Protokoll:
18033

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 33

  • date_rangeDatum: 8. Mai 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:53 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/33 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 33. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. h. c. Hans Michelbach, Rüdiger Veit, Dagmar Wöhrl, Thomas Oppermann und Ewald Schurer . . 2695 A Wahl der Abgeordneten Gabriele Fograscher und Florian Post als ordentliche Mitglieder für den Wahlprüfungsausschuss . . . . . . . . . . 2695 B Wahl der Abgeordneten Dr. Astrid Freudenstein als Schriftführerin . . . . . . . . . 2695 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2695 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 b, 8 und 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2696 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen. . . . . 2696 D Begrüßung des Präsidenten des Staatsrates des Sultanats Oman, Herrn Dr. al-Manzari . . 2705 C Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur grundlegenden Reform des Er- neuerbare-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts Drucksache 18/1304 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2697 A b) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Caren Lay, Ralph Lenkert, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ökostromförderung gerecht und bürgernah Drucksache 18/1331 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2697 B Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2697 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 2700 C Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2702 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2703 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 2705 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2707 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 2708 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2709 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2711 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2712 C Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2714 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2715 C Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2717 C Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kürzungspolitik be- enden – Soziale Errungenschaften verteidi- gen – Soziales Europa schaffen Drucksache 18/1116 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2718 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jugendarbeits- losigkeit in Europa bekämpfen – Stopp des Programms MobiPro-EU sofort aufheben Drucksache 18/1343 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2718 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2719 A Mark Helfrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2720 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2721 D Mark Helfrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2722 B Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 2722 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 2724 A Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2725 A Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2726 B Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2726 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2728 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2728 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2729 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2730 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 2730 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2731 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2732 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 2733 B Antje Lezius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2734 B Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2735 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2736 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2737 B Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2739 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Hilfe für die Flüchtlinge aus Sy- rien – Unterstützung für die Nachbar- staaten Drucksache 18/1333 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2740 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbarstaaten Drucksache 18/1335 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2740 D Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2741 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 2742 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2743 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2745 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2746 A Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2747 A Achim Post (Minden) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 2747 D Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2748 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2749 D Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2751 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2752 A Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 2. Dezem- ber 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einer- seits und Georgien andererseits über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum (Ver- tragsgesetz EU-Georgien-Luftverkehrs- abkommen – EU-GEO-LuftverkAbkG) Drucksache 18/1224 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2753 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Ausdehnung der Anwen- dung der Verordnung (EU) Nr. …/2013 über ein Aktionsprogramm in den Be- reichen Austausch, Unterstützung und Ausbildung zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung (Programm „Pericles 2020“) auf die nicht teilnehmenden Mit- gliedstaaten Drucksache 18/1225 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2753 C c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzes- sivadoption durch Lebenspartner Drucksache 18/1285 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2753 C d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung einer Länder- öffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windener- gieanlagen und zulässigen Nutzungen Drucksache 18/1310 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2753 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 III e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ach- ten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/1311 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2753 D f) Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Henry-Kissinger-Stiftungs- professur an der Universität Bonn ver- hindern Drucksache 18/1330 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2753 D g) Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Nelson- Mandela-Stiftungsprofessur für Frie- denspolitik und Völkerrecht Drucksache 18/1329 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 A h) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Umsetzung des Europäi- schen Semesters 2013 und der Europa 2020-Strategie unter besonderer Be- rücksichtigung der länderspezifischen Empfehlungen Drucksache 17/14622 . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stadtentwicklungsbericht 2012 Drucksache 17/14450 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 A Tagesordnungspunkt 25: Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu Einsprü- chen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. Septem- ber 2013 Drucksache 18/1160 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines ein- heitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines ein- heitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungs- fonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Par- laments und des Rates – KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/1/13 – hier: Stel- lungnahme gegenüber der Bundesregie- rung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Für einen europäischen Bankenabwicklungsmechanismus und Ban- kenabwicklungsfonds Drucksache 18/1340 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit US-Präsident Barack Obama . . . . . . . . . . . 2754 D Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2754 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . 2756 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2757 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2758 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2759 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 2760 C Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2761 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2762 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2763 C Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2764 C Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2765 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2766 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Opera- tion Atalanta zur Bekämpfung der Pirate- rie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Verein- ten Nationen (VN) von 1982 und der Reso- lutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. De- zember 2008, 1897 (2009) vom 30. Novem- ber 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom 18. November 2013 und nach- folgender Resolutionen des Sicherheitsra- tes der VN in Verbindung mit der Gemein- samen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. No- vember 2008, dem Beschluss 2009/907/ GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Be- schluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 Drucksache 18/1282 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2767 C Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2768 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2768 D Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 2769 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2771 C Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2772 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2773 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kündigung bilatera- ler Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien Drucksache 18/1336 (neu) . . . . . . . . . . . . . . . 2774 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2774 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . 2776 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2778 D Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2780 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2781 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2782 A Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . 2783 C Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 2785 A Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2786 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeit- nehmer-Entsendegesetzes Drucksachen 18/910, 18/1283, 18/1359 . . . . . 2785 B Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2785 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2789 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2789 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2791 A Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2792 A Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2793 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2794 D Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 2796 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2797 D Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungs- berechtigten Drucksache 18/589 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2796 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 2796 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 2800 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2801 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2802 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 2804 A Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2805 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 2806 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2806 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Mehr Transparenz bei Rüstungs- exportentscheidungen sicherstellen Drucksache 18/1334 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2807 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein generelles Verbot des Ex- ports von Kriegswaffen und sonstigen Rüs- tungsgütern Drucksache 18/1348 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2807 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 V DIE GRÜNEN: Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüs- tungsexportentscheidungen herstellen Drucksache 18/1360 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2807 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2807 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2809 A Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2809 C Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2811 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2812 A Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2813 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 2814 D Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 2815 D Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2818 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Vereinbarte Debatte: zum Europäischen Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Be- hinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2816 A Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2816 A Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2817 B Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2820 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2822 A Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2823 A Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2823 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2824 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 2825 C Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Hochschulpakt fort- setzen und aufstocken Drucksache 18/1337 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 C Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 2827 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2828 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2829 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2831 B Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . 2831 D Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwick- lung des Meldewesens Drucksache 18/1284 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2833 A Dr. André Berghegger (CDU/CSU) . . . . . . . . 2833 A Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2834 A Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2835 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2836 A Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2837 A Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Halina Wawzyniak, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehende entlasten – Unterhalts- vorschuss ausbauen Drucksache 18/983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2837 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2838 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2838 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2839 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2840 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2841 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2841 D Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2842 C Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes Drucksache 18/1305 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2843 C Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2843 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 2844 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2845 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2846 D Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 2847 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Umgang mit Nährstoffen an die Umwelt anpassen Drucksache 18/1338 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2848 D in Verbindung mit VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wasserqualität für die Zukunft sichern – Düngerecht novellieren Drucksache 18/1332 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2849 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2849 A Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2850 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 2851 B Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2852 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2853 D Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts Drucksache 18/1306 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2855 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden Drucksache 18/1328 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2855 B Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2855 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2855 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 2857 A Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten der 32. Plenarsitzung (neu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2857 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Kündigung bi- lateraler Kooperationen im Bereich der Nut- zung atomarer Technologien (Zusatztagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2857 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Un- gleichheit weltweit überwinden (Tagesord- nungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2858 A Dr. Georg Kippels (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . 2858 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2859 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2861 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2861 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts (Tages- ordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2863 D Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2863 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 2864 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2865 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2866 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2695 (A) (C) (D)(B) 33. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 Beginn: 9.02 Uhr
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    2) Anlage 4 Berichtigung 32. Sitzung, Seite 2637 B, zweiter Absatz, erster Satz ist wie folgt zu lesen: Jetzt frage ich mich, wie Sie rechtfertigen, dass in dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, nicht vorgesehen ist, dass zusätzliche Nachweise erforderlich sind, zusätz- lich dazu, dass man Energiemanagementsysteme nach- weisen muss. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2857 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 08.05.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 08.05.2014 Beyer, Peter CDU/CSU 08.05.2014 Binder, Karin DIE LINKE 08.05.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 08.05.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 08.05.2014 Groß, Michael SPD 08.05.2014 Held, Marcus SPD 08.05.2014 Mindrup, Klaus SPD 08.05.2014 Strässer, Christoph SPD 08.05.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.05.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.05.2014 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten für Mittwoch, den 7. Mai 2014 (neu) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 07.05.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 07.05.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 07.05.2014 Beyer, Peter CDU/CSU 07.05.2014 Binder, Karin DIE LINKE 07.05.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 07.05.2014 Dittmar, Sabine SPD 07.05.2014 Freese, Ulrich SPD 07.05.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 07.05.2014 Groß, Michael SPD 07.05.2014 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 07.05.2014 Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 07.05.2014 Nowak, Helmut CDU/CSU 07.05.2014 Strässer, Christoph SPD 07.05.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 07.05.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 07.05.2014 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Antrag: Kündigung bilateraler Kooperationen im Be- reich der Nutzung atomarer Technologien (Zu- satztagesordnungspunkt 7) Das in ihrem Antrag „Kündigung bilateraler Koope- rationen im Bereich der Nutzung atomarer Technolo- gien“ formulierte Anliegen der Grünen ist äußerst wich- tig. Inhaltlich finden sich hier Forderungen, die auch die SPD unter anderem mit meiner Unterstützung schon in Anträgen gestellt hat. Ich habe mich schon immer gegen Atomenergie engagiert und werde das auch weiterhin tun. Dementsprechend habe ich in den letzten Jahren oft dafür plädiert, dass Deutschland sich nach dem be- schlossenen Atomausstieg hierzulande konsequenter- weise auch international für das Ende der Atomenergie einsetzt. Das bedeutet natürlich zuallererst, dass wir nicht noch weiterhin Atomenergie im Ausland fördern. Hermes-Bürgschaften für Atomtechnologie müssen ge- nerell abgelehnt werden. Auch sollten natürlich alle Ab- kommen dahin gehend überprüft werden, ob hierin eine Förderung der Atomenergie in anderen Ländern verein- bart wurde, um diese gegebenenfalls zu kündigen oder abzuändern. Sosehr ich den Antrag inhaltlich richtig finde, so muss ich aber dennoch das Vorgehen bezüglich des An- trags kritisieren. Die extrem kurzfristige Einbringung des Antrags und die Beantragung einer namentlichen Abstimmung im Plenum kommt mir wie ein Manöver vor, um die SPD vorzuführen. Das ist schade, weil die Grünen diejenigen in den Regierungsfraktionen in die Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 2858 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 (A) (C) (D)(B) Bredouille bringen, die in der Sache die gleiche Ansicht teilen. Ein solch wichtiges Anliegen sollte man nicht rei- ner Parteientaktik unterwerfen. Die Grünen hätten sich mit Vertretern der anderen Fraktionen zusammensetzen können, um das Thema voranbringen zu können. Die SPD-Fraktion hat der Grünen-Fraktion nach Bekannt- werden des Antrags kurzfristig ein Angebot zur Zusam- menarbeit gemacht. Dieses komplexe Thema sollte man nicht auf die Schnelle abhandeln, sondern stattdessen mit der nötigen Sorgfalt und in Zusammenarbeit mit Ex- perten überprüfen, welche Kriterien man ansetzt, um be- stehende Vereinbarungen nach der Fragestellung zu be- werten, ob man sie kündigt, abändert oder beibehält. Dafür bietet zum Beispiel eine Anhörung im Ausschuss- rahmen eine Gelegenheit. Generell sollte den Fachpoliti- kern in den Ausschüssen und in den Fraktionen die Gele- genheit geboten werden, das Thema zu diskutieren. All diese Möglichkeiten hat man jetzt leider nicht genutzt. Es ist für mich sehr schwer zu entscheiden, wie ich mich bei dieser konkreten Abstimmung verhalten soll. Das Thema Atomenergie ist für mich eine Gewissens- frage, da die damit verbundenen Entscheidungen unwi- derrufliche Folgen haben können. Deshalb kann ich nicht gegen den Antrag der Grünen stimmen, auch wenn ich damit eventuell politische Spiele unterstütze und ent- täuscht darüber bin, dass es keine Diskussionsmöglich- keiten zu dem Antrag gegeben hat. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Ent- wicklungsziele der Vereinten Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit überwinden (Tagesord- nungspunkt 16) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Vor kurzem habe ich an der Parlamentarierkonferenz zur Weltbevölkerung in Stockholm teilgenommen. Es war beeindruckend, aber auch ermutigend, mit den Parlamentariern aus allen Winkeln der Welt die Themen der Zukunft zu debattie- ren. Die Konferenz war aber auch ein Barometer für die aktuell brennendsten Aufgaben. Die Themen Familien- planung, Frauenrechte und Bildung standen im Fokus. Diese Themen waren auch Kernthemen der Millen- niumserklärung vom 9. September 2000. Als sie von 189 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verabschie- detet wurde, war das Fundament für die Erfolgs- geschichte der Millenniumentwicklungsziele, der MDGs, gelegt. Knapp 5 000 Tage – genau 4 989 – sind seitdem vergangen. Ein Zeitraum, in dem aber auch die Weltbevölkerung um 1,2 Milliarden auf 7,3 Milliarden Menschen gewachsen ist. Jedes Jahr wächst sie weiter um 78 Millionen Menschen, mithin praktisch der Bevöl- kerung der Bundesrepublik. Die MDGs waren in acht Programmsätzen prägnant formuliert. Mit dieser klaren Formulierung begann eine neue Ära der entwicklungspolitischen Agenda. Trotz der enormen Herausforderung gelang es den MDGs in den vergangen Jahren, die extreme Armut zu halbieren, den Anteil der unterernährten Menschen von 23,2 Prozent auf 14,9 Prozent zu senken, mehr als 2 Milliarden Menschen Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen zu ermöglichen, die Gleichberechtigung bei der Grund- schulbildung weitestgehend durchzusetzen, mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt und in die Parlamente zu bringen, beeindruckende Erfolge im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose zu erzielen, die Zahl der Slumbewohner erheblich zu senken und die Schuldenzahl der Entwick- lungsländer enorm zu senken, von 12 Prozent 2000 auf 3,1 Prozent 2011. Trotz dieser beachtlichen Fortschritte ist noch lange nicht alles erfüllt, was auf der Agenda stand. Auch nach 2015 haben wir noch die folgenden Befunde zu lösen: Jeder achte Mensch geht noch hungrig zu Bett. Beinahe jedes sechste Kind unter fünf Jahren ist untergewichtig, jedes vierte leidet an Wachstumshemmung. Die Sterb- lichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren konnte erst um 47 Prozent gesenkt werden. Zwar wurde die Zahl der Kinder, die nicht zur Grundschule gehen, um über 50 Prozent gesenkt, doch verfügen weltweit 123 Millio- nen Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren nicht über grundlegende Lese- Und Schreibfähigkeiten – davon 61 Prozent junge Frauen. Vor allem in der Sekundar- und Tertiärbildung werden vor allem Mädchen weiterhin be- nachteiligt. Nur zwei der 130 Länder, für die 2013 Daten vorlagen, haben das Ziel der Geschlechterparität auf allen Bildungsstufen erreicht. Produktive Vollbeschäfti- gung und menschenwürdige Arbeit für alle wurde noch nicht umgesetzt. Die internationale Wirtschaftskrise führte zu einem Rückschritt im Prozess. Arbeitsplatzsi- cherheit und Sozialleistungen für Frauen bleiben immer noch hinter dem Standard für Männer zurück. Generell ist die Unterdrückung der Entscheidungsmacht von Frauen im privaten wie im öffentlichen Bereich ein an- haltend fundamentales Problem der gesellschaftlichen Entwicklung. Auch die Müttersterblichkeit konnte erst um 47 Prozent gesenkt werden. Sexuelle und reproduk- tive Gesundheit und Rechte müssen weiter verbessert werden. Mit den noch ausstehenden Ergebnissen der MDGs ist schon ein wesentlicher Inhalt für den Post-2015-Prozess und die kommenden nachhaltigen Entwicklungsziele, die SDGs, vorgegeben. Die Ziele der Post-2015-Agenda sind dabei geprägt durch ihren globalen Anspruch auf Nachhaltigkeit. Die MDGs setzten ihren Fokus jedoch nur auf die Entwicklungsländer. Mit den SDGs verfol- gen wir jedoch nunmehr die Einbindung aller Akteure und Staaten, in umfassender Verantwortung. Dies gilt vor allem für die Frage des Klimaschutzes. Die globalen Probleme bedürfen auch globaler Lösungen. Die auf- strebenden Schwellenländer, wie etwa Indien, müssen deshalb ebenfalls ihren Beitrag leisten. Ihre bisherige Entwicklung muss sich auch in eigener Leistungsbereit- schaft niederschlagen. Sie müssen sukzessive eigene Verantwortung für ihre Bevölkerung und den Fortgang des Prozesses übernehmen. In Ihrem Antrag, liebe Kol- leginnen und Kollegen der Linken, vermisse ich jegli- chen Hinweis auf dieses fundamentale Thema. Bei allen berechtigten Zielen dürfen die SDGs jedoch nicht überfrachtet werden. Die SDGs müssen das Er- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2859 (A) (C) (D)(B) folgskonzept der MDGs fortsetzen: Klarheit, Nachvoll- ziehbarkeit und Messbarkeit der Ergebnisse. Deshalb wurden sie erfolgreich von den G8 debattiert. Deshalb konnte auch die Finanzierung auf höchster Ebene schnell gesichert werden. Nur klar erkennbare Ziele können überzeugend kommuniziert werden. Sehe ich mir jedoch Ihren Antrag an, fehlen diese Attribute, fehlt die Klarheit des Konzepts. Stattdessen wird der Eindruck spätkapita- listischer Ausbeutung im Kolonialstil suggeriert. Dies trifft ebenso wenig zu, wie es der diffizilen Aufgabe ge- recht wird und deshalb den Prozess blockiert. Sie fordern „Im Zentrum aller Bemühungen müsse der Kampf gegen Hunger und Armut stehen.“ Dieser Befund ist vollkommen unstreitig, ebenso wie die Erde keine Scheibe ist. In Ihrem Antrag sprechen Sie sich weiter gegen „eine Entfesselung der Märkte“ aus. Meine Damen und Herren Kollegen, wir leben in einer globali- sierten und digitalisierten Welt. Freihandel ist die Zukunft, nicht der Protektionismus. Weltweite wirt- schaftliche Kooperation und der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten sind die Antwort auf Armut, nicht die Ablehnung von Privateigentum und Marktwirtschaft. Die internationale wirtschaftliche Verzahnung ist dabei nicht der Teufel, den Sie versuchen an die Wand zu malen. Sie ist der Weg, mit dem die Länder näher zu- sammenrücken. Wir brauchen Austausch von Wissen und Leistung, real und digital, aber fair. Wahrung der Menschenrechte und nachhaltiger Umgang mit Ressour- cen zum Wohle nachfolgender Generationen ist dabei oberstes Gebot. Globalisierung und Marktwirtschaft ist keine Ausbeu- tung. Globalisierung bietet die Chance, Arbeitsplätze zu schaffen. Menschenwürdige Bedingungen sind dabei zwingend, auf die auch der Verbraucher Einfluss nehmen kann und muss. Die Initiative eines Fair-Trade- Siegels für nachhaltige Kleidung durch Minister Müller ist genau der richtige Weg. Auch TTIP ist kein Teufelszeug und vor allem kein Nullsummenspiel nach Ihrer Begrifflichkeit. TTIP führt zum Bürokratieabbau und verbessert den Warenaus- tausch. An diesem Vorteil partizipieren auch Entwick- lungsländer. Mit TTIP werden globale Leitlinien, Quali- tätsstandards und Sicherheitsanforderungen gestaltet. Die Vorschläge zur ODA-Mittel-Verwaltung oder kostenlosem Technologietransfer sind keine Allheilmit- tel für die armen Länder der Welt und auch vollkommen realitätsfern. Wir brauchen messbare Effizienz der Entwicklungsmaßnahmen. So sind Projekte in der Land- wirtschaft zwei- bis viermal effektiver als Maßnahmen in urbanen Strukturen. Deshalb ist auch der deutsche Standpunkt bei der Frühjahrstagung der Weltbank voll- kommen richtig, wonach Wirtschaftswachstum wichtig, aber kein Maßstab der Effizienz ist. Die EZ muss zu robusten Mittelschichten führen, die den Entwicklungs- prozess der Staaten eigenverantwortlich aufnehmen. Entwicklung erfordert aber auch stabile und sichere Verhältnisse, sodass Good Governance und Unterstüt- zung zum Aufbau von Sicherheitsstrukturen unverzicht- barer Bestandteil der Nachhaltigkeit sind. Das hat nichts mit Rüstungspolitik zu tun. Flüchtlingstragödien wie vor Lampedusa sind die Folgen fragiler Staaten, Korruption und Gewalt. Die Betroffenen verlassen ihre Heimat nicht freiwillig, sondern aus Angst und Not. Auch hier muss Entwicklungspolitik, hier müssen die SDGs ansetzen. Mit dem Post-2015-Prozess und den SDGs müssen wir künftigen Generationen die Chance auf ein umfas- send selbstbestimmtes Leben ermöglichen. In diesem Sinne möchte ich Papst Franziskus beim Angelus-Gebet nach der Neujahrsmesse auf dem Petersplatz zitieren: „Wir sind aufgerufen, uns der Gewalt und Ungerechtig- keiten in vielen Teilen der Welt bewusst zu werden, de- nen wir nicht gleichgültig und tatenlos gegenüberstehen können: Jeder von uns muss sich einbringen, damit wir eine wirklich gerechte und solidarische Gesellschaft schaffen können.“ Dr. Bärbel Kofler (SPD): Mit dem Jahr 2015 endet die Laufzeit der Millenniumsentwicklungsziele, der so- genannten MDGs. Sie sollen nach 2015 von einem neuen internationalen Rahmenwerk, der Post-2015- Agenda, abgelöst werden. Neu ist, dass die Vereinten Nationen dafür zwei inter- nationale Verhandlungsprozesse miteinander verbinden, die bisher getrennt verliefen: den entwicklungspoliti- schen Post-MDG-Prozess und die Umsetzung der Be- schlüsse des Rio+20-Gipfels zur globalen Nachhaltig- keit. Die Themen des neuen Rahmenwerks sind folglich umfangreich und stellen die internationale Politik bei der Ausgestaltung der neuen Ziele vor große Herausforde- rungen. Die neue Agenda bietet aber zugleich die Chance für ein Umdenken, für ein neues Verständnis von globaler Verantwortung und Partnerschaft. Die Post-2015-Agenda soll ein umfassender globaler Entwicklungsfahrplan werden, wobei die Beseitigung der Armut in der Welt weiterhin oberste Priorität genie- ßen wird. Armutsbekämpfung und menschliche Ent- wicklung sind aber eingebettet in eine Agenda für eine globale strukturelle Transformation, hin zu einem sozial- verträglichen sowie umwelt- und klimaverträglichen Wirtschaften weltweit. Konkret heißt das: Wir brauchen Ziele, die vier Di- mensionen nachhaltiger Entwicklung umfassen: soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung, ökologi- sche Nachhaltigkeit, Fragen nach verantwortungsvoller Regierungsführung sowie Friedens- und Sicherheitsfra- gen. Bereits im letzten Jahr hat sich die SPD-Bundestags- fraktion mit einem Antrag zu der neuen Post-2015-Ent- wicklungsagenda aktiv für einen globalen Umden- kungsprozess eingesetzt, für eine neue Debatte um nachhaltiges Wachstum, bei dem der Mensch und seine Lebensgrundlagen im Mittelpunkt stehen und vor Aus- beutung bewahrt werden. Das ist ein großer Anspruch, dem wir uns mit konkreten Forderungen nähern wollen. Die neue Agenda muss daher als oberstes Ziel die Überwindung von Hunger und extremer Armut bis 2030 festschreiben. Zur Erreichung dieses Ziels ist insbeson- 2860 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 (A) (C) (D)(B) dere die ländliche Entwicklung in Entwicklungsländern zu fördern. Weiter fordern wir als ein eigenständiges Ziel der neuen Agenda den Auf- und Ausbau sozialer Siche- rungssysteme. Wir setzten uns dafür ein, dass die Schaffung von Ar- beitsplätzen und die Bekämpfung sozialer Ungleichheit ein Kernthema der Post-2015-Agenda wird. Die Decent Work Agenda der Internationalen Arbeitsorganisation ist in den Zielkatalog mit aufzunehmen. Das ist ein zentra- les Anliegen für uns Sozialdemokraten im internationa- len Verhandlungsprozess auf VN-Ebene. Ebenso treten wir dafür ein, dass Gendergerechtigkeit als ein Querschnittsthema für alle gesellschaftlichen Be- reiche des neuen Zielkatalogs integriert wird und damit gleichzeitig Frauen und Mädchen in der Wahrnehmung ihrer Rechte und ihrer Selbstbestimmung gezielt geför- dert werden. Als eine weitere Zielsetzung muss die Förderung und Unterstützung von Low-Carbon-Ökonomien einbezogen werden, denn weltweit braucht es Zugang zu Energie, die nicht aus fossilen Brennstoffen, sondern aus erneuer- baren Quellen generiert wird. Hier wollen wir uns zum Dialog anbieten und den Kampf gegen Energiearmut ausdrücklich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien verbinden. Eine Offenlegungspflicht für Rohstoffeinnahmen nach dem Vorbild der USA und des Dodd-Frank-Acts für Unternehmen als international verbindlich einzufor- dern, das ist ein weiterer Ansatz, den wir Sozialdemo- kraten für die Post-2015-Agenda wollen. Denn wir müs- sen uns noch stärker als bisher dafür einsetzen, dass rohstofffördernde Länder sowie Unternehmen transpa- rente Förderpolitiken haben und Einnahmen aus diesen Geschäften für die Bevölkerung nachvollziehbar ver- wendet werden. Zu begrüßen ist in diesem Zusammen- hang jeder neue Beitritt zu der Extractive Industries Transparancy Initiative. Diese konkreten Kernanliegen gilt es, in den interna- tionalen Verhandlungsprozess einzubringen und mit Re- gierungen, Parlamenten und Zivilgesellschaft in aller Welt zu verhandeln. Das ist ein großer Prozess, der be- reits begonnen hat. Im Herbst dieses Jahres werden die Vereinten Nationen einen zusammenfassenden Bericht vorlegen; anschließend bleibt uns, der Staatengemein- schaft, ein weiteres Jahr für die Abstimmung der neuen Post-2015-Agenda. Damit der Post-2015-Agenda-Prozess erfolgreich ist, brauchen wir eine globale Partnerschaft aller Länder, eine Partnerschaft, die sich auf eine Verantwortung aller Staaten dieser Welt gründet, für die Einhaltung der uni- versellen Menschenrechte, für gute Arbeit weltweit, für ein faires und offenes Handelssystem, für gute Regie- rungsführung und Steuergerechtigkeit, für eine krisensi- chere globale Finanzstruktur und für gemeinsame Maß- nahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. Für die Klimadebatte ist es besonders erforderlich, von einer gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung zu sprechen. Denn Klimafolgenschäden, die oftmals die Menschen treffen, die in Armut leben, haben wir Industrieländer zu verantworten, Verursacher der bishe- rigen Klimaerwärmung sind wir, die Industrieländer. Während also die historische Verantwortung für die derzeitigen Klimaschäden bei uns liegt und zunehmend auch bei den Schwellenländern, so tragen dennoch alle Länder dieser Welt die Verantwortung für das globale Klima als öffentliches Gut. Lassen Sie mich noch auf den wichtigen Kerngedan- ken der Post-2015-Agenda, den der Universalität der neuen Ziele, eingehen, der für das Gelingen der neuen Agenda grundlegend ist. Die internationale Gemeinschaft braucht eine Post- 2015-Agenda mit einem universell gültigen Zielkatalog als Richtschnur. Das heißt, als globale Agenda muss sie Ziele enthalten, die für alle gelten: für die Entwicklungs- länder, die neuen Schwellenländer und für die traditio- nellen Industrieländer. In ihnen drückt sich die Verant- wortung der gesamten Staatengemeinschaft für das Schicksal der Menschheit und den Zustand unseres Pla- neten aus. Auf der Grundlage universeller Ziele sollen wiederum spezifische und mithilfe von Indikatoren mess- und überprüfbare Unterziele oder Zielvorgaben für die globale wie für die nationale Ebene gebildet wer- den. Im Gegensatz zu den MDGs ist die Post-2015- Agenda deshalb keine Agenda nur für Entwicklungslän- der, sondern als eine universelle Agenda verpflichtet sie alle Staaten dieser Welt. Gerade hier wird es für uns als Industrieland neue He- rausforderungen geben, sich gewissen Selbstverpflich- tungen zu stellen, nicht nur im ökologischen Bereich, auch bei Sozialstandards. Denn Deutschland und Europa sind auch im Bereich der guten Arbeit weltweit beson- ders gefordert. Das bedeutet, in Deutschland und Europa zu verbindlichen, transparenten Regeln zu kommen und gesetzgeberisch Rahmenbedingungen zu schaffen für Wertschöpfungsketten und Lieferketten, sodass Sozial- standards und ökologische Standards für weltweit tätige Unternehmen zur Verpflichtung werden. Von daher begrüßen wir auch ausdrücklich die Ab- sicht der Bundesregierung, das Thema der globalen wirt- schaftspolitischen Rahmenbedingungen in die Post- 2015-Agenda mit einzubeziehen. Wir unterstützen eben- falls die gemachten Vorschläge für entsprechende Ziel- vorgaben, nämlich die Förderung eines offenen, regelba- sierten und entwicklungsfreundlichen Handelssystems, die Sicherung globaler Finanzmarktstabilität sowie die Förderung von Unternehmensverantwortung. Allerdings handelt es sich bei den bisherigen Vor- schlägen allenfalls um einen ersten Schritt in die richtige Richtung. So bedürfen die genannten Vorschläge noch einer stärkeren Konkretisierung, um wirklich operational zu sein. Abschließend möchte ich nochmals auf einen grund- sätzlichen Punkt hinweisen: Die Post-2015-Agenda sollte keinesfalls nur aus einer Liste von Zielen, Zielvor- gaben und Indikatoren bestehen. Neben der Behandlung von Grundsatzfragen bedarf es vor allem eines globalen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2861 (A) (C) (D)(B) Aktionsplanes, der grundsätzliche Verpflichtungen fi- nanzieller und nichtfinanzieller Art enthält. Letztere be- träfen auch eine Reihe von Vereinbarungen über Ände- rungen bei den Spielregeln, nach denen die globale Ökonomie künftig auf dem Weg aus der Unterentwick- lung und in Richtung auf ein sozial- und umweltverträg- liches globales Wirtschaften funktionieren soll. Damit es die Agenda nicht bei reinen Absichtserklä- rungen belässt, ist es ebenfalls wichtig, sich zügig über einen entsprechenden Überprüfungsmechanismus zu verständigen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Die Linke hat einen Antrag zur nachhaltigen Entwicklungsagenda einge- bracht, die die Vereinten Nationen im Jahr 2015 verab- schieden will, nach Ende der Millenniumsentwicklungs- ziele. Neue nachhaltige Entwicklungsziele für die Welt, sogenannte Sustainable Development Goals, SDGs. Nach viel Kritik am Zustandekommen und Charakter der Millenniumsziele sollen nun Ziele so universell formu- liert werden, dass sie auf den Süden ebenso wie auf den Norden angewandt werden können, die Verantwortung des Nordens soll verstärkt, und es sollen strukturelle Veränderungen angestrebt werden, um Armutsbekämp- fung, Entwicklung und den Schutz der natürlichen Le- bensgrundlagen zu ermöglichen. Insofern bietet dieser Prozess die Chance, eine breite Debatte über die Zukunft unserer Gesellschaften zu ini- tiieren – auch in Deutschland. Genau deshalb haben wir nun einen Antrag eingebracht, weil diese breite Debatte bisher fehlt. Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen der vergangenen Jahre haben aber deutlich gemacht, dass diese Debatte dringend notwendig ist. Neue global gel- tende Nachhaltigkeitsziele müssen mit breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft im Norden und Süden entwickelt werden. Deshalb schlagen wir ja auch vor, bundesweite öffentliche Foren unter Beteiligung von Entwicklungsor- ganisationen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Umweltverbänden, Schulen, Universitäten, Städte- und Gemeindetag zu organisieren, um die SDGs ins öffentli- che Bewusstsein zu rücken und Ideen, Vorschläge und Handlungsoptionen zu sammeln und aufzugreifen. Diese Woche, 5. bis 11. Mai, gibt es zum Beispiel eine welt- weite Internetkampagne der Vereinten Nationen, sich mit Statements, Videoclips etc. zu den SDGs einzubrin- gen. Doch wer weiß schon davon? Wenn wir aber unsere Lebens- und Wirtschaftsweise diskutieren wollen, dann geht das nur mit breiter Beteiligung der Gesellschaft. Wir haben den Antrag aber auch deshalb jetzt einge- bracht, weil wir verhindern wollen, dass mal wieder ab- strakt über hehre Zukunftsziele diskutiert wird, wäh- renddessen jetzt bereits neoliberale Weichenstellungen getroffen werden, die weitreichende negative ökologi- sche und soziale Auswirkungen haben werden und die die Bevölkerung massiv bewegen. Ich spreche von den zahlreichen geplanten Freihandelsabkommen mit den Ländern Afrikas, Asiens und dem EU-USA-Freihandels- abkommen TTIP. Dazu gab es in den letzten Wochen zahlreiche Demonstrationen in verschiedenen Städten. Diese Abkommen werden nachhaltige Entwicklung verhindern, denn sie setzen auf dieselbe exportorien- tierte Wachstumsstrategie, die in der EU bereits zu einer tiefen Krise geführt hat. Sie setzen zugleich die entwicklungspolitischen Stra- tegien fort, die in den 1990er-Jahren als Strukturanpas- sungsprogramme in den Ländern des Südens durchge- setzt wurden und dort seither eine selbstbestimmte Entwicklung verhindern und durch den Abbau staatli- cher Basisversorgung und Infrastruktur staatliche Fragi- lität befördern. Die bisherigen Vorschläge der Bundesregierung, die in die Open Working Group eingebracht werden sollen, sind uns bei weitem nicht ausreichend; auch dafür haben wir im Antrag einige konkrete Vorschläge gemacht. Es geht uns generell darum, das Leitbild von Frieden, sozia- ler und ökologischer Gerechtigkeit zu verankern. Im Zentrum aller Bemühungen muss der Kampf gegen Hun- ger und Armut stehen, der Kampf um soziale Gleichheit. Hier unterstützen wir auch die Forderungen von Ländern wie Bolivien, die für eine weltweite Umverteilung von Gütern und Ressourcen eintreten. Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist eine aktive Friedenspolitik. Deshalb fordern wir im An- trag den Abbau von Rüstungsproduktion und -exporten und ferner, die Ausgaben für Rüstung zur Finanzierung dieser Entwicklungsziele in den Ländern des Südens he- ranzuziehen. Wir wollen die globalen Gemeinschaftsgü- ter, die sogenannten „commons“, für alle Menschen gleich verteilen. Dafür bedarf es in allererster Linie einer Veränderung unserer Lebensweise im Norden, und ge- nau deshalb brauchen wir eine breite Beteiligung und Diskussion hier und jetzt. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich begrüße sehr, dass das wichtige Thema Nachhaltige Ent- wicklungsziele der Vereinten Nationen, auch bekannt als Sustainable Development Goals, SDGs, hier im Deut- schen Bundestag auf der Tagesordnung ist. Der Antrag der Linken, dem wir diese Debatte zu ver- danken haben, enthält richtige Forderungen, wie die nach einer breiten öffentlichen Debatte in Deutschland über die Ausgestaltung der Nachhaltigkeitsziele, soziale und ökologische Gerechtigkeit, Schutz von Gemein- schaftsgütern wie Wasser vor Privatisierung, Einführung einer Finanztransaktionsteuer oder für die Gleichstellung der Frau und Engagement gegen sexualisierte Gewalt. Leider fehlen in dem Antrag der Kampf gegen den Klimawandel, die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender und ein grundsätzlicher Menschenrechtsan- satz völlig. Dies gehört aber ebenso in die Diskussion. Es stehen auch kuriose Forderungen in dem Antrag wie die Einführung einer Pro-Kopf-Obergrenze für die Inanspruchnahme von Luft. Ressourcenschutz und eine Reduktion des Ressour- cenverbrauchs, gerade von endlichen Stoffen, ist aber natürlich auch im Sinne der Grünen. Ob das vorgeschla- 2862 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 (A) (C) (D)(B) gene Instrument hierfür tragfähig ist darf allerdings be- zweifelt werden. Es gibt auch berechtigte Kritik an den Millenium Development Goals, MDGs, hinsichtlich ihrer Entste- hung, Konzeption und ihres Formats und auch daran, dass nicht alle Ziele bis 2015 erreicht werden. Die im Antrag formulierte Kritik an den Milleniumszielen ver- nachlässigt, dass die MDGs auch Erfolge zu verzeichnen haben. So haben ihre hohe Mobilisierungskraft und leichte Kommunizierbarkeit weltweit Öffentlichkeit für das Thema Armutsbekämpfung geschaffen und damit der Entwicklungspolitik eine neue Richtung gegeben. Die MDGs haben dem Trend sinkender finanzieller öffentlicher Unterstützungsgelder (Official Development Assistance – ODA) in den 90er-Jahren entgegengewirkt und die politische Anerkennung der Entwicklungszu- sammenarbeit deutlich verbessert. Der von den Vereinten Nationen, VN, geleitete Pro- zess einer künftigen Entwicklungsagenda beinhaltet bereits jetzt intensive Diskussionen um Prioritäten, Konzepte und Strategien einer zukünftigen Entwick- lungspolitik. Leider aber bisher nur in exklusiven Fach- zirkeln. Eine Zusammenführung der beiden Prozesse mit dem Ziel einer gemeinsamen, universell gültigen Post- 2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung ist angesichts der globalen Herausforderungen dringend notwendig. Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Legislatur- periode die Zusammenführung der Post-MDG- und SDG-Prozesse befürwortet. Dieses Hohe Haus hat sich darüber hinaus dazu be- kannt, ressortübergreifend in allen fachlich relevanten Ausschüssen sowie im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung zu dieser Thematik zu arbeiten und gemeinsame Anhörungen und Beratungen anzustre- ben. Analog zu der ministeriellen Ebene sollte eine ge- meinsame Federführung des Entwicklungs- und Um- weltausschusses angestrebt und die Kompetenz des Par- lamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung genutzt werden, fachübergreifende Arbeitsprozesse an- zustoßen und zu begleiten. Die Bundesregierung muss nun dafür sorgen, dass die Post-2015-Entwicklungsagenda und die SDGs zusam- mengeführt werden. Insbesondere sollte hierfür bei Schwellen- und Entwicklungsländern geworben und auf mögliche Bedenken bezüglich der Gefahr des Bedeu- tungsverlusts der Armutsbekämpfungsagenda eingegan- gen werden. Es braucht eine für alle Staaten gültige Agenda für nachhaltige Entwicklung mit universellen Ober- und ausdifferenzierten Unterzielen und einem klaren Bezug zu den planetarischen Grenzen der Erde. Dies ist unver- zichtbar, wenn die notwendige sozial-ökologische Trans- formation hin zu einer menschenrechtsbasierten nach- haltigen Entwicklung weltweit vorangetrieben werden soll. Denn bereits der Nachhaltigkeitsgipfel 1992 in Rio hatte festgestellt, dass der einseitig auf Wirtschafts- wachstum basierende Entwicklungspfad der Industriena- tionen nicht global umsetzbar ist. Vielmehr müssen menschliche Entwicklung und ökologische Nachhaltig- keit miteinander in Einklang gebracht werden. Dennoch wird mehr als 30 Jahre nach Rio unter „Ent- wicklung“ noch immer überwiegend „nachholende Ent- wicklung“ verstanden. Die Industrienationen tragen eine historische Verant- wortung, für die sie im Rahmen einer zukünftigen Agenda für nachhaltige Entwicklung in die Pflicht ge- nommen werden müssen. Aber auch die Regierungen der Schwellen- und Entwicklungsländer dürfen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Die große Herausforderung für die internationale Ge- meinschaft besteht darin, unter Anerkennung der End- lichkeit von Ressourcen, extreme Armut und Hunger zu überwinden, sodass alle Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit führen können. Es muss ein nachhaltiger Entwicklungspfad einge- schlagen werden, um die Ökosysteme zu erhalten, allen Menschen und zukünftigen Generationen Zugang zu den natürlichen Ressourcen zu ermöglichen. Hierfür ist die Eindämmung des Klimawandels zen- tral. Sollte es nicht gelingen, die Erderwärmung auf ma- ximal zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeit- alter zu begrenzen, sind die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung zerstört. Eine herausragende Rolle sollte dabei das Prinzip der geteilten, aber unterschiedlichen Verantwortung spielen, das eine Unterscheidung der politischen Verpflichtungen nach ökonomischem Entwicklungsstand, sozialer Ge- rechtigkeit und umweltpolitischer Verantwortlichkeit vorsieht. Wie die Post-2015-Agenda und die Entwicklung der SDGs verknüpft werden sollten, haben wir bereits in un- serem Antrag „Für universelle Nachhaltigkeitsziele – Entwicklungs- und Umweltagenda zusammenführen“ in der letzten Legislaturperiode formuliert. Nur so kann im Jahr 2014 eine integrierte, universell gültige Agenda von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen verabschiedet werden. Die Bundesregierung sollte dies von höchster politischer Ebene aus einfordern und diesbezüglich eine globale Vorreiterrolle übernehmen. Wir Grüne fordern weiterhin, bei dem Prozess zur Positionierung bezüglich der Inhalte und Prioritäten ei- ner Post-2015-Entwicklungsagenda große Transparenz und breite Partizipationsmöglichkeiten für den Bundes- tag und Bundesrat, die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft sicherzustellen. Gerade die Komponente der zivilgesellschaftlichen Beteiligung, die dezentral etwa ähnlich der Agenda 21 zu organisieren wäre, fehlt bislang in Deutschland völ- lig. Eine breite gesellschaftliche Debatte findet faktisch nicht statt. Das ist völlig unverständlich, denn die SDGs werden und müssen auch Deutschland selbst betreffen. Daher reicht es auch nicht aus, wenn das BMZ eine Diskussion um die SDGs unter dem Begriff Zukunfts- charta startet. Dies ist Aufgabe der gesamten Bundesre- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2863 (A) (C) (D)(B) gierung. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die künftige Agenda neben einer politischen Erklä- rung und einem Zielkatalog auch mit einem konkreten politischen Aktionsprogramm versehen wird, das auch die Finanzierung aufzeigt. Deutschland nimmt noch keine Vorreiterrolle ein, Nachhaltigkeit, Klimawandel und Entwicklungszusam- menarbeit zusammen zu denken. Anstatt die Energie- wende weiter zu forcieren, um das 2-Grad-Ziel einhalten zu können, wird von Bundeswirtschaftsminister Gabriel mit der aktuellen EEG-Novelle die Energiewende skru- pellos an die Wand gefahren. Zusätzlich werden weiter- hin bilaterale Atomverträge nicht aufgekündigt und auch noch internationale Investitionen in Kohlekraftwerke un- terstützt. Eine nachhaltige und klimaschützende Energie- außenpolitik sieht so jedenfalls nicht aus. Bei der Quote der Official Development Assistance (Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit) versagt auch diese Bundesregierung völlig. Laut Koalitionsver- trag will die neue Bundesregierung für die 18. Legisla- turperiode nur 2 Milliarden Euro zusätzliche ODA-Mit- tel bereitstellen in Bezug auf das Basisjahr 2013. 80 Prozent der zusätzlichen ODA-Mittel sollen im BMZ verbleiben, die restlichen Mittel verteilen sich auf andere Ressorts. Die versprochenen 0,7 Prozent des Bruttonationalein- kommens für Entwicklung einzusetzen, wird nicht annä- hernd erreicht. Aus Grüner Sicht ist schon allein der ma- gere Aufwuchs kritisch und praktisch eine Absage an das 0,7-Prozent-Ziel. Ein weiteres Armutszeugnis für diese Bundesregierung! Im Gegensatz dazu fordern wir Grüne einen ODA- Aufholplan. Um die Zusagen für die Milleniumsziele einzuhalten, wären in dieser Legislaturperiode 12 Mil- liarden Euro an zusätzlichen ODA-Mitteln notwendig. Hinzu kommt, dass wir uns konzeptionell neu aufstellen müssen. Konkret bedeutet dies, dass wir den ökologischen Fußabdruck und neue Wohlstandskonzepte in einer zu- künftigen Agenda für nachhaltige Entwicklung stärken müssen. Diese Agenda sollte sich von einem einzig am Brutto- inlandsprodukt ausgerichteten Wachstumsbegriff lossa- gen und stattdessen qualitative Indikatoren, wie inklusi- ves Wachstum, Zufriedenheit, Teilhabegerechtigkeit, Umverteilung, ökologische Kosten sowie eine absolute Reduktion des globalen Ressourcenverbrauchs, beinhal- ten. Wir sollten international für die menschlichen Be- dürfnisse grundlegende materielle und von den natürli- chen Ressourcen abhängige sowie auf Gleichheits-, Teil- habe- und Freiheitsrechten basierende Oberziele festlegen. Diese sollten wie Frieden und Gerechtigkeit (bei- spielsweise Geschlechtergerechtigkeit, Schutz vor Ge- walt, Zugang zu fairer Justiz, politische Teilhabe) Erhalt der ökologischen Grundlagen und Biodiversität, Klima- schutz, Ernährungs- und Wassersicherheit, nachhaltige Energie, Bildung und Chancengleichheit, menschenwür- dige Arbeit und Unterkunft, Zugang zur Gesundheitsver- sorgung und zu sozialen Sicherungssystemen beinhalten. Auf nationaler Ebene müssen die Aktivitäten aller Ressorts koordiniert und auf die Politikkohärenz bei der Erarbeitung und Umsetzung einer Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung hingewirkt werden. Die international vereinbarten Ziele müssen bei der 2014 beginnenden Fortschreibung der Nachhaltigkeits- strategie Deutschlands berücksichtigt und das Manage- ment der Nachhaltigkeitsstrategie gestärkt werden. Die SDGs müssen mehr als die MDGs und die ak- tuelle Entwicklungspolitik sein, die sich bisher in der Politik von reichen Gebern gegenüber armen Empfän- gern erschöpft, und dürfen sich nicht auf wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränken. Das große Ganze im Blick zu haben, muss Aufgabe nicht nur der Entwicklungszusammenarbeit sein. Quer durch alle Politikfelder partnerschaftlich mit den Staaten dieser Erde die sozial-ökologische Transformation zu or- ganisieren, sollte das Ziel der neuen Agenda sein. Denn Klimaschutz, Welternährung und Frieden be- dingen sich unmittelbar. Wer versucht diese globalen Herausforderungen voneinander getrennt zu lösen, wird zwangsläufig in die Sackgasse laufen und letztendlich scheitern. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Tagesordnungspunkt 17) Markus Koob (CDU/CSU): Heute beraten wir in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Damit wird das ergänzt und konkretisiert, was dieses Haus in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht hatte. Mit der einkommensteuerrechtlichen Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaften wurde die erste Etappe im Sommer vergangenen Jahres genommen. Es stand da bereits fest, dass wir uns in der 18. Wahlperiode mit Folgeanpassungen beschäftigen würden, nachdem wir sorgfältig und besonnen weitere steuerrechtliche Vorschriften auf einen Gleichstellungsbedarf analysiert haben würden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf befinden wir uns nun vor dem zweiten Etappenziel. Mit diesem wird die vollständige Gleichbehandlung von Ehe und Le- benspartnerschaften in anderen steuerlichen Belangen hergestellt. Das Anpassungspaket dieses Gesetzentwurfs enthält eine Vielfalt von Bereichen, in denen der verbleibende Modifikationsbedarf umgesetzt wird. Wie in jedem Re- 2864 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 (A) (C) (D)(B) gulierungspaket gibt es hier natürlich Schwerpunkte, die herausstechen. Drei gute Beispiele dafür sind die Anpas- sungen in der Abgabenordnung, im Altersvorsorgever- träge-Zertifizierungsgesetz oder im Eigenheimzulagen- gesetz. Dann gibt es natürlich andere Aspekte, die auch eine Bedeutung haben, aber eben keine gleichrangige. Es sei mir an dieser Stelle die Vermutung gestattet: Wohl nur wenige haben damit gerechnet, dass die Einkommen- steuerrechtliche Gleichstellung von Ehe und Lebenspart- nerschaften dazu führt, dass sogar die Kaffeesteuerver- ordnung geändert werden muss. Im Vordergrund steht ja auch etwas anderes: Es geht uns um die Vervollständigung einer lebensnahen und in der Steuerpraxis spürbaren Gleichstellung der Le- benspartnerschaften. Genau hier wird auch diese Folge- gesetzgebung ansetzen. Um ein Gespür dafür zu bekommen, wie sich in die- sem Regelungskomplex originäre Gesetzgebung und die jetzige Folgegesetzgebung zueinander verhalten, möchte ich das gerne an einem Beispiel festmachen. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs in der vergangenen Wahlperiode hat der Gesetzgeber infolge der Entscheidung der Rechtsprechung das Ehegatten- splitting auch für Lebenspartnerschaften geöffnet, also das Verfahren, nach dem verheiratete Paare besteuert werden, die sich für die gemeinsame Veranlagung ent- schieden haben. Dies hat unter anderem zur Folge, dass seit Inkrafttre- ten des Gesetzes zum Beispiel die Unterhaltsaufwendun- gen nicht mehr gesondert geltend gemacht und nach- gewiesen werden müssen. Statt zwei getrennter Steuererklärungen müssen Lebenspartner heute nur noch eine gemeinsame Steuererklärung abgeben. Das ist be- reits geltende Rechtslage. Das ist die eine Seite der Me- daille. Auch die zweite Seite spielt in der Folgeanpassung eine Rolle. Wir werden mit diesem Gesetz gewährleis- ten, dass in Zukunft die Bekanntgabeerleichterungen – insbesondere für Steuerbescheide – nun auch für Le- benspartner gelten werden. Damit mindern wir auch den Verwaltungsaufwand aufseiten der Steuerbehörden. Wir sorgen hier für eine spürbare Gleichstellung im Alltag: Wenn steuerlich gemeinsam veranlagte Eheleute eine gemeinsame Steuererklärung abgeben, erhalten sie auch einen gemeinsamen Steuerbescheid. Dies wird jetzt auch für Lebenspartner gelten. Eine gemeinsame Steuererklärung, ein gemeinsamer Steuerbescheid – ein handfestes und wichtiges Beispiel dafür, wie die Vervollständigung der steuerlichen Gleichstellung in der Lebenswirklichkeit aussieht. Ähnlich lebensnah ist ein anderes Beispiel, nämlich die private Altersvorsorge. Versicherungsnehmer können bei Abschluss einer zertifizierten privaten Rentenversi- cherung zusätzlich auch eine Hinterbliebenenabsiche- rung für den Todesfall vereinbaren. Diese zusätzliche, private Hinterbliebenenabsicherung ist für die Fälle vor- gesehen, in denen der Versicherte kurz nach Auszah- lungsbeginn oder im fortgeschrittenen Ansparstadium verstirbt. Die Hinterbliebenen erhalten in diesem Falle dann eine Auszahlung. Bislang bestand der Kreis der möglichen Hinterblie- benen, also der Anspruchsberechtigten dieser privaten Versicherungsleistung, aus Ehepartnern sowie kinder- geldberechtigten Kindern. Jetzt werden auch die Le- benspartner in diesen Kreis der möglichen Hinterbliebe- nen aufgenommen. All dies sind im Grunde unstrittige und sinnvolle Re- gelungsinhalte. In jedem Fall sind es rechtlich notwen- dige Folgeanpassungen, über die wir zu beschließen ha- ben. Lebenspartnerschaften sind auch Verantwortungsge- meinschaften – auch in dieser Form des Zusammenle- bens werden Werte gelebt und Verantwortung für einan- der übernommen. Ganz in diesem Sinne leisten diese Anpassungen ebenfalls einen Beitrag zur steuerlichen Gleichstellung der Lebenspartnerschaften, so wie es durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich wurde. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Der Ent- wurf des Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Regelun- gen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichtes dient der zeitnahen Umsetzung eines noch verbliebenen Anpassungsbedarfs zur steuerlichen Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften in ver- schiedenen Steuergesetzen. Dieser Gesetzentwurf wurde bereits in der letzten Le- gislaturperiode angekündigt und enthält weitere Maß- nahmen zur Umsetzung der Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013. Letztlich ist es eine wohl für notwendig erachtete Folgeänderung zum Gesetz zur Änderung des Einkom- mensteuergesetzes vom 15. Juli 2013, mit dem der Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Einkom- mensteuergesetz bereits weitgehend Rechnung getragen wurde. Vor Ende der letzten Legislaturperiode war eine ab- schließende Prüfung des erforderlichen weiteren Anpas- sungsbedarfs in der Kürze der damals zur Verfügung ste- henden Zeit nicht mehr möglich. Die Änderungen betreffen nun Bereiche der Ab- gabenordnung, des Altersvorsorgeverträge-Zertifizie- rungsgesetzes, des Bewertungsgesetzes, des Bundes- kindergeldgesetzes, des Eigenheimzulagengesetzes, des Wohnungsbauprämiengesetzes, des Energiesteuerge- setzes, ja sogar der Kaffeesteuerverordnung und der deutsch-schweizerischen Konsultationsvereinbarung. Ins- gesamt sind es 16 Gesetze und Verordnungen, die mit die- sem Gesetzentwurf geändert werden. Hier fällt einem wieder einmal auf, wie umfänglich unsere Steuergesetze alles regeln wollen. Sie fragen sich ja vielleicht auch, genauso wie ich, welche bedeutenden Regelungen in der Kaffeesteuerver- ordnung erfasst sind. Nun, es geht hier um die Befreiung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 2865 (A) (C) (D)(B) von der Kaffeesteuer der – ich zitiere aus der Verordnung – Leiter der diplomatischen und konsularischen Vertretun- gen, ihrer diplomatischen Mitglieder, Konsularbeamten, Mitglieder ihres Verwaltungs- und technischen Personals und ihres dienstliche Hauspersonals sowie der Familien- mitglieder dieser Personen. Familienmitglieder im Sinn dieser Bestimmung sind der Ehegatte und – jetzt neu – auch der Lebenspartner, die unverheirateten und – wie- derum jetzt neu – nicht in einer Lebenspartnerschaft le- benden Kinder und die Eltern, wenn sie von diesen Per- sonen wirtschaftlich abhängig sind und in ihrem Haushalt leben. Nicht begünstigt sind Deutsche oder sol- che Staatenlose und Ausländer, die ihren ständigen Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes hatten, ehe sie zu den in Absatz 2 Nummer 2 genannten Personen gehörten – Ende des Zitats. Das ist doch einmal eine ganz entscheidende Vor- schrift, die dringend neu geregelt werden musste. Es wundert einen bei diesen zahlreichen Regelungen, dass es nicht noch viel länger gedauert hat, bis dieses Ände- rungsgesetz als Entwurf dem Hohen Haus zugeleitet werden konnte. So ganz mag sich mir allerdings nicht erschließen, warum man auch noch ein Gesetz ändert, bei dem es seit dem Jahr 2006 keine neuen Fälle mehr gibt, weil es aus- gelaufen ist. Die Eigenheimzulage wird ab dem 1. Januar 2006 nämlich nicht mehr für neue Fälle gewährt und ist damit spätestens 2013 ausgelaufen. Es ist doch auch eher unwahrscheinlich, dass hier noch viele Fälle vorliegen, in denen Einsprüche einge- legt wurden, und die damit so lange verfahrensrechtlich offengehalten wurden. Aber gründlich wie wir bei der Gesetzgebung nun mal sind, ändern wir eben auch dieses Gesetz. Bei der Vorbereitung auf die Rede habe ich mich auch noch einmal mit dem Urteil des Bundesverfassungsge- richtes beschäftigt, zu dem es zwei abweichende Voten der Richter gab. In der Begründung führt das Gericht unter anderem aus: Zweck des Splittingverfahrens ist es, Ehen unab- hängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten bei gleichem Gesamteinkommen gleich zu besteuern. Das Splittingverfahren nimmt hierbei den zivilrechtlichen Grundgedanken der Ehe als Gemein- schaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. Da das bei einer Lebenspartnerschaft ähnlich sei, müsse das Einkommensteuerrecht entsprechend ange- passt werden, begründete das Gericht sinngemäß seine Entscheidung. Die Verfassung stellt Ehe und Familie aber in Arti- kel 6 Absatz 1 GG unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser besondere Schutz wird der Ehe zuteil, weil sie Vorstufe zur Familie sein kann, die wiederum Voraussetzung der Generationenfolge und da- mit der Zukunftsgerichtetheit von Gesellschaft und Staat ist. Wenn Ehe und Familie aber unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt sind, dann ergibt sich zwangsläufig, dass daraus eine Ungleichbehandlung anderer Formen des Zusammenlebens abgeleitet werden muss. Dies ist nicht nur meine Meinung, sondern die ei- niger rechtlich wesentlich versierterer Fachleute. Für mich stellt sich damit die Frage, ob aus dieser starken Betonung der Gleichheitsnorm des Artikels 3 GG die Schutzfunktion des Artikels 6 GG für Ehe und Fami- lie so weit eingeschränkt werden kann. Selbstverständlich müssen wir die Entscheidung un- seres höchsten Gerichtes akzeptieren und die Gesetze und Verordnungen, wie im vorliegenden Entwurf ge- schehen, anpassen. Die Frage, ob das Verfassungsgericht die Verfassung in ihrem Kern schützen soll oder, wie in letzter Zeit im- mer mehr geschehen, durch politische Entscheidungen weiterentwickeln darf, wird uns aber sicher auch noch bei weiteren zu erwartenden Entscheidungen des Gerich- tes beschäftigen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Heute reden wir zum x-ten Mal über die steuerliche Gleichstellung gleich- geschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Das alles hätten wir sehr viel einfacher und vor allem früher haben können, wenn die konservative Seite dieses Hau- ses sich nur mal rechtzeitig der Realität gestellt hätte. Doch weit gefehlt: Sowohl den heute vorliegenden Gesetzentwurf als auch die vorhergehende Änderung des Einkommensteuerrechts zum Ende der letzten Legis- laturperiode haben Sie nur aus einem einzigen Grunde zustande gebracht: weil Ihnen das Bundesverfassungs- gericht im Mai letzten Jahres nämlich mal wieder die Leviten gelesen hat. Das Gericht hat unmissverständlich klargestellt, dass an einer steuerlichen Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften auf der einen und Ehen auf der anderen Seite kein Weg vorbeiführt. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und insbesondere auch Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von der Unionsfraktion: Bei der Frage der Gleich- stellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe haben Sie sich leider nicht mit Ruhm bekleckert! Im Gegenteil, Sie haben leider eine offensichtlich eher oberflächliche Kenntnis der Verfassung der Bundesrepublik Deutsch- land zur Schau gestellt. Während der gesellschaftlichen und juristischen Debatte der letzten Jahre hätte nämlich ein Blick in das Grundgesetz genügt, um hier einmal von selbst auf die Notwendigkeit der steuerrechtlichen Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe zu kommen. Aber nein, leider musste wieder einmal erst das Bun- desverfassungsgericht tätig werden und Ihnen auf die Finger hauen, damit es endlich zur Verwirklichung durch die Verfassung garantierter Rechte kommt. An anderer Stelle berufen Sie sich zwar gern mal auf das Grundge- setz, aber wenn es dann um elementare Prinzipien wie den Gleichheitssatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes geht, nehmen Sie es mit der Verfassung dann doch nicht so genau. Das ist, mit Verlaub, schon etwas peinlich. Immerhin ist der vorliegende Gesetzentwurf nun ein weiterer kleiner Schritt hin zur Gleichberechtigung von 2866 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2014 (A) (C) (D)(B) gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und Ehe. Die Fraktion Die Linke begrüßt das. Die jetzige Legislaturperiode ist noch jung und es bleibt Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundes- regierung, aller Voraussicht nach noch etwas Zeit, um sich der weiteren Aufgaben in diesem Bereich anzuneh- men – zumindest solange Ihre per Koalitionsvertrag geschlossene Lebenspartnerschaft nicht vorzeitig ge- schieden wird. Zu diesen Aufgaben gehört unter anderem die Umset- zung der vom Bundesverfassungsgericht geforderten steuerrechtlichen Gleichstellung von Lebenspartner- schaften und Ehen in der Praxis – ich erinnere an die Probleme der zuständigen Finanzverwaltungen der Länder beim Vollzug der Besteuerung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner im Rahmen der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Eines sollte Ihnen jedenfalls klar sein: Dieser Gesetz- entwurf kann nur ein weiterer von vielen Schritten sein – es gibt noch diverse Baustellen, auf denen weiter ange- packt werden muss. Ringen Sie sich endlich dazu durch, die Gleichstel- lung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe auch im Adoptionsrecht zu verwirklichen. Die Fraktion Die Linke fordert seit langem die rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz der Vielfalt der Lebens- weisen. Dazu gehören auch Einelternfamilien, Singles, Regenbogenfamilien mit mehr als zwei Elternteilen, zu- sammenlebende Freunde, Verwandte, Patchworkfami- lien, Wahlverwandtschaften oder auch Paare, die sich gegen Ehe und Lebenspartnerschaft entschieden haben. Eine Öffnung der Ehe für Lebenspartnerinnen und Lebenspartner ist hier aus unserer Sicht nur ein Zwi- schenschritt. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich hoffe für Sie, dass dies das letzte Mal war, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen den Weg weisen musste. Also setzen Sie sich konsequent für die Abschaffung jeglicher Benachteiligung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner gegenüber Ehe- leuten ein. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Koalitionsparteien wollen also dafür gelobt werden, dass sie hier eine Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften im Steuerrecht auf den Weg brin- gen. In Wahrheit aber hinkt auch diese Koalition der Le- benswirklichkeit weit hinterher. Während sie sich heute als Wohltäter diskriminierter Menschen gerieren, werden sie schon bald, nämlich beim Adoptionsrecht, erneut vom Bundesverfassungsge- richt darüber belehrt, schwule und lesbische Lebensrea- litäten mit Kindern zu akzeptieren und rechtlich mit der Ehe gleichzustellen. Unermüdlich weist Karlsruhe seit mehr als zehn Jahren darauf hin, dass die Ungleichbe- handlung von Ehen und Lebenspartnerschaften dem Grundgesetz widerspricht. Bislang mussten die Richter die Einhaltung der Verfassung in jedem einzelnen Fall erzwingen: bei der Beamtenbesoldung, bei der Erb- schaftsteuer, bei der Grunderwerbsteuer, bei der Ein- kommensteuer und bei der Sukzessivadoption. Ohne die mutigen Menschen, die ihr Recht in Karls- ruhe erstritten haben, würden Sie bis heute an ihrer Blo- ckadehaltung festhalten. Sie enthalten Menschen in diesem Land grundlegende Rechte vor, meine Damen und Herren von der CDU, CSU und auch von der SPD – und zwar weil die Bundes- kanzlerin höchstselbst sich bei dem Gedanken an die Gleichstellung „unwohl“ fühlt. Dabei hatte die SPD noch vor einem halben Jahr getönt, sie stehe für eine um- fassende – nicht nur steuerliche – Gleichstellung. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz definie- ren Sie Lebenspartner als Angehörige im Sinne der Ab- gabenordnung. Wie wollen Sie denn erklären, dass Le- benspartner steuerlich eine Familie sind, sonst aber nicht? Dieser Widerspruch muss selbst Ihnen auffallen. Widerwillig also schießen Sie eine klaffende Gerech- tigkeitslücke im Steuerrecht. Doch Sie pflegen immer noch Ihre Vorurteile und Ressentiments gegen andere Lebensentwürfe. Wie zum Beweis beklagen Sie, dass so viele Gesetze geändert werden müssten – der ganze Auf- wand lohne doch kaum für die wenigen Betroffenen. Da- mit zeigen Sie, wie zynisch und unseriös Sie diese De- batte führen. Der einfachste und kostengünstigste Weg ist: Öffnen Sie die Ehe. Lassen Sie zwei Menschen gleichen Ge- schlechts einander heiraten. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Wenn es Ihnen nur wichtig genug wäre, könnten Sie die Öffnung der Ehe genauso schnell beschließen wie eine Diätenerhöhung. 33. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes TOP 5, ZP 2 Soziales Europa TOP 6, ZP 3 Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien TOP 24, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 25, ZP 5 Abschließende Beratung ohne Aussprache ZP 6 Aktuelle Stunde zum Treffen der Bundeskanzlerin mit dem US-Präsidenten TOP 7 Bundeswehreinsatz EU-Operation Atalanta TOP 9 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (Fleischwirtschaft) TOP 23 Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten TOP 11, ZP 9, ZP 10 Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen ZP 8 Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung TOP 12 Hochschulpakt TOP 13 Fortentwicklung des Meldewesens TOP 14 Unterhaltsvorschuss TOP 15 Anpassung von Finanzmarktregelungen ZP 11, 12 Einsatz von Düngemitteln TOP 17 Anpassung steuerlicher Regelungen TOP 16 Entwicklungsziele der Vereinten Nationen Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803300000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten,
haben wir noch einige Wahlen durchzuführen. Davor
würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, den Kollegin-
nen und Kollegen, die während unserer parlamentari-
schen Osterpause besondere Geburtstage gefeiert haben,
noch einmal herzlich zu diesem Ereignis zu gratulieren:
Der Kollege Dr. h. c. Gernot Erler hat seinen 70. Ge-
burtstag gefeiert. Der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach
sowie der Kollege Rüdiger Veit haben ihren 65. Ge-
burtstag gefeiert. Ihren 60. Geburtstag begingen die Kol-
legin Dagmar Wöhrl sowie die Kollegen Thomas
Oppermann und Ewald Schurer. Allen Genannten und
denjenigen, die nicht ganz so auffällige Geburtstage
während der Osterpause hatten, möchte ich auch auf die-
sem Wege noch einmal herzlich gratulieren und alles
Gute für das neue Lebensjahr wünschen.


