erschöp-fung arbeiten, um vor Ort Menschenleben zu retten. Vie-len Dank für dieses Engagement!
Auch das Entwicklungsministerium trägt mit seinenInstrumenten dazu bei, diese Epidemie zu bewältigen.Wir unterstützen den Krisenplan der Weltgesundheits-organisation mit 10 Millionen Euro. Diese Mittel werdeneingesetzt, um die Bevölkerung über die Krankheit unddie Ansteckungsgefahren aufzuklären, um Ärzte undPflegepersonal weiterzubilden, um zusätzliche Behand-lungsstationen für Ebolapatienten aufzubauen sowie umSchutzmaterial und Medikamente zu beschaffen. Wir be-mühen uns, wo immer es möglich ist, in unseren laufen-den Vorhaben vor Ort Mittel so einzusetzen, dass wirhelfen können. Wir unterstützen auf diesem Weg unteranderem Ärzte ohne Grenzen.Ich verhehle nicht, dass wir mit den Partnerstruktu-ren, die wir vor Ort haben, und den Netzwerken zu loka-len Experten und Hilfsorganisationen durchaus nochmehr tun könnten. Wir sind zusammen mit unseren Part-nern durchaus in der Lage, weitere 30 Millionen bis35 Millionen Euro zügig und wirksam zu verwenden.Aber es wird Sie nicht überraschen, dass diese Mittel imHaushaltsentwurf noch nicht eingestellt sind; denn die-ser stammt aus dem Sommer. Was überplanmäßig mög-lich ist, müssen wir im Kreis der beteiligten Ressorts be-sprechen und mit dem Deutschen Bundestag verhandeln.Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit kön-nen wir jetzt unsere Erfahrungen und Strukturen nutzen,um schnell und wirksam zu helfen, denn jetzt geht es da-rum, Leben zu retten. Aber wir müssen auch jetzt schonüberlegen, wie es danach weitergeht. Wir müssen jetztschon die betroffenen Länder dabei unterstützen, dieFolgen der Krise zu überwinden und Strukturen zuschaffen, die die nächste Katastrophe vermeiden helfen.Das Entwicklungsministerium investiert jedes Jahr700 Millionen Euro in den Aufbau von leistungsfähigenGesundheitssystemen. Diese Krise um Ebola zeigt, wiewichtig und überlebensnotwendig das ist; denn in denbetroffenen Ländern fehlt es an funktionierenden Ge-sundheitsstrukturen, und es fehlt auch an Vertrauen inöffentliche Einrichtungen.Wir wollen einen Beitrag leisten, in Liberia, Guineaund Sierra Leone jetzt diese Krise zu überwinden, aberwir wollen auch einen Beitrag leisten, damit solche Kri-sen künftig gar nicht erst entstehen. Wir wollen mit denInstrumenten der Entwicklungszusammenarbeit Struktu-ren schaffen, damit Vertrauen wieder wachsen kann unddamit nachhaltige Entwicklung gelingt.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Silberhorn. – NächsteRednerin in der Debatte ist Kordula Schulz-Asche fürBündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Seit nunmehr einem halben Jahr wütet das Ebo-lavirus in Westafrika. Wir kommen gerade von dem ge-meinsamen Gespräch mit Dr. Sambo, dem Regionaldi-rektor für Afrika der Weltgesundheitsorganisation, deruns nicht nur eindringlich geschildert hat, wie in den be-troffenen Ländern die Situation ist, sondern auch zumwiederholten Male an Deutschland den Appell gerichtethat, Hilfe zu leisten.Bereits am 8. August, also vor sechs Wochen, stuftedie Weltgesundheitsorganisation die Ebolaepidemie alsinternationalen Gesundheitsnotfall ein, und spätestens abda an war klar: Die betroffenen Länder können den Aus-bruch mit ihren vorhandenen Mitteln und den personel-len Ressourcen nicht mehr alleine stoppen. Was esbraucht, ist eine massive Unterstützung von außen.
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4864 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Kordula Schulz-Asche
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Doch es vergingen verheerende Wochen, in der die inter-nationale Gemeinschaft weitgehend untätig blieb. AuchDeutschland überhörte diese Hilferufe fahrlässig.Der Antrag, den uns die Regierungsfraktionen heutevorgelegt haben, zeigt: Sie haben das Problem immernoch nicht verstanden. Sie bleiben vage, Sie prüfen; aberdarum geht es nicht.
Wenn man sich Ihren Antrag und das, was Sie vorhaben,anschaut, dann stellt sich für mich die Frage: Wo in Ih-rem Antrag steht das Personal, das so dringend von die-sen Ländern angefordert wird?
Das Einzige, was wir bisher wissen, ist, dass seitMontag Frau von der Leyen sozusagen persönlich Frei-willige anwirbt. Aber wo steht in Ihrem Antrag, wer sichum diese Freiwilligen kümmert, wer sie auswählt, werschaut, wer geeignet ist, und wie diese Leute betreutwerden, von denen Sie andauernd reden.
Nichts dazu steht in Ihrem Antrag. Das ist ein Zeichendafür, dass Sie einfach nicht zusammenarbeiten. Jedermacht seins. Jeder Gesundheitsdezernent in einer deut-schen Kommune weiß, was im Falle einer Epidemie not-wendig ist: erstens sofortiges Handeln – Sie haben einhalbes Jahr gewartet – und zweitens koordiniertes Han-deln. Da sind Sie immer noch nicht angekommen. IhrAntrag ist dafür der Beweis.
Da muss erst ein alarmierender Brandbrief der liberia-nischen Präsidentin an Frau Merkel kommen, damit dasmonatelange Vorsichhinwurtschteln in den Ministerienendlich mit dem Staatssekretärstreffen vom letztenFreitag beendet wird. Wenn man sich dann den Antraganschaut, stellt man fest, dass das bestenfalls verbal derFall ist.
Schauen wir uns den Antrag an: Ankündigungen, nichtsKonkretes, keine Geldsummen, keine konkreten Forde-rungen oder Beschreibungen, wer konkret was über-nimmt. Es ist keine Systematik zu erkennen, es ist keinKonzept zu erkennen, wie die Epidemie gestoppt werdenkann. Das können wir nicht länger zulassen. Deswegenmöchte ich jetzt sagen, was aus meiner Sicht konkret zutun ist.
Meine Damen und Herren, natürlich muss mit derWeltgesundheitsorganisation, mit der EU und auch mitder von der UN für den Ebolanotfall eingerichteten Mis-sion kooperiert werden. Aber die Frage ist doch: Waskönnen wir in Deutschland tun, um endlich ein gemein-sames, koordiniertes Vorgehen der verschiedenen Minis-terien hinzubekommen? Erst am letzten Freitag, am19. September, hat das erste Treffen auf Ebene derStaatssekretäre stattgefunden, und seitdem warten dieNichtregierungsorganisationen, aber auch die staatlichenund die staatsnahen Organisationen darauf, zu erfahren,was von ihnen jetzt eigentlich erwartet wird. Das gehtdoch so nicht weiter. Das ist doch ein Zeichen dafür,dass Sie offensichtlich überfordert sind.
