Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir die Sit-
zung eröffnen, möchte ich Ihr Einverständnis dazu her-
beiführen, dass wir mit der Sitzung beginnen können,
obwohl der Flügel nach der Gedenkstunde noch hier im
Plenarsaal steht. Aus noch nicht restlos geklärten Grün-
den sind die Techniker, die ihn vorher hatten wieder zu-
rückbringen sollen, im Augenblick nicht verfügbar. Da
ich aber ziemlich sicher bin, dass die Verfügbarkeit eines
Flügels der Harmonie unserer Beratungen nicht im Wege
steht, bin ich zuversichtlich, dass Sie damit einverstan-
den sind. Ist das so?
– Sehr gut.
Einen schönen guten Morgen von meiner Seite nacheinem sehr bewegenden Vormittag! Der Präsident hatschon darauf hingewiesen, dass wir heute musikalischbegleitet werden. Ich habe bisher eine Rednerliste vor-liegen, aber noch nicht die Liste derjenigen, die uns zwi-schendurch etwas spielen wollen. Aber es ist eine Pre-miere, und ich bin mir ganz sicher, dass uns dieserFlügel in unserer heutigen Debatte beflügeln wird.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ichdem Kollegen Dr. Klaus-Peter Schulze sehr, sehrherzlich im Namen des ganzen Hauses zu seinem heuti-gen kugelrunden 60. Geburtstag gratulieren. Ich wün-sche im Namen des Hauses alles, alles Gute, HerrDr. Schulze.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Vereinbarte DebatteBedrohung der regionalen Stabilität durchdas Vorgehen der ISIS-TruppenZP 2 Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKEBeschaffungsprogramm von Drohnen für dieBundeswehr
ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-fahrenErgänzung zu TOP 32Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink,Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMaßgabebeschluss des Bundesrates zur Spiel-verordnung umgehend in Kraft setzenDrucksache 18/1875Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für GesundheitZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-spracheErgänzung zu TOP 33a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Tobias Lindner, Christian Kühn ,Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMoratorium beim Verkauf von Wohnimmo-bilien in Städten mit angespanntem Woh-nungsmarkt durch die Bundesanstalt fürImmobilienaufgabenDrucksache 18/1965b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 74 zu PetitionenDrucksache 18/1974
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4090 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 75 zu PetitionenDrucksache 18/1975d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 76 zu PetitionenDrucksache 18/1976e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 77 zu PetitionenDrucksache 18/1977f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 78 zu PetitionenDrucksache 18/1978g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 79 zu PetitionenDrucksache 18/1979h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 80 zu PetitionenDrucksache 18/1980i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 81 zu PetitionenDrucksache 18/1981j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 82 zu PetitionenDrucksache 18/1982ZP 5 Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENHaltung der Bundesregierung zu Einwändender EU-Kommission in Bezug auf die Einfüh-rung einer Pkw-Maut in DeutschlandZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Einstufung weiterer Staatenals sichere Herkunftsstaaten und zur Er-leichterung des Arbeitsmarktzugangs fürAsylbewerber und geduldete AusländerDrucksachen 18/1528, 18/1766Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-ausschusses
Drucksachen 18/1954, 18/2004b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKESchutzbedarf von Roma aus Westbalkan-staaten anerkennenDrucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004ZP 7 a) – Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände-rung des StaatsangehörigkeitsgesetzesDrucksachen 18/1312, 18/1759– Zweite und dritte Beratung des von denAbgeordneten Jan Korte, SevimDağdelen, Dr. André Hahn, weiteren Ab-geordneten und der Fraktion DIE LINKEeingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Aufhebung der Optionsrege-lung im StaatsangehörigkeitsrechtDrucksache 18/1092– Zweite und dritte Beratung des von derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Staatsangehörig-keitsgesetzesDrucksache 18/185
Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-ausschusses
Drucksachen 18/1955, 18/2005b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Sevim Dağdelen, Jan Korte, Matthias W.Birkwald, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEFür ein fortschrittliches Staatsangehörig-keitsrechtDrucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung
Antrag auf Genehmigung zum Vollzug einesgerichtlichen DurchsuchungsbeschlussesDrucksache 18/1990
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkt-liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4091
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie
Drucksache 18/1558Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
Drucksache 18/2010
Drucksache 18/2011b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W.Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion DIE LINKEMindestlohn in Höhe von 10 Euro pro StundeeinführenDrucksachen 18/590, 18/2010
Zu dem Gesetzentwurf liegen drei Änderungsanträgeund ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke so-wie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung sowie über einen Änderungsantrag der FraktionDie Linke werden wir später namentlich abstimmen. Ichmöchte darauf hinweisen, dass zur Annahme des Gesetz-entwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzesdie absolute Mehrheit, das sind 316 Stimmen, erforder-lich ist.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre undsehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-ministerin Andrea Nahles.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zehn Jahre diskutieren wir nun über die Ein-führung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Zehn Jahrestreiten wir uns über das Für und Wider. Zehn Jahre be-stimmt dieses Thema die politische Debatte in diesemLand. Jetzt kommt er. Das ist ein Grund zur Freude,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am27. November 2013 war klar: Er kommt. Daran hat sichnotwendigerweise eine Debatte über die Frage ange-schlossen: Wie wird er ausgestaltet? Ich möchte mich andieser Stelle bei Ihnen und bei allen, die sich an dieserernst und intensiv geführten Debatte beteiligt haben,herzlich bedanken. Wir haben viele Hinweise und kriti-sche Anmerkungen bekommen. Sie sind alle in diesenhier vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen. Wir ha-ben hart gerungen. Das ist aber auch kein Wunder; dennwir beschließen hier heute nicht irgendetwas. Was wirheute beschließen, ist von herausragender Bedeutung fürMillionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern indiesem Land, die endlich einen anständigen Lohn erhal-ten werden. Deswegen war es richtig, um den bestenWeg zu ringen, und heute haben wir nun ein gutes Er-gebnis vorliegen.
Es ist nicht übertrieben, zu behaupten: Wir setzenheute einen Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitikder Bundesrepublik Deutschland.
So sehr ich mich ja gerade für viele Beiträge in derDebatte bedankt habe, muss ich allerdings auch sagen,dass in der letzten Phase der eine oder andere Debatten-beitrag dabei war, den man in meiner Heimat schlicht alsKokolores bezeichnen würde.
Deswegen will ich doch noch einmal die Fakten vor-tragen. Fakt ist: Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschlandflächendeckend der gesetzliche Mindestlohn von8,50 Euro, und zwar in Ost und West gleichermaßen,ohne dass irgendeine einzige Branche ausgenommenwird.
Ja, keine einzige Branche. Wer anderes behauptet: Ko-kolores!Lassen Sie uns doch einmal über die sogenanntenAusnahmen reden. An dieser Stelle hilft schlicht derBlick ins Gesetz. Ich fange einmal mit der sogenanntenAusnahme „Praktika“ an. Unser Gesetz schreibt fest:Wer einen Abschluss hat – ob nun Berufsabschluss oderStudium – bekommt in Deutschland ab 1. Januar 2015einen Mindestlohn. Es gibt kein Fegefeuer mehr, in demman sich von Praktikum zu Praktikum schwitzt, umdann am Ende vielleicht doch noch einen bezahlten Jobzu ergattern. Damit ist nun endlich Schluss. Die Genera-tion Praktikum gehört der Vergangenheit an.
Ja, richtig ist: Während der Ausbildung oder währenddes Studiums sind auch Praktika ohne Mindestlohn mög-
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4092 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Bundesministerin Andrea Nahles
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lich, beispielsweise Pflichtpraktika oder auch freiwilligePraktika, aber klar begrenzt auf drei Monate und nur,wenn sie dem Zweck der Ausbildung dienen. Durch die-ses Gesetz wird zum ersten Mal überhaupt ein Qualitäts-rahmen für Praktika geschaffen. Zum ersten Mal werdenin Deutschland feste Regeln für Praktika eingeführt,klare Ansprüche definiert, Ausbildungsziel, Dauer undLohn im Vertrag festgehalten, und jeder hat ein Rechtauf ein Zeugnis. Das gilt – und ansonsten gilt der Min-destlohn.
Ich sage es ganz klar: Die sogenannte Ausnahme „Prak-tika“ ist keine Ausnahme.Kommen wir zur nächsten sogenannten Ausnahme,über die ja in den letzten Tagen sehr viel geredet wurde:den Erntehelfern. Das Gesetz sagt klar: Für Erntehelfergilt wie für alle anderen auch der Mindestlohn. Wenn fürsie kein Tarifvertrag abgeschlossen wird – die Verhand-lungen laufen derzeit –, gilt ab 1. Januar 2015 der Min-destlohn. Ich lasse mir übrigens keine Kritik dafür gefal-len, dass ich zusammen mit LandwirtschaftsministerSchmidt versuche, die Einführung des Mindestlohnes fürdiese Branche möglichst vernünftig zu gestalten. Dafürhaben wir uns einige Hilfestellungen überlegt.Wenn sich zum Beispiel Landwirte und Saisonbe-triebe mit gefälschten Sozialversicherungspapieren he-rumschlagen müssen und nachher noch auf ihrer Bei-tragsschuld sitzen bleiben, dann müssen wir Abhilfeschaffen.Oder ein anderer Punkt: sehr bürokratische Formender Inrechnungstellung von Kost und Logis. Hierzu habeich auch in seriösen Medien in den letzten Tagen einenziemlichen Quatsch gehört, nämlich, dass wir Kost undLogis auf den Lohn anrechnen würden. So etwas gehtgar nicht. Es gibt keine Anrechnung von Kost und Logisauf den Lohn. Was wir aber machen, ist, das Verfahrender Inrechnungstellung von Kost und Logis einfacherund transparenter zu gestalten – nicht mehr und nichtweniger. Es ist gut für die Betriebe, dass wir das ge-macht haben, und übrigens auch gut für den Zoll, derjetzt wesentlich leichter kontrollieren kann.
Und: Wir wollen eine vierjährige Übergangszeit fürdie ohnehin jetzt schon geltende Möglichkeit der kurz-fristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung schaffen, inder der Zeitraum der Befreiung von Sozialabgaben von50 auf 70 Tage verlängert wird.Das alles wird den Saisonarbeitern, aber auch denErntebetrieben helfen. Aber es gibt hier keine Ausnahmevom Mindestlohn. Die sogenannte Ausnahme für Ern-tehelfer und Saisonarbeiter ist keine Ausnahme, liebeKolleginnen und Kollegen.
Kommen wir zu der sogenannten Ausnahme für Zei-tungsausträger. Auch hier gilt: Für sie gilt der Mindest-lohn. Ich hätte mir eine tarifliche Übergangsregelung ge-wünscht, die die Sozialpartner miteinander aushandeln.Aber das ist nicht gelungen. Deswegen legen wir einegesetzliche Übergangsregelung vor. Das ist übrigens dereinzige Unterschied zu dem, was wir für andere Bran-chen regeln, die es selber in die Hand nehmen und tarif-lich regeln. Die sogenannte Ausnahme für Zeitungsaus-träger ist keine Ausnahme. Sie sind von Anfang an imMindestlohn, wie andere Branchen auch.
Ein weiterer Punkt, der immer wieder kritisiert wird,ist, dass Langzeitarbeitslose den Mindestlohn erst nachsechs Monaten bekommen sollen. Es gibt hier sehr vieleBefürchtungen, dass diese Leute jetzt ausgenutzt wer-den. Ich möchte Ihnen einmal aus der Realität am deut-schen Arbeitsmarkt berichten: Wir finden kaumgenügend Arbeitgeber, die überhaupt bereit sind, Lang-zeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Wir werden imnächsten Jahr ein ESF-Programm auflegen, das die Ak-quise von Arbeitgebern, die Langzeitarbeitslosen eineChance geben, zum Thema hat, weil es so schwer ist, siezu finden. Das hat viele Gründe, die wir heute nicht dis-kutieren können.
In jedem Falle ist es eine Sonderregel, die Chancenschaffen soll.Ich gebe ehrlich zu: Wir wissen nicht, ob es so funk-tioniert. Deswegen haben wir uns in der Koalition vorge-nommen, dass wir diese Regeln für Langzeitarbeitslosein zwei Jahren auf den Prüfstand stellen. Ich gebe auchzu: Das ist eine befristete Ausnahme. Aber vielleichtbirgt sie für viele Menschen die Chance, auf dem Ar-beitsmarkt Fuß zu fassen.
Nun komme ich zur Ausnahme für Schüler bis18 Jahre. Die Ausnahme für Schüler bis 18 Jahre ist tat-sächlich eine Ausnahme, und das hat einen guten Grund:Gerade schwache Schulabgänger sollen nicht durch ei-nen ungelernten Job davon abgehalten werden, eineAusbildung zu machen; dazu stehe ich.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt alsowirklich hinter den sogenannten Ausnahmen und dereinzigen wirklichen Ausnahme, die das Gesetz vorsieht.Lassen Sie uns jetzt doch auch mal darüber reden,was dieses Gesetz schafft, was es leistet, was es verän-dert. Lassen Sie uns über den Kern und die wirklicheSubstanz des Gesetzes reden, liebe Kolleginnen undKollegen. „Fleißig, billig, schutzlos“ – so hat es mal einkluger Kopf auf den Punkt gebracht. „Fleißig, billig,schutzlos“ – das ist doch bisher die Realität für Millio-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4093
Bundesministerin Andrea Nahles
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nen Arbeitnehmer in Deutschland, und damit ist jetztSchluss.
Das Gesetz, das wir hier heute verabschieden wollen,kann niemand ehrlich anders interpretieren. Der Min-destlohn gilt flächendeckend, er gilt in Ost und West, ergilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Erbringt endlich anständige Löhne für Millionen von Men-schen, die fleißig arbeiten, aber bisher billig abgespeistwurden. Wenn Sie demnächst bei einer netten Frau einenBlumenstrauß kaufen, wenn Sie beim Callcenter anru-fen, um eine Auskunft zu bekommen, wenn Sie bei Ih-rem Einkauf jemanden sehen, der Waren in die Regaleräumt, dann können Sie sicher sein: Hier überall wirdder Mindestlohn gelten.Fast 4 Millionen Menschen werden ab Januar besserschlafen, besser zurechtkommen, besser fühlen, dasssich ihr Einsatz lohnt,
auch weil wir im Gesetz nicht nur regeln, dass sie mehrGeld bekommen; übrigens für viele die höchste Lohner-höhung ihres Lebens. Wir regeln auch, wie wir denMindestlohn durchsetzen und kontrollieren wollen; dennder Mindestlohn auf dem Papier nützt niemandem, ermuss in der Wirklichkeit ankommen.
Deswegen werden wir 1 600 neue Kolleginnen undKollegen beim Zoll einstellen. Ich möchte Finanzminis-ter Schäuble ausdrücklich dafür danken, dass er dasmöglich gemacht hat.
Mit einer solchen Kontrolle – das ist wichtig – wirdWettbewerbsfairness geschaffen. Es darf nicht sein, dasssich einige schwarze Schafe vor dem Mindestlohn drü-cken und anderen, die den Mindestlohn zahlen, mitDumpinglöhnen Konkurrenz machen.Ein weiterer Punkt, der zum Kern und zur Substanzdieses Gesetzes gehört, ist die Stärkung der Tarifautono-mie. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit von Tarif-verträgen erleichtert und das Arbeitnehmer-Entsende-gesetz für alle Branchen geöffnet.Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes geben wirden Mindestlohn übrigens in die Hände der Sozialpart-ner zurück. Sie – und nicht wir, die Politik; und das istauch gut so – werden in Zukunft in einer Mindestlohn-kommission die Entwicklung des Mindestlohnes bestim-men; zum ersten Mal übrigens schon ein Jahr früher alsursprünglich geplant.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir hierund heute den Mindestlohn verabschieden können, dasswir diesen Schritt heute machen, ist – und das muss andieser Stelle auch gesagt werden – ein Verdienst und eingroßer Erfolg der deutschen Gewerkschaften.
Ich möchte einen ganz besonders nennen, der sich jahre-lang für diesen Mindestlohn eingesetzt hat. Er ist heutemit vielen Kollegen unter uns: Michael Sommer, schön,dass du da bist. Herzlichen Dank für dein Engagement!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben um die-ses Gesetz gerungen, wir haben um dieses Gesetz ge-kämpft. Ich bin überzeugt: Das Gesetz, das uns heutevorliegt, ist gut geworden und ein notwendiger Schritt.Es schafft sozialen Frieden und mehr soziale Stabilität,es schafft ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit in unse-rem Land.Es ist wichtig und richtig, dass wir ein festes Halte-netz nach unten spannen, dass wir endlich dem Niedrig-lohnsektor einen Riegel vorschieben, dass MillionenMenschen endlich ihren verdienten Lohn bekommen.Das ist moderne soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhun-dert.
Ich bitte jeden einzelnen Abgeordneten und jede ein-zelne Abgeordnete um seine, um ihre Stimme. Es ist eineStimme für die, die hart arbeiten, eine Stimme für dieTüchtigen, deren Arbeit endlich einen Wert bekommt.Jede Stimme für dieses Gesetz ist ein Beitrag für mehrsoziale Gerechtigkeit.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Ministerin Andrea Nahles. –
Nächster Redner in der Debatte: Klaus Ernst für die
Linke.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi-dentin! Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohnohne Ausnahmen ist dringend notwendig.
Durch die sogenannten Reformen auf dem Arbeits-markt sind die Löhne in der Bundesrepublik Deutsch-land auf eine Rutschbahn nach unten geraten. Wir kön-nen jetzt nur fragen, wer für die Reformen auf demArbeitsmarkt verantwortlich ist, die die Löhne zum Sin-ken gebracht haben. Fast 25 Prozent aller Beschäftigtenarbeiten bei uns inzwischen zu Niedriglöhnen.
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4094 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Klaus Ernst
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Zur Erinnerung – weil der ein oder andere von Ihnendas offensichtlich nicht mehr weiß –: Vor fast genauzwölf Jahren, am 2. Juli 2002, hat der Bundestag aufAntrag einer unserer Vorgängerparteien, der PDS, zumersten Mal über die Einführung eines gesetzlichen Min-destlohns abgestimmt. Selbstverständlich waren alle an-deren dagegen.
Gefühlte zehn Mal haben Sie seit 2005 hier im Deut-schen Bundestag vernünftige Löhne für Millionen vonMenschen verhindert. Ja, es ist ein Erfolg, dass Sie end-lich zur Vernunft gekommen sind.
Der ehemalige Herausgeber der FAZ Müller-Voggschreibt dazu im Cicero am 1. Juli dieses Jahres:Dieser „Meilenstein in der Wirtschafts- und Be-schäftigungspolitik der Bundesrepublik“ … ist inerster Linie das Verdienst der Linkspartei. Die SPDhatte nämlich jahrelang diese „Begrenzung derTarifautonomie im unteren Bereich“ … abgelehnt.
Nehmen Sie doch wenigstens die Realität zur Kenntnis,meine Damen und Herren!Dass Sie heute in der Koalition einen gesetzlichenMindestlohn vorlegen, hat im Wesentlichen drei Gründe:Es waren der Kampf und die Kampagne derGewerkschaften, es war der unermüdliche Kampf derLinkspartei, und es war der Zeitgeist, gegen den Sie sichnicht länger stellen konnten. Deshalb haben wir jetzteinen gesetzlichen Mindestlohn, meine Damen undHerren.
Ja, es ist auch ein Erfolg der Linken.Warum machen Sie einen richtigen Punkt wie den ge-setzlichen Mindestlohn so grottenschlecht wie in diesemGesetz? In Ihrem Koalitionsvertrag versprechen Sie zum1. Januar 2015 einen flächendeckenden gesetzlichenMindestlohn von 8,50 Euro. Ich zitiere:Von dieser Regelung unberührt bleiben nur Min-destlöhne nach dem AEntG.Sie sehen im Koalitionsvertrag Ausnahmen vor, die al-lerdings nur tariflich möglich sein sollen. Und heute,kein Jahr später?
– Da will einer eine Frage stellen.
Ich dachte, Sie wollen den Satz noch zu Ende führen,
bevor Sie – – Also nicht.
Ich greife den Satz noch einmal auf.
Sie greifen den Satz noch einmal auf. Das heißt, Sie
erlauben eine Zwischenfrage.
Ja freilich, selbstverständlich.
– Sie brauche ich dazu nicht.
Gut. – Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Ernst. – Ich habe Ih-
ren Äußerungen entnommen, dass Sie für die heutige
Entscheidung zur Einführung des Mindestlohns wirklich
brennen. Sie sehen sich bestätigt.
Ich frage Sie: Rührt Ihr Enthusiasmus daher, dass Sie
uns jetzt sagen können, dass Ihre Fraktion geschlossen
zustimmen und Teil dieses historischen Ereignisses sein
wird?
Ich danke Ihnen für diese Frage, Herr Kollege. Siegibt mir Gelegenheit, ganz ausführlich zu begründen,warum wir uns enthalten werden.
Wir werden uns enthalten, weil Sie eben nicht das ma-chen, was Sie versprochen haben, weil der Mindestlohnzum Beispiel für unter 18-Jährige überhaupt nicht geltensoll. Sie schließen sämtliche Menschen unter 18 von derRegelung aus. Jetzt frage ich Sie: Warum soll die Schü-lerin Johanna, die im Supermarkt an der Kasse sitzt,17 Jahre alt ist und dort ihre Tätigkeit verrichtet, mit5 oder 6 Euro abgespeist werden, während ihr Kollege,der vielleicht Student und 18 Jahre alt ist, 8,50 Eurokriegen soll? Wo ist da bei Ihnen eigentlich die Logik?Wo ist die Gerechtigkeit?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4095
Klaus Ernst
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Es gibt überhaupt keinen Grund für Ihre Ausnahmerege-lungen.
– Ich bin noch nicht fertig. Ich beantworte noch IhreFrage.Sie haben gefragt, wie wir uns dazu verhalten. Ichhabe gesagt: Wir werden uns enthalten. Ein Grund, wa-rum wir uns enthalten, ist: Sie führen keinen gesetzli-chen Mindestlohn für alle ein, sondern nur für einen Teilder Beschäftigten. Frank Bsirske, der Vorsitzende desDGB, sagt, dass bis zu 3 Millionen Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer, die von der Mindestlohnregelungeigentlich betroffen sein sollten, nicht betroffen seinwerden. Deshalb werden wir uns enthalten. Deshalbkönnen wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Da wir gerade bei den unter 18-Jährigen sind, sage ichauch Folgendes: Wir haben die Bundesregierung gefragt,wie viele unter 18-Jährige davon betroffen sein werden.Knapp 30 Prozent der 450 000 Beschäftigten unter 18Jahren sind Auszubildende. Es geht nur um 9 200 derunter 18-Jährigen, die zurzeit einer normalen, einer ver-sicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Dergrößte Teil, mehrere Hunderttausend junge Menschen,sind ganz normale Jobber. Sie verrichten bei Lidl odersonst wo ihre Tätigkeit, weil sie sich etwasdazuverdienen wollen. Warum wollen Sie denen denMindestlohn nicht zugestehen? Sie brechen damit ineklatanter Weise Ihr Versprechen, das auch in IhremWahlprogramm steht, Herr Kollege.
Ferner enthalten Sie über 1 Million Langzeitarbeits-losen den Mindestlohn vor – darauf wird meine KolleginSabine Zimmermann eingehen –, und Sie erhöhen dieversicherungsfreie Zeit für Saisonarbeiter von 50 auf70 Tage. Jetzt sagen Sie: Na ja, bei den Saisonarbeiterngab es schon immer die Möglichkeit, Kosten für Unter-kunft und Verpflegung anzurechnen. Ich sage Ihnen:Wenn man einen Mindestlohn einführt, darf man nichtan einer vorkapitalistischen Regelung wie der Verrech-nung der Kosten für Kost und Logis mit dem Lohn fest-halten. Wir wollen, dass die Menschen ihren Lohn vollausgezahlt bekommen und der mächtige Arbeitgeber dieKosten für Kost und Logis nicht abziehen kann. Auchdiese Regelung, die Sie vorschlagen, ist unmöglich.
Sie haben von Kontrolle gesprochen: Wie wollen Siedenn das kontrollieren? Was ist das für eine Regelung?Wie wollen Sie kontrollieren, wie viel abgezogen wird?Es ist unmöglich, das zu kontrollieren. Deshalb ist dieseRegelung unmöglich.Jetzt kommen wir zu den Zeitungsausträgern. Auchsie erhalten ab 2015 nicht einen Mindestlohn von8,50 Euro. Ihr Lohn ist weit davon entfernt. Ich nehmeals Beispiel den Zeitungsausträger Helmut: Er ist er-werbsgemindert und will sich etwas dazuverdienen. Ersteht um 4 Uhr morgens auf, um Zeitungen auszutragen.Sie haben ihm einen Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015versprochen – deshalb hat er Sie vielleicht auch gewählt;das würde er heute wahrscheinlich nicht mehr machen.Heute bekommt er gerade einmal 6,38 Euro in derStunde, 2015 bekommt er 6,38 Euro in der Stunde, 20167,23 Euro und ab 2017, wo der allgemeine flächende-ckende Mindestlohn nach Ihrer Regelung das erste Malangehoben werden soll, erhält er 8,50 Euro, und bei8,50 Euro bleibt sein Lohn dann erstmal stehen. Er erhältdie Anhebung der 8,50 Euro, die Sie ihm versprochenhaben, frühestens in vier Jahren, also 2018. Das ist IhrMindestlohn! „Mein Gott!“, kann ich dazu nur sagen.
Der entscheidende Punkt bei dieser Regelung ist fol-gender: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt,dass Abweichungen nur auf der Grundlage von Tarifver-trägen möglich sind. Bei den Zeitungsverlegern, einerBranche ohne Tarifvertrag, machen Sie jetzt eine Aus-nahme. Warum haben die anderen eigentlich Tarifver-träge abgeschlossen? Die müssen sich ja jetzt an denKopf fassen. Da Sie dieses Gesetz jetzt auch noch alsGesetz zur Stärkung der Tarifautonomie bezeichnen, istdie Kritik der Gewerkschaften vollkommen berechtigt.Ursula Engelen-Kefer, die ehemalige stellvertretendeBundesvorsitzende des DGB, Kollegin des KollegenSommer, der auf der Tribüne sitzt, hat das im Handels-blatt als – Zitat – „Täuschungsmanöver“ bezeichnet. Sieschreibt: Durch die Ausnahmeregelungen werden „etwadrei Millionen Arbeitnehmer vom Mindestlohn aus-geschlossen, vor allem diejenigen, die ihn dringendbrauchen. Am meisten betroffen sind wieder einmal dieFrauen, die mit 67 Prozent etwa doppelt so viele Dum-ping-Löhner stellen wie die Männer.“ Zitateende. Das istder Grund.Mit diesem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, sind wirvon einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn mei-lenweit entfernt. Herr Bsirske, der Vorsitzende vonVerdi, sagt – ich zitiere –:Das hat mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindest-lohn, den die SPD in ihrer Mitgliederbefragung vorder Regierungsbildung zur Abstimmung gestellthat, nichts mehr zu tun.Zitateende. Das ist nicht in Ordnung.
Ich will auf ein Argument eingehen, das im Zusam-menhang mit den Zeitungsausträgern formuliert wurde.Es wurde gesagt, die Pressefreiheit wäre in Gefahr, wennder Lohn der Zeitungsausträger 8,50 Euro betragenwürde. Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölke-
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4096 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Klaus Ernst
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rung? Jeder weiß, dass bei den Tageszeitungen ein Rie-senkonzentrationsprozess vor sich geht. Bei den Tages-zeitungen haben die zehn größten Verlagsgruppeninzwischen 60 Prozent Marktanteil; der Anteil stieg von2006 bis 2014 um 6 Prozentpunkte. Bei den Kaufzeitun-gen haben die fünf größten 97 Prozent Marktmacht.Wenn Sie etwas für die Pressefreiheit tun möchten, dannversuchen Sie, das Problem der Konzentration im Pres-sebereich zu lösen. Sie dürfen aber nicht denZeitungsausträgern ihren Lohn vorenthalten, meine Da-men und Herren!
Weil meine Redezeit gleich vorbei ist, nur noch einekurze Bemerkung. Ich habe den Eindruck, wir müssenuns einmal die Frage stellen: Wer regiert eigentlich wirk-lich? Zwar hat der Zeitungsausträger Helmut bei Wahlengenauso viel Stimmrecht wie Friede Springer; das istrichtig. Aber hat er auch genauso viel Einfluss? Wer sagtder Regierung eigentlich, wie diese Regelungen auszu-gestalten sind? In der Anhörung hat Herr ProfessorDr. Dr. h. c. Preis zur Regelung für ZeitungsausträgerFolgendes gesagt: Ich möchte – Zitat – „nicht ausschlie-ßen, dass diese Regelung ein Produkt eines außerordent-lich intensiven Lobbyismus ist“. So machen Sie inzwi-schen die Gesetze, und sie sind meilenweit von dementfernt, was Sie versprochen haben.
Herr Kollege.
Was Sie hier vorlegen, ist kein flächendeckender
Mindestlohn, sondern ein Flickenteppich. Da kann ich
nur sagen: Versprechen gegeben, Versprechen gebro-
chen.
Danke, Herr Kollege Ernst. – Das Wort hat Karl
Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Ernst, ich finde esschon sehr spannend, in welchem Wettbewerb Sie seitJahren sind, um festzustellen, wer der Erfinder des Min-destlohnes ist.
Ich will Ihnen sagen, dass das ein bisschen arrogant undüberheblich ist.
Wissen Sie, es hat Zeiten gegeben – sie sind noch garnicht so lange her –, da war auch der DGB davon über-zeugt, dass der Mindestlohn falsch ist; da hat auch er da-gegen gestimmt, mit der SPD, mit den Grünen und mitder Union. Damals hat sich Deutschland in einem Verän-derungsprozess befunden. Inzwischen hat es neueEntwicklungen gegeben, und es gibt neue Perspektiven.Die Situation 2014 ist eine andere als die Situation 2002und 2003. Deswegen wird heute gehandelt.
Der Union geht es darum, Arbeitsplätze zu erhalten,den Menschen eine Perspektive zu geben, ja, fürFairness am Arbeitsplatz zu sorgen, dabei die bewährteTarif- und Sozialpartnerschaft zu stärken und so dieLeistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft sicher-zustellen. Dabei stehen wir vor der Herausforderung, diewirtschaftliche Prosperität in Deutschland zu erhaltenund dabei in der Tat für faire und gerechte Bedingungenin unserem Land zu sorgen. Das ist die Grundlage so-zialpolitischer Maßnahmen dieser Koalition.Meine Damen und Herren, heute legen wir den Ent-wurf eines Tarifautonomiestärkungsgesetzes vor. Esheißt deswegen „Tarifautonomiestärkungsgesetz“, weildie Tarifautonomie im Mittelpunkt steht. Es geht um dieFrage: Wer ist in diesem Land für die Findung von Löh-nen zuständig? Es sind Arbeitgeber und Gewerkschaf-ten, die Tarifverträge aushandeln, und nicht der Staat.Denn wenn der Staat anfangen würde, die Höhe derLöhne festzusetzen, dann würde er eines Tages auchüber die Gurkenpreise entscheiden. Wir müssen klar sa-gen, wer zuständig ist. Deswegen fordern, fördern undunterstützen wir mit diesem Gesetz die Tarifautonomie.Ich darf Sie an Folgendes erinnern – das ist ein Teilder deutschen Geschichte –: Als die deutschen Bundes-kanzler in den 70er- und 80er-Jahren nach Moskau ge-fahren sind, um mit den Sowjets auch über Wirtschaft zureden, haben sich die Sowjets verwundert die Augen ge-rieben, dass im Gefolge des jeweiligen Kanzlers nichtnur Wirtschaftsvertreter, sondern auch Gewerkschafts-vertreter waren. Der Gegensatz von Arbeit und Kapital,von dem der Kommunismus gezehrt hat, war inDeutschland in der sozialen Marktwirtschaft aufgeho-ben. Betriebspartnerschaft und Tarifpartnerschaft habendazu geführt, dass wir nicht nur Betriebsfrieden und ge-sellschaftlichen Frieden – auch wenn es zu Auseinander-setzungen kam – hatten, sondern dadurch haben wirauch gemeinsam die Grundlage für unseren wirtschaftli-chen Erfolg gelegt. Der Weg, den wir damals gegangensind und den wir stolz verkündet haben, hat sich be-währt. Deswegen gehen wir ihn weiter.
Überall dort, wo sich die Tarifpartnerschaft bewährt,geht es den Menschen besser, haben wir höhere Löhne,haben wir höhere Einkommen. Deswegen steht sie imZentrum dieses Gesetzentwurfs. Wir wollen es bestimm-ten Branchen leichter ermöglichen, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden, damit für
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4097
Karl Schiewerling
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diejenigen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten, diegleichen Bedingungen gelten. Wir wollen die Tarifauto-nomie stärken, indem wir dafür sorgen, dass Tarifver-träge leichter auf eine gesamte Branche erstreckt werdenkönnen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vor-liegt, ohne dabei den Wettbewerb zu verhindern.Weil das alles allerdings nicht ausreicht, halten wir esfür notwendig, den Mindestlohn einzuführen. Wenn esnach der Union gegangen wäre, hätten wir die Entschei-dung darüber, wie hoch der Mindestlohn sein soll, vonAnfang an der Mindestlohnkommission aus Arbeitge-bern und Gewerkschaften unter Beteiligung der Wissen-schaft übertragen.
Da wir aber vereinbart haben, dass 8,50 Euro Gesetzsind, haben die Verhandlungen länger gedauert und wa-ren sie geprägt von der Sorge, wie alle Menschen vondiesem Mindestlohn profitieren können. Die Diskussionhat deswegen im Rahmen dieser Gesetzgebungsmaßnah-men stattgefunden. Ansonsten hätte sie in der Mindest-lohnkommission nach den Regeln, die in Großbritanniengelten, geführt werden müssen.Ich glaube, der Weg, den wir hier gegangen sind, istsehr verantwortungsbewusst. Wir haben deutlich gesagt,warum wir Ausnahmen für Branchen nicht wollen, aberdennoch einige Ausnahmen für bestimmte Personen-gruppen geregelt haben.Wir wollen, dass der Mindestlohn erst für Menschenab 18 Jahren gilt. Wenn es nach der Union gegangenwäre, dann wäre die Altersgrenze noch höher gewesen,damit sich junge Menschen nicht in erster Linie für dieErwerbsarbeit entscheiden, sondern zuerst eine Berufs-ausbildung machen. Ob wir das damit erreichen odernicht, wird die Zeit zeigen. Auch heute gibt es schonjunge Menschen, die sofort in die Erwerbsarbeit gehen;es sind – die Zahl mag stimmen – 9 000. Ich sage Ihnenaber: Mir wäre es lieber, diese 9 000 jungen Menschenwären nicht in der Erwerbsarbeit, sondern in einer Be-rufsausbildung.
Wir tun dies nicht, um die jungen Menschen zu är-gern, sondern wir tun dies, um sicherzustellen und denWeg dafür zu ebnen, dass wir nicht die Verantwortungdafür tragen, dass sie keine Berufsausbildung machen.Sie sollen den Weg in die Berufsausbildung gehen.Daneben haben wir eine Ausnahme für die Langzeit-arbeitslosen eingeführt. Wir wissen nicht, ob sich dieseAusnahme für die Langzeitarbeitslosen, die ein halbesJahr lang kein Anrecht auf den Mindestlohn haben, ne-gativ oder positiv entwickelt. Man sagt uns, dass Lang-zeitarbeitslose es besonders schwer haben, in den erstenArbeitsmarkt zurückzukehren. Gleichzeitig sagt manuns, dass das damit zusammenhängt, dass wir einenMindestlohn einführen werden. Ich sage Ihnen: Wir wol-len nicht, dass der Zugang in ein Arbeitsverhältnis undin den ersten Arbeitsmarkt durch einen falsch gesetztenLohn behindert wird.Wir werden sehen, ob wir recht haben oder nicht, undwir sind auch bereit, neue Wege zu gehen. Das ist des-wegen notwendig, weil wir es bei der Einführung desMindestlohns mit einer Operation am offenen Herzender sozialen Marktwirtschaft zu tun haben; denn keinerkann richtig beurteilen, wie sich die Einführung desMindestlohns, die wir heute beschließen werden, auswir-ken wird.Als weitere Ausnahme haben wir die Ausnahme fürPraktikanten formuliert. Was Frau Nahles dargestellt hat,ist richtig: Das war unser gemeinsamer Wunsch, weilwir aus der Zeit 2004 bis 2007 geprägt sind, als Praktikavornehmlich angeboten wurden, um Ausbildungsplätzenicht besetzen oder jemanden nicht fest anstellen zumüssen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung und denFachkräftemangel sind wir Gott sei Dank aus dieserSituation heraus, aber die Gefahr besteht, dass dies wie-der geschieht, und deswegen haben wir das getan. Füruns ist völlig klar: Praktika dienen der Vertiefung der be-ruflichen Erfahrungen und Erkenntnisse, um eines Tagesnach einem Studium oder einer Berufsausbildung in denBeruf übergehen zu können.Ich bin froh, dass wir diese Regelungen so getroffenhaben – auch mit einer schriftlichen Vereinbarung desPraktikumvertrags, damit das Ganze Rechtskraft undeine Ordnung hat –, dass wir vor allen Dingen die Flexi-bilität behalten haben, dass bei Praktika in den erstendrei Monaten nicht zwangsweise ein Mindestlohngezahlt werden muss. Ich bin froh, dass der von uns ein-geschlagene Weg den jungen Menschen eine Perspektivegibt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei-nige Sätze zu der Mindestlohnkommission sagen. ImLaufe des Dialogs haben wir mitbekommen, dass es deneinen oder anderen Vertreter der Tarifvertragsparteien et-was geschüttelt hat, wenn sie darüber nachdachten, dasssie sich plötzlich um einen Mindestlohn zu kümmern ha-ben, während sie im Rahmen der Tarifpolitik normaler-weise ganz andere Löhne und Gehälter aushandeln. Ichkann das sogar verstehen. Wenn wir aber die Tarifauto-nomie stärken wollen, wenn die Gewerkschaften und dieArbeitgeberverbände eine besondere Verantwortung indieser Gesellschaft tragen und für die Lohnfindung zu-ständig sein sollen, dann müssen sie ihre Verantwortungauch in diesem Bereich übernehmen.Ich freue mich sehr, dass das jetzt im Konsens sogeregelt ist, dass sie sich bei der Lohnfindung und derFrage, wie der Mindestlohn auszugestalten ist, die ge-samte wirtschaftliche Entwicklung und die gesamte Ent-wicklung der Löhne und Gehälter anschauen und dasssie in diesem Zusammenhang im Blick behalten, dass eseinen vernünftigen Wettbewerb in Regionen und Bran-chen geben muss und dabei die Arbeitnehmer zu schüt-zen sind, weil auch sie, wie alle anderen, ein Anrecht aufSchutz haben.Ich bin sicher, dass die Mindestlohnkommission ähn-lich wie in Großbritannien über all die Zeit Erfahrungen
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4098 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
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sammeln wird. Das ist vor allem deswegen wichtig, weilsie für die Evaluation, die Überprüfung, verantwortlichsein wird. Die Auswirkungen des Mindestlohns, den wirzum 1. Januar 2015 einführen, wollen wir beobachten.Wir wollen uns genau anschauen, welche Wirkungen erin Regionen und Branchen entfaltet. Ich bin ganz sicher,dass wir dann miteinander verantwortungsvoll die weite-ren Entscheidungen treffen.Ich danke der Bundesarbeitsministerin, dem Bundes-arbeitsministerium und unserem Koalitionspartner fürdie äußerst konstruktiven Gespräche sehr herzlich, auchwenn es – das liegt in der Natur der Sache – gelegentlichmühsam war. Aber wir haben das Ganze gemeinsamsehr verantwortungsbewusst gestaltet.Lassen Sie mich als Christdemokrat am Schluss ei-nem lieben Kollegen ein besonders herzliches Danke-schön sagen, der durch seinen großen Einsatz und seinunglaubliches Engagement in unserer Partei dafürgesorgt hat, dass wir die Diskussion so führen, wie wirsie jetzt führen. Ich meine Karl-Josef Laumann. Karl-Josef, das ist auch Dein Tag.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. – Das Wort
zu einer Kurzintervention hat Michael Schlecht.
Herr Schiewerling, ich möchte Sie gerne zu einem
Punkt befragen, und zwar zu der Ausnahme für die Zei-
tungszustellerinnen und -zusteller. Es ist seit mehreren
Wochen bekannt, dass der Verlegerverband versucht hat,
Ausnahmeregelungen im Gesetz durchzusetzen. Ich
muss, ehrlich gestanden, sagen, dass ich dieses Begehren
von Anfang an so abstrus fand, dass ich mir gar nicht so
richtig vorstellen konnte, dass die Regierungskoalition
auf diesen Wunsch überhaupt eingehen würde.
Es ist vollkommen abstrus, dass die 300 000 Zei-
tungszusteller – das ist eine relativ große Anzahl von
Menschen –, die unter ziemlich harten Bedingungen ar-
beiten müssen – sie müssen sehr früh aufstehen, und
zwar im Sommer wie auch im Winter, und schwer
tragen, um nur einige der erheblichen Belastungen zu
nennen –, weiterhin nur einen Hungerlohn bekommen
sollen. Im nächsten Jahr gilt für sie ein Mindestlohn von
6,38 Euro.
Es ist vollkommen unklar, weshalb Sie auf die Forde-
rung des Verlegerverbands eingegangen sind; denn viele
Unternehmen in diesem Bereich stehen finanziell sehr
gut da. Hinter diesen Unternehmen stehen häufig Eigen-
tümerfamilien, im Regelfall sind das Millionäre. Es war
mir vollkommen unverständlich, weshalb auf derartige
Wünsche und Forderungen eingegangen wird, weshalb
man von Ihrer Seite weiterhin Hungerlöhne zulässt, da-
mit die Millionäre unter den Verlegern weiterhin unge-
stört auf ihrem Geld sitzen können.
Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wie genau ist
denn der Lobbyprozess gelaufen? Wer hat denn dabei
am meisten Einfluss gehabt?
Wer von den beiden Koalitionspartnern hat am ehesten
die Verlegerposition übernommen und sich für die Bei-
behaltung der Hungerlöhne starkgemacht?
War das die Union? War das die SPD? Waren es beide
gleichermaßen? Mich interessiert, wie diese Kampagne
des Verlegerverbandes im Hintergrund gelaufen ist.
Die letzte Frage dazu: Schwingt bei der Tatsache,
dass Sie auf dieses Begehren eingegangen sind, am Ende
die Sorge mit, dass Sie dann, wenn Sie die Verleger nicht
so behandeln, wie sie behandelt werden wollen, durch
die publizistische Macht dieser Verleger Nachteile erfah-
ren könnten?
Danke schön.
Herr Schiewerling kann, wenn er möchte, auf die
Kurzintervention, die drei Minuten nicht überschreitet,
Herr Kauder, antworten.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Schlecht. – Auf Ihrelange Anfrage will ich Ihnen kurz antworten. DieBundesarbeitsministerin hat genau wie Mitglieder unse-rer Fraktion umfangreiche Branchendialoge geführt. Mitdiesen Dialogen sollte sichergestellt werden, dass dieBranchen, die gesagt haben, dass sie mit dem von unsfestgelegten Mindestlohn von 8,50 Euro besondere Pro-bleme haben, im Rahmen dieser Einführung Hilfestel-lungen bekommen. Das Ergebnis dieses Branchendia-logs ist sehr erfreulich: Zahlreiche Branchen haben sichauf den Weg gemacht, einen Tarifvertrag abzuschließen.Ich kann nur hoffen, dass wie in der Landwirtschaft mitder IG BAU schnell der Tarifvertrag abgeschlossen wirdund man sich nicht auf dem Ergebnis von heute Morgenausruht.Ein zweites Ergebnis des Branchendialogs war die Er-kenntnis, dass einige Branchen wirkliche Probleme ha-ben. Wir hatten die Arbeitsplätze und die Auswirkungendes Mindestlohns auf diese Arbeitsplätze im Blick, undwir haben keine ideologische Debatte darüber geführt,wer in welchem Land wo wann was zu sagen oder zuschreiben hat.
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Karl Schiewerling
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Als Ergebnis ist das herausgekommen, was Ihnenjetzt vorliegt. Ich sage sehr deutlich: Dieser Mindestlohnkennt keine Branchenausnahmen. Wir bauen vielmehrBrücken und Wege, um 2016 bzw. spätestens 2017 einenMindestlohn für alle zu haben. Hätten wir von Anfangan die Mindestlohnkommission gehabt, hätte sie alldiese Entscheidungen abzuwägen und zu treffen gehabt.Da es sie nicht von Anfang an gab, sondern wir einenStundenlohn festgelegt haben, mussten wir uns zwangs-läufig mit dieser Situation auseinandersetzen.Uns liegt die Situation der Menschen, die in diesenBranchen arbeiten, sehr am Herzen. Deswegen bauenwir eine Brücke. Deswegen wird auch dort der Mindest-lohn gelten, und deswegen haben wir die Strukturen sogeschaffen, dass jede Branche sich auf den Pfad begebenkann, dass es am Ende keinen Tarifvertrag mehr gibt, derunter dem Mindestlohn liegt, und dass auch diejenigen,die keinen Tarifvertrag wollen, den Mindestlohn nichtunterschreiten können.Ich halte das im Gegensatz zu Ihnen für einen ver-nünftigen Weg. Aber das hängt auch damit zusammen,dass wir als Unionsfraktion und als Koalition nicht nurfür die Frage der Mindestlöhne Verantwortung tragen,sondern auch für die wirtschaftliche Prosperität unseresLandes und für vernünftige Entscheidungen, die denMenschen dienen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Schiewerling. – Das Wort hat nun
für Bündnis 90/Die Grünen Brigitte Pothmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es istrichtig: Der Mindestlohn in Deutschland ist seit langemüberfällig.
Wir haben lange dafür gekämpft, dass der Wettbewerbnicht länger über Lohndumping ausgetragen wird. Wirhaben lange dafür gekämpft, dass Löhne von 5 oder6 Euro brutto pro Stunde endlich der Vergangenheit an-gehören. Wir haben mit anderen Worten lange dafür ge-kämpft, dass die Arbeit ihre Würde zurückerhält.
Vielleicht hat es wirklich etwas von einer historischenDimension, wie es heute in der Süddeutschen Zeitung zulesen ist, wenn wir heute die Einführung des Mindest-lohns in Deutschland beschließen. Schade ist nur, dassIhr Gesetzentwurf dieser historischen Dimension so garnicht gerecht wird.
Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen von kleinli-chen Kämpfen um politische Geländegewinne unter-einander.
Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen vom Einknickenvor mächtigen Lobbyinteressen.
Die Verlierer lassen sich genau benennen: Es sind dieLangzeitarbeitslosen, die Jugendlichen, die Zeitungszu-stellerinnen und Zeitungszusteller und die Saisonarbei-ter. Die haben heute keinen Grund, zu jubeln, FrauNahles.
Wirklich übel nehme ich Ihnen die Ausnahmen beiden Langzeitarbeitslosen. Die haben Sie auf dem Altardes Koalitionsfriedens geopfert.
Sie sind die Bauernopfer, die Sie der CDU/CSU darge-bracht haben. Eine solche Regelung gibt es in keinemeinzigen anderen Land. Dafür gibt es auch gute Gründe.Langzeitarbeitslose sind eine sehr heterogene Gruppe.Es gibt leistungsstarke, und es gibt leistungsschwache.Sie scheren sie alle über einen Kamm und stigmatisierendamit über 1 Million Menschen.
Die Botschaft, die Sie damit aussenden, lautet: Diekönnen nichts, die kriegt ihr billiger, und zwar alle, ohneAnsehen der Person. – Aber diese Botschaft ist falsch.Ich schlage Ihnen vor: Lesen Sie sich doch einfach ein-mal die Stellungnahme des IAB zu der Anhörung zumMindestlohn durch! Dann werden Sie erkennen, dassderzeitig fast die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen, dieArbeit aufnehmen, über 8,50 Euro die Stunde verdienen.Ich will jetzt einmal den Arbeitgeber, der nicht tarifge-bunden ist, sehen, der nach dieser Entscheidung nochden Mindestlohn oder sogar mehr bezahlt.Da komme ich zu der nächsten Ungereimtheit IhresGesetzentwurfs. Herr Schiewerling, Sie haben ja so gro-ßen Wert darauf gelegt, zu sagen: Dieses Gesetz heißtTarifautonomiestärkungsgesetz.
Aber von Ihrer Lohndumpingregelung für die Langzeit-arbeitslosen können nur die Betriebe profitieren, die sichaus der Tarifgemeinschaft verabschiedet haben. Es gibtkeine Tarifverträge, nach denen ehemalige Arbeitsloseweniger als 8,50 Euro verdienen. Und, meine Damenund Herren, das ist auch gut so.
Sie schaffen einen Wettbewerbsvorteil für die Be-triebe, die sich aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet
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4100 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Brigitte Pothmer
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haben. Sie konterkarieren Ihre eigenen Ziele. Wo da dieLogik ist, das müssen Sie einmal erklären.
Richtig schämen sollten Sie sich für die Sonderrege-lung für Zeitungszusteller.
Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist nun wirklich,dass Sie das jetzt auch noch pathetisch mit der verfas-sungsrechtlich geschützten Pressefreiheit begründen.Meine Damen und Herren, da lacht doch die Koralle.
Wenn die Pressefreiheit in Deutschland tatsächlich anden Dumpinglöhnen für Zeitungszusteller hängt, dannkann ich nur sagen: Gute Nacht, Marie.
Nein, diese Sonderregelung für Zeitungszusteller – dashat Ihr Sachverständiger in der Anhörung gesagt – istAusdruck äußerst gelungenen Lobbyismus. Mit anderenWorten: Sie sind einfach vor den Springers dieser Welteingeknickt. Sie wollten keine schlechte Presse, und aus-löffeln müssen das jetzt die Zeitungszusteller, die wirk-lich einen Knochenjob machen und bis 2018 auf einenMindestlohn warten müssen.Ich sage Ihnen noch etwas anderes: Sie werden sichnoch wundern, was die Sonderregelung für Saisonarbeitalles so mit sich bringt. Was in Zukunft alles Saisonar-beit sein wird, das kommt Sie teuer zu stehen.Meine Damen und Herren, die Kritikpunkte – ichkonnte sie nicht alle vortragen – wiegen wirklich schwer.Trotzdem sage ich Ihnen: Wir haben uns dazu durchge-rungen, heute mit Ja zu stimmen.
Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir einen Min-destlohn in Deutschland für dringend notwendig halten.
Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir uns weiterdafür einsetzen werden, dass dieser Mindestlohn besser,umfassender und gerechter wird.Wenn Sie so wollen, kann man das vielleicht auch einbisschen mit der aktuellen Situation der deutschen Na-tionalmannschaft vergleichen. Die Jungs spielen derzei-tig wirklich nicht gut,
und wir unterstützen sie trotzdem, weil es derzeit einfachkeine andere amtierende Nationalmannschaft gibt.
Frau Kollegin.
Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Bundes-
regierung und der Truppe von Jogi Löw. Die haben einen
in Bestform befindlichen Torhüter. Das hat diese Bun-
desregierung nicht. Sigmar Gabriel ist nicht Manuel
Neuer.
Eigentlich schade für die Geringverdienenden in diesem
Land.
Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke schön auch für
die Erkenntnis, dass die Koralle lacht. Ihre Aussage über
das Spielvermögen unserer Nationalmannschaft werden
wir morgen Abend um 18 Uhr verifizieren.
Die nächste Rednerin ist Katja Mast für die SPD.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Jeder, der hier Empörungsrhetorik anwendet, mussgut begründen können, warum er hinterher zustimmtoder das schärfste Schwert des Parlamentarismus, dieEnthaltung, wählt.
Ich will mich zu Beginn meiner Rede bei unsererBundesarbeitsministerin Andrea Nahles für die sehr guteZusammenarbeit bedanken.
In diesen Dank schließe ich das gesamte Haus ein, weilder vorliegende Gesetzentwurf unter anderem in einigenNachtschichten erarbeitet wurde. Ich danke aber auchbeiden Fraktionen sowie den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern der Fraktionen, weil alle bei den Leiden-schaftsthemen „Stärkung der Tarifautonomie“ und„Mindestlohn in Deutschland“ alles gegeben haben, wassie konnten, damit dieser Gesetzentwurf heute verab-schiedet werden kann. Vielen Dank.
Es waren anstrengende Wochen und anstrengendeVerhandlungen. Aber wir erleben heute eine historischeStunde, weil Deutschland endlich einen flächendecken-den gesetzlichen Mindestlohn von zunächst 8,50 Euro
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4101
Katja Mast
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– gleichermaßen in Ost und West sowie ohne Branchen-ausnahmen – bekommt.
Dafür haben wir in mehr als zehn Jahren mit unserenFreundinnen und Freunden von den Gewerkschaften ge-kämpft. Ich will an dieser Stelle Michael Sommer, derdas viele Jahre begleitet hat,
und Reiner Hoffmann sowie die Vorsitzenden der Ein-zelgewerkschaften, die heute anwesend sind, herzlichbegrüßen. Wir sind stolz, dass ihr mit uns diesen langenWeg gemeinsam gegangen seid.
Es war nicht immer einfach. Am Anfang mussten wiruns zusammenraufen, um überhaupt eine gemeinsamePosition einzunehmen. Dann mussten wir ziemlich langedafür kämpfen, dass der Mindestlohn kommt. Er kommteben heute.Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-ben im Wahlkampf versprochen: Mit uns gibt es nur eineRegierung, wenn dafür gesorgt wird, dass derjenige, derVollzeit arbeitet, von seiner Hände Arbeit leben kann.Dafür legen wir heute einen entsprechenden Gesetzent-wurf zur Schlussabstimmung vor. Gesagt, getan! Das istgerecht.
Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz schaffen wiraber auch etwas ganz Neues. Wir schaffen endlich bun-desweit Tarifvertragsstrukturen in Branchen, bei denenwir uns vor einem Jahr noch nicht einmal hätten vorstel-len können, dass es dort überhaupt zu Tarifverhandlun-gen kommt. Wir haben es schon in der Fleischindustrieund beim Friseurhandwerk geschafft. Das Taxigewerbeversucht, einen Arbeitgeberverband zu gründen. DieLandwirtschaft verhandelt über einen bundesweiten Ta-rifvertrag, genauso wie der DEHOGA. Das ist ein Ge-winn für unsere soziale Marktwirtschaft.
Wir schaffen das nicht nur dadurch, dass wir aufgrunddes zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes alle Bran-chen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmenkönnen. Vielmehr schaffen wir auch neue Strukturen derTarifautonomie, weil wir künftig die Allgemeinverbind-lichkeitserklärung erleichtern werden. Uns Sozialdemo-kratinnen und Sozialdemokraten als Partei der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer ist es immer wichtig,unsere Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaf-ten und den Betrieben mit unseren Gesetzen zu stärken.
Der Mindestlohn schützt aber nicht nur die Beschäf-tigten, indem er eine untere Haltelinie festlegt. DerMindestlohn schützt auch die Steuerzahlerinnen undSteuerzahler, weil keine Dumpinglöhne mehr über Steu-ergelder quersubventioniert werden müssen. Er schütztvor allen Dingen – das will ich insbesondere als Baden-Württembergerin an dieser Stelle sagen – unsere Arbeit-geberinnen und Arbeitgeber, die für faire Arbeitsbedin-gungen in ihren Betrieben sorgen.
Denn die können jetzt nicht mehr durch Dumpingkon-kurrenz ausgestochen werden. Auch das ist wichtig.
Der Mindestlohn stärkt also die soziale Marktwirtschaft,er schwächt die soziale Marktwirtschaft nicht.Ich will noch etwas zu unseren großen Punkten sagen.Wir haben auf der letzten Strecke die Generalunterneh-merhaftung durchgesetzt, sodass jetzt die gleiche giltwie im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wir haben durch-gesetzt, dass die Mindestlohnkommission ein Jahr früherdie Mindestlöhne für ungefähr 4 Millionen Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer erhöhen kann. Wir habendie Situation also im Vergleich zum Koalitionsvertragverbessert und nicht verschlechtert.
Wir haben durchgesetzt, dass alle, die in Deutschlandmorgens, nachts oder wann auch immer arbeiten gehen,ab dem 1. Januar 2015 mindestens einen Lohn von8,50 Euro bekommen. Es sind ungefähr 4 MillionenMenschen, deren Situation wir verbessern. Wir verbes-sern für alle, die die Überbrückung über das Arbeitneh-mer-Entsendegesetz nutzen, die Situation ab 1. Januar2017. Dann gilt überall der Mindestlohn von 8,50 Euro.Ich will zum Schluss kommen, Frau Präsidentin. Füruns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten istheute
ein bewegender Tag, Herr Kauder, ein echt bewegenderTag. Wir stärken die Tarifautonomie, wir stärken diesoziale Marktwirtschaft, wir stärken die Menschen, diearbeiten gehen und gute Arbeit schaffen. Wir sind stolzauf dieses Gesetz. Wir sind stolz darauf, dass wir ein-stimmig diesem Gesetz zustimmen werden.
Vielen Dank, Frau Kollegin Mast.Nicht nur die Sozialdemokraten begrüßen die Vertre-ter der Gewerkschaften. Das möchte ich jetzt auch fürdas ganze Haus tun. Michael Sommer ist schon begrüßtworden. Ich begrüße auch recht herzlich ReinerHoffmann, seinen Nachfolger, und freue mich auf einegute Zusammenarbeit mit dem gesamten Haus.
Das gilt auch für die Vorsitzenden der Einzelgewerk-schaften. Frank Bsirske, auf eine gute Zusammenarbeit!
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4102 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Bevor ich jetzt abschweife, erteile ich SabineZimmermann für die Linke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Kollegin Mast, die Agenda 2010 habenSie nicht für die Gewerkschaften gemacht. Damit habenSie garantiert, dass sich die Lohnspirale in Deutschlandin den letzten zehn Jahren immer weiter nach unten ge-dreht hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewerkschaften,Verbände, Vereine und viele andere haben seit Jahren füreinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geworben.Sie haben dafür gekämpft, sie haben dafür gestritten, undsie haben dafür demonstriert. Alle dürfen heute einenTeilerfolg einfahren.Wenn ich den Reden der CDU/CSU und der SPD hierzuhöre, dann muss ich feststellen: Sie wollen sich denErfolg einfach am liebsten allein an die Brust heften.
– Nein, hören Sie mir zu! – Ich kann Ihnen nur sagen:Ohne uns hätten Sie das alles nicht geschafft.
Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Linke die erstePartei war, die diese Frage hier im Deutschen Bundestaggestellt hat. Da Sie, Kolleginnen und Kollegen der SPD,hier so herumschreien, will ich Ihnen sagen: Wir habenzehnmal einen entsprechenden Antrag gestellt, sogarwortgleich mit Ihrem eigenen Aufruf. Sie haben immerdagegen gestimmt. Wir hätten den Mindestlohn schonfrüher haben können.
Was Sie heute hier abliefern, ist nun wirklich keinechter flächendeckender Mindestlohn, wie ihn vieleMenschen erwarten und den Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der SPD, im Wahlprogramm ausdrücklichversprochen haben. Unter den Ausnahmen Ihres Fli-ckenteppichs ist die wohl skandalöseste die geplanteAusnahmeregelung für 1 Million Menschen, die lang-zeitarbeitslos sind.
Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der Unionund der SPD: Finden Sie Stundenlöhne von 1,60 Eurovertretbar? So viel hat nämlich ein BrandenburgerRechtsanwalt mit arbeitsgerichtlicher Genehmigungzwei langzeitarbeitslosen Kollegen für Aushilfstätigkei-ten gezahlt. Das ist ungerecht. So etwas darf es in die-sem Land doch nicht geben!
Ist es das, was Sie mit Ihrer Ausnahmeregelung auchweiterhin möglich machen wollen? Müssen dafür Lang-zeitarbeitslose zu Beschäftigten zweiter Klasse degra-diert werden? Wollen Sie diesen Menschen dafür ihreWürde und ihre Wertschätzung absprechen? Und Siefrage ich: Glauben Sie ernsthaft, dass Arbeitgeber Men-schen, die zehn oder elf Monate erwerbslos gewesensind, zum Mindestlohn einstellen? Nein, das werden sienicht, weil sie dank Ihrer Regelung nur etwas zu wartenbrauchen, und dann können sie diese Kolleginnen undKollegen einstellen und unterhalb des Mindestlohns be-zahlen.Sie behaupten, Sie wollten Langzeitarbeitslosen eineChance eröffnen. Meine Damen und Herren, das ist ein-fach nur Unsinn. Sie diskriminieren die Kolleginnen undKollegen, die langzeitarbeitslos sind, und das könnenwir nicht zulassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es sind vorallen Dingen Frauen, die Sie hier diskriminieren; denndiese sind häufiger langzeitarbeitslos als Männer. Unterden betroffenen Frauen sind übrigens auch besondersviele Alleinerziehende. Ich frage Sie: Entspricht einLohn unterhalb des Mindestlohnes, der insbesondereFrauen trifft, Ihrer Vorstellung von Geschlechtergerech-tigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen der GroßenKoalition?
Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass wir so etwas indiesem Haus zulassen.
Was für Frauen gilt, gilt leider auch für Menschen mitBehinderung. Auch sie sind von Langzeitarbeitslosigkeitleider überproportional betroffen. Deutschland hat denzweitgrößten Niedriglohnsektor Europas. Damit sich dasnicht so schnell ändert, öffnen Sie großzügig die Türenzur Umgehung des Mindestlohnes. Hire and fire, anstel-len und entlassen, wird so ein attraktives Modell fürArbeitgeber werden, und das geht nicht.
Damit sich die Betroffenen dagegen auch gar nichtwehren können, halten sie zudem stur an den Sanktionenbei Hartz IV fest.
Das ist nicht nur ein sozialer Skandal, es ist auch arbeits-marktpolitisch völlig unsinnig.
Es droht ein Drehtüreffekt bei den Langzeitarbeitslosen,ein Hin- und Herpendeln zwischen kurzfristigen Dum-pingjobs und Arbeitslosigkeit. Damit wird ihnen diedauerhafte Beschäftigung verwehrt.Ich komme zum Schluss.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4103
Sabine Zimmermann
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Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was diese Ausnah-meregelung rechtfertigt.Ein Mindestlohn ohne Ausnahmen ist nur dann einMindestlohn ohne Ausnahmen, wenn der Mindestlohnkeine Ausnahmen hat. – Wer hat das wohl gesagt? Daswar der DGB. Und er hat recht! Wo bleiben denn da Ihresozialdemokratischen Wurzeln, liebe Kolleginnen undKollegen der SPD?
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss.
Ich sage Ihnen: Die Linke wird weiter für einen Min-
destlohn streiten, der seinen Namen auch verdient.
Danke schön, Frau Kollegin. – Wie ich aus gutunter-
richteten Kreisen höre, bittet der Bundesfinanzminister
um einen differenzierten Umgang mit der Spieltaktik un-
serer Nationalmannschaft. Ich übermittle diese Bitte
gerne.
Ich erteile das Wort Stephan Stracke für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Große Koalition unter Führung von AngelaMerkel ist erfolgreich. Seit 1. Juli 2014 ist die Mütter-rente da. Das nutzt über 9 Millionen Frauen, aber auchMännern in diesem Land, die in ihrem Leben viel geleis-tet haben. Jetzt bringen wir ein Gesetzespaket auf denWeg, das zum einen die tarifliche Bindung in diesemLand weiter stärken wird und zum anderen einen gesetz-lichen Mindestlohn vorschreibt. Das nutzt 4 MillionenMenschen in diesem Land, und das ist gut.
Wir stellen faire und funktionierende Wettbewerbsbe-dingungen sicher, indem wir die Sozialpartnerschaftstärken, und wir schaffen gleichzeitig einen Mindest-schutz für Beschäftigte. Ich finde, das, was wir auf denWeg bringen und Ihnen vorlegen, ist ein guter Kompro-miss, der die Vorgaben des Koalitionsvertrages umsetztund dabei auch die Belange der Wirtschaft mit in denBlick nimmt und beachtet.Dabei lassen wir uns von einem Grundsatz leiten,nämlich: Gute Leistung muss sich lohnen und soll auchfair bezahlt werden. Dafür zu sorgen, das ist Aufgabe derSozialpartnerschaft. Die Sozialpartner haben ihre Aufga-ben in den letzten Jahren hervorragend erledigt. Bei-spielhaft will ich an dieser Stelle die Branchenmindest-löhne nennen: Es liegen bereits 90 Prozent allerBranchenmindestlöhne über 8,50 Euro und knapp80 Prozent bei 10 Euro und mehr. Ich glaube, das ist einBeispiel dafür, dass Sozialpartnerschaft in diesem Landgut funktioniert, auch wenn es das eine oder andere Malwie beim Fleischereihandwerk eines Schubses bedarf.Aber insgesamt können wir feststellen: Das funktioniert.
Deswegen wollen wir in dieser Frage die Sozialpart-nerschaft stärken; denn wir wissen auch, dass die direkteTarifbindung in den letzten Jahrzehnten abgenommenhat. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen stär-ken wir zum einen die Allgemeinverbindlichkeitserklä-rung und stellen damit sicher, dass die Arbeitgeberver-bände und Gewerkschaften das Arbeitsleben künftigwieder weitgehend gemeinsam ordnen. Wir tun dies,indem wir das 50-Prozent-Quorum abschaffen und andiese Stelle ein konkretisiertes öffentliches Interesse rü-cken. Ich glaube, das ist eine gute Reform.Ein zweiter Ansatz dieser guten Reform ist es, das Ar-beitnehmer-Entsendegesetz zu verändern. Die Branchen-mindestlöhne haben sich bewährt. 4 Millionen Men-schen fallen darunter. Diesen erfolgreichen Weg wollenwir fortsetzen, indem wir das Gesetz für alle Branchenentsprechend öffnen.Wir beseitigen die weißen Flecken, die im Rahmender tarifvertraglichen Bindung entstanden sind, durcheinen Mindestlohn. Die gesetzliche Umsetzung habenwir im Dialog mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmernaller Branchen erarbeitet, um dabei mögliche Problemezu berücksichtigen.Wichtig war uns immer: Wir wollen einen Mindest-lohn mit Augenmaß.
Dies ist das zentrale Ergebnis unserer Verhandlungen.Wir haben eine Mindestlohnkommission. Diese Min-destlohnkommission haben wir gestärkt. Es gab bei demeinen oder anderen die Vorstellung, man setzt sich hierzusammen und hat eine bloße Notarfunktion gegenüberdem, was beispielsweise das Statistische Bundesamtfeststellt. Genau diesen Automatismus – unter Umstän-den bei der Anpassung der Mindestlöhne nach oben –wollen wir nicht. Die Sozialpartner haben anfangs ge-sagt: Wir brauchen eigentlich gar keine Geschäftsstelle.Ein bloßes Sekretariat würde vielleicht genügen. – Klar,wenn man zum Kaffeetrinken zusammenkommen will,dann braucht man unter Umständen nur ein Sekretariat.Aber genau das ist nicht unser Ansatz, sondern unserAnsatz ist es, dass wir verantwortungsvoll vorgehen,wenn es darum geht, Mindestlöhne zu überprüfen undunter Umständen zu einer Erhöhung zu kommen. DieserVerantwortung müssen und sollen auch die Sozialpartnergerecht werden. Genau deswegen haben wir die Min-destlohnkommission in unserem Gesetz stärker in diePflicht genommen,
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4104 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Stephan Stracke
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indem wir beispielsweise eine Evaluation vornehmenlassen, bei der vor allem der Blick darauf gerichtet wer-den soll: Wie ist der Schutz der Arbeitnehmer? Wie ist esmit den Wettbewerbsbedingungen? Wie ist die Beschäf-tigung in bestimmten Branchen und Regionen?Es ist im Übrigen nicht die einzige Evaluation, son-dern wir wollen eine breite wissenschaftliche Expertiseim Land darüber haben, wie der gesetzliche Mindestlohnwirkt. Deswegen sagen wir: Der Mindestlohn soll evalu-iert werden. Aber die Bundesregierung soll das Gesetzauch insgesamt evaluieren. Bevor sich dann dieMindestlohnkommission im Jahre 2016 an die Arbeitmacht, sollen zusammen mit dem IAB bereits gewisseGrunddaten festgestellt werden, damit wir Sicherheit da-rüber haben, wie es sich insgesamt auswirkt.Ein Mindestlohn mit Augenmaß bedeutet auch im-mer, dass wir diesen an der Lebenswirklichkeit messen.Deswegen war für uns eine Regelung wichtig, die diePraktikantenverhältnisse umfasst. Auch wir als Bundes-tagsabgeordnete erleben es doch oft, wenn wir beispiels-weise Lebensläufe von Bewerberinnen und Bewerbernbekommen, dass sie sehr viele Praktika machen, ganzüberwiegend nach Abschluss eines Studiums. Es istnicht Ausdruck von Wertschätzung gegenüber zum Teilsehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass sie aufPraktika verwiesen werden und nicht eine Anstellung er-halten, sei sie auch befristet. Deswegen verändern wirdas. Wir sagen, die Generation Praktikum hat keineZukunft mehr.
Deswegen verändern wir dies im Rahmen des Min-destlohngesetzes, indem wir zum einen Pflichtpraktikavom Mindestlohn ausnehmen und zum anderen dieAttraktivität von freiwilligen Praktika erhalten. Wir sindmit einem Vorschlag von vier Wochen gestartet undkommen nun mit einer Regelung von drei Monaten he-raus. Ich glaube, das ist eine gute Lösung.Eine weitere gute Lösung sind die Sonderregelungen,die wir getroffen haben, gerade auch was die Befürch-tungen von einzelnen Branchen angeht, Befürchtungen,die beispielsweise an uns herangetragen wurden vonsei-ten der Obst- und Gemüsebauern, die Angst haben umihre Zukunft, oder aus dem Bereich des Gaststätten- undHotelgewerbes. Beides hat ja die Ministerin mit großerAbsicht auch in den Blick genommen. Wir haben jetztentsprechende Regelungen im Rahmen eines Maßnah-menbündels getroffen. In diesem Zusammenhang dankeich ganz herzlich unserem Bundeslandwirtschaftsminis-ter Christian Schmidt, der hier wirklich eine hervorra-gende Arbeit geleistet hat, damit dieses Maßnahmenbün-del tatsächlich gut ist.
Kost und Logis werden auf den Mindestlohn ange-rechnet, und zwar dauerhaft. Das ist eine gute Regelung.Hier können bis zu 450 Euro im Monat bei der Monats-abrechnung ausgewiesen werden.Wir weiten den Begriff der kurzfristigen Beschäfti-gung aus. Als kurzfristig gilt eine Beschäftigung bis zu70 Tagen bzw. drei Monaten – befristet auf vier Jahre.Was in der Praxis auch von wesentlicher Bedeutungist: Wir schützen den redlichen Arbeitgeber, der auf dieRichtigkeit von ausländischen Sozialversicherungs-bescheinigungen vertraut. Wir haben uns darauf verstän-digt, dass er von der unter Umständen drohenden dop-pelten Beitragszahlung – das ist die Gefahr – freigestelltwird. In dem Fall, dass er an die Sozialversicherung desHerkunftslandes zahlt und sich herausstellt, dass das zuUnrecht geschehen ist, gilt diese Zahlung gegenüber derdeutschen Sozialversicherung als geleistet, und zwar un-abhängig von der tatsächlichen Höhe. Ich finde, das istein guter Kompromiss, und das zeigt, dass wir hier fürdie Saisonarbeit insgesamt gute Maßnahmen getroffenhaben.
Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Menschen mitBehinderung. Mit Blick auf Arbeitsverhältnisse, für diein Zukunft der Mindestlohn gilt, darf es nicht dazu kom-men, dass Menschen, die in Integrationsfirmen beschäf-tigt sind – da gibt es auch Zuschüsse –, die Ersten sind,die dann auf der Straße landen. Deswegen haben wir unspolitisch dahin gehend verständigt, dass wir unter Um-ständen die Fördermöglichkeiten anpassen werden,wenn es zu Verwerfungen kommen sollte. Auch das istein gutes Ergebnis.
Klar ist natürlich auch: Der Mindestlohn muss kon-trolliert werden. Wir haben hier die goldene Mitte ge-funden, was den administrativen Aufwand angeht.Deswegen wird das BMF im Rahmen einer Verord-nungsermächtigung in Zukunft im Einvernehmen mitdem BMAS die Art und Weise der Erfüllung der Doku-mentationspflichten gegebenenfalls anpassen. Auch dasist etwas, was der Wirtschaft insgesamt guttut.
Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom
Kollegen Birkwald?
Ja, herzlich gern. Meine Zeit wäre jetzt abgelaufen.
Ich verstehe auch nicht, warum der Kollege das jetzt
macht; aber gut.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Zwi-schenfrage zulassen! Auch an Sie, Herr Stracke, vielenDank! – Außerdem: Ihre Zeit ist zum Glück noch nichtabgelaufen; nur Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Das istdoch ein bedeutsamer Unterschied.
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Matthias W. Birkwald
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Sie haben eben über zahlreiche Ausnahmen beimMindestlohn gesprochen. Sie haben in Ihrer Aufzählungaber eine Ausnahme nicht erwähnt, und das ist die Aus-nahme der Zeitungszusteller und Zeitungszustellerinnen,
die heute schon ein paar Mal angesprochen wurde.Ein Thema ist dabei allerdings nicht behandelt wor-den. Wir haben gestern im Ausschuss zusammen darüberdiskutiert. Heute lesen wir in der Beschlussempfehlung,dass unter bestimmten Bedingungen bei den Zeitungszu-stellern und -zustellerinnen das Wegegeld als Entgelt-bestandteil auf den Mindestlohnanspruch angerechnetwerden kann. Das heißt, die Zeitungszustellerinnen undZeitungszusteller kriegen für ihren harten Job früh amMorgen und spät in der Nacht nicht nur lediglich6,38 Euro im kommenden Jahr und 7,23 Euro im Jahrdanach, sondern darauf soll zum Teil auch noch Wege-geld angerechnet werden. Da würde ich Sie bitten, a) unseinmal zu erläutern, wie das gedacht ist, und b) das zubewerten.Meine zweite Frage an Sie ist: Wie ist denn dann derMindestlohn Ihrer Regierung überhaupt definiert? Soweiß doch überhaupt niemand mehr, was gilt. Deswegen– Sie haben gerade über die Kontrolle gesprochen – hatheute ein Forscher vom DIW, Herr Brenke, gesagt: „DasProblem der Kontrolle ist überhaupt nicht gelöst.“ Wiedas werden soll, ist unklar.Zu den Zeitungszustellern will ich zum Schluss nochsagen: Diese Männer und Frauen, die jede Nacht bzw.morgens früh dafür sorgen, dass wir die Zeitung imBriefkasten haben, leisten einen knallharten Job, beiWind und Wetter. Ich habe mich am 16. April von3.30 Uhr bis 5.30 Uhr bei einem Selbstversuch davonüberzeugen können. Ich sage: Sie brauchen den vollenMindestlohn ab sofort.
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Da sieht man
einmal, was ein Rollentausch – angeblich – an Erkennt-
nisgewinn für den einen oder anderen bringen kann.
Bei uns ist das nicht nötig. Wir haben uns intensiv mit
den Dingen beschäftigt. Insofern geht es vor allem da-
rum, dass wir keine Sonderregelung auf den Weg brin-
gen wollen, was das Wegegeld angeht. Es besteht bereits
jetzt die gesetzliche Möglichkeit, dass das Wegegeld,
solange es Entgeltbestandteil ist, auf den Mindestlohn
angerechnet wird. Das ist nichts Neues. Wenn Sie das
mit den Aufwendungen beispielsweise für Fahrtkosten
vergleichen, so muss man sagen: Das ist selbstverständ-
lich nicht auf den Mindestlohn anrechenbar.
Wir werden im Rahmen einer Durchführungsverord-
nung alle diese Fragen, auch was die Anrechenbarkeit
angeht, klarstellen, sodass auch die Rechtspraxis in die-
sen Dingen hinreichende Klarheit hat. In dem Gesamtzu-
sammenhang stellt es sich so dar, dass man nicht sagen
kann: Wir haben es hier, was Ausnahmen angeht, mit ei-
nem Schweizer Käse zu tun. – Ganz im Gegenteil: Jede
Ausnahme lässt sich gut begründen. Das betrifft die
Praktikanten, das betrifft die Langzeitarbeitslosen; das
betrifft die unter 18-Jährigen.
Insgesamt stellt dieses Gesetzgebungsvorhaben einen
guten Kompromiss dar und verdient Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
Das war es jetzt offensichtlich. Danke schön, HerrStracke. – Jetzt hat das Wort Beate Müller-Gemmeke fürBündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! In den letzten Wochen wurde heftiggestritten und gedealt wegen eines Mindestlohnes von8,50 Euro. Ich frage mich wirklich: In welcher Welt le-ben wir eigentlich?
In einem reichen Land wie Deutschland muss dieserMindestlohn nicht nur möglich sein, sondern eigentlichmuss mehr möglich sein.
Mit „mehr“ meine ich Tariflöhne. Deshalb stimmenwir heute nicht nur über den Mindestlohn ab, sondernüber das Tarifautonomiestärkungsgesetz. Es geht um denDreiklang von Mindestlohn und Erleichterungen im Ta-rifvertragsgesetz und im Arbeitnehmer-Entsendegesetz.Der Mindestlohn soll das Tarifsystem von unten stützenund im Zusammenspiel mit Branchenmindestlöhnen undTarifverträgen, die für alle Beschäftigten einer Branchegelten, die Tarifbindung erhöhen. Endlich wird die Tarif-flucht nicht mehr ignoriert, sondern bekämpft. Es gehtum soziale Leitplanken, die die Tarifpartnerschaft wirk-lich stärken.
Endlich setzt die Bundesregierung um, was wir Grünenbereits 2011 auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Die Maßnahmen sind bitter nötig; denn viel zu vieleUnternehmen haben sich in den letzten Jahren aus derTarifpartnerschaft verabschiedet. Die Tarifbindung sinkt.Heute sind nur noch knapp 60 Prozent der Beschäftigtendurch tarifliche Vereinbarungen geschützt. Deshalbkonnte sich in Deutschland im Vergleich zu anderen eu-
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Beate Müller-Gemmeke
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ropäischen Ländern auch ein ausgeprägter Niedriglohn-bereich entwickeln. Die Tarifflucht hält die Löhne auchinsgesamt auf niedrigem Niveau, insbesondere bei denunteren Einkommen. Das Tarifsystem muss also gestärktwerden; denn die Beschäftigten haben faire Löhne, alsoTariflöhne, verdient.
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Intention desTarifautonomiestärkungsgesetzes unterstütze ich alsovon ganzem Herzen. Kritik aber haben wir bei derAusgestaltung. Den Beschäftigten wurde ein flächen-deckender gesetzlicher Mindestlohn versprochen. Dergesetzliche Mindestlohn kommt, aber für viele Men-schen nur auf dem Papier; denn gleichzeitig entsteht einneuer Niedrigstlohnbereich. Die Sonderregelungen undAusnahmen sind fatal. Sie sind nicht akzeptabel. DerMindestlohn wird zum Flickenteppich, und zwar zulas-ten der Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt. Soziale Ge-rechtigkeit sieht anders aus.
Die Ausnahmen bei den Arbeitslosen gehen mir be-sonders unter die Haut. Damit stigmatisieren sie dieMenschen und behandeln sie wie Beschäftigte zweiterKlasse; denn trotz Mindestlohn gilt für Langzeitarbeits-lose weiterhin nur die Grenze der Sittenwidrigkeit. Daswerden wir immer und immer wieder kritisieren.
Die Ausnahmen treffen aber nicht nur die Menschendirekt, sondern sie wirken auch kontraproduktiv. Dennsie schwächen das Tarifsystem, anstatt es zu stärken,weil die Ausnahmen nur von tarifungebundenen Betrie-ben genutzt werden können. Das Gleiche gilt für dieneue Sonderregelung für die Zeitungsverleger. Eigent-lich wollen Sie ja die Tarifbindung erhöhen. Jetzt ent-lasten Sie aber eine Branche, die Tarifverhandlungenablehnt. Das alles macht einfach keinen Sinn. Das ist wi-dersinnig und deshalb nicht akzeptabel.
Ein anderes Beispiel. Im Tarifvertragsgesetz fällt jadie 50-Prozent-Hürde. Das ist richtig. Nur so könnenmehr Branchen beantragen, dass ihre Tarifverträge füralle Beschäftigten gelten, und damit verhindern, dass dieSchmutzkonkurrenz in den eigenen Reihen immer grö-ßer wird. Das ist ausdrücklich auch unser Ziel. Über-haupt nicht nachvollziehbar ist aber, dass Sie das Ab-stimmungsverfahren im Tarifausschuss nicht verändern.Es können zwar leichter Anträge auf Allgemeinverbind-licherklärung gestellt werden, im Tarifausschuss könnendiese Anträge aber weiter blockiert werden. Das machtkeinen Sinn. Das ist nicht schlüssig und auch nicht kon-sequent.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie-rungsfraktionen, das Tarifautonomiestärkungsgesetz al-lein reicht nicht aus. Der gesetzliche Mindestlohn unddie branchenspezifischen Mindestlöhne müssen auch tat-sächlich durchgesetzt werden. Die möglichen Ausweich-manöver sind bekannt: Scheinwerkverträge, Schein-selbstständigkeit, fingierte Stundenabrechnungen. Hiersind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Notwendig sindalso effektive Kontrollen. Die Finanzkontrolle Schwarz-arbeit hat aber schon heute zu wenig Personal. DieZollgewerkschaft fordert ja mindestens 2 000 bis 2 500neue Stellen. Sie haben im Haushalt 2014 keine einzigezusätzliche Stelle bewilligt. Für 2015 scheint es so, alswürden Sie, wenn überhaupt, maximal 500 Stellen be-willigen. Effektive Kontrollen gibt es nicht zum Nullta-rif. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßenden Dreiklang im Tarifautonomiestärkungsgesetz; dennfür tariftreue Betriebe entsteht so ein verlässlicher Wett-bewerbsrahmen und Schutz vor Dumpingkonkurrenz.Tarifflucht hingegen wird sich zukünftig immer wenigerlohnen, zum Vorteil der Beschäftigten. Aber ich mussschon sagen: Wir hätten das Tarifautonomiestärkungs-gesetz besser gemacht. Dennoch: Die Richtung stimmt.Deshalb werden wir trotz der vielfältigen Kritik auch zu-stimmen. Wir bleiben aber dran. Wir werden die Unge-rechtigkeiten weiter aufzeigen und notwendige Korrek-turen einfordern; das kann ich Ihnen versichern.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke auch, dass Sie die
Redezeit eingehalten haben. – Nächste Rednerin:
Dr. Carola Reimann für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir schließen heute mit dieser Lesung eine in-tensive parlamentarische Debatte zum Tarifpaket ab. Wirhaben, wie in Gesetzgebungsverfahren üblich, in denletzten Wochen bei ein paar wenigen Punkten nochÄnderungen und Präzisierungen vorgenommen. Bei derDebatte über diese letzten Änderungen darf man nichtaus dem Blick verlieren, was wir mit diesem Gesetz er-reichen werden: Deutschland bekommt einen flächende-ckenden gesetzlichen Mindestlohn.
Für Millionen von Menschen bedeutet dies die größteGehaltserhöhung ihres Lebens. Das, meine Damen undHerren, ist eine der größten Sozialreformen in der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutschland.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4107
Dr. Carola Reimann
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Kolleginnen und Kollegen, wir haben von Anfang anklargemacht, dass wir die Sorgen einzelner Branchensehr ernst nehmen und mögliche Probleme bei derUmsetzung berücksichtigen. Deshalb haben wir im Ko-alitionsvertrag vereinbart, eine zweijährige Übergangs-zeit zu ermöglichen, wenn tarifvertragliche Lösungenvereinbart werden. Und deshalb gab es auch einen inten-siven Branchendialog. Für diese umfangreichen Gesprä-che will ich mich hier ausdrücklich bei der Ministerinund ihrem Haus bedanken. Durch sie konnten in Bran-chen tarifvertragliche Vereinbarungen gefunden wer-den, die man bisher wohl als tarifpolitisches Niemands-land bezeichnen musste. Wir setzen damit nicht nureinen ersten Mindestlohn in Branchen fest, die vonLohndumping geprägt waren. Wir haben damit zugleichauch die Tarifautonomie gestärkt – und das alles, bevordas Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist.
Das Beispiel zeigt: Dialog und Praxisnähe lohnen sich,und vor allen Dingen lohnt es sich, auf das Erfolgsmo-dell Tarifpartnerschaft zu setzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir habenbei der Gesetzgebung eine klare Linie verfolgt: Hilfenfür praxistaugliche Übergänge ja, aber keine Branchen-ausnahmen. Genau so sieht das Gesetz aus, das nun vor-liegt. Wer hier große Ausnahmen anprangert, redet ein-fach an der Sache vorbei.
Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro,flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Sehr gern.
Dann ist Herr Ernst jetzt dran.
Danke schön. – Frau Kollegin, ist Ihnen noch folgen-
der Satz bekannt? Ich zitiere:
Es muss sichergestellt werden, dass kein Arbeit-
suchender auf einen Arbeitsplatz unterhalb der
ortsüblichen Entlohnung verwiesen wird. Der Min-
destlohn von 8,50 Euro muss in jedem Fall gewähr-
leistet sein.
Ich helfe Ihnen weiter: Das ist aus Ihrem Wahlpro-
gramm.
Jetzt habe ich heute hier viele Stimmen aus Ihrer Par-
tei gehört, die gerade jene Regelung verteidigen, nach
der Arbeitsuchende sechs Monate lang keinen Mindest-
lohn bekommen; sie gilt übrigens nicht befristet, sondern
auf Dauer. Wie kriegen Sie das mit Ihrem Wahlpro-
gramm zusammen?
Lieber Kollege Ernst, auch da bitte ich um ein biss-chen Differenzierung. Es geht um die Langzeitarbeitslo-sen; aber Arbeitsuchende werden Mindestlohn erhalten –
in vielen Branchen hoffentlich die Löhne, die in den Ta-rifen vorgesehen sind.
Die Ausnahme für Langzeitarbeitslose ist hier mehrfachangesprochen worden. Es ist ein offenes Geheimnis,dass wir Sozialdemokraten auch diese Ausnahme liebernicht gehabt hätten. Aber Sie haben auch die Begrün-dung gehört: Es soll verhindert werden, dass die Hürdebeim Zugang zum Arbeitsmarkt – man muss fairerweisesagen, dass sich diese Leute sehr schwertun und Arbeit-geber ihnen in vielen Fällen keine Chance geben; das istsehr mühsam, und in fast allen Fällen ist Unterstützungnötig – höher gelegt wird. Das haben wir mit dem Koali-tionspartner vereinbart.Wir haben darüber hinaus in den letzten Änderungen,die ich angesprochen habe, eine Evaluierung vorgese-hen, die vorgezogen werden soll, weil wir das sehr genaubeobachten wollen.
Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro,flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme. Da-von profitieren fast 4 Millionen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und, Kollegin Zimmermann, insbesonderesehr viele Frauen.
Es profitieren nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, sondern auch die Unternehmen – die redli-chen Unternehmen nämlich, die beim Unterbietungs-wettbewerb auf dem Rücken der Menschen nichtmitmachen. Ich freue mich, dass wir das nun gegen alleWiderstände durchsetzen konnten.Kolleginnen und Kollegen, ich will einen weiterenPunkt ansprechen. Mit dem Tarifpaket beenden wir auchdie Auswüchse bei der Generation Praktikum. Wir dul-den nicht länger, dass sich gut ausgebildete und hochmo-tivierte junge Menschen mit einer abgeschlossenen Be-rufsausbildung von Praktikum zu Praktikum – mies odergar nicht bezahlt – hangeln müssen. Mit dem vorliegen-den Gesetz verhindern wir Ausbeutung und ermöglichendoch weiterhin Qualifizierung und Orientierung wäh-
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4108 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Carola Reimann
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rend der Ausbildung. Auch dies ist eine sehr praxisnaheLösung im Interesse der jungen Menschen.Dazu zählt auch, dass es in Zukunft zu jedem Prakti-kum einen schriftlichen Vertrag gibt. Dort werden Ziele,Arbeitszeiten und vor allem Vergütung festgehalten. Da-mit stärken wir nicht nur die Rechte der Praktikantinnenund Praktikanten, sondern senden auch eine klare Bot-schaft aus: Wir brauchen unsere gut qualifizierten Nach-wuchskräfte und anerkennen ihre Leistungen durch guteArbeitsbedingungen auch bei Praktika.
Das wird im Übrigen auch für die Praktikantinnen undPraktikanten des Deutschen Bundestages gelten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in denvergangenen Wochen intensive Gespräche geführt, Prä-zisierungen vorgenommen und nicht wenige Angriffeauf den Mindestlohn abgewehrt. Ich bin sicher, wir ha-ben eine Regelung gefunden, die für mehr Ordnung amArbeitsmarkt sorgt, einen neuen Fairnessstandard setztund sich in der Praxis bewähren wird.Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen danken, dieüber viele Jahre hinweg gegen große Widerstände fürdiesen Mindestlohn gekämpft haben. Sie alle könnenheute zu Recht stolz auf sich sein. Mein ganz besondererDank gilt unserer Ministerin Andrea Nahles, die diesesGesetz mit uns gemeinsam mit viel Engagement, mitviel Herzblut und mit großer Ausdauer auf den Weg ge-bracht hat.
Ich bin sicher: Der Mindestlohn wird eine Erfolgsge-schichte. Er wird nicht nur knapp 4 Millionen Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmern helfen, er wird auch unse-rem Land guttun.Danke fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Matthias
Zimmer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn esrichtig ist, dass es Aufgabe des Staates ist, in der sozia-len Marktwirtschaft Schiedsrichter des Wettbewerbs,Hüter des Gemeinwohls und vor allem Anwalt für dieSchwachen zu sein, dann ist der Mindestlohn, wie wirihn heute beschließen, ordnungspolitisch richtig undnormativ geboten.
Und doch ist es richtig, auf einige kritische Argumenteeinzugehen.Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hatdurchaus recht, wenn sie sagt: Die Mindestlohndebatteist geprägt von Halbwissen und Mythen. Leider stam-men viele der aus Halbwissen vorgetragenen Mythenvon dieser Initiative selbst.
So behauptet die Initiative, der Mindestlohn gefährdeArbeitsplätze, und sie begründen das mit den ökonomi-schen Theorien. Nun kann man aus schiefen Annahmenin der ökonomischen Theorie immer die passendenSchlüsse ziehen. Deswegen lohnt ein Blick in die empi-rische Wirklichkeit.In Großbritannien ist der Mindestlohn 1998 einge-führt worden. Wir haben die zuständige Mindestlohn-kommission dort besucht und gefragt: Hat der Mindest-lohn Arbeitsplätze gekostet? Die eindeutige Antwortwar: Nein, auch nicht in strukturschwachen Gebieten.
Das ist alles sehr genau untersucht worden, und es ent-spricht auch den Ergebnissen der internationalen For-schung.
Nun wird man einwenden: Na ja, der Mindestlohn istin Großbritannien doch viel niedriger. Das ist richtig.Aber man muss die Zahlen vergleichbar machen. DerMindestlohn liegt in Großbritannien bei etwa 53 Prozentdes Medianlohnes, in Deutschland wären es 2015 weni-ger als 52 Prozent des Medianlohnes; das ist also durch-aus vergleichbar.Nein, hier drängt sich der Verdacht auf, meine Damenund Herren, dass es der Initiative Neue Soziale Markt-wirtschaft nicht um das Erbe von Ludwig Erhard geht.Sie halten Verwerfungen und Verzerrungen der Wettbe-werbsordnung in der sozialen Marktwirtschaft für nor-mal, weil der Markt nun einmal so ist, wie er ist. Nein,hier – der Verdacht drängt sich auf – will jemand das So-ziale neu denken, während es doch darauf ankommt, dasNeue sozial zu denken.
Das Neue ist: Die Tarifbindung hat deutlich abge-nommen. Die Tarifpartner erreichen heute viele Arbeits-verhältnisse nicht mehr. Dadurch kommt es zu einemNiedriglohnsektor, den viele für ungerecht halten. Er istes auch; denn nichtauskömmliche Löhne müssen durchden Staat aufgestockt werden.
Der Niedriglohnsektor ist eine Subvention nichtaus-kömmlicher Löhne. Mir ist überhaupt nicht bekannt,dass sich die Ideologen der Neuen Sozialen Marktwirt-schaft jemals über diese Subventionen beschwert hätten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4109
Dr. Matthias Zimmer
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Wenn die gesellschaftlichen Kräfte wie Arbeitgeberund Arbeitnehmer etwas nicht mehr regeln können, wirdsubsidiär der Staat tätig. Das ist eine der wunderbarenIdeen aus der katholischen Soziallehre, die auch denGeist der sozialen Marktwirtschaft durchdrungen haben.Subsidiarität heißt auf der einen Seite: Kompetenz-anmaßungsverbot. Der Staat soll nicht eingreifen, wo esdie Menschen oder die sozialen und gesellschaftlichenAkteure selbst richten könnten. Insofern ist Subsidiaritätein wirksames Instrument gegen Staatsallmachtsideolo-gien. Subsidiarität heißt aber auch: Hilfestellungsgebot,wo die Menschen und die sozialen Akteure einen Rege-lungsbereich nicht mehr durchdringen können. Das isthier der Fall.Die Ordnung der Lohnfindung in unserer sozialenMarktwirtschaft ist aus den Fugen geraten. Gewerk-schaften und Arbeitgeber alleine können es nicht richten.Deswegen ist der gesetzliche Mindestlohn, wie wir ihnheute verabschieden, eine subsidiäre Maßnahme. Er isteine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaftaus dem System der sozialen Marktwirtschaft heraus. Erentspricht der Denklogik, indem er der sozialen Markt-wirtschaft ein Ordnungsgefüge einzieht und Lohnspira-len nach unten verhindert.
Wir anerkennen damit auch, dass der Arbeitsmarktein besonderer Markt ist, nicht einer, auf dem Pfefferund Käse, Gurken und Wein gehandelt werden und le-diglich das Spiel von Angebot und Nachfrage gilt. Nein,der Arbeitsmarkt ist ein abgeleiteter Markt, und er hat et-was mit Wertvorstellungen zu tun, die jenseits der Preiseangesiedelt sind. Aus unserem Selbstverständnis alschristliche Demokraten gehört nämlich die Arbeit zurIdentität des Menschen und darf deswegen nicht voll-ständig dem Markt unterworfen sein.
Meine Damen und Herren, sozial ist nicht, was Arbeitschafft – das war schon immer eine gedankenlose undfalsche Aussage –,
sondern sozial ist, was gute Arbeit schafft. So denkenwir als christliche Demokraten
das Neue sozial in der Tradition von Ludwig Erhard undin der Tradition der Sozialphilosophie der Kirchen.Wir haben lange gerungen, bis dieses Gesetz zustandegekommen ist. Viele berufene und unberufene Stimmenhaben sich zu Wort gemeldet. Einige haben zur Verbes-serung des Gesetzgebungsprozesses geführt, anderenicht. Mich hat häufig überrascht, wie sehr alle im Prin-zip den Mindestlohn begrüßt haben, aber doch bitte nichtin dieser oder jener Branche. Und tatsächlich, es gab inder ein oder anderen Branche objektive Probleme. Siesind aus meiner Sicht aber sehr konstruktiv abgearbeitetworden.Ein bemerkenswertes Argument hat aus meiner SichtProfessor Di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter,vorgetragen. Er argumentiert, die Einführung eines Min-destlohnes bei der Zeitungszustellung könne gegen diePressefreiheit verstoßen. Nun sind Professoren klugeLeute, und Verfassungsrichter sind das allemal. Abernicht alles, was sie sagen, ist gleichermaßen klug.
Ich habe den Eindruck, die Klugheit der Argumentenimmt deutlich ab, wenn man sie in fremdem Auftragentwickelt und vorbringt.
Professor Di Fabio hat einmal in einem bemerkenswer-ten Buch geschrieben, bürgerlich sei es, Freiheit auch alsFreiheit zur Bindung zu begreifen. Zumindest hat er unsnicht im Unklaren darüber gelassen, an wen er sich ge-bunden hat.
Meine Damen und Herren, am Ende verabschiedenwir heute einen Kompromiss. Wir als christliche Demo-kraten hätten sicherlich vieles anders geregelt, die Kolle-gen von der Sozialdemokratischen Partei sicherlichauch.
Entscheidend ist aber, dass wir uns in die Augen sehenund sagen können: Wir haben eines der großen kontro-versen Themen der vergangenen Jahre vernünftig gere-gelt. Von diesem Gesetz werden viele Menschen profi-tieren, denn sie haben ab 1. Januar 2015 einengesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn. Von demGesetz werden viele Betriebe profitieren, denn Wettbe-werbsvorteile durch Lohndrückerei wird nicht mehrmöglich sein.
Von dem Gesetz können auch die Sozialversicherungenprofitieren, denn es wird mehr einbezahlt. Nicht zuletztprofitiert auch die Zeitautonomie der Abgeordneten, diesich mit dem Thema über Jahre beschäftigt haben.
Wir werden heute entscheiden. Unsere Arbeit ist damitgetan. Unsere Aufgabe ist erfüllt. Ich denke, wir habenGutes getan.
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4110 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
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Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt Bernd Rützel das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Stär-
kung der Tarifautonomie. Prominentester Teil dieses
Gesetzes ist zweifelsohne der Mindestlohn, der allge-
meine und flächendeckende Mindestlohn. Zur histori-
schen Dimension dieser Einführung haben wir in der
letzten Stunde viel Richtiges und Wichtiges gehört. Wer
genau hingehört hat, hat vielleicht erkannt, was wirklich
wichtig ist und was nur vorgeschoben ist. Der Mindest-
lohn ist aber nicht das Ziel, sondern er ist ein Stück des
Weges, ein breites und gut ausgebautes Wegstück, kein
„Flickenteppich“. Das Ziel ist die Stärkung der Tarifau-
tonomie.
Die Geschichte der Tarifautonomie ist im Grunde die
Geschichte des Kampfes von benachteiligten Menschen,
nicht nur zur Sicherung eines lebenswerten Daseins,
sondern oftmals zur Erlangung einer existenzsichernden
Versorgung. Die Tarifautonomie, wie wir sie heute ken-
nen, dient dem Wohle der Menschen, aber auch und vor
allem dem Wohle der ganzen Volkswirtschaft. Um diese
Tarifautonomie – das haben wir in England wieder
gehört – beneiden uns viele Länder. Die Sozialpartner
haben sich oft gestritten. Es wurde gestreikt, aber die
Sozialpartner haben immer wieder verhandelt und
schließlich Frieden geschlossen. Es gab immer eine Ver-
lässlichkeit in diesem System.
Aber in den letzten 20 Jahren ist etwas aus dem Ruder
gelaufen. Die Löwen haben gebrüllt. Man hat den brül-
lenden Löwen ein Stück Fleisch hingeworfen, aber sie
sind nicht ruhiger geworden. Sie haben immer lauter ge-
brüllt, und mit jedem Stück Fleisch haben sie noch mehr
verlangt. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind ge-
fordert. Wir werden dafür sorgen, dass wieder Ordnung
herrscht. Untertarifliche Entgelte, die Streichung oder
Kürzung von Sonderzuwendungen, längere Arbeitszei-
ten und vieles mehr wollen wir nicht. Das ist die falsche
Weichenstellung. Es muss sich etwas ändern. Heute set-
zen wir ein ganz wichtiges Zeichen. Das ist ein Signal
und eine wichtige Weichenstellung. Vielen Dank an die
Bundesarbeitsministerin.
Vielen Dank an alle, die tatkräftig und sehr effektiv in
den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben.
Herr Kollege Rützel, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Schlecht?
Ja, bitte.
Lieber Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen hinsicht-
lich der positiven Würdigung der Tarifautonomie über-
ein. Auch ich bin der Meinung, dass diesbezüglich man-
ches, wie Sie es gesagt haben, „aus dem Ruder gelaufen“
ist; ich finde, das ist noch eine relativ harmlose Formu-
lierung. Wenn Sie das so sehen, sind Sie dann auch mit
mir der Meinung, dass in diesen Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Tarifautonomie, mit dem erstmalig
offiziell anerkannt wird, dass politische Rahmenbedin-
gungen etwas mit der Handlungsfähigkeit von Gewerk-
schaften in der Tarifpolitik zu tun haben – bisher ist das
ja immer negiert worden –, eine ganze Menge mehr
hineingehörte, zum Beispiel eine Neuregelung hinsicht-
lich der Befristungen, damit dieses elende Befristungs-
wesen abgeschafft wird, eine Regelung zur Leiharbeit,
eine Regelung, nach der Werkverträge nicht mehr mög-
lich sind, usw.? Ich könnte Ihnen eine Reihe weiterer
Maßnahmen aufzählen. Das ist doch nur Stückwerk, was
hier vorgelegt wird.
Herr Schlecht, ich habe Ihnen doch das mit denLöwen erklärt. Die Weichenstellung war falsch. Ich binIhnen dankbar für diese Zwischenfrage. Es ist richtig:Das, was wir jetzt gebaut haben, ist ein erstes, breites,wichtiges Stück auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit inder Arbeitswelt, im Tarifvertragswesen und in der Tarif-autonomie. Diesen Weg werden wir weitergehen. DiePunkte, die Sie angesprochen haben, werden wir nachder Sommerpause wieder auf der Agenda haben; denn esgeht weiter.
Wir werden als Nächstes in diesem Gesetz die Allge-meinverbindlichkeit stärken. Das ist ein vielleicht nochwichtigerer Punkt. Dies wird dazu führen, dass Gewerk-schaften und Arbeitgeber künftig wieder mehr Tarifver-träge aushandeln und diese für wesentlich mehr Men-schen bzw. für die breite Masse gelten werden. Die starre50-Prozent-Marke, die aufgrund der abnehmenden Tarif-bindung immer schwieriger zu erreichen war – das wirdsich in Zukunft wieder ändern –, schaffen wir ab. Esmuss ein öffentliches Interesse vorliegen; das ist zukünf-tig das entscheidende Kriterium für die Allgemeinver-bindlichkeitserklärung.
Damit werden auch die Trittbrettfahrer erfasst, diesich die Ordnungsfunktion eines Tarifvertrages zunutzemachen, aber nicht Mitglied in einem Verband sind,keine Mitgliedsbeiträge zahlen und Tarifverträge nachGutsherrenart anwenden. Das wird nach diesem Gesetznicht mehr möglich sein.Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit derÖffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alleBranchen schaffen wir eine wichtige Grundlage für ei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4111
Bernd Rützel
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nen fairen Wettbewerb und gleichzeitig gleiche undgerechte Arbeitsbedingungen unabhängig von der Her-kunft von Arbeitgeber und Beschäftigten. Wahrlich:Heute ist ein historischer Tag.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Wilfried Oellers,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung denEntwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Die be-sondere Bedeutung des Gesetzespakets wurde von denVorrednern schon hervorgehoben. Die besondere Bedeu-tung ist natürlich auch mit besonderen Auswirkungenverbunden. Das Mindestlohngesetz legt einen Mindest-lohn von 8,50 Euro fest, der die Basis des Lohns seinsoll. Mit dieser grundsätzlichen Feststellung wird dieweitere Anpassung des Mindestlohns in die Hände derMindestlohnkommission und damit der Tarifvertragspar-teien gelegt. Dort gehört diese Aufgabe auch hin, meinesehr geehrten Damen und Herren.
Hier wird die besondere Aufgabe zu erfüllen sein, denMindestlohn unter Berücksichtigung aller zur Entwick-lung des Mindestlohns in Betracht zu ziehenden Um-stände weiterzuentwickeln. Der Gesetzgeber gibt hiernur einen beispielhaften und keinen abschließendenRahmen vor. Es ist daher Aufgabe der Mindestlohnkom-mission, die weiteren Kriterien zu erarbeiten. Es musshier quasi eine Gesamtabwägung erfolgen.Dies soll nicht ausschließen, dass die Mindestlohn-kommission für bestimmte Branchen und Regionen Aus-nahmeregelungen treffen kann; diese Freiheit hat dieMindestlohnkommission. Denn es muss gewährleistetsein, dass auf der einen Seite ein angemessener und fai-rer Lohn gezahlt wird, auf der anderen Seite aber auchberücksichtigt wird, dass der Lohn erwirtschaftet werdenmuss. Das kann in bestimmten Branchen und Regionenunterschiedlich sein. Ich wünsche mir, dass die Kommis-sion von dieser flexiblen Ausgestaltung nach Bedarf hin-reichend Gebrauch macht und ihrer Verantwortung fürdie Entwicklung des Mindestlohns gerecht wird.Es ist daher auch richtig, dass die Entwicklung desMindestlohns nicht fest an einen Tarifindex gekoppeltist. Denn dies würde der Kommission nicht die Möglich-keit geben, sämtliche Umstände zu berücksichtigen. Wirsind froh, dass unsere Forderung an dieser Stelle umge-setzt werden konnte.Es ist ebenfalls zu begrüßen, dass unserer Forderungnach einer sofort einsetzenden Datenerfassung zur Eva-luation Rechnung getragen worden ist. Dies ist die uner-lässliche Voraussetzung zur Feststellung und Beurtei-lung einer Gesamtsituation bzw. Gesamtentwicklung,um hiernach die Höhe des Mindestlohns anpassen zukönnen. Es ist wichtig, dass hiermit sofort begonnenwird, damit die Auswirkungen des Mindestlohns best-möglich erfasst werden können.Die bereits angesprochenen Regelungen für Zeitungs-zusteller und Saisonarbeiter berücksichtigen besondereUmstände. Hinsichtlich der Praktikanten ist eineRegelung schon deswegen geboten, damit weiterhin dieBereitschaft der Unternehmer besteht, jungen Menschendie Möglichkeit zu gewähren, zur Berufsorientierungoder zur Wahl eines Ausbildungsplatzes Einblicke in diejeweiligen Berufe zu bekommen und im Rahmen vonAusbildungs- und Studienordnungen die notwendigenPflichtpraktika zu erfüllen. Die Generation Praktikumwird es hiernach nicht mehr geben. Man muss es denUnternehmern daher hoch anrechnen, dass sie jungenMenschen diese Möglichkeit gewähren, da der Auf-wand, der damit verbunden ist, größer ist als der Nutzen,den die Unternehmer dadurch sofort haben. Die Unter-nehmer kommen damit ihrer gesellschaftlichen Ver-pflichtung gegenüber jungen Menschen nach. Daher istes richtig, dass hier kein Mindestlohn gefordert, sonderndie Möglichkeit des Praktikums für junge Menschen ge-fördert wird.Wie angekündigt, haben wir auch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Danebenhaben wir die nach dem Tarifvertragsgesetz möglicheAllgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgenvon der starren und oft schwer nachweisbaren 50-Pro-zent-Grenze entlastet. Hierzu ist neben einem gemeinsa-men Antrag der Tarifvertragsparteien das Vorliegen ei-nes öffentlichen Interesses erforderlich. Dieses liegtdann vor, wenn der Tarifvertrag in seinem Geltungsbe-reich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen über-wiegende Bedeutung erlangt hat. Der Tarifvertrag musssich demnach durch faktische Anwendung durchgesetzthaben, das heißt also auch im Vergleich zu Arbeitgebern,die die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten nichtentsprechend gestalten.Nicht ausreichend ist dabei, dass sich der Tarifvertragbloß relativ im Vergleich zu anderen Tarifverträgendurchgesetzt haben muss. Das Ministerium ist hiergehalten, die Voraussetzungen und insbesondere das öf-fentliche Interesse sorgfältig zu prüfen.Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch – las-sen Sie mich das als Jurist erwähnen –, dass im Arbeits-gerichtsgesetz eine einheitliche und klare gerichtlicheZuständigkeit geregelt ist. Dies dient der Verfahrens-beschleunigung und der schnelleren Herstellung vonRechtssicherheit.Es gilt nun, die neuen gesetzlichen Regelungen mitAugenmaß und im Sinne aller umzusetzen und auszuge-stalten.Vielen Dank.
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4112 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Wilfried Oellers
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Joachim
Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die heu-
tige Debatte verfolgt, der kann, glaube ich, unschwer
feststellen, dass sie mit Pathos und Superlativen belegt
und aufgeladen ist. „Historische Stunde“, „historischer
Tag“, „historische Dimension“, sagen die einen, die an-
deren sprechen von „Täuschungsmanöver“. Die einen
sprechen von einem „flächendeckenden Mindestlohn“,
der erreicht wird, während die anderen von einem „Fli-
ckenteppich“ reden.
Unzweifelhaft wird deutlich, welche höchste politi-
sche Symbolik das Thema Mindestlohn hat. Es wurde
aber auch deutlich: Egal, wie viele Debatten wir in der
Vergangenheit geführt haben oder in Zukunft noch füh-
ren werden: Den universalen, allgemeingültigen Min-
destlohn gibt es nicht, und den wird es auch nie geben.
Der Mindestlohn muss richtig ausgehandelt und aufge-
stellt sein, um auch die Vielfalt des Landes zu berück-
sichtigen und abzubilden. Ein Mindestlohn – egal, wie er
aufgestellt und zustande gekommen ist – wird nie in der
Lage sein, alle Probleme unseres Landes zu lösen.
Ob der Eingriff, den wir heute vornehmen – ich sage
es einmal nüchtern: Es ist schon ein einzigartiger und, so
hoffe ich, auch einmaliger Eingriff in die Tarifautono-
mie; wir sind uns hoffentlich einig, dass es dabei bleibt –,
am Ende des Tages volkswirtschaftlich sinnvoll und ar-
beitsmarkt- und sozialpolitisch richtig ist, wird sich noch
zeigen. Der Begriff, den der Kollege Schiewerling ge-
wählt hat – „Operation am offenen Herzen der sozialen
Marktwirtschaft“ – ist insoweit richtig und zu unterstrei-
chen. Denn ein Mindestlohn, der Arbeitsplätze vernich-
tet, in Schwarzarbeit abdrängt oder das Lohn-
abstandsgebot so verletzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit
des Landes gefährdet ist, hilft niemandem weiter.
Deshalb wurde hart gerungen, um die richtigen Lösun-
gen zu finden und die Vielfalt unseres Landes in einem
Instrumentenmix abzubilden.
Es ist auch richtig, dass es keine starren Lösungen
gibt; denn wir brauchen Flexibilität. Frau Nahles, es ist
egal, wie man das nennt. Sie haben versucht, deutlich zu
machen, dass es in diesem Gesetz keine Ausnahmen
gibt, dass Kost und Logis bei den Saisonarbeitern auf
den Mindestlohn angerechnet werden. Mir ist es letztlich
egal – den Menschen und der Volkswirtschaft im Allge-
meinen übrigens auch –, ob das als Ausnahme bezeich-
net wird oder als Anrechnung. Wir brauchen Flexibilität,
und es ist uns gemeinsam gelungen, dies gegenüber dem
Entwurf, der ursprünglich auf dem Tisch lag, zu verbes-
sern.
Es ist auch sehr wichtig – das wurde in der Debatte
deutlich –, dass die Rolle der Mindestlohnkommission
aufgewertet wird. Es wird bei einem einmaligen Eingriff
in die Tarifautonomie bleiben. Zukünftig werden wieder
diejenigen, die in der sozialen Marktwirtschaft verant-
wortlich sind, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Tarif-
autonomie in der Mindestlohnkommission übernehmen
und sehr genau beobachten, welche Auswirkungen der
Mindestlohn in den einzelnen Branchen, in den Regio-
nen und in den Bereichen hat, über die diskutiert wurde.
Die Frage wird sein, ob der richtige Maßstab angelegt
wurde. Deshalb hat die Kommission zukünftig die
Möglichkeit, hier zu differenzieren und entsprechende
Vorschläge zu machen. Wir legen das Verfahren somit
wieder in die Hände derer zurück, die soziale Marktwirt-
schaft am besten können, und stärken damit die bereits
angesprochene Vielfalt des Landes.
Ich will die anderen Punkte nur stichwortartig anspre-
chen: Übergangsregelungen, Praktika, Einstiegsqualifi-
zierungen, Saisonarbeitnehmer. Auch die Dokumenta-
tionspflichten mit Augenmaß – das Ziel ist, dies
möglichst unbürokratisch umzusetzen – seien nur noch
einmal erwähnt.
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der heute
vonseiten der Linken angesprochen wurde. Da hieß es,
die Langzeitarbeitslosen würden auf dem Altar des Ko-
alitionsfriedens geopfert. Ich frage Sie: Was nützt einem
Langzeitarbeitslosen, der seit über einem Jahr arbeitslos
ist und im Zweifel andere sogenannte multiple Hemm-
nisse hat, die Einführung des Mindestlohns, wenn er
keine Arbeit findet? Mit einem Mix an Instrumenten
kann es gelingen, ihn weiter auszubilden, ihn weiter zu
fördern und ihn in Lohn und Brot zu bringen. Warum
soll dieser Langzeitarbeitslose nicht übergangsweise,
zeitlich begrenzt, zu einem geringeren Lohn arbeiten?
Das ist allemal besser, als weiterhin arbeitslos zu sein.
Wir brauchen alle Instrumente, die sich in der Vergan-
genheit schon bewährt haben, ob das die Zeitarbeit ist
oder ob das neue Programme sind, die sich speziell an
Langzeitarbeitslose richten und diese fördern.
Ich stelle fest: Auch wenn der Mindestlohn wirt-
schafts- und ordnungspolitisch immer noch eine Heraus-
forderung darstellt, so ist der heute zur Abstimmung ste-
hende Gesetzentwurf, der einen Kompromiss darstellt,
tragbar. Damit sind wir aber sicher nicht am Ende der
Diskussion. Wir werden uns weiter mit dem Thema be-
fassen müssen, dann aber bitte mit den Mitteln der Tarif-
autonomie in der Mindestlohnkommission.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Kolleginnen und Kollegen, bevor ichdem nächsten Redner das Wort erteile, bitte ich Sie, dieStimmkarten so geräuschlos wie möglich zu holen.Wenn es dringende Gespräche gibt, bitte ich Sie, diese
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4113
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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vor den Türen zu führen; denn sie stören den jeweiligenRedner.Der nächste Redner ist jetzt der Kollege Peter Weiß,CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich darf die Abschlussrede in dieser Debatte haltenund freue mich darüber. Heute ist ein guter Tag; dennwir beenden heute eine große gesellschaftspolitische De-batte, deren klare Botschaft lautet: Wir wollen die Tarif-autonomie in Deutschland stärken.
Ludwig Erhard, der Vater der sozialen Marktwirt-schaft, der Vater des Wirtschaftswunders nach demZweiten Weltkrieg, hat damals ein eingängiges und beiden Leuten hochbeliebtes Motto ausgegeben: Wohlstandfür alle! Wohlstand für alle ist für viele, für die großeMehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inunserem Land, dadurch Wirklichkeit geworden, dass siedurch gute Tarifverträge und gute Löhne in angemesse-ner Weise am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes be-teiligt wurden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wirLudwig Erhard mit seinem Motto „Wohlstand für alle“noch einmal den Rücken stärken.
In der Öffentlichkeit ist vor allen Dingen das Thema„Mindestlohn“ bzw. das Thema „Ausnahmen vom Min-destlohn“ diskutiert worden. Die zentrale und wichtigsteBotschaft dieses Gesetzentwurfs ist, dass wir Tarifver-trägen, die zwischen starken Gewerkschaften und star-ken Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, wiederzu mehr Geltung verhelfen, indem wir die Allgemein-verbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern und dasArbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen,sodass jede Branche, in der es Arbeitgeber und Arbeit-nehmer wollen, für sich eine eigene Mindestlohnrege-lung für allgemeinverbindlich erklären lassen kann, wiees bislang schon bei 14 Branchen in Deutschland derFall ist, in der Regel übrigens mit einer unteren Lohn-grenze, die über 8,50 Euro liegt.Dass das, was wir vorhaben, nicht nur ein frommerWunsch ist, sondern bereits Wirkung gezeigt hat, zeigendie folgenden Beispiele: In den vergangenen Legislatur-perioden wurden hier mehrere Reden gehalten, in denenimmer wieder ein Mindestlohn von 3,50 Euro für Fri-seure in Ostdeutschland angeführt worden ist.
Das gibt es mittlerweile nicht mehr. Das Friseurhand-werk hat es geschafft, in Deutschland einen einheitlichenTarifvertrag hinzubekommen. Das ist eine großartigeLeistung.
Im Umfeld des Bundestagswahlkampfes ist überskandalöse Verhältnisse bei der Entlohnung von Arbeite-rinnen und Arbeitern in den großen fleischverarbeiten-den Unternehmen unseres Landes diskutiert worden. DieDiskussion ist beendet. Wir haben vor wenigen Wocheneinen Mindestlohn für das Fleischerhandwerk in das Ar-beitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Das ist einegroßartige Leistung der Tarifpartner.
In diesen Tagen verhandeln Gewerkschaft und Arbeit-geber darüber, ob sie bundesweit die Lohnregelungen fürdas Hotel- und Gaststättengewerbe, für die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter in der Landwirtschaft und für dasBäckerhandwerk so ausgestalten, dass sie ebenfalls indas Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wer-den können.Mit unserem Gesetzentwurf stärken wir zuallererstdie Tarifpartner. Hut ab vor den Gewerkschaften und denArbeitgeberverbänden, die sich jetzt anstrengen, einenvernünftigen Tarif auf den Weg zu bringen und endlichZustände zu beenden, in denen Tarife kaum noch odergar nicht mehr Geltung haben!
Der Mindestlohn ist für uns kein Referenzlohn neuerArt, sondern eine untere Auffanglinie für all die Berei-che, in denen es leider nicht gelingt, einen Tarifvertragabzuschließen.
Sicherlich wäre es uns allen, zumindest uns in der Koali-tion, lieber, es gäbe überall einen gültigen Tarifvertragund wir bräuchten keinen Mindestlohn. Der Mindestlohnist ein Hilfsinstrument.
In der Tat legen wir den Mindestlohn zum ersten Maldurch einen Beschluss des Bundestages auf 8,50 Eurofest. Wir haben uns aber – dafür bin ich sehr dankbar – inder Koalition darauf geeinigt, dass der Mindestlohn inZukunft durch eine gemeinsame, von Arbeitgebern undArbeitnehmern paritätisch besetzte Kommission festge-legt wird. Wir wollen, dass nicht wir im Deutschen Bun-destag, sondern diejenigen, die etwas von Lohnfindungverstehen und deren tägliches Geschäft das ist, in Zu-kunft definieren, wie der Mindestlohn steigt. Das heißt,auch bei der Festlegung des Mindestlohns wählen wir ei-nen Weg zur Stärkung der Sozialpartnerschaft. Die Ge-werkschaften und die Arbeitgeber haben es künftig inder Hand, wie der Mindestlohn in Deutschland definiertwird.
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4114 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Peter Weiß
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Wir haben der Kommission durch die Änderungsanträgeder Koalitionsfraktionen noch zusätzliche Aufgabenübertragen, indem sie sich auch um die Evaluierung unddie Auswertung der Evaluierung der Mindestlohnrege-lung kümmert, also sehr genau hinschaut und begründet,wie sich der Mindestlohn künftig entwickeln soll.Meine sehr geehrten Damen und Herren, von vielenWissenschaftlern in Deutschland wird immer die Fragegestellt, ob ein Mindestlohn zu einer sozialen Marktwirt-schaft passt. Ich glaube, da liegt zum Teil ein Missver-ständnis vor. Soziale Marktwirtschaft ist in der Tat eineWettbewerbsordnung, aber sie ist keine Wettbewerbs-ordnung für Lohndumping.
Es geht in der sozialen Marktwirtschaft nicht darum,dass der einen Vorteil hat, der den niedrigsten Lohnzahlt, sondern darum, dass sich derjenige mit seinemProdukt oder seiner Dienstleistung gut positioniert, derim Wettbewerb um gute Qualität, um gute Ideen, umgute Dienstleistungen, um mehr Kreativität antritt. Dasist Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft. Es istnicht ein Wettbewerb um Lohndumping; Lohndumpinggehört nicht zur sozialen Marktwirtschaft.
Wenn wir einige Ausnahmen bzw. eine zweijährigeÜbergangsfrist vorsehen, dann bedeutet das nicht, dasswir am Prinzip einen Abstrich machen. Wir wollen viel-mehr, dass auf dem Weg zu einem allgemeinen Mindest-lohn in Deutschland alle Branchen und alle Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden. Eswäre schlimm, wenn die Einführung eines allgemeinenMindestlohns zum Verlust von Arbeitsplätzen und zurZunahme von Schwarzarbeit führen würde. Deshalbfinde ich die Debatte um die Ausnahmen auch reichlichdaneben. Es geht uns nicht darum, dauerhaft Ausnahmenzu machen, sondern wir wollen sinnvolle Übergängeschaffen, damit in allen Bereichen in Deutschland dieMenschen zu einem anständigen und angemessenenLohn kommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, guter Lohn fürgute Arbeit – das gehört für uns wesentlich zu einer so-zialen Marktwirtschaft. Deshalb ist dieses Gesetz, daswir heute zur Stärkung der Tarifautonomie und zur Ver-meidung von Lohndumping in Deutschland beschließen,ein Gesetz, mit dem wir die Ideen der sozialen Markt-wirtschaft in unserem Land stärken. Ich freue mich, dassdas deutsche Parlament diesem Gesetz, das ein Gesetzzur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft, zur Stärkungder Sozialpartnerschaft und zur Stärkung der Tarifpart-nerschaft ist, mit großer Mehrheit zustimmt. Heute istein guter Tag für unser Land.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Bevor wir zur Abstimmung kommen, erinnere ich da-ran, dass wir gleich zwei namentliche Abstimmungendurchführen werden. Ich mache darauf aufmerksam,dass im Laufe des Tages weitere namentliche Abstim-mungen folgen werden.