(Beifall)


Was die notwendigen Wahlen angeht, schlägt die
SPD-Fraktion für den Wahlprüfungsausschuss vor, die
Kollegin Gabriele Fograscher für den Kollegen
Michael Hartmann und den Kollegen Florian Post für
den Kollegen Christian Flisek als ordentliche Mitglieder
zu wählen. Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht
ganz danach aus. Damit sind die Kollegin Fograscher
und der Kollege Post als ordentliche Mitglieder dieses
Ausschusses gewählt.

Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für die Kollegin
Andrea Lindholz die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein
als neue Schriftführerin zu wählen. – Auch dazu kann
ich keinen Widerspruch erkennen. Dann ist die Kollegin
Dr. Freudenstein als Schriftführerin gewählt.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-
bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Zur aktuellen Lage in der Ukraine

(siehe 32. Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämp-
fen – Stopp des Programms MobiPro-EU so-
fort aufheben

Drucksache 18/1343
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unter-
stützung für die Nachbarstaaten

Drucksache 18/1335

ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 24)


Unterrichtung durch die Bundesregierung

Stadtentwicklungsbericht 2012

Drucksache 17/14450
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 5 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu TOP 25)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Festlegung einheitlicher Vorschriften und ei-
nes einheitlichen Verfahrens für die Abwick-
lung von Kreditinstituten und bestimmten
Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitli-
chen Abwicklungsmechanismus und eines
einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie
zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/
2010 des Europäischen Parlaments und des
Rates

KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/1/13

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Für einen europäischen Bankenabwicklungs-
mechanismus und Bankenabwicklungsfonds

Drucksache 18/1340

ZP 6 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel mit US-Präsident Barack
Obama

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kündigung bilateraler Kooperationen im Be-
reich der Nutzung atomarer Technologien

Drucksache 18/1336

ZP 8 Vereinbarte Debatte

zum Europäischen Tag zur Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van
Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Für ein generelles Verbot des Exports von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern

Drucksache 18/1348

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Katja Keul, Dr. Frithjof
Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Echte Transparenz und parlamentarische Be-
teiligung bei Rüstungsexportentscheidungen
herstellen

Drucksache 18/1360
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Harald Ebner, Peter Meiwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Den Umgang mit Nährstoffen an die Umwelt
anpassen

Drucksache 18/1338
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Wasserqualität für die Zukunft sichern –
Düngerecht novellieren

Drucksache 18/1332
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 6 b, 8
und 10 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in
der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderun-
gen des Ablaufs.

Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkte-
liste aufmerksam:

Der am 14. Februar 2014 (15. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Bewältigung von Konzernin-
solvenzen

Drucksache 18/407
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Der am 20. März 2014 (23. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innen-
ausschuss (4. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden:

Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Umsetzung der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts zur Suk-
zessivadoption durch Lebenspartner

Drucksache 18/841
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Der am 4. April 2014 (27. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für
Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitberatung überwie-
sen werden:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Corinna
Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonven-
tion – Sofortprogramm für Barrierefreiheit
und gegen Diskriminierung

Drucksache 18/977
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur grund-
legenden Reform des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestim-
mungen des Energiewirtschaftsrechts

Drucksache 18/1304
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Caren Lay, Ralph Lenkert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ökostromförderung gerecht und bürgernah

Drucksache 18/1331
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keine Einwände. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar
Gabriel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit der Reform des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes wollen wir sicherstellen, dass die Energie-
wende weiter vorankommt. Bei den Ausbaupfaden für
Windenergie und Photovoltaik wird die Höhe nicht etwa,
wie gelegentlich öffentlich behauptet, verringert, son-
dern verstetigt, und sie werden sogar weiter ausgebaut.
Der Ausbaupfad der Photovoltaik bleibt wie bisher.
Beim Ausbaupfad für Windenergie an Land legen wir
mit ebenfalls 2,5 Gigawatt pro Jahr den höchsten Wert
als Ziel fest, den wir in den letzten zehn Jahren nur ein
einziges Mal erreicht haben. Damit werden die beiden
kostengünstigsten Formen der erneuerbaren Energien
die Energiewende weiterhin tragen.

Beim Ausbaupfad für die eher kostenintensive Bio-
masse erfolgt eine Festlegung auf die Verwendung von
Reststoffen und auf 100 Megawatt pro Jahr. Bei Off-
shorewind wollen wir durch einen Ausbaupfad von
6,5 Gigawatt bis 2020 die Größenordnung erreichen, die
wir brauchen, um eine echte Industrialisierung voranzu-
treiben und damit deutliche Kostensenkungen auch in
diesem Feld der Produktion erneuerbarer Energien zu er-
reichen. Die Stahl- und Werftindustrie im Norden und
Osten Deutschlands, aber auch der Maschinenbau und
die Elektrotechnik im Westen und im Süden der Repu-
blik werden davon profitieren.

Ich nenne diese ambitionierten Ausbauziele so detail-
liert, um zu zeigen, dass niemand Sorge haben muss, die
Energiewende würde ausgebremst oder die Ausbauziele
der erneuerbaren Energien würden insgesamt begrenzt,
im Gegenteil.


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Krischer, ich sage dies insbesondere wegen Ih-
nen. Hören Sie einfach einmal zu.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der versteht das aber nicht!)


Herr Krischer, bei Kenntnis der Grundrechenarten
muss man Folgendes erkennen: Zehn Jahre lang ist nur
einmal die Leistung von 2,5 Gigawatt an Land erreicht
worden, und jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, in dem
vorgesehen ist, dass man diese 2,5 Gigawatt jedes Jahr
erreicht. Angesichts dessen ist es bei Kenntnis der
Grundrechenarten relativ schwer, öffentlich zu behaup-
ten, man würde den Ausbau der Windenergie an Land
ausbremsen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber umgekehrt gilt auch: Dort, wo nach 20 Jahren
Förderung die Kosten nicht gesunken, sondern gestiegen
sind, fahren wir den Ausbau deutlich zurück. Dort, wo
wir Überförderungen der Windenergie sehen – auch dies
ist zum Teil bei sehr guten Standorten der Fall –, bauen
wir die Überförderung ab. Beides gehört zusammen:


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)






Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Ausbau der kostengünstigen Energieträger und Abbau
der kostenintensiven Energieträger und der Überförde-
rung – nur durch diese Kombination machen wir die
Energiewende erfolgreich, sicher und bezahlbar.

Heute haben die erneuerbaren Energien am Strom-
markt einen Anteil am Stromverbrauch von etwa 25 Pro-
zent. Wir wollen 2025 einen Anteil der erneuerbaren
Energien am Nettostromverbrauch von 40 bis 45 Prozent
haben, bis 2035 sogar von 55 bis 60 Prozent. Deutsch-
land wird Vorreiter für eine Energiepolitik bleiben, die
uns mittel- und langfristig übrigens auch unabhängiger
vom Import konventioneller Energieträger machen wird.
Wir setzen die Energiewende damit unbeirrt fort, aber
wir sichern auch ihre Voraussetzungen. Diese lauten:
Bezahlbarkeit und Sicherheit in der Versorgung. Nur
wenn wir diese beiden Voraussetzungen gewährleisten,
wird die Energiewende dauerhaft die Unterstützung der
Bürgerinnen und Bürger behalten.

Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich bei all de-
nen bedanken, die sich dieser Herausforderung gerade in
den letzten Wochen und Monaten intensiv gestellt haben.
Das gilt auch für die Länder, meine Damen und Herren.
Trotz mancher Änderungsvorschläge im Detail, die si-
cher auch in den Beratungen im Deutschen Bundestag
und im Bundesrat auftauchen werden – über sie muss
noch diskutiert und es muss entschieden werden –, findet
der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf nach intensiver Bera-
tung in Zielrichtung und Ausrichtung die Zustimmung
aller Ministerpräsidenten der Bundesländer. Das gilt aus-
drücklich auch für den Weg in die Marktintegration und
in die Ausschreibungen ab 2017. Niemand – darauf lege
ich Wert – muss Angst davor haben, dass auf diesem
Weg Bürgerwindparks oder Energiegenossenschaften
keine Chance auf Teilnahme mehr erhalten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Sind Sie da sicher?)


Im Gegenteil: Wir werden einen gesonderten Gesetzent-
wurf in den Bundestag einbringen, mit dem wir diese
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig si-
chern werden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Zustimmung der Länder zu diesem Gesetzent-
wurf, jedenfalls in Zielrichtung und Ausrichtung, ist
auch deshalb so wichtig, weil das Wichtigste für die
Energiewende natürlich Planbarkeit und Berechenbar-
keit sind. Wir müssen in eine Situation kommen, in der
auch bei wechselnden Regierungsmehrheiten in Bund
und Ländern nicht wieder Richtungswechsel herbeige-
führt und veränderte Rahmenbedingungen für die Ener-
giewende erzeugt werden.

Meine Damen und Herren, als der Beschluss fiel, er-
neuerbare Energien mit garantierten Abnahmepreisen zu
fördern, waren Windräder und Photovoltaikkraftwerke
erst eine Nischentechnologie. Heute sind die Erneuerba-
ren auf dem Weg zur Leittechnologie. Genau deshalb
müssen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz jetzt än-
dern. Es ist ein Unterschied, ob ein Gesetz eine Nischen-
technologie fördern soll oder ob es eine Technologie för-
dern soll, die sozusagen zum veritablen Bestandteil, zum
Leitbestandteil des Strommarktes werden soll.
Vieles ist durch den Ausbau der Erneuerbaren in gro-
ßem Stil verbessert worden. Seit es das EEG gibt, konn-
ten vor allen Dingen die Kosten der Stromerzeugung in
den Bereichen Windenergie und Photovoltaik drastisch
gesenkt werden. Aber diese rasche Entwicklung hat auch
ihren Preis, und zwar im doppelten Sinn: Neben sinken-
den Kosten pro Anlage gibt es steigende Systemkosten
der Energiewende. Diese gilt es in den nächsten Wochen
und Monaten zu stabilisieren. Denn der Ausbau der er-
neuerbaren Energien ist vor allen Dingen in systemati-
scher Hinsicht eine Herausforderung. Es ist falsch, „Je
schneller, desto besser“ zum Motto der Energiewende zu
erklären. Das Motto muss lauten: „Je systematischer,
desto besser“ und „Je planvoller, desto besser“. Das
muss das Ziel der Energiewende sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für diese systematische Einbindung fehlt es zurzeit
immer noch an vielem: Es fehlt an Netzen und Spei-
chern. Es fehlt die Klärung der Verbindung zwischen er-
neuerbaren Energien und fossilen Kraftwerksparks. Es
fehlt an einem neuen Strommarktdesign. Es fehlt an eu-
ropäischer Einbettung. Es fehlt natürlich auch an einem
funktionierenden Emissionshandel. All diese Aufgaben
müssen in den nächsten Monaten angegangen werden.
Das, was wir jetzt vorliegen haben, ist nur ein erster
Baustein. Die systematische Einbindung ist aber die Vo-
raussetzung für den Erfolg der Energiewende.

Eine Bemerkung noch zum Emissionshandel. Natür-
lich ist es eigentlich unfassbar, dass wir viel Geld für die
Förderung der erneuerbaren Energien ausgeben und
gleichzeitig seit zwei Jahren steigende CO2-Emissionen
in Deutschland und Europa zu verzeichnen haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie dagegen?)


– Herr Krischer, ich bin dankbar für jeden Zwischenruf
von Ihnen, weil er zur Belebung solcher Reden hilfreich
ist.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Aber es ist eben nicht so, wie Sie behaupten. Das
Schlimme ist, Herr Krischer: Sie wissen das ganz genau.
In einer aufgeklärten Debatte darf man nicht das Gegen-
teil dessen, was man selber genau weiß, öffentlich erklä-
ren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich meine das nicht persönlich. Es ist aber gut, dass man
angesichts solcher Zwischenrufe die Sachverhalte erläu-
tern kann. Wie Sie wissen, ist das Problem, dass der eu-
ropäische Emissionshandel zerstört ist. Es ist diese
Bundesregierung, die sich in Europa darum bemüht,
Bündnispartner zu gewinnen, um den Emissionshandel
endlich wieder in Gang zu bekommen. Sie sollten uns
dafür loben und uns nicht öffentlich kritisieren!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist
viel darüber debattiert worden, ob es richtig ist, die deut-
sche Industrie von den Kosten der Energiewende in Tei-





Bundesminister Sigmar Gabriel


(C)



(D)(B)

len zu befreien. Immer wieder wird dabei der Versuch
unternommen, die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher gegen die Interessen am Erhalt industrieller
Arbeitsplätze auszuspielen. Auch gestern in der Frage-
stunde im Deutschen Bundestag ist das wieder in Teilen
der Fall gewesen. Ich glaube, dass der Versuch, Verbrau-
cher gegen industrielle Arbeitsplätze auszuspielen,
grundfalsch ist, meine Damen und Herren, grundfalsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zunächst muss man einmal mit der Mär aufräumen,
die deutsche Industrie würde keinen Beitrag zur Umstel-
lung auf erneuerbare Energien leisten. Der Beitrag der
deutschen Industrie zur EEG-Umlage umfasst mehr als
7 Milliarden Euro. Wenn Sie Dienstleistungen, Handel
und Gewerbe dazuzählen, sind es insgesamt mehr als
12 Milliarden Euro. Das ist mehr als die Hälfte der Kos-
ten, die wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu
bewältigen haben.

In Wahrheit geht es um ungefähr 2 000 Industrie-
unternehmen mit entsprechender internationaler Han-
delsintensität, deren Energieintensität dazu führt, dass
drastisch steigende EEG-Umlage-Kosten für sie im Hin-
blick auf ihre internationale Konkurrenzfähigkeit zu ei-
nem massiven Wettbewerbsnachteil würden. Natürlich
könnten wir einen Dreipersonenhaushalt bei den Strom-
kosten um 40 bis 45 Euro pro Jahr entlasten, wenn wir
auch diesen 2 000 Unternehmen sämtliche Ausnahmen
streichen würden. – Übrigens: Wenn man das machte,
wovon Herr Krischer behauptet, ich hätte das verspro-
chen, dann betrüge die Entlastung gerade einmal 1 Mil-
liarde Euro, dann würde ein Dreipersonenhaushalt nicht
einmal 10 Euro im Jahr sparen. – Der Preis dafür wäre
allerdings der Verlust von Hunderttausenden industriel-
len Arbeitsplätzen in diesem Land.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Es ist doch keine Erfindung von Industrielobbyisten,
dass die Strompreise in den USA halb so hoch sind wie
in Europa und in Deutschland. Es ist doch keine Erfin-
dung von Industrielobbyisten, dass, wenn wir uns nicht
in der Europäischen Union dafür eingesetzt hätten, diese
Ausnahmen beizubehalten, mittelständische Unterneh-
men mit 200, 300, 400 Beschäftigten auf einmal statt ei-
ner halben Million Euro EEG-Umlage 1,5 Millionen
Euro, manche sogar 6 Millionen Euro zu tragen hätten.
Sie wären unmittelbar in die Insolvenz marschiert. Des-
wegen ist es richtig, dass wir uns für diese Ausnahmen
eingesetzt haben, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wer Verbraucher gegen industrielle Wertschöpfung
ausspielt, der macht beide zum Verlierer; denn gerade
die Tatsache, dass wir eine mittelständische industrielle
Wertschöpfung haben, ist doch der Grund, warum wir
besser aus der Krise herausgekommen sind als andere.

Noch etwas: Wir wollten mit der Energiewende
Nachahmer erzeugen. Wir wollten doch nicht Klima-
schutz in Deutschland machen, sondern wir wollten an-
dere dafür gewinnen, dass sie mitmachen. Das werden
die aber nur dann tun, wenn wir mit der Energiewende
den industriellen Erfolg unseres Landes nicht beschädi-
gen. Wir werden doch kein Entwicklungsland dazu brin-
gen, seinen Industrialisierungspfad nachhaltig mit erneu-
erbaren Energien zu gestalten, wenn das Land, das am
stärksten industrialisiert ist in Europa, seine Industrie da-
bei beschädigt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Niemand würde uns folgen, meine Damen und Herren,
niemand.

Gestern hat das Kabinett deshalb die Besondere Aus-
gleichsregelung für stromintensive Unternehmen be-
schlossen. Weil auch dazu wirklich viele falsche Aussa-
gen getroffen wurden, zum Beispiel, wir würden die
Pelzindustrie oder den Braunkohletagebau oder Uranan-
reicherungsanlagen fördern, will ich dazu einmal ein
paar Bemerkungen machen: Entweder gehört ein Unter-
nehmen zu den 68 Branchen auf der Liste, die die EU-
Kommission veröffentlicht hat; dann hat es die Möglich-
keit, beim BAFA einen Antrag zu stellen, um eine Be-
freiung zu erhalten. Das heißt aber noch nicht, dass die-
ser Antrag genehmigungsfähig ist – dazu muss das
Unternehmen nachweisen, dass das Verhältnis Strom-
kosten zur Bruttowertschöpfung mindestens 16 bzw.
17 Prozent ausmacht. Deswegen wird das zitierte Unter-
nehmen der Pelzindustrie oder auch die Urananreiche-
rungsanlage in Zukunft genauso wenig wie in der Ver-
gangenheit eine Ausnahme genehmigt bekommen. In
der Vergangenheit gab es in Deutschland übrigens über-
haupt keine Bedingungen dafür; das gesamte produzie-
rende Gewerbe konnte Anträge stellen. Jetzt reduzieren
wir das auf eine ausgewiesene Liste von Branchen. Aber
es ist einfach – seien Sie mir nicht böse! – entweder
mangelnder Kenntnisstand


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde!)


oder absichtliche Desinformation, wenn öffentlich er-
klärt wird, jeder, der auf der Liste steht, würde eine Aus-
nahme genehmigt bekommen. Ich finde, es ist ganz ein-
fach: Statt das öffentlich zu behaupten, kann der, der
eine Frage hat, uns einfach einmal anrufen. Aber ich
gebe zu: Die nächste Pressemitteilung wird dann schwie-
riger.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die zweite Möglichkeit ist: Man gehört zwar nicht zu
diesen 68 Branchen, steht aber auf einer zweiten Bran-
chenliste, die die EU-Kommission veröffentlicht hat.
Um auf dieser zweiten Branchenliste zu erscheinen, ist
nur eine Handelsintensität von mehr als 4 Prozent erfor-
derlich. Nach unserer Besonderen Ausgleichsregelung
kann ein Unternehmen demgegenüber nur dann einen
entsprechenden Antrag stellen, wenn es eine Stromkos-
tenintensität von mehr als 20 Prozent aufweist.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist bei 20 Prozent der Anreiz für Energieeffizienz?)


(A)






Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

– Das habe ich Ihnen gestern erklärt: Aus diesem Grund
gibt es die Verordnungsermächtigung in dem Gesetzent-
wurf. Sie müssen die Vorlagen natürlich lesen, bevor Sie
Pressemitteilungen herausgeben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will nur darauf hinweisen, dass die Stromkostenin-
tensität und die Handelsintensität der Branche Voraus-
setzungen dafür sind, dass man eine Ausnahmegenehmi-
gung erhält.

Noch etwas war und ist uns wichtig: In der Vergan-
genheit haben Unternehmen, zum Beispiel Schlachthöfe,
damit begonnen, ihre Arbeitnehmer auszugliedern und
sie in finsterste Werkvertragsverhältnisse zu bringen.
Dadurch haben sie ihre Bruttowertschöpfung künstlich
reduziert, um in den Genuss der Besonderen Ausgleichs-
regelung zu kommen.

Wir haben in der EU durchsetzen können, dass wir
die Wertschöpfung durch Leiharbeiter, Werkvertragsar-
beitnehmer und andere mit zur Bruttowertschöpfung
zählen können, damit wir mit dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz nicht einen Anreiz dafür setzen, aus fairen
Beschäftigungsverhältnissen zu fliehen. Das wird mit
dieser Besonderen Ausgleichsregelung endlich geändert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus den genannten Gründen ist es falsch, zu behaup-
ten, dass sich bereits aus dem Erscheinen einer Branche
auf der Liste automatisch der Anspruch auf eine Ermäßi-
gung hinsichtlich der EEG-Umlage ergibt.

Der vorliegende Entwurf des EEG orientiert sich eben
nicht an Einzelinteressen, sondern zielt auf einen breiten
Konsens über das übergeordnete Interesse unseres Lan-
des ab. Meine Bitte ist, dass wir den Versuch unterneh-
men – und ich bin mir sicher, wir können das schaffen –,
den Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause nicht nur
hier, sondern auch im Bundesrat zu Ende zu beraten,
weil das die Voraussetzung dafür ist, dass wir die Ener-
giewende ohne weitere Konflikte mit der Europäischen
Union, aber auch ohne Konflikte in Bezug auf Planungs-
unsicherheit fortsetzen und die erneuerbaren Energien
erfolgreich ausbauen können.

Ich sage aber auch: Das hier ist nur der erste Baustein
dessen, was wir in dieser Legislaturperiode gemeinsam
schaffen müssen. Es gibt noch viel mehr zu tun. Ich bin
mir sicher, dass wir den gefundenen Konsens über den
Ausstieg aus der Atomenergie auch hinsichtlich der
Frage finden müssen, wie wir erneuerbare Energien,
Netzintegration, Speicher, Kapazitätsmärkte und anderes
miteinander organisieren können. Nur wenn wir bei der
Energiewende einen breiten gesellschaftlichen Konsens
erreichen, erreichen wir auch Planbarkeit und Sicherheit,
und das ist die wichtigste Voraussetzung.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803300100

Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803300200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Minister Gabriel, ich muss mich über die
Aussagen, die Sie heute zu den Industrierabatten ge-
macht haben, schon wundern. Vor ein paar Monaten – im
Dezember; das ist ja noch nicht so lange her – wurden
Sie noch mit völlig anderen Aussagen zitiert.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ganz bestimmt nicht!)


Dort hieß es:

Man kann die Ausnahmeregelungen

– gemeint waren die Industrierabatte –

deutlich reduzieren, das haben wir auch schon im
Wahlkampf gesagt, dass das sein muss. Das, was
früher FDP und CDU da gemacht hatten, war viel
zu groß.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Das machen wir auch nicht mehr!)


Das ist offenbar lange her und längst vergessen; denn
in der Zwischenzeit haben Sie sich damit gebrüstet, dass
Sie die ganze Zeit mit viel Tamtam nach Brüssel gereist
sind und die Anzahl der zu befreienden Unternehmen
und Branchen ausgeweitet haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ahnungslos bis zum Gehtnichtmehr!)


Am Ende haben Sie dann auch noch einen zum Teil un-
befristeten Bestandsschutz für diejenigen Branchen
durchgesetzt, die von CDU und FDP damals befreit wur-
den. Wissen Sie, das ist unlogisch. Ich finde es ein Stück
weit unfair, sich von diesen ehemaligen Zielen so mir
nichts, dir nichts zu verabschieden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann sagen Sie hier: Die Verbraucher sollen sich
nicht als Verlierer fühlen. – Schön wäre es! Wo sind
denn bitte schön die Fakten, die diese Aussage unterle-
gen? Es bleibt doch auch bei dem, was Sie jetzt verhan-
delt haben, dabei, dass im Endeffekt die Rentnerin und
der Student für Wiesenhof und die Steinkohleindustrie
die Stromrechnung mitbezahlen. Dann sagen Sie auch
noch: Das ist gut für den Wirtschaftsstandort Deutsch-
land. – Ich frage Sie: Finden Sie das sozial gerecht? Ich
jedenfalls nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Kommen wir zu Ihren wirtschaftspolitischen Aussa-
gen. Auch bei dem, was jetzt im Rahmen der Industrie-
rabatte verhandelt wurde, bleibt es prinzipiell möglich,
dass der Bäcker an der Ecke für die Großbäckerei mit ei-
nem deutlich höheren Stromverbrauch die Stromrech-
nung mitbezahlt. Das ist doch wirtschaftspolitischer Un-
sinn. So kann es doch nun wirklich nicht gehen.





Caren Lay


(A) (C)



(B)


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frage ist natürlich: Was kostet das Ganze? Sie
stellen sich hier hin und sagen: Diese 40 bzw. jetzt schon
45 Euro im Jahr sind für eine durchschnittliche Familie
eine erträgliche Summe, um die Industriestandorte in
Deutschland zu subventionieren. – Wissen Sie, ich finde,
das ist eine ganz schön zynische Haltung gegenüber all
denjenigen Leuten, für die 45 Euro eine Menge Geld
sind. Vielleicht sollten Sie das als Sozialdemokrat ein-
mal mitbedenken.


(Beifall bei der LINKEN)


Es kann sein, Herr Minister, dass Ihnen diese 45 Euro
nichts ausmachen. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst,
dass diese Zwangskollekte für die deutsche Industrie auf
Kosten der Stromzahler nur annähernd eine Mehrheit in
der Bevölkerung finden würde. Wenn dieser Gesetzent-
wurf durch eine Volksabstimmung legitimiert werden
müsste, dann würde er abgelehnt. Ich finde, das sollte
auch der Deutsche Bundestag tun.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wissen Sie, die Öffentlichkeit diskutiert jetzt seit über
einem Jahr, genauer gesagt: seit anderthalb Jahren, über
die Reform der Ökostromförderung. Diverse Reisen
nach Brüssel, Einladung der Kanzlerin von sämtlichen
Ministerpräsidenten waren die Folge. Was ist am Ende
dabei herausgekommen? Außer Spesen nichts gewesen!
Die Verbraucher schauen weiterhin in die Röhre, und die
Energiewende wird dabei abgewürgt. Dafür hat sich der
ganze Aufwand wirklich nicht gelohnt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen, Sie wollen den erneuerbaren Energien gar
nicht an den Kragen gehen. Schön wäre es! Stichwort
Arbeitsplätze: Die Branche der erneuerbaren Energien
ist eine der zukunftsfähigsten Branchen in Deutschland.
Hier sind über 400 000 Arbeitsplätze entstanden. In den
letzten Jahren sind aber im Bereich der erneuerbaren
Energien schon 10 000 Arbeitsplätze weggefallen, ins-
besondere in der Solarbranche und in Ostdeutschland.
Experten gehen jetzt davon aus, dass mit Ihrem Gesetz-
entwurf die ganze Sache noch schlimmer wird und dass
gerade im Bereich der erneuerbaren Energien Arbeits-
plätze in Gefahr sind. Ich hätte mir schon gewünscht,
dass Sie dazu wenigstens einen einzigen Satz gesagt hät-
ten.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Linke wollen Ökologisches und Soziales zu-
sammendenken. Wir sagen: Wir brauchen die Energie-
wende, und wir wollen der Energiewende ein Sozialsie-
gel aufdrücken. Wir gehen nicht all denjenigen auf den
Leim, die sagen: Die Erneuerbaren machen den Strom
teurer. – Diese Menschen haben in Wirklichkeit nur die
Profitinteressen der Kohle- und Atomlobby und die der
Großindustrie im Hinterkopf. Das machen wir als Linke
nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Schon einmal etwas von Industriegewerkschaften gehört?)


– Es wäre ein Leichtes und auch möglich, die Stromkos-
ten für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken;
Herr Heil, vielen Dank für Ihren Zwischenruf. Die SPD
hatte gemeinsam mit uns im Wahlkampf den einen oder
anderen klugen Vorschlag eingebracht. Nehmen wir zum
Beispiel die Senkung der Stromsteuer. Was ist denn da-
raus geworden? Nichts ist daraus geworden. Auf diesem
Gebiet haben Sie keine einzige soziale Flankierung
durchsetzen können. Ich finde, das ist für eine sozialde-
mokratische Politik ganz schön beschämend.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir jetzt hier über die große Belastung der In-
dustrie lamentieren, dann sagen Sie doch auch wenigs-
tens ein einziges Wort zu den über 320 000 Haushalten
im Jahr – Tendenz steigend –, denen der Strom abgestellt
wird. Dazu habe ich vom Minister und auch von der Ko-
alition kein einziges Wort gehört. Ich finde es schlimm,
dass den Menschen der Strom abgestellt wird und Sie
diese im Dunkeln sitzen lassen. Das muss endlich ein
Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt viele andere Möglichkeiten, die Stromkosten
zu reduzieren und die Energiewende trotzdem nicht zu
gefährden. Wir als Linke haben ein ganzes Paket dazu
vorgelegt. Neben der Senkung der Stromsteuer wollen
wir die Strompreisaufsicht wieder einführen. Auch das
hatte die SPD noch im Wahlkampf gefordert. Heute ha-
ben Sie kein Wort dazu gesagt.

Oder greifen Sie einen klugen Vorschlag von Klaus
Töpfer, Ilse Aigner und auch von der Linken auf, einen
Energiewendefonds einzurichten und mit einem Haus-
haltszuschuss und einer zeitlichen Streckung der Investi-
tionszuschüsse für die Erneuerbaren zu mehr sozialer
Gerechtigkeit beizutragen. Auch das wäre eine kluge
Idee.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Auch wir als Linke wollen die Industrierabatte nicht
komplett abschaffen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!)


Auch uns liegen natürlich die Arbeitsplätze in der Indus-
trie am Herzen. Aber so, wie Sie es vorschlagen, geht es
nicht. Die Vergabe muss an klare Kriterien gebunden
sein, und die Rabatte müssen deutlich reduziert werden.
Das haben Sie noch vor ein paar Wochen gefordert. Ich
würde mir sehr wünschen, dass Sie sich in der Debatte
und bei der Gesetzesberatung wieder daran erinnern
können. So, wie Sie es vorgeschlagen haben, geht es je-
denfalls nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


(D)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803300300

Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1803300400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister,
ich bin der Meinung, dass wir auf einem guten Weg sind,
das EEG so zu reformieren, dass es am Ende des Tages
Akzeptanz in der Bevölkerung findet. Das ist unsere
Aufgabe. Aber dabei muss auch die Akzeptanz der Un-
ternehmen gewahrt bleiben. Es kann nicht sein – wie es
gerade von der Linken gefordert wurde –, dass man Un-
ternehmen wissentlich und willentlich kaputtmacht;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Caren Lay [DIE LINKE]: Wer tut das denn?)


denn sie können in Deutschland nicht mehr arbeiten,
wenn sie Strompreise nach linkem Muster zu bezahlen
haben.

Wer das fordert, der weiß genau, dass er in Deutsch-
land diverse Grundstoffindustrien kaputtmacht. Wenn
sie kaputt sind, dann gehen Wertschöpfungsketten ka-
putt, und dann haben wir – das gilt auch für Herrn
Krischer – am Ende des Tages nichts gewonnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben ein EEG, das sehr, sehr teuer ist. Wir för-
dern in diesem Jahr die erneuerbaren Energien mit
23,8 Milliarden Euro. Auf 20 Jahre gerechnet sind wir
nahe an einer halben Billion Euro Fördermittel. Das
zeigt doch, wie sehr Deutschland bereit ist, in die Förde-
rung einzusteigen. Die 23,8 Milliarden Euro entsprechen
in etwa der Größenordnung des Verkehrsetats von
Minister Dobrindt. Wenn wir in dem Bereich etwas mehr
Geld für die Straßen hätten, dann würde es uns vermut-
lich etwas besser gehen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Dann wird der Klimawandel noch teurer!)


Meine Damen und Herren, dieses Fördersystem muss
eingeschränkt, verbessert und gedeckelt werden. Das ist
in diesem Gesetzentwurf angelegt. Wir werden das eine
oder andere im Gesetzgebungsverfahren noch intensiv
diskutieren müssen. Aber ich bin davon überzeugt, dass
wir das hinbekommen.

Wir nehmen 5,1 Milliarden Euro aus der Umlage he-
raus, damit uns die energieintensive Industrie nicht aus
Deutschland flüchtet. In einem Punkt bin ich mit Ihnen,
Herr Minister, nicht ganz einer Meinung. Ich war vor ei-
nigen Tagen in Washington auf einem Kongress. Die
Amerikaner haben ein Fünftel unserer Stromkosten in
den Bereichen, wo sie Schiefergas ausbeuten. Das ist ge-
fährlich. Die Amerikaner betreiben eine Reindustriali-
sierungspolitik, und sie wollen gerade energieintensive
Unternehmen anlocken, in den USA zu produzieren.
Wenn diese bei uns wegfallen, gehen ganze Wertschöp-
fungsketten von A bis Z kaputt. Das trifft nicht nur den
Stahlproduzenten, sondern auch den Stahlverarbeiter,
den Oberflächenbeschichter sowie das Transportunter-
nehmen, das die Güter hin- und herfährt. Das wissen wir
alle, und deswegen wird das verhindert. Deswegen ist es
auch völlig in Ordnung, dass wir diese Unternehmen be-
freien.

Machen wir uns doch bitte nichts vor: Ohne diese Un-
ternehmen käme es zu einem drastischen Anstieg der
EEG-Umlage, weil dann wesentlich weniger industriel-
ler Strom abgenommen würde. Dementsprechend müss-
ten die anderen höhere Beträge zahlen. Das ist nun ein-
mal nicht zu ändern.

Es trifft auch nicht zu – wie Sie es behaupten –, dass
die Großverbraucher komplett geschont werden. Der
Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass wir zum
Beispiel die Mindestumlage verändern. Wir haben dann
eine doppelt so hohe Mindestumlage für die Großver-
braucher. Das ist eine sehr spürbare Maßnahme. Wir ha-
ben dazu auch entsprechende Anrufe aus allen Branchen
bekommen.

Im EEG-Gesetzentwurf formulieren wir nun etwas
– das ist wichtig –, was bislang für die erneuerbaren
Energien fast Drohworte sind. Wir erwarten Eigenver-
antwortung, und wir wollen auch Wettbewerb. In Zu-
kunft muss Wettbewerb herrschen. Das bedeutet Direkt-
vermarktung und Ausschreibung. Beides sieht der
Gesetzentwurf vor. Wir werden das intensiv begleiten.
Wir müssen die Mentalität „Produce and forget“ been-
den. Es kann nicht sein, dass jemand ein Produkt erzeugt
– in diesem Fall Strom – und nicht dafür verantwortlich
ist, dass es vermarktet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe über 23 Jahre ein Unternehmen geführt. Ich
hätte es sehr gerne gesehen, wenn ich meine Produkte
einfach auf den Hof hätte stellen und sagen können: Seht
zu, wie ihr damit klarkommt! – Wenn man sich um den
Vertrieb überhaupt nicht kümmern muss, ist das sehr an-
genehm. Aber das kann so nicht weitergehen. Das müs-
sen wir verändern; das ist unser Ziel. Das wird durch Di-
rektvermarktung und Ausschreibungsregeln noch in
dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Das sind na-
türlich für die Erneuerbaren böse Worte. Aber das muss
so sein. Wir wollen die Erneuerbaren nicht abwürgen, im
Gegenteil.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir glauben Ihnen auf keinen Fall, dass Sie die Erneuerbaren nicht abwürgen wollen! Bei der SPD gab es Unfähigkeit! Bei Ihnen ist es Absicht!)


Der Bundesminister hat eben die Ausbaufrage völlig zu
Recht angesprochen. Einen geplanten jährlichen Zubau
von jeweils 2 500 Megawatt im Wind- und Solarbereich
kann man wahrlich nicht als Abwürgen bezeichnen.
Deswegen sollten Sie das auch nicht behaupten.





Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)

In einem Punkt bin ich mit dem Gesetzentwurf nicht
ganz zufrieden. Das ist der Offshorebereich. Das wird
besonders teuer. Da sollten wir sehr vorsichtig sein; denn
wir können nicht mehr im bisherigen Stil weitermachen.
Wie ich bereits zu Beginn meiner Rede erwähnt habe,
geben wir bereits 500 Milliarden Euro aus. Jede Anlage,
die hinzukommt, verteuert das Ganze noch einmal.

In Deutschland darf es auch nicht 16 Energiewenden
geben. Es darf nicht dazu kommen, dass jedes Bundes-
land sein eigenes Spielchen spielt. Rheinland-Pfalz will
in 15 Jahren mithilfe der erneuerbaren Energien ener-
gieautark sein. Mir ist es unerklärlich, wie das in einem
Bundesland wie Rheinland-Pfalz möglich sein soll.
Ohne jegliche Absicherung durch andere Energieträger
energieautark zu werden, dürfte ziemlich schwierig sein.
Deswegen finde ich es richtig, dass die Bundesregierung
in die Speicherforschung investiert. Gerade die erneuer-
baren Energien benötigen Speicher. Wenn es keine ent-
sprechenden kostengünstigen Speichermedien gibt, wird
Autarkie allein mit Erneuerbaren nicht funktionieren.

Ich will noch etwas zu den Windkraftanlagen sagen.
Hören Sie gut zu, Herr Krischer! Nach heutigen Förder-
sätzen wird eine 3-Megawatt-Anlage – das entspricht
dem Standard, der heute onshore gebaut wird – mit
6,5 Millionen Euro über eine Laufzeit von 20 Jahren ge-
fördert. 500 Megawatt kosten gemäß heutigen Fördersät-
zen 1 Milliarde Euro Fördermittel. Der von uns vorgese-
hene Zubau von 2,5 Gigawatt pro Jahr kostet bei einer
20-jährigen Laufzeit dementsprechend 5 Milliarden Euro
Fördermittel. Das sind gewaltige Belastungen, die wir
der Bevölkerung, aber auch den Unternehmen aufbür-
den. Das wollen und akzeptieren wir auch. Aber mehr
kann und darf es nicht sein, weil es sonst nicht mehr zu
tragen ist. Wie Sie wissen, werden sich die laufenden
Förderungen frühestens im Jahr 2025 deutlich reduzie-
ren, weil erst dann teure Anlagen der Vergangenheit aus
der Förderung fallen.

Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass alle Maß-
nahmen betreffend die Steigerung der Effizienz und den
Netzausbau so beschleunigt werden, dass weiterhin An-
lagen aufgebaut werden können. Ohne einen vernünfti-
gen Netzausbau funktioniert das Ganze überhaupt nicht.
Ich halte es deshalb für sehr wichtig, dass wir begleitend
die Verfahren für den Netzausbau beschleunigen; denn
wenn keine Netze vorhanden sind, können wir den
Strom beispielsweise nicht von Nord nach Süd transpor-
tieren und in den Verteilnetzen nicht für ein sinnvolles
Hin und Her sorgen. Aber dazu müssen auch die Erneu-
erbaren – so steht es auch im Koalitionsvertrag – ihren
Beitrag leisten. Es ist nicht einzusehen, dass ausschließ-
lich die Stromkunden den Netzausbau bezahlen, wäh-
rend die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen
nichts dazu beitragen müssen; denn Letztere sind dieje-
nigen – wenn man vom Verursacherprinzip ausgeht –,
die uns im Wesentlichen dazu zwingen, einen teuren
Netzausbau vorzunehmen.

TenneT hat vor einigen Tagen errechnet, dass allein
der Netzausbau im Bereich der Übertragungsnetze
23 Milliarden Euro kosten wird. Das muss noch umge-
legt werden; ich möchte, dass alle, die einspeisen, daran
beteiligt werden. Das haben wir im Koalitionsvertrag so
vereinbart. Herr Minister, wir sollten an die Gesetz-
gebung in diesem Bereich so schnell wie möglich heran-
gehen.

Das Einspeisemanagement muss geregelt werden,
und wir müssen dafür sorgen, dass wir die Ziele, die wir
uns beim Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt ha-
ben, sicher erreichen; dies muss aber auch so kosten-
günstig und kosteneffizient geschehen, wie es notwendig
ist, und schließt Wettbewerbsfähigkeit und EU-Konfor-
mität ein. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie es
zusammen mit der Bundeskanzlerin geschafft haben, die
EU-Konformität herzustellen, sodass wir in Zukunft
keine Angst mehr haben müssen, dass unsere Besondere
Ausgleichsregelung in irgendeiner Weise gefährdet ist.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803300500

Das Wort hat nun der Kollege Oliver Krischer, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er ist oft genug erwähnt worden!)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803300600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesminister Gabriel, es ist schon erstaunlich,
wie breitbeinig Sie sich hier hinstellen und so tun, als
ginge mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien alles
so weiter wie bisher, als würde diese Erfolgsgeschichte
weiterlaufen. Ein Blick auf die Fakten Ihres eigenen Ge-
setzentwurfs zeigt etwas anderes. Sie reduzieren das
Ausbautempo der erneuerbaren Energien um die Hälfte,
und zwar nicht um die Hälfte gegenüber grünen Zielen,
sondern um die Hälfte gegenüber Zielen der schwarz-
gelben Bundesregierung. Das ist wahrlich ein Armuts-
zeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie machen damit das EEG zu einem Bestandsschutz-
instrument für die Kohleindustrie, für die fossile Ener-
gieerzeugung.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wir erhalten Arbeitsplätze!)


Sie machen damit aus der Energiewende, die wir in
Deutschland einmal hatten, eine Braunkohlewende. Da-
gegen werden wir uns wehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Gabriel, besonders dreist ist es, dass Sie sich hier
hinstellen und sagen, bei der Windenergie werde in Zu-
kunft noch etwas laufen. Es ist richtig, dass bei der
Windenergie in Zukunft noch etwas passieren wird, aber
das passiert nur, weil grün regierte Bundesländer sich
dafür eingesetzt und das durchgesetzt haben. Wären Ihre





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

ursprünglichen Vorschläge zum Tragen gekommen,
dann würde südlich von Hannover keine einzige Wind-
kraftanlage mehr gebaut werden; dann hätten Sie auch
das noch kaputtgemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Blödsinn!)


Was Sie kaputtmachen, ist die Biogaserzeugung.
Diese stellen Sie komplett ein. Sie beenden die Techno-
logieentwicklung, wobei sie eine Chance wäre, eine resi-
duale, eine flexible Energieerzeugung zum Ausgleich
von Wind- und Sonnenenergie zu bekommen. Das been-
den Sie. Es ist unverantwortlich, dass man eine Technik,
die in Deutschland entstanden ist, so beendet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Genauso trifft es die Photovoltaik. Nur, Sie haben
nicht den Mut, das zu sagen. Sie schreiben in den Ge-
setzentwurf einen Zubau von 2 500 Megawatt – das ha-
ben Sie eben auch gesagt –, aber auch da zeigt ein Blick
auf die Fakten etwas anderes. Wir haben im Moment
schon, unter dem gültigen EEG, einen Zubau bei Photo-
voltaik, der gegen null geht. Das zeigen die Zahlen der
Bundesnetzagentur. Sie verschlechtern die Bedingungen
vor allen Dingen mit der absurden Eigenstromregelung,
sodass wir mit Ausnahme des Kleinsegments in Zukunft
null Photovoltaikstrom mehr haben. Es ist absurd, die
neben der Windenergie kostengünstigste Form der
Energieerzeugung, nämlich die aus Sonne, abzuwürgen.
Das ist Unsinn. Das ist absurd. Aber das ist das Ergebnis
Ihrer Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der ganz besondere Klopper in diesem Gesetzentwurf
ist die Eigenstromregelung. Wenn in Zukunft ein mittel-
ständisches Unternehmen oder ein Privathaushalt mit ei-
nem Blockheizkraftwerk effizient Energie erzeugen und
damit zur Energiewende beitragen will und das mit einer
Photovoltaikanlage kombiniert, dann zahlen diese eine
EEG-Umlage von 50 Prozent auf den selbst verbrauch-
ten Strom.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Na und?)


Das führt dazu, dass diese ganzen Projekte am Ende un-
wirtschaftlich werden. Herr Fuchs, Sie wollen das nicht,
aber eigentlich haben Sie einen Koalitionsvertrag unter-
schrieben, in dem steht, dass wir genau das voranbringen
wollen. Wir fördern das über das Kraft-Wärme-Kopp-
lungsgesetz. Diese Förderung schlägt sich eins zu eins in
der EEG-Umlage nieder, sodass das Ganze zu einem
Nullsummenspiel wird. Damit einher geht zusätzliche
Bürokratie. Das alles ist Unsinn. Die positive Entwick-
lung wird somit abgewürgt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wird noch schlimmer. Wenn es wenigstens eine
Gleichbehandlung gäbe! Aber derjenige, der erneuerbare
Energien erzeugt – vielleicht sieht er ein Braunkohle-
kraftwerk, wenn er aus dem Fenster schaut –, muss zur
Kenntnis nehmen, dass das, was für die dezentrale Kraft-
Wärme-Kopplung und für die Photovoltaik gilt, für Koh-
lekraftwerke nicht gilt: Sämtliche Kohlekraftwerke sind
von der Eigenverbrauchsumlage ausgenommen; sie zah-
len auf ihren Eigenstromverbrauch also keine EEG-Um-
lage. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich fordere Sie auf, das zu beenden und an dieser
Stelle wenigstens Kostengerechtigkeit herzustellen. Das
würde auch dem Mittelstand und denjenigen, die sich da
engagieren wollen, etwas bringen. Bisher hatte ich die
Hoffnung, dass sich wenigstens die Union für diesen Be-
reich engagiert. Aber an dieser Stelle tun Sie überhaupt
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, kommen wir zur Besonde-
ren Ausgleichsregelung. Sie haben uns gestern einen Ge-
setzentwurf vorgelegt. Dafür haben Sie vier Wochen län-
ger als geplant gebraucht. Ihre sonstigen Pläne liegen
schon ein bisschen länger vor. Ich bin einmal gespannt,
wie Sie die Verabschiedung Ihres Gesetzentwurfes ver-
fahrenstechnisch, also im Hinblick auf die Beratungen
im Bundesrat, zustande bringen wollen. Aber das sehen
wir dann.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie sich da mal keine Sorge!)