Sie hätten längst, seit Wochen, eine Liste mit den lo-gistischen und technischen Kapazitäten, die in Deutsch-land vorhanden sind, zum Beispiel beim TechnischenHilfswerk, fertigstellen können. Sie hätten längst ermit-teln können, wo qualifiziertes Personal im Bereich derSeuchenbekämpfung in Deutschland vorhanden ist – inden zehn spezialisierten Zentren, aber natürlich auch inden Gesundheitsämtern – und wer sich für Hilfseinsätzezur Verfügung stellen würde. Wo ist die entsprechendeListe? Längst hätte gefragt werden können, welche inEntwicklungsländern erfahrenen und mit den dortigenKrankheiten vertrauten Ärzte, Krankenpfleger und La-boranten für Einsätze freiwillig zur Verfügung stehen.Viele von ihnen arbeiten in Nichtregierungsorganisatio-nen. Ich denke an die Experten der GIZ, des ehemaligenDED. In diesem Bereich gibt es sehr viele versierteKräfte. Es gibt natürlich auch versierte Kräfte in derBundeswehr; das bestreite ich gar nicht. Aber warum ha-ben wir keine Liste, aus der hervorgeht, welche Personenbereit sind, nach Afrika entsandt zu werden?
Seit Wochen weist das DRK darauf hin – und zwarvöllig zu Recht –, dass man, wenn man Freiwillige an-wirbt, ihnen für den Infektionsfall auch eine Rückholga-rantie geben muss. Daran arbeiten wir jetzt. Das Pro-blem, dass die weltweiten Kapazitäten nicht ausreichen,ist seit Monaten bekannt. Nichts haben Sie getan.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen dringend Ge-sundheitspersonal, nicht nur zur Bekämpfung von Ebola,sondern auch im Kampf gegen Malaria, Durchfall undandere Krankheiten. Ich kenne bisher keine Antwort derBundesregierung darauf. Wir hören, dass in Liberia be-reits eine Hungersnot ausgebrochen ist; darüber wirdbereits seit Wochen gesprochen. Ich finde in Ihrem Ent-schließungsantrag keine Antwort auf die damit verbun-denen Fragen.Wir wissen, dass wir diese Epidemie nur eindämmenkönnen, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten. Ichfordere die Regierung auf: Machen Sie endlich etwas!Versuchen Sie, es auf die Reihe zu bekommen, zu koor-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4865
Kordula Schulz-Asche
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dinieren! Wir sind dabei; wir helfen Ihnen gerne. Aberbisher fehlen uns alle entscheidenden Antworten, dieden Menschen vor Ort wirklich helfen würden.Danke schön.
Danke, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Jetzt spricht
die Abgeordnete Michaela Engelmeier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schulz-Asche, Sie haben gerade in Ihrer Aufzäh-
lung all der Dinge, die man nicht gemacht hat, verges-
sen, dass es seit Mitte Juli einen Krisenstab im Auswärti-
gen Amt gibt, und dieser Krisenstab arbeitet sehr wohl.
Die Schärfe in dieser Debatte verstehe ich nicht ganz;
denn so richtig getrieben von der Opposition werden wir
bei unseren Maßnahmen nicht.
Wir stehen heute hier, weil wir uns mit der Hilfe aus
Deutschland zur Bekämpfung der Ebolaepidemie befas-
sen. Es handelt sich um eine Katastrophe, die außer Kon-
trolle zu geraten droht und deren Folgen kaum absehbar
sind. Dieses Problem wird sich nicht alleine lösen; viel-
mehr wird sich diese Epidemie vermutlich auf weitere
Länder ausdehnen. Unsere Hilfe ist also gefragt, gefrag-
ter denn je. Bisher sind besonders Liberia, Guinea und
Sierra Leone betroffen. Die Nachbarländer schotten sich
ab, um ihrerseits eine Verbreitung der meist tödlich ver-
laufenden Krankheit zu verhindern. Das Dramatische an
der Problemlage der Ebolaepidemie ist, dass sich keines-
wegs, wie in der Vergangenheit, eine Abschwächung der
Krankheit im Laufe der Zeit ergibt. Ganz im Gegenteil:
Die Lage der Menschen, besonders der Kinder, ist un-
verändert dramatisch; der Radius erweitert sich.
Ebola hat besonders das Leben von Kindern radikal
verändert. Die Schulen sind geschlossen – wegen der
Gefahr der Ansteckung und weil auch Lehrkräfte ihre
Dörfer nicht mehr verlassen, die Schulen für andere
Zwecke genutzt werden. Angst und Misstrauen bringen
das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Versorgung mit
Lebensmitteln ist nicht mehr gewährleistet.
Wie kann man helfen, damit die Kinder in Westafrika
nicht ihrer Zukunft beraubt werden? Kinder, deren El-
tern an dem Ebolavirus gestorben sind, bleiben allein zu-
rück. Die Waisen werden von anderen Familien aus
Angst vor Ansteckung zurückgewiesen, oft aus den Dör-
fern verjagt. Sie sind sich selbst überlassen und schutz-
los der veränderten Lebenslage ausgeliefert. Kinder
müssen Orte finden, wenn die Dorfgemeinschaften nicht
mehr funktionieren. Hier müssen wir mit unseren Part-
nerorganisationen nach Hilfen für die Kinder suchen.
Hier müssen wir unsere Partnerorganisationen unterstüt-
zen, die sich der Kinder annehmen und ihnen eine Zu-
flucht bieten.
Wir brauchen auch Unterstützung für die Familien. Es
gibt kaum Familien, die nicht betroffen sind. Entweder
fallen Frauen durch eigene Erkrankung als Versorgerin-
nen für die Familien aus, oder sie müssen dem Sterben
ihrer Kinder ohnmächtig zusehen. Wie geht es einer
Mutter, die all ihr Geld zusammennimmt, um den er-
krankten Sohn in ein Krankenhaus zu bringen? Sie weiß,
dass ihr Kind eine Krankheit hat, die viele haben und die
meist tödlich verläuft. Am Krankenhaus steht sie vor
verschlossenen Türen; sie findet keinen Einlass, weil es
auf der Isolierstation keine Kapazitäten mehr gibt. Sie ist
hoffnungslos ausgeliefert, dem Sterben ihres Sohnes zu-
zusehen. – Viele Erkrankte werden von den Behand-
lungszentren wegen mangelnder Kapazitäten abgewie-
sen, und nicht selten sterben sie auf dem Heimweg
zurück in ihre Dörfer. Es trifft keinen eine Schuld, weder
die verzweifelten Mütter noch die Menschen, die am
Krankenhaustor die Aufnahme verweigern.
Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen
haben Behandlungszentren aufgebaut, die eine gute Ebo-
laversorgung bieten; aber die Zahl der Erkrankten über-
steigt die Kapazität der bisherigen Hilfe bei weitem.
Viele Regelkrankenhäuser haben wegen Personalman-
gels geschlossen. Die Behandlung regulärer Erkrankun-
gen wie Blinddarmentzündung und Malaria sowie die
Schwangerenvorsorge finden nicht mehr statt. Daher
muss genau hier unsere Hilfe ansetzen.
Es stellt sich für uns nicht die Frage, ob, sondern eher,
wie wir helfen, und zwar langfristig. Wir benötigen In-
formationsverbreitung betreffend einfache Hygiene-
regeln zur Vermeidung von Ansteckung innerhalb der
Familien. Wir benötigen die Entsendung von medizini-
schen Helfern und ärztlichem Fachpersonal, die auch vor
Ort Pflegepersonal ausbilden und begleiten. Wir benöti-
gen Aufnahmestationen für Kinder, die durch Ebola zu
Waisen wurden. Wir benötigen Finanzen, Ausrüstungen,
mobile Labore und logistische Unterstützung für die
Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln. Wir
benötigen Schutzkleidung, nicht nur für medizinisches
Personal, sondern auch für Angehörige, die Kranke zu
Hause versorgen. Wir benötigen Unmengen von Des-
infektionsmitteln für die häusliche Versorgung. Und:
Diese Hilfe brauchen wir sofort.