Wir kommen zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzeszur Stärkung der Tarifautonomie. Es liegen 36 Erklärun-gen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnungvor.1)Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehltunter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/2010 , den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 18/1558 in der Aus-schussfassung anzunehmen. Hierzu liegen dreiÄnderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über diewir zuerst abstimmen. Wir beginnen dabei mit einemÄnderungsantrag, zu dem eine namentliche Abstim-mung verlangt wurde. Bei der Stimmabgabe bitte ichalle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zuachten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, IhrenNamen tragen.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2019.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze anden Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ichdie Abstimmung über den Änderungsantrag auf Druck-sache 18/2019.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das istnicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen.2)Ich möchte Sie bitten, sich jetzt zu Ihren Plätzen zubegeben, bevor wir zur Abstimmung über zwei weitereÄnderungsanträge der Fraktion Die Linke kommen.Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/2017 ab. Werstimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit denStimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stim-men der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen abgelehnt.Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Drucksa-che 18/2018 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsan-1) Anlagen 2 bis 42) Ergebnis Seite 4115 C
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4115
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU,SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke abgelehnt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegendes Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unter-breche ich die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. LiebeKolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zunehmen.Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. MitJa haben gestimmt 122, mit Nein haben gestimmt 479,Enthaltungen keine. Damit ist der Änderungsantrag derFraktion Die Linke abgelehnt.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 601;davonja: 120nein: 481JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred Grund
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4116 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Oliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele Fograscher
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4117
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Dr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesIch bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FraktionBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 desGrundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs dieabsolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforder-lich. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf nament-lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätzean den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich er-öffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Bitte! – Haben jetztalle ihre Stimme abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mitder Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament-lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-ben.1) 2)1) Ergebnis Seite 4119 D2) Anlagen 4 bis 7Wir kommen jetzt zur Abstimmung über zwei Ent-schließungsanträge.Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 18/2020. Wer stimmt für den Entschlie-ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abge-lehnt.Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 18/2021. Wer stimmt für diesenEntschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damitist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge-lehnt.Tagesordnungspunkt 4 b: Beschlussempfehlung desAusschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag derFraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohn in Höhevon 10 Euro pro Stunde einführen“. Der Ausschuss emp-fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/2010 , den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/590 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
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4118 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FraktionBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FraktionDie Linke angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen mit,dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tages-ordnungspunkt 8 – es handelt sich um den Jahresbericht2013 des Wehrbeauftragten – von der Tagesordnungabzusetzen. An dieser Stelle sollen nunmehr die Tages-ordnungspunkte 30 a und 30 b – es handelt sich um Vor-lagen zu Renten in Ostdeutschland – beraten werden. Ichweise darauf hin, dass wir zu diesen Tagesordnungs-punkten eine namentliche Abstimmung durchführenwerden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan-den? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so be-schlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KarlHolmeier, Thomas Jarzombek, PatrickSchnieder, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenMartin Dörmann, Kirsten Lühmann, SörenBartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDModerne Netze für ein modernes Land –Schnelles Internet für alleDrucksache 18/1973Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
InnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat UlrichLange, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen!… wir müssen die Versorgung mit Breitband ver-bessern … Es geht um die Wettbewerbsfähigkeitdeutscher Unternehmen. Es geht in diesem Zusam-menhang darum, dass wir die Telekommunikations-und Netzunternehmen beim Ausbauprozess durchvernünftige Rahmenbedingungen unterstützen …So Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. Juni im Rah-men der Haushaltsberatungen.Mit der „Netzallianz Digitales Deutschland“ hat unserBundesminister Alexander Dobrindt das richtige Formatgewählt, um ebendiese vernünftigen Rahmenbedingun-gen gemeinsam mit der Branche zu erarbeiten; denn wirhaben uns als Koalition ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: flä-chendeckend 50 Megabit pro Sekunde für alle Bürgerin-nen und Bürger.Der nun hier vorliegende Antrag – es ist ein ambitio-nierter Antrag; das sieht man auch an seinem Umfang –versteht sich als ein konstruktiver und konkreter Beitragzu ebendieser Netzallianz. Die Vorstellungen der Koali-tionsfraktionen, von Union und SPD, sollen auf dieseWeise in das Kursbuch für den Breitbandausbau Eingangfinden, und wir sind zuversichtlich, hier gute Akzente zusetzen.Beim Zugang zur digitalen Welt handelt es sich umdie grundlegenden Fragen der gesellschaftlichen Teil-habe am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben undum die Frage der Innovationsgerechtigkeit. Betroffensind Stadt und Land, Ost und West und unser Land alseuropäischer und Weltwirtschaftsstandort. Ziel ist es, inwettbewerblichen Strukturen eine starke deutsche undeuropäische Telekommunikations- und IT-Industrie si-cherzustellen und den Breitbandausbau insbesondere imländlichen Raum konsequent voranzutreiben.Dass es dabei keine allgemeingültige, keine einfacheund auch nicht nur eine einzige Lösung gibt, zeigt derAntrag in seiner Vielschichtigkeit. Ja, liebe Kolleginnenund Kollegen, wir brauchen auch und insbesonderepragmatische Ansätze. Wir wollen eines vermeiden:Brüche im Regulierungsregime. Bund, Länder undKommunen profitieren gemeinsam vom Breitbandaus-bau. Deshalb muss auch jede staatliche Ebene ihrenBeitrag leisten. Wir setzen dabei insbesondere auffolgende Schwerpunkte: deutliche Kostenreduzierungbeim Ausbau der Glasfasernetze mit einer entsprechen-den Umsetzung der Kostenreduzierungsrichtlinie der EUim Breitbandinfrastrukturausbaugesetz, den schnellenEinsatz hochleistungsfähiger Mobilfunkfrequenzen, deneffizienten Einsatz von Fördermitteln, aber nur dort, woes wirtschaftlich keine sinnvollen Lösungen für denNetzausbau gibt. Dann wollen wir den Blick auf die eu-ropäische Ebene lenken. Eines ist für uns auch klar: Esdarf von dort zu keinen Maßnahmen kommen, die sichnegativ auf den Breitbandausbau auswirken.80 Prozent der Kosten sind Grabungskosten. Deswe-gen ist der Breitbandausbau – liebe Kolleginnen undKollegen, das wissen wir alle, die wir aus dem ländli-chen Raum kommen – insbesondere im ländlichen Raumso teuer und teilweise schwierig. Das heißt aber, dass wirdie Synergien durch die Mitnutzung anderer Infrastruk-turen nutzen müssen. Es gibt Hunderte von Abwasserlei-tungen, Wasserleitungen, Stromleitungen und sonstigenVerkehrsnetzen, die derzeit nur auf freiwilliger Basismitgenutzt werden. Hier wollen wir einen Rechtsan-spruch auf Mitnutzung vor Ort. Ich habe gesagt, wirbrauchen pragmatische Lösungen. Dazu gehört, dass beiVerkehrsprojekten, zum Beispiel bei Brückensanierun-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4119
Ulrich Lange
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gen, verpflichtend Leerrohre mitverlegt werden. Auchbei der Querung von Bahntrassen darf es nicht zu mona-telangen Diskussionen, Verhandlungen und Verzögerun-gen kommen.
Gerade in dem Bereich – Stichwort für alle Liebhaberunter anderem: Hindenburgdamm – müssen wir schnel-ler und besser werden. Auch die Oberlandleitungen, diewir im ländlichen Raum noch haben, eignen sich, umhier Glasfaserleitungen anzusetzen. Teuer verbuddelnkönnen wir auch später noch.Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dann, wennes zu Streitfällen kommt, brauchen wir schnelle und ver-bindliche Entscheidungen. Es darf nicht sein, dass derBreitbandausbau durch eine juristische Salamitaktiküber Monate und Jahre ins Stocken gerät. Hier muss dieBundesnetzagentur schnell verbindlich entscheiden kön-nen.Der Einsatz von mobilem Breitband ist zwingend not-wendig, insbesondere im ländlichen Raum: kurzfristig,um leistungsfähige Internetzugänge zu schaffen, mittel-und langfristig für innovative Geschäftsmodelle imVerkehrs- und Logistikbereich. Wir müssen auch im700-Megahertz-Bereich die Weichen stellen. Dieser Be-reich etabliert sich weltweit als nächster Standard für diemobile Breitbandanwendung. Wir werden – auch das ha-ben die Diskussionen gezeigt – natürlich auf die Belangedes Rundfunks Rücksicht nehmen und die Interessenvon Behörden und die Sicherheitsaufgaben unseresLandes ausreichend berücksichtigen. Aber am Ende desTages muss bei den 700-Megahertz-Frequenzen ein at-traktiver Bereich für den Breitbandausbau übrig bleiben.
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsereAufforderung an Bund und Länder zum nationalen Kon-sens: konstruktiv, zügig und zielorientiert zu arbeiten.Verzögerungen schaden uns allen am Standort Deutsch-land. Wir wissen, dass der Breitbandausbau in gewissenTeilen des Landes und insgesamt von uns ohne Förde-rung nicht gestemmt werden kann. Das gilt insbesondereim Hinblick auf mögliche Erlöse aus den Frequenzver-gaben. Hier würden wir gerne Haushaltsspielräume nut-zen, wohl wissend, dass die Haushaltskonsolidierungauch in dieser Koalition ein hohes Gut ist.
Fördern und Fordern: Immer nur dann Geld zur Ver-fügung stellen, wenn alle Maßnahmen zur Reduzierungder Ausbaukosten vor Ort genutzt sind. Wir wollen dieerfolgreiche Arbeit des Breitbandbüros auch in diesemZusammenhang weiter ausbauen und stärken. Wir habenseit Beginn unserer Tätigkeit als Ausschuss für Verkehrund digitale Infrastruktur dessen wertvolle Arbeit ken-nengelernt. Auch darauf liegt unser Augenmerk.Ich habe schon gesagt, dass wir darauf achten müs-sen, dass von Brüssel aus nicht negativ auf den Breit-bandausbau in Deutschland eingewirkt wird. Hierzu ge-hört auch, sich bei der Diskussion um die Netzneutralitätnicht gänzlich von netzpolitischen Erwägungen leiten zulassen. Wettbewerbs- und innovationsfreundliche Rah-menbedingungen müssen vielmehr so ausgestaltet sein,dass Investitionen in den Ausbau hochleistungsfähigerNetze weiterhin wirtschaftlich tragfähig sind. Für denVerbraucher muss transparent und erkennbar sein,welche Bandbreite des Anschlusses bei ihm zu Hausetatsächlich nutzbar ist. Das ist eine wichtige Forderungvon uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen mit die-sem Antrag die Sicht des Parlamentes und der Koali-tionsfraktionen dar, und wir legen ein Maßnahmenpaketfür den zukünftigen Breitbandausbau vor, das nun in derNetzallianz Digitales Deutschland des Bundesministe-riums einen entsprechenden Niederschlag finden wird;davon sind wir überzeugt. So ist es möglich, über dieEbenen gemeinsam das von uns im Koalitionsvertragvereinbarte, wirklich ehrgeizige Ziel eines Breitbandaus-baus bis 2018 flächendeckend mit 50 Megabit pro Se-kunde zu erreichen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, be-vor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ichIhnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schluss-abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 601.Mit Ja haben gestimmt 535, mit Nein haben gestimmt 5,Enthaltungen 61.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 601;davonja: 535nein: 5enthalten: 61JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Sybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Bosbach
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4120 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Norbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersDr. Norbert LammertUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschOliver WittkeDagmar G. WöhrlTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun Zollner
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Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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SPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUGitta ConnemannDr. Thomas FeistAndreas G. LämmelKatharina LandgrafJana SchimkeEnthaltenCDU/CSUVeronika BellmannUlrich Petzold
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4122 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheitnach Artikel 87 Absatz 2 Grundgesetz erreicht.
Nächster Redner in der Debatte ist der KollegeHerbert Behrens, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Schnelles Internet für alle“, wie es im Titel des Antragsheißt, klingt gut, das gebe ich zu. Nun muss man aberauch alles tun, um zumindest genauso schnell an dasUmsetzen heranzugehen. Ich will noch einen Punkt hin-zufügen, nämlich: Schnelles Internet für alle und für allebezahlbar.
Nur dann ist ein wirklich freier Zugang zum Netz mög-lich. Ist das gewährleistet, bekommt die Regierung dienotwendige Unterstützung in der Gesellschaft, und esbleibt nicht bei einer digitalen Spaltung.Nun reden wir nicht das erste Mal über dieses Themaund über den Ausbau der Netze. Der KoalitionspartnerCDU/CSU hat bereits 2009 in der damaligen Koalitioneine Breitbandstrategie vorgelegt mit dem Ziel, kurzfris-tig flächendeckend 1 Megabit pro Sekunde zu erreichen.Bis Ende 2014 sollten drei Viertel aller Haushalte mit biszu 50 Megabit Downstreamgeschwindigkeit ausgestat-tet sein. Die tatsächliche Zahl lautet: Ende 2013 warenerst knapp 60 Prozent aller Haushalte so versorgt.Dennoch ist der Fortschritt beachtlich. Doch derDatenverkehr wird in den nächsten Jahren erheblich zu-nehmen. Der Breitbandausbau muss jetzt mit Druckvorangetrieben werden, damit die Menschen an ihremWohnort in modernen Betrieben einen modernen Ar-beitsplatz finden können, dessen technische Infrastrukturdigital aufgebaut ist, damit sie Zugang zu moderner Bil-dung an Schulen und Hochschulen haben und damit sieauch im Privatleben digitale Angebote nutzen können.Die Linke unterstützt deshalb die Initiativen für einflächendeckendes, schnelles Internet; wir haben bereitsAnträge dazu vorgelegt.
Nur sie bieten, wenn sie wirklich so ausgestaltet sind,dass sie gut realisiert werden können, gleiche Lebens-chancen in Stadt und Land, in Ost und West und ohneBarrieren. Nun sind die Voraussetzungen dafür zu schaf-fen, dass es dazu kommt. Das heißt im Wesentlichen,Geld in die Hand zu nehmen; denn es wird teuer, dieletzten 40 Prozent der Haushalte an das Glasfasernetzanzuschließen. Wir wissen, dass es schwierig sein wird,diese Leistung auf dem Land zu erbringen. Dort ist esnämlich, anders als in den Ballungsräumen, für die gro-ßen Investoren und Telekommunikationsunternehmennicht interessant, zu investieren; dort wird erheblicherMangel festzustellen sein.Die Koalition eint zwar die feste Überzeugung, dassnur im Rahmen „wettbewerblicher Strukturen“ – so nen-nen Sie das – bis 2018 flächendeckend eine Internetver-sorgung mit 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung ge-stellt werden kann. Aber wie auf diesem Wege diebenötigten Investitionsmittel von 20 Milliarden Euro zu-sammenkommen sollen, bleibt Ihr Geheimnis.Der Wettbewerb soll es bringen, heißt Ihre Devise.Wo die privaten Investoren nicht einsteigen wollen, solles öffentliche Förderung geben, damit sich das Geschäftauch lohnt. Ich denke, öffentliche Zuschüsse können ei-nen wesentlichen Schub auslösen, damit der Netzausbaunicht ausschließlich über bessere Marktbedingungen re-alisiert werden muss. Auch Kommunen, kommunaleStadtwerke und Genossenschaften sind Investoren, diedas hinbekommen können,
und zwar ohne bei ihren Investitionen auf den höchstenGewinn zu schauen. Schon heute gibt es viele Beispieledafür, dass es auf diese Art erfolgreich praktiziert wird:in Marburg, in Moos, in Herrieden und anderswo. Aufder Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaftund Energie wird auf diese Art basisorientierter Selbst-versorgung hingewiesen; im Antrag von CDU/CSU undSPD kommt nicht einmal das Wort „Genossenschaft“vor. Investitionen in die Zukunft müssen den Menschenin den Mittelpunkt rücken und nicht die Profitinteressenvon Investoren.
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Herbert Behrens
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Die Kommunen sollen wichtige Aufgaben überneh-men, um den Breitbandausbau voranzubringen, fordertder Antrag. Das macht Sinn, denn die Kommunen besit-zen, bauen und unterhalten die technische Infrastrukturfür ihre Bürgerinnen und Bürger. Aber da stellt sich dieFrage, wie sie das finanziell leisten sollen. Bei Baumaß-nahmen sollen gleichzeitig Leerrohre verlegt werden,damit das Glasfaserkabel später einfach durchgezogenwerden kann. Aber viele Kommunen, insbesondere die,die finanziell knapp dran sind, können das gar nicht leis-ten; denn die Kommunalaufsicht würde ihnen überhauptnicht genehmigen, Mittel für diese zusätzliche Investi-tion in ihren Haushalt einzustellen, weil es sich hierbeium sogenannte freiwillige Leistungen handelt.Im Antrag heißt es: „Hier muss den Kommunen dieMöglichkeit gegeben werden, in zukunftsweisendeBreitbandinfrastruktur zu investieren.“ Ja, wie denn?Kommunen brauchen mehr Geld für eine gute sozialeInfrastruktur und auch für eine gute technische Infra-struktur. Darum fordert die Linke ein Zukunftsinvesti-tionsprogramm für Kommunen.
Es könnte ohne neue Schulden finanziert werden. Allein,wenn Reiche und Superreiche wieder stärker besteuertwürden, wenn deren Steuern zumindest auf das Niveauder Regierungszeit Helmut Kohls angehoben würden,wären wir dem Ziel eines schnellen Internets für alleschon ein gehöriges Stück näher.
Die Kommunen sind aus einem weiteren Grund einwichtiger Partner bei der Breitbandversorgung – Sieschreiben es selbst in Ihrem Antrag –: Die Kommunensind Träger von Baumaßnahmen, sie verfügen über Geo-informationen, über Planungs- und Bauämter. Aber wiesind diese Ämter denn personell ausgestattet? Kommu-nalpolitiker wissen es: Seit Jahren bauen KommunenPersonal ab, weil sie ihre Haushalte ausgleichen sollenoder weil sie sich aus Aufgaben zurückziehen. Und nunsollen sie die – nicht vorhandenen – personellen Res-sourcen für den Breitbandausbau auf regionaler Ebeneeinsetzen? Das ist doch absurd.Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnenund Kollegen, schnelles Internet für alle ist nicht zu ver-wirklichen, wenn man schöne Ziele nur formuliert undes ausschließlich bei Ankündigungen einzelner Geset-zesänderungen und bei Absichtserklärungen belässt. Esmuss richtig viel Geld in die Hand genommen werden;das wissen Sie. Minister Dobrindt weist immer auf dieDigitale Dividende II, also Geld aus Frequenzvergaben,hin. Die entsprechenden Mittel reichen aber nicht aus.Wir reden hier über 1,2 Milliarden Euro, die vielleicht indie Kasse kommen.
Angesichts der Ziele, die Sie sich selbst gestellt haben,ist mindestens die zehnfache Summe nötig; das wissenSie.Es bleibt nur eins: Entweder Sie backen kleinereBrötchen, oder Sie präsentieren ein realistisches Finan-zierungskonzept. Ich hoffe – nein, ich fordere –, dass Siesich für das Letztere entscheiden.
Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist Martin Dörmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Digitalisierung und das Internet haben immer größe-ren Einfluss auf alle Lebensbereiche. Der viel zu frühverstorbene Frank Schirrmacher wurde nicht müde, aufden gesellschaftlichen Wandel durch das Internet hinzu-weisen. Er sprach von einer „Informationsexplosion“,die einen ähnlichen Effekt auf die Menschen habe wiedie industrielle Revolution. Vor diesem Hintergrund giltes, dafür zu sorgen, niemanden im „vordigitalisierten“Zeitalter zurückzulassen; um bei Schirrmachers Bild zubleiben.Gerade auch die Wirtschaft ist immer stärker von ei-ner leistungsfähigen IT-Infrastruktur abhängig. Schnel-les Internet muss deshalb für alle Menschen und Regio-nen in ganz Deutschland verfügbar sein. Es sichertgesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten und wirtschaft-liche Chancen.Im Koalitionsvertrag streben Union und SPD eine flä-chendeckende Breitbandabdeckung mit Geschwindig-keiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde an. Dasist ein wahrlich sehr ehrgeiziges Ziel gerade vor demHintergrund, dass die diesbezügliche VersorgungsquoteEnde letzten Jahres erst bei 60 Prozent lag.
Selbst wenn man die in den nächsten Jahren bereitsangekündigten Investitionen der Unternehmen – das sindMilliardeninvestitionen – durchaus berücksichtigt, wirdohne zusätzliche Maßnahmen etwa jeder vierte oderfünfte Haushalt in Deutschland unterversorgt bleiben.Damit würden ganze Regionen vom digitalen Fortschrittabgehängt. Diese digitale Spaltung gilt es zu vermeidenbzw. zu überwinden. Deshalb will die Koalition die Rah-menbedingungen dafür schaffen, Breitbandinvestitionendeutlich nach vorne zu bringen.Mit dem vorliegenden Antrag legen wir ein schlüssi-ges Gesamtkonzept mit einer Vielzahl konkreterMaßnahmen vor. Ich freue mich, dass darin viele Punkteenthalten sind, die wir in der SPD-Fraktion in der ver-gangenen Legislaturperiode in unserem Projekt „Infra-strukturkonsens“ erarbeitet haben. Ich möchte mich andieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen meinerFraktion, aber durchaus auch bei allen in der Unions-fraktion bedanken, dass es uns gelungen ist, gemeinsameinen sehr umfassenden Antrag vorzulegen, und das in
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4124 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Martin Dörmann
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relativ kurzer Zeit. Das ist ein hoher Anspruch, den wiraber erfüllen wollen.
Wir setzen auf einen Technologiemix. Nur wenn wirdie Potenziale der unterschiedlichen Technologien, ins-besondere DSL, Kabel, Glasfaser, Satellit und Funktech-nologie, miteinander verbinden, können wir die Breit-bandziele erreichen. Es geht also um eine optimaleKombination aus guten Festnetz- und Mobilfunkanwen-dungen, die jeweils eine hohe Bandbreite beinhalten.Wo liegt nun die größte Herausforderung beim Breit-bandausbau? In städtischen Gebieten, in denen vieleKunden wohnen, gibt es eine gute Versorgung, weil esdort einen Infrastrukturwettbewerb gibt. Etwa 60 Pro-zent der Haushalte werden von Kabelunternehmen ver-sorgt. Die TK-Unternehmen ziehen mit hohen Bandbrei-ten nach, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist die eineSeite der Medaille. Im ländlichen Raum haben wir eineganz andere Situation. Dort handelt es sich eben nichtum dichtbesiedelte Regionen mit ganz vielen Kunden,sondern um eher dünner besiedeltes Gebiet. Die Stre-cken bis zum Kunden sind länger, und dadurch sind dieKosten pro Haushalt höher. Laut einer TÜV-Studie ausdem letzten Jahr liegen die Kosten in den unterversorg-ten Gebieten, je nach Region, pro Haushalt im Schnittzwischen 700 und 4 000 Euro. Das ist angesichts der üb-lichen Flatratetarife natürlich ein hoher Betrag. Daranerkennt man, dass es sich heute nicht unbedingt in jederRegion lohnt, zu investieren.Das Hauptproblem beim Breitbandausbau ist diebeschriebene Wirtschaftlichkeitslücke in weniger dichtbesiedelten Gebieten. Deren Folge sind zu geringe In-vestitionen und geringe Internetbandbreiten. Genau dasetzt der Antrag der Koalition an. Um zusätzliche Inves-titionsanreize zu setzen und Wirtschaftlichkeitslücken zuschließen, schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, dasauf fünf Säulen beruht.Erste Säule. Wir wollen eine innovations- und investi-tionsfreundliche Regulierung sicherstellen und denWettbewerb stärken; denn auch in Zukunft brauchen wirdie Milliardeninvestitionen möglichst vieler TK-Unter-nehmen. Der Staat selber würde sich übernehmen,könnte es sich auch gar nicht leisten, die Netze selberauszubauen und alleine zu finanzieren.Zweite Säule. Um Ausbaukosten zu senken und damitdie Wirtschaftlichkeitslücken zumindest teilweise zuschließen, brauchen wir eine optimale Hebung vonSynergieeffekten; das ist bereits vom Kollegen Lange er-wähnt worden. Darunter verstehen wir die Nutzung bzw.Mitnutzung bereits bestehender Netzinfrastrukturen fürden Breitbandausbau. Es geht also um Strom-, Gas-,Fernwärme- oder Abwassernetze, in die dann Kabel-oder Glasfasernetze mit verlegt werden können. Hiersorgen wir mit zahlreichen neuen Regelungen dafür,dass das erleichtert wird.Dritte Säule. Wir wollen die Potenziale von Funkfre-quenzen für den Breitbandausbau konsequent nutzen.Deutschland braucht beides, eine hochleistungsfähigeGlasfaserinfrastruktur und ein modernes Mobilfunk-netz. Wir alle wollen ja mit hohen Geschwindigkeitennicht nur am Heim-PC arbeiten, sondern unterwegs auchauf dem Tablet und dem Smartphone.Funktechnologie ersetzt aber nicht den weiteren Fest-netzausbau, sondern ergänzt diesen. Allerdings bietet ge-rade der weiterentwickelte Mobilfunkstandard LTE-Advanced durchaus Möglichkeiten, den Breitbandaus-bau gerade in den ländlichen Räumen kostengünstigerund damit schneller mit höheren Bandbreiten zu realisie-ren. So ließen sich laut der zitierten TÜV-Studie dieKosten für die teuersten 5 Prozent der Haushalte um8 Milliarden Euro senken, wenn wir das zusätzlich mitLTE-Advanced machten. Auch das wäre also ein Beitragzur Kostensenkung und damit zur Schließung der Wirt-schaftlichkeitslücke.Besonders heiß wird in diesem Zusammenhang dieNutzung der sogenannten Digitalen Dividende II disku-tiert. Hierbei geht es um die Frequenzen im 700-Mega-hertz-Band, die derzeit vom Rundfunk genutzt werden.Wir unterstützen ausdrücklich die Länder und die Rund-funkanstalten bei ihrem gemeinsamen Ziel, den Umstiegdort auf den neuen, zukunftsträchtigen StandardDVB-T2 vorzunehmen; denn damit können terrestrischeRundfunkanbindungen mit HD-Qualität realisiert, einestärkere Durchdringung bei der Bevölkerung erreichtund im Übrigen beim Rundfunk Kosten und Frequenz-belegungen eingespart werden. Hierdurch frei werdendeFrequenzen sollen nach dem Umstieg aus unserer Sichtvorrangig für den Breitbandausbau genutzt werden, wo-bei klar ist, dass wir bei der neuen Frequenzordnung dieBelange anderer Bedarfsträger berücksichtigen werden,nämlich insbesondere von Kultureinrichtungen, diedrahtlose Mikrofone nutzen, oder die Sicherheitsfre-quenzen im Bereich der Polizei und der Feuerwehr.Wir hoffen, dass die derzeit laufenden Gesprächezwischen dem Bund und den Ländern insofern bald zueinem Erfolg führen und abgeklärt wird, bis wannDVB-T2 umgesetzt werden kann. Anschließend könnendiese Frequenzen auch für den Breitbandausbau genutztwerden.Vierte Säule. Ja, um unsere ehrgeizigen Breitbandaus-bauziele bis 2018 erreichen zu können, brauchen wireine effiziente und stärkere finanzielle Förderung für un-terversorgte Gebiete. Förderprogramme sollen Wirt-schaftlichkeitslücken nicht nur schließen, sie sollen auchzusätzliche private Investitionen anregen, und das mit ei-nem Faktor 1: 3 oder 1: 4, je nach Ausgestaltung.
Herr Kollege Dörmann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage?
Gerne.
Bitte schön.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4125
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Vielen Dank, Herr Kollege Dörmann. – Sie sprachen
eben an, dass Sie die kabellosen Mikrofone der Kultur-
schaffenden schützen wollen. Ich stelle die Frage, wie
das stattfinden soll, da es zurzeit weder ausgereifte tech-
nische Lösungen gibt, dass das Frequenzband für diesen
Bereich umgestellt werden kann, noch klar ist, welches
künftige Frequenzband von Kulturschaffenden und Ver-
anstaltungen genutzt werden kann. Da dies nicht klar ist,
Sie aber gleichzeitig eine Beschleunigung der Abgabe
und der Versteigerung dieser Frequenzen ankündigen,
frage ich Sie wirklich, wie die Kultur- und Veranstal-
tungslandschaft in unserem Land als ein wichtiger Wirt-
schaftsfaktor geschützt werden soll. Vor allen Dingen
frage ich Sie, warum Sie, da die Bänder um 1 800 Mega-
hertz nach wie vor noch nicht richtig ausgenutzt werden
und noch genügend Kapazitäten bestehen, nicht darauf
drängen, dass diese Kapazitäten genutzt werden, bevor
Sie eine Chance für Kultur und Veranstaltungen in unse-
rem Land kaputtmachen oder zumindest erschweren.
Danke, Herr Kollege Lenkert. – Bitte schön, Herr
Kollege Dörmann.
Herr Kollege Lenkert, ich bin dankbar für dieseFrage, weil sie durchaus Besorgnisse aufgreift, die auchan uns herangetragen werden. Ich versichere Ihnen, dasswir diese Besorgnisse nicht nur sehr ernst nehmen, son-dern auch an Lösungen arbeiten. Es ist nicht ganz rich-tig, dass es dafür keine Vorschläge gibt; denn die Bun-desnetzagentur hat in ihrem Projekt 2016 bereits imletzten Jahr dargestellt, wo die Frequenzbedarfe andererBedarfsträger, insbesondere bei den drahtlosen Produkti-onsmitteln, also auch der Kultureinrichtungen, liegen.Sie sind nämlich in dem etwas unteren Bereich angesie-delt, der ökonomisch günstiger ist als der Bereich um1 800 Megahertz, in dem höhere Kosten anfallen. Das istalso genau der Punkt, der jetzt geklärt wird. Das ist auchBestandteil der Verhandlungen zwischen Bund und Län-dern. Sie wissen, es gab Eckpunkte, die noch nicht end-gültig verifiziert sind. Die klare Maßgabe ist: Bevor dieFrequenzverordnung geändert wird – das kann nur imEinvernehmen mit den Ländern geschehen –, werdendiese Punkte geklärt. Darum gibt es diese Arbeitsgruppeder Beteiligten. Sie können gewiss sein: Wir werden kei-ner Änderung der Frequenzverordnung zustimmen, so-fern die von Ihnen und mir geschilderten Fragen nichtgelöst sind. Ich denke, wir werden eine sehr befriedi-gende Lösung finden.Sie haben gefragt, warum der Bereich von 1 800 Me-gahertz nicht noch stärker für den Mobilfunk genutztwird. Warum brauchen wir auch den 700-Megahertz-Be-reich? Es ist einfach so: Je größer der Kuchen ist, denSie für Breitband zur Verfügung haben, desto höhereBandbreiten können Sie verwirklichen. Sie brauchennämlich bestimmte Frequenzpakete. Der Standard LTE-Advanced ist ein zukunftsträchtiger Standard. Ich bindavon überzeugt, dass er in fünf Jahren in technischerHinsicht noch ganz andere Bandbreiten ermöglichenwird als die, die wir heute kennen. Deshalb müssen alleFrequenzen zusammen betrachtet werden. Dazu gehörtdie 900er-, die 1 800er-, aber auch die 700er-Frequenz.Sie wissen ebenso wie ich, dass der Bedarf an mobi-len Breitbandangeboten ständig wächst. Der größteZuwachs hinsichtlich der Internetnutzung wird zurzeitim Mobilfunkbereich verzeichnet. Dafür müssen wir einzukunftsfestes Konzept entwickeln. Der 700-Megahertz-Bereich – das ist vom Kollegen Lange bereits angespro-chen worden – ist nun einmal der Bereich, der internatio-nal auch für die Nutzung von Mobilfunk vorgesehen ist.In anderen Ländern gibt es die gleichen Bestrebungen.Bald wird es auch mehr Endgeräte geben, die den LTE-Standard beherrschen. Das wäre aus Sicht der Nutzerin-nen und Nutzer der optimale Erfolg. Daran arbeiten wir.
Ich habe bereits geschildert, dass es darauf ankommt– Stichwort „vierte Säule“ –, dass wir zusätzliche finan-zielle Mittel generieren, um die Wirtschaftlichkeitslückezu schließen. Uns ist bewusst, dass das bei unseremBreitbandkonzept die größte Herausforderung ist. Klarist: Wir brauchen zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt,und das vor dem Hintergrund, dass wir nach wie vor dasZiel haben, nicht nur im nächsten, sondern auch in denfolgenden Jahren einen ausgeglichenen Bundeshaushaltvorzulegen. Von daher steht in unserem Antrag, dass esAufgabe des Ministeriums für Verkehr und digitale Inf-rastruktur und des Finanzministeriums ist, möglicheHaushaltsspielräume zu prüfen und zu eröffnen. Dies-bezüglich kommen in der Tat die möglichen Erlöse ausFrequenzvergaben im Jahr 2015 in Betracht. Wir hoffen– das ist dargestellt worden –, dass es eine Klärung beider Frage der Digitalen Dividende II, also im 700-Mega-hertz-Bereich geben wird. Zusätzlich gibt es andereFrequenzbereiche, die unabhängig von der Zustimmungder Länder in jedem Fall 2015 zur Vergabe anstehen. DieBundesnetzagentur hat das ausgerechnet: Sie erwartetMindesteinnahmen von 1 Milliarde Euro aus diesen Be-reichen. Wenn es zu einer Versteigerung kommt oder der700-Megahertz-Bereich einbezogen werden kann, wirddieser Betrag noch deutlich höher sein. Ich freue mich,dass die Bundesregierung bereits angekündigt hat, zu-sätzliche Einnahmen aus dem Bereich 700 Megahertzfür den Breitbandausbau zu nutzen. Die Bundeskanzle-rin höchstpersönlich hat das in der letzten Woche in derGeneraldebatte so dargestellt.Ich komme nun zur fünften und letzten Säule. Nebenden dargestellten Maßnahmen für Investitionsanreizeund zur Schließung von Wirtschaftlichkeitslücken brau-chen wir beim Breitbandausbau eine bessere Abstim-mung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. DieKoalition strebt deshalb einen nationalen Konsens zumBreitbandausbau an. Mit einer gemeinsamen Kraftan-strengung aller Beteiligten können wir viel bewegen.Sie sehen: Die Koalition hat sich sehr ehrgeizigeZiele gesetzt, um den Breitbandausbau in Deutschlandnach vorne zu bringen. Lassen Sie uns gemeinsam dafürsorgen, dass schnelles Internet für alle realisiert werdenkann. Damit tragen wir dazu bei, dass gesellschaftliche
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4126 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Martin Dörmann
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Teilhabe möglich ist. Damit sichern wir aber auch unserewirtschaftlichen Zukunftschancen. Das ist, glaube ich,ein gemeinsames Ziel aller in diesem Hause.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen spricht jetzt die Kollegin Tabea Rößner.
Werte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Nach meiner letzten Rede zum Thema Breitband kamein Bundesminister auf mich zu – er soll hier unerkanntbleiben; er ist auch nicht anwesend – und sagte, ich solledoch nicht immer so schimpfen,
worauf ich entgegnete: Ich höre gerne mit der Kritik auf,wenn es keinen Grund mehr gibt, zu schimpfen.
Ich bin nicht maßlos, aber es gibt immer noch keinenGrund für diese Bundesregierung, sich zufrieden in dieSommerpause zu verabschieden. Der Breitbandausbauist eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für die-ses Land. Jahr für Jahr verlieren wir enorme Potenziale.Deutschland ist in Sachen Breitband weit abgeschlagen.Laut FTTH Council Europe hat gerade einmal 1 Prozentder Haushalte einen Glasfaseranschluss, und es gibtnoch viele Gebiete, in denen die Menschen nur mit Mo-demgeschwindigkeit ins Netz kommen. Immerhin gebenSie das jetzt in Ihrem Antrag zu. Sie zitieren sogar dieOECD-Studie, die wir Ihnen sonst immer um die Ohrenhauen; das ist gut. Aber dann muss man auch den eige-nen Minister in die Pflicht nehmen und auffordern, end-lich zu liefern, liebe Damen und Herren.
Die bisherige Antwort von Herrn Dobrindt undseinem neu geschaffenen Ministerium für Verkehr unddigitale Infrastruktur war vor allem Palaver mit der In-ternetwirtschaft und die Ankündigung, die Erlöse derDigitalen Dividende II in den Ausbau zu stecken. Das istwenig. Es ist noch viel weniger, wenn man einmal aufdie Fakten schaut. Resultat der sogenannten NetzallianzDigitales Deutschland ist, dass man ein Kursbuch erar-beiten will, in dem man Meilensteine festhält. MitKursbüchern und Meilensteinen gewinnt man beimBuzzword-Bingo. Aber die Menschen, die dort leben,wo weiße Flecken sind, haben gar nichts davon. Diewollen heute am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Dielassen Sie im Stich.
Die Zeit der Ankündigungen ist lange vorbei. DerMinister hat eine Zahl genannt, an der er sich messenlassen muss: 50 MBit/s. Die Koalitionsfraktionen habennun einen Antrag vorgelegt. Man könnte ja meinen, siesagen darin, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Aberstatt den Minister an die kurze Leine zu nehmen und ihmAufgaben auf die To-do-Liste zu schreiben, ergeht mansich im Hätte, Sollte, Könnte – von wegen „ehrgeizig“,lieber Kollege Dörmann.
Darin heißt es: Die Bundesregierung soll prüfen, sie sollKonzepte erarbeiten, es ist anzustreben und darauf hin-zuwirken. Allein „die Bundesregierung sollte“ kommt indiesem Antrag 35 Mal vor. Aber: Man kann im Kon-junktiv nun einmal nicht regieren.
Am schwierigsten ist die Finanzierungsfrage. DerBreitbandausbau kostet richtig viel Geld. Sie stellen abernicht 1 Euro bereit und planen mit Einnahmen aus einerFrequenzversteigerung, von der noch niemand weiß,wann sie eigentlich kommt, und erst recht nicht, wie vielGeld sie überhaupt einbringt. Schon die letzte Versteige-rung brachte nur halb so viel wie erwartet.Vor allem ist das nicht allein Ihr Geld; das wissen Sie.Sie sagen ja auch: Ja, über die Verwendung der Erlösemuss man dann mit dem Finanzministerium verhandeln. –Dann gibt es da ja auch noch die Bundesländer. Die wol-len die Hälfte und lassen sich kaum von Ihnen vorschrei-ben, wofür sie das Geld einsetzen sollen.
Der Breitbandausbau ist in den Ländern ja auch ganz un-terschiedlich weit fortgeschritten.Die für 2018 versprochenen 50 MBit/s werden Siemit Funkanbindungen nicht erreichen, genauso wenigwie mit der ursprünglich einmal angedachten 1 Mil-liarde Euro. Die Kosten für den festnetzgebundenenAusbau liegen im zweistelligen Milliardenbereich. DieUnternehmen investieren diese Milliarden nur, wenn essich tatsächlich lohnt. Das ist auf dem Land schwierig.Deshalb werden Sie sich hier ehrlich machen müssen,woher dieses Geld denn kommen soll. Gute Regulierunghin oder her, am großen Rad drehen Sie jedenfalls nicht.
Wie kommt Breitband in ländliche Regionen, indenen die Investitionen hoch und die zu erwartendenGewinne niedrig sind? Sie wollen eine Grundversorgung –immerhin. Aber den konsequenten Schritt unterlassenSie. Wir Grüne fordern, dass jeder Haushalt einenAnspruch auf einen Breitbandanschluss hat. Auch dieSPD wollte das, bis zur Bundestagswahl. Gemessen da-ran ist die Forderung, jetzt doch bitte die Regionen mitunter 2 Mbit/s zu erschließen, ein trauriger Abschied vonIhren Versprechungen und das Eingeständnis einesmageren Ergebnisses in den Koalitionsverhandlungenaufseiten der SPD.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4127
Tabea Rößner
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– Ja, da bin ich mal gespannt.Dafür planen Sie einen Bürgerfonds. Das klingt ir-gendwie nett und wie etwas Gutes für die Bürgerinnenund Bürger. Aber was steckt denn dahinter? Private Ein-zahler erwarten doch eine solide Rendite, wenn sie Geldin einen Fonds einzahlen. Wie sollen diese Renditen beidefizitären Breitbandprojekten denn erwirtschaftet wer-den? Der Ausbau in den ländlichen Regionen ist nichtlukrativ; denn sonst hätten die TK-Unternehmen dasdoch schon längst gemacht. Und was, wenn die erwar-tete Rendite dann nicht kommt? Zahlt dann der Staat dieDifferenz?
Das ist im besten Falle unausgegoren und im schlimms-ten Falle eine große Mogelpackung für die Bürgerinnenund Bürger.Noch ein paar Worte zur Netzneutralität. Nachtigall,ick hör dir trapsen! Die gleichberechtigte Übertragungvon Daten war Garant der bisherigen demokratischenEntwicklung des Internets, und sie ist elementar für des-sen Zukunft.
Die Debatte darüber führen wir seit vielen Jahren. Vor-schläge zur gesetzlichen Absicherung gibt es, auch vonder SPD. Aber noch immer weigern Sie sich, die Netz-neutralität im Sinne der Verbraucher effektiv zu sichern.Ihre Vorschläge reichen nicht aus, die Einführung vonManaged Services und Co. zu verhindern. Im Gegenteil:Sie legitimieren diese Praxis durch Ihre Initiativen sogarnoch. Indem Sie auf die EU-Ebene verweisen, die Ähnli-ches plant, machen Sie sich als Gesetzgeber einenschlanken Fuß. Schaffen Sie endlich eine gesetzlicheRegelung zur Sicherung der Netzneutralität! Das istdringend notwendig.
Aber ich soll ja nicht nur schimpfen. Es ist ein Fort-schritt, dass sich die Koalition zum Wettbewerb bekennt.Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes hatden Nutzern viel Gutes gebracht. Trotzdem haben Sie imKoalitionsvertrag eine Lockerung der Regulierungsauf-lagen angekündigt. Das hat nicht nur mich irritiert, son-dern auch die ganze Branche. Na ja, vielleicht nicht dieganze Branche: Die Telekom hat sich, glaube ich, sehrdarüber gefreut. Sie wäre nämlich die Profiteurin einersolchen Lockerung. Gut, dass bei Ihnen Vernunft einge-kehrt ist; denn der Wettbewerb funktioniert eben nur mitmehreren Anbietern und nicht mit einem Monopolisten.Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,wenn man zum großen Sprung ansetzt und auf halberStrecke beschließt, anzuhalten, passiert eines: Man fälltauf die Nase. Das ist beim Breitband weder dem Landnoch den Menschen hier zu wünschen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Patrick Schnieder,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Internet istaus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Weite Le-bensbereiche sind von einer immer stärkeren Digitalisie-rung durchdrungen. Das gilt für Anwendungen, die wirzu Hause nutzen, für Anwendungen im gewerblichenBereich und zunehmend aber auch für mobile Anwen-dungen.Deshalb ist die Versorgung mit schnellem Interneteine Zukunftsaufgabe für Deutschland. Das gilt ganz be-sonders für ländliche Räume; denn dort geht es in die-sem Zusammenhang zwar auch um die Zukunft von Un-ternehmen, Standorten und Arbeitsplätzen, aber ebenauch um die Zukunft der ländlichen Räume schlechthin,nämlich um die Frage, ob Menschen in Zukunft dortnoch wohnen und arbeiten wollen und können. Deshalbmüssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die wei-ßen Flecken, die wir haben – dort gibt es keine ausrei-chende Versorgung mit schnellen Internetverbindun-gen –, möglichst schnell zu beseitigen und dort zu einerflächendeckenden Versorgung mit schnellem Internet zukommen. Das ambitionierte Ziel, das sich diese Koali-tion in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat, ist deshalbgenau richtig.Es ist auch richtig, dass wir das nicht nur in einemüberschaubaren Zeitraum bis 2018 schaffen wollen, son-dern dass wir auch eine Mindestversorgung mit einerBandbreite von 50 Megabit pro Sekunde angesetzt ha-ben; denn alles andere wird in Zukunft nicht mehr genü-gen. Wir werden zunehmende Datenmengen haben unddeshalb auch auf immer größere Geschwindigkeiten an-gewiesen sein.Der Antrag, den wir als Koalition hier vorgelegt ha-ben, ist ambitioniert, aber er wird diesen ambitioniertenZielen auch gerecht. Wir zeigen einen Weg auf, wie wirdas erreichen wollen. Das werden wir nur mit einer ge-meinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Ge-meinden und auch nur mit einem Technologiemix schaf-fen, indem wir alle Möglichkeiten, die sich bieten, auchnutzen: sowohl kabelgebundene als auch mobile Lösun-gen, Funklösungen und satellitengestützte Lösungen –all das, was technisch möglich ist.Wir müssen uns auch eingestehen – das gehört zumEhrlichmachen dazu, verehrte Frau Kollegin Rößner –,dass wir das Geld, das wir in Kürze für einen flächende-ckenden Glasfaserausbau bräuchten, heute nicht zur Ver-
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Patrick Schnieder
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fügung haben. Deshalb bin ich schon etwas erstaunt überdie Lässigkeit, mit der Sie über diese Tatsache und auchüber das hinweggehen, was Landesregierungen, auchvon Ihnen gestützte Landesregierungen, zum Beispiel inRheinland-Pfalz, auf den Weg gebracht haben. Dort wur-den in den letzten sieben Jahren 29 Millionen Euro fürden Breitbandausbau zur Verfügung gestellt. Wer dannmit dem Finger auf den Bund zeigt und Milliarden ein-fordert, aber nicht sagt, woher sie kommen, der machtsich unglaubwürdig. Er macht sich noch unglaubwürdi-ger vor dem Hintergrund, dass die genannte Landesre-gierung gerade 500 Millionen Euro am Nürburgring inden Sand gesetzt hat. Von diesem Geld hätten wir vieleGlasfaserkabel verlegen können.
Wir wollen einen Schwerpunkt auf die Möglichkeitenlegen, die wir in den nächsten Jahren haben. Dazu gehörtder kabelgebundene Ausbau. Aber dazu gehört ebenauch die Nutzung von Funkfrequenzen, und zwar in dop-pelter Hinsicht: Wir werden nicht nur die Erlöse aus derVergabe der frei werdenden Frequenzen in den Breit-bandausbau stecken, sondern es geht eben auch um dieNutzung der 700-Megahertz-Bänder.Ich will hier sehr deutlich betonen: Wir wollen dieverschiedenen Nutzer nicht gegeneinander ausspielen.Ich bin dem Kollegen Dörmann dankbar, dass er dasnoch einmal deutlich gesagt hat. Wir brauchen diese Fre-quenzen für schnelle Internetverbindungen, aber wirbrauchen sie auch für den Rundfunk; das ist überhauptkeine Frage.Ich bin allerdings der Meinung, dass die Ziele, dienoch bis vor kurzem in den Köpfen der Intendanten vonRundfunkanstalten waren, noch etwas ambitionierterausgestaltet werden können. Ich glaube, dass wir nochetwas schneller darin sein können, auf den neuen Stan-dard DVB-T2 umzustellen.Wir sollten überlegen – auch das steht in dem An-trag –, ob nicht große Ereignisse wie die Fußballeuropa-meisterschaft im Jahr 2016 auch für den Markt einen be-sonderen Anreiz bieten, eine solche Umstellung bei denEndgeräten schneller durchzuführen und dieses Ereignisin diesem Sinne zu nutzen. Aber wir sind uns einig– auch das möchte ich noch einmal betonen –: Wir brau-chen die 700-Megahertz-Bänder, sowohl für den Rund-funk als auch für sicherheitsrelevante Belange, aber auchfür die drahtlosen Produktionsmittel, die im Antrag ge-nannt sind.Die Erlöse, die wir aus der Vergabe der Frequenzenerzielen, müssen wir verstärkt wieder in die Netze inves-tieren; darin sind wir uns einig. Ich hoffe, dass wir aufnationaler Ebene den angestrebten Konsens zwischenBund und Ländern erreichen. Ich glaube, dass man die-sen Konsens finden kann. Mir wäre es auch recht, wennmöglicherweise die Länder, die an der Lösung beteiligtsind, das Geld vorrangig in den Breitbandausbau ste-cken; denn uns alle eint das Ziel, dass wir es möglichstschnell schaffen, für alle in Deutschland schnelles Inter-net verfügbar zu machen: für die Menschen in Ballungs-räumen genauso wie für die Menschen im ländlichenRaum. Das brauchen wir für die Weiterentwicklung un-seres Landes. Das brauchen wir für die wirtschaftlicheProsperität unseres Landes. Das brauchen wir aber auch,weil wir darauf angewiesen sind, dass Teilhabe am ge-sellschaftlichen Leben überall und in gleicher Art undWeise möglich ist.Deshalb werbe ich sehr eindringlich für den Antrag.Ich werbe auch eindringlich dafür, dass alle Akteure, diewir brauchen und deren Interessen wir unter einen Hutbringen müssen, Verantwortung wahrnehmen und sicham Ziel orientieren, anstatt herumzumäkeln und zu fra-gen: Was könnte uns in den Weg kommen? Man darfnicht nur die Schwierigkeiten sehen, sondern auch dasZiel und die Chancen. Ich glaube, dass wir auf einem gu-ten Weg sind. Ich werbe dafür, dass wir diesen Antragmit breiter Mehrheit hier im Deutschen Bundestag ver-abschieden.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt Halina Wawzyniak.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Der Antrag der Großen Koalition beschreibt vieleMaßnahmen, die dazu führen sollen, dass bis 2018 eineflächendeckende Breitbandversorgung von mindestens50 Megabit die Sekunde gewährleistet wird. Das ist– das haben wir hier gehört – ein durchaus ambitionier-tes Ziel. Aber in puncto Breitbandausbau sind ambitio-nierte Ziele nichts Neues.
Doch selten wurden sie erreicht. Ob sie dieses Mal er-reicht werden, darf durchaus bezweifelt werden; dennohne Geld in die Hand zu nehmen, wird das nicht funk-tionieren.
Der Antrag enthält einige Vorhaben, die wir begrü-ßen. Wir begrüßen, dass Sie die Netzneutralität gesetz-lich verankern wollen. Die Debatte auf europäischerEbene ist bereits an diesem Punkt angelangt. Aber eskönnte problematisch werden, dass die Netzneutralitätnicht durch eine, wie Sie schreiben, „Vielzahl von Mana-ged Services“ eingeschränkt werden darf. Hier mussman nämlich aufpassen, dass dies die Netzneutralitätnicht gleichzeitig wieder unterhöhlt.Es ist völlig unstreitig, dass zeitkritische Dienste wiezum Beispiel Videotelefonie eine gewisse Bevorzugungbenötigen, um zu funktionieren. Wenn aber Anbieter vonDiensten anfangen, Geld an Provider zu bezahlen, um inirgendeiner Form besser behandelt zu werden, zum Bei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4129
Halina Wawzyniak
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spiel indem ihre Daten schneller durchgeleitet werden,dann hat das mit Netzneutralität nichts mehr zu tun.
Wir begrüßen weiterhin, dass Sie endlich die Störer-haftung bei Betreibern offener WLANs abschaffen wol-len. Praktischerweise haben wir in der letzten Legislatur-periode auf Basis eines Vorschlages der DigitalenGesellschaft einen Gesetzentwurf eingebracht, der die-ses Problem sehr elegant lösen würde. Den können Sieeinfach übernehmen.
Doch Ihr Antrag bringt auch Probleme mit sich undwirft einige Fragen auf. Sie erkennen richtig – das istschon mehrfach gesagt worden –, dass das Gefälle zwi-schen Stadt und Land eines der größten Probleme ist.Was den Leuten auf dem Land teilweise zugemutet wird,ist haarsträubend. Kürzlich wandte sich eine junge Fami-lie aus Woltersdorf bei Berlin an mich. Sie hatte sichdort gerade ein Haus gekauft und wollte nun auch einenschnellen Internetanschluss haben. Nun bestand aber dasProblem, dass das Haus nicht mit dem DSL-Netz ver-bunden war. Allerdings wird es mit Kabelfernsehen ver-sorgt, worüber eine Internetverbindung möglich ist. Soeinfach, wie gedacht, ist es aber nicht. Denn der zustän-dige Kabelbetreiber vertreibt in Woltersdorf nur eine be-stimmte Anzahl von Anschlüssen. Sie können sich vor-stellen, dass diese schon alle vergeben sind. Das sollvorkommen.Das heißt also, obwohl die notwendige Infrastrukturvorhanden ist, wird der Familie, aus welchen Gründenauch immer, verwehrt, einen Internetanschluss nutzen zukönnen. Das ist ein wenig absurd. Denn der Familie blei-ben jetzt nur wenige Möglichkeiten: entweder wie zuDDR-Zeiten auf ein Auto jetzt auf einen Internetan-schluss zu warten, mit hoher Eigenbeteiligung das Hausan das DSL-Netz anschließen zu lassen oder auf Funk-und Satellitenverbindung zu setzen, die teuer sind.Das bringt uns gleich zum nächsten Problem. Um dasZiel eines flächendeckenden Breitbandinternets bis 2018zu realisieren, schlagen Sie einen Technologiemix auskabelgebundener Technologie, Funk- und Satellitentech-nologie vor. Nun sind wir uns hoffentlich einig, dassFunktechnologien einen DSL-Anschluss nicht ersetzenkönnen. Das hat mehrere Gründe. Funktechnologiensind deutlich anfälliger für Fehler, und die Übertra-gungsleistung ist schwankend. Sie sind für den Endver-braucher vor allem teurer und bieten deutlich wenigerLeistung.Während es bei Festnetzanschlüssen im Großen undGanzen noch echte Flatrates gibt, sind bei Mobilfunk-verträgen Datenvolumengrenzen schon längst gang undgäbe. Wir reden hier aber nicht von Grenzen von 300 Gi-gabyte im Monat; wir reden von Grenzen von 10 Giga-byte im Monat. Für die alltägliche Nutzung ist das kaumbrauchbar, und das im Übrigen zu Preisen jenseits vonVDSL-Verträgen. Auf Dauer ist das den Endverbrau-chern kaum zuzumuten.
Hier schließt sich auch der Kreis zur Netzneutralität.Sie ist nämlich im Mobilfunkbereich schon längst passé.Es gibt keine echten Flatrates; es gibt eine Vielzahl vonManaged Services. Wer also ein neutrales Netz will,muss entweder die Netzneutralität im Mobilfunkbereichwiederherstellen oder auf Mobilfunk als Ersatz für ka-belbasiertes Internet verzichten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Thomas Jarzombek von der CDU/CSU?
Nein, heute ausnahmsweise nicht. Ich bin nämlich
gleich fertig.
Ich hätte mir von Ihnen im Übrigen auch eine deutlich
solidere Finanzierung und auch ein paar innovative
Ideen gewünscht. Wie wäre es beispielsweise mit Ideen
wie einer Commons-basierten Förderung? Darüber soll-
ten Sie einmal nachdenken. Ich könnte dem sehr viel ab-
gewinnen.
Letztendlich muss ich aber sagen: Sie setzen nur das
fort, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Sie haben
hohe Ziele, aber selber finanzieren wollen Sie sie nicht.
So wird es mit dem flächendeckenden Breitbandausbau
nicht klappen. Sie müssen irgendwann realisieren, dass
ein Breitbandanschluss zur Daseinsvorsorge gehört und
jedem zur Verfügung gestellt werden muss.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Kirsten Lühmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! WLAN in Zügen stand am Anfang. Aber das istnicht das wichtigste Ziel, das wir uns mit unserer Breit-bandstrategie vornehmen. Als regelmäßige Bahnfahrerinweiß ich natürlich, wie nervig es ist, wenn ich Mails undAnhänge nicht öffnen kann, weil die Übertragung stockt.Aber im Zug ist das nur eine Frage von wenigen Reise-stunden. Zu Hause ist eine solche Situation oft vonDauer. Das betrifft in Deutschland immer noch vieleMenschen und auch viele Unternehmen insbesondere inländlichen Räumen. Diesem Zustand wollen wir abhel-fen, liebe Kollegen und Kolleginnen. Deshalb legen wirIhnen heute diesen hervorragenden Antrag vor.
Wer wie ich in einer ländlichen Region zu Hause ist,kennt die Problematiken aus nächster Nähe. In meinemHeimatort gibt es zum Beispiel einen Elektronikfach-markt, der täglich erhebliche Datenpakete transportierenmuss und das aufgrund der nur wenigen zur Verfügung
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4130 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Kirsten Lühmann
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stehenden Frequenzen in der normalen Geschäftszeit garnicht mehr abwickeln kann. Es ist abzusehen, dass er ir-gendwann die Wettbewerbsfähigkeit verliert und imschlimmsten Fall sogar schließen muss. Das bedeutetnicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern dasbedeutet auch, dass seine Kunden und Kundinnen min-destens 30 Kilometer bis in das nächste Mittelzentrumfahren müssen. Dass solche Unternehmen vor Ort blei-ben, ist nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen,die ihren Wohnort nicht aufgeben wollen, sondern es istauch im Interesse der Kommunen, die den Wirtschafts-standort erhalten müssen.Die Digitalisierung des Alltags ist bereits weit voran-geschritten. Keiner von uns hier wird mehr denken, dasseine gute Internetverbindung nur für Nerds von Interesseist, die den ganzen Tag im abgedunkelten Zimmer„World of Warcraft“ spielen.
Die schnelle Breitbandverbindung wird auch im Alltagvon Privatmenschen immer wichtiger. Ob ich nun imRahmen des E-Governments einen Antrag bei meinemMeldeamt abwickeln will, ob ich eine Anzeige bei derPolizei aufgeben will, ob ich eine ärztliche Online-Sprechstunde in Anspruch nehmen will oder ob ich michals Bürgerin an einem Dialog zu einem Bauprojekt betei-ligen will, für all das brauche ich guten Zugang zum In-ternet. Den werden wir schaffen.
Ein gut ausgebautes Internet ist für die Entwicklungeiner Region heutzutage genauso wichtig wie ein gutausgebautes Straßen- oder Schienennetz. Deshalb habenwir uns zum Ziel gesetzt, dass wir bis 2018 flächende-ckend ein schnelles Internet verfügbar machen. Eswurde mehrfach gesagt: Wir haben uns ein hohes Zielgesetzt, aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, wir wer-den dieses Ziel auch erreichen.
Der Antrag, den wir heute vorgelegt haben, stellt aus-führlich dar, wie wir das machen.Ich fasse die wichtigen Ziele noch einmal in zweiPunkten zusammen. Wir brauchen eine gezielte, effi-ziente Förderung des Breitbandausbaus in dünnbesiedel-ten Regionen. Denn dort wird es wegen der mangelndenWirtschaftlichkeit, die ja mehrfach angesprochen wurde,nicht allein der Markt regeln. Außerdem brauchen wirflankierende Maßnahmen – das ist der zweite Punkt, denwir sehr schnell umsetzen müssen –, mit denen der Aus-bau beschleunigt wird, wie zum Beispiel Erleichterun-gen für alternative Kabelverlegungen. Dazu ist es vongroßer Bedeutung, dass wir mit den Ländern und Kom-munen eng zusammenarbeiten. Die Kommunen sind indieser Frage unsere Partner; denn sie profitieren ammeisten davon. Ich hatte es bereits erwähnt.Das betrifft unter anderem die Abstimmung vonFörderprogrammen, die wichtig ist, damit wir mit demEinsatz von Fördermitteln einen maximalen Effekt erzie-len können. Es gibt bei Kommunen ganz unterschiedli-che Voraussetzungen, zum Beispiel im Hinblick auf dieEigenanteile, die die Kommunen bei den Förderpro-grammen leisten müssen, oder im Hinblick auf Bürg-schaftsverpflichtungen, was insbesondere für Kommu-nen mit Haushaltsnotlagen von Bedeutung ist. Wennzum Beispiel eine Kommune bei Tiefbauarbeiten keineLeerrohre mit verlegen darf, weil das unter dem Ge-sichtspunkt der Haushaltssicherung eine unzulässige Zu-satzinvestition ist, dann steht diese Regelung nicht nurunserem Ziel des schnellen Breitbandausbaus entgegen,sondern sie ist auch unwirtschaftlich, weil der Erdbodennämlich später ein zweites Mal teuer aufgebuddelt wer-den muss. Das ist sinnlos.
Aus meiner Sicht sollten wir daher die Länder undKommunen auch bei der Netzallianz mit ins Boot neh-men. Ich sagte schon: In dünnbesiedelten Regionen sindes gerade die Kommunen, die das Projekt Breitbandaus-bau inzwischen in die eigene Hand nehmen. Schließlichwird es auch darauf ankommen, die Förderprogramme inausreichendem Maße finanziell auszustatten.Auch ich halte es deshalb für erforderlich, dass wiruns den Einnahmen aus der Neuvergabe der Frequenzenwidmen. Hier wurde ja sehr lange und ausführlich überden Frequenzbereich von 700 Megahertz und über dieSchwierigkeiten gesprochen. Aber es gibt daneben dieBereiche von 900 und 1 800 Megahertz, die wir wesent-lich früher und einfacher vergeben können. Ich denke,dass sich der Verkehrsminister in Zusammenarbeit mitdem Finanzminister unseren Bemühungen, Gelder fürdie Lösung dieses Problems zu generieren, anschließenwird.
Abschließend: Investitionen in den Breitbandausbausind gut angelegte Gelder. Denn eine Breitbandversor-gung ist Grundlage für das Erreichen von zwei ursozial-demokratischen Zielen: die gesellschaftliche Teilhabeund das wirtschaftliche Wachstum. In diesem Sinne: Pa-cken wir es an!Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter nicht an-wesender Ankündigungsminister Dobrindt,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4131
Dieter Janecek
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ich bin aus Bayern einiges gewohnt. So wollen wir Bay-ern immer in der Champions League spielen. Wenn Sieaber wirklich Champions League beim Breitbandausbaugewollt hätten, dann hätten Sie während der Koalitions-verhandlungen diese 1 Milliarde Euro nicht gestrichen.Diese Mittel brauchen wir nämlich dringend. Sie werdenes mit den Frequenzerlösen allein nicht schaffen; daswissen Sie ganz genau.
Man kann natürlich auch einmal fragen: Ist es dasZiel, dass wir bei der Fußballeuropameisterschaft 2016über DVB-T Fußball schauen können? Ich glaube nicht,dass dies das ist, was die Menschen beschäftigen wird,wie man am Zuspruch für das Public Viewing bei derlaufenden Weltmeisterschaft sehen kann. Das Ziel wirdsein, dass wir den Breitbandausbau auch im ländlichenRaum – ich komme aus Niederbayern und weiß daherum die Probleme in den ländlichen Regionen – so effi-zient gestalten, dass die Breitbandinfrastruktur selbst fürden mittelständischen Wettbewerber vor Ort attraktivwird. Hier ist Bayern nicht gerade Vorbild. Wenn mansich die Verflechtungen mit der Telekom in Bayern an-schaut, dann stellt man fest, dass in der Regel nicht diekleinen Unternehmen zum Zuge kommen, sondern dieTelekom das Geschäft macht. Ich bitte Sie, dass das ganzim Sinne des Mittelstands abgewickelt wird.
Ich kann den Bayern auch folgenden Punkt nicht erspa-ren: Nur 16 Prozent der Haushalte im ländlichen Raumhaben in Bayern einen Breitbandzugang. Auch hier sindwir Bayern keine Vorreiter.Kommen wir zur Bürokratie. Dazu finden Sie wol-kige Worte. Aber Realität ist: Das Förderprogramm inBayern war an 700 Kommunen adressiert. Aber wieviele davon haben in den ersten Jahren dieses Programmdurchlaufen? Zwei! Machen Sie sich Gedanken, wieman hier vorankommen könnte! Wenn Herr Dobrindtvon einem Daten-Tsunami spricht, dann ist das Aus-druck der Erkenntnis, dass hier etwas Gewaltiges auf unszukommt; das teile ich. Aber bei ihm hört sich das nacheiner Bedrohung und nicht nach der Möglichkeit an, Ba-sis und Rohstoff für den Erfolg unserer Wirtschaft imZeitalter der digitalen Revolution zu schaffen.
Laut Statistischem Bundesamt verfügte 2013 nurjedes vierte Unternehmen mit mindestens zehn Beschäf-tigten über eine schnelle Onlineverbindung von mindes-tens 30 Megabit pro Sekunde. Da haben wir Nachholbe-darf. Schauen Sie nach Belgien, in die Niederlande odernach Dänemark! Dort liegt der Anteil bei 40 Prozent. Esist gut, wenn wir uns das nun zum Ziel setzen. Ich habeIhren Antrag durchaus sorgfältig gelesen und festge-stellt, dass dort viel Richtiges steht. Wenn es aber kon-kret werden soll, dann steht dort nur noch sehr wenig.Sie müssen das Ganze mit Zahlen und Fakten unterle-gen. Sonst wird es nichts mit dem Breitbandausbau.
2013 standen 8 Prozent der Unternehmen mit mehrals zehn Beschäftigten nur ein ISDN-Anschluss oder einanaloger Anschluss zur Verfügung. Laut einer Studie derbayerischen Wirtschaft gibt ein Viertel der Unternehmenan, dass sie wichtige netzbasierte Anwendungen nichtnutzen können. Was bedeutet das heutzutage im Zeitaltervon Big Data und Wettbewerb? Diese Unternehmen ha-ben ein Problem. Sie kommen nicht mehr mit. Die Wert-schöpfung verschiebt sich von der Hardware hin zurSoftware. Wir sind sehr stark bei der Hardware. Aber beider Software sind wir wirklich noch nicht gut. Deshalbempfehle ich Ihnen, hier besser in die Spur zu kommen.
Für mich ist das Bekenntnis zum Wettbewerb sehrwichtig. Wettbewerb ist im Telekommunikationsbereichunerlässlich. Wir haben diesbezüglich gute Erfahrungenin der Europäischen Union gemacht. Schauen Sie sichnur die Preise in den USA an. Sie sind teilweise doppeltso hoch, weil dort Monopole vorherrschen. Wir in Eu-ropa haben eine Vielzahl von Wettbewerbern zugelassenund haben die Deutsche Telekom – nicht zu ihrer eige-nen Freude, wohl aber zur Freude des Verbrauchers – inden Wettbewerb gezwungen.Nun haben wir auf dem Markt eine Konzentrations-ballung zu beobachten. Ich kann von meinem Wahlkreis-büro in München auf den O2-Tower sehen. Gestern fieldie Entscheidung, den Zusammenschluss von O2 und ei-nem Wettbewerber zu genehmigen. Das kann man zurKenntnis nehmen, aber Sie müssen bitte darauf achten,dass auch in der Zukunft mittelständische Stadtwerkebeim Breitbandausbau eine Rolle spielen. Die Gefahr,die insbesondere von der EU-Ebene ausgeht, ist real,nämlich dass man zu stark in großen Strukturen denkt.Wenn zu stark in großen Strukturen gedacht wird, dannwird das schlecht für die Verbraucher und die Marktteil-nehmer insgesamt sein.
Ein Punkt, der schon angesprochen wurde, ist mirwichtig: Rechtssicherheit für WLAN-Netze zu schaffen.Beim Thema WLAN-Verfügbarkeit hat Deutschlandnoch einen gewissen Nachholbedarf. Sie haben das Bei-spiel von WLAN im Zug geschildert. Man könnte auchähnliche Beispiele von Cafés oder Hotels schildern.Dazu gehört auch die Frage, ob man nicht zu einem offe-nen Standard kommen kann, der das Internet frei zu-gänglich macht. Das ist mittlerweile in vielen Ländernwie den USA und Südkorea, wo ich in letzter Zeit war,ein Standard, der gepflegt wird. Auch darüber muss mannachdenken.WLAN-Zugang hat viel mit wandelnden Lebensstilenzu tun, aber auch mit wirtschaftlicher Innovationskraft;denn junge Kreative und Start-ups arbeiten gerne einmalim Park oder im Café. Deswegen ist es wichtig, dassman diese Infrastrukturentscheidung grundsätzlich für
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4132 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dieter Janecek
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diejenigen trifft, die so etwas nutzen können. Man sollteda nicht nur in großen Zusammenhängen denken, son-dern auch den Mittelstand in Betracht ziehen. In diesemSinne unterstützen wir Sie, dass Sie da vorankommen,bitten Sie aber, dass Sie das konkret unterlegen, damitwir wirkliche Fortschritte erzielen.Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Dass wir mit dem Breitbandausbau in Deutschland inden letzten Jahren enorm vorangekommen sind, zeigtsich alleine an der Tatsache, dass Sie heute auf IhremHandy oder – neudeutsch – auf Ihrem Smartphone dieSitzungen des Deutschen Bundestages live verfolgenkönnen. Das hätten Sie vor drei Jahren oder vor vier Jah-ren niemals gekonnt. Das ist die Folge des Ausbaus vorallem im LTE-Bereich, des Ausbaus des mobilen Inter-nets.
– Wer braucht das? Ich meine, wenn die Linken damitnicht umgehen können, dann ist das nicht unser Problem.
Ich denke, die Bevölkerung schätzt das sehr.Warum brauchen wir diesen Breitbandausbau? Dazuist heute viel gesagt worden. Die Bevölkerung hat einenAnspruch darauf. Aber ich möchte das Augenmerk aufdas Thema der wirtschaftlichen Entwicklung lenken. Ichhatte das schon anlässlich der Haushaltsdebatte an-gesprochen: Wir befinden uns im Übergang zur Indus-trie 4.0. Die Industrie 4.0 lebt von vernetzten, internet-basierten Dienstleistungen. Das heißt, wenn es uns nichtgelingt, in den nächsten Jahren unser Ziel – bis 2018 flä-chendeckend 50 Megabit pro Sekunde – zu erreichen,dann werden wir die Vorreiterrolle, die wir im Momentnoch beim Übergang zur Industrie 4.0 haben, einbüßen.Deshalb ist das ein existenzielles Thema für die weiterewirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.Schaut man sich den sehr detaillierten Breitbandatlasan, der im Internet abrufbar ist – auch das ist eine Inno-vation aus Deutschland; vielleicht haben Sie auch in dennoch keinen Blick hineingeworfen, was ich Ihnen aberdringend empfehlen würde, weil sehr viele Informatio-nen zum Breitbandausbau in Deutschland dort ablesbarsind –, dann kann man sehen, dass wir beim Breit-bandausbau bis 6 Megabit pro Sekunde schon sehr gutvorangekommen sind, aber die großen Bandbreiten nachwie vor fehlen, zumindest flächendeckend.Herr Janecek, es ist ganz interessant, dass Sie sich fürWettbewerb aussprechen.
Da sind wir durchaus einer Meinung; denn auch wirstehen dafür, dass dieser Ausbau eigentlich nur imWettbewerb gelingen kann, und zwar im Wettbewerb derUnternehmen, aber auch im Wettbewerb der Technolo-gien. Nur das bringt Innovationen und vor allem effi-ziente Lösungen hervor.Bei einer Sache sind Sie auf dem „Bayern-Auge“etwas blind; denn Bayern hat – da kann man noch Sach-sen und einige andere Bundesländer hinzufügen – mit ei-genem Geld enorme Anstrengungen unternommen, umden Breitbandausbau auf Landesebene voranzubringen.
Sie wissen ganz genau, dass Bayern alleine 1,5 Milliar-den Euro in die Hand nimmt, um da schneller voranzu-kommen. Da Sie aus Bayern kommen, sollten Sie auchdas loben, was aus Ihrem Lande kommt. Zumindest ent-spricht es dem sächsischen Anspruch, Leistungen ausdem eigenen Lande zu loben. Dass Sie das nicht machen,ist, wie ich finde, Ausdruck von fehlendem Lokalpatrio-tismus.
Man sollte sich einmal fragen: Wie sind die durch-schnittlichen Geschwindigkeiten in anderen Länderndieser Welt? Wer liegt dabei an der Spitze? Ganz vornliegt Südkorea: Dort beträgt die durchschnittliche Ge-schwindigkeit 21,9 Megabit pro Sekunde. In Deutsch-land liegt die durchschnittliche Geschwindigkeit bei7,7 Megabit pro Sekunde. Die Südkoreaner haben aufdiesem Gebiet eine enorme Leistung erbracht; das istüberhaupt keine Frage. Wir konnten uns davon überzeu-gen.Ich finde die Leistung dieses kleinen Landes sehr be-eindruckend. Aber dort herrschen natürlich andere Be-dingungen: Erstens. Man hat die notwendigen Arbeitenim Wesentlichen unter dem Dach eines monopolisti-schen Staatskonzerns erbracht. Zweitens. Dort gibt esüberwiegend Freileitungen, was in Deutschland kaumnoch möglich ist.Dann möchte ich noch etwas zur Versteigerung vonFrequenzen sagen. Alle rechnen mit mehr Geld: DerBund und auch die Länder rechnen mit mehr Geld; allewollen sie eine Menge zusätzliches Geld durch die Ver-steigerung der Frequenzen bekommen. Man muss natür-lich auch sagen: Das Geld, das den Unternehmen durchdie Ersteigerung von Frequenzen entzogen wird, stehtihnen für den Netzausbau nicht mehr zur Verfügung.
Insofern muss man die Sache schon von beiden Seitenbetrachten. Wir haben bei der Versteigerung der UMTS-Frequenzen sehr gut sehen können: Diese Versteigerunghat zwar den Finanzminister hoch erfreut und eineMenge Geld in die Staatskasse gespült; aber sie hat dieInvestitionskraft der Unternehmen stark geschwächt.Die damals erworbenen UMTS-Frequenzen liegen teil-weise bis heute sozusagen brach.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4133
Andreas G. Lämmel
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Ein weiteres Thema – es wurde heute mehrfach ange-sprochen; es wird auch in unserem Antrag ausgeführt –ist der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz. Die Lin-ken fordern, endlich einmal eine deutsche Regelung fürein schnelleres Netz zu treffen. Wissen Sie, wir leben inEuropa. Jetzt eine deutsche Regelung zu treffen, die wo-möglich in einem halben Jahr durch europäische Rege-lungen, etwa durch Verordnungen, die die EuropäischeKommission erlässt, überholt wird, ist sinnlos. Ich weiß,dass die Linken dann die Ersten wären, die hier eine De-batte anzetteln und behaupten würden: Die Regierung isteinfach unfähig, eigene Regulierungen zu schaffen.
– Sie müssen sich mal für irgendetwas entscheiden. AberSie wissen anscheinend selber nicht, wohin Sie wollen.Ihr Verweis vorhin auf die glorreichen Zeiten derDDR war bezeichnend. Die Dichte an Telefonen in derDDR war geringer als die Dichte an Breitbandanschlüs-sen auf dem Land heutzutage.
Ihr Verweis auf die DDR ist völliger Unfug. Wissen Sie,wozu der Einsatz des Internets in der DDR, wenn es sienoch geben würde, dienen würde? Er würde vor allemzur Überwachung der Bürger genutzt werden, aber nichtzum Wohl der Bürger. Solch einen Schwachsinn solltenSie von diesem Pult aus lieber nicht mehr verbreiten.
Meine Damen und Herren, zum Thema Netzneutrali-tät. Es wird sicherlich sehr wichtig sein, dass wir in dennächsten Monaten intensiv darüber diskutieren. Natür-lich kommen all die Dinge zur Sprache, die heute hierdiskutiert worden sind. Wir brauchen den diskriminie-rungsfreien Zugang; er muss gesetzlich garantiert wer-den. Aber die Regulierung an sich muss sich auf dasFestlegen von Mindeststandards für das Netz beschrän-ken. Wir brauchen jetzt keine Regulierung, die sämtlicheStandards festlegt, da diese Standards in einem halbenoder in einem Jahr schon wieder überholt sind.
Noch einmal: Was wir brauchen, sind Mindeststandards.Man muss sich Folgendes klarmachen: Die Netzaus-bauer investieren jedes Jahr viel Geld, egal ob in Kabel-netze oder in Funknetze. Aber sie sind im Prinzip nurdiejenigen, die den Verbreitungskanal bauen. Die Dienste-anbieter, wie die großen amerikanischen Konzerne, nut-zen diese Infrastruktur völlig kostenlos, und sie treibensozusagen von hinten immer wieder dazu an, nochschnellere Netze aufzubauen.Ich halte das für ein Missverhältnis: Auf der einenSeite sitzen die Nutznießer, die mit einer großen Powerimmer mehr Inhalte durch das Netz transportieren wol-len, und auf der anderen Seite sitzen diejenigen, die dieInfrastruktur schaffen und keine Möglichkeit haben, da-raus Nutzen zu ziehen. Man sollte hier für Ausgewogen-heit sorgen und eine Balance finden.Nötig ist, wie gesagt, ein diskriminierungsfreier Zu-gang; das ist ganz klar. Darüber hinaus muss es möglichsein, über Managementsysteme Vorrangspuren zu schaf-fen – wenn genügend Bandbreite vorhanden ist, ist dasauch möglich –, um die Netzbetreiber und die für die In-frastruktur Verantwortlichen in die Lage zu versetzen,mit schnellen Diensten zusätzliche Einnahmen zu erwirt-schaften.Ich kann also nur für den Antrag werben. Er ist her-vorragend. Er ist zwar ein bisschen umfangreich gewor-den. Aber so ist es nun einmal: In einer Großen Koali-tion braucht man auch einen großen Antrag.
Insgesamt umfasst er alle Bereiche, die beim Breit-bandausbau berücksichtigt werden müssen. Deswegenbitte ich Sie um Zustimmung.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Saskia Esken, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Wahl-kreis Calw liegt im nördlichen Schwarzwald. Dieserwunderschöne, bei Touristen aus der ganzen Welt sehrbeliebte Landstrich zeichnet sich aus durch dichte Wäl-der, durch Berge und verwinkelte Täler. Ich gebe esgerne zu: Ich genieße die Ruhe, wenn ich dorthin zu-rückkehre.Doch das Arbeiten im Internet, die Recherche, dieKommunikation, die Vernetzung mit Kolleginnen undKollegen und mit anderen, das ist oft sehr beschwerlich;denn schon für die ganz triviale Internetnutzung einerBundestagsabgeordneten ist das Netz in vielen kleinerenOrten in meiner Heimat nicht ausreichend.Die Architekten, die Grafikdesigner, die kleinen Ener-gieunternehmen oder die Krankenhäuser im ländlichenRaum können ein Lied singen von den wirtschaftlichenAuswirkungen der fehlenden oder zumindest unzurei-chenden Breitbandversorgung. Lange werden sie sich ansolchen Standorten nicht halten können. Auch Einrich-tungen, Schulen und Vereine sind auf schnelles und ver-lässliches Internet angewiesen. Ich stelle einmal dieFrage in den Raum: Liegt die wirtschaftliche StärkeDeutschlands nicht auch in einer dezentralen Struktur,und wäre es nicht unsere Aufgabe, diese zu erhalten?Nicht nur die Industrie und ihre besonderen Poten-ziale im Zuge einer sogenannten vierten industriellenRevolution verdienen unsere Aufmerksamkeit. Dies tunauch die beiden Sektoren, die in Deutschland die meis-ten und die zweitmeisten Arbeitsplätze hervorbringen.
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4134 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Saskia Esken
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An erster Stelle steht hier die berühmte Wirtschafts-macht von nebenan, also das Handwerk. An zweiterStelle steht der Tourismus, der ohne ein schnelles, ver-lässliches und kostenfreies WLAN-Angebot in der Gunstder Gäste schnell ins Hintertreffen gerät.Mit dem vorliegenden Antrag erneuern und konkreti-sieren wir das Ziel dieser Koalition, bis 2018 eine Ver-sorgung aller deutschen Haushalte, aber auch Einrich-tungen und Unternehmensstandorte mit 50 Megabit proSekunde zu erreichen. 50 Megabit pro Sekunde, das istfür eine ländliche Kommune wie die, von der ich geradegesprochen habe und die gerade einmal über Übertra-gungsraten von 1 oder 2 Megabit pro Sekunde verfügt,ein recht ambitioniertes Ziel. Ich glaube, wir könntenuns eines großen Fortschritts rühmen, wenn wir dieseRate flächendeckend und verlässlich installiert haben.
Aber ich möchte nicht nur am Rande anmerken, dassdieses Ziel im internationalen Vergleich und bei der ra-santen Zunahme auch der Anwendungsbereiche in digi-taler Wirtschaft und Gesellschaft ganz sicher kein zuambitioniertes Ziel ist. Für die datenintensive Wirtschaftist eine Übertragungsleistung von 50 Megabit schonheute bei weitem nicht ausreichend.Neben der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unse-rer Wirtschaft ist der Breitbandausbau aber auch eineGrundbedingung dafür, dass alle Menschen im Land ander Wissens- und Informationsgesellschaft, am sozialenund am öffentlichen Leben und immer mehr übrigensauch an politischen Prozessen teilhaben können. DerStaat – diese Überzeugung teilen sicher alle in diesemHaus – ist dem Wohl seiner Bürger verpflichtet. Dazugehört auch die Daseinsvorsorge. Deshalb kümmern wiruns darum, dass auf gut ausgebauten Straßen überall imLand Menschen fahren können und Güter transportiertwerden können. Wir sorgen dafür, dass zu Hause und inder Fabrik das Licht brennt und dass morgens sauberesWasser aus der Dusche kommt. Wir betreiben Bildungs-und Kultureinrichtungen überall im Land. Wenn Men-schen krank sind, dann sorgen wir dafür, dass sie auch inder Fläche eine gute medizinische Versorgung vorfinden.
Ich bin vollkommen davon überzeugt: Aufgabe derDaseinsvorsorge ist es ebenso, allen Menschen überallim Land eine gute und zukunftsfähige Netzinfrastrukturzu bieten.
Die digitale Spaltung in besser versorgte und wenigeroder gar nicht breitbandversorgte Wohnorte und Unter-nehmensstandorte muss überwunden werden. Jeder mussdieselben Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Teil-habe an Wirtschaft und Gesellschaft haben. Deshalb binich auch dankbar, dass dieser Antrag ein klares Bekennt-nis zur Netzneutralität enthält.
Zur Netzneutralität werden wir noch einen Gesetzent-wurf vorlegen. Entsprechende Regelungen sind selbst-verständlich nicht Bestandteil dieses Antrags. Wir wol-len mit diesem Antrag ja nicht die Welt retten; es gehthier um den Breitbandausbau.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der digitalenBildung – diese Bemerkung mögen Sie mir als Bildungs-politikerin verzeihen – ist das schnelle Internet für alleeine weitere grundlegende Bedingung für die wirtschaft-liche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland.Weil Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen von denChancen der Digitalisierung profitieren, sind sie auchgemeinsam für das Gelingen verantwortlich. Die Wirt-schaft und die Politik im Bund, in den Ländern und inden Kommunen müssen sich also gemeinsam auf denWeg machen, um den Ausbau des schnellen Internets vo-ranzubringen; das befördernde Element des Wettbe-werbs ist schon angesprochen worden.In einer idealen Welt würden wir dabei sicher von An-fang an jeden Haushalt, jeden Betrieb, jede Schule undjedes Rathaus mit Glasfaserkabeln ans schnelle Netzanbinden. Angesichts der finanziellen Begrenzungenkönnen wir aber auf den Einsatz von Funklösungen zu-mindest im Übergang nicht verzichten, wenn wir die ge-steckten Ziele bis 2018 erreichen wollen.Ich möchte als Abgeordnete eines ländlichen Raumsdeutlich sagen: Gerade bei uns im ländlichen Raum– das weiß jeder, der auf der Fahrt durch den Schwarz-wald schon einmal mobil telefoniert hat, selbstverständ-lich als Beifahrer –
stoßen Funklösungen schnell an ihre natürlichen Gren-zen. Wenn in einem solchen Funknetz nicht nur ich, son-dern auch mein Nachbar größere Datenmengen ladenund verarbeiten will, dann verkommt die versprochenehohe und stabile Übertragungsleistung schnell zur schö-nen Theorie. Deshalb müssen zu den Unterschieden zwi-schen vertraglich vereinbarter und tatsächlich zur Verfü-gung stehender Leistung bei Funklösungen klare,transparente Informationen auf den Tisch.Langfristig muss in der ganzen Fläche des Landes derAusbau des Glasfasernetzes vorangetrieben werden. Dievorbereitenden Arbeiten – das wissen wir –, insbeson-dere der Tiefbau, machen hier 90 Prozent der Kostenaus. Deswegen müssen die Arbeiten im Zuge einer Mit-verlegungspflicht heute schon so ausgeführt werden,dass die Aufrüstung später erleichtert wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politikist sich ihrer Verantwortung bewusst. Vielerorts habensich Kommunen – das wurde auch schon erwähnt – imSinne der angesprochenen Daseinsvorsorge auf den Weggemacht. Sie gründen Zweckverbände – es war die Redevon Genossenschaften und anderen Zusammenschlüssen –,um die Breitbandversorgung für ihre Bevölkerung und
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Saskia Esken
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für die ansässige Wirtschaft zu verbessern. Insbesonderein der Fläche,
wo die Kosten pro Anschluss kaum refinanziert werdenkönnen, müssen wir die Kommunen dabei unterstützen.Der bürokratische Aufwand für die Projektierungselbst – der Kollege hat es angesprochen –, aber auch fürdie Erlangung der unterschiedlichsten Fördermittel mussdabei vor allem für die Kommunen deutlich reduziertwerden.Einen erfolgreichen und schnellen Breitbandausbauwerden wir nur auf den Weg bringen können, wenn auchdie finanziellen Mittel dafür gewährleistet sind; derPunkt ist ebenfalls schon angesprochen worden. Basie-rend auf einer eher konservativen Kostenaufstellung ha-ben wir deutlich gemacht – da waren sich alle Fachpoli-tiker einig –, dass für den anvisierten Breitbandausbau,den wir uns vorgenommen haben, pro Jahr mindestens1 Milliarde Euro investiert werden müsste. Erwartetwird jetzt, dass durch die Versteigerung von freiwerden-den Funkfrequenzen einmalig rund 1 Milliarde Eurooder etwas mehr erzielt werden kann. Selbst wenn dieseEinnahmen zu 100 Prozent in den Breitbandausbau gin-gen, wären wir von der notwendigen Bereitstellung von1 Milliarde Euro pro Jahr weit entfernt. Ich möchte des-halb hier deutlich sagen: Wenn wir die Potenziale, diemit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaftverbunden sind, ausschöpfen wollen, wenn wir mit derinternationalen Entwicklung Schritt halten wollen, dannmuss der Bund bereit sein, künftige Haushaltsspielräumehierfür zu nutzen.
Die Koalition muss hier auch ein Zeichen setzen: In-vestitionen in die digitale Infrastruktur sind prioritär. ZurNutzung der sogenannten Digitalen Dividende II müssenBund und Länder zu einer guten gemeinsamen Strategiezusammenfinden, um weitere Investitionsmittel für denBreitbandausbau freizumachen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-land ist ein modernes und ein wohlhabendes Land.Chancengleichheit, Innovation und eine starke Wirt-schaft waren auf dem Weg dahin unsere Erfolgsmotoren,und das sollen sie auch bleiben. Um nicht einen Schrittzurück zu machen, sondern weiter nach vorn zu gehen,müssen wir uns für die Digitalisierung von Wirtschaftund Gesellschaft starkmachen, also für den Ausbau derBreitbandversorgung.
Frau Kollegin – –
Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dürfen den vor-
liegenden Antrag deshalb durchaus als Auftrag verste-
hen, Deutschland zu einem – wie heißt es so schön? –
modernen Land mit modernen Netzen zu machen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin, wenn Sie noch eine Sekunde stehen
bleiben würden. – Sie hatten die Zeit leicht überzogen.
Das hatten Sie schon selbst gemerkt, und deswegen ha-
ben Sie einfach weitergesprochen, statt mir zuzuhören.
Es gibt aber noch den Wunsch des Kollegen Behrens
von der Linken, eine Frage zu stellen. Wenn Sie die noch
zulassen, haben Sie Gelegenheit, präzise und kurz darauf
zu antworten. Mögen Sie sie zulassen?
Ich lasse das zu. Bitte schön.
Bitte schön.
Vielen Dank, Kollegin Esken, dass Sie das noch zu-
lassen! – Sie haben eben von Zeichen und auch von Geld
gesprochen. Nun habe ich in einer Antwort des Ministe-
riums erfahren, wie es denn um die Finanzierung und
den Einstieg in den Ausbau der Netze steht. In der Ant-
wort wird uns mitgeteilt:
Von Bund und Ländern werden – unter Einbezie-
hung der EU-Mittel – in den nächsten Jahren rund
zwei Milliarden Euro für den Ausbau hochleis-
tungsfähiger Breitbandnetze eingesetzt.
Ist das das Zeichen, von dem Sie sprechen, oder ist es
schon das Geld, was zu erwarten ist?
Ich denke, dass es ein guter Anfang ist. Das ist der
bisherige Stand. Ich habe von einer gemeinsamen
Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
gesprochen. Ich denke, wenn wir uns zusammentun,
können wir das auch leisten.
Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr. Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Füruns als Netzpolitiker stehen die Chancen des Internetsim Vordergrund: das gesamte Wissen der Welt mit einemMausklick überall verfügbar, zumindest theoretisch.Bei aller Faszination, die von den ungeahnten Mög-lichkeiten im Netz ausgeht: Grundlegende Vorausset-zung für die Teilhabe an den Chancen der digitalen Ge-
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Dr. Andreas Nick
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sellschaft ist und bleibt der physische Zugang zumInternet selbst.Breitband ist Standortfaktor Nummer eins. Das ergabvor kurzem eine Umfrage für die Breitbandstudie 2014des Verbands BREKO. Für mittelständische Unterneh-men und Selbstständige ist die Fähigkeit, vielfältige In-formationen und große Datenmengen – von Verträgenbis hin zu komplexen technischen Zeichnungen – mitKunden und Partnern weltweit jederzeit rasch und ver-lässlich austauschen zu können, zu einem entscheiden-den Faktor in einem internationalen Wettbewerb gewor-den.Aber auch die Attraktivität einer Gemeinde als Wohn-standort hängt inzwischen vom Internetzugang ab. OhneZugang zu schnellem Internet sind Orte nicht nur fürjunge Familien als Wohnstandort unattraktiv, Einfami-lienhäuser an derartigen Standorten erweisen sich daherzunehmend als praktisch unverkäuflich.Eine „digitale Spaltung“ unseres Landes können unddürfen wir uns nicht leisten. Es wäre doch geradezu ab-surd, wenn wir die mit dem Internet verbundenen Chan-cen zur Dezentralisierung vieler Funktionen und Aktivi-täten in ihr krasses Gegenteil verkehren würden. Wenndie erforderliche Infrastruktur nur in den Ballungs-räumen verlässlich zur Verfügung stünde, wären dievolkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten ei-ner solchen Fehlentwicklung auf Dauer immens.Deshalb brauchen wir ein modernes Netz für ein mo-dernes Land, und zwar flächendeckend und so rasch wiemöglich. Natürlich wäre – jedenfalls nach heutigemStand der Technik – ein flächendeckendes Glasfasernetzdas Idealziel. Das sollte es vor allem längerfristig auchbleiben. Über den Investitionsbedarf von gut 90 Milliar-den Euro, der dafür notwendig wäre, ist schon gespro-chen worden. Zu erwähnen ist hier auch, dass die Zah-lungsbereitschaft der Verbraucher für den Mehrwert desschnellen Netzes nur eingeschränkt ausgeprägt ist.Deswegen ist der flächendeckende Breitbandausbaumit 50 MBit pro Sekunde bis 2018 ein richtiges undwichtiges Etappenziel, aber nur ein Etappenziel auf ei-nem Weg, der weiterführen muss. Dazu müssen wir– das ist schon gesagt worden – in einem ersten Schrittauf einen breiten Technologiemix setzen. Kernstück istnatürlich der zielgerichtete Ausbau der Kabel- undGlasfasernetze, ergänzt durch die Möglichkeiten, die diemoderne Mobilfunktechnologie mit LTE und NextGeneration Mobile Networks, NGMN, bietet. Damitkönnen wir in bisher unversorgten Gebieten Lückenschließen, aber auch die Voraussetzung für die Nutzungzukünftiger mobiler Anwendungen schaffen.Mobiles Internet – vor wenigen Jahren kaum vorstell-bar – ist durch die rasante Verbreitung von Smartphonesund Tablets, nicht nur in diesem Hause, bereits allgegen-wärtig. Aber 76 Prozent der Internetnutzungen mitmobilen Endgeräten erfolgen in festnetzgebundenenWLAN-Netzen. Auch deshalb brauchen wir in Deutsch-land eine möglichst weitgehende Verfügbarkeit von all-gemein zugänglichem WLAN, wie es bereits in vielenanderen Ländern Standard ist.
Dazu müssen wir Rechtsunsicherheiten – Stichwort„Störerhaftung“ – möglichst rasch beseitigen.Es darf auch nicht vergessen werden, dass die not-wendige Festnetzinfrastruktur für Mobilfunk undWLAN mit dazu beiträgt, Glasfaser immer näher an denEndkunden heranzubringen.Für das Erreichen des Ziels bis 2018 kommt aber vorallem der Ertüchtigung der bestehenden DSL-Infrastruk-tur durch sogenanntes Vectoring eine besondere Bedeu-tung zu. Allerdings kann Vectoring immer nur von ei-nem einzelnen Netzbetreiber in einem Leitungsbündeleingesetzt werden, das heißt, der Betreiber benötigt dieKontrolle über sämtliche Leitungen, die an dem jeweili-gen Kabelverzweiger ankommen.Hier müssen wir durch wirksame Regulierung dafürsorgen, dass dies möglich ist, aber weiterhin auchWettbewerb sicherstellen, und zwar nicht nur denWettbewerb der Infrastrukturanbieter um die einzelnenKabelverzweiger – Stichwort „Vectoring-Liste“ derBundesnetzagentur –, sondern darüber hinaus auch denweiteren diskriminierungsfreien Wettbewerb unter-schiedlicher Leistungsanbieter auf dieser Infrastruktur.Wir brauchen nicht nur den Wettbewerb der Techno-logien, sondern auch den Wettbewerb unterschiedlicherInfrastruktur- und Dienstleistungsanbieter. Es wäre eingewaltiger Irrweg, zu glauben, mit einer weitgehendenRemonopolisierung, ob verdeckt oder offen, wäre derNetzausbau durch große nationale Anbieter effektiver zuerreichen. Das Gegenteil ist häufig der Fall. Es sind dochgerade die kleineren, alternativen Netzbetreiber, die füreinen deutschlandweiten Ausbau mit Highspeed-Internetunentbehrlich sind.
So haben sich zum Beispiel die alternativen Netz-betreiber des BREKO-Verbandes mit dem Start ihrerGlasfaseroffensive bei entsprechenden politischen undregulatorischen Vorgaben dazu verpflichtet, bis zum Jahr2018 bis zu 9,1 Milliarden Euro zu investieren und da-mit bis zu 11,2 Millionen Anschlüsse – das sind nahezu75 Prozent der Anschlüsse außerhalb der Ballungszen-tren – mit Bandbreiten bis zu 50 MBit pro Sekunde zuversorgen.Ein typisches Beispiel für die Bedeutung alternativerAnbieter findet sich in meinem ländlich geprägten Wahl-kreis. Das ist bei vielen Kollegen ähnlich. Bei uns inves-tiert derzeit die KEVAG Telekom als Tochter des regio-nalen Energieversorgers evm 18 Millionen Euro in dieAnbindung von mehr als 150 Ortsgemeinden durchmehr als 250 Kilometer Glasfaserleitung.Oftmals ist es ja gerade erst dieser Wettbewerb, obdurch Kabelanbieter oder regionale Anbieter, der einengroßen Player wie die Telekom dazu bringt, selbst aktivzu werden, dann auf einmal auch in Regionen, die ausder Sicht eines großen Versorgers lange Zeit offenbarkeine Relevanz hatten.
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Dr. Andreas Nick
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Ein praktisches Beispiel dafür findet sich ebenfalls inmeinem Wahlkreis. In der Verbandsgemeinde Monta-baur errichtet die VGM-net, eine kommunal getrageneAnstalt öffentlichen Rechts, derzeit für 2,3 MillionenEuro ein Glasfasernetz, über das künftig 13 000 Einwoh-ner in 16 kleineren Gemeinden mit schnellem Internetversorgt werden können. Das ist im Übrigen eine kom-munale Eigeninitiative, die ohne Fördermittel des Lan-des Rheinland-Pfalz auskommt. Erst als das zunächstnoch deutlich größer angelegte Projekt bereits auf denWeg gebracht war, erklärte sich die Telekom, nachdemzuvor jahrelange Gespräche vergeblich geblieben waren,plötzlich bereit, die Versorgung des Kerngebiets derStadt Montabaur selbst zu übernehmen. Wettbewerbwirkt!
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, wir stehen in der Tat erst am Anfang des digi-talen Zeitalters, das von rasanten Entwicklungen geprägtist: Smartphone, Tablet-PC, modernes Auto, Internet derDinge, das alles wird unseren Alltag noch viel mehrdurchdringen. In fast allen gesellschaftlichen Bereichenhaben digitale Technologien bedeutenden Einfluss da-rauf, wie wir leben und arbeiten. Ohne das Internet wä-ren die digitale Wirtschaft oder Industrie 4.0 nicht denk-bar.Der Breitbandausbau und damit die Möglichkeit, amschnellen Internet teilzuhaben, ist deshalb kein Selbst-zweck. Er ist essenziell für die weitere wirtschaftlicheund gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands als einmodernes und zukunftsfähiges Land.Vielen Dank.
Ich freue mich, dem Abgeordneten Stefan Zierke,
SPD-Fraktion, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bun-
destag das Wort zu geben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir reden heute über 40 Prozent der deut-schen Bevölkerung, die nicht am Internet teilhaben kön-nen. Wir reden nicht über die 60 Prozent, die sich aussu-chen können, mit wem sie denn ins Internet gehen. LiebeKollegen von der Linksfraktion und von der Fraktion derGrünen, helfen Sie doch diesen 40 Prozent derDeutschen, damit auch sie 2018 Internetzugänge habenkönnen, und unterstützen Sie die Daseinsvorsorge derRegionen vor Ort.
– Ich kann dem Kollegen, der gesagt hat, dass Sie immerzwischenrufen und pessimistisch sind, nur zustimmen.Ich möchte den Menschen in ländlichen Regionenhelfen. Ich möchte dafür auch einige Beispiele bringen.Ich komme aus der Uckermark. Wer die Uckermarknicht kennt: Sie liegt 90 Kilometer nördlich von Berlin.Diese Region hat erhebliche Probleme. Bei uns in derUckermark verfügen nur 5 Prozent der Haushalte imländlichen Raum über einen Breitbandzugang mit einerGeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde. Dasheißt, 95 Prozent der Haushalte im ländlichen Raumkönnen zum Beispiel gar nicht meine heutige erste Redeüber den Livestream des Bundestages miterleben.
– Ja, das ist traurig; aber 95 Prozent der Haushalte kön-nen auch Ihre Reden nicht miterleben. –
In 24 von 48 Gemeinden existiert gar kein schnelles In-ternet.Über Teilhabe und gleiche Wettbewerbsbedingungenfür urbane und ländliche Räume wurde heute schon vieldiskutiert. Ich möchte einen typischen Architekten zitie-ren – das Beispiel wurde schon genannt –, den es in derUckermark wirklich gibt. Er hat gesagt: Die Standort-vorteile, die die Uckermark aufweist – die Ruhe und dieNatur, die mir ein Ausleben der Kreativität ermöglichen,das ich für meinen Beruf wirklich brauche –, sind sehrgut, die Baukosten sind niedrig; aber leider kann ichnicht an den Standort kommen, weil ihr es nicht schafft,eine Datenleitung bereitzustellen, über die ich mit mei-nen Partnern, die überall auf der Welt sind, über Video-konferenzen kommunizieren kann und meine architekto-nischen Leistungen per Datenpaket an meine Partnerweitergeben kann. – Das muss geändert werden, und daswollen wir mit diesem Antrag bis 2018 ändern.
Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Herz und BlutTourismuspolitiker bin. Im ländlichen Raum ist geradeder Tourismus einer der Wirtschaftsfaktoren, mit demman Defizite in anderen Wirtschaftszweigen, die mo-mentan nicht mehr ihre Blüte erreichen, auffangen kannund wirtschaftliche Potenziale heben kann. Was störtaber momentan die Entwicklung des Tourismus im länd-lichen Raum? – Es ist der fehlende Zugang zum Internet.Es geht nicht nur darum, dass die Hoteliers ihre Ange-bote im Internet weltweit präsentieren wollen, sondernauch darum – das ist der umgekehrte Fall –, dass diejeni-gen Gäste, die sich ihre Reisen zum größten Teil im In-ternet aussuchen – es sind 60 Prozent –, nur die Reisenfinden, die dort zu finden sind. Im Internet findet mannicht so viele Angebote zu Reisen in den ländlichenRaum, obwohl die Leistungsfähigkeit der dortigen Tou-rismusbranche groß ist. Der fehlende Zugang zu schnel-lem Internet ist ein großer Nachteil. Ich hoffe, dass wir
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Stefan Zierke
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diesen Nachteil mit dem Antrag ausmerzen und damitdem Tourismus im ländlichen Raum einen Wachstums-schub geben können.
Ich bin im Verkehrsausschuss, und Verkehre im länd-lichen Raum interessieren mich. Ich habe festgestellt– da kann man ruhig die Berliner als Beispiel nehmen –,dass sich die Berliner sehr gut in ihrem S-Bahn-Netzauskennen; sobald sie aber in den ländlichen Raum ge-hen und nicht mehr gesicherten Zugriff auf eine Rei-sekette verschiedener Verkehrsträger haben, fällt es denBerlinern sehr schwer, den Nahverkehr zu nutzen. EinInternetzugang und eine flächendeckende Funkverbin-dung für Mobiltelefone erleichtern es den Gästen erheb-lich, die verschiedenen Verkehrsträger zu nutzen, dieaufeinander abgestimmt sind. Sie erhalten einen vielbesseren Zugang zum öffentlichen Nah- und Fernver-kehr, wenn sie sich mithilfe ihres Smartphones und desInternets ihre Reiseketten zusammenstellen können unddamit viel sicherer zum Ziel, zur Destination, zum ge-buchten Haus kommen. Das ist Fortschritt. Ich denke,die Regionen brauchen diesen wirtschaftlichen Fort-schritt.
Das erreichen wir nur mit unserem Antrag, mit dem wirbis 2018 einen flächendeckenden schnellen Internetzu-gang schaffen wollen.Ich habe noch zwei Sekunden Redezeit, muss abereinfach noch ein paar Worte zur Bildung loswerden; alsSozialdemokrat muss man die Bildung ansprechen. Ent-schuldigen Sie die Überziehung! – Schüler, die in meinerHeimatstadt Prenzlau auf das Gymnasium gehen, erhal-ten vom Lehrer die Aufgabe, im Internet zu recherchie-ren. Alle, die in Prenzlau wohnen, sagen: Kein Thema;ich bin in einer halben Stunde zu Hause und recher-chiere. – Diejenigen, die aus dem ländlichen Raum kom-men und nach der Schule noch eine Dreiviertelstundelang in ihr Dorf fahren müssen, fragen sich: Wie soll ichim Internet recherchieren? Meine Heimat ist ja gar nichtangebunden. – Das heißt, sie haben schon bei der Aufga-benstellung den Stress und fragen sich: Wo komme ichwie ins Internet, um diese Aufgabe zu lösen?Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bitte unterstützenSie alle diesen Antrag, damit unsere Schülerinnen undSchüler im gesamten ländlichen Raum die Möglichkeithaben, Bildungsangebote wirklich wahrzunehmen.Vielen Dank.
Wir gratulieren dem Kollegen Stefan Zierke zu seiner
ersten Rede im Deutschen Bundestag
und sind sicher, dass er in Zukunft die Redezeit ord-
nungsgemäß einhalten wird. Sie können das dann wieder
abarbeiten. Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ih-
nen weitere interessante Debatten.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dieserJungfernrede, Herr Kollege. Sie hat eindrucksvoll ge-zeigt, wie wichtig eine gute Breitbandinfrastruktur ist.Im Übrigen habe ich heute auch gelernt, dass der Berli-ner den Mut haben soll, einmal ins Umland zu fahren.Das war ein starkes Plädoyer.
– Sagt der Düsseldorfer, ganz genau. Sie werden es nichtglauben: Ich war in meinem Leben sogar schon mal inKöln. Es geht nichts über interkulturellen Austausch.Nach all den Beiträgen, die wir heute zum ThemaBreitbandausbau gehört haben, ist mir wichtig, festzu-halten: Wir sind viel besser, als es in manchen Redenklingt. Das möchte ich anhand eindrucksvoller Zahlenbelegen.Hier wird oft nur über die Kabel geredet. Aber das,worauf es ankommt, ist doch: Wie viele Menschen nut-zen die Dienste?
Noch vor rund fünf Jahren, im Jahr 2008, haben ledig-lich 55 Prozent der deutschen Haushalte tatsächlich ei-nen Breitbandanschluss gehabt. Laut Eurostat ist dieserAnteil in den letzten Jahren von 55 Prozent auf 85 Pro-zent gestiegen. Es ist ein großer Erfolg der Politik derletzten Jahre,
dass wir in Deutschland mittlerweile eine so hohe Ver-fügbarkeit und auch Nutzung von Breitbandanschlüssenhaben. Damit liegen wir immerhin auf Platz vier, nurdrei Punkte hinter dem Spitzenreiter Finnland. Ich glaube,das kann sich sehen lassen.
Wir müssen, wenn wir sehr detailliert beschreiben,wie wir unsere Ziele beim Breitbandausbau erreichenwollen, auch an die Nutzung denken; das ist für mich einwichtiger Punkt, der nicht vergessen werden darf. Ichpersönlich finde es, ehrlich gesagt, absolut unbefriedi-gend, dass im Jahr 2014 in der Schule das Thema Me-dien immer noch stiefmütterlich behandelt wird.
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Thomas Jarzombek
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Wir müssen uns wirklich dafür einsetzen, dass die Chan-cen, die das Internet auch im Bereich Bildung bietet, er-kannt und nutzbar gemacht werden. Wir reden viel zuviel über Risiken. Lassen Sie mich ein konkretes Bei-spiel nennen.Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat ei-nen Erlass herausgegeben, der jeden Schüler ab derzehnten Klasse dazu verpflichtet, sich einen Grafikta-schenrechner für 85 Euro zu kaufen. In meinem Wahl-kreis gibt es mehrere Schulen, die sagen: Da können wirdoch eigentlich gleich ein Tablet anschaffen; das kostetnicht viel mehr, aber man kann viel mehr damit machen,zum Beispiel auf Wikipedia zugreifen oder ausländischeZeitungen lesen etc. Die NRW-Landesregierung sagt:Nein, das dürft ihr nicht, ihr müsst diesen Grafiktaschen-rechner kaufen, und keiner darf vom Plan abweichen. –Da unser Koalitionspartner eventuell bessere Drähtenach Nordrhein-Westfalen hat, wünschen wir uns vonihm, dass er hier aktiv wird; denn da gibt es noch Luftfür Verbesserungen.
Zum Thema „Internet und seine Entwicklung“. Wirdiskutieren darüber, ob 50 Megabit pro Sekunde eigent-lich ein ambitioniertes Ziel oder ein realistisches Zielsind. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Zahlnennen. Die erste mobile Internetnutzung über paketver-mittelte Netzwerke gab es im Jahr 2000 mit 38 Kilobitpro Sekunde; das hat übrigens sogar für den DB-Naviga-tor gereicht, aber für viel mehr auch nicht.
Zehn Jahre später war man schon bei 3,6 Megabit proSekunde. Wir sehen, dass sich die Datenmengen in die-sem Zeitraum um den Faktor 100, in anderen Bereichensogar um den Faktor bis zu 1 000 erhöht haben.So wird es weitergehen. Weitere Anwendungen wer-den folgen. Es wird immer wieder von Unternehmen be-richtet, die im ländlichen Raum Probleme haben. Ichhöre vielmehr von Bürgermeistern, die sich darüber Sor-gen machen, wie sie Anreize schaffen könnten, damitsich Familien mit kleinen Kindern ansiedeln; denn heut-zutage ist es so: Wenn kein YouTube in HD zur Verfü-gung steht, dann ist der Familienfrieden in ernsthafterGefahr.
– Für die Jugendlichen. – Dieses Problem darf man nichtzu gering ansehen.Es ist wichtig, auf mobile Lösungen zu setzen. Daszeigt gerade das Thema Automobil, worüber hier vieldiskutiert wird. Wenn das autonome Auto seine gesamtewundervolle Funktionalität im Ballungsgebiet, im städti-schen Raum entfalten kann, der Fahrer aber im ländli-chen Raum selbst die Kontrolle übernehmen muss, weil,zum Beispiel, wenn man nach Brandenburg fährt, dieNetze nicht funktionieren, dann ist das ein zentrales Pro-blem. Deshalb ist es sehr wichtig, einen Schwerpunktbeim Thema Mobile zu setzen. Ich glaube, dass die mo-bile Anwendung in Zukunft noch viel wichtiger seinwird als die kabelgebundene.Mein Plädoyer geht hier deutlich an die Länder undinsbesondere an die Intendanten der Rundfunkanstalten.Ich persönlich finde das Vorgehen beim Thema terrestri-sches Fernsehen total unambitioniert. Das sage ich ein-fach einmal in voller Härte. Ich war vor einigen Tagenmit einem alten Freund in einer Kneipe und habe dortein WM-Spiel angeguckt. Der Fernseher war mitDVB-T angebunden. Wir hatten Schwierigkeiten, über-haupt die Spielzeit abzulesen. Da fragte einer: Was fürein komisches System habt ihr da? Wir können nicht ein-mal sehen, in welcher Minute gerade gespielt wird.Das ist doch nicht mehr der Standard für terrestrischesFernsehen im Jahr 2014. Wenn die ARD erklärt, dassman den Umstieg auf hochauflösendes Antennenfernse-hen erst in fünf Jahren schafft, finde ich das unambitio-niert. Ich wünsche mir das früher, zur Europameister-schaft 2016. Wenn RTL das kann, werden doch dieÖffentlich-Rechtlichen das mit unseren ganzen Gebüh-ren erst recht hinbekommen können!
Wichtig ist aber nicht nur die Frage des Mobilfunk-internets, sondern auch die Frage des drahtlosen Inter-nets über WLAN. Auch hier behandelt der Antrag einenPunkt aus unserer Koalitionsvereinbarung. Ich glaube, esist wichtig, hier schnell nachzulegen. Das jetzige Recht,dass man als Provider seine Kunden gar nicht mehr ge-nau identifizieren muss – durch Richterrecht entstan-den –, man aber als Betreiber eines Restaurants oder ei-nes Cafés oder eines Hotels genau festlegen muss, werder Nutzer gewesen ist, finde ich nicht fair, insbesondereden Kleinen gegenüber nicht. Beim Thema WLAN müs-sen wir den Koalitionsvertrag sehr schnell erfüllen unddie Haftungsvoraussetzungen so verändern, dass auch inDeutschland ein WLAN-Anschluss flächendeckend undproblemlos möglich wird.
Vorhin ist verschiedentlich das Thema Netzneutralitätbeleuchtet worden. Auch dazu möchte ich gern etwas sa-gen, zumal das Europäische Parlament dazu gerade Be-schlüsse gefasst hat. Bei der Netzneutralität ist aus unseraller Sicht wichtig, dass niemand diskriminiert wird,dass alle die gleichen Zugangschancen bekommen unddass dem Endkunden nicht einfach irgendwelcheDienste abgedreht werden, dass es nicht zu einem Inter-net der Deals kommt. Das alles haben wir im Koalitions-vertrag festgelegt. Sie können es nachlesen. Wir habenes auch in unserem Antrag genau so geschrieben.Ich finde auch wichtig, dass man beim Thema Netz-neutralität den Blick auf die Innovationen richtet; dennam Ende – glaube ich – müssen wir hier Regelungentreffen, die Innovationen ermöglichen. Wir sind uns da-bei alle einig, dass bestimmte Maßnahmen zum Netz-werkmanagement einfach schon deshalb wichtig sind,weil man Dienste wie beispielsweise E-Health anbieten
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Thomas Jarzombek
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kann. Wir haben aber auch gesehen, dass es Dienste wiezum Beispiel IP-TV gibt – von der Deutschen Telekommittlerweile schon mit erheblichem Marktvolumen –,aber auch Dienste, mit denen man Musikstreaming aufdem Mobiltelefon realisieren kann, und zwar, indemman dafür im Monat 10 Euro mehr bezahlt und für dieseArt von Diensten aus der Volumenbeschränkung heraus-kommt. Ich wünsche mir nicht, dass das für alle Anbietergelten muss. Aber das sind Innovationen, die wir nichtkaputtmachen dürfen. Solche Innovationen müssen mei-ner persönlichen Meinung nach auch in Zukunft möglichsein. Deshalb darf man den Innovationsaspekt nicht ver-nachlässigen.Zum Thema Volumenbeschränkung. Die KolleginWawzyniak hat leider vorhin hier am Rednerpult meineFrage nicht angenommen. Wenn man von Volumenbe-schränkungen beim Mobilfunk spricht, muss man fest-stellen: Das ist etwas, was es früher auch im Festnetzgegeben hat. Mein erster DSL-Anschluss hatte ein Volu-men von 5 Gigabyte. Das erschien einem damals als dieWelt; heute ist es nicht mehr so viel. Insofern ist es ein-fach der technischen Restriktion geschuldet. Ich bin mirsicher, beim Mobilfunk wird sich das ähnlich wie beimFestnetz entwickeln. Das ist sicherlich keine der Fragen,die wir im Zusammenhang mit dem Punkt Netzneutrali-tät lösen müssen.Meine Damen und Herren, ich bedanke mich dafür,dass wir dieses komplexe Antragswerk hinbekommenhaben, und zwar nicht nur bei meinen eigenen Kollegen,bei Uli Lange, bei der Bundesregierung, bei Doro Bär,die mit der Netzallianz einen ganz hervorragenden Jobmacht, sondern auch bei unserem Koalitionspartner. Ichhabe gestaunt, wie oft ich einem Sozialdemokraten zu-stimmen musste, wenn Martin Dörmann gesprochen hat.Dafür danke ich dir vielmals.
Insofern bin ich überzeugt: Wir werden etwas Gutes zu-wege bringen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1973 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel
machen
Drucksache 18/1874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Abschaffung der sachgrund-
losen Befristung
Drucksache 18/7
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales
Drucksache 18/879
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wer-
den wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-
teile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann,
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Gäste, insbesondere aus Ha-meln! Wir haben heute Morgen über das Gesetz zur Stär-kung der Tarifautonomie diskutiert. Ein ganz wichtigerTeil hat aus unserer Sicht dabei gefehlt, und zwar dieAbschaffung der sachgrundlosen Befristungen.
Seit dem 1. Mai 1985 haben die Arbeitgeber mit demBeschäftigungsförderungsgesetz die Möglichkeit, Ar-beitsverhältnisse ohne Angabe von Gründen zu befris-ten. Die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnissehat sich seitdem verdoppelt. Jede zweite Neueinstellungerfolgt sachgrundlos befristet. Von den sachgrundlosenBefristungen hat sich Schwarz-Gelb damals große be-schäftigungspolitische Effekte erhofft. Wie zu erwartenwar, sind diese nicht eingetreten. Stattdessen sind immermehr unbefristete Arbeitsverhältnisse durch befristeteersetzt worden. Das ist ein Drehtüreffekt nach unten.Sachgrundlose Befristungen haben in DeutschlandHochkonjunktur. Die Arbeitgeber begründen ihre Vor-liebe für Befristungen mit Sätzen wie diesen: Was denn?Wir machen das doch nur, weil es gesetzlich erlaubt ist.Wir machen das doch nur, weil wir es machen dürfen.Was wollen eigentlich die Beschäftigten? Knapp90 Prozent ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wich-tig. Das zeigt eine Umfrage der IG Metall aus dem letz-ten Jahr unter Beschäftigten. Im Grunde fordern alle Ge-werkschaften die Abschaffung der sachgrundlosen
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Jutta Krellmann
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Befristungen. Wir finden das gut und laden die Gewerk-schaften ein, mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zu den Folgen von Be-fristungen für die Beschäftigten sagen. Hier gibt es zweigroße Probleme: Die Arbeitsschutzgesetze werdenausgehöhlt, und die Qualität der Arbeit leidet. EineBefristung führt praktisch zu einer Ausweitung dergesetzlichen Probezeit. Darüber hinaus können die Un-ternehmen unliebsame Beschäftigte, beispielsweise kri-tische Betriebsräte, werdende Mütter und Menschen mitBehinderungen, einfacher loswerden als in anderen Fäl-len.Aber auch eine Krankmeldung kann im Zweifelschon zu einem Problem werden. Das zeigt das Beispieleiner befristet Beschäftigten bei der Deutschen Post. DieKollegin hatte über einen Zeitraum von 17 Jahren – ichwiederhole: 17 Jahre – mehr als 80 Arbeitsverträge, umihren Job zu behalten. Das allein ist schon ein Unding.
Weil sie Anfang des Jahres krankheitsbedingt ausgefal-len ist, wurde ihr Vertrag nicht weiter verlängert. Daszeigt: Wer für den Arbeitgeber unbequem ist oder seineRechte einfordert, läuft Gefahr, nach Ablauf der Befris-tung nicht weiterbeschäftigt zu werden. Nur durch mas-siven Druck ist es gelungen, zu erreichen, dass dieseFrau einen unbefristeten Vertrag bekommen hat. Das isteine unglaubliche Geschichte. So etwas darf es einfachnicht geben.
Auch für die Qualität der Arbeit ist es entscheidend,ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht; denn werbefristet beschäftigt ist, hat Angst vor dem Verlust seinerArbeit und hält deswegen lieber die Klappe. Wer befris-tet beschäftigt ist, wehrt sich nicht gegen Ungerechtig-keit und beteiligt sich auch nicht an so etwas wie Warn-streiks oder Streiks im Betrieb; das ist derZusammenhang zum Gesetz zur Stärkung der Tarifauto-nomie. Nur so kann man auch die Tarifautonomie stär-ken.
Wer befristet beschäftigt ist, kann deshalb nie seineRechte als Beschäftigter in vollem Umfang wahrneh-men. Das darf es aus unserer Sicht in Deutschland nichtlänger geben. Besonders schlimm finde ich, dass vielejunge Menschen davon betroffen sind. Jeder zweite Be-rufseinsteiger wird heute nur noch befristet eingestellt.Das erschwert nicht nur die berufliche Lebensperspek-tive, sondern auch die Lebensplanung für die Zukunft.Dass die Große Koalition dies nicht anerkennt, zeigt, wieunwichtig ihr diese Generation praktisch ist, Fachkräfte-mangel hin oder her. Dabei war gerade die SPD auf demrichtigen Weg. Wir alle erinnern uns: Noch vor neunMonaten war auch die SPD für die Abschaffung sach-grundloser Befristungen. Das stand in ihrem Wahlpro-gramm. Jetzt schweigen Sie und hoffen, dass es keinemauffällt. Aber nicht mit uns!
Meine Fraktion und ich werden dafür sorgen, dass dasThema Befristung weiterhin präsent bleibt. Ich kämpfenicht umsonst seit 1985 gegen befristete Arbeitsverhält-nisse. Wir werden so lange nicht locker lassen, bis dasunbefristete Arbeitsverhältnis in Deutschland wieder zurRegel wird.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir beraten heute zwei Vorlagen der FraktionDie Linke zur Befristung von Arbeitsverhältnissen nachdem Teilzeit- und Befristungsgesetz. In Ihrem Gesetz-entwurf geht es um die Abschaffung der sachgrundlosenBefristung. Ihr Antrag trägt den Titel „Das unbefristeteArbeitsverhältnis zur Regel machen“.
– Ich habe Sie zunächst einmal nur zitiert.
Zunächst sei dazu Folgendes erwähnt: Als Neulinghier im Hause war ich im Rahmen des Verfahrens schonüberrascht, Ihren Gesetzentwurf zur Abschaffung dersachgrundlosen Befristung zu lesen. Grund hierfür war,dass dieses Thema hier bereits in der letzten Legislatur-periode – es war im Jahre 2010 – beraten worden ist.
Interessant war in diesem Zusammenhang, zu erfahren,dass Sie nun den gleichen Gesetzentwurf einbringen,den in der letzten Wahlperiode die SPD-Fraktion einge-bracht hat.
Ihr Gesetzentwurf datiert vom 23. Oktober 2013; daswar unmittelbar nach der Konstituierung des 18. Deut-schen Bundestages, als die Koalitionsverhandlungenstattfanden. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dassSie die SPD-Fraktion vorführen wollen und nicht an ei-ner sachlichen Diskussion interessiert sind.
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Wilfried Oellers
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Für mich ist das schlicht und ergreifend eine Sauerei.Das muss an dieser Stelle einmal deutlich gesagt wer-den.
Zudem sind Ihre Vorlagen in sich widersprüchlichund unschlüssig. Das stellt man fest, wenn man sich dieZahlen und Fakten genau anschaut. In Ihrem Antragschreiben Sie, dass Sie unbefristete Arbeitsverhältnissezur Regel machen wollen. Wenn man sich die Zahlen ge-nau anschaut, stellt man jedoch fest: Dies ist bereits derFall, auch nach dem derzeitigen Teilzeit- und Befris-tungsgesetz. Seit 2006 liegt der Anteil der befristetenArbeitsverhältnisse in Deutschland gleichbleibend beiunter 9 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass91 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristeter Natursind.
Damit ist das unbefristete Arbeitsverhältnis bereits dieRegel und nicht die Ausnahme, wie von Ihrer Seite hierfälschlicherweise vorgetragen wird.
Herr Kollege, es gibt eine Flut von Wünschen nach
einer Zwischenfrage; nein, es sind nur zwei. Der Herr
Kollege Ernst und die Frau Kollegin Krellmann wollen
eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen,
oder wollen Sie weitersprechen?
Nein, ich möchte sie nicht zulassen. Das muss sichdie Fraktion Die Linke jetzt einmal anhören.
Ich habe gerade gesagt, dass 91 Prozent der Arbeits-verhältnisse unbefristeter Natur sind. Das ist ein eindeu-tig positives Signal für Deutschland und vor allen Din-gen auch für das Teilzeit- und Befristungsgesetz.Daneben ist die Zahl der befristeten Neueinstellungenseit 2011 von seinerzeit etwas unter 1 Million auf nun-mehr etwas unter 900 000 gesunken. Relativ gesehen istdie Zahl der befristeten Neueinstellungen sogar bereitsseit 2009 von 47 auf 42 Prozent zurückgegangen. Voneinem Missbrauch der befristeten Arbeitsverhältnissekann daher nicht die Rede sein.Weiter kommt das IAB auch zu dem eindeutigen Er-gebnis, dass sachgrundlose Befristungen häufig dasSprungbrett in eine unbefristete Beschäftigung bzw. inein unbefristetes Arbeitsverhältnis sind. Die Übernah-mequote ist von 30 Prozent im Jahre 2009 auf derzeit39 Prozent gestiegen. Das ist eine absolut positive Ent-wicklung, und diese sollten wir nicht durch eine Ände-rung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes aufhalten.
Es muss uns doch ein Anliegen sein, Menschen in Be-schäftigung zu bekommen. Ob das befristet oder unbe-fristet ist, sollte in meinen Augen zunächst einmal egalsein, da es besser ist, zunächst einmal befristet als garnicht beschäftigt zu sein. Wir wissen, dass die Menschenmit befristeten Beschäftigungsverhältnissen auch eineBeschäftigung haben. Das wüssten wir nicht – und wirkönnen uns auch kein Urteil darüber erlauben, ob das sowäre –, wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe.Wenn man die positive Entwicklung bei den Übernah-mequoten sieht, die ich eben erwähnt habe, dann erkenntman, dass es keine schlechte Aussicht ist, zunächst einbefristetes Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Dabei istausdrücklich zu betonen, dass eine sachgrundlose Be-fristung, wie sie angesprochen worden ist, nur für zweiJahre erfolgen kann. Ihr Beispiel wäre sicherlich einmaljuristisch zu überprüfen. Ob das nicht geschehen ist,kann ich nicht beurteilen. Rein rechtlich kann dies abernur für zwei Jahre erfolgen. Sicherlich ist mir in diesemZusammenhang natürlich auch die Rechtsprechung desBundesarbeitsgerichts bekannt. Diese Rechtsprechungdes höchsten Arbeitsgerichts in Deutschland sollte manhier im Hause auch einmal akzeptieren.Zudem sei erwähnt, dass eine Befristung mit Sach-grund ohne zeitliche Begrenzung vorgenommen werdenkann. Wenn Sie also Ihr Ansinnen konsequent fortsetzenwürden, dann müssten Sie die vollständige Aufhebungdes § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz verlangen. Dastun Sie hier nicht, und daher ist Ihr Antrag in sich schoneinmal unschlüssig.Die Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Teilzeit- undBefristungsgesetz sollten so bestehen bleiben, wie siesind, da sie sich als arbeitsmarktpolitisches Instrumentabsolut bewährt haben. Wir müssen schon schauen, dasswir den Unternehmen auch flexible Instrumente an dieHand geben, um auf besondere wirtschaftliche Situatio-nen reagieren zu können, wie zum Beispiel bei Auftrags-spitzen.Ich betone noch einmal, dass fast 40 Prozent der be-fristeten neuen Arbeitsverhältnisse in ein unbefristetesArbeitsverhältnis umgewandelt werden. Von Missbrauchkann hier keine Rede sein,
zumal es die meisten befristeten Arbeitsverhältnisse imöffentlichen Sektor und nicht in der freien Wirtschaft– ich denke, Ihr Vorwurf zielt in diese Richtung – gibt.
Das müsste doch auch Sie von der Fraktion Die Linkeüberzeugen.
Insgesamt ist zu bewerten, dass sämtliche Zahlen undauch Feststellungen des IAB gegen Ihren Antrag spre-chen. Dieser neutralen Einrichtung sollten Sie einmalGlauben schenken, meine Damen und Herren der Frak-tion Die Linke.Im Übrigen erlaube ich mir, auf den Inhalt des Proto-kolls aus dem Jahre 2010 zu diesem Thema zu verwei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4143
Wilfried Oellers
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sen, um die Diskussion hier nicht unnötig in die Längezu ziehen.In der Hoffnung, dass wir nun nicht jedes Jahr übersolche Gesetzentwürfe und Anträge zu debattieren ha-ben, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat sich der Abgeordnete
Klaus Ernst, Fraktion Die Linke, gemeldet.
Lieber Kollege Oellers, der Vorwurf, wir wollten die
SPD vorführen, ist nun wirklich Quatsch. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass ich mich als ehemaliger Sozialdemokrat
– 30 Jahre lang! – zusammen mit meiner damaligen Par-
tei immer dafür eingesetzt habe, dass Menschen ein
planbares Leben haben. Planbar heißt: Sie müssen wis-
sen, ob sie in einem Betrieb beschäftigt werden, und
zwar nicht nur für ein halbes Jahr, für ein Jahr oder für
zwei Jahre, sondern für länger. Sie müssen ein planbares
Leben haben. Dieses Argument haben Sie überhaupt
nicht beachtet.