Es ist völlig unstrittig – ich finde es absurd, dass das
hier immer wieder infrage gestellt wird –, dass die
Grundstoffindustrie – Metallerzeugung, Chemie und Pa-
pier – eine Befreiung von der EEG-Umlage braucht. Da-
rum geht es nicht. Aber Sie müssen mir schon erklären,
warum Firmen, die Fantasieschmuck herstellen, oder,
um das andere Extrembeispiel zu nehmen, die deutsche
Panzerindustrie neuerdings in der Liste der von der
EEG-Umlage zu befreienden Unternehmen auftauchen.
Wollen Sie, dass die deutsche Panzerindustrie in Saudi-
Arabien konkurrenzfähig ist, oder worum geht es dabei?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


Sie schaffen mit dieser Liste ein bürokratisches
Monster unglaublicher Art. Das führt in der Tat zu Be-
schäftigung: zur Beschäftigung bei Beratern und Rechts-
anwälten, bei Gerichten. Das wird dazu führen, dass je-
der sein Schlupfloch sucht, um am Ende in den Genuss
des Privilegs der Befreiung zu kommen.

Das zeigt aktuell schon das Beispiel Vattenfall: Die-
ses Unternehmen, das Braunkohletagebau betreibt, steht
zwar nicht mehr in der Liste der von der EEG-Umlage
zu befreienden Unternehmen. Jetzt plötzlich wollen Sie
aber, dass Vattenfall vom Eigenstromprivileg profitiert.
Aha, da staunen wir. So läuft das also in Zukunft. Durch
die von Ihnen geplante Regelung wird jeder sein
Schlupfloch finden. Bezüglich Ihres Versprechens, dass
die Kosten um 1 Milliarde Euro gesenkt werden, dass
die privaten Verbraucher entlastet werden, haben wir
gestern gehört: Das war ein großes Missverständnis. Sie
gestehen ein: Die privaten Verbraucher werden mit Mil-
liardenbeträgen zusätzlich belastet. Das ist das Ergebnis
Ihrer Politik.





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Das stimmt nicht! Das ist doch Unsinn!)


Wenn wir schon über Arbeitsplätze reden, dann müs-
sen wir endlich auch einmal über die Arbeitsplätze in der
Erneuerbare-Energien-Branche reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da stellen Sie Zehntausende von Arbeitsplätzen infrage.
Ich verweise darauf, dass dort 400 000 Arbeitsplätze ge-
schaffen worden sind. Dazu höre ich überhaupt nichts
von Ihnen. Man kann den Eindruck haben: Bei Ihnen ist
ein Arbeitsplatz nur dann ein guter Arbeitsplatz, wenn
der IG BCE-Organisationsgrad in dem jeweiligen Be-
trieb besonders hoch ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In manchen Bereichen interessieren Sie sich nullkomma-
null für die Arbeitsplätze. Das darf an dieser Stelle über-
haupt nicht sein.

Ich sage Ihnen: Gehen Sie einmal in den Kreis Bor-
ken im Münsterland. Da gibt es drei innovative Unter-
nehmen im Bereich Blockheizkraftwerke, Biogas, Pho-
tovoltaik. Sie beschäftigen in einer ländlichen Region
tausend Menschen. Dort weiß man am Ende des Jahres
nicht mehr, ob man noch eine Chance hat. Man hat viel-
leicht noch eine Chance im Ausland. Ich bedauere, dass
Herr Gabriel sich da nicht einmal blicken lässt, dass er
da nicht einmal Gesicht zeigt und seine Politik erklärt.
Herr Gabriel, da gehen Sie nicht hin, darum drücken Sie
sich herum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803300700

Herr Kollege.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803300800

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803300900

Gut.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803301000

Wir haben Ihnen einen großen Konsens angeboten.

Der Bundesrat hat in den letzten Tagen über 200 Ände-
rungsanträge zu diesem Gesetzentwurf gestellt. Insofern
kann es ja wohl nicht sein, dass es da einen Konsens
gibt. Wir sagen: Dieser Gesetzentwurf ist ein Anschlag
auf die Energiewende. Er ist ein Anschlag auf die Ar-
beitsplätze. Er ist ein Anschlag auf den Klimaschutz.
Dieses Abwürgen der Energiewende werden wir in die-
ser Form nicht mittragen. Sie sollten sich aufraffen und
das EEG wieder zu einem Gesetz machen, das von einer
breiten parlamentarischen Mehrheit getragen wird.
Wenn ich die Äußerungen von Herrn Fuchs richtig ver-
standen habe, dann wird es am Ende sogar noch schlim-
mer, und das werden wir nicht mittragen. Das kann ich
Ihnen sehr deutlich sagen.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803301100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-

büne hat der Präsident des Staatsrates des Sultanats
Oman, Herr Dr. al-Manthari, mit seiner Delegation
Platz genommen. Ich möchte ihn im Namen aller Kolle-
ginnen und Kollegen des Hauses ganz herzlich bei uns
begrüßen.


(Beifall)


Sehr geehrter Herr Präsident, Sie haben in den ver-
gangenen Tagen sehr intensive Gespräche mit vielen
Kolleginnen und Kollegen hier im Haus und darüber hi-
naus geführt. Wir wünschen Ihnen für Ihren Aufenthalt
in Deutschland, für die politische und wirtschaftliche
Entwicklung Ihres Landes, insbesondere aber für die
weitere parlamentarische Arbeit alles Gute und danken
Ihnen für Ihr Interesse an unserer Arbeit.

Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege
Hubertus Heil.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1803301200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die grundlegende EEG-Reform, die wir heute in der
ersten Lesung miteinander beraten, hat zum Ziel, dass
wir die Energiewende tatsächlich wieder vom Kopf auf
die Füße stellen. Die polemischen Einlassungen der Op-
position haben ein bisschen vernebelt, worum es wirk-
lich geht.


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können einmal ganz ruhig und sachlich, Herr
Krischer, miteinander über das reden, was heute vorliegt.
Es geht im Kern um drei Dinge:

Zum einen geht es tatsächlich darum, dass wir dafür
sorgen, dass Grundstoffindustrien, dass energieintensive
Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb ste-
hen, auch weiterhin in Deutschland produzieren können.
Jetzt sage ich Ihnen einmal eines, Herr Krischer und
Frau Lay: Einem deutschen Bundeswirtschaftsminister
vorzuwerfen, dass er sich für zukunftsfähige industrielle
Arbeitsplätze in Deutschland einsetzt, ist ungefähr ge-
nauso schlau, wie Greenpeace vorzuwerfen, dass man
sich für die Rettung der Wale einsetzt; das ist ziemlicher
Unsinn.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er setzt sich für die anderen nicht ein, und das ist das Problem!)


Ich will Ihnen einmal eines sagen: Diese polemische
Art und Weise, mit der Sie das Ganze zu diffamieren
versuchen, indem Sie zum Beispiel die Liste der Euro-
päischen Kommission zitieren und im gleichen Atemzug





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

verschweigen, dass es nicht darum geht, ganze Branchen
zu befreien,


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


sondern darum, Branchen antragsberechtigt zu machen,
damit Unternehmen, die nach objektiven Kriterien im in-
ternationalen Wettbewerb stehen und gleichzeitig ener-
gieintensiv sind, das Leben nicht schwer gemacht wird,
finde ich nicht redlich. Deshalb, Herr Krischer: Mehr
Kretschmann und weniger Krischer in der Energiepolitik
der Grünen, das wäre eine gute Idee.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang, Frau Lay, erzähle ich Ih-
nen einmal etwas aus meiner Heimat. Es gibt ein Elekt-
rostahlwerk in meiner Heimatstadt Peine. Der Betriebs-
rat besteht im Wesentlichen aus ordentlichen IG-
Metallern,


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


die meisten davon Sozialdemokraten, einer ist von der
Linkspartei, und einer ist übrigens von den Grünen. Die-
ses Unternehmen ist ein Elektrostahlwerk, das vom phy-
sikalischen Prozess her alle Möglichkeiten der Energie-
effizienz ausschöpfen kann, aber sehr viel Energie
verbraucht, um Schrott einzuschmelzen und daraus
Stahlträger zu machen, die dann exportiert werden. Das
ist ein Stück Kreislaufwirtschaft. Wenn wir dieses Unter-
nehmen so einbeziehen würden, wie Sie das verlangen,
dann ist klar, was mit den 780 Arbeitsplätzen in meiner
Heimatstadt passieren würde – das kann ich Ihnen sagen –:
Die wären weg.

Deshalb ist meine herzliche Bitte: Falls Sie noch Be-
triebsräte kennen, die in Grundstoffindustrien arbeiten,
und mit denen sprechen würden oder falls Sie sich ein-
mal mit dem, wie ich finde, sehr klugen Wirtschafts-
minister von Brandenburg, einem Mitglied Ihrer Partei,
in der Energiepolitik in Verbindung setzen könnten,
wäre ich Ihnen sehr dankbar. Die könnten zur Aufklä-
rung beitragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass die Linkspartei ein gestörtes Verhältnis
zu industriellen Arbeitsplätzen in Deutschland hat. Das
ist ihr Problem. Das darf nicht unseres werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das gilt für die Grünen auch!)


Ich bin der Bundesregierung – namentlich dem Bun-
deswirtschaftsminister, aber auch der Kanzlerin – sehr
dankbar, dass sie etwas hinbekommen hat, mit dem viele
schon fast nicht mehr gerechnet haben, nämlich eine
Verständigung mit der Europäischen Kommission, dass
wir an dieser Stelle eine EU-konforme Regelung bekom-
men, übrigens keine, die die Wirtschaft nicht in die Fi-
nanzierung der Energiewende einbezieht. Auch das ist
vorhin vorgetragen worden: Es wird eine Erhöhung der
Mindestumlage geben, und zwar für alle, und es ist so,
dass die deutsche Wirtschaft insgesamt ihren Beitrag
leistet.

Ich sage noch einmal: Wer Arbeitsplätze im indus-
triellen und mittelständisch produzierenden Bereich ge-
gen Verbraucher und Familien ausspielt, der macht ein
schäbiges Spiel.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie machen das doch!)


Das ist in der Sache vollkommen ungerechtfertigt. Ich
sage Ihnen auch: Zum Gelingen der Energiewende wer-
den wir die Grundstoffindustrien in Deutschland brau-
chen. Windräder brauchen Stahl. Energieeffizienz
braucht chemische Produkte, und wir wollen, dass die in
Deutschland produziert werden, meine Damen und Her-
ren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellt das irgendjemand infrage? Wer stellt das infrage?)


– Ganz deutlich Sie! – Herr Krischer, ich weiß nicht, was
mit Ihnen passiert ist. Sie sind wirklich ein kundiger
Mensch. Seit Sie aber in der Opposition gegen diese
Bundesregierung – gegen diesen Bundesminister für
Wirtschaft und Energie – zu Felde ziehen müssen, haben
Sie jegliches Maß und jegliche Mitte in der Debatte ver-
loren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Rolle plötzlich! Vielleicht liegt das an Ihnen!)


Es scheint Ihnen eher um grüne Profilierung in Ihrer Par-
tei zu gehen und nicht mehr um die Sache. Das ist
schade. Es mag bei den Grünen welche geben, die sich
im parlamentarischen Verfahren konstruktiv auf diese
Debatten einlassen. Ich würde mir das sehr wünschen;
denn wir müssen raus aus diesen Grabenkampfdiskussi-
onen der Vergangenheit.

Wir sind doch miteinander der Meinung, dass wir die
Energiewende zum Erfolg führen müssen. Wir haben
ehrgeizige Klimaschutzziele. Wir wollen raus aus der
Atomkraft. Jetzt geht es um die Frage, wie wir diesen
Weg miteinander planbar, berechenbar und kosteneffizi-
ent gestalten. Kein vernünftiger Mensch in diesem Haus
stellt die Energiewende mehr infrage. Diejenigen aber,
die für die Energiewende sind, müssen heute zu Refor-
men bereit sein.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reformen gern, aber nicht so!)


Es geht nicht mehr um die Markteinführung von Er-
neuerbaren, sondern um die Marktdurchdringung mit Er-
neuerbaren. Deshalb kann man nicht zulassen, dass
Überförderung stattfindet. Daher ist das zweite Ziel die-
ser Reform mehr Kosteneffizienz beim Ausbau der er-
neuerbaren Energien. Wir setzen mit einer vernünftigen,
planbaren Förderung und klaren Ausbauphasen, mit Sys-
temintegration auf die kostengünstigsten Erneuerbaren.





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Das sollten Sie unterstützen und nicht diffamieren,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie würgen sie ab!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803301300

Herr Kollege Heil, darf die Kollegin Lay Ihnen eine

Zwischenfrage stellen?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1803301400

Sehr gerne. Bitte schön.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803301500

Frau Lay.


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803301600

Vielen herzlichen Dank für das Gestatten dieser Zwi-

schenfrage. – Sie haben mir und auch dem Kollegen von
den Grünen vorgeworfen und im Grunde suggeriert, als
würde vor allen Dingen die Fraktion Die Linke die In-
dustrierabatte komplett abschaffen wollen. Ich frage Sie,
ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass nach unserem
Konzept der Reduzierung der Industrierabatte – das ha-
ben übrigens die SPD im Wahlkampf und der Minister
vor vier Monaten im Fernsehen gefordert – beispiels-
weise Stahl Peine – diese Firma haben Sie zitiert; das gilt
aber auch für andere Unternehmen der Stahl- und der
Chemieindustrie – weiterhin privilegiert werden würde.
Auch wir wollen diese Arbeitsplätze nicht gefährden.
Als Linke können wir aber eine massenhafte Zunahme
der Zahl der Branchen, die prinzipiell von Industriera-
batten profitieren könnten, nicht mitmachen. Nehmen
Sie zur Kenntnis, dass auch wir weiterhin Ausnahmere-
gelungen für die Stahlindustrie und für die Chemieindus-
trie vorsehen.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1803301700

Sehr geehrte Frau Lay, ich nehme zur Kenntnis, dass,

wenn Sie das so vertreten – was ich begrüße –, offen-
sichtlich Ihre Polemik gegen die Ausnahmen mit dem
gerade Gesagten nicht ganz zusammenpasst. An dieser
Stelle will ich Ihnen sagen: Von Ausweitung kann doch
gar keine Rede sein. Das Volumen bleibt erhalten. Wir
gehen nach objektivierbaren Kriterien wie internationa-
ler Wettbewerb, Handelsintensität und Energieintensität
vor.

Wir sind gemeinsam der Meinung, dass wir Trittbrett-
fahrer nicht gebrauchen können. Gemeinsam sind wir
der Meinung, dass es vernünftig ist, dass sich Unterneh-
men nicht aus der Solidarität der EEG-Umlage ausklin-
ken können, indem sie beispielsweise massiv in Leihar-
beit ausweichen. Genau das regelt dieses Gesetz.

Wenn das, was Sie beschreiben, wirklich Ihr Konzept
ist, würde ich es gerne zur Kenntnis nehmen; aber Sie
können doch nicht im gleichen Atemzug – das bezieht
sich auf die Rede, die Sie vorhin gehalten haben – gegen
die Tatsache zu Felde ziehen, dass wir solche Ausnah-
men mit einem bestimmten Volumen haben.

Das, was der Bundesminister gemacht hat, will ich Ih-
nen vorrechnen. Ich will Ihnen sagen, was es bedeuten
würde, wenn man die komplette EEG-Umlagebefreiung
für energieintensive Betriebe verschwinden lassen
würde.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Niemand will das!)


Dabei geht es um 40 Euro für einen dreiköpfigen Haus-
halt bzw. um etwa 4 Euro pro Monat. Der Preis wäre,
dass diese industriellen Arbeitsplätze in energieintensi-
ven Betrieben im Rahmen der Konkurrenz verschwinden
würden. Sie müssen sich schon entscheiden: Stimmt Ihr
Konzept, oder stimmt die Polemik, die Sie hier vorhin
von diesem Pult aus vorgetragen haben?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch polemisch gewesen!)


Meine Damen und Herren, es gibt also nur Ausnah-
metatbestände für diejenigen, die sie brauchen – nicht
für diejenigen, die sie missbrauchen. Dafür haben wir
jetzt objektivierbare Kriterien. Wir haben eine Verständi-
gung mit der Europäischen Kommission.

Erstens. Das wird das beihilferechtliche Verfahren zu
Ende bringen, und es wird dazu führen, dass wir Rechts-
und Planungssicherheit auch für die Unternehmen – da-
bei geht es um Arbeitsplätze – haben, die ab 1. Januar
2015 Befreiung beantragen können. Nicht jeder, der die
Befreiung beantragt, wird sie auch bekommen. Deshalb
ist es richtig, nicht Branchen zu nennen, sondern die Si-
tuation von einzelnen Unternehmen zu betrachten.

Zweitens. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür,
kosteneffizienter auszubauen; aber wir werden aus-
bauen, Herr Krischer. Von Ausbremsen kann überhaupt
keine Rede sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben jetzt 25 Prozent erneuerbare Energien, und
wir werden 45 Prozent erreichen. Dafür ist es aber not-
wendig, nicht nur Kosteneffizienz zu schaffen, sondern
den Ausbau der Netze zeitlich stärker mit dem Ausbau
der erneuerbaren Energien zu synchronisieren. Darum
geht es. Es geht um Systemintegration. Wir wollen kei-
nen Wegwerfstrom produzieren, sondern Strom, der tat-
sächlich gebraucht wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass das Quatsch ist, hast selbst du verstanden!)


Dazu brauchen wir diese Verlässlichkeit.

Drittens. Es geht darum, für die gesamte deutsche
Wirtschaft im Hinblick auf die Erneuerbaren endlich
Planungs-, Rechts- und Investitionssicherheit zu schaf-
fen. Die vielen Auseinandersetzungen der letzten Jahre
haben doch in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft,
was die Erneuerbaren angeht, vor allem eines ausgelöst:
entweder so etwas wie Schlussverkaufsmentalität – noch
einmal ordentlich Druck machen – oder in anderen Pha-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

sen das krasse Gegenteil, nämlich Investitionsattentis-
mus. Mit dieser grundlegenden Reform schaffen wir die
Möglichkeit, dass jeder sich darauf einstellen kann, wo-
hin die Reise geht, und zwar über den Zeitraum des jetzi-
gen EEG hinaus bis zu einem neuen Marktdesign mit an-
deren Mechanismen, die planbar sind und die in diesem
Übergangszeitraum auch berechenbar sind.

Wir haben uns in Deutschland vorgenommen, unter
den Bedingungen eines hochindustrialisierten Landes
eine doppelte Energiewende zu schaffen, mit sehr ehr-
geizigen Klimaschutzzielen, mit dem Ausstieg aus der
Atomkraft. Ich bin als Anhänger dieser Energiewende
der festen Überzeugung, dass wir damit langfristig Rie-
senchancen für Deutschland eröffnen – ökologisch,
sozial; im Übrigen auch wirtschaftlich –, weil wir ange-
sichts der wachsenden Weltbevölkerung und des wach-
senden Energiehungers auf der Welt Exporteur für gute
und saubere Lösungen im Bereich der Energieversor-
gung sein können, bei Erneuerbaren, bei Systemen, bei
Energieeffizienz.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803301800

Herr Kollege.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1803301900

Aber dafür müssen wir die Referenz im eigenen Land

hinbekommen. Wir müssen in Deutschland die Energie-
wende schaffen, damit wir diese Technologien zukünftig
auch exportieren können. Mit diesem ersten Schritt einer
grundlegenden EEG-Reform, die wir im parlamentari-
schen Verfahren jetzt auf den Weg bringen, leisten wir
dazu unseren Beitrag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803302000

Eva Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803302100

Herr Präsident! Sehr geehrter Minister Gabriel, viele

aus den Reihen der Linken, der Grünen, aber auch der
SPD und sogar der CDU sind vor zwei Jahren auf die
Straße gegangen gegen die EEG-Reform von FDP-
Minister Rösler, der die erneuerbaren Energien bekämpft
hat. Jetzt haben Sie, Herr Gabriel, das Ministerium über-
nommen. Viele haben gedacht: Der wird das sehr gut
machen mit der Energiewende;


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Macht er auch!)


denn der Gabriel war ja ehemaliger Umweltminister.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Macht er sehr gut!)


Weit gefehlt! Sie, Herr Gabriel, schicken die erneuer-
baren Energien ins Nirwana. Grund dafür sind vor allem
die von Ihnen ab 2017 geplanten Ausschreibungen.
Dann soll Schluss sein mit festen Preisen für die Anbie-
ter erneuerbarer Energien. Stattdessen möchten Sie einen
Preiskampf zwischen den Erneuerbaren um die Vergü-
tungssätze. Die Anbieter erneuerbarer Energien feil-
schen und unterbieten sich dann wie auf dem Basar, der
billigste Dumpinganbieter gewinnt. Dreimal darf man
raten, wer in der Lage sein wird, diese Dumpingpreise
anzubieten. Richtig, es sind die Großinvestoren. Damit
rollen Sie den Energieriesen den roten Teppich aus und
brechen der Bürgerenergie das Genick.


(Caren Lay [DIE LINKE]: So ist es!)


Da wollen wir nicht hin.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt ja schon ganz viele Erfahrungen aus dem Aus-
land mit Ausschreibungen, die dazu geführt haben, dass
Projekte nicht stattgefunden haben und nicht realisiert
werden konnten, dass Firmen pleitegegangen sind. Eine
Energiegenossenschaft kann sich das gar nicht leisten.
Ich persönlich kenne einen Mittelständler, der bei einer
Ausschreibung in Südafrika mitgemacht hat. Das Projekt
liegt seit drei Jahren auf Eis, und es ist nicht absehbar, ob
da überhaupt etwas passiert. Die Gefahr besteht, dass die
Erneuerbaren schlimme Rückschläge erleiden. Das kön-
nen wir uns nicht leisten, schon allein im Hinblick auf
den Klimaschutz. Es geht aber auch um regionale Wert-
schöpfung und um Arbeitsplätze.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn dann immer behauptet wird, die EU würde das
alles vorschreiben: Das ist einfach nicht richtig; denn die
EU lässt den Mitgliedstaaten ausdrücklich den Raum,
diese Regelung flexibel zu handhaben. Mit den Aus-
schreibungen schreiben Sie in dieses Gesetz quasi seine
eigene Abschaffung hinein; denn die festen Preise sind
– oder muss man sagen: „waren“? – das Rückgrat des
EEG.

Wir Linken haben eine Kleine Anfrage zu Erfahrun-
gen und Plänen der Ausschreibung gestellt. Bitte lesen
Sie die Anfrage. Die Antworten sind einfach toll: Man
prüft, man weiß noch nichts, man hat noch keine Erfah-
rungen. – Das ist so, als wenn man sich in ein Auto setzt
und erst hinterher die Bremsen prüft. Da kann ich nur sa-
gen: Gute Fahrt, Herr Minister!

Natürlich entfaltet das neue EEG auch schon vor
2017 eine Wirkung – das hören wir bei vielen Podiums-
diskussionen; da sind Sie alle dabei –: durch Ausbaukor-
ridore, Deckelungen und Einschnitte vielfältiger Art. Die
Investoren sind doch nicht blöd: Sie rechnen das durch
und sagen dann: Das rechnet sich nicht mehr; wir ma-
chen es nicht.

Die Pflicht zur Direktvermarktung könnte den gelten-
den Vorrang für Erneuerbare in der Realität sogar um-
kehren. Das ist eben kein Gesetz mehr für regenerative
Energien, sondern quasi gegen sie; denn die regenerati-
ven Energien müssen dann mit den fossilen Energien
konkurrieren. Wir alle wissen: Bei den regenerativen
Energien sind alle Kosten mit eingerechnet, bei den fos-
silen und atomaren eben nicht. Wenn man die Kosten bei
diesen Energien ähnlich der EEG-Umlage beziffern





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

müsste, dann würden Kohlestrom oder Atomstrom
10 Cent pro Kilowattstunde mehr kosten. Das bezahlen
aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Caren Lay [DIE LINKE]: So ist es! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Diese Grundrechenarten beherrscht Herr Gabriel nicht! Genau diese Grundrechenarten!)


Die ganze Reform ging mit einer Strompreisdebatte
einher, die von Anfang an eine Farce war. Die mantra-
artigen Beteuerungen, die Energiewende sei zu teuer, ha-
ben nichts mit der wahren Entwicklung der Preise von
Wind- und Solarenergie zu tun. Die Preise sind heute
nicht mehr hoch; sie wurden wirklich nach unten ge-
drückt. Sie haben die Höhe der EEG-Umlage zu einer
Art Teufelszeug hochstilisiert. Dabei hatten wir 2013,
wie die Bundesnetzagentur gerade berichtete, den nied-
rigsten Börsenstrompreis seit 2004. Warum sagen Sie
den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht die ganze
Wahrheit, nämlich weshalb dieser unglaublich niedrige
Börsenpreis nicht an sie weitergegeben wird – es wäre
doch logisch, dass sie auch davon profitieren –, wohl
aber die damit einhergehende hohe EEG-Umlage? Wa-
rum sorgen Sie nicht dafür, dass auch die normalen
Leute von den niedrigen Börsenpreisen profitieren und
nicht nur die Industrie, die im Grunde doppelt kassiert?
Ich habe Sie gestern zum Merit-Order-Effekt gefragt.
Dabei geht es darum, dass die Preise an der Börse immer
niedriger werden, sie werden bald bei 3 Cent pro Kilo-
wattstunde liegen. Auch dies ist ein Gewinn für die In-
dustrie.

Es wird uns ja permanent vorgeworfen: Die Linke
will die Arbeitsplätze vernichten. – Bevor ich in den
Bundestag kam, war ich Schlosserin und Betriebsrätin,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, lange her!)


und nach acht Jahren im Bundestag war ich es zwischen-
durch noch einmal. Ich kenne die Probleme der Kolle-
ginnen und Kollegen besser als vielleicht viele in diesem
Saal.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum reden Sie dann so?)


Sie glauben doch nicht, dass wir Arbeitsplätze vernich-
ten wollen.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie tun es aber!)


Lesen Sie doch einmal, was der Handel schreibt. Auch
der Handel möchte Vergünstigungen und spricht in dem
Zusammenhang über Arbeitsplätze. Ferner: Was ist mit
den Zehntausenden Arbeitsplätzen im Bereich der rege-
nerativen Energien?

Zum Schluss. Es ist eine scheinheilige Debatte.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, finde ich auch!)


Wer hat denn Leiharbeit eingeführt? Wer hat denn Dum-
pinglöhne eingeführt? Wer hat denn ermöglicht, dass in
Fleischereien Vertragsfirmen billig arbeiten? Das waren
doch nicht wir.

(Beifall bei der LINKEN)


Verlagerungen von Betrieben geschehen nicht nur wegen
Strompreisen, sondern wegen ganz anderer Dinge. Wir
sind nicht diejenigen, die Arbeitsplätze vernichten wol-
len. Wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen soziale Ge-
rechtigkeit.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803302200

Frau Kollegin.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803302300

Ich will nicht, dass es so weit kommt, dass das Ver-

hängen von Stromsperren an der Tagesordnung ist – so
wie in meiner Heimatstadt, in der man jüngst einem
Menschen den Strom gesperrt hat, der auf ein Atemgerät
angewiesen ist. So geht das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803302400

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Joachim Pfeiffer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1803302500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich diese Debatte so anhört, ist es notwen-
dig, sich klarzumachen, worum es eigentlich geht. Wenn
man die Linken und die Grünen hier hört, dann könnte
man meinen, das EEG und die Förderung der erneuerba-
ren Energien wären ein Selbstzweck oder eine Ersatz-
religion und das wäre ein Wert an sich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es dient der Ressourcenschonung!)


Es ist kein Wert an sich, vielmehr ist das EEG Mittel
zum Zweck. Es ist ein Mittel zur Erreichung unserer
energiepolitischen Ziele.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist richtig!)


Die energiepolitischen Ziele sind in diesem Hause mit
großer Mehrheit verabschiedet worden: nämlich dass wir
– das ist heute, außer vom Bundeswirtschaftsminister,
von keinem erwähnt worden – im Bereich der Energie-
effizienz endlich vorankommen, Energie einsparen. Wir
wollen bis 2050 50 Prozent Primärenergie einsparen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen? Was tun Sie denn?)


Deshalb geht es nicht nur um den Strom, über den wir
heute schwerpunktmäßig diskutieren, sondern es geht
darum, dass wir im Gebäudesektor – nicht nur im Neu-
bau, sondern vor allem im Bestand – die entsprechenden
Potenziale heben. Wenn dieses nicht gelingt, werden wir
bei der Energieeinsparung und beim Umbau der Ener-
gieversorgung scheitern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Da hat jemand was kapiert!)






Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Es geht auch darum, im Bereich des Verkehrs die not-
wendigen Schritte einzuleiten; das steht heute allerdings
nicht im Mittelpunkt der Debatte. Schließlich geht es in
der Tat auch darum, den Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien im Strombereich voranzubringen. Wir wollen, dass
2050 von dem Rest an Energie, der dann noch ver-
braucht wird – wenn die Energieeinsparung gelingt –,
der überwiegende Teil aus Erneuerbaren gewonnen wird.
Was die Mengen anbelangt, sind wir weitaus erfolgrei-
cher als ursprünglich gedacht. In der Vergangenheit sind
die Ausbauziele regelmäßig weit überschritten worden:
bei der Photovoltaik 2009 und 2010, bei Windenergie
– das ist vorhin angesprochen worden –, bei der Bio-
masse und darüber hinaus. Leider besteht aber das Pro-
blem, dass dieser mengenmäßige Erfolg uns jetzt kosten-
mäßig vor die Füße fällt bzw. wir einen Kostenrucksack
zu tragen haben. Denn es ist in der Vergangenheit beim
schnelleren Ausbau und bei der schnelleren Senkung der
Kosten für erneuerbare Energien nicht gelungen, die
Vergütungssätze genauso schnell zu senken, wie es not-
wendig wäre, um eine Überforderung zu vermeiden. Das
ist das Problem, vor dem wir heute, im Jahr 2014, ste-
hen. Wir haben bereits über 120 Milliarden Euro für die
Förderung erneuerbarer Energien und die Energieerzeu-
gung ausgegeben. Nach heutigem Stand sind, selbst
wenn wir die Förderung erneuerbarer Energien sofort
beenden würden, in den nächsten 20 Jahren noch einmal
280 bis 300 Milliarden Euro – die heute schon zugesagt
sind – über die Umlage von den Stromverbrauchern ab-
zutragen.

Deshalb reformieren wir das EEG heute in erster Le-
sung und diskutieren es in den nächsten Wochen im Par-
lament. Auch hier gilt selbstverständlich das Struck’sche
Gesetz: Kein Gesetz wird den Bundestag so verlassen,
wie es ihn erreicht hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Drohung, was Sie da sagen! – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt eine Reihe von Stellschrauben, bei denen
Nachbesserungsbedarf besteht. Damit werden wir uns in
der Koalition intensiv auseinandersetzen. Wir laden Sie
auch gerne ein, uns darin zu unterstützen.

Um was geht es bei dieser Reform, über die wir heute
sprechen? Ein Baustein des Marathons des Umbaus der
Energieversorgung ist, das EEG europafest zu machen.
Über uns schwebt das Damoklesschwert eines Beihilfe-
verfahrens aus Europa. Was ist, wenn wir nicht bis zur
Sommerpause die Besondere Ausgleichsregelung, auch
das Grünstromprivileg, reformieren? Für über 1 Million
Arbeitsplätze und Tausende Unternehmen besteht Pla-
nungsunsicherheit, weil sie nicht wissen, wie es mit In-
vestitionen und Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren
vorangeht. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist
es in und mit Brüssel gelungen, Europa zu überzeugen,
sodass wir jetzt für ganz Europa – nicht nur für Deutsch-
land – Umwelt- und Beihilfeleitlinien haben, die in den
nächsten fünf, zehn Jahren Planungssicherheit für Inves-
titionen und Arbeitsplätze in Deutschland gewährleisten.
Damit können wir in Deutschland die Wertschöpfungs-
ketten in der Grundstoffindustrie – bei Chemie, bei
Stahl, bei Alu und bei Kupfer – entsprechend sichern.

Auch das ist angeklungen: Nur wenn wir in Deutsch-
land diese Wertschöpfungsketten erhalten, werden in
Deutschland Windräder gebaut; denn hier wird kein
Windrad gebaut ohne diese Grundstoffindustrie. Es fährt
auch kein Hochgeschwindigkeitszug in Deutschland
ohne diese Grundstoffindustrien.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellt das irgendjemand infrage?)


Und es wird kein einziges deutsches hochwertiges Auto
gebaut und exportiert, wenn wir nicht diese Wertschöp-
fungsketten in Deutschland erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellt das irgendjemand infrage?)


Deshalb werden wir jetzt mit der Besonderen Aus-
gleichsregelung an dieser Stelle langfristige Planungssi-
cherheit schaffen.

Wenn Sie jetzt zum wiederholten Male behaupten,
dass diese Entlastungen – der Bundeswirtschaftsminister
hat die absoluten Zahlen genannt; ich will sie an anderer
Stelle aufgreifen – an den Steigerungen bei der EEG-
Umlage schuld wären, dann erzählen Sie wider besseres
Wissen etwas Falsches. Wir haben in Deutschland in die-
sem Jahr eine EEG-Umlage von 6,3 Cent pro Kilowatt-
stunde.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 6,24 Cent!)


Wenn wir alle Ausnahmen im Bereich des EEG strei-
chen würden, hätten wir eine vielleicht um 1,2 oder
1,3 Cent geringere Umlage. Das heißt, die EEG-Umlage
betrüge dann immer noch 5 Cent. Damit wird klar und
deutlich, dass die energieintensiven Unternehmen bei
der gesamten Entwicklung nicht Täter, sondern Opfer
sind und insofern nicht für die hohe Umlage verantwort-
lich gemacht werden können – ganz im Gegenteil. Im
Übrigen ist es eine Milchmädchenrechnung: Wenn diese
energieintensiven Unternehmen weg wären, in die Insol-
venz gehen müssten, verlagert würden, dann wären nicht
nur die Arbeitsplätze und die Wertschöpfungsketten
weg, sondern dann müssten die Verbliebenen in zwei,
drei Jahren die Kosten tragen, die ich gerade dargelegt
habe und die für 20 Jahre festgeschrieben sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann wäre es für den Einzelnen noch teurer, als es jetzt
schon ist. Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein; das kann
von keinem hier in diesem Saal so gewollt sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht nicht nur um die Frage der Europafestigkeit;
es geht um die erneuerbaren Energien insgesamt, die nun
wahrlich keine Nische mehr sind. Als man 1990, 1991
das Stromeinspeisungsgesetz auf den Weg gebracht
hat, hat man gesagt: Wir wollen das mal mit 50 Millio-
nen D-Mark pro Jahr fördern. – Dann hat man dieses Ge-





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

setz 2000 in das EEG überführt und gesagt: Spätestens
2008, 2009 ist das EEG nicht mehr notwendig; dann ist
die Technologieförderung so weit, dass die erneuerbaren
Energien auf eigenen Beinen stehen können. – Jetzt hat
manches ein bisschen länger gedauert; aber wir sind in
der Vergangenheit auch manches zu langsam angegan-
gen. Deshalb haben wir heute eben diesen Kostenruck-
sack, den ich angesprochen habe.

Wir haben heute die Situation, dass der Börsenpreis,
über den hier fabuliert wird, nur noch eine Restgröße ist,
weil die Erneuerbaren von der Börse unabhängig sind:
Sie bekommen eine feste Vergütung, die ein Vielfaches
des Börsenpreises beträgt, unabhängig davon, ob der
Strom gebraucht wird oder nicht. Wir haben die Situa-
tion, dass all die Photovoltaik, die im Moment in
Deutschland installiert ist, Kosten von ungefähr 40 Cent
pro Kilowattstunde verursacht; das ist mehr als das
Zehnfache des Börsenpreises. Deshalb müssen die Anla-
gen zur Gewinnung erneuerbarer Energien, die jetzt, wo
es darum geht, den Anteil der Erneuerbaren an der
Stromversorgung von 25 auf 30 bis 40 Prozent zu stei-
gern, installiert werden, dann auch an den Markt ge-
bracht werden. Deshalb wollen wir eine Direktvermark-
tung. Deshalb wollen wir, dass die Börse entsprechende
Knappheitssignale aussenden kann und so die richtigen
Anreize gesetzt werden, im Übrigen auch im Hinblick
auf Emissionen. Solche Anreize werden im Moment na-
türlich überhaupt nicht gesetzt, weil die Börse nur noch
eine Restgröße ist.

Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren, der in der
Vergangenheit bei der Erzeugung mengenmäßig erfolg-
reich war, dringend mit dem Ausbau der Netze im
Onshore- und Offshorebereich synchronisieren. Dieses
Jahr wird ein Vergütungsvolumen von 900 Millionen
Euro allein auf Strom entfallen, der in Offshoreanlagen
erzeugt wird, aber gar nicht an Land kommt, weil keine
Leitungen vorhanden sind. Wir werden Hunderte von
Millionen Euro bezahlen, weil Strom aus Onshorewind-
kraftanlagen in Norddeutschland nicht in die Ver-
brauchszentren im Süden transportiert werden kann,
weil es nicht die entsprechenden Leitungen gibt. Das
heißt, da haben wir in der Vergangenheit Fehler ge-
macht. Peter Altmaier hat schon im letzten Jahr darauf
hingewiesen, dass der Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien mit dem Ausbau der Netze zu synchronisieren ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803302600

Herr Kollege Pfeiffer.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1803302700

Wir wollen jetzt mit dieser Reform diese Dinge angehen.

Aber dabei wird es nicht bleiben: Wir werden uns bereits
im Herbst über andere Fragen unterhalten müssen – über
KWK, über Energieeffizienz und auch über das zukünftige
Marktdesign –, um diesen Umbau voranzutreiben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803302800

Herr Kollege Pfeiffer!

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1803302900

Dann werde ich Gelegenheit haben, hier im Plenum

daran anzuknüpfen. – Vielen Dank, Herr Präsident.

Ich hoffe, wir haben jetzt gute Beratungen. Ich lade
Sie wirklich ein, sich konstruktiv und nicht nur pole-
misch daran zu beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803303000

Die Kollegin Julia Verlinden wird diese Einladung

jetzt sicher gleich aufgreifen. Jedenfalls ist sie die
nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803303100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wir sollten uns noch einmal in Erin-
nerung rufen, warum wir das Projekt Energiewende ei-
gentlich begonnen haben. Als die rot-grüne Bundesre-
gierung im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz
eingeführt hat, da wollten wir den Ausstieg aus der
Atomenergie, wir wollten den Umstieg auf eine kli-
maneutrale Energieversorgung und eine Entmonopoli-
sierung der Stromerzeugung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


14 Jahre später haben wir schon ein gutes Stück des
Weges geschafft, und wir können noch weiter gehen.
Diesen Erfolg, den wir bisher erreicht haben, haben wir
den engagierten Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken;
denn sie waren es, die trotz der Widerstände der großen
Energiekonzerne, die trotz schwarz-gelber Sabotagever-
suche und die trotz Ihrer großkoalitionären Bremsmanö-
ver in die Energiewende investiert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Anzahl
der Energiegenossenschaften und der Bürgerenergiepro-
jekte in Deutschland wächst stetig. Allein Privatperso-
nen und Landwirte haben bisher fast die Hälfte der In-
vestitionen in die erneuerbaren Energien im Strommarkt
getätigt. Die vier großen Energiekonzerne hingegen hat-
ten gerade einmal einen Anteil von 5 Prozent. Nun frage
ich Sie, liebe Bundesregierung: Wer bringt hier eigent-
lich die Energiewende voran? Sie sind das im Augen-
blick offenbar nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die treibende Kraft hinter der Energiewende ist die
große gesellschaftliche Unterstützung. Gleichzeitig ist
diese Beteiligungsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bür-
ger wichtig für die Akzeptanz des Projekts Energie-
wende. Aber genau dieser Bürgerenergiewende wirft die
Bundesregierung nun Knüppel zwischen die Beine.

Die verpflichtende Direktvermarktung für Anlagen
über 100 kW Leistung führt zu höheren Kreditzinsen
bei den Banken und errichtet damit eine Hürde für
Bürgerenergieprojekte. Die Belastung des Eigenver-
brauchs bei Erneuerbare-Energien-Anlagen und die dro-





Dr. Julia Verlinden


(A) (C)



(D)(B)

henden Ausschreibungen bergen ebenfalls die Gefahr,
die Bürgerenergiewende abzuwürgen. Sie fördern die
Großen und bremsen die Kleinen. Herr Gabriel, Sie tun
damit genau das Gegenteil dessen, was ich mir unter ei-
ner Demokratisierung und Entmonopolisierung der
Energieversorgung vorstelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und
von der Union, lassen Sie uns doch jetzt im Gesetzge-
bungsprozess Verbesserungen für diese investitionsberei-
ten Menschen verankern, damit die Bürgerenergiewende
weitergeht, damit die Atomkraftwerke abgeschaltet wer-
den, damit weniger Kohle verfeuert wird und damit wir
unsere überlebensnotwendigen Klimaziele erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend möchte ich noch betonen, dass es bei
der Energiewende nicht ausschließlich um den Ausbau
der erneuerbaren Energien geht; Herr Pfeiffer hat das ge-
rade angesprochen. Herr Pfeiffer hat richtigerweise gesagt:
Für ein Gelingen der Energiewende sind Energieeffizienz
und Energieeinsparung eine unabdingbare Vorausset-
zung. – In Ihren Sonntagsreden, liebe Kollegen von der
Union und der SPD, erzählen Sie alle immer, wie wich-
tig die Energieeffizienz ist. Aber bisher habe ich keine
einzige politische Aktivität in dieser Richtung von der
Bundesregierung wahrgenommen – keine einzige! –,
und das macht mich langsam echt wütend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht nicht nur darum, zu reden, sondern auch da-
rum, zu handeln; das wissen Sie. Ich möchte Sie daran
erinnern, dass bis Juni die Umsetzung der europäischen
Energieeffizienzrichtlinie ansteht. Herr Gabriel, Sie
müssen eine Energieeinsparung von rund 2000 Petajoule
nach Brüssel melden. Bisher hat Ihr Ministerium nicht
den blassesten Schimmer,


(Dirk Becker [SPD]: Dazu hat er doch gestern im Ausschuss Stellung genommen!)


mit welchen politischen Maßnahmen Sie diese EU-An-
forderungen überhaupt erreichen sollen. Das ist ein
Skandal!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Gabriel, Sie haben mir eben vorgeworfen, ich
hätte nicht genau nachgelesen. Vielleicht werfen Sie
noch einmal einen Blick in die Publikationen Ihres eige-
nen Hauses. Als Sie noch Umweltminister waren, da ha-
ben Sie die Themen Ressourcen und Energieeffizienz
ganz nach vorne gestellt. Es wäre schön, wenn Sie diese
jetzt als Energieminister umsetzen würden.


(Beifall der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Gerade jetzt, wo die Diskussion über die Energiever-
sorgungssicherheit und über unsere Erdgaslieferungen
aus Russland angesichts der Ukraine-Krise Tempo auf-
nimmt: Wie wichtig wäre es da, dass die Bundesregie-
rung jetzt in Gebäudesanierung investiert! Die Unterneh-
men, die hochwertige Effizienztechnik bereitstellen, die
in Forschung und Entwicklung investiert haben, die also
Effizienz produzieren, und das Handwerk stehen bereit.
Sie sitzen in den Startlöchern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Bundesregierung, nur durch Energieeinspa-
rung machen wir uns unabhängiger von Energieimporten
und sparen gleichzeitig Heizkosten ein. Wachen Sie end-
lich auf!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803303200

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege

Andreas Lenz.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1803303300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bera-
ten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Re-
form des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wir wollen
und wir werden damit den Ausbau der erneuerbaren
Energien weiter voranbringen.

Ziel der Reform ist auch, die Dynamik in der Kosten-
entwicklung zu begrenzen. Dabei gilt es einmal mehr
festzuhalten, dass die Energiewende zum Nulltarif eine
Illusion ist. Die Kosten, die das Gesetz aus der Vergan-
genheit bedingt, werden zumindest mittelfristig weiter-
hin anfallen. Die Umsetzung der Energiewende lässt
sich eben nicht per Knopfdruck bewerkstelligen. Die
Energiewende ist vielmehr eine Generationenaufgabe.
Auch deshalb darf es keine Denkverbote geben. Der
Vorschlag, die Lasten der Energiewende über einen län-
geren Zeitraum zu strecken, ist nach wie vor diskus-
sionswürdig.

Im Rahmen der Energiewende gilt es, riesige Infra-
strukturprojekte zu stemmen, die Leistungsfähigkeit un-
serer Wirtschaft zu erhalten sowie die Versorgungssi-
cherheit zu gewährleisten. Dabei soll der Strom
bezahlbar bleiben. Auch deshalb dürfen wir das Ziel der
weitgehenden Marktfähigkeit der erneuerbaren Energien
nicht aus dem Blickfeld verlieren;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD])


denn die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Be-
völkerung hinter ihr steht. Die Bevölkerung steht nach
wie vor hinter der Energiewende. Über 80 Prozent der
Menschen in unserem Land halten sie für richtig.

Wenn man die Medienberichte von Anfang April
noch im Kopf hat, könnte man glauben, dass es eigent-
lich nichts mehr zu beraten gäbe, da sich Bund und Län-
der weitgehend einig seien.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon etwas von den 200 Änderungsanträgen gehört?)






Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

Es ist jedoch unsere Pflicht als Parlament, notwendige
und sinnvolle Änderungen herbeizuführen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen haben die Länder eine Fülle von Änderungs-
anträgen eingebracht – Sie haben es gerade gesagt –, die
es zu prüfen gilt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber da gibt es ja keinen Konsens!)


Es gilt, verantwortungsbewusst und gewissenhaft an den
entsprechenden Stellschrauben zu drehen. Das werden
wir machen. Dabei geht es gar nicht zwangsläufig da-
rum, durch die Änderungen die Kosten zu erhöhen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein, das darf auch nicht sein!)


Es geht vielmehr darum, ein handwerklich sauberes Ge-
setz zu beschließen. Gerade deshalb werden wir jetzt im
parlamentarischen Verfahren mit ganzer Kraft an Nach-
besserungen des Kabinettsbeschlusses arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade im Bereich der Biomasse konnte man tatsäch-
lich den Eindruck gewinnen, hier wolle man einer gan-
zen Branche den Garaus machen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man nicht nur den Eindruck gewinnen; das ist so!)


Das ist Gott sei Dank, auch weil die CSU darauf hinge-
wirkt hat, nicht passiert. Es bedarf jedoch noch weiterer
Nachbesserungen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts,
die jüngst veröffentlicht wurde, bestätigt beispielsweise
die positive Wirkung von Biogas auf den Strommarkt.
Biomasse kann als flexibler Energieträger einen wertvol-
len Beitrag zur Systemstabilität leisten. Sie ist vielfältig
nutzbar, als Wärme-, Strom- und Kraftstofflieferant.

Gerade der Bestandsschutz muss uns als Land mit ho-
hen Standards bei der Rechtssicherheit wichtig sein.
Hier ist auch die Kanzlerin beim Wort zu nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf vom Staat
getroffene Entscheidungen verlassen können. Deshalb
müssen wir im parlamentarischen Verfahren ins Detail
gehen. An einigen Stellen droht der Bestandsschutz
nämlich ausgehöhlt zu werden. Beispielsweise muss die
momentan geplante Definition der Höchstbemessungs-
leistung für Biomasseanlagen angepasst werden. Eine
Festsetzung der Höchstbemessungsleistung nach den im
aktuellen Kabinettsbeschluss enthaltenen Vorgaben
würde für viele Biogasbetriebe den finanziellen Ruin be-
deuten. Hier sind Existenzen in Gefahr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die vorgesehene Abschaffung der bewährten
Einsatzstoffvergütungsklassen bei der Biomasse gleicht
einem Kahlschlag. Wir halten es zudem für erforderlich,
die Vergütungsklasse gerade für Holz zu erhalten. Die
Holzvergasung bzw. -verstromung hat sich durch neue
innovative Verfahren in den letzten Jahren sehr positiv
entwickelt. Die Vergütungsklasse für Holz ist sinnvoll
und notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der CSU-Landesgruppe ist es ein großes Anliegen,
dass die Biomasse auch künftig ihren festen Platz im
Energiemix behält. Für den Eigenverbrauch haben wir
uns auf weitgehenden Bestandsschutz geeinigt. Kritisch
zu sehen ist jedoch die Einbeziehung von Neuanlagen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies macht systematisch keinen Sinn, da gerade der Ei-
genverbrauch netzentlastend wirkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus unserer Sicht wäre es die beste Lösung, für neue
Anlagen zur Eigenstromerzeugung eine leistungsabhän-
gige Netzanschlussgebühr zu veranschlagen. Auch hin-
sichtlich der Stichtagsregelung besteht Handlungsbedarf.
Hier wurden im guten Glauben und im Vertrauen auf be-
stehende Regelungen teilweise erhebliche Investitionen
geleistet, die jetzt im Feuer stehen.

Apropos Feuer: Die Wasserkraft ist eine verlässliche
heimische Energiequelle. Nun wissen wir, dass die Was-
serkraft im Norden der Republik eine eher untergeord-
nete Rolle spielt. Trotzdem sollten wir uns auch hier an
den Koalitionsvertrag halten, in dem zur Wasserkraft
steht:

Die bestehenden gesetzlichen Regeln haben sich
bewährt und werden fortgeführt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD])


Hier muss am Gesetzentwurf nachgebessert werden.

Die Besondere Ausgleichsregelung für energie- und
handelsintensive Unternehmen bleibt weitestgehend be-
stehen. Wenn es die Ausnahmen für die Industrie nicht
gäbe, würde ein privater Haushalt zwar etwa 45 Euro
weniger Stromkosten pro Jahr haben; wegen der zu er-
wartenden Wohlstandsverluste würde das real verfüg-
bare Einkommen eines Haushalts jedoch um circa
400 Euro pro Jahr sinken. Es geht bei der Besonderen
Ausgleichsregelung darum, den Industriestandort
Deutschland langfristig zu erhalten.

Auf dem Weg in ein neues Energiezeitalter ist diese
Reform des EEG nur ein erster Schritt. Wir müssen uns
bei den nächsten Schritten um die Kapazitätsmärkte
kümmern. Wir brauchen weitere Forschung hinsichtlich
der Speichertechnologien und des Lastenmanagements.
Wir müssen den Netzausbau und damit verbunden die
weitere Integration der regenerativen Energien voran-
bringen. Dabei kommt es darauf an, die Bürgerinnen und
Bürger ernsthaft einzubeziehen. Abstandsflächen und
Erdverkabelung können hier Optionen sein. Auch die





Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

Schaffung eines funktionierenden CO2-Marktes und eine
engere europäische Koordinierung sind geboten.

Ich wünsche uns gute Beratungen mit – das ist viel
wichtiger – guten Ergebnissen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803303400

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dirk Becker für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1803303500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Mit den beiden vorherigen Rednern bzw. der Rednerin
und dem Redner hat die Debatte eine Wendung bekom-
men. Ja, wir reden über das EEG, über Inhalte. Herr
Dr. Lenz hat gerade im Namen der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion die Meinungsfindungsrunde der Koalition
eröffnet und einige Ideen genannt, über die auch bei uns
diskutiert wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab aber versteinerte Gesichter!)


– Ja, Oliver Krischer, ein versteinertes Gesicht gab es
auch bei mir heute. Deine Rede hatte daran einen großen
Anteil.

Ich will eines sehr deutlich sagen: Frau Verlinden, ich
finde, Sie haben wirklich mit der gebotenen Sachlichkeit
auch inhaltlich debattiert. Das war im Vergleich zu den
Reden, die ich zuvor gehört habe, wohltuend. Lieber
Oliver, dir muss ich sehr deutlich sagen: Wir kennen uns
nun schon seit vielen Jahren, und wir haben viele ener-
giepolitische Gespräche hier im Deutschen Bundestag
geführt. Ich verstehe, dass Opposition Kritik übt. Diese
darf auch einmal kräftig sein, aber muss auf richtigen
Fakten beruhen


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie!)


und nicht auf falschen Zitaten und Behauptungen, die
nicht stimmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn zum Beispiel?)


– Ganz ruhig, ich komme noch darauf. Im Gegensatz zu
euch habe ich etwas mitgebracht, in dem etwas dazu
steht. – Es ist sehr gefährlich, ausschließlich aus partei-
politischem Kalkül zu versuchen, die Bundesregierung
sowie CDU/CSU und SPD hier mit Dingen, die nicht
stimmen, vorzuführen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nun sag doch mal!)


Denn Sie gehen das große Risiko ein, dass Sie mit Ihren
Behauptungen, zu denen ich jetzt komme, auch die Ak-
zeptanz für die Energiewende beschädigen. Das muss
ich Ihnen deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. MarieLuise Dött [CDU/CSU])


Ich gebe zu: Die Regelungen der Besonderen Aus-
gleichsregelung sind hochkompliziert und nicht einfach.
Man muss sie sich vielleicht dreimal durchlesen, bis man
sie versteht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre immer noch nichts dazu, was du gemeint hast!)


Ich will Folgendes feststellen: Die Möglichkeiten zur
Ausnahme von der EEG-Umlage werden durch diese
EEG-Novelle teils drastisch eingeschränkt. Der Minister
hat das eben umfassend dargestellt; Sie haben es aber
nicht verstanden. Daher will ich einige Punkte noch ein-
mal deutlich machen:


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagt er dann, das Volumen bleibe gleich?)


Früher waren alle Gewerbebranchen antragsberechtigt,
heute sind es nur 219 Branchen. Dazu kam es nicht nach
dem Gutdünken des Ministers und der Regierung, son-
dern dies ist eine Regelung – Frau Lay, das müssen Sie
hinnehmen; ich hinterfrage langsam Ihre Europataug-
lichkeit –, die die EU für alle EU-Mitgliedstaaten getrof-
fen hat. Das ist keine Lex Deutschland.


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf deutschen Druck hin! – Caren Lay [DIE LINKE]: Was ändert das denn?)


Es ist falsch, zu behaupten, dass für die Panzerindustrie
und für den Kunstschmuck Ausnahmen gelten würden;
denn in diesen Bereichen liegt keine ausreichende Strom-
intensität vor.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber warum stehen sie dann in der Liste?)


Sie müssen sich vielleicht noch einmal mit den Fragen
auseinandersetzen: Was heißt „Anteil an der Bruttowert-
schöpfung“? Was heißt „Handelsintensität“?“ Und was
heißt „Stromintensität“?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden schon einen Berater finden, der das für die hinkriegt!)


Wenn man das nicht versteht, sollte man damit aber auch
keine polemische Politik betreiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will eines, auch mit Blick auf Frau Lay, sagen:
Gerade die Linken kritisieren das, was wir in diesem Be-
reich für die deutsche Industrie gemacht haben; ich habe
in der gestrigen Debatte einen Satz dazu gesagt. Lassen
Sie uns einmal folgendes Szenario durchspielen: Der
Bundeswirtschaftsminister hätte den Erfolg, den er hatte,





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

nicht gehabt, und wir hätten heute den Stand umzuset-
zen, den Almunia vor acht Wochen umsetzen wollte.
Dann wären die Linken die erste Partei, die mit 200 Leu-
ten vor dem Reichstag stehen und dem Minister totales
Versagen vorwerfen würde, weil er sich nicht um die In-
dustrie und die Menschen gekümmert hat.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Quatsch!)