Vielen Dank, Frau Kollegin Engelmeier. – Nächster
Redner in der Debatte ist Uwe Kekeritz für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Vor ein paar Tagen hat die Präsidentin Liberias einenHilfsappell an die Kanzlerin geschickt. Man könnte fastden Eindruck gewinnen, dass das die Ursache dafür ist,dass die Regierung jetzt so langsam in die Puschen ge-kommen ist und aktiv wird.
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4866 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Uwe Kekeritz
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Allerdings muss ich sagen: Es ist ein Irrtum, zu glauben,dass so ein Brief diese Regierung in Bewegung setzt.
Diese Regierung reagiert doch erst, wenn auf internatio-naler Ebene ein Nichtreagieren einfach nicht mehr tole-riert würde. Man wartet immer auf die USA, und wenndie USA reagieren, dann zieht man langsam nach.Frau Engelmeier, Sie haben uns gerade erklärt: SeitJuli gibt es einen Krisenstab. – Das macht es aber nochschlimmer.
Wir warten seit Monaten darauf, dass etwas passiert.Was hat denn der Krisenstab in den letzten zehn Wochengemacht? Auf was hat er eigentlich gewartet? Das Blät-terrauschen des Aktionismus hier hilft überhaupt nicht.Auch heute – darüber müssen wir uns im Klaren sein –geht es noch nicht um konkrete Taten. Auch heute noch,nachdem wir seit zehn Wochen einen Krisenstab haben,gibt es nur Ankündigungen. Wer glaubt, dass das ausrei-chend ist, der hat sich geirrt.
Wir wissen, dass Ebolaausbrüche heutzutage über-haupt nicht mehr zur Katastrophe werden müssen. Daswar vielleicht noch vor 40 Jahren der Fall; heute ist esnicht mehr der Fall. In Uganda und Ruanda gab es in denletzten Jahren permanent solche Ausbrüche. Es warüberhaupt kein Problem, diese einzudämmen. Sogar derSenegal ist von dieser Krise direkt betroffen gewesen.Aber auch dieses Land war in der Lage, den Ausbrucheinzudämmen. Warum? Weil es funktionierende Ge-sundheitssysteme gibt.Staatssekretär Silberhorn hat gerade noch gesagt,diese Regierung tue sehr viel für diesen Bereich, siestelle 700 Millionen Euro jährlich für den Aufbau vonGesundheitssystemen zur Verfügung. Das freut mich ja.Ich muss mich allerdings fragen: Warum habe ich davonnichts gemerkt? Ich möchte einmal aufgeschlüsselt ha-ben, wo diese 700 Millionen Euro zu finden sind. In demUnterausschuss „Gesundheit in Entwicklungsländern“haben wir vier Jahre lang über diese Thematik diskutiert;aber von 700 Millionen Euro speziell für den Aufbauvon Gesundheitssystemen ist uns nichts bekannt gewor-den.
Es ist schön, dass der Gesundheitsminister jetzt da ist.Man könnte glauben, dass auch er nun aktiv wird.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Pfeiffer?
Selbstverständlich.
Frau Pfeiffer, bitte.
Herr Kollege Kekeritz, wollen Sie hier allen Ernstes
behaupten, dass, wenn Sie an der Regierung wären, jetzt
Gesundheitssysteme zum Beispiel in Liberia oder im Se-
negal aufgebaut worden wären, ohne dass es eine An-
frage von den dortigen Regierungen gegeben hätte? Wä-
ren Sie einfach dahin gefahren und hätten gesagt: „So,
Freunde, ihr habt noch kein Gesundheitssystem; wir
bauen das jetzt für euch auf“? Das ist keine moderne
Entwicklungspolitik. Moderne Entwicklungspolitik heißt,
die Bedürfnisse und Prioritäten der Länder zu berück-
sichtigen und die Länder mit in die Verantwortung zu
nehmen.
Frau Kollegin Pfeiffer, herzlichen Dank für die Frage.
Ich muss mich allerdings wundern: Wenn das die Frage
ist, die Sie nach meinen Ausführungen haben, dann
stelle ich fest, dass Sie meinen Beitrag nicht verstanden
haben.
Lassen Sie mich noch kurz in Bezug auf den Gesund-
heitsminister sagen:
Aktiv geworden ist er vermutlich nicht; ich habe es je-
denfalls nicht gemerkt. Er beruft sich auf eine Hoch-
glanzbroschüre, die aber nicht von ihm, sondern von sei-
nem Vorgänger stammt. Darin steht:
Das Ziel des universellen Zugangs zu Gesundheits-
versorgung kann nur dann erreicht werden, wenn
nationale Gesundheitssysteme ihre Dienstleistun-
gen kompetent, effektiv, effizient und für alle glei-
chermaßen zugänglich anbieten.
Jetzt kommt es:
Daher ist der zentrale Förderansatz der deutschen
Entwicklungspolitik die Stärkung der nationalen
Gesundheitssysteme.
Ich freue mich, dass der Gesundheitsminister diese
Erkenntnis hat. Jetzt wäre es ganz wichtig, dass diese Er-
kenntnis auch noch bis zum Entwicklungsministerium
durchdringt. Dann, glaube ich, könnte man in Zukunft
solche Krisen vermeiden.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
Vielen Dank, Herr Kollege Kekeritz. – Nächster Red-ner in der Debatte Dr. Georg Kippels für die CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4867
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Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Eine Welt – wir leben alle in einer Welt. Geo-
grafische Entfernungen haben sich im Zeitalter der Glo-
balisierung und der Mobilität relativiert. Zwar liegt
Westafrika immer noch 8 000 Kilometer entfernt; trotz-
dem findet die Katastrophe vor unserer Haustür statt.
Man kann es fast körperlich spüren. Das hat auch der
Weltsicherheitsrat mit seiner Resolution vom 18. Sep-
tember deutlich gemacht. Er bezeichnete den Ebola-
ausbruch zu Recht als „Gefahr für Frieden und Sicher-
heit der Welt“. Denn Seuchen erschüttern auch heute
noch die Staatssysteme in ihren Grundfesten, und das
gilt grundsätzlich auch für den Westen.
Westafrika war vor 20 Jahren weit weg von unserer
Lebenswirklichkeit. Heute stellt die dortige Lage eine
Herausforderung für die westliche Zivilisation dar, auch
deshalb, weil solche Szenarien nicht einfach virtuell
durchgespielt werden können. Die Lage erfordert unsere
Solidarität und unseren Einsatz: personell, materiell,
wissenschaftlich und organisatorisch. Die Triebfeder des
Handelns muss der Respekt vor dem Individuum sein
und nicht nur die Angst vor der eigenen Betroffenheit
und natürlich erst recht nicht die Anzahl der Opfer.
Am 18. September meldeten die Helfer vor Ort noch
2 622 Tote, bis heute waren es laut Mitteilung der WHO
bereits 2 847. Bis zum 18. September waren es 5 335 In-
fizierte, bis heute 5 880. Diese Zahlen steigen fast stünd-
lich und benennen nur die registrierten Fälle. Die Anzahl
der namenlosen Opfer wird wahrscheinlich das Drei-
oder Vierfache betragen. Prognosen von 20 000 Infizier-
ten bis November stehen im Raum. Die Mortalität liegt
bei 70 Prozent. Die Spirale des Grauens nimmt an Fahrt
zu. Wir haben heute gehört: Ebola ist bisher nicht heil-
bar. Sierra Leone und Liberia sind an einem Punkt, an
dem das Hilfssystem kollabiert und es fast nur noch da-
rum geht, die Ausbreitung der Seuche zu verhindern. In
den 40 Jahren seit seiner Entdeckung hat das Ebolavirus
noch nie so gewütet wie heute. Die Länder drohen staat-
liche Strukturen zu verlieren und im Chaos zu versinken.