Wir reden darüber, dass junge Menschen eine Familie
gründen und dass sie sich am Anfang möglicherweise
verschulden sollen, weil sie wenig verdienen. Auch
8,50 Euro ist nicht gerade der Renner. Gleichzeitig ver-
wehren wir den jungen Menschen eine planbare Per-
spektive, um ihr Arbeitsleben zu gestalten. Ich halte es
für sehr bedauerlich, dass Sie sich diesem Problem über-
haupt nicht zuwenden, sondern bei dem bleiben, was Sie
bisher vertreten haben.
Ein zweiter Punkt. Wir haben heute Vormittag über
die Stärkung der Tarifautonomie gesprochen. Dieses An-
liegen wollen Sie gemeinsam mit der Koalition verfol-
gen. Glauben Sie, dass Sie die Tarifautonomie stärken,
wenn Sie zulassen, dass Menschen für zwei Jahre ohne
eine Perspektive auf eine feste Anstellung beschäftigt
werden? Was glauben Sie, was diese Menschen ohne
feste Anstellung machen, wenn es zur Stärkung der Ta-
rifautonomie erforderlich wird, dass einer der beiden Ta-
rifpartner für seine Sache streikt? Glauben Sie, dass sich
jemand, der befristet beschäftigt ist, an einem solchen
Streik beteiligt, wenn er damit rechnen muss, gekündigt
zu werden? Glauben Sie, dass sich dieser Mensch wehrt,
wenn es um unbezahlte Überstunden oder um die Nicht-
einhaltung des Tarifvertrages geht? Nein!
In meiner Region erlebe ich es immer wieder, dass
Menschen aus einem Betrieb herausfliegen, sie im
nächsten Betrieb wieder mit einem befristeten Arbeits-
vertrag eingestellt werden und sie nach zwei Jahren wie-
der in den ersten oder einen anderen Betrieb kommen,
und zwar wieder mit einer befristeten Anstellung. Viele
Menschen haben jahrelang nur befristete Jobs. Wenn das
Ihr Zukunftsmodell ist, wenn das Ihre Stärkung der Ta-
rifautonomie ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht!
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grü-nen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Flexibilität erfordert Anpassungsfä-higkeit. Die Beschäftigten in Deutschland sind in denvergangenen Jahren äußerst anpassungsfähig geworden.Unter dem Dogma der Flexibilisierung nehmen sie stän-dig wechselnde Arbeitszeiten in Kauf. Sie verleihen ihreArbeitskraft. Vor allem arbeiten sie aber immer häufigerauf Zeit, also befristet. Ja, Flexibilität ist notwendig, abersozialverträglich. Deshalb sehen auch wir Reformbedarf.Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Befristungabschaffen.
Befristungen waren eigentlich als Brücke in dauer-hafte Beschäftigung gedacht, aber das funktioniert zuwenig. Befristungen führen die Beschäftigten stattdessenhäufig in eine Sackgasse. Von Qualifizierungsmaßnah-men und Karrieremöglichkeiten in einem Betrieb sindsie per se ausgeschlossen. Sie verdienen weniger und ha-ben häufiger Phasen der Erwerbslosigkeit. Alles zusam-men führt zwangsläufig zu Problemen bei der Alters-sicherung. Nehmen Sie, die Regierungsfraktionen, dasendlich zur Kenntnis.
Fast 3 Millionen Menschen hatten im letzten Jahr ei-nen befristeten Job. Das sind zu viele! Manche von ih-nen arbeiten sogar jahrelang befristet, wie etwa die Post-botin, die vor kurzem der Öffentlichkeit bekannt wurde,weil ihr Vertrag 17 Jahre lang immer wieder befristetwurde: 88 Mal insgesamt! Das ist unglaublich. Daszeigt: Manche Arbeitgeber missbrauchen die Befris-tungsmöglichkeiten in unverantwortlicher Weise. Das istnicht akzeptabel.
Fast die Hälfte aller Befristungen hat keinen sachli-chen Grund. Betroffen sind insbesondere Jugendlicheund junge Erwachsene. Eine aktuelle Untersuchung desInstitutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommteindeutig zu dem Ergebnis: Die erste Phase des Erwerbs-lebens für junge Menschen ist heute instabiler und unsi-cherer als noch vor einigen Jahren. Befristete Arbeits-verträge erschweren die Lebens- und Familienplanung.Die beruflichen Perspektiven sind unsicher, und Brüchein den Erwerbsbiografien sind vorgezeichnet. Vor demHintergrund des Fachkräftemangels ist das unverant-wortlich. Aber vor allem für die jungen Menschen ist dasnicht gut und ermutigend erst recht nicht.
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4144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Beate Müller-Gemmeke
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Natürlich sind flexible Möglichkeiten der Beschäfti-gung für die Wirtschaft in unserem Land wichtig. Dieheutigen Regelungen zur sachgrundlosen Befristungwerden aber inzwischen von manchen Unternehmenhemmungslos ausgenutzt, beispielsweise in der Callcen-terbranche. Wenn die soziale Verantwortung in Teilender Wirtschaft verloren geht, dann muss die Politik han-deln.
Mir kann auch niemand erzählen, die Betriebe wärenohne die sachgrundlose Befristung nicht mehr flexibelgenug in ihrer Personalplanung. Es gibt eine ausreichendlange Probezeit. Kleine Betriebe sind ohnehin vom Kün-digungsschutz befreit, und für die anderen gibt es nochdie Befristung mit sachlichem Grund. Wer gute Gründehat, kann also auch weiterhin befristen.Vor der Bundestagswahl war das den Sozialdemokra-ten auch noch klar. Noch vor zwei Jahren forderte diejetzige Ministerin Nahles wortgewaltig – ich zitiere –:Schluss mit immer mehr befristeten Verträgen.Sachgrundlose Befristung gehört abgeschafft.Gut gebrüllt, Frau Nahles! Wo bleibt aber jetzt die ent-sprechende parlamentarische Initiative? Im Koalitions-vertrag sind die sachgrundlosen Befristungen mit kei-nem einzigen Wort erwähnt.Wir hingegen bleiben bei unserer Haltung: Durch Be-fristungen darf weder das unternehmerische Risiko aufdie Beschäftigten übertragen noch der Kündigungs-schutz umgangen werden. Nur so wäre es richtig undfair.
Deshalb werden wir heute dem Gesetzentwurf derLinken zustimmen,
auch wenn wir im Detail geringfügig andere Schwer-punkte setzen. Entscheidend ist und bleibt: Flexible Ar-beitsverhältnisse dürfen keine Einbahnstraße sein. Denndie Menschen brauchen soziale Sicherheit.Vielen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Fakt ist: Viele Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer werden heute nur noch be-fristet eingestellt. Häufig geschieht dies sogar ohne jegli-che sachliche Begründung. Die Beschäftigten wissendann oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob sie über-nommen werden oder nicht bzw. ob sie in die Arbeitslo-sigkeit entlassen werden oder wieder eine Chance be-kommen. Das finden wir falsch. Deshalb stimmen wirSozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Zieldes vorliegenden Gesetzentwurfs der Linken, die sach-grundlose Befristung abzuschaffen, inhaltlich durchauszu.
In der letzten Legislaturperiode – bereits im Mai 2010 –haben wir zu diesem Thema einen Antrag mit dem Titel„Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befris-tung“ vorgelegt, übrigens vor den Initiativen von Linkenund Grünen.
In unserem Wahlprogramm steht – ich zitiere:Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung vonArbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Kata-log möglicher Befristungsgründe überprüfen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nach wie vor.Das ist die SPD-Position.
Denn wir wollen erstens nicht, dass inzwischen fast je-der zweite Arbeitsvertrag nur noch auf Zeit abgeschlos-sen wird, zweitens vor allem junge Menschen dadurchunsichere Berufsaussichten und Lebensperspektiven er-halten und drittens Frauen besonders hart von Befristun-gen betroffen sind.Was heute möglich ist, zeigt das bereits erwähnte Ne-gativbeispiel der Postzustellerin, die 88 befristete Ver-träge in 17 Jahren bekommen hatte. Solche Kettenbefris-tungen sind mit Sachgründen, beispielsweise Elternzeit-oder Krankheitsvertretungen, möglich. Auch dem müs-sen wir einen Riegel vorschieben. Das ist unwürdig, undnötig ist so etwas auf keinen Fall. Gerade in großen Un-ternehmen wie der Post gibt es immer Möglichkeiten,Menschen vernünftige feste Arbeitsverträge anzubieten,auch den Vertretungskräften.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken undauch der Grünen, man muss die Kirche im Dorf lassen.Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutschland nurnoch befristete Arbeitsverträge haben.
Je nach Quelle sind 9 bis 10 Prozent aller Arbeitsverhält-nisse befristet. Richtig ist aber auch, dass über 90 Pro-zent der Beschäftigten ein unbefristetes Arbeitsverhält-nis haben. Aufgrund der guten Konjunktur ist die Zahlder Befristungen in den letzten Jahren glücklicherweisewieder etwas zurückgegangen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4145
Gabriele Hiller-Ohm
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Fakt ist auch, dass Befristungen und insbesonderesachgrundlose Befristungen ein Sprungbrett in unbefris-tete Beschäftigung sein können. Trotzdem würden wir So-zialdemokraten und Sozialdemokratinnen die sachgrund-lose Befristung gern abschaffen und die Auswüchse beibefristeten Verträgen mit Sachgrund angehen. Das Bei-spiel der Postzustellerin mit den 88 Verträgen in 17 Jah-ren zeigt, dass auch hier dringend gehandelt werdenmuss.Nun ist es aber bekanntlich so, dass in jeder Regie-rungskoalition Kompromisse gemacht werden müssen.Keiner kann alle eigenen Forderungen in einem Koali-tionsvertrag unterbringen. An vielen Stellen konnten wirmit der Union gute Lösungen finden, bei den Befristun-gen leider nicht.Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von derLinken, werden wir Ihren Initiativen heute auch nichtzustimmen.
Die entscheidende Frage ist aber doch, ob der Koali-tionsvertrag der Großen Koalition ein guter und richtigerKompromiss ist, den einzugehen sich insgesamt lohnte.Die Antwort ist ein klares Ja.
Denn der Koalitionsvertrag ist ein gutes Handlungsfun-dament, in dem ein Großteil unserer sozialdemokrati-schen Forderungen enthalten ist. Vieles von dem, wofürwir seit Jahren – auch gemeinsam mit den Gewerkschaf-ten – gekämpft haben, kann jetzt Wirklichkeit werden.Genau deshalb findet die Große Koalition breite Unter-stützung – so zum Beispiel beim DGB in seiner Zeitungklartext. Ich zitiere daraus:Koalitionsvertrag: Deutschland wird ein Stück ge-rechter. … Die Richtung stimmt. Gut für Deutsch-land, gut für Millionen Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer.Umfragen zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Be-völkerung diese Große Koalition will und mit ihrer Ar-beit zufrieden ist. Auch 76 Prozent unserer Mitgliederhaben basisdemokratisch für den Koalitionsvertrag ge-stimmt, und das, obwohl sie die Große Koalition von2005 bis 2009 und das daraus resultierende Ergebnis fürdie SPD noch schmerzhaft in Erinnerung hatten.Meine Damen und Herren, diese Bewertungen fallendeshalb so aus, weil wir zahlreiche Maßnahmen durch-setzen konnten, die die Lage der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer in unserem Land verbessern werden.Da ist natürlich an einem so historischen Tag wieheute zuallererst der flächendeckende gesetzliche Min-destlohn zu nennen, den wir gerade beschlossen haben.Ich freue mich sehr, dass uns hier dieser Kraftakt ge-meinsam gelungen ist.
Ab dem nächsten Jahr kommt der einheitliche undflächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde,
und spätestens ab 2017 gilt er nach Ende der Übergangs-regelungen ausnahmslos in allen Branchen. Davon wer-den etwa 4 Millionen Menschen direkt profitieren undmehr Geld auf ihrem Konto haben.Gleichzeitig werden wir mit dem Mindestlohn auchdie Ausbeutung von Praktikantinnen und Praktikantenbeenden. Die sogenannte Generation Praktikum,
die nach ihrem Hochschulabschluss ohne Bezahlungvollwertige Tätigkeiten in Unternehmen ausübt, wird esab 1. Januar 2015 nicht mehr geben. Das ist dann Ver-gangenheit.
Wir stärken außerdem die Tarifautonomie und die So-zialpartner. Wir weiten das Arbeitnehmer-Entsendege-setz auf alle Branchen aus. Diese Öffnung ermöglicht esallen Wirtschaftszweigen, zusätzlich verbindliche Bran-chenmindestlöhne zu vereinbaren, die natürlich überdem gesetzlichen Mindestlohn liegen müssen.
Außerdem können zukünftig Tarifverträge und damit dasgesamte Lohngefüge leichter auf gesamte Branchen aus-geweitet werden. Damit bekämpfen wir auch unlauterenWettbewerb durch Dumpinglöhne und helfen den Unter-nehmen, die gute Löhne zahlen wollen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns nochmehr vorgenommen. So werden wir den Missbrauch vonWerkverträgen verhindern und die Leiharbeit regulierenund auch hier den Menschen helfen.
Auch das Thema „Gerechte Löhne“ werden wir ge-setzlich angehen; denn immer noch verdienen Frauen imSchnitt 22 Prozent weniger als Männer. Das, meine Da-men und Herren, ist eine nicht hinnehmbare Ungerech-tigkeit. Das müssen wir ändern.
Hier muss endlich genauso wie für die Leiharbeiter dasPrinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bereits von2005 bis 2009 eine Große Koalition als Abgeordnete be-gleitet. Ich hätte mir nach den damals gewonnenen nichtso guten Erfahrungen nicht träumen lassen, dass wir ein-
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Gabriele Hiller-Ohm
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mal mit der Union als Partner so viel für die Menschenin unserem Land erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, mit Ih-ren Initiativen zur Einschränkung von Befristungen lau-fen Sie bei uns offene Türen ein. Uns brauchen Sie nichtzu überzeugen. Vielleicht haben Sie ja bei unserem Ko-alitionspartner, der CDU/CSU, Erfolg. Wir Sozialdemo-kratinnen und Sozialdemokraten würden uns darüberfreuen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute über den von der Linken
eingebrachten Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhält-
nis zur Regel machen“ und den Entwurf eines Gesetzes
zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Vorab
einige Bemerkungen: Grundsätzlich müssen wir zwi-
schen den einzelnen Befristungen differenzieren. Im
Teilzeit- und Befristungsgesetz werden die Arbeitsver-
hältnisse mit und ohne Sachgrund genannt. Befristete
Arbeitsverhältnisse mit Sachgründen können sich aus
unterschiedlichen Faktoren ergeben – ich glaube, das
sind wichtige Argumente –: dem Alter des Beschäftig-
ten, dem Bedarf in dem Unternehmen, der Erprobung
des Beschäftigten und der Vertretung eines anderen Ar-
beitnehmers. Kollegin Hiller-Ohm, ich möchte daran er-
innern, dass das von der Fraktion der Linken kritisierte
Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund nach § 14 Absatz 2
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes von Rot-Grün in
der 14. Legislaturperiode eingeführt wurde, um Arbeits-
losen die Rückkehr in die Beschäftigung zu erleichtern.
Ich bin der Auffassung, dass ein Arbeitsverhältnis mit
einer Befristung ohne Sachgrund nicht automatisch ne-
gativ zu bewerten ist. Der Arbeitnehmer kann – genauso
wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis – Erfahrungen
sammeln, seine Fähigkeiten erweitern und sich im Be-
trieb einsetzen und dadurch seinen Arbeitgeber überzeu-
gen. Vergessen sollten wir dabei nicht, dass befristete
Arbeitsverhältnisse eine echte Alternative zur Arbeitslo-
sigkeit und einen Einstieg in die Dauerbeschäftigung be-
deuten können. Ich muss auch der Aussage der Linken
widersprechen, wonach es für die Qualität von Arbeit
entscheidend ist, „ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder
nicht.“ Ich gehe davon aus, dass diese Aussage auf un-
sere befristet beschäftigten Mitarbeiter in unseren Abge-
ordnetenbüros nicht zutrifft und auf Ihre Mitarbeiter
doch wohl auch nicht.
Zweifelsfrei ist eine Altersgruppe am meisten von
Befristungen betroffen: die jungen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer als Berufseinsteiger nach einem Stu-
dium oder einer Ausbildung. Das kann aber auch im Ein-
zelfall seine berechtigten Gründe haben. Zum Beispiel
kann eine Befristung hier dem Erwerb von Vertrauen
und dem Nachweisen von Fähigkeiten dienen. Hier ist
das entscheidende Stichwort die Übernahmequote. Das
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat vor
kurzem festgestellt, dass insbesondere sachgrundlos be-
fristete Arbeitsverhältnisse oft als Brücke zu dann unbe-
fristeten Arbeitsverhältnissen genutzt werden.
Bei diesem Thema dürfen wir auch nicht vergessen,
dass insbesondere in der heutigen Zeit Arbeitgeber flexi-
bel handeln müssen. Gerade Start-up-Unternehmen und
Existenzgründer können am Anfang ihrer Unterneh-
mensgründung schwer einschätzen, wie viele Beschäf-
tigte sie tatsächlich benötigen. Ebenso kann in großen
Betrieben die Auftragslage aufgrund verschiedener
Gründe erheblich schwanken. Dann müssen Arbeitgeber
schnell reagieren können. Dazu gehört auch das Instru-
ment der Befristung von Arbeitsverträgen. Deshalb dür-
fen wir nicht – so glaube ich – zu viele Eingriffe in die
Privatautonomie vornehmen, die zu erheblichen Ein-
schränkungen der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Fir-
men führen könnten.
Als Gesetzgeber haben wir die Verantwortung und
auch die Pflicht, zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des
einzelnen Arbeitnehmers und der Flexibilität der Wirt-
schaft genau abzuwägen. Um beiden Seiten gerecht zu
werden, gibt das Teilzeit- und Befristungsgesetz Rah-
menbedingungen vor, auf die sich der Arbeitnehmer be-
rufen kann; mit diesem Gesetz kann er seinen Anspruch
auf dem Rechtsweg durchsetzen.
Herr Kollege, Frau Kollegin Hiller-Ohm würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie sie zulas-
sen?
Ich würde das gerne in einem Zusammenhang vortra-gen, Herr Präsident.Auch unterliegen befristete Arbeitsverhältnisse ge-setzlichen Vorschriften, die zum Beispiel die Schriftformund den Zeitraum betreffen. Ein Ausschluss von befris-teten Arbeitsverträgen könnte den gesamten Arbeits-markt verändern. Ich sehe die Gefahr, dass Arbeitgeberdann zurückhaltender bei Einstellungen sein könntenund eher auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen, um Perso-nal flexibler einzusetzen.Laut derzeitigen Statistiken gewinnen befristete Ver-träge an Bedeutung – das wurde heute schon in dieserDebatte mehrmals gesagt –, dennoch müssen wir auchdas Zahlenverhältnis sehen. Schauen wir uns das letzteJahr an: Nach Auskunft des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung waren 2013 nur 7,5 Prozent allerArbeitsverträge befristet. Das bedeutet, dass über 92 Pro-zent aller Arbeitsverträge unbefristet waren. Gerade inZeiten des Fachkräftemangels setzen viele Unternehmendarauf, kompetente und gute Beschäftigte langfristig zuhalten. Genau das spiegeln die gerade genannten Zahlenwider.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4147
Matthäus Strebl
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Ich halte Arbeitsverträge mit Befristungen für einwichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument. Diese ha-ben sich in der Praxis bewährt, und wir wollen auch da-ran festhalten. Wir sehen bei der Befristung mit undohne Sachgrund keinen Änderungsbedarf und werdendeshalb den Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Michael Schlecht, Fraktion Die Linke, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Befristungen sind ein entscheidender Hebel zur Be-
schädigung der Tarifautonomie in den letzten zehn, fünf-
zehn Jahren – eigentlich schon seit 1985 – geworden;
denn es ist vollkommen klar, dass befristet eingestellte
Arbeitnehmer nicht in der Weise frei sind und sich sicher
im Betrieb fühlen wie unbefristet Beschäftigte. Sie sind
nämlich Beschäftigte quasi ohne Kündigungsschutz.
Wenn man ohne Kündigungsschutz ist und ein auf
sechs Monate, ein Jahr oder wie lange auch immer be-
fristetes Arbeitsverhältnis hat, dann überlegt man sich
natürlich dreimal, ob man mit seiner Gewerkschaft ge-
meinsam eine Tarifauseinandersetzung führt, sich zum
Beispiel an Warnstreiks und anderen Kampfformen be-
teiligt, um in einer Tarifrunde Druck zu machen. Dann
ist man unter Umständen sogar bereit, wenn die anderen
Kollegen aus dem Betrieb streiken, sich zum Büttel des
Unternehmers machen zu lassen und als Streikbrecher zu
operieren, weil man Angst hat, dass man seine Arbeit
verliert, wenn man das nicht macht, weil das befristete
Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird. Insofern ist es
dringend notwendig – wenn man die Tarifautonomie und
das Handeln der Gewerkschaften wieder stärken will –,
dass man die sachgrundlose Befristung abschafft. Die
muss weg.
Ich will mit einem Satz illustrieren, wozu das faktisch
führt. Wir haben in Deutschland nach wie vor die Situa-
tion, dass der durchschnittliche Beschäftigte über 3,6 Pro-
zent weniger Reallohn verfügt als im Jahr 2000.
Deutschland ist das Land des Lohndumpings. Das ist
deshalb so gekommen, weil die Politik den Gewerk-
schaften in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in einer ab-
solut brutalen Weise zwischen die Beine gegrätscht ist.
Damit muss Schluss sein. Heute Morgen ging es ja um
ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie; nur, dieses
Gesetz ist leider vollkommen unvollständig. Es müsste
mindestens eine Neuregulierung der Befristung dort hi-
nein.
Ich möchte noch einen zweiten Punkt nennen. Befris-
tungen sind ein Instrument, das eigentlich menschenun-
würdig ist. Mir fällt dazu eine junge Frau aus meinem
Wahlkreis Mannheim ein, Janine F. – ich will sie hier ja
nicht outen –, 29 Jahre alt, die als Hotelfachfrau gut qua-
lifiziert ist. Sie hat in ihrem Leben noch keine anderen
Jobs als nur befristete gehabt. Sie weiß auch nicht, wie
es weitergehen wird. Sie geht davon aus, dass es mit den
befristeten Jobs immer so weitergehen wird. Sie hat ei-
nen Lebenspartner. Wenn ich sie frage: „Wie stellst du
dir das alles vor? Was wollt ihr machen? Wie stellt ihr
euch euer Leben vor? Wollt ihr vielleicht einmal Kinder
haben?“, dann antwortet sie mir: „Das ist natürlich ganz
schwierig. Ich würde schon gerne mit meinem Freund
ein Kind haben; allerdings ist auch er befristet beschäf-
tigt. Wir überlegen uns das gut. Woher sollen wir in sol-
chen Zeiten eigentlich den Mut nehmen, uns für ein
Kind zu entscheiden?“
Wenn man sich dies einmal ernsthaft anschaut, dann
wird klar, welche Folgen die Befristung nicht nur für die
Arbeitswelt, sondern auch unter familienpolitischen Ge-
sichtspunkten hat; dann wird klar, dass auch das dazu
beiträgt, dass die Geburtenrate in Deutschland so niedrig
ist. Sonst wird allenthalben, insbesondere von der CDU/
CSU, immer wieder beklagt, dass die Geburtenrate so
niedrig ist, und es werden alle möglichen Gründe dafür
herangezogen, warum junge Frauen keine Kinder mehr
bekommen.
Ich sage Ihnen: Die Politik, die in der Arbeitswelt ge-
macht worden ist, zum Beispiel mit den Befristungen,
eine Politik, die Sie zu verantworten haben, die Sie heute
hier wieder hoch gelobt haben, ist dafür verantwortlich,
dass Menschen solche Restriktionen ihrer Privatsphäre
aufgezwungen werden. Es ist wirklich zynisch und per-
vers, wenn auf der anderen Seite immer wieder darüber
gejammert wird, dass in Deutschland so wenig Kinder
geboren werden; schließlich werden den jungen Leuten
durch die Befristungen die Möglichkeiten genommen,
sich positiv und offensiv für Familie und Kinder zu ent-
scheiden. Auch deshalb müssen die sachgrundlosen Be-
fristungen endlich weg.
Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DieFraktion der Linken hat den Entwurf eines Gesetzes zurAbschaffung der sachgrundlosen Befristung vorgelegt.
Es ist kein Geheimnis – das wurde heute schon er-wähnt –, dass sich die SPD in ihrem Wahlprogramm für
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4148 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Markus Paschke
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die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausge-sprochen hat. Ich will es wiederholen, damit es sich guteinprägt – das ist für jedermann nachlesbar –:Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung vonArbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Kata-log möglicher Befristungsgründe überprüfen.
Es ist aber auch kein Geheimnis, dass wir uns seitdem Mitgliederentscheid im Dezember letzten Jahres ineiner Koalition mit der CDU und der CSU befinden. Inden Koalitionsverhandlungen konnten wir unsere Posi-tion an dieser Stelle nicht durchsetzen.
An anderer Stelle dagegen schon. Erst heute Morgenhaben wir das Tarifpaket mit dem Mindestlohn und derBeendigung der Generation Praktikum beschlossen.
– Genau. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antragder Linken steht zu Recht, dass fast die Hälfte der Neuein-stellungen befristet sind. Wenn wir genauer hinschauen,stellen wir fest, dass es in den einzelnen Branchen sehrunterschiedlich ist. Selbst in den zehn Branchen mit demhöchsten Anteil von befristeten Arbeitsverträgen sinddie Unterschiede riesig. Auf Platz zehn liegt der Bereich„Verkehr und Logistik“ mit einem Anteil von 6,4 Pro-zent befristet Beschäftigten, und auf Platz eins liegt –hören Sie jetzt genau hin; ich sehe viele Schüler auf derBesuchertribüne – der Bereich „Erziehung und Unter-richt“ mit einem Anteil von 17,2 Prozent befristet Be-schäftigten; das ist fast jeder Sechste.Wir finden unter den zehn Branchen mit den meistenbefristet Beschäftigten viele Dienstleistungsbranchen,auch solche mit schwankenden Arbeitsvolumen. DieWirkung eines Verbots der sachgrundlosen Befristungdarf man von daher nicht überbewerten, weil sich fürviele Fälle Sachgründe finden lassen.
Wenn in der Land- und Forstwirtschaft gerade einmal8 Prozent der Mitarbeiter in unbefristete Arbeitsverhält-nisse übernommen werden, ist dies, glaube ich, ein deut-licher Hinweis. Ich finde, dass die Anzahl befristeter Ar-beitsverträge viel zu hoch ist. Betroffen sind vor allemFrauen und junge Menschen.Was mich aber viel mehr als diese Zahlen bewegt,möchte ich an einem Beispiel deutlich machen – derKollege Schlecht hat das fast vorweggenommen; aberich will aus eigenem Erleben berichten –:Im Rheiderland lernte ich vor ein paar Jahren – es istschon einige Jahre mehr her – Keno kennen. Kenomachte gerade eine Ausbildung zum Kommunikations-elektroniker, war richtig motiviert und machte kurz da-rauf seine Abschlussprüfung. Er bestand sie auch nochmit „sehr gut“. Das waren die besten Startchancen fürden Einstieg in den Beruf – dachte er und ich auch. Rela-tiv schnell nach der Ausbildung fand er auch einen Job,jedoch als Leiharbeiter, mit einem befristeten Vertrag.Als dieser Vertrag auslief, nahm er in der Hoffnung aufeine in Aussicht gestellte Festanstellung eine Stelle inNordrhein-Westfalen an. Er zeigte also nicht nur Inte-resse an Arbeit, war nicht nur motiviert, sondern warauch flexibel und bereit, umzuziehen etc.In Nordrhein-Westfalen blieb er vier Jahre, aber nichtein einziges Mal hatte er eine Festanstellung. Er hatteimmer nur befristete Stellen, war immer nur in Leih-arbeit tätig, vier lange Jahre. Mit 28 kam er dann wiederzurück nach Ostfriesland und begann eine weitere Aus-bildung, seine zweite, weil ihm in Aussicht gestelltwurde, er würde, wenn er noch einmal eine Ausbildungmacht, anschließend eine Festanstellung bekommen.Doch auch hier ein Satz mit x: Das war nämlich nix. Ererhielt wieder nur befristete Arbeitsverträge.
Letztes Jahr kam endlich die Wende. Mit 34 –34 Jahre war er alt! – erhielt er die erste Festanstellungseines Lebens. Sosehr ich mich für ihn persönlich freue,so sehr beunruhigt mich jedoch sein Lebenslauf; denndie Zahlen zeigen deutlich, dass es sich hierbei nicht umeine Ausnahmeerscheinung handelt. Im Gegenteil: Eswird zunehmend zur Regel, dass gerade junge Menschennur befristete Arbeitsverträge erhalten. Das finde ichnicht nur sehr bedauerlich, sondern ich halte es schlicht-weg für falsch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren redenwir über Fachkräftemangel, den demografischen Wandelund darüber, dass wir etwas für junge Familien tun müs-sen. Zu Recht reden wir darüber. Aber hier zeigt sich lei-der sehr deutlich, dass zwischen Reden und Realität eineRiesenlücke klafft; denn Fakt ist: Um junge Familien zufördern, bedarf es erst einmal vernünftiger Rahmenbe-dingungen, die es den jungen Menschen überhaupt er-möglichen, eine Familie zu gründen. Planungssicherheitist mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben.Wenn ich nicht weiß, ob ich im nächsten Jahr noch einenJob habe, wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, mei-nen Partner und meine Kinder ernähren kann, dann über-lege ich es mir dreimal, ob ich eine Familie gründe. Esist, finde ich, kurzsichtig, und es bringt uns nicht voran,wenn wir auf Kosten kurzfristiger Gewinne und kurzfris-tiger Flexibilität die Zukunft unserer Jugend aufs Spielsetzen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auchvon unserem Koalitionspartner, lassen Sie uns gemein-sam für gute Rahmenbedingungen und für die notwen-dige Sicherheit für die jungen Menschen sorgen, damitunsere Jugend auch wieder Familien gründen kann,
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Markus Paschke
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ohne Existenzangst und mit Lust auf die Zukunft.Einen ersten Schritt sind wir bereits gegangen; dennim Koalitionsvertrag haben wir uns auf viele wichtigeund lange geforderte Verbesserungen für Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer verständigt,
deutliche Verbesserungen hin zu guter Arbeit und wegvon prekärer Beschäftigung. Ich finde, das ist ein großerErfolg. Das Erreichen großer Ziele – wie die Einführungeines flächendeckenden Mindestlohns, wie die Rente mit63, wie die Bekämpfung des Missbrauchs bei Werkver-trägen und Leiharbeit, wie das Ende der GenerationPraktikum – erfordert aber hin und wieder auch dasSchlucken von Kröten.
Einige der Kolleginnen und Kollegen von der Unionhaben heute Morgen auch geschluckt. Wir haben uns mitder Union im Zuge der Koalitionsverhandlungen auf eineinheitliches Abstimmungsverhalten geeinigt. Wir sindvertragstreu, und wir halten uns an die Abmachungen.Die SPD steht zu ihrem Wort.
Wir schlucken jetzt also diese Kröte und werden denvorliegenden Gesetzentwurf heute ablehnen.
Meine Eltern – das will ich zum Schluss einmal sagen –haben mir beigebracht, dass man sich an Vereinbarungenund Absprachen unbedingt hält; sonst sollte man sie garnicht erst treffen.
Das hat etwas mit Verlässlichkeit zu tun.
Auf Sozialdemokraten – das will ich auch einmal deut-lich sagen – kann man sich jederzeit verlassen, meineDamen und Herren.
Denken Sie bitte an die Zeit.
Da dies wahrscheinlich meine letzte Rede in dieser
Woche war, wünsche ich schon jetzt uns allen neun in-
tensive und erholsame Wochen im Wahlkreis.
Danke schön.
Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das
Wort der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/
Die Grünen.
Lieber Markus Paschke, offen gestanden lässt michdeine Rede etwas ratlos zurück. Zeitweise klang sie wieeine Begründung für die Zustimmung zu dem Gesetzent-wurf der Linksfraktion.
Dann habe ich wieder gedacht: Wahrscheinlich ist daseine Fortbildungsveranstaltung für euren Koalitionspart-ner.
– Nein, da brauche ich wirklich keinen Nachhilfeunter-richt, jedenfalls nicht von den Sozialdemokraten.
Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem; ichbin mal gespannt, wie das am Ende ausgeht.Lieber Herr Oellers, lieber Herr Strebl, wir solltendoch mal eines klarstellen: Es geht in dem Gesetzent-wurf der Linken nicht darum, Befristungen abzuschaf-fen. Sie wissen vielleicht, dass das Teilzeit- und Befris-tungsgesetz
neben der sachgrundlosen Befristung acht Gründe fürBefristungen enthält, und dieser Katalog ist nicht abge-schlossen. Hinzu kommt, dass Betriebe mit bis zu zehnBeschäftigten überhaupt keinen Kündigungsschutz-regeln unterliegen. Das heißt, wir haben in der Arbeits-welt ein hohes Maß an Flexibilität.Gerade ich als Grüne, die auch ein Stück Mitverant-wortung dafür trägt, dass wir die sachgrundlose Befris-tung haben, sage Ihnen: Wir haben das evaluiert undmussten feststellen: Es gibt in dieser Frage tatsächlicheinen Missbrauch. Wenn über 40 Prozent aller Neuein-stellungen befristet erfolgen, dann hat das mit einerFlexibilitätsreserve und mit atmenden Betrieben nichtsmehr zu tun, sondern dann ist das schlicht die Verlänge-rung von Probezeit.
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Brigitte Pothmer
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Es ist Aufgabe der Politik, ein ausgewogenes Verhält-nis zu finden zwischen den Bedürfnissen der Betriebe,die wir ernst nehmen, und den Bedürfnissen von Men-schen, ein Stück Sicherheit in ihrem Leben zu haben.Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wir streiten hierjedes Mal über familienpolitische Leistungen. Wir gebeninzwischen 200 Milliarden Euro für familienpolitischeLeistungen aus, auch um den jungen Menschen zu er-möglichen, eine Familie zu gründen und Kinder zu krie-gen. Wir machen doch einen Riesenfehler, wenn wirdiese Intention mit der Arbeitsmarktpolitik konterkarie-ren. Dann ist das am Ende des Tages rausgeschmissenesGeld, und das jedenfalls müssen wir jetzt endlich einmalzur Kenntnis nehmen.
Wir müssen in der Politik raus aus dem schlichtenRessortdenken. Wir müssen die Lebenswirklichkeit derMenschen endlich zur Kenntnis nehmen. Da braucht eseinen Arbeitsmarkt, der auf die Bedürfnisse von Men-schen und jungen Familien Rücksicht nimmt,
der ihrem Bedürfnis nach Lebensplanung und dem Be-dürfnis der Betriebe nach Flexibilität Rechnung trägt.Die sachgrundlose Befristung brauchen wir dazu nicht,und deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zu-stimmen.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/1874 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung dersachgrundlosen Befristung. Zu diesem Gesetzentwurfliegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäfts-ordnung des Bundestages vor.1)Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/879,den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/7 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Ge-setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Verlangen derFraktion Die Linke namentlich ab.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze anden Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Damit eröffne ichdie Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der1) Anlagen 8 bis 10Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 f sowieden Zusatzpunkt 3 auf:32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demZweiten Zusatzprotokoll vom 8. November2001 zum Europäischen Übereinkommenvom 20. April 1959 über die Rechtshilfe inStrafsachenDrucksache 18/1773Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, HeidrunBluhm, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEZulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutz-mittel einschränkenDrucksache 18/1873Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitc) Beratung des Antrags der AbgeordnetenHubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEBad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurück-weisen – Rückstellungen der AKW-Betreiberin einen öffentlich-rechtlichen Fonds überfüh-renDrucksache 18/1959Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitHaushaltsausschussd) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENExistenzminimum und Teilhabe sicherstellen –Sanktionsmoratorium jetztDrucksache 18/1963Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe2) Ergebnis Seite 4155 D
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Vizepräsident Peter Hintze
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e) Beratung des Antrags der AbgeordnetenKatharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. ThomasGambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENStellungnahme im Rahmen des Konsulta-tionsverfahrens der Europäischen Kommis-sion zum Investitionsschutzkapitel im geplan-ten transatlantischen FreihandelsabkommenTTIPDrucksache 18/1964f) Unterrichtung durch die Antidiskriminierungs-stelle des BundesGemeinsamer Bericht der Antidiskriminie-rungsstelle des Bundes und der in ihrem Zu-ständigkeitsbereich betroffenen Beauftragtender Bundesregierung und des Deutschen Bun-destagesDrucksache 17/4325Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussSportausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeZP 3 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink,Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMaßgabebeschluss des Bundesrates zur Spiel-verordnung umgehend in Kraft setzenDrucksache 18/1875Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für GesundheitEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-sungen der Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d und 32 fsowie Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird vorgeschla-gen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-weisungen so beschlossen.Tagesordnungspunkt 32 e. Wir kommen nun zum An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 18/1964 mit dem Titel „Stellungnahme im Rahmendes Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommis-sion zum Investitionsschutzkapitel im geplanten transat-lantischen Freihandelsabkommen TTIP“. Die FraktionBündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in derSache über ihren Antrag auf Drucksache 18/1964, dieFraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überwei-sung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst überden Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktio-nen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zurfederführenden Beratung an den Ausschuss für Wirt-schaft und Energie und zur Mitberatung an den Aus-schuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Aus-schuss für Ernährung und Landwirtschaft, an denAusschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowiean den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-schen Union.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derFraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen. Werstimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieÜberweisung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der FraktionenDie Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen.Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksa-che 18/1964 in der Sache nicht ab.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 s sowiedie Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich um dieBeschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-sprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 33 a:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsab-kommen vom 25. und 30. April 2007 zwischenden Vereinigten Staaten von Amerika einer-seits und der Europäischen Gemeinschaft und
Drucksache 18/1569Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/1997Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/1997, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 18/1569 anzunehmen.Zweite Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derGesetzentwurf mit den Stimmen der Regierungsfraktio-nen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktio-nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenom-men.Tagesordnungspunkt 33 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrs-abkommen vom 15. Dezember 2010 zwischender Europäischen Union und ihren Mitglied-staaten einerseits und dem Haschemitischen
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4152 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
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Drucksache 18/1570Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/1998Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/1998, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 18/1570 anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit denStimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü-nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-nommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzenzu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke angenommen.Tagesordnungspunkt 33 c:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012zwischen der Europäischen Union und ihrenMitgliedstaaten und der Republik Moldauüber den Gemeinsamen Luftverkehrsraum
Drucksache 18/1571Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/1999Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/1999, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 18/1571 anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihrHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, derFraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen derFraktion Die Linke angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzenzu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke angenommen.Tagesordnungspunkt 33 d:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom9. September 2013 zwischen der Bundesrepu-blik Deutschland und der Republik derPhilippinen zur Vermeidung der Doppelbe-steuerung auf dem Gebiet der Steuern vomEinkommen und vom VermögenDrucksache 18/1568Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
Drucksache 18/1984Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/1984, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1568 an-zunehmen.Zweite Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-tion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-genommen.Tagesordnungspunkt 33 e:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung des Umweltinformationsge-setzesDrucksache 18/1585Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-aktorsicherheit
Drucksache 18/1992Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/1992, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 18/1585 anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenom-men.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzenzu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Werenthält sich? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist da-mit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4153
Vizepräsident Peter Hintze
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Tagesordnungspunkt 33 f:Beratung des Antrags der Abgeordneten HeidrunBluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKESofortiges Moratorium für die Wohnungs-und Grundstücksverkäufe durch die Bundes-anstalt für ImmobilienaufgabenDrucksache 18/1952Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in derSache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün-schen Überweisung, und zwar zur federführenden Bera-tung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung anden Innenausschuss, an den Ausschuss für Recht undVerbraucherschutz, an den Finanzausschuss sowie anden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-torsicherheit.Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über denAntrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieÜberweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktionund der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sobeschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antragauf Drucksache 18/1952 nicht in der Sache ab. Damitentfällt die hierzu bereits beantragte namentliche Ab-stimmung.Tagesordnungspunkt 33 g:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Sabine Zimmermann , WolfgangGehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEKürzungspolitik beenden – Soziale Errungen-schaften verteidigen – Soziales Europa schaffenDrucksachen 18/1116, 18/1605Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/1605, den Antrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 18/1116 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion undder SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 h:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsauschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten BrittaHaßelmann, Kerstin Andreae, Dr. ThomasGambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEine Milliarde Euro Entlastung für Kommu-nen im Jahr 2014 umsetzenDrucksachen 18/975, 18/1655Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/1655, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/975 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-schlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen derFraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 i:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu der Verordnung der Bun-desregierungZweite Verordnung zur Änderung der Au-ßenwirtschaftsverordnungDrucksachen 18/1233, 18/1379 Nr. 2.1,18/1677Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache18/1233 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion beiEnthaltung der Fraktion Die Linke und der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 j:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit zuder Verordnung der BundesregierungErste Verordnung zur Änderung der Elektro-und Elektronikgeräte-Stoff-VerordnungDrucksachen 18/1471, 18/1702 Nr. 2, 18/1993Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung, der Verordnung auf Drucksache 18/1471 zuzustim-men. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-schlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Tagesordnungspunkt 33 k:Beratung der dritten Beschlussempfehlung desWahlprüfungsausschusseszu Einsprüchen gegen die Gültigkeit derWahl zum 18. Deutschen Bundestag am22. September 2013Drucksache 18/1810Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Be-schlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionenangenommen.1)1) Anlage 11
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Vizepräsident Peter Hintze
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Tagesordnungspunkt 33 l:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Recht und Verbraucherschutz
zur
Übersicht 2über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gerichtDrucksache 18/1970Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist damit mit den Stimmen aller Fraktionenangenommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-titionsausschusses.Tagesordnungspunkt 33 m:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 67 zu PetitionenDrucksache 18/1882Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 67 mit denStimmen aller Fraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 n:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 68 zu PetitionenDrucksache 18/1883Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 68 mit denStimmen aller Fraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 o:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 69 zu PetitionenDrucksache 18/1884Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 69 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktionangenommen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.Tagesordnungspunkt 33 p:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 70 zu PetitionenDrucksache 18/1885Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 70 mit denStimmen aller Fraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 q:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 71 zu PetitionenDrucksache 18/1886Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 71 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion undder Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 r:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 72 zu PetitionenDrucksache 18/1887Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 72 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmender Fraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt 33 s:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 73 zu PetitionenDrucksache 18/1888Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 73 mit denStimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegendie Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen undder Fraktion Die Linke angenommen.Zusatzpunkt 4 a:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Tobias Lindner, Christian Kühn ,Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMoratorium beim Verkauf von Wohnimmobi-lien in Städten mit angespanntem Wohnungs-markt durch die Bundesanstalt für Immobi-lienaufgabenDrucksache 18/1965Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Ab-stimmung in der Sache, die Fraktionen CDU/CSU undSPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführen-den Beratung an den Haushaltsausschuss, zur Mitbera-tung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz,an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über denAntrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieÜberweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
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und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktio-nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlos-sen. Damit stimmen wir heute über den Antrag aufDrucksache 18/1965 in der Sache nicht ab.Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungendes Petitionsausschusses.Zusatzpunkt 4 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 74 zu PetitionenDrucksache 18/1974Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 74 mit denStimmen aller Fraktionen beschlossen.Zusatzpunkt 4 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 75 zu PetitionenDrucksache 18/1975Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist auch die Sammelübersicht 75 mitden Stimmen aller Fraktionen beschlossen.Zusatzpunkt 4 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 76 zu PetitionenDrucksache 18/1976Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 76 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Ent-haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so be-schlossen.Zusatzpunkt 4 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 77 zu PetitionenDrucksache 18/1977Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 77 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung derFraktion Die Linke so beschlossen.Zusatzpunkt 4 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 78 zu PetitionenDrucksache 18/1978Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 78 mit denStimmen aller Fraktionen beschlossen.Zusatzpunkt 4 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 79 zu PetitionenDrucksache 18/1979Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 79 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion undder Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen beschlossen.Zusatzpunkt 4 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 80 zu PetitionenDrucksache 18/1980Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 80 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke beschlossen.Zusatzpunkt 4 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 81 zu PetitionenDrucksache 18/1981Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 81 mit denStimmen der Fraktion der CDU/CSU und der SPD-Frak-tion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen beiEnthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen.Zusatzpunkt 4 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 82 zu PetitionenDrucksache 18/1982Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 82 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unse-rer Tagesordnung fortfahren, darf ich Ihnen das von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktion Die Linke bekannt geben: abgege-bene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 119, mit Neinhaben gestimmt 466. Der Gesetzentwurf ist damit abge-lehnt.
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4156 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 585;davonja: 119nein: 466JaSPDStefan RebmannPeer SteinbrückDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerMichael HennrichPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. Lämmel
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4157
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Dr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
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4158 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMartin RabanusMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte Zypries
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auchdie weitere Beratung.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 7:Wahl eines Mitglieds der „Kommission Lage-rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 3 und 6des StandortauswahlgesetzesDrucksache 18/1961Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache18/1961 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Vor-schlag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-nommen.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHaltung der Bundesregierung zu Einwändender EU-Kommission in Bezug auf die Einfüh-rung einer Pkw-Maut in DeutschlandIch eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieheutige Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut haben Sie unsGrünen zu verdanken. Wir wollen nämlich endlich ein-mal Klarheit haben, nachdem die Zeitungen am Wochen-ende zu diesem Thema schon gut gefüllt waren.Inzwischen rufen schon die Spatzen von den Dächern,dass es bei dem Konzept für eine Ausländermaut à laCSU eine deutliche Verzögerung gibt. Die CSU hatte daszur Bundestagswahl noch großspurig angekündigt. Undvon wem ist davon bisher nichts zu hören? Von MinisterDobrindt – er ist heute leider auch in dieser Debatte ab-wesend –
– wahrscheinlich! –, obwohl er als Wahlkämpfer dieseAusländermaut immer besonders laut gefordert hatte.Man muss inzwischen schon vermuten, dass derMinister mit seiner Pkw-Maut à la CSU im letztenSommer nur einen Wahlkampfschlager als bayerischerLöwe herausbrüllen wollte. Jetzt ist er aber kleinlaut aufdem harten Boden der Realität gelandet.
Aus allen Ecken kommen deutliche Hinweise, dass soeine CSU-Maut mit der Gleichbehandlung aller Men-schen in der Europäischen Union nicht vereinbar ist.Denn sie wird nur dazu dienen, ausländische Autofahrerabzukassieren.EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat Ihnen das amletzten Sonntag in einem Gastbeitrag in der FrankfurterAllgemeinen Sonntagszeitung sehr deutlich ins Stamm-buch geschrieben. Ich zitiere:Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit derKfz-Steuer verrechnet werden.
Ein richtiger Einwand, wie ich finde, den Sie nicht soeinfach vom Tisch fegen können.
Soll Ihr Konzept dann etwa die Einführung einerPkw-Maut für alle Autofahrer in Deutschland durch dieHintertür sein, wie man es den heutigen Veröffentlichun-gen im Focus oder von der dpa entnehmen kann? Manhört aber nichts Genaues von Ihnen. Inzwischen ver-schieben Sie die Veröffentlichung Ihres Konzeptes er-neut von Woche zu Woche. Der Verkehrsminister ist derAnkündigungsminister dieser Großen Koalition, derMinister für unerledigte Dinge.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4159
Dr. Valerie Wilms
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Werfen wir doch einmal einen Blick auf den Zeitplandieses bayerischen Traumprojekts – oder sollte ich bes-ser „Albtraumprojekt“ sagen?
Erst sollte im Mai, zu Himmelfahrt, etwas vorgelegtwerden. Dann hieß es: im Frühjahr. Dann hieß es: zurCSU-Klausur im Juni, und jetzt heißt es: vor der Som-merpause. Wenn man den Minister beim Wort nimmt,müsste bis morgen etwas kommen. Danach sind wir hierim Bundestag nämlich in der Sommerpause. Aber esgeht weiter mit immer neuen Ankündigungen des Ver-kehrsministers. In einer dpa-Meldung war gestern Nach-mittag schon wieder eine neue Aussage zu lesen: Jetztsollen bis zum 11. Juli 2014 Eckpunkte vorgelegt wer-den. Uns soll also nicht, wie uns immer mitgeteilt wurde,ein Gesetzentwurf, den wir dann parlamentarisch bera-ten könnten, vorgelegt werden, sondern es sollen nur ir-gendwelche Eckpunkte vorgelegt werden. Wir kennendas Spielchen ja schon vom EEG. Wir wissen daher, wieSie damit umgehen.
Selbst aus der eigenen Koalition, sogar aus den Rei-hen der CSU, kommt Gegenwind zur Pkw-Maut. Daszeigt die Aussage der CSU-Landesgruppenchefin, GerdaHasselfeldt. Sie sagte am Dienstag gegenüber der Presse– ich zitiere –: „Dass das nicht so einfach ist, liegt aufder Hand.“ Ganz so leicht, wie Sie es sich im Wahl-kampf erträumt hatten – damals gab es den vor Ressenti-ments triefenden Ruf nach einer Ausländermaut –,scheint es nicht zu werden, werte Kolleginnen und Kol-legen von der CSU. Ich frage mich inzwischen, wie Siedas Kunststück „Pkw-Maut für Halter von im Auslandzugelassenen Fahrzeugen“ hinbekommen wollen. Siemüssen es ja quasi jedem recht machen: Herrn Seehofer,der Ihnen aus München diktiert: „Maut für ausländischeFahrzeughalter, egal wie“, der EU-Kommission, die be-rechtigterweise sagt: „Maut nur, wenn dadurch ausländi-sche Fahrzeughalter nicht diskriminiert werden“, unddann kam letzte Woche auch noch der Finanzminister insSpiel, der sagte: „Maut nur, wenn sie auch zu Mehrein-nahmen führt“.
Nach ersten Schätzungen werden den Einnahmen aus Ih-rer diskriminierenden CSU-Maut in Höhe von rund300 Millionen Euro aber Bürokratiekosten in Höhe vonrund 300 Millionen Euro gegenüberstehen. Das ist alsoein echtes Nullsummenspiel.
Damit ist der Fall klar: Ihre Ausländermaut ist der Ein-stieg in eine Pkw-Maut für alle, und das wäre Betrug amWähler durch die CSU.
Wirklich sinnvoll hingegen wäre eine Ausweitung derNutzerfinanzierung durch diejenigen, die die Schäden anden Straßen verursachen.
Das sind die Lkw – das wird Ihnen auch im Wegekosten-gutachten sehr deutlich aufgezeigt –; denn der normaleLkw beansprucht die Straßen bis zu 60 000-mal stärkerals ein Pkw. Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alleBundesstraßen würde auf Anhieb, wenn Sie sie jetztschnellstens in Gang setzen würden, bis zu 2,3 Milliar-den Euro Mehreinnahmen bringen. Dafür brauchte mankeinen so großen ideologischen Aufwand zu betreiben,wie Sie es bei der Pkw-Maut tun.
Geben Sie Ihre Planungen zum CSU-Traum „Auslän-dermaut“ endlich auf, und konzentrieren Sie sich auf diewichtigen Dinge in der Verkehrspolitik.Herzlichen Dank.
Für die Bundesregierung hat nun die Parlamentari-
sche Staatssekretärin Dorothee Bär das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich denke, wir sinduns alle einig – das gilt sicherlich auch für Sie, FrauWilms –, dass wir eine gesunde Verkehrsinfrastruktur inDeutschland brauchen, die den wachsenden Verkehrenin den nächsten Jahren gerecht wird. Wir haben trotz ei-ner geringer werdenden Einwohnerzahl einen starkenAnstieg in den Bereichen Güterverkehr und Personen-verkehr. Deswegen brauchen wir, wenn Deutschlandweiterhin den Anspruch hat, ein modernes Land zu sein,moderne Netze für dieses Land.Ich glaube, wir sind uns ferner alle darüber einig, dassder Wohlstand in diesem Land auch von einer modernenInfrastruktur abhängt. Wir wissen alle, was man nochbauen könnte, wenn zusätzliche Einnahmen vorhandenwären. Diesbezüglich hat jeder Einzelne, insbesonderejeder einzelne Verkehrspolitiker, viele Ideen. Da gibt eszwei Denkschulen: Die eine ist global und hat die ganzeBundesrepublik im Blick, die andere – auch sie betrifftjeden Einzelnen hier – hat die eigene Heimat, die eigeneRegion im Blick.Wir diskutieren seit Jahren darüber, wie zusätzlicheEinnahmen generiert werden können. Wir sind sehr froh,dass es in den Koalitionsverhandlungen gelungen ist, indieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro mehr zurVerfügung zu stellen.
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4160 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär
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Wir wissen aber, dass wir noch mehr Geld brauchen.Deswegen diskutieren wir in Deutschland seit Jahrzehn-ten über die Nutzerfinanzierung für Pkw. Ich verstehe,ehrlich gesagt, eines nicht: Wir haben hier in diesemHaus schon so viele Debatten geführt, bei denen es wirk-lich um Reizthemen ging, die man hochstilisieren kann,über die man sich auch ideologisch auseinandersetzenkann, bei denen man vielleicht sogar sagen kann: Das isteine Gewissensentscheidung. – Das gilt aber doch, beialler Liebe, nicht beim Thema Pkw-Maut!
– Für mich sind Gewissensentscheidungen, Herr KollegeBehrens, Entscheidungen, bei denen es um Leben undTod geht, aber nicht solche Entscheidungen, bei denen esdarum geht, wo weitere Einnahmen generiert werdenkönnen. Aber dazu kann jeder seine eigene Meinung ha-ben.
Für uns ist es eine Frage der Notwendigkeit. Siebringt vor allem unsere ganz große Überzeugung zumAusdruck. Liebe Frau Kollegin Wilms, das ist auch keinCSU-Projekt, sondern es ist das gemeinsame Projektdieser Bundesregierung. Das ist auch im Koalitionsver-trag nachzulesen.
– Ich sehe stürmischen Applaus beim Kollegen Bartol;das überzeugt mich an dieser Stelle.
Weil wir davon überzeugt sind, sagen wir aber auch– das richtet sich an die Menschen in diesem Land –:Das ist ein absolutes Gerechtigkeitsprojekt.
Wir wollen keine Ungerechtigkeit. Wenn man sichDeutschland anschaut, dann sieht man – da muss mankein Geografiegenie sein –, dass wir ein Transitland imHerzen Europas sind. Deutschland ist das Land mit demam besten ausgebauten Autobahnnetz.
Es wird natürlich nicht nur von inländischen Fahrern ge-nutzt, sondern eben auch von Millionen Transitreisendenaus allen denkbaren Nachbarländern,
und zwar kostenfrei und gebührenfrei, während deutscheAutofahrer in vielen europäischen Nachbarländern überentsprechende Systeme an der Infrastrukturfinanzierungbeteiligt werden.
Ich nenne nur Polen, Tschechien, Slowenien, Österreich,Italien, die Schweiz oder auch Frankreich.Wenn man von München nach Verona fährt, dann fal-len in Österreich und Italien für einen relativ kurzenZeitraum 30 Euro an. Wenn man von Köln nach Bor-deaux fährt, dann zahlt man in Frankreich 70 Euro.Wenn man aber von Rotterdam bis ins wunderschöneRosenheim fährt, bis zur Kollegin Ludwig, dann zahltman 0 Euro.
Es kann mir keiner sagen, dass es gerecht ist, dass mannichts zahlen muss, wenn man sich nur auf deutschemBoden bewegt, dass man aber zahlen muss, sobald manaußerhalb Deutschlands unterwegs ist.
Das ist eine Ungleichbehandlung, und das ist eine Ge-rechtigkeitslücke, die wir schließen wollen.
Das ist unser Kernanliegen.Spannenderweise teilt dieses Anliegen – so das Er-gebnis, nachdem man die Befragung einmal richtigdurchgeführt hat – mittlerweile auch weit über die Hälftealler ADAC-Mitglieder in Deutschland;
auch das ist sehr erfreulich. Es ist also ein Gesell-schaftsprojekt, ein Projekt, das in der Mitte der Gesell-schaft angekommen ist.
Natürlich weckt ein solches Konzept, liebe Frau Kol-legin Wilms, große Neugierde; das verstehe ich natür-lich.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4161
Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär
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Wir haben, wie gesagt, jahrelang darüber diskutiert. Wasich nicht nachvollziehen kann – ich habe es angespro-chen –, ist, dass man teilweise sehr ideologisch disku-tiert. Gerade weil diesem Projekt eine so wahnsinniggroße Aufmerksamkeit zuteil wird, ist ein Höchstmaß anSensibilität geboten. Ich bin sehr froh, dass unser Minis-ter zu den Sensiblen in dieser Bundesregierung gehört.
Wenn man sich anschaut, worüber wir hier eigentlichreden – es geht um 42 Millionen Autofahrer in Deutsch-land, und es geht um viele weitere Millionen Autofahreraus dem Ausland –, dann muss man ganz ehrlich sagen:Natürlich geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Sonstwären Sie doch die Ersten, die kritisieren würden, manhabe hier einen Schnellschuss gemacht.
Deswegen ist uns die Gründlichkeit an dieser Stellewichtig.Man muss auch sagen: In einer Zeit, in der es heißt,dass jedes Selbstgespräch in Berlin öffentlich ist, ist esdoch toll, dass es auch noch möglich ist, etwas vertrau-lich miteinander zu besprechen.
Es gehört zur Normalität des Verfahrens, dass der Bun-desminister für Verkehr und digitale Infrastruktur seinKonzept erst einmal mit dem Bundesfinanzminister undmit dem Bundeskanzleramt bespricht.
– Nein, das stimmt nicht, Frau Lemke. Die beiden habenVertraulichkeit vereinbart, und genau diese Vertraulich-keit ist auch gewahrt worden.
Ich zumindest habe keine solche Aussage gelesen. Daliegen Sie völlig falsch. – Natürlich bespricht der Minis-ter sein Konzept auch erst einmal mit den Koalitions-fraktionen, also mit der CDU/CSU-Fraktion und derSPD-Fraktion, bevor es dann den Grünen zugänglich ge-macht wird. Auch das ist selbstverständlich, genauso wiedie Tatsache, dass er es mit der EU-Kommission erörtert.Unser Bundesminister führt diese Diskussionen also seitgeraumer Zeit und mit einer sehr hohen Intensität.Wenn er davon sprach, dass er sein Mautkonzept nochvor der Sommerpause vorstellen wird,
dann war das, Frau Wilms, auch ernst gemeint. Deswe-gen kann ich Ihnen nur sagen, dass das Konzept stehtund dass es detailliert ausgearbeitet ist. Wenn Sie derMeinung sind, dass für Sie schon morgen die Sommer-pause anfängt, dann kann ich nur sagen: Wir arbeitennoch etwas länger.
Ich sage Ihnen: Wenn die notwendigen vertraulichenGespräche geführt und die letzten Rückkopplungen er-folgt sind – das wird sehr bald sein –, dann wird Ihnendieses Konzept, das bereits steht, auch vorgestellt wer-den, und natürlich halten wir uns auch an die vereinbar-ten Vorgaben: keine Zusatzbelastungen für deutschePkw-Fahrer und selbstverständlich eine Übereinstim-mung mit den Europaregeln.
Wir wissen um die Sensibilität – gerade bezogen aufdie Europakonformität. Sie haben vorhin Herrn Kallaszitiert. Herr Präsident, das werde ich jetzt auch tun.Auch ich habe den Artikel nämlich gelesen, wie Sie sichdenken können. Ich darf Ihnen jetzt also einmal vierAussagen aus dem Artikel von Herrn Kallas in derFrankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zitieren:Zitat eins:Die Europäische Kommission empfiehlt Mitglied-staaten, Straßenbenutzungsgebühren zu erheben,um die für die Instandhaltung benötigten Mittel auf-zubringen.
Zitat zwei:So werden die Verkehrsteilnehmer nach dem Verur-sacher- und dem Nutzerprinzip an den Kosten be-teiligt, die sie der Gesellschaft verursachen.Zitat drei:Die Europäische Kommission begrüßt deshalb dieEinführung oder Ausweitung von Mautsystemen ineiner zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, da-runter auch Deutschland.Zitat vier:Die Mitgliedstaaten entscheiden selbst darüber, wiesie die Maut erheben – ob zeitabhängig mit Vignet-ten oder mit Gebühren, die sich nach der gefahre-nen Strecke bemessen.
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4162 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär
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Sie sehen also: Das hat Herr Kallas auch dargelegt.
Ich kann Ihnen sagen: Der Minister hat Gespräche ge-führt, und aus der Europäischen Kommission kommenhier sehr positive Signale, die uns zeigen, dass wir aufdem richtigen Weg sind.
Deswegen noch einmal an die Adresse der Grünen:Für uns ist es selbstverständlich, dass wir ein europa-rechtskonformes Modell vorstellen und einführen wer-den.
Das ist überhaupt nicht der Diskussion wert, und ich binmir ganz sicher: Wenn wir die Pkw-Maut erfolgreicheingeführt haben, werden Sie alle nicht verstehen kön-nen, wie Sie dieses Zukunftsmodell jemals haben blo-ckieren können.Herzlichen Dank.
Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke ist der
nächste Redner.
Frau Bär, Sie haben sich wacker geschlagen, aber ichfinde es unfair, dass Ihr Minister Sie hier ins Rennenschickt, um das zu vertreten, was er schon längst vorbe-reitet hat bzw. was er nicht durchsetzen kann.
Darum will ich mich auch vornehmlich an HerrnDobrindt abarbeiten, und ich hoffe, dass das, was hiervorgetragen wird, auch bei ihm ankommt.Als Erstes möchte ich ihn einmal zitieren:Es gibt zwei Dinge, die ohne Zweifel sind: dassDeutschland ins WM-Finale kommt und dass diePkw-Maut zum 01.01.2016 scharfgeschaltet wird.Das ist eine gewagte These. Sie stammt vom Verkehrs-minister und ist gerade einmal knapp drei Wochen alt.Der erste Teil seiner Prophezeiung kann noch in Erfül-lung gehen, beim zweiten sehe ich allerdings schwarz.Gestern war Minister Dobrindt bei EU-Verkehrskom-missar Siim Kallas in Brüssel. Es hieß, das sei ein Rou-tinearbeitstreffen. Ein Routinearbeitstreffen, obwohl esnoch nicht einmal einen Antrittsbesuch in Brüssel gege-ben hat? Das ist eine merkwürdige Art von Routine.Nein, man muss hier nur einmal eins und eins zusam-menzählen, um zu sehen, wie es zu diesem spontanenBesuch gekommen ist. Da es im Kanzleramt mit der Prä-sentation des Mautkonzepts gar nicht mehr so schnellgehen muss, ist doch jedem klar, dass ihn die Kanzlerinnach Brüssel geschickt hat, um dort nachzufragen, wasmöglich ist und was nicht. Das heißt, hier von einemRoutinebesuch zu sprechen, ist eine ziemliche Frechheit.
Die Europäische Kommission hat von Anfang anklargemacht, dass die Ausländermaut – das ist der Un-terschied, Frau Bär – und das Europarecht einfach nichtzusammengehen werden. Ich weiß nicht, wie oft HerrKallas in den letzten Monaten mit folgendem Satz zu hö-ren war:Eine Pkw-Maut darf so nicht einfach mit der Kfz-Steuer verrechnet werden.Das ist ein wichtiger Satz, den Sie vorhin nicht zitiert ha-ben.Ihr Vorschlag verstößt eindeutig gegen das Diskrimi-nierungsverbot. Liebe Kolleginnen und Kollegen vonder CSU, um das zu erkennen, reichen ein paar europa-rechtliche Grundkenntnisse. Sie sollten sich einmal an-sehen, wie die Einführung der Maut in den 90er-Jahrenin Österreich verlaufen ist. Sie müssen offensichtlich ge-nau auf die Höhe der Mautsätze achten, wenn Monats-und Wochenvignetten eingeführt werden sollen, wie zu-letzt angekündigt worden ist. Diese Regelung ist den Ös-terreichern nämlich auf die Füße gefallen, weil sie dabeieinen Fehler gemacht hatten. Oder nehmen Sie doch ein-fach das EU-Ratsdokument 10166/12 zur Kenntnis.Diese Art Grundkurs in Sachen Verhältnismäßigkeits-prüfung sollte eigentlich genügen.An Ihrer Stelle würde ich mir Gedanken darüber ma-chen, wie Ihre Mautpläne mit dem europäischen Beihil-ferecht zu vereinbaren sind, wenn es diese Pläne nochgeben sollte. Es gibt in Deutschland mehrere Hundert-tausend Mietwagen. Wenn diese bei der Maut durch dieKfz-Steuer genauso entlastet werden sollten wie die Pri-vat-Pkw, dann kann mit einer Welle von Klagen von Au-tovermietern zum Beispiel aus Enschede oder Stettin ge-rechnet werden, da ihnen der Marktzugang durch dieseArt der Verrechnung schlicht und ergreifend erschwertwürde. Das wäre vielleicht eine Denksportaufgabe fürdas kommende Wochenende.
Aber der Gegenwind kommt beileibe nicht nur ausBrüssel. Wie in den letzten Tagen zu hören war, gibt esoffenbar auch eine kleine Palastrevolution im Verkehrs-ministerium. Auf den Fluren des Ministeriums beklagtman die fehlende Kommunikation in Sachen Pkw-Maut.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4163
Herbert Behrens
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Andere Ressorts sind verstimmt, weil es eine Abstim-mung mit der EU und vor allem mit dem Finanzministe-rium nicht gab und weiterhin nicht gibt. Minister Schäubledürfte aufgefallen sein, dass mit der Dobrindt’schen Aus-ländermaut einfach kein Geld zu machen ist und dass dasKonzept hinten und vorne nicht stimmt.
Gleiches gilt wohl auch für den CSU-ParteivorsitzendenSeehofer. Die für das Wochenende groß angekündigteVorstellung der Mautvorschläge wurde kurzfristig abge-blasen.Herr Dobrindt steht inzwischen vor dem Nichts. Erhat sich die Suppe aber selbst eingebrockt. Er war fürden Rechtsruck im Bundestagswahlkampf der Unionverantwortlich. Er ist kein Sensibelchen, wie eben darge-stellt worden ist. Er hat beispielsweise Volker Beck aufsÜbelste beschimpft und schwulenfeindliche Klischeesbedient, um seine Politik zu machen.
Bei dem Versuch, mit der Pkw-Maut die AfD rechts zuüberholen, ist er in eine verkehrspolitische Sackgassegeraten.
Wer mit einer Ausländermaut üble Ressentiments be-dient, der hat auch nichts anderes verdient.
So kommt der Verkehrsminister aus der Zwangslagenicht heraus.Eine Maut, die nur Ausländer belastet und trotzdemGeld in die Kasse spült, gleicht einer Quadratur desKreises. Das dürfte auch Siim Kallas im Hinterkopf ge-habt haben, als er dem Minister bei der Einführung derPkw-Maut „Viel Spaß“ gewünscht hat. Aber der Spaßdürfte wohl bald ein Ende haben.
Ich werde jetzt nicht den Rücktritt des Ministers for-dern. Aber was sagen seine Parteifreunde? Ich will eseinmal fußballtechnisch ausdrücken: Was bedeutet es,wenn ein Vereinsvorstand seinem Trainer nach einerNiederlage der Mannschaft das volle Vertrauen aus-spricht? Richtig, er sollte sich schleunigst einen neuenJob suchen. – Die Vertrauensbekundung von GerdaHasselfeldt für ihren Parteifreund Dobrindt sollte ihnsehr stutzig machen. Er sollte genau zur Kenntnis neh-men, wie sein Parteivorsitzender Seehofer auf das Maut-konzept reagiert hat.
Herr Minister Dobrindt, Sie haben ganz offensichtlichdas Vertrauen verloren, nicht das der Linken – das hattenSie nie –, aber das der CSU-Spitze, der Kanzlerin undIhrer Ministerkollegen von der SPD und der CDU/CSU.Was sehen wir nach sechs Monaten Amtszeit? EinenMauthelden auf dem Schleudersitz. Frau Bär, einenschönen Gruß an Ihren Minister. Er möge sich das, wasich gesagt habe, zu Herzen nehmen.
Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Frak-
tion.
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass nach
unserer Geschäftsordnung die Reden in einer Aktuellen
Stunde nicht länger als fünf Minuten dauern dürfen. –
Wenn das keine Steilvorlage ist: Bitte schön, Herr
Bartol.
Herr Präsident, die Frage ist, warum bei mir dieserHinweis kommt. – Aber vielen Dank.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Plan der Opposition istsehr durchschaubar. Sie wollen die Bundesregierung un-ter Druck setzen und den zuständigen Minister öffentlichbloßstellen.
Ich sage Ihnen ganz klar: Sie sollten Ihre Ungeduld et-was zügeln. Geben Sie doch dem Bundesverkehrsminis-ter und seinem Ministerium und den Kollegen im Bun-desfinanzministerium und im Bundeskanzleramt dienotwendige Zeit, um in Ruhe ein Konzept für eine Pkw-Maut auszuarbeiten! Das ist eine große Herausforde-rung, die höchste Präzision erfordert.
– Hören Sie gut zu! – Liebe Kolleginnen und Kollegen,ich kann Sie beruhigen. Am Ende wird der DeutscheBundestag entscheiden, und zwar nicht nur auf derGrundlage von Eckpunkten,
sondern auf der Basis eines konkreten Gesetzentwurfesin einem geordneten Verfahren mit Expertenanhörungund Beratungen in den Ausschüssen.Offensichtlich schaut gerade das ganze Land nachBerlin und will die Details der Pkw-Vignette erfahren.Das ist nur zu verständlich, da es sich um kein ganz ein-faches Unterfangen handelt. Ich weiß jedoch, dass Bun-desverkehrsminister Alexander Dobrindt gerade sehr
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Sören Bartol
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hart und intensiv an einer Lösung arbeitet. Dabei hat ermein vollstes Vertrauen.
Gut ist auch, dass sich das Bundesfinanzministeriumjetzt intensiv in die Beratungen eingeschaltet hat.
Aus unserer Sicht drängt die Zeit nicht. Der Minister hatselbst angekündigt, noch vor der Sommerpause etwasvorzulegen. Ob das eine Woche früher oder später pas-siert, ist aus unserer Sicht nicht entscheidend.
Wir sind uns in der Koalition einig, dass der Koali-tionsvertrag gilt. Mobilität muss in Deutschland auch inZukunft für alle bezahlbar bleiben. Das haben CDU,CSU und SPD miteinander fest vereinbart. Deswegendarf auch kein einziger Autofahrer aus Deutschlanddurch eine Pkw-Maut mehr belastet werden. Das ist einVersprechen, auf das sich alle verlassen können.
Gleichzeitig haben sich CDU, CSU und SPD darauf ver-ständigt, dass wir uns an die Spielregeln der Europäi-schen Union halten werden: Alle Autofahrer, auch ausden Niederlanden und Dänemark, die nach Deutschlandkommen, müssen gleichbehandelt werden. Das ist eineFrage der guten Nachbarschaft und damit eine Selbstver-ständlichkeit in einem gemeinsamen Europa. Dahernehme ich die Hinweise des EU-Kommissars Siim Kal-las sehr ernst, der letzten Sonntag in der Frankfurter All-gemeinen Sonntagszeitung geschrieben hat – es ist be-reits einiges daraus zitiert worden –:Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit derKfz-Steuer verrechnet werden. Es kann nicht sein,dass ein inländischer Autofahrer die Maut über dieSteuer automatisch zurückerstattet bekommt.Wenn das die Position der Europäischen Kommissionist, gehe ich davon aus, dass die Bundesregierung dasselbstverständlich bei ihrer Erarbeitung der Pläne be-rücksichtigt.
Die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland kannkein Selbstzweck sein. In den Koalitionsfraktionen sindwir uns einig, dass eine Pkw-Vignette nur dann die breiteAkzeptanz der Bevölkerung finden wird, wenn es amEnde auch nennenswerte Einnahmen gibt. Die Bürgerin-nen und Bürger werden genau darauf achten, ob durchdie Kosten der Erhebung die zusätzlichen Einnahmennicht umgehend wieder aufgefressen werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD im Bun-destag steht zum Koalitionsvertrag. Das gehört sich auchso unter Koalitionspartnern.
Wenn die im Koalitionsvertrag formulierten Bedingun-gen erfüllt sind, dann – und nur dann – wird es inDeutschland eine Pkw-Vignette geben. Jetzt ist die Bun-desregierung, vorneweg der Bundesverkehrsminister, ander Reihe, etwas Konkretes vorzulegen. Wenn das vor-liegt, werden wir als SPD bzw. als Koalitionspartnerund, ich denke, auch Sie alle – dafür ist die wunderbareSommerpause da – das gemeinsam wohlwollend, aberkritisch prüfen.Vielen Dank.
Ich weiß jetzt, Herr Bartol, warum ich den Hinweis
auf die Redezeit zu Beginn Ihrer Rede gegeben habe:
weil ich geahnt habe, dass Sie den Nachweis führen wür-
den, dass es auch in vier Minuten geht.
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn Sie gestatten, werde ich versuchen, die fünf Minu-ten auszunutzen. – Mütterrente, Mindestlohn, Pkw-Maut –das waren Schlagworte, die die Koalitionsverhandlun-gen überschrieben haben, die aber auch wichtige Anlie-gen der drei Parteien wiedergeben. Vielleicht erklärt derUmstand der politischen Bedeutung des Themas Pkw-Maut auch die, wie ich finde, etwas unsinnige Aufge-regtheit, mit der diese Debatte bisweilen geführt wird,bis hin zu dieser Aktuellen Stunde im Bundestag.
Eigentlich sind sich alle einig. Die Infrastrukturbraucht mehr Geld. Da ist es doch naheliegend, über Zu-satzeinnahmen nachzudenken. Frau Wilms, wir denkenselbstverständlich auch an die Lkw-Maut;
wir werden dieses Thema heute Abend noch im Bundes-tag debattieren. Wir denken aber auch an andere Zusatz-einnahmen. Wenn es Zusatzeinnahmen sind, die nochnicht einmal den deutschen Autofahrer zusätzlich be-lasten, dann ist diese Überlegung, glaube ich, sinnvoll.Zumindest ist die Aufregung, mit der sich auch hiermanche eingebracht haben, in höchstem Maße unange-messen.Vielleicht liegt das aber auch daran, dass über diePkw-Maut schon so lange diskutiert wird und wahr-scheinlich jeder Deutsche dazu eine klare Meinung– entweder dafür oder dagegen – hat. Ich kann nur sehrbegrüßen, dass diese Koalition die Umsetzung der Pkw-Maut in Angriff nimmt. Liebe Kolleginnen und Kolle-
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Steffen Bilger
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gen von der SPD, ich persönlich hätte nicht gedacht,dass ich in wenigen Wochen sowohl der Rente mit 63 alsauch dem Mindestlohn zustimmen würde.
Daher bitte ich um Gelassenheit, wie Sie Sören Bartolgerade ausgestrahlt hat. Nach den genannten politischenGroßprojekten freuen wir uns natürlich über Unterstüt-zung für dieses Anliegen, das uns besonders wichtig ist.
Ich habe darauf verzichtet, zusammenzutragen, wannsich welche Landesverbände welcher Partei für welcheArt einer Pkw-Maut ausgesprochen haben. Ich glaube,uns allen ist bewusst, dass die Positionierung zu diesemThema doch sehr von regionalen Erfahrungen abhängt,sodass es keinesfalls so ist, dass die eine Partei dafür unddie andere komplett dagegen wäre. So gab es vor kurzerZeit auch einen Vorschlag von Ministerpräsident Albig,der auf viel Kritik gestoßen ist, der aber gezeigt hat, dassbei dem Thema Infrastrukturfinanzierung Handlungsbe-darf besteht.
Ausgangslage für unsere aktuellen Überlegungen zurPkw-Maut ist der Koalitionsvertrag; das wurde schonangesprochen. Dort ist festgehalten: Die Pkw-Maut wirdim Inland zugelassene Fahrzeuge nicht zusätzlich belas-ten. Die erzielten Einnahmen fließen in die Infrastruktur,und – ganz klar – das Ganze muss europarechtskonformsein.Ich muss wegen der Art, wie diese Diskussion zurzeitgeführt wird, noch einmal darauf hinweisen: Brüssel hatüberhaupt nichts gegen eine Pkw-Maut; das wurde schongesagt. Ganz im Gegenteil: EU-VerkehrskommissarKallas hat in seinem bereits angesprochenen Beitrag inder Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sogar aus-drücklich darauf hingewiesen, dass die Kommission denMitgliedstaaten die Erhebung von Straßenbenutzungsge-bühren empfiehlt. Was vielen auch nicht richtig bewusstist, ist, dass die EU auch heute schon eine gewisse Be-nachteiligung von Haltern ausländischer Fahrzeuge zu-lässt. Denn wer eine 10-Tages-Vignette in einem EU-Mitgliedstaat erwirbt, der bezahlt mehr als der, der dieJahresvignette hat, wenn man es auf die Tage der Auto-bahnbenutzung herunterrechnet. Eine gewisse Benach-teiligung ausländischer Verkehrsteilnehmer ist alsodurchaus konform mit den Vorgaben der EuropäischenKommission. Deshalb wundere ich mich manchmal überdie Erwartung, die jetzt an Brüssel gerichtet wird, dassdie Pkw-Maut auf jeden Fall scheitern wird. Ich bin mirsehr sicher, dass wir mit der EU-Kommission einen Wegfinden werden, die Pkw-Maut in Deutschland einzufüh-ren.Ich will allerdings noch eine Vorstellung, die HerrKallas geäußert hat, ansprechen; denn sie ist keine Vor-stellung, die wir teilen. Entfernungsabhängige Gebührenfür Pkw – er hat sie nicht zur Bedingung gemacht, aberin seinem Beitrag empfohlen – halten wir nicht für dierichtige Lösung. Wir wollen eine einfache Lösung, diezudem keinen Anlass zur Besorgnis hinsichtlich einerÜberwachung der Autofahrer bietet und nicht zu einerBenachteiligung von Berufspendlern und ländlichenRäumen führt.
Gerade einmal fünf Länder in Europa verzichtenkomplett auf eine Pkw-Autobahnmaut. Dass ausgerech-net das Transitland Nummer eins, Deutschland, dazu ge-hört, kann doch wirklich nicht sein, meine Damen undHerren. Wir haben gute Gründe für die Einführung einerPkw-Maut: Transitland Nummer eins bedeutet vielfachStauregion Nummer eins. Unsere Infrastruktur ist unter-finanziert; wir brauchen einfach mehr Geld im System.Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wer unsereStraßen benutzt, soll dafür bezahlen, genauso wie Mil-lionen deutscher Pendler und Urlauber.Herr Behrens, eines will ich doch noch einmal klar-stellen: Die Einführung einer Pkw-Maut für ausländi-sche Fahrzeuge hat nun wirklich nichts mit Ausländer-feindlichkeit zu tun.
Aus den genannten Gründen sollten wir alle an derEinführung einer Pkw-Maut arbeiten. Ich bitte hierfürum Unterstützung und auch um die nötige Gelassenheitbei dieser Debatte.Vielen Dank.
Thomas Lutze ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Frau Staatssekretärin, es geht Ihnenum Gerechtigkeit. Das ist eine gute Idee. Bei diesemThema sind wir sogar dabei.
– Warten Sie es ab! – Ihnen geht es, wenn ich Sie richtigverstanden habe, darum, dass sich alle, die auf deutschenStraßen Auto fahren, an der Finanzierung beteiligen. Vordiesem Hintergrund verweisen Sie darauf, dass ausländi-sche Pkw hierzulande ohne Plakette fahren dürfen, wäh-rend deutsche Autofahrer im Ausland zumeist für Pla-ketten oder an Mautstationen zahlen müssen. Nunsuchen Sie genauso wie Ihre Vorgänger nach einer Lö-sung und haben sich dabei sehr weit aus dem Fenster ge-lehnt. Sie haben ein für meine Begriffe in der Öffentlich-keit sehr populäres Thema aufgebauscht, um Ihrezurückgehenden Wahlergebnisse in Bayern wieder etwasaufzubessern. Es tut mir leid, aber mit Realpolitik hatdas relativ wenig zu tun.
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Thomas Lutze
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Nun zieht ausgerechnet die von Ihnen sehr geliebteEU die Notbremse. Alle vorausgegangenen Warnungen– übrigens auch aus den Reihen der Union und des Ko-alitionspartners SPD – haben Sie kontinuierlich igno-riert. Doch es ist noch nicht zu spät. Blasen Sie einfachdie ganze Aktion ab! Das Ganze kommt Sie gar nicht soteuer. Vielleicht steht morgen noch etwas Negatives inder Presse. Aber spätestens am Samstag hat jeder dasThema vergessen.Wenn Sie nach Lösungen unter dem Gerechtigkeitsas-pekt vor allem bei der Finanzierung im Verkehrssektorsuchen, dann probieren Sie es doch einmal mit folgen-dem Thema: Zum Beispiel im Fernverkehr konkurrierendie Bahn, das Flugzeug und neuerdings die Fernbus-linien um die Reisenden. Nun kann man zu jedem Ver-kehrsmittel seine eigene Meinung haben; auch wir warenan der ein oder anderen Stelle sehr kritisch. Wenn Sieaber schon Wettbewerb organisieren und zulassen, dannmuss dieser Wettbewerb wenigstens zu denselben Rah-menbedingungen stattfinden. Gehen Sie also einmal derFrage nach, warum ein Bahnbetreiber für jeden Kilome-ter, der auf der Schiene zurückgelegt wird, eine Gebührzahlt, warum ein Eisenbahnverkehrsunternehmen für je-den Halt an einem Bahnhof oder Haltepunkt ebenfallseine Gebühr zahlen muss. Ich frage Sie: Warum fahrendie Fernlinienbusse auf deutschen Autobahnen kosten-los? Warum wird hier keine Maut erhoben? Ich glaube,ein entsprechendes Gesetz benötigt eine halbe DIN-A4-Seite, und Sie haben dann eine zusätzliche Einnahme fürdie Verkehrsinfrastruktur.
Oder haben wir etwa keine Probleme bei der Finanzie-rung der Sanierung von Autobahnbrücken?Ich stelle auch die Frage, warum gerade die Kommu-nen, deren Kassen ohnehin sehr klamm sind, selber dieHaltestellen für Fernbusse bezahlen müssen, währenddie Betreiber der Fernbuslinien völlig außen vor sind. Istdas Gerechtigkeit, Frau Staatssekretärin? Ich glaubenicht. Noch eine Frage ist interessant, Stichwort „Treib-stoff“. Während die Betreiber von Bussen und BahnenMineralölsteuer und Ökosteuer und was weiß ich fürSteuern zahlen müssen, fliegen die Airlines kostenlos.Kerosin? Fehlanzeige bei Mineralölsteuer und Öko-steuer! Ist das Gerechtigkeit im Verkehrssektor, wenn esum die Finanzierung geht? Ich glaube: Nein.Liebe Frau Staatssekretärin – das geht auch an dieAdresse von Herrn Dobrindt –, kümmern Sie sich bitteum die gravierenden Probleme im Verkehrssektor undum dessen Finanzierung! Lassen Sie den Unfug mit derPkw-Maut!
Ich glaube, das uneingeschränkte Lob der Oppositionund vielleicht auch aus Teilen der Regierung wird Ihnendann hier im Hohen Hause sicher sein.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kirsten
Lühmann für die SPD-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr verehrte Gäste! In einer AktuellenStunde sollte man sich mit aktuellen Themen befassen,also mit etwas Neuem zu einem Thema, über das debat-tiert wird. Ich habe geschaut, was es Neues zum ThemaMaut gibt. Ich habe etwas gefunden: Eine Gemeinde imKreis Oldenburg bei uns in Niedersachsen plant eineTreckermaut, um Geld für den Erhalt ihrer Wirtschafts-wege einzunehmen. Das ist eine aktuelle Meldung vongestern.
Ich glaube aber, dass das kein Thema ist, mit dem sichder Deutsche Bundestag befasst. Wenn ich der Meldungglauben darf, wird dieser Vorschlag keine Mehrheit fin-den. Wenn es nun aber nichts Neues zur Maut gibt, dannkönnten Sie auch andere Formate nehmen, liebe Freundevon den Grünen, zum Beispiel eine Pressekonferenz, umdie eigene Meinung zu gewissen Themen darzulegen.Das, was die Koalition zum Thema Maut vereinbarthat, steht schon seit längerem in unserem Koalitionsver-trag. Da haben wir übrigens auch alle Pläne, wie wir unseine Infrastrukturfinanzierung vorstellen, dargelegt. Wirhaben dort nämlich festgelegt, dass es uns hauptsächlichum die Sanierung von Straßen und Brücken geht. Wirhaben festgelegt, dass wir um einen Neubau nicht ganzherumkommen werden, um den prognostizierten Zu-wachs des Güterverkehrs um 39 Prozent bewältigen zukönnen. Wir haben dort auch festgelegt, dass wir die Fi-nanzierung dazu auf zwei Säulen stellen werden. Dieerste Säule ist die Steuerfinanzierung, und die zweiteSäule wird die Nutzerfinanzierung sein. Wir haben auchgesagt, dass wir das so eingenommene Geld effizienterverplanen und verbauen wollen, sodass wir mehr für un-sere Infrastruktur tun können. Ich glaube, das sind sehrgute Verabredungen.Zum einen stärken wir das Prinzip „Erhalt vor Neu-bau“. Das ist ein ganz wichtiges Thema, das die Men-schen draußen betrifft. In meinem Wahlkreis gibt es eineviel befahrene Bundesstraße durch einen Ort, die dieseWoche erneuert wird. Die Fahrbahn wird neu gemacht;das ist eine Maßnahme, auf die die Menschen schon sehrlange warten, weil sie lärmgeplagt sind und es mit dieserneuen Fahrbahndecke wesentlich ruhiger werden wird.Zum anderen werden wir beim Neubau darauf achten,dass die geförderten Projekte auch einen optimalen Nut-zen entfalten können. Wir werden Verkehrsknoten ent-lasten und zusätzliche Kapazitäten auf den meistgenutz-ten Verbindungen schaffen. Geld, das am Ende desJahres noch nicht verbaut wurde, muss nun nicht mehran den Finanzminister zurückgegeben werden, sondern
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Kirsten Lühmann
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steht im nächsten Jahr zusätzlich zur Verfügung. Das isteine weitere sinnvolle Neuerung, die wir eingeführt ha-ben.Doch ohne weiteres Geld werden wir die Herausfor-derungen nicht bewältigen. Darum haben wir verabredet,zusätzliche 5 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode zurVerfügung zu stellen. Wir wollen die Infrastruktur wie-der in einen Zustand versetzen, wie es für den Wirt-schaftsstandort Deutschland unabdingbar ist. Wir wissenauch: Wenn wir das wollen, reichen diese 5 MilliardenEuro nicht aus. Wir werden also um eine verstärkteNutzerfinanzierung nicht herumkommen. Dabei berück-sichtigen wir aber, dass ein Lkw – das wurde schon er-wähnt – unsere Straßen 60 000-mal mehr schädigt alsein Pkw. Deshalb haben SPD und Union vereinbart, dieLkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen und auf Lkw ab7,5 Tonnen auszudehnen.Wir haben weiterhin vereinbart, dass wir über dieEinführung einer Pkw-Maut für Halter und Halterinnenvon im Ausland gemeldeten Kraftfahrzeugen nachden-ken. In 21 europäischen Ländern gibt es eine allgemeinePkw-Maut, meist streckenbezogen, manchmal mit Vi-gnette. Aber zehn Länder in Europa verzichten darauf,darunter auch unsere Nachbarn Niederlande, Dänemarkund Großbritannien. Daher können wir die Mauterhe-bung nicht zu einer Frage der Gerechtigkeit machen.Wenn wir das nämlich machten, dürften wir nur von denFahrern solcher Länder Maut erheben, in denen auch wirzahlen müssen. Also, für die Dänen, bei denen wir freieFahrt haben, wäre die deutsche Pkw-Maut ungerecht.
Die Pkw-Maut, so wie wir sie vereinbart haben, mussdrei gleichwertige Bedingungen erfüllen – sie sind ge-nannt worden –: Die Halter und Halterinnen von inDeutschland gemeldeten Kraftfahrzeugen dürfen nichtzusätzlich belastet werden, weil sie genug in den allge-meinen Haushalt einzahlen, aus dem wir unsere Straßenbezahlen. Es müssen erhebliche zusätzliche Mittel gene-riert werden. Ein Verwaltungsmonster, das den Großteilder Einnahmen auffrisst, wäre sinnlos. Und sie mussdem europäischen Recht entsprechen.Verkehrsminister Dobrindt hat versichert, dass er eineso ausgewogene Lösung vorlegen wird. Also, warten wirsie ab. Ich weiß nicht, woher diese Hektik kommt. Wenndieser Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegt, dann wirddie EU-Kommission qualifiziert dazu Stellung beziehen.Da ich nicht hellsehen kann, weiß ich weder, was in demGesetzentwurf zur Pkw-Maut steht, noch weiß ich, wel-che Gedanken sich die EU-Kommission dann dazu ma-chen wird. Darum erschließt sich mir nicht, warum wirheute darüber reden. Eine Aktuelle Stunde dient übli-cherweise dazu, aktuelle und nicht zukünftige Themenzu debattieren.
Wenn die Stellungnahme der EU-Kommission vorliegt,freue ich mich darauf, diese Stellungnahme mit Ihnen zudebattieren. Jetzt freue ich mich erst einmal auf den Be-ginn der Parlamentspause Ende der Woche.
Frau Kollegin!
Ich wünsche uns allen gute Erholung, damit wir im
September die dann aktuellen Themen und eventuell die
vorliegenden Gedanken der EU-Kommission zu dem ei-
nen oder anderen Thema gemeinsam debattieren kön-
nen.
Herzlichen Dank.
Nun freue ich mich auf den nächsten Redner der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Kollegen Gastel,
den ich bitten möchte, wenn er ebenfalls schöne Wün-
sche für die Urlaubspause unterbringen möchte, das in-
nerhalb der fünf Minuten Redezeit zu tun, die er zur Ver-
fügung hat.
Wann die Pause losgeht, definiert ja in diesem Jahrder Minister. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einesder größten Staatsgeheimnisse unserer Zeit. Ich sprechenicht über die Handytelefonate unserer Kanzlerin. Nein,ich spreche über die geplante CSU-Maut. Wenn diePläne vorgelegt werden, dann bleiben viele spannendeRätsel zu lösen:Rätsel Nummer eins: Sind die Mautpläne EU-rechts-konform? Die Aussagen von EU-VerkehrskommissarKallas vom Wochenende haben nochmals die hohenHürden aufgezeigt. Unabhängig davon ist der Gedanke,Autofahrer aus dem Ausland einseitig zu belasten,schlichtweg antieuropäisch.
Rätsel Nummer zwei: Wie wird eine Mehrbelastungdeutscher Autofahrer vermieden? Eine solche Vermei-dung war ja ein zentrales Wahlversprechen der CSU.Aber selbst dann, wenn eine Kompensation über dieKfz-Steuer gelingen sollte: Was ist, wenn die Niederlän-der oder die Dänen als Reaktion auf die deutsche Mautebenfalls eine Maut einführen? Spätestens dann ist die-ses Versprechen gebrochen.
Rätsel Nummer drei: Werden Gelder in nennenswer-tem Umfang für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierunggeneriert? Der Aufwand für die Pkw-Maut wird gigan-tisch sein. Für die Erhebung der Kfz-Steuer sind schonjetzt knapp 1 800 Personalstellen eingerichtet. Wenn dieSteuer künftig mit verschiedenen Mautsätzen, bei-spielsweise für Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahres-
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Matthias Gastel
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vignetten, verrechnet werden muss, wird noch vielmehr Personal erforderlich sein. – Jetzt einmal Tachelesgesprochen: Jährlich fehlen für den Erhalt der Infrastruk-tur in Deutschland 7,2 Milliarden Euro. Was macht dieGroße Koalition? Sie finanziert mit ihrer CSU-Maut denBetrag hinter dem Komma,
und dafür verursacht sie einen gigantischen bürokrati-schen Aufwand mit enormen Verwaltungskosten: mehrPersonal für die Verwaltung bei geringeren Einnahmenaus der Kfz-Steuer. Sie sollten sich besser endlich ein-mal um die Infrastruktur kümmern. Wie es um diesesteht, ist nämlich im Gegensatz zu Ihren Mautplänenkein Geheimnis. Die Infrastruktur an Schienenwegenund Straßen verlottert zusehends. Aber was machen Sie?Sie arbeiten an einer Maut, die nichts bringt.
Ich komme zum vierten und letzten Rätsel: Worinliegt der Sinn dieser Maut? Dieses Rätsel, meine Damenund Herren, kann ich lösen: Sie macht keinen Sinn, undsie ist noch dazu ungerecht; denn egal ob Viel- oder We-nigfahrer, die Einheitsmaut kostet alle das Gleiche, undegal ob Spritschlucker oder sparsames Fahrzeug, dieEinheitsmaut kostet alle das Gleiche. Mit dieser Flatrate-vignette werden völlig falsche Anreize gesetzt:
einmal zahlen und dann fahren, so viel man will. So wirdder Stau nicht weniger, und so gibt es auch keinerlei An-reiz, vermehrt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Waswir von Ihnen als Regierung erwarten, ist ein Konzept,wie Sie Mobilität mit geringerem Ressourcenverbrauchmöglich machen wollen, und dafür bedarf es der richti-gen Anreize.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Diese Maut istdas Ergebnis eines unsinnigen, populistischen Wahlver-sprechens der CSU. Sie bringt nichts, kostet aber viel.Im Übrigen bricht einer von Ihnen ohnehin ein Wahlver-sprechen: entweder die Kanzlerin, die vor laufenden Ka-meras versprochen hat: „Mit mir gibt es keine solcheMaut“, oder die CSU, die im Wahlkampf genau das Ge-genteil verspochen hat. Wir wünschen uns, dass die CSUihr Versprechen brechen muss.
Denn deren Mautidee ist der Versuch einer Quadraturdes Kreises: hohe Einnahmen ohne Mehrbelastungen fürdeutsche Autofahrer, und das auch noch EU-rechtskon-form. Die Vignette kann aber nur eines davon sein: ent-weder rund oder eckig.
Herr Minister – er ist zwar nicht da, ich sage es ihmtrotzdem –, nutzen Sie die Sommerpause! Nicht um vor-her noch einen Schnellschuss mit einer unsinnigen Mautzu machen, nein, nutzen Sie die Sommerpause, um sichim schönen Bayern zu entspannen! Steigen Sie in Bay-ern auf einen hohen Berg und erhaschen Sie einen Weit-blick, um zu erkennen: Die CSU-Maut ist ein Rohrkre-pierer und gehört gestoppt!
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Andreas Scheuer das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Am Kollegen Gastel sieht man, dass es guttut, dass dieSommerpause bald kommt, damit man sich wieder einbisschen abreagieren kann, Herr Kollege Gastel. Sie sindja selbstständiger Wirtschaftsmediator. Wenn Sie alleProbleme in den von Ihnen zu beratenden Unternehmenlösen, wie Sie manche politischen Probleme lösen, dannwird daraus nichts.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Gastelkommt ja aus Baden-Württemberg. Da las ich schon am13. August 2012: Vorstoß für Pkw-Maut. Wir brauchendringend mehr Geld. – 25. August 2013: Eine Maut füralle ist die beste Lösung. – 24. August 2013: Hermannfordert Pkw-Maut auf allen deutschen Straßen. – MeineDamen und Herren, das ist Ihr baden-württembergischerVerkehrsminister, der die CSU in ihrem Kurs unterstützt.Das ist die Wahrheit.
Wir haben jetzt auch entdeckt, dass die Kolleginnenund Kollegen der Grünen-Fraktion hellseherische Fähig-keiten haben. Sie diskutieren jetzt schon über ein Kon-zept,
das der Bundesminister erst sehr sorgfältig erstellen unddann vorlegen wird. Sie aber spekulieren und kommen-tieren schon. Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Dassoll auch die Weltöffentlichkeit wissen. Wenn es richtigwäre, was Sie sagen, nämlich dass es antieuropäischwäre, eine Pkw-Maut einzuführen, dann wären 21 Staa-ten in der EU, die ein Pkw-Maut-System haben, antieu-ropäisch. Ja, was ist denn das für eine Logik?
Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch, dasssich unsere Kolleginnen und Kollegen von den Grünenin einer verkehrspolitischen Sackgasse bewegen.
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Andreas Scheuer
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Damals, am 28. Oktober 2013, hat der Europaabgeord-nete Cramer von den Grünen nämlich eine Antwort desEU-Kommissars Siim Kallas bekommen, und darinheißt es ganz eindeutig: Die EU-Kommission hat nichtsgegen eine Pkw-Maut. – Das ist in Wahrheit Ihr ver-kehrspolitischer Rohrkrepierer, mit dem Sie jetzt nichtzurechtkommen; denn die EU-Kommission ist in dieserAntwort klar für ein nutzerfinanziertes System und füreine Pkw-Maut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
– Herr Kollege, regen Sie sich wieder ab! Ich konzen-triere mich jetzt auf die Linksfraktion.Ich habe nämlich gerade mitbekommen, Herr KollegeLutze, dass Sie gegen die wichtigen Fernbuslinien inDeutschland argumentieren; denn Sie wollen jetzt eineBus-Maut für die Fernbuslinien einführen. Sie wollendoch auch, dass unsere jungen Menschen, unsere Rent-nerinnen und Rentner, die vielleicht nicht so auf die Zeit,aber vor allem auf ihr Portemonnaie schauen müssen,Mobilität in Deutschland haben. Dass diese Fernbusli-nien zum Erfolgsschlager, zu einem Erfolg für die Mobi-lität in Deutschland geworden sind, sieht man an dembreiten Angebot.
Für mich ist neu, dass die Linke jetzt so unsozial ist, dasssie diese Personengruppen am liebsten noch zusätzlichdurch steigende Preise belasten will, indem wir eineBus-Maut einführen sollen. Das ist eine gute Nachrichtfür die CDU/CSU-Bundestagsfraktion; denn wir habendas in der letzten Wahlperiode eingeführt, und die Fern-buslinien sind ein großer Erfolg.
Meine Damen und Herren, was ist die eigentliche Si-tuationsanalyse, wenn man es verkehrspolitisch betrach-tet? Seit Jahrzehnten diskutieren wir über eine Pkw-Maut. Seit Jahrzehnten diskutieren die EU-Kommission,der EU-Ministerrat über nutzerfinanzierte Systeme. SeitJahrzehnten beklagen sich die Verkehrspolitiker, dass zuwenig Geld im Infrastruktursystem ist. Diese GroßeKoalition schafft es zum einen, dass wir 5 MilliardenEuro zusätzlich für die Infrastruktur bekommen und da-mit auch den Länderinteressen und -anliegen Rechnungtragen, indem unsere Infrastruktur noch besser wird. Wirerschließen auf der anderen Seite zusätzliche Finanzie-rungsquellen und schließen, liebe Kollegin Lühmann,eine Gerechtigkeitslücke, indem wir die beteiligen, diekostenlos durch das Transitland Deutschland durchfah-ren. Wir beteiligen die ausländischen EU-Mitbürger ander Finanzierung der Infrastruktur, die unser Land bisdato kostenlos zum Durchfahren nutzen. Wir beteiligensie an der Infrastrukturfinanzierung. Es ist doch gerecht,dass sie herangezogen werden, wenn sie unsere Infra-struktur benutzen.Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch ein-mal die Vorschläge an, die in den letzten Jahrzehnten aufdem Tisch gelegen haben: Im letzten Jahr forderte derADAC eine Erhöhung der Mineralölsteuer. 92 Prozentder Bürgerinnen und Bürger sind gegen die Erhöhungder Mineralölsteuer. Die Grünen fordern in ihrem Pro-gramm die Citymaut. 78 Prozent sind gegen die Einfüh-rung einer Citymaut. Aber 88 Prozent der Bürgerinnenund Bürger sind für das Modell der Pkw-Maut für Aus-länder, und das setzt die Große Koalition um.
Wir machen das, was die Mehrheit der Bürgerinnen undBürger will, nämlich die Gerechtigkeitslücke zu schlie-ßen und zusätzlich Finanzierungsquellen für unsere In-frastruktur zu erschließen.Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, wer-den sehr überrascht sein davon, wie viel Mehreinnahmenwir bekommen. Deswegen freue ich mich auf das Kon-zept, das Bundesverkehrsminister Dobrindt
ausarbeitet. Er war gestern in Brüssel. Er ist mit gutenNachrichten aus Brüssel zurückgekommen und wird zu-sammen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bun-desregierung und in den Koalitionsfraktionen ein Kon-zept auf den Weg bringen, wovon alle profitieren, dieBürgerinnen und Bürger in Deutschland am allermeis-ten, wenn sie nämlich durch zusätzliche Mauteinnahmeneine bessere Infrastruktur bekommen.Herzlichen Dank.
Martin Burkert ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Bär, mich würde einmal interessieren, ob Siesich vorgestellt haben, dass es mit der Pkw-Maut jemalsernst werden könnte. Denn die ersten Rufe nach derPkw-Maut vom Podium im Deutschen Bundestag ertön-ten, als dieser noch in Bonn war. Da waren wir beidenoch Teenager.
– Der Herr Scheuer auch; darauf können wir uns viel-leicht einigen.Ich denke da gerade an jemanden aus Ihren Reihen.Von dem CSU-Abgeordneten Dionys Jobst – Sie wissen,wer das war – stammt bekanntermaßen auch die Idee,dass man Mallorca zum 17. Bundesland machen könnte.
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Martin Burkert
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Daraus ist bis heute nichts geworden. Da stehen die Ak-tien und die Chancen für die Pkw-Maut aktuell besser.
Es wird unterschiedlich beurteilt.
Sie werden es noch wissen, Herr Präsident.
Ich sage ja gerade: Es wird sehr unterschiedlich beur-
teilt, ob daraus nichts geworden ist.
Aus Mallorca, ja? – Das wäre eine extra Aktuelle
Stunde wert.
Sie haben es mit Ihren CSU-Mitstreitern geschafft,
erst den Unionsfreunden außerhalb Bayerns die Pkw-
Maut aufs Auge zu drücken, und dann – das will ich
auch sagen – haben Sie es geschafft, dieses von uns nicht
gewollte Kind der Großen Koalition in die Wiege zu le-
gen. Die Verhandlungsführer sind da: der Kollege
Pronold, der Kollege Ramsauer.
Deshalb werden wir das jetzt begleiten; völlig klar. Wir
Sozialdemokraten stehen zu dem, was im Koalitionsver-
trag enthalten ist; nicht mehr, aber auch nicht weniger.
So ist das.
Ihr Parteifreund Jobst wetterte bereits in den 80er-
Jahren, also vor 30 Jahren, er sei es leid, vergeblich da-
rauf zu warten, dass die Nachbarstaaten ihre Autobahn-
gebühr abschaffen, während Ausländer auf deutschen
Autobahnen umsonst fahren. Ob allerdings eine Politik
nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ unbedingt
christlich ist, das wage ich zu bezweifeln.
Es sind nicht unbedingt edle Gefühle, die bei den Wähle-
rinnen und Wählern abgerufen werden, wenn das Motto
heißt: Wenn wir im Ausland zahlen, sollen die Ausländer
auch bei uns zahlen. – Zu diesem Thema und zu den mä-
ßigen finanziellen Effekten hat Peer Steinbrück im
Kanzlerduell das Nötige gesagt.
Es würde auch ganz bestimmt nicht die Weitsicht der
Autofahrer fördern, wenn die Windschutzscheibe mit
Dutzenden farbenfroher Plaketten zugeklebt würde, weil
jedes Land in Europa ein „Papperl“ verlangt. Von einer
wünschenswerten einheitlichen europäischen Verkehrs-
politik will ich in diesem Zusammenhang gar nicht re-
den.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag geeinigt, dass wir
uns einer Pkw-Maut unter bestimmten Voraussetzungen
nicht entgegenstellen werden. Die Punkte müssen erfüllt
sein – es ist mehrfach genannt worden –: Die Maut darf
nicht gegen Europarecht verstoßen und darf den deut-
schen Autofahrer nicht stärker belasten. Ich will daran
erinnern, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik
Deutschland das mehrfach und vor allem in dem Kanz-
lerduell Millionen von Zuschauern gesagt hat.
Wir wollen mehr Geld in die Kasse bekommen und
nicht, dass Verwaltungskosten gleich alles auffressen;
denn in einem sind wir uns hier im Hohen Hause einig:
Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, liebe Kol-
leginnen und Kollegen. Das ist der entscheidende Punkt.
Wir haben auch Vorschläge gemacht. Die Lkw-Maut
– wir haben sie gefordert – gibt es heute.
Frau Bär, verstehen Sie mich nicht falsch, ich will
Ihre Qualitäten als Köchin nicht infrage stellen.
Herr Kollege Kampeter, Sie halten sich auf der Regie-
rungsbank bitte heraus, solange Sie sich nicht ordentlich
zu Wort melden.
Herr Präsident, die Zeit läuft davon, aber es machtnichts. Ich will nur sagen, dass der andere Koch nicht an-wesend ist. Aber, Frau Bär, ich hoffe, Brüssel wird dieSuppe dann nicht versalzen. Darauf werden wir genauschauen. Das EU-Recht haben wir angesprochen.Es wäre auch ungerecht – das will ich noch einmal sa-gen –, wenn jemand, der im Jahr Tausende Kilometer aufAutobahnen fährt, genauso viel zahlen müsste wie derje-nige, der einmal im Jahr von dem wunderschönen Ro-senheim über den Brenner zum Gardasee fährt. Auchhier müssen wir aufpassen.
Zum Schluss möchte ich als bayerischer Abgeordne-ter anmerken:
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4171
Martin Burkert
(C)
(B)
Liebe Opposition, die Sommerpause beginnt in Bayernim August. Das muss man einmal sagen. Um einesmöchte ich Sie, Frau Bär und Herr Scheuer, ausdrücklichbitten: Die bayerische CSU hat die Pkw-Maut in dieWelt gesetzt, weil sie die Ausländer nicht ungeschorenauf unseren Autobahnen fahren lassen will. Bitte achtenSie beide und auch Herr Minister Dobrindt darauf, dassHerr Seehofer in der Hitze des Sommerlochs nicht nochden bayerischen Stammtischen folgt und für die Preußeneine Extramaut auf bayerischen Autobahnen vorschlägt.Darum bitte ich Sie.
Als bayerischer Landesgruppenchef habe ich einigeSperenzchen mitgemacht und bin es gewohnt. Deshalbwill ich zum Schluss schon sagen, dass unsere Zusam-menarbeit erfreulich gut ist. Das darf man heute auch sa-gen.
Das Wort hat nun der Kollege Oliver Wittke für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren!Haltung der Bundesregierung zu Einwänden derEU-Kommission in Bezug auf die Einführung einerPkw-Maut in DeutschlandSo lautet das Thema der Aktuellen Stunde, die Bünd-nis 90/Die Grünen beantragt hat.
Ich stelle zu Beginn meiner Rede fest, dass von Ihnen,Frau Wilms und Herr Gastel, kein einziger Einwand vonBedeutung der EU-Kommission gegenüber einer Pkw-Maut in Deutschland, die im Konzept vorliegt, vorgetra-gen worden ist. Das kann auch gar nicht sein; denn eswäre komisch, wenn die Einwände vor der Veröffentli-chung eines Gesetzentwurfes öffentlich werden. Von da-her ist die heutige Debatte, die Sie beantragt haben,nichts anderes als der Versuch, einen Vorgang zu skanda-lisieren, der gar nicht skandalisierbar ist, weil ein tat-sächliches Konzept das Licht der Öffentlichkeit noch garnicht erblickt hat. Darum kann es keine Einwände derEuropäischen Union in dieser Frage geben.
– Wenn Sie den Entwurf haben, dann stellen Sie ihn hiervor. Wenn es tatsächlich Einwände der EU-Kommissiongibt, tragen Sie diese hier vor. Sie haben es bis zum jetzi-gen Zeitpunkt nicht getan.Der Kollege Scheuer hat gerade EU-KommissarKallas zitiert. Ich will dies auch noch einmal tun. In dergerade erwähnten Antwort vom 28. Oktober 2013 aufeine Anfrage von Michael Cramer, Mitglied Ihrer Frak-tion im Europäischen Parlament, hat der Verkehrskom-missar wörtlich gesagt:Grundsätzlich stellt eine Senkung der Kraftfahr-zeugsteuern für gebietsansässige Nutzer … beigleichzeitiger Erhebung angemessener Nutzungs-gebühren für alle Nutzer also keine Diskriminie-rung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar.Deutlicher geht es nimmer. Das müssen Sie zur Kenntnisnehmen. Das ist ein Kommentar der Kommission derEuropäischen Union. Die ist hier maßgebend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es hiertatsächlich? Es geht darum, darüber nachzudenken, wiewir mehr Geld in unsere Verkehrsinfrastruktur investie-ren können.
Das ist mittlerweile eine politische Binsenweisheit, dieauch bei Ihnen, Frau Wilms, angekommen sein müsste.
Wir müssen mehr Geld in die Unterhaltung, in die Sanie-rung und auch in den Ausbau unserer Fernstraßen inves-tieren.
Da gibt es nur drei Möglichkeiten, woher das Geld kom-men kann: entweder neue Schulden oder Steuermitteloder Gebühren. Neue Schulden sind mit uns nicht zumachen. Aus Steuermitteln stellen wir in dieser Legisla-turperiode schon 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung.
Darüber hinaus werden wir gebührenfinanziert, nämlichdurch eine Pkw-Maut, zusätzliche Mittel für den Fern-straßenbau und für die Sanierung von Fernstraßen inDeutschland generieren.
Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie glauben, esginge darum, Ausländer abzuzocken. Nein, es geht, wiees im Koalitionsvertrag heißt, um die zusätzliche Finan-zierung von Fernstraßenbau in Deutschland, um nichtsanderes – nicht um Abzocke, sondern um mehr Mittelfür Investitionen.
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4172 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Oliver Wittke
(C)
(B)
Darum haben wir – das ist mehrfach vorgetragen wor-den – zwei Bedingungen ausdrücklich festgelegt. Ichkomme gleich noch zu einer weiteren konkludenten Be-dingung, wenn man so sagen will. Die beiden ausdrück-lich niedergeschriebenen Bedingungen lauten „keineMehrbelastung für deutsche Autofahrer“ und „die Rege-lung soll EU-rechtskonform sein“.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass beide Bedingungenim Gesetzentwurf von Minister Dobrindt enthalten seinwerden. Lassen Sie uns dann darüber reden, wenn derGesetzentwurf vorliegt. Ich sage Ihnen: Beide Bedin-gungen werden erfüllt sein.
Es gibt eine konkludente Bedingung, die ich hier auchnoch erwähnen will: Vernünftig muss die Regelungschon sein. Vernünftig heißt: Der Aufwand muss deut-lich geringer sein als der Nettoertrag. Beides muss ineinem vernünftigen Verhältnis stehen; denn nur zumGeldwechseln werden wir natürlich keine Pkw-Mauteinführen können. Wir wollen, dass am Ende Mittel fürden Fernstraßenbau übrig bleiben. Wenn ich mir an-schaue, dass seit der erfolgreichen Einführung der Lkw-Maut gerade einmal 10 Prozent des Aufkommens für de-ren Verwaltung aufgewandt werden, dann muss ich sa-gen: Da liegt die Latte in einer richtigen Höhe. Sie mussnach Möglichkeit noch darunter liegen, damit möglichstviele Mittel in den Fernstraßenbau investiert werdenkönnen und nicht nur Geld gewechselt wird.
Das bedeutet im Übrigen auch, dass die Regelung prakti-kabel sein muss. Wir wollen kein bürokratisches Mons-ter. Wir wollen eine praktikable Handhabung der Pkw-Maut; auch das ist selbstverständlich.
Ich bin sicher, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dassall diese Bedingungen in einem Gesetzentwurf vonMinister Dobrindt enthalten sein werden. Darum ver-stehe ich die Aufregung zum jetzigen Zeitpunkt nicht.Wir werden – dann auf dem Fundament eines ordentli-chen Gesetzentwurfs – ja noch viele Möglichkeiten ha-ben, darüber zu debattieren. Dann werden Sie sehen: DerKoalitionsvertrag wird Punkt für Punkt eingehalten wer-den, so wie wir es vereinbart haben
und wie wir es im Übrigen der Infrastruktur und damitden Menschen in diesem Land schulden.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ulrich Lange ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Hurra, sie lebt noch, die Opposition.
Wenn ihr schon gar nichts mehr einfällt, dann nimmt sienoch ein Thema, zu dem es eigentlich nichts Neues gibt.Liebe Kollegin Wilms, lieber Kollege Gastel, wo wa-ren Sie denn heute in der Fachdebatte zur digitalen Infra-struktur?
Da waren Sie weit und breit nicht zu sehen, weil Sie hiernoch Ihren Showtanz vorbereiten mussten, für den es ei-gentlich keinen Anlass gibt. Seien Sie beruhigt: Vonsei-ten der CSU gab und gibt es keinen Betrug am Wähler,liebe Kollegin Wilms.
Ich kann mich noch sehr gut an die letzte AktuelleStunde vor der Sommerpause vor der Bundestagswahlerinnern. Da habe ich Ihnen auf die Frage, wie diesePkw-Maut denn in den Koalitionsvertrag kommen soll,geantwortet: Seien Sie beruhigt, die CSU verhandelt mit. –Sie steht jetzt im Koalitionsvertrag. Wie es HorstSeehofer gesagt hat: ohne Maut keine Unterschrift, undwie es die Kanzlerin gesagt hat: keine Mehrbelastung fürdie deutschen Bürgerinnen und Bürger.
Also sind die Bedingungen abgesteckt. Damit ist auchklar, in welchem Rahmen die Maut kommt.Herr Kollege Lutze, schön, dass Sie auch mal wiederda sind; im Ausschuss sehen wir Sie nicht mehr so häu-fig. Es ist klar: Wir brauchen kein Lob von Ihnen. Das istder Unterschied zwischen Opposition und Regierung.Wir haben einen Wählerauftrag, den wir hier erfüllen.Loben können Sie sich in der Opposition selber; es wirdnichts bringen.Kollege Burkert, eine Bemerkung sind Sie mir alsbayerischer Kollege jetzt wert. Ihre Rede hat gezeigt,warum die Verhältnisse in München so sind, wie sie
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4173
Ulrich Lange
(C)
(B)
sind: Das, was Sie sagen, geht manchmal am bayeri-schen Lebensgefühl vorbei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehr-fach angesprochen worden: Es gibt eigentlich nichtsNeues. Auch der Namensartikel von Siim Kallas in derFrankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bietet keinenAnlass zu dieser Diskussion. Darin stellt er nur fest: DieEU sagt Ja zu einer Nutzerfinanzierung, weil sie genauweiß, dass es ohne Nutzerfinanzierung nicht genügendGeld für die in Europa so notleidende Verkehrsinfra-struktur gibt. Ja, die EU sagt, dass wir frei entscheidenkönnen, wie wir die Pkw-Maut aufsetzen. Auch das istnichts Neues, sondern nur eine Bestätigung unserer Posi-tion.
Am Ende des Artikels heißt es, dass wir nicht diskrimi-nieren dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ichdenke doch, dass wir hier im Deutschen Bundestag bis-her sehr gute Europäer sind und waren; wir werden dieeuropäischen Grundsätze mit Sicherheit nicht verletzen.
Ich glaube, dass das hier Konsens ist, und in diesemKonsens werden wir die Pkw-Maut auf den Weg brin-gen.
Für mich steht außer Zweifel, dass die Einführung derMaut am Ende eine Frage der Gerechtigkeit ist. In über20 EU-Staaten ist eine solche Infrastrukturfinanzierungin Form einer Nutzerfinanzierung möglich. Dann ist esdoch nur eine Frage der Gerechtigkeit und Solidarität,die ich durchaus empfinde, wenn ich durch Österreichoder Italien fahre;
ich habe Verständnis für die Österreicher, dass sie für dieNutzung ihrer Straßen von mir Geld verlangen, denn ichnutze sie ja auch – ich nutze sie in Italien, ich nutze sie inFrankreich, ich nutze sie in über 20 Staaten der EU. Dasist gerecht;
das ist europäische Solidarität. Ich glaube, auch wir kön-nen uns in diesem Rahmen bewegen.Der Vergleich mit einem Trainer amüsiert mich. Werist denn Präsident, wer ist Trainer, und wer ist Kotrainer?– Liebe Frau Staatssekretärin, ich würde Sie hier auf derRegierungsbank nie als Kotrainerin sehen. – Das gilt ins-besondere deshalb, lieber Kollege Behrens, weil die Kol-legin Dorothee Bär als sehr kompetente und sehr guteStaatssekretärin heute hier den Minister vertreten hat.
Der Präsident leuchtet schon.
Aber ich bleibe im Rahmen der bisherigen Überziehun-gen in der letzten Aktuellen Stunde vor der Sommer-pause; wir wollen ein bisschen amüsiert in diese Pausegehen.Ich halte fest: Wir haben einen Koalitionsvertrag, indem es heißt, dass die Pkw-Maut zu keiner Mehrbelas-tung deutscher Autofahrer führen darf und EU-rechts-konform ausgestaltet werden soll. Das ist die Aufgabe,die uns gestellt ist. Wir werden sie erfüllen.
Herr Kollege.
Eine Koalition mit der CSU, mit der Union heißt im-
mer: mehr Geld für die Infrastruktur, Schließung der Ge-
rechtigkeitslücke und Straßenbau.
Vielen Dank.
Herr Kollege, wenn die Koalition die eigene Regie-
rung lobt, bleibt dem Präsidenten eigentlich nichts mehr,
als zu leuchten.
Nun hat als letzter Redner der Kollege Arnold Vaatz
das Wort.
Danke, Herr Präsident, für Ihre wertvolle Erläuterungzu Ihrer Rolle.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stelltsich die Frage: Wozu führen wir diese Debatte?
An manchen Sitzungstagen gehen die Debatten bis tiefin die Nacht. Wir verplempern heute unsere wertvolleZeit, indem die Möglichkeit, eine Aktuelle Stundedurchzuführen, missbraucht wird, um über Dinge zu re-den, die der Volksmund als ungelegte Eier bezeichnet.
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4174 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Arnold Vaatz
(C)
(B)
Solange wir den Gesetzentwurf nicht kennen, ist eineDiskussion darüber reine Spekulation; das müsste ei-gentlich jedem klar sein. Eines wissen wir – das ist viel-leicht der einzige Bezug zum Thema der heutigen De-batte –: Kommissar Kallas hält es prinzipiell für richtig,dass wir stärker in die Nutzerfinanzierung eintreten. Dassollte eigentlich auch unser gemeinsames Bestrebensein.Ich bin trotzdem nicht ganz unglücklich über die De-batte, weil sie uns die Gelegenheit gibt, etwas dazu zusagen, was die Menschen empfinden, die in der Nähe derGrenze von Ländern wohnen, in denen eine Maut erho-ben wird.
Sie empfinden die Situation als grobe Ungerechtigkeitund die Art, wie wir darüber reden, als ignorant, undzwar aus dem ganz einfachen Grund: Es sind ärmere Ge-genden, die an jene Länder grenzen, in denen Maut erho-ben wird, zum Beispiel das Erzgebirge oder der Bayri-sche Wald. Die Menschen dort wünschen sich von uns,dass wir diese tiefempfundene Ungerechtigkeit beseiti-gen. Sie möchten nicht als Ausländerfeinde oder als An-tieuropäer bezeichnet werden, sondern Sie wollen ernstgenommen werden. Sie wollen, dass dieselben Regeln,die sie im Ausland beachten müssen, auch von Men-schen aus dem Ausland, die zu uns ins Inland kommen,beachtet werden müssen. Das ist der Punkt.
Ich kann daran nichts Negatives erkennen.Es gibt zwei Möglichkeiten der Finanzierung: einer-seits durch Steuern und andererseits durch eine Nutzerfi-nanzierung durch die Maut. Ich kann an diesem dualenPrinzip nichts Falsches erkennen. Falsch ist allerdings,dass fortwährend Dinge vermischt werden, wo es nichtszu vermischen gibt.Was bedeutet das? Wir wollen eine Maut für alle
– Moment! –, wir wollen allerdings eine Maut, die un-sere inländischen Autofahrer nicht zusätzlich belastet.Das haben wir gesagt, und an diese Prämisse werden wiruns halten.
Die Kraftfahrzeugsteuer festzusetzen, ist ein originä-res souveränes Recht jedes europäischen Landes; wirbrauchen dafür keine Genehmigung der EuropäischenUnion. Wenn wir die Kraftfahrzeugsteuer neu festsetzen,dann ist das unser Recht als Parlament. Wenn inländi-sche Autofahrer, also Fahrzeughalter, die ihre Fahrzeugein Deutschland zugelassen haben, im Zuge dieser Neu-festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer keine zusätzlicheBelastung erfahren, dann ist das kongruent zu unseremWahlversprechen, und wir werden es auch so umsetzen.Wie das genau geschehen wird, das werden Sie demGesetzentwurf entnehmen, den der Herr Minister baldvorlegen wird. Ich bin sicher: Wenn dieser Gesetzent-wurf vorliegt, dann wird Ihr Empörungspotenzial – dasist der einzige Grund, warum Sie die heutige Debatte be-antragt haben – erheblich zurückgegangen sein.Ich wünsche Ihnen eine schöne Sommerpause, vielSonne und Zeit zum Nachdenken.
Noch ist es nicht so weit. – Die Aktuelle Stunde ist
damit beendet.
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einstufung weiterer Staaten als sichere
Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des
Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und
geduldete Ausländer
Drucksachen 18/1528, 18/1766
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksachen 18/1954, 18/2004
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaa-
ten anerkennen
Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
minister des Innern, Thomas de Maizière, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirberaten heute in zweiter und dritter Lesung einen Ge-setzentwurf, der zwei wichtige Bestandteile hat, die Ein-stufung von drei Ländern als sichere Herkunftsstaatenund eine erleichterte Arbeitsaufnahmemöglichkeit fürAsylbewerber.Seit Aufhebung der Visumspflicht für Serbien, Bos-nien-Herzegowina und Mazedonien haben wir inDeutschland einen sprunghaften Anstieg der Zahl derAsylanträge aus diesen Ländern beobachtet. Im Ver-gleich zum Vorjahreszeitraum haben sich die Zahlen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4175
Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
mehr als verdoppelt. Für das zweite Halbjahr 2014 istnochmals eine deutliche Steigerung zu erwarten. DieZahl der anerkannten Schutzbedürftigen bei den Ange-hörigen dieser Staaten liegt jedoch bei unter 1 Prozent.Die Aufhebung der Visumspflicht für diese Staaten wargedacht, damit Reiseverkehr entsteht, Handel entsteht,Wandel entsteht, Kontakte entstehen, aber die Aufhe-bung der Visumspflicht war nicht dazu gedacht, damitman ohne Visum hier Asyl beantragen kann.Durch den vorliegenden Gesetzentwurf sollen aus-sichtslose Asylanträge von Angehörigen dieser Staatenschneller bearbeitet und ihr Aufenthalt in Deutschlandschneller beendet werden können. Bund, Länder undKommunen können dadurch von erheblichen Kostenentlastet werden. Hinzu kommt, dass die hohe Zahl derletztlich erfolglosen Asylanträge aus den Westbalkan-staaten im Ergebnis zulasten der tatsächlich schutz-bedürftigen Asylsuchenden geht. Wir können mehrVerfolgte aus Syrien aufnehmen, wenn weniger Nicht-verfolgte zum Beispiel aus Serbien zu uns kommen. Soeinfach ist die Lage.Die Anhörung im Deutschen Bundestag hat unsereEinschätzung bestätigt, dass diese drei Staaten als si-chere Herkunftsstaaten angesehen werden können. Dortdrohen weder Verfolgung noch Folter noch unmenschli-che Behandlung. Das gilt auch in Bezug auf die Volks-gruppe der Sinti und Roma. Die Anhörung hat ferner ge-zeigt – Herr Oppermann hat das in der Generaldebattesehr überzeugend vorgetragen –: Das Asylrecht ist nichtder richtige Ort, der zweifellos schwierigen sozialen undwirtschaftlichen Lage in bestimmten Herkunftsländernzu begegnen und die damit verbundenen Fragen zu lö-sen.