Dieser Minister sorgt dafür, dass diese Arbeitsplätze in
Deutschland erhalten bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun, Herr Lenz, will ich auf ein paar Punkte zu spre-
chen kommen, die Sie erwähnt haben. Das EEG, über
das wir heute diskutieren – es ist von den Grünen und
von anderen beschrieben worden –, wandelt sich von ei-
nem Markteinführungsinstrument hin zu einem Instru-
ment der Marktdurchdringung der erneuerbaren Ener-
gien. Wir befinden uns auf einem Weg, auf dem wir
unser Land energiepolitisch wieder in die volle Souverä-
nität führen und die Abhängigkeit von Kohle und Öl im-
mer weiter minimieren wollen. Es ist übrigens ganz
wichtig, in der Kostendebatte darauf hinzuweisen: Die
Energiewende kostet Geld – Herr Dr. Lenz hat das ge-
sagt –, und sie wird auch in Zukunft Geld kosten. Aber
auch der Import von Kohle und Öl kostet Geld. Dieses
Geld fließt ab; das andere Geld bleibt im Land. Wichtig
ist daher, nicht nur die Kostenaspekte zu betonen, son-
dern auch die volkswirtschaftlichen bzw. energiewirt-
schaftlichen Aspekte durch das EEG zu stärken.

Ich will ganz kurz, Herr Dr. Lenz, noch ein paar
Punkte ansprechen. Ja, wir müssen darauf achten, dass
wir die vorgesehenen Regelungen im Hinblick auf die
Technologien so scharf stellen, dass sie wirken, dass der
Zubau im Bereich Biomasse im Rahmen der Szenarien
tatsächlich erfolgen kann. Wir werden, was die Aus-
schreibungen betrifft – der Minister ist darauf zu spre-
chen gekommen –, nicht nur im Blick haben müssen,
dass die Bürgerprojekte auch in Zukunft durchgeführt
werden können, sondern ganz wichtig ist auch die Fest-
stellung: Ausschreibungen sind kein Selbstzweck.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803303600

Herr Kollege!


Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1803303700

Ich komme sofort zum Schluss. – Sie müssen kosten-

effizient sein, dürfen also nicht zu gestiegenen Kosten
führen.

Wir sind uns all dieser Punkte bewusst. Wir werden
im weiteren Verfahren auch die Opposition zu einer
sachlichen Debatte über die Inhalte einladen und – da
bin ich sicher – ein Instrument verabschieden, das die
Energiewende auch weiterhin zum Erfolg führt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803303800

Herr Krischer, ich habe Ihre Wortmeldung gesehen.

Aber nach ständiger Übung können wir Kurzinterventio-
nen nach Ablauf der Redezeit des jeweiligen Redners
aus hoffentlich allgemein nachvollziehbaren Gründen
nicht zulassen.

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt nicht ganz so überraschend!)


– Wenn jemand den unbändigen Wunsch hat, zusätzliche
Bemerkungen zu machen, empfiehlt es sich, sich zu ei-
nem frühen Zeitpunkt und nicht kurz vor Ende der Ver-
anstaltung anzumelden.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich schon lange gemeldet!)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1803303900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Nachdem wir jetzt ziemlich am Ende der De-
batte sind und schon vieles gesagt ist, möchte ich zu Be-
ginn meiner Rede doch noch einmal darauf eingehen, in
welchem Umfeld und in welchem Rahmen wir die EEG-
Novelle dieses Jahr bestreiten.

Der Zubau bei den erneuerbaren Energien war so ra-
sant, wie keine Partei in den letzten Jahren vorhergese-
hen hat. Gerade unter der CDU/CSU-geführten Bundes-
regierung haben wir bei den erneuerbaren Energien in
den letzten Jahren jedes Jahr Rekordzubauraten vermel-
den können. Deutschlands Stromerzeugung durch erneu-
erbare Energien hat heute einen Anteil von 24 Prozent –
so viel wie kein anderes Industrieland in der Welt.

Auf der anderen Seite konnten wir trotz Planungsbe-
schleunigungsgesetzen im Netzbereich nicht die Infra-
struktur, die notwendig ist, Schritt für Schritt mit zu-
bauen. Auch haben wir trotz erheblicher Investitionen
und Forschungsaufwendungen im Bereich der Speicher-
technologien leider nicht die Erfolge gehabt, die wir uns
gewünscht haben. Das führt dazu, dass wir beim Ausbau
der erneuerbaren Energien erhebliche Probleme erleben.
Die Entwicklung hat gezeigt, dass die Kostenfrage jetzt
an einem ganz kritischen Punkt ist; denn die Verbrauchs-
preise liegen im Schnitt bei circa 28 Cent je Kilowatt-
stunde, und der Industriestrompreis liegt bei über
10 Cent je Kilowattstunde. Nach den neuesten Zahlen
von Eurostat, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wor-
den sind, haben wir nach Zypern und Italien die höchs-
ten Industriestrompreise in ganz Europa.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchen!)


Beim EEG besteht deshalb dringend Handlungsbe-
darf.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die niedrigsten Industriestrompreise seit zehn Jahren!)






Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Wir müssen beim Zubau nachsteuern. Wir müssen sogar,
lieber Herr Krischer, in manchen Bereichen bremsend
einwirken, wie wir es in den letzten Jahren im PV-Be-
reich leider viel zu spät gemacht haben; aber wir haben
es gemacht, und es hat auch funktioniert. Wir müssen
den Zubau so gestalten, dass die Infrastruktur mithalten
kann. Auch das wird ein ganz wichtiger Baustein sein.
Wir müssen die Förderung der erneuerbaren Energien so
gestalten, dass sie kosteneffizient zu erzielen ist. Das
heißt beispielsweise, dass wir Windräder dort bauen
müssen, wo auch Wind vorhanden ist, und nicht in ei-
nem Schwarzwaldtal, wo Windräder nichts zu suchen
haben. Zudem müssen wir die erneuerbaren Energien
– darauf ging Herr Becker gerade ein – in den Wettbe-
werb auf dem Markt überführen. Das EEG muss vom
Markteinführungsinstrument zu einem Marktinstrument
ausgebaut werden. Wir wollen mit dem EEG nicht nur
auf Umwelt- und Klimaschutz setzen, sondern in Zu-
kunft vor allem auch Versorgungssicherheit und Bezahl-
barkeit zur obersten Maxime des EEG machen.

Was machen wir konkret? Da möchte ich einige
Punkte aufgreifen, die meine Vorredner genannt haben.
Wir definieren erstmals einen verbindlichen Ausbaupfad
für die erneuerbaren Energien, der sowohl nach unten als
auch nach oben für die Politik der nächsten Jahre gelten
muss. Diesen Ausbaupfad, der technologiespezifisch de-
finiert worden ist für Wind, Wasserkraft, Biomasse und
Solarenergie, werden wir auf den Mechanismen, die wir
die letzten Jahre entwickelt haben, aufbauen. Ich nenne
hier nur den Deckel, der im Solarbereich funktioniert
hat; wir werden ihn auch in anderen Bereichen, bei-
spielsweise bei Wind onshore, implementieren. Ich
glaube, das wird ein richtiger Schritt sein, um die Aus-
bauziele im Bereich Wind zu erzielen, ohne dass über
Gebühr, aber auch nicht zu wenig zugebaut wird. Damit
schaffen wir Planungssicherheit. Wir schaffen für die In-
vestoren die richtigen Anreize. Der Netzausbau kann
sich darauf einstellen, wo und wann entsprechende Aus-
bauziele bewirkt werden. Wir schaffen auch Planungs-
sicherheit für den konventionellen Kraftwerkspark, der
auch die nächsten Jahrzehnte noch gebraucht wird, um
die Stromversorgungssicherheit in Deutschland zu ge-
währleisten.

Wir wollen die erneuerbaren Energien Schritt für
Schritt – ich sage auch hier: sehr moderat – in den Markt
überführen. Wir wollen eine stufenweise Direktvermark-
tung, Jahr für Jahr, von Großanlagen bis zu Kleinanla-
gen. Die Sorge, die hier teilweise von der Opposition
zum Ausdruck gebracht wurde, kann ich nicht ganz
nachvollziehen; denn wir haben gerade in der jetzigen
Gesetzesnovelle in vielerlei Punkten noch einmal erheb-
liche Risiken abgedeckt. Wir haben die erneuerbaren
Energien in vielerlei Hinsicht weich gebettet. Ich nenne
nur als Stichworte die Ausfallvermarktung und die glei-
tende Marktprämie. Ich glaube – das sage ich sehr of-
fen –, dass wir auch über diese Punkte noch einmal in-
tensiv reden müssen; wir müssen schauen, ob wir hier
nicht für noch mehr Markt sorgen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trauen wir den erneuerbaren Energien doch etwas zu!

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir trauen ihnen etwas zu! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen ja mehr!)


Ich bin davon überzeugt, dass wir schon heute in vie-
len Bereichen weiter sind, als die Grünen glauben. Die
Direktvermarktung wird schon heute von vielen prakti-
ziert. Das Marktprämienmodell, das von Peter Altmaier
und Norbert Röttgen damals entwickelt wurde, funktio-
niert und wird in vielen Bereichen übernommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein absoluter Flop! Das hat nur zusätzliche Kosten verursacht!)


Bei 80 bis 90 Prozent der Windenergieanlagen wird
diese Marktprämie genutzt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Geschenk an die Betreiber! Das wird gern genommen!)


Deswegen kann man sie auch in den Markt überführen.
Ich denke, hier könnten wir über eine Direktvermark-
tung mehr tun. Wir sollten noch mutiger sein, als wir es
jetzt mit dem Gesetzentwurf sind.

Das Ausschreibungsmodell ist ein weiterer Punkt, mit
dem wir Markt möglich machen. Es wird in den nächs-
ten Jahren einen Paradigmenwechsel einleiten und das
EEG auf eine neue Stufe bringen. Wir werden uns in den
nächsten zwei Jahren sehr viel Zeit dafür nehmen. Wir
brauchen Testphasen, die wir in dem Gesetzentwurf
schon klar definiert haben, indem wir sagen: Wir wollen
versuchen, ob dieses Modell im Bereich der Photovol-
taik-Freiflächenanlagen, einem Nischenmarkt, funktio-
niert. Ich könnte mir auch vorstellen, es noch in anderen
Bereichen zu testen, zum Beispiel im Onshorebereich.
Ich glaube, wir müssen hier wirklich viele Erfahrungen
sammeln. Im Ausland kam es teilweise zu Fehlern; es
wurde aber auch viel Gutes gemacht. Diese Erfahrungen
müssen wir in unser Modell implementieren und so ein
Modell ausgestalten, das kosteneffizient und wettbe-
werblich orientiert ist. Dies schreibt ja auch das EU-Bei-
hilfeverfahren vor, und wir sind aufgefordert, hier voran-
zugehen. Ich bin der Auffassung, dass ab 2017 nicht der
Deutsche Bundestag, sondern der Markt, im Wettbewerb
durch Angebot und Nachfrage, die Preise für erneuer-
bare Energien definieren sollte. Dort gehört es nämlich
hin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Becker und Herr Lenz haben schon verschiedene
Handlungsbedarfe angesprochen. Auch ich möchte zwei
aufgreifen, die mir wichtig sind, nämlich die Themen Ei-
genverbrauch und Verbraucherschutz. Ich will aber noch
einmal deutlich sagen: Die Abstimmung mit den Län-
dern im Vorfeld war sicherlich richtig. Es ist nämlich
notwendig, dass wir eine breite Akzeptanz für diese No-
velle erreichen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg lehnt das ab!)






Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Es ist aber auch wichtig, dass wir hier im Parlament
Handlungsfelder definieren, in denen wir uns einbrin-
gen. Deshalb gilt auch hier das Struck’sche Gesetz: Kein
Gesetz kommt so aus dem Parlament heraus, wie es ein-
gebracht worden ist.

Wir wollen über den Bereich Eigenstrom noch einmal
intensiv diskutieren. Die entsprechenden Vorschläge
sind gegenüber dem, was hier ursprünglich vorgesehen
war, noch einmal verbessert worden. Das war auch not-
wendig; denn ich glaube weiterhin, dass das Modell, das
jetzt im Gesetzentwurf steht, sehr bürokratisch, oftmals
nicht praxisnah und vor Ort auch nicht umsetzbar ist. Ich
glaube auch, dass wir aufpassen müssen, dass wie bei
der Besonderen Ausgleichsregelung, die uns in Brüssel
ein Verfahren eingebracht hat, nicht neue Tatbestände
für eine wettbewerbliche Verzerrung entstehen. Deshalb
sollten wir auch hier mit Ziel und Augenmaß vorgehen.

Ich halte auch die rechtliche Grundlage für sehr frag-
würdig. Ich glaube, dass wir auch das noch einmal ge-
nauestens prüfen müssen. Ich könnte mir auch hier vor-
stellen, mehr zu tun


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein schöner Ansatz!)


und für eine stärkere Verantwortlichkeit und Solidarisie-
rung in Bezug auf die Netze zu sorgen. Wie gesagt: Ich
glaube, dass wir hierüber vielleicht im Parlament einen
Konsens finden.

Zum Thema Vertrauensschutz. Ich glaube, auch hier-
für brauchen wir einen Ansatz, der dem Koalitionsver-
trag gerecht wird, in dem wir klar und deutlich gesagt
haben:

Altanlagen genießen Bestandsschutz. Der Vertrau-
ensschutz im Hinblick auf getätigte und in der Rea-
lisierung befindliche Investitionen ist entsprechend
zu gewähren.

Ich glaube, der Stichtag ist ein ganz wichtiger Punkt,
über den wir diskutieren müssen. Wir müssen sehen,
dass Biogasanlagen und auch Windparks andere Vorlauf-
phasen haben als eine Solardachanlage. Deshalb gilt hier
auch für mich als Wirtschaftspolitiker die erste Priorität
der Gewährleistung von Investitions- und Vertrauens-
schutz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt viele Punkte, die wir angehen müssen. Die
Menschen und die Investoren warten darauf, dass wir
jetzt zügig vorangehen. Deshalb: Packen wir es an!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803304000

Letzter Redner zu diesem Debattenpunkt ist der Kol-

lege Alois Gerig für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1803304100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner
habe ich jetzt die Möglichkeit, diese Debatte aus meiner
Sicht zusammenzufassen.

Bereits in der letzten Legislaturperiode ist klar gewor-
den, dass es einer Reform des EEG bedarf, um die Ener-
giewende, deren Gelingen sich die Große Koalition
– das haben wir heute sehr deutlich gehört – sehr wohl
auf die Fahne geschrieben hat, nicht zu gefährden. Da
geht es um die Bezahlbarkeit für die Bürger und um die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Sprich: Es
geht um die Balance zwischen dem Ausbau der erneuer-
baren Energie und der Strompreisentwicklung und damit
verbunden auch um die Akzeptanz bei der Bevölkerung.

Im vorliegenden Entwurf zur Reform des EEG sind
viele richtige und wichtige Punkte enthalten. Glückli-
cherweise wurde seit dem ersten Entwurf schon einiges
korrigiert. Aber als Berichterstatter für Energie in der
AG „Ernährung und Landwirtschaft“ möchte ich in en-
ger Abstimmung mit meinen Kollegen doch noch den ei-
nen oder anderen Änderungsvorschlag ins parlamentari-
sche Verfahren einbringen.

Worum geht es uns? Wir alle wollen den Ausstieg aus
der Kernenergie und den Umstieg auf klimafreundliche
erneuerbare Energien, mittelfristig möglichst ohne EEG,
mit voller Marktintegration. Für mich steht aber auch
fest: Die Energiewende kann nur mit dem ländlichen
Raum gelingen. Dort sind die Ressourcen in Feld und
Wald für Bioenergie, die Dächer für Solaranlagen und
die Standorte für die Windkraftanlagen. Damit diese
Energiewende ein Erfolg wird, müssen wir also auch die
Weichen für den ländlichen Raum richtig stellen: Durch
dezentrale Energieerzeugung und -nutzung braucht es
nur kurze Wege, und der Netzausbau kann auf das not-
wendige Maß beschränkt werden. Windkraftanlagen
dürfen nicht gegen den Willen der Bürger gebaut wer-
den. Nach meiner Ansicht kann man auf neue Freiflä-
chen-PV-Anlagen entlang von Autobahnen und Bahn-
trassen künftig sogar verzichten.

Akzeptanz für die Energiewende erreichen wir am
besten durch Transparenz, insbesondere Verlässlichkeit.
Wir erreichen sie auch durch Bürgerbeteiligung. Dies
gilt besonders für die strukturschwachen ländlichen Re-
gionen. Diesbezüglich ist in den vergangenen Jahren
– da werden Sie mir recht geben – sehr viel geschehen.
Auch durch politische Unterstützung wurden Bioener-
gieregionen geschaffen. Allein in Baden-Württemberg
sind 140 Energiegenossenschaften mit über 25 000 Mit-
gliedern gegründet worden; dort warten alle auf positive
Signale aus Berlin. Da werden gemeinsam Wind-, Solar-
und Biomasseanlagen betrieben. Es gibt Genossenschaf-
ten für Nahwärmenetze und mittlerweile auch gemein-
same Mieterstromprojekte. All diese Menschen glauben
an die Energiewende, auch zum Wohle des Klimaschut-
zes – heute und in Zukunft noch mehr – und einer positi-
ven Zukunft unseres Planeten im Sinne der Enkel und
Urenkel.

Erreicht haben wir diese Entwicklung durch ein Netz-
werk der Regionen, der Kommunen und der Landkreise,





Alois Gerig


(A) (C)



(D)(B)

die sich die Erneuerbaren und die Energieeffizienz – da-
rum geht es, und ich bin froh, dass dieses Thema heute
des Öfteren angesprochen wurde – auf die Fahnen ge-
schrieben haben. Deshalb brauchen wir eine EEG-No-
velle mit Augenmaß, die das Engagement der Bürgerin-
nen und Bürger für diese Wende weiter fördert. Statt nur
auf den Ausbau der Erneuerbaren zu setzen, müssen wir
auch nach Wegen suchen, wie wir das Engagement noch
stärker auf den Wärmemarkt – auch das wurde hier sehr
deutlich gesagt – und insbesondere auf die Energieeffi-
zienz ausrichten.

Nach dem jetzigen Entwurf des EEG sehe ich insbe-
sondere bei den Vorschlägen für die Biomasse noch Kor-
rekturbedarf. Ich freue mich, dass ich diesbezüglich
nicht alleine dastehe. Gewiss wurden in der Vergangen-
heit Fehler gemacht, sodass es punktuell in Deutschland
zu einer Überfrachtung mit Biogasanlagen und damit zu
Akzeptanzproblemen gekommen ist. Aber ich verweise
auf die erfolgte Korrektur in unserem EEG 2012, die
schließlich dazu geführt hat, dass seitdem nur noch sehr
wenige neue Biogasanlagen zugebaut wurden. Hersteller
von Biogas- und Biomasseanlagen für feste Brennstoffe
beginnen sich derzeit – das ist eine erfreuliche Entwick-
lung – auf den internationalen Märkten zu etablieren.
Die Branche spricht von einem Exportanteil von derzeit
30 bis 40 Prozent. Wenn wir das jetzt durch überzogene
politische Forderungen zerstören – dazu würde der jet-
zige Entwurf führen –, dann hätte das fatale Folgen für
die ganze Branche, aber auch für die Außenwirkung in-
nerhalb und außerhalb der Grenzen Deutschlands.

Die Bioenergie liefert derzeit zwei Drittel der erneu-
erbaren Energien. Die Branche beschäftigt nach eigenen
Angaben 380 000 Menschen. Die Bioenergie liefert ei-
nen wichtigen Beitrag zur Stromerzeugung. Durch die
Speichermöglichkeit ist sie in der Lage, flexibel Regel-
und Spitzenstrom zu liefern, und ist damit bei einer wei-
teren Zunahme von fluktuierendem Solar- und Wind-
strom das wichtigste Standbein für eine dezentrale Ener-
gieversorgung, die wir zumindest so lange brauchen, bis
wir das Netz von Nord nach Süd ausgebaut haben.

Wir müssen die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag
zum vollen Bestands- und Vertrauensschutz – das gilt
auch, wie schon erwähnt, für Stichtage und die Höchst-
bemessungsleistung – bei der Umsetzung zu 100 Prozent
ernst nehmen, ebenso wie die Aussage, dass wir zukünf-
tig überwiegend, also nicht ausschließlich, Rest- und
Abfallstoffe für die Biogasproduktion einsetzen werden.
Darum bitte ich in der Debatte. Ich bin überzeugt: Mit
einem vernünftigen Zubau – natürlich müssen wir das
Ausbautempo reduzieren, ohne die Branche abzuwürgen –
schaffen wir diese Wende.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Große Koalition ist
fest entschlossen, die Energiewende zu einem Erfolg für
unser Land zu machen. Aber eines ist klar: Nur wenn wir
einen vernünftigen Dreiklang aus Klimaschutz, Versor-
gungssicherheit und Bezahlbarkeit hinbekommen, wird
in unserer Gesellschaft die Akzeptanz für die Energie-
wende erhalten. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemein-
sam an einer Bürger-Energiewende arbeiten. Ich bin fest
davon überzeugt: Nach sicherlich intensiven Debatten in
den kommenden Wochen werden wir Ende Juni ein gu-
tes Gesetz für unser Land beschließen.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803304200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/1304 und 18/1331 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 5 aufrufe, möchte
ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir im Laufe
des Nachmittages voraussichtlich drei namentliche Ab-
stimmungen durchführen werden, die auch in den Über-
sichten für die Tagesordnung angekündigt worden sind.
Dabei wird es für die letzte der voraussichtlich drei na-
mentlichen Abstimmungen eine Änderung im Zeitab-
lauf geben, auf die sich die Fraktionen verständigt
haben: Die namentliche Abstimmung zum Tagesord-
nungspunkt 11 – Mehr Transparenz bei Rüstungsexport-
entscheidungen sicherstellen – soll um einen Tagesord-
nungspunkt vorgezogen werden, um die Kollision mit
anderen Terminen am späteren Nachmittag bzw. frühen
Abend vermeiden zu helfen. Das wird natürlich in geeig-
neter Weise in die Büros kommuniziert, und wir werden
bei den nächsten namentlichen Abstimmungen noch ein-
mal darauf aufmerksam machen. Aber wenn Sie das
bitte für Ihre Zeitplanung schon einmal berücksichtigen!

Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 und den Zu-
satzpunkt 2 auf:

5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke,
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungen-
schaften verteidigen – Soziales Europa schaf-
fen

Drucksache 18/1116
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen –
Stopp des Programms MobiPro-EU sofort
aufheben

Drucksache 18/1343
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss





Präsident Dr. Norbert Lammert


(C)



(D)(B)

Für diese Debatte ist nach einer interfraktionellen
Vereinbarung wiederum eine Aussprachezeit von 96 Mi-
nuten vorgesehen. – Das findet offensichtlich allgemeine
Zustimmung. Also können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803304300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Bundesregierung wird nicht müde, das
Erfolgsmodell Europa zu preisen. So sagte kürzlich
Staatsminister Roth: „Europa gilt nach wie vor als ein-
zigartiges Erfolgsmodell.“ Frau Merkel meint sogar, das
europäische Wirtschafts- und Sozialmodell gründe auf
der individuellen Würde des einzelnen Menschen. Da
frage ich mich doch wirklich: Was ist das für ein Sozial-
modell, das zulässt, dass 125 Millionen Menschen in Ar-
mut und sozialer Ausgrenzung leben?


(Beifall bei der LINKEN)


Wie sieht es denn aus mit der individuellen Würde dieser
Menschen? Wollen Sie ernsthaft zum Modell erheben,
dass die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern dramatisch
zugenommen hat, dass sich die Langzeitarbeitslosigkeit
oft verdoppelt oder verdreifacht hat, dass in Spanien,
Griechenland oder Italien die Hälfte der jungen Men-
schen keinen Job hat? Nein, das ist nicht das Europa, das
unsere Bevölkerung in Deutschland will.


(Beifall bei der LINKEN)


Junge Menschen in Europa geben jedenfalls eine ganz
klare Antwort. Ausgerechnet in einer Umfrage des Euro-
päischen Parlaments haben sechs von zehn jungen Men-
schen auf die Frage: „Haben Sie das Gefühl, in Ihrem
Land durch die Wirtschaftskrise an den Rand gedrängt
und vom wirtschaftlichen und sozialen Leben ausge-
schlossen zu sein?“, mit Ja geantwortet. Das muss Ihnen
doch zu denken geben. Aber Beispiele gibt es auch bei
uns. In den 90er-Jahren waren unsere Truckfahrer im in-
ternationalen Fernverkehr mit mehr als 5 000 DM Spit-
zenverdiener. Heute müssen mehr als 80 000 Truckfah-
rer ihren kärglichen Lohn mit Hartz IV aufbessern. Das
ist nicht die Politik, die die Menschen wollen. Hier muss
sich ganz deutlich etwas ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht nicht nur um eine gewaltige Absenkung der
Verdienste. Es geht auch um eine dramatische Ver-
schlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen in
Europa. Diese müssen verbessert werden. Am vergange-
nen Samstag sind die deutschen Truckfahrer auf die
Straße gegangen, um für bessere Arbeits- und Lebensbe-
dingungen und gegen Lohndumping zu demonstrieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben ein beeindruckendes Zeichen für Europa ge-
setzt; denn sie haben Solidarität mit den Kollegen ge-
zeigt, die unter noch schlechteren Arbeitsbedingungen,
zu noch mieseren Löhnen und windigen Vertragsbedin-
gungen arbeiten müssen. 400 Euro im Monat, Lkw, bei
denen auf nahezu jedes Extra, das Komfort oder Si-
cherheit erhöhen könnte, verzichtet wird, monatelange
Abwesenheit von den Familien, Verträge ohne soziale
Absicherung, das sind die Bedingungen, unter denen
tschechische Fahrer leben müssen. Das kann es doch
nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Dennoch sagen diese Menschen Ja zu Europa und euro-
päischer Solidarität. Aber sie sagen Nein zu einem Eu-
ropa des Lohndumpings und des Sozialabbaus.


(Beifall bei der LINKEN)


Europa wird nur eine Chance haben, wenn es eine
breite Zustimmung in der Bevölkerung gibt. Diese gibt
es nur, wenn viele Bürgerinnen und Bürger das Gefühl
haben, dass Europa ihre Lebensqualität verbessert. Frei-
heit, offene Grenzen und Frieden stellen einen gewalti-
gen Fortschritt dar. Aber die Menschen erwarten auch
ein Leben in wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit.
Das ist das Europa, das die Menschen in Deutschland
und in Europa wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Europa darf nicht nur wenigen nutzen, deren Reich-
tum immer weiter wächst. In Europa gab es im letzten
Jahr 766 Dollarmilliardäre. Deren Vermögen ist in Euro
umgerechnet auf etwa 1,5 Billionen angewachsen. Das
entzieht sich jedweder Vorstellungskraft. Das ist mehr
als das Doppelte von dem, was die europäischen Steuer-
zahler für die Bankenrettung als Bürgschaft hinterlegt
haben. Das, meine Damen und Herren, ist Ihre Politik,
die Politik der Bundesregierung.

Für eine Krise, die sie nicht zu verantworten hat, wird
die Bevölkerung in Geiselhaft genommen. Löhne wer-
den gesenkt, Arbeitnehmerrechte und der Sozialstaat ab-
gebaut. Statt in Wachstum und in Beschäftigung zu in-
vestieren, wird gekürzt. Die Wirtschaft schrumpft, und
die Schulden steigen. So gibt es zwei Europas, die der-
zeit zueinander im Gegensatz stehen. Das eine ist das
Europa der Wirtschaft, der Vermögenden und der Lob-
byisten, das andere ist ein soziales Europa, ein Europa,
welches die Menschen wollen.

Die Linke will diese europäische Kürzungspolitik be-
enden. Wir fordern stattdessen ein EU-weit koordiniertes
Investitionsprogramm, mit dem Arbeitsplätze geschaf-
fen, die Wirtschaft ökologisch umgebaut und Bildung,
Gesundheitsversorgung und öffentliche Infrastruktur
ausgebaut werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Dumpingkonkurrenz bei den Löhnen darf es nicht ge-
ben. Wir brauchen eine europaweite Millionärsabgabe,
um gerade die Krisenverursacher und -gewinner in die
Verantwortung zu nehmen. Meine Damen und Herren,
auch Sie kommen nicht an der Wahrheit vorbei: Wer ein
soziales Europa will, muss es den Reichen nehmen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)


(A)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803304400

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Mark

Helfrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1803304500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn eines in
aller Deutlichkeit sagen: Europa ist eine weltweit einzig-
artige Erfolgsgeschichte. Das lassen wir uns auch nicht
durch einen solchen Antrag wie den, der heute vorliegt,
kaputtmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Unsere Europäische Union, die auf dem Konzept der
sozialen Marktwirtschaft beruht, ermöglicht es ihren
Bürgern, ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und
Vorstellungen zu gestalten. Im EU-Vertrag ist festge-
schrieben, dass ein hoher Beschäftigungsgrad, sozialer
Zusammenhalt, ein angemessener Sozialschutz und die
Bekämpfung sozialer Ausgrenzung bei der Gestaltung
und der Umsetzung der EU-Politik in allen Bereichen
berücksichtigt werden müssen. Wir arbeiten für ein Eu-
ropa, das den Menschen Chancen für ihr berufliches und
soziales Wohlergehen eröffnet, und das schon seit 1951.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum machen Sie das Gegenteil?)


Wir befinden uns bereits jetzt auf einem sehr hohen
Wohlstandsniveau. Obwohl nur 7 Prozent der Weltbe-
völkerung in der Europäischen Union leben,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Waren Sie mal in Griechenland?)


produzieren wir 25 Prozent des weltweiten Bruttoinlands-
produkts. Ja, ich spreche zuerst über das BIP, weil alles,
was Sie unter sozialen Errungenschaften subsumieren,
zunächst erwirtschaftet werden muss. Ich werde nicht
müde, auf diesen Zusammenhang, der eigentlich ganz
simpel ist, von Ihnen aber immer wieder geleugnet wird,
hinzuweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Während Sie, meine Damen und Herren der Linken,
behaupten, dass die sozialen Errungenschaften auf brei-
ter Front zunichtegemacht werden, muss ich an dieser
Stelle sagen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion
unser heutiges ausgesprochen hohes Sozialniveau erst
ermöglicht hat und dass die Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union heute 50 Prozent aller Sozialleistungen der
Welt auf sich vereinen. Ich wiederhole das gerne: 7 Pro-
zent der Weltbevölkerung erhalten 50 Prozent aller So-
zialleistungen.

Weil Sie in Ihrem Antrag die EU mehr oder minder
als Verschwörung marktradikaler Kräfte porträtieren,
würde ich gerne auf ein paar Punkte eingehen und darle-
gen, wie wir in diese schwierige Situation gekommen
sind. Es ist eine völlig verantwortungslose Finanz- und
Verschuldungspolitik gewesen, die diese Situation, die
Sie hier zu Recht als bedrohlich und bedrückend be-
schreiben, herbeigeführt hat. Wir haben im Laufe der
Krise verschiedene Weiterentwicklungen der Instru-
mente erlebt, die dazu führen sollen, dass sich diese
Dinge nicht wiederholen und damit auch in Zukunft von
derartigen Entwicklungen kein Risiko mehr für soziale
Errungenschaften in Europa drohen kann. Da sind wir
auch beieinander.

Es ist letztlich dem Konzept der Wirtschafts- und
Währungsunion zu verdanken, dass einige Krisenländer
– Spanien, Irland, Portugal – aus dem Hilfsprogramm
bereits herauskommen konnten und damit als Gesell-
schaft, als Staat das, was wir uns alle gemeinsam wün-
schen, auch in Zukunft leisten können.

Wir alle wissen, dass das Wohlstandsgefälle in der
Europäischen Union eine ganz wesentliche Ursache für
die Armutswanderung innerhalb der EU ist. Wir wollen
nicht, dass Menschen ihr Land verlassen müssen, weil
sie dort keine Perspektive sehen. Auch deswegen sind
wir der Meinung, dass durch die Mitgliedstaaten soziale
Errungenschaften, ein Niveau der sozialen Sicherung
vor Ort nachhaltig gewährleistet werden müssen. Ich
sage an dieser Stelle aber auch ganz deutlich: Ich bin der
festen Überzeugung, dass Sozialpolitik noch sehr lange
Aufgabe der Mitgliedstaaten und nicht der EU bleiben
wird.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Warum diktiert sie dann was?)


Die EU setzt soziale Mindeststandards; das ist richtig
so.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wo denn?)


Sie hat mit dem Europäischen Sozialfonds seit langem
ein Instrument, um auf soziale Lagen in Europa einwir-
ken zu können. Der Europäische Sozialfonds ist bereits
vor mehr als 50 Jahren geschaffen worden. Es geht da-
rum, Unterschiede bei Wohlstand und Lebensstandard
zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen Regio-
nen zu verringern. Es geht um die Verbesserung der Be-
schäftigungs- und Bildungschancen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803304600

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten

Sabine Zimmermann?


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1803304700

Ich würde gerne weiter ausführen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803304800

Also nicht. Dann führen Sie bitte weiter aus.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Feigling!)



Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1803304900

Es werden unter anderem Maßnahmen in den Be-

reichen Fort- und Weiterbildung, Unterstützung von
Beschäftigten und Unternehmen bei Umstrukturie-
rungsmaßnahmen, Bekämpfung des vorzeitigen Schul-
abbruchs und praktische Hilfen für arbeitslose Jugendli-
che sowie Integration benachteiligter Menschen in den
Arbeitsmarkt gefördert.





Mark Helfrich


(A) (C)



(D)(B)

Zwischen 2007 und 2013 sind insgesamt 76 Milliar-
den Euro aufgewendet worden. Diese Geschichte wird
fortgeführt. In der nächsten Periode, 2014 bis 2020, flie-
ßen 80 Milliarden Euro aus dem ESF und weitere
3,2 Milliarden Euro für Jugendinitiativen. Auch da sieht
man, dass es einen Ausbau und nicht einen Abbau gibt.
Diese Mittel kommen insbesondere den Regionen über-
proportional zugute – das ist auch richtig so –, die unter
dem EU-Durchschnitt liegen, was ihre wirtschaftliche
und soziale Entwicklung betrifft.

Ein weiterer Meilenstein bei der Überwindung der
Staatsschuldenkrise ist die Wachstumsstrategie „Europa
2020“. Sie hat – wie sollte es anders sein? – soziale
Kernziele in den Bereichen Beschäftigung und Bildung,
soziale Inklusion und Bekämpfung von Armut. 20 Mil-
lionen Menschen sollen bis 2020 aus der Armut heraus-
geführt werden, und es soll eine Beschäftigungsquote
von 75 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter
erreicht werden. Um diese beiden Hauptziele zu unter-
füttern, gibt es eine Reihe von Initiativen; Sie alle wissen
das. „Jugend in Bewegung“ ist ein entsprechendes In-
strument; die „Agenda für neue Kompetenzen und neue
Beschäftigungsmöglichkeiten“ ist ein weiteres.

Bei all dem ist uns bewusst, dass die Chancen auf Ar-
beit in Europa noch ungleich verteilt sind. Deutschland
hat eine sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeit, ganz an-
ders als viele andere Länder in der Europäischen Union.
Dort stehen junge Menschen vor gigantischen Heraus-
forderungen; das ist völlig klar. Weil das so ist, ist auch
auf Drängen der Bundesrepublik vereinbart worden,
dass man 6 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit in der EU zur Verfügung stellt. Ich
finde das sehr beeindruckend. Auch ich weiß, dass es in
der Umsetzung in den Mitgliedstaaten durchaus noch
Anlaufschwierigkeiten und Defizite gibt. Aber das Ziel
und auch die Bereitschaft, das Ganze zu unterfüttern,
sind ganz klar gegeben.

Das soll nicht heißen, dass wir nicht weiterhin auf die
bewährten Maßnahmen aus dem Europäischen Sozial-
fonds zurückgreifen können, um benachteiligten Jugend-
lichen entsprechend Hilfe gewähren zu können.

Sie kennen EURIS, ein Kooperationsnetzwerk der öf-
fentlichen Arbeitsvermittlungen aller EU-Staaten. Bereits
in den Anfängen dieser Kooperation sind 50 000 Stellen
pro Jahr für junge Europäerinnen und Europäer vermit-
telt worden. Ich glaube, auch das ist ein Zeichen, dass
sich Europa dieser Aufgabe stellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann möchte ich das Thema „Jugend in Beschäfti-
gung bringen“ ansprechen, auch unter dem Stichwort
„Jugendgarantie“ bekannt. Mitgliedstaaten werden ver-
pflichtet, Schulabgängern unter 25 Jahren nach Verlassen
der Schule innerhalb von vier Monaten einen Ausbildungs-
platz zuzuweisen bzw. eine weitere Bildungsmaßnahme zu
gewähren oder eine Praktikumsstelle zu vermitteln, damit
in Europa nicht eine verlorene Generation groß wird, was
wir nicht wollen. Insofern ist auch dieser Baustein rich-
tig.
In diesem Zusammenhang können wir als Deutsche
froh sein, dass wir das duale Ausbildungssystem haben.
Das ist behutsam angepasst sicherlich auch ein Erfolgs-
modell für die Europäische Union. Nur so können dann
auch die Probleme in den jeweiligen Mitgliedstaaten an-
gegangen werden.

Nichtsdestotrotz stellen wir uns mit dem Programm
MobiPro-EU der Verpflichtung, hier in Deutschland
Plätze für Auszubildende und junge Berufstätige zur
Verfügung zu stellen. Die in Aussicht stehende Mittel-
verdreifachung – das sage ich zu den Kolleginnen und
Kollegen der Grünen – ist, anders als das in dem Antrag
dargestellt wird, durchaus vorbildlich. Ich glaube, dass
die Bundesregierung dort die Zeichen der Zeit erkannt
hat.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803305000

Apropos „Zeichen der Zeit“:


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie einen kurzen Blick auf Ihre Uhr werfen wür-
fen!


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1803305100

Ich komme zum Ende. – Sehr geehrte Damen und

Herren der Linken, Sie sehen also: Es gibt bereits zahl-
reiche realisierte, realisierbare und erfolgversprechende
Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung von Ju-
gendlichen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern in Europa. Dies ist Ausdruck eines sozial gestalte-
ten und wirtschaftlich starken Europas, dessen Einstehen
für seine sozialen Errungenschaften Sie auch vor dem
Hintergrund der herannahenden Europawahl bitte nicht
in Abrede stellen sollten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803305200

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der

Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803305300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Helfrich, Sie ha-

ben das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Europa
angesprochen. In der Tat: Dieses Problem ist wirklich
sehr signifikant. 5,5 Millionen junge Leute in Europa
sind weder in Ausbildung noch in Arbeit. In einigen
Ländern ist es besonders dramatisch; da sind über 50
Prozent aller Jugendlichen weder in Ausbildung noch in
Arbeit.

Deswegen hat es in der vergangenen Legislaturpe-
riode diverse Gipfel gegeben. Die Kanzlerin sprach von
einer verlorenen Generation, der man Unterstützung an-
bieten müsse. Das Programm, das einen Beitrag dazu
leisten sollte, war MobiPro.

Nun hatte MobiPro, wie man sich denken kann, er-
hebliche Anlaufschwierigkeiten. Bis so etwas in ganz
Europa bekannt wird, dauert es natürlich eine Weile.





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Aber jetzt läuft das Programm. Genau in dem Moment,
in dem sich die Jugendlichen entschieden haben, dieses
Angebot anzunehmen,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht!)


wird das Programm wegen Überfüllung geschlossen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein!)


Es gibt einen Antragsstopp zum 8. April dieses Jahres.
Alles, was danach kommt, wird auf das nächste Jahr ver-
tröstet. Ich frage Sie: Was haben Sie sich eigentlich ge-
dacht? Sie haben ein Programm ins Schaufenster gestellt
und wundern sich, dass dieses Programm jetzt auch ge-
kauft wird. Das wollen Sie nicht.

Ich will Ihnen einmal etwas zu der Dimension sagen:
Von 5,5 Millionen jugendlichen Arbeitslosen haben sich
9 000 für das Programm beworben. Frau von der Leyen
hat damals gesagt: Das ist gelebte Solidarität. – Diese
gelebte Solidarität ist bei Ihnen bereits bei 9 000 Jugend-
lichen überfordert. Im kommenden Jahr wird das Pro-
gramm auf 2 000 Jugendliche gedeckelt. Das ist weniger
als ein Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen die
Jugendarbeitslosigkeit; das ist aber auch weniger als ein
Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen den Fach-
kräftemangel.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ein Redebeitrag, Herr Präsident, keine Frage! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wo ist die Frage?)


MobiPro ist aber keine mildtätige Geste, sondern auch
ein Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Sie
von der CDU haben einen TV-Spot. In dem TV-Spot sa-
gen Sie: Deutschland sollte in Europa eine Vorbildfunk-
tion einnehmen. – Diese Vorbildfunktion sollten Sie
auch in der Bundesregierung einnehmen.

Danke schön.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803305400

Ich muss zur allgemeinen Entspannung beitragen.

Bleiben Sie bitte entspannt: Bei einer Kurzintervention
darf man durchaus einen kleinen Redebeitrag halten. Sie
unterscheidet sich von einer Zwischenfrage. Dies war
ein kleiner Redebeitrag. Der Kollege darf darauf antwor-
ten, er muss es aber nicht. Mögen Sie?


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1803305500

Frau Pothmer, das ist ein kleines Déjà-vu, Sie haben

schon einmal einen ähnlichen Vortrag im Rahmen einer
Zwischenfrage gehalten, als ich kürzlich hier im Plenum
gesprochen habe.

Ich kenne kein Schaufenster, in dem Waren ausge-
stellt sind, die ungefähr 100 Millionen Euro schwer sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich finde beeindruckend, was hier geleistet wird. Wir
sind beieinander, dass wir es möglichst vielen Menschen
anbieten und zur Verfügung stellen sollen, weil es ein
ganz tolles Projekt ist. Die Nachfrage nach dieser Mög-
lichkeit ist unbestritten. Ich wundere mich, dass Sie im-
mer einen Anlass finden, dieses eigentlich tolle Projekt
kaputtzureden. Irgendwie kann ich das nicht nachvoll-
ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803305600

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
gerade vom Kollegen Helfrich gehaltene Rede stand
eher unter dem Motto „Ein Betriebswirt liest Verwal-
tungsvorschriften vor“, als dass eine soziale Vision von
Europa darin erkennbar gewesen wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die ist aber dringend notwendig.

Sie haben etwas vernachlässigt. Natürlich ist es so,
dass Sozialleistungen erwirtschaftet werden müssen.
Umgekehrt ist es aber auch so, dass Sozialpolitik und da-
mit soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherung über-
haupt eine Voraussetzung für wirtschaftliche Entwick-
lung ist, die dazu führt, dass überhaupt genügend da ist,
damit finanziert werden kann. Das ist eine typische Er-
rungenschaft der sozialen Marktwirtschaft. Sie haben
das völlig vernachlässigt. Das muss aber im Sinne der
Vision eines sozialen Europas unbedingt mitgedacht
werden.

Solch eine Vision – auch konkrete Schritte dahin – sind
unbedingt notwendig; denn wir brauchen ein starkes Eu-
ropa. Das sieht man jetzt bei der Ukraine-Krise, bei der es
wichtig ist, dass Europa mit einer Stimme redet. Man
sieht das bei vielen globalen Problemen, die wir haben:
beim Klimawandel, bei der Frage der globalen Gerech-
tigkeit und bei der Frage der Demokratie in der Welt.
Wer, wenn nicht Europa, soll denn da in der Welt Vorbild
sein? Das geht nur, wenn wir ein zusammenwachsendes
und ein solidarisches Europa haben, damit es da mit ei-
ner Stimme sprechen und gemeinsam Vorbild sein kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Realität ist aber eine ganz andere. Wir erleben,
dass die Zustimmung zur EU europaweit sinkt. In den
Krisenländern sinkt sie aufgrund der beschriebenen Si-
tuation. Da stimme ich der Kollegin Zimmermann, was
die Beschreibung der Situation anbelangt, zu. Es gibt
massiv hohe Arbeitslosigkeit insbesondere bei der Ju-
gend. In Griechenland gibt es steigende Säuglingssterb-
lichkeit und teilweise verheerende gesundheitliche Si-
tuationen. Das ist eine Folge der Krisenpolitik, wie sie
insbesondere die CDU-geführte Regierung in den letzten
Jahren immer wieder eingefordert hat. Das bringt uns
überhaupt nicht weiter.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Grünen haben zugestimmt!)






Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

– Wir haben dem zugestimmt, Herr Kollege, weil wir ge-
sagt haben: Wir müssen den Ländern helfen. Auch das
gehört zu einem solidarischen Europa. Denn die Alterna-
tive, nicht zu helfen, wäre sogar noch schlechter gewe-
sen als die jetzige Situation. Das hätte sie völlig in den
Ruin getrieben.

Mit den Hilfspaketen wurde Zeit gekauft. Diese Zeit
ist nicht genutzt worden. Wir hätten sie dringend not-
wendig gehabt, um eine Krisenpolitik zu fahren, die
mehr soziale Gerechtigkeit schafft und auch die Reichen
mit in die Pflicht nimmt. So wäre ein Schuh daraus ge-
worden. Dagegenzustimmen, so wie Sie das gemacht ha-
ben, wäre der völlig falsche Weg gewesen. Zur Solidari-
tät in Europa gehört dazu, dass man mit den
Krisenländern solidarisch ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch in den reicheren Ländern nimmt die Zu-
stimmung zur EU ab, weil es hier die Vorstellung gibt
– die auch von Linken und anderen geschürt wird –,
dass viel Geld für Bankenrettung verschwendet würde
und bei uns nicht mehr genügend Geld für Sozialleis-
tungen zur Bekämpfung von Armut zur Verfügung
stünde.

Wenn man sich die Situation in Deutschland an-
schaut, erkennt man, dass die Armut auf einem hohen
Niveau verharrt. Die Altersarmut steigt, die Armut von
Erwerbstätigen steigt, und die Armut von Kindern ist
nach wie vor auf einem skandalös hohen Niveau. Das
müssen wir ändern.

Wir brauchen in ganz Europa, dass die „starken
Schultern“ in allen Ländern mit den Schwachen in allen
Ländern solidarisch sind. Das ist eine Vision von Eu-
ropa, wie wir sie eigentlich haben müssten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die EU ist dabei gar nicht so schlecht, wie sie von der
Linken immer gemacht wird. Sozialpolitische Ziele gibt
es spätestens seit dem Gipfel von Lissabon 2000. Seit-
dem gibt es jährlich eine einheitliche Armutsberichter-
stattung auf der Basis gemeinsamer Indikatoren. Die
Mitgliedstaaten müssen darlegen, was sie zur Bekämp-
fung der Armut unternehmen. Das ist durch den Lissa-
bon-Vertrag noch einmal gestärkt worden, in dem die so-
zialpolitischen Ziele ausdrücklich benannt sind. Herr
Kollege Helfrich hat auf die Strategie „Europa 2020“
hingewiesen, aber ein wesentliches Ziel komplett ver-
gessen, nämlich das Ziel der Armutsreduktion, das zum
ersten Mal ein quantitatives Ziel ist. Danach soll die
Zahl der Armen in Europa um 10 Prozent reduziert wer-
den.

Was hat die schwarz-gelbe Bundesregierung seiner-
zeit gemacht? Sie hat gesagt: Die Kriterien der EU gefal-
len uns nicht. Wir suchen uns ein neues Kriterium aus,
an dem wir das festmachen. – Wo kommen wir denn hin,
wenn sich jedes Land seine eigenen Kriterien aussucht
und sagt: „Wir halten uns nicht daran“? Es ist wichtig,
dass wir an dieser Stelle europäische Kriterien haben.
Ich fordere die Regierung auf: Halten Sie sich an die in
der EU vereinbarten Indikatoren, und sichern Sie zu,
dass Deutschland seinen Beitrag zur Reduzierung von
Armut leisten wird!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was ist nötig, und welche Möglichkeiten hat die
Union? Es ist richtig, es gibt auf europäischer Ebene
keine sozialpolitischen Kompetenzen im engeren Sinne,
aber es gibt die Möglichkeit, Zielsetzungen zu vereinba-
ren. Es gibt die Offene Methode der Koordinierung. Es
gibt die Möglichkeit, soziale und andere Mindeststan-
dards zu setzen. Es wäre wichtig, solche Mindeststan-
dards zu formulieren, auch was die Rechte von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern angeht. Man könnte
auf europäischer Ebene vereinbaren, dass in allen Län-
dern Grundsicherungssysteme eingeführt werden, die es
in einigen Ländern nicht gibt, zum Beispiel in Griechen-
land. Die haben nicht einmal so etwas wie Hartz IV. Man
könnte vereinbaren, dass alle Menschen Zugang zur so-
zialen Sicherung haben, dass es Netze der sozialen Si-
cherung ohne Lücken gibt. Das sind Zielvereinbarungen,
die durchaus möglich wären.

Im Rahmen der Krisenpolitik wäre der Effekt noch
stärker. Man hätte den Griechen sagen können: Wir hel-
fen nur unter der Bedingung, dass ein Grundsicherungs-
system eingeführt wird,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum haben Sie es nicht gesagt?)


wir helfen nur unter der Bedingung, dass arbeitsrechtli-
che Standards eingeführt und sogar verbessert werden.
Wir hätten helfen können unter der Bedingung, dass die
gesundheitlichen Mindeststandards eingehalten werden.
Wir hätten nicht zuletzt auch zur Bedingung machen
müssen, dass sich die Reichen an der Finanzierung der
Krise und der Hilfen durch eine höhere Besteuerung be-
teiligen. Das alles hätte man machen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Grüne wollen aber noch weiter gehen. Wir
wollen, dass im Rahmen der Diskussion über mehr wirt-
schafts- und finanzpolitische Kompetenzen der EU auch
über sozialpolitische Kompetenzen der EU geredet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist notwendig, dass man Finanz-, Wirtschafts- und
Sozialpolitik auf europäischer Ebene stärker koordiniert.
Deswegen wollen wir einen Europäischen Konvent, bei
dem – auch das ist wichtig – öffentlich diskutiert wird,
was dort passiert; denn wir wollen ein demokratisches
Europa, in dem die Menschen mitbestimmen können,
welche Kompetenzen in den Bereichen Wirtschaft, Fi-
nanzen und Soziales auf EU-Ebene angesiedelt werden
sollen.

Wir Grüne wollen ein ökologischeres, demokratische-
res und sozialeres Europa. Ich finde, es lohnt sich für uns
alle, gemeinsam dafür zu kämpfen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803305700

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-

gin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803305800

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich
einen doppelten Dank an die Partei Die Linke ausspre-
chen. Erstens möchte ich mich dafür bedanken und ich
bin froh, dass ich ein paar Dinge, die Ihre Partei in den
letzten Wochen und Monaten an europafeindlichen Äu-
ßerungen verlautbart hat, in Ihrem Antrag nicht lesen
musste, und dass sich offensichtlich diejenigen durchge-
setzt haben, die die EU für ein demokratisches Reform-
projekt halten und daran mitwirken und Verantwortung
übernehmen wollen. Das ist gut so.


(Beifall bei der SPD)


Zweitens möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie
uns mit Ihrem Antrag die Chance geben, über das soziale
und demokratische Europa zu reden, ein soziales und de-
mokratisches Europa, das seit fast 100 Jahren Vision und
programmatisches Ziel der SPD ist. Ich möchte zwei für
uns wichtige Wegmarken benennen.

Die SPD hat bereits 1925 in ihrem Heidelberger Pro-
gramm zwischen zwei Weltkriegen und in großer Weit-
sicht die Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit
und der Vereinigten Staaten von Europa gefordert – im
Wissen um die Grenzen des Nationalstaates und des na-
tionalstaatlichen Handelns und im Wissen um die ge-
meinsamen Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter
diesseits und jenseits deutscher Grenzen.

Kanzler Willy Brandt hat in seiner Regierungserklä-
rung 1969 mit den Worten „Wir wollen ein Volk der gu-
ten Nachbarn sein und werden im Inneren und nach au-
ßen“ nicht nur einen Maßstab für deutsche Politik
gesetzt, sondern auch


(Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] stößt gegen die Verblendung seines Sitzplatzes, die daraufhin zu Boden fällt)


– alles ganz geblieben? –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Grünen bauen ab!)


und gerade beim Fortschreiten der europäischen Integra-
tion einen Maßstab für europäische Politik: Wir Euro-
päerinnen und Europäer wollen gute Nachbarn werden –
im Inneren und nach außen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Europa ist nicht nur
ein Friedensprojekt – es war schon immer auch ein Pro-
jekt, gemeinsam und solidarisch den Wohlstand zu si-
chern. Sozialer Fortschritt – das hat die SPD in ihrer
150-jährigen Geschichte leidvoll erfahren müssen –
kommt nicht von heute auf morgen und erst recht nicht
von allein. Die soziale Integration Europas ist ein Pro-
zess, ist ein Weg, auf dem schon viel erreicht wurde,
aber vor allem noch vieles zu erledigen ist.
Nichts zeigt das deutlicher als die Folgen der Finanz-
markt- und Wirtschaftskrise und die mit ihnen einherge-
hende zunehmende Abwendung von Europa. Das soziale
Europa, das Europa der sozialen Marktwirtschaft gelingt
nur, wenn wir gemeinsam die Ursachen der Krise be-
kämpfen. Die Armut steigt, während auf den Finanz-
märkten wieder die Champagnerkorken knallen und so-
genannte Ramschanleihen im Euro-Raum schon wieder
ein Volumen von 90 Milliarden Euro erreichen und da-
mit einen neuen Rekord erzielen. Aber für Bankentren-
nung, für Finanztransaktionsteuer, für Bankenunion und
Finanzmärkte, die der Realwirtschaft dienen, für einen
gemeinsamen Rahmen für gerechte Steuern, für die Be-
endigung von Steuerdumping und dafür, das Land der
Gewinne auch zu einem Land der Steuereinnahmen zu
machen, dafür kann man am 25. Mai sein Kreuz machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das soziale Europa gelingt nur, wenn wir gemeinsam
Arbeitslosigkeit bekämpfen und in Arbeit in Europa in-
vestieren. Jeder zehnte Europäer ist arbeitslos, jeder
vierte Jugendliche und in Ländern wie Griechenland,
Spanien und Kroatien mehr als jeder zweite. Ein sozial
gespaltenes Europa wollen wir nicht. Deswegen gilt es,
einiges in Ordnung zu bringen. Das betrifft existenzsi-
chernde Mindestlöhne in allen europäischen Ländern,
gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen am gleichen Ort,
starke Arbeitnehmerrechte, starke europäische Gewerk-
schaften und fairen Wettbewerb statt Sozialdumping,
gute Ausbildung und Perspektiven für junge Menschen.
Alles das kann man umsetzen, wenn der politische Wille
und die politische Mehrheit dafür da sind.


(Beifall bei der SPD)


Das soziale Europa gelingt nur mit einer starken euro-
päischen Wirtschaft, die gute und sichere Arbeitsplätze
schafft. Dafür braucht es Investitionen in Forschung,
Bildung, Infrastruktur und einen starken Mittelstand. Al-
lein in meinem Wahlkreis, dem Lahn-Dill-Kreis in Mit-
telhessen, machen die Exporte nach Europa 1 Milliarde
Euro Industrieumsatz aus. Das sind 5 000 Arbeitsplätze,
die direkt an der Kaufkraft in den EU-Staaten, der Wirt-
schaftskraft in unseren Nachbarländern und den Vortei-
len des Binnenmarktes hängen. Da fällt die Überzeu-
gungsarbeit für Europa leichter.