Der Ausnahmezustand ist verhängt. Die Menschen miss-
trauen den Helfern, und es ist schon zu Angriffen und
Todesopfern gekommen. Die Bedrohung einer weltwei-
ten Ausbreitung des Virus ist greifbar.
Ebola hat mit Westafrika einige der ärmsten Länder
dieser Welt befallen. Ihre medizinische Infrastruktur ist
bestenfalls als rudimentär zu bezeichnen. Es fehlt an Bil-
dung, an Nahrungsmittelsicherheit und vor allem an
Aufklärung und Prävention im Gesundheitsbereich. In
den Ebolagebieten gehen laut Ärzte ohne Grenzen die
nötigsten Hilfsmittel zur Neige, ja sogar die Seife in den
Krankenhäusern, die dringend benötigt wird. Ebola zerrt
auf furchtbare Weise die staatlichen Defizite ans Tages-
licht, und dies in einer Geschwindigkeit, die die Re-
aktion dramatisch erschwert. Die akute Bedrohung
durch noch nicht ausreichend erforschte Erreger und vor
allen Dingen das latente Fehlen einer vorhandenen Ge-
sundheitsstruktur lassen die Folgen explodieren. Unwis-
senheit in der Diagnose und fehlende Kommunikation
über den Ausbruch der Erkrankung verzögerten vor Mo-
naten die Reaktionsmöglichkeit. Die schlechte Bildungs-
situation der Bevölkerung führt zu irrationalen Reaktio-
nen der Menschen. Man misstraut dem eigenen
Staatssystem und schottet sich ab. Dies verschlimmert
noch die Folgen. Die Hilfe muss daher mit Sofortmaß-
nahmen, aber auch mit langfristigen Strukturprojekten
erfolgen. Schon jetzt muss auch die Zeit nach der Epide-
mie in den Blick kommen.
Herr Dr. Kippels, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Frau Schulz-Asche?
Ja. – Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Kippels, ich möchte Sie fragen, in-
wiefern der Vorstoß von Frau Ministerin von der Leyen
am Montag im Morgenmagazin mit dem Aufruf an Frei-
willige mit dem Krisenstab abgestimmt war. Wenn das
der Fall ist: Wer ist das federführende Ministerium, und
welche Kriterien sind für die Auswahl und die Betreu-
ung dieser Freiwilligen vorgesehen? Es wäre schön,
wenn Sie mir darauf antworten könnten. Wie Sie wissen,
habe ich über zwölf Jahre im Gesundheitswesen in
Afrika gearbeitet. Von daher interessiert mich, was hier
geplant ist und welche Freiwilligen dorthin entsendet
werden. Danke schön.
Ich werde im Laufe meines Vortrags noch darauf ein-gehen. Zunächst einmal müssen wir unterscheiden, obwir Sofortmaßnahmen in Form von personeller Leistungfür die Organisation der Lazarette bzw. der Unterbrin-gungsmöglichkeiten benötigen, also im logistischen Be-reich, oder im medizinischen Bereich. Wie Sie sicherwissen, hat auch die Bundeswehr gut geschulte Versor-gungskräfte, Pflegekräfte und Ärzte. Das alles mussletztendlich koordiniert werden. Der Aufruf war nur da-für vorgesehen, überhaupt notwendiges Personal ausdem Freiwilligenbereich zu generieren und die Bereit-schaft dafür herzustellen, dass sich die Bevölkerung be-teiligt.
– Ob das mit dem Krisenstab abgestimmt ist, kann ichIhnen nicht beantworten, Frau Kollegin.
An dieser Stelle sind Deutschland, aber auch die Eu-ropäische Gemeinschaft und vor allen Dingen und anerster Stelle die WHO gefordert, die sich in ihrem Vorge-hen intensiv vernetzen müssen. Federführend muss aller-dings die WHO sein. Mit der Bereitstellung der Sofort-mittel des AA, des BMZ und auch der EuropäischenUnion ist jedenfalls ein wichtiger Schritt gemacht. Ele-
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Dr. Georg Kippels
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mentare Bausteine der weiteren Maßnahmen sind dieLösung der logistischen Anforderung, vor allen Dingendie Sicherstellung ausreichenden Fachpersonals zur Um-setzung der Patientenbetreuung, die Diagnostik, die Ein-schätzung der Gefährdungslage und auch die Kontrolleder Infektionsherde durch ordnungsgemäße Bestattungder Toten und Desinfektion von Gegenständen, vor allenDingen Fahrzeugen. Dies alles funktioniert aber nur imZusammenwirken mit den staatlichen Institutionen undmit der Akzeptanz der betroffenen Regierungen. Hilfesetzt aber auch Vertrauen in den eigenen Staat, die aus-ländischen Helfer und die westlichen Behandlungsme-thoden voraus. Dieses Vertrauen zu gewinnen, ist einwichtiger Aspekt im Kampf gegen die Ebolaepidemie.Bei dieser Mammutaufgabe dürfen wir aber auchnicht vergessen, dass wir eine besondere Verantwortungfür die freiwilligen Helfer haben, denen wir im Infek-tionsfall unverzügliche und effektive Hilfe garantierenmüssen. Es stellt sich heute für uns die Frage, was wirweiter leisten können und müssen, um der EpidemieEinhalt zu gebieten. Zu den Leistungen gehören die fi-nanzielle Nothilfe, die Hilfe bei der Logistik, die Bereit-stellung freiwilliger Helfer, die Gewährleistung der Si-cherheit der freiwilligen Helfer im Infektionsfall – siemüssen von der deutschen Regierung bzw. vom deut-schen Staat Unterstützung und Schutz erhalten –, die Er-richtung einer Luftbrücke sowie die Etablierung und derAusbau von Gesundheitssystemen, um zukünftige Aus-brüche schnellstmöglich unter Kontrolle zu bringen. DieGesundheitssysteme in diesen Ländern müssen dringendaufgebaut werden. Wir müssen zum einen gegen Seu-chen gerüstet sein und uns zum anderen dauerhaft umdie Gesundheit der Bevölkerung in den Entwicklungs-ländern kümmern.Die Bundesregierung hat ihre Hilfen kontinuierlichgesteigert und wird die Hilfsplanung mit ihrem Krisen-stab intensiv begleiten. Unser Engagement kann durch-aus einen entscheidenden Beitrag leisten. Aber auch wirmüssen uns darüber im Klaren sein, dass wir keinenMasterplan in der Schublade haben, mit dem wir einProblem dieser Größenordnung bewältigen könnten.Auch die Krise nach der Krise darf nicht vergessenwerden. Durch den Ausbruch der Ebolaepidemie wirddas Wirtschaftswachstum enorm gebremst werden. DieNahrungsmittelsicherheit ist gefährdet. In Liberia legtdie Epidemie speziell den Reisanbau lahm. Hier müssenwir dringend den Blick auf den Zeitraum nach der Kriserichten.Krisen wie die Ebolakrise führen uns zu der Erkennt-nis, dass sich die Globalisierung auch auf Katastrophenauswirkt. Daraus müssen wir die richtigen Schlüsse zie-hen; darauf muss unser künftiges Handeln beruhen. Wirmüssen uns klarmachen, dass globale Gesundheitsvor-sorge uns alle angeht.Ich komme zum Schluss. Mein ausdrücklicher Dankgilt allen Fachleuten und freiwilligen Helfern vor Ort,vor allen Dingen den Ärzten ohne Grenzen. Sie alle han-deln selbstlos, mutig und vor allen Dingen ohne Rück-sicht auf ihr eigenes Leben, das sie mit ihrem täglichenund unermüdlichen Einsatz in Gefahr bringen. Ihnen ge-bührt unser Respekt. Wir müssen an dieser Stelle für alleStunden, die dort geleistet worden sind, unseren Dankzollen.