Die Sachverständigen haben auch deutlich gemacht,dass es sich bei diesem Gesetzentwurf um eine Regelunghandelt, die die materielle Rechtsposition der betroffe-nen Asylbewerber nicht schmälert. Jeder Asylbewerberaus den drei Westbalkanstaaten hat die Chance, darzule-gen, dass er abweichend von der allgemeinen Lage indem als sicher dargestellten Herkunftsland in seinemkonkreten Fall dennoch mit Verfolgung rechnen muss.Das kann vorgetragen werden und wird geprüft.Deutschland folgt – ein wichtiger Punkt, ich habeschon darauf hingewiesen – mit diesem Gesetzentwurfdem Beispiel anderer, auch unterschiedlich politisch re-gierter Staaten, die diese drei Staaten längst zu sicherenHerkunftsländern erklärt haben: Belgien, Frankreich,Österreich, das Vereinigte Königreich.Dieses Gesetz hat auch noch einen anderen Aspekt.Das Gesetz verkürzt die Wartefrist, nach der Asylbewer-bern und Ausländern, die eine Duldung besitzen, dieAusübung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubtwerden kann, auf nur noch drei Monate. Wir wollendurch verschiedene Bemühungen erreichen, dass dieAsylverfahren im Durchschnitt nach drei Monaten abge-schlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten klar ist,wer bleibt und wer nicht bleibt. Warum sollen denn die-jenigen, die bleiben dürfen, nicht arbeiten dürfen, ihrenLebensunterhalt nicht selbst bestreiten, Beiträge undSteuern nicht zahlen und sich hier nicht integrieren? DieVerkürzung der Wartezeit ist richtig, und auch dafür bitteich um Ihre Zustimmung.
Das Gesetz ist zustimmungspflichtig. Das heißt, derBundesrat muss diesem Gesetz zustimmen. Dazu gibt esGespräche. Wir werden aufnahmebereit zuhören, wasvon einigen Ländern in diesen Gesprächen dazu vorge-tragen wird, gegebenenfalls auch in einem Gesamtzu-sammenhang mit dem Thema Migration. Das Konzeptder sicheren Herkunftsstaaten als solches kann aber nichtzur Disposition stehen. Es ist europäisches Recht. Ichsehe im Rat überhaupt keine politische Mehrheit, das zuändern. Die Staats- und Regierungschefs haben in ihrenBeschlüssen zum Post-Stockholm-Prozess, also zu ihrenVorhaben in der Innen- und Rechtspolitik in den nächs-ten fünf Jahren gesagt: Wir haben eine gemeinsame eu-ropäische Asylpolitik. Wir wollen sie jetzt einheitlichund solidarisch angewendet sehen, aber wir wollen sienicht grundsätzlich ändern.Unser Bundespräsident hat zu Beginn dieser Wocheeine vielbeachtete Rede zum Flüchtlingsschutz gehalten.
– Zunächst einmal hat er auf meinen Migrationshinter-grund hingewiesen. Das ist das eine. – Über mancheswird sicher noch zu reden sein, auch selbstkritisch, FrauJelpke; das ist klar. Das werden wir tun. Das Thema„Flüchtlingsschutz/Asylbewerber“ bleibt uns in der gan-zen Legislaturperiode im Zusammenhang mit demThema „Migration und Integration“ erhalten. Das ist so.Daran gibt es gar keinen Zweifel.Der Bundespräsident forderte aber auch – ich zitiereihn –, „die Verfahren für die Flüchtlinge gerechter undeffektiver zu gestalten“. Ferner sagte er:Zu einer effektiveren Flüchtlingspolitik gehört aberauch, dass wir diejenigen auf humane Weise zu-rückweisen, die nach den gültigen Kriterien keineFluchtgründe haben, die zur Aufnahme … in derBundesrepublik berechtigen …Er beendete diesen Gedanken mit dem Satz:Ich wünsche mir eine Solidarität, die wir auch lebenkönnen.Darum geht es.Ich meine, dass wir mit diesem Gesetz einen maßvol-len und vernünftigen Beitrag dazu leisten, dass wir inunserer gesamten Gesellschaft eine solche Solidarität le-ben können und die Aufnahmebereitschaft der deutschenBevölkerung, die sehr groß ist, für die wirklich politischVerfolgten erhalten können. Deswegen bitte ich Sie umZustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
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4176 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
(C)
(B)
Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koali-
tion will heute einen Gesetzentwurf durch das Parlament
peitschen, der zu einem weiteren Einschnitt beim Flücht-
lingsschutz in Deutschland führen wird. Serbien, Bos-
nien-Herzegowina und Mazedonien sollen pauschal als
sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Flüchtlinge
aus diesen Ländern werden in Zukunft im Asylschnell-
verfahren abgelehnt. Der Rechtsschutz wird extrem ein-
geengt. Die Linke lehnt diese Änderungen strikt ab.
Wir fordern in unserem Antrag, auf dieses Vorhaben
zu verzichten. Statt Menschen im Schnellverfahren ab-
zufertigen, sollten die Fluchtgründe wirklich genau ge-
prüft werden. Niemand, Herr Innenminister, der in sei-
nem Herkunftsland unter massiven Diskriminierungen
und Menschenrechtsverletzungen zu leiden hat, darf ab-
geschoben werden. Vor allen Dingen darf man nicht
Flüchtlinge aus dem einen Land gegen Flüchtlinge aus
dem anderen Land ausspielen. Das halte ich wirklich für
unglaublich skandalös.
Der Innenausschuss hat in der letzten Woche eine
Sachverständigenanhörung durchgeführt. Am Dienstag
fand mal eben eine Sondersitzung statt, in der dieser Ge-
setzentwurf durchgewinkt wurde. Eine inhaltliche Aus-
einandersetzung mit dem Ergebnis der Anhörung hat es
überhaupt nicht gegeben. Der Koalition war es wichti-
ger, diesen Gesetzentwurf vor der Sommerpause durch-
zuprügeln, als sich mit den Bedenken der Sachverständi-
gen auseinanderzusetzen. Die Berichte des Europarats
oder auch die Menschenrechtslage, die von vielen NGOs
beschrieben wurde, spielten überhaupt keine Rolle. Da-
bei gilt: Wenn der Gesetzgeber – das sind wir – in die-
sem Haus eine Liste sicherer Herkunftsstaaten erstellt,
muss er sich selbst ein umfassendes Bild von der Lage
dieser Herkunftsstaaten machen. Das war die Maßgabe
des Bundesverfassungsgerichts von 1996. Aber die
Koalition hat sich davor gedrückt. Sie folgen nicht men-
schenrechtlichen Erwägungen, sondern koalitionspoliti-
scher Räson. Sie opfern Flüchtlingsrechte auf dem Altar
des Koalitionsfriedens. Ich kann dazu nur sagen: Das
finde ich schäbig.
Meine Damen und Herren, in der erwähnten Anhö-
rung wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung
deutlich kritisiert. Die Sachverständige Dr. Waringo zum
Beispiel hat der Bundesregierung vorgeworfen, Rechts-
verstöße zu bagatellisieren und zu verharmlosen. Insbe-
sondere Roma würden in den drei Staaten, von denen
heute die Rede ist, gesellschaftlich diskriminiert und an
den Rand gedrängt. Sie hat an vielen Beispielen geschil-
dert, wie Roma die Aufnahme in Krankenhäuser ver-
wehrt wird, wie ihre Kinder in Sonderschulen verscho-
ben werden, nur weil sie Roma sind. Die Armut der
Roma sei Ergebnis einer strukturellen Diskriminierung
über Jahrzehnte hinweg, sagte die Sachverständige. Die
Polizei schreite bei Angriffen auf Minderheiten einfach
nicht ein. Es sei klar, dass alle diese Diskriminierungen
zusammengenommen zu einer Situation führen, in der
Menschen in ihrer Existenz und Menschenwürde gefähr-
det sind. Diesen Menschen müssen wir weiter Schutz
bieten; das kann überhaupt keine Frage sein.
Meine Damen und Herren, die Anhörung im Aus-
schuss hat weitere gravierende rechtliche Mängel Ihres
Gesetzentwurfes aufgezeigt. Sie orientieren sich bei der
Einstufung als sicherer Herkunftsstaat weiterhin an der
Frage, ob der Staat selbst für politische Verfolgung ver-
antwortlich ist. Das ist ein viel zu enger Maßstab. Der
Sachverständige Dr. Marx – übrigens ein sehr versierter
Asylanwalt – hat dargelegt, dass nach europäischem
Recht die Frage lauten müsste, ob der Staat effektiv und
dauerhaft vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzun-
gen schützt, egal von wem sie ausgehen. Das ist der erste
Mangel.
Der zweite Mangel besteht darin, dass europarecht-
lich auch kumulative Diskriminierungen als Verfolgung
gewertet werden müssen. Das bedeutet, Menschen-
rechtsverletzungen müssen nicht so weit gehen, dass
Leib und Leben bedroht sind. Auch viele kleine Men-
schenrechtsverletzungen können die Lage für die Betrof-
fenen so unerträglich machen, dass ein Anrecht auf
Schutz besteht. Auch Verletzungen der sozialen Men-
schenrechte müssen berücksichtigt werden. Darauf, Herr
Innenminister, hat im Übrigen der UN-Flüchtlingskom-
missar in seiner Stellungnahme deutlich hingewiesen.
Dem schließen wir uns an. Wenn Menschen dauerhaft an
den Rand gedrängt werden, darf ihnen die Flucht aus
dieser lebensbedrohlichen Armut nicht zum Vorwurf ge-
macht werden.
Ich komme zum Schluss. Ihr Gesetzentwurf ist recht-
lich mangelhaft, er verletzt die verfassungsrechtlich ge-
botene Sorgfaltspflicht, er ignoriert europäisches Recht,
und er verharmlos rassistische Ausgrenzung und Diskri-
minierung in den Herkunftsländern. Ich kann nur an Sie
appellieren – insbesondere an die Vertreter der Grünen
im Bundesrat –: Knickt nicht ein! Stimmen Sie diesem
Gesetzentwurf nicht zu!
Danke schön.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Özdemirdas Wort.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4177
Präsident Dr. Norbert Lammert
(C)
(B)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Entwurf des Gesetzes der Bundesregie-rung zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Her-kunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzu-gangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer wurdeanlässlich der ersten Lesung differenziert debattiert.Hierbei stand und steht der humanitäre Gesichtspunkt,aber vielmehr der Mensch für uns Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten immer im Mittelpunkt.Nüchtern zu lösen ist die dem Thema innewohnendeProblematik, wenn man sich emotional gelöst den Kom-plexen erstens einer Priorität von Asylsuchenden auf-grund von politischer Verfolgung vor anderen Gründenwie Armut nähert und zweitens analytisch unter verwal-tungsjuristischem Aspekt die politische Dimension nichtnur aus Berlin, sondern auch unmittelbar aus den betrof-fenen Kommunen heraus betrachtet. Die Kommunensind nämlich die erste Instanz, mit der die Asylbewerberund die geduldeten Ausländer in Berührung kommen.Diese Ebene ist befähigt, für das BAMF ein Höchstmaßan Entscheidungsreife aufgrund von Fakten herbeizufüh-ren. Gleichsam wurden die Kommunen in der Vergan-genheit in den betroffenen Ressorts leider kontinuierlichausgedünnt. Gerade deshalb will ich als Mitglied im Un-terausschuss Kommunales diesen Blickwinkel noch ein-mal herstellen.Der Gesetzentwurf konstatiert die Fakten, auf die ichnoch einmal kurz eingehen möchte:Seit Aufhebung der Visumpflicht für die ehemaligejugoslawische Republik Mazedonien und Serbien… sowie für Bosnien und Herzegowina … ist dieZahl der … Asylanträge sprunghaft angestiegen.So steht es im Gesetzentwurf. Der Beleg hierfür ist, dassein Fünftel der Erstanträge Staatsangehörigen dieserHerkunftsstaaten zuzurechnen ist. Das ängstigt uns So-zialdemokraten nicht. Vielmehr sind wir uns unsererdeutschen Verantwortung bewusst, und wir haben geradein diesem Bewusstsein auch den Koalitionsvertrag mitder CDU/CSU ausgehandelt.Auf dieser Basis werte ich zunächst die Erleichterunghinsichtlich des Arbeitsmarktzuganges als sehr positivund begrüßenswert. Natürlich können wir gemessen anunserer Wirtschaftskraft mehr tun. Die Bundesregierungin Person von Staatsministerin Özoğuz hat dies auch be-reits in die richtige Richtung formuliert.
Fraglich ist hingegen, wo wir als Erstes ansetzen. EinBlick ins Grundgesetz erleichtert hier die Gesetzgebung.Aus Zeitmangel verweise ich auf Artikel 16 a Absatz 3Grundgesetz. Die umstrittene Beweislastumkehr, auf dieich hier abstelle, ist bereits Verfassungsrecht und durchdie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit1996 auch etabliert. Entscheidende Prüfsteine, so Karls-ruhe, sind die Rechtsstaatlichkeit und die Freiheitlichkeitim Allgemeinen.Damit gibt uns unser Grundgesetz quasi vor, prioritärnach der zuweilen lebensbedrohlichen politischen Ver-folgung der Menschen zu entscheiden. Selbstredendkann man über das Rechtsstaats- und Freiheitsverständ-nis der betroffenen drei Staaten diskutieren. Diese Dis-kussion hat allerdings eine völlig andere Qualität als dieDiskussion darüber, ob die Gefahr für Leib, Leben undFreiheit durch Verfolgung zum Asyl berechtigt.Ich möchte diese Gruppen gar nicht gegeneinanderausspielen. Jedoch müssen wir garantieren, dass wir den-jenigen, deren Notlage am größten ist, helfen können, in-dem wir eine fundierte Bearbeitung zügig gewährleistenund indem wir zunächst nicht asylrelevante Tatsachenausscheiden. Die Zahlen geben uns in dieser Hinsichtrecht. Die Anerkennungsquote – das haben wir vomMinister gehört – liegt bei unter 1 Prozent. Zu diesenHerkunftsstaaten sind rund 12 000 Gerichtsurteile ergan-gen, und eine Schutzgewährung erfolgte nur in 82 Fäl-len.
Die Obliegenheit eines Asylbewerbers aus einem si-cheren Herkunftsstaat, Gründe beizubringen, die seinAnliegen untermauern, ist verhältnismäßig, wenn manbeachtet, dass dadurch die Schutzintensität möglicher-weise dringlich schutzbedürftiger Asylbewerber erheb-lich steigt. Angesichts von 127 000 Asylanträgen alleinim Jahre 2013 ist es vielmehr geboten, asylrelevante undasylfremde Tatsachen durch eine Vorprüfung zu trennen.Die Einzelfallprüfungen sämtlicher Rechte werden janicht ausgehebelt – ebenso wenig wie das Recht, denErstantrag durch das Vorbringen eines Folgeantrags zuerneuern und zu vertiefen.Ich kenne die persönlichen Schicksale von europäi-schen und nichteuropäischen Flüchtlingen und gedulde-ten Ausländern aus meinem Wahlkreis in Duisburg.Willy Brandt hat einst gesagt, er habe gesehen, wieKrieg zu Armut führe, und er möchte nicht sehen, wieArmut zu Krieg führe. – Tauscht man das martialischeWort „Krieg“ gegen „sozialer Unfrieden“, so haben wirein ziemlich passgenaues Zitat für das Jahr 2014.
Die Kommunen haben nämlich neben ihren üblichenAufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge – vomStopfen der Straßenlöcher bis zum Strom – eine massiverhöhte Zahl von Asylanträgen vor Ort zu bearbeiten.Aus Erstanträgen werden Folgeanträge. Es grenzt schieran Unmöglichkeit, alle Asylbewerber unterzubringen,weil Übergangswohnheime für Asylantragsteller ersteingerichtet und teilweise neu gebaut werden müssen.Dies setzt zunächst voraus, dass ein unumstrittenerStandort in der Nachbarschaft anständig kommuniziertwird. In meiner Heimatstadt sind jüngst 280 Wohnungen
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4178 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Mahmut Özdemir
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für die Unterbringung von Asylbewerbern beschlag-nahmt worden – Tendenz steigend.Mit Beton alleine ist es aber auch nicht getan. Das Be-treuungspersonal der Wohnanlagen und der Sammel-unterkünfte finanzieren ebenfalls die Kommunen ausdem eigenen Etat. Ich möchte daher in diesem HohenHause die Gelegenheit nutzen, den Oberbürgermeistern,den Bürgermeistern, den Beigeordneten und auch denehrenamtlichen Menschen vor Ort aufrichtig für ihrenEinsatz zu danken, unser Asylrecht – jenseits der Ausle-gung von Gesetzestexten – herunter bis in die Stadtvier-tel verständlich zu vermitteln.Auf diese Art können wir den Menschen vor Ort ihreSorgen nehmen, etwa um den Wert der eigenen Immobi-lie. Vor allem aber gilt es, die Sorgen aufgrund der sichimmer größer auftuenden Diskrepanz zu nehmen, derDiskrepanz zwischen den gesetzlichen Aufgaben ausBerlin auf der einen Seite, die gemäß dem Asylbewer-berleistungsgesetz zu erfüllen sind, und dem kommuna-len Sparzwang auf der anderen Seite, der durch dieSchließung von kommunalen Einrichtungen augenfälligwird. Diese Diskrepanz müssen wir als Bundespolitikergemeinsam beseitigen. Hier möchte ich ansetzen.In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit und Glück auf!
Das Wort erhält nun die Kollegin Luise Amtsberg für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ich brauche keinen Klatscher am Anfang, HerrÖzdemir. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damenund Herren! Zahlreiche Flüchtlings-, Menschenrechts-und Bürgerrechtsorganisationen haben sich in den ver-gangenen Wochen und Monaten an uns als Parlamenta-rier, an den Bundesrat und an die Bundesregierung ge-wandt, um die Pläne, die drei schon mehrfach genanntenStaaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, zu ver-hindern. Wir finden diese Aufrufe richtig; denn die Grü-nenfraktion widerspricht vehement der Auffassung derBundesregierung und der Großen Koalition, dass Asyl-bewerber aus den Balkanstaaten keinen Schutz brauch-ten und Armutszuwanderer seien.
Fakt ist, dass ethnische Minderheiten und Homo-sexuelle extrem diskriminiert werden, die serbischen,mazedonischen und bosnischen Behörden sie nicht aus-reichend vor Übergriffen schützen wollen oder können,und es gibt eklatante Mängel im Justizsystem. Aus-grenzung und Diskriminierung von Roma in den Bal-kanstaaten haben zudem eine derartige Dimension an-genommen, dass sie für diese Menschen existenziell undlebensgefährdend werden können.
Dass Sie, Herr de Maizière, sagen, es gebe keine Ver-folgung von Roma, erschließt sich mir nicht. Ich haltedas für eine ganz gewagte These und empfehle noch ein-mal, vielleicht im Kontext dieses Parlamentes, in dieseRegion zu reisen und vor Ort mit Betroffenen zu reden.Gerade weil solche im Europarecht angelegten Verfol-gungsmomente, wenn sie im Kontext eines Beitrittslan-des stattfinden, nicht so offensichtlich auszumachen sindwie in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, isteine einzelfallbezogene Betrachtung in einem sorgfälti-gen und individuellen Asylverfahren dringend notwen-dig.
Der vorliegende Gesetzentwurf verhindert eine – dassage ich ganz bewusst – unvoreingenommene Anhörungder Fluchtgründe, wenn man einen Staat vorher pauschalals sicher einstuft. Ihre Argumente zu diesem Gesetzent-wurf folgen zudem einer wirklich schrägen Logik. Ichreferiere aus den Erfahrungen der Anhörung im Innen-ausschuss. Die Logik heißt übersetzt: Wenn wir schon soviele Syrer aufnehmen, können wir nicht auch noch soviele Mazedonier oder Bosnier aufnehmen. Das läuft freinach dem Motto: Das Boot ist voll. Wir müssen uns ent-scheiden, wen wir aufnehmen.
So funktioniert unser Asylrecht nicht, auch das europäi-sche funktioniert so nicht; denn der Schutzanspruch istkeine Auslegungssache. Das ist auch gut so.
Es kommt eben nicht auf die Nationalität oder die eth-nische Zugehörigkeit an, sondern auf die Gründe eineseinzelnen Menschen und die Dinge, die er oder sie erlebthat. Weil Sie das eben nicht steuern können, greifen Siezu dem Mittel der sicheren Herkunftsstaaten. Sie bestrei-ten noch nicht einmal – zumindest einige aus der Frak-tion der CDU tun das nicht –, dass es Mehrfachdiskrimi-nierungen gibt, die nach Europarecht einen Menschen indie Lage versetzen, Schutz zu beanspruchen. Trotzdemhalten Sie es für gerechtfertigt, das Grundrecht auf Asyleinzuschränken. Meine Damen und Herren, ich finde,das geht entschieden zu weit. Und Flüchtlingsgruppengegeneinander auszuspielen, ist wirklich unter aller Ka-none.
Für die Menschen, die es betrifft, hat es enorme Aus-wirkungen. Die Frist, gegen eine Ablehnung mit demVermerk „offensichtlich unbegründet“ zu klagen, beträgteine Woche. Ich brauche keine Juristin zu sein, um zuwissen, dass effektiver Rechtsschutz ganz anders aus-sieht.
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Luise Amtsberg
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Darüber hinaus berufen Sie sich immer auf Frank-reich, das diese Staaten bereits als sicher eingestuft hat,und rekurrieren auf die niedrige Schutzquote. Ich habees schon einmal gesagt: Das sind Fakten, die Sie selbergeschaffen haben. Sie beziehen sich also auf Frankreich,halten es aber nicht für nötig, zu erwähnen, dass vieleandere Staaten das nicht so handhaben, also diese Län-der nicht als sicher einstufen, und dass die Schutzquotenin anderen Ländern deutlich höher sind als bei uns. Fürmich ist das Augenwischerei.Was ich auch nicht mehr hören kann, ist das Argu-ment, dass ein Beitrittskandidat wohl per se ein sicheresLand sein muss. Ich weiß nicht, was dieses Argumentsoll. Beitrittsverhandlungen sind dafür gedacht, Staaten,noch dazu welche, die sich nach wie vor im Aufbau be-finden, dabei zu unterstützen, die Anforderungen ausdem Kapitel für Menschenrechte und Justiz schrittweiseumzusetzen.
Wir erwarten von diesen Staaten, dass sie diese Diskri-minierungen abbauen. Natürlich: Das ist unser Ziel.Aber diesen Prozess beschleunigen wir eben nicht durchden Passus oder den Stempel des sicheren Herkunfts-staates. Im Gegenteil: Wir senden eine ganz andere Bot-schaft.Kurzum: Ihre Politik in dieser Sache, verehrte Kolle-ginnen und Kollegen der Großen Koalition, soll denKorridor für Schutzsuchende verengen. Das ist das Zieldieses Gesetzentwurfes. An Lösungen, die den Men-schen auf lange Sicht tatsächlich helfen, auch hier inDeutschland, arbeiten Sie leider nicht.Liebe CDU-Kollegen, Sie rechtfertigen den Entwurfmit der Situation in den Kommunen. Es ist richtig, überdie Kommunen zu reden; denn sie stehen vor großen He-rausforderungen, manche vor Herausforderungen, die sienur schwer oder vielleicht auch gar nicht meistern kön-nen.
Aber das bedeutet doch nur: Wenn mehr Flüchtlingekommen, dann muss sich auch unser Engagement – auchunser finanzielles – vergrößern. Das heißt doch nicht,dass man auf der anderen Seite eine Attacke auf dasAsylrecht fahren kann, indem Sie sagen: Wir verengenden Korridor und lassen die Leute nicht mehr rein.
Nebenbei bemerkt haben wir in den vergangenen Ta-gen überall lesen können, was Schutzsuchende und Ge-flüchtete selbst zu ihrer Situation zu sagen haben. Eslohnt sich, das anzusprechen. Denn das Parlament ist derrichtige Ort dafür. In diesem Parlament entscheiden wirüber das Asylrecht.Zu Recht fordern die protestierenden Flüchtlinge inBerlin ein liberales Bleiberecht, Bewegungsfreiheit undZugang zum Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung.
Das wurde übrigens hier gar nicht erwähnt. All das lässtsich in den Vorstößen des BMI nicht finden.Liebe CDU/CSU, wenn Sie den Kommunen helfenwollen, dann schaffen Sie das Asylbewerberleistungsge-setz ab und helfen Sie bei der Unterbringung!
Damit würden Sie die Kommunen wirklich entlasten,und dann hätten diese auch kein Problem damit.
Zum Verfahren werde ich jetzt nichts mehr sagen. In-teressant ist aber, dass hier nicht auf den anderen Teil indem Gesetzentwurf eingegangen wurde, nämlich denArbeitsmarktzugang und die großen Verbesserungen, diein diesem Zusammenhang angekündigt wurden. Daranerinnere ich alle in diesem Hause und fordere Sie auf:Ziehen Sie die beiden Vorschläge auseinander! Dann ha-ben wir vielleicht auch etwas zum Zustimmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen diesenAngriff auf das Grundrecht auf Asyl? Bitte schön. AberSie haben die Rechnung ohne die Grünen in den Länderngemacht.
Frau Kollegin.
Restriktionen im Asylrecht mit grüner Unterstützung
wird es so nicht geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU hat die Kollegin Nina Warken das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieMigrationsströme in die Europäische Union haben inden letzten Jahren massiv zugenommen. Zum einen istdafür die gestiegene Anzahl an Flüchtlingen verantwort-lich, die aus Krisenländern wie Syrien, Afghanistan oderdem Irak fliehen, wo sie jeden Tag fürchten müssen, ge-foltert, vergewaltigt oder getötet zu werden.Zum anderen gibt es aber auch immer mehr Men-schen, die in ihren Heimatländern wirtschaftlich keine
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Nina Warken
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Zukunft mehr für sich sehen und deshalb unbedingt indie EU wollen, wo sie sich gut bezahlte Arbeit und so-ziale Sicherheit erhoffen. Viele dieser Menschen stelleneinen Asylantrag in einem EU-Mitgliedstaat, allen voranin Deutschland.Genau darin liegt das Problem im Hinblick auf dieBalkanstaaten. Wir erleben bei den Asylbewerberzahlenaus diesen Ländern seit der Visaliberalisierung einenmassiven Anstieg, obwohl dort keine systematische Ver-folgung oder andere Gefahren für Leib und Leben dro-hen, die asylrechtlich relevant wären.Erst vergangene Woche wurde in einer Expertenanhö-rung vom Präsidenten des zuständigen Bundesamts fürMigration und Flüchtlinge bestätigt, dass 49 Prozent derAsylbewerber aus Serbien, Mazedonien sowie Bosnienund Herzegowina von sich aus angeben, dass sie nachDeutschland gekommen sind, weil sie hier arbeiten wol-len oder der Schulbesuch und die medizinische Versor-gung in Deutschland besser seien als bei ihnen zu Hause.
Damit handelt es sich in den meisten Fällen nicht umAsylbewerber, sondern um Zuwanderer, für die unserAsylsystem eindeutig nicht zuständig ist.
Nach den Erfahrungen des Bundesamts für Migrationund Flüchtlinge ist den meisten Antragstellern auch be-wusst, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Siekommen dennoch, weil sie wissen, dass sie allein da-durch, dass sie einen Asylantrag stellen, bei uns staatli-che Leistungen erhalten, die vielfach höher sind als dasEinkommen, das sie in ihren Heimatländern haben. Dasist nicht gerecht, und diesen Missbrauch unseres Asyl-systems müssen wir dringend beenden.
Anders als von der Opposition behauptet, hat dieExpertenanhörung ergeben, dass nur in ganz wenigenEinzelfällen die Schwelle zur sogenannten kumulati-ven Verfolgung erreicht wird. Dabei wurde von denSachverständigen unmissverständlich klargestellt, dassfür eine asylrechtliche Anerkennung Einschränkungenvon wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Rechtenallein nicht ausreichen. Das bestätigt auch die Spruch-praxis der Gerichte.Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass es inSerbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien nochverschiedene Defizite gibt. Ebenso ist unbestritten, dassdie Lage der Roma in diesen Ländern nach wie vor ver-bessert werden muss. Das möchte ich an dieser Stelleklar betonen. Andererseits muss man auch sagen: DasAsylrecht ist nicht der Ort, um die politischen, sozialenund wirtschaftlichen Probleme der Herkunftsstaaten zulösen.
Dafür gibt es andere Instrumente, und Deutschland hatdiesbezüglich schon sehr viel getan und setzt dies auchfort, sei es im Rahmen der staatlichen Entwicklungszu-sammenarbeit oder mit den zahlreichen Stiftungen undOrganisationen, die vor Ort tätig sind. Die Lage derRoma anzuerkennen, meine Damen und Herren, bedeu-tet daher nicht, den Gesetzentwurf ablehnen zu müssen.Entscheidend für die gesetzliche Vermutung, dass diedrei Balkanländer als sicher eingestuft werden können,ist letztlich, dass die Sicherheitslage in allen drei Län-dern stabil ist und weder Verfolgung noch systematischeMenschenrechtsverletzungen drohen. Darauf kommt esbeim vorliegenden Gesetzentwurf an, und das ist lautden Sachverständigen für alle drei Länder auch eindeutiggegeben. Dass die Opposition das nicht hören will, istmir klar. Die Sachverständigen haben aber bestätigt, dasskeine EU-rechtlichen oder verfassungsrechtlichen Be-denken gegen den Gesetzentwurf bestehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir inDeutschland ein faires Asylsystem haben möchten, müs-sen wir klar zwischen Zuwanderung und Asyl trennenund dafür sorgen, dass die Kapazitäten unseres Asylsys-tems den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten blei-ben. Das sind wir nicht nur den Flüchtlingen aus Syrienund anderen Ländern mit Menschen in Not, die unsereHilfe dringend brauchen, sondern auch unseren Kommu-nen schuldig. Denn es sind unsere Kommunen, die letzt-lich die Unterbringung und Versorgung schultern müs-sen.
Wenn uns die Kommunen sagen – damit meine ich auchdie grün regierten Landkreise, Städte und Gemeinden –,dass sie bei der Unterbringung der Asylbewerber mitdem Rücken zur Wand stehen, dürfen wir dies nicht ein-fach ignorieren.
Deshalb brauchen wir ein klares Signal durch die Ein-stufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien undSerbien als sichere Herkunftsstaaten, dass ein Asylan-trag in Deutschland kein Mittel zur Zuwanderung ist.
Damit entlasten wir unsere Kommunen und sorgen da-für, dass die Kapazitäten in unserem Asylsystem denwirklich Schutzbedürftigen zur Verfügung stehen.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsamdieses Signal für ein gerechtes und effizientes Asylsys-tem setzen! Das ist es, was die Menschen in Deutsch-land, aber auch in den Krisenländern von uns erwarten.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Einen schönen Nach-mittag von meiner Seite aus. Nächster Redner in der De-batte ist Uli Grötsch für die SPD.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin, vielen Dank für die Erinnerung. Wir hätten es
natürlich nicht vergessen, dass wir heute nicht nur die
Regelungen über sichere Herkunftsstaaten, sondern auch
die Erleichterungen des Arbeitsmarktzugangs für Asyl-
bewerber und geduldete Ausländer beraten. Das möchte
ich am Beginn meiner Rede ganz dick unterstreichen,
weil ich glaube, dass uns von der SPD mit dieser Rege-
lung ein wirklich großer Schritt im Zusammenhang mit
den Chancen, die Asylbewerberinnen und Asylbewerber
bei uns im Land haben, gelungen ist.
Ich beginne mit dem zweiten Teil dieses Gesetzes,
weil meines Erachtens dieser Teil und insbesondere – ich
habe es schon gesagt – die Dimension dessen in der bis-
herigen Debatte, auch in der heutigen Debatte, leider et-
was zu kurz gekommen sind. Bislang mussten Asylbe-
werber neun Monate warten und Geduldete sogar zwölf
Monate, bis sie die Chance, ihren Lebensunterhalt zu be-
streiten, nutzen konnten.
Ich bin auch meiner Kollegin Daniela Kolbe dankbar,
dass sie in ihrer Rede im Rahmen der ersten Beratung
des Gesetzentwurfs deutlich gemacht hat, was das kon-
kret bedeutet. Der frühe Zugang zum SGB III nach drei
Monaten bedeutet nämlich zum Beispiel die Übernahme
von Bewerbungskosten. Wenn man nicht über viel Geld
verfügt, dann sind auch die Portokosten oder die Kosten
für Papier ein durchaus relevanter Betrag, den die betrof-
fenen Menschen zu stemmen haben. Dieser frühe Zu-
gang beinhaltet auch Beratungs- und Vermittlungsange-
bote durch die Bundesagentur für Arbeit.
Ich würde mich freuen, wenn dieser große und längst
fällige Schritt vorwärts von der Opposition nicht klein-
geredet würde.
Denn für die Betroffenen selbst ist es eine immense Er-
leichterung. Wir erleichtern die Integration dieser
Schutzbedürftigen in unsere Gesellschaft, wir bauen ein
Integrationshemmnis ab und erhöhen damit auch die Ak-
zeptanz der Asylbewerber bei uns im Land.
Der andere Teil betrifft die Einstufung von Bosnien-
Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Her-
kunftsstaaten. Das bedeutet in der Praxis des BAMF,
dass künftig ein Antragsteller aus einem dieser sicheren
Herkunftsländer für seinen Einzelfall glaubhaft darlegen
muss, warum er in seinem eigentlich sicheren Heimat-
land doch politisch verfolgt wird bzw. Menschenrechts-
verletzungen erfahren hat, um in Deutschland Asyl ge-
währt zu bekommen.
Der Grund für diese getroffene Regelung ist die Tat-
sache, dass von den 22 000 Entscheidungen des BAMF
über Asylerstanträge und Asylfolgeanträge von bosni-
schen, serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen
im Jahr 2013 nur einer Handvoll Menschen Asyl bzw.
Abschiebeverbot zugesprochen wurde. Die überwie-
gende Mehrheit wird als unbegründet abgelehnt. Trotz-
dem sind sie regelmäßig und in beachtlichem Umfang in
der Top Ten der Herkunftsländerstatistik des BAMF ver-
treten. Der Vorwurf, das BAMF sei zu restriktiv und
lehne unberechtigt massenhaft ab, greift auch nicht.
Nicht einmal 1 Prozent der Klagen von Menschen aus
diesen drei Westbalkanstaaten ist vor den Verwaltungs-
gerichten erfolgreich. Das alles bindet Kapazitäten beim
BAMF; das wurde schon gesagt. Wir wollen niemanden
gegeneinander ausspielen. Trotzdem müssen wir der
Realität ins Auge blicken.
Der Bundestag hat in der letzten Woche erfreulicher-
weise – es ist wichtig, das zu erwähnen – 300 zusätzliche
Stellen für das BAMF bewilligt. Das war dringend not-
wendig. Ich meine, dass diese personellen Ressourcen
für die wirklich schutzbedürftigen Menschen aus Syrien,
Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern genutzt
werden müssen. Wir alle wollen doch die Bearbeitungs-
dauer von Asylanträgen verkürzen. Zurzeit beträgt die
Bearbeitungsdauer etwa ein Jahr. Ein Jahr bedeutet für
die asylsuchenden Menschen in unserem Land ein Jahr
Ungewissheit über ihre eigene Zukunft. Das wollen wir
ändern.
Ich gebe zu, dass die Einstufung als sichere Her-
kunftsstaaten keine Herzensangelegenheit der Sozialde-
mokratie ist. Sie steht aber im Koalitionsvertrag, und
deshalb tragen wir diese Entscheidung mit. Dort steht
auch – Herr Minister de Maizière hat in seiner Rede da-
rauf hingewiesen –, dass wir auf europäischer Ebene auf
die Regierungen der Westbalkanstaaten einwirken wol-
len, um die Lebenssituation vor Ort in den Ländern zu
verbessern.
Armutsmigration kann nur so bekämpft werden. Das ist
keine Aufgabe der deutschen Asylpolitik. Deshalb leh-
nen wir Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, ab.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Grötsch. – Letzte Redne-
rin in dieser Debatte ist Andrea Lindholz für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Weltweit sind über 43 Millionen Menschenauf der Flucht. Die Gründe für Flucht und Vertreibungsind vielschichtig. Gewalttätige Konflikte wie der Bür-gerkrieg in Syrien sind die offensichtlichste Ursache.Aber auch ökologische, ökonomische und soziale Pro-
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Andrea Lindholz
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bleme führen dazu, dass sich heute Millionen Menschengezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Klimawan-del, Wassermangel, Dürreperioden, starkes Bevölke-rungswachstum und Verstädterung verursachen ebenfallsenorme Flüchtlingsströme.Die multiplen Fluchtursachen finden sich auch in demBericht, den die Vereinten Nationen am Weltflüchtlings-tag am 20. Juni vorgestellt haben. Auch wenn diese Pro-bleme weit weg zu sein scheinen, betreffen sie Europaund Deutschland ganz unmittelbar. Für Deutschlandrechnet das Bundesinnenministerium in diesem Jahr mitrund 200 000 Asylanträgen. Das ist eine Steigerung umüber 700 Prozent im Vergleich zu 2008. Allein im letztenJahr hat die Zahl der Asylanträge um rund 60 Prozentzugenommen.Rund ein Viertel der heutigen Asylbewerber stammtaus Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien.Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt seitJahren in über 99 Prozent aller individuellen Anhörun-gen, Frau Kollegin Amtsberg, keine asylrelevantenSchutzgründe fest. Die Menschen vom Westbalkan flie-hen nach eigenen Angaben in erster Linie vor Arbeitslo-sigkeit und wirtschaftlicher Not. Das wurde uns in derletzten Woche in der Anhörung vom Präsidenten desBAMF bestätigt. Er hat nochmals dargelegt, wie indivi-duell und gründlich jeder einzelne Antrag geprüft wird.Unser Asylrecht dient dem Schutz von politisch Verfolg-ten und nicht der Entwicklungshilfe.Die EU hat für Serbien, Mazedonien und Bosnien dieVisumspflicht aufgehoben. Serbien und Mazedonien ha-ben den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten.Bosnien-Herzegowina wird als potenzieller Beitrittskan-didat geführt. Ohne wesentliche soziale und politischeFortschritte wäre die Visaliberalisierung nicht erfolgt.Diese Länder erfüllen die Kriterien eines sicheren Her-kunftslandes.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
eine Zwischenbemerkung von Herrn Nouripour?
Bitte.
Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwi-
schenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, jeder
einzelne Fall werde tatsächlich geprüft. Warum soll denn
jeder einzelne Fall geprüft werden, wenn der Betroffene
aus einem Staat kommt, der vorher per Gesetz als tat-
sächlich sicher erklärt wurde? Was ist die Logik der Ge-
schichte?
Erklären Sie doch bitte den Menschen nicht jedes
Mal, sie hätten dann bei uns keinen Asylanspruch. Das
ist doch nicht richtig.
Moment, Frau Kollegin. Vielleicht lassen Sie ihn bitte
ausreden. Dann können Sie auch darauf antworten.
Jetzt haben Sie mich auf eine Idee gebracht, und ich
kann meine Frage so schließen – das ist ja wundervoll –:
Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, die Leute hätten
einen Anspruch auf Asyl, wenn ihre Anträge sowieso
von vorneherein negativ beschieden werden – egal wie
man sie prüft –, weil die Leute aus einem sicheren Dritt-
staat kommen?
Herr Kollege, so ist das nicht korrekt. Auch dann,wenn wir die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklä-ren, besteht nach wie vor beim Vorliegen kumulativerGründe – Frau Kollegin Amtsberg und Frau KolleginJelpke weisen regelmäßig zu Recht darauf hin – ein An-spruch darauf, bei uns Asyl zu beantragen. Genau daswird vom BAMF geprüft.
– Natürlich gibt es einen Rechtsschutz. Dass Ihnen derRechtsschutz nicht weit genug geht, weiß ich, aber es be-steht ein Rechtsschutz.
Es besteht die Möglichkeit, hier Asyl zu beantragen.Aber es gibt keinen Anspruch auf Asyl, wenn keine poli-tische Verfolgung oder keine kumulativen Gründe vor-liegen. Ganz einfach.
Daran wird sich auch nichts ändern, auch wenn Sie esnicht zur Kenntnis nehmen wollen.Was wir auch machen müssen, ist, die Kommunen zuentlasten. Mit all diesen Maßnahmen tun wir dies. Wirkönnen doch nicht den Blick davor versperren, dass es invielen Städten und Gemeinden schwierig ist, die Asylbe-werber unterzubringen. In Bayern kommen inzwischentäglich rund 100 neue Asylbewerber an. Die Erstunter-künfte platzen aus allen Nähten. Selbst in einer wohlha-benden Stadt wie München muss ernsthaft über die Er-richtung von Zeltstädten nachgedacht werden, um allenAnkommenden ein Dach über dem Kopf bieten zu kön-nen. Angesichts dieser prekären Situation müssen wirhandeln, und wir müssen die Anreize, aus rein wirt-schaftlichen und sozialen Gründen nach Deutschland zukommen, verringern. Sonst fehlen uns nämlich für dieje-nigen die Kapazitäten, die unseren Schutz wirklich brau-chen.Deutschland übernimmt im europäischen Asylsystemmehr Verantwortung als alle anderen Länder. Auch daswurde erst gestern bei der Anhörung mit Zahlen belegt.Das ist auch gut so. Aber auch unsere Aufnahmekapazi-
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täten sind begrenzt. Wir sind verpflichtet, uns auf diewirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge zu konzentrieren.Gleichzeitig sollten wir denjenigen, die zu uns kom-men und die ein begründetes Recht auf Asyl haben,echte Zukunftsperspektiven in Deutschland eröffnen.Das tun wir, indem wir den Arbeitsmarktzugang erleich-tern; das tun wir, indem wir die Verfahrensdauer verkür-zen. Das ist im Sinne einer langfristigen Integration derMenschen und ist hinsichtlich ihres Wunsches, schnellermehr Sicherheit zu haben, schneller arbeiten zu könnenoder schneller selbstständig bei uns sein zu können, derbessere Weg, als auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein.Ein letzter Satz noch, an die Grünen gerichtet: Wennwir uns mit den Landespolitikern in den Bundesländernunterhalten, dann stellen wir fest, dass diese wesentlichnäher an der Realität sind als Sie. Ich empfehle Ihneneinfach, mit Ihren Landesregierungen zu sprechen, damitSie sehen, wie man dort zu diesen Themen steht.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzeszur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunfts-staaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangsfür Asylbewerber und geduldete Ausländer. Dazu liegteine ganze Anzahl von Erklärungen nach § 31 der Ge-schäftsordnung vor.1)Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1954 und18/2004, den Gesetzentwurf der Bundesregierung aufDrucksachen 18/1528 und 18/1766 anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,CDU/CSU und SPD, bei Neinstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist mit der Zustimmung von CDU/CSU undSPD bei Ablehnung durch die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und Linksfraktion und einer Enthaltung einerKollegin aus der SPD angenommen.Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum An-trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Schutzbedarfvon Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen“. Der Aus-schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-fehlung auf den Drucksachen 18/1954 und 18/2004, denAntrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1616abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-1) Anlagen 12 und 13lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grü-nen und Linksfraktion angenommen.Ich rufe die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Änderung des Staats-angehörigkeitsgesetzesDrucksachen 18/1312, 18/1759– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-geordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen,Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten undder Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes über die Aufhebungder Optionsregelung im Staatsangehörig-keitsrechtDrucksache 18/1092– Zweite und dritte Beratung des von der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des StaatsangehörigkeitsgesetzesDrucksache 18/185
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
Drucksachen 18/1955, 18/2005b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEFür ein fortschrittliches Staatsangehörigkeits-rechtDrucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wer-den wir später namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-minister des Innern, Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die heute zu entscheidende Änderung des Staatsangehö-rigkeitsrechts ist das Ergebnis einer langen und leiden-schaftlichen Debatte in unserer Gesellschaft und auch inder Koalition. Ich halte das für angemessen und richtig;denn es geht um die Staatsangehörigkeit. Darüber zu de-battieren, ist wertvoll im umfassenden Sinne des Wortes.Die Staatsangehörigkeit ist für uns alle ein hohes Gut.
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4184 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Die vorgeschlagene Neuregelung erfüllt zwei Ziele:Erstens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht istgut für die Betroffenen. Es gibt ihnen Rechtssicherheitund soll ihr Heimatgefühl stärken. Beides brauchen wirMenschen, wenn wir daran denken, eine dauerhafte be-rufliche Existenz aufzubauen und eine Familie zu grün-den.Zweitens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht istgut für unser Gemeinwesen. Es befriedet einen langjäh-rigen politischen Konflikt, und es stärkt den Zusammen-halt in unserem Land. Das Staatsangehörigkeitsrechtmuss immer beides im Blick behalten: den Einzelnenund die Allgemeinheit.Mit dieser Änderung haben wir einen Ausgleich ge-funden zwischen den Interessen der jungen Deutschen,die ihre Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutsch-land erworben haben, und der besonderen Bedeutung derStaatsangehörigkeit für unser Staatswesen. Für den über-wiegenden Teil der Betroffenen, die in Deutschland auf-gewachsen sind und dadurch Bindungen zu unseremLand aufgebaut haben, sagen wir in Zukunft Ja zu einerMehrstaatlichkeit. Sie leben hier seit ihrer Geburt ganzselbstverständlich sowohl mit der deutschen Staatsange-hörigkeit als auch mit der Staatsangehörigkeit ihrer El-tern. Ihnen, die in Deutschland in der Regel ihre berufli-che und private Zukunft sehen und sich hier integrierthaben, trauen wir den loyalen Umgang mit der Bindungan Deutschland und das Land ihrer Mütter und Väter zu.Für „in Deutschland aufgewachsen“ haben wir eineklare und praktikable Definition gefunden.
Die Voraussetzungen sind sachgerecht, einfach in derAnwendung, und sie sind einfach nachzuweisen.
Mit dieser Modifikation des Optionsrechts werden so-wohl die Betroffenen als auch die Verwaltungen erheb-lich entlastet.Herr Beck wird gleich in seiner Rede vortragen, eshandele sich um ein Bürokratiemonster. Das hat in derAnhörung allerdings niemand bestätigt, auch nicht dieLeiter von Ausländerbehörden. Diese haben nämlich ge-sagt, der Gesetzentwurf sei eine große Erleichterung fürihre Arbeit.
Ich traue, was die Beurteilung der Bürokratiegefahr an-geht, den Leitern von Ausländerbehörden mehr zu alsdem geschätzten Kollegen Beck; das muss ich sagen.
– Das finden Sie.Meine Damen und Herren, mit der Änderung sendenwir ein Signal an über 90 Prozent der bisher von der Op-tionspflicht betroffenen und zumeist jungen Menschen:Ihr gehört zu Deutschland, nicht nur gefühlt, sondernauch auf dem Papier, nicht nur beim Public Viewing,sondern auch auf dem Amt.
Diese Botschaft ist umso deutlicher, als wir gleichzei-tig daran festhalten, den Verzicht auf die Optionspflichtnicht auf diejenigen auszuweiten, die seit ihrer Geburtkaum etwas mit Deutschland zu tun hatten. Wer bis zuseinem 21. Geburtstag keine Beziehung zu Deutschlandaufgebaut hat, von dem können und müssen wir eineEntscheidung verlangen. Das ist zumutbar und nicht zuviel verlangt.
Staatsangehörigkeit ist mehr als Aufenthalts- und Ein-reiserecht. Sie definiert ein besonderes Verhältnis zwi-schen Staat und Bürger, das durch Identifikation undLoyalität geprägt ist. Hier ist das berechtigte Interesseder Allgemeinheit begründet in der besonderen Sorgeum das Staatsangehörigkeitsrecht.Das Staatsangehörigkeitsrecht ist aufgrund dieser be-sonderen Bedeutung für den Zusammenhalt unseres Ge-meinwesens auf einen breiten Konsens angewiesen.Über die Staatsangehörigkeit definiert unsere Verfas-sung, wer zum Staatsvolk gehört, wer der eigentlicheSouverän ist. Mit der Staatsangehörigkeit ist das Rechtverbunden, über unser Gemeinwesen vollumfänglichmitzubestimmen. Aus diesem Grunde kann es nicht da-rum gehen, jeweils Maximalpositionen durchzusetzen.Wer mehr Zusammenhalt will, muss aufeinander zuge-hen. Das gilt und galt innerhalb der Koalition, und dasgilt für unsere Gesellschaft. Dafür reichen manchmalkleine Schritte nicht aus. Dafür sind auch große Schrittenotwendig. Das war im Ausländerrecht immer so. Waswir heute tun, ist ein solcher großer Schritt.
Für die Sozialdemokraten ist die Zustimmung zu die-sem Gesetz nicht leicht. Sie kommen von einem ganzanderen Modell, einem Modell einer prinzipiell doppel-ten Staatsbürgerschaft. Für die Union ist die Zustim-mung zu diesem Gesetz auch nicht leicht.
Sie kommt nämlich von einer grundlegenden innerenAblehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Darübersind erbitterte Wahlkämpfe geführt worden. Darübersind Landesregierungen gestürzt und andere Landesre-gierungen gebildet worden; wir wissen das. Das warzwischen den beiden großen Volksparteien ein bittererund harter Streit.
Herr de Maizière, erlauben Sie eine Zwischenfrageoder Zwischenbemerkung des Kollegen Mutlu?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4185
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen;dann gerne, Frau Präsidentin.Wenn jetzt diese beiden großen Volksparteien in die-ser Frage aufeinander zugehen, dann hat das nicht denCharakter eines Kompromisses innerhalb dieser Koali-tion, sondern dann hat das für unser Land einen nachhal-tig befriedenden Charakter. Darin liegt der eigentlicheWert dieses Kompromisses.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Minister, letzte Woche war eine junge Frau bei
mir, die im August 23 Jahre alt wird und optionspflichtig
ist. Sie wird, bevor dieses Gesetz, dieser sogenannte
große Schritt, von dem Sie reden, in Kraft getreten ist,
vermutlich ihre deutsche Staatsbürgerschaft zwangs-
weise verlieren, weil sie eben ihre beiden Staatsbürger-
schaften gerne behalten würde.
Sie haben gesagt, dass die Verbundenheit zu diesem
Land in einem Alter von 21 Jahren gegeben sein müsse.
Was raten Sie denn solchen jungen Leuten, die jetzt
während des Gesetzgebungsverfahrens ihre deutsche
Staatsbürgerschaft verlieren? Was tun Sie in all den Fäl-
len – es sind mehrere Tausend –, in denen Menschen bis
zu dem Zeitpunkt, bis zu dem dieses Gesetz in Kraft ge-
treten ist, die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben muss-
ten oder sie verloren haben? Warum wollen Sie diese
Altfälle nicht in den Genuss dieses sogenannten großen
Schrittes kommen lassen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Wir haben über die Frage einer Altfallregelung disku-
tiert. Sie kennen den alten Grundsatz: Wenn ein Gesetz
nicht nötig ist, dann soll man es nicht machen. Die junge
Frau soll einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Wenn
sie die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllt,
wird das zuständige Bundesland ihre Einbürgerung sehr
schnell entscheiden, und das ist auch richtig so.
Jeder Stichtag ist ein Stichtag; das kennen wir.
Wir sind jetzt dabei, eine wirklich befriedende Lö-
sung zu finden. Es wird Ihnen nicht gelingen, mit Ver-
weis auf zwei, drei Einzelfälle, die vielleicht ein Pro-
blem sein könnten und die die Länder pragmatisch
regeln können, das Gesetz insgesamt madigzumachen.
Es ist ein gutes Gesetz. Das war nicht leicht für unsere
Koalition und für die Bundesregierung. Es ist im Übri-
gen auch nicht zustimmungspflichtig. Wir freuen uns,
dass es bald in Kraft tritt, damit wir wenige solcher Fälle
haben, von denen Sie berichten.
Danke, Herr de Maizière. – Das Wort hat die Kollegin
Dağdelen für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr In-nenminister de Maizière, das Gesetz, das Sie hier vorge-legt haben, ist weder ein großer Schritt, noch ist es eingutes Gesetz; es ist eine wirklich kleingeistige Änderungdes bestehenden Staatsangehörigkeitsgesetzes. Es istnichts weiter als Murks. Es ist eigentlich ein Armuts-zeugnis, dass auch diese Koalition es nicht geschafft hat,die unsägliche Optionsregelung tatsächlich ersatzlos ab-zuschaffen –
und das nur, weil Sie aus der Union ideologisch borniertan dem längst überholten Dogma der Vermeidung vonMehrstaatigkeit in diesem Land festhalten. Allein deshalbwerden ab dem Jahr 2018 etwa 40 000 Optionsverfahrenpro Jahr durchgeführt werden müssen. 40 000 Options-verfahren jährlich! Was, wenn nicht ein Bürokratiemons-ter, ist das bitte schön, meine Damen und Herren?Wir als Linke wollen jedenfalls diese verwaltete Weltnicht. Wir möchten kein sinnloses Beschäftigungspro-gramm für die Verwaltung. Deshalb möchten wir dieseRegelung einfach ersatzlos streichen.
Uns stimmt es traurig, dass die SPD hier mitmacht,obwohl sie im Wahlkampf und in den Koalitionsver-handlungen
sogar die doppelte Staatsangehörigkeit versprochenhatte.
Ich finde es wirklich unsäglich, wenn man, wie bei derersten Beratung des Gesetzentwurfs im Parlament, auchnoch wahrheitswidrig behauptet, dass mit dem Gesetzdie Optionspflicht abgeschafft werden würde. Das istschlicht falsch, und das wissen Sie auch.Die Optionspflicht bleibt im Grundsatz in diesem Ge-setz enthalten. Natürlich kann die Optionsregelung auchkünftig dazu führen, dass hier geborene Kinder ihredeutsche Staatsangehörigkeit im Erwachsenenalter wie-der verlieren. Ich bitte Sie deshalb, redlich zu sein undbei den Fakten zu bleiben. Sagen Sie den Leuten klar,was Sie hier machen! Sie verhindern nämlich dauerhaftdie doppelte Staatsbürgerschaft als Regel.
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4186 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Sevim Dağdelen
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Wenn Sie die Abschaffung der Optionspflicht tatsäch-lich wollen, müssten Sie den § 29 des Staatsangehörig-keitsgesetzes komplett abschaffen.
Sollten Sie das tatsächlich wollen, dann bietet die LinkeIhnen hier eine Gelegenheit, das umzusetzen.
Wir haben einen Gesetzentwurf eingereicht, über denheute Abend hier namentlich abgestimmt wird. DieserGesetzentwurf sieht genau die Streichung von § 29 desStaatsangehörigkeitsgesetzes vor. Wenn Sie unseremGesetzentwurf zustimmen, meine Damen und Herrenvon der SPD, stimmen Sie eigentlich sich selbst zu; denndieser Gesetzentwurf bildet eins zu eins eine Bundesrats-initiative von drei SPD-regierten Bundesländern ab.
Sie können Ihrer eigenen Vorlage hier zustimmen.Das Gute ist: Sie würden damit auch das erreichen,was Sie schon in der ersten Beratung versprochen haben:Sie würden sozusagen eine rechtlich verbindliche Rege-lung für all die Menschen schaffen, die die deutscheStaatsangehörigkeit infolge des Optionsmodells bereitsverloren haben. Die Zahl dieser Menschen steigt vonTag zu Tag. Diese Menschen darf man nicht vage auf ir-gendwelche Ermessensspielräume im geltenden Rechtverweisen, wie Sie es machen.
– Nein, ein Ermessensspielraum im geltenden Recht hilftnicht. Wir möchten Tatsachen und klare Verhältnisseschaffen.
Neben vielen Betroffenen wären auch die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter der Einbürgerungsbehördendankbar für eine konsequente Abschaffung der Options-pflicht. Herr Bundesinnenminister – ich muss Sie enttäu-schen –, die Sachverständigenanhörung in der letztenWoche, bei der ich anwesend war, hat ergeben, dass dieArbeitszeit, die für die jährlich etwa 40 000 Optionsver-fahren aufgewendet werden muss, weitaus besser füreine Verkürzung der viel zu langen Einbürgerungsver-fahren genutzt werden könnte.
Dass Sie nicht wirklich an einer Verbesserung der Lagefür die Betroffenen interessiert sind,
zeigt das unwürdige Politikgeschacher, das hier von derGroßen Koalition in den letzten Tagen aufgeführt wurde.
Die Erleichterungen bei der Optionspflicht wollen Sienur dann beschließen,
wenn im Gegenzug Verschlechterungen im Asylrecht imBundesrat eine Mehrheit finden. Geben Sie es doch zu!Wir haben darüber doch debattiert. Wir finden das Ver-fahren zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht einfachunwürdig. Deshalb haben wir Ihnen zwei Anträge vorge-legt: einen Gesetzentwurf, unterstützt von drei SPD-re-gierten Ländern
– Sie können dem zustimmen und damit ein gemeinsa-mes Zeichen setzen für gleiche Rechte, gegen Ausgren-zung und tatsächlich für die Abschaffung der Options-pflicht –, und einen Antrag, in dem wir umfangreicheVorschläge für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeits-recht gemacht haben. Ich denke, es ist wichtig, die Op-tionspflicht abzuschaffen. Aber es ist auch wichtig undrichtig, Einbürgerungen zu erleichtern. Auch das ist eineErkenntnis aus der Sachverständigenanhörung.
Danke, Frau Kollegin. – Ich möchte darauf hinwei-
sen, dass man sehr unterschiedlicher Meinung zu diesem
Thema sein kann. Aber der Kommentar „dummes Ge-
schwätz“ passt in irgendwelche Bierzelte, aber nicht in
eine solche Debatte.
Nichts gegen Bierzelte, ich komme auch aus Bayern.
Nächster Redner ist Rüdiger Veit für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu – dassieht auch die SPD so –: Es ist ein besonderer Tag, undes ist ein bedeutendes Gesetz zu einer ausgesprochenwichtigen Frage. Deswegen – wenn ich das einmal bei-läufig sagen darf, selbstkritisch an uns alle gerichtet, diefür das Timing verantwortlich sind – hätte man sich si-cherlich eine längere und ausführlichere Debatte als36 Minuten vorstellen können.
So werden wir uns bemühen müssen, uns kürzer zu fas-sen.Dieser Tagesordnungspunkt ist zugleich auch ein Be-leg dafür, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Das
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4187
Rüdiger Veit
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sage ich mit der Bitte, dies als Trost aufzufassen, sowohlan die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Frak-tion als auch ein Stück weit an die sozialdemokratischeSeite gerichtet. Wir brauchen von Ihnen, von euch nichtdaran erinnert zu werden: Wir treten seit 1998, 1999konsequent dafür ein, dass in Deutschland die Mehr-staatlichkeit generell hingenommen werden darf.
– Deswegen – liebe Ulla Jelpke, ich fahre mit meinemSatz fort – haben wir bei der Staatsbürgerschaftsreformdieses alte Gesetz aus der Kaiserzeit zwar nicht ganz er-setzen können – durch die hessische Landtagswahl gingdie Mehrheit im Bundesrat verloren –, sondern wirmussten diesen Kompromiss mit der Optionspflicht ein-gehen.Alle Sozialdemokraten haben nie etwas davon gehal-ten. Wir haben uns ein bisschen damit getröstet, dass dieOptionspflicht spätestens im Verwaltungsvollzug bei denersten Fällen noch einmal von fachlicher Seite durch-leuchtet wird. Das haben wir auch als wichtiges Ziel imWahlprogramm formuliert. Es stand auch im Hundert-Tage-Programm von Peer Steinbrück. Ihr braucht unsnicht daran zu erinnern. Das wissen wir selber.
Wir hätten selbstverständlich gerne im Koalitionsvertragmit der Union eine Regelung gehabt, dass wir die Mehr-staatlichkeit generell hinnehmen. Das ist nicht gelungen.So ist es zu einem Kompromiss gekommen. Es ist im Er-gebnis dann aber doch kein ganz schlechter Kompromissgewesen. Aus unserer Sicht ist dieses Glas nicht halbleer, sondern deutlich mehr als halb voll.
Trotz des Beifalls wollen wir es auf der einen Seitemit dem Lob nicht übertreiben, weil uns, wenn wir ihnzu sehr loben, auf der anderen Seite vielleicht noch dereine oder andere von der Fahne geht.
Wir stehen jetzt aber zu diesem Kompromiss.Ich komme dann noch einmal kurz zu der Anhörungund zu dem, was wir, wie ich finde, leider bei der Gele-genheit nicht mit berücksichtigt haben. Die Praktiker,Herr Minister, die diesmal übrigens auf Wunsch der SPDeingeladen worden sind, haben eine Reihe wichtiger Än-derungen vorgeschlagen, nämlich die Überprüfung desVerfahrens und die Einleitung von Amts wegen und denWegfall der Ausschlussfrist bei der Beibehaltungsgeneh-migung, und auf das Problem einer angemessenen Über-gangsregelung hingewiesen. Das alles konnte nicht mehraufgegriffen werden, sicherlich zum Teil auch aus Zeit-gründen, zum Teil aber auch, weil es politisch nicht ge-wollt war. Das müssen wir akzeptieren. Es gibt Verbes-serungsbedarf. Auch der Kollege Volker Beck hat aufeinige rechtliche Aspekte hingewiesen. Das kann mandann vielleicht bei anderer Gelegenheit machen.
Trotzdem sollten wir jetzt hier im Bundestag zumEnde kommen. Damit das auch nicht gering geschätztwird, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich sage dasauch mit Blick auf die Öffentlichkeit –: Das betrifft sehrviele junge Menschen – jetzt 4 000, ab 2018 40 000 –,die sich dann eben nicht mehr zwischen der Staatsange-hörigkeit des Landes, aus dem ihre Eltern kommen, undder deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden müssenund die deshalb nicht mehr in diesen Konflikt kommen.
Das Entscheidende ist – darauf haben uns auch diePraktiker in der Anhörung hingewiesen –, dass mit denRegelungen, die jetzt gefunden worden sind – da bin ichIhnen, Herr Minister de Maizière, genauso dankbar wieHeiko Maas, der an dieser Einigung mitgewirkt hat –,höchstwahrscheinlich allenfalls eine Zahl im einstelligenProzentbereich dieser jungen Menschen – wie gesagt4 000 bzw. fast 40 000 –, unter die Optionspflicht fällt.Für alle anderen ist mit den jetzt zu schaffenden gesetzli-chen Voraussetzungen das Problem, sich irgendwanneinmal zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheidenzu müssen, vom Tisch.
Darüber können wir uns auch im Interesse der Betroffe-nen für die Zukunft alle freuen.Danke sehr.
Danke, Herr Kollege Veit. – Nächster Redner in der
Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirberaten heute über das Optionspflichtverlängerungs- und-abschmelzungsgesetz. Es beinhaltet eben nicht die Ab-schaffung der Optionspflicht,
obwohl Ihr Parteivorsitzender Ihnen im November letz-ten Jahres sogar versprochen hat, er unterschreibe nur ei-nen Koalitionsvertrag, der die doppelte Staatsangehörig-keit beinhalte.
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4188 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Volker Beck
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Das Dramatische daran, Rüdiger Veit, sind nicht diese400 Leute, die übrig bleiben und sich dann options-pflichtig zwischen einem deutschem Pass und dem Passdes Herkunftslandes ihrer Eltern entscheiden müssen.Das Dramatische ist: Wir sagen jungen Deutschen, dasssie nur Deutsche auf Probe sind. Das sagen wir all diesen40 000 jungen Menschen. Das ist verfehlt. Es gibt keineDeutschen unterschiedlichen Rechts.
Ich will Ihnen einmal plastisch machen, wie absurddas im Ergebnis ist: José ist in Bolivien geboren. SeinVater, der Deutscher ist, verlässt die Mutter noch wäh-rend der Schwangerschaft, erkennt aber die Vaterschaftan. José hat seinen deutschen Vater nie kennengelernt. Erwar nie in Deutschland. Er spricht kein Wort Deutsch. Erist Deutscher und nicht optionspflichtig.Veli ist in Köln-Ehrenfeld geboren. Seine Eltern sind30 Jahre zuvor nach Deutschland eingewandert, abernoch nicht eingebürgert. Nach seinem sechsten Lebens-jahr geht seine Familie – der Vater Ingenieur, die MutterDeutschlehrerin – nach Frankreich, um dort zu arbeiten.Er unterliegt nach Ihrem Gesetz nicht nur der Options-pflicht, sondern er wird wahrscheinlich auch seinendeutschen Pass verlieren, obwohl er – das ist das Absur-deste an Ihrem ganzen Vorhaben – das Recht auf Freizü-gigkeit innerhalb der Europäischen Union, die ihm alsdeutschem Staatsbürger zusteht, wahrnimmt und sich ineinem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Unionaufhält. Das ist ethnische Diskriminierung!Wir wollten Ihnen im Innenausschuss die Chance ge-ben, wenigstens diesen Unsinn zu bereinigen und zu sa-gen, dass Aufenthalte in der Europäischen Union denAufenthalten in Deutschland gleichstehen, dass Schulab-schlüsse aus der Europäischen Union den deutschenSchulabschlüssen gleichstehen und dass wenigstens einAbschluss an einer deutschen Auslandsschule so behan-delt wird wie ein inländischer Abschluss.
Sie waren dazu nicht bereit.Und warum?
Es liegt ja nicht am schlechten Willen der Sozialdemo-kratie; das weiß ich. Es liegt daran, dass die CDU/CSUan der schwarzen Pädagogik im Staatsbürgerschaftsrechtfesthalten will;
sie setzt damit ihre Integrationspolitik fort. Sie tun so,als ob sich diese jungen Deutschen noch bewährenmüssten, um anständige Deutsche zu sein. Nein, es gibtnach unserer Verfassung keine Deutschen unterschiedli-chen Rechts,
und nach den europäischen Verträgen hat jeder Deutschedas Recht, sich in der Europäischen Union frei zu bewe-gen. Das sprechen Sie den Menschen, die ausländischeEltern haben, hiermit ab. Das ist schändlich und ver-kehrt. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf integrationspoli-tisch verfehlt und europarechtswidrig; deshalb werdenwir ihn heute ablehnen.
Wir sind für die Abschaffung der Optionspflicht ohneWenn und Aber. Ihre damalige Einführung war ein hoherPreis, um das Geburtsortsprinzip überhaupt ins deutscheRecht übernehmen zu können.
– Wir waren uns einig, dass es der größte Unfug ist, waswir da im Staatsangehörigkeitsrecht anrichten, und ha-ben immer gehofft, die Optionspflicht zu überwinden.
Ich will Sie an jene Länder erinnern, die eine ganz an-dere Rechtskultur haben. Daran hat der Bundespräsidentam 22. Mai in seiner großen Rede zur Einbürgerungs-feier im Schloss Bellevue erinnert. Er hat nämlich ge-sagt, die Deutschen würden sich gar nicht mehr daranstören, dass man durch Geburt Deutscher wird, auchwenn man ausländische Eltern hat. – Leider ist es nochnicht so weit. Es ist nicht nur die Optionspflicht, dienoch besteht; die Eltern müssen hier zudem acht Jahrelang eine Aufenthaltserlaubnis gehabt haben, bevor ihreKinder überhaupt als Deutsche in diesem Land zur Weltkommen können, unabhängig davon, wie lange sie sichhinterher tatsächlich in diesem Land aufhalten.Da rate ich Ihnen einen Blick in die amerikanischeVerfassung. Im 14. Amendment steht:All persons born … in the United States … are citi-zens of the United States …Im kanadischen Recht heißt es:… a person is a citizen if the person was born in Ca-nada …So einfach kann man es machen.
Das bleibt eine Aufgabe für die Zukunft: Wenn Kin-der von hier legal lebenden Eltern in Deutschland gebo-ren sind, dann gehört ihnen ohne Wenn und Aber derdeutsche Pass; das müssen wir nach diesem Tag nochdurchsetzen. Ich kündige Ihnen an: Da werden wir imParlament erneut initiativ werden, auch beim Thema
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4189
Volker Beck
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„Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft bei derEinbürgerung“.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Schon heute hat jeder Zweite, der eingebürgert wird,
das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Warum
machen wir bei der Hälfte ein solches Buhei, wenn wir
die doppelte Staatsbürgerschaft bei den anderen selbst-
verständlich hinnehmen? Hören Sie auf, die Staatsbür-
gerschaft dazu zu nutzen, um die Menschen, die zu uns
gekommen sind, zu knuten. Sagen Sie Ja zur Willkom-
menskultur.
Herr Beck.
Da können Sie auf der rechten Seite des Hauses noch
eine Menge lernen.
Danke, Herr Kollege Beck. – Nächster Redner ist
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir setzen mit dem Ge-setz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts denKoalitionsvertrag um. Auch wenn dieses Gesetz – ichmöchte das gar nicht negieren – nicht der innigsteWunsch der Unionsfraktion war und ist, auch wenn esuns kein Herzensanliegen war und ist, möchte ich schonbetonen: Wir verabschieden heute ein gutes, ein zu-kunftsweisendes Gesetz.
Ich möchte ganz klar festhalten: Es bleibt beimGrundsatz der Optionspflicht. Es bleibt auch beim richti-gen Grundsatz der Vermeidung der doppelten Staatsan-gehörigkeit. Es wird allen Unkenrufen zum Trotz auch inZukunft in Deutschland keinen generellen Doppelpassgeben.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichmöchte klar herausstreichen: Die Staatsbürgerschaft istkeine Vereinsmitgliedschaft, die man schnell annimmtund auch schnell wieder aufgibt.
Mit der Staatsangehörigkeit wird ein intensives Bandzwischen dem Staat und dem Bürger vermittelt. Ich ver-stehe das, um es klar festzuhalten, nicht als ein Unter-und Oberordnungsverhältnis. Ich sehe dies gleichrangig.Natürlich impliziert die Staatsangehörigkeit klareRechte, aber auch klare Pflichten. Deshalb ist sie ein ho-hes Gut, vielleicht mit das höchste Gut, das ein Staatausreichen kann.
Ich möchte auch betonen: Das deutsche Staatsangehö-rigkeitsrecht hat sich bewährt. Wir haben in den letztenLegislaturperioden häufig über das Thema Staatsange-hörigkeit debattiert. Ich und viele andere Kolleginnenund Kollegen von der CDU/CSU haben deutlich ge-macht, dass wir das Ausreichen der deutschen Staatsan-gehörigkeit ganz eindeutig an klare Integrationsvoraus-setzungen knüpfen. Es kann nicht sein, dass jemand,ohne dass er nachweist, in Deutschland integriert zusein, die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt.Ich bin der festen Überzeugung: Die mit diesem Ge-setz vorgelegten Änderungen, in denen die Bedingungendafür genannt werden, wie man von der Optionspflichtausgenommen werden kann, sind aus meiner Sicht mehrals ein Indiz dafür, dass die betreffenden Personen inDeutschland integriert sind. Wenn jemand mindestensacht Jahre in Deutschland lebt, wenn jemand mindestenssechs Jahre in Deutschland die Schule besucht hat, wennjemand in Deutschland erfolgreich die Schule oder eineBerufsausbildung absolviert hat, dann sind das ganzklare Hinweise darauf, dass diese Person in Deutschlandangekommen ist, dass sie in Deutschland beheimatet istund dass sie in Deutschland integriert ist.Mit diesem Gesetz machen wir guten Gewissensdeutlich, dass wir den Koalitionsvertrag in seinem ei-gentlichen Sinn umsetzen: Wir werden die Options-pflicht für die Personen, die in Deutschland geboren undaufgewachsen sind, abschaffen.
Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz integra-tionspolitisch eine sinnvolle Maßnahme ist. Ich knüpfedie Hoffnung daran, dass es auch den gesellschaftlichenZusammenhalt in Deutschland stärkt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen vonder Linksfraktion oder auch von den Grünen, es handeltsich beileibe nicht um ein Bürokratiemonster. Ich ver-stehe die Aufregung nicht.
Es ist doch ganz einfach: Wenn jemand in Deutschlanderfolgreich die Schule abgeschlossen hat, dann brauchter nur das Schulabschlusszeugnis an die Ausländerbe-hörde zu schicken. Damit wird er von der Optionspflichtbefreit und hört nie mehr etwas vom Staat.
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4190 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
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Wenn jemand erfolgreich seine Berufsausbildung abge-schlossen hat, muss er nur sein Abschlusszeugnis an dieAusländerbehörde schicken, und er hört von den Auslän-derbehörden nie mehr etwas.
Was hat denn das mit Bürokratie zu tun?
Mit diesem Gesetz wird vermieden, dass jemand, derzum Beispiel im dritten oder vierten Lebensjahr mit sei-nen Eltern Deutschland verlässt und in die Türkei zieht,auch von der Integrationspflicht ausgenommen wird.
– Herr Kollege Beck, vielleicht zu Ihrem Beispiel vomWilli aus Köln-Ehrenfeld und vom José.
Was ich nicht verstehe, Herr Kollege Beck: Sie habenmit Ihrer Aussage sogar impliziert, dass Sie dem Joségerne die deutsche Staatsangehörigkeit nehmen würden.
Wir wollen dies aber nicht: Ihr Freund aus Köln-Ehren-feld wird auch mit diesem Gesetz beide Staatsangehörig-keiten behalten können.
Ich sage Ihnen zu. Wir haben eine Härtefallklausel indas Gesetz eingebaut. Ich gehe davon aus, dass die Län-der sehr vernünftig und auch sehr weitsichtig mit dieserHärtefallklausel umgehen werden.
Ich bin mir sehr sicher, Herr Kollege Beck, dass der vonIhnen geschilderte Fall unter die Härtefallregelung fällt,
was im konkreten Fall dazu führt, dass Ihr Freund beideStaatsangehörigkeiten behalten kann.
Wir beenden mit dieser heutigen Debatte eine lang-jährige Diskussion über unser Staatsangehörigkeitsrecht.Es ist schon erwähnt worden: Es fällt dem einen oder an-deren Kollegen seitens der CDU/CSU mit Sicherheitnicht leicht, diesem Gesetz zuzustimmen.
Herr Minister de Maizière hat schon darauf hingewie-sen: Mit diesem Gesetz sind Wahlkämpfe geführt wor-den. Es sind Landesregierungen gewählt oder abgewähltworden. Ich bin der Überzeugung: Von diesem Gesetzwird eine Befriedungswirkung für unser Land ausgehen.Ich glaube auch, dass dieses Gesetz den veränderten ge-sellschaftlichen Rahmenbedingungen in DeutschlandRechnung trägt. Deswegen können wir diesem Gesetzguten Gewissens zustimmen. Es ist ein zukunftsweisen-des, modernes Staatsangehörigkeitsgesetz, und ich bitteherzlich um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Nächste Redne-
rin in der Debatte ist Frau Staatsministerin Aydan
Özoğuz.
A
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich versuche einmal, das zusammenzufassen:Deutschlands Kinder, die mit ihrer Geburt zwei Pässehaben, behalten diese zukünftig in den allermeisten Fäl-len, müssen ihre Herkunft auch nicht mehr verleugnen.
Das heißt, genau zehn Jahre nach Inkrafttreten des Zu-wanderungsgesetzes bekennt sich Deutschland zu denKindern seiner Einwanderer mit ihren Herkünften. Dasist ein sehr schöner Befund.
Ich kann Kritik sehr gut verstehen. Ich höre auch sehrgenau zu. Man zählt die Nachteile, die durch die Op-tionspflicht entstehen, die einmal gemeinsam beschlos-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4191
Staatsministerin Aydan Özoğuz
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sen wurde, auf – das sind eventuell die Ausnahmen, dienoch bestehen bleiben – und übersieht vollkommen, dassHunderttausende Kinder und Jugendliche – die Zahlensind gerade genannt worden –, die schon geboren sind,von diesem neuen Gesetz profitieren werden,
von dieser belastenden Entscheidung befreit werden undsich im wahrsten Sinne des Wortes in einem Deutsch-land befinden, das sagt: „Ja, du gehörst hierher,
du bist deutsch, und du bist noch etwas anderes.“ Daskann man doch nicht kritisieren.
Ich finde auch, dass wir den Streit um das Wort „Auf-wachsen“ gut gelöst haben. Denn tatsächlich, wir hättenmehr gewollt – das kann man nicht oft genug wiederho-len –, und die Unionsfraktionen hätten etwas anderes ge-wollt. Auch das ist kein Geheimnis.
Wir haben uns darauf geeinigt, zu sagen: Wenn jemandacht Jahre hier ist – Entschuldigung, es sind doch fastalle acht Jahre hier; es gibt wenige Ausnahmen –, wennjemand seinen Schulabschluss oder seinen Berufsausbil-dungsabschluss hier gemacht hat, dann gilt diese Rege-lung, die wir heute gemeinsam treffen, ab jetzt. Das istdoch ein gutes Signal, welches wir an die deutsche Ju-gend mit zwei Pässen und alle anderen senden.
Die Härtefallregelung gibt es auch noch. Sie ist ja ge-rade für solche Fälle gedacht, die wir uns heute nicht alleüberlegen können. Diese Jugendlichen können dann zei-gen: Ich habe einen Bezug zu Deutschland, ich bin hiergenauso verwurzelt. Ich finde, das Staatsangehörigkeits-recht wird ein Stück gerechter. Es hat mit Identität zutun, mit Verwurzelung, nicht mit dem Herkunftsland, ausdem jemand kommt. Danach haben wir ja bisher unter-schieden. Wir werden allen jungen Menschen, die jetztso gebannt darauf warten, dass wir das endlich umset-zen, dass sie endlich eben nicht mehr diese Angst habenmüssen, diese Angst nehmen, das Gesetz jetzt umsetzenund nicht sagen: Lieber gar nichts, wenn man nicht100 Prozent und alles bekommt.Danke schön.
Danke, Frau Kollegin. – Bevor ich dem Kollegen
Helmut Brandt das Wort gebe, bitte ich die anderen Kol-
leginnen und Kollegen, den letzten zwei Rednern in die-
ser Debatte noch zuzuhören. Sie haben es definitiv ver-
dient. – Helmut Brandt für die CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Ich glaube, der Wortbeitrag der Staatsministerin hatzur Versachlichung der Atmosphäre beigetragen. Des-halb danke ich ihr ausdrücklich für ihren Beitrag. Dakann man hundertmal „Murks“ rufen; das disqualifiziertnur den Rufer und nicht den Diskussionsbeitrag als sol-chen.
Natürlich hätte man heute noch einmal sehr langeüber diesen Gesetzentwurf diskutieren können, HerrKollege Veit. Aber wir haben im letzten Jahr über dieFrage der Staatsangehörigkeit und über die Frage derOptionspflicht – ja oder nein? – oft diskutiert. Jetzt de-battieren wir schon zum fünften Mal darüber. Deshalbhalte ich es für angemessen, dass wir die Debatte heuteabschließen.Wir haben heute in zweiter und dritter Lesung dieseNeuregelung zu beschließen, die für die betroffenen jun-gen Leute sicherlich eine enorme Erleichterung bedeu-tet. Wir haben in der Sachverständigenanhörung, die hierschon mehrfach erwähnt worden ist, gehört, dass dieZahl der Betroffenen bis zum Jahr 2018 auf 40 000 imJahr ansteigen wird. Deshalb ist es, glaube ich, an derZeit, sich mit dieser Neuregelung abschließend zu be-schäftigen.
Wir haben mit diesem Kompromiss natürlich nichtalle Erwartungen erfüllen können. Es gab und gibt bisheute vehemente Befürworter einer kompletten Abschaf-fung der Optionspflicht. Aber die Anhörung der Sach-verständigen hat deutlich gezeigt, dass die geplanteModifizierung der Optionspflicht ausgewogen und prak-tikabel ist, dass sie den verfassungsrechtlichen Vorgabengenügt und vor allen Dingen auch sachgerecht ist. Sieverstößt gerade nicht, wie von den Linken und vomBündnis 90/Die Grünen immer wieder behauptet, gegendas Grundgesetz.
Sie ist auch keine unzulässige Entziehung der Staatsan-gehörigkeit im Sinne des Artikels 16 Absatz 1.
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4192 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Helmut Brandt
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Ich erinnere an die Ihnen sicherlich bekannte Rechtspre-chung, nach der eine Verlustzufügung nur dann vorliegt,wenn der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbareWeise dieselbe beeinflussen kann. Das ist hier aber nichtder Fall.Die jungen Erwachsenen, die nach dieser neuen Re-gelung von der Optionspflicht betroffen sein werden, ha-ben es selbst in der Hand, ob sie sich für die deutscheStaatsangehörigkeit oder für die ihrer Eltern entscheiden,auch wenn diese Entscheidung in dem einen oder ande-ren Fall vielleicht eine unbequeme Entscheidung ist –unbequem, aber durchaus zumutbar.
Ich meine das wirklich sehr ernst. Der Herr Kollege
Brandt redet über ein sehr wichtiges Thema. Entweder
Sie hören jetzt zu – dann reden Sie aber bitte nicht mit
den Nachbarn, sondern hören ihm zu –, oder Sie reden
draußen weiter. Das gilt für die Kolleginnen und Kolle-
gen Abgeordneten,
das gilt aber auch für die Regierungsbank. – Herr Kol-
lege, Sie haben das Wort.
Besten Dank, Frau Präsidentin. Nach mir redet ja
noch ein Kollege. Insofern ist der Appell mehr als be-
rechtigt.
Einer Hinnahme des Verlustes der deutschen Staats-
angehörigkeit steht das legitime Interesse des deutschen
Staates an der Vermeidung von Konflikten rechtlicher,
politischer, auch persönlicher Art gegenüber, die viel-
leicht nicht regelmäßig, aber eben doch mit einer dop-
pelten Staatsangehörigkeit verbunden sind. Auch wenn
einige das nicht gerne hören oder nicht glauben wollen,
ist es nun einmal so, dass eine doppelte Staatsangehörig-
keit zu Loyalitätsproblemen führen kann, insbesondere
wenn im Heimatland der Eltern ganz andere Wertvor-
stellungen als in Deutschland vorherrschen. Genau des-
halb halte ich die Bedingungen, die wir an den Wegfall
der Optionspflicht geknüpft haben, für absolut notwen-
dig und integrationsfördernd.
An die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen sage ich,
dass der Besuch einer deutschen Schule im Ausland
– das ist ein beliebtes Beispiel von Ihnen, Herr Beck –
ein Leben in Deutschland nicht ersetzt.
Integration
findet doch nicht nur in der Schule statt, sondern auch im
Freundeskreis, in Vereinen und in der Familie, also im
Alltag. All das ist im Ausland doch gerade nicht gewähr-
leistet,
weshalb wir Ihren Antrag immer wieder aufs Neue ab-
lehnen.
Die von Ihnen, Herr Beck – ich muss Sie in dieser De-
batte leider öfters ansprechen, weil Sie immer wieder die
gleichen falschen Behauptungen aufstellen –, behauptete
Unvereinbarkeit mit Europarecht, ist auch von den Sach-
verständigen nicht bestätigt worden.
Der mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit
einhergehende Verlust der Unionsbürgerschaft beein-
trächtigt zwar das Recht auf Freizügigkeit.
– Herr Beck, Sie haben nur einer Sachverständigen und
nicht allen Sachverständigen zugehört, weshalb Sie sich
auch nur ein einseitiges Bild von der Rechtslage gebildet
haben. Aber das war ja auch Ihr Ziel von Anfang an. –
Der Verhältnismäßigkeit des Verlustes, die der Europäi-
sche Gerichtshof verlangt, steht jedoch auch hier gegen-
über, dass es der Betreffende selbst in der Hand hat, sich
die deutsche Staatsangehörigkeit und damit den Status
der Unionsbürgerschaft zu erhalten. Der Europäische
Gerichtshof hat zudem explizit festgestellt, dass es legi-
tim ist, dass der Mitgliedstaat das zwischen ihm und sei-
nen Staatsbürgern bestehende Verhältnis besonderer Ver-
bundenheit und Loyalität sowie die Gegenseitigkeit der
Rechte und Pflichten schützt.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit?
Ja. Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Ich bin– ich denke, das gilt für uns alle, jedenfalls für die meis-ten von uns – letztlich zufrieden mit dem Kompromiss,den wir jetzt gefunden haben.Letzte Bemerkung. Der Kollege Veit hat recht, dassdie von der SPD-Fraktion präsentierten sachverständi-gen Praktiker Anregungen gegeben haben. Wir wolltendas nicht in der Kürze der Zeit übers Knie brechen, zu-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4193
Helmut Brandt
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mal dadurch vielleicht auch die Möglichkeiten der Zu-stimmung durch den Bundesrat vergeben worden wären.
Aber wir sind bereit, darüber in den nächsten Monatenmit den Ländern und auch mit Ihnen zu diskutieren, –
Aber jetzt nicht mehr!
– um vielleicht noch die eine oder andere Gelegenheit
für eine Verbesserung zu nutzen.
Danke.
Danke, Herr Kollege Brandt. – Letzter Redner in die-
ser Debatte ist Josip Juratovic. Ich bitte Sie, dem Redner,
der für die SPD redet, zuzuhören.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit unserem Gesetzentwurf beenden wir eine
entwürdigende Situation.
Bisher waren hier geborene Kinder ausländischer Eltern
Deutsche unter Vorbehalt; das hatten wir der Kampagne
von Roland Koch aus dem Jahre 1999 zu verdanken.
Dieser Vorbehalt ist nun weg.
Ein hier geborenes Kind, das hier aufwächst, ist nun ein
Deutscher.
Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht verhehlen,
dass wir als SPD mehr anstreben. Da denke ich vor al-
lem an die erste Generation der Einwanderer nichtdeut-
scher Herkunft. Diese Generation, die sogenannten Gast-
arbeiter, bleiben in der aktuellen Debatte leider
unbeachtet.
Warum wollen wir für sie die generelle Akzeptanz
von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Redlichkeit
gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleistung zum
größten Teil hierzulande erbracht. Diese Menschen ha-
ben unser Land unter schweren Bedingungen mit aufge-
baut.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung des Kollegen Beck?
Herr Beck, Sie haben schon viel geredet.
Moment! – Erlauben Sie das?
Ja, bitte.
Gut. – Kollege Beck.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, weil mich die
Rede des Kollegen Brandt verwirrt hat, was wir denn
jetzt beschließen.
Herr Brandt hat gerade erklärt, Abschlüsse an deut-
schen Auslandsschulen führten zur Optionspflicht. Das
Bundesinnenministerium hat auf eine Kleine Anfrage
unserer Fraktion geantwortet, dies könne ein Fall für die
Härtefallregelung sein. Damit das Hohe Haus weiß, was
es tut, wenn es diesen Gesetzentwurf jetzt verabschiedet
– in ihm steht ja nicht, was in diesem Fall gilt –, würde
ich gerne von Ihnen, sozusagen koalitionsamtlich, eine
Auslegungsentscheidung hören.
Herr Beck, ich gehe davon aus, dass Sie den Gesetz-entwurf und die Beschlussempfehlung gelesen haben.Ich möchte jetzt keine langen Erklärungen vortragen.
– Ich weiß es sehr wohl.
Ich wiederhole: Warum wollen wir die generelle Ak-zeptanz von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Red-lichkeit gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleis-tung zum größten Teil hierzulande erbracht. DieseMenschen haben unser Land unter schweren Bedingun-gen mit aufgebaut und es zu dem gemacht, was es heuteist: eine starke Wirtschaftsmacht. Diese Menschen habensich auch im Vereinsleben in unseren Städten und Ge-meinden engagiert und damit zu einer Gesellschaft bei-getragen, um die wir weltweit beneidet und für die wirrespektiert werden. Wie loyal, Herr Minister, muss einMensch noch sein? Ich meine, es wäre nur redlich, dasswir den emotional berechtigten Anspruch dieser Men-schen auf Respekt und Anerkennung würdigen, indem
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4194 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Josip Juratovic
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wir zu ihnen sagen: Du gehörst dazu, ohne dass du deineHerkunft verleugnen musst.
Kolleginnen und Kollegen, als Integrationsbeauftrag-ter der SPD-Bundestagsfraktion betrachte ich Integrationals einen Prozess auf dem Weg zur Identifikation mit derVielfalt in unserem Land – sowohl aufseiten der Einwan-derer als auch aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft.Vielfalt ist dabei nicht Beliebigkeit, sondern muss in un-seren grundgesetzlichen Werten eingerahmt sein. Des-halb ist es für mich nicht wichtig, wie viele Pässe je-mand in der Hosentasche hat. Es ist für mich vielmehrentscheidend, was er im Herzen trägt. Für mich reichtauch gegenseitige Toleranz nicht aus. Deutschland mussauf gegenseitiger Empathie, Achtung und Respekt auf-gebaut sein.
Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein Kompro-miss, für den ich mich bei unserem Koalitionspartnertrotz einiger Bedenkenträger bedanken möchte. Den Be-denkenträgern möchte ich sagen: Wir sollten die Fensterin diesem Haus einmal öffnen und nach draußenschauen. Sie werden sehen, dass uns die Realität inDeutschland längst überholt hat. Seit Roland Koch istviel passiert.Deutschland ist seit 2005 offiziell ein Einwande-rungsland. 50 Prozent der Zuwanderer haben bereitsmehrere Pässe. Die internationale Vielfalt ist aus unsererWirtschaft, Kunst und Kultur nicht mehr wegzudenken.
Ich bitte Sie, dem Kollegen zuzuhören. Er versteht
fast sein eigenes Wort nicht mehr. Wir können die De-
batte auch unterbrechen, wenn Sie wichtigere Dinge zu
besprechen haben. Ansonsten hören Sie dem Kollegen
jetzt bitte die letzten 30 Sekunden zu.
Danke, Frau Präsidentin. – Wir feiern und identifizie-
ren uns mit unserer Nationalmannschaft, in der längst
nicht mehr die Herkunft zählt, sondern die Qualitäten
und Fähigkeiten.
Diese Realität müssen wir in Gesetzen abbilden, die
helfen, dass sich alle Menschen in unserem Land als
Bürgerinnen und Bürger mit einem Deutschland der
Vielfalt identifizieren. Die wachsende Vielfalt Deutsch-
lands wird mit diesem Gesetzentwurf einmal mehr als
Wert anerkannt. Es ist ein weiterer Schritt zu mehr Ge-
rechtigkeit und Zusammenhalt in unserem Land.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus-sprache.Ich bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit, weil von-seiten der CDU/CSU und der SPD eine zweite namentli-che Abstimmung angemeldet worden ist. Wir werdenunter Zusatzpunkt 7 a also nicht nur über den Gesetzent-wurf der Fraktion Die Linke namentlich abstimmen,sondern auch – das tun wir jetzt zuerst – über den vonder CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzent-wurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes aufDrucksache 18/1312, über den wir debattiert haben.Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-ner Beschlussempfehlung, diesen Gesetzentwurf in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPDbei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Lin-ken angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Diese Schlussabstimmung istnamentlich. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, ihre Plätze an den Boxen einzunehmen. – Sinddie Plätze an den Boxen besetzt? – Also, die Plätze anden Boxen sind besetzt.
– Die Plätze an den Boxen, die manche „Urnen“ nennen,sind besetzt. Damit eröffne ich die Abstimmung. – Ha-ben alle Kolleginnen und Kollegen jetzt abgestimmt? –Ich gehe davon aus, dass jetzt alle Mitglieder abge-stimmt haben. Damit schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen, wieimmer, später bekannt gegeben.1)Jetzt kommen wir zu der Abstimmung über den Ent-wurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke über dieAufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörig-keitsrecht. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buch-stabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksa-chen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/1092 abzulehnen.Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-gen der Fraktion Die Linke namentlich ab.2) Ich bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenenPlätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen be-setzt? – Die Plätze sind besetzt. Ich eröffne die Abstim-mung über den Gesetzentwurf.Solange noch abgestimmt wird, möchte ich im Na-men des Präsidiums Ansgar Heveling ganz herzlich zuseinem Geburtstag gratulieren.
1) Ergebnis Seite 4197 D2) Anlage 14
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Vizepräsidentin Claudia Roth
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Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimmenicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. Dannschließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Auch hier wird Ihnen das Ergebnis der Abstim-mung, wie immer, später bekannt gegeben.1)
– Ja, so ist es, Herr Kauder.Abstimmung über den Gesetzentwurf der FraktionBündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehö-rigkeitsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unterBuchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-chen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/185
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung von Bündnis 90/DieGrünen und der Linksfraktion abgelehnt. Damit entfälltnach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Zusatzpunkt 7 b. Beschlussempfehlung des Innenaus-schusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit demTitel „Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeits-recht“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1955 und18/2005, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/286 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlungangenommen mit Stimmen von CDU/CSU und SPD beiAblehnung von der Linksfraktion und Enthaltung vonBündnis 90/Die Grünen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten UlleSchauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiterenAbgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur geschlechtergerechten Besetzungvon Aufsichtsräten, Gremien und Führungs-ebenen
Drucksache 18/1878Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und SozialesNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre undsehe keinen Widerspruch, dann ist es jetzt so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat UlleSchauws für Bündnis 90/Die Grünen.1) Ergebnis Seite 4200 A
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gestern wurde der neue Public Women-on-Board-Indexvorgestellt. Angesichts der bekannten Frauen- und Män-neranteile in Aufsichtsräten der Wirtschaft ist das Ergeb-nis jetzt nicht wirklich überraschend. Vielmehr zeigt sichhier noch einmal eines deutlich: Freiwillige Vereinba-rungen und unverbindliche gesetzliche Regelungen füh-ren nicht zu einer signifikanten Steigerung des Frauen-anteils, nicht einmal in Unternehmen mit Beteiligungdes Bundes. Nein, ganz im Gegenteil. Denn in den Vor-ständen und in den Geschäftsführungen von Bundesun-ternehmen wurde bisher nur jede fünfte Position mit ei-ner Frau besetzt. Das sind 13,9 Prozent, und das ist vielzu wenig.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt vor allem:Dort, wo die Politik unmittelbar Einfluss auf die Beset-zung von Führungsposten hat, nutzt sie diesen Einflussnicht. Damit nehmen die öffentlichen Unternehmenkeine Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft ein. Derfaktische Ausschluss von Frauen ist auch nicht gerecht.Liebe Kolleginnen von der Bundesregierung, auchdas ist ein Grund dafür, dass wir Grünen heute erneut ei-nen eigenen Gesetzentwurf zur geschlechtergerechtenBesetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungs-ebenen einbringen. Denn – das sage ich Ihnen noch ein-mal ganz klar – die Geduld der Frauen ist zu Ende.
Es gibt keinen Grund, den vielen hochqualifiziertenFrauen den Zugang zu Karriere und besser bezahltenJobs weiter zu verweigern.Wir wollen deshalb erstens eine 40-Prozent-Frauen-quote für börsennotierte Unternehmen oder Unterneh-men, die der Mitbestimmung unterliegen. Diese Quotesoll in zwei Stufen erreicht werden: ab 2016 für alleNeubesetzungen, dann ab 2018 für alle Aufsichtsratsmit-glieder. Das betrifft etwa 3 500 Unternehmen.
Wir fordern zweitens die dringend notwendige Refor-mierung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes aus demJahr 1994. Auch hier fordern wir eine Mindestquote fürbeide Geschlechter von 40 Prozent ab 2018 und dieStreichung der vielen Ausnahmeregelungen.Diese beiden Forderungen sollen drittens einhergehenmit Regelungen für Führungspositionen unterhalb desVorstandes, damit Frauen konsequent gefördert werden.Nur so erreichen wir es, dass Frauen nicht länger an diegläserne Decke stoßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gut ist, dass bei die-ser Bundesregierung angekommen ist, dass die Frauen-förderung angepackt werden muss – anders als bei der
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4196 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Ulle Schauws
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letzten. Ehrlich gesagt glaube ich allerdings, dass dieseErkenntnis tatsächlich nur bei den Kolleginnen und Kol-legen von der SPD so richtig angekommen ist.
Von der Union hört man ja gar nichts zu dem Referen-tenentwurf. Ich will es einmal so sagen: AllgemeinesSchweigen im Walde bei der Union offenbar nach demMotto „Die Wirtschaft wird schon dagegen Sturm lau-fen“ – das tut sie bereits auch panisch – „und alles wie-der richten“.
Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von derGroßen Koalition, wenn ich mir den Referentenentwurfansehe, besteht eigentlich gar kein Grund zu dieserHysterie. Denn die von Maas und Schwesig vollmundigangekündigte Quote ist jetzt schon ein einziger Knicksvor der Wirtschaft:
eine Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von vollmitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unter-nehmen ab 2016 und nur für Neu- und Nachbesetzun-gen. Das trifft nur 101 Unternehmen. Darunter ging es jakaum noch.Nein, Frau Schwesig und Herr Maas, man muss esklar benennen: Ihre Quote ist ein Quötchen.
Wir sind gespannt, was am Ende im Bundesgesetzblattstehen wird, wenn die CDU/CSU noch mehr Ausnah-men einbaut.Die große Mehrheit in der Wirtschaft geht ja beimThema Quote immer wieder reflexartig auf Abwehrhal-tung, obwohl die Quote natürlich immer an die gleichenQualifikationen von Männern und Frauen gebunden ist.Hierüber wird gern ein falsches Bild gezeichnet, nämlichdas von einer Bevorteilung von Frauen gegenüber Män-nern. Das ist Quatsch. Denn ohne eine verbindliche ge-setzliche Regelung gäbe es weiterhin diese ausgespro-chen gut funktionierende Quote für Männer zum Teilsogar bis 100 Prozent.
Mal ehrlich, anstatt als eine der Topwirtschaftsnationenrichtig nach vorne zu gehen, wagen Sie von der Regie-rung auch jetzt nur einen halbherzigen Schritt.
Worauf es ankommt, ist die Mischung von Frauenund Männern in Führungsetagen. Einige wenige Unter-nehmen haben das verstanden. Der Strategiechef vonRoland Berger sagt ganz schlicht: „Wir brauchen dieVielfalt, weil sie zu besseren Ergebnissen führt.“ Also:Es gibt genug qualifizierte Frauen für Führungspositio-nen und für Aufsichtsräte und für Bundesgremien. Manmuss sie aber auch finden wollen.Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,wir feiern in diesem Jahr den 20. Jahrestag der Ergän-zung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. DieserSatz fordert die Bundesregierung zu aktivem Handelnbei der Frauenförderung auf. Nehmen Sie dieses Jubi-läum zum Anlass! Nutzen Sie Ihre Mehrheiten! TrauenSie sich, den Frauen und Männern in diesem Land sowieauch der Wirtschaft effiziente Maßnahmen zur Gleich-stellung zu! Nehmen Sie unsere Vorschläge auf, damitwir nicht bei einem Quötchen landen, sondern bei einerwirklichen Quote, einer Quote, die am Ende nicht nurwenigen Frauen hilft.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in
der Debatte ist Gudrun Zollner für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Mit der Einführung einer gesetzlichenFrauenquote zur geschlechtergerechten Besetzung vonAufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen bringenwir heute ein Vorhaben auf den Weg, das ich als histo-risch bezeichnen möchte. Ich erinnere genauso wiemeine Vorrednerin an Artikel 3 Absatz 2 des Grundge-setzes:Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staatfördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleich-berechtigung von Frauen und Männern und wirktauf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.Die bestehenden Nachteile beseitigen wir jetzt, wirFrauen von der CDU/CSU: 30 Prozent Geschlechter-quote für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflich-tigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr2016 neu besetzt werden, und verbindliche Zielgrößenfür die Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten,Vorständen und obersten Managerebenen mitbestim-mungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen miteiner transparenten Berichterstattung.Auch wenn der Aufschrei der Unternehmer nochimmer groß ist: Sie sind selbst schuld, weil sie sich seitJahren nicht an ihre eigenen freiwilligen Zusagen gehal-ten haben.
Der Regelkatalog der Regierungskommission DeutscherCorporate Governance Kodex, der Empfehlungen fürgute Unternehmensführung macht, ist für viele Manageranscheinend nur ein Papiertiger. Wenn ihnen alle Argu-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4197
Gudrun Zollner
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mente gegen die Quote ausgehen, dann kommt dasSchlagwort der unqualifizierten Quotenfrau, die keinerhaben will. Topmanager – wohlgemerkt: Männer –haben in den letzten Jahren Milliarden in den Sand ge-setzt. Wer hat da nach deren Qualifikation gefragt?
Ich bitte Sie aber: Lassen Sie uns die Debatte über dasFür und Wider einer Frauenquote beenden. Sie heizt nurdie Stimmung gegen die Quote an und schadet so imPrinzip der richtigen Sache.
Die gesetzliche Quote kommt, und nur das zählt.Auch wir Frauen sollten uns nicht auseinanderdivi-dieren lassen. Jede von uns sollte den Weg gehen, densie für sich selbst für richtig hält.
Werden wir gefragt, ob wir eine Führungsposition über-nehmen wollen, dann denken wir bitte nicht erst nach:Kann ich das? Schaffe ich das mit meiner Familie? Binich qualifiziert genug? – Glauben Sie mir: Wir könnendas, und wir schaffen das.
Bei der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreu-ung hilft der Bund den Ländern seit Jahren nachhaltigund tatkräftig. Insgesamt stellt der Bund den Ländern bis2014 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung, um zusätzlichePlätze in Kitas und der Kindertagespflege zu schaffenund ihren Betrieb zu finanzieren. Ab 2015 unterstütztder Bund den dauerhaften Betrieb der neu geschaffenenKitas mit jährlich 845 Millionen Euro.
– Danke schön, Herr Kauder. – Wir schaffen Rahmenbe-dingungen, damit Frauen und ihre Familien die Kinderin guten und qualifizierten Händen wissen. Die erstenUmfragen zeigen schon, dass die neue Familienpolitikeine stärkere Berufsorientierung bei Müttern bewirkt.
Der Gesetzgeber setzt jetzt Impulse für die Gesell-schaft, um ein Umdenken aktiv zu provozieren – unddies insbesondere in der männerdominierten Unterneh-menskultur. Wir müssen der gläsernen Decke ein Endesetzen, den Aufsichtsräten in Männerhänden Adieu sa-gen. Um nichts anderes geht es.Lassen Sie uns doch bitte, werte Kolleginnen undKollegen, nicht darüber debattieren, ob jetzt 30 Prozentoder 40 Prozent Frauenquote richtig ist; denn irgend-wann sollen doch die Quote und die Debatten darüberüberflüssig sein, und das werden sie.
30 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten für börsen-notierte und voll mitbestimmungspflichtige Unterneh-men zu fordern, ist ambitioniert und setzt im aktuellenReferentenentwurf das richtige Signal. Sicherlich ist dasmehr als nur ein Quötchen. Wir binden die Unternehmenan die konkrete Umsetzung von Zielvorgaben, wir ver-pflichten sie zur transparenten Berichterstattung, und beiNichteinhaltung der Geschlechterquote droht der leereStuhl.Mit dem Antrag zum Bundesgleichstellungsgesetzgehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FraktionBündnis 90/Die Grünen, anscheinend erfreulicherweisemit uns konform; denn dazu finde ich keine Vorschlägein Ihrem Antrag. Wenn Sie sagen, unsere Regierung ma-che zu wenig in den eigenen Reihen, so darf ich Sie da-ran erinnern, dass zu Beginn der Regierungszeit IhresMinisterpräsidenten in Baden-Württemberg 27 neueStellen mit B-Besoldung geschaffen wurden und davonnur vier an Frauen vergeben wurden. Ich glaube, wirkönnen überall etwas unternehmen.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit?
Jawohl.
Ich habe das ganz sanft gesagt.
Eine erst in dieser Woche veröffentlichte Ketchum-
Umfrage belegt: Nach Ansicht der Befragten haben
Frauen in Führungspositionen ihre männlichen Kollegen
hinter sich gelassen. Sie seien die besseren Chefs. Das
sehen zumindest 58 Prozent der Deutschen so.
Ich freue mich auf den Moment, wenn es keiner Quo-
tendiskussion mehr bedarf, um Frauen dorthin zu be-
kommen, wohin sie gehören, nämlich gleichberechtigt
an die Spitze der Unternehmen.
Bitte lassen Sie uns von einem inszenierten Quoten-
horror Abstand nehmen und vielmehr Quotengeschichte
schreiben – für die Frauen, für die Firmen und für den
Fortschritt.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Zollner. – Bevor FrauMöhring das Wort hat, möchte ich Ihnen das von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der beiden namentlichen Abstimmungen bekanntgeben.Erste Abstimmung: Entwurf eines Zweiten Gesetzeszur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, Druck-sachen 18/1312, 18/1759, 18/1955 und 18/2005. Abge-gebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 463, mitNein haben gestimmt 111, Enthaltungen 1. Der Gesetz-entwurf ist damit angenommen.
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4198 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 572;davonja: 461nein: 110enthalten: 1JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinMichael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann Wadephul
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4199
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Marco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschOliver WittkeBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeitePetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBärbel HöhnNeinCDU/CSUVeronika Bellmann
Matthias HauerSylvia PantelDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
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4200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
(C)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergAnnalena BaerbockVolker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsEnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Zweite Abstimmung: Entwurf eines Gesetzes über dieAufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörig-keitsrecht, Drucksachen 18/1092, 18/1955 und 18/2005.Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 461,mit Nein haben gestimmt 108, Enthaltungen keine. DerGesetzentwurf ist abgelehnt. Damit entfällt nach der Ge-schäftsordnung die weitere Beratung.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 569;davonja: 107nein: 462JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannVeronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-Dierig
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4201
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Alexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinMichael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschOliver WittkeBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
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4202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeitePetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesSchnitt. Jetzt kommen wir wieder zur Quote oder wieauch immer man es zukünftig nennt. Also: CorneliaMöhring hat das Wort für die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Kollegin Zollner, ehrlich gestanden, findeich, dass heute genau der richtige Zeitpunkt ist, um wie-der über die Frauenquote zu reden. Das zeigen nicht nurdie vorliegenden Leitlinien der Koalition für das Gesetz-gebungsverfahren, sondern auch Ihr Diskussionsbeitrag.Darauf will ich gleich noch genauer eingehen.Der Anlass unserer heutigen Debatte ist der Gesetz-entwurf der Grünen. Ich will trotzdem die Gelegenheitnutzen, etwas zum geplanten Gesetzentwurf der GroßenKoalition zu sagen.Zuerst zu den Grünen. Ich finde es natürlich sehr gut,dass in ihrem Gesetzentwurf der Anwendungsbereichdeutlich weiter gefasst ist als im GroKo-Entwurf. UlleSchauws hat gesagt, von ihrem Gesetzentwurf seien im-merhin 3 500 Unternehmen betroffen.
Im Vorschlag der Koalition steht aber nicht „oder“ zwi-schen „börsennotiert“ und „mitbestimmungspflichtig“,sondern „und“. Dieses kleine Wörtchen macht den gro-ßen Unterschied aus. Was uns da nämlich als gleich-stellungspolitischer Meilenstein verkauft werden soll,gilt gerade einmal für 101 Unternehmen, und sie suchen– bei einer Quote von 30 Prozent – gerade einmal174 Frauen.
Ich finde, da ist der Begriff „Quötchen“ durchaus ange-bracht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4203
Cornelia Möhring
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Was die angedachten Sanktionen angeht, etwa dieDrohung mit dem leeren Stuhl: Ich sehe wirklich schon,wie die betroffenen Unternehmen in Angst und Schre-cken ausbrechen. Das, was angedacht ist, ist wirklich al-les andere als eine harte Sanktion.Ich finde aber auch, dass der Vorschlag der Grünen,eine 40-Prozent-Quote einzuführen, ebenfalls nicht weitgenug geht. Es gibt keinen Grund, warum wir uns mitweniger als der Hälfte zufriedengeben sollten.
Frauen sind keine Minderheit. Für gleiche und unteilbareMenschenrechte sind Zwischenschritte unsinnig. Vor100 Jahren kam niemand auf die Idee, den Frauen ersteinmal ein anteiliges Wahlrecht einzuräumen. Die Linkebleibt dabei: Wir wollen 50 Prozent.
Ein weiterer Punkt. Die Grünen fordern so wie dieBundesregierung die Quote für Aufsichtsräte, aber nichtfür Vorstände. Doch genau dort spielt die Musik.
In den Vorständen werden die weitreichenden Entschei-dungen getroffen. Deswegen brauchen wir eine verbind-liche Quote für alle Führungsetagen, erst recht, wennman ein Gesetz „Führungskräftegesetz“ nennt.
– Darüber können wir gerne an anderer Stelle diskutie-ren.
Hier geht es um die gleiche und ungleiche Verteilungvon Ressourcen in unserer Gesellschaft, wofür der Bun-destag die Zuständigkeit besitzt. Es geht nicht um unsereFraktion.Noch ein paar ganz grundsätzliche Anmerkungen. So-wohl im vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen alsauch im Gesetzentwurf der Bundesregierung, soweit eruns bekannt ist, sind alle Regelungen geschlechtsneutralformuliert. Da mittlerweile sogar von einer Geschlech-terquote gesprochen wird, möchte ich hier ganz explizitnoch einmal auf den Sinn einer Frauenquote eingehen.Frauenquoten wurden hier und in anderen Ländern auseinem einzigen Grund auf die politische Agenda gesetzt:Es gibt eine sichtbare Diskriminierung von Frauen inFührungsetagen – und nicht nur dort. Frauen wird dergleichberechtigte Zugang zu gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Entscheidungen verwehrt. Mit der Frauen-quote sollte diesen Zuständen so lange auf den Leib ge-rückt werden, bis die Gleichstellung auch wirklich in derPraxis ankommt.
Es geht nämlich nicht, auch wenn das hier teilweisedurchklingt, um den Ausgleich zufällig zusammenge-setzter Gremien, wo einmal Frauen und einmal Männerin der Mehrheit oder Minderheit sind. Frauen sollennicht deshalb vertreten werden, weil sie irgendwelchegeheimnisvollen Befähigungen haben oder anders mitknappen Ressourcen und ungelösten Herausforderungenumgehen. Auch wenn es manche erstaunen mag: Frauensind nicht die besseren Menschen. Sie haben aber dasgleiche Recht auf Beteiligung an wirtschaftlichen undpolitischen Entscheidungen.
Die Frauenquote ist einzig und allein eine Antidiskrimi-nierungsmaßnahme. Erst wenn das Geschlecht bei Ein-stellungen und Beförderungen keine Rolle mehr spielt,Frau Zollner, wird die Quote überflüssig.Eine strukturelle Diskriminierung von Männern gibtes jedoch nicht. Männer sind in Führungsetagen und inder Politik nicht unterrepräsentiert. Wofür bräuchten siedann eine gezielte Förderung?Deswegen teile ich auch die Kritik der Gleichstel-lungsbeauftragten der Bundesministerien, die völlig be-rechtigt auch das Quotengesetz der Großen Koalitionkritisieren, weil jetzt im öffentlichen Bereich ein echterRückschritt wartet. In der Novelle zum Bundesgleich-stellungsgesetz wird die Frauenförderung ohne Not ineine Männer- und Frauenförderung umgewandelt. Män-nerförderung ist aber – da müssen jetzt einige ganz tap-fer sein – tatsächlich in der Gleichstellung noch nicht an-gesagt. Die gesellschaftliche Realität liefert andereAusgangsbedingungen. Der Anteil von Frauen in Vor-ständen beträgt 5,7 Prozent, in Parlament und Politik30 Prozent. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen.87 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 80 Pro-zent aller unbezahlten Tätigkeiten werden von Frauenausgeführt. Ich meine, da muss doch bei Ihnen mal wasklingeln. Wer so tut, als würden wir Gleichstellungdurch die Förderung des jeweils unterrepräsentierten Ge-schlechts erreichen, der hat das Klingeln nicht gehörtund verkennt die gesellschaftliche Realität.
Erinnern wir uns immer an die Worte von GretheNestor, die sagte: Die größte Gefahr für die Gleichbe-rechtigung ist der Mythos, wir hätten sie schon.Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin.Ich muss leider etwas korrigieren; denn bei uns gab eseinen Zahlendreher.
– Das hat aber nur ein Einziger von Ihnen gemerkt. Ei-gentlich war es ja ein Test. Sie haben es gemerkt. Wir
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4204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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haben nämlich den Gesetzentwurf der Linksfraktionnicht mehrheitlich angenommen. Da gab es einen Zah-lendreher. Deswegen möchte ich das Ergebnis noch ein-mal bekannt geben.Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung der Op-tionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksa-chen 18/1092, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stim-men 569.
Mit Ja haben gestimmt 108, mit Nein haben gestimmt461. – Es ehrt den Parlamentarischen Geschäftsführerder Linken, dass er es gesagt hat.
Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.
Nächste Rednerin in der Debatte: Birgit Kömpel fürdie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin Roth! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wir be-grüßen den Gesetzentwurf der Grünen. Ja, Sie habenrichtig gehört. Wir begrüßen den Gesetzentwurf, weilwir ihn als Rückendeckung für die Regierungspläne se-hen, eine gesetzliche Quote für Aufsichtsräte einzufüh-ren.
Es macht allerdings überhaupt keinen Sinn, um das„wie hoch“ und „wie weitreichend“ und „wie umfas-send“ zu debattieren. So kommen wir nicht weiter. Wirmüssen konkret etwas tun, meine Damen und Herren.Der Fuß in der Tür ist allemal besser als eine verschlos-sene Tür. Unsere Idee „Für eine gleichberechtigte Teil-habe von Männern und Frauen an Führungspositionen inder Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ machtunser gemeinsames und, ich hoffe, unser aller Anliegennicht nur konkret. Sie macht es erstmals auch real. Undgenau das ist es, was wir brauchen. Wir brauchen Fak-ten. Wir brauchen konkrete Schritte. Es muss endlich et-was passieren. Die Zeiten der Appelle sind vorbei.13 Jahre freiwillige Regelungen waren erfolglos. Nein,schlimmer: Sie waren ein erneuter Freifahrtschein fürunsere Unternehmen, die doch wieder fast ausschließlichMänner in die Führungsetagen geholt haben. 2013 warennur 15,1 Prozent der Führungspositionen der Top-200-Unternehmen in Deutschland mit Frauen besetzt. Das istsehr schade, und das müssen wir ändern.Aber worum geht es eigentlich? Worum geht es unsgenau? Es geht darum, dass die Vormachtstellung derMänner in der Wirtschaft und in der Verwaltung gebro-chen werden muss. – Herr Kauder; wenn Sie vielleichtbitte zuhören würden.
Es ist ein wichtiges Thema. Es wäre schön, wenn Sie zu-hören würden. – Danke.
Es geht um Macht. Es geht um Geld.
Und es geht um Einfluss. Davon trennt sich niemandfreiwillig, schon gar nicht, wenn er in der Chefetage an-gekommen ist. Das wäre etwa so, als würden Sie mit Fi-schen über die Trockenlegung des Teichs verhandeln.Deswegen – genau deswegen! – kommt die Quote.Wenn uns das Beispiel Norwegen, wo die Quote vorzehn Jahren eingeführt wurde, eines gelehrt hat, danndas: Kein Erfolg ohne gesetzlich bindende Quote.
Es wird einfach höchste Zeit. Nur ganz kurz zur Erin-nerung: Es studieren in Deutschland heute mehr Frauenals Männer. Häufig schließen sie ihr Studium auch er-folgreicher ab als ihre männlichen Mitstreiter. Frauensind häufig auch besser qualifiziert als ihre männlichenKollegen.Nur, warum spiegelt sich das nicht eins zu eins in un-seren Führungsetagen wider?
Ich habe eine Idee. Ich denke, es gibt noch viel zu vielekonservative Rollenbilder bei uns im Land. Wir trauenunseren Frauen zu, dass sie unsere Kinder erziehen– eine sehr stressige und höchst anspruchsvolle Aufgabe,wie ich aus eigener Erfahrung weiß –
– und wertvoll; vielen Dank –, aber wir unterstellen un-seren Frauen, dass sie keine Lust an der Macht, keinenGefallen am Führen und keine Freude am Entscheidenhaben.Gleiches gilt übrigens für Männer im Hinblick auffamiliäres Engagement. Deshalb behaupte ich: Wir brau-chen zum Beispiel auch familienfreundliche Arbeits-zeiten. Viele junge Männer möchten mehr Zeit mit ihrerFamilie verbringen. Unsere Frauen möchten nicht mehrdie Nachteile in der Karriere hinnehmen, nur weil sieTeilzeit arbeiten.Politik und Wirtschaft sollen sich bitte schön nach un-seren Menschen im Land richten. Wir von der Politik tundies, und zwar mit der Einführung einer Quote.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4205
Birgit Kömpel
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Wir fangen endlich an.Wenn Frauen in den Aufsichtsräten angekommensind, dann werden diese Frauen sich auch dafür einset-zen, dass mehr Gleichberechtigung bei der Besetzungvon Vorstandsposten herrscht; davon bin ich überzeugt.Dann – da bin ich mir auch sicher – wird sich die Tatsa-che, dass es noch nie so viele so gut ausgebildete Frauenwie heute gab, auch in unseren Chefetagen widerspie-geln, meine Damen und Herren.
Dann werden hoffentlich weder Männer noch FrauenNachteile für ihre Erwerbsbiografien befürchten müssen,nur weil sie sich auch in familiärer Hinsicht engagieren.Also: Her mit verbindlichen gesetzlichen Regeln!
Wie gehen wir vor? Im Wesentlichen in drei paralle-len Schritten: Schritt eins ist eine verbindliche Ge-schlechterquote von mindestens 30 Prozent für Auf-sichtsräte. Schritt zwei ist die Verpflichtung fürbörsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, ver-bindliche Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände undoberste Managementebene festzulegen. Schritt drei istdie Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes –übrigens etwas, was in Ihrem Gesetzentwurf völlig fehlt,liebe Freundinnen und Freunde von den Grünen.
Ganz wichtig ist mir dabei, zu betonen, dass wir unsmit unseren Regierungsplänen nicht mehr überwiegendan Frauen richten – ich komme zum Schluss –, sondernan Männer und Frauen gleichermaßen. Es geht um echteGleichberechtigung, um echte Chancengleichheit. Wirmachen Schluss mit Geschlechterstereotypen. Wiemeine allseits geschätzte Kollegin aus dem hohen Nor-den immer sagt: Anpacken, nicht schnacken!Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Ursula Groden-
Kranich für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Als ich vom Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen zur geschlechtergerechten Besetzung von Auf-sichtsräten, Gremien und Führungsebenen erfuhr, warich erstaunt. Zum einen liegt zu diesem Thema bereitsder Entwurf des Familienministeriums vor. Er setzt dieentsprechenden Vereinbarungen der Regierungsparteienaus dem Koalitionsvertrag um und trägt damit den jahre-langen Forderungen ganz unterschiedlicher politischerParteien und Verbände nach einer Frauenquote Rech-nung.
Offensichtlich ist der Tenor dieser Vorlage der Grünen,die sie in Rheinland-Pfalz in ähnlicher Form vorgelegthaben: Ja, es ist ein Fortschritt, aber er genügt uns nicht. –Frei nach dem Sportlermotto: Schneller, höher, weiter.Es ist zwar legitim, noch mehr Fortschritt zu fordern,aber idealerweise doch erst dann, wenn geplante und alsrichtig erkannte Schritte überhaupt erst einmal umge-setzt sind.
Wir sollten erst einmal den vorliegenden Entwurf derRegierung umsetzen, die 30-Prozent-Quote erfüllen.Dann können wir gerne die 40 Prozent oder wie viel Pro-zent auch immer als nächstes Ziel anpeilen.
Meine Überzeugung ist – das belegen mannigfaltigeStudien aus europäischen Ländern, die in Sachen Quoteschon mehr Erfahrungen haben –, dass eine einmal ein-geführte Frauenquote in sehr vielen Fällen dazu führt,dass sich der Frauenanteil mit der Zeit fast automatischnoch weiter erhöht, sogar über die anfangs vorgegebeneZielgröße hinaus.Der Gesetzentwurf der Grünen und die Forderungnach einer Frauenquote von 40 Prozent hat mich aberaus einem anderen Grund noch sehr viel mehr verwun-dert, den man mit dem Sprichwort zusammenfassenkönnte: Erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. –Ich komme aus Rheinland-Pfalz, das bekanntlich einerot-grüne Landesregierung hat.
In den Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit Landes-beteiligung ist eine Frauenquote von 40 Prozent, mildeausgedrückt, ein frommer Wunsch und ein geradezu uto-pisch weit entferntes Ziel. Oder ist Ihr Gesetzentwurf derWunsch an Ihre eigenen Vertreterinnen in den Landes-regierungen,
doch – neben der Ministerinnenebene – an die eigenenfrauenpolitischen Ansprüche zu erinnern? Ich darf Ihnenein paar Zahlen nennen und beziehe mich auf die KleineAnfrage 1116 von CDU-Landtagsabgeordneten vom27. September 2012: Von 146 Mitgliedern, die vomLand Rheinland-Pfalz in Aufsichtsgremien von Gesell-schaften mit Landesbeteiligung entsandt wurden, waren119 männlich und 27 weiblich. Das entspricht einemFrauenanteil von 18,49 Prozent.
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4206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Ursula Groden-Kranich
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– Ja, da müssen Sie jetzt durch. Ich kann Ihnen nicht hel-fen.
Insgesamt gab es in den entsprechenden Aufsichtsgre-mien 258 Mitglieder, davon 221 männliche und 37 weib-liche.
– Rheinland-Pfalz, Frau Künast.
Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichtweiter mit Zahlenkolonnen langweilen,
:
Ah!)aber ich denke, die Tendenz ist klar geworden: Die meis-ten der genannten Frauenanteile lagen weit unter 20 Pro-zent.Die rheinland-pfälzische SPD und die rheinland-pfälzischen Grünen haben vor ziemlich genau einemJahr in einem Antrag, den wir jetzt hier wortgleich vor-liegen haben, dies gefordert. Zwischen Wunsch undWirklichkeit bzw. zwischen Antrag und Umsetzungklafft in dieser Frage eine große Lücke.Ich komme auf meinen Punkt zurück, den ich vorhinangesprochen habe. Bevor wir uns damit befassen, wiewir den Frauenanteil auf 40 Prozent anheben können,sollten wir uns zuerst einmal an das leider an manchenStellen weit entfernte Ziel der 30-Prozent-Quote machenund überall dort handeln, wo wir selbst dazu in der Lagesind, auch in Rheinland-Pfalz und auch die Grünen.
Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin durchaus ausvielen Gründen auch davon überzeugt, dass wir eineQuote brauchen,
und wünschte mir oft an vielen Stellen mehr partner-schaftliches Miteinander von Mann und Frau, nicht nurin der Politik, sondern auch im Leben und im Beruf.
– Ja, Frau Künast, ich überrasche immer.
Das werden wir nachhaltig aber nicht durch Quoten,sondern durch ein Umdenken in der Gesellschaft insge-samt erreichen. Wir brauchen die Quote, aber wieschnell und weit der tatsächliche Frauenanteil in Auf-sichtsräten, Gremien und anderen Führungsebenenwachsen wird und ob wir vielleicht sogar in absehbarerZeit die 30-Prozent-Quote übertreffen, hängt auch vonuns ab, davon, wie wir dies in der Praxis leben und waswir als Politikerinnen vormachen.Einen schönen Tag.
Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. –
Nächste Rednerin in der Debatte: Christina Jantz für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen sind zweiEigenschaften, die Frauen in der Geschichte ihres parla-mentarischen Wirkens immer wieder beweisen mussten.Der Passus „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes kam 1949beispielweise nur zustande, nachdem die Sozialdemo-kratin Dr. Elisabeth Selbert über mehrere Jahre dafürkämpfte.
Nachdem die Gleichberechtigung in das Grundgesetzaufgenommen wurde, passierte allerdings erst einmalnichts. Wieder waren es die Frauen, die innerhalb derVerfassungskommission 1994 – das Datum ist schonangesprochen worden – eine Ergänzung des besagtenArtikels bewirkten. Seitdem heißt es dort weiter:Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteilehin.Seit diesem imperativen Auftrag an den Gesetzgebersind nun weitere 20 Jahre vergangen. Was ist seither pas-siert? Wieder nichts. Die ehemalige FamilienministerinKristina Schröder hatte in der letzten Legislaturperiodeversucht, über die sogenannte Flexi-Quote mehr Frauenin Führungspositionen zu bringen. Es sollte eine freiwil-lige Selbstverpflichtung geben. Die Resonanz bei denDAX-Unternehmen – meine Damen und Herren, Siewissen es – war gering. Manche würden sogar sagen: Siewar so gut wie nicht messbar.Meine Damen und Herren, ein nüchterner Blick aufdie Zahlen verdeutlicht: Der Anteil weiblicher Füh-rungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirt-schaft und der Bundesverwaltung hat sich in den letztenJahren kaum verändert. 2013 lag die Frauenquote inAufsichtsratspositionen bei 15,3 Prozent. Das entsprichteiner Erhöhung von 0,2 Prozentpunkten im Vergleich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4207
Christina Jantz
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zum Vorjahr. Hier von einer echten Steigerung zu reden,wäre blanke Ironie.
Die zahlenmäßige Gleichstellung in Aufsichtsrätenwürde damit noch über 150 Jahre auf sich warten lassen.Für mich ist eindeutig: Die Gleichstellung von Frauenund Männern in Führungsebenen bedarf einer klaren ge-setzlichen Regelung.