Aber wir müssen die sozialen Rahmenbedingungen
dafür schaffen, dass alle Menschen in Europa eine Per-
spektive auf Wohlstand haben und die Chancen einer eu-
ropäischen Integration auch für sich erkennen. Wer die
Menschen auf dem Weg nach Europa mitnehmen
möchte, der muss das soziale Europa bauen. Denn das
Friedensprojekt und der starke Binnenmarkt brauchen
das soziale Fundament und das solidarische Handeln,
um zukunftsfähig zu sein. In diesem Sinne wollen wir
gute Nachbarn sein – im Inneren und nach außen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(A)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803305900

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen

Dr. Martin Pätzold, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Martin Pätzold (CDU):
Rede ID: ID1803306000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzt
sich für ein soziales Europa ein, ein Europa, in dem
junge Menschen Perspektiven haben, sich frei zu entfal-
ten, und in dem älteren Menschen nach ihrem Berufs-
leben soziale Mindeststandards garantiert werden. Die
Bundesrepublik Deutschland ist dabei mit ihren Errun-
genschaften durch die soziale Marktwirtschaft ein Vor-
bild in der Europäischen Union. Unsere sozialen Stan-
dards sollten das Richtmaß für die Entwicklung eines
sozialen Europas sein, auch wenn uns klar sein sollte,
dass noch viele Jahre und Jahrzehnte vergehen werden,
bis dies in allen Staaten der Europäischen Union erreicht
werden kann.

Wir sollten so ehrlich sein und uns eingestehen, dass
dieser Prozess Zeit braucht. Bei der europäischen Idee
geht es nicht nur um Freiheit und Frieden, sondern auch
um wirtschaftlichen Wohlstand in der Breite. Für mich
persönlich ist die Idee der Europäischen Union der
Hauptgrund gewesen, warum ich mit 18 Jahren in die
CDU eingetreten bin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Da sollte man Applaus von der eigenen Fraktion be-
kommen.

Ich selber vereine europäische Wurzeln in meiner
Person. Ich bin im Ausland geboren und dort einige
Jahre aufgewachsen. Mein Vater war Auslandsjournalist,
und meine Mutter ist nicht in Deutschland geboren. Für
mich ist damit das Projekt Europa nicht abstrakt, son-
dern sehr konkret. Deswegen kämpfe ich so sehr für die
Europäische Union und für ein soziales Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Heute leben über 500 Millionen Menschen in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf einer Flä-
che von rund 4,3 Millionen Quadratkilometern. Sie alle
wünschen sich für ihre eigene Zukunft und die Zukunft
der nachfolgenden Generationen ein Leben in Frieden
und sozialer Sicherheit.

Auf der einen Seite ist die Europäische Union in den
Jahrzehnten seit ihrer Gründung immer stärker zusam-
mengewachsen, auf der anderen Seite gab es Herausforde-
rungen für das Zusammenwachsen. Die unterschiedlichen
Kulturen und Traditionen der europäischen Nationen re-
präsentieren den großen Reichtum der Europäischen
Union. Doch sie stellen auch eine permanente Herausfor-
derung dar, gemeinsame Regeln und Standards im Zusam-
menleben der Völker zu finden. Die Unterschiede in den
Traditionen, den politischen Systemen, aber auch die öko-
nomischen Möglichkeiten und Gegebenheiten werden
neben der Wirtschafts- und Finanzpolitik gerade in der
Sozialpolitik deutlich.
Soziale Sicherung war und ist in den einzelnen Län-
dern von der wirtschaftlichen Situation abhängig. Daher
ist es ein Ziel der Europäischen Union, die unterschiedli-
chen Systeme aufeinander abzustimmen und zu moder-
nisieren. Die Sozialpolitik gewinnt in einem Europa, das
das Zusammenwachsen als wichtige Errungenschaft be-
trachtet, immer mehr an Bedeutung. Sie prägt und be-
stimmt alle anderen Politikfelder und trägt so auch ent-
scheidend zum Gelingen unserer Zukunft bei. Gerade
durch die Erweiterung der Europäischen Union von
2004 und 2007 und den Beitritt Kroatiens 2013 hat das
Zusammenwachsen Europas neue Akzente bekommen.
Europa ist ein politisches Gebilde, das einstige Gegen-
sätze miteinander versöhnt, alte Fronten verschwinden
lässt und ein neues Gefüge schafft. Die Länder Europas
profitieren voneinander und sind stark voneinander ab-
hängig.

Das soziale Europa musste viele Brüche und Umbrü-
che erleben, um sich auf Frieden und Freiheit zu besin-
nen. Ich bin davon überzeugt, dass es dabei nicht nur um
Freiheit gehen darf, sondern dass wir uns als Bundesre-
publik Deutschland dafür einsetzen müssen, dass mate-
rieller Wohlstand in der Breite möglich wird. Europa
kennt heute noch kein einheitliches Sozialmodell. Die
Lissabon-Agenda sieht vor, dass die Sozialpolitik wei-
terentwickelt wird.

Der Europäischen Sozialfonds wurde gegründet – das
hat mein Kollege Helfrich schon angesprochen –, um
Fördergelder für Umschulungen, Fortbildungen und zur
Förderung von beruflicher Mobilität gemeinsam zu er-
reichen. Man wollte erreichen, dass alle Menschen, die
arbeiten konnten und wollten, Arbeit finden und damit
zu einem wirtschaftlichen Ausgleich unter den Regionen
in Europa beitragen. Bis heute werden Vorhaben geför-
dert, die den Zugang zu Ausbildungen verbessern, neue
Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, Existenzgrün-
der unterstützen, öffentliche Dienste verbessern und be-
nachteiligten Menschen beim beruflichen Einstieg oder
Wiedereinstieg helfen. In festen Zeiträumen werden die
Richtlinien des Europäischen Sozialfonds an die aktuel-
len Notwendigkeiten angepasst.

Die Chancen und Möglichkeiten für Jugendliche sind
im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos. Verschiedene
EU-Programme zum lebenslangen Lernen und zum Be-
reich Jugend in Aktion machen es möglich, dass Berufs-
praktika oder das Studieren im EU-Ausland jedem of-
fenstehen. Die EU-Jugendstrategie sieht vor, dass wir
dies nachhaltig gestalten und damit auf Dauer Erfolg er-
zielen können. Sie zielt dabei auf die Förderung der so-
zialen und beruflichen Eingliederung Jugendlicher, die
Förderung der persönlichen Entfaltung, des sozialen Zu-
sammenhalts und des gesellschaftlichen Engagements
ab.

Trotz dieses Engagements ist die Arbeitslosigkeit in
den 28 Mitgliedstaaten dramatisch hoch. Wir müssen der
Linken recht geben. An diesem Thema arbeiten wir. Die
Wirtschafts- und Finanzkrise war ein Grund für die deut-
liche Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt. Aber auch
hier haben wir politisch reagiert: Im Februar 2013 wurde
die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen im Al-





Dr. Martin Pätzold


(A) (C)



(D)(B)

ter von 15 bis 24 Jahren im Europäischen Rat angenom-
men. Hierbei sollen mit 6 Milliarden Euro Regionen ge-
stärkt werden, in denen die Jugendarbeitslosigkeit mit
mehr als 25 Prozent am größten ist. Dabei geht es auch
darum, langfristige Beschäftigung zu schaffen und keine
verlorene Generation in Europa zu haben. Die Bundesre-
gierung will Ansätze des erfolgreichen Konzepts der du-
alen Ausbildung exportieren und den Ländern damit hel-
fen, ihre Strukturdefizite auszugleichen und damit
nachhaltige Strukturen vor Ort zu schaffen.

Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäi-
sche Union stehen vor großen Herausforderungen. Uns
geht es darum, ein soziales Europa zu schaffen. Am 25.
Mai haben die Bürgerinnen und Bürger in Europa die
Möglichkeit, für dieses soziale Europa zu stimmen. Ich
glaube, in der Bundesrepublik Deutschland geht es vor
allen Dingen darum, dass die Bürgerinnen und Bürger
die Möglichkeit nutzen, demokratische Parteien zu stär-
ken. Das ist wichtig, damit wir das soziale Europa wei-
terentwickeln können. Meine Fraktion wird sich im
Deutschen Bundestag weiterhin dafür einsetzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803306100

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Harald

Weinberg, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803306200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der EU-
Grundrechtecharta, Artikel 35 – Gesundheitsschutz –,
heißt es:

Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesund-
heitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach
Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und
Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der
Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau si-
chergestellt.

Das ist in Europa nicht gegeben – im Gegenteil.

Nehmen wir das Beispiel Griechenland. Die Kür-
zungspolitik der Troika hat zu einem faktischen Zusam-
menbruch der Gesundheitsversorgung in Griechenland
geführt. In der Troikavereinbarung wird unter anderem
vorgeschrieben, dass der griechische Krankenversiche-
rungsträger die Zahl der Ärzte zweimal um 10 Prozent
reduzieren muss. Wegen dieser Vorgabe wurden im Fe-
bruar 2014 alle 350 öffentlichen Polikliniken vorläufig
geschlossen. Ohne jedwede gesundheitswissenschaftli-
che Expertise wurde festgelegt, dass die öffentlichen Ge-
sundheitsausgaben auf 6 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes gesenkt werden müssen; mittlerweile sind die
Ausgaben weiter gesunken, weil das Bruttoinlandspro-
dukt weiter sinkt.

Der damalige griechische Gesundheitsminister sagte
2011, dass die Kürzungen im Gesundheitssystem nicht
mit dem Skalpell, sondern mit dem Schlachtermesser
vorgenommen würden, übrigens unter aktiver Beteili-
gung der deutschen Bundesregierung und des deutschen
Bundesgesundheitsministeriums. Es gibt mittlerweile
eine Fülle an wissenschaftlichen Untersuchungen zu den
Auswirkungen der Kürzungsdiktate auf den Gesund-
heitszustand der griechischen Bevölkerung. Die Ergeb-
nisse sind eindeutig und verheerend. Ein Buch von zwei
Public-Health-Wissenschaftlern, das gerade auf Deutsch
erschienen ist, trägt dann auch bezeichnenderweise den
Titel Sparprogramme töten, und das ist bitterernst ge-
meint.

Einige Beispiele: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen
unter Drogenabhängigen ist von 9 im Jahre 2008 auf 484
im Jahre 2012 gestiegen, weil keine sauberen Spritzen
mehr kostenlos ausgegeben werden. Die Zahl der Neuin-
fektionen mit Tuberkulose hat sich nach 2012 binnen ei-
nes Jahres verdoppelt. Die Säuglingssterblichkeit ist
zwischen 2008 und 2010 um 43 Prozent angestiegen.
Circa 30 Prozent der griechischen Bevölkerung sind
nicht mehr krankenversichert, haben keinen Zugang zu
einer Gesundheitsversorgung. Zur Notfallversorgung al-
ler Menschen, auch der Nichtversicherten, sagte der ak-
tuelle griechische Gesundheitsminister im Februar 2014,
dass alle Patienten in dringlichen Fällen eine Behand-
lung erhalten würden, aber eine Krebserkrankung stuft
er nur im Endstadium als dringlich ein.

Was wir also in Griechenland dringend brauchen, ist
die Wiederherstellung einer medizinischen Grundversor-
gung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen wird jedoch unter Federführung des BMG
eine Reformagenda aufgelegt, die diese Grundversor-
gung nicht wirklich in den Blick nimmt, sondern Ver-
satzstücke der deutschen Gesundheitsreform auf Grie-
chenland überstülpt, beispielweise die Einführung des
DRG-Vergütungssystems im Krankenhausbereich. Das
ist für mich nichts anderes als der Versuch, in Griechen-
land infrastrukturell ein Gewerbegebiet zu erschließen.
Die deutschen Krankenhauskonzerne, Asklepios vor-
weg, sind bereits auf Einkaufstour und versuchen, grie-
chische Kliniken aufzukaufen. Das kann und soll nicht
sein.

Wenn wir ein soziales Europa wollen, dann müssen
wir es den Reichen und der Troika nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803306300

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Michael Gerdes, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1803306400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu-

tige Debatte liefert den Anstoß, über das Thema „sozia-





Michael Gerdes


(A) (C)



(D)(B)

les Europa“ zu reden. Tatsächlich mussten wir in den
letzten Jahren bei europapolitischen Diskussionen sehr
häufig, vielleicht zu häufig, über Finanzmärkte, Banken
oder Ratingagenturen streiten. Wirtschafts- und Wäh-
rungspolitik allein bringt uns aber nicht das Europa, das
wir uns wünschen.

Wir Sozialdemokraten wollen ein Europa, in dem so-
ziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt die Basis für
wirtschaftlichen Erfolg sind. Um die soziale Spaltung
Europas zu verhindern, brauchen wir insgesamt mehr
Beschäftigung, speziell in Süd- und Osteuropa.

Gerade die junge Generation braucht unsere Auf-
merksamkeit und Unterstützung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Junge Menschen brauchen eine Chance, damit sie nicht
das Vertrauen in sich selbst und in das europäische Pro-
jekt verlieren. MobiPro-EU ist da nur ein Projekt; ein
gutes im Übrigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Arbeit und das damit verbundene Einkommen bedeu-
ten – hier wie überall – Teilhabe. Wir müssen allen Ju-
gendlichen eine Perspektive bieten, damit sie eine selbst-
bestimmte Zukunft in Europa erleben. Sie brauchen eine
Chance auf Ausbildung. Deshalb stehen wir als SPD zur
europäischen Jugendgarantie, die jedem arbeitslosen Ju-
gendlichen unter 25 Jahren binnen vier Monaten ein An-
gebot für einen Job, eine Ausbildung oder ein Praktikum
macht. Bei ihrer Umsetzung brauchen wir dringend
mehr Entschlossenheit. Gut ausgebildete junge Men-
schen haben in ganz Europa gute Perspektiven.

Mehr Arbeitsplätze können dann entstehen, wenn wir
arbeitsmarktrelevante Ideen und Maßnahmen europa-
weit besser koordinieren. Die Europäische Beschäfti-
gungsstrategie ist ein Anfang. Die europäischen Arbeits-
marktzahlen zeigen allerdings, dass wir besser werden
müssen. Dazu sind Investitionen in Bildung und in die
Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern notwendig.

Gezielte Weiterbildung ist nur ein erstes Stichwort,
wenn es darum geht, die Menschen auf die moderne Ar-
beitswelt vorzubereiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gute Beschäftigung beginnt viel früher, nämlich mit gu-
ter Schulbildung, besseren Übergängen zwischen Schule
und Beruf, und sie geht weiter mit einer soliden Berufs-
ausbildung, die Theorie und Praxis miteinander verbin-
det.

Die Vergleichbarkeit und gegenseitige Anerkennung
der Berufsbilder in der EU sind auch noch nicht kom-
plett vollzogen. Viele Zuwanderer sind gut ausgebildet,
können aber in ihrem eigentlichen Beruf nicht arbeiten,
weil ihre Ausbildung in Europa nicht anerkannt wird.
Das schadet uns allen. Wenn wir dem Facharbeiter- und
Fachkräftemangel vorbeugen wollen, müssen wir bei der
Anerkennung schneller sein. Es ist nicht richtig, wenn in
Deutschland Fachkräfte unterhalb ihrer Qualifikation als
billige Hilfskräfte verheizt werden, während wir gleich-
zeitig über Fachkräftemangel diskutieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch Innovationen und eine funktionierende Infrastruk-
tur fallen nicht vom Himmel. Beides muss ausreichend
finanziert werden, um mehr Jobs zu schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Grundsatz
„Gute Arbeit“ soll nicht nur hier in Deutschland gelten,
sondern in ganz Europa. Dabei geht es mir um grundle-
gende Errungenschaften wie den Kündigungsschutz, die
Tarifautonomie oder die Maxime „Gleiche Löhne für
gleiche Arbeit“. Selbstverständlich sollte gute Arbeit
überall in Europa existenzsichernd sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Gute Arbeit heißt aber auch: möglichst gleiche Stan-
dards in der Arbeitswelt. Das betrifft den Arbeitsschutz,
die Unfallversicherung und die Sozialversicherungssys-
teme gleichermaßen. Eine Vereinheitlichung der Stan-
dards darf aber nicht die Absenkung unseres Niveaus be-
deuten. Wir wollen ein Europa mit einheitlichen Regeln.
Deshalb geht es nicht ohne Mitbestimmung. Starke Be-
triebsräte und Gewerkschaften sind kein Hindernis für
den Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: Mitbestimmung heißt
mitdenken, anpacken, Verantwortung übernehmen. All
das kann dabei helfen, die gewünschte Wettbewerbsfä-
higkeit aufrechtzuerhalten. Insofern spricht nichts dage-
gen, die Regeln für Mitbestimmung in Unternehmen eu-
ropäischer Rechtsform auszuweiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Uns geht es
in Deutschland recht gut, die Erwerbstätigkeit ist hoch,
und es wird viel exportiert. Leider profitieren aber nicht
alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Wachs-
tum. Es gibt zu viele Menschen mit geringen Löhnen
und Minijobs. Sorgen bereiten uns zudem die Langzeit-
arbeitslosen.

Gut also, dass der flächendeckende gesetzliche Min-
destlohn kommt. Der Gesetzentwurf von Ministerin
Andrea Nahles wird dafür sorgen, dass über 4 Millionen
Beschäftigte in Deutschland bald mehr Geld in der Lohn-
tüte haben werden. Darüber hinaus ist ein europäischer
Pakt für Mindestlöhne wünschenswert, damit Lohn- und
Sozialdumping europaweit bekämpft werden können.


(Beifall bei der SPD)


Mindestens genauso wichtig wie der Mindestlohn
sind gute Tarifabschlüsse, an die sich alle halten. Das Ta-
rifpaket der Großen Koalition wird die Tarifflucht man-
cher Branchen beenden. Das ist gute und gerechte Be-
schäftigungspolitik. Wir machen unsere Hausaufgaben.
Damit leisten wir unseren Beitrag zu einem sozialen Eu-
ropa.

Herzlichen Dank. Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803306500

Als nächste Rednerin rufe ich Annalena Baerbock,

Bündnis 90/Die Grünen, auf.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Europa muss sozialer werden – die-
ser Spruch eint alle, von tiefrot bis tiefschwarz. Das sieht
man heute hier, in dieser Debatte. Das sieht man auch an
den Wahlplakaten. Das Schöne an dem Spruch ist, dass
man hinter der Forderung nach einem sozialen Europa
die nationalen Defizite wunderbar verstecken kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es etwas schade, dass die Linke in ihrem An-
trag nicht stärker dieses Dilemma aufgegriffen hat, dass
die EU in den Kernbereichen der Sozialpolitik keine
Kompetenz hat und in diesen Bereichen deswegen nicht
aktiv werden kann. Liebe Linke, das ist nicht so, weil die
EU neoliberal und böse ist, sondern das ist so, weil sich
die Mitgliedstaaten bei ihrer Gründung 1951 darauf ver-
ständigt haben. Als man das mit dem Lissabon-Vertrag
ein Stück weit ändern wollte – Artikel 3 des EU-Vertra-
ges –, haben ausgerechnet Sie dagegen gestimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist ja auch viel einfacher, alles in einen Topf zu
werfen und zu sagen: Die böse, unsoziale EU ist schuld.
In Ihrem Antrag gehen Sie zumindest etwas differenziert
vor, in Ihrem Wahlkampfvideo aber leider nicht. Da wer-
fen Sie der unsozialen EU auch noch vor, dass die Kran-
kenschwestern in Deutschland so schlecht bezahlt wer-
den und wir hier keine Kitaplätze haben. Daran ist die
EU nun aber wirklich nicht schuld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803306600

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder

Zwischenbemerkung von Frau Zimmermann?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803306700

Bitte schön.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803306800

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen. Ich möchte Sie etwas fragen, da Sie ge-
sagt haben, das Soziale könne nicht europaweit geregelt
werden. Es geht hier nicht darum, dass wir die gleiche
Rente für alle Menschen in Europa fordern. Es geht zum
Beispiel darum: Was erzähle ich den Truckfahrern, die
hier Briefkastenfirmen aufmachen, die Scheinselbststän-
digkeit fördern? Wie kann dafür gesorgt werden, dass sie
innerhalb von Europa ordentliche Arbeitsbedingungen
haben? Ist es nicht das Mindeste, dass sie ordentliche
Löhne, dass sie gleiche und faire Arbeitsbedingungen
verlangen können? Das ist doch eine Frage von Europa
und keine Frage der einzelnen Staaten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entsenderichtlinie!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erzählen Sie diesen Leuten einmal, dass es ein Pro-
blem ist, dass sich die deutsche Bundesregierung jahre-
lang gegen die Entsenderichtlinie gesperrt hat. Da sich
Deutschland als eines von ganz wenigen Ländern jahre-
lang gegen einen nationalen Mindestlohn, gegen einen
gesetzlichen Mindestlohn gesperrt hat, hat die Entsende-
richtlinie nicht gegriffen. Deswegen gibt es Schlupflö-
cher. Erzählen Sie diesen Truckfahrern, die hier, wie Sie
selbst gesagt haben, Briefkastenfirmen aufmachen,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!)


dass keine Briefkastenfirmen aufgemacht werden sollen,
dass das in der Europäischen Union zu unterbinden ist.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Soll das der Truckfahrer verändern?)


– Nein, seine Firmen sollen das verändern. Dafür müs-
sen sich die Regierungen einsetzen, auch die Bundesre-
gierung. Sie müssen die Schuldigen benennen, die sich
immer gegen die Richtlinie aussprechen. Aber Sie kön-
nen doch nicht sagen – das machen Sie auch in Ihrem
Antrag –, dass die Arbeitszeit in Europa unrechtmäßig
gestaltet wird, und einfach verschweigen, dass sich die
deutsche Bundesregierung jahrzehntelang verweigert hat
und stattdessen für Opt-out-Regelungen für Deutschland
gesorgt hat. Sie müssen doch differenzieren. Sie sagen
nur: Die EU ist unsozial.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Unsozial unter Führung der Bundesrepublik!)


Im Umkehrschluss bedeutet das: Das Nationale ist so-
zial. So einfach ist die Welt aber nun einmal nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt komme ich zu Ihrem Wahlkampfvideo zurück.
Ich rege mich so sehr darüber auf, weil Ihre Europapoli-
tiker es eigentlich besser wissen. Man kann die Leute
doch nicht für blöd verkaufen. Aber was machen Sie in
Ihrem Video? Zu Ihren ganzen schönen Forderungen,
die Sie an die EU haben, egal ob die EU die Kompetenz
dafür hat oder nicht, lassen Sie auch noch den Vorsitzen-
den Ihrer Bundestagsfraktion sprechen, als wenn der für
die Europawahl am 25. Mai 2014 antreten würde. Inso-
fern unterscheiden Sie sich keinen Millimeter von der
CDU, die im Wahlkampf Frau Merkel plakatiert.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Kein Neid!)






Annalena Baerbock


(A) (C)



(D)(B)

– Darauf bin ich definitiv nicht neidisch. – Das befördert
eben diese Politikverdrossenheit. Die Leute wollen sich
nicht für dumm verkaufen lassen, wenn sie am 25. Mai
wählen gehen. Sie wissen, dass sie eben nicht Merkel
wählen können und auch nicht den Kollegen Gysi, son-
dern diejenigen, die für das Europaparlament antreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen darüber reden – da gibt es ja Differenzen
in diesem Haus; das wurde bei dem Beitrag der CDU ge-
rade noch einmal deutlich –, ob wir dazu bereit sind, auf
die europäische Ebene mehr Kompetenz im sozialen Be-
reich zu verlagern, um eben ein Schleifen durch die Hin-
tertür über die Binnenmarktregeln zu verhindern. Sie,
liebe CDU, haben ganz klar gesagt, dass Sie das nicht
wollen. Ich finde es sehr schade, dass Sie das nicht wol-
len. Wir sagen sehr deutlich: Wir können unsere Lehren
aus der Wirtschafts- und Finanzkrise nur ziehen, wenn
wir bereit sind, verstärkt über soziale Mindeststandards
auf europäischer Ebene zu reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Dramatische ist ja: Wenn wir die EU zusammen-
halten wollen, müssen wir dazu beitragen, dass sie ein
soziales Gesicht bekommt – da sind wir ganz bei Ihnen,
liebe Linke –, aber dann müssen wir auch Kompetenz-
übertragung zulassen. Dann müssen Sie auch für Ver-
tragsänderungen offen sein und können das nicht immer
einfach pauschal ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen wir doch gar nicht!)


Wichtig ist für uns: Wer Europa sozialer machen will,
muss in bestimmten Fällen sofort einen Nothilfefonds
auflegen, wie zum Beispiel in Griechenland, wenn die
Gesundheitsversorgung kollabiert. Das haben wir in
Form des Globalisierungsfonds auch geschafft, wenn
Unternehmen plötzlich aus einem Land abwandern. Wer
Europa sozialer machen will, muss europäische Min-
deststandards einführen, nicht nur im Arbeitsrecht, son-
dern auch bei den Sicherheitsleistungen. Wir brauchen
da intelligente Korridorlösungen. Wer Europa sozialer
machen will, muss eine soziale Wirtschaftsklausel im
EU-Recht einführen. Wer Europa sozialer machen will,
muss auch über stabile makroökonomische Kontexte re-
den. Da können Sie sich nicht verweigern. Wir müssen
in der Wirtschaftsunion vorankommen, und auch die
Frage einer Basisarbeitslosenversicherung darf dann
kein Tabuthema mehr sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Worüber reden Sie eigentlich?)


– Ich rede über ein soziales Europa. Wenn Sie das nicht
kennen, tut mir das leid.

Wer das Integrationsprojekt Europa nicht gefährden
will, darf auch Europas Jugend nicht vergessen. Es ist
katastrophal, wenn jeder vierte junge Mensch in Europa
ohne Ausbildung oder Arbeit ist. Es ist eine Schande,
wenn wir für die von allen Parteien und Fraktionen pro-
pagierte Jugendgarantie nur 137 Euro pro Jugendlichem
zur Verfügung stellen, ein Hektar Fläche für Landwirt-
schaft in der Europäischen Union aber 300 Euro be-
kommt und dafür auch noch eine fehlgeleitete Agrarpoli-
tik manifestiert wird. Das erklären Sie einmal den
Jugendlichen in Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803306900

Die Redezeit, Frau Kollegin.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir das Integrationsprojekt – das ist mein letz-
ter Satz – nicht gefährden wollen – da komme ich auf
Frau Pothmer zurück –, dann müssen wir bei MobiPro-
EU, wenn Sie alle das Programm so gut finden, jetzt ak-
tiv werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Tun wir doch! Ist doch alles schon gelaufen!)


Dann müssen Sie jetzt unseren Antrag dazu unterstützen.
Es kann doch nicht sein, dass die Jugendlichen, die wie-
der ein bisschen Hoffnung in die Solidarität Europas ge-
setzt haben, hier in Deutschland sind und Anfang des
Jahres Anträge gestellt haben


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein langer letzter Satz!)


– jetzt hören Sie doch einmal zu –, jetzt kein Geld erhal-
ten. Dadurch verlieren sie die Hoffnung in Europa wie-
der. Solange bei MobiPro-EU nicht nachgebuttert wird –
wir haben noch Haushaltsverhandlungen, da können Sie
das tun –, solange wir unseren eigenen Anforderungen
hier nicht gerecht werden, sollten wir nicht über ein ver-
stärkt soziales Europa reden.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803307000

Der letzte Satz ist so lang geraten, dass die Kollegin

ihre Redezeit stark überzogen hat. – Kollege Ulrich von
den Linken möchte eine Kurzintervention machen. Bitte.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803307100

Kollegin Baerbock, eigentlich will ich Ihnen nicht er-

klären, dass es Ihre Aufgabe als Teil der Opposition
wäre, die Bundesregierung zu kritisieren und nicht die
Linken, die einen vernünftigen Antrag in den Bundestag
eingebracht haben. Aber auch Opposition muss als neue
Abgeordnete gelernt werden.

Ein bisschen schwierig ist, wenn Sie hier eine künstli-
che Trennung zwischen der Arbeit der Bundesregierung,
der politischen Ausrichtung der Bundesregierung und
dem, was die EU-Kommission macht, vornehmen. Es ist
doch eindeutig, dass die Bundesregierung wesentlich
dazu beigetragen hat, dass die Troika diese unsoziale
Kürzungspolitik in den Programmländern umgesetzt hat.





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

Aber dass die Bürger nicht trennen, was die EU-Kom-
mission in der Troika und vorher die Bundesregierung
macht, ist doch klar. Da kann man keine künstliche Tren-
nung vornehmen.

Würden Sie sagen, dass das, was die Bundesregierung
in Brüssel und Straßburg durchgesetzt hat, zu einem un-
sozialeren Europa beigetragen hat? Würden Sie mir auch
recht geben, wenn ich sage, dass Sie diesem Kürzungs-
programm hier im Bundestag zugestimmt haben?


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803307200

Wollen Sie reagieren?


(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Aber nichts kaputtmachen! – Heiterkeit)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich hat es Auswirkungen der Austeritätspolitik
in Europa gegeben. Wir alle haben sie bisher kritisiert;
auch Teile der derzeitigen Bundesregierung kritisieren
sie. Aber Sie müssen zwischen der Frage „Was sagt die
Troika?“ und der Frage „Was wird dann umgesetzt?“
unterscheiden. Sie können nicht einfach sagen: An al-
lem, was im Süden Europas jetzt schlecht läuft, ist die
EU, die Troika oder die Austeritätspolitik schuld. – Die
Probleme mit dem Gesundheitssystem in Griechenland
sind dramatisch; das habe ich in meinem Redebeitrag ja
auch angesprochen. Da müssen wir stärker aktiv werden.
Aber es gab in Griechenland schon vorher Probleme mit
dem Gesundheitssystem – es hat auch vorher nicht funk-
tioniert –,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das stimmt!)


und es gab auch vorher schon Probleme mit der Renten-
versicherung.

Es hilft nichts, wenn wir einseitig sagen: „Daran sind
die Troika und die Austeritätspolitik schuld“, die Mit-
gliedstaaten aber sagen können: Wir sind fein raus; wir
haben hier keine Verantwortung. – Mein Appell ist: Wir
müssen ganz klar benennen, wo jede Regierung eines
Mitgliedstaates Verantwortung trägt. Auch die Bundes-
regierung trägt Verantwortung dafür, dass sie nur auf
Austerität und nicht auf eine stärkere Solidarität im
Rahmen der EU und nicht auf ein stärkeres soziales
Bewusstsein gesetzt hat; das gilt auch im Hinblick auf
einige Maßnahmen im Rahmen der Troika. Auch das
haben wir immer kritisiert.

Wir haben allerdings differenziert, auch bei unserer
Zustimmung im Deutschen Bundestag. Es ist eben nicht
so, dass man einfach sagen kann: Wir sind mit der Maß-
nahme XY nicht einverstanden, wir sind nicht damit ein-
verstanden, dass es Kürzungen im Gesundheitsbereich
gibt, und deswegen lehnen wir alle weiteren Hilfs-
programme und -pakete komplett ab, auch unter der
Maßgabe, dass Griechenland dann ganz schnell bankrott
gewesen wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Das ist gar nicht bankrott gewesen!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803307300

Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin

Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1803307400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kurz vor der Europawahl bringt die Fraktion Die Linke
einen Antrag zum Thema „soziales Europa“ ein – ein
Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn ein soziales
Europa war und ist immer Grundlage der Europäischen
Union gewesen.

Ein soziales Europa bedeutet auch ein stabiles
Europa, nämlich ein Europa mit soliden Finanzen und
harter Währung. Dies sind Voraussetzungen für sichere
Arbeitsplätze und dauerhaften Wohlstand.

Ein soziales Europa ist auch ein Europa der Chancen:
gute Bildung in ganz Europa und Bildungsabschlüsse,
die EU-weit anerkannt werden; Schüler, Schülerinnen,
Auszubildende, Studierende können überall in Europa
lernen und arbeiten.

Ein soziales Europa ist auch ein gefestigtes Europa, in
dem schwächere Länder gestärkt werden, um wett-
bewerbsfähiger zu werden.

Und: Ein soziales Europa ist auch ein zukunftsfähiges
Europa. Europäische Fördergelder werden nicht mehr
nur nach Himmelsrichtung, sondern nach festen Krite-
rien vergeben. So können die Regionen bei der Bewälti-
gung des Bevölkerungswandels unterstützt werden. Zu
einem zukunftsfähigen Europa gehört auch ein gutes
Miteinander von Jung und Alt.

Dies alles ist Europa. Dieses Europa wird seit Jahr-
zehnten durch verschiedene Programme unterstützt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei gilt für uns in der Union immer der Grundsatz
„Hilfe zur Selbsthilfe“. Unterstützung gibt es nur, wenn
die betroffenen Staaten Reformen durchführen und ihre
Finanzen in Ordnung bringen. Irland und Portugal sind
gute Beispiele, die zeigen, dass diese Form der Hilfe der
richtige Weg ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In Ihrem Antrag erwähnen Sie, Kollegen und Kolle-
ginnen der Fraktion Die Linke, die durchaus hohe
Arbeitslosigkeit in unseren europäischen Nachbarlän-
dern. Sie unterlassen es aber, zu erwähnen, dass die Zah-
len der Arbeitslosigkeit und auch der Jugendarbeitslosig-
keit in Europa aktuell sinken. Die Arbeitslosenquote in
der EU ist im März dieses Jahres im Vergleich zum
Vorjahr von 10,9 auf 10,5 Prozent gesunken. Die Ju-
gendarbeitslosenquote in der EU ist im gleichen Zeit-
raum von 23,5 auf aktuell 22,8 Prozent zurückgegangen.
Ich denke, diese Zahlen zeigen einen positiven Trend,
der Ihnen dem Anschein nach entgangen ist.





Christel Voßbeck-Kayser


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist viel zu wenig und viel zu schwach!)


Sie erwähnen in Ihrem Antrag auch Kroatien, ein
Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von
49,2 Prozent. Ja, diese traurige Zahl ist richtig. Sie unter-
lassen es aber auch hier, zu erwähnen, dass Kroatien erst
seit dem letzten Jahr, genau erst seit Juli 2013, Mitglied
der EU ist. Diese Jugendarbeitslosigkeit ist ja nicht erst
durch die Mitgliedschaft entstanden. Dies ist eine ver-
fälschte Darstellung von Tatsachen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Richtig ist folgender Zusammenhang: Das Wirt-
schaftswachstum in Europa liegt in diesem Jahr bei
1,2 Prozent. Länder wie Irland und Portugal, die ich
eben schon genannt habe, profitieren hiervon, sie haben
nämlich ein Wachstum zu verzeichnen. Was positives
Wachstum bedeutet, das haben wir hier bei uns in
Deutschland erlebt: Es führt zu mehr Beschäftigung und
damit zur Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen. Auch
die aktuellen Zahlen aus Portugal und Irland belegen das
doch – vergleichen wir es mit den Zahlen vom Vorjahr –:
Portugal hatte 2013 eine Arbeitslosenquote von
17,4 Prozent und liegt jetzt bei 15,2 Prozent. Irland hatte
im Vorjahr eine Arbeitslosenquote von 13,7 Prozent und
liegt jetzt bei 11,8 Prozent. Dies ist auch der Grund,
warum beide Länder es selbstständig geschafft haben,
den Rettungsschirm zu verlassen. Das zeigt, dass wir mit
dieser Politik auf dem richtigen Weg sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Spanien?)


Deshalb sind die in Ihrem Antrag getroffenen Aussagen,
liebe Kollegen und Kolleginnen der Fraktion Die Linke,
nicht zutreffend.

Ich darf auch daran erinnern, dass im März 2010 ein
Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU statt-
gefunden hat, auf dem die Strategie „Europa 2020“ be-
schlossen wurde. Ich will jetzt nicht näher auf die Kern-
ziele eingehen; aber mit diesem Programm, das jetzt für
die nächsten sieben Jahre gilt, werden mehr als 80 Mil-
liarden Euro für diese Kernziele und damit für die Men-
schen in ganz Europa zur Verfügung gestellt. Von diesen
80 Milliarden Euro gehen mindestens 20 Prozent der
Mittel in die soziale Eingliederung. Ich finde, besser
kann man ein soziales Europa nicht beschreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen zur Armut in Europa an! Dann sieht das ganz anders aus!)


Ich darf auch daran erinnern, dass jetzt die achte För-
derperiode des Europäischen Sozialfonds – das ist schon
mehrfach erwähnt worden; das erste Mal ging er 1958 an
den Start – beginnt. Der Europäische Sozialfonds, liebe
Kollegen und Kolleginnen, hat sich mit seinen Schwer-
punkten immer an den aktuellen sozialen und wirtschaft-
lichen Notwendigkeiten der Mitgliedstaaten und ihrer
Menschen orientiert.

All diese von mir genannten Maßnahmen beschreiben
sehr wohl ein soziales Europa. Wir müssen den einge-
setzten europäischen Mitteln aber auch Zeit geben, um
zu wirken. Der positive Trend bei Wachstum und Be-
schäftigung bestätigt das.

Sie können eines mitnehmen, Kollegen und Kollegin-
nen der Fraktion Die Linke: Die Bundesregierung unter
unserer Kanzlerin Angela Merkel wird sich auch weiter-
hin selbstverständlich für „Europa 2020“ und damit für
ein soziales Europa einsetzen.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Eine Drohung ist das! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Wo?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803307500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Alexander

Ulrich, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803307600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei

manchen Vorrednern müssen wir mal wieder anfangen
ein bisschen zu sortieren.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Vor allem bei Ihnen! Wenn Sie mal sortiert sind!)


Nach einer von den Finanzmärkten verursachten Wirt-
schaftskrise rutschte die Europäische Union ab in eine
soziale Krise. Der Grund dafür war eine völlig verfehlte
Politik in der Krise. Frau Baerbock, daran trägt natürlich
die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, eine Hauptschuld.
Natürlich ist das so.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir doch!)


Nicht die Verursacher der Krise wurden zur Rechen-
schaft gezogen, nein, die Bürgerinnen und Bürger in Eu-
ropa mussten die Zeche zahlen für die perverse Zockerei
auf den Finanzmärkten. Diese unsoziale, zum Teil men-
schenverachtende Politik


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!)


wurde und wird von der Troika in den Programmländern
undemokratisch durchgesetzt – mit großer Unterstützung
der Bundesregierung, Frau Baerbock,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hat sie eben gesagt!)


ob es die schwarz-gelbe Bundesregierung war mit großer
Unterstützung der SPD oder die schwarz-rote jetzt mit
großer Unterstützung der Grünen. Sie alle hier sind mit-
verantwortlich für Massenarbeitslosigkeit, Perspektiv-





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

losigkeit vieler Millionen Jugendlicher in Europa und
Massenarmut.

Der Kurs der Bundesregierung und ihre Kürzungs-
politik bedrohen Europa. Noch nie ist es wirtschaftlich
erfolgreich gewesen, sich aus einer Krise herauszuspa-
ren. Fast 20 Millionen Menschen sind in den Ländern
der Euro-Zone erwerbslos. Das ist ein Anstieg um
70 Prozent seit 2007.

Wenn wir die soziale Lage in Europa beurteilen, dann
dürfen wir aber nicht nur in die anderen Länder schauen.
Auch in Deutschland verschlechtert sich diese rasant.
Wie der Paritätische Wohlfahrtsverband gerade in sei-
nem Jahresgutachten feststellte, ist jeder siebte Bürger
armutsgefährdet bzw. arm.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803307700

Herr Kollege, Kollege Sarrazin fragt, ob er eine Zwi-

schenfrage stellen darf.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803307800

Herr Sarrazin immer.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das würde ich mir überlegen! – Zuruf von der SPD: Der randaliert wieder!)



Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803307900

Verehrter Kollege Ulrich, ich würde Ihnen gerne die

Frage stellen, ob Sie mir skizzieren können, wie aus Ih-
rer Sicht die Leistungen des griechischen Staates für
Rentner, Krankenhäuser, Bedienstete, Uniformträger,
Pensionäre und Lehrer ausgesehen hätten, wenn die
Europäische Union mit Zustimmung des Deutschen
Bundestages Griechenland keine Kredithilfen in Höhe
von insgesamt 200 bis 250 Milliarden Euro zur Verfü-
gung gestellt hätte,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Die Polizei ist aufgerüstet worden, der Rest nicht!)


und ob Sie glauben, dass ein griechischer Staat, der an
den Märkten keine Schulden aufnehmen kann, ohne
Kredithilfen überhaupt noch in der Lage gewesen wäre,
seine sozialen Leistungen zu erbringen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803308000

Herr Sarrazin, vielen Dank für die Frage; denn damit

kann ich auch Herrn Strengmann-Kuhn antworten, der in
seiner Rede ja auch auf das Abstimmungsverhalten im
Bundestag eingegangen ist.

Es ist nun einmal so: Die Troika wusste sehr wohl,
wie man Löhne, Renten usw. in Griechenland kürzt, sie
wusste aber nicht, dass dort offensichtlich ein immenser
Reichtum vorhanden ist. In Griechenland gibt es näm-
lich einen unheimlichen privaten Reichtum. Die Reichen
sind aber ungeschoren davongekommen. Da hätte man
herangehen müssen. Das wäre notwendig gewesen, um
den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich doch gesagt!)


Das haben die Grünen aber nicht verstanden.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erstens habe ich das eben gesagt, zweitens antworten Sie nicht auf die Frage!)


Ihre Solidarität gilt den Finanzjongleuren, der Finanzin-
dustrie und den Großkonzernen. Unsere Solidarität gilt
den Menschen in Griechenland, und deshalb haben wir
mit Nein gestimmt. – Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat also festge-
stellt, dass auch in Deutschland jeder Siebte in Armut
lebt bzw. arm ist, dass jeder vierte Beschäftigte für
Dumpinglöhne arbeitet bzw. in einem prekären Be-
schäftigungsverhältnis steht und Altersarmut auch in
Deutschland für viele Menschen ein immer größeres
Problem wird. Dagegen tut diese Bundesregierung rein
gar nichts – auch nicht mit dem Rentenpaket.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Skandalös!)


Das europäische Sozialmodell, ein ganz wesentlicher
Faktor für die Stabilität des europäischen Hauses, wird
von der EU-Kommission und der deutschen Bundes-
regierung massiv beschädigt.

Wie sieht die Beteiligung der Krisenverursacher an
der Bewältigung der Krise aus? Wo ist der Beitrag der
Vermögenden und Spitzenverdiener? Das reichste 1 Pro-
zent der Gesellschaft besitzt fast 40 Prozent des gesam-
ten Vermögens. Das Vermögen der Millionäre in Europa
übersteigt mit 14 Billionen Euro die gesamte Staats-
verschuldung bei weitem. Hier müsste man endlich her-
angehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen wird die Kluft zwischen Arm und Reich in
Deutschland und in Europa immer größer. Wo sind die
Aktivitäten der Bundesregierung? Nichts! Nada! Von der
CDU/CSU erwartet ja schon niemand mehr Aktivitäten
für ein soziales Europa, aber für die SPD sollte das S in
ihrem Namen doch noch irgendeine Bedeutung und
Aktualität haben.

Weil die Zerstörung des europäischen Sozialmodells
einigen offenbar immer noch nicht weit genug geht, soll
jetzt ein Handelsabkommen TTIP mit den USA verhan-
delt werden. Das ist ein weiterer Angriff auf die Arbeit-
nehmerrechte, die Gesundheit, die öffentlichen Leistun-
gen, den Umweltschutz und die Demokratie. TTIP muss
gestoppt werden!


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist nicht unser Europa und nicht das Europa, das
die Bürgerinnen und Bürger wollen. Ein Europa der





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

Banken und Konzerne muss scheitern. Die Konkurrenz
um die niedrigsten Löhne und Sozialleistungen in Eu-
ropa schadet allen – auch den Menschen in Deutschland.
Daher ist es notwendig, dass die unsoziale Kürzungs-
politik sofort beendet wird und die Troikakürzungs-
pakete zurückgenommen werden. Wir brauchen eine
Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von
oben nach unten durch mehr Steuergerechtigkeit.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Den ganzen Lohn abgeben! 100 Prozent Steuern!)


Wir brauchen ein europaweites Investitionsprogramm
zur Schaffung von guter Arbeit und zur Umsetzung eines
sozial-ökologischen Umbaus. Wir brauchen einen euro-
paweiten Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des natio-
nalen Durchschnittseinkommens sowie ein gemeinsames
Vorgehen in der EU gegen Armut durch soziale Mindest-
standards.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Die in-
transparenten Verhandlungen mit den USA zu TTIP
müssen sofort beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke will weder ein Zurück zu den Nationalstaaten
noch eine EU der Banken und Konzerne. Wir wollen ein
soziales, solidarisches, demokratisches und friedliches
Europa, ein Europa der Menschen. Dafür streiten wir
konsequent, nicht nur bei den Europawahlen. Wer ein
soziales Europa will, muss den Reichen etwas nehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch in Moskau? Streitet ihr auch da dafür?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803308100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Waltraud

Wolff, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1803308200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! In einer Zitate-
datenbank stieß ich bei der Suche nach dem Wort „Kri-
tik“ auf den ehemaligen britischen Premier Benjamin
Disraeli. Ich kannte den Mann nicht, aber ich fand zwei
ganz spannende Zitate von ihm. Das erste lautet: „Es ist
leichter, Kritik zu üben, als recht zu haben.“ Das zweite
heißt: „Es ist viel einfacher, Kritik zu üben, als etwas
anzuerkennen.“ – Wenn man nicht wüsste, dass Disraeli
im 19. Jahrhundert gelebt hat, könnte man meinen, er
kommentiert den Antrag der Linken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Ach Waltraud!)


Dazu passt auch, dass der Kollege Ulrich die Frage des
Kollegen Sarrazin überhaupt nicht beantwortet hat. Sie
ist nämlich von den Linken gar nicht zu beantworten.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Was kommt denn an? Keine 5 Prozent!)


Beim Lesen des Antrags der Linken „Kürzungspolitik
beenden – Soziale Errungenschaften verteidigen – So-
ziales Europa schaffen“ entsteht der Eindruck, dass die
EU für Sozialdumping verantwortlich sei und diese Poli-
tik von der Troika ausgelöst worden sei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann die Poli-
tik der Troika kritisieren, keine Frage.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Man muss!)


Fakt ist, dass wir eine Finanz- und Schuldenkrise hatten
– die Schuldigen dafür sind ja wohl anderswo zu suchen –,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Bei den Banken vielleicht!)


auf die die Troika erst reagiert hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fakt ist, dass ein Land mit einem übergroßen öffentli-
chen Sektor, das dazu keine oder kaum Steuereinnahmen
generiert, selber ein dickes hausgemachtes Problem hat.
Das ist so.

Natürlich kann man die Frage stellen, ob die Maßnah-
men zur Bekämpfung der Krise in Europa richtig ge-
wählt sind. Wir sagen: Konsolidierung ist notwendig.
Mindestens genauso notwendig ist es aber, auch kon-
junkturelle Anreize zu setzen. Sie haben in einem recht:
Arbeitsmarktpolitische Aktivitäten – das finde ich
auch – dürfen sich nicht nur auf die Mobilität von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschränken. Na-
türlich brauchen wir Wachstumsperspektiven und Zu-
kunftsinvestitionen. Natürlich müssen wir gerade jetzt
jungen Menschen helfen, einen Einstieg in Arbeit zu fin-
den. Wir brauchen beides. Darum finde ich es ziemlich
mies, dass manche Kollegen sich hier hinstellen und
diese beiden Dinge gegeneinander ausspielen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische
Sozialfonds ESF hat in der letzten Förderperiode von
2007 bis 2013 9,4 Milliarden Euro zur Verfügung ge-
stellt. Gefördert wurden insbesondere die Eingliederung
benachteiligter Menschen in den Arbeitsmarkt und auch
Weiterbildungsmaßnahmen. 490 Programme wurden da-
von finanziert. Zur Förderung von sprachgestützten
Kursen, die berufsbezogen eingeführt wurden, hat das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Mittel
wiederholt aufgestockt, gerade weil die Nachfrage so
groß gewesen ist. Das ist ganz konkrete Hilfe für die
Menschen, die eine Arbeit suchen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerade in den südeuropäischen Ländern ist der ESF
ein ganz wichtiger Baustein der Arbeitsmarktpolitik.
Über 15 Millionen Menschen in Europa werden jedes
Jahr mit 10 Milliarden Euro aus dem ESF unterstützt.
Dabei steht natürlich die Bekämpfung der Jugendarbeits-
losigkeit für uns im Fokus; das ist überhaupt keine





Waltraud Wolff (Wolmirstedt)



(A) (C)



(D)(B)

Frage. Wir haben Regionen in Europa – das ist schon ge-
sagt worden – mit mehr als 25 Prozent Jugendarbeitslo-
sigkeit. Deswegen werden in der nächsten Förderperiode
mindestens 6,4 Milliarden Euro für die Jugendbeschäfti-
gungsinitiative eingesetzt. 3 Milliarden Euro dafür kom-
men aus den Mitteln des ESF. Um auch ganz schnell hel-
fen zu können, werden die Mittel direkt von Beginn der
Förderperiode an zur Verfügung stehen. Das ist Hilfe,
die bei den Menschen ankommt. Deshalb sollte man
Europa nicht immer nur herunterreden und alles
schlechtmachen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die SPD hat immer für ein
soziales Europa gestanden, und Europa hat auch eine so-
ziale Dimension. Der Europäische Sozialfonds ist ein
ganz kleines Beispiel dafür.

Natürlich kann Europa noch besser werden. Wir alle
wollen es verbessern, und wir wollen auch, dass das so-
ziale Netz enger gestrickt wird. Ein soziales Europa und
wirtschaftliche Dynamik sind keine Gegensätze. Das so-
ziale Europa ist vielmehr die Voraussetzung für einen
guten wirtschaftlichen Erfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das sieht der Koalitionspartner aber anders!)


Davon bin ich zutiefst überzeugt, und dafür treten wir
Sozialdemokraten auch bei den Europawahlen am
25. Mai an.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit und mache Platz für die
nächste Rednerin.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803308300

Das ist sehr sympathisch, zumal es schon auf eine

leichte Überziehung der Redezeit hinausgelaufen war.

Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Antje
Lezius, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Lezius (CDU):
Rede ID: ID1803308400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir be-
schäftigen uns heute angesichts des vorliegenden An-
trags der Kollegen von den Linken mit einem großen
Projekt, dem der europäischen Integration. Europa – das
ist die seit über 60 Jahren erfolgreiche Idee einer Frie-
densordnung auf europäischem Boden, und das kann
man gerade im Hinblick auf die Situation in der Ukraine
und am heutigen 8. Mai, dem Jahrestag des Kriegsendes,
nicht oft genug betonen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Und es ist noch mehr: Nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges ist es uns durch die europäische Integration
gelungen, in allen Politikfeldern Kooperation unter den
Mitgliedstaaten herzustellen und den ursprünglich als
Wirtschaftsgemeinschaft gemeinten Zusammenschluss
auch politisch voranzubringen. Wer heutzutage in der
EU jung ist, hat keine Grenzen mehr erlebt, kennt nur
den Euro als Zahlungsmittel und lebt mit wesentlichen
Freiheiten, die für viele von uns selbstverständlich ge-
worden sind. Darüber wird oft vergessen, dass der Inte-
grationsprozess mühsam war und auch aktuell in Gefahr
ist, von Populisten von rechts und links infrage gestellt
zu werden. Das, meine Damen und Herren, ist sehr
schade.

Ihr Antrag, werte Kollegen, bezieht sich auf eine
ganze Reihe von Dingen, die Sie wahrscheinlich an
Europa nicht schätzen. Sie glauben sich in Ihrer Hoff-
nung auf sozialen Fortschritt und Zusammenarbeit ent-
täuscht. Aber die Realität sieht anders aus.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich habe Ihnen doch die Realität in Griechenland geschildert!)


Wir leben in einem Europa der Solidarität. Seit dem Be-
ginn der Euro-Krise versuchen die europäischen Staaten
gemeinsam, diese zu meistern. Dies gelingt auch, trotz
der linken Unheilsprophezeihungen. Mithilfe einer um-
fassenden Gesamtstrategie wurde versucht, nicht nur
Mechanismen zur Krisenbewältigung zu implementie-
ren, sondern auch Krisen durch präventive Maßnahmen
zu vermeiden.

Deutschland hat als wirtschaftlich starker Mitglied-
staat und Stabilitätsanker eine besondere Verantwortung
und wird auch in Zukunft alle Möglichkeiten nutzen, um
ein politisch und wirtschaftlich starkes und sozial ge-
rechtes Europa zu schaffen. Wir sind uns klar darüber,
dass immer noch einige Mitgliedstaaten unsere Hilfe be-
nötigen, und wir leisten diese Hilfe, weil wir an Europa
glauben.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sie kommt nicht an!)


Aber auch das muss gesagt werden: Die betroffenen
Staaten müssen zunächst selbst versuchen, ihre Finanzen
durch eigene Anstrengungen wieder in Ordnung zu brin-
gen. Das gebietet allein die Fairness gegenüber der Ge-
meinschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit ist nicht zuletzt gemeint, dass beispielsweise im
Falle Griechenlands der Staat effizienter gestaltet und
zum Beispiel – darin gebe ich Ihnen recht – auch Steuer-
hinterziehung effektiv bekämpft werden muss. Dies ist
im ureigenen Interesse gerade der Bevölkerung; denn
wenn der Staat mehr einnimmt, kann er auch mehr aus-
geben, zum Beispiel für die öffentliche Daseinsfürsorge.
Das ist keine Frage der Anwendung von Marktmecha-
nismen, sondern von Bürgersinn.

Deutschland hat seinen Weg durch die Euro-Krise ge-
funden. Auch wir haben unseren Bürgern viel abver-
langt. Aber das hat sich gelohnt; denn heute verzeichnen
wir Rekordbeschäftigung. Gleichzeitig haben wir mit





Antje Lezius


(A) (C)



(D)(B)

5,1 Prozent bzw. 2,9 Millionen Erwerbslosen im April
2014 die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiederver-
einigung


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Diese Zahl ist eine Lüge!)


und europaweit mit 7,4 Prozent die niedrigste Jugend-
arbeitslosigkeit. Sie sehen hier mehr als deutlich, wie
sich vernünftige Politik mit Augenmaß letzten Endes
auszahlt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch in der aktuellen Debatte über den Mindestlohn
können wir von anderen Ländern lernen, wie es nicht
geht. Von überzogenen Löhnen, die Unternehmen nicht
leisten können, profitiert am Ende niemand. In Frank-
reich liegt die Arbeitslosenquote aktuell doppelt so hoch
wie bei uns, die Jugendarbeitslosigkeit bei sage und
schreibe 25 Prozent.

Die kluge deutsche Arbeitsmarktpolitik der vergange-
nen Jahre hat erkannt, dass gerade Berufsanfänger nicht
unbedingt von einem Mindestlohn profitieren, zum Bei-
spiel weil es ihnen an Berufserfahrung fehlt. Das hat da-
mit zu tun, dass sich Unternehmer genau ausrechnen
müssen, wie produktiv ein Arbeitsplatz sein muss, damit
er sich lohnt. Wenn diese dann feststellen, dass er sich
nicht lohnt, dann wird er eben nicht besetzt. Deswegen
wollen wir beim Mindestlohn eine Mindestaltersgrenze
einziehen, weil die jungen Leute eine Ausbildung ma-
chen sollen, anstatt sich von hohen Stundenlöhnen einer
sofort aufgenommenen Arbeit verführen zu lassen. Wir
wissen schließlich, dass Qualifikation besser vor Ar-
beitslosigkeit schützt, und Arbeit schützt am besten vor
Armut.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Strategie „Europa 2020“ der Europäischen Union
setzt darauf, bis Ende des Jahrzehnts so viele Menschen
wie möglich in Arbeit zu bringen. Hierzu gibt es ein
Bündel an Maßnahmen, die sich unter anderem mit den
Bereichen Beschäftigung, Bildung und soziale Inklusion
befassen. Die dafür vorgesehenen Mittel des Europäi-
schen Sozialfonds sind dabei darauf ausgelegt,
verschiedene Projekte zu koordinieren und damit Be-
schäftigung zu fördern. Allein Deutschland stehen zwi-
schen 2014 und 2020 etwa 6,3 Milliarden Euro zur Ver-
fügung, davon allein 1,3 Milliarden Euro für soziale
Integration und Armutsbekämpfung. Europaweit beträgt
diese Summe rund 10 Milliarden Euro, die aus nationa-
len Mitteln noch aufgestockt wird.