Herr Kollege!
Die neue Situation zeigt uns aber auch, dass es nur
mit der Solidarität aller Bürgerinnen und Bürger gelin-
gen wird, dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kippels. – Nächster
Redner in der Debatte ist Stefan Rebmann für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrterHerr Kawusu Mansaray aus Sierra Leone und sehr ge-ehrter Herr Dr. Sambo, Regionaldirektor der WHO fürAfrika, herzlichen Dank, dass Sie unserer Debatte hierbeiwohnen
und Sie uns heute Morgen im Ausschuss und heuteMittag so umfassend informiert haben. Ich kann Ihnensagen: Das war sehr beeindruckend.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere auszugs-weise aus einem Bericht des Journalisten JohannesDieterich aus Monrovia vom vergangenen Montag: Einjunger Mann in blauen Jeans und grünem T-Shirt wälztsich auf dem vom Regen nassen Lehmboden vor demJohn-F.-Kennedy-Hospital in Monrovia und stöhnt: „Ichsterbe.“ Seine Mutter flößt ihm aus einer PlastikflascheWasser in den Mund. Das Eisentor zur größten Klinikdes Landes will sich partout nicht öffnen. Mit 68 Patien-ten ist die für 38 Patienten ausgelegte Ebolastation hoff-nungslos überfüllt. „Just for Killing“ nennen die Bewoh-ner Monrovias ihr mit JFK abgekürztes Krankenhaussarkastisch.Liebe Kolleginnen und Kollegen, offiziell – wir ha-ben es schon gehört – sind über 2 800 Menschen anEbola gestorben, darunter zahlreiche Helferinnen undHelfer, und haben sich mehr als 5 800 Menschen infi-ziert. Die tatsächliche Zahl dürfte, wie wir wissen, weithöher liegen. Es wird noch lange dauern, bis wir die Epi-demie im Griff haben und bekämpft haben. Die Zahl derOpfer wird weiter steigen. Wie wir vorhin gehört haben,geht die WHO von einem Bedarf an 59 000 Leichensä-cken aus.
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Stefan Rebmann
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Den Helferinnen und Helfern, dem Personal, den Me-dizinern vor Ort von Ärzte ohne Grenzen, von medicointernational, von Brot für die Welt und von Caritas, diesich wirklich bis zur Erschöpfung um die Menschenkümmern, gilt unser tief empfundener Dank, unser Re-spekt und unsere Anerkennung.
Die Helfer – das haben wir heute schon ein paarmal ge-hört – sind leider auch gezwungen, Patienten abzuwei-sen, weil es an Personal, an Betten, an Equipment, weiles schlichtweg an allem fehlt.Es handelt sich bei dieser Epidemie um eine soziale,wirtschaftliche und humanitäre Katastrophe. Sie betrifftnicht nur Menschen, die sich angesteckt haben oder sichnoch anstecken werden. Ebola bedroht rund 22 Millio-nen Menschen in der betroffenen Region direkt oder in-direkt. Schulen sind geschlossen. Betriebe stehen still. Inder Landwirtschaft wird in der Pflanzzeit nicht ausgesätund angepflanzt. Staatliche Strukturen kollabieren.Krankenhäuser werden geschlossen. Der Handel brichtso ein, dass die Menschen kaum noch an Nahrungsmittelkommen. Über 1,3 Millionen Menschen droht Hunger.Die Ausgangssperre, die in Sierra Leone verhängtwurde, und die Abschottung der Länder machen dieLage noch schwieriger.Helfer kommen nicht mehr ins Land. Hilfsmittel hän-gen zum Teil seit Wochen an Flughäfen oder Landes-grenzen fest. Deshalb sind unsere Hilfen, die wir zurVerfügung stellen – diese müssen und wollen wir anpas-sen –, und die Bereitstellung von Transportkapazitäten– bis hin zu einer Luftbrücke –, von Material und Perso-nal so wichtig. Es gibt keine Standardlösung. Das machtdie Aufgabe auch so schwierig.
Es brennt in Afrika. Wenn wir diesen Brand nicht lö-schen, wird es bald zu einem Flächenbrand kommen, derauch vor Europa nicht haltmachen wird. Wenn es unsnicht gelingt, diesen Brand zu stoppen, dann ist es nureine Frage der Zeit, bis es zu Unruhen, Aufständen undzum Wiederaufflammen von bewaffneten Konfliktenkommt. Immer mehr Menschen werden flüchten. Es ent-stehen Wanderungsbewegungen. Wer will es ihnen ver-denken? Viren lassen sich nicht von Landesgrenzen auf-halten.Ich bin froh, dass die Bundesregierung ihre Hilfe fürdie betroffenen Länder erheblich aufgestockt hat. Frank-Walter Steinmeier und Gerd Müller haben die Hilfen fürWestafrika deutlich erhöht. Das ist richtig, und das istnotwendig. Unser Entschließungsantrag unterstreichtdas.
Ein robustes Gesundheitssystem ist gerade in denRegionen notwendig, in denen Krankheiten wie Ebola,Malaria, Gelbfieber und andere vernachlässigte Krank-heiten besonders verbreitet sind. Gute Entwicklungspoli-tik hat auch und gerade im Gesundheitsbereich einenpräventiven Charakter. Wenn wir ein weiteres Ausbrei-ten verhindern wollen, dann müssen wir in die Gesund-heitssysteme der ärmsten Länder investieren, auch überden Tag hinaus.
Das bedeutet auch: Wir müssen Systeme der sozialeSicherung aufbauen.
Gute, nachhaltige Entwicklungspolitik verhindertKrisen, erschwert Epidemien, verhindert bewaffneteKonflikte und Flüchtlingsbewegungen. Sie schafft Ge-sundheit, Arbeit, Einkommen und Zukunft für die Men-schen, und sie schafft Frieden. Wenn das endlich ver-standen wird, dann müssen wir uns in Zukunft vielleichtauch nicht mehr anhören: Die Weltgemeinschaft – unddamit sind auch alle hier Anwesenden gemeint – hat ver-sagt.Ich möchte mit einem Zitat aus dem Bericht vonJohannes Dieterich schließen:Erst Stunden später wird der inzwischen bewe-gungslos am Boden liegende Kranke … in die Kli-nik getragen – vermutlich viel zu spät.Hoffen wir, dass unsere Aktivitäten und unsere Hilfenicht zu spät kommen.Herzlichen Dank.
Vielen herzlichen Dank, Kollege Rebmann. – Nächs-
ter Redner in der Debatte Charles Huber für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich habe gedacht, dass wir in Anbetracht desElends anderer von einer parteipolitisch geführten De-batte hier im Bundestag verschont bleiben. Ich sehe, ichhabe mich getäuscht.Ich möchte hier nicht im Detail die bereits bekanntenFakten und Zahlen wiederholen. Nur so viel: Die Bun-desregierung hat bislang 17 Millionen Euro zur Ebola-bekämpfung freigegeben. Ob die Gesamtsumme, die dieWeltgemeinschaft zur Verfügung stellt, ausreichen wird,um der Aufgabe gerecht zu werden, ist schwer einzu-schätzen. Die Notwendigkeit einer Korrektur, wie sieStaatssekretär Silberhorn bereits angedeutet hat, ist nichtvon der Hand zu weisen.Ich möchte hier aber auch nicht unerwähnt lassen,dass eine Regierung wie die unsere nebst Ausschüssenund entsprechenden Durchführungsorganisationen eineExpertise braucht, um handeln zu können.
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Charles M. Huber
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Diese Expertise
hatten wir nicht. Die Frage ist: Wer hat diese Expertiseüberhaupt in Bezug auf ein Krisenszenario, für das eineSeuche der Auslöser ist, und zwar eine Seuche, für die esbislang kein legitimiertes Gegenmittel gibt?