Seien wir ehrlich: Der Appell an die Unternehmen,freiwillig zu handeln, ist doch kläglich gescheitert.
Die krasse Unterrepräsentanz von Frauen kann heuteauch nicht mehr mit einem mangelnden Qualifikations-niveau gerechtfertigt werden. Die Zahl qualifizierterFrauen in Deutschland hat in den vergangenen Jahrenstetig zugenommen. Knapp 33 Prozent aller Frauenhaben heutzutage einen Hochschulabschluss, bei denMännern liegt diese Quote mit 31 Prozent darunter. Esist gesellschaftspolitisch nicht zu erklären, dass Frauen,die über 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschlandausmachen, immer noch an die sogenannte gläserne De-cke stoßen. Vor diesem Hintergrund besteht zwingenderpolitischer Handlungsbedarf, wenn der verfassungs-rechtliche Auftrag zur gleichberechtigten Teilhabe vonFrauen und Männern an Führungspositionen tatsächlicherfüllt werden soll. Daher begrüße ich es ausdrücklich,dass die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesiggemeinsam mit Bundesjustizminister Heiko Maasbereits im März Leitlinien eines Gesetzesvorhabens füreine gerechte Teilhabe von Frauen an Führungspositio-nen vorgelegt hat.
Der Gesetzentwurf wird in den kommenden Monatenim Bundeskabinett beratschlagt werden. Für uns als SPDist dabei klar, dass wir im darauf folgenden Gesetzge-bungsverfahren nicht von den im Koalitionsvertrag ver-einbarten Zielen abrücken werden.
Werte Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin,Frau Kömpel, hat es vorhin schon kurz umrissen. Wirwollen erstens die bereits im Koalitionsvertrag zuge-sagte Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent fürAufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert undvoll mitbestimmungspflichtig sind – mit klaren Sanktio-nen.
Denn wird die Quote nicht erreicht, bleibt der Aufsichts-ratsstuhl leer. Die sogenannten Europa-AGs sollten hiernach Möglichkeit nicht ausgespart werden.
Wir wollen zweitens eine Verpflichtung zur Festle-gung von Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände undoberste Managementebenen. Das beträfe immerhin über3 500 Unternehmen. Zudem müssen Konzepte und Be-richte veröffentlicht werden, denn so wird der benötigteöffentliche Druck aufgebaut.Wir wollen drittens die dringend notwendige Novel-lierung des Bundesgleichstellungsgesetzes und die Stär-kung der Rechte der Gleichstellungsbeauftragten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen, Sie sehen: Wir ähneln uns in unserenVorstellungen,
insbesondere in unseren Zielen. Gleichwohl bin ich derMeinung, dass wir die Quote fest vorgeben und diesenicht in Relation zur Geschlechterverteilung in der Ar-beitnehmerschaft eines Unternehmens setzen sollten.Mit den von unseren Ministerien entwickelten Eck-punkten sind wir hier auf dem richtigen Weg. Das Geset-zesvorhaben wird noch in diesem Jahr auf den Weg ge-bracht, damit das Gesetz 2015 in Kraft treten kann.
Frau Kollegin Jantz, Sie denken an die Redezeit, die
vereinbart wurde?
Gerne. – Wir als SPD werden zeigen, dass dank der
eingangs beschriebenen Hartnäckigkeit und unseres
Durchsetzungsvermögens am Ende ein Gesetz stehen
wird, das die Gleichstellung in Deutschland tatsächlich
voranbringt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Gestatten Sie mir als Hahn im Korb
– so kann man es auch sagen, Frau Künast –, am Endeder Debatte einen ausschließlich juristischen Blick aufdie Sachlage zu werfen.
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4208 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Alexander Hoffmann
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Im Kern geht es um die Frage der Vereinbarkeit ent-sprechender Quotenregelungen mit dem Verfassungs-recht, den Grundrechten und den EU-Grundfreiheiten.Bei der Beurteilung der Frage ist entscheidend, welcheArt der Quote vorliegt. Man unterscheidet drei Arten:Erstens: eine absolute Frauenquote, also das Errei-chen eines bestimmten Prozentsatzes unabhängig vonder Frage, ob die Frauen gleichermaßen qualifiziert undgeeignet sind wie männliche Mitbewerber.
Eine solche absolute Frauenquote sehen Sie in IhremGesetzentwurf vor, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen.Zweitens gibt es die relative Quote. Hier wird das Er-reichen von vornherein unter den Vorbehalt gestellt, dassfür die Besetzung der Stelle Frauen zur Verfügung ste-hen, die ebenso geeignet sind.Das dritte diskutierte Modell ist eine starre Ge-schlechterquote, die aber eine Öffnungsklausel für denFall enthält, dass nicht genügend qualifizierte Frauen zurVerfügung stehen.Um es vorwegzunehmen: Während viel dafür spricht,dass eine relative Quote bzw. eine starre Quote mit Öff-nungsklausel und wohl auch die Variante des Referen-tenentwurfes verfassungskonform ausgestaltet werdenkönnen, ist die absolute Quote, die Sie hier in Ihrem Ge-setzentwurf fordern, nach Ansicht vieler Staatsrechtlerund Verwaltungsrechtler und auch nach der Rechtspre-chung wohl verfassungswidrig. Denn er verstößt gegendas Grundgesetz und auch gegen europäische Grundfrei-heiten.
– Hören Sie zu! Es kommt gleich.Eine absolute Frauenquote greift zunächst einmal inden Schutzbereich des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetzein, denn Sie benachteiligen dadurch einen Mann auf-grund seines Geschlechts. Das ist grundsätzlich natürlichjeder Quote zueigen. Es liegt weiterhin ein Eingriff inArtikel 12 Absatz 1 Grundgesetz vor, denn Sie beschrän-ken die Freiheit der Berufswahl beim unterlegenenmännlichen Mitbewerber. Sie beschränken außerdem diegrundrechtlich geschützte Freiheit der betroffenenUnternehmer bzw. Anteilseigner in ihren Grundrech-ten auf Berufsausübungsfreiheit nach Artikel 12 Ab-satz 1 Grundgesetz und auf Eigentumsfreiheit nach Arti-kel 14 Grundgesetz. Letztendlich tangieren Sie auch dasGrundrecht auf Vereinigungsfreiheit nach Artikel 9 Ab-satz 1 Grundgesetz, welches auch – –
– Hören Sie doch zu! Es ist eine einmalige Chance. Ichhabe mir wirklich Mühe gemacht.
Wenn Sie das Thema Frauenquote ernstlich verfolgen,dann haben Sie jetzt die Chance, zuzuhören, mitzu-schreiben und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ver-fassungskonform ist.
Sie tangieren also das Recht auf Vereinigungsfreiheit,welches auch das Recht auf Selbstbestimmung überGründung, Organisation und Verfahren der Mitbestim-mung erfasst. Da Ihr Entwurf auch § 7 des Mitbestim-mungsgesetzes ändern möchte, um für Gewerkschafts-vertreter eine feste Quote einzuführen, greifen Siezudem in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit in Arti-kel 9 Absatz 3 Grundgesetz ein.All diese Eingriffe – und das ist jetzt wichtig – könn-ten selbstverständlich zu rechtfertigen sein mit der denStaat treffenden Gleichstellungspflicht – sie ist geregeltin Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz –, aber immernur dann, wenn eine ebenso geeignete Mitbewerberinvorhanden ist.
Verfassungskonform ist eine Quote dann nicht, wennals einzige Mitbewerberin eine Frau in Betracht kommt,die deutlich geringer qualifiziert ist und dennoch denVorzug erhält. Gerade für diese Variante, meine Damen,meine Herren von den Grünen, sieht Ihr Entwurf jedochweder eine Relativierung noch eine Öffnungsklausel vor,weshalb er gegen das Grundgesetz verstößt.
All das von mir Gesagte ist keine freie Erfindung,sondern geht zurück auf die Rechtsprechung des Euro-päischen Gerichtshofes.
Gemäß EuGH sind Frauenquoten nur dann verfassungs-und europarechtskonform, wenn sie erstens einen Be-reich betreffen, in dem Frauen unterrepräsentiert sind,wenn zweitens die Regelung den Frauen nur dann denVorrang einräumt, wenn sie gleichermaßen qualifiziertund geeignet sind, und wenn drittens eine Härtefallrege-lung für den Fall formuliert ist, dass in der Person desmännlichen Bewerbers besondere persönliche Gründevorliegen, eine Behinderung zum Beispiel, die unterUmständen überwiegen. All das regelt Ihr Entwurf nicht.Die genannten Voraussetzungen hat der EuGH im Be-reich des öffentlichen Dienstes entwickelt. Sie müssenalso umso mehr für den Bereich der Privatwirtschaft gel-ten, der mit weitaus mehr Grundrechten durchdrungenist.Ihre Idee der Nichtigkeit von Beschlüssen nicht quo-tengerecht besetzter Aufsichtsräte – das ist Ihr neuer
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4209
Alexander Hoffmann
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§ 255 a des Aktiengesetzes – geht viel zu weit. Ihr Ge-setz zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungs-ebenen ist zu unbestimmt, wenn Sie Zuwiderhandlungenim dortigen § 5 noch mit Ordnungswidrigkeiten belegen.Zu guter Letzt: Das Gleichstellungskonzept zielt auchauf eine Quote für Vorstände ab. Da aber ein Vorstandvon den Aufsichtsräten besetzt wird, müssten Sie zu-nächst einmal abwarten, ob eine Quotenregelung in denAufsichtsräten nicht mittelfristig dazu führt –
Herr Kollege Hoffmann, darf ich auch Sie an die ver-
einbarte Redezeit erinnern?
– danke; das ist schon das Ende, Herr Präsident –,
dass die Vorstände im Laufe der Zeit zunehmend von
Frauen besetzt sind. Ein Grundrechtseingriff muss im-
mer das letzte Mittel sein.
Aufgrund meiner Ausführungen werden Sie Ver-
ständnis dafür haben, dass wir Ihren Gesetzentwurf nicht
mittragen können.
Wenn die Wirtschaft nicht liefert, müssen wir eine Rege-
lung finden; dann aber bitte verfassungskonform.
Vielen Dank.
Damit ist die vereinbarte Rednerliste abgearbeitet.
– Ja, die Rednerinnen waren deutlich in der Mehrheit.
Jetzt kommen wir zur interfraktionellen Überweisung
des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1878 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Feder-
führung ist allerdings strittig. Die Fraktionen von CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Fraktio-
nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen
die Federführung beim Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz.
Deshalb werden wir darüber abstimmen.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen, also über die Federführung beim Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz. Wer dies möchte, den
bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist dieser Überweisungsvor-
schlag mit den Stimmen der Großen Koalition gegen die
Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Fe-
derführung beim Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist
dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der
Großen Koalition gegen die Stimmen der Opposition an-
genommen.
– Bei Enthaltung des Kollegen Wunderlich.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur
der Rentenüberleitung beheben
Drucksache 18/1644
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
, Caren Lay, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Angleichung der Renten in Ostdeutschland an
das Westniveau sofort auf den Weg bringen
Drucksachen 18/982, 18/1994
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass das
so beschlossen ist.
Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile das
Wort dem Kollegen Roland Claus, Die Linke.
Herr Präsident! Vielen Dank für das präzise Vorlesenunserer guten Antragsüberschriften.
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Roland Claus
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Meine Damen und Herren! Wir beraten in der Tatüber zwei verschiedene Anträge der Linken zur Rente imOsten oder – besser – zur Rente von Ostdeutschen. Ab-schließend werden wir über einen Antrag zur Rentenan-gleichung in Ost und West entscheiden. Wir sagen Ihnenganz deutlich: Es geht uns um nicht mehr und nicht we-niger als um die Anerkennung gleicher Lebensleistungenin Form von gleichen Renten, meine Damen und Herren.
Wir verlangen dazu die namentliche Abstimmung, um inallen Wahlkreisen der Bundesrepublik kenntlich zu ma-chen, wie sich einzelne Abgeordnete dazu verhalten ha-ben.Einführend werden wir über einen Antrag beraten, derLücken und Rückstände bei der Rentenüberleitung zwi-schen dem Rentenrecht der Deutschen DemokratischenRepublik und dem Rentenrecht der Bundesrepublik the-matisiert. Ja, meine Damen und Herren auf den Tribü-nen, Sie haben richtig verstanden: Es gibt solche Lückennoch immer –
24 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit und im-mer zum Nachteil der Betroffenen. Genau das will dieLinke ändern.
Fangen wir mit der Rentenangleichung an. Das warbekanntlich ein Versprechen der Vorgängerkoalition undein ganz persönliches Versprechen von BundeskanzlerinMerkel. Es folgte ein glatter und vollständiger Vertrau-ensbruch. Heute schreiben Sie in Ihre Koalitionsverein-barung, Sie wollten im Jahre 2016 einmal prüfen, wassich denn da so getan hat. Meine Damen und Herren, dasist blanker Zynismus. Das kann man so nicht hinneh-men.
Unser Antrag spricht für sich und für die Betroffe-nen dieses Rentenunrechts. Ich will nur einen einzigenFakt hervorheben. Es sind im Monat durchschnittlich100 Euro weniger, die eine Ostrentnerin gegenüber ei-nem Westrentner erhält. Das sind 100 Euro im persönli-chen Budget. Aber es sind auch 100 Euro, die für eineGerechtigkeitslücke sprechen, die wir so nicht mehr hin-nehmen wollen, meine Damen und Herren.
Ich will mich mit ein paar Gegenargumenten aus-einandersetzen, die ich gelegentlich zu hören kriege. Dawird mir gesagt: Wenn man die Rentenformel pur wir-ken ließe, also wenn man die Hochwertung aussetzte,könnte das Gegenteil des Beabsichtigten eintreten: DieOssis könnten weniger bekommen.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Das isteine völlig falsche Logik. Nach dieser Logik hätte diePolitik einer Rentenformel, also einer Berechnungs-grundlage zu folgen. Nach unserem Verständnis vonPolitik folgen Berechnungsverfahren aber der Politik. Soherum muss es sein.
Herr Kauder, der Volksmund hat für Ihre Deutungsho-heit einen wirklich schönen Spruch gefunden: Hier wa-ckelt der Schwanz mit dem Hund. – Genau so ist das.
Zuweilen höre ich, die Linke wolle schon wieder ei-nen Schnellschuss. Als Schnellschuss bezeichnet manbekanntlich eine voreilige Handlung mit bösen Folgen.Ich bitte Sie! Im 24. Jahr der deutschen Einheit von einervoreiligen Handlung zu sprechen, wenn wir Rentenge-rechtigkeit verlangen, das ist doch nicht zu fassen.
Gelegentlich höre ich auch den Einwand, die Linkestelle diesen Antrag alle Jahre wieder. Was denken Siedenn? Jahr für Jahr werden Hoffnungen enttäuscht undVersprechen gebrochen. Und dazu sollen wir schwei-gen? Wovon träumen Sie eigentlich nachts?
Wir werden Ihnen diesen Antrag immer und immer wie-der vorlegen.Mit dem Antrag zu Lücken und Versäumnissen beider Rentenüberleitung weisen wir auf circa 15 Betroffe-nengruppen hin, die bisher vergeblich auf Rentengerech-tigkeit warten. Ich will nur wenige Beispiele nennen:Am 26. Juni dieses Jahres trafen sich in MagdeburgFrauen des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauenzum 15. Jahrestag ihres gemeinsamen Engagements.Feierlaune ist dabei nicht aufgekommen; denn es warenfür sie 15 Jahre ohne Ergebnis, und gedacht haben sievieler inzwischen Verstorbener.Beschäftigte im Gesundheitswesen der DDR, Lehre-rinnen und in der Braunkohleveredlung tätige Bergleutewarten vergeblich auf Renten, mit denen ihre Lebens-leistung anerkannt wird. Wir wollen nicht vergessen:Gelebtes Leben lässt sich nicht wiederholen. Man kannnicht noch einmal von vorne anfangen.Schließlich sind da noch die aus der DDR Geflüchte-ten, Ausgereisten und Abgeschobenen. Diese Menschenhatten ihre Gründe, die DDR zu verlassen. Aber Anfangder 90er-Jahre wurden sie via Rentenrecht wieder zuDDR-Bürgern gemacht.
Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Flüchtlingewaren nur so lange willkommen, wie sie als Kronzeugengegen die DDR gut zu gebrauchen waren. Dazu sagen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4211
Roland Claus
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wir Ihnen: Machen Sie in dieser Frage vor dem 9. No-vember dieses Jahres reinen Tisch.
Sie dürfen dabei Folgendes nicht vergessen: Im Ostenist die gesetzliche Rente meistens das einzige Einkom-men. Das wird bei Ost-West-Rentenvergleichen häufigvergessen. Dabei geht es nicht nur um die heutigen, son-dern auch um viele künftige Rentnerinnen und Rentner.24 Jahre deutsche Einheit und 25 Jahre Mauerfall –diese Gedenktage stehen demnächst ins Haus. Wir sagenIhnen: Nicht nur Sonntagsreden halten, sondern endlichRentengerechtigkeit schaffen! Das ist das Gebot derStunde, und heute haben Sie die Chance dazu.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-
gin Jana Schimke, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ichteile ja Ihre Auffassung, dass nicht nur die politische,sondern auch die soziale Einheit Deutschlands zu dengroßen Aufgaben vergangener, derzeitiger und künftigerTage zählt. Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass Ihnenvon Mecklenburg bis Thüringen noch irgendjemand ab-nimmt, dass es in Deutschland keine soziale Einheit gibtund Altersarmut vorherrscht?
Das ist nicht so. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Mitdem Rentenüberleitungsgesetz – wohlgemerkt einer derwichtigsten sozialpolitischen Regelungen der deutschenEinheit überhaupt – wurden nach der Wiedervereinigungdie Bestimmungen zur gesetzlichen Rentenversicherungauf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Im Grundsatzwurde damit ein einheitliches Rentenrecht hergestellt,das aber auch folgende Regelung beinhaltete: Bis zurHerstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse sindunterschiedliche Rechengrößen und Verfahrensweisenfür die neuen und alten Bundesländer vorgesehen.Diese heute noch geltenden Unterschiede bei der Be-rechnung der Renten hatten und haben gute Gründe.Denn bei der Ermittlung der Lebensverhältnisse in Ostund West stellt man fest: Es ist eben noch nicht allesgleich. Wir sind deshalb gut beraten, nicht vorschnell indie Rentenformel einzugreifen. Doch ich erinnere daran,dass es in Deutschland nicht nur Unterschiede zwischenOst und West, sondern auch Unterschiede zwischenNord und Süd gibt. Deshalb sollte man nicht herumtö-nen, sondern es kommt darauf an, konkret an den Stär-ken der Regionen zu arbeiten und sie zu fördern. Genaudaran arbeiten wir.
Um der Legendenbildung vorzubeugen, meine Da-men und Herren, möchte ich Ihnen gerne ein paar klar-stellende Zahlen nennen. Zwischen 1991 und 2008 stie-gen die Renten im Osten um sage und schreibe116 Prozent und in den alten Bundesländern um 25 Pro-zent. Die Renten in Ostdeutschland werden heute immernoch um 18 Prozent hochgewertet, und bei gleichemBruttogehalt gibt es im Osten einen höheren Rentenwertals im Westen. Deshalb sollten wir auch auf die Erfolgeschauen, die wir bereits erzielt haben.In der Politik kommt es ja oft darauf an, ob das Glas,wie bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von derLinkspartei, halb leer ist oder ob es, wie es bei uns derFall ist, halb voll ist. Bei Ihnen ist es ein Skandal, dass eszwischen dem Rentenniveau Ost und dem RentenniveauWest einen Unterschied von gerade einmal noch 7,8 Pro-zent gibt. Wir hingegen sind stolz darauf, dass wir dasRentenniveau in den neuen Ländern im Vergleich zudem in den alten Ländern zum 1. Juli dieses Jahres auf92,2 Prozent angehoben haben.
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Der Pro-zess der Wiedervereinigung ist ein gesamtgesell-schaftliches Jahrzehnteprojekt. Es wird nicht vonheute auf morgen umgesetzt, sondern das erfordertJahre und Jahrzehnte. Diese Aufgabe ruft auch Problemehervor und läuft sicherlich nicht spannungsfrei ab. Aberwir sind auf dem richtigen Weg und fast am Ziel. Auchdeshalb haben wir im Koalitionsvertrag die vollständigeAngleichung der Renten in Ost- und Westdeutschlandvereinbart und einen Fahrplan mit einem angemessenenZeitraum festgelegt. Wir werden die Renten bis 2020 an-gleichen. Dies bleibt eines unserer wichtigsten Ziele,liebe Kolleginnen und Kollegen.Daran erkennt man aber auch – jetzt wird es interes-sant – die rückwärtsgewandte Politik und Sicht der Lin-ken auf die Ostdeutschen.
Es werden scheinbare Ungerechtigkeiten identifiziertund bereits erzielte Fortschritte verklärt. Und: Sie ver-kennen die großen Fragen der Zukunft in den neuenBundesländern. Ich denke, das kann ich als junge Abge-ordnete aus den neuen Bundesländern mit gutem Gewis-sen sagen. Da spreche ich nicht nur für meine Genera-tion, sondern vor allen Dingen auch für die Generationenmeiner Eltern und meiner Großeltern.
Künftig wird es um folgende Fragen gehen: Wie kön-nen wir die ostdeutsche Wirtschaft und den jungen Mit-telstand weiter stärken, gerade vor dem Hintergrund desAuslaufens des Solidarpaktes? Wie sichern wir den Le-bensstandard in den ländlichen Regionen gerade mitBlick auf den demografischen Wandel? Wie gelingt esuns, die jungen Menschen – wohlgemerkt eine Genera-tion, die die DDR nur aus Geschichtsbüchern kennt – inihrer Heimat zu halten und vielleicht sogar dazu zu be-
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4212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Jana Schimke
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wegen, selbst Unternehmen zu gründen und Werte undWohlstand zu schaffen?
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen – daran würde imÜbrigen auch eine Angleichung der Renten nichts än-dern –: Wie schaffen wir es, sowohl das private Vermö-gen aufzubauen als auch die private Vorsorge zu stär-ken? Das Programm der Linkspartei gibt auf dieseFragen keine Antworten.Letzteres ist eine zentrale Frage, gerade mit Blick aufdie Altersvorsorge. Von 1998 bis 2008 ist das durch-schnittliche Geld- und Immobilienvermögen der Ost-deutschen von nur 35 Prozent auf nur 42 Prozent ange-stiegen. Eine Rentenangleichung zwischen Ost und Weständert auch daran nichts. Was sich hier abbildet – Sie be-zeichnen das ja immer sehr gerne als Missachtung derLebensleistung –, ist – das sage ich, wie schon bei derersten Lesung, erneut an Sie gerichtet – immer noch dasErbe von 40 Jahren DDR.
Dass die Menschen mitunter der Chancen, die sie an-derswo möglicherweise gehabt hätten, beraubt wurden,zeigt sich heute auch an den Vermögen und ganz konkretan diesen Zahlen. Sicher wäre auch der eine oder andereLebensweg anderswo anders verlaufen. Fest steht jeden-falls, dass die wirtschaftliche Situation der Ostdeutschennichts mit der Rentenangleichung in Ost und West zu tunhat.
Heute, meine Damen und Herren, leben nur 31 Pro-zent der Ostdeutschen in selbst genutztem Wohneigen-tum. In Gesamtdeutschland sind es 43 Prozent. Es gilt,diesen Trend weiter zu stärken und zu fördern; denn dieSchaffung von Eigentum und von Vermögen ist Bestand-teil der Altersvorsorge in Ost und West.Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir ge-rade, wenn es um die Altersvorsorge und die Generatio-nengerechtigkeit geht, künftig mehrere Dinge in denBlick nehmen müssen. Ich unterstütze hier zum Beispielgerne die Initiative der Deutschen Rentenversicherung,die mit dem „Rentenblicker“ bereits Schülerinnen undSchülern die Bedeutung der Altersvorsorge nahebringt.Gleichzeitig freue ich mich, dass es die Initiative Schule-Wirtschaft gibt, die Schülern wirtschaftliche Zusammen-hänge näherbringt und damit auch aufzeigt, dass Wohl-stand eben nicht durch Umverteilung vom Himmel fällt,sondern erarbeitet werden muss.
Beim Blick auf die ältere Rentnergeneration in Ost-deutschland sieht man, worin sich Lebensleistung ganzkonkret ausdrückt; denn auch hier gilt: Wer viel gearbei-tet hat, erhält auch mehr Rente. Die durchschnittlicheRente im Osten liegt heute bei wohlgemerkt 44 Prozentdes Arbeitsentgelts und damit wesentlich höher als inden alten Bundesländern. Durch ihre Lebensleistung unddie gelungene Überleitung des Rentenrechts sind dieRentnerinnen und Rentner heute insgesamt sehr gut ab-gesichert. Das darf an dieser Stelle auch einmal gesagtsein.
Lassen Sie mich abschließend noch auf eines hinwei-sen: In meinem Wahlkreis fand kürzlich eine Vielzahlvon Veranstaltungen anlässlich der Brandenburger Se-niorenwoche statt. Dabei habe ich mich nicht nur ge-wundert, ab wann man in Deutschland schon zu den Se-nioren zählt, nämlich ab ungefähr 50 Jahren
– da waren 50- bis ungefähr 90-Jährige –, sondern ichbin insgesamt auf eine Generation getroffen, die natür-lich fit und aktiv ist, die bei der Vereinbarkeit von Berufund Familie hilft, die sich sozial engagiert und die vorallen Dingen den Anspruch hat, sich aktiv in das gesell-schaftliche und politische Leben einzubringen.Deshalb ist es gut, dass wir diese Entwicklung auchvonseiten der Politik erkannt haben. Sie erinnern sichvielleicht: Im Rahmen des kürzlich beschlossenen Ren-tenpakets haben wir uns in der Koalition darauf verstän-digt, auch den Übergang vom Erwerbsleben in die Rentezu flexibilisieren und damit einen unmittelbaren Beitragzur Altersvorsorge zu leisten.Ich glaube, das sind die richtigen Antworten, die un-ser Land braucht und die vor allen Dingen auch dieRentnerinnen und Rentner und die Erwerbstätigen in denneuen Bundesländern brauchen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich darf eine verfahrensleitende An-
merkung machen: Bei den Redezeiten handelt es sich
nicht um ungefähre Richtwerte, sondern um präzise ver-
einbarte Vorgaben.
Meine Bitte ist, diese auch einzuhalten.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Markus Kurth.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Herr Roland Claus, kann essein, dass das Einbringen dieser beiden Anträge zum jet-zigen Zeitpunkt irgendetwas damit zu tun hat, dass dem-nächst in drei ostdeutschen Bundesländern Landtags-wahlen anstehen?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4213
Markus Kurth
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Sie wollen hier doch gerne wieder den üblichen Zin-nober veranstalten, sich vor diesen Landtagswahlen hierhinstellen und sagen: Wir sind die Einzigen, die sich umdie Rentnerinnen und Rentner im Osten kümmern.
Das stimmt aber nicht. Ich sage Ihnen einmal die Bot-schaft, die Sie mitnehmen sollten: Sie sollten ganz klarsagen: Bündnis 90/Die Grünen sind diejenigen, die sichfür die echte Gleichsetzung des Rentenwertes in Ost undWest einsetzen. Das ist eine Tatsache!
Wenn die Bürgerinnen und Bürger Sie fragen: „Wa-rum haben die denn dem Antrag der Linken nicht zuge-stimmt?“, dann sagen Sie, die Linke: Wir sind mal wie-der über das Ziel hinausgeschossen. – Sagen Sie ihnendas! Sie wollen nämlich nicht nur die Gleichsetzung desRentenwertes Ost und West, sondern Sie wollen auchnoch die Höherwertung beibehalten und damit faktischeine Ungleichbehandlung schaffen. Das ist es doch!
Diese Ungleichbehandlung rechtfertigen Sie mit denregionalen Lohnunterschieden. Ja, die gibt es. Die gibtes aber nicht nur zwischen Ost und West. Während dasLohnniveau in Brandenburg und Schleswig-Holstein un-gefähr gleich ist – da gibt es nur einen minimalen Unter-schied –, gibt es zum Beispiel ein großes Lohngefällezwischen Schleswig-Holstein und Bayern. Niemandkäme auf die Idee, jetzt einen Höherwertungsfaktor fürSchleswig-Holstein einzuführen. Das müsste man janach Ihrer Logik.
– Ich habe die schleswig-holsteinische Kollegin Hiller-Ohm jetzt auf einen Gedanken gebracht. Das war eigent-lich nicht meine Absicht.Sie haben dann einen zweiten Antrag, der sich mit derÜberleitung der DDR-Renten beschäftigt, eingebracht.Auch das ist ein Antrag, den Sie regelmäßig einbringen,bei dem Sie verschiedene rentenrechtliche Begünstigun-gen, die es im DDR-Recht gab, in einen Topf werfen. Ichsage Ihnen: Sie müssen sich die Gruppen schon einmaldifferenziert ansehen.Bei bestimmten Zuwendungen wären wir als Grünebereit, etwas zu machen. Ich nenne beispielhaft die Bal-letttänzerinnen und Balletttänzer. Für sie gab es renten-rechtliche Begünstigungen, die gewährt wurden, weilklar war, dass man den Beruf der Balletttänzerin oderdes Balletttänzers nicht bis zur Rente ausüben kann, weilnach 15, 20 oder 25 Jahren Verschleißerscheinungenauftreten, die dazu führen, dass man diesen Beruf nichtmehr ausüben kann.Es gibt aber andere Begünstigungen, die man über-haupt nicht nachvollziehen kann, zum Beispiel Begüns-tigungen für Spitzensportler oder Begünstigungen fürBeschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen derDDR, die man wohl aus arbeitsmarktpolitischen Grün-den gefördert hat. Da muss man sehr differenziert hinse-hen. Westdeutsche Pfleger und Sozialarbeiter bekommenauch keinen berufsbezogenen Zuschlag auf die Rente.Wenn man die Angleichung und Überführung des Ren-tensystems der DDR in das westliche Rentensystem vor-genommen hat, muss man dieser Logik bis zum Schlussfolgen und überlegen: Was ist entschädigungsbedingtnotwendig?Für bestimmte Gruppen kann man Sonderregelungeneinführen, aber man kann das nicht pauschal tun, wie Siees in Ihrem Antrag fordern.
Ich sage noch einmal, an die Adresse der Koalitiongerichtet: Wir müssen etwas für die in der DDR geschie-denen Frauen tun. Sie sitzen weiterhin auf dem Trocke-nen. Während westdeutschen Geschiedenen ein Versor-gungsausgleich zusteht, fehlt eine entsprechendeRegelung für in der DDR geschiedene Frauen. MeineKollegin Monika Lazar aus Sachsen hat an die Bundes-arbeitsministerin geschrieben und gefragt, wann es dennin ihrem Haus zu einer Regelung oder zumindest zu ei-ner Prüfung komme. Die Bundesarbeitsministerin hatgeantwortet, sie sehe derzeit noch nicht einmal die Mög-lichkeit, die Angelegenheit zu prüfen. Mit Verlaub: Dasfinde ich ein bisschen armselig.
Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Rosemann?
Aber gerne. Bitte.
Herr Kollege Kurth, nachdem Sie in den ersten drei
Minuten Ihrer Rede den einen Antrag der Fraktion Die
Linke erfolgreich und brillant zerlegt haben – das war
wirklich brillant –, frage ich Sie, ob Sie denn auch so
konsequent sind, diesen Antrag abzulehnen. Das wäre
die Konsequenz dessen, was Sie hier ausgeführt haben.
Herr Kollege Rosemann, wir haben diese Sache na-türlich innerhalb der Fraktion beraten.
Dieser Antrag der Linken schrammt in der Tat aus mei-ner Sicht sehr hart an der Ablehnungswürdigkeit vorbei.
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4214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Markus Kurth
(C)
(B)
Wir finden es richtig, dass die Diskussion über die An-gleichung des Rentenwertes Ost und West auf die Tages-ordnung gesetzt wurde. Wir sind auch für die Anglei-chung des Rentenwertes Ost und West, lehnen aber dievon den Linken vorgeschlagene Höherwertung entschie-den ab.
In diesem Sinne haben wir uns für Enthaltung entschie-den.
– Trotz der vielen Ahs und Ohs gibt es in der Politik häu-fig nicht nur die Entscheidung zwischen Schwarz undWeiß, sondern eben auch eine ganze Menge Grautöne.Lassen Sie mich mit dem Thema schließen, das ichvor der Frage des Kollegen Rosemann angesprochenhatte. Für die in der DDR geschiedenen Frauen brauchenwir dringend eine Lösung; sie werden immer älter. Andieser Stelle sollten wir etwas tun und nicht nur wie beider Angleichung des Rentenwertes Ost und West mit ei-nem Prüfauftrag daherkommen. Da ist die Große Koali-tion wirklich gefragt.Danke schön.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin
Daniela Kolbe.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Für mich ist heute ein wirklich großartigerTag. Wir haben heute das Tarifpaket inklusive Mindest-lohn beschlossen: 8,50 Euro in Ost und West.
Für Millionen Menschen bedeutet das mehr Lohn undGehalt. Allein die Debatte über den Mindestlohn in denletzten Monaten hat zu Tarifverträgen geführt, wo dieTarifparteien früher nicht einmal voneinander wussten.Bei den Friseuren zum Beispiel, bei denen das Lohnni-veau früher bei 4 Euro lag, gibt es bald einen Mindest-lohn von 7,50 Euro im Westen und 6,50 Euro im Osten.Ab 1. August 2015 sind es 8,50 Euro für alle Friseurin-nen und Friseure in diesem Land. Auch in der Fleisch-branche gibt es jetzt einen solchen Mindestlohn. Das fin-den wir als SPD gut, und das finde auch ich alsVegetarierin gut.
Wir reden am selben Tag – die Linke hat es heute aufdie Tagesordnung gesetzt – über die Angleichung derRentensysteme. Das trifft sich sehr gut. Denn das einehat mit dem anderen zu tun. Ich finde, das ist eine guteGelegenheit, über Mindestlohn, Tarifabdeckung undLohnpolitik zu reden; denn der Rentenwert, der immernoch in Ost und West getrennt berechnet wird – das istdie Krux an der Sache –, richtet sich nach den Durch-schnittslöhnen im jeweils gültigen Rechtsgebiet. Wärendie Löhne gleich, wäre der Rentenwert in Ost und Westgleich, und die Höherwertung könnte wegfallen. Dannhätten wir automatisch ein Rentenrecht. Das wäre ele-gant, großartig und wunderbar. Das ist aber nun einmalsehr schwierig und womöglich nicht oder erst in einigenJahrzehnten erreichbar; denn auf dem ostdeutschen Ar-beitsmarkt ist einiges in Unordnung. 53 Prozent der Be-schäftigten in den neuen Bundesländern sind nicht tarif-gebunden. In den alten Bundesländern sind es „nur“40 Prozent. Fast 30 Prozent der ostdeutschen Beschäf-tigten bekommen Löhne unter 8,50 Euro – ich kannglücklicherweise hinzufügen: noch; ab 1. Januar 2015wird sich das glücklicherweise für die meisten ändern –,und wir haben in Ostdeutschland sehr viele prekär Be-schäftigte. Diese Unordnung auf dem Arbeitsmarkt istneben der Kleinteiligkeit der Unternehmensstruktur ei-ner der Gründe, warum die Angleichung der Entgelt-punkte und damit der Rentenwerte nur so quälend lang-sam vorankommt. Aber mit dem Tarifpaket gehen wirdiese Themen an. Danach ist nicht alles großartig undtoll, aber es ist der richtige Weg.Man kann es auch so machen wie die Linken. Der An-trag liest sich vielleicht für manche verlockend. Aber eswerden grundsätzlich zwei Rentensysteme fortgeschrie-ben; denn der Hochwertungsfaktor ist in Ihrem Antragenthalten. Er ändert auch nichts an den Gründen für diebeiden unterschiedlichen Rentensysteme. Zudem wer-den gravierende neue Ungerechtigkeiten verursacht. Dassind die Gründe, warum wir diesen Antrag heute mit gu-tem Gewissen – erzählen Sie das ruhig in unseren Wahl-kreisen! – ablehnen werden.
Auch aus diesem Grund ist das, was die Koalition tunwill, gut. Wir haben vier Maßnahmen vor:Erstens. Wir tragen dazu bei, dass die Löhne steigen.Der Mindestlohn für 4 Millionen Menschen wird füreinen Teil von ihnen die größte Lohnsteigerung ihresLebens sein. Der Osten profitiert überdurchschnittlich.Das wird zu einer Erhöhung des Rentenwertes und zu ei-ner Schließung der Lücke führen.Zweitens. Wir helfen nach, dass die Tarifbindungsteigt. Ich habe es erwähnt: Schon heute kommt es durchden Mindestlohn und das Tarifpaket zunehmend dazu,dass Tarifverträge abgeschlossen werden.Drittens. Eines der nächsten Projekte von Bundes-ministerin Andrea Nahles wird eine neue Ordnung aufdem Arbeitsmarkt im Hinblick auf Leiharbeit und Werk-verträge sein. Auch hier wollen wir auf dem Arbeits-markt Ordnung schaffen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4215
Daniela Kolbe
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Viertens werden wir uns 2016 noch einmal mit derAngleichung der Rentensysteme befassen.Unser Fahrplan ist im Koalitionsvertrag glasklar fest-geschrieben: Wir wollen die vollständige Angleichung.2016 prüfen wir, wie weit der Angleichungsprozess voll-zogen ist. Wenn die Löhne nicht ordentlich gestiegensind, wollen wir nachsteuern, und dann werden wir auchnachsteuern. Das heißt auch, dass wir, wenn nötig, Geldins System leiten, um den Rentenwert entsprechend an-zuheben.
– Sie fragen nach dem Geld, Herr Kauder. Das steht imKoalitionsvertrag. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wirdas gemeinsam hinbekommen, weil wir alle miteinanderwissen, dass sich die Menschen auf uns verlassen. Ichdenke, auf diese Koalition können sich die Menschenauch verlassen.Ich will mit der Bemerkung schließen, dass die Ren-tenüberleitung in den letzten fast 25 Jahren ein Erfolgwar und ist. Aber fast 25 Jahre nach der Wiedervereini-gung wird es auch langsam Zeit, sie abzuschließen. Spä-testens 2019 soll sie nach unserem Koalitionsvertrag ab-geschlossen sein. Wir stehen dazu: Das Ende desSolidarpakts muss auch das Ende dieser zwei parallelenRentensysteme sein.Vielen Dank fürs Zuhören.
Vielen Dank, auch für die präzise Einhaltung der Re-
dezeit. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich finde, die Rentenüberleitung Ost/West ist kein Grundzum Klagen. Hätten wir dies nicht gemacht, würden dieRentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands amHungertuch nagen.
Es war eine großartige Solidarleistung, die die Beitrags-zahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West mitfi-nanziert haben und bis zum heutigen Tag finanzieren,dass wir die Rentnerinnen und Rentner im Osten nichtauf dem niedrigen Niveau der DDR-Renten gelassen ha-ben, sondern in ein anständiges und funktionierendesRentensystem in Deutschland übergeleitet haben und sieihren Lebensabend davon auch finanzieren können.
Der Mechanismus ist allerdings in der Tat kompli-ziert. Eine Komponente ist der Rentenwert. Vorgestern,am 1. Juli, erfolgte die Rentenanpassung dieses Jahres.Im Westen steigen die Renten um 1,67 Prozent, im Os-ten um 2,53 Prozent, also schneller. Letztes Jahr, am1. Juli, war der Unterschied noch größer: Im Osten gabes 3,29 Prozent mehr, im Westen nur klägliche 0,25 Pro-zent. – Das zeigt, dass die Anpassung des RentenwertsOst an den Rentenwert West vorankommt. Mit demMindestlohngesetz wollen wir dafür sorgen – das istauch völlig richtig –, dass diese Rentenanpassung nochschneller vonstattengeht, um den Rentenwert in Ost undWest anzugleichen.
Nun verschweigt die Linke eine wichtige Tatsache,die als Wort schon vorkommt, nämlich die sogenannteHöherwertung. Weil wir nach wie vor einen deutlichenUnterschied im Lohnniveau von Ost zu West haben,wird all das, was ein Arbeitnehmer auf seinem Renten-konto an Ansprüchen angesammelt hat – das sind die so-genannten Entgeltpunkte –, am Tag des Renteneintrittsin diesem Jahr um über 18 Prozent aufgewertet. Dasheißt, er bekommt einen Zuschlag von über 18 Prozent.Der Unterschied zwischen dem Rentenwert Ost unddem Rentenwert West, also dem Zahlbetrag, beträgt zur-zeit 8,4 Prozent; die Höherbewertung liegt bei über18 Prozent. Zu gut Deutsch: Wer sagt: „Ich führe heuteexakt das gleiche Rentenrecht in Ost und West ein“, derverzichtet auf eine Höherwertung der Rentenansprücheum 18 Prozent,
hat dafür aber einen um 8,4 Prozent höheren Renten-wert. Wer rechnen kann, weiß: Das ist ein Verlust, das istweniger. Deswegen – das sage ich ganz klipp und klar –werden wir als Große Koalition nicht hingehen und voneinem auf den anderen Tag den Schalter umlegen. DieRentnerinnen und Rentner im Osten wären nämlich dieVerlierer einer solchen Operation.
Das ist übrigens auch der Grund, warum die FraktionDie Linke gar nicht gleiches Rentenrecht in Ost undWest beantragt. Wer den Antrag liest, weiß: Sie bean-tragt, dass für alle Zukunft Deutschland in zwei unter-schiedliche Rentengebiete gespalten bleibt. Sie möchtenämlich, dass der Rentenwert, also der Zahlbetrag, derjedes Jahr verändert wird, in Ost und West der gleiche ist– schön! –, aber dass die Höherwertung der Rentenan-sprüche über 18 Prozent im Osten für alle Zukunft geltensoll.
Das würde bedeuten, dass für den gleichen Lohn derRentner im Osten eine höhere Rente bekommt als derRentner im Westen. Das ist keine Rentengerechtigkeit,sondern die Spaltung Deutschlands im Rentenrecht aufDauer, was die Linken beantragen.
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4216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Peter Weiß
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Ich will das nicht in Abrede stellen: In der Tat ist esfür Menschen, die wenig verdienen, ein Problem, dasssie auch wenig Rente bekommen. Aber Menschen, dierelativ wenig verdienen und geringe Rentenansprüchehaben, gibt es im Osten, aber leider auch im Westen. Esgibt Gott sei Dank auch Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, die relativ gut verdienen, und zwar sowohl imWesten als auch im Osten. Daher kann man das Problemnicht mit einer generellen Teilung Deutschlands in zweiZonen im Rentenrecht bewältigen. Vielmehr müssen imRentenrecht Regelungen geschaffen werden, die dafürsorgen, dass Menschen mit einem niedrigen Verdiensteine Höherwertung ihrer Renten erhalten, damit sie imAlter von ihrer Rente leben können. Aber ansonstenwerden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ostund West gleichbehandelt.Unser Ziel ist, eine schrittweise Rentenanpassungvorzunehmen, die dazu führt, dass die Rentnerinnen undRentner im Osten nichts verlieren, dass Deutschland imRentenrecht nicht mehr zweigeteilt ist, sondern dassgleiches Rentenrecht in Ost und West geschaffen wird– Gerechtigkeit für alle – und dass Niedrigverdiener imRentenrecht eine Hilfestellung bekommen, sodass sievon ihren Renten leben können.Der Antrag der Linken ist in Wahrheit ein Antrag aufSpaltung Deutschlands auf Dauer. Das passt zur Linken.Aber wir, die Große Koalition, wollen ein einheitlichesRentenrecht in Ost und West, Gerechtigkeit für Rentne-rinnen und Rentner, ob im Osten oder im Westen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff,
SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor zwei
Wochen eine außergewöhnliche Begegnung.
In meiner Heimatstadt Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt
kam ein glücklicher Mann mit leuchtenden Augen auf
mich zu.
Herr Präsident, ich brauche eine Verlängerung meiner
Redezeit.
Ich bitte, der Rednerin aufmerksam zuzuhören.
Dieser Mann drückte mir eine Rose in die Hand.
– Weit gefehlt! Es war kein neuer Verehrer.
Als dieser Mann mir die Rose in die Hand drückte,sagte er – das ist mein voller Ernst –: Frau Wolff, ich willmich bei Ihnen bedanken. Ich bin im Mai 63 geworden.Ich darf nach 45 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.Herzlichen Dank, dass Sie das beschlossen haben!
Glauben Sie mir meine Damen und Herren: Ich warüberwältigt. Ich bin seit 16 Jahren Bundestagsabgeord-nete, aber so etwas war mir zuvor noch nie passiert. Aberwas zeigt diese Begegnung? Sie zeigt, dass die Renten-politik, die wir machen, bei den Menschen ankommt,und zwar auch in Ostdeutschland.
In dieser Woche ist das Rentenpaket in Kraft getreten.Heute Vormittag haben wir die Einführung eines Min-destlohns beschlossen. Ich kann nur sagen: Eine guteWoche für die Menschen in Deutschland!
Der Mindestlohn sorgt dafür, dass viele Menschen in denneuen Bundesländern höhere Löhne und demzufolgespäter höhere Renten bekommen. Wir haben eine ge-samtdeutsche Entscheidung getroffen: flächendeckend8,50 Euro im Westen wie im Osten. Das war richtig undnotwendig.
Bei der Rente muss es in Zukunft heißen: RentenwertWest ist gleich Rentenwert Ost. – Das ist uns allen klar.Die Menschen in den neuen Bundesländern fühlen sichselbstredend weniger wert, wenn es für Kindererzie-hungszeiten, Zivildienst, Wehrdienst oder Pflegezeitenweniger Rentenpunkte gibt. Aber nach 25 Jahren Wie-dervereinigung ist auch klar, dass die Unterschiede zwi-schen West und Ost bei der Wirtschaftskraft nicht mehrallein zählen können. Das heißt, ein einheitliches Ren-tensystem ist eine berechtigte Forderung. Deshalb habenwir einen Fahrplan dafür beschlossen. Meine Damenund Herren von den Linken, das ist nicht Ihr Fahrplan,das stimmt; aber es ist der Fahrplan, der die Rentenan-gleichung endlich 2020 bringt. Das ist es, was zählt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4217
Waltraud Wolff
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2016 werden wir diesen Angleichungsprozess über-prüfen. Das macht auch Sinn, weil wir durch den Min-destlohn, den wir beschlossen haben, ganz deutlicheLohnsteigerungen in Ostdeutschland zu verzeichnen ha-ben. Auf dieser Grundlage legen wir anschließend dasGesetz vor, mit dem wir dann den Abschluss in der Ren-tenüberleitung festschreiben werden.Wir werden auch die offenen Fragen der Rentenüber-leitung, die hier mehrfach von den Grünen und auch denLinken angesprochen wurden, beantworten. Aber einesist Fakt: Die Probleme kann man nicht im Rentenrechtlösen. Das hat die Vergangenheit gezeigt, und ich habekeine Hoffnung, dass das in der Zukunft so sein wird.Ich könnte mir vorstellen, dass es zu einer Fondslösungkommt. Damit wäre es auch möglich, die soziale Lageder Betroffenen zu berücksichtigen.
Erste wichtige Botschaft: Ende dieser Wahlperiodehaben wir die vollständige Rentenangleichung im Gesetzstehen. Zweite wichtige Botschaft: Wir sorgen nicht nurfür den gleichen Rentenwert wie in den alten Bundeslän-dern, sondern auch dafür, dass die Renten höher sind alsjetzt.Ich fasse das zu gern heute Abend zusammen, weilich auf so viel sozialdemokratische Politik stolz bin:Rentenpaket, Mindestlohn, Rentenangleichung und dienoch ausstehende solidarische Lebensleistungsrente.Wenn wir das zusammenzählen, gibt es nur einenSchluss: Unsere Politik in der Großen Koalition ist gutfür die Menschen in Deutschland. Sie ist gut für gerech-tere Löhne und auch für höhere Renten. Meine Damenund Herren von den Linken, Sie reden, und Sie schreibenjährlich neue Anträge; wir tun einfach das, was wir be-schlossen haben.Herzlichen Dank.
Frau Kollegin Wolff, Sie haben gespürt, dass Ihre
Rede mit besonderer Anteilnahme des Hohen Hauses be-
gleitet worden ist.
Wir kommen zum Abschluss dieses Tagesordnungs-
punkts zum Kollegen Matthäus Strebl, der für die CDU/
CSU spricht.
Ich darf an dieser Stelle darum bitten, weil es der
letzte Redebeitrag vor der namentlichen Abstimmung
ist, dass wir gemeinsam die nötige Aufmerksamkeit für
diesen Redebeitrag finden.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir beraten den Antrag der Linken
zur Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das
Westniveau. Sie haben in Ihrem Antrag ganz einfach
verdrängt, dass wir die geforderte Angleichung schon
vor vielen Jahren in Angriff genommen haben. Eine sol-
che Forderung mag zwar populär sein, eher sogar popu-
listisch, ist aber derzeit nicht zu realisieren.
Die jeweiligen Oppositionsparteien, wie jetzt die Lin-
ken, bringen mit schöner Regelmäßigkeit Anträge zur
Rentenangleichung ein. Dies tun sie, obwohl sie wissen,
dass eine solche absolute Angleichung aus einer Vielzahl
von Gründen derzeit überhaupt nicht machbar ist. Selbst
die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion räumen
in ihrem jüngsten Antrag ein, dass sich die Differenz
zwischen den Rentenwerten von 2012 auf 2013 um
2,7 Prozentpunkte verringert hat. Erst vor wenigen Ta-
gen, zum 1. Juli, ist die Differenz um weitere 0,7 Pro-
zentpunkte verringert worden. Heute hat sich das Ren-
tenniveau schon auf über 92 Prozent angeglichen.
Das wurde heute schon gesagt; aber das kann man der
Fraktion Die Linke wahrscheinlich nicht oft genug sa-
gen. 1990 war der Wert bei 60 Prozent.
In diesem Bereich sind die Rentner in den neuen Län-
dern übrigens schon heute deutlich weiter als die Be-
schäftigten im Osten, die derzeit nur 80 Prozent des
Westbruttolohnniveaus erreichen. Das zeigt doch, dass
es bereits heute eine deutliche Annährung gegeben hat
und dass es mit der Angleichung vorangeht. Erwähnen
möchte ich in diesem Zusammenhang auch, dass eben-
falls zum 1. Juli 2014 die Renten in den neuen Ländern
um 2,53 Prozent gestiegen sind, in den alten Bundeslän-
dern nur um 1,67 Prozent.
Herr Kollege Strebl, ich darf Sie kurz unterbrechen,
um die Kolleginnen und Kollegen hier um Aufmerksam-
keit zu bitten. Wir wissen, dass es viel besser ist, Gesprä-
che außerhalb dieses Plenarsaals zu führen. Ich bitte
darum, dem Kollege Strebl die entsprechende Aufmerk-
samkeit zuteilwerden zu lassen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Richtig ist auch,meine sehr verehrten Damen und Herren: Viele Men-schen in den neuen Bundesländern haben durch längereVersicherungsbiografien höhere Rentenansprüche er-worben; das ist hier schon dargestellt worden. Dasbetrifft vor allem die Frauen im Osten, die viel stärkererwerbstätig waren als die im Westen. Das gehört zurGeschichte und zur Wahrheit dazu.Zur Frage, ob die sofortige Angleichung der Renten,wie im Antrag der Linken gefordert, wirklich ein Ge-winn für die Ostrentner wäre, möchte ich einen ausge-wiesenen Experten zu Wort kommen lassen, nämlich denChef der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutsch-land, Wolfgang Kohl. Ich zitiere:
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4218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Matthäus Strebl
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Die volle Angleichung wird nach meiner Einschät-zung kein Gewinn für die Ost-Rentner. Denn imMoment werden die ostdeutschen Gehälter höhergewertet. Ohne diese Höherbewertung würden sichdie Bezüge deutlich vermindern. Der Ostdeutschebekommt also für 1 000 Euro Lohn eine höhereRentenanwartschaft als derjenige, der im Westen1 000 Euro verdient.Ich zitiere weiter:Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das beibe-hält, wenn die Rentenwerte angeglichen werden.Dann könnten sich die Schleswig-Holsteiner auchhinstellen– dieses Beispiel hat auch der Kollege Kurth genannt –und eine Höherbewertung ihrer Gehälter fordern,weil diese nicht viel höher sind als die in Sachsen.Bekanntermaßen werden Ostlöhne und -gehälter fürdie Rente so lange aufgewertet, wie die Differenz beiden Durchschnittseinkommen noch besteht. Derzeit wirdum 18,73 Prozent aufgewertet. Das Problem dabei ist:Die Aufwertung gilt generell und führt dazu, dass beigleichem Einkommen Ostbeschäftigte besser dastehenals ihre Westkollegen.Kollege Claus, hören Sie zu: 2 000 Euro Monatslohnwerden beispielsweise im Osten so bewertet, als wärenes 2 374,60 Euro. Um es mit anderen Worten zu sagen:Trotz des niedrigeren Rentenwertes Ost erhalten dadurchdie Beschäftigten im Osten einen höheren Rentenan-spruch als die Westkollegen mit gleichem Gehalt.Es ist bezeichnend, dass die Linken verlangen, denRentenwert Ost umgehend an den Rentenwert Westanzugleichen, die Lohnaufwertung aber beizubehalten.Damit würden bestehende Verwerfungen noch einmalverstärkt und neue Ungerechtigkeiten geschaffen.In der Koalitionsvereinbarung heißt es – das möchteich hier noch einmal erwähnen –, dass zum Auslaufendes Solidarpakts, wenn die Lohn- und Gehaltsanglei-chung weiter vorangeschritten ist, in einem letztenSchritt die vollständige Angleichung der Rentenwerteerfolgen soll. Ich möchte keinerlei Zweifel daran auf-kommen lassen, dass die CDU/CSU die Angleichungder Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschlandweiter voranbringen wird, und hierzu gehört auch dieAngleichung des Rentenniveaus. Die Renten bis 2020anzugleichen, ist politisch vernünftig und liegt in einemzeitlich und vor allen Dingen auch finanziell vertretba-ren Rahmen. An dieser Aussage und an dieser Be-schlussfassung wollen wir festhalten.
Dem vorliegenden Antrag können wir daher nicht zu-stimmen; wir lehnen ihn ab.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Damit schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/1644 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre keinenWiderspruch. Also sind Sie damit einverstanden. Dannist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über dieBeschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit undSoziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit demTitel „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an dasWestniveau sofort auf den Weg bringen“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/1994, den Antrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 18/982 abzulehnen.Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlungauf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-sehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an denAbstimmungsurnen vollständig besetzt? – Das ist derFall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung über dieBeschlussempfehlung.Ist noch eine Kollegin oder ein Kollege im Plenarsaalanwesend, die oder der noch gerne abstimmen möchte,dies aber noch nicht getan hat? – Ich sehe, das ist derFall. Dann warten wir noch. – Ich frage noch einmalnach: Haben alle, die es beabsichtigen, ihre Stimmeabgegeben? – Ich sehe jetzt niemanden mehr im Saal,der seine Stimme noch nicht abgegeben hat, dies abertun wollte, und schließe die Abstimmung über dieseBeschlussempfehlung. Ich bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. DasErgebnis der Abstimmung wird Ihnen wie üblich späterbekannt gegeben.1)Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten SevimDağdelen, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Jahre Neinzum Krieg – Gedenktafel für Karl LiebknechtDrucksache 18/1950Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussInnenausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne damit die Aussprache. Erste Rednerin istdie Kollegin Sevim Dağdelen, Die Linke, der ich hiermitdas Wort erteile.
1) Ergebnis Seite 4221 C
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4219
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
100 Jahre Erster Weltkrieg. Erinnern wir uns! Wie groß
war der Druck auch in diesem Haus, hier mitzutun? Am
4. August 1914 hatte Kaiser Wilhelm II. die Vertreter
aller im Reichstag vertretenen Parteien um sich versam-
melt und erklärte – ich zitiere –: „Ich kenne keine Par-
teien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“
Auch die oppositionelle SPD gelobte die Unterstüt-
zung des deutschen Angriffskrieges. Es war bei weitem
nicht nur der rechte Noske-Flügel der SPD, der den
Krieg unterstützte;
nein, auch Linke in der SPD wollten den Krieg und fie-
len auf die Argumente – heute würde man das nennen:
die Argumente der humanitären Intervention – herein
und rechtfertigten diesen Krieg mit einem notwendigen
Feldzug gegen den russischen Zarismus.
Umso schwerwiegender war die Entscheidung Karl
Liebknechts.
Als es keine Fraktion mehr hier im Hause gab, die sich
dem mörderischen Krieg verweigerte, tat er es als Ein-
zelner. Wir wollen ihn deshalb stellvertretend für viele
andere, die gegen den Krieg kämpften, ehren. Ja, Karl
Liebknecht ist ein Vorbild für Widerstandsgeist.
Und wir wollen die Botschaft aussenden: Von deutschem
Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen!
Als am 2. Dezember 1914 erneut die Kriegskredite
durch Aufstehen im Reichstag befürwortet werden
sollten, blieb Karl Liebknecht als einziger Abgeordneter
sitzen. Sein Abstimmungsverhalten begründete er in ei-
ner schriftlichen Erklärung wie folgt – ich zitiere –:
Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker
selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des
deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es
handelt sich um einen imperialistischen Krieg,
einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung
des Weltmarktes, um die politische Beherrschung
wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und
Bankenkapital.
Fast 100 Jahre sind seitdem vergangen. Liebknechts
Vermächtnis ist damals wie heute sein klares Nein zum
Krieg. Dieses Vermächtnis sollten wir endlich auch in
diesem Hause ehren, meine Damen und Herren.
Ernst Bloch hat einmal gesagt – ich zitiere –:
Auf tausend Kriege kommen keine zehn Revolutio-
nen; so schwer ist der aufrechte Gang.
Liebknecht war einer, der aufrecht ging. Seit seiner
Ermordung durch rechtsradikale Freikorpssoldaten unter
Billigung des sozialdemokratischen Reichswehrminis-
ters Gustav Noske erinnert nichts an ihn hier im Reichs-
tag. Wir, die Linke, wollen das ändern. Karl Liebknecht
ist ein Vorbild für Zivilcourage.
Ich bitte Sie deshalb im Namen meiner Fraktion um
Unterstützung unseres Antrags zur Anbringung einer
Gedenktafel für Karl Liebknecht, um zu erinnern: da-
mals wie heute: Nein zum Krieg!
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Philipp
Lengsfeld, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Links-partei, wir haben heute Morgen gemeinsam bereits anden Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnert.
Die Gedenkstunde gab uns die Gelegenheit, das Leidund den Schrecken, die der Krieg über die Menschenbrachte, noch einmal zu reflektieren. Dies führt uns nocheinmal drastisch vor Augen, wie groß die Verantwortungpolitischer Entscheidungsträger sein kann.Vor diesem Hintergrund halte ich das GrundanliegenIhres Antrags – übrigens trotz Ihrer Rede, muss ich jetzteinmal sagen, Frau Kollegin – für diskussionswürdig.Ich sage dies auch, obwohl ich die ersten Sätze Ihres An-trags natürlich für absolut nicht richtig halte. Inhaltlichfordert die Linke eine Gedenktafel für den damaligenSPD-Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht, undzwar als Würdigung seines Abstimmungsverhaltens imDezember 1914.Schauen wir uns die Sachlage einmal genauer an. Wirhaben schon einiges gehört, aber ich möchte es etwasausführen. Als der Krieg im Sommer 1914 ausbrach,stimmten die Parlamentarier aller Fraktionen im Reichs-tag im August zunächst geschlossen den von der Regie-rung beantragten Kriegskrediten zu. Karl Liebknechtund einige Unterstützer votierten zwar intern in der SPDgegen die Kredite, folgten aber in der Abstimmung imPlenum der Fraktionsdisziplin. Am 2. Dezember 1914– das ist hier schon gesagt worden – stellte sich KarlLiebknecht als erster und einziger Reichstagsabgeordne-ter gegen weitere Kredite für den Krieg. In einer drittenAbstimmung votierten zwei Abgeordnete gegen erneuteKriegskredite. Bei weiteren Abstimmungen wuchs dieZahl der Neinstimmen. Sie blieben aber eine kleine Min-derheit. Die Haltung von Liebknecht und seinen Unter-stützern radikalisierte sich zunehmend und führte
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4220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Philipp Lengsfeld
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schließlich zum Bruch mit der SPD. 1916 wurdeLiebknecht verhaftet, verurteilt und eingesperrt. ZumKriegsende amnestiert, radikalisierte sich Liebknechtweiter und beteiligte sich Anfang 1919 in Berlin aktivam Januaraufstand zur Bekämpfung der neu entstehen-den Republik. Am 15. Januar 1919 wurden KarlLiebknecht und Rosa Luxemburg durch Freikorpsoffi-ziere ermordet. So weit die Fakten.Die Gewissensfreiheit eines Abgeordneten ist ein ver-fassungsrechtlich verankertes hohes Gut der Demokra-tie. Karl Liebknechts eindeutige Haltung zum aufziehen-den und im Gang befindlichen Krieg verdient unserenRespekt und eine angemessene Würdigung.
Immerhin stand er gegen die Kriegsbegeisterung in derBevölkerung, bei den anderen Parteien, aber auch beiTeilen seiner eigenen Partei. Eine Information über die-ses bedeutende Ereignis für die deutsche Parlamentshis-torie sollte sicherlich in einem der vielfältigen Informa-tionsmedien unseres Hauses herausgearbeitet werden.Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben, uns überden Stand der Dinge zu informieren und hier gegebenen-falls Anregungen geben. Aber eine Gedenktafel, liebeKolleginnen und Kollegen, des Deutschen Bundestagesam Reichstagsgebäude wäre ein doch sehr viel weitergehender Schritt. Hier sollten wir auch die weiterenpolitischen Handlungen von Karl Liebknecht berück-sichtigen.Zunächst möchte ich daran erinnern, dass es in die-sem Land wirklich keinen Mangel an Erinnerungen anKarl Liebknecht gibt, weder an Orten noch Institutionennoch Mahnmalen. Es ist nicht nur die Bundeszentraleder Linkspartei nach Karl Liebknecht benannt. Wir ha-ben Karl-Liebknecht-Straßen und -Plätze in Berlin, inseiner Geburtsstadt Leipzig, in Chemnitz, in Halle – umeinige zu nennen –, aber auch in Dortmund unweit desWestfalenstadions inklusive eigener U-Bahn-Station. InPotsdam spielt die erfolgreiche Frauenfußballmann-schaft Turbine Potsdam im Karl-Liebknecht-Stadion. Esgibt Grundschulen und Gymnasien, die nach KarlLiebknecht benannt sind. In meinem Wahlkreis Berlin-Mitte im Ortsteil Tiergarten erinnert am Neuen See eineStele an den Ort, an dem Karl Liebknecht ermordetwurde. Der Friedhof der Sozialisten inklusive Mahnmalist ein weiterer prominenter Ort, der auch jedes Jahr vonder Linkspartei und neuerdings auch von anderen linkenGruppen Ziel eines Gedenkmarsches ist. Der Name KarlLiebknecht hat in der deutschen Öffentlichkeit also einestarke Präsenz.Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihren Blick aufein besonders interessantes, in der Öffentlichkeit fastvöllig unbekanntes Liebknecht-Denkmal richten. Essteht nicht weit von hier, am Potsdamer Platz.
– Genau. – Sein Sockel wurde im Jahr 1951 durch dieSED errichtet. Zehn Jahre später fiel es, noch unvollen-det, dem wesentlich größeren kommunistischen Projekt,nämlich dem Mauerbau, zum Opfer. Nach dem Fall derMauer und dem Umbau des Potsdamer Platzes wurde esim Jahr 2003 neu aufgestellt, unfertig als ein leerer So-ckel. Die Deutung des Denkmals bleibt offen. Es wirdfür den Betrachter jedoch klar, dass es eben nicht nur deneinen, unkritischen Blick auf Karl Liebknecht gebenkann.Damit komme ich zum dritten und aus meiner Sichtwichtigsten Aspekt. Karl Liebknecht ist einer der Grün-der der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das Wir-ken der KPD in der Weimarer Republik kann und wirdjeder Demokrat negativ bewerten. Dies fing schon in derGründungsphase 1918/19 an. Die KPD und KarlLiebknecht setzten von Anfang an auf bewaffneten Um-sturz, in den Worten der Kommunisten verbrämt als re-volutionärer Kampf. Die Demokratie im Allgemeinenund die SPD im Besonderen wurden von den Kommu-nisten unerbittlich bekämpft. Die Entstehung der KPDist auch untrennbar mit dem Abstimmungsverhalten vonKarl Liebknecht und seinen Unterstützern beim ThemaKriegskredite verbunden.
Die Linie führte von der Gruppe International, dem Zu-sammenschluss der Kriegskreditgegner und ihrer Unter-stützer, später dann benannt als Spartakusbund, über dieUSPD zur KPD. Der Name Liebknecht steht damit aucham Anfang einer antidemokratischen und antiparlamen-tarischen Tradition; denn die KPD hat einen Anteil amScheitern der Weimarer Demokratie.Schauen wir noch einmal auf die beiden positivenTraditionslinien des Abstimmungsverhaltens von KarlLiebknecht am 2. Dezember 1914, die Gewissensfreiheitund den Antimilitarismus.
Fühlte sich die KPD diesen beiden Traditionslinien ihresGründers wirklich verpflichtet? Nein, im Gegenteil: DieKPD war eine straff geführte Kaderpartei, durch unddurch undemokratisch. Innerparteiliche Demokratie undGewissensfreiheit wurden offen denunziert und brutalbekämpft. Und der Kampf gegen Militarismus undKrieg? Sie wollen es vielleicht nicht hören, aber auch dahaben Kommunisten eine klare Haltung. Sie sind ebenkeine Pazifisten, sondern bekämpfen Krieg und Militärimmer dann, wenn es sich um Kriege und Militär ihrerpolitischen Feinde handelt, dies dann aber mit großerKonsequenz und riesigem propagandistischen Auf-wand. Ihre eigenen Armeen und ihre eigenen Kriegesind für Kommunisten dagegen völlig legitim.
Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder Anmerkung des Kollegen Dr. Dehm?
Dr. Dehm, ich respektiere Ihre Lieder. Ich höre mirgern Ihre Frage an.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4221
(C)
Sie haben ja am Anfang Verständnis für das Grundan-
liegen gezeigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich
der Meinung sind, dass das, wofür Sie Verständnis zeig-
ten, nämlich Karl Liebknecht in einer, wenn auch von
uns abweichenden Dimension zu ehren, tatsächlich da-
durch eingeschränkt würde, dass Sie die, wie ich finde,
jetzt von Ihnen nicht belegte These aufstellen, dass der
arme Mensch, der an diesem Januartag 1918 ermordet
wurde, schon da um die Bolschewisierung der KPD ge-
wusst hatte und dafür mitverantwortlich ist? In diesem
Zusammenhang möchte ich Sie auch gerne fragen: Wenn
Europa dieser grausame Krieg erspart geblieben wäre,
wäre nicht vielleicht auch die Entwicklung zu Stalin ver-
hindert worden? Tragen nicht alle, die an diesem Krieg
mitgewirkt haben nicht nur bezogen auf seinen
Ausbruch, sondern auch bezogen auf die ökonomischen
Interessen, die dahintergestanden haben, eine Mitverant-
wortung daran, dass dieses grausame Jahrhundert der
Extreme, wie es heute Morgen von Alfred Grosser ge-
nannt wurde, so zustande kam?
Lieber Herr Dehm, vielen Dank für diese Frage. – Da-
für haben wir ja Ausschusssitzungen. Da können wir
dann im Detail darüber reden. Ich habe ausgeführt, dass
ich der Meinung bin, dass eine Information über das
Abstimmungsverhalten des Reichstagsabgeordneten
Liebknecht angemessen sein kann. Darüber werden wir
im Ausschuss reden. Sie sind stellvertretendes Mitglied.
Ich lade Sie herzlich dazu ein, dass wir dort gemeinsam
diese Diskussion fortführen.
Ich bin auch schon fast am Ende. Ich sage es hier
noch einmal ganz deutlich: Diesen Teil der Geschichte
kann und wird der Deutsche Bundestag ganz sicherlich
nicht veredeln.
Auch das sage ich ganz deutlich: Antikommunismus ist
für mich ein selbstverständlicher Teil der Grundüberzeu-
gung eines Demokraten. Diesen Punkt werden wir bei
der parlamentarischen Beratung Ihres Antrages nicht aus
dem Auge verlieren.
Vielen Dank.
Bevor gleich die Kollegin Schauws zu Wort kommt,darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung zum Tagesordnungspunkt „Angleichung der Ren-ten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf denWeg bringen“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 570.Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt50, Enthaltungen 54. Die Beschlussempfehlung ist damitangenommen.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 570;davonja: 466nein: 50enthalten: 54JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannVeronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard Kaster
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4222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschOliver WittkeBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard Lischka
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4223
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Hiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostKathrin VoglerHalina WawzyniakBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHans-Christian StröbeleEnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergAnnalena BaerbockVolker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerTom KoenigsSylvia Kotting-UhlStephan Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsJetzt hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/DieGrünen, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Frau Dağdelen, lieber Herr Lengsfeld, einesvorweg: Diese Debatte hätte Karl Liebknecht so sichernicht gewollt.
Wir haben bereits heute Vormittag hier im DeutschenBundestag gemeinsam des Ausbruchs des Ersten Welt-kriegs vor 100 Jahren gedacht. Dieser Jahrestag ist eineChance, uns mit den verschiedensten Facetten einer dergrößten kriegerischen Katastrophen in Europa und derWelt zu beschäftigen. Als Generation, die diesen Kriegnicht selbst erlebt hat und keine Gelegenheit mehr hat,sich mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auszutau-schen, müssen wir uns der Erinnerung anders stellen, alses unsere Eltern und Großeltern taten. Wir Grünen be-grüßen daher ausdrücklich die verschiedenen Initiativenzum Gedenken an diesen Krieg und an die vielen Millio-nen Opfer.
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4224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Ulle Schauws
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Ver-antwortung für unsere Vergangenheit. Diese Verantwor-tung zu übernehmen, bedeutet auch, die Menschen in ih-rem friedlichen Streben nach Freiheit, Demokratie undRechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Es bedeutet auch,Repressionen entgegenzutreten und sich für den Schutzvon Menschenrechten einzusetzen.
Die Lehren aus der Vergangenheit geben uns aberauch einen ganz klaren kulturpolitischen Auftrag mit aufden Weg, und den nehmen wir sehr ernst. Die Verant-wortung Deutschlands für die Verbrechen der beidenWeltkriege und der DDR als Unrechtsstaat muss ihrenNiederschlag in einer vielfältigen Erinnerungskultur fin-den. Wenn diese Verantwortung keine Worthülse seinsoll, dürfen sich unsere Initiativen nicht nur in Feierlich-keiten zu Gedenktagen niederschlagen.Die Fraktion Die Linke hat den vorgelegten Antragzum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegszum Anlass genommen, um an Karl Liebknecht undseine Ablehnung der Kriegskredite zu erinnern. LiebeKolleginnen und Kollegen der Linken, ich verstehe IhreMotivation; aber mir greift diese Initiative zu kurz. Wirwissen, dass bei späteren Abstimmungen zu den Kriegs-krediten auch 30 weitere Abgeordnete den Saal verlie-ßen; auch diese hätten eine Würdigung verdient.
Um dem Anspruch eines verantwortungsvollen Um-gangs mit unserer Vergangenheit gerecht zu werden, ge-nügt es meines Erachtens nicht, Gedenktafeln für eineeinzelne Persönlichkeit zu fordern. Jenseits aller Ge-denkveranstaltungen brauchen wir eine eigenständige,starke, lebendige Erinnerungskultur. Denn wie sonstsollten wir ein kollektives Gedächtnis jenseits der Zeit-zeuginnengeneration wachhalten?Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Aspekt,der mir wichtig ist: Auch heute finden wir Formen derKriegsverherrlichung, des Rechtsextremismus und Anti-semitismus in unserer Gesellschaft, und zwar bis weit inihre Mitte. Eine lebendige und vielfältige Erinnerungs-kultur ist daher eine entscheidende Voraussetzung dafür,diesen Tendenzen offensiv entgegenzutreten. Dem Be-reich der politischen Bildungsarbeit kommt dabei eineentscheidende Aufgabe zu. Gerade hier müssen wir neueund innovative Formen der Erinnerungskultur systema-tisch verankern.Die Aufarbeitung unserer Vergangenheit, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ist in vielerlei Hinsicht ein offenesKapitel, beispielsweise der deutschen Kolonialge-schichte; ihre Verbrechen und ihre Kontinuität verdienenin der Forschung und der Erinnerung mehr Aufmerk-samkeit, als es bislang der Fall ist.
Auch die Auseinandersetzung mit dem Leben oder Werkverfolgter Künstlerinnen und Künstler muss gestärktwerden.Aber nicht nur vergangene Verbrechen sind zentral.Wir müssen unseren Blick auch auf überlebende Opfer,beispielsweise des NS-Terrors, richten, die bislang nurwenig Anerkennung erfahren haben. Das gilt zum Bei-spiel für die überlebenden Kriegsgefangenen aus derSowjetunion.Erinnerung und Aufarbeitung dürfen aber nicht nureine staatliche Angelegenheit sein. Es ist gerade ein Ver-dienst der Zivilgesellschaft, den kritischen Umgang mitder Geschichte einzufordern und Versäumnisse aufzuho-len. Wenn sich unsere Aufarbeitung nicht auf offizielleGedenkfeiern und das Anbringen von Gedenktafeln be-schränken soll, liebe Kolleginnen und Kollegen, dannmüssen wir einmal mehr die Initiativen aus der Mitte derGesellschaft fördern.Die Lehren aus der Geschichte dürfen wir nie verges-sen; sie helfen uns, unsere Demokratie und Menschen-rechte täglich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu ver-teidigen.Vielen Dank.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin
Hiltrud Lotze.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Wir habenheute bei der Gedenkstunde aus Anlass des 100. Jahres-tages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs AlfredGrosser gehört. Er hat den Ersten Weltkrieg und seineFolgen sehr differenziert beleuchtet, und das war demAnlass angemessen.Der Antrag der Linken wird dem Anlass nicht ge-recht.
– Dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg. – Er miss-braucht das Gedenken an den Ersten Weltkrieg für par-teipolitische Motive, indem er uns, den Bundestag, auf-fordert, alleine Karl Liebknecht mit einer Gedenktafel zuehren.Die Kolleginnen und Kollegen der Linken nehmen inihrem Antrag eine Wahrheitsgewissheit für sich in An-spruch, die nicht zur Realität passt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4225
Hiltrud Lotze
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Ihr so leicht dahingeworfenes Urteil über die Schuld derwirtschaftlichen Eliten des deutschen Kaiserreiches undseiner politischen und militärischen Führung, wie es imAntrag heißt, blendet die Wirklichkeit des Jahres 1914aus.
Sie ignorieren die Ergebnisse neuerer historischer For-schungen zu Ursache und Verlauf des Krieges, und Sieignorieren vor allen Dingen auch die öffentliche De-batte, die gerade in diesem Jahr sehr differenziert geführtwird. Sie ignorieren letztendlich auch die vielen Begeg-nungen auf verschiedenen politischen und gesellschaftli-chen Ebenen zwischen Menschen, die sich vergebenwollen und die der Opfer des Krieges gedenken.
Wir wissen heute, dass die Katastrophe Erster Welt-krieg nicht nach einem einfachen Muster erklärt werdenkann.
Tiefes Misstrauen unter den europäischen Großmächtenund verhängnisvolle politische Fehleinschätzungen, dasVersagen der Eliten und das Versagen der Demokratieführten letztendlich zum Krieg.
Fakt ist: Es gibt unter den Historikern im Jahr 2014keinen Konsens über die Schuldfrage. Ich will dieseDebatte hier auch gar nicht führen; der sogenannte His-torikerstreit zeigt, wie komplex diese Frage ist.
Aber trotz der neueren Forschungen: Die Verantwor-tung, die Deutschland für diese Katastrophe trägt, istauch für die SPD unbestritten. Es ist für uns eine histori-sche Verantwortung und auch ein politisches Vermächt-nis. Das macht letztendlich die Idee eines Friedensrau-mes Europa so faszinierend und so wichtig für uns.Wenn es so ist, dass wir uns alle der deutschenVerantwortung für den Ersten Weltkrieg, dieser Urkatas-trophe des 20. Jahrhunderts, bewusst sind, und wenn wiruns vor allen Dingen der Lehren bewusst sind, die wiraus dieser Katastrophe ziehen müssen, kann der Beitragdes Bundestages dann darin bestehen, eine Gedenkpla-kette für eine Person an die Wand zu nageln?
Ich meine das nicht despektierlich, Gedenktafeln sindabsolut notwendig für unsere Erinnerung.
Ich meine nur, dass wir damit der Komplexität und derBedeutung dieses Themas nicht gerecht werden. Dasweiß auch die Linke, und dennoch hat sie diesen Show-antrag hier eingebracht, dessen Absicht doch sehr durch-sichtig ist.
Jeder hier weiß doch, dass Sie mit Ihrem Antrag – Siehaben es auch in Ihrer Einführung gesagt –, den damali-gen SPD-Politiker und späteren Gründer der KPD, KarlLiebknecht, zu ehren, gleichzeitig auf die schwierigeRolle der SPD in den Jahren 1914 ff. verweisen wollen,weil die SPD 1914 im sogenannten Burgfrieden denKriegskrediten zugestimmt hat.Ich sage: Ihr Antrag ist ein vergifteter Antrag.
Es ist unwürdig, an so einem Tag – wir haben heuteMorgen in einer sehr ehrenvollen Gedenkstunde an denErsten Weltkrieg erinnert und seiner Opfern gedacht –solch eine Nummer abzuziehen, wie Sie das mit IhremAntrag tun.
Nein, wir sind überzeugt davon, dass Europa im Mit-telpunkt des Gedenkens stehen muss; denn Europa istdie Antwort auf die Frage nach Frieden. Deutschlandkann sich keine autistische Erinnerung und auch keineautistische Weltsicht leisten, und schon gar nicht einerein parteipolitisch ausgerichtete, wie die Linke es mitihrem Antrag macht.Ich bin sehr froh, dass wir mit Frank-WalterSteinmeier einen Außenminister haben, der sich mitdiplomatischen Mitteln unermüdlich für eine friedlicheLösung des Ukraine-Konflikts einsetzt.
Er leistet damit einen wesentlichen Beitrag dazu, dass esin Europa nie wieder Krieg gibt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Karl Liebknechtwar ohne Zweifel ein Politiker, der eine einmalige Weit-sicht auf die Ereignisse seiner Zeit hatte. Er war mutig,und er war unbeirrbar, und er musste für seine Überzeu-gungen mit seinem Leben zahlen. Das ist zu würdigen.Nicht ohne Grund haben Sie Ihre Parteizentrale nachihm benannt. Dort ist dann auch der richtige Ort für eineGedenktafel, die an diese mutigen Leistungen von KarlLiebknecht erinnert.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als Nächste spricht die Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU.
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4226 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor 100 Jahren herrschte in Europa eine Si-
tuation, die zwar zu den besten wissenschaftlich aufgear-
beiteten Epochen der Menschheitsgeschichte gehört,
aber trotzdem mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt.
Wie konnten Staaten und Imperien mit verwandtschaft-
lich eng verbundenen Königshäusern und aufgeklärten
Bevölkerungen innerhalb kürzester Zeit in einen Ver-
nichtungskrieg industriellen Ausmaßes ziehen, einen
Krieg, der unsere Landkarte bis in unsere Zeit so verän-
dert hat, dass selbst wir hier in diesem Haus uns in den
letzten Wochen noch mit den Auswirkungen beschäftigt
haben? So haben wir Mandate für unsere Soldatinnen
und Soldaten erteilt, um auf dem Balkan, im Nahen
Osten und in Afrika für Stabilität zu sorgen.
In den Jahrzehnten vor dem Kriegsausbruch war viel
erreicht worden, politisch, wirtschaftlich, wissenschaft-
lich. Aber anstatt daraus Sicherheit und Zuversicht zu
ziehen, herrschte gerade bei den Regierungen Zukunfts-
und Überlebensangst. In einer Situation, in der die Nati-
onalstaaten in unsicheren Bündnissen lebten, entstand
ein fataler Nährboden. Die Marokko-Krise, der Panther-
sprung nach Agadir und das Attentat von Sarajewo wa-
ren dann nur noch relativ beliebig austauschbare Kataly-
satoren.
100 Jahre später sieht Europa anders aus. Ein Jahr-
hundert voller Höhen und Tiefen hat seine Spuren hin-
terlassen und wichtige Lektionen erteilt. Wir haben ge-
lernt, dass wir im friedlichen Miteinander weit mehr
erreichen können. Wir haben gelernt, dass sich umsich-
tige und weitsichtige Menschen über tiefe Gräben hin-
weg Hände reichen können. Wir haben auch gelernt,
dass Imperien innerhalb kürzester Zeit verschwinden
und Revolutionen nahezu friedlich verlaufen können und
dass international aufwachsende, global denkende und
vernetzte Generationen Nationalismen weit weniger be-
tonen und optimistisch in die Zukunft schauen können.
Vor bald 25 Jahren dachten vielleicht einige von Ih-
nen – ich selbst war damals noch sehr jung –, ein wenig
vom Glück der Situation berauscht, über ein aufziehen-
des Jahrhundert des Friedens nach. Bis vor wenigen Wo-
chen gingen wir ja auch im Großen und Ganzen davon
aus, dass eine enge Verflechtung der Gesellschaften und
Wirtschaften imperiales Denken und Großmachtsehn-
süchte verhindern können. Dass dies trügerisch war, ha-
ben wir in unserer unmittelbaren östlichen Nachbar-
schaft erlebt.
Wir sind heute glücklicherweise in intakte und starke
Bündnisse integriert, und die gewachsene tiefe Freund-
schaft zu unseren Nachbarn, die noch vor 100 Jahren un-
sere Gegner waren, ist belastbar. Unser Weg zu einem
vollkommen geeinten und friedlichen Europa wird zwar
noch Generationen dauern, ist aber wohl die einzige
sinnvolle Möglichkeit für uns alle, Sicherheit und Wohl-
stand zu gewährleisten. Das wissen auch die europäi-
schen Bürgerinnen und Bürger sehr genau.
Intakte Bündnisse müssen aber auch wehrhaft sein.
Vielleicht ist gerade das eine zentrale Lehre aus dem
Ersten Weltkrieg und den aktuellen Geschehnissen an
den Ostgrenzen der Europäischen Union. Zwar haben
Zukunfts- und Überlebensängste den Ersten Weltkrieg
begünstigt, doch insbesondere der Irrglaube, dass Krieg
als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zwischen
Großmächten irgendwie kalkulierbar sei, hat die Kata-
strophe möglich gemacht. Deshalb müssen wir als Parla-
ment zukünftig unsere inzwischen recht kleinen Streit-
kräfte noch stärker in die Lage versetzen, sich so tief in
unsere Bündnisse zu integrieren wie nur irgend möglich,
sich so gut auszurüsten wie technologisch machbar und
für potenzielle Herausforderer unserer Bündnisse so
glaubhaft abschreckend wie nur irgendwie möglich zu
sein. Intakte, wehrhafte Bündnisse schützen unsere Si-
cherheit und unseren Wohlstand.
Aber ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten
lebt ganz anders als wir, weit entfernt von dem Wohl-
stand, den wir als Existenzminimum definieren. Auf
meinen Reisen nach Mali und Afghanistan habe ich das
mit eigenen Augen gesehen, und obwohl ich genau
wusste, was mich dort erwarten würde, hat es mich sehr
berührt. In vielen Teilen der Erde gibt es mehr Smart-
phones als Toilettenspülungen. 2,6 Millionen Menschen
leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Diese Menschen
wissen aber über das Internet ganz genau, in welchem
Wohlstand wir hier in Europa leben. Allein in den ver-
gangenen Monaten sind Zigtausende Flüchtlinge nach
Europa aufgebrochen, und es werden immer mehr.
Wir werden also nicht umhinkommen, mehr Verant-
wortung in der Welt zu übernehmen. In einer immer ver-
netzteren Welt werden wir vernetzte Antworten auf
komplexe Probleme finden müssen. Diese Antworten
liegen in einem vernetzten Politikansatz. Das heißt, es
bedarf wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Diplomatie, Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik aus einem Guss. Nur
so können wir langfristig unseren Wohlstand erhalten,
für Sicherheit in Europa sorgen und Frieden in der Welt
erreichen.
Vielen Dank.
Der Kollege Wolfgang Gehrcke, Die Linke, spricht
jetzt als nächster Redner.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Wir wollten hiereine Debatte über die geschichtlichen Hintergründe undüber Widersprüche – Karl Liebknecht kann man nur dif-ferenziert betrachten, genauso wie Rosa Luxemburg; dasist doch selbstverständlich – anstoßen, und wir wollteneine Debatte über die Erinnerungskultur hier im Hauseanstoßen. Dass es viele andere Plätze gibt, die an KarlLiebknecht erinnern, ist kein Argument, warum nichtauch in diesem Parlament, in dem die Auseinanderset-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4227
Wolfgang Gehrcke
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zungen stattfanden, in besonderer Art und Weise an KarlLiebknecht erinnert werden sollte.
Mit einer künstlerisch gestalteten Plakette oder Tafel– wie auch immer – möchte ich eine Debatte vom Zaunebrechen und die Erinnerung an Karl Liebknecht wach-halten, an einen beeindruckenden, mutigen Abgeordne-ten, der als Einzelner gegen eine große Fraktionsmehr-heit in dieser Frage gestimmt hat und konsequentgeblieben ist. Diesen Mut muss man in diesem Parla-ment doch würdigen können, Frau Lotze. Da ich nicht soviel Zeit habe, will ich Ihnen jetzt nicht vorlesen, wasunser Parlamentspräsident, Herr Lammert, dazu ge-schrieben hat. Er ist darauf eingegangen und hat den Mutvon Karl Liebknecht gewürdigt.
Es geht darum, diesen Mut hier im Parlament zu würdi-gen und nicht nur an anderen Plätzen.Ich möchte, dass die aus meiner Sicht entscheidendeFrage der damaligen Zeit – ja oder nein zu Kriegskredi-ten und damit ja oder nein zum Krieg – hier wieder auf-gerufen wird. Damit werden wir uns immer auseinander-setzen müssen. In einer Zeit der Trommeln undHurrarufe hat Karl Liebknecht eine andere Richtung ein-geschlagen. Ich glaube, diese Richtung ist für die Ge-schichte Deutschlands von außerordentlich großer Be-deutung und darf daher nicht verdrängt werden.
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg haben ihre mu-tigen Enthaltungen später mit dem eigenen Leben be-zahlt. Hunderttausenden Menschen war ihr Leben be-reits auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegesgeraubt worden. Ich sage Ihnen: Wer über 1945 nach-denkt, über die Befreiung vom Faschismus, darf über1933, über die Machtübernahme der Nazis, nicht hin-weggehen, und die Machtübernahme begann mit der Er-mordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg,mit dem Bündnis der Eliten des Kaiserreichs, den Mili-tärs, dem deutschen Kastenwesen und der Rüstungsin-dustrie. Dagegen hat Liebknecht Widerstand geleistet.Bei aller Differenziertheit der Untersuchungen zum Ers-ten Weltkrieg: Dieses furchtbare Bündnis – Kastenwe-sen, Militärs, Rüstungsindustrie – ist immer noch leben-dig bzw. lebendig geblieben. Mit ihm muss man sichimmer noch auseinandersetzen.
Hier im Bundestag haben wir in einer Gedenkstundegemeinsam die Rede des französischen PublizistenAlfred Grosser als geistige Herausforderung wahrge-nommen.
Vor dem Hintergrund der großen Rede, die AlfredGrosser gehalten hat, schäme ich mich schon ein biss-chen dafür, wie diese Debatte verläuft.
Man muss nicht alles teilen; aber man sollte sich ersteinmal auf dieses Niveau einlassen.
– Ja, „Setzen, sechs!“ für Sie.Ich möchte gern, dass man auch über die Haltung vonKarl Liebknecht, die damaligen Auseinandersetzungenund die Spaltung der Arbeiterbewegung nachdenkt; dasist für mich ein wichtiges Thema. Die Spaltung der Ar-beiterbewegung in diesem Lande hat mit dazu beigetra-gen, dass die Nazis die Macht erobern konnten. DieSpaltung der Arbeiterbewegung aufzuheben, das bleibtfür mich die große Herausforderung, der wir alle gerechtwerden müssen.
Das wird nicht immer ganz einfach werden.
– Ich will die SPD ja gar nicht vorführen.
Ich will sie ja gewinnen; das ist doch bekannt.
Ich würde Ihnen zum Schluss gern noch einen Gedan-ken von Karl Liebknecht vorlesen,
den er 1912 aufgeschrieben hat. Damals hat er geschrie-ben:Es kann kein Krieg mehr geführt werden, der nichtbegeisterten Widerhall in der Masse der Bevölke-rung findet.Das war, wie gesagt, 1912.Und wie will man einen Krieg führen heutzutage,wenn die Masse des Volkes nicht nur keine Begeis-terung für den Krieg empfindet, wenn sie mit Ab-scheu, Hass und Empörung den Kriegshetzereiengegenübersteht, wenn sie entschlossenen Willen be-sitzt, den Weltfrieden aufrechtzuerhalten, koste es,was es wolle.In dieser Frage war Karl Liebknecht, wie auch in an-deren Fragen, seiner Zeit voraus.
Herr Kollege Gehrcke, auch bei großzügiger Ausle-gung der Redezeit müssen Sie zum Schluss kommen.
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4228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
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Ja, okay, ich komme zum Schluss. – In dieser Frage
war Liebknecht seiner Zeit, wie gesagt, voraus. Heute
erleben wir, dass Kriege nicht mehr gegen den Willen
der Bevölkerung einfach vom Zaun gebrochen werden
können. Ist das nicht eine gewaltige Errungenschaft? In
diesem Punkt bin ich mit Deutschland mehr versöhnt, als
ich es je gewesen bin. Auch darüber kann man doch ge-
meinsam nachdenken.
Herzlichen Dank.
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Axel Schäfer, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerUnterschied zwischen 1914 und 2014 ist in einem Punktvöllig klar: Der Beginn des Krieges 1914 war, besondersin Deutschland, das Ergebnis der Erziehung für Verdun,also der Vorbereitung auf den Krieg. Ich glaube, die his-torische Beurteilung in Deutschland hat vor 50 Jahren ei-nen entscheidenden Durchbruch erzielt, nämlich den,dass die Hauptverantwortung dafür beim Deutschen Kai-serreich lag; das ist der entscheidende Punkt.
Wir müssen in dieser Debatte aber schon ein bisschendifferenzieren. Was die Kollegin Dağdelen hier darge-legt hat, zeigt eine andere Traditionslinie, und zwar dieTraditionslinie der KPD, für die der Hauptfeind immerdie SPD war. Wo das hingeführt hat – Stichwort „Sozial-faschismus“ etc. –, ist allgemein bekannt; das ist die an-dere Seite.
Die Ausführungen, die der Kollege Lengsfeld zu An-fang gemacht hat, kann ich alle unterstreichen. Aber ei-nes unterscheidet uns: Nein, man konnte am 15. Januar1919 nicht die Stalinisierung der KPD und alles andere,was dann geschah, sozusagen vorwegnehmen und sagen:In den Worten und Taten von Rosa Luxemburg und KarlLiebknecht war das alles angelegt. – Das ist wirklichUnsinn.
Darüber sollten Sie sich ein bisschen besser informierenund sich auch mit Rosa Luxemburgs Aussage „Freiheitist immer Freiheit der Andersdenkenden“ auseinander-setzen. Gemeint waren diese Worte übrigens als Kritikan der Russischen Revolution und nicht als Kotau davor.Ja, Kollege Gehrcke, in einem Punkt haben Sie unbe-streitbar recht – das muss ein Sozialdemokrat auch vordiesem Auditorium sagen –: Die SPD hat seit genau 100Jahren das Problem, dass die Auseinandersetzung umden Krieg zu einer Spaltung geführt hat, die uns an vie-len Stellen schwerstens zu schaffen gemacht hat und dieuns in Form weiterer Spaltungen – siehe Existenz derLinkspartei und WASG-Gründung – bis in die heutigeZeit zu schaffen macht; überhaupt keine Frage.Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. 1914hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, derwie 13 andere in der Fraktion auch gegen die Kriegskre-dite war, gesagt: „In der Stunde der Gefahr lassen wirdas Vaterland nicht im Stich“. – Es gab die Vorstellung,dass man angegriffen werden könnte. Der russische Za-rismus, der britische Imperialismus und die Revisionsbe-strebungen auf territorialer Ebene – auch in Frankreich –haben dazu geführt, dass im Unterschied zu 1933/39eben nicht diese Klarheit da war, sondern dass auch dieMitglieder des Parlaments – auch die, die gegen denKrieg waren – von der OHL und allen Verantwortlichen,die damals an der Regierung waren, ein Stück desinfor-miert und hinter das Licht geführt wurden. Das ist dergrundlegende Unterschied.Das Verdienst von Karl Liebknecht, damals als Ersterwidersprochen zu haben, ist völlig unbestritten. Sehrviele, die hinterher in der Sozialdemokratie gebliebenoder zur Sozialdemokratie zurückgekommen sind, habendiesen Weg auch eingeschlagen. Viele von ihnen – ichdenke an Kurt Eisner – haben damals für ihre demokrati-sche und antimilitaristische Überzeugung mit dem Le-ben bezahlt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.Warum können wir heute nicht einfach solch einenAntrag beschließen?Ein Grund ist: Bei einem solchen Antrag ist es nichtmöglich, apodiktisch einfach zu sagen: Das war es; daswar die Geschichte. Wir müssen uns darüber schon dif-ferenziert auseinandersetzen, und wir müssen auch dieKonsequenzen, die in der Demokratie gezogen wordensind, aus meiner Sicht anders würdigen und wertschät-zen.Das allerwichtigste demokratische Ergebnis diesesschrecklichen Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des20. Jahrhunderts, war, dass sich der Parlamentarismus,die Demokratie, die Frauengleichstellung und die Be-triebsräte durchgesetzt haben. Das ist auch erkämpftworden und war der fundamentale Unterschied zu 1945,als es zur Niederlage und Befreiung kam.Etwas anderes unterscheidet uns hier aber auch noch:Ganz viele, die 1914/1918 widerstanden und hinterherdie Republik aufgebaut haben, wie insbesondere dieSozialdemokraten, aber auch die Liberalen und das Zen-trum, haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, weil sie ge-gen diejenigen für Demokratie standen, die den Kriegherbeigeführt und hinterher mit der Durchstoßlegendedie Demokratie kaputtgemacht haben. Das ist der ein-deutige Unterschied zu 1945.Es ist jetzt nicht die richtige Reaktion, dass wir überdas Anbringen einer Gedenktafel nachdenken. Ichglaube, es ist wichtig für uns, dass wir eine Diskussiondarüber führen; denn spätestens seit der Rede vonRichard von Weizsäcker hat im Bundestag quer durchalle Parteien eine Entwicklung stattgefunden. Wir haben
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Axel Schäfer
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uns mit unserer Geschichte nach vorne gewandt ausei-nandergesetzt. Alle alten Ideologien, durch die vieleDinge beschönigt wurden – Deutschlands Rolle wurdeso heruntergeredet, dass möglichst die anderen Schuldhatten und unsere Verantwortung relativiert wurde –,wurden beseitigt. Damit ist zum Beispiel der 30. Januar1933 nicht mehr vom 8. Mai 1945 zu trennen.Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen imAusschuss wirklich, in diesem Parlament mit dazu bei-zutragen, dass wir zu einer differenzierten, kritischenund selbstkritischen Debatte kommen. Gedenktafelnsind richtig und wichtig; für die 94 Reichstagsabgeord-neten, die 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz ge-stimmt haben, ist das auch völlig unumstritten. Für alleweiteren Diskussionen steht die SPD zur Verfügung.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1950 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind da-
mit einverstanden, weil ich keinen Widerspruch höre.
Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes zur Fortent-
wicklung des Meldewesens
Drucksache 18/1284
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 18/2009
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Dr. André Berghegger, CDU/CSU,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten ab-schließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände-rung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewe-sens; der Titel ist so kompliziert, dass man ihnaufschreiben muss, um ihn fehlerfrei vorzutragen.Wir werden mit diesem Änderungsgesetz verschie-dene Veränderungen vornehmen und dafür sorgen, dasssie reibungslos in das Melderecht eingefügt werden. Da-bei geht es insbesondere um die steuerliche Gleichstel-lung von Ehen und Lebenspartnerschaften, die mit die-sem Änderungsgesetz nachvollzogen werden soll. Trotzdieser fortgeschrittenen Stunde werden wir eine ausführ-liche Debatte führen. Ich glaube, das ist angesichts derVorgeschichte gut und richtig so.Der Bundesrat hat uns gebeten, zu prüfen, wie beiKirchen beschäftigte Personen, die eine Lebenspartner-schaft führen, und wiederverheiratete Geschiedene in ih-ren Interessen geschützt werden können; denn dieseLebenssituationen können Loyalitätsverstöße gegenkirchliche Vorschriften darstellen. Das heißt, sie könnenarbeitsrechtliche Relevanz haben. Das war – so habe ichdie Debatte wahrgenommen – der einzig wesentlicheDiskussionspunkt zwischen den Parteien.Einige Stichworte zum Verfahren, wie es bisher ge-laufen ist. Der Leiter des Kommissariats der deutschenBischöfe, Prälat Dr. Jüsten, hat uns schriftlich mitgeteilt,dass die katholische Kirche die von den Meldebehördenübermittelten Daten, also auch den Personenstand, nichtfür arbeitsrechtliche Zwecke nutzt. Im Dialog mit derkatholischen Kirche haben wir mehrere Gespräche ge-führt, auch unter Einbeziehung der Oppositionsparteien.Wir haben auf Wunsch der Oppositionsparteien eineSachverständigenanhörung im Innenausschuss durchge-führt. Das heißt, wir wollen alle einbeziehen. Wir wollenuns umfassend über dieses Thema informieren und eineausgewogene Lösung finden. Ich denke, inhaltlich habenwir eine gute Lösung gefunden, wie auch die Debatte imInnenausschuss gezeigt hat.Aber dennoch ein Hinweis auf das geltende Recht.Nach dem Zweckbindungsgrundsatz sind im Daten-schutzrecht die Betroffenen schon jetzt geschützt; dennDaten dürfen nach diesem Grundsatz nur zu dem Zweckverwendet werden, zu dem sie auch erhoben bzw. über-mittelt worden sind. Das ist in diesem Fall das Steuer-recht, aber nicht das Arbeitsrecht.Die schriftliche Zusage von Prälat Jüsten hat sich inden Gesprächen und in der Sachverständigenanhörungbestätigt, aber dennoch wollen wir natürlich die Sorgenund Nöte ernst nehmen. Deswegen wird es eine Ergän-zung geben. Es wird eine rechtsverbindliche Klarstel-lung in den kirchlichen Amtsblättern der Bistümer ge-ben, also einen Hinweis, dass die Meldedaten nicht fürarbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden dürfen.Mit dieser Regelung hätte ich mich gut einverstandenerklären können. Sie wäre aus unserer Sicht ausreichendgewesen. Dennoch werden wir einen Änderungsantragvorlegen, mit dem in § 42 des Bundesmeldegesetzes eineKlarstellung aufgenommen wird. Darin wird aufgenom-men, dass die übermittelten Daten nicht für arbeitsrecht-liche Zwecke genutzt werden dürfen. Wichtig ist aus un-serer Sicht, dass hierdurch keine neuen Pflichtenbegründet werden. Das ist eine rein deklaratorische Än-derung. Das ist eine angemessene Regelung.Wir greifen diese Regelung nicht auf – Herr Beck, ichgreife Ihnen wahrscheinlich vor, das haben Sie auch imInnenausschuss gesagt –, weil Sie die Sachverständigen-
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anhörung beantragt haben, sondern weil wir von Anfangan Fragen und Unklarheiten vermeiden wollen. Deswe-gen erfolgt diese Klarstellung im Bundesmelderecht.
– Gemach, gemach. – Noch ein Hinweis an dieser Stelle.Die Kirchen haben aus dem verfassungsrechtlich garan-tierten Selbstbestimmungsrecht gewissermaßen einenAnspruch darauf, vom Staat die zur Erfüllung ihrer Auf-gaben erforderlichen Daten und damit auch die Perso-nenstandsdaten zu erfahren; denn die Familienstandsda-ten brauchen sie zur Steuererhebung. Wir werden denÄnderungsantrag der Grünen ablehnen. Er ist aus unse-rer Sicht viel zu weitgehend. Er ist nicht erforderlich undverfassungsrechtlich, höflich formuliert, sehr bedenk-lich.
Bei mir – ich darf Sie noch einmal ansprechen, HerrBeck – verfestigt sich der Eindruck, dass es Ihnen in die-ser Debatte eigentlich gar nicht um das Melderecht geht,sondern Sie stellen – so haben Sie es in den Gesprächenimmer wieder betont – auf das Staatskirchenrecht ab. Ichvermute – das ist mein Eindruck –, dass Sie wesentlicheElemente des Staatskirchenrechts infrage stellen. Das hataber nichts mit diesem Melderecht zu tun, sondern dasmuss an geeigneter Stelle thematisiert werden.
Lassen Sie uns hier über das Melderecht reden unddas Staatskirchenrecht an der geeigneten Stelle diskutie-ren. Deswegen werbe ich um den aus meiner Sicht ange-messenen Vorschlag der Änderung des Melderechtes.Wir werden auf Wunsch der Länder das Inkrafttretendes Gesetzes vom 1. Mai auf den 1. November 2015 hin-ausschieben. Das ist eine angemessene Lösung.Herzlichen Dank für das freundliche Zuhören.
Für die Linken spricht jetzt der Kollege Frank
Tempel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Ja, wir debattieren heute noch einmal ge-setzliche Änderungen zur Fortentwicklung des Melde-wesens. Das habe ich mir auch aufgeschrieben.Das heißt, auf der einen Seite geht es um notwendigeDatenerhebungen vom Bürger für den Staat, um grund-sätzlich eine Vielzahl von staatlichen Verwaltungsvor-gängen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite geht es ineinem solchen Gesetz auch um den Datenschutz, alsoSchutz vor missbräuchlicher Datenverarbeitung. Bei die-sem Teil geht es um das verfassungsmäßige Recht aufinformationelle Selbstbestimmung, den Schutz der Per-sönlichkeitsrechte bei der Datenverarbeitung und auchden Schutz der Privatsphäre.Selbstverständlich sind das alles Kriterien, bei denensehr unterschiedliche Abwägungen und Bewertungenzum Tragen kommen. In der jetzigen Regierung habensich zwei Fraktionen gefunden, die oftmals gar nichtgenug Daten erheben können, wenn sie nur irgendwieverwendbar sind. Die Fraktionen, die eindeutig einengrößeren Schwerpunkt auf die Geeignetheit und Verhält-nismäßigkeit der Datenerhebung Wert legen, also dieDatensparsamkeit vertreten, finden sich in der Opposi-tion zusammen.Auch bei den aktuellen Melderechtsänderungen gehtes neben den notwendigen Anpassungen, die sich auf an-dere Rechtsänderungen beziehen, erneut um Fragen wie:Sammelwut oder Sammelsparsamkeit? Datenschutz odereher großzügige Weitergabe im Vertrauen auf die kor-rekte Verwendung der Daten?Auch bei einer zugegeben sehr sachlichen Debatte imAusschuss, im Parlament, in Berichterstattergesprächenund Sachverständigenanhörungen ist mit dem vorliegen-den Entwurf mit nicht akzeptablen Lösungsansätzen ausSicht der Linken kein Fortschritt erzielt worden. Ichmöchte auf einige Beispiele eingehen.Sie haben es schon angesprochen: Die Weitergabevon Personenstandsdaten an Religionsgemeinschaftenals Arbeitgeber ist aus unserer Sicht nach wie vor ein Ri-siko für die betroffenen Beschäftigten.
Eine Lebenspartnerschaft oder auch eine zweite Ehe-schließung nach einer Scheidung können zum Beispielin der katholischen Scheidung zur Kirche führen.
– Okay: in der katholischen Kirche zur Scheidung füh-ren. Das sei mir um diese Zeit verziehen.
Der Änderungsantrag der Regierungskoalition stelltzumindest die Absicht klar, diese Datenermittlung nichtarbeitsrechtlich zu verwenden. Wir respektieren auch,dass es nach dieser gründlichen Debatte zu diesem Än-derungsantrag kommt, aber er ist aus unserer Sicht nichtausreichend und nicht bestimmt genug.
Denn machen wir uns nichts vor: Wenn diese Erkenntniszum Beispiel über die erneute Eheschließung eines Kir-chenbeschäftigten erst einmal bei seinem Arbeitgeberangekommen ist, dann lässt sich auch sehr schnell eineErsatzbegründung finden, und dann kommt es eben dochzur Kündigung. Das kann nicht im Sinne eines Meldege-setzes sein.
Dr. André BergheggerDr. André Berghegger
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Frank Tempel
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Merkwürdig ist auch ein weiterer Teil – wir bleibenimmer schön beim Meldegesetz, wie Sie es gefordert ha-ben –: Gegen die allgemeine Übermittlung der Daten anReligionsgemeinschaften können bestimmte Familien-mitglieder Widerspruch einlegen. Nach dem Gesetzent-wurf können auch diese Widersprüche an die Religions-gemeinschaften übermittelt werden. Machen wir unsnichts vor: Das hebelt den Schutzzweck des Wider-spruchs völlig aus.
Noch ein Beispiel zum Thema Religionsgemeinschaf-ten: Wozu sollen die frühere Anschrift eines Mitgliedsder Religionsgemeinschaft sowie die aktuellen und frü-heren Adressdaten von Familienangehörigen übermitteltwerden? Mit der Erfüllung einer Aufgabe einer Reli-gionsgemeinschaft hat das gar nichts zu tun. Auch mitDatensparsamkeit hat das nichts mehr zu tun.
Letztendlich wurde die Chance einer Änderung desMeldegesetzes nicht genutzt, um die von Datenschützernmehrfach geforderte Änderung vorzunehmen. Das hät-ten wir bei dieser Gelegenheit machen können. Die Grü-nen versuchen, das mit Änderungsanträgen zu erreichen,was wir natürlich mit unserer Zustimmung unterstützenwerden. Ich spreche von der Hotelmeldepflicht und auchder Pflicht des Wohnungsgebers zur Mitwirkung bei An-und Abmeldung, weil Aufwand und Nutzen nicht imVerhältnis stehen. Das hätte man schon längst kürzenkönnen.Es ist auch bei der Regelung geblieben, dass Unter-nehmen, die bei den Meldeämtern personengebundeneDaten erwerben, die Einwilligung des jeweiligen Bür-gers zur Weitergabe vorlegen. Sicherer wäre gewesen,die Meldebehörden holen sich diese Einwilligung selber.Dann hätten sie die Gewährleistung, dass diese echt ist,bevor sie die Daten an Unternehmen weitergeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solchen Schwach-stellen im Datenschutz gespickt, ist es leider ein Gesetzgeworden, dem die Linke auch nach der sachlichstenDebatte nicht zustimmen kann.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Abend
von mir, auch einen schönen Abend unseren späten Gäs-
ten hier im Parlament. Die nächste Rednerin ist Gabriele
Fograscher für die SPD.
Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf regeltzum einen technische Einzelfragen, die zum Inkrafttre-ten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesensnotwendig sind, zum anderen wird die steuerlicheGleichstellung von Ehen und eingetragenen Lebenspart-nerschaften, die das Bundesverfassungsgericht ange-mahnt hat, jetzt im Melderecht vollzogen.Diese Änderungen müssen wir jetzt vornehmen; denndie Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im November2015 brauchen wir für die technisch-organisatorischenUmsetzungsmaßnahmen. Außerdem wollen wir mit demGesetz auch noch den Bundesrat zu seiner Sitzung am11. Juli erreichen.Die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsge-richts hat uns vor ein Problem gestellt, das auch der Bun-desrat thematisiert hat. Die Meldebehörden übermittelnbisher die Daten über Begründung oder Auflösung einerEhe an die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaf-ten. Aufgrund der steuerlichen Gleichstellung von einge-tragenen Lebenspartnerschaften müssen die Daten überBegründung oder Auflösung einer solchen nun auch anReligionsgemeinschaften übermittelt werden.Die Religionsgemeinschaften benötigen diese Datenzum Beispiel für die Erhebung der Kirchensteuer oderfür pastorale oder soziale Seelsorge. Das kann zu Proble-men führen. Prälat Dr. Jüsten erklärte in der Anhörungzu diesem Gesetzentwurf – ich zitiere –:Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts ver-fassten Kirchen haben nach alledem einen An-spruch auf Übermittlung des Familienstandes. Ichmöchte bereits an dieser Stelle zugleich deutlichmachen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Reli-gionsgemeinschaften auch umfasst, dass die Reli-gionsgemeinschaften ihren Beschäftigten Loyali-tätsobliegenheiten auferlegen können, die sich auchauf das Privatleben erstrecken.Das bedeutet, dass sich Beschäftigte der katholischenKirche auch in ihrer privaten Lebensführung an die mo-ralischen Vorgaben der Kirche halten müssen. Eingetra-gene Lebenspartnerschaften und die Wiederverheiratungnach einer Scheidung entsprechen nicht diesen Vorstel-lungen.Prälat Dr. Jüsten, als Vertreter der katholischen Kir-che, versicherte in der Anhörung, dass die Meldedaten,vor allem der Familienstand, noch nie für arbeitsrechtli-che Zwecke verwendet wurden. Das mag durchaus sein.Ein Pfarrer in einer Gemeinde hat sicherlich andereMöglichkeiten als die Meldedaten, um etwas über dieLebenssituation seiner Beschäftigten zu erfahren. Man-ches erfährt er von den Betroffenen selbst, manches si-cherlich auch über die Kollegen und Kolleginnen derBetroffenen.Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen es aus-drücklich, dass die katholische Kirche eine Klarstellungzum Melderecht in den Amtsblättern ihrer Bistümer ver-öffentlicht hat. Darin heißt es:Zur Klarstellung wird nachdrücklich darauf hinge-wiesen, dass die seitens der kommunalen Melde-behörden übermittelten Daten nicht für arbeits-rechtliche Zwecke, insbesondere die Anbahnung,
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Gabriele Fograscher
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Durchführung oder Beendigung von Beschäfti-gungsverhältnissen, genutzt werden dürfen.Doch bei dem Problem, das wir als Bundesgesetzge-ber zu lösen haben, geht es nicht nur um die katholischeKirche, sondern um alle Religionsgemeinschaften, dieMeldedaten erhalten oder in Zukunft erhalten könnten.
Wir als Bundesgesetzgeber müssen deshalb zwischenden berechtigten Interessen der Religionsgemeinschaf-ten und den schutzwürdigen Interessen der betroffenenBeschäftigten einen Ausgleich finden. Deshalb haltenwir es für richtig, im Gesetz eine Klarstellung vorzuneh-men. Wir werden § 42 um die Worte „nicht jedoch zu ar-beitsrechtlichen Zwecken“ ergänzen. Ich möchte an die-ser Stelle noch einmal betonen, dass diese Ergänzungkein Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche zumAusdruck bringen soll. Es geht um alle öffentlich-recht-lich anerkannten Religionsgemeinschaften, nicht nur umdie katholische Kirche.Bündnis 90/Die Grünen haben Änderungsanträge ge-stellt. So soll zum Beispiel die Mitwirkungspflicht desWohnungsgebers bei An- und Abmeldung wieder abge-schafft werden und die Hotelmeldepflicht entfallen.Beide Anliegen haben wir in der Debatte über das Bun-desmeldegesetz ausführlich diskutiert und begründet.Wir werden deshalb diese Diskussion hier nicht mehrfortsetzen und lehnen die Anträge ab.Das Bundesmeldegesetz in der jetzt geänderten Fas-sung, das 2015 in Kraft treten wird, ist ein wichtigerBaustein hin zu einer modernen Verwaltung. Ich dankean dieser Stelle den Mitberichterstattern sowie den Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für dieUnterstützung.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher. – Nächster
Redner in der Debatte ist Volker Beck für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istmir zu dieser späten Stunde eine besondere Freude, zumersten Meldewesenfortentwicklungsänderungsgesetz re-den zu dürfen. Es ist das erste seiner Art und ist deshalbvon ganz besonders epochaler Wirkung.Wir führen in diesem Hohen Haus schon länger eineDiskussion über die Frage, was wir im Melderecht imSinne der Datensparsamkeit brauchen; denn Datenspar-samkeit ist einfach der beste Datenschutz. Daten, die esnicht gibt, können nicht zu anderen Zwecken miss-braucht werden.Im Melderechtsrahmengesetz wurden einst die Mit-wirkungspflichten der Vermieter gestrichen, weil sienichts brachten. Dann wurden sie im Rahmen des Geset-zes zur Fortentwicklung des Meldewesens wieder einge-führt, ohne dass man neue Erkenntnisse gehabt hätte.Wir meinen, dass die entsprechende Vorschrift wieder inden Papierkorb gehört. Deshalb haben wir Ihnen einenÄnderungsantrag auf Streichung dieser Vorschrift vorge-legt.Ähnliches gilt für die leidige Hotelmeldepflicht. Hierfragt man sich: Wozu müssen wir das alles wissen?Misstrauen wir allen Menschen, die in ein Hotel gehen?Zumindest zur Durchführung eines Verwaltungsaktsbraucht kein Mensch zu wissen, wer wann wo in wel-chem Hotel welche Nacht verbracht hat und welche Per-sonen die Nacht miteinander verbracht haben. Das gehtden Staat nichts an. Deshalb sollte er diese Daten nichterheben. Wir schlagen Ihnen die Streichung der entspre-chenden Vorschrift vor.
Richtig gestritten haben wir uns aber nicht über dieseFragen. Denn es war klar: Hier liegen wir so weit ausei-nander, dass wir nicht zusammenkommen. Richtig aus-einandergesetzt haben wir uns über die Weitergabe vonFamilienstandsdaten an Religionsgemeinschaften, dieKörperschaften des öffentlichen Rechts sind. Hier zeigtsich, dass die Opposition dazu beigetragen hat, dass dieGroße Koalition zur Besinnung gekommen ist. Sie woll-ten ursprünglich in der letzten Sitzungswoche vor derHaushaltswoche das Gesetz unverändert verabschieden.Heute legen Sie es mit einer Änderung vor.Nun wird immerhin festgelegt – das ist nur die zweit-beste Lösung; wir haben die beste –, dass Melderechts-daten betreffend den Familienstand nicht für arbeits-rechtliche Zwecke missbraucht werden dürfen. Das istmeines Erachtens – hier habe ich eine andere Meinungals Sie, Herr Tempel – eine rechtlich relevante Ände-rung. Es ist mir egal, um welche Religionsgemein-schaften es dabei geht: um die katholische Kirche, dieMormonen, die Zeugen Jehovas oder die künftigen isla-mischen Wohlfahrtsverbände.In Zukunft muss ein Arbeitgeber, der jemanden we-gen Wiederverheiratung oder einer geschlossenen Le-benspartnerschaft kündigen will, darlegen, dass die ent-sprechenden Informationen nicht aus den Meldedatenstammen. Unter Umständen muss er auch darlegen, dasser, wenn er eine andere Quelle angibt, diese Quelle nichterst angezapft hat, als er schon Ermittlungswissen ausden Melderechtsdaten hatte, aufgrund dessen er wusste,dass es sich um einen lotterhaft lebenden Menschen han-delt, und dass er nicht über diesen Weg einen zweitenBeleg gesucht hat, den er arbeitsrechtlich verwendendarf. Das werden die Arbeitsgerichte zukünftig den Reli-gionsgemeinschaften, die so etwas praktizieren, nichtdurchgehen lassen. Insofern ist das ein Schritt voran.Sie haben völlig recht: Das hier ist nicht das Arbeits-recht. Es geht auch nicht um das Allgemeine Gleichbe-handlungsgesetz, bei dem solche Fragen in der Sache zuregeln wären. Aber wir als Staat, als Melderechtgesetz-geber, haben die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Da-ten, die wir in einem staatlichen Zwangsverhältnis von
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Volker Beck
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den Bürgerinnen und Bürgern erheben, nicht zu ihremNachteil an Dritte weitergegeben werden.Da haben wir einen Fortschritt erreicht. Ohne die An-hörung, die wir zusammen mit den Linken erzwungenhaben, hätten Sie, Frau Fograscher, das nicht durchbe-kommen. Insofern zeigt sich: Wo wir helfen können, hel-fen wir gerne weiter. Dies ist ein schöner Tag, ein kleinerErfolg für die grüne Opposition gemeinsam mit der Lin-ken.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Volker Beck.
Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Tim
Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir widmen uns heute zum zweiten Mal und damit ab-schließend der Fortentwicklung des Meldewesens. Ichhabe es jetzt etwas abgekürzt. In meiner letzten Redehatte ich noch voller Hoffnung angekündigt, dass wir dieBeratungen zu diesem Gesetz effektiv und zügig ab-schließen werden. Das ist bedauerlicherweise nicht ein-getreten.Unstrittig ist die Umsetzung einiger Vorschläge, dieder Bundesrat eingebracht hat. Dazu zählt einerseits dieErgänzung der Datenübermittlung an öffentlich-rechtli-che Religionsgemeinschaften um die letzte frühereAnschrift der Mitglieder und Familienangehörigenund andererseits die einmalige Übermittlung des Daten-bestandes zur Inbetriebnahme der regelmäßigen Daten-übermittlung.Ein Punkt war und ist jedoch strittig: das Ansinnendes Bundesrates, für Kirchenbeschäftigte, die eine Le-benspartnerschaft führen oder als Geschiedene einezweite Ehe eingegangen sind, ein Sonderrecht zu schaf-fen, das die Übermittlung von diesbezüglichen Daten andie Kirchen verhindert. Damit sollen mögliche arbeits-rechtliche Konsequenzen vermieden werden.Dies hat zu reichlich Diskussionen und sogar einer öf-fentlichen Anhörung des Innenausschusses geführt. Ichhabe schon meine Zweifel, ob dies wirklich alles not-wendig war; denn schon jetzt dürfen die Kirchen dieübermittelten Meldedaten nicht für arbeitsrechtlicheZwecke einsetzen, und sie tun es auch nicht. Dies wurdeuns von Prälat Jüsten, dem Leiter des Kommissariats derdeutschen Bischöfe, versichert, und zwar glaubhaft undmehrfach. Schließlich bewegen sich die Kirchen nichtim rechtsfreien Raum. Sie unterliegen ebenfalls Daten-schutzbestimmungen und weiteren Vorschriften.Man konnte bei den Beratungen dieses Gesetzent-wurfs den Eindruck gewinnen, dass die Grünen die Kir-chen, insbesondere die katholische Kirche, unter den Ge-neralverdacht der datenschutzrechtlichen Untreue stellenwollen. Aus der Thematik wurde ein Politikum sonder-gleichen gemacht. Der Tiefpunkt war die Anhörung, inder der von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Grünen-Fraktion, benannte Sachverständige dasMelderecht zum Vehikel für eine Generalabrechnung mitder katholischen Kirche machte.
Diese Äußerungen gehörten dort nicht hin. Schließlichsaß man nicht in einem kirchenpolitischen Seminar derHeinrich-Böll-Stiftung, sondern in einer Anhörung desDeutschen Bundestages zum Meldewesen.
Sie haben dann – auch das haben wir schon gehört –einen Änderungsantrag vorgelegt, nach dem die Melde-daten nur dann übermittelt werden dürfen, wenn die Kir-chen zuvor ausdrücklich erklärt haben, keine arbeits-rechtlichen Konsequenzen aufgrund eines bestimmtenFamilienstandes zu ziehen. Es hat sich schnell herausge-stellt, nicht zuletzt in der Anhörung, dass eine solcheRegelung verfassungswidrig wäre. Sie wäre verfas-sungswidrig, weil es ein im Grundgesetz garantiertesSelbstbestimmungsrecht der öffentlich-rechtlichen Reli-gionsgesellschaften gibt. In dieses Recht würde mit IhrerRegelung in unzulässiger Weise eingegriffen.
Hinzu kommt, dass Ihr Vorschlag auch rechtssyste-matisch daneben ist, Herr Beck. Sie wollen eine arbeits-rechtliche Frage im Melderecht regeln.
Das müssen Sie einmal denjenigen erklären, die diesesRecht anwenden müssten. Aber dies alles ficht Sie inkeiner Weise an.Als Ergebnis der langen Diskussionen steht nun zuBuche – das soll hier nicht unerwähnt bleiben –, dass dieEinführung des Bundesmeldegesetzes um ein halbesJahr verschoben werden muss. Aus meiner Sicht kannman hier schon von einem schuldhaften Zögern spre-chen; denn man konnte nicht den Eindruck gewinnen,dass es den Grünen in erster Linie um das Melderechtging. Stattdessen haben sie den parlamentarischen Be-ratungsprozess zu diesem konkreten Gesetzgebungs-vorhaben dazu benutzt, eine Fehde mit der katholi-schen Kirche auszutragen. Die vielen Vorteile, die dasneue Melderecht bringen wird, nämlich die Senkung derBürokratiekosten, wodurch die Wirtschaft laut Bundes-innenministerium jährliche Kosten im dreistelligen Mil-lionenbereich einspart, aber auch die Bekämpfung vonScheinanmeldungen – dies alles kann nun erst verspätetstarten.
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4234 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Tim Ostermann
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Freude unsallen die Beschäftigung mit dem Meldewesen bereitet,lieber Herr Beck, ist es dennoch auch ein Grund zurFreude, dass wir die Debatte mit unserem heutigen Be-schluss zum Änderungsgesetz endlich abschließen kön-nen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Mel-
dewesens. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/2009, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1284 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei Än-
derungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 18/2022. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist bei
Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Links-
fraktion mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ab-
gelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 18/2023. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung
von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 18/2024. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung
von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dage-
gen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten
hat sich die Linke.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenige, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Linken angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus den Erkenntnissen des
NSU-Untersuchungsausschusses
Drucksache 18/776
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vor circa einem Jahr haben alle Fraktionen des Bundes-tages einmütig in einem gemeinsamen Votum im Ab-schlussbericht zum NSU-Untersuchungsausschuss hierin diesem Hause bekräftigt – Zitat –:Wir müssen mehr gegen Rassismus und rechte Ge-walt tun, auf allen Ebenen! Initiativen braucheneine bessere und verstetigte Förderung.Dieser Konsens wurde im Frühjahr dieses Jahres wiede-rum vom ganzen Haus in einem Antrag für diese Wahl-periode bekräftigt. Somit haben die Fraktionen und dieMinisterien Arbeitsaufträge für die nächsten drei Jahre.Die grüne Bundestagsfraktion gab zum Abschluss desNSU-Untersuchungsausschusses ein Sondervotum ab.Die wichtigsten Forderungen sind in den Antrag, überden wir heute diskutieren, eingeflossen. Wir fordern ei-nen Neustart beim Bundesamt für Verfassungsschutz,Konzepte für eine neue Polizeikultur und eine langfris-tige und verlässliche Förderung von Initiativen gegenRechtsextremismus.Kanzlerin Merkel versprach den Angehörigen derOpfer eine lückenlose Aufklärung. Doch bis heute sindimmer noch viele Fragen unbeantwortet. So bitter esklingt: Ohne die Blindheit auf dem rechten Auge hätteman den NSU früher enttarnen und Morde verhindernkönnen.
Die einzig logische Schlussfolgerung daraus musslauten: Kein „Weiter so!“, sondern eine Zäsur und einNeustart bei der Sicherheitsarchitektur. Aber im geradebeschlossenen Haushalt für dieses Jahr erfolgt das Ge-genteil: Der Verfassungsschutz wird für sein Versagenmit mehr Kompetenzen und zusätzlichen Millionen aus-gestattet. Das ist ein Skandal,
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Monika Lazar
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einerseits, weil sich die Angehörigen der Opfer einmalmehr vor den Kopf gestoßen fühlen müssen; anderer-seits, weil das Geld dann dort fehlt, wo tatsächlich wirk-sam gegen Demokratiefeindlichkeit gearbeitet werdenkann: bei den zivilgesellschaftlichen Initiativen.Gerade verkündete Ministerin Schwesig die Eck-punkte für das neue Bundesprogramm ab dem nächstenJahr. Wer mehr Geld erhofft hatte, wurde enttäuscht. Eswird nicht mehr geben als – wie bisher – die 30,5 Millio-nen Euro pro Jahr. Dabei wären 50 Millionen Euro jähr-lich das Mindeste, um gute Strukturen nicht nur zu si-chern, sondern bundesweit auf ein gutes Niveauauszubauen.Auch die vom NSU-Untersuchungsausschuss ange-mahnte Verstetigung erfolgt nicht. Immerhin soll dieFörderperiode auf fünf Jahre ausgedehnt werden. Das istein Schritt nach vorn; denn damit entfällt die Zitterpar-tie, die es jedes Mal zum Ende der Wahlperiode gab. Fürdiese Verbesserungen möchte ich auch MinisterinSchwesig und ihrem Team ganz ausdrücklich danken.Da könnte zumindest die SPD einmal klatschen.