Allerdings wird bemängelt, dass es auf nationaler
Ebene häufig problematisch ist, die Mittel auch in vol-
lem Umfang abzurufen, zum Beispiel in Bulgarien und
Rumänien, wo es massive Probleme in der öffentlichen
Verwaltung gibt. Im Falle Rumäniens wurden nur bis zu
30 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel abgeru-
fen. Hier müssen wir ansetzen und Hilfestellung leisten,
damit Gelder auch dort ankommen, wo sie benötigt wer-
den.

Maßnahmen, die aus Mitteln des ESF finanziert wer-
den, richten sich daher ausdrücklich auch an die Systeme
der beruflichen Bildung und haben die Verbesserung öf-
fentlicher Dienstleistungen zum Ziel. Auch direkte
Angebote wie Qualifizierungsmaßnahmen und die Un-
terstützung von Jugendlichen beim Übergang von der
Schule in das Berufsleben werden gefördert. Die Bun-
desagentur für Arbeit plant weiterhin, den Ausbau einer
Beratungsstruktur zur beruflichen Orientierung in denje-
nigen Ländern voranzubringen, die hier Nachholbedarf
haben. So fördern wir aktiv den Abbau der Jugend-
arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben guter Arbeitsmarktpolitik haben wir in
Deutschland das europaweit vorbildlichste System der
dualen Ausbildung. Nirgendwo sonst gibt es einen An-
satz, der akademische und praktische Ausbildung in den
Betrieben verbindet. Damit auch Jugendliche aus ande-
ren europäischen Staaten diese Art der Ausbildung ken-
nenlernen können, gibt es das Programm MobiPro; die
Kollegen von den Grünen haben bereits darauf hinge-
wiesen. Es fördert Jugendliche, die einen Blick über den
Tellerrand werfen möchten. Wir freuen uns darüber, dass
dieses Angebot so gut angenommen wird. Wir werden
uns im Laufe der aktuellen Haushaltsberatungen bemü-
hen, den jungen Leuten so gut wie möglich gerecht zu
werden. Ministerin Nahles hat hier bereits positive Si-
gnale gegenüber dem Fachausschuss gegeben, wofür ich
dankbar bin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Gemeinsam wollen wir versuchen, das Vertrauen der
Bürger in die europäischen Institutionen wiederherzu-
stellen. Frieden, Freiheit und Stabilität sind die Grund-
werte dieses europäischen Einigungswerkes. Gerade am
8. Mai sollten wir alle dankbar sein und daran denken,
dass sich dieses Europa auch ganz anders hätte entwi-
ckeln können, auch Sie, liebe Kollegen von der Linken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803308500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort

Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1803308600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemo-
kraten glauben nicht, dass die europäische Krisenpolitik
der letzten Jahre alternativlos war. Nur, eines muss man
schon sagen: Der Kurs zeigt jetzt erste positive Verände-
rungen. Griechenland hat im vergangenen Jahr zum ers-
ten Mal in seiner Geschichte einen Leistungsüberschuss
von 1,25 Milliarden Euro erwirtschaftet.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Reden Sie mal mit den Krebskranken in Griechenland!)






Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

Auch im Krisenland Spanien ist ein Silberstreif am
Horizont sichtbar. Die Produktivität erhöht sich, und der
Export ist in den vergangenen drei Jahren um 20 Prozent
gestiegen. Frau Voßbeck-Kayser hat auf die positiven
Entwicklungen in Irland und Portugal hingewiesen. Es
wäre daher aberwitzig, diese Politik genau in dem Mo-
ment umzukehren, in dem sie erste Früchte trägt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genau das aber fordert der Antrag der Linkspartei.

Die Anträge der Linken und der Grünen, vor allem
der der Grünen, benennen jedoch zu Recht ein Thema,
das uns alle besorgt: die Situation der Jugendlichen in
den Krisenländern. In elf Ländern der EU liegt die Ju-
gendarbeitslosigkeit bei über 25 Prozent. In Griechen-
land und Spanien liegt sie sogar bei über 50 Prozent. Das
ist nicht nur ökonomisch betrachtet eine Katastrophe,
sondern auch in politischer und pädagogischer Hinsicht.
Die meisten betroffenen Jugendlichen verbinden mit Eu-
ropa nicht mehr die Werte Chancengerechtigkeit,
Gleichberechtigung und Toleranz; sie verbinden mit Eu-
ropa eher Perspektivlosigkeit, Enge und Chancenunge-
rechtigkeit. Da müssen wir gegensteuern.


(Beifall bei der SPD)


Und das tun wir auch. Die Bundesregierung geht mit ih-
rem Sonderprogramm MobiPro-EU den richtigen Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


MobiPro-EU bietet europäischen Jugendlichen eine
Perspektive in Deutschland. Es war schon klar, dass die-
ses Programm attraktiv für Jugendliche in anderen EU-
Ländern sein könnte. Dass wir aber insbesondere in den
letzten Monaten mit Anträgen fast überrannt wurden, ha-
ben wir nicht erwartet. Bundesarbeitsministerin Andrea
Nahles hat gestern im A-und-S-Ausschuss beeindru-
ckend dargelegt, wie bemüht alle Seiten sind, dem gro-
ßen Ansturm auf das Programm gerecht zu werden. Das
Ergebnis ist beeindruckend. Der Förderansatz allein für
das laufende Jahr 2014 wurde in unterschiedlichen
Schritten und durch unterschiedliche Maßnahmen in ei-
nem Kraftakt von ursprünglich 33 Millionen Euro auf
fast 100 Millionen Euro aufgestockt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das ist eine Verdreifachung. Es wurde verabredet, dass
alle Anträge, die bis zum 8. April eingereicht wurden,
ohne Wartezeit beschieden werden. Das ist ein finanziel-
ler Kraftakt, der in diesen Zeiten seinesgleichen sucht.
Die Haushälter müssen diesen Regelungen zwar noch
zustimmen, aber ich bin mir ganz sicher, dass sie das
auch tun werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eines ist aber natürlich auch klar: Das Problem der
Jugendarbeitslosigkeit in Europa kann nicht in Deutsch-
land gelöst werden. Das sagt auch der Antrag der Grü-
nen durchaus zutreffend. Frau Pothmer, zu Ihrer Lang-
intervention möchte ich Ihnen aber ganz grundsätzlich
sagen: Wenn in einem Programm die Mittel ausgegeben
sind, dann kann man nicht einfach noch mehr ausgeben,
jedenfalls nicht, wenn man verantwortliche Finanzpoli-
tik macht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie sollten daher anerkennen, dass die Bundesregie-
rung große Anstrengungen geleistet hat, der enormen
Nachfrage nachzukommen. Bis April dieses Jahres
haben 9 000 junge Menschen insgesamt über 42 000 An-
träge gestellt. Niemand, der einen Antrag vor dem 8. Ap-
ril gestellt hat, muss warten. Alle werden bedient. Dieje-
nigen, die danach kommen, wussten um den Mittelstopp.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803308700

Herr Kollege, die von Ihnen eben angesprochene Frau

Kollegin Pothmer würde gerne etwas sagen. Darf sie das
jetzt?


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1803308800

Aber gerne.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803308900

Bitte.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803309000

Herr Kollege, wir sind uns beide einig, dass das Pro-

gramm MobiPro durchaus ein richtiger Ansatz ist. Es
war doch zu erwarten, dass es eine gewisse Zeit braucht,
bis dieses Programm bekannt wird und dann auch ange-
nommen werden kann. Finden Sie es vor dem Hinter-
grund, dass das Programm jetzt endlich ans Laufen
kommt, richtig, dass wir jetzt, am Erfolgspunkt, das Pro-
gramm stoppen und bis zum Jahr 2015 nichts machen?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dasselbe hat sie schon mal vorgetragen! Unbelehrbar!)


Glauben Sie wirklich, dass dieses Stop-and-go funktio-
nieren kann? Nennen Sie mir einen Bildungsträger, der
bereit ist, eine Infrastruktur an Räumlichkeiten und an
Personal vorzuhalten, wenn er noch nicht einmal weiß,
ob er 2015 wieder zum Zuge kommen kann. Ein erhebli-
cher Teil dieser Bildungsträger hat Kooperationsverträge
mit den Bildungsträgern vor Ort geschlossen. Am Ende
geht es um 2 000 Personen in ganz Europa. Glauben Sie
wirklich, dass eine entsprechende Infrastruktur über-
haupt aufgebaut werden kann, wenn es immer wieder
dieses Stop-and-go gibt?


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1803309100

Frau Pothmer, Sie sagen das jetzt zum dritten Mal:

gestern im Ausschuss, eben in Ihrer Langintervention
und jetzt noch einmal. Dadurch wird es aber nicht besser.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin am 22. September 2013 zum Bundestagsabge-
ordneten dieser Legislaturperiode gewählt worden. Frau
Nahles ist erst seit kurzem Ministerin. Ich kann nur sa-
gen, dass es mich sehr beeindruckt hat, wie flexibel die-
ses Ministerium mit den großen Anforderungen umgeht.
Dass diese Entwicklung absehbar ist, wussten Sie natür-
lich ganz genau; im Nachhinein ist man ja immer





Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

schlauer. Ich kann nur sagen: Wir können natürlich nur
auf die aktuellen Situationen reagieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn Sie sich in Ihrem Antrag bezüglich MobiPro-
EU ausschließlich auf die Förderpause beziehen, dann
finde ich das schlicht peinlich; denn MobiPro-EU ist das
einzige Programm seiner Art in ganz Europa – das neh-
men Sie bitte zur Kenntnis –, mit dem Fördermittel eines
Staates ausschließlich dafür eingesetzt werden, Jugendli-
che anderer Staaten zu fördern. Ich finde das großartig,
und ich lasse mir das von Ihnen auch nicht schlechtre-
den.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wichtig sind nicht nur der arbeitsmarktpolitische und
der sozialpolitische Nutzen dieses Programms, sondern
auch sein europäischer und völkerverbindender Geist.
Junge Menschen, die in fremden Ländern gelebt haben,
sind immun gegen Fremdenhass und Aggression.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Daran heute, am 8. Mai 2014, 69 Jahre nach Ende des
Zweiten Weltkrieges, zu erinnern, ist mir wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich selber war als junger Mensch ein Jahr im Schüler-
austausch in den USA; das ist über 30 Jahre her. Bei al-
lem Hader, den man fürwahr häufig mit der Politik der
USA haben kann, ist mir bis heute eines geblieben: ein
großes Herz und ein großes Verständnis für die Men-
schen in diesem tollen Land. Ich bin mir ganz sicher,
dass es den Teilnehmern von MobiPro-EU aus ganz Eu-
ropa genauso mit Deutschland gehen wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803309200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Tobias

Zech, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1803309300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Portugal:

Ausstieg in voller Fahrt“. Noch vor drei Jahren hätten
wir mit dieser Schlagzeile etwas anderes assoziiert. Wir
hätten damit assoziiert, dass ein Land aufgegeben wird.
Wir hätten damit assoziiert, dass ein Land vielleicht die
Euro-Zone verlassen muss. Der Titel, den ich Ihnen ge-
rade präsentiert habe, stammt aber von gestern, 7. Mai
2014, Zeit. „Ausstieg in voller Fahrt“ bezeichnet den
Ausstieg aus dem EU-Rettungsschirm. Nach Irland und
Spanien steht auch Portugal wieder auf eigenen Beinen.
n-tv sagt: „Portugal stellt sich wieder in den Wind“. Der
Rückenwind, den wir all diesen Ländern wünschen, wird
auch die anderen betroffenen Länder wieder auf festen
Boden stellen.
Damit ist die Krise garantiert noch nicht überwunden.
Aber der Ausstieg Portugals zeigt ganz deutlich, dass
wir auf dem richtigen Weg sind,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Spinrath [SPD])


auf einem Weg, den die europäischen Länder vor allem
auf der Basis einer stringenten Haushaltsdisziplin ein-
schlagen konnten. Heute haben Investoren wieder Ver-
trauen in das Land. Das portugiesische Haushaltsdefizit
konnte auf 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hal-
biert werden. Das Wichtigste: Die Portugiesen konnten
ihre Glaubwürdigkeit und auch ihr Selbstvertrauen zu-
rückgewinnen. Auch wenn Portugal weiterhin extrem
sparen muss, zeigt sich, dass die durchgeführten Maß-
nahmen, so bitter sie im Einzelnen sind, richtig und
wichtig sind.

Liebe Kollegen von der Linken, Sie kritisieren in Ih-
rem Antrag, dass es kein soziales Europa mehr gibt.
Stimmt das denn? Der Sparkurs verlangte den Menschen
zwar Entbehrungen ab, aber diese Entbehrungen waren
und sind weiterhin notwendig. Wir können nicht so tun,
als hätte es diese Krise nicht gegeben.

Wir diskutieren in etwa acht Minuten über ein ganz
wichtiges Thema, nämlich darüber, wie wir mit den
Flüchtlingen aus Syrien umgehen. Europa hat einen Zu-
strom an Flüchtlingen zu verkraften. Wir sind für die
Welt eine Insel der sozialen Gerechtigkeit, eine Insel der
Sicherheit und eine Insel der Demokratie. Das lassen wir
uns von Ihrem Antrag nicht kaputtreden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, das kann man heute, am 8. Mai – der Kollege
Bartke hat es betont –, noch einmal unterstreichen.

Wir haben – jetzt muss ich mich leider wiederholen,
aber es ist wichtig – drei große Projekte in Europa, die
wir auch als Deutschland unterstützen, nämlich den Eu-
ropäischen Sozialfonds, MobiPro-EU und EURES.

Der Europäische Sozialfonds ist ein Fonds, in den alle
einzahlen, um die Mittel denjenigen, die es am drin-
gendsten brauchen, egal in welchem Land, auszuzahlen.
Mehr als 10 Milliarden Euro jährlich stellt die EU zur
Verfügung. Das sind mehr als 10 Prozent des Gesamt-
haushalts. Dazu kommen noch Gelder der Mitgliedstaa-
ten. Damit wird jährlich 10 Millionen Menschen europa-
weit geholfen.

Der frühverrentete polnische Arbeitnehmer, wegen ei-
ner missglückten Hüftoperation mit Anfang 40 entlas-
sen, wird im Rahmen eines ESF-Programms umge-
schult. Der spanische Mechaniker, der kurz vor der
Insolvenz steht, wird unterstützt. Ebenso profitiert die
griechische Mutter, die nach der Elternzeit erst nach ei-
nigen Schulungen den Wiedereinstieg ins Berufsleben
findet. Der ESF greift also genau dort ein, wo die EU ge-
braucht wird: bei den Menschen, am Arbeitsplatz, in der
Bildung, in der Familie.

Auch hier gibt es natürlich noch Verbesserungsbedarf,
wenn es darum geht, die Mittel vollständig auszuschöp-





Tobias Zech


(A) (C)



(D)(B)

fen, vor allem in bestimmten Ländern; ich denke da an
Rumänien, wo wir langsam in einen Verbesserungspro-
zess eintreten. Aber wir haben schon viel erreicht und
werden natürlich mit Nachdruck weiter daran arbeiten.

Nächstes Beispiel: EURES. Das EURES-Netz bietet
Informationen, Beratung, Vermittlung für Arbeitskräfte
und Arbeitgeber, die vom Recht auf Freizügigkeit Ge-
brauch machen möchten. EURES hat derzeit ein Netz
von mehr als 850 – 850! – Beratern, die in täglichem
Kontakt mit Arbeitsuchenden und Arbeitgebern in ganz
Europa stehen.

Ihre Kritik geht dahin, dass Sie diese Projekte für un-
terfinanziert halten. Sie sehen sie als unverbindlich an
und meinen, dass sie lediglich die Mobilität fördern.
Man kann einmal darauf hinweisen, dass 3,1 Prozent der
EU-Arbeitnehmer in einem anderen Land arbeiten. An-
gesichts von 3,1 Prozent kann, glaube ich, ein bisschen
Förderung von Mobilität nicht schaden. Aber – das ist
mir wichtig und ist auch für die CDU/CSU wichtig –
was wir damit nicht fördern wollen – das haben wir nicht
vor, und das tun wir auch nicht –, ist ein Braindrain auf
der europäischen Fachkräfteebene. Es geht nicht an,
Fachkräfte aus ihren Heimatländern abzuziehen. Ein Ab-
ziehen wäre viel zu kurzfristig gedacht und würde uns in
einigen Jahren mit immensen Kosten belasten. Es ist uns
daher daran gelegen, die Nationen aus sich heraus wie-
deraufzubauen.

Dafür ist zum einen der Europäische Sozialfonds da,
der die Menschen in ihren Heimatländern unterstützt.
Zum anderen bietet EURES die Möglichkeit, wenigstens
einige Jahre Berufserfahrung in einem anderen Land zu
sammeln. Die wenigsten verlassen ihre Heimat, ihre Fa-
milie, ihre Umgebung, ihre Sprache, ihre Sozialisation
gern; viele tun es aber, nutzen die Chancen, um dann
weitergebildet und motiviert in ihr Heimatland zurück-
zukehren.

MobiPro-EU – darüber wurde heute schon mehrmals
gesprochen – ist ein Beispiel für das soziale Europa. Es
ist ein exklusives Programm, das in Deutschland einzig-
artig ist. MobiPro-EU ist das Angebot, eine hervorra-
gende Ausbildung zu absolvieren. Es ist ein wichtiger
Schritt, anderen europäischen Ländern unsere duale
Ausbildung näherzubringen. Gerade für die Länder, in
denen es das duale Ausbildungssystem gar nicht gibt, ist
das eine Riesenchance.

Was die Finanzierung angeht – das haben wir heute
gehört –, werden alle Anträge bis zum 8. April noch ab-
gearbeitet. Wir haben heuer die Mittel in einem Kraftakt
verdreifacht. Das muss ich schon noch einmal sagen:
Hätte das Programm nicht gegriffen, dann hätten wir uns
heute von Ihnen anhören müssen, dass wir falsche Mittel
oder falsche Methoden gewählt haben, etwas gefördert
haben, was niemanden interessiert. Jetzt haben wir einen
Erfolg, und dann lassen Sie uns diesen Erfolg doch bitte
auch einmal so benennen und das nicht schon wieder
schlechtreden, wenn wir gemeinsam diesen Kraftakt mit
der Verdreifachung der Mittel heuer geschafft haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Welche Möglichkeiten schafft dieses soziale Europa?
Europäische Jugendliche können die Chance nutzen, ein
anderes Land kennenzulernen, sich über Kulturen auszu-
tauschen, eine neue Sprache zu erlernen und sich hier
ausbilden zu lassen – MobiPro-EU –, oder sie können
die Chance nutzen, im Ausland zu arbeiten und Berufs-
erfahrung zu sammeln – EURES –, oder sie können För-
derungsmaßnahmen im eigenen Land wahrnehmen –
ESF.

Liebe Kollegen, wir sind damit sicher nicht am Ende
unserer Maßnahmen. Aber wir leben mitten in einem so-
zialen Europa mit einigen hervorragenden sozialen Er-
rungenschaften. Wir müssen natürlich noch viel tun. Ins-
besondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den
südeuropäischen Ländern bringt eine Situation mit sich,
die sich keiner von uns wünscht. Wir dürfen aber auch
nicht vergessen, dass die Euro-Krise noch nicht lange
her ist, viele Länder noch mittendrin stecken und wir
Zeit brauchen, um uns wieder auf einem hohen Niveau
einzupendeln. Das müssen wir mit aller Kraft gemein-
sam vorantreiben.

Es gilt, jungen Menschen eine Zukunft zu bieten. Da-
ran arbeiten wir in der EU schon sehr aktiv. Ein Beispiel:
die Jugendgarantie. Damit soll gewährleistet werden,
dass allen Europäern unter 25 Jahren binnen vier Mona-
ten nach Erhalt ihres Abschlusses bzw. nach Verlust ih-
res Arbeitsplatzes ein neuer Job oder eine Ausbildung
angeboten wird.

Das soll jedoch nicht, wie Sie es vorschlagen, gesche-
hen, indem wir einen EU-weiten Mindestlohn festlegen.
Viele europäische Länder haben bereits den Mindest-
lohn, und wir werden ihn heuer auch in Deutschland
einführen. Diese Länder haben ihn nach ihren Möglich-
keiten festgelegt. Einen einheitlichen Standard zu defi-
nieren, indem wir ein 60-Prozent-Minimum festlegen,
schafft ein erneutes Ungleichgewicht in Bezug auf die
Leistungsfähigkeit der Länder.

Bleiben wir aber bei den geplanten Maßnahmen. Im
April hat das EU-Parlament ein Paket von Maßnahmen
angenommen, mit dem sichergestellt werden soll, dass
künftig die Banken das Risiko für ihr Scheitern tragen
und nicht der Steuerzahler. Drei Gesetzesvorlagen wur-
den dafür auf den Weg gebracht. Sie beziehen sich auf
die Restrukturierung und Abwicklung maroder Banken
sowie auf die Erneuerung der Systeme zur Einlagen-
sicherung bis zu 100 000 Euro.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch auf
„Europa 2020“ hinweisen. Das ist eine Wachstumsstrate-
gie der EU für eine intelligente, nachhaltige und integra-
tive Wirtschaft in Europa. Diese drei Prioritäten, die sich
gegenseitig verstärken, helfen der EU und den Mitglied-
staaten, ein hohes Maß an Beschäftigung, Produktivität
und sozialem Zusammenhalt zu erreichen. Jeder Mit-
gliedstaat hat für die Bereiche Beschäftigung, Innova-
tion, Bildung, soziale Integration, Armutsbekämpfung
sowie Klima und Energie seine eigenen nationalen Ziele
festgelegt. Ferner wird diese Strategie durch konkrete
Maßnahmen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten
untermauert. Dabei geht es vor allem darum, Arbeits-
plätze zu schaffen. Arbeitsplätze schaffen die Unterneh-
men. Daher darf neben all den sozialen Aspekten auch





Tobias Zech


(A) (C)



(D)(B)

die Wirtschaft nicht vergessen werden. Die dürfen wir in
diesem Punkt nicht aus dem Blick verlieren.

Was die CDU/CSU bei der Europawahl erreichen
will, haben meine Vorredner schon zur Genüge ausge-
führt. Ich glaube, dafür haben wir besten Rückenwind.
Wir werden die positive Bilanz dieser Wahlperiode und
der letzten Wahlperiode in der nächsten nur noch stei-
gern können.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: In Bayern brauchen wir Wahlbeobachter!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803309400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Norbert Spinrath, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1803309500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Europa war und ist das
Versprechen auf Frieden. Wir haben eben von mehreren
Rednern gehört, dass das Stichwort „Frieden“ in einem
wichtigen Zusammenhang mit dem heutigen Datum
steht. Europa war und ist ein Versprechen auf Frieden
und Wohlstand. Ich sage aber auch: Um beides muss be-
ständig gerungen werden. Wir dürfen das nicht als gege-
ben hinnehmen. Es muss – nicht nur bei jeder Wahl, son-
dern auch bei jeder einzelnen politischen Entscheidung –
beständig darum gerungen werden.

In Zeiten der Globalisierung kann Wohlstand aber
nicht mehr nur in nationalen Grenzen gesichert werden.
Deutschland als Exportnation hängt in ganz besonderem
Maße vom Wohlergehen und von der wirtschaftlichen
Prosperität seiner Nachbarn ab. Offene Grenzen für
Menschen – also auch für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer – bedingen gemeinsame Regelungen zur
Sicherung der Rechte der Menschen, die jenseits ihres
Heimatlandes Arbeit suchen und finden.

Wir brauchen ganz klare und gerechte Regeln der
Entlohnung und der Rechte auf Urlaub, Absicherung
und Mitbestimmung. Diese Ziele hat Michael Gerdes
eben sehr deutlich ausgeführt. Dazu gehört aber auch das
Modell eines europäischen Mindestlohns, der sich am
Bruttoinlandsprodukt und am Preisniveau des jeweiligen
Mitgliedstaates orientiert. Die weltweite Finanzkrise hat
auch Europa getroffen. Sie hat Europa auch erschüttert.

Dabei sind bei der Bewältigung der Krise in Irland,
Spanien und Portugal inzwischen Erfolge zu verzeich-
nen. Selbst Griechenland konnte sich zuletzt wieder an
den Märkten finanzieren. Das zeugt von wiederherge-
stelltem Vertrauen der Märkte in die Krisenländer und
auch in die Gemeinschaft. Im Falle des Falles wird es
funktionierende Rettungsinstrumente der EU geben.

Allerdings – auch das sage ich in aller Deutlichkeit –
sind in der Vergangenheit gravierende Fehler gemacht
worden. Die Hilfe erreichte die betroffenen Länder oft
zu spät. Dadurch ist Unsicherheit gewachsen. Spekula-
tionen sind überhaupt erst ermöglicht und der Schaden
enorm vergrößert worden. Im Falle Griechenlands konn-
ten die Spekulanten nur deshalb ihr schändliches Spiel
betreiben und weitere Länder mit in den Strudel ziehen,
weil zu lange gezögert wurde. Das war zum Teil nicht
nur Schuld der Troika aus EZB, EU-Kommission und
Internationalem Währungsfonds. Oft haben auch die Re-
gierungen der betroffenen Länder lieber Renten gekürzt,
als die Steuern erhöht. Ist das ein soziales Europa?


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])


Die Krise hat genau die Länder getroffen, die struktu-
rell schwach und damit anfällig waren. Die Hilfe für Kri-
senländer – das muss die Lehre sein – muss immer zwei
Dimensionen haben: erstens das sofortige Wiederher-
stellen von Vertrauen bzw. – für den Fall, dass das nicht
gelingt – einen Ersatz für die Marktkredite und zweitens
mittel- und langfristig die Beseitigung der strukturellen
Schwächen der Volkswirtschaft, um die heimische Wirt-
schaft wieder auf feste Füße zu stellen und damit eben
auch die Arbeitsplätze zu sichern.

Die einseitige und schnelle Kürzung der Ausgaben
dagegen führte zu einer noch tieferen Rezession; denn
nun kamen zu den Ausfällen der öffentlichen Ausgaben
auch noch die Schwächen der Wirtschaft hinzu. Die
reine Fixierung auf eine schnelle Konsolidierung der öf-
fentlichen Haushalte war ein Fehler. Damit wurde der
Sozialstaat an die Grenzen der Handlungsfähigkeit ge-
bracht. Diese Fehler haben zu massiven Verwerfungen
geführt und müssen nun mühsam repariert werden.

Ich glaube, auch an diesem Punkt ist erkennbar, dass
sich seit der letzten Bundestagswahl etwas geändert hat.
Wir haben deutlich gemacht und deutlich in den Koali-
tionsvertrag zwischen Union und SPD hineingeschrie-
ben, dass wir nicht nur eine Haushaltskonsolidierung
brauchen, sondern daneben auch zwingend auf Pro-
gramme für Wachstum und Beschäftigung setzen müs-
sen, um der sozialen Dimension gerecht zu werden. Wir
brauchen kluge Steuerungsinstrumente statt reiner Spar-
politik. Wir brauchen effektive nationale Steuersysteme,
um auch Unternehmen und vermögende Privatleute mit
einem Beitrag an den Kosten beteiligen zu können. Wir
brauchen Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung,
die, wie ich schon sagte, gleichberechtigt neben der
Haushaltskonsolidierung stehen. Wir müssen, wenn wir
das soziale Europa ernst nehmen, die durch die Sparpoli-
tik entstehenden Belastungen gleichmäßig verteilen, da-
mit diese nicht einseitig von den sogenannten kleinen
Leuten getragen werden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schlimmer noch wirkt das verloren gegangene Ver-
trauen gerade unter den Jüngeren. Sie sind eben nicht
diejenigen, die für die Krise verantwortlich sind, aber sie
sind die Leidtragenden dieser Krise. Deshalb müssen wir
ihnen Zukunft geben.


(Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])






Norbert Spinrath


(A) (C)



(D)(B)

In den Krisenländern ist die Arbeitslosigkeit, insbe-
sondere unter den Jugendlichen, inakzeptabel hoch, in
einigen Ländern liegt sie nahe bei oder über 50 Prozent.
Die in der Beschäftigungsinitiative eingeplanten 6 Mil-
liarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslo-
sigkeit müssen deshalb jetzt schnell eingesetzt werden.
Die auf europäischer Ebene vereinbarte Jugendgarantie
muss jetzt zügig in den einzelnen Ländern umgesetzt
werden. Das Ziel muss sein, jedem Jugendlichen eine
Ausbildung und einen Arbeitsplatz zu garantieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch Deutschland – darauf ist heute schon mehrfach
hingewiesen worden – leistet seinen Beitrag. Viele ar-
beitslose, aber bereits gut ausgebildete junge Menschen
sollen durch das Programm MobiPro-EU eine Chance
bekommen, in Deutschland zu arbeiten. Matthias Bartke
hat dazu eben sehr eindrucksvoll ausgeführt. Ich sage:
Die Nachfrage zeigt, dass dieses Programm richtig ist
und gebraucht wird. Ich sage aber auch klar – ich denke,
da bin ich mir dann mit dem Kollegen Zech von der
Union einig –: Es darf nicht sein, dass wir unseren teil-
weise auch selbstverschuldeten Fachkräftemangel allein
mit jungen Menschen aus den Krisenländern lösen und
dass wir dort einen Braindrain auslösen, der mittel- und
langfristig den wieder in Gang gebrachten Konjunktur-
motor abwürgt, weil im Herkunftsland die dringend be-
nötigten Fachkräfte fehlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nach wie vor ist der soziale Bereich eine nationale
Domäne, aber der gemeinsame Binnenmarkt macht an
den nationalen Grenzen nicht halt. Deshalb brauchen wir
gemeinsame Prinzipen und Kriterien zur Bekämpfung
von Lohn- und Sozialdumping. Das sage ich ganz be-
wusst im Deutschen Bundestag; denn gerade in Deutsch-
land sind uns diese Vokabeln leider nicht fremd.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten er-
fordern auch grenzüberschreitende Arbeitnehmerrechte.
Es helfen nur klare Regeln und effiziente Kontrollen.
Wir brauchen das Prinzip „gleicher Lohn und gleiche
Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen
Ort“, das hat Dagmar Schmidt eben sehr deutlich gesagt.
Wir müssen die Entsenderichtlinie auch in ihrer verän-
derten Form weiter stärken, um den zunehmenden Miss-
brauch von Entsendungen, Werkverträgen und Subunter-
nehmeraufträgen einzudämmen. Es gibt noch so viele
Schlupflöcher, die auch in der neuen Version zu stopfen
sind. Das sollten wir jetzt zügig angehen.

Wir haben bereits eine Menge von Details im Koali-
tionsvertrag vereinbart, in welcher Hinsicht Europa so-
zial werden muss. Die soziale Dimension mit grenzüber-
schreitenden Arbeitnehmerrechten, national definierten
Mindestlöhnen und sozialen Grundrechten muss gleich-
rangig neben die Marktfreiheiten des Binnenmarktes ge-
stellt werden. Sozialpolitik muss stärker koordiniert wer-
den. Die Gewährleistung sozialer Rechte und Standards
und verbindliche sozialpolitische Ziele gehören dazu.
Ich denke, die Zukunft eines Europas der Bürgerinnen
und Bürger hat nur dann eine Chance, wenn die Bürge-
rinnen und Bürger dieses Europa und die europäische
Idee für sich begreifen und sich damit identifizieren. Da-
mit alle Menschen etwas von Europa haben, muss Eu-
ropa sozialer, demokratischer und auch solidarischer
werden. Die Menschen müssen erkennen können, dass
sie etwas von Europa haben.

Ein soziales Europa ist der Motor für unsere Wirt-
schaft und damit für den Arbeitsmarkt in Deutschland;
dass beides zusammengehört, hat Waltraud Wolff eben
sehr eindrucksvoll festgestellt. Ein soziales Europa ver-
teilt die Belastungen aus der Sparpolitik gleichmäßig
und nicht nur einseitig auf die sogenannten kleinen
Leute. Auch diejenigen müssen an den Kosten beteiligt
werden, die sie verursacht haben. Ein soziales Europa
stellt zur Lösung von Krisen Maßnahmen für Wachstum
und Beschäftigung gleichberechtigt neben die Haus-
haltskonsolidierung, lässt die Menschen in sozialer Si-
cherheit leben und sichert damit sozialen Frieden.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803309600

Herr Kollege, die Zeit!


Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1803309700

Liebe Kolleginnen und Kollegen – das ist mein

Schlusssatz; herzlichen Dank, Herr Präsident –, nur dort,
wo sozialer Frieden herrscht, kann wirtschaftlicher
Wohlstand wachsen. Ich will weiter für ein soziales Eu-
ropa arbeiten, für ein Europa der Bürgerinnen und Bür-
ger, das nicht nur Banken rettet.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803309800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/1116 und 18/1343 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 a sowie den Zu-
satzpunkt 3 auf:

6 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD

Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Un-
terstützung für die Nachbarstaaten

Drucksache 18/1333

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfe für die Flüchtlinge aus Syrien – Unter-
stützung für die Nachbarstaaten

Drucksache 18/1335





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich erteile als erstem Redner das Wort Bundesminis-
ter Dr. Gerd Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren!

Wartet nicht länger! Handelt! Handelt jetzt, um das
Massaker in Syrien zu beenden!

Das waren die Worte von Ban Ki-moon schon vor zwei
Jahren. Leider hat dieser Appell auch am heutigen Tag
nichts an Aktualität verloren; denn die Situation in und
um Syrien hat sich seither leider dramatisch verschlech-
tert.

Deshalb bin ich allen Bundestagsfraktionen sehr
dankbar für diese Debatte. Wir müssen Öffentlichkeit
schaffen. Wir dürfen die Menschen in Syrien nicht al-
leine lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit müssen auf die-
sen Krieg, die größte humanitäre Katastrophe der letzten
Jahrzehnte, gerichtet werden. Diese Bundestagssitzung
leistet einen Beitrag dazu.

Wer stoppt Assad? Das ist die politische Frage. Die
Weltvölkergemeinschaft, die UN, die USA, Russland,
Europa, Deutschland, wir alle müssen einen erneuten,
auch politischen Vorstoß unternehmen, um die Kampf-
handlungen in Syrien zu stoppen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Elend in Syrien ist gewaltig: 150 000 Tote in zwei
Jahren – man muss sich diese unglaubliche Zahl einmal
vorstellen –, Folter, Giftgas, Streubomben. 10 Millio-
nen Flüchtlinge in einem Land mit 22 Millionen Ein-
wohnern. Das heißt, jeder zweite Syrer ist im eigenen
Lande oder außerhalb des Landes auf der Flucht.
4,5 Millionen Syrer sind in den Nachbarländern als
Flüchtlinge registriert und untergekommen.

Im Libanon, in diesem kleinen Land – die Ausschuss-
vorsitzende Frau Wöhrl war mit einer Delegation in den
vergangenen Tagen dort –, gibt es 1 Million Flüchtlinge.
Das muss man sich einmal vorstellen. Dort sitzen zum
Beispiel in vielen Schulen mehr syrische Flüchtlingskin-
der in den Schulbänken als einheimische Schülerinnen
und Schüler; Gott sei Dank werden sie in den dortigen
Schulen offen aufgenommen. Es kommt hier zu einer
vollkommenen Überlastung der Infrastruktur.

Die Türkei – Frau Roth, unsere Vizepräsidentin, war
dort in mehreren Regionen unterwegs und wird darüber
in ihrer Rede berichten – leistet Großartiges. Wir danken
der türkischen Regierung an dieser Stelle für den großar-
tigen humanitären Einsatz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


1,2 Millionen Flüchtlinge gibt es in Jordanien. Als ich
dort vor wenigen Wochen ein Flüchtlingslager besucht
habe, hat mich am meisten eine Stadt nahe der syrischen
Grenze beeindruckt. Diese Stadt mit 60 000 Einwohnern
hat in den letzten zwei Jahren – das muss man sich ein-
mal vorstellen – 120 000 syrische Flüchtlinge aufge-
nommen, das Doppelte der Einwohnerzahl, und zwar
ohne Zelte, einfach in den vorhandenen Häusern und
Strukturen. Ich habe eine Bauernfamilie besucht: ein-
fach, arm, mit fünf Kindern und 20 Ziegen. Der Bauer
hat seinen Ziegenstall ausgeräumt. In diesem Stall lebt
eine syrische Flüchtlingsfamilie mit fünf Kindern: ein
Baby auf dem Arm, der 16-Jährige verwundet, ihm fehlt
ein Fuß. – Das ist die Situation in Jordanien. Ich muss
sagen: Großer Respekt! Auf der jordanischen Seite er-
lebt man Helden, die mit Offenheit und Solidarität den
syrischen Flüchtlingen begegnen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen vor Ort sind großartig und leisten Heraus-
ragendes.

Zur Lage in Syrien möchte ich ein paar Fakten nen-
nen. Die Situation im Lande selber ist unsäglich. Die
Bilder der Fernsehkameras, die bei uns, die in Politik
und Öffentlichkeit, die in der Gesellschaft Betroffenheit
schaffen, fehlen – fast hätte ich gesagt: leider. Die Lage
in Syrien ist dramatisch. Es gibt eine hohe Zahl von Bin-
nenvertriebenen, und die Bevölkerung in den umkämpf-
ten Gebieten wird als Geisel des Regimes genommen:
ohne Essen, ohne Strom, ohne Wasser. Bis zu 1 Million
Menschen sind ohne Zugang zu humanitären Hilfsor-
ganisationen. Das gab es in den letzten 40 Jahren in
Bürgerkriegsverhältnissen nicht. Kein Zugang zu hu-
manitärer Hilfe, keine humanitären Korridore – das ist
Völkermord im eigenen Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die UN, Europa und wir dürfen nicht nachlassen, dies
anzuprangern. Wir müssen natürlich nach politischen
Lösungen suchen. Es müssen wieder alle an den Ver-
handlungstisch, um die Gespräche in Genf – Genf II,
Genf III – erneut aufzunehmen und fortzusetzen. Die
Bundesregierung hat seit Beginn der Krise mehr als eine
halbe Milliarde Euro an Hilfsleistungen erbracht. Das sei
auch der deutschen Öffentlichkeit gesagt: Meine Damen
und Herren, Zuhörinnen und Zuhörer, durch Entwick-
lungsarbeit, humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes
und des Entwicklungsministeriums retten wir Tausende
von Menschen vor Tod, vor Elend und vor Hunger. Das
BMZ, unser Ministerium, hat mit der Einrichtung der
Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flücht-
linge reintegrieren“ reagiert. Ich danke den Haushalts-





Bundesminister Dr. Gerd Müller


(A) (C)



(D)(B)

politikern. Wir sind mit entsprechenden Haushaltsmit-
teln versorgt worden. Wir werden unsere Unterstützung
weiter verstärken. Wir helfen vor Ort.

Meine Damen und Herren, natürlich ist auch die Be-
völkerung aufgerufen, zu spenden. Leider ist die Spen-
denbereitschaft in der Gesellschaft für Syrien nicht sehr
groß. Das Elend dort ist groß. Die Menschen dort brau-
chen die Hilfe unserer Bevölkerung. Ich unterstütze hier
den Spenden- und Unterstützungsaufruf unserer Hilfsor-
ganisationen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mein besonderer Dank gilt allen Mitarbeitern der Or-
ganisationen, die in Syrien unter Einsatz ihres Lebens tä-
tig sind. Ich kann nicht alle aufzählen. Aber ich nenne
beispielhaft die Kirchen, die politischen Stiftungen, die
Welthungerhilfe – ich selber habe UNICEF vor Ort gese-
hen –, das Rote Kreuz, die Malteser, Ärzte ohne Gren-
zen, SOS-Kinderdörfer. Alle Helfer der internationalen
Hilfsorganisationen sind unter Einsatz ihres Lebens in
Syrien.

Wir schaffen auch vonseiten der deutschen Politik
über die humanitäre Hilfe hinaus Perspektiven. Ich habe
gestern – das war für mich interessant und sehr überra-
schend – die ehemalige Präsidentin des Deutschen
Bundestages, Frau Professor Süssmuth, getroffen. Der
Deutsche Volkshochschul-Verband hat Bildungszentren
in Jordanien eingerichtet. Dort werden junge syrische
Flüchtlinge ausgebildet. Wir müssen auch an die Zeit da-
nach denken; denn sie müssen wieder zurück. Zur Re-
integration und zum Wiederaufbau des Landes wird das
BMZ zusammen mit der Deutsch-Jordanischen Hoch-
schule in Amman, in Grenznähe zu Syrien, einen eige-
nen Studienzweig für syrische Jugendliche – Techniker-,
Handwerkerausbildung – einrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke aber – das sage ich angesichts der Dramatik
des Problems vor der Haustüre Europas, 300 Kilometer
von Zypern entfernt, ganz bewusst –, die EU muss mehr
leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie bringen das in Ihren Anträgen zum Ausdruck. Dies
betrifft die Mitgliedstaaten bei der Aufnahme syrischer
Flüchtlinge. Die Bereitschaft dazu ist in einigen Staaten
Europas beschämend gering. Ich frage in Richtung der
Europäischen Kommission: Wo bleibt die Reaktion aus
Brüssel? – Wir brauchen einen Sonderrat zur Lage der
Flüchtlinge aus Syrien.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Ihn einzurichten, wurde bisher verweigert. Wir brauchen
ein europäisches Sonderprogramm zur Unterstützung
der Anrainerländer, für humanitäre Hilfe und Krisenbe-
wältigung. Meine Damen und Herren, wo können EU-
Gelder sinnvoller eingesetzt werden als hier, im Rahmen
einer Initiative der Europäischen Union für Syrien?


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was die Europäische Union hier geleistet hat, ist nicht
ausreichend. Umso wichtiger ist diese Debatte, weil wir
damit Initiativen anstoßen und dazu beitragen, dass sich
die Öffentlichkeit für dieses Thema nicht nur interes-
siert, sondern dafür gewonnen werden kann.

Ich bedanke mich bei Ihnen. Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803309900

Herzlichen Dank, Herr Bundesminister. – Nächste

Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803310000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

keine Frage: Es ist gut und richtig, dass die Bundesrepu-
blik schon einiges getan hat, um syrische Flüchtlinge
hier in Deutschland zu unterstützen; es wurde im Antrag
der Koalition ausführlich dargelegt. Wichtig ist aber,
was nicht im Antrag steht und worüber der Antrag
schweigt: Er schweigt darüber, dass es keine sicheren
Wege für Flüchtlinge in die EU gibt. Er schweigt leider
auch darüber, dass es eine Beteiligung Deutschlands an
der Abschottung der Grenzen Europas gibt. Und er
schweigt darüber, welche tödlichen Folgen in diesem
Zusammenhang auch für syrische Flüchtlinge zu bekla-
gen sind. Deswegen sagt die Linke eindeutig: Wir sind
es den Opfern und ihren Familien schuldig, hierüber
nicht zu schweigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn man kann nicht Grenzen abschotten und dann so
tun, als ob man humanitäre Politik macht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die ungefährlichste
Fluchtroute für syrische Flüchtlinge führt über Land,
über die Türkei nach Griechenland. Durch Zäune und
Stacheldraht wurde dieser Weg unpassierbar gemacht.
Wer den Fluchtweg über die Ägäis sucht, gerät in Ge-
fahr, vom griechischen Grenzschutz brutal zurückgewie-
sen zu werden oder zu ertrinken. In dieser Woche sind
wieder 24 Opfer zu beklagen, Bootsflüchtlinge in der
Ägäis. Auch das gehört zur europäischen Abschottungs-
politik, und das ist nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, da ihnen der Weg über
Griechenland versperrt wurde, mussten syrische Flücht-
linge in Richtung Bulgarien ausweichen. 2013 kamen
11 000 Asylsuchende, über die Hälfte von ihnen Syrer,
nach Bulgarien; das waren zehnmal mehr als in den Jah-





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

ren zuvor. Diese Menschen wurden in provisorischen
Aufnahmelagern in Käfige gesperrt. Sie mussten hun-
gern, sie wurden misshandelt, und sie wurden gedemü-
tigt. Trotz dieser Zustände schiebt Deutschland Flücht-
linge nach Bulgarien ab, weil Bulgarien formal für die
Asylverfahren zuständig ist. Dieser Umgang mit schutz-
suchenden Menschen ist schlicht menschenverachtend.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Seit März 2014 haben sich die Verhältnisse im bulga-
rischen Asylsystem zwar verbessert – die Aufnahmela-
ger sind lange nicht mehr so überfüllt –; aber das liegt
keineswegs daran, dass die Politik humaner geworden
ist. Nein, im Gegenteil: Im November 2013 wurde die
Grenze zu Bulgarien für Flüchtlinge schlichtweg dicht-
gemacht. 1 500 Polizisten wurden dorthin verlegt, und
die Grenze wurde auf einer Länge von 33 Kilometern
mit einem Zaun versehen. Dementsprechend werden die
Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt. Es ist nicht
hinnehmbar, dass Europa es zulässt, dass Zäune gebaut
werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Flüchtlinge, die nach Bulgarien und damit nach
Europa wollen, werden mit Kameras und Sensoren über-
wacht. Herr Minister Müller, auch das wird mit EU-Gel-
dern finanziert. Ich bitte Sie: Lesen Sie die Berichte von
Amnesty International, von Human Rights Watch oder
von vielen Flüchtlingsorganisationen, die zeigen, wie
brutal dort mit Flüchtlingen umgegangen wird. Gegen
diesen Skandal muss die Bundesregierung ihre Stimme
erheben.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden uns bei der Abstimmung über die An-
träge enthalten, weil es nicht ausreicht, sich ausschließ-
lich damit zu brüsten, was man alles schon getan hat;
was wir überhaupt nicht bezweifeln. Die Bundesrepublik
kann und muss tatsächlich noch mehr tun.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


In den Anträgen wird zwar formuliert, dass der Druck
auf die europäischen Staaten, syrische Flüchtlinge aufzu-
nehmen, erhöht werden soll, aber das bedeutet nicht,
dass das auch umgesetzt wird. Hier muss Politik ge-
macht werden. Man kann nicht auf der einen Seite im
Grunde genommen gegen Flüchtlinge aufrüsten – ich
nenne nur EUROSUR, die vielen Maßnahmen, die er-
griffen worden sind, um Frontex aufzurüsten, und ande-
res mehr –, und auf der anderen Seite sagen: Es muss un-
bedingt humanitäre Hilfe geleistet werden.

Seien Sie konsequent in Ihrer Flüchtlingspolitik! Wir
versuchen es auch. Die Linke hat einen eigenen Antrag
vorbereitet, über den wir im Innenausschuss noch disku-
tieren werden. So, wie die Politik der Bundesregierung
gegenwärtig gestaltet wird, kann es nicht weitergehen.
Man kann nicht repressiv und gleichzeitig human sein.
Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1803310100

Nächster Redner ist für die Sozialdemokraten der

Kollege Niels Annen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1803310200

Vielen Dank, Herr Präsident! – Vor einigen Tagen

habe ich das Flüchtlingslager al-Zaatari in Jordanien be-
sucht. Die Größe des Flüchtlingslagers sagt etwas über
die Dimension des Konfliktes. Mit über 100 000 Men-
schen ist al-Zaatari inzwischen die drittgrößte Stadt Jor-
daniens und das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt.

Wer sich auf ein Gespräch mit den Flüchtlingen ein-
lässt, der – das kann ich Ihnen sagen – braucht gute Ner-
ven; denn dieser Krieg ist eine der größten Tragödien
unserer Zeit, und das nicht nur, weil er bisher über
150 000 Menschen das Leben gekostet hat. Dieser Krieg
hat den Nahen Osten grundlegend verändert.

In Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, er-
innern wir uns in diesen Tagen daran, dass vor 100 Jah-
ren der Erste Weltkrieg ausgebrochen ist. Gleichzeitig
werden wir Zeuge, wie die von den ehemaligen Koloni-
almächten konzipierten nahöstlichen Grenzen – Stich-
wort „Sykes-Picot-Abkommen“ – zusammenbrechen.
Die Folgen für die Stabilität in der Region, aber auch für
unsere Sicherheit sind unabsehbar.

Ich habe den Eindruck, dass wir uns als Bundesrepu-
blik Deutschland insgesamt zu wenig mit der dramati-
schen Entwicklung in Syrien auseinandersetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU])


Im dritten Kriegsjahr müssen wir feststellen: Nicht nur
weite Teile des Landes, auch die Idee, das Konzept Sy-
rien, ist durch diesen Krieg zerstört worden; denn es gibt
heute keine relevante politische oder militärische Kraft
mehr, die um den Erhalt dieses Staates kämpft. Religiöse
und ethnische Entitäten sind an diese Stelle getreten, und
damit wächst die Gefahr weitreichender ethnischer Säu-
berungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben einen
Krieg aller gegen alle. Die Opposition kämpft gegen
Assad, führt aber auch gleichzeitig Krieg untereinander.
Selbst Experten, die sich schon seit vielen Jahren mit der
Region beschäftigen, haben Schwierigkeiten, noch
durchzublicken und die Lage sowie die wechselnden
Koalitionen zu analysieren.

Der Krieg ist aber auch ein regionaler Krieg. Präsi-
dent Assad kann sich auf die massive Unterstützung des
Iran und der Truppen der Hisbollah verlassen, ohne die
er nicht überleben kann. Zudem schützt ihn – das wissen
wir alle – das russische Veto im Sicherheitsrat. Doch





Niels Annen


(A) (C)



(D)(B)

umgekehrt gilt auch: Ohne die Unterstützung durch die
Golfstaaten und Saudi-Arabien, aber auch Teile der Tür-
kei wäre die Opposition nicht in der Lage, den Kampf
fortzusetzen. Der weltweit eskalierende Konflikt zwi-
schen Sunniten und Schiiten schlägt sich in aller Härte
auch in Syrien nieder.

Es ist noch gar nicht so lange her, 2012 sagte ein opti-
mistischer amerikanischer Präsident: Unser Ziel ist es,
al-Qaida zu zerstören, und wir sind auf einem guten Weg
dorthin. – Das war die Hoffnung. Doch diese Aussage
hat sich als verfrüht erwiesen; denn al-Qaida ist längst
ein wichtiger Akteur in der Region, ohne dass die deut-
sche Öffentlichkeit von der Dramatik dieser Situation
ausreichend Kenntnis genommen hätte. Mit al-Nusra
und ISIL bekämpfen sich sogar gleich zwei mit al-Qaida
verbündete Milizen in Syrien, in einem Bürgerkrieg im
Bürgerkrieg.

Um es klar zu sagen: Beenden wir diesen Krieg nicht
so schnell wie möglich, werden auch wir in Deutschland
und Europa mit einem Terrorismusproblem konfrontiert
werden, dessen Ausmaße wir nur erahnen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Etwa 250 deutsche Staatsbürger haben bisher in Syrien
aufseiten der Islamisten gekämpft, und geschätzte 20 ha-
ben dabei ihr Leben verloren. Diejenigen, die zurück-
kehren, tragen den Hass, die Radikalisierung mit sich
und damit natürlich auch eine Gefährdung für unsere Si-
cherheit.

Unterdessen strömen Millionen von Flüchtlingen un-
aufhaltsam in die Nachbarländer. Im bereits erwähnten
Camp al-Zaatari ist es unter der Leitung eines deutschen
UNHCR-Mitarbeiters, Herrn Kleinschmidt, gelungen,
die Sicherheitslage im Camp zu verbessern und Prostitu-
tion, Schwarzmarkt und Menschenhandel zurückzudrän-
gen. Das UNHCR stellt sich auf eine lange, möglicher-
weise noch jahrelange Verweildauer der Flüchtlinge ein.

Besonders dramatisch ist die Lage im Libanon. Über
1 Million Flüchtlinge kommen auf nur 4,2 Millionen
Einwohner. Die humanitäre Lage dort ist besonders
schwierig, auch weil es dort im Gegensatz zur Türkei,
die zu Recht gelobt und erwähnt worden ist, und Jorda-
nien keine organisierten Lager gibt. Inzwischen befinden
sich überall im Land Flüchtlinge. Wohnraum ist zum Lu-
xus geworden. Bis zum letzten Kellergewölbe werden
Unterkünfte vermietet – zu horrenden Preisen. Beson-
ders schlimm ist die Lage in den provisorischen Zeltla-
gern. Ich hatte Gelegenheit, ein Lager in der Bekaa-
Ebene zu besuchen. Zudem droht das Land selber in den
Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Während die
Hisbollah in Syrien kämpft, radikalisieren sich sunniti-
sche Kämpfer im Libanon und greifen schiitische Ein-
richtungen an.

So wie sich die Lage zurzeit darstellt, müssen wir uns
und die deutsche Öffentlichkeit auf einen langen Krieg
einstellen. Und das bedeutet: Wir werden mehr tun müs-
sen, um die Nachbarstaaten und die Vereinten Nationen
in die Lage zu versetzen, damit umzugehen. Und ja, wir
werden auch mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allein die Aufnahmestelle des UNHCR, die ich in
Beirut besucht habe, registriert jeden Tag 2 000 Flücht-
linge. Das ist eine von vier Aufnahmestellen. Besonders
wichtig scheint mir zu sein, dass wir auch und gerade
den Gemeinden in Jordanien, im Libanon und in der
Türkei, die unter dieser Last zu leiden haben, unter die
Arme greifen, damit es nicht zu weiteren sozialen Span-
nungen kommt. 9,3 Millionen Menschen in Syrien sind
auf humanitäre Hilfe angewiesen. Deswegen ist es gut,
dass das Auswärtige Amt die Hilfe für das UNHCR auf-
stockt.

Wir dürfen auch das Flüchtlingswerk für die palästi-
nensischen Flüchtlinge nicht vergessen; denn die erlei-
den gerade eine doppelte Tragödie; darauf ist schon hin-
gewiesen worden. Das Lager Yarmouk in Damaskus
bietet ein Ausmaß an Zerstörung und Zynismus, das
kaum zu fassen ist.

Doch alle Hilfe, über die wir hier sprechen müssen,
wird nicht ausreichen, wenn es nicht gelingt, wieder ei-
nen politischen Prozess zu initiieren. Der UN-Gesandte
Lakhdar Brahimi hat neulich gesagt – ich weiß nicht, ob
Sie das gesehen haben –, dass er jeden Tag, wenn er auf-
steht, daran denkt, zurückzutreten. Man kann es ihm
nicht übel nehmen; denn nach dem Scheitern der Genfer
Verhandlungen hat man den Eindruck, dass niemand
mehr auf eine politische Lösung setzt, sondern alle, auch
unsere eigenen Verbündeten, auf eine militärische Lö-
sung setzen. Ich sage deswegen: Die Prioritäten unseres
Außenministers sind richtig: deutscher Beitrag zur Ver-
nichtung von Massenvernichtungswaffen, mehr zur Ver-
besserung der humanitären Situation in Syrien tun und
den Terrorismus bekämpfen.

Um diesen Krieg zu beenden, müssen wir bereit sein,
mit allen Parteien zu reden, innerhalb und außerhalb Sy-
riens. Die Unterstützung islamistischer Kämpfer aus
dem Ausland wird nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Wir haben in Afghanistan schon einmal erlebt, dass sie
die Waffen dann gegen die richten, von denen sie sie be-
kommen haben.

Diese militärische Logik müssen wir durchbrechen.
Deutschland kann dabei eine Rolle spielen, weil wir
eben keine Milizen bzw. Akteure vor Ort mit Waffen un-
terstützen und weil wir – das hoffe ich zumindest – da-
von überzeugt sind, dass es für diesen Konflikt keine mi-
litärische Lösung geben kann. Daher müssen wir alles
tun, um die Nachbarländer Syriens zu stabilisieren und
vor allem den Opfern, den Flüchtlingen zu helfen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803310300

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht als nächster Red-

ner der Kollege Omid Nouripour.