Eigentlich müsste diese aufgrund der Erfahrungen beimAusbruch der ersten Ebolaepidemie zumindest teilweisevorhanden sein.
Herr Huber, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Kekeritz?
Auf alle Fälle. Wir lieben uns, Herr Kekeritz und ich.
Echt?
Herr Huber, Sie sollten nicht alles verraten. – Ich
muss mich sehr darüber wundern, dass Sie hier die Frage
stellen, wer eine solche Expertise hat. Ich habe vorhin
darauf hingewiesen, dass solche Ausbrüche eigentlich
kein Problem mehr sind.
In Ruanda, in Uganda, im Senegal, in Nigeria – überall
hat man mit der dortigen Expertise die Problematik ein-
gegrenzt. Und jetzt tun Sie plötzlich so, als wenn diese
Regierung ganz ohne Expertise ist. – Herr Silberhorn,
keine Angst, ich verteidige Sie gegen diesen Angriff. –
Danke schön.
Herr Kekeritz, wenn Sie meinen Ausführungen wei-terhin zu folgen gewillt sind, werde ich Sie darüber auf-klären. – Vielen Dank.Eigentlich müsste diese Expertise aufgrund der Erfah-rungen beim Ausbruch der ersten Epidemie zumindestteilweise vorhanden sein. Es tut mir leid, dass meineafrikanische Höflichkeit es mir nicht versagt, die WHOin diese Schuldzuweisung einzubeziehen; denn manmuss diese Expertise, wenn man sie schon besitzt, auchweitergeben. Diese Erfahrungen, die man im Zusam-menhang mit dem ersten Epidemieszenario gesammelthat, beziehen sich vor allen Dingen darauf, wie man dasVerhalten von Menschen in so einer verzweifelten Lagevor dem Hintergrund soziologischer Phänomene eineranderen Kultur einschätzen kann und wie Menschen,welche seit einem längeren Zeitraum in extremer Armutleben, auf gewisse Vorgehensweisen reagieren, selbstwenn diese zu deren Hilfe eingeleitet werden.Ich habe Ärzte ohne Grenzen, deren Arbeit ich sehrschätze, angeboten, Ärzte bei ihrer Arbeit zu begleiten.Dies wurde jedoch von der Direktion abgelehnt. Ichfinde das sehr schade. Ein unterstützender Bericht einesParlamentariers wäre sicher keine schlechte Sache, zu-dem mir der Kontinent und das Empfinden der Men-schen vor Ort nicht unbekannt sind.Zwei der von Ebola betroffenen Kernländer sind Län-der, deren Bevölkerung in nicht zu ferner Vergangenheitmit einem langanhaltenden Bürgerkrieg konfrontiertwar. Dass diese Länder neben den politischen und sozio-logischen Verwerfungen, unter anderem im Gesund-heitswesen, schon vor dem Ausbruch der Seuche extremschwache Strukturen aufwiesen, ist den meisten bekannt.Innere Vernunft braucht auch äußere Struktur, und die isthier nicht vorhanden. Dieser Hintergrund birgt zusätzli-che Risiken, was die Sicherheit der Helfer und auch dieder Bevölkerung selbst anbelangt. Herr Movassat, viel-leicht sind Sie darüber informiert, dass es auch Über-griffe auf Helfer gab, jüngst mit acht Toten am Freitag inGuinea. Eine massive und andauernde Aufklärungskam-pagne der Bevölkerung, egal durch wen, zum Beispieldurch die WHO, hätte der erste wesentliche Schritt seinmüssen. Ich freue mich daher, dass mein Vorschlag imAntrag an die Bundesregierung zur Eindämmung derEbolaepidemie, die Sicherheitskräfte vor Ort zu unter-stützen, von der Koalition angenommen wurde, unddanke denjenigen Kollegen, welche diesen aus meinerSicht sehr wichtigen Punkt unterstützt haben.
Es ist nur allzu leicht verständlich, dass jemand, derum sich herum nur Tod und Verderben erblickt, in derRegel in Panik gerät. Sie können sich auch sicher vor-stellen, wie schwierig es dann sein wird, wenn diesePanik durch Anordnung von Ausgangssperren und Isola-tionsverordnungen auf eine größere Menge übergreift.Die Erstellung eines unabhängigen Fonds auf supra-nationaler Ebene zur Entwicklung von Medikamenten,welche perspektivisch der Seuchenbekämpfung wie hierder Ebola dienen, wäre eine große Chance.Ich war vor ein paar Monaten im Senegal. Senegal istein direktes Nachbarland eines der betroffenen Länder,genauer gesagt: von Guinea. Am Flughafen hing einSchildchen, das dem Schild, dass man keine Flüssigkei-ten mit sich führen darf, sehr ähnlich war. Aber bei ge-nauerem Hinschauen habe ich gemerkt, dass es dabei umeine ganz andere Sache ging, nämlich um hygienischeMaßnahmen zur Vorbeugung von Ebola. Ich habe michtrotz dieses so besorgniserregenden Hinweises relativ si-cher gefühlt, vielleicht aus Gewohnheit, da ich diesesLand gut kenne. Eine Woche später war ich bei einemLokalpolitiker zum Essen eingeladen. Wir haben tradi-tionell aus einem großen Familientopf gegessen. DasEssen war gut. Danach habe ich mir doch den einen oder
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Charles M. Huber
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anderen Gedanken gemacht, ob die Einhaltung dieserTradition, eben des gemeinsamen Essens, in diesem Mo-ment die richtige Entscheidung war.Diese Elemente sind ein weiterer schwieriger Faktor,weil die Menschen sich nur schwer von Traditionen undGewohnheiten trennen. Dazu gehört auch in manchenEthnien, dass man den Toten selber wäscht und zum Ab-schied auf die Stirn küsst. Der Gewohnheit entsprechendist es meist so, dass man Schwerkranke versteckt, anstattsie zum Arzt zu bringen. Zum einen möchte man demSterbenden aus traditionellen Gründen familiäre Nähebieten, zum anderen ist in den meisten Ländern das Ver-trauen in die medizinische Versorgung verständlicher-weise gering.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Ende. Vielen Dank. – Ich finde es
vorbildlich, dass sich die Bundesregierung auch durch
die Präsenz mutiger Menschen vor Ort engagiert, durch
unsere Bundeswehr, welche mit ihren Sanitätskolonnen
und ihrem Know-how in der ABC-Abwehr-Ausbildung
eine große Expertise hat und einen wichtigen Beitrag zur
Bekämpfung von Ebola erbringen kann. Frau Ministerin
von der Leyen – sie ist leider nicht anwesend –, ich
würde die Bundeswehr gerne bei dem ersten Einsatz be-
gleiten.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Huber. – Nächster Redner in der
Debatte Frank Schwabe für die SPD-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Stefan Rebmann hat gerade schon ein Bild aus
den Medien in den letzten Tagen beschrieben. Ich weiß
nicht, wie es Ihnen geht. Mir ist das Bild in Erinnerung
geblieben, das ich bei Spiegel Online gesehen habe. Ich
weiß gar nicht, ob das die ursprüngliche Herkunft des
Bildes war. Auf dem Bild war ein kleines Mädchen zu
sehen, vielleicht drei, vier oder fünf Jahre alt, das auf der
Straße lag, ein paar Meter davon entfernt ein Helfer in
Schutzkleidung und 50 bis 100 Meter entfernt eine Men-
schentraube. Dieses Bild hat sich jedenfalls bei mir ein-
geprägt. Das unterstützt noch einmal das, was hier deut-
lich geworden ist: Das große Problem ist am Ende nicht
die Gefährlichkeit des Virus, sondern das Gefährliche
ist, dass es keine funktionierenden Meldesysteme, Qua-
rantänestationen und Ähnliches in den Ländern gibt. Die
internationale Gemeinschaft hätte viel schneller helfen
müssen. Das macht einen in der Tat ein Stück weit wü-
tend, fassungslos, aber auch selbstkritisch bei der Frage,
wie wir eigentlich darauf reagiert haben.