– Auch der Koalitionspartner, sehr gut!Gleichzeitig sage ich – jetzt kommt wieder die bitterePille –: Das genügt uns nicht. Notwendig ist eine dauer-hafte Absicherung auf gesetzlicher Grundlage.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Minis-terin gerne, wenn sie diesen Weg weitergeht. Wir brau-chen einen fraktionsübergreifenden Konsens gegenRechtsextremismus; denn das heißt „Demokratie le-ben!“, wie ja der Name des neuen Bundesprogramms zuRecht lautet.Wir müssen aber auch staatliche Behörden wie Poli-zei und Justiz sensibilisieren und uns auch mit dem insti-tutionellen Rassismus befassen. Wir brauchen gezielteBildung, unabhängige Forschung und kompetente Bera-tung, die schon bei der Ausbildung beginnt.Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Aufarbei-tung des Versagens ist eine Aufgabe von Behörden, vonBundesregierung und Bundestag. Jetzt müssen klareKonsequenzen gezogen werden. Für die Behebungstruktureller Mängel brauchen wir Reformen bei den Si-cherheitsbehörden, eine bessere Qualifizierung ihresPersonals sowie eine effektive Bekämpfung des Rechts-extremismus auf allen Ebenen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollegin Monika Lazar. – Nächster
Redner in der Debatte ist Clemens Binninger für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 14 Bank-überfälle und Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland,die die Täter nicht erkannt haben: Das waren die erschüt-ternden Befunde des Versagens.Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode in ei-nem Untersuchungsausschuss damit beschäftigt, diesesVersagen aufzuklären. Ich sage in jedem Debattenbeitragimmer wieder: Es war nicht nur der Verfassungsschutz,der Fehler gemacht hat, sondern es gab Fehler bei derPolizei, aber auch bei der Justiz. Auch unsere föderaleSicherheitsarchitektur war beim Zusammenwirken derverschiedenen Sicherheitsbehörden nicht gerade hilf-reich. Der Ausschuss hat aber durchaus – ich glaube, da-für sind wir alle, die wir mitgearbeitet haben, und dafürsind alle Fraktionen, die ihn getragen haben, verantwort-lich – etwas geleistet, das wir so bisher noch nie hatten.Parteiübergreifend 15 Monate etwas zu untersuchen undeinstimmig zu einem Abschlussbericht mit 47 Empfeh-lungen zu kommen, das ist so bisher noch nie dagewe-sen. Wir waren uns immer einig, Frau Kollegin Lazar,dass wir natürlich parteipolitische Unterschiede haben,die auch nicht weggewischt werden. Das gilt für uns, dieCDU/CSU, natürlich genauso wie für die Linken.Ich glaube, dass wir uns keinen Gefallen tun, wennwir nach den 47 Maßnahmen, die wir einstimmig be-schlossen haben – Sie haben darauf hingewiesen: derBundestag hat dieses Ergebnis übernommen –, schonsehr früh wieder sagen: Aber die eine Fraktion hättenoch diese Vorschläge, und die andere Fraktion hättenoch jene Vorschläge. – Ich glaube, es wäre besser, wennwir uns nach wie vor gemeinsam daranmachen würden,dafür zu sorgen, dass in dieser Legislaturperiode die47 Maßnahmen umgesetzt werden, die wir gemeinsamidentifiziert haben; dann leisten wir, glaube ich, der Sa-che den größten Dienst, und dann erreichen wir auch dieVerbesserungen, die wir dringend brauchen.
Ich will nur drei Maßnahmen nennen: bessere Zusam-menarbeit von Polizei und Verfassungsschutz, was Infor-mationsaustausch angeht; Reformen im Verfassungs-schutz – die sind teilweise schon begonnen worden –und eine grundlegende Reform des V-Leute-Wesens.Hier sage ich wieder: So wie im Bereich Rechtsextre-mismus in den Jahren, als der NSU seine Straftaten ver-übt hat, V-Leute eingesetzt waren, standen Aufwand undRisiko in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Dasmuss sich dringend ändern. Das sollten wir gemeinsamanpacken, obwohl ich weiß, dass Sie in der letzten Kon-sequenz etwas anderes wollen als wir.
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Clemens Binninger
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Aber jetzt ganz ehrlich: Ich glaube, wenn wir sehrfrüh schon wieder die parteipolitischen Debatten führen,laufen wir eher Gefahr, dass von den 47 gemeinsamenVorschlägen der eine oder andere auf der Strecke bleibt.Deshalb wäre mein Appell, diese Dinge, so wie wir esim Ausschuss auch gehandhabt haben, noch einmal zu-rückzustellen und gemeinsam dafür zu sorgen, dassdiese 47 Maßnahmen umgesetzt werden: im BereichVerfassungsschutz, im Bereich Polizei, im Bereich Jus-tiz, im Bereich zivilgesellschaftliches Engagement, wowir auch mehr tun müssen; da sind wir uns einig. Wirsind nicht weit auseinander.Aber andere Punkte, die Sie in Ihrem Antrag haben,finde ich, haben mit dem NSU-Ausschuss direkt wenigbis gar nichts zu tun. Bei der Kennzeichnung von Poli-zeibeamten oder anderen Dingen mehr sind wir einfachanderer Auffassung.Trotz dieser inhaltlichen Unterschiede, die, glaubeich, bestehen bleiben – wir sollten sie aber nicht in denMittelpunkt der Debatte stellen –, bin ich dankbar fürden Antrag, weil er das Thema NSU, wenn auch zu spä-ter Stunde, noch einmal auf die Tagesordnung setzt. Wiralle, die wir im Ausschuss gearbeitet haben – Petra Pau,Eva Högl, Hans-Christian Ströbele, ich selber –, nehmenin diesen Tagen wahr – Sie haben es kurz angesprochen –:Viele Fragen sind trotz unserer Arbeit ungeklärt. Wirhatten nur 15 Monate Zeit, was wahnsinnig wenig war.Wir hatten viele Dinge zu untersuchen. Ich bin deshalbfroh, dass es auch in Länderparlamenten, wo es bishernoch keine solchen Ausschüsse gab, jetzt Untersu-chungsausschüsse gibt, nämlich in Hessen und Nord-rhein-Westfalen.Aber ein Bundesland – es fällt mir schwer, das zu sa-gen, weil ich aus dem Bundesland komme; man muss esaber sagen – ziert sich und will irgendwie nicht. Ichfrage mich, warum. Das ist Baden-Württemberg. Baden-Württemberg ist das Bundesland, von dem wir wissen,dass die meisten personellen Bezüge des NSU dorthingeführt haben. 52 Personen aus dem NSU-Umfeld – dashat der Innenminister selber eingeräumt – hatten Kon-takte von oder nach Baden-Württemberg.Ihrem Antrag werden wir nicht zustimmen. Aberwenn wir uns heute Abend vielleicht auf zwei Dinge ver-ständigen könnten, Frau Kollegin Lazar – das sage ichauch in Richtung der anderen Fraktionen im Hause –,wäre das schon etwas:Lassen Sie uns in den Vordergrund stellen, die47 Maßnahmen umzusetzen, dafür zu kämpfen, dass esdort keine Abstriche gibt! Dann wäre es schön, wenn wirin Baden-Württemberg – ich glaube, das müssen wir ge-meinsam tun – vielleicht doch für eine kleine Verände-rung sorgen und erreichen könnten, dass man auch dortkeine Scheu vor einem Untersuchungsausschuss hat.
– Ja, aber, ich glaube, wenn wir zwei es machen, hat esauch schon einen Wert.
Das wäre in der Sache, glaube ich, ein guter Schritt.Dann war die Debatte heute zu später Stunde durchausein Erfolg.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Binninger. Danke für sehr
konstruktive Vorschläge in die Länder hinein! – Petra
Pau ist die nächste Rednerin für die Linke.
Frau Präsidentin!
– Zumindest sind wir jetzt alle wieder wach.
– Nein, ganz im Gegenteil, Clemens Binninger. Ichwollte gerade dem letzten Abschnitt der Rede ganz aus-drücklich zustimmen und noch erweitern – ich habe dasschon in mehreren Reden gesagt –: Wir haben in allenBundesländern, ob sie Tatorte waren oder ob das Unter-stützernetzwerk dort unterwegs war, weiteren Aufklä-rungsbedarf. Das vorneweg.Entschuldigung, Frau Präsidentin. Natürlich freue ichmich, dass Sie da sind. Ich habe Sie noch nicht ange-sprochen, weil ich gleich auf den Zuruf eingegangen bin.Im Tagesspiegel war jüngst zu lesen:Die Zeichen mehren sich: Der NSU-Schock ist vor-bei, die alten Routinen sind anscheinend stärker alsdie öffentliche Scham nach dem NSU-Skandal.In dem Artikel ging es um eine aktuelle Statistik derBundesregierung zu rechtsextremer Gewalt, die nochimmer oder schon wieder kleingerechnet wird; so alshätte es das NSU-Desaster nie gegeben.Es geht nicht nur um Zahlen. Noch immer kann keineRede von der bedingungslosen Aufklärung sein, dieBundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2012 ver-sprochen hat. Ganz ausdrücklich: Das bezieht sich nichtnur auf den Bund. Clemens Binninger hat es geradedeutlich gemacht.Der Schutz von V-Leuten der Sicherheitsbehördenaus dem Nazimilieu gilt noch immer mehr als die Auf-klärung rechtsextremer Verbrechen. Das jüngste Beispielhierfür lieferte Hamburg. Andererseits sterben V-Leuteplötzlich auf mysteriöse Weise, just in dem Moment, wosie Aussagen machen sollen. Die aktuellen Erklärungendes Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzesdazu im Innenausschuss waren nicht ausreichend. Ich er-spare mir andere Vokabeln.
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Petra Pau
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Also dreimal „noch immer“. Bündnis 90/Die Grünenhaben das anhaltende NSU-Desaster erneut auf die Ta-gesordnung des Bundestages gesetzt. Ich gestehe: Ande-renfalls, vielleicht mit einem etwas anderen Einschlag,hätte es die Linke in nächster Zeit getan;
denn noch immer wurde so gut wie keine der47 Schlussfolgerungen aus dem Bericht des NSU-Unter-suchungsausschusses umgesetzt: nicht im Bund undnicht in den Ländern. Das ist aus meiner Sicht nicht nurschäbig, sondern auch gefährlich.Bevor das NSU-Nazitrio aufflog, wollten die Behör-den nichts von Rechtsterrorismus wissen. Zugleich lässtsich aber Rechtsterrorismus nicht auf NSU reduzieren.Es ist also höchste Zeit, aktiv zu werden, sowohl – dabin ich ganz bei Ihnen – bei den 47 Forderungen, aberauch im gemeinsamen Nachdenken darüber hinaus.Damit zu einem letzten Punkt. Bündnis 90/Die Grü-nen schlagen in ihrem Antrag drei Aktionsfelder vor. Ichnehme positiv auf, dass sich die Positionen der Grünenund der Linken dabei weiter annähern.Für die Fraktion Die Linke unterstreiche ich dabeinoch einmal drei Punkte:Erstens. Die Ämter für Verfassungsschutz standen imZentrum des Versagens bei der NSU-Nazimordserie. Siesind Fremdkörper in einer lebendigen Demokratie, ausmeiner Sicht nicht reformierbar und kontrollierbar.
Deshalb sind die Ämter aufzulösen und die V-Leute-Pra-xis zu beenden.Zweitens. Zu den gesellschaftlichen Initiativen undzur dauerhaften Förderung wurde etwas gesagt. DieLinke plädiert für ein Stiftungsmodell, fernab von partei-politischen Konjunkturen.Drittens. Wir müssen uns endlich dem Thema Rassis-mus zuwenden.
Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Pau. – Nächste
Rednerin in der Debatte: Gabriele Fograscher für die
SPD.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Im November 2011 sind die schrecklichen Mordedes Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt gewor-den. Wir alle waren schockiert. Keiner von uns hätte esfür möglich gehalten, dass eine rechtsextreme terroristi-sche Vereinigung über Jahre hinweg in Deutschlandmorden kann, Sprengstoffanschläge verüben kann, Straf-taten begehen kann. Wir haben uns alle die Frage ge-stellt, wie das möglich war. Warum hat die Polizei bisheute die Taten nicht vollständig aufklären können? Wa-rum hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse?Warum wurde ein rechtsextremistischer Hintergrundnicht in Erwägung gezogen?Der Untersuchungsausschuss, den ja alle Fraktionengemeinsam eingesetzt haben, hat eklatante Fehler der Si-cherheitsbehörden offenbart. Die gewonnenen Erkennt-nisse haben im Abschlussbericht zu gemeinsamen Emp-fehlungen geführt – 47 an der Zahl; wir haben es schongehört –, sich unter anderem mit der künftigen Strukturder Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, ihren Befug-nissen und ihrer Qualifizierung, der effektiven Bekämp-fung des Rechtsextremismus und der gruppenbezogenenMenschenfeindlichkeit, der kontinuierlichen Demokra-tieförderung, der Erweiterung der Bundesförderung undder Verstetigung der Bundesprogramme zu befassen.Trotz des Bundestagswahlkampfes 2013 ist es uns ge-lungen, uns auf diese gemeinsamen Empfehlungen undMaßnahmen zu verständigen. Dies war und ist ein Signalan die Opfer, die Angehörigen, die Öffentlichkeit, dieBehörden und die Institutionen. Wir waren uns auch alleeinig, dass sich dieses Thema nicht zur parteipolitischenProfilierung oder zu parteipolitischen Alleingängen eig-net.Es ist das gute Recht und die Aufgabe der Opposition,die Regierung zu kontrollieren, zu treiben oder auf Ver-säumnisse hinzuweisen. Aber – den Vorwurf kann ichIhnen nicht ersparen – mit dem Antrag, den Sie unsheute hier vorlegen, kündigen Sie auch ein Stück weitdiesen gemeinsamen Konsens auf. Mit Ihrem Antrag un-terstellen Sie uns Untätigkeit. Das weise ich entschiedenzurück. Sie behaupten in Ihrem Antrag, es hätte keinWort der Entschuldigung oder des Bedauerns an die Op-fer und die Angehörigen gegeben. Auch das ist nichtrichtig. Es gäbe viele Beispiele dafür. Ich verweise aufden Besuch des Bundespräsidenten vor wenigen Wochenin der Kölner Keupstraße. Er hat dabei den Opfern undAngehörigen versichert, dass wir alle zusammengehö-ren. Er sagte:Und wir stehen zusammen, um allen, die von frem-denfeindlicher Gewalt bedroht sind, zu sagen: Ihrseid nicht allein.Auch wir hier im Deutschen Bundestag sind nichtuntätig gewesen. Wir haben diesen Beschluss aus derletzten Legislaturperiode im Februar 2014 nochmalsbekräftigt. Wir werden die Arbeit des ParlamentarischenKontrollgremiums verändern. Wir geben uns nicht mehrmit dem zufrieden, was die Dienste uns erzählen wollen.Wir haben uns ein Arbeitsprogramm gegeben, für dasauch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfü-gung stehen. Wir werden uns in nächster Zeit unter ande-rem mit folgenden Fragen befassen: Wie ist der Standbei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Unter-suchungsausschusses? Wie verhält es sich mit dem Ein-satz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene? WelcheMaßnahmen ergreift der Militärische Abschirmdienst,um extremistische Einstellungen und Bestrebungen vonBundeswehrangehörigen aufzudecken? Wir wollen dieZusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungs-schutz mit den ausländischen Nachrichtendiensten näheruntersuchen.
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Gabriele Fograscher
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Auch was die Stärkung der Zivilgesellschaft angeht,haben wir gehandelt. Als nahezu erste Amtshandlunghaben Bundesfamilienministerin Schwesig und Bundes-innenminister de Maizière die sogenannte Extremismus-klausel abgeschafft, ein wichtiges Signal für Initiativenund an die Zivilgesellschaft. Für das neue, ab dem 1. Ja-nuar 2015 geltende Bundesprogramm „Demokratieleben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt undMenschenfeindlichkeit“ stehen 30,5 Millionen Euro zurVerfügung. Dabei möchte ich betonen – das war unsimmer ganz wichtig –, dass Strukturprojekte ab demnächsten Jahr mit einer Laufzeit von fünf Jahren planenkönnen. Die mobilen Beratungsteams und die Opferbe-ratung werden gestärkt.Aber das ist nicht das einzige Programm, das wir ha-ben: Vom Bundesinnenministerium gibt es das Pro-gramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“; es ist mit6 Millionen Euro ausgestattet. Die Mittel für die Bun-deszentrale für politische Bildung haben wir in der ver-gangenen Woche für das Haushaltsjahr 2014 erheblichaufgestockt. Das Bundesprogramm Xenos des Bundes-arbeitsministeriums hilft jungen Menschen beim Aus-stieg aus der rechten Szene. Auch wenn wir die Markevon 50 Millionen Euro, die wir von der SPD angepeilthaben, noch nicht erreicht haben, stehen dennoch mehrMittel zur Verfügung als bei der Vorgängerregierung.Wir werden den Verfassungsschutz reformieren. Dasind wir unterschiedlicher Meinung; denn unsere Auf-fassung ist: Wir brauchen den Verfassungsschutz. Wirwerden mit den Verfassungsschutzämtern der LänderGespräche über eine bessere und effektivere Zusammen-arbeit führen.Mir und uns allen ist klar, dass es noch viel zu tungibt; aber Untätigkeit kann man uns auch nicht vorwer-fen. Was allerdings Zeit und Ideen braucht, ist das not-wendige Umdenken in den Köpfen; damit beziehe ichmich sowohl auf die Sicherheitsbehörden als auch aufdie Gesellschaft. Hier müssen wir Aufklärungsarbeitleisten und Sensibilität schaffen; dabei sind wir alle ge-fordert. Lassen Sie uns auf diesem gemeinsamen Wegweitergehen. Parteipolitische Alleingänge sind dabei derfalsche Ansatz.Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin Fograscher. – Zum Abschluss
spricht als letzter Redner in der Debatte Dr. Volker
Ullrich, Augsburg.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolle-ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!Die Mordserie der NSU-Terrorzelle hat dieses Land er-schüttert. Auch heute Abend gedenken wir der Opfer,und unsere Gedanken sind bei den Angehörigen.Die Konsequenzen, die dieser Staat, der an eine wehr-hafte, freiheitlich-demokratische Grundordnung glaubtund sie verteidigt, gezogen hat, sind umfassend. Wir ha-ben uns nicht mit reinem Bedauern zufriedengegeben;der Untersuchungsausschuss hat 47 Maßnahmen aufge-zeigt, die kenntlich machen, dass wir lernen und dassdieser Staat weiterhin die Menschenwürde, die Freiheitund den Rechtsstaat verteidigen möchte. Das ist einpositives Signal.
Es ist auch zu begrüßen, wenn sich eine Fraktion wei-tere Gedanken macht. Jeder Gedanke, der diesen Staatstärkt, mit seinen Rechten, mit seinen Grundwerten, mitseiner Idee der Freiheit, ist in diesem Hause gerne gese-hen. Das Problem ist nur, dass die Grünen mit ihrem An-trag diesen Staat zwar stärken möchten, ihn im Ergebnisaber schwächen würden, weil die Instrumente, die sievorschlagen, nicht dazu führen würden, dass unsere De-mokratie und unser Rechtsstaat stark bleiben. Vielmehrwürden sie Angriffspunkte für die Feinde unserer Frei-heit schaffen. Das wollen wir in dem Maße nicht tolerie-ren.Der Verfassungsschutz, meine Damen und Herren,hat im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie schwereFehler begangen; das ist Konsens in diesem HohenHause. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen,dass der Verfassungsschutz weitreichende Aufgaben hat.Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland istkeine wertneutrale Verfassung, sondern eine, die sich ander Menschenwürde, an der Gewaltenteilung und an derRechtsstaatlichkeit orientiert. Diese Werte hat der Ver-fassungsschutz zu verteidigen, auch mit Mitteln, diemöglicherweise im Bereich der geheimdienstlichen Auf-klärung angesiedelt sind, weil auch die Feinde unsererFreiheit nicht darauf warten, nur mit legalen Mitteln un-sere Grundordnung anzugreifen.
Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es unsere ge-meinsame Pflicht, den Verfassungsschutz dort, wo esnotwendig ist, zu reformieren und mehr Kontrolle undmehr Transparenz einzuführen. Es ist unsere Pflicht, die47 Punkte des Berichts gemeinsam umzusetzen, weildurch diesen Ergebnisbericht des NSU-Untersuchungs-ausschusses letzten Endes unsere Verfassung und dieMenschenwürde in unserem Land gestärkt werden. Aberlassen Sie uns nicht auf den Weg begeben, aus rein par-teitaktischem Kalkül heraus Organe zu schwächen; denndas bedeutet letztendlich eine Schwächung unseres Ge-meinwesens. Das können wir alle nicht wollen.
Dieses Hohe Haus wird genügend Arbeit damit ha-ben, die 47 Punkte des Berichts des NSU-Untersu-chungsausschusses umzusetzen.
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Dr. Volker Ullrich
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Das wird uns in den nächsten Jahren sehr viel Kraftkosten. Aber die Opfer dieser Mordserie, der hohe Wertunserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dieWürde des Menschen, die Rechtsstaatlichkeit und auchunser Ansehen, das wir durch diese Arbeit gewinnenwollen, sind es wert, dass wir uns gemeinsam und ohneparteipolitische Spielchen auf diesen Weg machen. Indiesem Sinne sind alle eingeladen, mitzuwirken.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/776 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf.
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs-
und -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015
Drucksache 18/1797
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden.1) – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 18/1797 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle
Teilhabe ohne Armut garantieren
Drucksache 18/1949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
1) Anlage 16
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Liebe Kollegen der Linkspartei, ich habe Ihren An-trag gelesen. Ich unterstütze viele Dinge, die Sie darinschreiben. Ja, es besteht Handlungsbedarf. Ja, es müs-sen mehr Wahlmöglichkeiten für die Menschen mitBehinderung geschaffen werden. Ja, wir haben eingemeinsames Ziel: ein gutes Bundesteilhabegesetz.Neben diversen Meinungsverschiedenheiten, die danndoch bestehen, zum Beispiel bei der Finanzierung,muss ich Ihnen aber vor allem sagen: Auch Rom istnicht an einem Tage erbaut worden.Vielleicht haben Sie die Komplexität dieses Themasnoch nicht ganz erkannt. Aber Sie selbst sprechen von„einer große[n] Lösung“, von „einer grundlegendenund umfassenden Reform“, die im Rahmen des Bun-desteilhabegesetzes nötig ist.Fest steht: Das Bundesteilhabegesetz lässt sichnicht so schnell erarbeiten, wie Sie Anträge schreibenkönnen. Denn es geht hier nicht um eine Kleinigkeit, esgeht hier um einen großen Reformprozess, der dasDenken, die Strukturen und die Institutionen umfasst.Wir sprechen hier über einige Millionen betroffeneMenschen, die direkt auf Teilhabeleistungen angewie-sen sind. Eigentlich sprechen wir sogar von 80 Millio-nen Menschen, die alle gemeinsam das Projekt der in-klusiven Gesellschaft vorantreiben müssen.Wir sprechen über Milliarden von Euro, die nichtnach dem Gießkannenprinzip, sondern effektiv undeffizient verteilt werden müssen. Das Geld muss daankommen, wo es gebraucht wird und darf nicht inirgendwelchen Kanälen versickern.Wir sprechen hier über teils mehrere Hundert Jahrealte Strukturen und Institutionen, die nicht alleschlecht sind. Wenn man sich hier so manche Rede an-hört, muss man sich schon wundern, wie die tolle undwertvolle Arbeit, die die Menschen für andere Men-schen in den bestehenden Institutionen leisten, verun-glimpft wird. Ich warne deshalb davor, funktionierendeund gewachsene Strukturen aus Prinzip zu zerstören.Wir sollten eher auf ihnen aufbauen, sie flankieren.Wir fangen also nicht bei null an. Das ist im Prinzipgut, vor allem für die Menschen mit Behinderung.Auch konzeptionelle Vorarbeiten wurden schon getan,wie Sie in dem Antrag selbst schreiben. Aber das istauch einer der Gründe dafür, dass die Reform der Ein-gliederungshilfe so kompliziert ist. UnterschiedlicheInteressen, vor allem die der Betroffenen, müssengehört und in ein Bundesteilhabegesetz integriert wer-den. Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir Ihnen,liebe Linke, heute noch kein Bundesteilhabegesetz vor-legen können. Sie selbst geben uns ja sogar bis zumEnde der Legislaturperiode Zeit, das Gesetz vorzule-gen. Wie sollten wir dann jetzt, „unverzüglich“, wieSie fordern, die Eckpunkte dazu schon vorlegen kön-nen?
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4240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Astrid Freudenstein
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Planung und Orientierung sind bei einem Großpro-jekt wie dem Bundesteilhabegesetz das A und O. Dasist wie beim Wandern: Wenn man da ohne Karte undKompass einfach drauflos geht, dann geht man diedoppelte Strecke und braucht doppelt so lange – wennes gut läuft.Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen,erst einmal die Karte mit dem Höhenprofil zu nehmenund den Weg zu planen. Damit haben wir nun begon-nen. Und damit auch die ganze Wandergruppe über dieBerge kommt, beteiligen wir sie an den Planungen. Sofinden wir einen gemeinsamen Weg, der uns – da binich mir sicher – über keine bis wenige Umwege an dasrichtige Ziel führt. Dann legen wir Ihnen ein gutes unddurchdachtes Bundesteilhabegesetz vor, ohne dass Sienoch einen Antrag dafür schreiben müssen.
Die Große Koalition hat sich vorgenommen, dieüberfällige Eingliederungshilfereform anzupacken.Ein wesentlicher Reformschritt wird sein, die Hilfenfür Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfeherauszuführen. Damit wird dann auch ein wesentli-ches Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention umge-setzt: Fürsorgeleistungen für Menschen mit Behinde-rungen werden in Teilhabeleistungen umgewandelt.Dabei geht es nicht nur um eine Reform im Sozialrecht,es geht um einen fundamentalen Paradigmenwechsel.Wir sind dabei, diese Reform zügig und vor allemgründlich voranzutreiben. Die Erwartungen bei denbetroffenen Menschen sind verständlicherweise hoch.Aber auch die Kommunen fordern Veränderungen, umdie seit Jahren steigenden Ausgaben für Eingliede-rungshilfen in den Griff zu bekommen.In diesem Spannungsverhältnis befinden wir uns.Dabei wollen wir als Unionsfraktion unseren Fokusauf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen le-gen, was sie in ihrem Alltag brauchen, um schneller anHilfen zu gelangen. Wir wollen für sie die Chance aufgleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichenBereichen erreichen. In der Kindertagesstätte, Schule,Ausbildung, im Beruf, beim Wohnen oder in der Frei-zeit muss künftig der Grundsatz gelten „so viel Teil-habe wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig“.Ein zentrales Anliegen ist für uns auch, dass Hilfenzur Teilhabe keine Armutsfalle sein dürfen. Menschenmit Behinderungen, die ein eigenes Einkommen er-wirtschaften und daraus Vermögen aufbauen wollen,sollen dies auch tun können. Beruflicher Aufstieg undAltersvorsorge müssen für alle unabhängig von einerBeeinträchtigung möglich sein.Weitere Ziele für ein Bundesteilhabegesetz sind Teil-habeleistungen, die den Bedarf des Einzelnen deckenund nicht an einen bestimmten Ort gekoppelt sind. DieHilfen sollen sich an den Bedürfnissen der Menschenorientieren und nicht umgekehrt. Dazu ist aus Sichtder Union vor allem ein bundeseinheitliches Bedarfs-ermittlungsverfahren unerlässlich.Für alle Lebensbereiche muss ein generelles Wunsch-und Wahlrecht gelten, sei es die eigene Wohnung oderein Platz im Wohnheim, die Förder- oder eine Regel-schule, die Werkstatt oder der ortsansässige Hand-werksbetrieb. Teilhabe hat viele Facetten, und diesemüssen für jeden zugänglich sein.Wer Arbeit hat und die Chance bekommt, seine Fä-higkeiten und Talente zu entfalten, fühlt sich anerkanntund ist zufrieden. Das gilt für alle Menschen. Mithilfevon Assistenz sind Menschen mit Behinderungen viel-fältig in der Arbeitswelt einsetzbar. Das erkennen auchimmer mehr Betriebe. Viele schätzen die Fähigkeitenund die Loyalität von Mitarbeitern mit Behinderungen.Sie haben erkannt, dass eine Behinderung nicht auto-matisch mit einer verminderten Leistung einhergeht.Diese guten Beispiele wollen wir unterstreichen unddamit Arbeitgeber, die keine oder nur wenige Mitar-beiter mit Handicap in ihrer Belegschaft haben, zumUmdenken bewegen. Dazu sind Informationen, pass-genaue Beratung und neue, flexible Förderinstrumentenötig. Das „Budget für Arbeit“ ist aus meiner Sichthervorragend geeignet, alternative Wege der Beschäf-tigung zu gehen. Die bisherigen Modellprojekte aufLandesebene waren erfolgreich. Nun ist es an der Zeit,dieses Instrument bundesweit einzusetzen.In Deutschland arbeiten derzeit fast 300 000 Men-schen in einer Werkstatt. Die Zugangszahlen steigenseit Jahren. Damit hat sich ein zweiter Arbeitsmarktetabliert, der mit der UN-Konvention in diesem Um-fang nicht vereinbar ist. Darauf muss das Bundesteil-habegesetz reagieren. Die meisten Eingliederungsleis-tungen im Arbeitsbereich sind heute an die Werkstattgekoppelt. Vor allem der Eingangs- und der Berufsbil-dungsbereich müssen künftig auch für andere qualifi-zierte, verlässliche und geeignete Anbieter aus derfreien Wirtschaft geöffnet werden.Die Quote der Vermittlung der Werkstätten in regu-läre Betriebe liegt bundesweit unter 1 Prozent. Ich binmir sehr sicher, dass diese Quote nicht die tatsächlicheBefähigung der Mitarbeiter widerspiegelt. In denWerkstätten sind mittlerweile viele Menschen, die dortschlicht und ergreifend nicht hingehören. Für sie wol-len wir Anreize setzen, ihren Weg in den ersten Arbeits-markt zu gehen. Dazu wollen wir vor allem eine Op-tion zur Rückkehr in die Werkstatt garantieren unddafür sorgen, dass ihre sozialrechtlichen Ansprüchebestehen bleiben.Was die Ausbildung angeht, wollen wir weg vom Al-les-oder-nichts-Prinzip hin zu einer beweglichen undanpassungsfähigen beruflichen Qualifizierung. Ver-kürzte Ausbildungszeiten oder Ausbildungsmodulesind Optionen, mit denen sich auch die Kammern undGewerkschaften in Zukunft auseinandersetzen müssen.Dies sind nur einige Bereiche, die ein Bundesteilha-begesetz neu regeln soll. Viele weitere Schnittstellengehören noch dazu, etwa die Kinder- und Jugendhilfeoder die Pflege. Wir stehen vor einer komplexen Struk-turreform, die intensiv vorbereitet werden muss.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4241
Uwe Schummer
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Deswegen wird bereits ab der kommenden Wocheeine hochkarätig besetzte Arbeitsgruppe im zustän-digen Ministerium mit den Vorarbeiten für einenGesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz beginnen.15 Vertreterinnen und Vertreter von Menschen mit Be-hinderungen werden dieser Arbeitsgruppe angehören.Sie repräsentieren alle wesentlichen Gruppen vonMenschen mit Behinderungen. Diese unmittelbare Be-teiligung am Gesetzgebungsverfahren ist nicht selbst-verständlich und zeigt, wie ernst diese Bundesregie-rung die Forderung der Menschen mit Behinderungen„Nichts über uns ohne uns“ nimmt.Diese Koalition macht sich auf, die Verantwortungfür ein Bundesteilhabegesetz zu übernehmen. Damitgehen wir eine große Verpflichtung gegenüber denrund 10 Millionen schwerbehinderten Menschen inDeutschland ein. Daher gilt für uns der Grundsatz„Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Und dieser Grund-satz ist mit einem Inkrafttreten vor 2017 vereinbar.
Spätestens mit dem im Jahre 2006 vereinbarten
Übereinkommen der Vereinten Nationen über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen vollzog sich
ein Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen
mit Behinderungen.
Menschen mit Behinderungen werden nicht länger
als Objekte der Fürsorge betrachtet, sondern als ei-
genständige Individuen mit individuellen Stärken und
Schwächen. Es ist das Bewusstsein gewachsen, dass
auch Menschen mit Behinderungen ein Recht auf
Selbstbestimmung und umfassende Teilhabe am Leben
in der Gesellschaft haben und geltend machen können.
Bereits 147 Staaten haben die im Jahre 2008 in
Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und ratifi-
ziert. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete
die Konvention als einer der ersten Staaten im Jahr
2007 und ratifizierte diese zwei Jahre später.
Dies führte dazu, dass die Bundesregierung zum
ersten Mal einen nationalen Aktionsplan sowie einen
Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behinderten-
rechtskonvention vorlegte. Die einzelnen Bundeslän-
der zogen nach und veröffentlichten ihrerseits um-
fangreiche Maßnahmenpakete zur Verbesserung der
Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen.
Mit den verschiedensten Projekten wird in den Städten
und Gemeinden mittlerweile auch ganz unkonventio-
nell versucht, dafür zu sorgen, dass Menschen mit und
ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam auf-
wachsen, zusammen lernen, in einem Betrieb arbeiten
und ihre Freizeit miteinander verbringen. Denn nur so
lassen sich die grundlegendsten Hindernisse überwin-
den: die Barrieren in den Köpfen.
Die vielzähligen Anträge der SPD-Bundestagsfrak-
tion zur Verbesserung der Lebenslagen von Menschen
mit Behinderungen sowie die vielzähligen Handlungs-
aufträge hierzu im Koalitionsvertrag zeigen, dass wir
seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention
alles daransetzen, diese Konvention zu erfüllen und ih-
rer Forderung nach umfassender gesellschaftlicher
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gerecht zu
werden.
Eines der wohl bedeutendsten Vorhaben in dieser
Legislaturperiode wird die Erarbeitung eines Bundes-
teilhabegesetzes sein. Auch dies haben wir im Koali-
tionsvertrag vereinbart. Wir wollen ein modernes Teil-
habegesetz, das den Bedürfnissen und besonderen
Belangen von Menschen mit Behinderungen Rechnung
trägt. Vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen,
dass das neue Bundesteilhabegesetz im Jahr 2016 ver-
abschiedet werden soll.
Wir wollen, dass das Bundesteilhabegesetz noch in
dieser Legislaturperiode in Kraft tritt. Dafür setzen
wir uns ein. Wir wollen aber auch ein Bundesteilhabe-
gesetz, dessen Inhalt hält, was der Name verspricht.
Wir wollen eine wirkliche Verbesserung im Bereich der
Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen
erreichen. Und wir wollen, dass die Betroffenen und
ihre Interessenverbände an der inhaltlichen Entwick-
lung und Ausgestaltung des Gesetzes aktiv beteiligt
sind. Das sind unsere Ansprüche. Die werden wir er-
füllen.
Von diesem Anspruch wollen und werden wir nicht
abweichen. Denn gemäß dem Motto „Nichts über uns
ohne uns!“ sind Menschen mit Behinderungen Exper-
tinnen und Experten in eigener Sache. Ihre Beteiligung
am Entstehungsprozess des Gesetzes ist insofern auch
ein Ausdruck ihrer Selbstbestimmung, und die werden
wir ihnen nicht nehmen.
Wir freuen uns daher, dass das für das Gesetz feder-
führende Bundesministerium für Arbeit und Soziales
einen breit angelegten Beteiligungsprozess noch vor
der Vorlage eines ersten Gesetzentwurfes anstrebt. Bis
dahin werden wir uns weiterhin mit den notwendigen
Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz auseinan-
dersetzen, noch offene Fragen klären und mögliche
Lösungswege erarbeiten.
Zudem hat das BMAS seinen Zeitplan zur Entwick-
lung des Gesetzes bereits vorgelegt. Dieser ist allen
Fraktionen bekannt. Der Zeitplan zeigt, dass das
BMAS den Entwurf des Bundesteilhabegesetzes zügig
und ohne Umschweife erarbeiten wird. Insofern ent-
spricht dieser den Forderungen des vorliegenden An-
trages.
Inklusion ist ein Lebensentwurf – ein Weg für Ge-sellschaftsgestaltung und Veränderung. Es geht alsobei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven-tion nicht um abstrakte Paragrafen. Es geht darum, al-len Menschen gleichberechtigt Chancen zu eröffnen.Es geht darum, nach seinen Fähigkeiten in regulärenSchulen lernen und in Unternehmen arbeiten zu kön-nen, wohnortnah Kultur zu genießen und medizinischgut versorgt zu sein, jede Behörde barrierefrei nutzen
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4242 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Diana Golze
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und alle politischen Rechte ausüben zu können. Diedafür erforderlichen behinderungsbedingten Nach-teilsausgleiche und inklusiven Rahmenbedingungenmuss die Politik schaffen.Dieser Prozess verläuft in Deutschland zu langsam,obwohl die Bundesrepublik doch so gern ihre Vorrei-terrolle betont. Noch immer leben wir mit der politi-schen Fehleinschätzung, in Deutschland seien vieleAnforderungen der UN-Konvention bereits umgesetztund deshalb bestehe kaum Handlungsbedarf. Dochdiese Selbstzufriedenheit ist völlig fehl am Platz. In al-len gesellschaftlichen Bereichen bestehen erheblicheDefizite.Auch wenn die Zahl von beschäftigten Menschenmit Behinderung absolut gewachsen ist: Die Arbeitslo-senquote unter Menschen mit Behinderung ist doppeltso hoch wie unter Menschen ohne Beeinträchtigungen.Überproportional viele sind langzeiterwerbslos. Zu-gleich sondert die Parallelgesellschaft Werkstätten fürbehinderte Menschen weiterhin aus. Die Zahl der dortBeschäftigten wächst, die Vergütungen für ihre Arbeitjedoch kaum. Die als wichtiges Ziel gestellte Vermitt-lung in den regulären Arbeitsmarkt geschieht in so ge-ringem Maße, dass man auch hier den Tatsachen insAuge schauen muss: Diese Werkstätten erfüllen ihrengesetzlichen Auftrag nicht, der nun einmal genau indieser Vermittlung besteht.Auch die – zugegeben wachsenden – Anstrengungenhin zu einer inklusiven Bildungslandschaft reichennicht aus. Die Inklusionsrate in den Schulen stagniertseit Jahren auf niedrigem Niveau. Realität ist, dassFörderschulen zwar geschlossen werden, der notwen-dige Ausgleich barrierefreier Bedingungen in denRegelschulen aber nicht entsprechend vorgenommenwird. Es fehlt an inklusiven Lehrplänen im Lehrer-studium ebenso wie an der ausreichenden Personal-ausstattung vor Ort. So erleben Familien mit behin-derten Kindern, dass sie im Namen der Inklusionweitere Schulwege und zusätzliche Belastungen inKauf nehmen müssen, ohne die entsprechenden Bedin-gungen vorzufinden. So wird eine tragende Idee derUN-Konvention konterkariert und gerät in den Verruf,ein Sparmodell zu sein.Wie so oft wird für die Lösung all dieser Problemeauf die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Dabeiwird außer Acht gelassen, dass es bei der Umsetzungder UN-Behindertenrechtskonvention um eine klareund stärkere Bundesverantwortung geht. Es kann nichtsein, dass die Bundesregierung internationale Abkom-men zeichnet und die Länder und Kommunen auf derUmsetzung sitzen bleiben. Alle sozialen Aufgaben, dieder Bund dorthin delegiert, müssen auch entsprechendfinanziell unterlegt werden. Entlastungspakete, diesich nicht selten als Nullsummenspiel wenn nicht garals Minusgeschäft für die Städte und Gemeindenentpuppten, können und dürfen nicht die Lösung sein.Aus politischen Verpflichtungen, die der Bund einge-gangen ist, darf er sich nicht mit taschenspielartigerZahlenakrobatik verabschieden. Denn die Umsetzungder in den Artikeln der UN-Konvention formuliertenMenschenrechte ist eine gesamtgesellschaftliche Auf-gabe.Menschen mit Behinderung haben das gleicheRecht auf eine aktive Beteiligung. Sie muss in gleichemMaße gesichert sein wie Teilhabe von Menschen ohneBehinderung und darf nicht von privaten finanziellenMöglichkeiten und erst recht nicht vom Zufall desWohnortes abhängen. Dazu gehört auch die Ermögli-chung der Teilhabe an einem der Lieblingsprojekte derBundespolitik der vergangenen Jahre.Bürgerschaftliches Engagement und eine Kulturder Mitverantwortung gewinnen als Wege zur Ge-staltung der Gesellschaft in einer freiheitlichen, de-mokratischen Wirtschaftsordnung im Zuge dessenan Bedeutung. Engagement trägt zur Sicherung undStärkung des Zusammenhaltes der Gesellschaft bei.So heißt es im ersten Engagementbericht der Bun-desregierung. Dass Menschen mit Behinderung hierinkeine Rolle spielen, spricht eine deutliche Sprache. Eskann zum Beispiel nicht sein, dass eine aktive Arbeit ineinem Vereinsvorstand oder in einem Verband daranscheitert, dass es an einer persönlichen Assistenz fürMenschen mit Behinderung fehlt.Es besteht also hoher Handlungsbedarf und ichhoffe, dass unser Antrag endlich eine Debatte anstößt,um die sich die Bundesregierung nicht länger drückenkann.
Die Probleme sind bekannt, seit Jahren: Menschenmit Behinderungen erleben Diskriminierungen in fastallen Lebensbereichen. So ist teilweise der Wohnortentscheidender für Qualität und Umfang der Unter-stützungsleistungen und nicht die Frage, wie vielUnterstützung gebraucht wird. Und Deutschland istnoch weit davon entfernt, barrierefrei zu sein: Versu-chen Sie mal kurzfristig eine Unterkunft zu finden füreine Reisegruppe von zehn Personen, in der vier LeuteRollstuhl fahren, zwei ihre Assistenten im Zimmer ha-ben müssen und niemand ein Auto hat. Versuchen Siemal, in ermüdenden Auseinandersetzungen darüber,wer Ihre Teilhabeleistungen finanzieren muss, nichtden Mut zu verlieren.Mit Blick auf die Probleme, denen Menschen mitBehinderungen im Alltag begegnen, ist die Frustrationüber das Schneckentempo des politischen Prozessesdurchaus verständlich. Schließlich ist es diese Woche20 Jahre her, dass Artikel 3 unseres Grundgesetzes umeinen entscheidenden Satz ergänzt wurde: „Niemanddarf wegen seiner Behinderung benachteiligt wer-den.“Die Linksfraktion formuliert in ihrem Antrag eineReihe von Anforderungen an ein Bundesteilhabege-setz, das Antwort auf die genannten Probleme seinsoll. Sie nimmt viele Forderungen auf, die seit Jahrenvon unterschiedlichen Seiten genannt werden. IchZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4243
Corinna Rüffer
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freue mich, dass wir mit diesem Antrag im Zuge desparlamentarischen Beratungsprozesses die Gelegen-heit haben, ein wenig konkreter zu werden. Denn wasvon den Koalitionsfraktionen bisher kommt, ich habedas schon mehrfach angemerkt, sind große Töne – undwenig mehr. Da wird viel Richtiges gesagt: Zumindesthier im Bundestag scheint sich niemand mehr wirklichzu trauen, für die Anrechnung von Einkommen undVermögen auf Teilhabeleistungen zu argumentieren.Das hilft aber nichts, solange wir weiter vertröstetwerden.Es ist richtig, komplexe Gesetze mit der dafür nöti-gen Ruhe und Zeit zu erarbeiten. Es ist richtig, dieMöglichkeit zur Beteiligung zu eröffnen und auf dieKompetenz von Menschen mit Behinderungen alsExpertinnen und Experten in eigener Sache zurückzu-greifen. Aber es ist falsch, in der parlamentarischenAuseinandersetzung immer nur das zu sagen, was allehören möchten, ohne sich mit den Niederungen derArbeit am Detail zu befassen. Kommen Sie aus IhrerDeckung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Unionund SPD. Ich möchte hier endlich über verschiedeneVorschläge diskutieren und die politischen Differenzensichtbar machen. Denn auch wenn in allen FraktionenAbgeordnete sich im Sinne von Menschen mit Behinde-rungen stark machen: Es stimmt auch, dass wir nichtalle einer Meinung sind, nur weil es um Menschen mitBehinderungen geht.Die Qualität des Bundesteilhabegesetzes wird sichdaran messen lassen, wem es zugutekommt. Ich binbisher nicht überzeugt, dass das alle Menschen mitBehinderungen sein werden. Wenn ich mir die Vor-schläge angucke, die bisher kursieren, dann stehennicht diejenigen mit besonders hohem Unterstützungs-bedarf im Vordergrund. Lassen Sie uns gemeinsamdarauf hinwirken, dass sich das ändert. Und, liebeBundesregierung: Legen Sie endlich überhaupt ir-gendetwas vor.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1949 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Achten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
Drucksachen 18/1780, 18/1966
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 18/1983
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Kordula Kovac für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen heuteüber den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderungdes Weingesetzes abstimmen. Erlauben Sie mir dazu ei-nen kurzen persönlichen Einstieg.Vatertag in Südbaden: Mann und Frau, ja, die ganzeFamilie sitzt bei Musik an der Wanderhütte Baßgeigeund lässt den Blick über die herrliche Kaiserstuhl-Land-schaft, vor allem über die Weinberge schweifen. – Orts-wechsel. Rheinland-Pfalz: Ein herrlicher Sommertag inSt. Martin bei Edenkoben mit Blick auf das HambacherSchloss. Der ganze Ort ist dabei, wenn die traditionelleWanderung in den Weinbergen stattfindet, und bewirtetdie Gäste mit Köstlichkeiten.Ich könnte jetzt noch die anderen traditionsreichenWeinbaugebiete in Deutschland nennen: Franken, Rhein-hessen, Pfalz, Saale-Unstrut, die Steillagen der Moselund den Rheingau. Bei allen ist eines gleich: die Liebeder Menschen in den Regionen zu ihren Weinbauge-bieten und der Stolz auf die damit verbundenen Kul-turlandschaften, die ihre Vorfahren über viele Jahr-hunderte hinweg gehegt und gepflegt haben. DieseKulturlandschaften gilt es zu erhalten; denn wir dürfennicht vergessen: Der Weinbau ist eines der ältesten Kul-turgüter Deutschlands. Seit mehr als 2 000 Jahren wirdbei uns Wein hergestellt. Heute nimmt Deutschland ei-nen Spitzenplatz unter den weinanbauenden Ländernein.Die deutsche Weinwirtschaft erzeugt ausgezeichneteProdukte, die für Lebensqualität und Tradition stehen.Die Winzer leisten einen wertvollen Beitrag zum Erhaltdieser Kulturlandschaft,
für den Tourismus in den Anbaugebieten und schaffenzudem noch Arbeitsplätze. Dafür, dass uns dies erhaltenbleibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir alsCDU/CSU uns ein.
– Gut. Danke.Mit aktuell knapp 100 000 Hektar Ertragsrebflächegehört Deutschland im internationalen Vergleich zwar zuden kleineren Erzeugerländern, die Qualität unsererSpitzenweine braucht den Vergleich mit Produkten ausFrankreich oder Italien aber nicht zu scheuen. Im Gegen-teil. In Deutschland haben wir die besten Voraussetzun-gen, qualitativ hochwertigen und regionaltypischenWein zu erzeugen und uns im weltweiten Wettbewerb zubehaupten. Unsere Weine sind weltweit begehrt.
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4244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Kordula Kovac
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Neben dem Absatz in Übersee – zu nennen sind vorallem Kanada und Japan, aber auch China – entwickel-ten sich auch die Exporte ins europäische Ausland be-sonders positiv: nach Norwegen, nach Schweden und indie Niederlande, welches mittlerweile den zweiten Rangin der deutschen Exportstatistik einnimmt. Gründe fürdiese erfreuliche Entwicklung sind unter anderem einepositive Medienberichterstattung und eine wachsendeWertschätzung in der internationalen Fachwelt. Damitunsere Weine in Zukunft von dieser Entwicklung viel-leicht sogar noch stärker profitieren können, wollen wirheute das von der Bundesregierung Ende April beschlos-sene Achte Gesetz zur Änderung des Weingesetzes ver-abschieden.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wirdie entsprechende EU-Verordnung über eine gemein-same Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeug-nisse – kurz GMO – in nationales Recht um. Durch dieneuen Fördertatbestände im Rahmen der Stützungspro-gramme werden die deutschen Winzer von der neuenEU-Maßnahme zur Absatzförderung auf dem Binnen-markt erheblich profitieren. Gleichzeitig wird der Bundes-haushalt jedoch nicht belastet. Die besondere Bedeutungder herkunfts- und gebietsbezogenen Absatzförderungwurde auch vom Bundesverfassungsgericht kürzlichnoch einmal besonders betont. Auch werden mit demneuen Gesetz schnell und unkompliziert die Vorausset-zungen geschaffen, geografische Angaben auch für aro-matisierte Weinerzeugnisse zu schützen.Lassen Sie uns das Gesetz heute verabschieden, liebeKolleginnen und Kollegen, damit unsere Erzeuger früh-zeitig vor Inkrafttreten der neuen EU-Regelung entschei-den können, ob und inwieweit sie heimische Produktemit einer geschützten Angabe versehen möchten. Wirwollen vor allem die kleinen und mittelständischen Fa-milienbetriebe unterstützen, indem wir dem deutschenWein eine bessere Profilierung auf dem Weinmarkt er-möglichen. Gleichzeitig haben wir die Verbraucher imBlick, die von der verbesserten Information profitieren.Das neue Gesetz erlaubt künftig die Nennung einer klei-neren, gekoppelten Einheit wie einer Katasterlage zu-sätzlich zur Einzellage. Das ist für die Herausstellungvon Spitzenlagen sinnvoll, zumal der Trend im Wein-export verstärkt zum Absatz höherwertiger Weine geht.Klasse durch Qualität ist gefragt. Darin liegt die Chancedes deutschen Weins.Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnenund Kollegen, viele Regionen in Deutschland sind mitdem Weinbau sehr eng verbunden. Gestatten Sie mir,dass ich bei meiner ersten Rede in diesem Hohen Hausezum Schluss etwas persönlich werde. Seit 27 Jahren ha-ben mein Mann und ich in Südbaden eine wunderbareHeimat gefunden. Da ich nun auch mit dem Bergbau– im wahrsten Sinne des Wortes – verheiratet bin,möchte ich an dieser Stelle mit zwei Zeilen aus demBadnerlied enden:Zu Haslach gräbt man Silbererz,Bei Freiburg wächst der Wein.Ich denke, sowohl im Parlamentarischen Weinforumals auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirt-schaft haben wir über diesen Gesetzentwurf gut undeinmütig diskutiert. Deshalb meine Bitte an die Kolle-ginnen und Kollegen: Lassen Sie uns mit dieser Ge-setzesänderung die Weichen dafür stellen, dass auchin Zukunft der Weinbau in Deutschland im Sinne derBürgerinnen und Bürger sowie der Winzerinnen undWinzer weitergeht. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.Danke für die Aufmerksamkeit.
Kollegin Kovac, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich denke, ich spreche im Namen des
gesamten Hauses, wenn ich Ihnen für Ihre Arbeit viel
Erfolg wünsche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der leb-
haften Glückwünsche herrscht offensichtlich ein gewis-
ses Missverständnis. Wir sind noch in der Debatte zum
Thema Weingesetz.
– Die Verkostung und andere Dinge sollten wir auf die
Zeit nach dem Abschluss der heutigen Tagesordnung
verschieben.
Der Beitrag der Fraktion Die Linke durch den Kolle-
gen Roland Claus wurde zu Protokoll gegeben.1)
Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass es, wie die Kol-
legin Kovac eben schon dargestellt hat, im Vorfeld der
heutigen Debatte zwischen den Fraktionen sehr viel
Übereinstimmung gab, und durch seinen Vortrag keine
Widersprüche aufgetaucht wären.
Das Wort hat nun der Kollege Gustav Herzog für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will eine Äußerung des Kollegen Claus zitieren. AmMontag hat er gesagt: Am Donnerstagabend, in der De-batte zum Weingesetz, wird der Bundestag seinen gan-zen Charme entfalten.
1) Anlage 17
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4245
Gustav Herzog
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– Da klatscht sogar die Union, wenn ein Linker zitiertwird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Wochegab es hier im Hohen Hause eine ganze Reihe von stritti-gen Auseinandersetzungen. Das ist auch gut so, weil wirdarum ringen, den besten Weg zum richtigen Ziel zu fin-den. Aber es gibt auch Themen, bei denen wir uns sehreinig sind. Dass das bei diesem Thema der Fall ist, warschon am vergangenen Montag, beim ParlamentarischenWeinforum, festzustellen. Frau Kollegin Kovac, Sie ha-ben darauf hingewiesen, dass sich Saale-Unstrut hervor-ragend präsentiert hat. Wir konnten uns sozusagen aufdie Woche einstimmen.Jetzt ist die Materie etwas trockener. Es geht um dieachte Änderung des deutschen Weingesetzes. Es liegtauch ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vor,mit dem wir eine Anregung des Bundesrates aufgenom-men haben. Es geht darum, die Gelder, die uns die Euro-päische Union zur Weinförderung zur Verfügung stellt,einem größeren Kreis zuzuführen. Insbesondere für dieKolleginnen und Kollegen, die nicht so sehr in der Mate-rie stecken, muss man sagen: Als wir 2007 die großeWeinreform durchgeführt haben, haben wir uns entschie-den, nicht länger zu reparieren, indem wir Übermengendestillieren oder den Einsatz von RTK subventionieren,sondern das Geld zu nehmen, um die europäische, um diedeutsche Weinwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen,um die Qualität zu steigern. Das sind fast 40 Millio-nen Euro, die jedes Jahr der Weinwirtschaft in Deutsch-land zur Verfügung stehen.Wir haben damals gesagt – ich glaube, das war einekluge Entscheidung –, dass wir 1 Million Euro nicht denLändern und den Weinbaugebieten zur Verfügung stellenwollen, sondern über das Deutsche Weininstitut ausge-ben, um insbesondere Exportförderung zu betreiben. DieseSumme werden wir auf 1,5 Millionen Euro erhöhen. Dasist gut für den deutschen Wein, weil die so gefördertenMaßnahmen dafür sorgen werden, dass die Qualitätsteigt, dass wir wettbewerbsfähiger werden und der Ab-satz steigt. Konkret geht es um Umstrukturierungen imWeinberg, Investitionen in die Kellerwirtschaft und umVerbraucheraufklärung. Im Parlamentarischen Wein-forum haben wir uns vorgenommen, dies gemeinsam mitden Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss und mitder Drogenbeauftragten, Kollegin Marlene Mortler, um-zusetzen.Zu der Frage der Absatzförderung gab es in der letz-ten Woche eine wichtige Entscheidung. Das Bundesver-fassungsgericht hat sich dazu geäußert. Es lohnt sich, diePressemitteilung zu dieser Entscheidung zu lesen.Daraus könnte man vieles zitieren, nicht nur die guteNachricht, dass der Weinfonds grundgesetzkonform ist,sondern auch, dass das höchste deutsche Gericht festge-stellt hat: Ein Aufgabenschwerpunkt des Weinfonds istdie Qualitäts- und Absatzförderung. – Ich sage bewusst:Es geht auch um die Qualitätsförderung, nicht nur da-rum, die Menge an den Kunden zu bringen.Als überzeugter Sozialdemokrat und Republikanermuss ich aber auch sagen: Es gibt da etwas, bei dem ichim Hinblick auf die Monarchie schwach werde. Auchdie Deutsche Weinkönigin ist durch dieses Urteil gerettetworden,
weil es nämlich das Deutsche Weininstitut ist, das hoch-qualifizierte Frauen aus der deutschen Weinwirtschaftgewinnt, die ein Jahr lang unsere hervorragenden Pro-dukte in der ganzen Welt vertreten.Was die Exportförderung betrifft, kann ich jedem, derdie Gelegenheit hat, empfehlen, die entsprechenden Be-richte zu lesen. Wenn man beispielsweise an Messeauf-tritte in China denkt, kann man nur sagen: Da ist jederEuro gut angelegt.Gut gefallen an der Entscheidung hat mir die Aus-sage, dass eine privatwirtschaftliche Organisation nichtso erfolgreich wäre wie diese Anstalt des öffentlichenRechts. Ich glaube, es ist auch ein Signal an uns Parla-mentarier, die wir den Weinfonds ja per Gesetz einge-richtet haben, dass dies eine kluge Entscheidung war. Daich auch Mitglied im Absatzförderungsfonds der deut-schen Land- und Ernährungswirtschaft bin, kann ich Ih-nen sagen: Hier wurde die Verfassungsmäßigkeit ja nichtfestgestellt, und wir sehen, dass es keine private Organi-sation gibt, die so etwas leisten kann. Es geht also nichtdarum, die Menge zu erhöhen, sondern darum, dieQualität und den Preis und damit das Einkommen derWinzerinnen und Winzer, der Genossenschaften und derKellereien zu erhöhen.Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtsbetrifft, muss man aber auch einen kleinen TropfenWasser in den Wein gießen. Sie wurde nämlich auch mitBezug auf Weinskandale, die Jahrzehnte zurückliegen,begründet. Ich glaube, damit hat der deutsche Weinbauüberhaupt nichts mehr zu tun. Da sind wir einige Schritteweiter.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zum Ab-schluss ein Thema ansprechen, das uns in der zweitenJahreshälfte beschäftigen wird. Es geht um das Pflanz-rechteregime. Die Europäische Kommission ist der Auf-fassung, nicht wir als Nationalstaat sollten darüberentscheiden, wo in unseren Weinbaugebieten Wein ange-pflanzt wird, sondern sie würde das gerne freigeben.Aber in diesem Haus herrscht Übereinstimmung: Weinist ein Kulturgut, und wir wollen keine industrielle Mas-senproduktion. Deswegen sage ich von dieser Stelle ausschon heute: Wir werden gemeinsam dafür kämpfen,dass wir weiterhin darüber entscheiden können, wo Weinangebaut wird, damit die Steilhänge an der Mosel undandere Flächen in Deutschland weiterhin ihren Beitragals Kulturlandschaft leisten können. Damit schaffen wirden Rahmen für unsere Winzerinnen und Winzer, für dieKellereien und für die Genossenschaften. Das Ergebnisist ein hervorragendes Produkt, das uns hoffentlich auchheute Abend, wenn die Sitzung beendet ist, Frau Präsi-dentin, schmecken wird. Wir stimmen dem Gesetzent-wurf aus Überzeugung gerne zu.Herzlichen Dank.
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4246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Markus Tressel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zum Abschluss des Tages geht es um ein schönes Themamit großem Konsensfaktor. Liebe Kollegin Kovac, einesmuss ich Ihnen allerdings übel nehmen: Sie haben beider Aufzählung der schönen Weinregionen das Saarlandvergessen. Die Kollegin Ferner und ich haben auch ganzbetroffen geguckt, weil wir die ganze Zeit darauf gewar-tet haben, dass Sie auch das Saarland nennen. Aber wirsehen es Ihnen nach. Das war heute ja Ihre erste Rede.Vielleicht nennen Sie das Saarland beim nächsten Malganz zu Anfang.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weinbau inDeutschland stärkt die regionale Wertschöpfung, erschafft – die Kollegin und der Kollege, die vor mir ge-sprochen haben, haben das ja bereits gesagt – Arbeits-plätze auf dem Land, und er fördert den Tourismus ineinzigartigen Kulturlandschaften, die von Weinbergen,Steilterrassen und Trockenmauern geprägt sind. Dieselandwirtschaftliche Attraktivität gilt es zu bewahren. Fürdie enorme wirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus fürden ländlichen Raum setzen wir hier und heute mit die-ser Novelle des Weingesetzes die Rahmenbedingungen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung passt dasdeutsche Weingesetz an Änderungen im EU-Recht an.Mit den Neuerungen beschreiten wir den richtigen Pfad,den wir in der Weingesetzgebung ja schon länger imKonsens gehen. Auch das haben die Kollegin und derKollege vor mir ja bereits gesagt. Wir fördern die Quali-tät des Weins aus Deutschland. Das ist gut für die Wirt-schaft, für die Regionen und nicht zuletzt für das Imageunseres Landes.
Bei den neuen Stützungsprogrammen für den Wein-sektor begrüßen wir besonders, dass die Gelder auch fürdie Aufklärung über gesundheitliche Auswirkungen desWeinkonsums genutzt werden können. So wird dieAbsatzförderung aus Perspektive der Gesundheit auchkritisch begleitet.Auch die neuen Verfahren, die Herkunft des Weinsoder des Weinerzeugnisses anzugeben, schaffenTransparenz und ermöglichen eine bewusste Kaufent-scheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Da-von profitiert auch die Weinwirtschaft. Die Regelungenzu den Herkunftsangaben sorgen nämlich dafür, dass nurder Wein einen guten Namen trägt, der den guten Namenauch verdient. Ein hochqualitativer Wein kann mit demguten Image seines Namens für sich werben. Der Grund-satz „Klasse statt Masse“ ist die Stärke der deutschenWeinwirtschaft. Das soll auch so bleiben, und das errei-chen wir auch mit diesem Gesetzentwurf.
Der Kollege Herzog hat es bereits gesagt: Das Bun-desverfassungsgericht hat eine Entscheidung über denDeutschen Weinfonds getroffen. Wir freuen uns, dassdas Bundesverfassungsgericht den Deutschen Wein-fonds und seine Finanzierung vollumfänglich bestätigthat, und auch ich kann von dieser Stelle aus nur nocheinmal begrüßen: Das sorgt nicht nur dafür, dass wir denAbsatz weiter vorantreiben können, sondern das sichertauch die Existenz der Deutschen Weinkönigin. DiesePointe hat der Gustav Herzog eben vorweggenommen,
aber ich möchte das an dieser Stelle auch nicht uner-wähnt lassen.Trotz dieser erfreulichen Entwicklung gibt es in derWeingesetzgebung natürlich auch Gefahren für einequalitätsorientierte Zukunft des Weinbaus. Der KollegeHerzog hat das Pflanzrechteregime angesprochen. Hierbrauchen wir eine Lösung, die den Qualitätsweinbau indiesem Land garantiert. Wir wollen keine Produktions-ausweitung in die Flachlagen. Das würde den Preisdruckverschärfen und hätte einen Qualitätsverlust zur Folge.Das kann nicht unser Ziel sein. Deswegen müssen wirgemeinsam dafür sorgen, dass das in dieser Form nichtkommt.Ich muss an dieser Stelle auch das Freihandelsabkom-men TTIP nennen, ohne dass ich hier jetzt eine grund-legende Debatte zum Thema TTIP führen möchte. Auchdas kann Auswirkungen haben, etwa dann, wenn es umdie geschützten regionalen Herkunftsbezeichnungen fürWein in der EU geht, die es in den USA nicht gibt. Dassollten wir auf dem Schirm haben, wenn wir über diesesThema sprechen.Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: Die globaleErwärmung ist natürlich auch eine große Gefahr für dieWeinwirtschaft. Diese müssen wir in Zukunft auch inunsere Beratungen mit einbeziehen. Deutliche Verände-rungen bei Vegetationsphasen, Reifedauern und demLesebeginn: Hier gibt es viel zu tun. Deswegen muss dieBundesregierung an dieser Stelle auch etwas für denKlimaschutz tun. Das wird klar, wenn wir über dieWeinwirtschaft sprechen.Heute liegt ein Gesetzentwurf vor, den wir voll unter-stützen und dem wir zustimmen werden, da er die Quali-tät des Weins fördert, die gesundheitliche Aufklärungüber den Weinkonsum unterstützt und – das ist ganzwichtig – die regionale Wertschöpfung im ländlichenRaum stärkt.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4247
Markus Tressel
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Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Norbert Schindler für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Einen schönen guten Abend zu diesem Dämmer-schoppengespräch! Den Entwurf eines Achten Gesetzeszur Änderung des Weingesetzes werden wir einstimmigverabschieden.Seit über 2 000 Jahren haben wir in Deutschland eineWeintradition, vor allem in den Flussniederungen anMosel und Rhein. Auch die Saale-Unstrut-Region mussman nennen, aber im Osten gab es den Weinbau erstcirca 1 000 Jahre später, wobei es nicht die Römer wa-ren, die den Wein dorthin brachten. Trotzdem ist es einsehr gutes Kulturgut.Die Auseinandersetzung ist aktuell – darauf kommeich zum Schluss noch einmal – wir müssen mit der Euro-päischen Union noch einmal das Rebpflanzrechteregimefür die Zukunft abgleichen. Ich war bis zur Weitergabeder Verantwortung an meinen eigenen Sohn aktiverWinzer: Ich kann aus Trauben Wein machen. Das ist eineGrundvoraussetzung dafür, um ein erfolgreicher Winzerzu sein. – Was Gustav Herzog schon sagte: Vor achtTagen haben wir angesichts des zu erwartenden Urteilsin Karlsruhe die Luft angehalten und uns gefragt: Wieurteilt das Bundesverfassungsgericht beim Weinfonds– wir haben darüber debattiert – im Vergleich zur CMA?Leider hat das Gericht in Karlsruhe da verkehrt entschie-den.
Da wurde uns ein wichtiges Mittel aus der Hand genom-men. Gott sei Dank hat diese Einsicht beim deutschenWeinbau getragen. Ein Grund dafür war vielleicht derSturm der Entrüstung und die Tatsache, dass wir schonviele Strukturen in Deutschland auflösen mussten. Dashaben wir alles schon erlebt.Ich bin nicht nur wegen des Überlebens der Weinkö-niginnen froh, sie hätten auch dieses Urteil überlebt.Aber dass die Weinwirtschaft dieses Mittel zur Struktur-förderung in den Händen behält, war so selbstverständ-lich nicht. Wir haben uns wirklich große Sorgen ge-macht.Mit diesem Änderungsgesetz geben wir in der Frageder Zuordnung von Werbemitteln den Bundesländern,aber vor allem der Weinwirtschaft, noch einmal erwei-terte Möglichkeiten. In der leidigen Frage, wie wir mitWeinen mit hohem Säureanteil umgehen, erhalten dieLänder die Verfügungsgewalt. Wir führen keine großenDebatten, bis die Europäische Union ein Genehmigungs-verfahren durchführt; denn solche Verfahren sind in derRegel abgeschlossen, wenn der Wein schon vergoren ist.Dass wir dieses Ärgernis jetzt ausräumen, ist gut, sokönnen wir vernünftige Ziele erreichen.Meine Damen und Herren, angesichts der erfolgrei-chen Entwicklung, die wir politisch vorgegeben haben,erinnere ich – so lange begleiten wir schon die Änderun-gen des Weingesetzes – an die Dubliner Beschlüsse von1984. Damals übernahm ich immer mehr die Verantwor-tung. Es ging darum, den Winzern beizubringen: Weni-ger ist mehr! Keine Massenproduktion wie bei HenryFord mehr, sondern Qualitätsstreben. Das hat einige füh-rende Personen das Amt und uns, die CDU, damals inRheinland-Pfalz die Mehrheit gekostet.
Das war eine bittere Erkenntnis.Heute sind alle wie nach einer Flurbereinigung dabeiund sagen: Das haben wir schon immer so gemacht.Aber ich habe das in meiner Jugendzeit als Verantwortli-cher im Weinbau erlebt. Wie erfolgreich wir heute mitunserem Qualitätsstreben sind, zeigen die guten Ergeb-nisse bei internationalen Messen von Paris bis Bordeauxund natürlich beim Wettbewerb unserer Landwirt-schaftskammer Rheinland-Pfalz.Was uns drückt, ist folgendes Problem: Wie gehen wirmit der Rebflächenausweitung um? Wir wollen keineMassenstückgutproduktion, bei der es nach altem euro-päischen Denken heißt: Wein kann man überall erzeu-gen. – Wir wollen auch keine Fraktionierungsmaßnah-men, wie sie in Neuseeland oder in den USAselbstverständlich sind. Der freie Geist der EuropäischenUnion in den Vorlagen hat schon viel Verärgerung aus-gelöst.Dass wir uns übereinstimmend über alle Landesregie-rungen, über alle Parteien hinweg gegen diese multilibe-ralen Vorstellungen seitens der Europäischen Kommis-sion gewehrt haben und wir auch jetzt bei derAusweisung von Rebflächen eine restriktive Haltungeingenommen haben, ist ein guter Start in der Auseinan-dersetzung mit den privilegierten Rechtsakten seitensder Europäischen Union, die in den nächsten Wochen er-wartet werden. Wir werden in diesem Haus im Oktoberoder im November dieses Jahres in dieser sehr strittigenFrage mit der Kommission mit Sicherheit noch einmalheftig debattieren müssen.Es geht um unsere Qualitätsphilosophie. Wir wollenkeine fraktionierten Weine, die – wie man das in Kalifor-nien erleben kann – am Computer wieder zusammen-gesetzt und dann wie die Light-Version von Cola auf denWeltmarkt gebracht werden. Vielmehr geht es um dieIndividualität der geografischen Herkunft. Darauf zieltauch eine der Änderungen im Zusammenhang mit demKatasternamen. Dafür haben wir hier vor zwei Jahrengeworben und beschlossen, dies mit der kleinsten zu be-stimmenden geografischen Einheit Terroir umzusetzen.Damit tun sich manche Länder noch ein bisschenschwer, auch meine Freunde in Rheinland-Pfalz. Dassdiese Möglichkeit vom Bundesgesetzgeber vorgegebenwird, dient der Profilierung der Einheit Terroir. Damitweiß auch der preiswillige Konsument, worum es bei
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Norbert Schindler
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diesem Begriff geht. Jetzt will ich nicht alle bekanntenWeinlagen nennen. Das ist das Gute an diesem Gesetz.Aber ich wünsche mir, dass wir im Oktober oder No-vember die deutsche Vorstellung einer geringeren Flä-chenausweitung gegenüber der Europäischen Union ver-treten. Ich werbe schon heute dafür, dass man denerzielten Kompromiss von 1 Prozent jährlicher Auswei-tung der Rebfläche debattiert. Wir müssen von dem1 Prozent wegkommen. Es geht um weniger Flächenaus-weitung und die Angleichung an die geografische Nach-barschaft, damit nicht irgendwo ein Acker in Mutterstadtin der Vorderpfalz auf einmal Rebflächengelände wirdund die übrigen Landwirte auf diese Erzeugung Rück-sicht nehmen müssen. Das sind Problempunkte bis hinzur Abgrenzung von Einzellagen. Jetzt gehe ich sehr insDetail. Sie merken, wir haben noch ein bisschen Arbeitvor uns.
Kollege Schindler, es ist hochinteressant. Das Präsi-
dium hört gebannt zu.
Aber Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen.
Das mache ich gern. Wenn Sie uns zu einer geschei-
ten Runde mit trockenem Riesling einladen, mache ich
das noch viel schneller.
Wir haben heute noch zehn Tagesordnungspunkte zu
behandeln. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam.
Jawohl, Frau Präsidentin. – Wir haben noch ein paar
Hausaufgaben zu machen. Aber ich bin stolz auf den in-
ternationalen guten Ruf unserer deutschen Weine. Dazu
hat der Gesetzgeber seit 1985 entscheidend mit beigetra-
gen. So schlecht kann unsere Politik also nicht gewesen
sein. Die Winzer haben diese Herausforderung umge-
setzt.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung
und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/1983, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 18/1780 und 18/1966
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Richtig schade, dass uns die Besucher schon vor gerau-
mer Zeit verlassen haben.
– Einige sind noch da, gut.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das können Sie
gleich feiern. Aber davor hat uns der Ältestenrat in der
Verabredung noch zehn Tagesordnungspunkte zur Bera-
tung aufgegeben. Ich bitte Sie jetzt um gemeinsames
konzentriertes Bearbeiten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Innenausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Für eine schnelle und unbürokratische Auf-
nahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland
und in der EU
– zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg,
Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Verantwortung übernehmen – Zügig mehr sy-
rische Flüchtlinge aufnehmen
Drucksachen 18/840, 18/846, 18/1760
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Am vergangenen Montag erhielten wir die Nach-richt, dass 30 Flüchtlinge in einem mit 600 Menschenvöllig überfüllten Boot im Mittelmeer erstickt sind.Solche schrecklichen Tragödien schockieren im Deut-schen Bundestag jeden. Denn eines steht völlig außerFrage: Zur Rettung von Menschenleben gibt es keineAlternative.Darum begrüße ich es, dass unsere Kollegen im Eu-ropaparlament im Frühjahr dieses Jahres die europäi-sche Grenzschutzagentur Frontex rechtlich dazu ver-pflichtet haben, Flüchtlinge in Seenot zu retten. In
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Andrea Lindholz
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diesem Zusammenhang muss aber auch gesagt wer-den, dass Frontex bereits in den Jahren vor der recht-lichen Verpflichtung über 40 000 Flüchtlinge aus See-not gerettet hat.Eine wesentliche Ursache für die Katastrophen aufdem Mittelmeer und den anschwellenden Flüchtlings-strom ist der Bürgerkrieg in Syrien. Täglich fordert deranhaltende Zerfall des syrischen Staates neue Todes-opfer. Inzwischen sind über 9,3 Millionen Syrer inner-halb und außerhalb ihrer Heimat auf der Flucht. Allediese Menschen brauchen dringend humanitäre Hilfe.Dem oft erhobenen Vorwurf, Europa sei eine Fes-tung, muss ich an dieser Stelle widersprechen. Seit2008 ist die Zahl der Menschen, denen im europäi-schen Asylsystem Schutz gewährt wurde, um rund55 Prozent gestiegen. Das belegen die Zahlen von Eu-rostat, die zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2014vorgelegt wurden.Es ist aber eine traurige Tatsache, dass sich diegestiegene Aufnahmebereitschaft in Europa auf we-nige Länder, vor allem Deutschland und Schweden,beschränkt. Das zeigt sich am Beispiel der Syrien-Hilfe ganz deutlich.In Deutschland gilt seit 2011 ein absoluter Abschie-bestopp nach Syrien. In den letzten Jahren sind über35 000 Syrer nach Deutschland gekommen und erhal-ten über das gewöhnliche Asylverfahren Schutz. Alleinzwischen Januar 2013 und Mai 2014 wurden inDeutschland nahezu 21 000 Erstanträge aus Syrienverzeichnet. Die Anerkennungsquote bei diesen Anträ-gen liegt bei fast 100 Prozent. Seit Ausbruch des Bür-gerkrieges hat sich die syrische Gemeinschaft inDeutschland auf rund 66 000 mehr als verdoppelt.Zusätzlich hat die Bundesregierung im letzten Jahrzwei Sonderprogramme aufgelegt, um 10 000 beson-ders schutzbedürftigen Syrern Schutz in Deutschlandzu gewähren. Diese Programme werden voraussicht-lich erst im August abgeschlossen sein. Trotzdem ha-ben die 16 Innenminister der Länder zusammen mitdem Bundesinnenminister im Juni beschlossen, weite-ren 10 000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland imRahmen eines dritten Senderprogramms Schutz zu bie-ten. Damit wird das bestehende Bundesprogramm ver-doppelt. Diesen zusätzlichen Einsatz begrüße ich aus-drücklich und bin den Innenministern für dieseswichtige Signal sehr dankbar.Deutschland hilft mit den Sonderprogrammen nichtnur den insgesamt 20 000 Flüchtlingen. Die Bundesre-gierung sendet damit und mit seinem insgesamt offe-nen Asylsystem ein wichtiges Signal an den Rest derEuropäischen Union. Auch unsere europäischen Part-ner haben eine humanitäre Verantwortung und müssenmehr für die Bewältigung der Flüchtlingskatastrophein Syrien unternehmen.Bisher haben die Staaten der EU 33 000 syrischenFlüchtlingen Schutz zugesagt. 20 000 davon entfallenallein auf Deutschland. Auch große Länder wie Frank-reich oder Großbritannien stellen nur 500 Sonder-plätze zur Verfügung. Diese massive Schieflage im eu-ropäischen Asylsystem muss behoben werden. Aktuellwerden rund 60 Prozent aller Asylanträge innerhalbder EU in Deutschland gestellt. Dieser Zustand ist aufDauer nicht tragbar.Auf nationaler Ebene haben wir heute etwas getan,um den Migrationsdruck an anderer Stelle zu reduzie-ren. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowinahaben wir heute zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.Damit kann rund ein Viertel aller Asylanträge inDeutschland schneller bearbeitet werden.Auf europäischer Ebene setzt sich die Bundesregie-rung seit Jahren mit Nachdruck für ein größeres Enga-gement unserer europäischen Partner ein. Zuletzt hatsie das auf dem High Level Meeting in Genf am27. Juni getan. Ich hoffe, dass den Worten nun auchTaten folgen. Ganz Europa muss sich seiner humanitä-ren Verantwortung angesichts der katastrophalen Lagein Syrien bewusst werden.Letztendlich müssen wir aber einsehen, dass wir mitSonderprogrammen und dem europäischen Asylsystemimmer nur punktuell helfen können.Wir haben aber eine humanitäre Verpflichtung ge-genüber allen Flüchtlingen. Deswegen ist es absolutrichtig, dass die Bundesregierung ihre Mittel trotz derVerdoppelung der Sonderprogramme nach wie vor aufdie Hilfe vor Ort fokussiert. Seit 2012 hat die Bundes-regierung über eine halbe Milliarde Euro für syrischeFlüchtlingshilfe bereitgestellt. Damit gehört Deutsch-land zu den größten bilateralen Geldgebern.Vor Ort leistet unser Technisches Hilfswerk prakti-sche Hilfe in den Flüchtlingslagern. Die Mitarbeiterdes THW und der anderen Hilfsorganisationen vor Ortverrichten einen unschätzbaren Dienst für Millionenvon Flüchtlingen. Ihnen gebührt unser größter Dank.Vor diesem Hintergrund können die Anträge vonLinken und Grünen getrost abgelehnt werden. DieBundesregierung hat mit ihrem großen und stetigwachsenden Engagement in Syrien die Anträge längstobsolet werden lassen.
Es ist leicht, die Aufnahme von mehr Flüchtlingenaus Syrien zu fordern, wenn man sich als Bundespoli-tiker nicht um deren Unterbringung und Versorgungkümmern muss. Solche Forderungen greifen aber zukurz.Die Meldungen aus Städten wie Hamburg, aberauch aus meiner Heimat bringen es auf den Punkt:„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand!“, heißt es dort,wenn es um die Unterbringung und Versorgung vonAsylbewerbern geht! Ich denke, deutlicher kann manes kaum ausdrücken.Mehr als 60 Prozent aller syrischen Flüchtlinge inEuropa hat Deutschland mittlerweile aufgenommen.Zu Protokoll gegebene Reden
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Nina Warken
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Wir erwarten dieses Jahr einen Rekordwert von200 000 Asylanträgen in der Bundesrepublik. Davonstammen jeden Monat 1 700 von syrischen Flüchtlin-gen.Das sind Zahlen, die unsere Kommunen erst einmalbewältigen müssen. All dies wird von den beiden An-trägen, gelinde gesagt, heruntergespielt. Das Gleichegilt für das beträchtliche deutsche Engagement in densyrischen Nachbarstaaten.Es liegt doch ganz klar auf der Hand, dass zuerstdie notwendigen Aufnahmekapazitäten vorhanden seinmüssen, bevor wir die Menschen aufnehmen können.Deshalb müssen wir, was Aufnahmekontingente an-geht, auch auf unsere Kommunen hören, denn sonstsitzen die Flüchtlinge bei uns in naher Zukunft auchauf der Straße, wie in einigen anderen Ländern in Eu-ropa. Das kann doch nicht das Ziel sein, wenn wir denMenschen wirklich helfen wollen.Hinzu kommt, dass Kapazitäten in den Aufnahme-einrichtungen und beim zuständigen Bundesamt durchAsylbewerber aus den Balkanstaaten gebunden wer-den.Ich appelliere deshalb dringend nochmals an dieLänder, dem Gesetzentwurf zur Einstufung vonSerbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowinaals sichere Herkunftsländer zuzustimmen, damit dieKapazitäten unseres Asylsystems den tatsächlichSchutzbedürftigen, wie den Menschen aus Syrien, auchzur Verfügung stehen.Bund und Länder haben nun beschlossen, die bun-desweite Aufnahme auf 20 000 syrische Flüchtlingeaufzustocken. Hinzu kommen noch die separatenAufnahmeprogramme der Länder, wodurch Tausendeweitere Syrer bei ihren Verwandten in Deutschland un-terkommen können. Vor dem Hintergrund des andau-ernden Bürgerkriegs in Syrien und der angespanntenLage in den Nachbarstaaten ist dies in jeder Hinsichtgerechtfertigt.Doch man muss sich darüber im Klaren sein, dassjede deutsche Aufnahmeaktion stets nur eine begrenzteZahl syrischer Flüchtlinge aufnehmen können wird.Deshalb ist es richtig, den Schwerpunkt der Flücht-lingshilfe auf die Nachbarstaaten zu konzentrieren,wohin mittlerweile drei Millionen Syrer nach Schät-zungen geflohen sind.Deutschland hat seit 2012 rund 520 Millionen Eurofür humanitäre Hilfe und zur Verbesserung der Infra-struktur in den Nachbarstaaten Syriens bereitgestellt.Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgtfür sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern.Die Erfahrungen aus diesem breit angelegten Enga-gement haben eines unmissverständlich gezeigt: JederEuro hilft vor Ort viel mehr Menschen als bei einerAufnahme in Deutschland. Und das ist es schließlich,was wir wollen, dass unsere Hilfe so viele Menschenwie möglich erreicht und damit auch so effektiv wiemöglich ist. Wir können daher nur an alle Mitglied-staaten in der Europäischen Union appellieren, die-sem Beispiel zu folgen.Meine inständige Bitte lautet daher, dass die neueEU-Kommission, sobald sie im Amt ist, endlich zu ei-ner Syrien-Konferenz einlädt, was die Bundesregie-rung schon seit über einem Jahr fordert. Denn nurEuropa als Ganzes kann dafür sorgen, dass die drin-gend benötigten Hilfsmittel für die Flüchtlinge in densyrischen Nachbarstaaten zusammenkommen und eineeuropäische Aufnahmeaktion anlaufen kann.Lassen Sie mich abschließend noch eines betonen:Wir dürfen bei allen notwendigen Hilfsmaßnahmennicht vergessen, das Problem bei der Wurzel zu pa-cken.Die Menschen aus Syrien verlassen ihre Heimatnicht freiwillig, sondern weil sie dort um ihr Lebenbangen müssen. Der Zustand, dass die Friedensver-handlungen bis auf Weiteres abgebrochen wurden, bisein „konstruktiver Dialog“ möglich ist, darf nicht ein-fach hingenommen werden.Lassen Sie uns deshalb gemeinsam alles dafür tun,dass der Krieg in Syrien beendet wird und die Men-schen wieder sicher in ihrer Heimat leben können.
Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir es nochgeschafft, hier mit den Stimmen aller Fraktionen desHauses eine einheitliche Position mit dem Titel „Syri-sche Flüchtlinge schützen“ zu verabschieden. Das warein Zeichen der humanitären Anteilnahme mit den Op-fern des Konflikts, und wir haben auch – wie gesagt,gemeinsam – die damalige Bundesregierung auf die-sem Gebiet unterstützt.In diesem Jahr war das leider nicht möglich: Wirentscheiden hier heute nur über Anträge von Bünd-nis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke.Warum es also dieses Jahr nicht wieder gemeinsammöglich ist, kann ich Ihnen zwar berichten, nachvoll-ziehen und verstehen kann ich es aber nicht. Nur soviel sei gesagt: An der Bereitschaft zur konstruktivenMitarbeit aus der sozialdemokratischen Fraktion he-raus hat es nicht gefehlt.Es hat sich auch an der Sachlage eigentlich nichtsgeändert, sondern im Gegenteil: Die humanitäre Kata-strophe innerhalb Syriens und in den an Syrien an-grenzenden Staaten hat sich dramatisch vergrößert.2,8 Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen, undweitere 9,3 Millionen sind in Syrien selbst auf derFlucht und jedenfalls dringend auf humanitäre Hilfeangewiesen. Im Libanon halten sich mittlerweile mehrals 1 Million Flüchtlinge auf. Bei einer Einwohnerzahldieses Staates, die nur knapp fünfmal so hoch liegt,kann sich jeder auch ohne Aufbietung von besondererFantasie vorstellen, dass der Libanon kurz vor einemKollaps seiner Infrastruktur und vielleicht des ganzenStaatswesens steht.Zu Protokoll gegebene Reden
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Rüdiger Veit
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Deutschland leistet mit mittlerweile schon über400 Millionen Euro Unterstützung für die Lage vorOrt. Beispielhaft nicht nur in Europa, sondern in derganzen Welt – natürlich ausgenommen die unmittelba-ren Anrainerstaaten – ist auch unsere Bereitschaft,Flüchtlinge aus Syrien bei uns aufzunehmen. Seit Aus-bruch des Bürgerkrieges haben 34 000 Asylsuchendebei uns Schutz gefunden. Mit Aufnahmeprogrammendes Bundes – zunächst 5 000, dann 10 000, jetzt nachder letzten Innenministerkonferenz 20 000 Personen –und verschiedenen Länderaufnahmeprogrammen– nur Bayern macht hier leider eine Ausnahme – sindmittlerweile weitere 10 000 syrische Flüchtlinge inDeutschland eingetroffen.Im Februar dieses Jahres hat der UNHCR die ge-samte internationale Staatengemeinschaft aufgerufen,30 000 Plätze für die dauerhafte Neuansiedlung oderhumanitäre Aufnahme von besonders schutzbedürfti-gen syrischen Flüchtlingen bereitzustellen. Für 2015und 2016 rechnet er mit einem Bedarf für weitere100 000 Plätze.Innerhalb Europas hat sich Deutschland – diesmalund erfreulicherweise – nicht auf den Standpunkt zu-rückgezogen, man wolle zunächst abwarten, was an-dere tun, um sich dann erst selbst der Verantwortungzu stellen. Wir haben im Gegenteil versucht, mit derAufnahme syrischer Flüchtlinge bei uns auch für dieanderen Mitgliedstaaten ein ermunterndes Beilspiel zugeben. Diese Hoffnung war leider bisher vergeblich,und es wird nunmehr allerhöchste Zeit, dass die neu zuwählende Europäische Kommission sich dieser Frageengagiert annimmt. Um es klar und deutlich zu sagen:Die bisherige Untätigkeit der anderen europäischenMitgliedstaaten halte ich, gelinde gesagt, für einenSkandal und mit unseren ansonsten immer viel be-schworenen europäischen Grundwerten für nicht ver-einbar.Selbst die frühere Opposition von Bündnis 90/DieGrünen, Linkspartei und Sozialdemokraten hat die da-malige Bundesregierung nachdrücklich unterstützt,und zwar sowohl bezüglich der finanziellen Hilfen inder Krisenregion als auch im Bezug auf die Flücht-lingspolitik, und wir sollten auch heute mit allemNachdruck die Verhandlungsposition der jetzigen Re-gierung und hier namentlich unserer Minister Frank-Walter Steinmeier und Thomas de Maizière unterstüt-zen, um auf europäischer Ebene weiterzukommen.In diesem Zusammenhang muss ich wiederholen,was ich vor zwei Tagen in einer anderen Debatte er-wähnt und beklagt hatte. Für den 27. Juni 2014 hatteder UNHCR zu einem High-Level-Meeting nachGenf eingeladen. Dort vertreten waren 42 Staaten.Herausgekommen ist: Aufnahmebereitschaft für wei-tere 565 Personen – wohlgemerkt nicht am Tag, in derWoche oder im Monat, sondern insgesamt! Ich be-trachte das als eine Schande. Mutmaßlich werden dieKosten dieser angeblichen High-Level-Veranstaltunghöher gewesen sein als der mehrmonatige Aufwand fürdie Aufnahme von diesen 565 Personen.Ich finde, unser Bundespräsident Joachim Gauckhat in seiner bemerkenswerten Rede von Anfang dieserWoche zu Recht darauf hingewiesen, man werde niegenug tun können, um dem Flüchtlingselend in derWelt überall entgegenwirken zu können, man kannaber wesentlich mehr tun, als man gemeinhin glaubt.Das betrifft Deutschland genauso wie die europäischeund die internationale Staatengemeinschaft. Um dennotwendigen politischen und moralischen Druck auf-zubauen und von einer glaubwürdigen Position ausverhandeln zu können, sollten wir weiterhin mit gutemBeispiel vorangehen.Wir haben dabei im Übrigen – was bei diesen The-men nicht immer der Fall ist – in der großen Mehrheitunserer Bevölkerung mit mitfühlendem Verständnisund Hilfsbereitschaft zu rechnen.Lassen Sie uns hier in diesen Fragen beieinanderbleiben – auch wenn es heute zu einem gemeinsamenAntrag noch nicht wieder gereicht hat.
Wir beraten heute abschließend einen Antrag derFraktion Die Linke zur Aufnahme von Flüchtlingenaus Syrien. Darin fordern wir eine deutliche Auf-stockung der Aufnahmekontingente für syrischeFlüchtlinge, Erleichterungen bei der Aufnahme beiVerwandten in Deutschland und den Verzicht auf Ab-schiebungen von syrischen Asylsuchenden in andereEU-Staaten. Wir meinen: Alle EU-Staaten müssen sichan der Aufnahme syrischer Flüchtlinge beteiligen unddabei von der EU unterstützt werden.Die Konferenz der Landesinnenminister im Juni hattatsächlich das Kontingent für die Aufnahme vonFlüchtlingen, die sich bereits in den AnrainerstaatenSyriens befinden, von 10 000 auf 20 000 aufgestockt.Wir freuen uns selbstverständlich für jeden einzelnenFlüchtling, der den überfüllten Flüchtlingslagern oderden schwierigen Lebensbedingungen außerhalb derLager entkommen kann. Wir sagen aber auch: DieBundesrepublik könnte mehr tun.Das gilt zum einen für die Aufnahmeverfahren sel-ber. Die im Mai und Dezember letzten Jahres beschlos-senen Aufnahmekontingente von jeweils 5 000 Flücht-lingen sind nämlich noch gar nicht ausgeschöpft. Dasliegt unter anderem an den Auswahlverfahren beimBundesamt für Migration und Flüchtlinge und den bü-rokratischen Visaverfahren an den Botschaften. Hiermüssen weiterhin Verfahrensbeschleunigungen vorge-nommen werden, besonders für die humanitär dringli-chen Fälle.Zum anderen gilt das auch hinsichtlich der Zahl derFlüchtlinge, die aufgenommen werden sollen. Fastdrei Millionen Menschen sind in die AnrainerstaatenSyriens geflohen. Das bedeutet für diese Staaten eineunglaubliche Belastung. Es wäre auch ein Zeichen derSolidarität gegenüber diesen Staaten, deutlich mehrFlüchtlingen die Ausreise nach Deutschland zu ermög-lichen. Eine sofort wirksame Maßnahme ist die Er-Zu Protokoll gegebene Reden
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4252 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Ulla Jelpke
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leichterung des Verwandtennachzugs. Es ist erfreulich,dass über die entsprechenden Aufnahmeprogrammeder Länder inzwischen immerhin 5 500 Visa erteiltwurden. Doch es liegen noch weitere 75 000 Anträgeauf Nachzug von Verwandten vor, die noch nicht kom-men konnten. Denn weiterhin sind die hier lebendenSyrer, die sich um ihre Verwandten sorgen, mit hohenfinanziellen Anforderungen konfrontiert. Sie müssensich verpflichten, für den Unterhalt ihrer Verwandtenaufzukommen, und sie müssen das entsprechende Ein-kommen und Vermögen dafür nachweisen können. Un-ter Umständen müssen sie so die belastende Wahl tref-fen, wen sie holen und wer dort bleiben muss.Bund und Länder haben damit eine Entscheidungüber die Zukunft dieser Menschen und ihre Überle-benschancen an ihre hier lebenden Verwandten dele-giert. Keiner von uns hier will sich wohl in einer Situa-tion wiederfinden, in der er über das Leben seinerGeschwister, Eltern und Kinder entscheiden muss.Eine solche Entscheidung ist moralisch unzumutbar.Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: DerNachzug von Verwandten ersten und zweiten Gradesdarf keine Frage der finanziellen Leistungsfähigkeitsein. Er muss jetzt und ohne weitere Anforderungenmöglich sein. Bund und Länder sind dringend gefor-dert, noch einmal deutlich nachzubessern. Die nun vonden Innenministern beschlossene Kostenübernahmeim Krankheitsfall kann da nur der erste Schritt sein.Von der Koalition wird gern auf die Verantwortungaller EU-Staaten und die hohe Zahl syrischer Asylsu-chender in Deutschland verwiesen. Deshalb solltensich die anderen EU-Staaten selbst um die Asylsuchen-den kümmern, die bei ihnen ankommen. Zugleichmacht die Bundesregierung Druck auf die Länder anden Außengrenzen der EU, dass diese ihre Grenzen ef-fektiver abschotten sollen. Die Bundesregierung istmitverantwortlich für eine Politik, die schutzsuchendeMenschen nur als sogenannte irreguläre Migrantenbehandelt und sie gar nicht erst einreisen lässt. DieLandgrenzen Griechenlands und Bulgariens zur Tür-kei sind mittlerweile zu einer unüberwindbaren Hürdegeworden. Es ist diese Abschottung, die zu den tägli-chen Dramen im Mittelmeer führt. Erst gestern hat derUNHCR 75 Flüchtlinge im Mittelmeer als vermisst ge-meldet. Am Tag zuvor meldete die italienische Marineden Tod von 45 Flüchtlingen, die auf der Überfahrtvon Libyen erstickt waren. Deshalb fordern wir, end-lich sichere Fluchtwege in die EU zu schaffen, um dieMenschen nicht in Lebensgefahr zu treiben. Davonwürden nicht zuletzt die syrischen Flüchtlinge profitie-ren, die weiterhin zu Tausenden Tag für Tag ihre Hei-mat verlassen müssen.
Es geht in beiden Anträgen im Schwerpunkt um dieForderung eines weiteren Aufnahmekontingents desBundes für syrische Flüchtlinge, das sich in der Grö-ßenordnung an den Interessensbekundungen syrischerVerwandter hier in Deutschland orientiert. Es gibtcirca 76 000 Meldungen. Denn trotz des engagiertenEinsatzes von Bund, Ländern und Kommunen reichtmeines Erachtens der deutsche Beitrag für syrischeFlüchtlinge noch nicht aus. Es ist dieses wichtigen hu-manitären Themas unwürdig, dass es nicht gelungenist, hierzu einen gemeinsamen Antrag vom DeutschenBundestag beschließen zu lassen, und dies bei einemThema, das angelblich allen Fraktionen am Herzenliegt. Dies ist sehr bedauerlich. Es wäre auch mit Blickauf die Innenministerkonferenz ein gutes Signal gewe-sen, wenn der Bundestag hierzu ein geschlossenes Bildabgegeben hätte.Es ist begrüßenswert, dass die Innenministerkonfe-renz dennoch im Juni 2014 beschlossen hat, dassDeutschland ein weiteres Kontingent von 10 000 syri-schen Flüchtlingen aufnimmt. Fakt ist nur, dass auchein neues Kontingent von weiteren 10 000 syrischenFlüchtlingen nicht ausreichen wird, um alle Anfragenaus Deutschland zu befriedigen, zumal es bis heuteauch noch keine Aufnahmeanordnung des Bundesin-nenministeriums für das neue Kontingent mit den De-tails gibt. Es ist mir unverständlich, warum nicht direktein Kontingent gebildet wird, das sich an der Zahl derInteressenbekundungen orientiert, zumal die Bereit-schaft in der Bevölkerung zur Aufnahme und Hilfe fürweitere syrische Flüchtlinge groß ist. Ehrenamtlichesetzen sich bereits jetzt zahlreich für die ankommendenFlüchtlinge ein. Engagierte Bürger und Bürgerinnenhelfen bei der Wohnungssuche, beim Ämtergang, brin-gen den Ankommenden das Fahrradfahren bei oderbieten Deutschkurse an.Neben der Forderung eines weiteren Kontingentsbleibt für meine Fraktion nach wie vor das Problemvon Dublin-Überstellungen syrischer Flüchtlinge un-gelöst, die in Deutschland Verwandte haben. Hierzu istmir nicht bekannt, dass das BAMF seine Praxis geän-dert hätte, außer wenn man in Einzelfällen darauf auf-merksam macht. Für hoch problematisch halten wirauch die weiter fortbestehende Praxis der Inhaftierungvon syrischen Flüchtlingen in Zurückschiebungshaft.Erst am 17. Juni 2014 ist ein schwer traumatisiertersyrischer Flüchtling nach 35 Tagen Haft, veranlasstdurch die Bundespolizei, trotz Vorliegens ärztlicher At-teste über seine Traumatisierung und Folterungennach Polen rücküberstellt worden. Der Flüchtlingwollte hier in Deutschland zu seinem Bruder. Es istskandalös, dass man Opfer des Krieges als Erstes ineine Arrestzelle steckt, anstatt ihnen Unterstützungund medizinische Versorgung zukommen zu lassen.Ebenso ungelöst ist der Ausbau der personellen Ka-pazitäten für die Bearbeitung von Einreiseanträgenvon Flüchtlingen an den deutschen Botschaften inden Nachbarstaaten Syriens. Mir sind keine entspre-chenden Anträge im Haushaltsverfahren bekannt ge-worden. Auch hier gab es ein großes Versäumnis,Vorkehrungen für eine schnellere Bearbeitung der Vi-saanträge zu schaffen.Klar ist, dass es eine gesamteuropäische Verant-wortung für die Aufnahme von syrischen FlüchtlingenZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4253
Luise Amtsberg
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gibt. Dies haben wir mit einem überfraktionellen An-trag am 7. Mai im Bundestag auch festgehalten. Des-halb hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass dieBundeskanzlerin beim Europäischen Rat letzte Wochedas Thema auf den Tisch gebracht hätte. Denn es istdoch angesichts der sich stets verschlimmernden Si-tuation in Syrien und den Anrainerstaaten viel zu zö-gerlich, auf die Möglichkeit einer EU-Flüchtlings-konferenz auf Ministerebene Ende dieses Jahres zuverweisen.Wie die Koalitionsfraktionen die Ablehnung der bei-den Oppositionsanträge rechtfertigen wollen, bleibtihr Geheimnis. Menschenrechtliche Glaubwürdigkeitsieht anders aus.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses auf Drucksache
18/1760. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/840. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/846. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
beider Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts
an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Än-
derung weiterer steuerlicher Vorschriften
Drucksachen 18/1529, 18/1776
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksache 18/1995
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/2006
Die Reden gehen auch hier zu Protokoll, und Sie ha-
ben Ihr Einverständnis erklärt.
Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute inzweiter und dritter Lesung abschließend beraten, ent-hält verschiedene redaktionelle Anpassungen und Än-derungen in verschiedenen Steuergesetzen. Namensge-ber des Gesetzes sind die durch den Beitritt Kroatienszur EU notwendigen Anpassungen des nationalen Ein-kommensteuerrechts und des Tabaksteuergesetzes.Daneben werden wir unter anderem eine Vielzahl vonredaktionellen Änderungen und auch Vereinfachungenim Steuerrecht vornehmen. Im Koalitionsvertraghaben wir gemeinsam mit der SPD verabredet, die Bü-rokratie – auch im Steuerrecht – weiter abzubauen.Versprochen und geliefert!Im Einkommensteuer-, Körperschaft- und Gewerbe-steuergesetz erfolgt durch Streichung von über 100 Ab-sätzen eine Straffung der Anwendungsregelungen. Wirwerden auch den Grenzbetrag für die jährliche Ab-gabe einer Lohnsteueranmeldung von 1 000 Euro auf1 200 Euro anheben.Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, fürHörbücher den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzu-wenden. Auch dies setzen wir mit diesem Gesetz um,wobei wir uns darin einig waren, dass die Anwendungdes ermäßigten Umsatzsteuersatzes die Lieferung ei-nes körperlichen Speichermediums – also zum Beispieleine CD-ROM oder einen USB-Stick, aber auch eineanaloge Kassette – voraussetzt. Downloads aus demInternet hingegen fallen nicht unter diese Begünsti-gung.Wir waren uns auch darüber einig, dass zukünftigEinrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in dieGewerbesteuerbefreiung einbezogen und somit statio-nären Einrichtungen gleichgestellt werden, soweitdiese im Rahmen der verordneten Rehabilitation Leis-tungen erbringen. Bei dieser Ergänzung haben wir unsdavon leiten lassen, dass es keinen Unterschied ma-chen kann, ob eine verordnete Rehabilitation stationäroder ambulant ausgeführt wird. Gleichzeitig wollenwir damit zur Verbesserung der Versorgungsstrukturinsgesamt beitragen.Wir haben mit dem vorliegenden Gesetz auch eineVielzahl von Anregungen aus den Bundesländern auf-gegriffen.Ein sehr gutes Beispiel, wie wir gemeinsam mit denLändern auf mögliche neue Fehlentwicklungen schnellund konsequent reagieren und damit missbräuchlicheSteuergestaltungen verhindern, ist unsere Klarstellungzur Wegzugsbesteuerung in § 50 i Einkommensteuer-gesetz. Ziel dieser schnellen Reaktion ist die Gewähr-leistung der Besteuerung von in Deutschland entstan-denen stillen Reserven. Wir wollen nicht, dass durchWegzug ins Ausland und weitere steuerliche Gestaltun-gen eine steuerfreie Verbringung ins Ausland möglichist.Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich für die Bekämp-fung von missbräuchlichen steuerlichen Gestaltungenein. Obwohl dieses Ansinnen oftmals dem Hase-Igel-Rennen gleichkommt, zeigt die schnelle Reaktion mitdem vorliegenden Gesetz, wie flexibel auch der Ge-setzgeber gemeinsam mit dem Bundesrat reagierenkann, um solchen Gestaltungen einen Riegel vorzu-schieben.Durch die nun geregelte systematisch zutreffendeUmsatzbesteuerung am Verbrauchsort von Telekom-
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4254 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Olav Gutting
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munikationsleistungen sowie auf elektronischem Wegerbrachten Dienstleistungen an Verbraucher und demgleichzeitig eingeführten Registrierungsprozess fürdas Mini-One-Stop-Shop-Verfahren als einzige Mini-Anlaufstelle erwarten wir jährliche Umsatzsteuer-mehreinnahmen von circa 400 Millionen Euro. Hinter-grund der etwas sperrigen Regelung ist die Sicherstel-lung der Umsatzbesteuerung von Leistungen, die hierin Deutschland in Onlinestores von beispielsweiseApple oder Google an Endverbraucher erbracht wer-den. Es handelt sich hierbei im Übrigen nicht um eineSteuererhöhung. Es geht vielmehr darum, dass dasSteuersubstrat, das nach Deutschland gehört, auchhier ankommt.Ein Punkt, den wir bei den Beratungen und auch beider Anhörung intensiv besprochen haben, war dieSteuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers beiBauleistungen und bei Gebäudereinigungsleistungennach der aktuellen Rechtsprechung des BFH. Auchhier wurde eine praktikable Lösung im Interesse derBetroffenen gefunden und die Umkehrung der Steuer-schuldnerschaft für Bau- und Gebäudereinigerleistun-gen so wiederhergestellt, wie diese bereits vor einerEntscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. August2013 bestanden hat. Das sorgt für Rechtssicherheit.Abschließend bedanke ich mich bei den Bericht-erstattern in der Koalition für die sehr gute undzielorientierte Zusammenarbeit. Mein Dank gilt auchallen beteiligten Mitarbeitern des BMF für dieschnelle und teilweise weit über die normalen Dienst-zeiten hinausgehende Zuarbeit.
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden,enthält Änderungen des Einkommensteuergesetzes unddes Tabaksteuergesetzes, die wegen des Beitritts Kroa-tiens zur EU notwendig geworden sind. Die Änderun-gen sind zwingend, um die europäische Richtlinie2013/13/EU in nationales Steuerrecht umzusetzen.Gleichzeitig werden mit diesem Gesetz weitere Ände-rungen des Steuerrechts vorgenommen, die teils auf-grund höchstrichterlicher Entscheidungen, teils auf-grund besonderer Anliegen der Bundesländer und teilszur Sicherung der Steuerquellen in Deutschland erfor-derlich sind. Mit diesem Gesetz werden über 100 Ab-sätze im Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- undGewerbesteuergesetz gestrichen. Damit wird eineStraffung der Anwendungsregelungen erreicht.Hier könnte ein wenig Hoffnung aufkeimen, dassdies ein erster Schritt zur Vereinfachung und Entbüro-kratisierung des deutschen Steuerrechts sein könnte.Ich würde mich sehr freuen, wenn dies tatsächlichauch der Fall wäre; denn wir wären gut beraten, diedringend notwendigen Schritte zur Vereinfachung desSteuerrechts energisch weiter fortzusetzen. Allerdingsfürchte ich, dass der Schwung zur Steuervereinfachungwieder einmal schnell erlahmen wird.Von den zahlreichen Änderungen, die mit diesemGesetzentwurf verbunden sind, möchte ich nur einigeherausgreifen und im Folgenden darstellen.Durch eine neue Bestimmung in § 50 i EStG wird esin Zukunft nicht mehr möglich sein, dass in Deutsch-land entstandene stille Reserven durch steuerliche Ge-staltungsmöglichkeiten bei einem Wegzug des Steuer-pflichtigen ins Ausland der deutschen Steuer entzogenwerden. Mit dieser Vorschrift soll unter anderem aufdas BFH-Urteil aus dem Jahr 2009 reagiert werden, indem entschieden wurde, dass eine Veräußerung oderEntnahme von Wirtschaftsgütern durch einen im Aus-land ansässigen Steuerpflichtigen nur vom Ansässig-keitsstaat besteuert werden kann. Mit der Klarstellungin § 50 i EStG wird nun dem deutschen Fiskus wiederdie Möglichkeit gegeben, diese Sachverhalte unabhän-gig von Doppelbesteuerungsabkommen nach deut-schem Steuerrecht zu behandeln und das entspre-chende Steueraufkommen für Deutschland zu sichern.Mit der Änderung des Umsatzsteuergesetzes be-züglich des Leistungsorts bei Telekommunikations-leistungen und ähnlichen Leistungen wird eine wei-tere Regelung getroffen, damit der deutsche Fiskusihm zustehende Steuereinnahmen erhält. Zukünftig giltin diesen Fällen als Leistungsort bei Leistungen anNichtunternehmer der Ort, an dem der Leistungsemp-fänger seinen Sitz hat. Damit wird eine zutreffende Be-steuerung am tatsächlichen Verbrauchsort erreicht.Diese Regelung wird zu einem zusätzlichen Steuerauf-kommen von schätzungsweise 400 Millionen Euro füh-ren.Im Ausschuss wurde von der Opposition behauptet,dass diese Regelungen tatsächlich Steuererhöhungenseien und wir damit unser Wahlversprechen brechenwürden. Liebe Kollegen der Opposition, sehen Siedoch bitte von so billiger Polemik ab, denn hierdurchwerden nur Steuern in Deutschland erhoben, die bis-her im Ausland anfielen und nun zu Recht dem deut-schen Staat zugutekommen.Eine weitere Änderung betrifft die Umkehrung derSteuerschuldnerschaft für Bauleistungen und Gebäu-dereinigerleistungen sowie für Fälle des Metallhan-dels und des Handels von Tablets und Spielekonsolen.Damit wird wieder der Zustand hergestellt, wie er vorder Entscheidung des BFH vom 22. August 2013herrschte. Hier entsprechen wir einem Anliegen derBundesländer und auch den Forderungen der Betroffe-nen. Neben diesen Änderungen enthält das Gesetz eineweitere Reihe von Änderungsregelungen für eine Viel-zahl von Vorschriften von der Steuerfreiheit von Un-fallentschädigungen für Beamte über den Zweiterwerbvon Lebensversicherungen bis hin zur Reduzierung desMehrwertsteuersatzes für Hörbücher.Wie eingangs gesagt, entsprechen wir mit diesemGesetz auch bestimmten Anliegen der Bundesländerund stellen Sachverhalte wieder klar her, die durch Ur-teile des BFH geändert wurden. Wir sichern dem deut-schen Fiskus das ihm zustehende SteueraufkommenZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4255
Philipp Graf Lerchenfeld
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und straffen das Steuerrecht in einigen Vorschriften.Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetz heute Ihre Zustim-mung zu geben.
Das Kroatien-Gesetz hat mich zweimal überrascht:erst mit seinem trügerischen Namen und danach mitseinem Umfang. Der Name intendiert gesetzliche An-passungen im Steuerrecht, die ganz überwiegend imZusammenhang mit dem kroatischen Beitritt zur Euro-päischen Union stehen – über den wir uns seit einemJahr bereits freuen. Zu einem nicht unwesentlichenTeil handelt es sich beim vorliegenden Gesetzentwurfder Bundesregierung um die Anpassung geltendenSteuerrechts. Das sind weitestgehend unstrittigeredaktionelle oder rechtsförmliche Anpassungen, diegeschehen müssen, um bestehende Gesetze an denBeitritt Kroatiens anzupassen. Ich denke da etwa andie Anpassung der Mutter-Tochter-Richtlinie oder dieAnpassung der Richtlinie über die Zins- und Lizenz-gebühren.Nun hat man aber sinnvoller Weise die Chanceerkannt, notwendige redaktionelle Anpassungen imgesamten Steuerrecht vorzunehmen, um ein abgerun-detes technisches Gesetz vorzulegen. Aber wie dasdann so ist in der Politik – je mehr Akteure, destomehr Begehrlichkeiten, ob nun aus dem Bundesfinanz-ministerium, dem Bundestag oder am Ende dem Bun-desrat –: Aus einem rein technischen Gesetz entstehennun, auch dank der Fachleute aus der Anhörung, Maß-nahmen, die das Steuerrecht häufig entschlacken, prä-zisieren oder sinnvoll verändern. Da gilt es, auch zwi-schen allen Ebenen Kompromisse zu schließen. Aufvier davon möchte ich in meiner Rede kurz eingehen.In der Umsatzsteuer, genauer gesagt in § 13 b, keh-ren wir zu einer bewährten Methode zurück, die zuge-gebenermaßen auch ich erst mal verstehen musste.Beim Reverse-Charge-Verfahren ist nach der bisheri-gen Verwaltungspraxis der Empfänger von Bauleistun-gen Steuerschuldner, wenn er als Unternehmer selbstnachhaltig Bauleistungen erbringt. Dieses Modell hatbisher vieles vereinfacht und letztlich auch vermieden,dass es zu größeren Steuerausfällen in diesem Bereichkommt. Der BFH hat in seinem Urteil vom 22. August2013 entschieden, dass die Steuerschuldnerschaft desLeistungsempfängers bei Bauleistungen nur in Be-tracht komme, wenn der Leistungsempfänger die anihn erbrachte Leistung selbst für eine steuerpflichtigeBauleistung verwende, also die sogenannte bauwerks-bezogene Betrachtung. Auf die Eigenschaft des Leis-tungsempfängers als Bauleister und dementsprechenddie Höhe der von ihm ausgeführten Bauleistungenkomme es danach nicht an. Dies führt in der Verwal-tungspraxis zu zahlreichen Problemen, drohendenEinnahmeausfällen und zu Unklarheiten zwischen Un-ternehmern und Subunternehmern. Deshalb reagierenwir hier auch zum Wohle des Mittelstandes und dervielen ehrlichen und fleißigen Bauunternehmer in un-serem Land auf das Urteil des BFH und gießen einrechtssicheres Fundament für die Bauwirtschaft.Durch den neuen Satz 2 wird bereits eindeutig im Ge-setz definiert, dass der Leistungsempfänger nur dannSteuerschuldner für eine an ihn erbrachte Bauleistungist, wenn er selbst nachhaltig Bauleistungen ausführt.Entsprechend wird gesetzlich klargestellt, dass derLeistungsempfänger auch dann Steuerschuldner ist,wenn er die an ihn im Einzelfall erbrachte Dienstleis-tung nicht zur Ausführung einer Bauleistung verwen-det. Damit kommt künftig die vom BFH formuliertebauwerksbezogene Betrachtung nicht mehr zurAnwendung, sondern es kommt darauf an, dass derLeistungsempfänger nachhaltig Bauleistungen er-bringt. Diese Regelung wird auch von Verbänden,Unternehmen, Steuerberatern und Finanzverwaltungbegrüßt und bringt für alle Beteiligten ein großes Stückan Sicherheit zurück.Der Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam be-schließen wollen, bietet eine weitere Verbesserung imBereich des Einkommensteuergesetzes. Wenn bei-spielsweise Lebensversicherungen den Charakter derRisikovorsorge verlieren und zu einem reinen Rendite-modell werden, dann wird dieser Umstand künftigsteuerpflichtig. Wir reagieren damit auf Modelle, beidenen Fonds im großen Umfang „gebrauchte“ Versi-cherungen – insbesondere Todesfallversicherungen –von den Versicherten erworben haben. Mit diesenProdukten wird der Zweck verfolgt, vorab kalkulierteErträge in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischender ausgezahlten Versicherungssumme beim Eintrittdes Versicherungsfalls, also den Tod der versichertenPerson, und den Anschaffungskosten der Versicherungfür den Zweiterwerber steuerfrei zu erzielen.Ich möchte Ihnen das gern an einem Beispiel erläu-tern. Es kam vor einigen Jahren dazu, dass sogenannteInvestoren massenhaft Lebensversicherungen vonSchwerstkranken, häufig Aidskranken, aufkauften undmit dem Sterbedatum spekulierten, um somit Geld zuverdienen. Ich muss Ihnen nicht sagen, was ich vonsolchen Wetten auf den Tod ethisch und moralischhalte. Aber dass solche Modelle auch noch steuerfreibleiben sollen, das führt unser System ad absurdum.Diese Steuerlücke wird geschlossen, und das ist auchgut!Einen großen Schritt vorangekommen sind wir beiden sogenannten Mini-One-Stop-Shops – oder zentra-len Anlaufstellen. Hier geht es um die Bestimmungdes Leistungsortes bei Telekommunikationsleistun-gen, Rundfunk- und Fernsehleistungen und bei aufelektronischem Weg erbrachten Leistungen an Nicht-unternehmer. Kurzum: Welcher Steuersatz gilt, wennich hier in Berlin ein Musikstück kostenpflichtig, etwabei Amazon, herunterlade, aber das Unternehmenseine Steuern beispielweise in Luxemburg bezahlt undsomit ein Steuersatz gilt, der hierzulande unter fernerliefen eingestuft werden würde? Die neue Regelungverhindert zum einen totalen Steuerausfall, aber aucheine Niedrigbesteuerung im Ausland. Künftig gilt:Lade ich in Deutschland etwas Kostenpflichtiges he-
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4256 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Andreas Schwarz
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runter, wird auch in Deutschland zu dem hier gültigenSatz versteuert. Dies vereinfacht die aktuellen Rege-lungen massiv, sorgt für Klarheit bei allen Beteiligten,vereinfacht die aktuellen Regelungen und sorgt auchfür ein kräftiges Plus an Steuereinnahmen. Glaubt manden Berechnungen des Bundesfinanzministeriums– und mein Vertrauen ist da fast uneingeschränkt –,dann können wir jährlich mit Mehreinnahmen von400 Millionen Euro rechnen, von denen Länder undKommunen um gut die Hälfte profitieren.Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, liegtmir besonders am Herzen, und ich freue mich, dass dieUnion hierbei unseren Vorschlägen gefolgt ist. Ichmöchte zur Entstrickungsbesteuerung kommen, wie siein § 50 i Einkommensteuergesetz geregelt ist, weil wirhier gemeinsam eine ganz wesentliche Steuerlückeschließen. Hier konnte relativ unbemerkt zuletzt eineLücke genutzt werden, um in Deutschland erzielteGewinne, die als stille Reserven noch in deutschenDepots liegen, am Fiskus vorbei ins Ausland zu schleu-sen. Dabei handelt es sich um Veräußerungsgewinne,die durch einen Wegzug nachfolgend in eine Personen-gesellschaft umgewandelt werden und so steuerneutralins Privatvermögen überführt werden sollen. Anschlie-ßend kann man diese Personengesellschaft dannbeispielsweise in eine Kapitalgesellschaft umwandelnund einige Jahre später das Vermögen steuerfrei ent-nehmen. Ich will eines ganz deutlich sagen: Das magzwar bis dato legale Steuerumgehung sein, aber mora-lisch handelt es sich hierbei um Steuerhinterziehung.Damit machen wir jetzt endlich Schluss.Und es handelt sich hierbei eben nicht um einenkonstruierten Fall, der irgendwann mal auftretenkönnte. Im März dieses Jahres konnten wir es in der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ doch nachlesen.Da geht es um einen Erben der Porsche-Familie, derversucht, genau dieses Modell anzuwenden. Es gehthier um Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern,die man versucht zu vermeiden, um ein milliarden-schweres Vermögen, das hier in Deutschland erarbei-tet wurde. Ich zitiere mal aus dem Artikel: „Er ver-packt seine Beteiligungen in ein inländischesBetriebsvermögen und zieht erst dann weg. Anschlie-ßend entpackt er die Beteiligungen wieder in eineGmbH. Der Charme dieser Konstruktion: Dividendenkönnten steuerfrei ausgeschüttet werden. Außerdemfällt in Österreich keine Erbschaft- oder Schenkung-steuer an.“ Dafür soll er sogar bei Finanzministernanrufen, in – und ich zitiere erneut – „Verantwortungfür seine Familie und das Erbe zwischen seinen vierKindern“.Für mich steht der Name Porsche für Innovation,Erfolg und unternehmerische Verantwortung, Geradedeshalb frage ich mich manchmal, wo der ehrenvolledeutsche Unternehmer hin ist, der seine Verantwor-tung für das Gemeinwohl erkennt und auch verstandenhat, dass es zu großem Teil ebendieser Staat ist, der dieRahmenbedingungen dafür schafft, dass solche Unter-nehmen in diesem Land Erfolg haben. Wer schafft denndie Strukturen in Infrastruktur und Bildung, von denenbesonders auch unsere Automobilindustrie derart pro-fitieren kann, wie sie es nur hierzulande tut?Als ich den Artikel in der „FAZ“ seinerzeit las, fielmir der Satz von Charles Baudelaire ein: „Für einenKaufmann ist sogar Ehrlichkeit eine finanzielle Speku-lation.“ Wir antworten in unserem Gesetzentwurf mitdem Talmud: „Fehlt die Gelegenheit zum Stehlen,glaubt der Dieb, er sei ehrlich.“In diesem Sinne reagiert die Große Koalition undschließt eine weitere Steuerlücke. Die Änderung im§ 50 i des Einkommensteuergesetzes nenne ich präven-tive Steuerehrlichkeit!Abschließend möchte ich mich noch – weil es meinerstes etwas größeres Gesetz war, das ich für meineFraktion als Berichterstatter begleiten durfte – beimBundesministerium der Finanzen, dessen Fachbeam-tinnen und Fachbeamte immer unterstützend und fach-kundig zur Seite standen, und natürlich beim KollegenOlav Gutting von der CDU, mit dem ich sehr gute undoffene Gespräche geführt habe, bedanken. Wenn alleGesetzesverfahren zwischen uns Koalitionspartnern soablaufen wie das Kroatien-Gesetz, ich denke, dannkönnen wir uns auf produktive und gewinnbringendeweitere drei Jahre freuen.
Der uns vorliegende Gesetzentwurf trägt nach wievor einen etwas irreführenden Namen – um den EU-Beitritt Kroatiens geht es nämlich nur am Rande. Steu-erjahresgesetz 2014 wäre wohl passender gewesen.Aber vielleicht kommt ein solches ja auch noch in derzweiten Hälfte dieses Jahres, angesichts der vielenBaustellen in der Steuerpolitik.Aber zurück zum Entwurf. In großen Teilen handeltes sich bei dem hier von der Bundesregierung vorge-legten Wirrwarr um eine, salopp formuliert, Ent-rümpelung des Steuerrechts. Die Fraktion Die Linkebegrüßt ein solches Vorhaben ausdrücklich. Insbeson-dere im nahezu undurchdringlichen Labyrinth des Ein-kommensteuergesetzes ist ein Großreinemachen näm-lich dringend notwendig.Jedoch hätten Sie, meine Damen und Herren vonder Regierungskoalition, bedenken sollen, dass sichbei einem solchen Großvorhaben schnell der eine oderandere Fehler einschleichen kann. Sowohl durch denBundesrat als auch durch die Sachverständigen in derAnhörung zu vorliegendem Entwurf im Finanzaus-schuss wurde angeregt, für eine sorgfältige Überprü-fung noch etwas mehr Zeit einzuräumen. Darauf sindSie bedauerlicherweise nicht eingegangen, und ich be-fürchte, dass sich noch einige Schwachstellen in IhremMammutentwurf auftun werden.Aber auch bereits jetzt gibt es schon einiges zu kri-tisieren. So wollen Sie zum Beispiel, meine Damen undHerren von der Bundesregierung, ambulante Rehaleis-tungen zulasten der Kommunen von der Gewerbe-Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4257
Richard Pitterle
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steuer befreien. Falls Sie es immer noch nicht mitbe-kommen haben sollten – viele Kommunen sind quasipleite. Was Sie hier machen, ist eine weitere Steuersub-ventionierung der Privatisierung des Gesundheitssek-tors, das hat mit verantwortungsvoller öffentlicher Da-seinsvorsorge leider nichts zu tun.An anderer Stelle in Ihrem Entwurf führen Sie eineSteuerpflicht für Gewinne aus gebrauchten Lebensver-sicherungen ein. Dabei scheint es Ihnen offenbarnichts auszumachen, dass Geschäfte mit gebrauchtenLebensversicherungen häufig eine Spekulation auf denTod des Versicherungsnehmers darstellen. Solche Spe-kulationen sind aber ethisch schlichtweg nicht tragbarund gehören daher nach Ansicht der Fraktion DieLinke grundsätzlich verboten.Versteckt in Ihrem Wust verschiedenster Gesetzes-änderungen sind auch Regelungen, die auf den erstenBlick ganz harmlos wirken, aber für die Betroffenentatsächlich verheerende Auswirkungen haben könnten.Nehmen wir zum Beispiel die geplanten Änderungenim Steuerberatungsgesetz. Da führen Sie zum einen fürdie Finanzbehörden die Pflicht ein, in bestimmten Fäl-len unbefugte Hilfeleistungen in Steuersachen an dieSteuerberaterkammern zu melden. Obendrein werdendie Steuerberaterkammern dann noch verpflichtet, indiesen Fällen wettbewerbsrechtliche Ansprüche gel-tend zu machen. Im Ergebnis sollen also die Finanzbe-hörden bei den Steuerberaterkammern petzen und dieSteuerberaterkammern dann die Verpetzten mit Klagenüberziehen. Meine Damen und Herren von der Regie-rungskoalition, erstens ist das hier rechtsdogmatischfragwürdig, vermischen Sie doch staatliche Sanktio-nen und zivilrechtliche Unterlassungs- und Schadens-ersatzansprüche. Zweitens erschweren Sie hier denohnehin gegenüber Steuerberaterinnen und Steuerbe-ratern benachteiligten Buchhalterinnen und Buchhal-tern ihre Berufsausübung ganz erheblich, da dieseständig fürchten müssen, in rechtlichen Grauzonen zuagieren und in der Folge mit Bußgeldern und Scha-densersatzansprüchen überzogen zu werden. Das ist,mit Verlaub, ständisch orientierte Interessenpolitik zu-gunsten der Steuerberaterlobby.Ich habe es eingangs schon erwähnt, die FraktionDie Linke begrüßt eine übersichtlichere Gestaltungdes Steuerrechts ausdrücklich. Nur leider ist der vonIhnen vorgelegte Entwurf eben etwas vorschnell undschwächelt in den besagten Teilen. Daher können wirhier leider keine Zustimmung geben, sondern werdenuns der Stimme enthalten.