(A) (C)



(D)(B)


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803310400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-

tieren heute im Deutschen Bundestag über die Situation
in Syrien und in den Nachbarstaaten. Es ist wichtig, dass
vom Hohen Hause aus auch ein Signal von Respekt und
Solidarität gerade an die Nachbarstaaten ausgeht, die in
diesen Wochen und Tagen Immenses auf sich nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Es wäre sehr schön gewesen, wenn wir einen gemein-
samen Antrag hätten stellen können. Der Antrag der Ko-
alition enthält ja auch sehr viele Textteile, die mit unse-
rem Antrag identisch sind. Das liegt daran, dass wir sie
geschrieben haben. Wir helfen gerne, wo es geht. Ich
finde es gerade in dieser Situation wirklich albern, dass
es Reflexe seitens der Koalition gibt, nicht einmal bei ei-
nem so basalen Thema der Humanität zusammen mit
den Linken einen Antrag zu machen. Unabhängig davon
will ich Ihnen sagen, warum wir Ihrem Antrag nicht zu-
stimmen und keinen gemeinsamen hinbekommen haben.

Ihr Antrag hört genau da auf, wo es konkret wird. Ja,
Herr Minister, Sie haben völlig recht: Die EU muss mehr
tun, die EU muss mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die an-
deren Staaten müssen mehr tun, müssen mehr Flücht-
linge aufnehmen. Ja, Kollege Annen, es ist richtig:
Deutschland muss mehr tun und auch mehr Flüchtlinge
aufnehmen. Aber genau diese Passagen wollten Sie nicht
in Ihren Antrag aufnehmen. Es reicht nicht, einfach im-
mer nur auf die anderen hinzuweisen. Auch wir müssen
mehr tun, unbenommen davon, dass wir jetzt schon eini-
ges tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Die Lage ist zum Verzweifeln. Nachdem wir erfahren
haben, dass die Vereinten Nationen wegen Syrien den
größten Hilfeaufruf ihrer Geschichte gestartet haben, ha-
ben wir dieser Tage Änderungsanträge zum Haushalt ge-
stellt, in denen wir fordern, dass die Mittel für humani-
täre Hilfe auf 400 Millionen Euro aufgestockt werden.
Das ist seitens der Koalition abschlägig beschieden
worden. Es gibt 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge und
2,5 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Es
geht mittlerweile nicht nur um Syrien, sondern um die
Stabilität einer gesamten Region.

Herr Minister, Sie haben auf Ihrer Jordanien-Reise
selbst gesagt, dass man alles dafür tun muss, dass die
Region nicht destabilisiert wird. Wenn man in den Liba-
non schaut, muss man feststellen, dass es dafür teilweise
leider zu spät ist. Man muss einfach sehen, welch eine
unvorstellbare Solidarität es teilweise von Mensch zu
Mensch gegeben hat. Im Libanon, in der Bekaa-Ebene,
in den engsten Häusern und Räumen haben die Men-
schen noch Leute aufgenommen. In Flüchtlingslagern
der Palästinenser – Kollege Annen hat zu Recht darauf
hingewiesen, in welch schwieriger Lage diese Flücht-
linge sind, auch im Libanon – sind mittlerweile auch sy-
rische Flüchtlinge aufgenommen worden. Das ist ein
Grad an Solidarität, der hier unvorstellbar erscheint.
Aber diese Menschen brauchen jetzt mehr Hilfe, weil die
Infrastruktur in den Nachbarstaaten – im Libanon sieht
man es am gravierendsten – schlicht komplett überlastet
ist.

Herr Minister, es ist leider nicht so, dass die meisten
Kinder in die Schule gehen können. Die syrischen
Flüchtlingskinder sind meistens, zumindest im Libanon,
nicht in Schulen, und die Spannungen steigen; darauf ist
hingewiesen worden. Das sieht man beispielsweise auch
daran, dass die Visa der Flüchtlinge im Libanon jetzt
häufig nicht verlängert werden. Es gibt schon jetzt auch
im Libanon nahezu täglich Tote. Es gibt Gefechte und
größere Konflikte.

Die politischen Kräfte, die bisher mit unglaublicher
Weitsicht und aufgrund der Erfahrung eines eigenen jah-
relangen Bürgerkriegs alles daransetzen, dass im Liba-
non der Bürgerkrieg nicht Einzug hält, sind am Rande
ihrer Kräfte. Gestern ist eine Präsidentschaftswahl im
Parlament im Libanon zum dritten Mal gescheitert. Na-
türlich darf man auch die Situation in Jordanien, im Irak
und in der Türkei nicht vergessen. Wasser, Strom, Wohn-
raum, Schulen und Krankenhäuser – es fehlt mittlerweile
an allem, weil keines dieser Länder mit der notwendigen
Geschwindigkeit so viel Hilfe leisten kann, wie notwen-
dig wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil man nicht vergessen darf, dass trotz dieser hu-
manitären Katastrophen in den Nachbarstaaten die Situa-
tion in Syrien selbst deutlich dramatischer ist – sonst
würden die Leute ja nicht fliehen –, weil man sieht, dass
die Zahl der Toten in Syrien dermaßen dramatisch steigt,
dass die UN mittlerweile aufgehört haben, offiziell zu
zählen, ist es notwendig, zu schauen, was man tun kann.

Es ist klar, dass es in einer solchen Situation viele Ak-
teure gibt, aber man muss auch deutlich sagen, dass es
einen Hauptverantwortlichen für die Massaker und für
die humanitäre Katastrophe in Syrien gibt, und das ist
Präsident Assad.

In einer Situation, in der wir nicht wissen, wie wir den
Konflikt in Syrien schnell befrieden können, da uns die
Mittel dazu fehlen und da uns mittlerweile ein Stück
weit auch die Ideen fehlen, müssen wir das tun, was wir
tun können: Wir müssen humanitäre Hilfe leisten, in Sy-
rien und den Nachbarstaaten alles dafür tun, dass das
Leiden der Menschen zumindest gelindert wird, und ver-
hindern, dass der Konflikt die gesamte Region erfasst.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803310500

Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamenta-

rische Staatssekretär Dr. Ole Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)

D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1803310600


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir heute nach Syrien blicken, dann sind
wir entsetzt: über die Toten durch den Bürgerkrieg, über
Leid und Elend, über die Vertreibung. Die Menschen
verlieren ihre Lebensgrundlage; Existenzen werden zer-
stört. Mittlerweile sind mindestens 7 Millionen Men-
schen auf der Flucht, davon rund 4,3 Millionen innerhalb
Syriens. Circa 2,7 Millionen Menschen haben Syrien
verlassen. Sie halten sich zum größten Teil in den Anrai-
nerstaaten, aber auch in Ägypten auf. Die Hälfte von ih-
nen – das dürfen wir nicht vergessen – sind Kinder.

Es geht darum, dieses unvorstellbare Leid zu mildern.
Hierfür ist zunächst einmal und vor allem Hilfe vor Ort
erforderlich. Es ist notwendig, die Menschen mit dem
Allernötigsten zu versorgen und vor allen Dingen die
Anrainerstaaten dabei zu unterstützen, insbesondere die
medizinische Versorgung, aber auch die Beschulung der
Kinder sicherzustellen. Genau das tut diese Bundes-
regierung. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs geben wir
massive finanzielle Hilfen. Wir sind nach den USA das
zweitgrößte Geberland. Seit 2012 sind über 0,5 Milliar-
den Euro bereitgestellt worden.

Das THW leistet zudem vor Ort, in den Flüchtlingsla-
gern in Jordanien und im Nordirak, tatkräftig Hilfe, ins-
besondere bei der Wasseraufbereitung. Mit der Unter-
stützung vor Ort erreichen wir die Masse der besonders
Hilfsbedürftigen am besten. Der Schwerpunkt der deut-
schen Flüchtlingshilfe sollte daher auch weiterhin vor
Ort gesetzt werden. Der Einsatz der Mittel ist hier beson-
ders wirkungsvoll, und die meisten Menschen wollen
auch in der Region bleiben.

Natürlich suchen viele Menschen, die auf der Flucht
sind, auch in Deutschland Schutz. Wir stehen diesen
Flüchtlingen offen gegenüber. Seit dem Ausbruch des
Bürgerkriegs 2011 sind 36 000 Menschen aus Syrien
nach Deutschland eingereist, um hier Asyl zu beantra-
gen. In Deutschland leben derzeit 66 000 Syrer. Etwa
1 700 neue Asylanträge kommen jeden Monat hinzu.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung im letzten Jahr
für besonders schutzbedürftige Menschen ein Humanitä-
res Aufnahmeprogramm aufgelegt, um sie aktiv nach
Deutschland zu holen.

Unser Ziel war es, voranzuschreiten und auch andere
Länder zu bewegen, ähnliche Aufnahmeprogramme auf
den Weg zu bringen. Leider finden wir in Europa nur re-
lativ zögerliche Nachahmer. Um das zu ändern, setzen
wir uns im Schulterschluss mit dem UN-Flüchtlings-
hochkommissar Guterres seit über einem Jahr für die
Einberufung einer Pledging-Konferenz zugunsten syri-
scher Flüchtlinge ein. Leider ist die Kommission unserer
Bitte, ein sogenanntes Pledging-Verfahren durchzufüh-
ren, bisher nicht nachgekommen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich!)


Meine Damen und Herren, unser Humanitäres Auf-
nahmeprogramm war anfangs auch für das Flüchtlings-
hilfswerk der Vereinten Nationen neu. Daher war seine
Umsetzung ausgesprochen schwierig. Anfangs musste
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das für
die operative Umsetzung zuständig ist, bis zu zwei Mo-
nate auf notwendige Unterlagen der Flüchtlinge warten.
Dann gab es das Problem, dass die libanesischen Sicher-
heitsbehörden für jeden Flüchtling eine Ausreisegeneh-
migung verlangt haben, allerdings ohne diese auch
schnell zu erteilen. Das alles hat zu Verzögerungen ge-
führt. Letztlich ist die Aufnahme aus einem solchen Kri-
sengebiet natürlich immer auch mit Sicherheitsrisiken
verbunden. Gerade im Libanon konnten Flüchtlinge
nicht zu den bereitgestellten Charterflugzeugen gebracht
werden, weil es die Sicherheitslage einfach nicht zuge-
lassen hat.

Gleichwohl wird das erste Aufnahmeverfahren noch
im Mai abgeschlossen worden sein. Ich danke allen Mit-
arbeitern des UNHCR und auch der Caritas, aber auch
den Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge sowie den Mitarbeitern des Auswärtigen
Amtes und des Bundesministeriums des Innern für ihre
tatkräftig geleistete Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Trotz der Herausforderungen und der Schwierigkei-
ten, die beim ersten Aufnahmeprogramm aufgetreten
sind, haben wir uns entschieden, parallel ein zweites
Aufnahmeprogramm aufzulegen. Wir konzentrieren uns
jetzt nicht nur auf den Libanon, sondern nehmen ins-
besondere Verwandte von in Deutschland lebenden
Syrern aus allen betroffenen Anrainerstaaten und auch
aus Ägypten auf.

Nachdem die Länder ihre Aufnahmevorschläge an
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschickt
haben, kommen wir nun gut voran. Das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge hat bereits mehr als ein
Drittel der teilnehmenden Personen identifiziert. Über
1 000 Aufnahmebescheide wurden schon an die deut-
schen Auslandsvertretungen übermittelt, sodass in den
nächsten Wochen mit zahlreichen Einreisen zu rechnen
ist. Mehr als hundert Personen sind bereits über das
zweite Aufnahmeprogramm eingereist.

Darüber hinaus ermöglichen die Bundesländer, dass
hier lebende Syrer ihre Verwandten nach Deutschland
holen können, wenn denn der Lebensunterhalt gesichert
ist. Auch über diesen Weg haben bereits mehr als
4 000 Syrer ein Visum für Deutschland erhalten. Wir
sind uns darüber im Klaren, dass es gerade für das Aus-
wärtige Amt nicht einfach ist, die Situation vor Ort zu
bewältigen; aber dort wird wirklich alles getan, was
möglich ist.

Mit all diesen Maßnahmen ist Deutschland das Land
außerhalb der Krisenregion, das weltweit mit Abstand
die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt. Meine
Damen und Herren, als Vorreiter werden wir uns auch
weiterhin international für die humanitäre Aufnahme
starkmachen. Auch national werden wir bei Erreichen
des Kontingents nicht mit der aktiven Aufnahme auf-
hören. Wir werden in den nächsten Wochen auch ent-
sprechende Gespräche mit den Ländern führen.





Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, wir sollten uns bei aller
Notwendigkeit der Aufnahmeprogramme im Klaren
sein, dass wir die Not des Bürgerkriegs nicht hier in
Deutschland lösen können. Deshalb ist es nach wie vor
notwendig, dass wir unsere Hilfe vor Ort noch intensi-
vieren. Dort erreichen wir die meisten Menschen, dort
können wir diese Not, dieses Elend am ehesten mildern.
Das Wichtigste bleibt natürlich, dass der Friedenspro-
zess vorankommt. Nur wenn wieder Frieden herrscht,
wird es keine Flüchtlinge und keine Not und kein Elend
mehr geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803310700

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-

gin Annette Groth, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803310800

Danke. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und

Herren! Es wurde schon viel gesagt. Wenn wir über
syrische Flüchtlinge, Menschen in Not reden, möchte ich
ihnen jetzt einmal ein Gesicht geben; sonst ist das immer
so allgemein. Ich denke zum Beispiel an zwei junge
Syrer, Anfang zwanzig, in einem griechischen Polizei-
gefängnis mitten in Athen, die ich Anfang des Jahres ge-
troffen habe. Sie hatten eine weite, gefährliche Reise
hinter sich gebracht, über die Türkei, und sind dann in
Athen aufgegriffen worden, gefesselt und ins Polizei-
gefängnis gesteckt worden. Der eine schaute mich nur an
und sagte: Ich dachte, Europa ist demokratisch, hier
herrschen die Menschenrechte, und die Menschenwürde
wird respektiert. – Was sollte ich da sagen? Ich sagte: Ja.
Wir versuchen zu helfen. Es ist nicht richtig, dass Sie
hier gefangen genommen worden sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Das waren nur zwei von sehr vielen, die ich in den
letzten Monaten in griechischen Haftanstalten bzw.
Flüchtlingsgefängnissen gesehen habe.

Ich denke aber auch an eine Syrerin, die mit einem
Deutschen verheiratet ist und jetzt in Syrien, in Damas-
kus, auf ihr Einreisevisum wartet. Es hat ein paar
Probleme gegeben, da die Heirat nicht nach deutschen
Standards erfolgt ist. Sie haben nämlich in Beirut gehei-
ratet und lebten dann in Dubai. Dieses Land mussten sie
verlassen, nachdem er seine Arbeit verloren hatte. Er
ging zurück nach Deutschland, sie nach Syrien. Er hat
mittlerweile wieder eine Arbeit in Deutschland, und wir
hoffen, dass sie jetzt bald mit einem gültigen Visum ein-
reisen kann.

Ich kenne Hunderte von Fällen – Sie kennen viel-
leicht auch ein paar –, bei denen es – Herr Schröder hat
es eben gesagt – an Kleinigkeiten fehlt. Eine Familie
hatte zum Beispiel bis auf ein kleines Papier der Kran-
kenversicherung sämtliche Papiere zusammen. Und es
gibt sehr viele Papiere, die man neben einem hohen re-
gelmäßigen Einkommen, einer Krankenversicherung
usw. nachweisen muss. Aufgrund eines kleinen fehlen-
den Papiers der Krankenversicherung dürfen Menschen
nicht einreisen.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Es gibt aber auch andere Beispiele, Frau Kollegin!)


Ich habe Sie gut gehört, Herr Annen und Herr
Dr. Schröder. Sie haben gesagt, wir müssten mehr
Flüchtlinge aufnehmen. Das ist schön. Ich werde das be-
obachten und immer wieder einfordern.

Ich habe mich oft gefragt: Was wäre bei uns in
Deutschland eigentlich los, wenn wir in den letzten zwei
Jahren 20 Millionen Flüchtlinge hätten aufnehmen
müssen? Das entspricht nämlich ungefähr der Relation
Bevölkerung/Flüchtlinge im Libanon. Dort ist jeder
Vierte ein Flüchtling. Was wäre auf Rügen oder Sylt los,
wenn jeden Tag – im Sommer besonders – Flüchtlings-
boote aus der Türkei anlanden würden?

Vor Lesbos – dort war ich auch – ertrinken jeden Tag
Menschen. Das ist eine Schande! Es ist vor allen Dingen
eine absolute Menschenrechtsverletzung, wenn die
griechische Küstenwache, teilweise unterstützt durch
Frontex, Flüchtlingsboote wieder zurück in türkische
Gewässer schiebt, damit sie bloß nicht in griechischen
Gewässern landen und dort Hilfe benötigen. Das passiert
ständig. Pro Asyl und Amnesty International haben
kürzlich eindrückliche Berichte darüber verfasst. Das ist
eine Schande für Europa!


(Beifall bei der LINKEN)


Europa muss also etwas tun. Wir müssen helfen und
auch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Daneben müssen
auch die dringend notwendigen Finanzzusagen deutlich
erhöht werden. Bei einem Bedarf von mindestens
5,5 Milliarden Euro wurden 1,7 Milliarden Euro bewil-
ligt. Auch das ist eine Schande!

Ich bedanke mich und hoffe, dass diese Debatte bei
uns hängen bleibt und uns verpflichtet, mehr Flüchtlinge
aufzunehmen und die Hürden deutlich zu senken.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803310900

Nächster Redner ist der Kollege Achim Post für die

Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Achim Post (SPD):
Rede ID: ID1803311000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich will einmal einen Aspekt
aus der Europadebatte aufgreifen, die vor dieser Syrien-
Debatte stattgefunden hat. Dort haben nämlich viele
Rednerinnen und Redner zu Recht auf den 8. Mai 1945
verwiesen.

An diesem 8. Mai 1945 gab es 500 000 Flüchtlinge
aus Deutschland, die besonders dankbar waren, dass sie
den Naziterror überlebt haben. Zu verdanken haben sie
das 80 Ländern, die sie aufgenommen haben. Wenn





Achim Post (Minden)



(A) (C)



(D)(B)

diese 80 Länder das nicht getan hätten, dann wären die
meisten dieser 500 000 Menschen tot gewesen.

Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland – wir
sind jetzt stark und demokratisch – und sind die Bürge-
rinnen und Bürger dieses Landes besonders in der
Pflicht, für Flüchtlinge aus aller Welt – und in diesem
Fall für Flüchtlinge aus Syrien – etwas zu tun.


(Beifall im ganzen Haus)


Deshalb ist es gut, dass es in dem Antrag der Koali-
tion darum geht, zu fragen: Wie können wir diesen
Flüchtlingen helfen? Wie können wir diesen Flüchtlin-
gen besser helfen? Wie können wir den Nachbarländern
Syriens helfen? Wie können wir diesen Nachbarländern
besser helfen? Am Schluss des Koalitionsantrags stehen
acht konkrete Punkte, die ich alle unterstütze. Ich ver-
mute, auch Sie unterstützen sie alle. Auf einen dieser
Punkte, der von einigen Vorrednern schon angesprochen
wurde, will ich besonders eingehen.

Was macht die Europäische Union? Herr Minister, Sie
haben darauf hingewiesen: Ich kenne keine EU-
Programme für Syrien-Flüchtlinge. Ich kenne keine
verbindlichen Vereinbarungen aller EU-Staaten, keine
verbindlichen Zahlen. Deswegen unterstütze ich die
Bemühungen der Bundesregierung, vor allen Dingen die
des Innenministers, der seit Jahr und Tag auf eine EU-
Flüchtlingskonferenz über Syrien drängt, weil wir nur
dann, wenn es diese Konferenz gibt, darüber reden
können, wie ein faires Verfahren, ein transparentes Ver-
fahren und auch ein demokratisches Verfahren organi-
siert werden kann.

Es ist gut, wenn Deutschland und Schweden viel tun.
Aber es ist nicht gut, wenn sehr viele sehr wenig oder
gar nichts tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Deshalb brauchen wir eine gesamteuropäische Lösung.
Wenn der jetzige EU-Kommissionspräsident, der nicht
mehr lange im Amt ist, dazu nicht fähig oder willens ist,
dann muss das eine der ersten großen Aufgaben des neu
gewählten EU-Kommissionspräsidenten werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Wir alle wissen – viele haben das betont –: Die syri-
schen Flüchtlinge bleiben langfristig auf weitere inter-
nationale Unterstützung angewiesen. Deshalb ist der
europäische Einsatz richtig, aber es ist auch richtig, dass
sich Bund und Länder langfristig darauf verständigen
und verpflichten müssen, das, was sie bisher geleistet
haben, zu verstetigen und noch mehr als bisher zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss an dieser Stelle sagen: So wie es – sagen wir
einmal – Ungerechtigkeiten zwischen den 28 europäi-
schen Ländern gibt, gibt es sie auch zwischen den
16 deutschen Bundesländern. Es gibt viele Länder, die
viel tun, sehr viele sogar. Ich komme aus Nordrhein-
Westfalen. Ich kann sagen: Mein Bundesland, meine
Ministerpräsidentin, mein Innenminister tun alles, um im
Rahmen des Länderaufnahmeprogramms möglichst vie-
len Menschen aus Syrien zu helfen. Ein anderes Beispiel
hierfür ist Niedersachsen. Es gibt 15 Länderaufnahme-
gesetze. Wir haben aber 16 Bundesländer. Ich vertraue
also darauf, dass eine mächtige Landesgruppe – ich
schaue jetzt nach rechts – hier im Deutschen Bundestag
dafür sorgt, dass wir bald 16 Länderaufnahmegesetze
haben; denn nur Bund und Länder gemeinsam können
diese Aufgabe bewältigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zusammengefasst: Wir alle sind in der Pflicht: jede
einzelne von uns, jeder einzelne von uns, der Bund, die
Länder, die Europäische Union. Ich halte es für ein
Gebot der Solidarität, der Nächstenliebe und der
Menschlichkeit, dass wir unsere Anstrengungen weiter
verstärken.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803311100

Herr Kollege Post, das war Ihre erste Rede hier im

Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche Ihnen viele wei-
tere Reden hier im Hohen Hause.

Für unsere nächste Rednerin ist es nicht die erste
Rede. Ich erteile das Wort unserer Kollegin Claudia
Roth.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sy-
rien ist Schauplatz einer humanitären Katastrophe unbe-
schreiblichen Ausmaßes: entgrenzte Gewalt, totale Zer-
störung, Abertausende Tote, darunter sehr viele Kinder,
die Hälfte der syrischen Bevölkerung vertrieben, auf der
Flucht. Es ist ein fast biblischer Exodus von Menschen
wie Sie und ich, die alles verloren haben.

Millionen von ihnen sind in den Nachbarländern ge-
strandet. In diesen Ländern, die völlig überfordert sind,
führt die humanitäre Katastrophe mehr und mehr zur
politischen Krise, zur Gefahr einer Destabilisierung und
zu einem Flächenbrand in der gesamten Region.

Libanon hat – Niels Annen hat es angesprochen –
4,2 Millionen Einwohner, und schon jetzt sind dort über
1 Million syrische Flüchtlinge registriert. Hunderttau-
sende palästinensische Flüchtlinge leben seit Jahrzehn-
ten dort. Sie sind oft die Ärmsten der Armen. Deswegen





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)

haben wir beantragt, die UNRWA besser auszustatten.
Es droht ein Kollaps der gesamten Infrastruktur im Liba-
non. Ob Bildung oder Gesundheit: Nichts geht mehr.

Wenn aber der Libanon auseinanderbricht, dann ist
auch das Modell eines multireligiösen Zusammenlebens
in einer Gesellschaft gescheitert. Das ist ganz sicher ein
Brandbeschleuniger für Fundamentalismus, Terrorismus
und den vermeintlichen Krieg der Religionen.

Jordanien ist eines der wasserärmsten Länder welt-
weit. Einige von uns waren im Lager al-Zaatari, ausge-
legt auf 125 000 Menschen. Das ist jetzt schon die dritt-
größte Stadt in Jordanien. Der UNHCR-Beauftragte
Kilian Kleinschmidt ist dort faktisch ein Bürgermeister.
Er baut eine Stadt auf, und er schildert eindringlich die
Herausforderungen. Er sagt, es müsse um sehr viel mehr
gehen als um die kurzfristige Aufnahme. Es wird damit
gerechnet, dass die Menschen zehn Jahre dort leben
müssen.

Also muss – auch mit unserer Unterstützung – verhin-
dert werden, dass eine ganze Generation verloren geht.
Deshalb braucht es Erziehung, Schule, Sport und Kultur.
Es braucht so etwas wie Leben in Containern und Zelten,
und es braucht zum Beispiel Städtepartnerschaften wie
mit Amsterdam, das mit dem Lager eine Städtepartner-
schaft unterhält und 5 000 Fahrräder geschickt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Türkei hat 1 Million Menschen aufgenommen.
Über 200 000 Menschen werden in Lagern versorgt.
Viele andere prägen zum Beispiel das Stadtbild in Istan-
bul, übrigens nicht zuletzt viele Christinnen und Chris-
ten, die in diesem Krieg zwischen alle Fronten geraten
und voller Angst sind.

Lieber Gerd Müller, bitte vergessen Sie auch den Irak
nicht. In der kurdischen Region im Nordirak sind
350 000 Menschen mit großer Herzlichkeit aufgenom-
men worden. Sie haben dort das Recht auf Arbeit. Aber
auch diese Region ist an der Grenze ihrer Möglichkeiten
angekommen.

Ich werde die Trauer, die Verzweiflung, Angst und
Hoffnungslosigkeit der Menschen dort nicht vergessen.
Ich werde aber auch das Lachen der Kinder in diesen La-
gern nicht vergessen, die doch nach all dem Terror und
Horror, den sie erlebt haben, ein Recht auf Zukunft ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])


Ja, Deutschland hilft. Gerd Müller hat schon vieles er-
wähnt. Man kann noch das THW, die Johanniter, das Be-
handlungszentrum für Folteropfer und die GIZ hinzufü-
gen. Es ist gut, dass Gerd Müller sich als Minister vor
Ort ein Bild gemacht hat. Es war eine wunderbare Geste
und ein Zeichen, dass Präsident Gauck und Frau Schadt
ein Flüchtlingslager besucht haben. Das ist gut. Den-
noch: Es reicht vorne und hinten nicht aus, auch wenn es
besser ist als das, was der Rest Europas mit Ausnahme
von Schweden tut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben es sehr diplomatisch ausgedrückt. Ich hatte
das Gefühl, dass Europa jeden Tag aufs Neue erschre-
ckend versagt, sich seiner humanitären Schutzverant-
wortung völlig verweigert und dadurch auch die Werte,
auf denen Europa basiert, deutlich infrage stellt.


(Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Wir müssen sehr viel mehr tun und uns auch in Eu-
ropa für sehr viel mehr einsetzen. Wir brauchen hier bei
uns die Bereitschaft, deutlich mehr Flüchtlinge aufzu-
nehmen. Wir brauchen eine Erleichterung der Familien-
zusammenführung, mehr Mittel für die Soforthilfe und
eine nachhaltige Unterstützung der Nachbarregionen.

Es ist eine Tragödie, dass die Syrer Opfer eines bruta-
len Stellvertreterkrieges werden. Von Iran über Russ-
land, Saudi-Arabien, Katar und USA bis zur Türkei: Sie
alle haben ihre Interessen, und die Syrer zahlen dafür mit
ihrem Leben.

Es ist brandgefährlich, dass die Opposition immer
mehr dominiert wird von islamistischen Terrorgruppen.
Besonders entsetzt haben mich die immer lauter werden-
den Stimmen, die sagen: Assad ist sehr schlimm. Aber
sind die anderen nicht noch schlimmer? – Als wäre eine
menschenverachtende Diktatur ein Ausbund an Stabili-
tät!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wenn man es fast nicht aushalten kann: Es gibt
keine militärische Lösung. Deswegen brauchen wir eine
humanitäre Offensive und immer wieder Verhandlungen,
und zwar mit allen. Alle müssen sich an den Tisch setzen
und bereit sein, nicht ihre Interessen, sondern endlich
das Überleben der Menschen in Syrien im Auge zu ha-
ben. Es braucht – auch angesichts des Schattens der Er-
eignisse in der Ukraine – eine engagierte deutsche Poli-
tik für die Menschen, für das Ende der Gewalt und für
einen politischen Friedensprozess. Ich hätte mir sehr ge-
wünscht, dass der Deutsche Bundestag in dieser Frage
einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringt. Vergesst
die Syrer nicht; denn Vergessen tötet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803311200

Für die CDU/CSU spricht nun der Kollege Philipp

Mißfelder.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1803311300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Zuerst zum Antrag. Liebe Kollegin Roth,
ich glaube, dass die Debatte schon zeigt, dass wir ein ge-
meinsames Anliegen haben. Es wäre sicherlich schöner
gewesen, wenn wir einen gemeinsamen Antrag verab-
schiedet hätten. Aber das ist am Ende an Nuancen und
nicht an fundamentalen Unterschieden gescheitert. Das
sollte man an dieser Stelle ruhig einmal erwähnen. Die





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Textpassagen sind größtenteils gemeinsam erarbeitet
worden, Kollege Nouripour. Deswegen ähneln sich die
gestellten Anträge so sehr. Wir beide haben ganz zu Be-
ginn darüber gesprochen, ob es nicht einen gemeinsa-
men Antrag geben könnte. Ich jedenfalls hätte mir einen
solchen Antrag gewünscht. Aber es hat nicht geklappt.

Die Debatte zeigt umso mehr, dass es unser gemein-
sames Anliegen ist, den Menschen in Syrien zu helfen.
Ich möchte Kollegin Roth explizit unterstützen, gerade
vor dem Hintergrund des Genf-II-Prozesses, den wir uns
auch im Zusammenhang mit der Ukraine erhoffen und
der hoffentlich erfolgreicher ist als Genf I: Wir suchen
gewissermaßen nach Formaten, die dazu dienen, in Sy-
rien einen politischen Prozess einzuleiten.

Erinnern wir uns. Zu Beginn des Syrien-Konflikts ha-
ben fast alle – inklusive meiner Person – hier im Deut-
schen Bundestag gesagt: Eine Friedenslösung kann es
nur ohne Assad geben. – Wir haben damals aufwendige
Treffen mit den „Friends of Syria“ arrangiert. Ich hatte
damals mit dem ehemaligen Außenminister Westerwelle
die Gelegenheit, engagierte Oppositionelle aus Syrien zu
treffen. Das hat uns die Hoffnung gegeben, dass das
Land nach einem blutigen Bürgerkrieg, der hoffentlich
bald beendet ist, einen Schritt nach vorne geht. Nichts
davon ist eingetreten. Assad ist noch da. Leider müssen
wir die Worte, die wir einst gesprochen haben, beiseite-
schieben.

Des Weiteren hat die Opposition nicht die Stärke ent-
faltet, die wir uns erhofft hatten.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Islamisten!)


Diejenigen, die wir stärker unterstützen wollten, haben
größtenteils das Land verlassen. – Frau Jelpke, ich
möchte Ihren Zuruf aufgreifen. Wir haben bei „Friends
of Syria“ zu keinem Zeitpunkt Terroristen unterstützt.
Vielmehr haben wir diejenigen unterstützt, die sich um
eine demokratische Zukunft verdient gemacht haben;
das ist etwas vollkommen anderes. Dass dann von außen
zusätzliche Kräfte in das Land hineingekommen sind
und finanziell unterstützt wurden – und zwar gerade aus
der Golfregion –, hat die Situation erschwert. Daher ist
anzumerken, dass wir zu Beginn des Konflikts von ganz
anderen Voraussetzungen ausgegangen sind, als der Ver-
lauf später gezeigt hat. Das muss man an dieser Stelle
konstatieren.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803311400

Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Jelpke?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1803311500

Nein. Ich habe ihren Zuruf schon aufgegriffen.

Letzter Punkt dazu. Ich bin der Meinung, dass nur
die Fortsetzung der politischen Gespräche hilfreich ist
und dass es in diesem Konflikt keine militärische Op-
tion gibt. Der humanitäre Beitrag ist umso wichtiger,
um die politischen Gespräche zu begleiten. Gerd
Müller hat – ebenso wie Staatssekretär Schröder – dan-
kenswerterweise für die Bundesregierung deutlich ge-
macht, dass Deutschland dort vorbildlich handelt. Natür-
lich wünschen wir uns, dass alle anderen europäischen
Länder genauso handeln wie wir. Aber nicht in allen ande-
ren Ländern ist die gleiche Bereitschaft vorhanden wie bei
uns. Da gerade mein Heimatland Nordrhein-Westfalen ge-
nannt wurde: Ich bin froh, dass insbesondere die Kom-
munen, die sich in der Regel in einer schwierigen finan-
ziellen Situation befinden, die Menschen aus Syrien mit
offenen Armen empfangen. Das spricht für die Kultur
unseres Landes, und das sollte auch für andere europäi-
sche Länder Vorbild sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber der entscheidende Blick, was die Flüchtlings-
problematik angeht, richtet sich – das haben fast alle
Redner schon gesagt – auf die Nachbarländer. Es ist
schon angesprochen worden: Die Türkei leistet Erhebli-
ches. In Jordanien sehen wir eine Situation, bei der man
sich, von außen betrachtet, nur noch wundert, warum es
da noch nicht zu größeren politischen Umwälzungen ge-
kommen ist. Darauf müssen wir unseren politischen Fo-
kus richten.

Auch der Irak ist angesprochen worden. Darauf
möchte ich etwas detaillierter eingehen. In Kurdistan, im
Nordirak, werden die Menschen mit offenen Armen
empfangen. Die Zentralregierung leistet aus meiner
Sicht noch keinen genügenden finanziellen Beitrag, um
den Nordirak stärker zu unterstützen. Der innerirakische
Konflikt, der dort stattfindet, darf nicht auf dem Rücken
der Menschen, vor allem der Christinnen und Christen,
die dort Zuflucht gefunden haben, ausgetragen werden,
weil sich Bagdad weigert, dort wesentlich mehr zu leis-
ten, als es das bisher tut. Deshalb gilt unsere Solidarität
insbesondere der Regionalregierung von Kurdistan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Auch Ägypten ist angesprochen worden. Ägypten hat
selber große Schwierigkeiten. Umso bemerkenswerter
ist es, dass sich die Ägypter an unsere Seite gestellt und
uns unterstützt haben.

Wie der Kollege Annen gesagt hat, handelt es sich um
eine der größten Tragödien unserer Zeit. Wir haben bis-
her kein Mittel gefunden, dieses Töten zu stoppen. Wenn
es auch Signale der Entspannung oder Hoffnungsschim-
mer an manchen Tagen gibt, so hat sich doch herausge-
stellt, dass Strukturen von außen aus geopolitischen
Gründen unterstützt worden sind, seitens der Golfstaa-
ten, aber auch insbesondere seitens Russlands, und dass
wir in einer Situation sind, in der sich die Fronten ver-
härtet haben und der Konflikt in Syrien zu einem Stell-
vertreterkonflikt geworden ist.

Es besteht die große Gefahr, dass die Terroristen, die
von außen eingesickert sind, und die Islamisten, die jetzt
kampferprobt sind, bei einer Befriedung des Konflikts in
andere Länder zurückkehren, teilweise als Flüchtlinge
getarnt, und zur Destabilisierung der gesamten Region
beitragen. Weiterhin droht sich der Stellvertreterkrieg
auszuweiten.





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass es nicht nur
darum geht, heute die syrischen Flüchtlinge nicht zu ver-
gessen, sondern auch darum, dass wir den Brandherd Sy-
rien insgesamt im Blick behalten. Wir müssen uns einer
Sache bewusst sein: Dieser Konflikt ist noch nicht vor-
bei. Wir werden in Zukunft noch mehr leisten müssen,
und der politische Weg muss weiter beschritten werden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803311600

Für die Sozialdemokraten erteile ich nun dem Kolle-

gen Rüdiger Veit das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1803311700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die heutige Debatte ist bemerkenswert. Ohne
Zensuren verteilen zu wollen, möchte ich sagen, dass
dieser Bundestag selten so einmütig im Ziel, zum Teil
auch so leidenschaftlich und übereinstimmend diskutiert
hat: ein wohltuender Auftakt von Bundesminister Müller
und viele andere engagierte Beiträge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich jetzt hier noch etwas hinzufüge, dann des-
halb, um das Manko des bisherigen Antrags aufzugrei-
fen, das der Kollege Nouripour zu Recht erwähnt hat. Es
fehlt eine klare Aussage in dem Antrag, was wir ganz
konkret für die Aufnahme der syrischen Flüchtlinge in
Deutschland tun sollen. Es wäre wünschenswert gewe-
sen, wenn wir zugleich mit diesem eher außenpolitisch
zentrierten Antrag auch dazu hier hätten eine Aussage
treffen können.


(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Es wäre wünschenswert gewesen – wir sollten daran
arbeiten und nicht nachlassen –, dass das ganze Haus in
einem interfraktionellen Antrag auch hierzu etwas sagt,
nicht nur zur Außenpolitik und nicht nur zur Entwick-
lungspolitik; denn ich erinnere daran: Die Aufnahme
von Flüchtlingen ist eine gesamtstaatliche Aufgabe aller
drei Ebenen: des Bundes, der Länder und der Kommu-
nen. Alle hier vertretenen Parteien sind auch in Landes-
regierungen vertreten. Wenn wir uns also mit einer
machtvollen Stimme gegenüber allen Landesregierun-
gen Gehör verschaffen wollen, dann tun wir gut daran,
alle politischen Kräfte dieses Hauses zu bündeln. Des-
wegen appelliere ich an Sie, dass wir auch bei der Frage
der Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Syrien hier an ei-
ner gemeinschaftlichen Lösung arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])

Die ist leider nicht so ganz einfach, sonst hätte sie
vielleicht schon in diesem Antrag stehen können oder
vielleicht Gegenstand eines innenpolitisch geprägten
Antrags sein können. Es gibt Verwerfungen nicht nur in-
nerhalb der Europäischen Union. Darauf ist mehrfach
hingewiesen worden. Was sich die EU an der Stelle leis-
tet, ist, wie Herr Bundesminister Müller gesagt hat, be-
schämend; ich füge hinzu: Es ist schändlich. Es ist gut
und richtig, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen.

Aber es gibt eben auch ein erhebliches Ungleichge-
wicht in der Bundesrepublik selber. Ganz vorne dabei
mit Landesaufnahmeanordnungen und großzügiger
Handhabung der sogenannten Verpflichtungserklärun-
gen der Verwandten sind etwa Nordrhein-Westfalen,
Niedersachsen und auch Baden-Württemberg. Einzelne
andere Bundesländer liegen mit sehr kleinen Aufnahme-
zahlen weit hinten. Bayern ist mit einem eigenen Lan-
desaufnahmeprogramm bisher überhaupt nicht beteiligt.

Ich sage das nicht, um zu schimpfen. Ich sage das, um
dafür zu werben, dass auch in diesem Bundesland ein
eigenes Landesaufnahmeprogramm aufgelegt wird.
Dann können Bund und Länder gemeinsam überlegen,
wie sie in einer geschickten Ergänzung und Verteilung
der damit verbundenen Kosten und Lasten zu gemein-
samen Ergebnissen kommen. Im Endeffekt muss es na-
türlich heißen: Wir – gerade Deutschland, gerade auch
als Vorbild – haben alle Veranlassung, auch historische
Veranlassung, mehr zur Bewältigung dieser humanitären
Katastrophe zu tun. Dazu reichen die bisherigen Zahlen
in keiner Weise aus. Ich will hier bewusst trotzdem keine
anderen konkreten Zahlen in den Raum stellen.

Ich würde mir sehr wünschen, dass es zu mehr Enga-
gement kommt. Ich würde mir auch wünschen, dass wir
zu einer gleichmäßigen Verteilung innerhalb Deutsch-
lands kommen. Der Königsteiner Schlüssel hat sich hier-
für schon in bester Weise bewährt. Vor allen Dingen
würde ich mir wünschen, dass die Flüchtlinge, egal ob
sie als Asylbewerber gekommen sind, ob sie über den
Weg einer Landesaufnahmeanordnung oder über das
Bundesprogramm gekommen sind, mit einem einheitli-
chen Status ausgestattet werden. Es wäre mein Appell,
mein Wunsch, meine Bitte und zugleich meine Einla-
dung, dass wir alle daran gemeinsam arbeiten.

Wir haben das schon einmal geschafft: Wir haben in
einem einstimmigen Beschluss am 28. Juni des letzten
Jahres nach einer Delegationsreise des Innenausschusses
nach Griechenland und in die Türkei, bei der es auch um
diese Flüchtlingsfragen ging, hier eine gemeinsame
Position verabschiedet, die klar besagt hat: Wir verlan-
gen mehr von Europa. Wir unterstützen das Bundesin-
nenministerium. Wir wollen insgesamt eine höhere Zahl
an Aufnahmen von Flüchtlingen aus Syrien.

Das Problem hat sich seitdem, wohlgemerkt was die
politische Diskussion angeht, nicht verändert und ist
nicht kleiner geworden; das hat auch der heutige Tag
gezeigt. Es ist in seiner menschlichen Dimension ganz
erheblich angewachsen, bis hin zur, wie ich sage, größ-
ten humanitären Katastrophe, zumindest in der Zeit, die
ich in der Politik aktiv bin und überblicke. Deswegen
besteht umso mehr Veranlassung, hier zu einer einheitli-





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

chen Position zu kommen. Dafür werbe ich auch in
Richtung meines Koalitionspartners, aber auch aller
übrigen Beteiligten. Ich sichere noch einmal meine Un-
terstützung zu.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803311800

Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kol-

legin Andrea Lindholz, CDU/CSU, der ich hiermit das
Wort erteile.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1803311900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Seit meiner ersten Rede zum Thema Syrien
im März dieses Jahres hat sich die Situation leider kaum
verändert. Nach wie vor überschattet die Eskalation in
der Ukraine die humanitäre Katastrophe in Syrien. In
den deutschen Medien taucht die katastrophale Lage in
dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land nur ganz selten
auf.

Der Zerfall des syrischen Staates fordert nach wie vor
täglich neue Todesopfer. Zahllose Menschen werden
verletzt, während 40 Prozent der syrischen Krankenhäu-
ser nicht mehr funktionsfähig sind. 9,3 Millionen Syrer
sind innerhalb und außerhalb ihrer Heimat auf der
Flucht. Sie alle benötigen dringend humanitäre Hilfe.

Deutschland erfüllt seine humanitären Verpflichtun-
gen und hilft massiv. Seit 2012 hat die Bundesregierung
über eine halbe Milliarde Euro für syrische Flüchtlinge
bereitgestellt. Damit gehört Deutschland zu den größten
bilateralen Geldgebern. Hieran wollen wir festhalten,
und wir dürfen da auch nicht nachlassen.

Unser Technisches Hilfswerk liefert praktische Hilfe
in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Nordirak.
Die Mitarbeiter des THW und aller anderen Hilfsorgani-
sationen vor Ort leisten einen unschätzbaren Dienst für
Millionen von Flüchtlingen. Ihnen gebührt unser Dank.

Auch im Asylbereich macht sich das Engagement
bemerkbar. In Deutschland werden inzwischen rund
1 700 neue syrische Asylanträge pro Monat registriert.
Seit 2012 gibt es einen Stopp von Abschiebungen nach
Syrien. In den letzten Jahren sind über 36 000 Syrer nach
Deutschland gekommen. Damit hat sich die syrische Ge-
meinschaft in Deutschland mehr als verdoppelt. Zusätz-
lich haben wir zwei Sonderprogramme aufgelegt, mit
denen 10 000 besonders schutzbedürftige Syrer bei uns
Asyl erhalten. Deutschland nimmt damit zwei Drittel al-
ler syrischen Flüchtlinge auf, die außerhalb der Region
Schutz finden.

Bayern, Herr Kollege Post, nimmt im Rahmen des
Bundesprogramms 1 520 Syrer auf. Das sind 15 Prozent
der Gesamtzahl und damit mehr, als jedes andere Bun-
desland aufnimmt. Staatsminister Herrmann hat bereits
angekündigt, dass Bayern auch weiterhin über das Maß
hinaus Syrer aufnehmen wird und statt auf unflexible
Landesprogramme auf eine Ausweitung des Bundes-
programms setzen will. In Bayern leben 4 600 Syrer.
Das sind 7 Prozent aller Angehörigen der syrischen
Community in Deutschland.

Unsere europäischen Partnerstaaten haben zwar eben-
falls Sonderprogramme aufgelegt. Allerdings kommen
alle EU-Staaten zusammen gerade mal auf ein Kontin-
gent von 3 900 Sonderplätzen. Selbst große Länder wie
Frankreich und Großbritannien stellen nur 500 Plätze be-
reit. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist
nicht länger hinnehmbar.

Vor diesem Hintergrund bittet die Koalition die Bun-
desregierung, unsere europäischen Nachbarn aufzufor-
dern, mehr Verantwortung angesichts der humanitären
Katastrophe zu übernehmen. Das gilt sowohl in Bezug
auf die Ausweitung der Sonderkontingente außerhalb
der gewöhnlichen Asylverfahren als auch in Bezug auf
die Hilfe vor Ort in Syrien und den Nachbarstaaten. Hier
müssen insbesondere mehr Gelder für die humanitäre
Unterstützung zur Verfügung gestellt werden. Wir brau-
chen auf europäischer Ebene – das hatte ich im März
schon gesagt – endlich eine Syrien-Flüchtlingskonfe-
renz. Auch wenn die schrecklichen Bilder der syrischen
Flüchtlingskinder nicht in unseren Medien auftauchen:
Es gibt sie doch. Das Elend ist groß, und Europa darf
hier nicht wegsehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es kann nicht sein, dass unsere europäischen Partner
die Verantwortung speziell für Syrien und allgemein im
Asylbereich auf Deutschland abwälzen. Im letzten Jahr
wurden fast 30 Prozent aller Asylanträge innerhalb Eu-
ropas in Deutschland gestellt. Binnen eines Jahres stieg
in Deutschland die Zahl der Asylanträge um 70 Prozent.

Angesichts dieser Zahlen ist es wichtig, dass wir die
im Koalitionsvertrag vereinbarte Beschleunigung der
Asylverfahren zügig umsetzen. Aussichtslose Asyl-
verfahren müssen schneller als bisher abgeschlossen
werden. Wir würden damit zusätzliche Kapazitäten
schaffen, um für syrische Flüchtlinge schnell eine
Lösung zu finden, und wir würden die Situation in den
Kommunen verbessern. Die Kommunen erbringen näm-
lich die Hauptleistung bei der Aufnahme der Flücht-
linge, was nicht immer ganz einfach ist. Auch ich gehe
davon aus, dass wir weitere Flüchtlinge aus Syrien bei
uns aufnehmen werden und aufnehmen müssen.

Daher wollen wir Serbien, Mazedonien, Bosnien-
Herzegowina, aber auch Albanien und Montenegro zu
sicheren Herkunftsstaaten erklären. Aus diesen Ländern
stammt heute mehr als ein Viertel aller Asylbewerber,
obwohl die Anerkennungsquote für diese Länder seit
Jahren bei quasi 0 Prozent liegt. Diese Länder sind si-
cher. Serbien bewirbt sich um eine EU-Mitgliedschaft.
Die serbische Regierung bittet selber darum, auch von
Deutschland endlich als sicheres Herkunftsland einge-
stuft zu werden.





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

Asyl in Deutschland, meine sehr geehrten Damen und
Herren, kann aber immer nur in begrenztem Umfang
eine Lösung für Flüchtlingskrisen bieten. Angesichts
von 43 Millionen Flüchtlingen weltweit wird der tat-
sächliche Bedarf an Asyl nie zu decken sein.

Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass wir den
Fokus auf die Unterstützung vor Ort legen, den Men-
schen direkt vor Ort helfen und für ein Dach über dem
Kopf, für sauberes Trinkwasser, für Essen und für medi-
zinische Versorgung Sorge tragen.

Langfristig wird sich die Situation der syrischen
Flüchtlinge aber nur verbessern, wenn der Krieg in ihrer
Heimat beendet wird. Der Friedensprozess muss daher
mit allem Nachdruck und trotz aller Rückschläge weiter-
verfolgt werden. Wo die Gespräche enden und wo die
Waffen sprechen, da hat die Politik versagt, und das dür-
fen wir nicht akzeptieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803312000

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz.

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über zwei An-
träge mit dem gleichlautenden Titel „Hilfe für die
Flüchtlinge aus Syrien – Unterstützung für die Nachbar-
staaten“.

Zunächst Tagesordnungspunkt 6 a. Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/1333. Wer stimmt für diesen Antrag?
– Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? –
Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Lin-
ken angenommen.

Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1335.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag gegen die
Stimmen der Grünen mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung der Linken abgelehnt.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 24 a bis h so-
wie den Zusatzpunkt 4 auf:

24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 2. Dezember 2010 zwischen
der Europäischen Union und ihren Mitglied-
staaten einerseits und Georgien andererseits
über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum

(Vertragsgesetz EU-Georgien-Luftverkehrsabkommen – EU-GEO-LuftverkAbkG)


Drucksache 18/1224
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur
Ausdehnung der Anwendung der Verordnung

(EU) Nr. …/2013 über ein Aktionsprogramm

in den Bereichen Austausch, Unterstützung
und Ausbildung zum Schutz des Euro gegen
Geldfälschung (Programm „Pericles 2020“)

auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten

Drucksache 18/1225
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch
Lebenspartner

Drucksache 18/1285
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer Länderöffnungsklausel zur
Vorgabe von Mindestabständen zwischen
Windenergieanlagen und zulässigen Nutzun-
gen

Drucksache 18/1310
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes
zur Änderung des Zweiten Buches Sozial-
gesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher
Bestimmungen

Drucksache 18/1311
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan
van Aken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur an der
Universität Bonn verhindern

Drucksache 18/1330
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Alexander S. Neu, Wolfgang Gehrcke, Jan
van Aken, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Einrichtung einer Nelson-Mandela-Stiftungs-
professur für Friedenspolitik und Völker-
recht

Drucksache 18/1329
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

h) Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht zur Umsetzung des Europäischen
Semesters 2013 und der Europa 2020-Strate-
gie unter besonderer Berücksichtigung der
länderspezifischen Empfehlungen

Drucksache 17/14622
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsauschuss

ZP 4 Unterrichtung durch die Bundesregierung

Stadtentwicklungsbericht 2012

Drucksache 17/14450
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Ich frage, ob Sie damit einverstanden sind.
– Ich sehe keine gegenteiligen Äußerungen. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 25 und Zusatz-
punkt 5 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen ebenfalls keine Aussprache vorge-
sehen ist.

Tagesordnungspunkt 25:

Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses

zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am
22. September 2013

Drucksache 18/1160

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.

Zusatzpunkt 5:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Festlegung einheitlicher Vorschriften und ei-
nes einheitlichen Verfahrens für die Abwick-
lung von Kreditinstituten und bestimmten
Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitli-
chen Abwicklungsmechanismus und eines
einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie
zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/
2010 des Europäischen Parlaments und des
Rates

KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/1/13

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Für einen europäischen Bankenabwicklungs-
mechanismus und Bankenabwicklungsfonds

Drucksache 18/1340

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Es enthält sich niemand. – Damit ist dieser An-
trag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit
den Stimmen der Koalition und der Linken abgelehnt.

Damit kommen wir jetzt zum Zusatzpunkt 6:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel mit US-Präsident Barack
Obama

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Jan Korte das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803312100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit Juni 2013 rollt die große NSA-Überwa-
chungsaffäre. Was passierte seitdem? Am 12. Juni fährt
der damalige Innenminister Friedrich nach Washington,
wird allerdings sofort ohne Ergebnis wieder zurück-
geschickt. Am 4. November 2013 fahren die Chefs von
BND und Verfassungsschutz nach Washington. Die
haben zumindest vom Thema Ahnung, haben aber auch
nichts herausgefunden, geschweige denn an dieser
Praxis etwas ändern können.

Dann kommt der damalige Kanzleramtsminister
Ronald Pofalla und erklärt die Affäre für beendet.
Schließlich, nachdem sie doch nicht beendet gewesen
ist, wird vorgeschlagen: Wir machen ein No-Spy-





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)

Abkommen. Daraus ist nichts geworden. Nun haben
einige fälschlicherweise gehofft, dass, wenn die Bundes-
kanzlerin zu ihrem guten Kumpel Präsident Obama
fliegt, Klartext gesprochen und sich dann etwas ändern
würde. Das war leider eine große Fehleinschätzung.

Wie reagiert die Bundeskanzlerin auf diesen größten
Datenschutz- und Bürgerrechtsverletzungsskandal der
letzten Jahrzehnte, der im Übrigen ein Dauerangriff auf
unsere Grund- und Freiheitsrechte ist? Sie reagiert mit
völligem Desinteresse, ohne Mut, geschweige denn mit
irgendeiner Konsequenz. Das ist einer Bundeskanzlerin
und einer Bundesregierung bei der Dimension dieses
Skandals nicht angemessen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Besuch bei Präsident Obama war die letzte
Chance, einmal Klartext zu reden und den USA deutlich
zu sagen: Solange unsere Bevölkerung massenhaft und
ohne einen Grund bespitzelt wird, gehen wir auch diplo-
matisch einen begrenzten Konflikt ein, weil wir das
nicht hinnehmen. – Diese Chance wurde leider vertan.
Stattdessen steht die Bundeskanzlerin wie ein Wackelda-
ckel neben dem US-Präsidenten und tut gar nichts, son-
dern glänzt durch völliges Desinteresse. Das kann doch
nicht wirklich wahr sein, wie mit diesen Vorgängen um-
gegangen wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist im Übrigen ganz interessant, dass einige der
ostdeutschen Genossinnen und Genossen – ich komme
ja aus dem Westen – mir erzählt haben, dass sie diese
Vorgänge an die alten Zeiten erinnern, als noch von der
unverbrüchlichen Freundschaft mit der Sowjetunion ge-
sprochen wurde. Das sind in etwa dieselben Verhaltens-
weisen, die hier an den Tag gelegt werden. Das kann
auch einmal klar angesagt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist ebenfalls interessant, einmal zu untersuchen
und über die Frage nachzudenken: Woher kommt denn
diese Unterwürfigkeit? Woher kommt dieses Desinte-
resse? Woher kommt eigentlich dieses Achselzucken?
Dabei nähern wir uns logischerweise, von der Außen-
politik kommend, direkt der Innenpolitik. Der Kern für
die Unterwürfigkeit ist natürlich, dass diese und die vor-
herigen Bundesregierungen sowie die deutschen Ge-
heimdienste Komplizen der NSA-Praxis sind. Das ist der
Grund für die Unterwürfigkeit: Man ist Komplize und
Gehilfe. Das gehört abgestellt, wie die Linke findet.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang wurde nicht von der Bun-
desregierung, von der ja in dieser Frage überhaupt gar
nichts zu erwarten ist, sondern verdienstvollerweise von
engagierten und kritischen Journalisten zum Glück sehr
viel aufgedeckt.