Es ist so – ich will das noch einmal betonen –: Die
Weltgemeinschaft hat versagt, weil sie die Dimension
der Krise nicht schnell genug erkannt hat und nicht
schnell genug reagiert hat. – Es bringt aber nichts, ein-
seitige Schuldzuweisungen vorzunehmen; versagt hat ja
nicht Deutschland allein – wo man vielleicht auch
schneller hätte reagieren können –, sondern in der Tat
die gesamte Weltgemeinschaft. Wir müssen alles tun, um
jetzt in der Krise so schnell wie möglich zu helfen. Wir
müssen diese Krise gleichzeitig nutzen, um zu verste-
hen: Was ist da eigentlich passiert, und wie können wir
in zukünftigen Krisen schneller reagieren?
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Meiwald?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. Ich bin sehr
dankbar für die selbstkritischen Worte. Die Frage, die
sich für mich noch anschließt, ist aber: In all den Kon-
zepten, all den Anfragen vermisse ich bisher ähnliche
präventive Gedanken, auch für die Nachbarländer der
drei hauptbetroffenen Staaten. Ist daran gedacht – damit
wir uns in vier Wochen nicht wieder vorwerfen müssen,
dass wir zu spät sind –, in den Ländern Togo, Ghana,
Burkina Faso, Senegal im Bereich Quarantäneeinrich-
tungen, zum Beispiel im Bereich „präventive Ausbil-
dung von Personal“, jetzt schon tätig zu werden?
Ich nehme einmal an, dass daran gedacht ist; ich kannes Ihnen im Detail nicht sagen. Ich sage nur, dass auchwir in Deutschland angewiesen sind auf das, was dieWHO – sie ist dafür zunächst einmal zuständig – uns anEmpfehlungen gibt. Ich kann – das ist bei Herrn Hubergerade ein bisschen angeklungen – auch nicht helfen, zusagen: Da muss auch eine gewisse kritische Auseinan-dersetzung mit der Politik der Weltgesundheitsorganisa-tion stattfinden. Ich war letzte Woche in Genf. Auf denFluren wird geraunt, dass es auch etwas damit zu tun ha-ben könnte, dass bei der Vogelgrippe 2005 aus heutigerSicht möglicherweise zu stark alarmiert wurde, hoheKosten entstanden sind. Vielleicht war deswegen jetzteine Neigung da, nicht zu früh zu alarmieren. Insofernwäre die Beantwortung Ihrer Frage: Wir müssen uns ver-lassen auf das, was die Weltgesundheitsorganisationmacht. Nach dem, was ich höre, gibt es auch ein Kon-zept dafür, wie man mit den Nachbarländern umgeht; je-denfalls sind wir uns, glaube ich, darin einig, dass das
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4872 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Frank Schwabe
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dringend notwendig ist und dass wir das hier auch ge-meinsam fordern.
Wir müssen ganz zweifellos sauber analysieren, wasbei der Weltgesundheitsorganisation passiert ist und wasda nicht passiert ist. Das hat natürlich etwas zu tun mitder Vielzahl der humanitären Krisen. Ich will wirklichverstehen: Was ist da passiert, welche Alarmmechanis-men haben nicht entsprechend funktioniert? Wie funk-tioniert das Zusammenspiel zwischen der WHO und denInstitutionen, die wir in der Bundesrepublik Deutschlandund in der Europäischen Union haben?Wir haben in den letzten Wochen hier sehr intensivüber Waffenlieferungen diskutiert. Ich will auch an die-ser Stelle noch einmal sagen – ich habe das schon ange-sichts der Nordirak-Debatte gesagt, in der ich mich fürdie Waffenlieferungen ausgesprochen habe –: Wir habenmanchmal eine Neigung, sehr engagiert über militäri-sche Einsätze zu diskutieren, verglichen damit aber einefehlende Neigung, über humanitäre Hilfe zu diskutieren,weil das vielleicht irgendwie weniger spannend ist fürdie Öffentlichkeit; ich weiß es nicht. Das steht aber inkeinem Verhältnis zu der Chance, Menschen auf dieserWelt zu helfen.
Da muss sich in den nächsten Monaten und Jahren etwasändern. Wir haben jetzt ein Hilfsniveau erreicht, das im-mer noch nicht ausreichend ist; aber ich glaube, wir sinduns jetzt einig: Die Weltgemeinschaft reagiert jetzt derKrise entsprechend angemessen. Ich will mich dem Danknatürlich anschließen, auch dem Dank an die 500 Frei-willigen – wahrscheinlich sind es während der Debatteschon wieder mehr geworden –, die sich gemeldet ha-ben, will allerdings auch ausdrücklich sagen: Aus mei-ner Sicht muss sich das nicht auf die Bundeswehr be-schränken – so habe ich es aber auch nicht verstanden –,sondern ein gemeinsames Nachdenken darüber, wieauch andere Freiwillige bewegt werden können, mitzu-helfen, das macht, glaube ich, Sinn, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Ich will noch einmal ausdrücklich den vielen Hilfsorga-nisationen danken, die alle genannt worden sind, vorne-weg natürlich den Ärzten ohne Grenzen. Sie haben einegewisse Kritik geübt, auch an der Bundesrepublik Deutsch-land. Ich finde, wenn das jemandem zusteht, dann dieserOrganisation, in der Menschen täglich wirklich ihr Bes-tes geben; viele sind im Einsatz gestorben.Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen,dass man spenden kann. Es gibt da so eine Aktion, woman sich Wasser über den Kopf schütten sollte. Viel-leicht hat das noch nicht jeder getan. Wenn es also eineOrganisation gibt, für die ich wirklich bitten würde, zuspenden, dann wären das, wie gesagt, die Ärzte ohneGrenzen.
Am Ende will ich noch einmal sagen – da müssen wirjetzt jede Debatte nutzen, auch wenn das ein bisschennervt –: Es geht darum, in den Haushaltsdebatten dafürzu sorgen, dass der Titel für die humanitäre Hilfe mitmehr Mitteln ausgestattet wird. Die gegenwärtige Aus-stattung ist nicht ausreichend. Ich habe in den Debattender letzten Wochen wahrgenommen, dass auch der Fi-nanzminister den Kopf gewiegt hat und ein bisschenauch genickt hat; er hat, glaube ich, verstanden, dass dieMittel für humanitäre Hilfe nicht ausreichen.
Ich glaube – das ist etwas, was wir in diesem Hausewirklich einheitlich herstellen können –, dieses Parla-ment muss die Kraft haben, auf die Krise zu reagierenund den Titel für humanitäre Hilfe deutlich anzuheben.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Letzter Red-
ner in der Debatte: Thomas Stritzl für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Das Ausmaß der Katastrophe – so hat es derHerr Staatsminister vorhin zu Recht formuliert – machtfassungslos. In der Tat: Die Länder Westafrikas brau-chen unsere Unterstützung, und wir werden sie leisten.Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren,dass sich die Opposition durch ihre Beiträge selbst demVerdacht ausgesetzt hat, hierzu eigentlich kaum in derLage zu sein.