Das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuer-rechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Ände-rung weiterer steuerlicher Vorschriften regelt die Be-grenzung der zollfreien Menge von Zigaretten, die ausKroatien mitgebracht werden darf. Darüber hinaushaben die von Regierung und Koalition vorgesehenenÄnderungen in 15 Gesetzen, 3 Durchführungsverord-nungen und 19 eingebrachten Änderungsanträgen nurwenig bis gar nichts mit dem EU-Beitritt Kroatiens zutun. Die Koalition schiebt uns hier ein kleines Jahres-steuergesetz unter, ohne es so zu nennen. Im Herbstkommt dann der nächste Schwung in einem Jahres-steuergesetz, das auch so heißen darf. Die Befürchtungbleibt, dass die Koalition auch dann die großen steuer-lichen Baustellen unbearbeitet lässt.Mit der Änderung bei der sogenannten Entstri-ckungsbesteuerung mit dem § 50 i des Einkommen-steuergesetzes schließen Sie ein Einfallstor für Gestal-tungsmissbrauch, das noch vor einem Jahr dieRegierung Merkel selbst mit dem Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz in die Welt gesetzt hat. So war dasaber nicht gemeint, wenn im Koalitionsvertrag eineInitiative gegen Steuergestaltung angekündigt wird.Erst die Löcher selbst zu schaffen, um sie dann wiederzuzuschütten wird hoffentlich nicht zur Methode dieserGroßen Koalition.Mit der Einführung des sogenannten Mini-One-Stop-Shop wird eine Vorgabe der Mehrwertsteuersys-temrichtlinie umgesetzt. Der Leistungsort von elektro-nischen Telekommunikations-, Rundfunk- und Fern-sehleistungen wird an den Verbraucher gekoppelt.Diese Änderung führt zu deutlichen Umsatzsteuer-mehreinnahmen, sodass aus einem Gesetzespaket, daseine volle Jahreswirkung von lediglich 20 MillionenEuro umfassen sollte, nunmehr jährlich etwa 350 Mil-lionen Euro zusätzlich erwartet werden.Doch die großen Themen, die Ihnen die EU-Kom-mission und die Sie sich selbst in ihrem Koalitionsver-trag ins Stammbuch geschrieben haben, geht dieseKoalition nicht an. Die EU-Kommission fordertDeutschland auf, die Abgabenlast für Geringverdienerzu senken, Kapitaleinkommen höher zu besteuern undFehlanreize für Zweitverdiener endlich abzuschaffen.Und obwohl selbst der Bundesfinanzminister von sichbehauptet, nie ein großer Freund der Abgeltungsteuergewesen zu sein, schaffen Sie es nicht, die ungerecht-fertigte steuerliche Subventionierung von Kapital- ge-genüber Arbeitseinkommen abzuschaffen.Hinzu kommt der Koalitionsvertrag, der diese Ko-alition zur Bekämpfung unerwünschter Steuergestal-tung verpflichtet. Die EU-Kommission wird aktiv undunterzieht Irland und Luxemburg einem Prüfverfahrenwegen Wettbewerbsverzerrung bei der Besteuerungvon Großkonzernen. Was kommt von Ihnen? Nichts.Stattdessen gelingt es Ihnen, bei der Umsatzsteuerauch noch neue Ausnahmen zu schaffen, die an Reali-tätsferne kaum überboten werden können. Die Reformder Umsatzsteuer ist überfällig, doch statt sich von derKlientelpolitik der schwarz-gelben Koalition zu lösenund beispielsweise die Hotelsteuer endlich abzuschaf-fen, setzt diese Koalition den Weg der Aushöhlung desUmsatzsteuergesetzes weiter fort. Die Erhebungslückeder Umsatzsteuer gefährdet die öffentlichen Haus-halte. Jetzt soll auf den Verkauf von Hörbüchern derermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gel-ten.Zu Protokoll gegebene Reden
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4258 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Lisa Paus
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In der Begründung Ihres Änderungsantragesschreiben Sie: „Von den begünstigten Hörbüchernsind Hörspiele abzugrenzen, die von der Umsatz-steuerermäßigung ausgeschlossen sind. Hörspieleunterscheiden sich von den begünstigten Hörbücherndurch die Verwendung dramaturgischer Effekte, ver-teilte Sprecherrollen, Geräusche sowie von Musik undgehen damit über die Wiedergabe einer bloßen Buchle-sung hinaus.“ Außerdem sind sie abzugrenzen gegenHörzeitschriften, für die weiter der volle Mehrwert-steuersatz gilt, und natürlich auch gegenüber allenDownloads, die ebenfalls vom verminderten Steuersatznicht profitieren. Irrsinn!Alle Experten, von den Finanzbeamten bis zumDIHK, lehnten diesen neuen Ermäßigungstatbestandin der öffentlichen Anhörung ab und stellten dieFrage: Wie sollen diese Abgrenzungskriterien in derPraxis überhaupt greifen? Wie sollen Umsatzsteuer-sonderprüfer nach Kriterien wie „keine dramaturgi-schen Effekte oder Geräusche“ eine sinnvolle Prüfungdurchführen? Das ist doch offensichtlich gar nicht um-setzbar.Betriebsprüfungen und Umsatzsteuersonderprüfun-gen kommen regelmäßig zu Mehrergebnissen in Höhevon vier Milliarden Euro pro Jahr, die ohne diesePrüfungen im Erhebungsverfahren unter den Tischgefallen wären. Allein die Steuerfahndung sorgt fürweitere Umsatzsteuermehreinnahmen im Umfang vonetwa zwei Milliarden Euro. Diese prüfungsbedingtenMehreinnahmen sind ein Indiz für den unentdeckt ge-bliebenen Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten, die derUmsatzbesteuerung entgehen. Zählt man die Nieder-schlagungen und Insolvenzen dazu, zeigt sich, wiegroß das Ausfallrisiko im Umsatzsteuersystem ist. Alldas hindert diese Koalition nicht, eine neue Ausnahmefür Hörbücher zu beschließen.Fazit: Dieses Omnibusgesetz ist ein kleines Gesetz,mit dem der Gesetzgeber seiner Pflicht nachkommt,seine Hausaufgaben erledigt, nämlich missbräuchli-che Steuergestaltungs- und Hinterziehungsmöglichkei-ten einzudämmen. Das begrüßen wir. Aber die GroKopatzt vollständig bei der Kür. Mit dem vermindertenMehrwertsteuersatz auf Hörbücher läuten Sie widerbesseres Wissen und grob fahrlässig die nächste Rundeim steuerpolitischen Irrsinn Deutschlands ein. Wirwerden uns deshalb enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/1995, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/1529 und 18/1776 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Oppositions-
fraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen ein-
führen
Drucksache 18/1872
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, und ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen zu fordern,weckt in mir als allererstes ostalgische Gefühle. Voretwa 23 Jahren besuchte ich eine brandenburgische„Milchproduktionsstätte“ mit 2 500 Milchkühen, die– fernab von bäuerlicher Idylle – separate Sonderstal-lungen für bis zu 100 trächtige Färsen und Kühe vor-hielt. In Akkordarbeit widmete man sich dort gemein-sam mit dem Tierarzt den in Reih und Glied stehendenkalbenden Rindern. Kalbungen im Fließbandtakt, einganz neues Erlebnis. So auch die Bezeichnung diesesVerschlags: Abkalbestall. Dieses Bild drängt sich mirimmer wieder auf, wenn ich Ihren Antrag lese, meineDamen und Herren Kollegen von der Linken. Immerwenn ich von diesem Erlebnis berichte, verdrängt einBild von scheinbar „böser Massentierhaltung“ dieIdylle der „lächelnd grasenden lila Kuh“.Doch es ist falsch. Konventionelle Tierhaltung, In-tensivtierhaltung und kleinteilige, vielfältige Land-wirtschaft sind jeweils eine Seite derselben Medaille.Das obige Bild des brandenburgischen Großbetriebes– so weit er von der gefühlten ländlichen Idylle einesFamilienbauernhofes entfernt scheint – sagt nichts ausüber die fachliche Betriebsführung – diese war gut –,sagt nichts aus über die veterinärmedizinische Versor-gung der Rinder im Speziellen und sagt nichts aus überdie Tiergesundheit der Hausrinder im Allgemeinen.Nichts von alledem, was Tierwohl ausmacht, ist durchmein eingangs geschildertes Erlebnis per se gefährdetgewesen. Es zeigt vielmehr eines: Gute landwirtschaft-liche Praxis ist keine Frage der Stallgröße; vielmehrsind Wissen und der richtige Umgang mit dem Tier ent-scheidend. Fachkenntnis ist nach wie vor Garant derdeutschen Agrarwirtschaft. Meine Damen und HerrenKollegen von der Linken, manchmal scheint es, dassSie den Großbetrieben diese Fachkenntnis grundsätz-lich absprechen wollen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4259
Artur Auernhammer
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Nach diesen ersten, ostalgischen Gefühlen, will ichgern zu Ihrem Antrag inhaltlich Bezug nehmen.a) Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die Verbrau-cherinnen und Verbraucher konventionelle Tierhal-tung gering schätzen. Zwar ist es zutreffend, dass einTeil der Bevölkerung Biofleischprodukte im besonde-ren Maße honoriert und auch bereit ist, diese trotz hö-herer Einkaufspreise zu konsumieren. Die Mehrzahlder Bürgerinnen und Bürger orientiert ihre Kaufent-scheidung jedoch allein am Fleischpreis je Kilo-gramm, und diese Einstellung ist nachvollziehbar undauch in der Debatte um Tiergesundheit zu beachten.Der Kostenfaktor ist erfahrungsgemäß nur so langeausreizbar und die Akzeptanz für weitere und höhereStandards gegeben, bis Stallumrüstungen oder Ähnli-ches zu Betriebsschließungen führen und Produktions-verlagerungen ins Ausland die deutsche Tierhaltungenorm reduzieren. b) Dabei ist unser Export gerade deshalb so gut,weil die Qualität stimmt. Die deutschen Standards sindauf einem guten und dem internationalen Vergleichstandhaltenden hohen Niveau. Sie fragen zudem in Ihrem Antrag:Wie und wie viele Tiere an einem Standort und ineiner Region gehalten werden, muss bei einer sol-chen Diskussion im Fokus stehen. Doch verkennen Sie, dass das Tierwohl durch dieQualität der Pflege und Betreuung geprägt wird, durchErnährung und artgerechte Haltebedingungen undnicht von der Anzahl der Tiere je Region abhängt. Dasind mir auch gesetzliche Regelungen bekannt, derenEinhaltung und Umsetzung dem Tier und dessen Für-sorge dient. Von Ihnen geforderte Regularien gibt esbereits in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.In dieser steht auch das Rind und dessen Wohl im Fo-kus; erstens. Zweitens. Ich schätze, dass Standards auch hinter-fragt werden und ihre Überprüfung gefordert wird. Wirkönnen aber nicht allein einen nationalen Weg suchen,wenn der Markt der Produkte längst schon ein interna-tionaler ist. Ich fordere deshalb eine Harmonisierungder EU-Staatenstandards im Sinne einer Vereinheitli-chung, die hohe Güte europaweit garantiert. Das heißteben nicht, die deutschen Standards zu nivellieren.Hier jedoch einseitig die guten Tiergesetze unseresLandes unter dem Deckmantel der Vorreiterrolle wei-terentwickeln zu wollen, ohne die Auswirkungen aufdie deutsche Agrarwirtschaft zu bedenken, ist der fal-sche Weg. Dies lehnen wir entschieden ab.c) Ihr Antrag enthält aber auch Punkte, die wirnachvollziehen können, deren Ansicht wir teilen, dasgebe ich offen zu. In der Summme sind die Gründe, die für eine Ab-lehnung sprechen, jedoch gewichtiger. Ich will Ihnendies abschließend an weiteren Beispielen aufzeigen. So spricht der Antrag von einem Primat der Steige-rung der Tierhaltungsqualität. Doch der Zusammen-hang eines Verbandsklagerechtes mit dem Tierwohldrängt sich mir nicht auf. Vielleicht können Sie diesnoch einmal aufzeigen.d) Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass wirdie Tiergesundheit nicht steigern, wenn eine Region ei-nen zugewiesenen Tierschlüssel erhält und ein Bundes-gesetz eine Obergrenze an Paarhufern je Landkreisfestschreibt. Doch Sie fordern von der Bundesregie-rung einen Gesetzentwurf, der „Bestandsdichten fürRegionen“ definiert, soll also heißen: Wenn ich einRind kaufe und zur Milchproduktion halte, muss meinNachbar zwei Schweine schlachten, damit die regio-nale Tierdichte stimmt?– Und das im Namen des Tier-wohls?Das ist nicht im Interesse des Tieres, nicht im Inte-resse der deutschen Landwirtschaft und nicht im Inte-resse des Verbrauchers. Und mutmaßlich auch nicht inIhrem Sinne, oder?Meine Damen und Herren, die Antragsfraktion willdie „Tiergesundheitsvorsorge und die konkrete Situa-tion vor Ort“ durch ein Bundesgesetz aus Berlin „inden Mittelpunkt … rücken“. Ich halte dagegen undsage: Vergessen wir alle nicht, dass Landwirtschaft dieWirtschaft des ländlichen Raumes ist. Sie dient – trotzaller Greeningmaßnahmen – primär der Lebensmittel-produktion. Die Landwirtschaft ist ökologisch, sie istsozial und auch tiergerecht; aber sie muss auch ökono-misch sein und bleiben. Ein nationaler Agrarsektorund eine deutsche Agrarpolitik, die die Marktlage ver-kennt, handelt fahrlässig und riskiert zudem enormesPotenzial – auch für den Lebensmittelexport. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich binder Meinung, 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgerwollen wir auch weiterhin ernähren. Die Linke hält da-gegen, der Versorgungsgrad an Rindfleisch liegt mit109 Prozent deutlich über dem Bedarf. Ist das wirklichIhre Einstellung, die deutsche Lebensmittelproduktionso zu gestalten, dass wir nur für uns produzieren undnichts in den Export geben? Gilt dies dann auch für dieAutomobilindustrie? Ich frage mich: Was machen wir,wenn andere Länder dann auch nichts in den Exportgeben? Kurt Tucholsky wüsste auf jeden Fall eine Ant-wort. Er würde rufen: Deutsche, kauft deutsche Bana-nen!
Wir beraten heute über einen Antrag der FraktionDie Linke, welche die Einführung von Obergrenzen fürTierhaltungen fordert. Zunächst einmal bin ich derFraktion Die Linke dankbar, dass sie mir kurz vor derSommerpause des Parlamentes mit ihrem Antrag Gele-genheit gibt, ein landwirtschaftliches Thema hier imHohen Hause zu diskutieren. Denn die Bäuerinnen undBauern und die Mitarbeiter der landwirtschaftlichenBetriebe, auch der Veredlungsbetriebe mit Tierhaltun-gen, sind es, die wesentlich zum Wohlstand in unsererZu Protokoll gegebene Reden
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Dieter Stier
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Gesellschaft beitragen. Dafür sage ich zu Beginn mei-ner Rede den Beschäftigten in dieser Branche, die sich365 Tage im Jahr, an Wochentagen, an Samstagen undSonntagen, aber auch an Feiertagen, mit viel Hinwen-dung um ihre Tiere kümmern, herzlichen Dank. Undich sage zu Beginn meiner Rede ebenfalls unseremMinister für Landwirtschaft und Ernährung, ChristianSchmidt, herzlichen Dank, dass er sich klar zur Tier-haltung in Deutschland bekennt, und dieses klare Be-kenntnis zur Tierhaltung gebe auch ich heute für dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenum desDeutschen Bundestages ab.Mit Ihrer Forderung, Bestandsobergrenzen für Tier-haltungen einzuführen, werfen Sie die Frage auf, wiegroß Anlagen für die landwirtschaftliche Nutztierhal-tung sein dürfen. Wir sind bei Ihnen, wenn es darumgeht, einen gesellschaftlichen Diskurs über Größenvon Tierhaltungsanlagen zu führen; dabei sind wir inder Großen Koalition jedoch bereits auf einem gutenWeg.Nun komme ich zu einzelnen Forderungen aus Ih-rem Antrag: Sie fordern, einen Gesetzentwurf vorzule-gen, in welchem Obergrenzen pro Standort und Be-standsdichten für Regionen zu definieren sind. Wirunterstützen die weitere Diskussion zu diesen Themen,halten aber die Festlegung von absoluten Tierzahlen,wie von Ihnen gefordert, aus heutiger Sicht für den fal-schen Weg.Mir stellt sich dabei zuerst die Frage: Wie wollenwir den Begriff „Standort“ definieren? Wie wollen wirden Begriff „Region“ beschreiben? Wollen wir auchzum Beispiel verschiedene Nutztierarten pro Quadrat-kilometer oder Ortschaft zusammenrechnen oder sieeinzeln betrachten? Mit welcher Begründung wollenSie einem Landwirt in einem Ort die Tierhaltung ge-nehmigen und einem weiteren, weil er sich vielleichterst später zur Tierhaltung entscheidet, aber die fest-gesetzte Obergrenze bereits erreicht ist, das Wirtschaf-ten oder den Stallneubau verbieten? Für mich vieleFragen, die wohl sicher nicht mit der schnellen Festle-gung von Zahlen zu beantworten sind.Und ich sage es Ihnen deutlich: Ich bin nicht dafür,landwirtschaftlichen Betrieben, die in entsprechenderGröße nicht nur produzieren wollen, sondern es durchdie fachliche Qualifikation ihrer Mitarbeiter oder dieEinhaltung anderer vertretbarer Parameter auch kön-nen, einen Deckel aufzusetzen und mit einer Bestands-obergrenze die ohnehin stark reglementierte Tierhal-tung auszubremsen. Gerade mein HeimatbundeslandSachsen-Anhalt ist schon heute eines der viehärmstenFlächenländer Deutschlands; ich weiß jedoch, dass esin anderen Regionen unseres Landes auch anders ist.Ich darf auch daran erinnern, dass die Städte, Ge-meinden und Landkreise bereits heute vielfältige In-strumente des Planungsrechts in der Hand halten, umsachgerecht über Tierhaltungsanlagen zu entscheiden.Dabei „Groß“ gegen „Klein“ auszuspielen, halten wirfür falsch. Jede Betriebsgröße sollte in unserem Landeine Daseinsberechtigung haben, jede hat auch Vor-teile, und jede hat auch Nachteile.Ich glaube auch, dass die Frage der Größe vonTierhaltungen vor Ort viel besser entschieden werdenkann, weil auch die regionalen Unterschiede in unse-ren ländlichen Regionen dieses so zulassen, aber auchunterschiedliche Siedlungsstrukturen dieses erfordern.Diese mit Sach- und Fachverstand abzuwägen, sieaber auch unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit zubetrachten, sollten wir vorrangig den Betriebsinha-bern mit ihrer Berufserfahrung überlassen und sie da-bei mit möglichst wenig Bürokratie begleiten.Wir sind bei Ihnen, wenn es um die Minimierung desRisikos der Einschleppung und Verbreitung von Tier-seuchen, insbesondere Zoonosen, und volkswirtschaft-licher Schäden geht. Auch dazu bedarf es allerdingsIhres Antrages nicht. Bereits in der vorhergehendenLegislaturperiode des Deutschen Bundestages habenwir das alte Tierseuchengesetz durch ein modernesTiergesundheitsgesetz abgelöst, welches Ihre Forde-rung bereits aufgreift.Viel Geld haben wir auch in die Forschung gesteckt.Damit sind wir auch bereits auf einem guten Weg, dieSicherung der Umsetzung von wissenschaftlich be-gründeten Bekämpfungskonzepten im Fall des Aus-bruchs von Tierseuchen abzuarbeiten. Ich erinnerehierbei zum Beispiel an das erst im vergangenen Jahreingeweihte hochmoderne Forschungslabor beimFriedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems.Ihren Vorschlag, bei Stallneubauten eine Förderungauch von Verbesserungen für den Tierschutz abhängigzu machen, finden wir gut. Aber auch dazu sage ich Ih-nen: Jeder Stallneubau ist heute schon ein Fortschrittfür mehr Tierwohl.Es gibt aber auch Forderungen in Ihrem Antrag,welchen wir nicht folgen können. So lehnen wir zumBeispiel ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorgani-sationen auf Bundesebene weiterhin klar ab. Bereitsheute muten wir unseren Landwirten viel Bürokratiezu, es kann keineswegs richtig sein, hier weitere pla-nungsrechtliche Hürden aufzubauen, Fachkundige Be-hörden in unserem Land sind durchaus in der Lage, diegesetzlich vorgegebenen hohen Tierschutzstandards zubeurteilen. Es braucht hier nicht die Einschaltung wei-terer Organisationen, welche nur die Bearbeitungszei-ten verlängern würden.Sie sehen also, dass wir bei vielen von Ihnen ange-sprochenen Themen auf einem guten Weg sind. ImKoalitionsvertrag haben wir vereinbart, weitere Ver-besserungen auch in dieser Legislaturperiode zu errei-chen. So ist es zum Beispiel Ziel, das Tiergesundheits-gesetz und das Tierarzneimittelrecht sinnvoll in einemeinheitlichen Rechtsrahmen zusammenzuführen. Einweiteres Ziel ist die Förderung der Sachkunde derTierhalter. Dabei dürfen wir nach meiner Meinung je-doch auch den Heimtierbereich nicht auslassen.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4261
Dieter Stier
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Wir laden auch die Kolleginnen und Kollegen derOpposition ein, die Diskussion zur weiteren Entwick-lung der ländlichen Räume und der Tierhaltungsanla-gen mit uns sachlich zu führen. Im Rahmen einer na-tionalen Tierwohl-Offensive wird auch diese GroßeKoalition in den nächsten Jahren weitere Verbesserun-gen erreichen. Dabei geht jedoch Gründlichkeit vorSchnelligkeit; die Wissenschaft und den Berufsstandbeziehen wir bei unseren Vorhaben in die Entschei-dungsfindung ein.Ihren Antrag lehnen wir heute ab, da er aus unsererSicht nicht zielführend ist.
Zu später Stunde beraten wir den Antrag der Lin-ken, der überschrieben ist mit „Bestandsobergrenzenfür Tierhaltungen einführen“ – so klar der Titelscheint, so wenig zielführend ist das, was dahinter-steckt. Der Antrag der Linken geht inhaltlich an vielenStellen in die richtige Richtung – keine Frage – und istdoch zu kurz gedacht und weist handwerkliche Fehlerauf.Es ist schon irritierend, wenn in einem Antrag zurlandwirtschaftlichen Nutztierhaltung an keiner Stelledie Worte „Bäuerin“ bzw. „Bauer“ auftauchen odernur an einer einzigen Stelle von Landwirtinnen undLandwirten die Rede ist. Es wird uns nicht gelingen,echte und nachhaltige Verbesserungen beim Tierwohlin der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu erlan-gen, wenn wir diejenigen ausschließen, die tagtäglichmit den Tieren umgehen. Nachhaltige Nutztierhaltungfängt im Stall an. Die große Mehrheit der deutschenBauernschaft ist engagiert und kümmert sich um dieTiere in ihrer Verantwortung – das ignorieren Sie mitdiesem Antrag!Darüber hinaus ignorieren Sie, dass uns die Land-wirte neben beispielsweise den Tierschutzorganisatio-nen viel zu guter Tierhaltung sagen können. Und guteTierhaltung lässt sich nicht auf die Anzahl der in einemStall gehaltenen Tiere reduzieren. Vielmehr ist dieFrage des „Wie“ entscheidend.Nur im Dialog können wir zu besseren Haltungsbe-dingungen gelangen. Wir wollen keine Schnellschüsse.Wir wollen tragfähige Entscheidungen für die Land-wirte, damit wir eben nicht, wie Sie es so schwammigformulieren, zu einer „Verdrängung von kleinen Tier-haltungen“ kommen. Vielmehr wollen wir spürbareVerbesserungen für die Tiere – keine bloße Deckelungdes Bestandes.Ebenso wie Sie die Bauern ignorieren, degradierenSie in Ihrer Begründung die Konsumenten. Sie unter-stellen ihnen, schon gewählt zu haben. Ihre Rede vonder „Abstimmung mit dem Einkaufswagen“ sugge-riert, dass sich der Konsument bereits dauerhaft ent-schieden hat und wir deshalb verstärkt regulierend inden Markt eingreifen müssten. Wir hingegen haltenden Bürger für mündig und wollen, bevor wir denMarkt überregulieren, dem Konsumenten eine echteChance geben und eine umfassende Kennzeichnungvon Lebensmitteln befördern.Wir sehen bereits, dass Qualität auf dem Markt Be-stand hat. Eine tiergerechte Nahrungsmittelproduktionwird zunehmend vom Verbraucher honoriert. Grund-voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir diese hohenStandards sichtbar machen. Dafür brauchen wir eineentsprechende Zertifizierung. Nur durch eine klare undtransparente Kennzeichnung mit einem Tierschutzsie-gel hat der Verbraucher eine echte Wahl und kann be-wusste Entscheidungen treffen.Natürlich geht das Wohl der Tiere vor – es muss zu-dem sichergestellt werden, dass wir mit unseren Be-trieben und unseren Produkten am Markt bestehenkönnen und zugleich einen der höchsten Standards inder landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben. Daswerden Sie mit Ihrem Einheitskonzept, bei dem grund-sätzliche Bestandsobergrenzen festgelegt werden,nicht erreichen. Sie ignorieren damit nicht nur weitest-gehend die regionalen Besonderheiten und Gegeben-heiten vor Ort, sondern auch, dass die Haltungsbedin-gungen maßgeblich sind.Zu einer guten Gesetzgebung gehört es, dass mannicht systematisch bestimmte Beteiligte aus diesemDialog ausklammert.Wir haben uns in der Großen Koalition klar auf eineMarschroute geeinigt. Deshalb werden wir in denkommenden Monaten intensiv mit allen Beteiligten dis-kutieren und handwerklich saubere Entscheidungentreffen. Der Koalitionsvertrag gibt dabei die Richtungvor. Wir haben unter anderem eine nationale Tierwohl-offensive vereinbart. Denn wir wollen sichtbare Ver-besserungen beim Tierwohl. Die Nutztierhaltung musstiergerechter werden. Sie passt sich damit auch den ge-nannten veränderten Wünschen in der Gesellschaft an.Gemeint sind unter anderem: erstens die allgemeineTiergesundheit – hier spreche ich insbesondere dasTiermittelarzneimittelrecht an –, zweitens den Tierenzu ermöglichen, sich natürlich zu verhalten, drittenseine stärkere Berücksichtigung des Wohlbefindens derTiere. Das heißt, dass die Verletzungs-, Schmerz- undStressrisiken möglichst verhindert werden. Dies allesauch vor dem Hintergrund, dass gute Haltungsbedin-gungen weniger kranke Tiere bedeuten und damit derMedikamenteneinsatz zurückgefahren wird. Die ge-setzlichen Regeln zur Verringerung des Antibiotikaein-satzes werden wir unbürokratisch und praxisnah um-setzen.Daran schließt sich an, dass wir ein bundeseinheit-liches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhal-tungssysteme einführen werden. Die SPD hat schonfrüh einen Tierschutz-TÜV gefordert. Das bedeutet,dass es zukünftig für serienmäßig hergestellte Stallsys-teme einheitliche Prüfrichtlinien geben wird. In diesemBereich werden wir in den kommenden Wochen undMonaten intensiv diskutieren und praktikable Lösun-gen entwickeln.Zu Protokoll gegebene Reden
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4262 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Christina Jantz
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Ziel ist es außerdem, EU-weit einheitliche und hö-here Tierschutzstandards durchzusetzen. Wir strebeneine flächengebundene Nutztierhaltung an. Ziel ist es,eine tiergerechte Haltung in Deutschland zu fördern.In den kommenden Monaten werden wir mit allenBeteiligten – den Tierschutzorganisationen, den Land-wirten, Wissenschaftlern und auch Konsumenten –sprechen. Nur auf diesem Wege kommen wir zu ver-nünftig ausgearbeiteten Lösungen im Bereich derNutztierhaltung.Wir werden diesen Prozess nutzen, um die von unsbereits im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Leitli-nien einer zukünftigen landwirtschaftlichen Nutztier-haltung vernünftig auszuarbeiten und in eine gute Ge-setzgebung umzumünzen. Schnellschüsse, die einzelneGruppen ignorieren, notwendige regionale Fragestel-lungen übergehen, die Versorgungssicherheit der Be-völkerung gefährden können und die Haltungsbedin-gungen als entscheidendes Element weitestgehendaußer Acht lassen, werden wir nicht mittragen.
Die landwirtschaftliche Tierhaltung steckt in einemDilemma. Klar ist: Wir brauchen sie, für Milch undFleisch, aber auch Leder, Wolle und andere Produkte,zur Pflege der Kulturlandschaft, für den Naturschutzund den Landtourismus. Nutztiere sind die bestenDeichschützer, und sie sichern die Bodenfruchtbarkeitim Ackerbau. Darüber hinaus bindet eine Landwirt-schaft mit Tierhaltung mehr Arbeitsplätze in den Dör-fern als der reine Ackerbau.Aber die Tierhaltungsbetriebe stehen am Pranger,zumindest viele von denen, die noch übrig gebliebensind. Denn gerade landwirtschaftliche Tierhaltungensind Opfer des Strukturwandels und geben auf.Fakt ist, dass wir dramatische Fehlentwicklungenin der Tierhaltung haben.Im Zentrum der Kritik stehen die Betriebe. Aber ausSicht der Linken gehören die eigentlichen Ursachenund die wirklichen Profiteure dieser Entwicklung anden Pranger gestellt, allerdings ohne die aus ihrerVerantwortung zu entlassen, die das mitmachen oderrechtfertigen und gar so tun, als ob es gar keine Pro-bleme gäbe – wie gerade aus der Union oft zu hörenist.Das marktwirtschaftliche Regelwerk des Kapitalis-mus zwingt auch landwirtschaftliche Betriebe, immerbilliger zu produzieren. Die Diktatur des Geldes machtausgerechnet die zu Verlierern, die mit sozialer undökologischer Verantwortung arbeiten. Sieger sind die,die skrupellos und gierig genug sind, Bedenken – auchethische – beiseite zu schieben. Deshalb ist dieser so-genannte Wettbewerb absurd und seine Folgen sind in-akzeptabel.Eigentlich müsste die Dominanz des Geldes gebro-chen werden, um Nutztiere wirksam vor Profitgier zuschützen. Aber für so tiefgreifende Systemkorrekturengibt es zurzeit keine politischen Mehrheiten. Leider.Aber das entlässt uns als Gesetzgeber erst recht nichtaus der Pflicht, wenigstens die gröbsten Fehler im Sys-tem zu verhindern oder zu beseitigen.Dazu brauchen wir Mut im Parlament; denn wirmüssen uns mit den Profiteuren des Systems anlegen.Das heißt zum Beispiel, die Preisdiktatur der Verarbei-ter und des Lebensmitteleinzelhandels zu verhindern.Was dabei herauskommt, wenn man dem Markt dasRegieren überlässt, sieht man an der dramatischenFehlentwicklung in der Tierhaltung. Dabei geht esnicht nur um Schnäbelkürzen, betäubungslose Ferkel-kastration oder Schreddern männlicher Küken. Dazugehört auch, dass immer mehr Tierhaltungsanlagenweder in die Landwirtschaft noch in die Region in-tegriert sind. Diese Entkoppelung trägt dazu bei, dassTierhaltungsanlagen immer größer werden. Me-gaställe mit über 400 000 Hähnchen oder 40 000Schweinen sind längst keine Ausnahmen mehr. Alleinin Brandenburg sind aktuell 35 solcher Vorhaben be-antragt. Und in einigen Regionen werden so viele Tieregehalten, dass für die Gülleentsorgung ein Vielfachesder Landkreisfläche gebraucht würde, zum Beispiel imniedersächsischen Schweine- und Geflügelgürtel.Es stimmt, dass in Ostdeutschland zu wenigeNutztiere für funktionierende landwirtschaftlicheStoffkreisläufe gehalten werden. In Brandenburg sindes 0,4 Großvieheinheiten je Hektar. In NRW giganti-sche 121! Aber diesen regionalen Mangel mit Me-gaställen auszugleichen, ist inakzeptabel! Außerdemzeigt ein Blick auf den Selbstversorgungsgrad, dasswir nicht mehr Nutztiere brauchen: 116 Prozent beimSchweine- und 111 Prozent beim Geflügelfleisch. Wirbrauchen eine sozial-ökologisch verträglichere regio-nale Verteilung der Nutztierbestände, statt ostdeutscheBöden als Gülle- und Mistentsorgungsflächen zu miss-brauchen und Gülletourismus aus dem Westen zu orga-nisieren.Deshalb legt die Linke heute diesen Antrag zur De-ckelung der Tierbestände vor, die pro Standort und proRegion definiert werden soll. Und das ist dringend;denn es geht nicht um eine hypothetische Gefahr, son-dern um einen real existierenden Prozess, den wir auf-halten müssen.Wenn alle bisherigen Argumente nicht überzeugenkonnten, zum Schluss ein dramatisches Szenario: BeiVerdacht auf Afrikanische Schweinepest, die ja geradevor der Tür steht, muss ein Bestand getötet werden,auch wenn er aus 40 000 gesunden Schweinen besteht.Das will sich wohl niemand vorstellen müssen,geschweige denn erleben. Auch deshalb sind solcheMegaställe nicht zu verantworten. Wir sind als Gesetz-geber gefordert. Lassen sie uns gemeinsam diesen Un-sinn stoppen.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4263
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ichglaube, Sie haben ein Problem. Einerseits ist es rich-tig, dass die Bürgerbewegung gegen die Massentier-haltung längst auch den Osten erreicht hat und zu ei-ner entscheidenden politischen Kraft geworden ist.Zum Zweiten ist es richtig, dass im August und Septem-ber Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen undSachsen sind und dort die Großtierhaltungen ein wich-tiges Thema sind. Zum Dritten ist es richtig, dass dieBewegung gegen Massentierhaltung ein erheblichesWählerpotenzial darstellt. Diese Bewegung und die sietragenden Menschen wollen keine flächendeckendeMassentierhaltung im Westen, aber sie wollen auchkeine agroindustriellen Großmastfabriken im Ostenmit 36 000 Schweinen oder 400 000 Hühnchen. Dervorliegende Antrag ist der Versuch, diese Tatsache et-was zu kaschieren. Machen Sie sich nicht zu Handlan-gern von Straathof und Co. Das muss ich Ihnen ja wohlnicht sagen.So wie Sie leider immer gegen eine Deckelung derEU-Direktzahlungen waren, so scheuen Sie auch beider Tierhaltung die deutliche Kritik an der ganz gro-ßen Agrarindustrie. Verbünden Sie sich im Osten nichtmit den Falschen, so wie es die CDU im Westen tut. Sieversuchen einen Spagat, der nicht gelingen kann. Ei-nerseits schreiben Sie Forderungen aus unseren Anträ-gen ab, wenngleich sie dabei ungenau bleiben und sichum Zahlen drücken. Vielleicht lesen Sie da noch ein-mal bei uns nach. Das steht alles sehr genau drin.Andererseits drücken Sie sich um das grundsätzlicheProblem herum.Warum setzen Sie das Wort Massentierhaltung ei-gentlich durchgängig in Anführungszeichen, sprechenvon „sogenannter Massentierhaltung“ und bezeichnendiesen Begriff als Produkt der Medien? Massentierhal-tung ist eine Tatsache. 40 000 Schweine, 400 000 Hüh-ner in einer Anlage sind Massentierhaltung. Das kannman nicht wegdiskutieren, indem man behauptet, esginge nicht um „Groß gegen Klein“. Ihr Antrag führtam Ende zu einer Ost-West-Spaltung: In den Intensiv-regionen im Westen soll es Begrenzungen geben, aberdie ein oder andere Tierfabrik im Osten darf schonsein, wenn es insgesamt nicht zu viele werden.Sie versuchen, sich mit technokratischen Begriffenwie der epidemiologischen Einheit aus der Affäre zuziehen, nur um nicht bekennen zu müssen, dass Sie dieHauptforderung der Bürgerinitiativen, der Volksinitia-tive gegen Massentierhaltung, des Bündnisses „Bau-ernhöfe statt Agrarfabriken“ und der „Wir haben essatt“-Demo eben nicht teilen: die Abkehr von der Mas-sentierhaltung und die Förderung einer bäuerlichenLandwirtschaft.Hier liegt der Unterschied zwischen der Linken unduns Grünen: Die Linke glaubt immer noch daran, dassmit technologischen Lösungen innerhalb des agro-industriellen Komplexes die Probleme zu lösen seien.Wir sagen: Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirt-schaft ist imstande, Tiere artgerecht und wesensgemäßzu halten. Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirt-schaft ist in der Lage, lebendige ländliche Räume zuschaffen. Es geht um das rechte Maß in der Tierhal-tung. Massentierhaltung kann nie das richtige Maßsein, weder im Westen noch im Osten.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1872 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist auch diese Über-
weisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu der Unter-
richtung durch die Nationale Stelle zur Verhü-
tung von Folter zum
Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der
Länderkommission
Drucksachen 18/1178, 18/2003
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.
Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hatuns den Jahresbericht 2013 vorgelegt, den wir heutezur Kenntnis nehmen und debattieren. Der Ausschussfür Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat dieseDebatte bereits geführt, die Beschlussempfehlung dazuwird die CDU/CSU heute annehmen.Bevor ich inhaltlich auf den Jahresbericht eingehe,möchte ich heute einmal mit einem namentlichen Dan-keschön beginnen.Sehr geehrter Herr Lange-Lehngut, sehr geehrterHerr Adam, die ehrenamtliche Arbeit, die Sie bei derBundesstelle gemeinsam mit Ihren Kollegen RainerDopp, Petra Heß, Michael Thewalt und Dr. HelmutRoos von der Länderkommission leisten, ist kaum zuermessen. Mit hohem Zeitaufwand und viel persönli-chem Engagement sind Sie im Einsatz, um die Siche-rung der Menschenrechte in den Haftanstalten inDeutschland zu wahren. Ihre Arbeit ist ein wesentli-cher Faktor dafür, dass in der Bundesrepublik dasÜbereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folterund andere grausame, unmenschliche oder erniedri-gende Behandlung oder Strafe sowie das Fakultativ-protokoll vom 18. Dezember 2002 umgesetzt werden.Vor gut fünf Jahren hat die Bundesstelle zur Verhü-tung von Folter ihre Arbeit aufgenommen, eineinhalbJahre später die Länderkommission. Die Bundesregie-rung erfüllt damit ihre Verpflichtung zur Errichtung ei-nes nationalen Präventionsmechanismus.
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4264 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Frank Heinrich
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Dass von einer nur formellen Erfüllung dieser Ver-pflichtung in Deutschland keine Rede sein kann, ver-danken wir Ihnen, Herr Lange-Lehngut und HerrAdam. Regelmäßig legen Sie nicht nur Ihre Berichtevor, sondern suchen den persönlichen Kontakt zu Ab-geordneten und dem Menschenrechtsausschuss. Dabeihabe ich Sie als kompetente und ausgesprochen enga-gierte Vertreter Ihres Anliegens kennengelernt.Dass es sich hier nicht nur um meine persönliche,subjektive Einschätzung handelt, zeigt die Feststellungdes VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter,der Deutschland 2013 besuchte, um die NationaleStelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht beschei-nigte dieser Ausschuss, dass große Anstrengungen un-ternommen werden, um die Orte der Freiheitsentzie-hung zu überwachen. Das ist nicht weniger als einQualitätssiegel unter Ihre Tätigkeit.Mein herzlichen Dankeschön Ihnen und Ihren Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern.Bei aller Dankbarkeit gilt aber auch: Die Arbeit derNationalen Stelle zur Verhütung von Folter kann– trotz der hohen Einsatzbereitschaft der Ehrenamtli-chen – nicht dauerhaft mit den knappen personellenund finanziellen Ressourcen auskommen.Auch das stellte der VN-Unterausschuss in seinemBericht fest.Ich begrüße daher ausdrücklich, dass am 25./26. Juni die Justizministerkonferenz beschlossen hat,den finanziellen Anteil der Länder an der Finanzie-rung der Stelle von 200 000 auf 360 000 Euro aufzu-stocken. Da auch der Bund bereit ist, seinen Anteil ingleichem Umfang, also von 100 000 auf 180 000 Eurozu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015540 000 Euro zur Verfügung stehen.Zurückweisen muss ich an dieser Stelle, die Forde-rung der Fraktion Die Linke, die eine unverhältnismä-ßige Erhöhung fordert. Ich zitiere aus der alternativenBeschlussempfehlung: „Hierfür muss das Budget ver-zehnfacht werden.“Mit der tatsächlichen Aufstockung der Mittel, diefast eine Verdoppelung darstellt, wird die Arbeit er-leichtert. Mit diesen Mitteln kann eine Aufstockung derZahl der ehrenamtlichen Mitglieder der Länderkom-mission einhergehen. Sie soll von bisher vier auf achtPersonen verdoppelt werden. Neben den praktischenErwägungen für eine Erweiterung der Kommission –nach der einfachen Gleichung: mehr Personen gleichmehr Zeit und mehr Möglichkeiten – spielen auchfachliche Erwägungen eine Rolle: Das Expertenteamkann künftig breiter und stärker interdisziplinär zu-sammengesetzt sein. Das ist eine gute Nachricht undeine Anerkennung für die hochwertige Arbeit der Na-tionalen Stelle sowie des beharrlichen Einsatzes fürdie Sache: die Verhütung von Folter.Und damit komme ich zum inhaltlichen Teil meinerRede: zum Thema Folter in Deutschland – und in die-sem Zuge zu einer weiteren guten Nachricht: Der er-wähnte VN-Unterausschuss stellte nach dem Besuch2013 in seinem Abschlussbericht fest, dass es inDeutschland keine Fälle von Folter gab.Wie gut diese Nachricht tatsächlich ist, verrät einBlick auf die Welt um uns her, den ich mir als Mitgliedder Ausschüsse für Menschenrechte und HumanitäreHilfe sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung erlaube.Am 26. Juni, also vor einer Woche, wurde der Inter-nationale Tag gegen Folter begangen. 30 Jahre nachInkrafttreten der Antifolterkonvention der VereintenNationen lässt sich nur eine ernüchternde Bilanz zie-hen:155 Staaten sind Vertragsstaaten der UN-Kon-vention. Bereits mit der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte von 1948 erkennen die Staaten dasGrundrecht auf ein Leben ohne Folter für jedenMenschen weltweit an. Der Internationale Pakt überbürgerliche und politische Rechte schreibt das aus-drückliche und umfassende Verbot von Folter und an-dere Formen der Misshandlung fest. Am 26. Juni 1984trat die Antifolterkonvention in Kraft.Das weltweite absolute Folterverbot ist aber auchnach 30 Jahren noch immer nicht umgesetzt. Folter isteine fundamentale Menschenrechtsverletzung, die invielen Staaten ungeachtet ihres Verbots noch immergezielt und sogar routinemäßig zur UnterdrückungOppositioneller, zum Erpressen von Geständnissenoder zur Ahndung von Straftaten in unerträglichemAusmaß angewandt wird.Jegliche Art von Folter, von grausamer und un-menschlicher Behandlung muss geächtet werden, sowie es die UN-Antifolterkonvention verlangt.Der unlängst von Amnesty International veröffent-lichte Bericht macht das immense Ausmaß der Anwen-dung von Folter deutlich. Insbesondere in Ländern desNahen Ostens, den Staaten der ehemaligen Sowjet-union und in asiatischen Ländern kommt Folter demBericht zufolge noch immer zum Einsatz. In 79 Län-dern, die zu den Unterzeichnerstaaten der Konventionzählen, hat die Nichtregierungsorganisation in diesemJahr bereits wieder Fälle von Folter dokumentierenmüssen.Folteropfer leiden – sofern sie überhaupt überle-ben – oft ein Leben lang an physischen und schwerstenpsychischen Folgeerkrankungen. Da Folter meist imVerborgenen geschieht, muss Licht ins Dunkel, umMenschen vor diesem grausamen Verbrechen zu schüt-zen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. DieseBerichte sind dramatisch.Um es zu wiederholen: Die Lage in Deutschland istgut. Gerade im Lichte der weltweiten Situation ist dasmehr als deutlich. Aber das ist eben keine Selbstver-ständlichkeit. Die Vermeidung von Folter lebt vonverschiedenen Voraussetzungen, die in Deutschlanddurchweg gegeben sind – und eben erhalten und ver-stärkt werden müssen. Ich nenne einige Beispiele:Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4265
Frank Heinrich
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Um Folter zu vermeiden braucht es Beschwerde-mechanismen innerhalb der Behörden sowie rechts-staatliche Mittel, um gegen Verletzungen der eigenenRechte auch klagen zu können. Entsprechend brauchtes eine funktionierende Gewaltenteilung, eindeutigeGesetze und zuständige unabhängige Gerichte. Dazugehört der Europäische Gerichtshof für Menschen-rechte.Ein wesentlicher Faktor zur Vermeidung von Folterist das Personal: gut ausgebildete und speziell im Be-reich der Menschenrechte geschulte Fachkräfte beider Polizei, der Bundespolizei und der Justiz. Die Cur-ricula der Ausbildungsgänge in Deutschland zielen aufdiese Kernkompetenzen ab. Das ist ausdrücklich zuwürdigen.Und natürlich ist die Umsetzung des VN-Präven-tionsmechanismus durch die Nationale Verhütungs-stelle von Folter zu nennen. Dazu gehört elementar, sie– wie erwähnt – angemessen finanziell und personellauszustatten.Dazu gehört ebenfalls, ihre Vorschläge aufzuneh-men und umzusetzen. Konkrete Vorschläge enthält derJahresbericht.In jedem Jahr setzt die Stelle Schwerpunkte in ihrerTätigkeit. Im Jahr 2013 lag dieser Schwerpunkt aufder Abschiebungshaft. Da deren Vollzug in den Zu-ständigkeitsbereich der Länder fällt, war hier eineenge Zusammenarbeit mit der Länderkommission not-wendig. Untersucht wurden ebenfalls die Rückführun-gen per Flugzeug.Folgende konkrete Vorschläge wurden unterbreitet:Für den Vollzug von Rückführungen sind spezielle Ab-schiebungshafteinrichtungen nötig, die es bislang erstin drei Ländern gibt. Die anderen Länder sind nun amZug, diese Vorschläge umzusetzen.Aber auch zum Schwerpunktthema zeigt der Be-richte vor allem positive Erfahrungen: In den besuch-ten neun Einrichtungen ist die Länderkommission „aufzahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbeispielebeim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen. Auchdie beobachteten Rückführungen seien zufriedenstel-lend verlaufen.So musste die Bundesstelle nur geringe Empfehlun-gen zur Verbesserung der Situation geben. Das istmehr als erfreulich. Durch die verbesserte Ausstattungder Nationalen Verhütungsstelle wird deren Arbeit ab2015 weiter intensiviert werde. Das begrüße ich aus-drücklich.Denn die Bundesregierung muss weiter alles tun,um sich konsequent für das Verbot von Folter im In-und Ausland einzusetzen, wie es der Menschenrechts-ausschuss in seiner Beschlussempfehlung fordert.Nur durch eine gute Arbeit in Deutschland könnenwir Standards setzen und ihnen auch internationalGeltung verschaffen.
Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede kurz denvölkerrechtlichen Hintergrund skizzieren: Das Über-einkommen der Vereinten Nationen gegen Folter undandere grausame, unmenschliche oder erniedrigendeBehandlung oder Strafe wird durch das Fakultativ-protokoll vom 18. Dezember 2002 um einen präventi-ven Ansatz erweitert. Es sieht vor, den Schutz vor Fol-ter und Misshandlung durch ein Besuchssystem zuverbessern. Dies ist in Artikel 3 durch die Verpflich-tung zur Errichtung nationaler Präventionsmechanis-men beschrieben.Deutschland hat das Fakultativprotokoll am 4. De-zember 2008 ratifiziert. Die Bundesstelle zur Verhü-tung von Folter hat am 1. Mai 2009 ihre Arbeit aufge-nommen, die Länderkommission am 24. September2010. Beide Einrichtungen zusammen bilden alsNationale Stelle den deutschen Präventionsmechanis-mus zur Verhütung von Folter. Gegenwärtig sind fürdie Bundesstelle der ehrenamtliche Leiter und seit Mai2013 ein stellvertretender Leiter sowie für die Länder-kommission vier ehrenamtliche Mitglieder tätig. Siewerden von vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern unterstützt.Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte derFreiheitsentziehung aufzusuchen, auf Missstände auf-merksam zu machen und den Behörden Empfehlungenund Vorschläge zur Verbesserung der Situation derUntergebrachten, zur Verhütung von Folter und sonsti-gen Misshandlungen zu unterbreiten. Dies sind 280Einrichtungen des Bundes sowie fast 2 000 Einrich-tungen, für die die Länder zuständig sind.Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit legte die NationaleStelle zur Verhütung von Folter im Jahr 2013 auf dieAbschiebungshaft, deren Vollzug in den Zuständig-keitsbereich der Länder fällt, sowie auf Rückführungenauf dem Luftweg.Für den Vollzug plädiert die Nationale Stelle fürspezielle Abschiebungshafteinrichtungen, die es bis-lang in drei Ländern gibt. Andere Länder nutzen fürdie Unterbringung Justizvollzugsanstalten. In den be-suchten neun Einrichtungen ist die Länderkommission„auf zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbei-spiele beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen.Auch die beobachteten Rückführungen seien zufrie-denstellend verlaufen, und die Bundesstelle musste nurgeringe Empfehlungen zur Verbesserung der Situationgeben.Der auch für die Bundespolizei insgesamt positiveJahresbericht 2013 stellte keinerlei Hinweise auf Ver-letzung der Menschenwürde innerhalb der Bundes-polizei fest und lobte das persönliche Engagement derBeamtinnen und Beamten, die schwierige Situationvon Betroffenen abzumildern. Daneben äußerte sichdie Bundesstelle positiv über besondere Initiativen ein-zelner Dienststellen, beispielsweise bei der Bereitstel-lung von Hygieneartikeln für mittellose Personen.Zu Protokoll gegebene Reden
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4266 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Erika Steinbach
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2013 besuchte der zuständige VN-Unterausschusszur Verhütung von Folter Deutschland, um die Natio-nale Stelle zu beraten. In seinem Abschlussberichtstellt der Ausschuss rechtliche, strukturelle und institu-tionelle Probleme fest und bezieht sich dabei vor allemauf die finanziellen und personellen Ressourcen derStelle und auf das Auswahlverfahren der Experten.Gleichzeitig hat der Unterausschuss die Anstrengun-gen der Behörden zur Erfüllung der Verpflichtungenaus dem Fakultativprotokoll begrüßt und zur Kenntnisgenommen, dass es nicht nur keine Fälle von Foltergab, sondern auch große Anstrengungen unternommenwerden, um die Orte der Freiheitsentziehung zu über-wachen.So sind die Themen Menschenrechte bzw. Men-schenwürde und interkulturelle Kompetenz festerBestandteil der Aus- und Fortbildung in allen Lauf-bahngruppen der Bundespolizei. In den Fächern bzw.Bereichen Staats- und Verfassungsrecht/PolitischeBildung, Europarecht, Eingriffsrecht, Situations- undKommunikationstraining, Fahndung und Vernehmungund Psychologie werden die Themen Menschenrechte,Grundrechte, Diskriminierungsverbot, Verbot vonMisshandlungen und Folter, UN-Charta und Europäi-sche Menschenrechtskonvention sowie interkulturelleKompetenz behandelt. Verschiedene Fortbildungsver-anstaltungen klären über Hintergründe und Ursachenvon Diskriminierung auf und sensibilisieren für fremdeKulturen, Religionen und das Thema Migration.Dadurch sollen Verständnis und Toleranz für alleMenschen geweckt werden.Führungskräfte werden zusätzlich in komplexen undinterkulturellen Kommunikationsprozessen geschult.Die Bundespolizeiakademie bietet weitere Fortbil-dungsmaßnahmen zur Förderung der interkulturellenKompetenz und des kulturellen Verständnisses an. Bei-spielhaft seien genannt die Seminare „Polizei undFremde“, „Globalisierung und Polizei“, „PolitischeBildung für Führungskräfte“ und „Training zum Aus-bau sozialer Kompetenz“.Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in besonderenAufgabenbereichen wie der Luftsicherheitskontrolle,der Rückführung und vor einer Auslandsverwendungwerden im Themenfeld der interkulturellen Kompetenzgesondert geschult. Spezifische Angebote gibt es da-rüber hinaus in der dienststelleninternen Fortbildung.Die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Bundes-polizei werden regelmäßig hinsichtlich gegebenenfallsbestehenden Anpassungsbedarfs überprüft und – so-weit erforderlich – optimiert. Zudem sind die vielfälti-gen Aufgaben der Bundespolizei mit Auslandsbezug,die regionalen und überregionalen Projekte undKooperationen mit interkultureller Ausprägung unddie Kampagnen zur Gewinnung von Nachwuchskräf-ten mit Migrationshintergrund zu erwähnen.Sofern Fehlverhalten oder Misshandlungen durchPolizeibeamte gerügt werden, bestehen innerbehördli-che und außerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten,um dieses Verhalten in einem unabhängigen Verfahrenrechtlich überprüfen zu lassen. Das im Strafrecht ver-ankerte Legalitätsprinzip gewährleistet, dass bereitsbei einem Anfangsverdacht für das Vorliegen einerStraftat staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren einge-leitet werden. Dabei haben die Ermittlungen umfas-send, effektiv und objektiv zu erfolgen.Neben dem Rechtsweg zu den Gerichten stehen in-nerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten gegen poli-zeiliches Fehlverhalten jedem offen. Jedermann kanneine ihn betreffende polizeiliche Maßnahme mit einerDienst- oder Fachaufsichtsbeschwerde beanstanden,um die eigentliche Tätigkeit oder das persönliche Ver-halten der Beamten durch den Dienstvorgesetztenüberprüfen zu lassen. Der dezentrale, den Föderalis-mus widerspiegelnde Aufbau der Polizei in Deutsch-land sichert eine fachlich, personell und rechtlich engeAufsicht durch vorgesetzte Stellen, die zuletzt durch diezuständigen Innenministerien wahrgenommen werden.Vor diesem Hintergrund erkennen wir das großeEngagement der Nationalen Stelle zur Verhütung vonFolter im Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezem-ber 2013 ausdrücklich an. Die intensive Auseinander-setzung der zuständigen Bundes- und Ländereinrich-tungen mit den jährlichen Berichten der NationalenStelle und die zeitnahe Umsetzung vieler Empfehlun-gen zeigen das Bestreben aller Beteiligten, das er-reichte hohe Niveau in diesem Bereich weiter zu ver-bessern.Wir begrüßen es sehr, dass die Justizministerkonfe-renz am 25./26. Juni beschlossen hat, den finanziellenAnteil der Länder von 200 000 auf 360 000 Euroaufzustocken. Zugleich soll die Zahl der ehrenamt-lichen Mitglieder der Länderkommission auf acht ver-doppelt werden. Das Expertenteam soll künftig stärkerinterdisziplinär zusammengesetzt sein. Da der Bundbereit ist, seinen Anteil von 100 000 auf 180 000 Eurozu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015540 000 Euro zur Verfügung stehen.Der Ausschuss für Menschenrechte und HumanitäreHilfe verbindet diese Bewertung in der Beschlussemp-fehlung mit den Forderungen an die Bundesregierung,sich weiterhin konsequent für das Verbot von Folterund anderer grausamer, unmenschlicher oder ernied-rigender Behandlung oder Strafe im In- und Auslandeinzusetzen, die Nationale Stelle zur Verhütung vonFolter weiterhin zu unterstützen und die Empfehlungendes VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter inder Bund-Länder-Arbeitsgruppe konstruktiv weiterzu-verfolgen.
Folter ist niemals gerechtfertigt. Sie ist ein Angriffauf die Menschenwürde und eine der schlimmstenMenschenrechtsverletzungen überhaupt. Deshalb istFolter weltweit geächtet. Das Folterverbot ist völker-gewohnheitsrechtlich und in zahlreichen internationa-len Verträgen – allen voran in der Antifolterkonventionder Vereinten Nationen – fest verankert.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4267
Frank Schwabe
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Folter macht Staaten zu Unrechtsstaaten. Sie trau-matisiert die meisten Opfer ein Leben lang. Den Op-fern von Folter wurde letzte Woche, am 26. Juni, demInternationalen Tag zur Unterstützung der Opfer vonFolter, gedacht. Ich begrüße es sehr, dass wir unsheute, eine Woche später, damit befassen, wie wir si-cherstellen können, dass Deutschland auch in Zukunfteine Vorreiterrolle bei der Prävention von Folter ein-nehmen kann.Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter – un-ser nationaler Präventionsmechanismus – spielt dabeieine wichtige Rolle. Der nationale Präventionsmecha-nismus beruht auf dem Fakultativprotokoll zur UN-An-tifolterkonvention vom 18. Dezember 2002. Deutsch-land setzt sich weltweit dafür ein, dass möglichst vieleStaaten das Fakultativprotokoll ratifizieren; dennwirksame Prävention und Kontrolle ist eine der wich-tigsten Voraussetzungen, damit Folter nicht nur aufdem Papier, sondern auch in der Praxis weltweit ge-ächtet wird.Das Fakultativprotokoll wurde bisher nur von73 Staaten ratifiziert. Das muss sich ändern. Wir for-dern die Länder, die das Fakultativprotokoll nochnicht ratifiziert haben, auf, dies schnellstmöglichnachzuholen. 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Antifol-terkonvention sollten wir nicht mehr darüber sprechenmüssen, dass Folter und Misshandlungen tabu sindund auf das Schärfste bekämpft werden müssen. Leiderist die Realität, wie dem aktuellen Bericht von AmnestyInternational zu entnehmen ist, eine andere. Obwohl151 Staaten die UN-Antifolterkonvention ratifiziert ha-ben, werden Menschen in 141 Ländern immer noch ge-foltert und grausam misshandelt. Das darf nicht sein.Umso wichtiger ist es, dass sich Deutschland auch inZukunft entschieden für die Ächtung von Folter und fürdie Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention und desFakultativprotokolls einsetzt.Deutschland selbst hat das Fakultativprotokoll am4. Dezember 2008 ratifiziert. Es sieht vor, den Schutzvor Folter und Misshandlung durch ein Besuchssystemin Gewahrsamseinrichtungen zu verbessern. Das ist inArtikel 3 durch die Verpflichtung zur Errichtung natio-naler Präventionsmechanismen beschrieben. Zur Um-setzung hat Deutschland die Nationale Stelle zur Ver-hütung von Folter eingerichtet. Diese besteht aus derBundesstelle zur Verhütung von Folter und der Län-derkommission, die am 1. Mai 2009 respektive am24. September 2010 ihre Arbeit aufgenommen haben.Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Einrichtun-gen, in denen Menschen die Freiheit entzogen ist,durch unangemeldete Besuche zu überprüfen und denBehörden Vorschläge zur Verbesserung der Situationder Untergebrachten zu unterbreiten. Zu diesen Ein-richtungen zählen 360 Gewahrsamseinrichtungen inder Zuständigkeit des Bundes, 186 organisatorischselbstständige Justizvollzugsanstalten, 1 430 Dienst-stellen der Landespolizei, 326 psychiatrische Klinikenund alle Gerichte mit Vorführzellen, 7 Abschiebehaft-einrichtungen und 27 Einrichtungen der Kinder- undJugendhilfe mit geschlossenen Plätzen.Für diese Mammutaufgabe hatte die NationaleStelle bisher nur eine ehrenamtliche Leitung und dreiangestellte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen undMitarbeiter sowie eine Bürofachkraft zur Verfügung.Eine bessere Ausstattung konnte mit 300 000 Euronicht finanziert werden. Daher möchte ich mich beiden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der NationalenStelle ganz herzlich für ihr großartiges Engagementbedanken. Ihre jährlichen Berichte und Empfehlungentragen dazu bei, das hohe Niveau in Deutschland zuerhalten und auszubauen und Missstände zu beseiti-gen. Gott sei Dank gibt es in Deutschland keine Folter,wie die Berichte der Nationalen Stelle bestätigen; aberes ist gut, eine Institution zu haben, die ein wachsamesAuge hat.Umso erfreulicher ist es, dass sich die Länder in derJustizministerkonferenz vom 25./26. endlich darauf ei-nigen konnten, ihren Kostenanteil von 200 000 auf360 000 Euro aufzustocken. Da die Nationale Stellevon Bund und Ländern im Verhältnis 1 : 2 finanziertwird, stehen ihr ab 2015 540 000 Euro zur Verfügung.Meine Partei hat sich jahrelang für eine Erhöhung derMittel der Nationalen Stelle eingesetzt, die ansonstenihrer Aufgabe – das heißt, die eben genannten insge-samt circa 2000 Einrichtungen zu überprüfen – nichtvollständig gerecht werden kann. Daher freut es mich,dass diesbezüglich nun ein erster Schritt getan werdenkonnte. Die Ausstattung ist im Vergleich zu anderenLändern wie Frankreich, Österreich und der Schweizverbesserungsfähig. Allerdings ist das aufgrund derföderalen Struktur in Deutschland und der daraus re-sultierenden komplexen Verfahren nicht so einfach zuerreichen. Ich hoffe sehr, dass es möglich sein wird, dieMittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Fol-ter in Zukunft weiter aufzustocken. Zumindest ist nunein erster Schritt getan.Abschließend bitte ich die Bundesregierung, sichweiterhin konsequent für das Verbot von Folter undanderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigen-der Behandlung oder Strafe im In- und Ausland einzu-setzen und die Nationale Stelle zur Verhütung von Fol-ter zu unterstützen. Mit gemeinsamen Kräften müssenwir alles dafür tun, damit Folter und Misshandlungenverboten werden. Es ist Zeit für eine Welt ohne Folter.
Mit der Schaffung der Nationalen Stelle zur Verhü-tung von Folter wurde im Jahr 2009 eine wichtigeInstitution geschaffen, die aktiv dazu beitragen soll,Missstände in Gefängnissen und geschlossenen Ein-richtungen aufzuzeigen und zu einer Verbesserung derSituation in den Gefängnissen beizutragen. Seit ihrerGründung hat die Nationale Stelle zur Verhütung vonFolter wichtige Arbeit geleistet. Im Namen der Frak-tion Die Linke möchte ich allen dort Tätigen für ihreunverzichtbare Arbeit danken.Zu Protokoll gegebene Reden
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4268 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Annette Groth
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Wer Menschenrechte ernst nimmt, muss geradeauch Personen, denen die Freiheit durch Gerichteoder staatliche Anordnungen entzogen wird, eine men-schenwürdige Behandlung zukommen lassen. In denZuständigkeitsbereich des Bundes fallen 280 Gewahr-samseinrichtungen der Bundeswehr, der Bundespolizeiund des Zolls. Außerdem beobachtet die BundesstelleAbschiebemaßnahmen, die von der Bundespolizei be-gleitet werden. Für die meisten Einrichtungen ist dieLänderkommission zuständig. Mit 186 Justizvollzugs-anstalten, 1 430 Dienststellen der Landespolizei,326 psychiatrischen Kliniken, allen Gerichten mitVorführzellen, aber auch 7 Abschiebungshafteinrich-tungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und Jugend-hilfe mit geschlossenen Plätzen ist der Aufgabenbe-reich riesig. Gleichzeitig ist die Länderkommissionauch für die 11 000 Alten- und Pflegeheime zuständig.Ich finde es sehr erschreckend, dass die NationaleStelle in ihrem Jahresbericht darauf hinweisen muss,dass es bei nahezu allen Besuchen in Einrichtungen„Anlass zu einer Reihe von Empfehlungen zur Verbes-serung der Unterbringung und Behandlung der unter-gebrachten Personen gegeben“ habe, „die sich teilsauf nicht akzeptable Missstände beziehen“. Es ist auchbedenklich, dass der Schutz der Privat- und Intim-sphäre der Insassen in vielen Gewahrsamseinrichtun-gen nicht gewährleistet ist. Dies ist umgehend zu än-dern. Wenn im Bericht steht, dass „nur wenigeBundesländer ausdrückliche gesetzliche Regelungenzum Schutz der Intimsphäre im Justizvollzug bzw. fürdie Unterbringung im Polizeigewahrsam getroffen ha-ben“, besteht dringend Handlungsbedarf.Pro Jahr werden etwa 2 000 Ermittlungen wegenKörperverletzung im Amt angezeigt. Der StrafrechtlerTobias Singelnstein von der Freien Universität Berlinspricht jedoch von einer viel höheren Dunkelziffer. Diemeisten Betroffenen erstatteten keine Anzeige, da siekeine Chance auf Erfolg sähen und vielmehr mit einerGegenanzeige rechnen müssten, die häufig dazu führe,dass aus Opfern Täter gemacht werden. Beispielsweisewurden im Jahr 2008 bei 2 000 Anzeigen lediglich94 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Körperverlet-zung im Amt eingeleitet. In Berlin kam es zwischen2006 und 2008 zu nur 34 Verurteilungen, obwohl indiesem Zeitraum über 1 000 Anzeigen wegen Körper-verletzung durch Polizisten vorlagen. Auch Amnestyweist in der Studie „Täter unbekannt – mangelnde Auf-klärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch diePolizei in Deutschland“ darauf hin, dass bei ihnen in-nerhalb von fünf Jahren über 850 Beschwerden überProbleme mit der Polizei eingegangen seien.Artikel 18 des Fakultativprotokolls verlangt aus-drücklich, dass den Nationalen Stellen eine funktionaleUnabhängigkeit garantiert und ihnen ausreichendefinanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müss-ten. Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag in denDeutschen Bundestag eingebracht, in dem sie eine An-hebung des Budgets der Nationale Stelle zur Verhütungvon Folter um jährlich 200 000 Euro fordert, bis einejährliche Finanzierung von einer Million gewährleis-tet ist. Wenn man sieht, dass aufgrund der fehlendenpersonellen und finanziellen Ausstattung der Nationa-len Stelle im Jahr 2013 von den 280 Einrichtungen desBundes lediglich 36 Einrichtungen besucht werdenkonnten, zeigt dies einen eklatanten Widerspruch zuden Notwendigkeiten auf.Wenn die Nationale Stelle darauf hinweist, dassaufgrund der personellen Unterbesetzung Besuche inpsychiatrischen Kliniken und Alten- und Pflegeheimennicht möglich waren, ist dies nicht akzeptabel.In Artikel 12 der abschließenden Empfehlungen desWSK-Ausschusses aus dem Jahr 2011 zu Deutschlandwurde festgestellt:Der Ausschuss stellt mit tiefer Besorgnis fest, dassder Vertragsstaat keine hinreichenden Maßnahmenzur Verbesserung der Lage in Pflegeheimen ergrif-fen hat, in denen ältere Menschen Berichten zufolgein menschenunwürdigen Verhältnissen leben undwegen eines Mangels an Fachkräften und der unzu-länglichen Anwendung von Pflegevorschriften nachwie vor nicht die geeignete Pflege erhalten.Die Fraktion hält den Beschluss der Justizminister-konferenz, den Anteil der Länder von 200 000 auf360 000 Euro anzuheben, bei weitem für nicht ausrei-chend. Auch die Anhebung der Mittel durch den Bundvon 100 000 auf 180 000 Euro ist nur ein Tropfen aufden heißen Stein. Es ist nicht akzeptabel, dass sich derGesetzgeber vor seiner Verantwortung drückt, der Na-tionalen Stelle ausreichend finanzielle und damit auchpersonelle Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Frak-tion Die Linke wird deshalb in den Haushaltsberatun-gen für den Bundeshaushalt 2015 eine deutliche Nach-besserung dieser Beschlüsse einfordern.
Die Bundesstelle konnte ihre Aufgabe nur ansatz-weise erfüllen.
Mit den vorhandenen personellen und finanziellenMitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzli-chen Auftrag, wie er sich aus dem Fakultativpro-
Mit der gegenwärtigen Ausstattung kann die Na-tionale Stelle ihrem gesetzlichen Auftrag regelmä-
Am 1. Mai 2009 hat die Nationale Stelle zur Verhü-tung von Folter ihre Arbeit aufgenommen. Seit ihremBestehen musste die Nationale Stelle Jahr um Jahr da-rauf verweisen, dass sie ihren gesetzlichen Auftragnicht erfüllen konnte. Aufgabe der Stelle ist vor allemder Besuch von Haftanstalten, aber auch von Polizei-dienststellen und psychiatrischen Einrichtungen. Weitüber 200 solcher Einrichtungen gibt es bundesweit.Dazu kommen rund 10 000 Altenheime, in denen zumZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4269
Omid Nouripour
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Teil Senioren in Sicherheitseinrichtungen unterge-bracht sind.Alle Jahre wieder hat die Bundesregierung diesenAppell ignoriert. Sie hat auch den Rücktritt vonHansjörg Geiger ignoriert, der im Herbst 2012 frust-riert das Handtuch geschmissen hatte, nachdem seineAppelle, die Nationale Stelle besser auszustatten, keinGehör fanden.Dies hatten zuletzt auch die Vereinten Nationen an-gemahnt: In seinem Prüfbericht vom April 2014 hatteder Fachausschuss über das Verschwindenlassen da-rauf gedrängt, die personellen und finanziellen Mittelaufzustocken, damit die Nationale Stelle ihr Mandaterfüllen kann.Nun endlich soll die Nationale Stelle mehr Gelderhalten. Der Impuls dazu allerdings ging von denLändern aus. Der Bund hat jetzt nachgezogen und sei-nen Anteil um 80 000 Euro erhöht.Rund 13 000 Einrichtungen in der gesamtenBundesrepublik soll die Nationale Stelle regelmäßigüberprüfen. Im vergangenen Jahr standen der Natio-nalen Stelle dafür sechs ehrenamtliche Mitglieder, dreiwissenschaftliche Mitarbeiter sowie eine Fachkraft fürBürokommunikation zu Verfügung. Die Aufstockungder Mittel ist dringend notwendig, um das Team zuvergrößern und um auch Mediziner und Psychiatereinstellen zu können.Mein Dank geht an das Team der Nationalen Stelle,das trotz der mangelnden Ausstattung großartige Ar-beit leistet, die bislang nicht in ausreichendem Maßegewürdigt wurde.Die Arbeit der Nationalen Stelle ist nach wie vornotwendig, auch in einem Land wie Deutschland – daszeigen die Entwicklungen in der Terrorismusbekämp-fung oder der Abschiebepraxis. Darauf hat die Natio-nale Stelle im vergangenen Jahr einen Fokus gesetztund grundlegende Änderungen der Abschiebungshaftempfohlen, die nicht mehr in Justizvollzugsanstaltenvollstreckt werden sollte. Bedenken gab es unter ande-rem auch, ob die Inhaftierung alleinreisender Minder-jähriger mit dem Schutz des Kindeswohls zu vereinba-ren ist.Mit der geplanten Erhöhung der Mittel ist ein erster,wichtiger Schritt getan. Doch das reicht bei weitemnicht aus. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierungdie Nationale Stelle nicht länger derart stiefmütterlichbehandelt. Das Bekenntnis zum internationalen Fol-terverbot muss sich auch übersetzen in die Ausstattungin den zentralen nationalen Präventionsmechanismus;ansonsten macht sich Deutschland als Verfechter vonMenschenrechten international unglaubwürdig.Im internationalen Vergleich steht Deutschland im-mer noch nicht gut da: Frankreich etwa gibt jährlichüber 3 Millionen Euro für diesen Präventionsmecha-nismus aus. Wir fordern die Bundesregierung deshalbauf, ihren Anteil deutlich – auf 300 000 Euro im Jahr –zu erhöhen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe aufDrucksache 18/2003. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnisder Unterrichtung auf Drucksache 18/1178 eine Ent-schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/2007. Wer stimmt für diesenEntschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 18/2008. Wer stimmt für diesenEntschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünenbei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Valerie Wilms, Stephan Kühn ,Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLKW-Maut nachhaltig und ökologisch aus-richtenDrucksache 18/1620Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusHaushaltsausschussDie Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionellwird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1620an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüssevorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das istder Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Stabilisierung des Künstlersozialabgabe-
Drucksachen 18/1530, 18/17701) Anlage 18
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4270 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Arbeit und Soziales
Drucksache 18/1985Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor.Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Bei der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven ge-hen Tag für Tag rund 80 Aufnahmeanträge ein. Siewerden gestellt von Malern und Bildhauern, von Musi-kern und Sängern, von Journalisten und Publizisten,von Übersetzern und Filmemachern – aber auch vonAkrobaten und Büttenrednern, von Clowns und DJs,von Zauberern und Puppenspielern. Die ganze Palettekünstlerischen Schaffens findet sich in der Künstlerso-zialversicherung wieder.Die Künstlersozialkasse ist eine begehrte Einrich-tung, sie gewährt selbstständigen Künstlern Zugangzur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, undzwar zu günstigen finanziellen Bedingungen. JedenTag werden von den Sachbearbeitern in Wilhelmsha-ven aber auch Dutzende Anträge abgelehnt – was dortebenfalls Tag für Tag zu Streit führt.Anders als ein selbstständiger Dachdecker müssenKSK-Versicherte nur die Hälfte ihrer Sozialversiche-rungsbeiträge selbst zahlen. Die andere Beitragshälftewird zu 20 Prozent aus Bundesmitteln und zu 30 Pro-zent von den Unternehmen finanziert, die die Künstlerbeauftragen. Diese Finanzierung ist wie die ganze Ver-sicherung einmalig und ein eindrucksvolles solidari-sches Konstrukt. Sie beruht auf zwei Annahmen:Erstens. Selbstständige Künstler haben meist nurein geringes Einkommen und sind deshalb auf eine so-lidarische Finanzierung ihrer Sozialversicherung an-gewiesen.Zweitens. Wir als Kulturnation sind der Meinung,dass freischaffende Künstler und Publizisten einenwichtigen Beitrag zur Kultur in unserem Land leistenund sie deshalb eine besondere Förderung verdienen.Ich denke, dass diese Annahmen – heute wie vor30 Jahren zur Einführung der Künstlersozialversi-cherung – zutreffen. Denn das kulturelle Leben inDeutschland, im Großen wie im Kleinen, in der Hoch-kultur wie in der Alltagskultur, privat und in der Wirt-schaft, wird von einer Vielfalt an freischaffendenKünstlern und Publizisten getragen. Viele dieserSelbstständigen leben auch heute in prekären und be-scheidenen Verhältnissen. Sie sind schlichtweg auf dieLeistungen der Künstlersozialversicherung angewie-sen.Unser Ziel war und ist es deshalb, die Versicherungzu erhalten. Das vorliegende Gesetz wird dazu beitra-gen und sie vorerst stabilisieren. Die Prüfungen wer-den zu mehr Abgabengerechtigkeit führen und dieKasse finanziell stützen. Die Geringfügigkeitsgrenzebehebt unklare Formulierungen im Gesetz, die bishereiner der Hauptkritikpunkte vonseiten der Verwerterwaren. Die Entwicklung des Kosten-Nutzen-Verhält-nisses sollte dennoch turnusmäßig evaluiert werden,um endgültige Aussagen zu Effektivität und Effizienzdes Gesetzes machen zu können. Grundsätzlich musses uns als Gesetzgeber auch wichtig sein, dass die Ge-setze, die wir hier beschließen, ausgeführt und umge-setzt werden. Das war bisher in diesem Bereich nichtdurchgängig der Fall und soll sich durch die getroffe-nen Klarstellungen verbessern.Betrachtet man die Gesamtsituation der Kasse unddie steigenden Mitgliederzahlen und Kosten, wird manauf Dauer aber auch andere Probleme lösen müssen –einmal die innerhalb des Systems der Künstlersozial-versicherung. Hier darf auch eine Diskussion über diean einigen Stellen sehr weite Auslegung des Künstler-begriffs und damit des Zugangs kein Tabu sein. Schonheute sind viele Berufsgruppen in der Grauzone desBegriffs angesiedelt und können nur per Einzelfallent-scheidung zur Versicherung berechtigt oder abgelehntwerden. Das kann nicht nur bei den Mitarbeitern inWilhelmshaven hängen bleiben, sondern bedarf aucheiner kulturpolitischen Richtungsentscheidung, werförderungswürdig oder förderungsbedürftig ist undwer nicht. Eine unbegrenzte Ausweitung des Begriffskönnte die Versicherung hingegen an ihre Grenzen unddarüber hinaus führen. In dem Zusammenhang müssenwir auch darauf achten, dass wir mit der Künstler-sozialversicherung keinen Ansporn zum sogenanntenOutsourcing setzen. Das normale Arbeitnehmerver-hältnis sollte in den meisten Berufen das Ziel bleiben.Eine Ausweitung des Künstlerbegriffs könnte auch hierkontraproduktiv wirken.An diesem Punkt – das kann man auch dem Ent-schließungsantrag der Linkspartei entnehmen – gibt eshier im Parlament unterschiedliche Ansichten. Diesollten wir zu gegebener Zeit diskutieren. Eine Einen-gung der Lösungsoptionen auf eine Erhöhung desBundeszuschusses halte ich jedenfalls nicht für pro-duktiv und wird auch nicht der speziellen Logik derKünstlersozialversicherung gerecht.Aber auch außerhalb der Künstlersozialversiche-rung müssen einige Rahmenbedingungen stimmen. Sosollten wir beispielsweise dafür sorgen, dass Kreativeauch weiterhin die grundsätzliche Möglichkeit haben,von ihren künstlerischen und publizistischen Leistun-gen leben zu können. Dafür müssen ihre Leistungenbezahlt werden, auch in Zeiten des Internets und derfast unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten. WerKunst und publizistische Erzeugnisse nutzt, muss dafürauch angemessen zahlen. Das gilt für den Privatmanngenauso wie für das Unternehmen. Hier ist ein Um-denken notwendig.Wir können Kultur nur bewahren und fördern, wennwir die schützen und fördern, die diese Kultur aktiverhalten, weitergeben und schaffen. Das sollte unserZiel sein. Denn – und das fasste BundestagspräsidentZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4271
Dr. Astrid Freudenstein
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Norbert Lammert vor einiger Zeit prägnant zusam-men –: „… was von dieser Generation übrig bleibenwird, sind nicht die Bahnhöfe, Flughäfen oder Steuer-gesetze, sondern das Selbstverständnis, das sich aufden Schöpfungen von Kunst und Kultur gründet.“
Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitun-
gen, Kinos ohne Filme – vor dieser unschönen Vorstel-
lung bewahren uns Künstler und Publizierende. Trotz-
dem lautet ein deutsches Sprichwort: Armut ist aller
Künste Stiefmutter. Genau deswegen gibt es seit 1981
die Künstlersozialversicherung, die vielen Menschen
überhaupt erst eine selbstständige künstlerische oder
publizistische Tätigkeit ermöglicht. Die Finanzierung
der Künstlersozialversicherung erfolgt zu 50 Prozent
aus Versichertenbeiträgen, zu 30 Prozent aus Künst-
lersozialabgaben von Unternehmen und Verwertern
sowie zu 20 Prozent aus Bundesmitteln. 2013 hatten
die Bundesmittel eine Höhe von circa 171 Millionen
Euro.
Die Aufgaben der zuständigen Künstlersozialkasse
decken drei Bereiche ab:
Erstens entscheidet sie, ob ein Antragsteller als
Künstler oder Publizist anzuerkennen ist.
Zweitens meldet sie die versicherten Künstler und
Publizisten bei den Kranken- und Pflegekassen sowie
bei der Rentenversicherung an.
Drittens leitet sie die Beiträge an die zuständigen
Träger weiter. Rente, Kranken- sowie Pflegegeld wer-
den dementsprechend von den Trägern der Renten-
versicherung sowie den gesetzlichen Kranken- und
Pflegekassen erbracht.
Künstlersozialabgaben werden erhoben, wenn
selbstständige Künstler oder Publizisten regelmäßig
Aufträge zum Beispiel von Presseagenturen, Fernseh-
sendern, Rundfunkanstalten, Galerien erhalten oder
Unternehmen Eigenwerbung bzw. Öffentlichkeits-
arbeit betreiben und dazu Kunstschaffende oder Publi-
zisten beauftragen.
Nun kommen einige der Auftraggeber dieser vom
Bundesverfassungsgericht 1987 bestätigten Verpflich-
tung nicht nach, weshalb die Kosten durch die übrigen
aufgefangen werden müssen. In der Folge stiegen die
Beitragssätze von 3,9 Prozent 2012 auf 5,2 Prozent
2013. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen
wir deshalb Abgabengerechtigkeit. Durchgesetzt
werden soll sie mittels alle vier Jahre stattfindender
Prüfungen. Für die Unternehmen sind diese risiko-
basiert, da nie alle gleichzeitig geprüft werden.
Insgesamt gestaltet sich das neue Prüfungsverfahren
effizienter und effektiver, da die Gesamtsozialversiche-
rungsbeiträge und die Künstlersozialabgabe zeitgleich
in den Blick genommen werden.
Während bei der Künstlersozialkasse ein eigener
Prüfdienst geschaffen wird, erhält die Deutsche Ren-
tenversicherung 233 neue Mitarbeiter. Mit ihnen wird
der ausgeweiteten Prüfung der Künstlersozialabgabe
im Rahmen der Arbeitgeberprüfung ebenso Rechnung
getragen wie entsprechenden regelmäßigen Informa-
tions- und Beratungsangeboten für Arbeitgeber.
Zur dritten Beratung des vorliegenden Gesetzent-
wurfes reichte die Fraktion Die Linke einen Entschlie-
ßungsantrag ein. Ihre Zweifel an einer Wirksamkeit
der Abgabenprüfungen von Deutscher Rentenversi-
cherung und Künstlersozialkasse teile ich nicht. Dazu
ein Zitat aus der Begründung im Gesetzentwurf:
In den Jahren 2007 bis 2011 haben sich die Prüf-
dienste der Träger der Deutschen Rentenversiche-
rung zunächst erfolgreich auf die Neuerfassung
von abgabepflichtigen Unternehmen und deren
Prüfung konzentriert… Ab dem Jahr 2011 wurde
das Anschreibeverfahren eingeschränkt und damit
die Prüftätigkeit im Hinblick auf Neuerfassungen
erheblich reduziert. Eine Prüfung des Verwerter-
bestandes fand bis Mitte 2013 nicht statt. Aus der
Prüftätigkeit wurden zwischenzeitlich kaum noch
Einnahmen erzielt.
Eben deshalb kommt es jetzt zur Kooperation der
Prüfdienste von Künstlersozialkasse und Deutscher
Rentenversicherung, wodurch die Künstlersozialab-
gabe stabilisiert wird.
Akzeptanz für die Künstlersozialabgabe setzt mei-
nes Erachtens zwei Punkte voraus:
Erstens müssen sämtliche abgabepflichtigen Ver-
werter ihre Beiträge an die Künstlersozialkasse ent-
richten.
Zweitens muss gewährleistet sein, dass die Mittel
der Künstlersozialkasse ausschließlich für ihren tat-
sächlichen Zweck eingesetzt werden: die Unterstüt-
zung selbstständiger Künstler und Publizisten. Für
eine großzügige Öffnung der Künstlersozialkasse, wie
im Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke ge-
wünscht, sehe ich deshalb keinen Grund.
Evaluationen sollen die Zielumsetzungen im Zusam-
menhang mit ihren Kosten bewerten. Erstmals sind sie
nach Abschluss eines vollen vierjährigen Prüfturnus
im Jahr 2019 geplant.
Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitun-
gen, Kinos ohne Filme – vor dieser unschönen Vor-
stellung bewahren uns Künstler und Publizierende.
Danken wir ihnen mit einer stabilen Künstlersozial-
versicherung.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierungdes Künstlersozialabgabesatzes wollen wir ein wichti-ges Vorhaben unserer Koalitionsvereinbarung umset-zen, und die Zeit drängt. Die Abgabe ist in diesem Jahrdeutlich angestiegen. Diesen Trend wollen wir jetztaufhalten; denn ein zu hoher Abgabesatz gefährdet dieAkzeptanz der Künstlersozialversicherung. Ich will andieser Stelle daran erinnern, dass wir das bereits inZu Protokoll gegebene Reden
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4272 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Burkhard Blienert
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der vergangenen Legislaturperiode hätten regeln kön-nen. Aber die damaligen Koalitionsfraktionen habenzum Unverständnis aller Beteiligten eine ähnliche Vor-lage aus dem BMAS im Bundestag scheitern lassen.Wertvolle Zeit ist dadurch verloren gegangen. Abernun sind wir entschlossen, zu handeln.Wir brauchen dieses Gesetz, damit die selbstständi-gen Kultur- und Medienschaffenden – derzeit sind180 000 Mitglied in der Künstlersozialkasse – weiter-hin Absicherung in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-und Rentenversicherung finden können. Die Kreativensind darauf angewiesen. Sie arbeiten in der großenMehrzahl unter schwierigen Bedingungen. Ihre Auf-tragslage ist unsicher, und sie müssen sich mit gerin-gen Einkommen durchschlagen. So betrug das jährli-che Durchschnittseinkommen der KSK-Versicherten zuAnfang dieses Jahres gerade einmal 14 992 Euro. Da-mit kann man nicht für seine soziale Absicherung sor-gen. Deshalb haben wir Anfang der 80er-Jahre desvergangenen Jahrhunderts die Künstlersozialversiche-rung geschaffen. Dieses System ist international ein-malig und findet im Ausland große Anerkennung. DieKünstler zahlen die Hälfte des Versicherungsbeitrags,was dem Arbeitnehmeranteil in der gesetzlichen Ver-sicherung entspricht. Die Künstlersozialkasse über-nimmt die andere Hälfte der Versicherungsbeiträge,quasi den Arbeitgeberanteil. Der speist sich aus einemBundeszuschuss und den Abgaben der Verwerter vonkünstlerischen und publizistischen Leistungen. DieKünstlersozialabgabe ist also der Beitrag der verwer-tenden Unternehmen zur sozialen Absicherung selbst-ständiger Künstler und Publizisten.Der Abgabesatz hat in diesem Jahr mit 5,2 Prozenteine Schmerzgrenze erreicht. Der Grund dafür ist,dass sich bisher zu viele abgabepflichtige Unterneh-men ihrer Pflicht entzogen haben. Das ist in höchstemMaße ungerecht gegenüber den zahlenden Verwertern;denn die zahlen für die anderen mit. Beides aber– hohe Abgabe und fehlende Abgabegerechtigkeit –stellt die Akzeptanz der Künstlersozialkasse insgesamtinfrage. Das dürfen wir nicht zulassen. Mit dem Gesetzsorgen wir nun mit geeigneten Maßnahmen dafür, dassalle ihrer Abgabepflicht nachkommen werden.An der Notwendigkeit dieser Versicherung fürselbstständige Künstler und Publizisten hat sich bisheute nichts geändert, eher im Gegenteil. Die florie-rende Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren breitenErwerbsmöglichkeiten stützt sich auf viele dieser Kul-tur- und Medienschaffenden, die meist unter prekärenBedingungen und mit viel Selbstausbeutung arbeiten.Die zahlreichen Aufnahmeanträge bei der Künstlerso-zialkasse deuten an, dass die Versichertenzahlen wei-ter zunehmen werden.Aber nicht nur die Kulturwirtschaft ist auf das krea-tive und künstlerische Schaffen angewiesen. Vielmehrprofitiert unsere Gesellschaft als Ganzes von der krea-tiven Kraft und den innovativen Leistungen der Kunst-und Kulturschaffenden. Die vielen Kreativen machenunser kulturelles und geistiges Leben in seiner Breiteund Vielfalt überhaupt erst möglich. Ohne sie würdesozusagen das Fundament wegbrechen. Deshalb hal-ten wir es für eine vorrangige kulturpolitische – ebennicht nur sozialpolitische – Aufgabe, die Künstlerso-zialversicherung zukunftsfest zu machen. Ich bin froh,dass wir uns da über alle Fraktionsgrenzen hinweg ei-nig sind.Das kommt auch im Entschließungsantrag derFraktion der Linken zum Ausdruck; das begrüße ich.Zustimmen können wir diesem Antrag allerdings nicht,da hier Problemfelder aufgemacht werden, die weitüber die Künstlersozialversicherung hinausgehen.Wir sind uns vollauf bewusst: Die Künstlersozial-versicherung ist nur ein – wenn auch zentraler – Pfei-ler der Absicherung der Kreativen, und diese Novellewird auch nicht die letzte sein. Deshalb haben wirauch eine Evaluierung bis 2019 vorgesehen. LassenSie uns das doch erst einmal abwarten. Dann werdenwir uns das noch einmal ganz genau anschauen undgegebenenfalls erneut nachsteuern.Soziale Absicherung im Kulturbereich geht aberüber die Künstlersozialversicherung hinaus. Ich möchtezum Abschluss nur zwei Projekte ansprechen, die wirin nächster Zeit angehen werden: Wir brauchen eineReform des Urheberrechts, die das geistige Eigentumwirksam schützt und den Kreativen damit Einkommensichert. Und die Beschäftigten im Kulturbereich brau-chen eine vernünftige Anschlussregelung für das Endedieses Jahres auslaufende Gesetz zum Arbeitslosen-geld für kurzbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Mitdiesen und weiteren Aufgaben werden wir uns gleichnach der parlamentarischen Sommerpause befassen.
Nach intensiven Debatten haben wir heute den ge-setzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro verabschiedet.Auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inder Kulturszene werden davon profitieren. Umso er-freulicher ist es, dass wir heute – an diesem besonde-ren Tag – mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künst-lersozialabgabesatzes auch die soziale Absicherungselbstständiger Künstlerinnen und Künstler sowie Pu-blizistinnen und Publizisten stärken.Ich finde es bemerkenswert und sehr erfreulich,dass dieser Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit undSoziales einstimmig verabschiedet worden ist. Das istein gutes Zeichen für konstruktive Zusammenarbeit indiesem Parlament. Es ist aber vor allem ein gutes Zei-chen für die Wertschätzung von Kunst, Kultur und Pu-blizistik in diesem Land.Die Künstlersozialkasse ist europaweit ein einzigar-tiges Modell. Sie spiegelt die Bedeutung wider, die derKulturszene Deutschlands zukommt, von Kunst überTheater, Musik, Sport, Film bis hin zu Journalismusund Literatur. Kurz: 180 000 Menschen, die unserLand bunter, vielfältiger und – schlichtweg – auch un-terhaltsamer machen, erfahren dadurch ein Mindest-maß an sozialer Absicherung.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4273
Ralf Kapschack
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Die Künstlersozialkasse wird solidarisch finanziert:50 Prozent zahlen die Mitglieder, 30 Prozent die soge-nannten Verwerter, also Unternehmen, die künstleri-sche Leistungen in Anspruch nehmen, weitere 20 Pro-zent werden vom Bund bezuschusst.Trotz der großen Bandbreite an kulturellen Angebo-ten stagnieren die Einnahmen, sie sind sogar rückläu-fig. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf einemangelnde Überprüfung der Verwerter. Bis 2011 hatsich die Prüfung auf die Neuerfassung von abgabe-pflichtigen Unternehmen beschränkt. Danach ist auchdas eingestellt worden. „Wenn ich nicht geprüft werde,dann zahle ich auch nicht“, mag vielleicht der eineoder andere Unternehmer denken. Andere sind sich ih-rer Zahlungspflicht auch nicht bewusst. Kernstück desneuen Gesetzes ist deshalb die Ausweitung des Prüf-verfahrens durch die Deutsche Rentenversicherung.Ihr gilt es an dieser Stelle auch einmal ausdrücklichzu danken. Nach intensiven Gesprächen zwischen demMinisterium und der Rentenversicherung ist es hier zueiner guten Lösung für alle gekommen.Die Deutsche Rentenversicherung Bund wird imRahmen ihrer turnusmäßigen Arbeitgeberprüfung allevier Jahre auch die Unternehmen hinsichtlich derKünstlersozialabgabe prüfen. Außerdem wird sie bera-tend und informierend tätig sein. Dies trifft für alle Un-ternehmen mit mindestens 20 Beschäftigten zu. Klei-nere Unternehmen werden in einem Poolzusammengefasst und alle zehn Jahre geprüft. Auf-wand und Ertrag stehen dabei in einem vernünftigenVerhältnis: Insgesamt können wir dadurch mit Einnah-men in Höhe von 32 Millionen Euro jährlich rechnen.Der Beitragssatz, der aktuell bei 5,2 Prozent liegt,kann somit stabil gehalten und die Künstlersozialkassezukunftsfest gemacht werden.Für kleinere Unternehmen wird eine Geringfügig-keitsgrenze von 450 Euro eingeführt. Für Leistungen,die darunter liegen, wird keine Abgabe fällig. Diesverhindert unnötige Bürokratie und schafft Rechtssi-cherheit.Im Ergebnis schafft dieses Gesetz die Grundlage fürBeitragsgerechtigkeit und Beitragsstabilität.In den vergangenen Wochen ist sehr oft und sehrviel darüber diskutiert worden, ob und wie das Ehren-amt zum Beispiel in Musikvereinen durch die Abgabezur Künstlersozialversicherung bedroht ist. Es ist ganzklar: Eine Schwächung des Ehrenamtes soll es nichtgeben. Aber auch selbstständigen Künstlern, wie Mu-siklehrern, muss der Zugang zur sozialen Sicherunggewährleistet werden. Wenn sie Leistungen wie jederandere Arbeitnehmer bzw. jede andere Arbeitnehmerinerbringen, müssen sie dafür auch entsprechend ent-lohnt werden – dazu gehört auch eine Sozialabgabe.Um einem Missverständnis vorzubeugen: Honorarefür selbstständige Musiklehrer etwa sind nach wie vorbis zu 2 400 Euro im Jahr abgabefrei. In sogenanntenAusgleichsvereinigungen können sich auch Musikver-eine zusammentun und sich etwa durch eine Pauschalepro Schüler von der individuellen Melde- und Abgabe-pflicht befreien. Das entlastet die einzelnen Vereinevon Bürokratie und erleichtert die finanzielle Planung.Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbändehat so etwas ja gerade erst für ihren Bereich beschlos-sen.Das neue Gesetz nimmt die Hinweise aus der Praxisauf und erleichtert und stärkt die Bildung von Aus-gleichsvereinigungen.Das vorliegende Gesetz ist ein wichtiger und drin-gend notwendiger Schritt, um die soziale Absicherungfreischaffender Künstler und Publizisten zu stärken.Dass es sich hierbei nicht um der Weisheit letztenSchluss handelt, ist uns Sozialdemokratinnen und So-zialdemokraten bewusst. Es sind weitere Änderungennotwendig, etwa was die Anerkennungszeiten für dasArbeitslosengeld, die Rentenhöhe oder auch insgesamtdie prekäre Arbeitsmarktsituation betrifft. Die Hin-weise aus den Fraktionen von Grünen und Linken sindhier völlig berechtigt. Diese Themen werden wir auchangehen.Karl Valentin hat einmal gesagt: „Kunst ist schön,macht aber viel Arbeit.“ Recht hat er. Und unsere ge-meinsame Arbeit für die Kunst und Kultur in diesemLand lohnt sich allemal.
Für die Linke ist die Künstlersozialversicherungeine sozialpolitische Errungenschaft. Sie hat sichbewährt. Nun müssen die Bedingungen geschaffenwerden, damit sie auf Dauer stabilisiert werden kann.Die Bundesregierung setzt in modifizierter Weise um,wozu sich die Vorgängerregierung nicht durchringenkonnte: Die Prüfintensität bei Unternehmen, ob und inwelcher Höhe sie gegenüber der Künstlersozialkasseabgabenpflichtig sind, wird gesetzlich festgelegt. Es isteigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass die Einhal-tung gesetzlicher Pflichten auch geprüft wird. Es istaußerordentlich bedauerlich, dass es so lange gedau-ert hat. Es gibt leider guten Grund zu der Annahme,dass die abgabenpflichtigen Arbeitgeber in den letztenJahren ihrer Pflicht nicht vollumfänglich nachgekom-men sind. Die Zahl der Abgabenpflichtigen hat sich inden Jahren nach 2006 von etwa 56 000 auf 167 000 imJahr 2013 verdreifacht. Trotz des massiven Anstiegsder Abgabenpflichtigen stiegen die gemeldeten Hono-rarsummen aber nicht – wie man erwarten müsste –,sondern stagnierten bei etwa 4 Milliarden Euro. Deut-lich mehr Arbeitgeber und Verwerter melden in derSumme dieselben Honorarsummen. Dies ist doch sehrverwunderlich.Es ist daher im Sinne der Beitragsgerechtigkeitunumgänglich, durch verstärkte Prüfungen dafür zusorgen, dass alle Abgabenpflichtigen erfasst werdenund darüber hinaus auch die Abgabenhöhe kontrol-liert wird. Es ist nicht hinzunehmen, dass gesetzlicheZu Protokoll gegebene Reden
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4274 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Sabine Zimmermann
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Vorschriften wie die Künstlersozialgabe von einigenUnternehmen nicht ernst genommen werden. 143 Mil-liarden Euro betrug 2012 der Umsatz der Kultur- undKreativwirtschaft. Über die Künstlersozialabgabe ge-hen gerade einmal 200 Millionen Euro an die KSK.Das ist keineswegs überzogen.Zudem möchte ich auf zwei Entwicklungen hinwei-sen, die die Künstlersozialversicherung auf Dauer be-lasten werden, wenn die Bundesregierung nicht end-lich gegensteuert. Das Ausmaß an selbstständiger undfreiberuflicher Tätigkeit wächst im Bereich Kunst,Kultur und Publizistik, nicht zuletzt bedingt durch denPersonalabbau in den öffentlichen Einrichtungen.Damit steigt auch der Andrang in die KSK. Die Anzahlvon Selbstständigen und in kurzzeitig, unständig undwechselnden Beschäftigungsformen Tätigen, die kei-nen Zugang zur Künstlersozialkasse haben, nimmt ins-gesamt zu. Vielfach handelt es sich bei diesen Beschäf-tigungsverhältnissen auch um Scheinselbstständigkeit.Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Arbeitgeber sparenund den sozial- und arbeitsrechtlichen Schutz derBeschäftigten untergraben. Die Betroffenen wendensich in ihrer Not an die Künstlersozialkasse. Hier wer-den sie teilweise wieder mit Verweis auf ihre Schein-selbstständigkeit abgelehnt.Meine Damen und Herren von der Bundesregie-rung, ich sage Ihnen: Das darf nicht sein. Tun Sieetwas gegen Scheinselbstständigkeit. Helfen Sie wegenScheinselbstständigkeit von der KSK abgelehnten Be-schäftigten, ihre Rechte gegenüber den Arbeitgeberndurchzusetzen. Werden Sie zudem aktiv in ihrer urei-gensten Zuständigkeit: Ändern Sie Ihre Kulturförde-rung und machen Sie gute und nicht billige Arbeit zurVoraussetzung von Kulturförderung.Die zweite Entwicklung ist die unzureichendesoziale Absicherung vieler Selbstständiger. VieleSelbstständige und Freiberufler haben keinen Zugangzu einer bezahlbaren und solidarischen Sozialversi-cherung, insbesondere auch hinsichtlich der Alters-sicherung. Sorgen Sie für sozialen Schutz für Selbst-ständige und Freiberufler, dann reduziert sich auchder Druck auf die KSK.Wir begrüßen zwar den vorliegenden Gesetzent-wurf, aber damit sind die Hausaufgaben noch nicht ge-macht.
Die Künstlersozialkasse ist in ihrer Ausgestaltungauf die ganz spezielle Arbeits- und Lebenssituation ih-rer Mitglieder, die vor allem durch oft wechselnde Be-schäftigungsformen und häufig geringe Einkommengeprägt ist, zugeschnitten. Hinzu kommt, dass der An-teil der geringfügig Beschäftigten im Bereich der Kul-tur- und Kreativwirtschaft in den vergangenen Jahrenkontinuierlich gestiegen ist, ganz im Gegensatz zu demAnteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.Vor diesem Hintergrund ist die Künstlersozialversiche-rung eine Errungenschaft und ein existenzielles Instru-ment im Rahmen der sozialen Absicherung und Inte-gration von selbstständigen Kulturschaffenden in diebestehenden Sozialversicherungssysteme.Unabdingbar für die Existenz dieser Solidarge-meinschaft ist jedoch eine solide Finanzierungsgrund-lage. Immerhin 30 Prozent der KSK-Kosten werdendurch die Künstlersozialabgabe generiert. Wenn einGroßteil der abgabepflichtigen Unternehmen vorsätz-lich oder unwissentlich ihrer Pflicht aber nicht nach-kommt, gerät diese Solidargemeinschaft in eineSchieflage und bedroht die Stabilität der Künstlerso-zialversicherung in ihrer Gesamtheit. Bündnis 90/DieGrünen begrüßt daher die nun vorliegende Gesetzes-konkretisierung zur Stabilisierung des Künstlersozial-abgabesatzes. Bereits in der vergangenen Legislatur-periode hatten wir uns für einen entsprechendenGesetzentwurf ausgesprochen, der im letzten Momentdurch die damalige Koalition aus CDU/CSU und FDPzurückgezogen wurde.Die Unternehmen sowie Verwerter und Verwerterin-nen tragen für die von ihnen beauftragten Kulturschaf-fenden eine arbeitgeberähnliche Verantwortung, dersie nachkommen müssen. Die Einbeziehung aller Ver-werter und Verwerterinnen ist aus Gründen der Ge-rechtigkeit gegenüber allen Abgabepflichtigen bzw.Zahlenden und den Künstlern und Künstlerinnen sowiePublizisten und Publizistinnen, die über die Künst-lersozialkasse versichert sind, dringend geboten.Umfassende Kontrollen sind zur Herstellung dieserGerechtigkeit ein wirkungsvolles, notwendiges und,mit Verlaub, auch ein ganz gängiges Steuerungsinstru-ment.Die Überprüfung der Künstlersozialabgabe an dieohnehin durch die Rentenversicherung alle vier Jahrestattfindende Arbeitgeberprüfung zu koppeln, ist einsinnvoller Mechanismus. Nach dem vorliegenden Ge-setzentwurf geht dies allerdings zulasten der Beitrags-zahler und Beitragszahlerinnen in der Rentenversiche-rung. Denn Mehreinnahmen ergeben sich für dieRentenversicherung aus der zusätzlichen Überprüfungnicht und ein Ausgleich der entstehenden Kosten siehtder Gesetzentwurf nicht vor. Hier besteht aus unsererSicht Nachbesserungsbedarf.Weiteren Diskussionsbedarf sehen wir auch bezüg-lich der Einführung eines Freibetrags von 450 Europro Jahr. Diese Neuregelung wird zwar auf der einenSeite besonders kleinere Unternehmen vor einem hö-heren Bürokratieaufwand schützen, aber auf der ande-ren Seite auch eine Reduzierung der KSK-Einnahmenzur Folge haben. Wie erheblich diese Reduzierungletztlich ist, bedarf einer genauen Überprüfung, ebensodie bestehende Geringfügigkeitsregelung von drei ab-gabefreien Veranstaltungen pro Jahr. Auch hier kön-nen die Einnahmeausfälle für die KSK, wenn es sichzum Beispiel um besonders umfangreiche und kosten-aufwendige Veranstaltungen handelt, enorm sein. EineKombination beider Voraussetzungen könnte dahereine sinnvolle Alternative sein.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4275
Ulle Schauws
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Klar ist: Der nun vorliegende Gesetzentwurf kannnur ein erster Schritt sein, hin zu einer zukunftssiche-ren Künstlersozialversicherung. Es gibt weitere struk-turelle Probleme, die angegangen werden müssen.Nicht nur die Entwicklung des Beitragssatzes der KSKund die Höhe des Bundeszuschusses müssen wir hier-bei im Blick haben. Es geht vor allem auch um die Ak-zeptanz der KSK in der Gesellschaft. Dies ist geradevor dem Hintergrund, dass vielen Kulturschaffendender Zutritt zur KSK verwehrt bleibt, ein großes Thema.Die Probleme, die wir im Bereich der sozialen undwirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden haben,sind zu vielschichtig, als dass wir sie allein über eineReform der Künstlersozialversicherung lösen könnten.Hier gibt es verschiedene Hebel, und wir Grüne habenin der Vergangenheit hierzu bereits einige Vorschlägegemacht. Aber ohne das soziale Sicherungssystem derKünstlersozialversicherung lösen wir die Problemeschon gar nicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/1985, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1530 und
18/1770 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/1996. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die europäische Perspektive der Republik
Moldau unterstützen
Drucksache 18/1956
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Ich sehe, Sie sind wiederum einverstanden.
Die heutige Debatte zeigt wieder einmal, dass beieinigen immer noch eine unklare Gemengelage zwi-schen den Begriffen Europa, EU, Assoziierung undBeitritt besteht.Wenn wir heute über die Europäische Perspektiveder Republik Moldau debattieren, reden wir nochlange nicht über eine Beitrittsperspektive. Europäi-sche Perspektive heißt nicht EU-Perspektive, jeden-falls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Selbst im Eilverfah-ren wird es Monate dauern, bis das am letzten Freitagunterzeichnete Assoziierungsabkommen wenigstensvorläufig angewendet werden kann, und noch länger,bis es vollständig in Kraft tritt. Lassen Sie uns docherst einmal dieses Vorhaben abschließen und vor allemmit Leben füllen, statt gleich über Beitritt zu reden.Denn trotz der guten Fortschritte, die das Land unterMinisterpräsident Iurie Leanca gemacht hat, müssennoch große Anstrengungen auf dem Reformkurs unter-nommen werden.Die Republik Moldau gilt mit einem Bruttoinlands-produkt von unter 2 300 Dollar pro Kopf weiterhin alsdas ärmste Land Europas. Auch bei den Menschen-rechten bestehen noch Defizite.Bei der Korruptionsbekämpfung muss Moldau seineAnstrengungen weiter intensivieren. Erste kleine Er-folge in diesem Bereich machen zwar Mut. Dennoch istKorruption unter anderem in weiten Teilen der Verwal-tung, der Justiz, dem Gesundheitswesen und im Wirt-schaftsleben immer noch ein Thema, was nicht zuletztdie Glaubwürdigkeit der Regierung, vor allem aberdas Investitionsklima schädigt. Bei ausländischen Di-rektinvestitionen liegt die Republik Moldau in Europaauf dem letzten Platz. Ja, es ist wichtig, Moldau undvor allem dessen Bürgern Perspektiven zu zeigen.Es ist daher unerlässlich, dass die Moldauer mög-lichst bald spürbare Veränderungen erleben – auchdamit sie das Vertrauen in die europäische Perspektiveim Hinblick auf die Parlamentswahlen im Novembernicht verlieren.Bei ihren entsprechenden Reformbemühungen kanndie seit 2009 im Amt befindliche Regierung Moldausdurchaus Erfolge vorweisen. Die zügige Umsetzungdes Aktionsplans zur Visaliberalisierung ist ein positi-ves Beispiel, das es den Moldauern seit April diesesJahres möglich macht, visumfrei in die EuropäischeUnion einzureisen. Vor allem die bei der Presse- undMeinungsfreiheit erzielten Fortschritte sind eine fürden Einzelnen direkt spürbare Veränderung, denn esmacht eben einen Unterschied, ob am Zeitungskiosknur eine oder aber fünf Sichtweisen präsentiert wer-den. Weitere Schritte im Bereich der Grundrechte müs-sen folgen, sei es bei Rechtsstaatlichkeit, Eigentums-rechten oder Minderheitenschutz.In der Ukraine konnten wir in der jüngsten Vergan-genheit beobachten, welche Kraft das Streben nachdiesen Grundrechten entwickeln kann, die wir in West-europa so oft als selbstverständlich erachten – undwelche Gegenwehr von vormaligen Partnern und Bru-derstaaten kommt.
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4276 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Bernd Fabritius
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Wie im Fall der Ukraine wird Russland schon baldwirtschaftlichen Druck ausüben, der in der Bevölke-rung schnell spürbar werden wird. Ich denke da zumBeispiel an die 600 000 moldauischen Wanderarbeiter,die in Russland arbeiten und denen die russischeReaktion auf das Assoziierungsabkommen zeitweiseden Job kosten könnte, bevor sie eine neue Perspektiveerhalten. Die Rücküberweisungen dieser Wander-arbeiter, mit denen häufig auch die Familien versorgtwerden, machen 19 Prozent des Bruttoinlandsproduk-tes der Republik Moldau aus. Ich muss, glaube ich,nicht weiter ausführen, was 600 000 unzufriedene ar-beitslose Wanderarbeiter mit den dazugehörigen Fa-milien in einem Land mit 3,5 Millionen Einwohnernfür dessen Stabilität bedeuten.Deshalb dürfen wir nicht abwarten, bis die erstenpositiven Folgen des Assoziierungsabkommens irgend-wann im Herbst oder gar nächstes Jahr spürbar wer-den, sondern brauchen jetzt, sofort und heute überbrü-ckende Maßnahmen. Im Falle der Ukraine ist die EUnoch vom russischen Vorgehen überrascht worden. ImFall der Republik Moldau sollte sie vorbereitet sein.Der hier vorliegende Antrag sieht deshalb vor, dassdie Bundesregierung sich gegenüber der EU für eineErhöhung der Exportquoten für landwirtschaftlicheProdukte und für die kurzfristige Einrichtung einesKrisenfonds im Falle von wirtschaftlichen Sanktioneneinsetzt. Dies sind genau die richtigen Maßnahmen,um dem zu erwartenden Druck zu begegnen. Bei die-sen muss es nicht bleiben, geht doch das Assoziie-rungsabkommen mit der Republik Moldau weit überden wirtschaftlichen Bereich hinaus. Ich nenne nurbeispielhaft die Kapitel 23 zu Bildung, Mehrsprachig-keit, Jugend und Sport und Kapitel 25 unter anderemzu Kultur und Medien. Auch hier muss nicht erst Mo-nate auf das Inkrafttreten gewartet werden.Zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, För-dermittel im Bereich Kunst und Kultur, Sport, Freiwil-ligenaustausch usw. gibt es schon jetzt. Es bedarf dochnicht dieses Assoziierungsabkommens, damit indiesem Bereich etwas ganz neu entsteht, sondern damitetwas Bestehendes optimal weiterentwickelt wird, undes bedarf der Menschen, die das Abkommen mit Lebenfüllen. Franz Beckenbauer hat einmal gesagt: „Gehtsraus und spielts Fußball.“ Ich sage: „Gehts raus undassoziierts euch.“
In der „FAZ“ vom 26. Juni hat Heinrich AugustWinkler in einem Namensartikel unter der Überschrift„Was wir aus der deutschen Geschichte lernen kön-nen“ mit Bezug auf die Ukraine-Krise unter anderemFolgendes ausgeführt:„Vermutlich werden spätere Historiker zu demSchluss gelangen, dass im Jahre 2014 eine Zwischen-phase zu Ende ging – jene Zeit, die vor einem Viertel-jahrhundert mit den friedlichen Revolutionen in Ost-mitteleuropa begann, im Fall der Berliner Mauer am9. November 1989 ihr historisches Symbol fand unddie Welt mit der Hoffnung erfüllte, dass sich die Ideender atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhun-derts wenn nicht global, so doch im gesamten Bereichder damals noch existierenden Sowjetunion durchset-zen würden.“So weit das Zitat.Diese Zwischenphase, diese Zwischenzeit ist zuEnde. Putin hat Klarheit geschaffen. Er baut mit seinerEurasischen Union einen politischen, gesellschaftli-chen und wirtschaftlichen Gegenentwurf zur Europäi-schen Union, zum Westen, auf. Es geht nicht mehr umgegenseitigen Vorteil, um gemeinsame Interessen undProjekte, es geht nicht mehr um „win-win“, es gehtdarum, rückwärts begründete russische Interessendurchzusetzen, um den eigenen Einfluss in den Nach-barländern abzusichern.Die Nachbarländer, insbesondere die Ukraine, Mol-dau und Georgien, wurden durch uns als EU in einemeuropäischen Zwischenraum verortet, zwischen Russ-land und der EU. Dem diente die Nachbarschaftspolitikder EU, in gewissem Sinne auch die bisher ausgehan-delten Assoziationsabkommen. Diese Staaten sollten andie EU herangeführt werden, aber in einer Distanz vonder EU, eben in einem Zwischeneuropa, geparkt wer-den. Russland – und nicht die EU – hat seine Nachbar-schaft vor die Wahl gestellt. Die von der EU mit derUkraine, Moldau und Georgien ausgehandelten Asso-ziationsabkommen, einschließlich der darin vorgese-henen Freihandelsabkommen, sind mit allen Verträ-gen, die diese Länder mit Russland haben, vollvereinbar, einschließlich des Freihandels und der Frei-zügigkeit, die im GUS-Raum gelten. Was nicht verein-bar ist, ist die von Russland als Gegenmodell gegrün-dete Eurasische bzw. Zollunion. Zölle und Freihandelgehen natürlich nicht zusammen.Vordergründig, aber nur vordergründig handelt essich bei der Konkurrenz zwischen europäischer undeurasischer Integration in Osteuropa um eine geopoli-tische Auseinandersetzung, in der sich Russland aufvermeintliche Sicherheitsinteressen beruft. Für die be-troffenen Länder, und dabei besonders auch die Repu-blik Moldau, richtet sich die Politik der europäischenIntegration aber tatsächlich nicht gegen Russland. Esist absurd, anzunehmen, dass das kleine Moldau, dasan seiner Neutralität festhält, sich in irgendeinerWeise gegen Russland wendet. Weder in den Wortennoch in den Taten der moldauischen Regierung findenSie irgendeine Wendung gegen Russland.Für Moldau, aber auch für die Ukraine oder Geor-gien geht es tatsächlich um etwas ganz anderes alsGeopolitik. Es geht um die eigene Modernisierung undEntwicklung. Seit ihrer Unabhängigkeit haben dieseLänder Jahrzehnte der Stagnation, der Isolation unddes Verfalls erlebt. Die jungen und gut ausgebildetenMenschen verließen und verlassen diese Länder ingroßer Zahl. Die wirtschaftliche, soziale und demo-Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4277
Manfred Grund
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grafische Lage aller dieser Länder ist in keiner Weisenachhaltig und langfristig unhaltbar.Schwache Institutionen und Korruption beschränk-ten die Entwicklungschancen. In einer Art Pufferzonezwischen West und Ost gewannen diese Länder nie einEntwicklungsmodell für ihre Zukunft. Das ist es, wasZwischeneuropa für Gesellschaften in diesen Ländernbedeutete: Das Fehlen einer Entwicklungsperspektive.Darin liegt die eigentliche und tiefere Ursache derKrise in Osteuropa. Wir werden diese Krise nur dauer-haft überwinden können, wenn diese Länder eine klareModernisierungsperspektive erlangen. Diese Moder-nisierungsperspektive wird es nur mit der europäi-schen Integration geben.Ungewissheit führt zu Instabilität. Wir haben stetsden Grundsatz verteidigt, dass jedes Land selbst ent-scheiden kann, ob und welchem Integrationsmodell essich anschließen will. Aber als EU haben wir selbst of-fengelassen, worin diese Wahl besteht. Heute erlebenwir eine massive Propagandakampagne gegen die EUund gegen die europäische Integration in Osteuropa.Das stärkste Argument dieser Kampagne ist, dass dieLänder Osteuropas in Putins Eurasische Union will-kommen sind, aber nicht in der Europäischer Union.Diesem Argument müssen wir eine klare Absage ertei-len. Die Europäische Perspektive wird diesen Konfliktzwischen europäischer und eurasischer Integrationnicht verschärfen, sondern die Lage vielmehr klären.Ohne Klarheit in dieser Frage wird es keine dauer-hafte Überwindung der Krise in Osteuropa geben.Wenn wir heute die europäische Perspektive derRepublik Moldau bekräftigen, sprechen wir nicht voneiner Erweiterung der EU morgen oder übermorgen.Die Voraussetzungen dafür müssen durch die notwen-digen Reformen zuerst im Lande selbst geschaffenwerden. Die Implementierung des mit der EU ge-schlossenen Assoziierungsabkommens allein wirdJahre in Anspruch nehmen. Was wir mit der europäi-schen Perspektive bekräftigen, ist eigentlich eineSelbstverständlichkeit. Wir bestätigen lediglich, wasbereits in Artikel 49 des EU-Vertrages enthalten ist:Das Recht jedes europäischen Landes, der EU beizu-treten, wenn es die Voraussetzungen dafür erfüllt.Die Republik Moldau ist ein europäisches Land. DieRepublik Moldau hat gemeinsam mit den baltischenStaaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunionseine Unabhängigkeit erlangt. Es teilt mit den balti-schen Staaten in ähnlicher Weise die tragischen Erfah-rungen des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich zu den bal-tischen Staaten hat sich Moldaus Weg in die EUverspätet. Aber es gibt keinen Grund, weshalb Moldaueinen geringeren Anspruch auf eine Zukunft in der EUhätte. Die Mehrheit seiner Bürger hat aufgrund ihrerHerkunft und Geschichte einen Anspruch auf eine EU-Staatsbürgerschaft. Die Frage ist nicht, ob die Mol-dauer Mitglied in der EU werden, die Frage ist nur, obihr Land mit ihnen kommt.Moldau ist nicht nur geografisch der nächste Nach-bar der EU. Moldau hat in vieler Hinsicht auch diegrößten Fortschritte auf seinem proeuropäischen Kurserzielt. Das deutlichste Beispiel dafür ist, dass die Re-publik Moldau bereits seit April – als erstes unter denLändern der östlichen Partnerschaft – Visafreiheit mitder EU erlangt hat. Das Land wird von einer entschie-den proeuropäischen Regierung geführt, die unsereUnterstützung verdient. Die östliche Partnerschaft be-ruht auf dem Prinzip „Mehr für mehr“. Das darf auchdie europäische Perspektive nicht mehr ausschließen.Deshalb bekräftigen wir mit diesem Antrag heute be-sonders die europäische Perspektive der RepublikMoldau. Aber wir setzen damit auch ein Zeichen fürganz Osteuropa, das Zeichen einer neuen Offenheit,ein Zeichen, dass die Alternative von Erweiterungs-und Nachbarschaftspolitik der EU überholt ist.Die Menschen in Moldau haben lange schwierigeZeiten hinter sich. Sie stehen vor großen Herausforde-rungen. Wir zwingen niemandem die europäischeIntegration auf. Aber wir dürfen auch die Länder nichtim Stich lassen, die sich für Europa entscheiden. DieRepublik Moldau und ihre europäische Perspektiveverdienen unsere Unterstützung.
Neben der Ukraine und Georgien hat nun auch dieRepublik Moldau einen großen Schritt in Richtung An-näherung getätigt und am 27. Juni das Assoziierungs-abkommen mit der EU unterschrieben. Das sollten wirals Bundestag zum Anlass nehmen, unsere Unterstüt-zung für die Republik Moldau mit dem vorliegendenAntrag zu bekräftigen.Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommensverdeutlicht zwei Entwicklungen: Zum einen weisendie seit 20 Jahren gewachsenen gegenseitigen Bezie-hungen zwischen Moldau und der EU nun eine neueQualität auf und haben eine wichtige Etappe erreicht.Mit der jüngst geleisteten Unterschrift ist aber gleich-zeitig auch ein neuer Startpunkt erreicht: ein Start-punkt für weiter wachsende Beziehungen zwischen derRepublik Moldau und der EU, die – das sage ich andieser Stelle ausdrücklich – für Moldau ebenso wie füralle weiteren Assoziierungspartner der EU eines Tagesauch die Vollmitgliedschaft in der EU bedeuten kön-nen. Die jüngst unterzeichneten Assoziierungsabkom-men bilden damit keinen Endpunkt, sondern läuteneine neue Phase weiter wachsender Beziehungenzwischen der EU und ihren neuen Assoziierungspart-nern ein. Dabei ist es wichtig, dass wir als DeutscherBundestag, wie es der heute zu beschließende Antragvon CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen klarausdrückt, die europäische Ausrichtung der RepublikMoldau und die bisherigen Reformbemühungen aufdem Weg Richtung Europa würdigen und die europäi-sche Perspektive der Republik Moldau bekräftigen.Das ist an dieser Stelle ganz entscheidend: Denn derWeg Moldaus und anderer Assoziierungspartner zurweiteren Annäherung an die EU ist kein Selbstläufer.Zu Protokoll gegebene Reden
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4278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dietmar Nietan
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht hierfürweiterhin auch unsere, die Unterstützung des Deut-schen Bundestages, damit Moldau und weitere Assozi-ierungspartner ihren Weg Richtung EU selbstbestimmtfortsetzen können. Das bedeutet zweierlei: Für uns inDeutschland heißt es, auch zukünftig aktiv auf derSeite Moldaus zu stehen und das Land in seinem weite-ren Reformprozess zu unterstützen. Das gilt sowohl fürdie notwendigen innenpolitischen Reformen in Moldau– um die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen –, aberauch mit Blick auf die nach wie vor vorhandenenaußen- und regionalpolitischen Herausforderungen,denen sich Moldau gegenübersieht. Wir als Bundes-regierung sind weiterhin gefragt, uns hier aktiv ein-zubringen. Unsere Bemühungen zur friedlichenBeilegung des Transnistrien-Konflikts müssen auf-rechterhalten werden. Auch müssen wir uns dafür ein-setzen, dass der Dialog zwischen der Republik Moldauund Gagausien zur künftigen Ausgestaltung der Auto-nomie zu einer Regelung führt. Gegenüber Rumäniengilt es, dass wir uns für die Ratifizierung des Grenzver-trags einsetzen. Es ist klar, dass ohne eine Lösung die-ser bisher ungelösten Konflikte und Streitfragen dieAufnahme Moldaus in die EU nicht möglich sein wird. An dieser Stelle kommt auch mit Blick auf Moldaueinmal mehr unserer Russland-Politik besondere Be-deutung zu. Die Bundesregierung und, ich bin mirziemlich sicher, auch die Partner innerhalb der EUsowie der G 7 sind unverändert an konstruktivenBeziehungen zu Russland interessiert; aber eine impe-rialistisch anmutende russische Einflusssphärenpolitiknach dem Motto „Teile und herrsche“ wird von unsnicht akzeptiert. So war es gestern, so ist es heute undso wird es morgen sein. Entschieden trete ich deshalbÄußerungen wie jenen des stellvertretenden Außen-ministers Grigorij Karassin entgegen, der Presse-berichten zufolge gesagt haben soll, dass die Unter-schrift der Ukraine und der Republik Moldau unterdas Assoziierungsabkommen zweifellos ernste Folgennach sich ziehen werde.Russland hat absolut keine Handhabe, den Regie-rungen und den Menschen in den Ländern der RegionAnweisungen zu geben, in welche Richtung der jewei-lige außenpolitische Kurs gehen soll. Nach wie vorkann sich jeder souveräne Staat auf sein Selbstbestim-mungsrecht berufen und selbstständig entscheiden, ob,wann und mit welchem Nachdruck er sich der EU an-nähern möchte – unabhängig davon, wie RusslandsPräsident Putin und sein außenpolitischer Beraterstabdazu stehen.An dieser Stelle ist ebenfalls klar, dass die EU ander Seite Moldaus stehen muss, sollte das Land seitensRusslands wirtschaftlich mit weiteren Sanktionen un-ter Druck gesetzt werden. Hierzu sind wir als Bundes-regierung in der Pflicht, uns für einen Notfallfonds aufEU-Ebene einzusetzen, mit dem Moldau im Krisenfallwirtschaftlicher Sanktionen unterstützt werden könnte.Die Unterstützung des Bundestages und der Bun-desregierung nimmt auf der anderen Seite genauso dieRepublik Moldau in die Pflicht, sofern das aktuelleZiel eines Beitritts zu der EU zukünftig aufrechterhal-ten bleibt. In mehreren Bereichen sind in den kommen-den Jahren – und mit Blick auf das langfristige Ziel desEU-Beitritts sicher auch Jahrzehnten – weitgehendeReformen in mehreren Politikbereichen nötig. DieRegierung der Republik Moldau muss unterstützt undangehalten werden, die Anstrengungen im Bereich derKorruptionsbekämpfung aufrechtzuerhalten und Kor-ruption auf allen Ebenen entschiedener als bisher zubekämpfen. Genauso müssen ein transparentes Systemder Parteienfinanzierung geschaffen und das moldaui-sche Justizwesen weiter reformiert werden. Moldaumuss weitere Anstrengungen unternehmen, Menschen-rechtsstandards der Europäischen Menschenrechts-konvention uneingeschränkt Geltung zu verschaffenund besonders auch den Kampf gegen Menschenhan-del und Zwangsprostitution entschlossen fortzusetzen.Dies sind nur einige wichtige Politikbereiche, dieverdeutlichen, dass für Moldau genauso wie für dieweiteren Assoziierungsländer nun eine neue Etappebeginnt und große Anstrengungen sowie, seitens derRegierung, großer Veränderungs- und Gestaltungs-wille unabdingbar sind.Für uns als Abgeordnete des Bundestages genausowie für unsere Partner in der EU gilt es dabei, Moldauaktiv zu unterstützen und alle Hilfe zukommen zu las-sen, die notwendig ist, um den Weg in Richtung Europaweiterhin zu beschreiten; das ist der Pfad, den Mol-dau, die Ukraine und Georgien gewählt haben. LassenSie uns alle Unterstützung geben, die nötig ist, damitdie europäische Perspektive für unsere Assoziierungs-partner nicht nur auf dem Papier steht, sondern politi-sche Realität wird! Deshalb bitte ich um Ihre Unter-stützung für den vorliegenden Antrag.
Die Linke wird den Antrag von CDU/CSU, SPD undGrünen, der Republik Moldawien eine europäische– oder genauer gesagt: eine EU-Perspektive – zu ge-ben, ablehnen. Die Vorschläge der anderen Parteiensind gegenüber Moldawien heuchlerisch und wieder-holen alle Fehler, die in der Ukraine zur politischenKatastrophe geführt haben. Ein Beispiel gefällig?In dem vorliegenden Antrag heißt es, dass grundle-gende Entscheidungen über die Orientierung derRepublik Moldawien nur infolge freier und verfas-sungsmäßiger Wahlen gefunden und anerkannt werdenkönnen. Die Praxis sieht völlig anders aus: Es ist be-kannt, dass Wahlen in Moldawien im Oktober/Novem-ber stattfinden. Die EU hätte ohne Probleme dieSchlussphase einer Unterzeichnung oder Nicht-Unter-zeichnung des Assoziierungsabkommens auf einenTermin nach den Wahlen legen können. Das entsprä-che dieser Aussage des Antrages. Anders jedoch alshier geheuchelt wird, hat man das Abkommen jetztdurchgesetzt und den Kolleginnen und Kollegen imParlament Moldawiens keine Chance gegeben, sichZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4279
Wolfgang Gehrcke
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über dieses grundlegende Abkommen im Wahlkampfauseinanderzusetzen.Warum geht man so vor? Alle Meinungsumfragensprechen dafür, dass die Kommunisten in Moldawiendie Wahlen gewinnen werden. Da will die EU das, wassie später vielleicht nicht mehr bekommt, schnell nochunter Dach und Fach bringen. Sieht so eine demokra-tische, gleichberechtigte Zusammenarbeit aus? Ich be-haupte: Nein.Moldawien hat bittere Bürgerkriegserfahrungenentlang des Dnestr. Im Land selbst arbeitet eine OSZE-Mission. Ihre Erfahrung wäre interessant gewesen fürdie Formulierung künftiger Politik. Kein Wort davonin dem vorliegenden Antrag von CDU/CSU, SPD undGrünen.Das Assoziierungsabkommen und seine Inkraftset-zung machen eine Lösung der Transnistrienproblema-tik fast unmöglich und befördern in raschen Schritteneine Abtrennung Gagausiens. Hier „wiederholt“ sichin bitterer Art und Weise die falsche und unverantwort-liche Herangehensweise im Ukraine-Konflikt. Erneutwird ein Land gezwungen, sich zu entscheidenzwischen enger Kooperation mit der EU oder engererZusammenarbeit mit Russland. Auch gegenüberMoldawien wird das exekutiert. Zusätzlich zu diesemTatbestand enthält das Assoziierungsabkommen Fest-legungen über militärische Zusammenarbeit. Mitdiesem Trick wird auch Moldawien zum direkten EU-Militär- und indirektem NATO-Partner. Glauben Sieim Ernst, das würde im Parlament von Moldawien undin Russland nicht bemerkt?Der vorliegende Antrag von CDU/CSU, SPD undGrünen drückt sich vor einer klaren rechtlichen Aus-sage, was die Assoziierungsabkommen angeht. Diesgilt schon für das Abkommen mit der Ukraine, einemNachbarland Moldawiens, und jetzt auch für das Ab-kommen mit Moldawien. Wenn die Abkommen in Krafttreten sollen, müssen sie im Bundestag ratifiziert wer-den. Dazu hat die Bundesregierung bislang keine Ini-tiativen ergriffen. Ich stelle Ihnen gern das Gutachtendes Wissenschaftlichen Dienstes zur Verfügung, dannkönnen Sie das selber noch einmal nachlesen.Die ganze Vorgehensweise der EU und der USA, diemit Unterstützung der Bundesregierung agieren, ver-schärft die ethnischen Spannungen in Moldawien. Esist doch bekannt, dass in Moldawien das NachbarlandRumänien rumänische Pässe verteilt, womit Schengenunterlaufen wird. Ähnliches hat der Bundestag im Ge-orgienkonflikt gegenüber Russland zu Recht kritisiert.Auch hier setzt man sich wieder dem Vorwurf aus, dassmit zweierlei Maß gemessen wird.Vorschläge für praktische Hilfe für Moldawien sindin diesem Antrag eher weniger enthalten. Es wäre zumBeispiel dringend notwendig, bei der Entsorgung vonmilitärischen Hinterlassenschaften – seit dem ErstenWeltkrieg hat jeder seinen Waffendreck in Bessarabienhinterlassen – zu helfen. Schon die PDS-Fraktion hattein der 14. Legislaturperiode finanzielle Unterstützungfür Moldawien bei der Entsorgung von flüssigen Rake-tentreibstoffen beantragt. Diese sind hochgiftig, unddie Lagerstätten sind nicht sicher genug. Abgelehntvon der Mehrheit des Bundestages, wie so vieles Ver-nünftige.Der Antrag gibt vor, dass Deutschland sich mit sei-ner Annahme für eine Deeskalation der Spannungen inOsteuropa einsetzt. Es gehören keine hellseherischenFähigkeiten dazu, Ihnen vorauszusagen, dass dasGegenteil der Fall sein wird. Falsche Politik, heuchle-rische Anträge – das ist die Linie der Parlamentsmehr-heit mit Beifall und Zustimmung der Grünen.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Mit der Unterzeichnung der Assoziierungsabkom-men mit der Republik Moldau, Georgien und derUkraine rücken die Länder näher an das geeinte Eu-ropa heran. Europa wächst weiter zusammen. Dieserhistorische Schritt ist ein mutiger für die drei Länder.Denn alle drei Staaten stehen unter massivem DruckRusslands, das die Annäherung an die EU zu verhin-dern sucht. Alle drei Länder sind von Territorialkon-flikten betroffen, die von Russland instrumentalisiertoder hervorgerufen wurden. Sie alle werden von Russ-land mit Handelsboykotten für ihren frei gewähltenWeg bestraft.Bereits im Vorfeld der Assoziierung hatte RusslandWeinimporte aus Moldau verboten. Am Tag der Ratifi-zierung des Abkommens durch das moldauische Parla-ment folgte gestern die nächste Strafaktion. Russlandverbietet jetzt auch die Einfuhr von Fleischproduktenaus Moldau. Die schwach entwickelte Wirtschaft desLandes wird davon schwer getroffen, denn sie ist aufden wichtigen russischen Markt angewiesen. Zudemsteht die Androhung im Raum, Hunderttausende mol-dauische Gastarbeiter aus Russland auszuweisen.Auch dies würde die Moldauerinnen und Moldauerhart treffen. Gut ein Viertel der Landsleute arbeitet imAusland und trägt mit seinen Rücküberweisungen ei-nen unverzichtbaren Anteil zum Einkommen moldaui-scher Familien bei.Der Transnistrien-Konflikt wird vom Kreml neu be-feuert. Gestern traf sich der stellvertretende russischePremier Dmitrij Rogosin mit der Führung aus Tiraspolund sagte ihr Unterstützung für einen unversöhnlichenKurs gegenüber Kischinau zu. Dies lässt schlechtes fürden Meseberg-Prozess erwarten, mit dem nach lang-jähriger Pause das Fünf-plus-Zwei-Vermittlungs-format der OSZE wiederbelebt werden soll. Wir dürfennicht vergessen, dass Russland wie beim BudapesterMemorandum zum Schutz der Ukraine auch im Trans-nistrien-Konflikt bereits vertragsbrüchig geworden ist.Im Dokument des OSZE-Gipfels 1999 in Istanbul ver-pflichtete sich Russland zum Abzug seiner Truppen ausTransnistrien bis Ende 2002. Bis heute hat der Kremldiese Verpflichtung nicht erfüllt.Zu Protokoll gegebene Reden
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4280 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Marieluise Beck
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Die Politik des Kremls gegenüber den Nachfolge-staaten der Sowjetunion erinnert fatal an die Bresch-new-Doktrin, mit der man die Nachbarstaaten als Vor-hof reklamierte und ihnen die volle Souveränität nichtzugestehen wollte. Solch imperiale Politik hat keinenPlatz im Europa des 21. Jahrhunderts und ist zurück-zuweisen.Wegen der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen Russ-lands fürchten vielen Menschen in Moldau Nachteile,die ihnen durch die Assoziierung mit der EU entstehenkönnten. Umso wichtiger ist das breite Signal derUnterstützung des Deutschen Bundestags, das wirheute mit dem interfraktionellen Antrag nach Moldausenden. Für die Bundesregierung und EU gilt, Moldauin seinem frei gewählten Weg nach Kräften zu unter-stützen.Das Assoziierungsabkommen mit Moldau ist mehrals ein Freihandelsabkommen. Es sieht vielfältigeReformen vor und soll die demokratische und wirt-schaftliche Transformation des Landes unterstützen.Sorgen der Menschen wegen möglicher sozialer Fol-gen der dringend notwendigen Modernisierung derWirtschaft müssen wir ernst nehmen und dem Land beider Abfederung sozialer Härten helfen. Wir benötigenalle Anstrengungen, damit die Annäherung an die EUfür die Menschen in Moldau so schnell wie möglich zuspürbaren Verbesserungen führt. Die Gewährung derReisefreiheit im April 2014 war ein erster richtigerSchritt. So wird das Zusammenwachsen Europas auchfür Moldauerinnen und Moldauer konkret erlebbar.Auch für die anderen Assoziierungsländer Ukraineund Georgien müssen wir jetzt rasch Reisefreiheit er-reichen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1956. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz von Elefanten und Nashörnern vor
Wilderei stärken
Drucksache 18/1951
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wildtierhandel mit geschützten Arten verbie-
ten
Drucksache 18/1960
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Ich sehe, Sie sind einverstanden.
Ich freue mich, dass wir heute einen interfraktionel-len Antrag zum Elefanten- und Nashornschutz beratenund beschließen können.Der Schutz beider Arten drängt, wenn die nächsteGeneration sie noch wild lebend sehen soll. 1979 gabes noch 1,3 Millionen Elefanten in Afrika, jetzt sind esnur noch etwa 470 000, und die Zahl sinkt dramatischweiter. Über 10 Prozent des Elefantenbestandes fallenjährlich brutalen Wilderern zum Opfer. Damit wäre dieArt in zehn Jahren nahezu ausgestorben.Bei den Nashörnern ist die Lage ähnlich ernst: Esleben sogar nur noch etwa 29 000 Tiere in Freiheit,davon werden jährlich über 1 000 ihrer Hörner wegenumgebracht – Tendenz steigend.Beide Tiere sind im Washingtoner Artenschutzab-kommen in der höchsten Schutzkategorie aufgeführt.Doch dazu später mehr.Nashörner gehören zu den ältesten Säugetieren aufunserer Erde, es gab sie bereits vor über 50 MillionenJahren. Die heute verbliebenen 29 000 Tiere verteilensich auf fünf Arten. Bei zwei Arten leben nur nochwenige Hundert Exemplare; ihnen droht das völligeVerschwinden. Neben der Wilderei ist die Lebensraum-veränderung einer der Gründe für den Artenschwund– hiergegen wurden bereits erfolgreiche Schutzgebiets-programme aufgelegt.Die Wilderei nimmt jedoch weiter zu und ist zurHauptbedrohung geworden. Allein in Südafrika wur-den im Jahr 2013 fast 800 Nashörner von Wildererngetötet. Angefacht durch die massive Nachfrage, vorallem in der Chinesischen Medizin, findet ein wahresGemetzel statt. Dem pulverisierten Horn werden aller-lei positive Wirkungen nachgesagt – Forschungen be-legen nichts dergleichen. Es gilt also vor allem, denMythos zu brechen und die Bürger in den Abnehmer-ländern aufzuklären.Kommen wir zum Elefanten. Der afrikanische Ele-fant ist seit 1989 in der höchsten Schutzkategorie imWashingtoner Artenschutzabkommen gelistet. Zuvorerlitt dieses majestätische Tier durch Verfolgung undZerstörung seines Lebensraums einen starken Rück-gang. Die Aufnahme in das Artenschutzabkommen unddas damit verbundene Handelsverbot hat vor allem imsüdlichen Afrika zu einer Stabilisierung beigetragen.In einigen Staaten Afrikas wurde der Schutz Ende der1990er-Jahre wieder herabgestuft und damit einVerkauf von Lagerbeständen ermöglicht. Diese gutgemeinte Aktion hat letztlich großen Schaden ange-richtet. Zum einen erleichterte sie durch falsche Kenn-zeichnung den Verkauf von gewildertem Elfenbein,zum anderen erweckte sie in den Abnehmerländernden Eindruck, die Bedrohung der Art sei vorüber. Zu-sammen mit der positiven Wirtschaftsentwicklung inChina, Thailand und Vietnam trug diese Fehleinschät-zung zu einer gesteigerten Nachfrage bei. Das fachtdie Wilderei erneut an.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4281
Josef Göppel
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In einigen Regionen Afrikas haben Wilderei undillegaler Elfenbeinhandel ein besorgniserregendesAusmaß erreicht und zu massiven Bestandseinbrüchengeführt. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Tö-tung von etwa 400 Tieren Anfang letzten Jahres imBouba-Ndjida-Nationalpark in Kamerun. Hier wieauch in anderen Bereichen stehen oft große, militä-risch ausgerüstete Wildererbanden aus Nachbarstaa-ten hinter den Taten. Aber auch einige afrikanischeStaaten handeln illegal mit Elfenbein. Der Kauf des„weißen Goldes“ finanziert also korrupte Regime. Wiebeim Nashorn leben die meisten Kunden in asiatischenLändern, in denen Elfenbein als Statussymbol und Lu-xusobjekt gilt. Vor allem in China und Hongkong, aberauch in Malaysia, Vietnam, Thailand und anderenLändern hat die positive wirtschaftliche Entwicklungdie Nachfrage nach Elfenbein so weit angefacht, dass2013 erneut ein Rekordjahr bei der Beschlagnahmungvon illegalem Elfenbein war – nach 2011 und 2012.Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 50 000 Ele-fanten gewildert, das sind über 10 Prozent des welt-weiten Bestands. Die Tendenz ist steigend aufgrundsteigender Absatzpreise. Würde sich dieser Trend fort-setzen, wäre in weiten Regionen Afrikas mit dem voll-ständigen Verlust dieser Art zu rechnen.Gesunde und tragfähige Elefantenpopulationen sindjedoch entscheidend für viele Ökosysteme des afrikani-schen Kontinents. Der Elefant leistet einen wichtigenBeitrag zur Offenhaltung der typischen afrikanischenSavannen. Er reduziert den Baumbewuchs und erhältso maßgeblich die Lebensgrundlage für zahlreicheweitere Arten. Von einem konsequenten Elefanten-schutz profitieren also auch andere Geschöpfe. Elefan-ten, als symbolträchtige Tiere der afrikanischen Steppe,steigern in besonderem Maße die touristische Attrakti-vität vieler Regionen für Safaris und Tierbeobach-tungsreisen. Gesunde Wildtierbestände stellen alsoeine wesentliche wirtschaftliche Grundlage vielerafrikanischer Kommunen dar und sind somit von ma-terieller Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Diezunehmende Wilderei kann demnach nicht nur dasTourismusgeschäft, sondern zugleich die wirtschaftli-che Stabilität der Region massiv gefährden. Auch an-erkannten Projekten zur Armutsbekämpfung, die aufden Einnahmen aus dem Tourismus basieren, kanndurch Wilderei die Grundlage entzogen werden. Einerfolgreicher Schutz der Elefanten hat also positiveEffekte, die weit über den Artenschutz hinausgehen.Der Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste und derKAZA-Peace-Park im südlichen Afrika, sind nur zweiBeispiele der erfolgreichen deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit beim Schutzgebietsmanagement, diedie enge Verknüpfung eines wirksamen Natur- undWaldschutzes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissender lokalen Bevölkerung belegen. Diese Projekte giltes fortzusetzen und weiter auszudehnen. Die Mittel da-für stehen, auch dank deutscher Unterstützung, bereit.Ich sagte es eingangs schon: In manchen Gegendenwirkt sich das Artenschutzabkommen positiv auf dieTierbestände aus. In den Bereichen Afrikas mit stabi-len Elefantenpopulationen, wie Botswana, Namibia,Simbabwe und Südafrika, gibt es jedoch teilweise Pro-bleme durch das Ausweichen von Elefanten aus den zuengen verbliebenen Lebensräumen in menschlicheSiedlungen oder auf landwirtschaftliche Flächen. Hiermüssen die Schutzgebiete erweitert oder durch Korri-dore vernetzt werden, sodass der Lebensraum der Ele-fanten vergrößert und Konflikte zwischen Menschenund Wildtieren verringert werden. Auch beim Nashornkönnen größere Schutzgebiete den Tier- mit dem Men-schenschutz und mit einer positiven wirtschaftlichenEntwicklung verbinden, in Afrika und Asien.Auf internationaler Ebene gilt es, die betroffenenStaaten in ihren direkten Schutzbemühungen und dieVollzugsorgane bei deren Umsetzung zu unterstützen.Es müssen aber auch die Transit- und Abnehmerländerdeutlich auf ihre Verantwortung hingewiesen werden.Und in der Bevölkerung der Zielländer muss das Be-wusstsein für den Schutz von Nashörnern und Elefan-ten gefördert werden, um die Nachfrage nach Elfen-bein und Nashorn-Hörnern zu reduzieren. Hierbei istdie Eindeutigkeit im Schutzstatus von großer Hilfe.Ausnahmen vom Handelsverbot bewirken das Gegen-teil. Nur wenn die Absatzmärkte kleiner werden, wirdsich die Wilderei verringern.Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregie-rung klare Vorgaben bei internationalen Verhandlun-gen auf all diesen Handlungsfeldern.
Als im April 2012 der mittlerweile abgedankte spa-nische König Juan Carlos wegen seiner Elefantenjagdweltweit in die Schlagzeilen geriet und, wie ich meine,zu Recht die Öffentlichkeit ihre große Empörung hie-rüber zum Ausdruck brachte, konnte man allenfallsvon einer großen Geschmacklosigkeit sprechen. Dennillegal war der Abschuss des etwa 50 Jahre alten Ele-fantenbullen nicht, da in Botswana die Jagd in engenGrenzen erlaubt ist.Nicht nur geschmacklos, sondern äußerst befremd-lich war der Anfang des Jahres 2014 öffentlich ge-machte und als eher unfachmännisch beschriebeneJagderfolg des ehemaligen Zentralabteilungsleitersdes Thüringischen Ministeriums für Landwirtschaft,Forsten, Umwelt und Naturschutz, welches auch fürden Artenschutz verantwortlich zeichnet. Der Hobby-Elefantenjäger hatte sich mit – seinen Jagderfolg do-kumentierenden – Fotos vor seinen Kollegen gebrüstetund damit in der Öffentlichkeit eine große Welle desUnverständnisses ausgelöst. Auch hier war die Jagdlegal, aber – wie ein WWF-Vertreter passend formu-lierte – nicht wirklich legitim.Das Thema Elefantenjagd ist also durchaus auch inEuropa und sogar in Deutschland ein aktuell diskutier-tes – und das 25 Jahre nachdem der Handel mit Ele-fantenprodukten weltweit verboten wurde. Aber nichtdie offizielle und nach recht strengen Kriterien zuge-Zu Protokoll gegebene Reden
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4282 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Klaus-Peter Schulze
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lassene Jagd nach den Dickhäutern ist Thema des vor-liegenden Antrags von Union, SPD und Grünen. Kern-punkt ist die gewerbsmäßige Wilderei, die weltweit denBestand vieler Tierarten gefährdet. Und hier sind esinsbesondere die Bestände von Elefant und Nashorn,die durch eine organisierte Wildereimafia schwer ge-fährdet sind.Allein im Jahr 2012 wurden in Afrika schätzungs-weise 22 000 Elefanten gewildert. Auch im vergan-genen Jahr waren es nach Angaben des Washingto-ner Artenschutzübereinkommens, CITES, mehr als20 000 Tiere, weshalb die Elefantenbestände in vielenwest- und zentralafrikanischen Ländern als stark ge-
ten elf Jahren ein Rückgang der Waldelefantenpopula-tion um 65 Prozent beklagt. Das Monitoringsystem,MIKE, des CITES hat festgestellt, dass zwei Drittel derim vergangenen Jahr gestorbenen Elefanten der Wil-derei zum Opfer fielen. Mit Blick darauf, dass es inganz Afrika nur noch etwa 500 000 Elefanten gebensoll, ist dies eine bedrückende Zahl. Anfang des20. Jahrhunderts gab es nach Angaben von Pro Wild-life in Afrika noch 10 Millionen Elefanten, 1940 nurnoch 5 Millionen und 1979 waren es gerade einmal1,3 Millionen Tiere, und für 1989 wird ein Bestand vonetwa 600 000 Elefanten benannt.Erschreckend ist auch die Zahl der beschlagnahm-ten illegalen Elfenbeinlieferungen. In den Jahren 2011bis 2013 wurde die höchste Menge an Elfenbeinbe-schlagnahmungen der vergangenen 25 Jahre festge-stellt. Wurden 2012 noch 25 Tonnen Stoßzähne kon-fisziert, waren es 2013 bereits über 40 Tonnen.Insbesondere die Zahl der Großbeschlagnahmungenmit mehr als 500 Kilogramm Rohelfenbein hat starkzugenommen. Geht man davon aus, dass vermutlichnur jede zehnte Schmuggelei durch den Zoll entdecktwird, wird das ganze Ausmaß erst richtig deutlich.Hauptziele der meist per Containerschiff außer Landesgebrachten Schmuggelware sind China und Thailand.Auch bei den Nashörnern ist die Wilderei dieHauptursache des Rückgangs der Bestände, die durchCITES seit 1977 unter das internationale Handelsver-bot gefallen sind. Da die kommerzielle Jagd und derHandel mit Nashornprodukten in fast allen Staaten mitNashornpopulationen untersagt sind, sind die in freierWildbahn getöteten Tiere größtenteils Opfer von Wil-derei. Allein in Südafrika sind im Jahr 2013 über1 000 Nashörner getötet worden, während es 2007 nuretwa 13 Tiere gewesen sind. Erschreckend ist hier, dassallein im Krüger-Nationalpark mehr als 600 Tiere ge-tötet wurden. Und sehr beunruhigend ist es für mich,dass auch in diesem Jahr ein neuer Negativrekord er-reicht werden könnte, da bereits 442 Nashörner ge-
lation von gerade einmal 25 000 Tieren ist das einedramatisch hohe Zahl. Die Hörner werden meist imFluggepäck nach Vietnam geschmuggelt, wo sie alsangeblich entgiftende Medizin verwendet werden,wenngleich eine solche Wirkung tatsächlich nicht fest-gestellt werden kann. In Asien wird das Horn mittler-weile zu Schwarzmarktpreisen von bis zu 40 000 Eurogehandelt. Zum Schutz der Nashörner werden mittler-weile neue Wege gegangen. In Kenia startet demnächstein Projekt, bei dem den Tieren ein Chip ins Horn ein-gepflanzt werden soll. In Südafrika hingegen werdendie Tiere neuerdings kurzzeitig betäubt und in das Nas-horn ein Giftstoff injiziert, der für Menschen gesund-heitsschädlich oder sogar tödlich sein kann. Die Hör-ner der so behandelten Nashörner werden mit roterFarbe markiert, und damit sind diese Tiere für poten-zielle Wilderer sofort als nicht mehr verwertbar zu er-kennen.Wir als Antragsteller sehen aber nicht allein die er-schreckenden ökologischen Folgen der Wilderei vonElefanten und Nashörnern. Uns beunruhigt es auch,dass der Handel mit den illegal getöteten Tieren bzw.deren Produkten zu den fünf einträglichsten Spartender international organisierten Kriminalität gehörtund sich große Kartelle, aber auch Terrorgruppen undBürgerkriegsparteien aus den Erlösen finanzieren.Nach Angaben der Vereinten Nationen profitierenzahlreiche Verbrecher- und Terroristenbanden von derseit Jahrzehnten schwersten Wildereikrise in Afrika.Und während einerseits die Armut auf dem Kontinentdie Jagd nach Elefanten und Nashörnern begünstigt,steigt im immer reicher werdenden Asien die Nach-frage nach Luxusartikeln wie Elfenbein und Nashorn-
Wilderer profitieren von den steigenden Preisen undsind bestens organisiert, sie rüsten immer mehr aufund verfügen über modernste automatische Waffenund Nachtsichtgeräte. Die Wildhüter haben es zuneh-mend schwerer, dieser Entwicklung etwas Wirkungs-volles entgegenzusetzen.Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,UNEP, und die Internationale kriminalpolizeiliche Or-ganisation Interpol haben jüngst das Gesamtvolumender Umweltverbrechen auf bis zu 213 Milliarden US-Dollar geschätzt. Angesichts einer Förderquote derEntwicklungszusammenarbeit von etwa 135 Milliar-den US-Dollar wird hier noch eine ganz andere Pro-blematik deutlich. Wilderei und Handel mit illegal er-zeugten Wildtierprodukten gefährden also auch unseregleichzeitigen Anstrengungen im Bereich der interna-tionalen Entwicklungszusammenarbeit und unsere Be-mühungen im internationalen Umweltschutz, wo sichDeutschland mit beträchtlichen finanziellen Mittelnengagiert.Bereits in der letzten Wahlperiode hat der DeutscheBundestag mit seinem Antrag „Neue Impulse für einenwirksamen und umfassenden Schutz der AfrikanischenElefanten“ wichtige Feststel-lungen und Forderungen zu dieser Problematik be-schlossen. Die aktuellen Entwicklungen, die ich ein-Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4283
Dr. Klaus-Peter Schulze
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gangs beschrieben habe, lassen uns jedoch dahingehend erneut initiativ werden, um die Bemühungender Bundesregierung zu untermauern und das wichtigeund international sichtbare Signal zu senden, dassDeutschland alles tut, um diesen verbrecherischenMachenschaften Einhalt zu gebieten. Das beginntbeim Schutz der gefährdeten Tiere vor Wilderei, gehtweiter über die Bekämpfung des Schmuggels durchstärkere Kontrollen und die Reduzierung der Nach-frage nach Elfenbein- und Nashornprodukten und en-det schließlich bei der Problematisierung auf höchsterpolitischer Ebene bei allen geeigneten internationalenZusammenkünften.Wir begrüßen daher ausdrücklich die Bemühungender Bundesregierung, auf diplomatischem Wege wei-terhin und unvermindert gegen Wilderei und illegalenWildtierhandel vorzugehen und im Rahmen der deut-schen Entwicklungszusammenarbeit das Thema zu be-rücksichtigen. Und wir fordern von der Bundesregie-rung, dass sie sich mit Blick auf die rasant steigendenWildereivorfälle gegen weitere Freigaben des interna-tionalen Elfenbeinhandels einsetzt. Deutschland musssich zudem verstärkt auf internationaler Ebene – ins-besondere bei Gesprächen mit den wichtigen Ur-sprungs-, Transit- und Abnehmerländern – für eineEindämmung der Nachfrage nach Elfenbein- und Nas-hornprodukten aussprechen. Und nicht zuletzt müssenwir dafür sorgen, dass der illegale Wildtierhandeldurch eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Inter-pol, Europol und der Weltzollorganisation eingedämmtwird.Denn eines dürfte mittlerweile allen Beteiligten klarsein: Wilderei und illegaler Elfenbein- und Nashorn-handel sind keine alleinigen Probleme des Arten-schutzes. Sie spiegeln ein politikfeldübergreifendesKriminalitäts- und Sicherheitsproblem internationalenAusmaßes wider und müssen daher durch globale undinterdisziplinäre Maßnahmen bekämpft werden. Alldas berücksichtigt unser Antrag, weshalb ich Sie umZustimmung hierzu bitte.
20 000 getötete Elefanten, mehr als 1 000 tote Nas-hörner, 1 000 ermordete Wildhüter – hinter dem Titelzu unserem Antrag „Schutz von Elefanten und Nashör-nern vor Wilderei stärken“ verbirgt sich die Bekämp-fung einer neuen Dimension von organisierter Krimi-nalität.Wir alle kennen die furchtbaren Bilder von abge-schlachteten Elefanten und Nashörnern, die wegen ih-rer Stoßzähne und Hörner einen grausamen Tod ster-ben mussten. Es ist für uns unvorstellbar, dass dieseTiere in großer Zahl getötet werden, weil in bestimm-ten Regionen Asiens Produkte aus Elfenbein Status-symbole sind und weil dem Horn des Nashorns eineArt medizinische Superkraft zugesprochen wird.Schlimm genug: das Leiden dieser Tiere, denen bei le-bendigem Leib die Stoßzähne und Hörner abgeschla-gen werden und die langsam qualvoll sterben.Aber das Problem ist vielschichtiger. Die Elefantenund Nashörner werden so massiv gewildert, dass wires mit einem Artenschutzproblem zu tun haben. IhreZahl ist dramatisch zurückgegangen. Im letzten Jahrhaben Wilderer in Afrika mehr als 20 000 Elefantenumgebracht. Ähnlich dramatisch sieht die Lage beiden Nashörnern aus: Allein in Südafrika wurden imletzten Jahr über 1 000 Nashörner illegal getötet. ZumVergleich: 2007 fielen 13 Nashörner den Wilderernzum Opfer. Wir haben es hier also mit einem explosi-ven Anstieg dieser Entwicklung zu tun.Elefanten und Nashörner spielen auch eine großeRolle für die lokalen Ökosysteme. Ihr Verschwindenhätte weitreichende Folgen auch für die anderen dortlebenden Arten. Unsere Schutzbemühungen zielen aufden Erhalt der Biodiversität in Afrika.Neben der ökologischen gibt es weitere gesell-schaftspolitische Dimensionen. Die Wilderei gehört in-zwischen zu den einträglichsten Sparten der interna-tional organisierten Kriminalität. Sie steht auf einerStufe mit Drogen-, Menschen- und Waffenhandel.Schmuggler und Zwischenhändler haben ihre Struktu-ren professionalisiert und sind technisch hervorragendausgerüstet. Als Finanzierungsbasis für terroristischeGruppen in Afrika spielt die Wilderei eine immer grö-ßere traurige Rolle. Es geht um sehr viel Geld. DerMarkt des illegalen Handels mit wild lebenden Artenwird auf 12 Milliarden Euro geschätzt.Laut UNEP, dem UN-Umweltprogramm, haben sichder illegale Elfenbeinhandel und die Wilderei seit2007 verdoppelt. 2013 wurde die größte Menge illega-len Elfenbeins seit 25 Jahren beschlagnahmt. DasHorn des Nashorns ist auf Schwarzmärkten mehr wertals Gold.Und: Auch Menschen sind Opfer von Wilderei. Im-mer wieder werden Wildhüter, das letzte Schutzschildfür Elefanten und Nashörner, bei ihrer Arbeit durch dieWilderer getötet. Mehr als 1 000 Wildhüter wurden inden letzten zehn Jahren in 35 verschiedenen Ländernermordet.Was kann nun Deutschland tun? Deutschland istweder Ursprungs- noch Abnehmerland. Es gibt bei unsminimale Mengen von Elfenbein, deshalb macht eineöffentliche Zerstörung, wie sie auch im Antrag der Lin-ken gefordert wird, wenig Sinn. Schaufensterpolitikhilft nicht weiter, sondern wir können nur auf demmühsamen Weg der internationalen Verhandlungenbeharrlich bleiben und mit ressortübergreifenden Anti-Wilderei-Maßnahmen und konkreter Hilfe für die Men-schen in den Ursprungsländern die Lage verbessern.Bereits heute nimmt die deutsche Regierung bei deninternationalen Bemühungen zum Schutz für Elefantenund Nashörner eine Vorreiterrolle ein und bezieht klarPosition. Die Parlamentarische Staatssekretärin ist inihrer Rede auf die derzeitigen Aktivitäten eingegan-gen. Fest steht: Das besonders große Engagement derUmweltministerin Hendricks verdient unsere Anerken-nung.Zu Protokoll gegebene Reden
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4284 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Carsten Träger
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Eine klare Positionierung gegen weitere Freigabendes internationalen Elfenbeinhandels ist dabei unab-dingbar. Ebenso muss in den internationalen Verhand-lungen weiter versucht werden, die Nachfrage nachElfenbein und Nashornprodukten zu senken. Die inter-nationale Zusammenarbeit und auch die Kontrollenmüssen weiter gestärkt werden.Ich würde es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen dergeplanten Resolution der UN-Generalversammlung imSeptember gelänge, sich auf ein noch schärferes undumfassenderes Vorgehen gegen den illegalen Wildtier-handel zu verständigen. Der Aspekt der organisiertenKriminalität bei der Wilderei auf Elefanten und Nas-hörner und damit verbundener Delikte sollten größereBeachtung finden bei den entsprechenden UN-Kon-ventionen gegen Korruption und gegen grenzüber-schreitende organisierte Kriminalität.Ich habe in aller Kürze versucht, deutlich zu ma-chen: Hier handelt es sich nicht nur um eine arten- undnaturschutzpolitische Problemstellung, sondern umeine massive Fehlentwicklung mit menschlichen Op-fern, ausufernder organisierter Kriminalität und weit-reichenden Folgen für Ökosysteme wie auch Gesell-schaft.Deshalb freut es mich, dass wir bei diesem Antragüberfraktionell zusammenarbeiten.
Die Linke will mehr Schutz von bedrohten Wildtie-
ren erreichen. Dazu haben wir den vorliegenden An-
trag eingebracht, der in seinen Forderungen über den
der Grünen und der Koalition hinausgeht. Es wird
höchste Zeit, dass auf internationaler Ebene endlich
wirksame Schritte gegen den Wildtierhandel geschütz-
ter Tiere unternommen werden. Die Lage könnte kaum
dramatischer sein: Von den einst 100 000 lebenden Ti-
gern existieren heute nur noch rund 3 000 Tiger welt-
weit. Wenn der Wildtiermafia nicht endlich wirksam
das Handwerk gelegt wird, könnte es schon bald gar
keine Tiger mehr geben. Ähnliches gilt für Elefanten
und Nashörner. Laut der internationalen Tierschutz-
organisation WWF wurden im letzten Jahr rund
22 000 Elefanten in Afrika abgeschlachtet, andere Or-
ganisationen gehen sogar von einer Zahl von bis zu
50 000 getöteten Elefanten aus. Dies sollte für alle in-
ternationalen Akteure ein Alarmsignal sein; denn auch
hier steht längerfristig die Existenz dieser Tierart auf
dem Spiel. Der Handel mit Elfenbein, Nashornhorn
und Tigerfellen blüht. Wir schlagen deshalb in unse-
rem Antrag ein dauerhaftes EU-weites Im- und Export-
verbot von Produkten geschützter Tierarten vor. Aber
auch in weiteren Transit- sowie in Ursprungs- und Ab-
nehmerländern müssen die Märkte für Produkte be-
drohter Wildtiere geschlossen werden. Zugleich braucht
es Aufklärungsmaßnahmen über den Unsinn dieser
Produkte.
Das internationale Artenschutzübereinkommen
CITES, welches sich die Bekämpfung des Wildtierhan-
dels auf die Fahne geschrieben hat, muss erweitert
werden. Wir wollen das Ländermodell der von CITES
geschützten Wildtiere ändern in ein Populationsmo-
dell. Für den Schutz der Elefantenpopulationen ist es
beispielsweise nicht sinnvoll, nach den Ländergrenzen
zu trennen und sie somit den unterschiedlichen Schutz-
standards im CITES-Übereinkommen zu unterstellen.
Denn Elefantenpopulationen machen nicht vor Gren-
zen halt, und ein Elefant in Simbabwe ist nicht weniger
schützenswert als ein Elefant im benachbarten Sam-
bia.
Leider klammert der vorliegende Antrag der Grü-
nen und der Koalitionsfraktionen Armut und fehlende
Perspektiven in den Ursprungsländern als eine der
wichtigsten Ursachen für den Wildtierhandel komplett
aus: Wir sind der Meinung, dass die wirtschaftlichen
und sozialen Probleme in Afrika wesentlich dazu bei-
tragen, dass Menschen in die Fänge der Wildtiermafia
geraten. Solange viele afrikanische Staaten weiterhin
bewusst in neokolonialer Abhängigkeit vom globalen
Norden gehalten werden, um die Profitinteressen mul-
tinationaler Konzerne abzusichern, wird sich der
Trend nicht umkehren lassen. Insofern heißt Schutz der
Wildtiere auch, in der Außen- und Entwicklungspolitik
umzusteuern und den betroffenen Staaten eine faire
Chance für eine eigenständige Entwicklung zu geben,
die den Menschen vor Ort eine Perspektive bietet. Die
gegenüber Afrika gegebenen Entwicklungsfinanzie-
rungsversprechen müssen endlich eingehalten und die
bisher entstandenen Schulden afrikanischer Länder
komplett erlassen werden. Dies machen wir mit unse-
rem Antrag deutlich.
Es mag sich ja schön und vielleicht auch ein weniglustig anhören, wenn es hier einen Tagesordnungs-punkt mit dem Titel „Elefanten und Nashörner“ gibt,leider muss ich aber sagen: Diese Angelegenheit istsehr ernst, und zwar todernst. 2013 wurde die größteMenge illegalen Elfenbeins seit 25 Jahren beschlag-nahmt. Jährlich werden Zehntausende Elefanten ge-wildert. Bei Nashörnern steigen die Zahlen in ähnlichhohem Tempo: Während 2007 in Südafrika noch13 Nashörner gewildert wurden, waren es im letztenbereits Jahr über 1 000 Nashörner.Es geht hier aber nicht nur um Artenschutz und denSchutz von vom Aussterben bedrohten Tier, sondernauch um eine viel tiefgreifendere gesellschaftspoliti-sche Dimension. Denn es zeigt sich ein dramatischesBild: In den letzten 10 Jahren wurden in 35 verschie-denen Ländern mehr als 1 000 Wildhüter ermordet, diesich im Schutz von Elefanten und Nashörnern verdientgemacht haben. Für viele vom Aussterben bedrohteArten sind die Wildhüter das letzte schwache Schutz-schild. Opfer werden aber nicht nur die Wildhüter vorOrt, die Wilderei zieht noch viel größere Kreise.Wilderei ist mittlerweile eine der fünf größten Spar-ten der international organisierten Kriminalität: LautUNEP und Interpol steht der illegale Handel mit ge-Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4285
Steffi Lemke
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schützten Tieren und Pflanzen mittlerweile auf dergleichen Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffen-handel. Die Schmuggler- und Händlerringe haben ihreStrukturen professionalisiert und verfügen über weit-reichende Finanzierung und teilweise hochtechnisierteAusrüstung. Sie bereichern sich extrem gut an dem il-legal florierenden Geschäft. Oftmals finanzieren sichkriminelle Kartelle, Terrorgruppen und Bürgerkriegs-parteien aus den Profiten des illegalen Wildtierhan-dels. Auch Gruppen wie Somalias al-Schabab und diekongolesische Lord’s Resistance Army sollen laut Be-richten den Elfenbeinhandel für sich entdeckt haben.Außerdem werden die Dschandschawid-Kämpfer ausdem Sudan, eine lokale Miliz im Darfur-Konflikt, fürden Tod von 400 Elefanten im Norden Kameruns ver-antwortlich gemacht. Mit dem Elfenbein finanzierensie ihre Waffenkäufe und schüren damit neue Konflikte.Allein das Horn des Nashorns ist auf den Schwarz-märkten mittlerweile mehr wert als Gold. Die Wildereiist mit ihren geschätzten Milliardengewinnen ein bluti-ges Geschäft geworden.Die vorliegenden Berichte von UNEP und Interpolzeigen, dass Wilderei zur organisierten Kriminalitätavanciert ist und sogar Bürgerkriege bzw. terroristi-sche Gruppen mitfinanziert. Dies muss auch das BMIzur Kenntnis nehmen. Denn wenn es das nicht tut, istdas eine gefährliche Lücke, die es sich nicht leistenkann.Ich freue mich, dass uns nach einigem Ringen dieserinterfraktionelle Antrag gelungen ist und dass die Bun-desregierung zugesagt hat, sich bei internationalenVerhandlungen deutlich gegen die weitere Freigabedes Elfenbeinhandels einzusetzen, um der Wilderei unddem illegalem Handel mit Elfenbein und Nashornhorneinen wirksamen Riegel vorzuschieben, auch wenn unsein generelles und konsequentes Verbot des Handelsmit Elfenbein und Nashornprodukten lieber gewesenwäre. Denn jeglicher legaler Handelsweg öffnet Türund Tor für illegale Machenschaften. Die gegenwär-tige Situation zeigt ganz deutlich, wie drastisch sichdie Aufweichungen des generellen Verbots von Elfen-beinhandel ausgewirkt hat: Die Wilderei hat derzeitwieder ein Ausmaß angenommen wie zuletzt in den1980er-Jahren, bevor der internationale Elfenbein-handel 1989 verboten wurde. Der Markt wurde nachund nach wieder angeheizt. Laut Experten gab es hier-für zwei Ursachen: Erstens wurde im WashingtonerArtenschutzabkommen von 2007 ausgehandelt – übri-gens jeweils mit Beteiligung der damaligen Bundesre-gierung –, den südafrikanischen Staaten Botswana,Namibia, Südafrika und Simbabwe einmalig den Ver-kauf von 108 Tonnen Elfenbein aus Staatsbesitz zu er-lauben. Zweitens wurde im Jahr 2008 China als Im-portland anerkannt. Diese legalen Absätze heizten denMarkt und damit auch die illegalen Machenschaftenund die Kriminalität erst richtig an.Dabei darf man auch die Ausnahmereglung imCITES-Abkommen für europäisches Elfenbein nichtunterschlagen. Diese erlaubt den Export von Elfenbeinaus den Jahren vor 1976. Auch diese Exporte bietenein Schlupfloch für frisch gewildertes Elfenbein. DerGeneralsekretär von CITES sagte Berichten zufolge,Experten gingen davon aus, dass Spekulanten Elfen-bein lagern in der Hoffnung auf steigende Preise, so-bald Elefanten eines Tages ausgestorben sein werden.Es ist eben nicht nur ein Hirngespinst von Naturschüt-zern, dass Elefanten und Nashörner eines Tages aus-gerottet sein werden. Die heutigen Spekulationen zei-gen, wie ernst es um den Bestand dieser edlen Tieretatsächlich steht.Die Wilderei und der Kampf gegen Wilderei ist keinRandthema mehr, sondern ein Thema mitten in der ge-sellschaftlichen und auch politischen Debatte. Auf derTagesordnung der ersten Sitzung der UNEA, die ver-gangene Woche zum ersten Mal in Nairobi tagte, standder Kampf gegen Wilderei prominent auf der Tages-ordnung. Kürzlich kümmerte sich auch Prinz Williamvon England höchstpersönlich um ein Treffen mithochrangigen Regierungschefs, um dieses Thema inden Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu tragen.Nächste Woche wird der Ständige Ausschuss desWashingtoner Artenschutzabkommens über einenEntscheidungsmechanismus zum zukünftigen Umgangmit Elfenbeinhandel verhandeln. Es ist wichtig, dassDeutschland zum Schutz von Elefanten und Nashör-nern mit einer starken Stimme gegen jegliche weitereFreigaben des Elfenbeinhandels spricht. Dieser inter-fraktionelle Antrag wird der Delegation dabei denRücken stärken.Ri
Ich freue mich über den Antrag der Regierungsfrak-tionen und der Fraktion Bundnis 90/Die Grünen undbedanke mich im Namen der Bundesregierung überdas darin zum Ausdruck kommende Lob für unsere Ar-beit.Wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr 20 000Elefanten illegal abgeschossen werden. Und wir kön-nen nicht zulassen, dass die Nachfrage nach Nashorn-pulver in Vietnam zum Aussterben des Nashorns führt.Die Wilderei auf Elefanten und Nashörner hat dra-matische Ausmaße angenommen. Das ist schlimm fürdie Tiere, die Natur und die Ökosysteme. Diese Wilde-rei und der illegale Wildtierhandel bringen internatio-nal organisierte Kriminalität in Regionen mit schwa-cher, zum Teil bestechlicher Verwaltung. Sie nimmt denMenschen, die mit den Tieren leben, die Chance, einenNutzen daraus zu ziehen. Sie bringt Destabilisierungund einen Verlust an Sicherheit mit sich.Die Bundesregierung hat daraus vier Schlüsse ge-zogen:Erstens. Wir müssen dieses wichtige Thema inter-national auf der höchsten Regierungsebene in Ur-sprungs-, Transit- und Abnehmerländern ansprechen.Zu Protokoll gegebene Reden
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4286 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
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Das haben wir getan bei den Vereinten Nationen,wo die Erarbeitung einer UN-Resolution im Septemberdieses Jahres vorgesehen ist. Wir haben uns für den„African Elephant Summit“ in Gaborone eingesetzt,der zehn dringliche Maßnahmen zum Elefantenschutzformuliert hat. Bundesministerin Hendricks hat andem Londoner Gipfel im Februar dieses Jahres gegenden illegalen Wildtierhandel persönlich teilgenommen.Gerade ist die deutsche Delegation von der ersten Um-weltversammlung der Vereinten Nationen zurückge-kehrt, die letzte Woche in Nairobi stattgefunden hat. Zuden wichtigen, von mehr als 190 Umweltministern be-handelten Themen gehört auch der illegale Wildtier-handel. Dieses internationale Momentum muss genutztund erhalten werden.Das Zweite ist: Bei den Beschlüssen auf internatio-naler Ebene darf es nicht bleiben. Ihnen müssen Tatenfolgen. In Afrika und Asien ist in Folge dieserBeschlüsse einiges geschehen. Das stellen wir imRahmen der Diskussionen unter dem WashingtonerArtenschutzübereinkommen und den dort vorgelegtenBerichten fest. Ferner werden wir im März 2015Bilanz ziehen; Botswana hat zu einem weiteren Treffeneingeladen, um zu erörtern, ob die Teilnehmer der frü-heren Konferenzen ihre Zusagen eingehalten haben.Drittens: Wir müssen den Menschen in den Ur-sprungsländern helfen, mit den gewaltigen Problemenfertigzuwerden.Im Rahmen der Entwicklungshilfe und mit ressort-übergreifenden Antiwilderei-Maßnahmen gehen wirdarauf ein. Deutschland stellt dafür 240 MillionenEuro zur Verfügung. Wegen der Details verweise ichauf die Drucksache 18/1243. Auch andere Staatensowie die Europäische Union und die UNDP sollenund wollen Antiwildereimaßnahmen inklusive nationa-ler Sicherheitsstrategien in Maßnahmen der Entwick-lungszusammenarbeit integrieren.Viertes: Wir müssen die internationale Zusammen-arbeit bei der Verbrechensbekämpfung in Bezug aufdie Wilderei verbessern. Dazu soll unter anderem dasMandat der Konventionen erweitert werden, die sichmit grenzüberschreitender Kriminalität befassen.Die illegale Wilderei hat ungeahnte Dimensionenerreicht. Wir brauchen handfeste Antworten und ent-schlossene Maßnahmen gegen diesen Sumpf.Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält Über-einstimmungen mit dem der CDU/CSU, SPD undBündnis 90/Die Grünen. Allerdings sind darin einigePunkte enthalten, denen ich mich nicht anschließenkann. Lassen Sie mich zwei herausgreifen:Die Vernichtung von beschlagnahmtem Elfenbeinist sicherlich ein sinnvolles Zeichen für solche Staaten,die Ziel- oder Transitland illegalen Elfenbeins sind.Dazu gehört Deutschland aber gerade nicht. Ichnehme im Übrigen Bezug auf die detaillierten Erläute-rungen in der bereits erwähnten Drucksache 18/1243.Ich glaube, dass die in dem anderen Antrag genanntenBeiträge viel eher zur Bewältigung dieser Krise beitra-gen.Zweitens fordert der Antrag der Fraktion Die Linkeein dauerhaftes EU-weites Ex- und Importverbot vonProdukten geschützter Tierarten sowie ein Verbot desinnergemeinschaftlichen Handels. Wir wollen dasKind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Handelsar-tenschutz sollte auf die Naturverträglichkeit des Han-dels mit Tieren und Pflanzen hinarbeiten, das heißt si-cherstellen bzw. helfen, dass Entnahmen die freilebenden Populationen nicht schädigen, im Übrigenaber Handel zulassen. Es gibt sehr gewichtige Gründe,dieses Prinzip im Grundsatz beizubehalten. VieleNationen leben von der Vermarktung nachhaltig be-wirtschafteter Ressourcen. Die Forderung, wie sie vonder Fraktion Die Linke gestellt ist, hätte nach meinerErfahrung auf europäischer Ebene nicht den Hauch ei-ner Unterstützung zu erwarten und wäre im Zweifel indieser pauschalen Form auch nicht mit der WTO zuvereinbaren.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1951 mit dem Titel „Schutz
von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenom-
men.
Tagesordnungspunkt 24 b: Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1960 mit
dem Titel „Wildtierhandel mit geschützten Arten verbie-
ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verrin-
gerung der Abhängigkeit von Ratings
Drucksache 18/1774
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ratingagenturen haben bekanntlich zur Entstehungder Finanzkrise im Jahre 2008 erheblich beigetragen.Was ist ihnen vorzuwerfen? Die Ratingagenturen be-werteten Finanzprodukte, Unternehmen und Staatenüber Jahre hinweg oftmals unrealistisch positiv. Da-durch wurde häufig ein viel zu geringes Risiko sugge-riert, und Ausfallrisiken wurden unterschätzt. Selbst
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4287
Matthias Hauer
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als sich die Finanzkrise zuspitzte, erfolgte die Anpas-sung der Ratings nur sukzessive und viel zu spät.Die Gefahr eines zu positiven Ratings wurde zudemdurch massive Interessenkonflikte begünstigt. Indemdie Auswahl und die Vergütung der Ratingagentur inder Regel durch das bewertete Unternehmen erfolgt,kommen abgegebene Ratings oftmals eher den Wün-schen des Emittenten entgegen als den Bedürfnissender Anleger. Ratingagenturen berieten Emittenten beider Strukturierung ihrer Finanzprodukte zur Erzielungeines optimalen Ratings und nahmen später selbstBewertungen genau dieser Produkte vor – diese Vermi-schung von Beratungs- und Bewertungsleistungen ließan der strikten Neutralität bei der Bewertung von Risi-ken zweifeln.Hinzu kommen bis heute teilweise enge Verflechtun-gen der Beteiligten: Wesentliche Anteilseigner der dreigroßen Ratingagenturen bzw. deren Muttergesellschaf-ten sind gleichzeitig große Käufer und Verkäufer vonFinanzprodukten, die von ihren eigenen Agenturenbewertet werden. Es ist offensichtlich, dass derartigeKonstellationen zu Interessenkonflikten führen kön-nen. Zudem bewegen wir uns auf einem Markt, dernach wie vor von den drei großen Ratingagenturenbeherrscht wird, bei deren Entscheidungen kontinen-taleuropäische Belange schon mal außen vor geblie-ben sind. Auf diese Missstände hat sowohl der natio-nale als auch der europäische Gesetzgeber reagiert.Bereits mit der Ratingverordnung aus dem Jahre2009, CRA I, hat die Europäische Union einen wichti-gen Beitrag zur strengeren Beaufsichtigung vonRatingagenturen geleistet. Seitdem besteht für alle Er-steller von Kreditratings eine Registrierungspflicht mitumfangreichen Prüfungs- und Genehmigungsverfah-ren sowie einer laufenden Beaufsichtigung. Damitwurden erste Schritte unternommen, die Transparenzdes Bewertungsprozesses von Ratingagenturen zuerhöhen, Interessenkonflikte zu vermeiden und Regel-verstöße mit Bußgeldern zu ahnden.Mit der ersten Novelle der Ratingverordnung imJahr 2011, CRA II, konzentrierte der europäischeGesetzgeber die Aufsichtszuständigkeit bei der Euro-päischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde,ESMA, und erhöhte die Transparenz für Ratings struk-turierter Finanzprodukte. Mit der aktuellen, zweitenNovelle, CRA III, wird dieser richtige Weg nun konse-quent weitergegangen, unter anderem mit folgendenRegelungen:Der ausschließliche oder automatische Rückgriffauf Ratings zu aufsichtsrechtlichen Zwecken soll ver-hindert und eigene Kreditrisikobewertungen sollenvorgenommen werden. Es gilt, Interessenkonflikte zuvermeiden, indem beispielsweise durch Höchstlaufzei-ten der vertraglichen Beziehungen zu einer Rating-agentur ein Rotationsprinzip eingeführt wird.Außerdem werden zu den Länderratings Regelun-gen hinsichtlich Zeitpunkt und Anzahl der Veröffentli-chungen getroffen. Die Verantwortung von Rating-agenturen wird darüber hinaus dadurch erhöht, dassdiese bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit für feh-lerhafte Ratings gegenüber den Anlegern sowie denbewerteten Unternehmen haften können. Ebenso müs-sen nunmehr für die Bewertung eines strukturiertenFinanzinstruments zwei Ratings unterschiedlicherAgenturen eingeholt und dabei auch kleinere Rating-agenturen einbezogen werden.Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregie-rung dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/14/EUdes Europäischen Parlaments und des Rates vom21. Mai 2013 in nationales Recht und zur Anpassungdes Aufsichtsrechts an die zweite Novelle der EU-Ratingverordnung.Sowohl mit der Richtlinie als auch mit der Verord-nung soll ein übermäßiger Rückgriff auf externe Ra-tings zur Bewertung des Ausfallrisikos der gehaltenenAnlagen vermieden werden. Die Richtlinie schreibtEinrichtungen der betrieblichen Altersversorgung,EbAV, Organismen für gemeinsame Anlagen in Wert-papieren, OGAW, und Verwaltern alternativer Invest-mentfonds, AIFM, vor, einen übermäßigen Rückgriffauf Ratings zur Bewertung des Ausfallrisikos der ge-haltenen Anlagen abzubauen. Der Gesetzentwurf setztdiese Regelungen in nationales Recht um; die BaFinerhält die Befugnis, die hierzu eingerichteten Verfah-ren zu überwachen.Im Koalitionsvertrag haben wir deutlich gemacht,dass Ratingagenturen eine zentrale Machtstellung aufden Finanzmärkten haben und sie deshalb einer stren-gen Regulierung bedürfen. Wir müssen dabei auchsicherstellen, dass Ratingagenturen bei einem Fehl-verhalten effektiv zivilrechtlich haften und dass dieWettbewerbsfähigkeit europäischer Ratingagenturen– gegenüber den drei noch immer dominierenden US-amerikanischen Agenturen – gefördert wird.Diverse Anläufe, sowohl politisch als auch privat-wirtschaftlich motiviert, eine gemeinsame europäischeRatingagentur ins Leben zu rufen und am Markt zuetablieren, sind in den letzten Jahren leider geschei-tert. Nun gilt es, den Wettbewerb und die Vielfalt in derRatingbranche anzukurbeln und Markteintrittsbarrie-ren für die schon vorhandenen kleinen Ratingagentu-ren abzubauen.Wir wollen das Handeln von Ratingagenturenweiterhin transparenter machen, die Qualität von inder EU abgegebenen Ratings verbessern und dieRegulierung in diesem Bereich fortsetzen, um die häu-fig schematische Übernahme von Ratings von Rating-agenturen zu unterbinden und Ausfallrisiken bessereinschätzen zu können.
Wesentliche Ursache der Finanzkrise in den Jahren2008 und 2009 war, dass sich viele Unternehmen undAnleger auf das Rating der großen Ratingagenturenverlassen haben. In vielen Fällen war das Rating nichtsachgerecht untersetzt: Triple-AAA-Rating und trotz-Zu Protokoll gegebene Reden
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4288 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Bettina Kudla
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dem nur wertlose Immobilien im Bestand. Das war dasErgebnis, weil sich zum Beispiel die Landesbankenbeinahe blind auf den Ausweis der Ratings verlassenhaben.Ein bestimmtes Rating ist häufig Bestandteil vonKreditverträgen oder Vereinbarungen über Kapitalan-lagen. Rating ist der Ausweis von Bonität. Verändertsich das Rating eines Kreditnehmers, so wird derKreditnehmer laut Kreditvertrag verpflichtet, gegebe-nenfalls einen höheren Zins zu zahlen oder zusätzlicheSicherheiten zu stellen. Versicherungen oder Stiftun-gen dürfen gemäß ihrer Satzung in der Regel nur dasGeld der Kunden in Anlagen tätigen, die ein einwand-freies Rating vorweisen. Verändert sich das Ratingdieser Geldanlagen, so werden zum Beispiel Versiche-rungen und Stiftungen unter Umständen gezwungen,ihre Vermögensanlage durch eine bonitätsmäßig bes-sere Anlage auszutauschen, was weitreichende Konse-quenzen haben kann. Rating hat enormen Einfluss aufFinanzmarktgeschäfte. Im Sinne des Anlegerschutzesmuss auf das Rating Verlass sein. Ein Rating muss ob-jektiv und qualitativ hochwertig untersetzt sein.Bisher unterlagen Ratingagenturen keinen klarenRegeln. Zwar wurde auf europäischer Ebene bereits inden Jahren 2009 und 2011 mit der Novellierung derRatingagenturen der richtige Weg eingeschlagen,gleichwohl bedarf es weitreichender Regelungen, umdas Ziel eines verlässlichen Ratings zu erhalten.Darüber hinaus gilt es, die Abhängigkeit der Finanz-marktakteure vom Rating zu verringern. DieseAbhängigkeit hat sich als ein zunehmendes finanz-markpolitisches Problem herausgestellt. Ein falschesRating führte zu einer Unterschätzung von Verlustrisi-ken und leistete damit einen erheblichen Beitrag zumEntstehen und zur Verschärfung der Finanzkrise von2008/2009.Wie kann man das Problem nun lösen? Gelöst wer-den kann das Problem nur, indem Ratingagenturen zumehr Sorgfalt und Objektivität verpflichtet werden.Dies kann nur durch eine verschärfte Haftung und einebessere Aufsicht über Ratingagenturen erreicht wer-den und auch durch mehr Wettbewerb. Eine Monopol-stellung von einigen wenigen Ratingagenturen ist im-mer ein hohes Risiko für diejenigen, die sich aufRatings verlassen.CDU, CSU und SPD haben die Problematik derzentralen Machtstellung der Ratingagenturen auf denFinanzmärkten erkannt und eine strenge Regulierungvon Ratingagenturen zum politischen Ziel erklärt. ImKoalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart, sich füreine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haf-tungsregelungen für Ratingagenturen einzusetzen unddie Wettbewerbsfähigkeit von Ratingagenturen zu för-dern.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verrin-gerung von Abhängigkeit von Ratings liegt heute in ers-ter Lesung vor. Die Rechtsnormen, die eine Einschal-tung der drei großen Ratingagenturen – also Standard& Poor’s, Fitch Ratings und Moody’s – vorschreiben,sollen mit diesem Gesetz reduziert werden. Rating-agenturen müssen einem größeren Wettbewerb ausge-setzt werden. Die Bedeutung externer Ratings soll da-bei insgesamt reduziert werden.Ein wirksames Instrument ist die bereits geltendeRegistrierungspflicht von Ratingagenturen mit demeinhergehenden umfangreichen Prüfungs- und Geneh-migungsverfahren durch die Europäische Wertpapier-aufsichtsbehörde ESMA, European Securities andMarkets Authority. Erst wenn dieses Verfahren erfolg-reich durchlaufen wird, können Ratingagenturen mitihrer Arbeit beginnen. Die Akteure am Finanzmarktdürfen auch nur auf Kreditratings von Ratingagentu-ren zurückgreifen, die bei der ESMA registriert sind.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bun-desregierung nunmehr die europäische Richtlinie2013/14 vom Mai 2013 in nationales Recht um. Damitwird die bereits eingeschlagene Linie fortgesetzt, dasHandeln von Ratingagenturen transparenter zumachen und die Erstellung der Ratings einer strengenRegulierung zu unterwerfen. Es soll verhindert wer-den, dass der Rückgriff auf externe Ratings automa-tisch erfolgt. Erforderlich sind Anpassungen einigerFinanzmarktgesetze.Vorgabe der EU-Richtlinie und gleichzeitig auchpolitisches Ziel der Bundesregierung ist es, die Unter-nehmen der Finanzbranche, nämlich im Speziellen dieEinrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, EbAV,die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpa-pieren, OGAW, und die Verwalter alternativer Invest-mentfonds, AFIM, anzuhalten, künftig mehr und besserauf ihre eigene Einschätzung bei der Bonitätsbewer-tung von Kreditnehmern, Wertpapieren und sonstigenAusfallrisiken zu achten und Ratings nicht unkritischund schematisch und vor allen Dingen nicht als Auto-matismus zu übernehmen.Zweite Vorgabe der EU-Richtlinie 2013/14 ist diestrenge Überwachung dieser Vorgabe durch nationaleAufsichtsbehörden. Der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungen, BaFin, obliegt es dabei hierzulande,auf die Einhaltung von Regelungen zu achten, Regel-verstöße zu sanktionieren und auch dem automati-schen Rückgriff auf Ratings entgegenzuwirken. ImKapitalanlagegesetzbuch werden deshalb die Buß-geldvorschriften für Verstöße gegen das Regelwerkverschärft und auch neu geschaffen, um eine wirksameSanktionierung zu ermöglichen. Damit wird der BaFinauch ein entsprechend scharfes Schwert in die Händegelegt, um ihrer Aufsichtspflicht effektiv nachkommenzu können.Mit der Änderung des Börsengesetzes erfolgt dievon der EU-Richtlinie geforderte Klarstellung, dassauch die Börsenaufsichtsbehörden der einzelnen euro-päischen Staaten – in Deutschland ist dies die BaFin –Informationen an die europäischen Finanzaufsichts-behörden weitergeben dürfen. Damit ist einerseits In-formationsfluss gewährleistet, und andererseits habenZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4289
Bettina Kudla
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die Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene eine so-lide Basis, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können.Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Bau-stein für ein klares Regelwerk unseres Finanzmarktesund findet unsere Zustimmung.
Die weltweite Finanzkrise, die sich später zu einer
Weltwirtschaftskrise ausgeweitet hat, ist in ganz
Europa immer noch spürbar. Schuldige gibt es viele.
Ursachen gibt es viele. Und für einen funktionierenden
Staat muss es nach jeder Krise heißen, nicht nur die
richtigen Lehren zu ziehen, sondern daraus auch die
entsprechenden Handlungen und Veränderungen
abzuleiten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen
wir genau diesen Weg und packen ein wichtiges Puzz-
leteil des gesamten Tableaus an Ursachen für die Fi-
nanzkrise an. Auch wenn es nur ein weiterer von vielen
Schritten ist und sein kann.
Die Finanzwelt, aber auch die Staaten selbst, haben
sich in den letzten Jahren in eine Art Abhängigkeit ge-
genüber den Ratingagenturen begeben, die die Ab-
wärtsspirale der vergangenen Jahre massiv beför-
derte. Wir müssen uns davon endlich lösen und vor
allem hinterfragen, was und vor allem wer hinter die-
sen Ratings steckt. Es sind keine Gutmenschen und
keine höheren Instanzen, welcher Art auch immer, die
sich hier als unabhängige und neutrale Marktbeob-
achter aufspielen wollen. Es sind Akteure am Finanz-
markt, die am selbigen partizipieren und profitieren
wollen. Peer Steinbrück hat zu Recht die Frage aufge-
worfen, wer in Europa eigentlich den Taktstock des
Geschehens in der Hand halten soll. Das sind aus
unserer Sicht ganz sicher nicht die Ratingagenturen.
Und deshalb hat die SPD im vergangenen Bundestags-
wahlkampf richtigerweise gefordert, dass das Primat
der Politik endlich wiederhergestellt werden muss.
Es ist vollkommen absurd und nicht nachvollzieh-
bar, dass hier über Jahrzehnte hinweg im Grunde
keine Regulierung stattgefunden hat. Deshalb haben
wir im Koalitionsvertrag diesen ersten wichtigen
Schritt festgehalten, und ich darf an dieser Stelle zitie-
ren: „Die Bundesregierung wird sich für eine effektive
Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen
für Ratingagenturen einsetzen und die Wettbewerbsfä-
higkeit europäischer Ratingagenturen fördern. Wir
wollen die Rechtsnormen reduzieren, die eine Ein-
schaltung der drei großen Ratingagenturen vorschrei-
ben. Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings
reduzieren.“ Und weiter heißt es: „In Zukunft muss
noch stärker gelten: Gemeinschädliches Handeln von
Unternehmen und Managern muss angemessen sank-
tioniert werden. Wir unterstützen die Aufnahme stren-
ger Vorschriften in den maßgeblichen europäischen
Rechtsakten, welche insbesondere den Rahmen für
Geldsanktionen auf ein angemessenes Niveau anheben
und die Verhängung spürbarer Sanktionen gegen Un-
ternehmen vorsehen, die gegen regulatorische Vorga-
ben verstoßen, und werden für deren Umsetzung ins
deutsche Recht Sorge tragen.“
Sie sehen also, dass wir uns durchaus etwas vorge-
nommen haben, was noch gar nicht alles in diesem
Gesetzentwurf vollzogen werden kann, aber wir gehen
mit diesem Regierungsentwurf einen wichtigen Schritt
in die richtige Richtung: Ziel muss es sein, die Abhän-
gigkeit der Finanzbranche von den Bewertungen der
Ratingagenturen zu reduzieren.
Die unkritische und oftmals schematische Über-
nahme der Ratings der Ratingagenturen zur Einstu-
fung der Bonitätsgewichtung der Kreditnehmer und
Wertpapiere muss endlich verringert werden. Dies
führte doch häufig zu erheblichen Fehleinschätzungen
von Ausfallrisiken und muss künftig vermieden wer-
den. Das ist eine der klaren Lehren aus der Finanz-
marktkrise aus dem Jahre 2008. Dafür ist es unabding-
bar, dass sich die Finanzbranche künftig viel stärker
auf eigene Einschätzungen in der Bonitätsprüfung
stützt, um unabhängiger Risiken beurteilen zu können.
Es darf nicht sein, dass der eine einfach das über-
nimmt, was der andere bereits formuliert hat. Ich bin
überzeugt: Hier kommen wir mit dem Gesetzentwurf
ein gutes Stück voran.
Außerdem werden wir mit dem Gesetz dafür sorgen,
dass neue Ordnungswidrigkeiten ins Kapitalanlagege-
setzbuch aufgenommen werden, um klare Grenzen auf-
zuzeigen und auch, was es bedeutet, diese zu über-
schreiten.
Im Gesetzentwurf werfen wir auch einen Blick auf
die Abhängigkeiten innerhalb der Finanzbranche und
blicken auf Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
Investitionen in Ratingagenturen und auf die Höchst-
laufzeiten der vertraglichen Beziehungen zu Rating-
agenturen. Dazu werden wir im Finanzausschuss si-
cher spannende Debatten führen.
Ich bin dem Bundesminister für Finanzen sehr
dankbar für diesen Gesetzesvorschlag, den wir – ge-
statten Sie mir diesen Ausblick in die Zukunft – im
weiteren Gesetzgebungsverfahren ganz sicher an der
einen oder anderen Stelle noch präzisieren werden.
Auch in der Stellungnahme des Bundesrates sind Än-
derungen angemahnt, die das Bundesfinanzministe-
rium nun prüfen möchte. Auf die Ergebnisse bin ich
sehr gespannt.
Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen
dieses Gesetzes. Es handelt sich hierbei um eine wich-
tige Weichenstellung für die Zukunft. Lassen Sie uns
gemeinsam das Primat der Politik zurückerobern!
Der vorliegende Gesetzentwurf soll bestimmte Än-derungen an der Europäischen Ratingverordnung ausdem Jahr 2013 in deutsches Recht umsetzen. Anliegendes Gesetzes bzw. der entsprechenden Verordnung istes, dafür zu sorgen, dass sich die Finanzbranche nichtmehr so scheuklappenhaft von den Bewertungen derZu Protokoll gegebene Reden
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4290 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Axel Troost
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Ratingagenturen abhängig macht bzw. den Ratingsnicht länger blind vertraut. Ratings – das sollte hiernoch einmal deutlich gesagt werden – sind nach eige-ner Aussage der Ratingagenturen nichts anderes alsMeinungsäußerungen, Meinungsäußerungen darüber,für wie wahrscheinlich es eine Ratingagentur hält,dass ein Schuldner seinen Verpflichtungen nach-kommt. Meinungsäußerungen sind bekanntlich von derMeinungsfreiheit gedeckt. Das Problem liegt aberdarin, dass Ratingagenturen nicht nur Meinungen ha-ben, sondern damit auch wesentlich die Meinung alleranderen Finanzmarktteilnehmer bestimmen.Natürlich wissen wir alle, dass die Ratingagentureneine zentrale Rolle in der globalen Finanzkrise ge-spielt haben und spielen. Ihre Bewertungen von kom-plexen Finanzinstrumenten stellten sich als weit-gehend falsch heraus. Ich rate aber dringend davonab, den Ratingagenturen die Alleinschuld zuzuweisen.Für mich stellt sich das Bild eher so dar: Die Rating-agenturen übernahmen mit der Entfesselung der Fi-nanzmärkte seit den 1980er-Jahren zunehmend dieRolle des Orakels und wurden auch in diese Rolle ge-drängt. Die Macht eines Orakels liegt bekanntlich da-rin, dass sich die Menschen in einer quasireligiösenArt an den Weissagungen des Orakels bereitwilligorientieren. Vordergründig war es eine Win-win-Situa-tion. Die Ratingagenturen konnten einerseits mit ihrenMeinungsäußerungen reichlich Geld verdienen. Daihnen die Finanzbranche zutraute, zu allen noch so ab-wegigen Finanzinstrumenten eine Meinung zu habenund gleichzeitig die Zahl dieser Instrumente immergrößer wurde, war dies ein lohnendes Geschäft für dieAgenturen. Für die Finanzdienstleister andererseitswar die Orakelfunktion der Ratingagenturen ebenfallseine komfortable Sache, denn so mussten sie sich kaumeigenständig Gedanken über die immer komplexerenInstrumente machen. Außerdem gab es für die Bankerund Fondsmanager dann immer schon einen Schuldi-gen, auf den man die Verantwortung abwälzen konnte,wenn im Einzelfall doch mal etwas schiefging.Im Ergebnis entwickelte sich ein immer stärkeresSchwarmverhalten ohne klare Verantwortlichkeiten.Das ganze funktionierte so lange gut, wie die Renditenan den Finanzmärkten durch Spekulation und Blasen-bildung und durch die Umverteilung von den Lohn- zuden Gewinneinkommen hoch waren. NachdenklicheZeitgenossen haben aber schon vor vielen Jahren dieFrage gestellt, wie lange es wohl dauern werde, bisdieser Schwarm bzw. eine solche Herde wie die Lem-minge auf eine Klippe zusteuern und entschlossen inden Abgrund springen würde.Die Politik war an dieser Entwicklung keineswegsunschuldig. Einerseits ließ die Politik es durch dieLiberalisierung der Finanzmärkte zu, dass sich immerneuere und kompliziertere Finanzinstrumente in kurzerZeit verbreiteten. Noch schwerer aber wog die politi-sche Fehlentscheidung, es vielen Finanzdienstleisternsogar vorzuschreiben, sich an Ratings zu orientieren.Die gesamte Bankenregulierung von Basel II fußt imWesentlichen auf der These, dass durch ausgeklügelteund vermeintlich unbestechliche Ratings die Bankenviel besser und effizienter in der Kreditvergabe wür-den.Diese Vorgeschichte ist wichtig, um das heutigeGesetz einzuordnen. Natürlich ist es eine richtigeLektion aus der Finanzkrise, dass blindes Vertrauenbzw. die Abschiebung der Verantwortung für Risiko-bewertungen auf Ratingagenturen falsch sind. Bishierhin teilen wir die Stoßrichtung des Gesetzes bzw.der entsprechenden EU-Verordnung. Wer das aber tat-sächlich erreichen will, muss deutlich mehr tun, als indiesem Gesetz steht.Für Anleger liegt der Reiz von Ratings – insbeson-dere von Ratings von komplexen Finanzinstrumenten –genau darin, dass damit eine vermeintliche Bewert-barkeit suggeriert wird, die praktisch nicht existiert.Die Finanzkrise hat eindrucksvoll gezeigt, dass vieleDerivate so komplex sind, dass zuverlässige Vorhersa-gen über deren Ausfallrisiko und Wertentwicklungschlicht unmöglich sind.Aus der Tatsache, dass es vor und während der Fi-nanzkrise viele falsche Ratings gegeben hat, ziehen dieEU-Verordnung und das vorliegende Gesetz die ver-kürzte und daher falsche Schlussfolgerung, die Ratingsseien aufgrund von Interessenkonflikten oder aufgrundhandwerklicher Fehler schlecht erstellt worden. Dasist falsch, denn auch ohne Interessenkonflikte und beihöchster handwerklicher Fertigkeit lässt sich für kom-plexe Finanzinstrumente keine seriöse Vorhersage da-rüber machen, wie diese auf Änderungen wichtigerRahmenbedingungen reagieren werden. Es ist dahernur eine Scheinalternative, wenn in Zukunft die Anle-ger, Banken, Versicherungen etc. die Finanzinstru-mente stärker selber bewerten sollen. Wenn Risikenaufgrund der Komplexität des Produkts schlicht nichtbewertet werden können, dann hilft es auch nichts,wenn dies in Zukunft jemand anders als die Rating-agenturen machen soll.Die Risikobewertung von Finanzinstrumenten mussdem Ziel dienen, Risiken besser zu kennen, sie besserbewältigen zu können und letztlich unkalkulierbareRisiken gar nicht erst einzugehen. Als Gesetzgeberhaben wir dabei die besondere Pflicht, die Öffentlich-keit, das Gemeinwesen und damit die öffentlichenHaushalte vor falschen Risikobewertungen zu schüt-zen. Wenn die Finanzmarktakteure die Kosten ihrerfalschen Risikobewertungen gar nicht selbst tragenkönnen und daher der Staat am Ende für die falschenRisikobewertungen der Banken und Versicherungengeradestehen muss, dann haben wir als Gesetzgeberdie Pflicht, sie daran zu hindern, mit Risikobewertun-gen zu arbeiten, die Selbstbetrug sind. Genau das tutder Gesetzentwurf aber nicht.Sie alle kennen unseren Vorschlag, diesem Problembeizukommen. Er lautet Finanz-TÜV. In Zukunft sollendie Herausgeber von Finanzinstrumenten erst einmalnachweisen, dass die Risiken ihrer Produkte seriösZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4291
Dr. Axel Troost
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bewertet werden können und dass dabei nicht einfachRisiken auf die Öffentlichkeit abgeschoben werden.Nur wer das nachweisen kann, hat den Finanz-TÜVbestanden und darf sein Finanzprodukt auf den Marktbringen.Wenn die unkalkulierbaren Finanzinstrumente end-lich vom Markt sind, dann macht es erst richtig Sinn,sich bei den verbleibenden Instrumenten nicht blindauf Ratingagenturen zu verlassen und die Käufer undHändler auf den Finanzmärkten zu nötigen, sicheigene Gedanken über die Bonität der Papiere zumachen, die sie kaufen.Es gibt noch eine Vielzahl von Details, die wir unssicher in den Ausschussberatungen noch genau anse-hen müssen, und es finden sich durchaus positiveAnsätze in einzelnen Teilen des Gesetzes. Jenseits die-ser Details kann ich aber schon jetzt sicher sagen:Unter den Bedingungen des Hier und Heute greift IhrGesetzentwurf grundsätzlich zu kurz.
Eigentlich sollen nach der Theorie Finanzmärktedurch eine angemessene Preisbildung dafür sorgen,dass die wirtschaftliche Situation sich stabilisiert. Wohohe Risiken drohen, sollte eigentlich ein hoher Risi-koaufschlag genau das signalisieren und dadurch In-vestoren warnen. Ratingagenturen kommt hier einezentrale Rolle zu, indem sie diese Risiken erkennenund publizieren sollen. Theoretisch.Doch das Gegenteil war in der Jahrhundertkriseder Fall. Die Risikoaufschläge an den Finanzmärktenwaren zu keinem Zeitpunkt so gering wie im Momentdes höchsten Risikos, nämlich kurz vor Ausbruch derFinanzkrise. Die toxischen Papiere des US-amerikani-schen Immobilienmarktes bekamen jahrelang Bestno-ten, obwohl derlei strukturierte Produkte ganz andereAusfallwahrscheinlichkeiten hatten als Unterneh-mens- oder Staatsanleihen. Kein Wunder, wenn dieBewerteten die Ratingagenturen für ihre Urteile be-zahlen – ein Geschäftsmodell mit eklatanten Fehlan-reizen. Doch solange alle vom Dreifach-A hypnotisiertwaren, funktionierte das System. Gute Renditen mit ge-ringem Risiko – es war zu schön, um wahr zu sein.Und tatsächlich entstanden irgendwann Zweifel ander Zahlungsfähigkeit der Gläubiger. Die Risikoauf-schläge schnellten in kürzester Zeit auf Rekordhöhe,die Werte der Papiere stürzten ab. Die eilig nach untenkorrigierten Bewertungen der Ratingagenturen heiztendiesen Prozess noch an, da viele Finanzmarktteilneh-mer auf die Noten der Agenturen schielten. Es kam zusynchronen Panikverkäufen, die die Preise weiter nachunten trieben. So haben die Ratingagenturen geradenicht zur Stabilität, sondern zur Instabilität beigetra-gen.Geschichte wiederholt sich nicht. Diesen Satz müs-sen wir auch an den Finanzmärkten berücksichtigen.Der Glaube, Ausfallrisiken aufgrund von Daten ausder Vergangenheit berechnen zu können, hat viel zulange die Regulierungsagenda geprägt. Es gibt aberauch Phänomene, die nicht riskant, sondern funda-mental unsicher sind, und dazu gehört das menschli-che Handeln. Dieses Restrisiko wurde von den Rating-agenturen verdrängt und damit stets und langeunbemerkt von der Gesellschaft getragen. Trotz ihrerzweifelhaften Rolle konnten Ratingagenturen ihr Ge-schäftsmodell über die Krise retten. Sie mussten fürihre Fehler nicht haften. Deswegen begrüßen wir prin-zipiell die Regulierungsbemühungen, die Bedeutungexterner Ratingurteile deutlich zu mindern und dieHaftung der Agenturen zu erhöhen.Mit der EU-Verordnung CRA III und der begleiten-den Richtlinie, die mit dem vorliegenden Gesetz umge-setzt wird, werden Finanzmarktteilnehmer angehalten,sich nicht alleine auf die Einstufungen der Rating-agenturen zu verlassen, sondern verstärkt auf interneRatings zu setzen. Dabei schätzen Banken oder Invest-mentfonds selbst die Risiken aus ihren Investitionenein. Das führt aber aus zwei Gründen nicht zur Lösungdes dargelegten Problems grundsätzlicher Unsicher-heit. Zum einen werden die Parameter, die zur internenBerechnung von Risiken herangezogen werden, sichnicht fundamental von Institut zu Institut unterschei-den. In einer Krisensituation werden wir also auchhier Panikverkäufe und Herdenverhalten beobachtenkönnen. Zum anderen besteht ein eklatanter Zielkon-flikt zwischen den Renditeinteressen der Investorenund dem Stabilitätsinteresse des Steuerzahlers. Fürweniger riskante Investitionen muss weniger haftendesEigenkapital vorgehalten werden. Damit gibt es sei-tens der Finanzmarktakteure immer einen Anreiz, dieInvestitionen schönzurechnen. Die Unabhängigkeitvon externen Ratings befördert so die Aufweichungvon Stabilitätsstandards. Das Risiko aber verschwin-det nicht.Die Kriterien, nach denen mit dem Gesetz Unab-hängigkeit von externen Ratings gewährleistet werdensoll, bleiben vage. Die BaFin soll dem automatischenRückgriff auf Ratings „entgegenwirken“ – allein, kon-kret wird der Gesetzestext an keiner Stelle. Wir Grünenhaben im Europaparlament dafür gestritten, die pro-zyklische Wirkung automatischer Verkäufe bei Rating-abstufungen zu verhindern. Dafür müsste man etwaFonds daran hindern, damit zu werben, dass ein Min-destprozentsatz der von ihnen erworbenen Werte einbestimmtes Rating hat. Denn dies hatte in der Vergan-genheit zu Marktturbulenzen geführt, wenn viele In-vestoren nach einer Abstufung durch die Ratingagen-turen gleichzeitig verkaufen müssen. Geblieben istaber nur eine Erwägung in der Verordnung.Die Begrenzung eklatanter Interessenkonflikte wiedie Beschränkung gegenseitiger Beteiligungen zwi-schen Ratingagenturen und bewerteten Institutionen,wie auch Höchstlaufzeiten vertraglicher Beziehungenzu einer Ratingagentur und die zivilrechtliche Haftungsind Schritte in die richtige Richtung. Doch solangedie Ratingagenturen von denjenigen bezahlt werden,die sie bewerten, kann von Objektivität keine Redesein.Zu Protokoll gegebene Reden
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4292 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Gerhard Schick
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Bis 2020 sollen externe Ratings aus allen europäi-schen Rechtsvorschriften verschwinden. Wir Grünenhalten allerdings eine Maßnahme noch für viel wichti-ger: mehr Eigenkapital im Finanzsystem. Nur durcheine risikounabhängige Verschuldungsquote kann manrealistisch damit umgehen, dass sich Risiken nichtwegrechnen lassen und die Haftung dort hingehört, woauch die Gewinne auflaufen: bei den Investoren –nicht bei den Steuerzahlern. Anstatt eines paternalisti-schen Aufsichtsregimes, das weit in die Geschäftspoli-tik der Institute eingreift und jedes interne Modell derRisikobewertung einer Prüfung unterzieht, sollten wiruns mit klaren Haftungsregeln wieder auf marktwirt-schaftliche Grundprinzipien besinnen. Eine angemes-sene Eigenkapitalausstattung erreicht das, indem siedazu führt, dass die Risiken wieder von den Eigentü-mern getragen werden.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/1774 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im
Kontext internationaler Entwicklungszusam-
menarbeit und der Post-2015-Agenda
Drucksache 18/1958
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Sie sind damit einverstanden.
Ein Bevölkerungswissenschaftler antwortete vor ei-nigen Jahren auf die Frage: „Ist es eine gute oder eineschlechte Nachricht, dass wir 7 Milliarden Menschenauf der Welt sind?“, dass dies keine schlechte Nach-richt sein könne, da mit jedem Menschenleben mehrWerte verbunden seien als Gefahren, Risiken undSchäden. Diese Einstellung finde ich bemerkenswert,und sie entspricht nach meiner Wahrnehmung genauder Stimmung und dieser Art „Aufbruchgefühl“ beider Weltbevölkerungskonferenz, International Confe-rence on Population and Development, ICPD, der Ver-einten Nationen, VN, in Kairo 1994. Aus bevölke-rungspolitischer Sicht weltweit war die Konferenz einMeilenstein. 179 Staaten bekannten sich mit der Ver-abschiedung des Kairoer Aktionsprogramms zur Stär-kung der Menschenrechte und der Menschenwürde. ImGegensatz zum bisherigen Ansatz, der vor allem dasrasante Bevölkerungswachstum in den Blick nahm,rückte nun das Individuum in den Fokus bevölkerungs-politischer Debatten und Lösungsvorschläge. Dahin-ter steht die Überzeugung, dass Mädchen, Jungen,Frauen und Männer, die sich ihrer gesundheitlichen,reproduktiven und sexuellen Rechte bewusst sind unddiese uneingeschränkt wahrnehmen können, das Be-völkerungswachstum nachhaltig beeinflussen.Seither ist viel passiert, 20 Jahre sind vergangen.International wird um die vollständige Umsetzung desKairoer Aktionsprogramms gerungen. Nach der Kon-ferenz in Kairo hat es keine weitere Weltbevölkerungs-konferenz der VN gegeben, dafür einen umfassendenReview-Prozess, um die bisherigen Fortschritte bei derUmsetzung des Aktionsprogramms zu evaluieren undSchwerpunkte für die nächsten Jahre zu identifizieren.Hier hat sich eine Vielzahl von Staaten eingebracht,nicht zuletzt mittels regionaler Konferenzen. UnserAntrag beschreibt die Bedeutung dieser weltumspan-nenden bevölkerungspolitischen Debatte sehr schön:„Das Ziel des so genannten ICPD-Prozesses ist es,sich auf gemeinsame bevölkerungspolitische und men-schenrechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das je-weilige nationale Entwicklungsniveau heben und jederFrau, jedem Mann und jedem Kind ein besseres Lebenermöglichen.“Am 22. September 2014 nun wird sich die General-versammlung der VN in einer Sondersitzung mit derUmsetzung des Kairoer Aktionsprogramms befassen.Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des Antrags, dievollständige Umsetzung des Aktionsprogramms wei-terhin zu unterstützen sowie einige Schwerpunkte her-vorzuheben, die uns in der Koalition besonders amHerzen liegen:Erstens: strukturelle Ungleichstellung. Hier erken-nen wir an, dass Gleichberechtigung zwischen denGeschlechtern eine schnellere Entwicklung bedeutet.Mädchen und Jungen müssen in die Lage versetzt wer-den, gleichberechtigt aufzuwachsen und den gleichenZugang zu Bildung zu haben. Frauen und Mädchen be-nötigen nach wie vor Unterstützung, damit sich ihrerechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stel-lung verbessert. Chancengleichheit beschäftigt aller-dings nicht nur Entwicklungsländer. Es freut mich,dass der Antrag auch besagt: „… in Industrieländerngibt es noch keine durchgängig gleichwertige Bezah-lung von Frauen und Männern und keinen angemesse-nen Anteil von Frauen in Führungspositionen.“Zweitens: Jugend im Fokus. Auch hier möchte ichaus unserem Antrag zitieren, um die Bedeutung diesesSchwerpunktes darzustellen: „Die Überprüfung derUmsetzung des Kairoer Aktionsprogramms hat ge-zeigt, dass nur wenige Staaten messbare Fortschrittevorzuweisen haben bei der Bereitstellung von men-schenrechtsbasierten und integrierten Dienstleistun-gen zugunsten sexueller und reproduktiver Gesundheitund Rechte für alle Jugendlichen.“ Das ist alarmie-rend, und deshalb treten wir dafür ein, dass Jugendli-che ganz spezifisch unterstützt und aufgeklärt werden,wenn es um den Zugang zu Informationen, Bildung,umfassender Sexualerziehung und jugendfreundlichenGesundheitsdienstleistungen geht sowie um sexuelleSelbstbestimmung.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4293
Frank Heinrich
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Drittens: sexuelle und reproduktive Gesundheit undRechte. Um erst gar keine Diskussion aufkommen zulassen: Der Antrag unterstreicht unmissverständlichdie Vereinbarung von Kairo, dass Schwangerschafts-abbrüche als Instrument der Familienplanung ausge-schlossen sind. Das ist uns als Fraktion sehr wichtig.Mein Traum ist es, dass Abtreibungen eines Tages aus-gestorben sind, weil unsere Welt so entwickelt und sogebildet ist, dass es keine sexuelle Gewalt und keineungewollten Schwangerschaften mehr gibt. Dies istder eine Aspekt, der mir im Zusammenhang mit diesemdritten Schwerpunkt wichtig ist. Der andere Aspektbetrifft den Bereich „sexuelle Rechte“. Gerade alsEntwicklungspolitiker beobachten wir mit großerSorge, wie in einigen Ländern mit sexueller Selbst-bestimmung, einvernehmlicher Partnerschaft, gegebe-nenfalls Heirat, oder einvernehmlichen sexuellen Be-ziehungen umgegangen wird. Dabei geht es nicht nurum die Rechte Homosexueller, sondern um die sexuelleSelbstbestimmung aller. Einige afrikanische Länderpositionieren sich hier in extremer Weise, sie missach-ten individuelle Menschenrechte sogar per Gesetz.Aber auch viele andere Länder stehen hier vor großenHerausforderungen. Die Liste der Länder und der Pro-bleme ist lang. Nicht zuletzt möchte ich auch hier dieForderung des Antrags unterstreichen, „die politi-schen Aktivitäten im Bereich der sexuellen und repro-duktiven Gesundheit und Rechte nicht auf Entwick-lungs- und Schwellenländer zu beschränken.“ Eintrauriges Beispiel: Selbst in Deutschland stehen wirEhrenmorden ohnmächtig gegenüber. Das Ziel des An-trages ist es also auch, ein internationales Signal zusenden, dass wir die Einhaltung sexueller und repro-duktiver Gesundheit und Rechte fordern und die Ent-wicklungen aufmerksam beobachten.Es freut mich, dass es uns gelungen ist, mittels die-ses Antrags die Fortführung erfolgreicher Initiativender G8/G7 und des BMZ zu Kinder- und Müttersterb-lichkeit bzw. zu selbstbestimmter Familienplanung zufordern. Zudem war es mir persönlich wichtig, anunser selbstgestecktes Ziel, 0,7 Prozent des Bruttona-tionaleinkommens für Mittel der Entwicklungszusam-menarbeit bereitzustellen, zu erinnern.Abschließend möchte ich die Relevanz des Antragesim Kontext der Post-2015-Agenda herausstellen, diegerade erarbeitet wird. Uns als Koalition ist es wich-tig, dass das Kairoer Aktionsprogramm umfassendEingang findet in diese neue Agenda. Des Weiterensind wir dafür, dass „eigenständige Ziele für Gesund-heit und für Geschlechtergerechtigkeit mit Unterzielenzu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte… als Vorschlag seitens Deutschlands weiterhin in dieVerhandlungen zur Post-2015-Agenda eingebrachtwerden.“ Dafür wird es nötig sein, sich internationalauf eine Definition der Begrifflichkeit „sexuelle undreproduktive Gesundheit und Rechte“ zu einigen. Hiermöchte ich zu einer offenen und ehrlichen Debatte er-mutigen und bringe mich selbst gerne ein.
Vor 40 Jahren startete in Bukarest ein weltweitesUmdenken. Menschenrechte, Menschenwürde und dieStärkung des Individuums wurden zum Kern der inter-nationalen Bevölkerungspolitik. Menschenrechte dür-fen nicht nur Männerrechte sein. In Konsequenz da-raus rückte der Stand von Frauen in der Gesellschaftin den Fokus. Heute herrscht genauso Konsens da-rüber, dass Frauen das Fundament einer demokrati-schen Gesellschaft sind, wie Konsens darüberherrscht, dass eine wachsende Weltbevölkerung nurdurch die weltweite Gleichberechtigung von Frauen inden Griff zu bekommen ist. Simone de Beauvoirschrieb 1949 und damit 25 Jahre vor der ersten Welt-bevölkerungskonferenz in „Das andere Geschlecht“:„Am Rande der Welt situiert zu sein, ist keine günstigeAusgangslage für einen, der vor hat, die Welt neu zuerschaffen.“ Da Gewalt, Rechtlosigkeit und Unterdrü-ckung heute aber immer noch die Lebenssituation vonzig Millionen Frauen vor allem, aber nicht nur in Ent-wicklungs- und Schwellenländern kennzeichnen, istunsere aktive Unterstützung der Gleichstellung derFrauen oberstes Gebot. Dies stellen wir klar mit unse-rem Antrag dar.Indien hat in der letzten Zeit immer wieder interna-tional Schlagzeilen gemacht durch brutalste Vergewal-tigungen, bei denen fast immer der Tod des Opfers inKauf genommen wurde oder das Opfer im Anschlussan die Tat ermordet wurde. In den Krisen- und Kriegs-gebieten dieser Welt wird Vergewaltigung zunehmendals Waffe gebraucht. Dies ist keine neue Problematik,und ich würde mir wünschen, dass es diesbezüglich in-ternational ähnliche Aufschreie geben würde wie beieinem Schiedsrichterfehler in der laufenden Fußball-weltmeisterschaft. Jedoch ist die steigende Entwick-lung in Zahl und Brutalität ein wachsendes Unrecht,dem entschieden begegnet werden muss. SystematischeVergewaltigungen wie in Ruanda, in Bosnien oder imKongo müssen international geächtet werden. Einwichtiger Schritt auf diesem Weg ist mit der Konferenzzu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten in Lon-don diesen Monat vollzogen worden, an der Vertretervon 117 Nationen sowie von Hilfs- und Menschen-rechtsorganisationen teilgenommen haben. Dort wurdeein Protokoll verabschiedet, das Richtlinien festlegt,wie sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als sol-che erkannt und verfolgt werden kann. Darüber hinausmüssen wir jedoch auch den Opfern jegliche Unter-stützung gewähren, um mit den Folgen der Vergewalti-gungen umzugehen.Neben den Aspekten der Rechte von Frauen und derGewalt gegen Frauen ist der Aspekt der Bildung vonzentraler Bedeutung. Auch dies betont unser Antrag.Nur wenn es gelingt, Mädchen und Frauen denselbenZugang zu Bildung zu ermöglichen wie Jungen undMännern, können sie Rechte erlangen und auch wahr-nehmen. Nur durch Bildung werden Frauen befähigt,qualifizierter Arbeit nachzugehen. Nur mit qualifizier-ter Arbeit können Frauen ihren eigenen Lebensunter-halt bestreiten und Unabhängigkeit erlangen.Zu Protokoll gegebene Reden
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4294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Dr. Georg Kippels
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Mit unserem Antrag „20 Jahre nach Kairo – Bevöl-kerungspolitik im Kontext internationaler Entwick-lungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda“ un-terstützen wir die weltweite Ermächtigung von Frauenund fordern wir auch die Bundesregierung auf, demnachzukommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kairo stellt für mich einen Meilenstein dar. Demträgt unser Antrag Rechnung. Neben anderen wichti-gen bevölkerungspolitischen Themen hoben bereitsvor 20 Jahren die teilnehmenden 179 Staaten die Rollevon Frauen und Mädchen hervor.Mit der nächsten Konferenz im September in NewYork werden wir weiter daran arbeiten, die Herausfor-derungen zur Stärkung von Frauen und Mädchen unddes Wohlergehens von Individuen, Familien, Staatenund unserer Welt zu erreichen. Innerhalb von fünf Mi-nuten werden mindestens zwei Frauen an Komplika-tionen während der Schwangerschaft oder bei derGeburt sterben. Pro Tag sind das rund 800 Frauen. IhrTod wäre vermeidbar, weil es sich um vermeidbareKomplikationen handelt, vermeidbar, wenn sie auf eineausreichende medizinische Versorgung zurückgreifenkönnten, vermeidbar, wenn das Stadt-Land-Gefälleden Zugang zu Diensten für reproduktive Gesundheitnicht zusätzlich erschweren würde.Denn während in Deutschland und Europa Frauenjederzeit und überall auf die medizinische Betreuungwährend der Schwangerschaft und bei der Geburt zu-rückgreifen können, liegt die Quote in Städten in unse-ren Partnerländern bei circa 84 Prozent, im ländlichenRaum sogar nur bei circa 53 Prozent. Das sind gerademal halb so viele wie bei uns – halb so viele Frauen,die darauf hoffen können, dass sie selbst und ihre Kin-der die Schwangerschaft und die Geburt überleben.Seit der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklungim Jahr 1994 in Kairo hat Deutschland insgesamtmehr als 1 Milliarde Euro für die Verbesserung der re-produktiven Gesundheit in Entwicklungsländern zurVerfügung gestellt und auf dem G-8-Gipfel in Muskokaim Jahr 2010 weitere Mittel für die Gesundheit vonMüttern und Kindern zugesagt. Bei weiteren Konferen-zen wird ausdrücklich darum geworben, sich auf ge-meinsame bevölkerungspolitische und bevölkerungs-rechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das jeweiligenationale Entwicklungsniveau heben und jeder Frau,jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben er-möglichen.Im April war ich als Parlamentsvertreterin bei der6. Internationalen Parlamentarierkonferenz in Stock-holm. Dort versammelten sich Parlamentarier aus al-len Ländern, um sich in Stockholm der Umsetzung derZiele zu widmen, die wir hier im vorliegenden Antragunserer Regierungskoalition formuliert haben. DieICPD-Konferenzen finden in geregelten Abständenstatt, um sich mit dem Thema Bevölkerungsentwick-lung zu befassen, zu lernen und zu netzwerken undkonkrete Maßnahmen zu planen. Mir hat es einenwichtigen Anstoß gegeben, hier im Parlament für poli-tische und finanzielle Unterstützung für die Themenbe-reiche der Entwicklungszusammenarbeit zu werben.In den Entwicklungsländern selbst geht es nochmehr darum, auch die politischen Rahmenbedingun-gen zu schaffen. Die IPCI widmet sich genau diesenFragestellungen. Aus der Konferenz heraus haben wireine Erklärung verfasst, welche die Fragen der Bevöl-kerungsentwicklung umfassend darstellt.Sicherlich bemerken wir Fortschritte bei der Errei-chung der Ziele, die auf der Konferenz des ICPD ge-setzt wurden, uns bleiben aber auch viele Herausforde-rungen für die vollständige Umsetzung.Zwei Dinge, die mich besonders berührt haben,möchte ich hier thematisieren: die Zwangsverheira-tung und die Geburtenregistrierung von Kindern.Erschüttert hat mich das Bild eines 11-jährigenMädchens, das an einen alten 68-jährigen Mann ver-kauft und verheiratet wurde. In ihren Augen war nichtsanderes als Angst und Schrecken, tiefste Furcht vordiesem Mann zu sehen, eine Furcht, die allzu oft be-gründet ist. Viele Mädchen überleben diese Zwangsehenicht, weil sie so schwer misshandelt und sexuell miss-braucht werden, dass sie sterben.Wir müssen dafür eintreten, Gesetzgebungen zu be-seitigen, die eine frühe und Zwangsheirat zulassen.Wir brauchen Erlasse zur Durchsetzung von Rechts-vorschriften über das gesetzliche Mindestheiratsaltervon 18 Jahren; wir müssen uns dafür einsetzen, dassschädliche Praktiken wie weibliche Genitalverstüm-melung verhindert werden. Wir benötigen Rechtsvor-schriften zum Umgang mit jugendlichen Schwanger-schaften, die unsichere Abtreibungen verhindern. Wirbrauchen die Aufwertung des Status von Frauen undMädchen und die Bewältigung der negativen sozialenFolgen von Geschlechterstereotypen. Wir braucheneine umfassende Sexualerziehung für Jungen undMädchen. Diese Ausbildung muss genaue Angabenenthalten über die menschliche Sexualität Schwanger-schaft und Geburt, HIV und sexuell übertragbareKrankheiten, Familienleben und die zwischenmensch-lichen Beziehungen, Kultur und Sexualität, und Men-schenrechtsschutz.Mit unserer Politik, mit Programmen und Gesetzenverpflichten wir uns, die Rechte aller zu schützen undzu fördern. In dem Zusammenhang möchte ich michmeinem zweiten schon erwähnten Thema zuwenden –der Geburtenregistrierung.In der Kinderrechtskonvention ist in den Artikeln 7und 8 das Recht verbrieft, dass jedes Kind ein Rechtauf seine Identität hat, das Recht zu wissen, wer es ist,zu welchem Staat es gehört und wer seine Eltern sind.Das Kind hat ein Recht darauf, dass es unverzüglichnach seiner Geburt in ein Register eingetragen wird.Es hat das Recht auf einen Namen und von Geburt andas Recht, eine Staatangehörigkeit zu erwerben.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4295
Michaela Engelmeier-Heite
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Warum ist das so wichtig? Nein, es handelt sich hiernicht um einen bürokratischen Akt, den man vernach-lässigen kann. Weltweit sind rund 230 Millionen Kin-der unter fünf Jahren in keinem Geburtenregister ein-getragen. Mit weitreichenden Folgen: Weder könnensie ihre Nationalität nachweisen, noch nachweisen,wann sie geboren wurden oder wie sie heißen.In Afrika südlich der Sahara sind es 56 Prozent, undin Somalia und Liberia werden nur 3 respektive 4 Pro-zent der Kinder registriert. Kinder ohne Geburtsscheinsind juristisch inexistent und deshalb stärker demRisiko für Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt aus-gesetzt. Nichtregistrierte Kinder sind im erhöhtenMaße gefährdet für Kinderhandel, Kinderarbeit oderden verfrühten Einzug in den bewaffneten Dienst.Für nichtregistrierte Kinder ist zudem der Zugangzu staatlicher Bildung und medizinischer Versorgungschwierig bis unmöglich, und das Gesetz legt ihnenauch später weitere Barrieren in den Weg: Erwach-sene ohne Geburtsschein können keinen Pass bekom-men, haben keine Bürger- und Wahlrechte, können keinKonto eröffnen, keinen Besitz erwerben oder erbenund nicht offiziell reisen.Wie kommt es bei diesen weitreichenden Problemendazu, dass Menschen nicht registriert sind? Weil siekeine Kenntnis über ihre Rechte haben, es beschwerli-che Verfahren sind, sich benachteiligte Familien dieGebühren beim Ausstellen der Geburtsurkunde nichtleisten können, die Meldestellen für viele Familien,die in ländlichen Gebieten leben, nur schwer erreich-bar sind. Es fehlt aber auch an moderner mobilerTechnik der Datenerfassung, das Behördenpersonal istschlecht ausgebildet.Ein weiterer schwerer Hinderungsgrund ist, dassethnische Volksgruppen befürchten, durch die Regis-trierung noch stärker benachteiligt zu werden. InAfrika verfügen inzwischen viele Menschen über einHandy. Wäre es möglich, an eine offizielle Stelle eineSMS zur Geburtenregistrierung zu schicken, wäre einniedrigschwelliges Angebot geschaffen, das sichschnell und kostengünstig realisieren ließe.Sie sehen: Hier können wir helfen. Mit wirksamenProgrammen werden wir uns aktiv an Problemlösun-gen beteiligen und Hilfe leisten. Und das werden wirauch tun!
Wenn ein Mann seine Ehefrau straflos vergewalti-gen darf, wenn er mit der Eheschließung ihr Vermögenund ihren Besitz erhält und ihr Arbeitsverhältnis kün-digen darf, dann ist das eine Missachtung von Frauen.Diese Rechtlosigkeit von Frauen hat es auch inDeutschland gegeben, teilweise vor gar nicht so lan-ger Zeit. Vergewaltigung in der Ehe ist zum Beispiel inDeutschland erst seit 1997 strafbar. Wenn Frauen ineiner Partnerschaft keine Rechte haben, ist eine selbst-bestimmte Familienplanung unmöglich. Gleichberech-tigung ist daher die Voraussetzung, wenn wir die sexu-elle und reproduktive Gesundheit und entsprechendeRechte weltweit gewährleisten wollen.Die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vor20 Jahren war ein Meilenstein. 179 Staaten erkanntendamals sexuelle und reproduktive Gesundheit als Teildes fundamentalen Menschenrechts auf Gesundheitan. Die Konferenz stellte klar, dass reproduktiveRechte individuelle Menschenrechte sind, die ein Staatgewährleisten muss. Mit unserem Antrag knüpfen wirdaran an und wollen dieser Bewegung neuen Schwunggeben. Im Kern gehen wir damit noch weiter: Wir for-dern Gleichberechtigung für Frauen, und zwar welt-weit.Was bedeuten sexuelle und reproduktive Gesundheitund Rechte im Einzelnen? Das bedeutet zum einen,dass die Familienplanung eine selbstbestimmte Ent-scheidung ist, die frei von Zwängen und Vorgaben seinmuss. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, vorzu-schreiben, wer wann wie viele Kinder bekommt. Zumanderen ist der Staat aber in der Pflicht. Er muss eineselbstbestimmte Familienplanung ermöglichen, indemer Aufklärung, Beratung und Verhütungsmittel zur Ver-fügung stellt. Der Mangel an Information ist in vielenLändern weiterhin ein großes Problem. Wie schützeich mich vor Geschlechtskrankheiten? Wie kann icheine Schwangerschaft, die ich nicht will, vermeiden?Nur wenn eine Frau und ein Mann überhaupt wissen,wie sie verhüten können und Zugang zu Verhütungs-mitteln haben, können sie selbstbestimmt über ihre Fa-milienplanung entscheiden. Weltweit wollen laut derDeutschen Stiftung Weltbevölkerung 220 MillionenFrauen verhüten, haben aber keine Möglichkeit dazu.Bei dem Zugang zu Information und Verhütungsmittelnmüssen wir Männer naturgemäß einbeziehen. Man-gelndes Wissen über Verhütungsmöglichkeiten und derfehlende Zugang dazu betreffen beide Partner.Eine weitere Grundlage für selbstbestimmte Fami-lienplanung sind Schutzvorschriften sowie die rechtli-che wie gesellschaftliche Stärkung von Frauen – letzt-lich also die Gleichberechtigung der Geschlechter. InLändern, in denen Männer rechtlich und faktisch dieVerfügungsgewalt über Frauen haben, können die se-xuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte nichterfüllt werden. Deswegen brauchen wir weltweit dengleichen Zugang zu Bildung, Arbeit und Eigentum so-wie Schutzvorschriften, um Menschenrechtsverletzun-gen wie Zwangsverheiratung, „Kinderbräute“ undGenitalverstümmelung zu stoppen. Es ist auch dieAufgabe Deutschlands, sich international für dieseThemen einzusetzen.Insbesondere junge Mädchen brauchen in vielenLändern Schutzvorschriften und gesellschaftlichenWandel. Das zeigt das Beispiel Genitalverstümmelung.In Ländern wie Somalia sind fast alle Frauen vonGenitalverstümmelung betroffen. Ihnen werden Teileoder die gesamten äußeren Genitalien entfernt – ohneBetäubung und mit verunreinigten Werkzeugen wieRasierklingen und Glasscherben. Diese Prozedur kos-tet viele Menschenleben und betrifft auch DeutschlandZu Protokoll gegebene Reden
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4296 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Gabriela Heinrich
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und Europa. Terre des Femmes schätzt, dass allein inDeutschland 25 000 Frauen genitalverstümmelt sindund weitere 2 500 Frauen und Mädchen gefährdetsind. Es gibt mittlerweile Fortschritte. So sieht zumBeispiel die neue Verfassung in Somalia ein Verbot derGenitalverstümmelung vor. Die besten Gesetze nützenjedoch nichts, wenn sie nicht eingehalten werden undniemand ihre Einhaltung sicherstellt. Gesellschaft-licher Wandel kann viel für die Frauen weltweit er-reichen, und die Basis dafür sind Information undAufklärung. Gerade beim Thema Genitalverstüm-melung zeigt sich in der Praxis, dass die meistenFortschritte mit Einbeziehung von Geistlichen undStammesführern erreicht werden. Denn viele Tradi-tionsverfechter sind sich gar nicht im Klaren darüber,welche gesundheitlichen Probleme die Genitalver-stümmelung verursacht, und hinterfragen diese Praxisnicht. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch,Jungen und Männer sowie örtliche religiöse und ge-sellschaftliche Entscheidungsträger in Aufklärungs-maßnahmen einzubeziehen.Die Gleichberechtigung von Frauen in einer Gesell-schaft ist die Basis für eine freie Entscheidung über dieFamilienplanung. Generell gilt, dass sich Länderschneller und besser entwickeln, in denen Frauenweitgehend gleichberechtigt sind. Wenn sexuelle undreproduktive Gesundheit und Rechte gewährleistetwerden, ist das eine gewichtige Entwicklungschanceund der Schlüssel dafür, die Mütter- und Kindersterb-lichkeit zu senken. Weil sexuelle und reproduktiveGesundheit und Rechte weltweit nicht ausreichend ge-währt werden, gibt es 80 Millionen ungewollteSchwangerschaften und 20 Millionen unsichere Ab-treibungen im Jahr. Jeden Tag sterben junge Frauenbei unsicheren Abtreibungen. Jeden Tag werdenKinder geboren, die nicht gewollt sind und nicht aus-reichend versorgt werden können.Zu den Millenniumsentwicklungszielen gehören so-wohl die Gleichstellung der Geschlechter als auch diebessere Gesundheitsversorgung für Mütter mit demZugang zu reproduktiver Gesundheit und mit der Sen-kung der Müttersterblichkeit. Ebenso ist die Bekämp-fung von HIV/Aids immer noch ein wichtiger Punkt aufder Agenda. Sexuelle und reproduktive Gesundheit undRechte sind der Motor, um diese Millenniumsziele zuerreichen. Und deswegen fordern wir mit unseremAntrag, dass sich die Bundesregierung im Rahmen derPost-2015-Agenda weiterhin für Geschlechtergerech-tigkeit und Gesundheit als eigenständige Ziele mit denjeweiligen Unterzielen zu sexueller und reproduktiverGesundheit und der Wahrung reproduktiver Rechteeinsetzt. Ich halte das für ganz entscheidende Punkte,denn Frauenrechte sind ein Entwicklungsmotor.Dabei ist für uns klar, dass sexuelle und repro-duktive Gesundheit und Rechte eng mit den Men-schenrechten verknüpft sind. Wir fordern daher ei-nen diskriminierungsfreien Zugang für die gesamteBevölkerung, also unabhängig von Geschlecht, Alter,Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung,Geschlechteridentität oder sexueller Orientierung.Konkret heißt das auch, dass ein Staat zum BeispielSchwulen und Lesben nicht den Zugang zu Gesundheit,zu Verhütungsmitteln zur Prävention von Geschlechts-krankheiten und zu Information versperren darf unddass wir mit unserer Entwicklungspolitik dafür sorgenmüssen, solche Sperren aufzubrechen, dass wir uns in-ternational noch stärker dafür einsetzen müssen, diemenschenrechtswidrige Verfolgung aufgrund der sexu-ellen Orientierung zum Beispiel in Uganda aber auchin etlichen weiteren Ländern wie zum Beispiel Zentral-afrika, Sudan, Südsudan, Kamerun und Tansania zustoppen.Um 20 Jahre nach Kairo neue Impulse für die sexu-elle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu schaf-fen, müssen wir unser nationales und internationalesEngagement fortsetzen. Deswegen fordern wir einNachfolgeprogramm für die im Jahr 2015 auslaufendeMuskoka-Initiative zur Senkung der Kinder- und Müt-tersterblichkeit und eine Fortsetzung der Initiative„Selbstbestimmte Familienplanung und Mütter-gesundheit“. Ich sage das aber ganz klar: Für Fort-schritte werden wir in Zukunft mehr Geld in die Handnehmen müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbei-ten, unser internationales Versprechen zu erfüllen,0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Mittelder Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Da-von sind wir noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es,dass künftige Spielräume im Haushalt vorrangig dafürgenutzt werden, dass wir international wieder ein Vor-bild werden und gegenüber unseren Partnern Verläss-lichkeit beweisen.Ich möchte mich noch ausdrücklich bei meinemKollegen Frank Heinrich und der Union für die guteZusammenarbeit bei diesem Antrag bedanken. Mitunserem Antrag stellen wir die Weichen, um insbeson-dere Frauen und Frauenrechte weltweit zu stärken.Wir hoffen daher auf Zustimmung des ganzen Hauseszu unserem Antrag. Das wäre ein gutes und wichtigesSignal.
In Diskussionen über das Thema Weltbevölkerungwerden fast immer drastische Szenarien ausgepackt.Von der Gefahr einer Überbevölkerung ist dann dieRede und davon, dass uns das begrenzte ÖkosystemErde um die Ohren fliegen würde. Dahinter steckt oftPanikmache. Schaut man sich die Fakten an, ergibtsich ein anderes Bild. Die Vereinten Nationen rechnenheute mit drei verschiedenen Szenarien für die demo-grafische Entwicklung der Weltbevölkerung.Im hohen Szenario steigt die Weltbevölkerung vonheute 7 Milliarden bis ins Jahr 2300 auf 36 MilliardenMenschen an. Das wäre eine Katastrophe. Auf demWeg dahin würde es tatsächlich zum ökologischen Kol-laps kommen. Dieses Szenario ist aber extrem unwahr-scheinlich.Zu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4297
Niema Movassat
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Im mittleren Szenario wächst die Weltbevölkerungauf 9 Milliarden. Das klingt auch nach viel. Aberschon heute produzieren wir genügend Lebensmittelfür 12 Milliarden Menschen. 9 Milliarden sind also re-lativ unproblematisch, wenn die Ressourcen global ge-rechter verteilt würden und man davon ausgeht, dasswir uns in puncto Nachhaltigkeit noch wesentlich ver-bessern können.Im unteren Szenario schrumpft die Weltbevölkerungsogar auf 2,3 Milliarden Menschen.Die Geburtenrate, um eine gleichbleibende Bevöl-kerungszahl zu gewährleisten, liegt statistisch bei2,1 Kindern pro Frau. Schon heute lebt aber die Hälfteder Weltbevölkerung in Ländern, die eine niedrigereGeburtenrate haben. Das gilt heute für alle europäi-schen Staaten ebenso wie für die bevölkerungsreichenSchwellenländer China und Brasilien. Die Geburten-rate aller sogenannten entwickelten Staaten liegt so-gar im Schnitt bei nur 1,6 Kindern pro Frau und wäresomit auf Dauer sogar existenzbedrohend. Wenn alsoheute schon in dem einen Teil der Welt zu wenige Men-schen auf die Welt kommen, in anderen Teilen aber zuviele – was ist logischer, als die Unterschiede durchgezielte und wohlgesteuerte Migrationsbewegungenauszugleichen?Auch Deutschland wird ohne Einwanderung defini-tiv drastisch schrumpfen. Doch statt aus dieser Tat-sache eine Win-win-Situation zu machen, die demo-grafischen Defizite auszugleichen und gleichzeitigMenschen aus dem globalen Süden eine Chance aufein menschenwürdiges Leben zu eröffnen, machenBundesregierung und EU die Grenzen dicht. Dieeuropäische Flüchtlingspolitik verweigert sich jederRealität. Sie ist dumm, kurzsichtig und menschenver-achtend. Sie alle, liebe Mitglieder der Regierungs-koalition, sind dafür zu einem erheblichen Maß mitver-antwortlich. Jetzt wollen Sie sogar noch das restriktivedeutsche Asylrecht weiter verschärfen.Hören Sie endlich auf, die Festung Europa weiterauszubauen. Hören Sie endlich damit auf, die Men-schen im Mittelmeer ersaufen zu lassen, hören Sie end-lich damit auf, Menschen, sogar Minderjährige, in La-gern einzusperren, nur weil sie sich auf die Suche nacheinem besseren Leben gemacht haben. Machen Sieendlich die Grenzen auf für eine humane Bevölke-rungsbewegung, die zu unser aller Vorteil ist.Der grundlegenden Stoßrichtung des Koalitionsan-trags, 20 Jahre nach der Kairoer Weltbevölkerungs-konferenz deren Grundlagen zu bekräftigen, stimmenwir zu. Sexuelle und reproduktive Gesundheit undRechte sind zentrale Menschenrechte. Alle Menschenmüssen ihre Sexualität risikofrei leben können. DieLinke begrüßt, dass sich die Koalitionsfraktionen soeinmütig und deutlich dazu bekennen. Doch schreit dieDiskrepanz zwischen den schönen Worten und der rea-len Politik von CDU/CSU und SPD geradezu zumHimmel.Wie kann man die Diskriminierung von Frauen undMädchen so plakativ als quasi absolutes Grundübel„nachdrücklich verurteilen“, aber gleichzeitig die ab-solutistische saudische Herrscherfamilie zu seinen en-gen Verbündeten zählen und ihre Herrschaft gar mitWaffenlieferungen stützen? In diesem Land und ebensobei anderen guten Partnern der deutschen Außenpoli-tik ist die absolute Rechtlosigkeit der Frau Staatsreli-gion. Deshalb war es auch schon pure Augenwische-rei, als die Bundesregierung erklärte, sie führe amHindukusch einen Krieg zur Verteidigung der Frauen-und Mädchenrechte. Früher wie heute gilt: Solangedie Bundesregierung nicht ihre verlogene Doppelmo-ral endlich beendet, bleiben ihre Proklamationen derFrauenrechte nur hohle Floskeln.Der vorliegende Antrag thematisiert leider auch mitkeiner Silbe die für mich entscheidende Rolle der Ar-mut für die Bevölkerungsentwicklung. Wer Armut nichtzulässt, braucht sich auch um eine angebliche Bevöl-kerungsexplosion keine Gedanken zu machen. Sobalddas Einkommensniveau ein bestimmtes Maß erreichthat, sinkt die Geburtenrate automatisch. In Brasi-lien ist die Zahl der Kinder je Frau in den vergangenen30 Jahren von 4,3 auf 1,9 gesunken, in der Türkei von4,2 auf 2,0, in Extremfällen wie dem Iran sogar von7 auf 1,8. Armutsbekämpfung ist deshalb das sichersteVerhütungsmittel. Wenn wir endlich aufhören, Länderndes globalen Südens Freihandelsabkommen und Roh-stoffpartnerschaften nur zu unserem eigenen Nutzenaufzudrücken, wenn wir endlich die Politik beenden,die das Wohl der deutschen Privatwirtschaft an ersteStelle stellt, können sich die Länder des globalenSüdens endlich wirtschaftlich entwickeln. Regional zuhohes Bevölkerungswachstum würde sich automatischregulieren.Gänzlich absurd wird es, wenn die CDU/CSU- undSPD-Fraktion die Bundesregierung auffordern, daraufhinzuwirken, dass die EU-Staaten ihren finanziellenBeitrag im Sinne des Kairoer Aktionsprogrammsaufrechterhalten sowie weiter an der Umsetzung des0,7-Prozent-Ziels zu arbeiten. Die Bilanz der Bundes-regierung aus CDU/CSU/SPD fällt in allen genanntenBereichen vernichtend aus.Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Entwick-lungsbudget insgesamt liegt etwa die Hälfte unter dem,was als internationaler Standard gilt. Auch die Ausga-ben für Grundbildung sind trotz großer Ankündigun-gen viel zu gering. Mit 0,38 Prozent ODA-Quote liegtDeutschland als stärkste Wirtschaftsnation Europassogar insgesamt unter dem Durchschnitt der EU. DieBundesrepublik ist international ein denkbar schlech-tes Beispiel, wenn es um das tatsächliche internatio-nale Engagement für sexuelle und reproduktive Ge-sundheit und Rechte jenseits von wohlklingendenAnträgen geht.Weil der Antrag alle diese Probleme nicht ansprichtund auch nicht darauf gerichtet ist, die Widersprüch-lichkeit von Wort und Tat zu beenden, können wir alsZu Protokoll gegebene Reden
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4298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014
Niema Movassat
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Linke dem Antrag nicht zustimmen und werden unsenthalten.
Zwei minderjährige Mädchen werden in Indien bru-
tal vergewaltigt und am Baum erhängt. Ein Mädchen
wird in Pakistan auf dem Weg zur Schule niederge-
schossen. Gewalt gegen Frauen ist keine traurige Aus-
nahme, sondern weltweiter Alltag. Auch Armut trägt
ein weibliches Gesicht. 70 Prozent der Allerärmsten
sind Frauen. Mädchen erfahren Diskriminierung und
Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechtes – und dies
sogar schon häufig vor der Geburt. 100 Millionen
weibliche Föten wurden laut den Vereinten Nationen
abgetrieben.
Die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und
Frauen ist gleichzeitig Ausdruck verwehrter Rechte.
Gerade deshalb war auch die Weltbevölkerungskonfe-
renz in Kairo 1994 ein Meilenstein für die Rechte von
Frauen und gleichzeitig auch ein entwicklungspoliti-
scher Durchbruch. Das Aktionsprogramm von Kairo
machte den entscheidenden Unterschied, dass es nicht
nur um die sogenannte sexuelle und reproduktive Ge-
sundheit an sich geht, sondern in diesem Zusammen-
hang vor allem auch um das Recht auf Selbstbestim-
mung. Denn Frauen müssen selbst bestimmen können,
wann für sie und ihre Familien der richtige Zeitpunkt
ist, ein Kind zu bekommen. Nur so haben junge Frauen
eine Chance, Schule und Ausbildung abzuschließen,
und die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben. Frauen
sind die zentralen Trägerinnen für Entwicklung. Auch
deshalb gehört Geschlechtergerechtigkeit in den Fo-
kus der Entwicklungspolitik.
Wenn wir von der Weltbevölkerungskonferenz in
Kairo sprechen, dann sprechen wir auch von sieben
Milliarden Menschen auf dieser Welt. Dabei geht es
nicht um die Zahl, sondern vor allem darum, wie wir
mit den Ressourcen der Welt umgehen und wie diese
verteilt sind. Fast eine Milliarde Menschen hungern
weltweit. Das ist ein Skandal. Auch bleibt fast einer
Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Wasser
verwehrt. Jährlich sterben 1,5 Millionen Menschen an
den Folgen von verunreinigtem Wasser. Gerade Was-
ser ist beispielhaft für die Verschwendung und Über-
nutzung knapper Ressourcen. Wir brauchen endlich
ein Umdenken, wir brauchen eine sozial-ökologische
Transformation. Nur so können wir alle gemeinsam in
der „Einen Welt“ leben und eine gerechte und friedli-
che Zukunft formulieren.
Die weltweit alarmierenden Armuts- und Hunger-
zahlen zeigen aber auch eins: Das Credo der letzten
Jahre, Armut allein mit Wirtschaftswachstum bekämp-
fen zu wollen, hat sich selbst ad absurdum geführt.
Trotz enormer Wachstumszahlen wie etwa in Afrika hat
sich die Armut erhöht. Ohne Umverteilung und sozia-
len Ausgleich ist kein menschwürdiges Leben für sie-
ben Milliarden Menschen möglich.
Liebe Kollegen und Kolleginnen von CDU/CSU und
SPD, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie das
Thema hier und heute haben aufsetzen lassen; mehr
als eine Protokollrede hätte ich mir allerdings schon
gewünscht. Die Verwirklichung der Rechte von Mäd-
chen und Frauen darf 20 Jahre nach Kairo nicht aus
dem Fokus geraten. Gerade in Bezug auf die kom-
mende Agenda von Nachhaltigkeitszielen, der SDGs,
dürfen wir die Erfolge der letzten Jahre nicht verges-
sen. Genau deshalb hätte ich mich gefreut, wenn Sie
Ihr Dogma der Farbenlehre über Bord geworfen hät-
ten und uns alle an einen Tisch geholt hätten, nicht nur
die Grünen, sondern auch die Fraktion Die Linke. Las-
sen Sie uns endlich über Inhalte sprechen statt ideolo-
gische Grabenkämpfe bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag
zu führen.
Ihr Antrag enthält viele gute und wichtige Forde-
rungen, die wir natürlich auch unterstützen. Bauch-
schmerzen habe ich trotzdem mit Ihrem Antrag: Er ist
nicht ganz glaubwürdig. Aufklärungsprogramme zur
sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte,
Mütter- und Kindergesundheit, Bildung und all die an-
deren Forderungen gibt es nicht umsonst. Glaubwür-
digkeit fängt aber auch bei der Finanzierung an. Ohne
zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen und insbe-
sondere das 0,7-Prozent-Ziel ein reines Lippenbe-
kenntnis.
Bauchschmerzen habe ich auch noch mit einem an-
deren Punkt: Sie definieren den Begriff der sexuellen
und reproduktiven Gesundheit und Rechte als repro-
duktive Rechte einerseits und sexuelle und reproduk-
tive Gesundheit andererseits. Es geht hier aber auch
um die sexuellen Rechte. Die sexuelle Selbstbestim-
mung ist ein zentrales Recht, welches weltweit immer
wieder missachtet wird. Wir müssen hier und weltweit
dafür kämpfen, dass alle Menschen frei von Zwang und
Diskriminierung ihre Sexualität leben dürfen.
Ihre Definition der sexuellen und reproduktiven Ge-
sundheit und Rechte greift leider viel zu kurz, auch im
Zusammenhang mit der sensiblen Frage zum Thema
Schwangerschaftsabbruch. Wir werden uns auch des-
halb bei dem Antrag enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-che 18/1958. Mir liegt eine Erklärung gemäß § 31 derGeschäftsordnung vor. Diese nehmen wir entsprechendunseren Regeln zu Protokoll.1) Wer stimmt für diesenAntrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen derCDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-nommen.Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit beiden letzten zehn Tagesordnungspunkten.1) Anlage 15
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4299
Vizepräsidentin Petra Pau
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Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 4. Juli 2014, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allesGute für den Rest des Tages.