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer versucht, dieBundesregierung und die Bundeskanzlerin der Bundes-republik Deutschland mit den Vorwürfen zu überziehen,sie seien am Ausmaß der Katastrohe schuld oder hättenzum Ausmaß der Katastrophe beigetragen, dient nachmeiner festen Überzeugung nicht dem Anliegen diesereigentlich ernsten Debatte in diesem Haus.
Sie dienen nicht den Menschen, um die es geht, und siedienen nicht einmal Ihrer eigenen Partei.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014 4873
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– Gnädige Frau, Sie können gerne Ihr Recht, eine Zwi-schenfrage zu stellen, in Anspruch nehmen.Ich will ganz konkret hinzufügen: Wenn diese Bun-desregierung sagt, sie sei – bei aller Anspannung, die dieBundeswehr zu tragen hat – bereit, mit den Transall vorOrt den Lufttransport sicherzustellen, dann geht es umSoldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr, die ihrLeben einsetzen, damit andere überleben können. Undda geht Ihr Sprecher hier hin und diffamiert diese Solda-tinnen und Soldaten, indem er sagt, das stehe im völligenGegensatz zu humanitärer Hilfe. Ich sage Ihnen: Das isthumanitäre Hilfe, wie sie besser gar nicht sein kann.
Ich muss Sie ganz ehrlich auffordern: Nehmen Sie daszurück, und entschuldigen Sie sich bei unseren Soldatin-nen und Soldaten!
Alle, die sich vor Ort und unter Einsatz ihres LebensRespekt erarbeitet haben, verdienen ihn. Ich finde, wirsollten ihn hier auch entsprechend zum Ausdruck brin-gen. Sie stemmen sich mit ihrer unermüdlichen Arbeitvor Ort gegen das dortige grausame Sterben.
Sie wollen verhindern, dass sich die Zukunft verdunkelt,eine Zukunft, die wir mit der Begrifflichkeit „Kontinentder Chancen“ neu umschreiben wollen. Ebola hat in sei-ner jetzigen Ausformung nicht nur das Potenzial, in derRegion verheerend zu wirken, sondern es löst auch inunseren Köpfen Angst und damit Distanz und Abstandaus.Das hier Geleistete und auf der anderen Seite auchdas, was vor Ort in Liberia schon jetzt geleistet wordenist, machen deutlich: Die Strukturhilfe von außen ist un-erlässlich, aber sie war es auch schon vorher. Das istübrigens auch der Sinn des Appells der Ministerpräsiden-tin, dieser tapferen Frau, aus Liberia. Sie sagt: Wir habeneure Hilfe gebraucht, und wir haben sie von dieser Bun-desregierung – übrigens auch von Frau Merkel – in beein-druckendem Maße erfahren. Wir brauchen sie jetzt, aberwir brauchen sie insbesondere auch für die Zukunft. –Das ist auch eine Aufforderung an uns selber: hin-schauen, nicht wegschauen, mutig bleiben und nicht ver-zagen. Die Menschen des Kontinents der Chancen habenuns gebraucht, brauchen uns und werden uns auch in Zu-kunft brauchen.Unsere Hilfe von heute wird also für die gemeinsameZukunft von morgen entscheidend sein. Dabei kann je-der – auch aus unserem Kreis – seinen persönlichen Bei-trag leisten, wie auch die Vorsitzende des Ausschussesfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklunggesagt hat; denn – das hat uns heute ja der Regional-direktor der WHO für Afrika, Herr Dr. Sambo, auch ge-sagt – vor Ort fehlt es an allem.Wir können also einen persönlichen Beitrag leisten,und weil ich es selber erfahren habe, will ich ausdrück-lich sagen: Ich danke auch den Unternehmen der deut-schen Gesundheitswirtschaft, die bereit sind, hier zuspenden und zu unterstützen.
Eine Unterstützung wird insbesondere aber auchdurch den Antrag von CDU/CSU und SPD geleistet.Das, was die Regierungsfraktionen heute vorlegen, dientdem Land, seinen Menschen und der gemeinsamen Zu-kunft im Sinne des Kontinents der Chancen. StimmenSie bitte zu, tragen Sie ihn mit!Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Stritzl. – Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Kollege Movassat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kollege Stritzl, Sie ha-ben hier einige Behauptungen erwähnt, die in meinemRedebeitrag nicht zu finden sind. Anscheinend habenSie eine andere Rede verfolgt als die, die ich hier gehal-ten habe. Das kann natürlich passieren.
Meine Kritik bezog sich auf den Zeitpunkt der Re-aktion der Bundesregierung. Es gab im Juni einen drin-genden Appell von Ärzte ohne Grenzen, dass die Situa-tion außer Kontrolle zu geraten drohe. Auf diesen Appellhin erfolgte allenfalls eine Erhöhung der Geldmittel,aber schon damals wurde klargestellt, dass es nicht inerster Linie um mehr Geld, sondern um medizinischesPersonal und Isolierstationen vor Ort ging. Vor Ort feh-len Ärzte und Betten. Erst jetzt hat die Bundesregierungangefangen, darauf zu reagieren; und das ist eben viel zuspät.
Zur Lage vor Ort: Es ist natürlich völlig klar, dass einPatient vor Ort lieber einen Arzt sieht, der ihm hilft, alseinen Soldaten. Das liegt doch auf der Hand.
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4874 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. September 2014
Niema Movassat
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Mein Dank und auch der Dank meiner Fraktion gehtan alle, die vor Ort bereit sind, auch unter Einsatz ihresLebens zu helfen: den zivilen Helfern und auch den An-gehörigen der Bundeswehr, die bereit sind, dort zu hel-fen. Das ist doch völlig klar.Danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Stritzl, wenn Sie mögen, dann können Sie ant-
worten. Sie brauchen es aber nicht.
Herr Kollege, ich bedanke mich bei Ihnen. Ich habe
Ihnen zugehört, aber vielleicht nutzen Sie einmal die
Chance, ins Protokoll zu schauen, um zu sehen, was Sie
wirklich gesagt haben.
– Lesen hilft.
Erster Punkt. Es ging um die Frage, was unsere Sol-
daten dort leisten können. Das, was sie dort leisten kön-
nen, hat die Bundesregierung umschrieben. Es hat ja kei-
ner gesagt, dass kein Sanitäter dorthin geht. Es gibt auch
bei der Bundeswehr Ärzte. Sie insinuieren hier, Soldaten
täten etwas Schlechtes.
Unsere Soldaten vor Ort sind bereit, etwas Gutes zu tun.
Das sollten Sie anerkennen und nicht umdrehen. Das ist
der entscheidende Punkt.
Zweiter Punkt. Wir unterstützen in der Tat auch die
Arbeit der Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte
ohne Grenzen. Es ist kein Geheimnis, dass diese Bun-
desregierung vor Ort aktiv war, aktiv ist, aktiv sein wird
und das ausbauen will; das weiß jeder.
Ich glaube, es ist das richtige Vorgehen, dass das jetzt
in einen Antrag gegossen wurde, über den wir heute dis-
kutieren und zu gegebener Zeit abstimmen werden. Das
Parlament muss ja auch seine Meinung kundtun können.
Das sollten wir heute tun. Leider haben Sie diese Chance
etwas verpasst.
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen.
Über den Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/2607 wird
nicht abgestimmt, sondern er soll zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union, an den Ausschuss für Gesundheit, an den Aus-
schuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, an
den Auswärtigen Ausschuss, an den Haushaltsausschuss,
an den Verteidigungsausschuss und an den Innenaus-
schuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2608. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt bei Ablehnung der CDU/CSU- und der
SPD-Fraktion, Zustimmung der Linken und Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2609.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung von Bünd-
nis 90/Die Grünen, Ablehnung von CDU/CSU- und
SPD-Fraktion und Enthaltung der Linken.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, 25. September
2014, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen noch einen spannenden weiteren
Tag.