Ein zweiter Grund für diese Unterwürfigkeit, für die-
ses Beschwichtigen und Für-beendet-Erklären ist natür-
lich auch, dass Deutschland schon lange nicht nur an den
offenen, sondern auch an den geheimen Kriegen der
USA, die von deutschem Boden mit vorbereitet und
durchgeführt werden, aktiv beteiligt ist. Das ist der ei-
gentliche Skandal. Es wäre das Mindeste, damit endlich
aufzuhören.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe mich bei unseren Außenpolitikern ein wenig
kundig gemacht. Man kann da logischerweise vielleicht
nicht ganz so deutlich reden, wie ich das jetzt tue – ich
bin ja heute noch sehr zurückhaltend –,


(Zuruf von der SPD: Nur Mut!)


sondern man muss bestimmte Dinge beachten. Das kann
ich alles verstehen. Aber man hätte in Washington ja zu-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1803312200
Sie
hätten sich zum Beispiel mit Jimmy Carter, dem ehema-
ligen demokratischen Präsidenten, treffen können, der
zur NSA-Praxis sehr deutlich etwas gesagt hätte. Sie hät-
ten sich symbolisch mit vielen Kongressabgeordneten
treffen können, die im Kongress dafür sorgen wollen,
dass der Datenschutz und die Bürgerrechte eingehalten
werden. All das hätten Sie tun können. Sie hätten deren
Kritik aufnehmen können, wenn Sie selber schon nicht
in der Lage sind, diese Kritik zu formulieren. Auch das
haben Sie leider sträflich vernachlässigt, was wir sehr
bedauern.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre wirklich notwendig und anerkennenswert ge-
wesen, wenn Sie sich ein Beispiel an der brasilianischen
Staatspräsidentin Dilma Rousseff genommen hätten. Die
hatte nämlich den Mumm, in Anwesenheit von Präsident
Obama Klartext zu reden und unverblümte Kritik zu äu-
ßern. Das ist richtig. Brasilien hat daran gearbeitet, ein
eigenes Verschlüsselungssystem einzuführen. Auch in
dieser Hinsicht bei Merkel und dieser Bundesregierung
totale Fehlanzeige! In Brasilien wurde von der Präsidentin
eine Internetverfassung auf den Weg gebracht, wurden In-
ternetgrundrechte formuliert. Das wäre der richtige Weg
gewesen. Sie hätten die brasilianische Präsidentin in ih-
rem Engagement gegen diese massenhafte Grundrechts-
verletzung unterstützen müssen. Es kam nichts. Sie las-
sen sie im Regen stehen. Das ist doch nicht hinnehmbar.
Das ist nicht zu fassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um abzuschließen: Bei der Bundeskanzlerin ist es ja
mittlerweile so, dass sie die normalen irdischen Gefilde
verlassen hat. Sie schwebt schon mehrere Meter über
dem realen Leben und ist in ihrer präsidialen Art kaum
noch ansprechbar für unsere irdischen Probleme hier. Es
geht aber nicht darum, als Bundeskanzlerin einfach Bun-
deskanzlerin zu sein; vielmehr sind die Bundeskanzlerin
und die Bundesregierung dem Grundgesetz und dem
Schutz der Rechte der Bürgerinnen und Bürger ver-
pflichtet. Dem kommen sie nicht einmal ansatzweise
nach. Deswegen ist eine radikale Umkehr in dieser Poli-
tik dringend notwendig, um unsere Grund- und Frei-
heitsrechte, die unter großen Opfern erkämpft worden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)

sind, endlich zu schützen. Das ist Ihre Aufgabe. Da ha-
ben Sie vollkommen versagt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803312300

Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich nun das Wort

der Kollegin Elisabeth Motschmann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1803312400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Korte, Sie haben das Thema total verfehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben eigentlich nur über die NSA geredet, aber Ihre
Aktuelle Stunde hat ein anderes Thema.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das kommt aber noch!)


Sie sagten über das Treffen: großer Aufwand und kein
Ergebnis.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, richtig! Über Nichtergebnisse muss man auch sprechen!)


Im Übrigen weise ich, lieber Herr Korte, Ihre Äußerung,
dass wir Komplizen der NSA sind, hier in aller Deutlich-
keit zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer die Ergebnisse des Treffens von Bundeskanzlerin
Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama – da-
rum geht es in dieser Aktuellen Stunde – bewerten will,
muss sich zunächst den weltpolitischen Hintergrund die-
ser Reise ansehen. Wir alle blicken in großer Sorge auf
die Ukraine. Die Lage dort ist ernst, sehr ernst. Außen-
minister Frank-Walter Steinmeier hat gestern in der Ak-
tuellen Stunde sehr deutliche Worte gefunden – ich habe
das genau mitgeschrieben –:

Die Lage … ist furchtbar.

Die Nachrichten sind erschreckend.

Die Ereignisse seien dramatisch, hat er gesagt. Und:

Dann stehen wir auf unserem Kontinent … an der
Schwelle zu einer Konfrontation.

So weit Frank-Walter Steinmeier. Er hat gleichzeitig
aber auch betont, dass es ihm nicht darum geht, Ängste
zu schüren, sondern darum, die Lage ehrlich zu schil-
dern. Auch andere Krisenherde in der Welt sind uns sehr
wohl bekannt: Syrien, Afghanistan und Afrika, wo es
jede Menge Unruhen gibt.

Vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Lage
hat die Bundeskanzlerin mit ihrer Reise wichtige Signale
gesetzt: Sie unterstreicht und festigt das Bündnis mit
Amerika. Sie dokumentiert, die transatlantischen Bezie-
hungen sind intakt. Sie betont, dass ungeachtet aller Dif-
ferenzen – ich komme darauf noch zu sprechen –
Deutschland und die USA enge Verbündete, ja auch
Freunde bleiben. Das ist das erste Ergebnis dieser Reise.
Diese Signale werden von Barack Obama geteilt. Er hat
gesagt:

Deutschland ist einer unserer engsten Verbündeten
und unserer engsten Freunde.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Er benimmt sich aber nicht so!)


Die Linken haben ja noch nie sehr viel von unserem
amerikanischen Bündnispartner gehalten, noch nie.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Was heißt das?)


Damit isolieren Sie sich in diesem Haus.

Auch das kritische Thema NSA darf doch nicht dazu
führen, dass wir vergessen – ich bitte Sie, darüber einmal
nachzudenken –, was wir diesem Bündnis zu verdanken
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will Ihnen das in Stichworten sagen – fünf Minuten
Redezeit sind leider sehr kurz –: Frieden und Sicherheit
nach dem Zweiten Weltkrieg, Aufbauhilfe, Marshall-
plan,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Atomraketen!)


Unterstützung bei der deutschen Einheit, zuverlässiger
Partner in der NATO, wichtiger Handelspartner. Meine
Damen und Herren, gerade in Krisenzeiten ist die Werte-
gemeinschaft, die uns verbindet, von ganz großer Bedeu-
tung. Sie ist die Grundlage für Frieden, Freiheit und
Wohlstand in unseren Ländern und in der gesamten
westlichen Welt.

Merkel und Obama haben Einigkeit und Geschlossen-
heit gegenüber Russland in der Ukraine-Frage gezeigt.
Das ist das zweite wichtige Ergebnis der Reise. Darüber
haben Sie gar nicht geredet.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das macht mein Kollege! Ich wollte die Vorfreude nicht nehmen!)


Die Kanzlerin und der amerikanische Präsident verurtei-
len das Vorgehen Putins auf der Krim und in der
Ukraine. Beide sprechen von Völkerrechtsbruch. Beide
bekräftigen die Notwendigkeit weiterer Sanktionen.
Beide sind sich einig, dass man die Ukraine unterstützen
muss, auch mit finanziellen Mitteln. Beide sind sich aber
auch einig, dass alle diplomatischen Möglichkeiten ge-
nutzt werden müssen, um die Lage zu deeskalieren. Es
muss eine politische und darf keine militärische Lösung
geben. Darin sind sie sich vollkommen einig. Diese Ei-
nigkeit, dieser Schulterschluss bei dem zentralen und
wichtigsten Thema des Treffens ist ein großer Erfolg,
lieber Herr Korte. Diese Einigkeit ist genau das richtige
Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Ja, es gab auch kritische Themen. Dazu gehört die
Abhöraffäre. Differenzen sind auch unter Freunden
möglich, übrigens auch nötig. Streit gibt es in jeder Fa-
milie, auch in der politischen Familie. Die Verhältnismä-
ßigkeit der Maßnahmen zwischen berechtigtem Sicher-
heitsinteresse und notwendigem Schutz der Privatsphäre





Elisabeth Motschmann


(A) (C)



(D)(B)

muss gewahrt bleiben. Genau das hat die Bundeskanzle-
rin auch gesagt.


(Zurufe von der LINKEN: Oijoijoi!)


Sie hat erneut ein No-Spy-Abkommen gefordert.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?)


Die Umsetzung dieser Forderung allerdings ist nicht ihre
Sache – sie regiert hier und nicht in Amerika –,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?)


sondern dies ist die Sache Amerikas und Barack
Obamas.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ein beiderseitiges Abkommen! Das können die USA nicht mit sich selber abschließen!)


Wenn Sie dort hingereist wären, Herr Korte, dann hätten
wir erst recht kein No-Spy-Abkommen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Dann wäre was los gewesen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803312500

Liebe Kollegin Motschmann, Sie denken daran, dass

das Zeitformat der Aktuellen Stunde die fünf Minuten
sind.


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1803312600

Lieber Herr Präsident, heute ist meine fünfte Rede,

heute ist mein fünftes Enkelkind geboren; da reichen
fünf Minuten nicht ganz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Freihandelsabkommen bleibt ein offener Punkt,
obwohl beide Seiten es grundsätzlich bejahen. Angela
Merkel hat für einen zügigen Abschluss des Abkom-
mens zwischen der EU und den USA geworben.

Meine Damen und Herren, ich schließe und sage ganz
klar: Das Treffen der beiden hat gute Ergebnisse ge-
bracht. Die Freundschaft beider Staaten wurde gefestigt.
Wir können einmal mehr sehen, dass in der Außenpolitik
die Linken alles andere als vernünftig und verantwor-
tungsvoll sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Gut abgelesen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803312700

Ich darf an dieser Stelle zur Geburt des Enkelkindes

herzlich gratulieren, Frau Kollegin Motschmann.


(Beifall)


Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803312800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-

deskanzlerin Merkel hat in Washington die transatlantische
Wertegemeinschaft beschworen. Das finde ich richtig. Es
gibt eine Wertegemeinschaft, die Gemeinsamkeiten hat,
wie zum Beispiel pluralistische Demokratie oder Rechts-
staatlichkeit. In die Außenpolitik übersetzt heißt das,
dass internationale Regelwerke einzuhalten sind. Diese
Wertegemeinschaft ist herausgefordert, heutzutage bei-
spielsweise in Syrien oder in der Ukraine. Die trans-
atlantische Antwort darauf müsste sein, sich auf die ge-
meinsamen Werte, die wir haben, zurückzubesinnen.

Aber wir müssen feststellen, dass es noch eine weitere
Herausforderung gibt: die lange Liste praktischer Politi-
ken der Vereinigten Staaten von Amerika, die genau die-
sen Werten nicht entsprechen. Dies bringt sehr viele Fra-
gen mit sich. Frau Merkel ist nicht mit Antworten,
sondern mit leeren Händen zurückgekommen.

Zur NSA wird der Kollege Ströbele nachher mehr sa-
gen. Erlauben Sie mir jetzt nur die Anmerkung, dass es
nicht nur um das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin
geht, sondern vielmehr um uns alle, die wir überwacht
werden.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben! Eben! Eben!)


Die Frau Bundeskanzlerin hat nicht einmal darauf be-
harrt, Akteneinsicht in ihrem eigenen Fall zu fordern,
oder darauf, dass die Akte vernichtet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist es! Richtig!)


Es gab den Irakkrieg, der dem Völkerrecht nachhaltig
Schaden zugefügt hat. Es gibt den Drohnenkrieg der
Amerikaner in Pakistan, der völkerrechtswidrig ist; er
findet nicht nur dort, sondern auch im Jemen und in So-
malia statt. In Pakistan reden wir über 2 500 Tote; Hun-
derte Kinder sind darunter. Das ist nicht nur ein Völker-
rechtsbruch, sondern es ist ein riesengroßer strategischer
Fehler im internationalen Kampf gegen den Terrorismus.
Es gibt Studien noch und nöcher, die belegen, dass dieser
Drohnenkrieg ein großer Helfer für Extremisten ist, um
Menschen anzuwerben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zeugen wie der ehemalige Pilot von Kampfdrohnen
Brandon Bryant sagen glasklar: Das, was die Amerika-
ner machen, wäre ohne das, was in Deutschland zum
Beispiel in Ramstein passiert, in der Form überhaupt
nicht möglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Bundesregierung ist aufgefordert, wenigstens die
richtigen Fragen zu stellen, und natürlich muss sie auch
dafür sorgen, dass das nicht passiert; denn das ist eine in-
direkte Beteiligung am Völkerrechtsbruch.

Wir haben Guantánamo. Seit fünf Jahren sagt der US-
Präsident nicht nur, dass Guantánamo geschlossen wer-





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

den muss. Er selbst sagt auch, dass „Guantánamo der
moralischen Autorität“ der USA „geschadet hat“. Es
sind immer noch 150 Personen dort. Das hat mit unse-
rem gemeinsamen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit
nichts zu tun.

Wir haben die Verhandlungen über das Freihandels-
abkommen TTIP. Ja, TTIP ist eine riesengroße Chance,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein!)


für Arbeitsplätze, für die Märkte auf beiden Seiten, wenn
es im Ergebnis dazu führt, dass ökologische und soziale
Standards angehoben werden, und es ein transparentes
Verfahren gibt. Das, was wir bisher haben, wird dem
nicht gerecht. Deshalb brauchen wir einen Neustart bei
TTIP.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei Partnerschaften und Freundschaften können Dif-
ferenzen bestehen – da hat die Kollegin Motschmann
völlig recht –; aber sie werden nicht beseitigt, wenn man
sie nicht anspricht.


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Habe ich doch! – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! Zuhören!)


Wenn es Fragen gibt – noch einmal: wir haben sehr viele
Fragen an die Amerikaner –, dann braucht man Antwor-
ten. Aber die Antworten wird man nicht bekommen,
wenn man die Fragen nicht stellt.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie sind doch gestellt worden!)


Das ist nicht geschehen. Die Frau Bundeskanzlerin – ich
habe es schwarz auf weiß – beharrt nicht einmal darauf,
dass ihre persönliche NSA-Akte vernichtet wird. Dann
kann man nicht davon sprechen, dass sie nach Amerika
gefahren ist, um eine Aufklärung herbeizuführen. Das ist
schlicht nicht geschehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt will ich etwas zu den Ausführungen des Kolle-
gen Korte sagen; denn es gibt doch einen kleinen Unter-
schied zwischen der Sowjetunion damals und den USA
heute. Darin ist auch die Partnerschaft und die Freund-
schaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika begrün-
det, die ich bezeugen würde. Wenn es um die Positionen
geht, die ich gerade benannt habe, gibt es nicht nur in der
amerikanischen Zivilgesellschaft Hunderte und Tau-
sende von Menschen, sondern auch im Kongress zig Ab-
geordnete, die unsere besten Partnerinnen und Partner
und Verbündeten sind,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Habe ich ja gesagt!)


die gemeinsam mit uns dafür kämpfen, dass diese riesige
Überwachungsmaschinerie endlich gezügelt wird, dass
es ein Freihandelsabkommen gibt, das gewissen Stan-
dards entspricht, dass Guantánamo geschlossen wird.
Weil wir solche Partner haben, ist es richtig, von einer
Wertegemeinschaft zu sprechen. Diese Wertegemein-
schaft wird aber unterspült, wenn wir Double Standards
setzen. Deswegen muss man diese Double Standards ge-
rade in diesen Zeiten klar benennen und gemeinsam ver-
suchen, sie abzuschaffen.

Wir brauchen die Amerikaner. Aber wenn man sich in
der Welt umschaut, dann erkennt man, dass es nicht allzu
viele andere potenzielle Partnerstaaten für die USA gibt,
die so viele Gemeinsamkeiten aufweisen, die dieselben
Werte verfolgen, etwa Rechtsstaatlichkeit und pluralisti-
sche Demokratie. Man muss also feststellen: Die Ameri-
kaner brauchen uns genauso. Deshalb ist es ohne Pro-
bleme möglich, mit den Amerikanern offen und ehrlich
zu sprechen und die richtigen Fragen zu stellen. Das
muss die Bundesregierung endlich tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803312900

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen

Dr. Rolf Mützenich, SPD, das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1803313000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

besteht kein Zweifel: Die NSA-Affäre hat die Beziehun-
gen zwischen den USA und Deutschland nachhaltig be-
schädigt. Ich glaube, dass wir dies vonseiten des Deut-
schen Bundestages schon mehrfach ausreichend
diskutiert und festgestellt haben. Ich muss aus meiner
persönlichen Sicht sagen: Es hat sich auch mein Bild
von Präsident Obama verändert. Ich glaube schon, dass
er zumindest damals, als er vor seiner ersten Amtszeit
als Präsidentschaftskandidat der Demokraten antrat, in
diesem Zusammenhang zumindest gegenüber uns, ge-
genüber Europa, ein anderes Bild vermittelt hat.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ganz anders!)


Auch das gehört zu einer offenen Diskussion dazu, und
deswegen sagen wir es hier.

Wenn Sie hier ehrlich debattieren wollen, müssen Sie
aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Bundeskanzle-
rin in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident
Obama auf die Meinungsunterschiede hingewiesen hat.
Sie hat sehr deutlich gemacht, dass es hier Differenzen
zwischen der Auffassung der Bundesregierung und der
Auffassung der Administration gibt. Sie hat gerade auch
vor amerikanischem Publikum die ernsthaften Versuche
dargestellt – sie sprach über den Cyberdialog und die
Möglichkeiten, die die EU gerade nach der Neuwahl des
Europäischen Parlamentes nutzen sollte –, gemeinsam
mit den USA zu einem anderen Verhalten zu kommen.
Meine Kollegen Saskia Esken und Christian Flisek wer-
den sich in dieser Aktuellen Stunde noch mit diesen Fra-
gen, auch im Hinblick auf den Untersuchungsausschuss,
befassen.

Es war gut, dass sich die Bundeskanzlerin auch mit
Mitgliedern des Kongresses getroffen hat, weil gerade
dort die Kritik am Verhalten der Geheimdienste – spätes-





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

tens zu dem Zeitpunkt, als bekannt wurde, dass auch der
Kongress offensichtlich von Geheimdiensten abgehört
wurde – gewachsen ist. Es wurden letztlich auch Ermuti-
gungen ausgesprochen, da nur so die Voraussetzung da-
für geschaffen werden kann, dass sich das Verhalten der
USA verändert.

In der Tat – das wurde schon von einigen angespro-
chen – war das entscheidende Thema die Ukraine. Nie-
mand in Deutschland hätte es der Bundeskanzlerin abge-
nommen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt dieses Thema
nicht zum Schwerpunkt ihrer Washington-Reise ge-
macht hätte. Durch die Geschehnisse in der Ukraine
werden die Prinzipien der europäischen Friedensord-
nung erschüttert. Möglicherweise wird eine Zeiten-
wende eingeläutet. Deswegen war es richtig, dass das
Thema Ukraine Schwerpunkt der Diskussion war. Wir
brauchen einen vertrauensvollen, aber auch intensiven
Austausch. Möglicherweise gibt es unterschiedliche
Auffassungen, unterschiedliche Sichtweisen; aber das
gibt es zwischen Partnern.

Nebenbei bemerkt: Es war gut, dass die Bundeskanz-
lerin – zumindest habe ich das gelesen – ebenfalls über
Syrien und die Herausforderungen der iranischen Atom-
krise gesprochen hat. Hier wird deutlich: Der Besuch
war nicht nur erwünscht, sondern er war dringend not-
wendig und fand zum richtigen Zeitpunkt statt, weil wir
in den nächsten Wochen und Monaten wichtige Ent-
scheidungen in diesem Bereich zu treffen haben.
Deutschland ist ein unverzichtbarer Partner für die USA
und insbesondere für die internationale Staatengemein-
schaft. Wann, wenn nicht bei einem solchen Arbeits-
besuch, soll das besprochen werden?

Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin keine Schau-
fensterdiplomatie betreibt und irgendetwas erklärt, was
zum Schluss vielleicht doch nicht eingehalten wird.
Vielmehr widmet sie sich intensiv den Differenzen, aber
letztlich auch den Übereinstimmungen. Das ist verant-
wortungsvolle Außenpolitik


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


und keine Kommentierung, wie der Außenminister in
München zu Recht gesagt hat, von der Außenlinie.

Wir stellen uns der Aufgabe, eine verantwortungs-
volle Außenpolitik zu machen, die versucht, mit diplo-
matischen und zivilen Mitteln, mit Klugheit, aber auch
mit Besonnenheit auf die innenpolitische Diskussion
auch in den USA einzuwirken. Das haben Sie bei Ihrer
Rede zu diesem Thema vollkommen ausgeblendet. Es ist
wichtig, was die Bundeskanzlerin in den USA gesagt
hat. Es gibt nun einmal Differenzen aufgrund anderer
historischer Erfahrungen, zum Beispiel in Bezug auf
Sanktionen. Wir als Deutsche wollen als Verantwortliche
in der Außenpolitik Europas deutlich machen, dass wir
Russland trotz aller Differenzen für eine gemeinsame
europäische Friedensordnung brauchen. Vielleicht ist es
auch nicht schlecht, Präsident Obama zu ermutigen, wei-
terhin auf den Ausbau der Raketenabwehr, zumindest
der vierten Stufe, zu verzichten. Es wäre gut, wenn wir
die USA überzeugten, den NATO-Russland-Rat als
wichtiges Dialogforum ernst zu nehmen. Insbesondere
für die konventionelle Abrüstung in Europa braucht es
eine konstruktive Haltung der USA. Dafür treten wir So-
zialdemokraten ein.

Wir hatten nie zu viel Entspannungspolitik. Wir brau-
chen sogar mehr Entspannungspolitik, gerade in diesen
Zeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803313100

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege

Thorsten Frei, dem ich hiermit das Wort erteile.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1803313200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke hat
diese Aktuelle Stunde beantragt, um eine Bewertung des
Amerika-Besuches unserer Bundeskanzlerin vorzuneh-
men. Ich schließe mich der überwiegenden Mehrheit der
bisherigen Redner an und sage: Dieser Besuch war ers-
tens richtig, zweitens ein Erfolg und ist drittens zur rich-
tigen Zeit erfolgt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich ist richtig, dass im vergangenen Jahr die
Massenüberwachung durch die NSA in Deutschland Ge-
sellschaft und Medien erschüttert hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute noch, Herr Kollege!)


Auch wir sind der Auffassung, dass es mit unseren Maß-
stäben von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar ist, mas-
senhaft Daten und Informationen abzugreifen, ohne dass
es dafür irgendeinen Grund oder auch nur irgendeinen
Verdachtsfall gibt. Das haben wir damals gesagt, und das
sagen wir heute. Da reden wir nichts schön. Auch wenn
wir zur Kenntnis zu nehmen haben, dass auch in Ame-
rika eine Debatte darüber in Gang gekommen ist und es
auch dort Widerstände gegen diese gängige Praxis der
Überwachung gegeben hat, ist natürlich festzustellen,
dass die Bewertung des Spannungsverhältnisses zwi-
schen Freiheit und Sicherheit diesseits und jenseits des
Atlantiks unterschiedlich austariert und aufgelöst wird.
Das ist zutreffend.

Ich plädiere dafür, dass wir nicht blauäugig und illusi-
onär an diese Debatte herangehen, sondern uns bewusst
machen, dass es gängige Praxis von Diensten weltweit
ist, Informationen zu beschaffen, um dadurch ein gutes
Stück weit ihrer exekutiven Verantwortung, Sicherheit
für die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, eigene
Interessen zu verfolgen, aber auch für Werte einzuste-
hen, nachzukommen. Auch das dürfen wir in dieser De-
batte nicht vergessen. Genauso wenig dürfen wir verges-
sen – auch das ist schon angesprochen worden –, dass es
unter Freunden auch Meinungsverschiedenheiten geben
darf. Die gibt es in diesem Fall. Diese hat die Bundes-
kanzlerin, auch wenn Sie es negieren, deutlich angespro-
chen, und zwar nicht erst bei diesem Besuch, sondern





Thorsten Frei


(A) (C)



(D)(B)

bereits vielfach in den vergangenen Monaten. Ich
glaube, dass gute Partnerschaften und Freundschaften es
aushalten müssen – sie tun es in diesem Falle auch –,
dass man diese unbequemen Wahrheiten und auch die
Kritik anspricht, die berechtigterweise im Raum stehen.

Kluge und verantwortungsvolle Außenpolitik muss
letztlich über den Tag hinaus denken, muss letztlich auch
Verantwortung übernehmen für das, was kommt. Deswe-
gen ist es falsch, aus einer Empörungshaltung heraus
Außenpolitik mit dem Bauch zu machen. Es wäre sehr
viel klüger, den Kopf einzuschalten. Genau das tun die
Bundesregierung und die Bundeskanzlerin ganz persön-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer glaubt denn im Ernst, dass die Herausforderungen,
beispielsweise in der Ukraine – sie sind vom Kollegen
Mützenich angesprochen worden –, in Afghanistan, im
Iran, in Syrien oder Nahost nachhaltig ohne die Unter-
stützung der USA zu lösen sind? Im Gegensatz zu Ihnen
sagen wir: Wir müssen in der Außenpolitik eine größere
Verantwortung, entsprechend unserer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und Größe, übernehmen. Man kann
sich nicht vom Acker machen, wenn es schwierig wird
und, wenn die Amerikaner die Aufgabe übernehmen, sie
auch noch kritisieren. Das ist einfach nicht in Ordnung.
Das müssen wir an dieser Stelle deutlich sagen.

Die Verflechtung zwischen den USA und Deutsch-
land, die Nähe zu den USA ergibt sich aus unserer Ge-
schichte, vor allen Dingen aus den vergangenen 70 Jah-
ren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die
Amerikaner haben uns in besonderer Weise geholfen
und es uns ermöglicht, ein wirtschaftlich prosperieren-
des und demokratisches Deutschland aufzubauen. Es
sind die Herausforderungen der Zukunft, die uns verbin-
den und deutlich machen: Es gibt keine Äquidistanz
Deutschlands zu Russland und den USA. Wir lassen es
nicht zu, dass man einen Keil in die westliche Partner-
schaft treibt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Aber Polarisierung!)


Ich bin sicher, dass wir auch im ökonomischen Be-
reich eine starke Zusammenarbeit zwischen Deutschland
und der Europäischen Union einerseits und den USA an-
dererseits benötigen. Wir brauchen ein erfolgreiches
Freihandelsabkommen, weil niemand davon so profitiert
wie Deutschland. Wir haben eine Exportquote von
73 Prozent. Die USA sind nach der EU der wichtigste
Exportmarkt für unsere Wirtschaft, das wichtigste Ziel-
land für deutsche Investitionen; vor allen Dingen hängt
jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export ab.
Wir brauchen das Freihandelsabkommen, weil es zu
mehr Sicherheit, zu mehr Wohlstand, zu mehr Wachs-
tum, zu sinkenden Preisen und zu einer größeren Pro-
duktvielfalt führen wird.

Lassen Sie mich zum Ende noch einen Aspekt anspre-
chen: Es kommt hier nicht in erster Linie auf Euro und
Cent an. Es kommt vor allen Dingen auf die politische
und geostrategische Bedeutung an. Es kommt darauf an,
ob wir nebenanstehen wollen, wenn Standards für Ver-
braucherschutz, beispielsweise Standards für den Schutz
geistigen Eigentums, Standards für Wettbewerb und In-
vestitionen, gesetzt werden, oder ob wir gemeinsam mit
unseren europäischen Partnern und den USA daran mit-
arbeiten wollen.

Wenn wir es nicht tun, wenn wir es nicht schaffen,
dann machen das in einigen Jahren andere. Dann sitzen
nicht nur wir Deutsche, sondern wir Europäer am Kat-
zentisch. Das wollen wir nicht. Deshalb ist es richtig,
dass wir uns hier engagieren. Das hat die Bundeskanzle-
rin gemacht, weil sie Außenpolitik vom langen Ende her
bedenkt. Dieser Besuch war daher richtig und erfolg-
reich.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803313300

Für die Linke spricht jetzt der Kollege Dr. Diether

Dehm.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803313400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

1972 Plakate geklebt, auf denen stand: Deutsche – Wir
können wieder stolz sein auf unser Land! Wir Frankfur-
ter Sozialdemokraten hatten eine Fotokopie mit dem vor
dem Warschauer Mahnmal knieenden Willy Brandt da-
rüber geklebt. Da beugte sich ein deutscher Kanzler,
turmhoch überlegen den Nationalisten und Rassisten und
auch der CDU, die ihn damals verspotteten.

Ihre Verbeugungen in Washington, Frau Bundeskanz-
lerin, sind ganz anderer Art. Es war nicht nur Ihr Tele-
fon, das abgehört wurde, sondern es war und bleibt eine
Demütigung aller Deutschen und ist und bleibt ein per-
manenter Rechtsbruch. Hatten Sie denn, als Sie das No-
Spy-Abkommen beerdigt haben, vergessen, dass Sie Ih-
ren Amtseid nicht auf eine Fibel der NSA, sondern auf
das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland abge-
legt haben? Die USA treten unsere Grundrechte mit Fü-
ßen, und Sie lassen sich abhandeln, Edward Snowden in
Deutschland nicht als Zeugen aussagen zu lassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie schon so wenig Selbstrespekt haben, dann
sollten Sie zumindest Respekt vor dem deutschen Recht
haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Erich Kästner schrieb einst:

Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch
den man euch zieht, auch noch zu trinken.

Sie trinken ihn, Frau Bundeskanzlerin.

Was haben Sie uns denn aus den USA mitgebracht?
Zum Beispiel, dass diese verdammten Atomraketen aus
Rheinland-Pfalz abgezogen werden? Das wäre einem
souveränen Deutschland angemessen. Die USA wollen





Dr. Diether Dehm


(A) (C)



(D)(B)

ihre Vormachtstellung gegenüber ihren potenziellen
Konkurrenten Russland und China absichern und deswe-
gen ein Freihandelsabkommen mit der EU. Sie hätten
also mit diesem TTIP ein Druckmittel gehabt; aber Sie
sind in die Knie gegangen. Können Sie hier klar aus-
schließen, dass der US-Konzern Monsanto, wenn ein
deutscher Imker oder Landrat gegen dessen Genmais
vorgeht, keine Schadenersatzansprüche gegen die Bun-
desrepublik erheben kann wegen entgangener Gewinne
oder dass der Mindestlohn zu Klagen führt, noch dazu
vor Schiedsrichtern in lächerlichen Hinterzimmern, die
gar keine Gerichte mehr sind, sondern einen Sondersta-
tus haben? Können Sie das ausschließen? Wenn nicht, ist
Ihr Schweigen auch eine Aussage. Warum dann die
ganze Geheimniskrämerei um das Investorenschutzkapi-
tel des TTIP? Was soll der jetzt bekannt gewordene „Re-
gulierungsrat“ aus Bankern und Konzernlobbyisten, der
nationalen Parlamenten Gesetzesvorhaben verbieten
darf, wenn sie dem Freihandel schaden?

In Wirklichkeit lauern die US-Konzerne darauf, euro-
päische Öko- und Sozialstandards zu ruinieren. Und die
Deutsche Bank lauert darauf, in den USA nicht mehr für
ihre Betrügereien bestraft zu werden. Denn dort ist die
Finanzaufsicht schärfer als in dem Land, in dem die
Bundeskanzlerin den Geburtstag des Oberbanksters
Josef Ackermann im Kanzleramt feiern ließ.


(Beifall bei der LINKEN)


Viele fragen: Ging es Obama und Ihnen bezüglich der
Ukraine nur darum, wer näher dran ist, wenn die Splitter
fliegen, und wer schneller an Kohle und Stahl oder am
Schiefergas ist? Das ist übrigens eine tolle Vorstellung:
Überall auf der Welt wird gegen Fracking demonstriert,
und in der Ukraine wurde das Fracking von SS-Milizen
der Swoboda-Partei abgesichert.

Heute ist der 8. Mai, den Bundespräsident Weizsäcker
den Tag der Befreiung nannte. Uns wird immer gesagt,
dass wir den amerikanischen GIs dafür dankbar zu sein
haben. Aber es war der amerikanische Literaturnobel-
preisträger Ernest Hemingway, der dies um folgenden
Satz ergänzte – ich zitiere –: „Wer den Frieden befür-
wortet, wird der Roten Armee so viel danken müssen,
wie er in seinem ganzen Leben nicht wird arbeiten kön-
nen.“


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kenne die richtigen Worte, Deutsche hätten selbst mit
berechtigter Kritik an der israelischen Regierung erst
einmal innezuhalten wegen der 6 Millionen Ermordeten
des Holocausts. Wer aber von Ihnen bessere Beziehun-
gen zur Bild-Zeitung hat als ich, sollte denen einmal
sagen: Haltet inne mit eurem pausenlosen „Russen-Ba-
shing“ – auch wegen der 27 Millionen mit SS und Wehr-
macht ermordeten Sowjetmenschen!


(Beifall bei der LINKEN)


Kann denn bei Springer niemand verstehen, was es für
russische Familien bedeutet, wenn in der Ukraine die
mitregierende Swoboda-Partei – mit Hitlergruß – ihre
Parteihochschule nach Joseph Goebbels benennt? Nach
Joseph Goebbels! Kann niemand verstehen, was das für
diese Menschen bedeutet, nachdem es dort 27 Millionen
Tote gegeben hat?

Die Linke demonstriert heute vom Brandenburger Tor
zum Sowjetischen Ehrenmal, welches die Bild-Zeitung
gerade plattmachen möchte. Wir gedenken auch der vie-
len Menschen, die letzte Woche im Gewerkschaftshaus
von Odessa bei lebendigem Leibe verbrannt und von Fa-
schisten mit Baseballschlägern wie Vieh totgeschlagen
wurden. Wir denken auch an die Stockholmer Rede von
Willy Brandt mit dem Kernsatz: „Krieg ist nicht mehr
die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio.“ Willy
Brandt hat auf Knien die deutschen Interessen vertre-
ten – Sie nicht, Frau Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803313500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Saskia Esken, SPD.


(Beifall bei der SPD)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1803313600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Internet
gehört der NSA“, so lautete eine Überschrift von vielen,
mit denen die Medien die Enthüllungen von Edward
Snowden kommentierten. Die Ahnung von der Daten-
sammelwut von Geheimdiensten, die wir durch diese
Enthüllungen bisher erhalten haben, hat unser Vertrauen
in die Chancen von Digitalisierung und weltweiter Ver-
netzung nachhaltig erschüttert. Die Verunsicherung der
Menschen und der Diskurs, der darüber entstanden ist,
betreffen aber nicht nur die Tätigkeit ausländischer Ge-
heimdienste. Wir beschäftigen uns in der Folge auch mit
dem Umgang der großen und kleineren Netzakteure mit
unseren persönlichen Daten, und wir beschäftigen uns
mit Fragen der Datensicherheit, so zum Beispiel mit Ver-
schlüsselungsverfahren, ihrer Anwendbarkeit und Ver-
breitung. Ich meine, das sind gute und notwendige Dis-
kussionen. Sie beschränken sich nicht auf die Grenzen
unseres Landes, sondern werden weltweit geführt, nicht
nur in Europa, sondern auch in den USA und in anderen
Ländern.

Heute Morgen durfte ich an einem Gespräch mit Ver-
tretern der Regierung von Ruanda teilnehmen, die die
Internetkonferenz re:publica hier in Berlin besuchen. Ich
habe mich gefreut, zu hören, wie klar und deutlich auch
in Ruanda die Chancen des Internets für Bildung und
Emanzipation, für die persönliche und für die wirtschaft-
liche Entwicklung der Menschen gesehen werden. Inter-
net und Digitalisierung werden also durchaus noch als
Verheißung wahrgenommen.

Doch diese Verheißung hat durch die bekannt gewor-
dene Überwachung einen tiefen Bruch erfahren, der weit
über eine allgemeine Skepsis gegenüber der digitalen
Kommunikation hinausgeht. Nicht nur auf deutscher
Seite ist dabei das Vertrauen in die USA als befreundete
Nation nachhaltig beschädigt worden. Unsere Wahrneh-
mung wird beherrscht von einer großen Verunsicherung
darüber, welchen Schaden die Überwachung unserer





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)

Kommunikation für die Bürgerinnen und Bürger, aber
auch für die Wirtschaft bedeutet.

Lassen Sie mich das Maß dieser Verunsicherung an
einem Beispiel aus der analogen Welt erläutern. Wenn
Menschen Opfer eines Wohnungseinbruchs werden,
dann fühlen sie sich in ihrem Grundvertrauen in unsere
Gesellschaft nachhaltig verletzt. Dieser Vertrauensver-
lust ist durch den Ausgleich des Schadens durch die Ver-
sicherung nicht zu beheben. Ebenso gilt – auch im Hin-
blick auf die Verletzung unserer Privatsphäre, unserer
Persönlichkeits- und Freiheitsrechte –: Nicht alle Wun-
den heilt die Zeit. Es darf also keinesfalls der Fehler be-
gangen werden, Dinge unter den Teppich zu kehren oder
gar etwas für beendet zu erklären, das noch lange nicht
beendet ist. Allen Akteuren sollte bewusst sein: Ver-
trauen kann man nicht verordnen. Verlorengegangenes
Vertrauen muss aktiv wiederhergestellt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen des-
halb – und wir bestärken die Bundeskanzlerin darin –,
dass sie bei ihrem USA-Besuch mit Präsident Obama
vereinbart hat, den notwendigen und vertrauensbilden-
den Dialog, den sogenannten Cyber-Dialog, fortzuset-
zen und auszubauen. In diesem Dialog muss es um die
– vielleicht auch unterschiedliche – Bewertung und die
Balance von Privatsphäre, Freiheit und Sicherheit gehen.
Im Ergebnis erwarten wir nicht mehr und nicht weniger,
als darin vertrauen zu können, dass amerikanische Ge-
heimdienste die Grund- und Freiheitsrechte unserer Bür-
gerinnen und Bürger wahren.

Natürlich gibt es auch eine eigene, eine deutsche und
eine europäische Verpflichtung, uns über unsere Sicher-
heit und den Schutz unserer Daten, den Schutz unserer
Privatsphäre im Internet Gedanken zu machen. Da geht
es nicht nur um den Schutz vor Nachrichtendiensten,
sondern auch um den Schutz vor Internetkriminalität und
Wirtschaftsspionage. Wir haben schließlich die Aufgabe,
die Menschen und ihre Bürgerrechte in der digitalen
Welt genauso zu schützen wie in der analogen.

Gestern hat der Ausschuss Digitale Agenda, dem ich
angehöre, mit einem Fachgespräch zur IT-Sicherheit ei-
nen ersten Beitrag hierzu geleistet. Dass dieses Fachge-
spräch öffentlich stattfand, ist ein klares Zeichen für die
Bürgerinnen und Bürger: Wir dürfen die Fragen, die die
Privatsphäre der Bevölkerung in diesem hohen Maße be-
treffen, nicht hinter verschlossenen Türen diskutieren.
Dennoch ist in diesen Fragen ein nationaler Alleingang
nicht notwendig und auch ganz bestimmt nicht förder-
lich. Vielmehr ist die Zusammenarbeit in der Europäi-
schen Union und mit den USA auszubauen, ohne dabei
deutsche und europäische Standards von Sicherheit und
Datenschutz preiszugeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen
und Herren, eine flächendeckende Ausspähung unter
Freunden darf es nicht geben. Wir haben die Grundrechte
unserer Bürgerinnen und Bürger aktiv zu schützen. Die
tiefgreifende Vertrauenskrise, die sich gegenüber dem In-
ternet und gegenüber unseren amerikanischen Partnern
ergeben hat, müssen wir überwinden. Wenn uns das
nicht gelingt, wäre das wirklich ein Schaden für das
Staatswohl. Ich wünsche mir, dass wir in naher Zukunft
nicht mehr befürchten müssen, das Internet gehöre der
NSA. Wir wollen zu Recht wieder sagen dürfen: Das In-
ternet gehört uns.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803313700

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt das Wort

dem Kollegen Hans-Christian Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Vor einiger Zeit habe ich von diesem Platz aus die Bun-
deskanzlerin – sie saß auf der Regierungsbank – gefragt,
ob sie denn Herrn Snowden auch ein bisschen dankbar
dafür ist, dass er aufgedeckt hat, dass sie abgehört wor-
den ist. Als Folge davon hat sie dann mit dem US-Präsi-
denten telefoniert, und der hat ihr versichert, jetzt werde
sie nicht mehr abgehört. Das hat sie Edward Snowden zu
verdanken; insofern ist die Frage nach der Dankbarkeit
wohl angebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt ist die Bundeskanzlerin in die USA gereist, ge-
stärkt durch ein Gutachten der Bundesregierung, in dem
klargestellt worden ist – keine Angst in den USA, keine
Angst, Herr Obama! –: Herr Snowden wird nicht im
Deutschen Bundestag aussagen; wir haben das gerade
festgelegt. – Da hätte man erwartet, dass die Kanzlerin,
die – das hat sie ja immer wieder betont – auch in Sa-
chen NSA in die USA gefahren ist, dort etwas erreicht,
dass ein bisschen etwas abgegolten wird, dass das also
eine gute Voraussetzung dafür ist, dass sie etwas durch-
setzt. Aber schon auf der Pressekonferenz, wo man be-
wundern konnte, wie sie neben dem US-Präsidenten
stand, kam nichts zur NSA. Sie hat dazu auch nichts mit-
gebracht. Sie hat nur eine nebulöse Erklärung abgege-
ben, es gebe natürlich auch zwischen Freunden immer
einmal Meinungsunterschiede.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Über das Abendessen!)


Ganz offensichtlich war da nichts. Ich hätte die Bundes-
kanzlerin gern gefragt, was sie denn eigentlich in
Washington erreicht hat. Hat sie sich wenigstens getraut,
zu sagen: „Lieber Herr Obama, liebe Administration, die
deutsche Bundesregierung hat im Juli vergangenen Jah-
res einen großen Katalog von Fragen betreffend die NSA
geschickt mit der Bitte, die doch zu beantworten“?
Wahrscheinlich hätte sie antworten müssen: Das habe
ich lieber nicht gemacht. – Jedenfalls gab es da keine
Reaktion. Es gibt auf diese Fragen, mit denen sich ja
auch Minister Friedrich und Minister Pofalla in der Dis-
kussion immer wieder beschäftigt haben – die Fragen
würden bald beantwortet: in vier Wochen, in sechs Wo-
chen, in zwei Monaten –, bis heute keine Antwort. Ganz
offensichtlich traut sich die Bundesregierung nicht,
nachzufragen.





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Hier ist angesprochen worden, dass wir mit den USA
eine Wertegemeinschaft haben. Das sehe ich auch so.
US-Präsident Obama hat auf dieser Pressekonferenz
Werte angesprochen. Einen ganz hohen Wert hat er in
seiner Rede dreimal erwähnt: Privacy. Wir in Deutsch-
land sagen „Privatsphäre“ oder „Privatheit“ dazu. Die
müsse geschützt werden, dies sei ein ganz hoher Wert,
den man hochhalte und auch hochhalten wolle.

Warum ist die Bundeskanzlerin eigentlich nicht da-
rauf eingegangen, als er das gesagt hat? Warum hat sie
nicht gesagt: „Herr Obama, Sie haben recht“? „Warum
geben Sie uns Deutschen und der Bevölkerung in der
ganzen Welt“ – zum Beispiel in Brasilien, Mexiko und
Frankreich – „dann nicht die Privacy zurück? Warum tun
Sie nicht etwas in diese Richtung?“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, in aller
Freundschaft danach zu fragen.

Nein, die Bundesregierung und ganz speziell die Bun-
deskanzlerin versagt bei der Verteidigung der gemeinsa-
men Werte. Sie kann sie nur dadurch verteidigen, dass
sie das in den USA anspricht und von der US-Adminis-
tration verlangt, dass sie hier etwas tut.

Man könnte das Ganze jetzt abschließen und sagen:
Die Bundesregierung berichtet nicht darüber. Nicht ein-
mal in der Fraktion soll ja darüber berichtet worden sein.
Die Kanzlerin ist auch nicht hier, weil es ja nichts gibt,
was sie berichten könnte. Man könnte jetzt also den Mut
verlieren. Ich verliere den Mut aber nicht. Ich habe näm-
lich zur Kenntnis genommen, dass gestern der Rechts-
ausschuss im amerikanischen Repräsentantenhaus mit
32 zu 0 Stimmen einen Gesetzentwurf angenommen hat,
durch den die Tätigkeit der NSA ganz drastisch be-
schränkt werden soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist der richtige Weg: Wenn die Regierungen nicht
handeln und nichts tun, dann müssen die Parlamente
diese Aufgabe übernehmen. Hier in Deutschland ist das
der Deutsche Bundestag. Deshalb freue ich mich – wir
kommen ja gerade aus dem Untersuchungsausschuss –,
hier mitteilen zu können, dass der Untersuchungsaus-
schuss des Deutschen Bundestages einstimmig, also mit
allen Mitgliedern des Ausschusses, beschlossen hat,
Edward Snowden zu hören. Das ist erst einmal ein Er-
folg. Daneben ist die Frage, wo und wie er gehört wird,
zumindest offengeblieben, sodass ich sage: Die halbe
Tür auf dem Weg, Edward Snowden anzuhören, ist
schon offen. Das ist der richtige Weg. So müssen wir
weitermachen: erst aufklären und dann die Konsequen-
zen ziehen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803313800

Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege

Jürgen Hardt.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1803313900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

eintägige Arbeitsbesuch der Bundeskanzlerin in den
USA, in Washington, erfolgte zum richtigen Zeitpunkt,
und er hatte die richtigen Themen. Er war im Ergebnis
ein großer Erfolg; denn die Prioritätensetzung der Bun-
deskanzlerin entsprach dem, was auf der weltpolitischen
und auf der transatlantischen Agenda steht, und es gibt
hier eine ganze Reihe von klaren Fortschritten zu ver-
zeichnen.

Ich möchte an erster Stelle sagen, dass angesichts der
Situation, in der wir uns in Europa im Augenblick befin-
den, die Ukraine-Krise natürlich eine zentrale Rolle ge-
spielt hat. Ich glaube, dass es der Bundeskanzlerin
gelungen ist, dem amerikanischen Präsidenten klarzu-
machen, dass Europa selbstverständlich bereit ist, gege-
benenfalls, wenn es unausweichlich ist, auch einen wei-
teren Schritt bei den Sanktionen zu gehen und den
eskalierenden Prozess konsequent fortzusetzen. In
Europa gibt es aber natürlich höchst unterschiedliche Si-
tuationen in den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen
Union. Es gibt eben Länder, die von bestimmten Formen
von Sanktionen in ganz anderer Art und Weise betroffen
wären als andere.

Ich glaube, die Erwartungshaltung der Amerikaner an
die Bundeskanzlerin ist, dass sie aufgrund ihrer natürli-
chen Rolle, aufgrund des Respekts, den sie bei den Kol-
legen in der EU genießt, und natürlich auch aufgrund der
besonderen Stellung Deutschlands ein Stück weit die
Aufgabe annimmt, hier eine akzeptable Balance zu fin-
den. Umgekehrt akzeptieren die Amerikaner, dass das,
was wir hier als richtig und möglich vereinbaren, mög-
lichst auch im Gleichklang dies- und jenseits des Atlan-
tiks umgesetzt wird. Ich glaube, das ist das zentrale Er-
gebnis dieses Besuches.

Die zentrale Forderung, die wir nun an alle Beteilig-
ten stellen – inklusive des russischen Präsidenten –, ist:
Wir wollen, dass die Wahlen in der Ukraine am 25. Mai
2014 möglichst ungehindert, fair und demokratisch
durchgeführt werden können. Danach wird man diese
Wahlen bewerten, und dann wird man weitere Schritte
einleiten müssen. Ich glaube, das ist ein ganz konkretes
und wichtiges Ergebnis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich finde, es gibt ein solch klares Ergebnis auch beim
Thema NSA. Selbstverständlich hätten wir uns alle ge-
wünscht, dass es vielleicht seitens des Präsidenten in der
Frage der Abhöraktion, bei der das Handy der Kanzlerin
überwacht wurde, ein sichtbares Zeichen der Vertrauens-
bildung gegeben hätte.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bevölkerung ist noch wichtiger!)


Aber so etwas kann man nicht erzwingen. Im Übrigen ist
Angela Merkel nicht eine Kanzlerin, die Freunde im
Zweifel öffentlich vorführt, wenn sie mit dem, was diese





Jürgen Hardt


(A) (C)



(D)(B)

gesagt haben, unzufrieden ist. Sie macht das eher hinter
den Kulissen.

Aber ein klares Ergebnis ist, dass sich der amerikani-
sche Präsident in seiner Pressekonferenz im Rosengarten
klar hinter den Cyber-Dialog gestellt hat, dass also nun
das Projekt von Außenminister Kerry und Außenminis-
ter Steinmeier, Ende Juni in einen Dialog über die Frage:
„Was ist die richtige Balance zwischen Schutzinteresse
einerseits und persönlichen Freiheitsrechten anderer-
seits?“, einzutreten, die Rückendeckung des amerikani-
schen Präsidenten und selbstverständlich auch der Bun-
deskanzlerin hat und dass wir deswegen von diesem
Dialog zu Recht etwas erwarten und abfordern dürfen,
wenngleich das natürlich nicht in wenigen Tagen erfol-
gen wird.

Ein weiterer Punkt ist für mich, dass bei diesem Be-
such auch in Sachen des Transatlantischen Freihandels-
und Investitionsabkommens ein wichtiger Schritt gemacht
wurde, den wir in der Vergangenheit vermisst haben: Es
wurde eine offensive Herangehensweise eingeleitet. Die
Kanzlerin hat vor der amerikanischen Handelskammer
eine fulminante Rede gehalten, bei der das Thema TTIP
eine große Rolle gespielt hat. Sie hat auch die schwarz
gekleideten älteren Herren im Saal der Handelskammer
zum Lachen gebracht, als sie gesagt hat: Wenn durch das
TTIP dann auch der Export von Bier von Europa nach
Amerika einfacher wird, dann werden Sie sehen, was Sie
in der Vergangenheit verpasst haben.

Sie hat damit einen Öffentlichkeitsprozess über TTIP
eingeleitet, den wir in Deutschland dringend brauchen.
Herr Gabriel hat am vergangenen Montag diesen Prozess
mit Forman und De Gucht hier in Berlin fortgesetzt. Ich
glaube, wir sollten insgesamt versuchen, dieses Thema
intensiv zu beraten; denn TTIP ist tatsächlich eine große
Chance, hohe Standards im Umweltschutz, im Arbeit-
nehmerschutz, im Verbraucherschutz und bei der Hy-
giene durchzusetzen,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


die dann möglicherweise zur Referenz für den gesamten
Welthandel werden können. Diese Chance sollten wir
uns nicht entgehen lassen.

Ich glaube, dass wir nach dem November 2014, wenn
wir eine neue EU-Kommission haben und dann auch die
Midterm Elections in den USA vorbei sind, mit Blick
auf das erste Halbjahr 2015 einen starken Angang mit
der Chance bekommen werden, dieses Abkommen tat-
sächlich 2015 abzuschließen, was ich mir wünschen
würde. Von daher war es ein ausgesprochen erfolgrei-
cher Besuch. Dementsprechend sind wir froh, dass es so
gelaufen ist.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Ist schon klar!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803314000

Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1803314100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es mag

Zufall sein, dass unsere heutige Debatte genau auf den
Tag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges fällt – da-
rauf ist schon hingewiesen worden –, auch wenn man
anlässlich eines solchen Tages zu ganz unterschiedlichen
Schlussfolgerungen kommen kann.

Ein solcher Tag kann Anlass sein, einen kurzen Blick
zurückzuwerfen. Die Siegermächte und allen voran die
Vereinigten Staaten von Amerika haben Deutschland
nach den nationalsozialistischen Massenmorden in
Europa einen Neuanfang ermöglicht. Die europäische
Integration und die transatlantische Allianz bilden seit-
dem einen Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik. Die
Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten als der
Führungsmacht des westlichen Bündnisses war von An-
fang an eng, und sie hat der Bundesrepublik Deutschland
unter den Bedingungen des Kalten Krieges eine Ent-
wicklung in Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht zuletzt war die Unterstützung der USA nach der
friedlichen Revolution in der DDR von entscheidender
Bedeutung für die Wiedervereinigung unseres Landes.


(Zuruf von der LINKEN: Ach so!)


Unsere europäischen Partner blickten damals noch sehr
skeptisch auf ein größeres, wiedervereinigtes Deutsch-
land. Dieses Eintreten für ein einiges und freies Europa
entsprang dem Geiste der atlantischen Wertegemein-
schaft von Demokratie und Freiheit.


(Zuruf von der LINKEN: Gorbatschow!)


Infolge dieser Einheit hat Deutschland seine volle Sou-
veränität erreicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Unsere Interessen bei außenpolitischen Kontroversen
haben vielleicht nicht immer übereingestimmt. Ich
denke dabei an den Irakkrieg. Auch die Entscheidung
zur Intervention in Libyen kann hier genannt werden.
Aber die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politi-
schen Beziehungen sind so eng und die gemeinsam ge-
teilten Werte sind so stark, dass unser Verhältnis bis in
die jüngste Zeit von einem tiefen Grundvertrauen der
Deutschen zu den USA und ihrer politischen Führung
geprägt war.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: War wohl ein Fehler!)


Gerade Präsident Obama fand in Deutschland für
seine Außenpolitik immer eine sehr große Zustimmung.
Die Zustimmung war hier in Deutschland immer größer
als in den USA selber. Noch im Frühjahr 2013 lag die
Zustimmung bei knapp 76 Prozent gegenüber knapp
50 Prozent in den Vereinigten Staaten. Bis zum Novem-
ber 2013 sank allerdings die Zustimmung auf 43 Pro-





Christian Flisek


(A) (C)



(D)(B)

zent, und heute würden 61 Prozent der Deutschen sagen,
allgemein könne man den USA nicht mehr vertrauen.

Der entscheidende Grund, warum dieses Vertrauen
der Deutschen in die USA so erschüttert worden ist, sind
– das ist bereits angesprochen worden – die Enthüllun-
gen über die Überwachungs- und Abhöraktivitäten der
National Security Agency gegenüber deutschen Bürge-
rinnen und Bürgern. Ins Rollen gebracht wurden diese
Dinge durch die Enthüllungen von Edward Snowden.
Dieses umfassende Ausspähen und Sammeln von Infor-
mationen aller Bürgerinnen und Bürger bis hin zu unse-
rer Regierungschefin widerspricht fundamental unserem
Verständnis von grundlegenden Freiheitsrechten, insbe-
sondere dem Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung und dem Schutz der Privatheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hinzu kommt aus meiner Sicht noch eine andere tief-
greifende Besorgnis. Unseren US-amerikanischen Part-
nern stehen bei uns in Wirtschaft, Gesellschaft und Poli-
tik alle Türen offen, auf allen Ebenen. Wenn wir nun
jedoch den Eindruck gewinnen müssen, dass man uns
misstraut bzw. eine vorgeblich der Terrorismusbekämp-
fung dienende Überwachung auch dazu benutzt wird,
uns bei internationalen Verhandlungen auszuspionieren,
dann berührt dies den Kern unserer Beziehungen und un-
ser Verständnis von Offenheit unter Freunden und gleich-
berechtigter Partnerschaft.

Präsident Obama hat im Januar bereits einige Verän-
derungen der NSA-Praxis im Rahmen eines laufenden
Reviews angekündigt. Diese Veränderungen betreffen
jedoch hauptsächlich die Bürgerinnen und Bürger in den
USA.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur!)


Diese Reformen reichen daher nicht aus, um das verlo-
ren gegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die
Bundeskanzlerin hat dies auch bei ihrem jüngsten Be-
such in Washington zu Recht angesprochen und betont,
dass sie eine grundlegende Diskussion und Verständi-
gung über genau diese Balance von Sicherheitsbedürf-
nissen und dem Schutz der Privatheit einfordert. Das un-
terstütze ich ausdrücklich.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat sie das gesagt?)


Diese Diskussion kann jedoch nicht alleine auf Regie-
rungsebene geführt werden. Sie muss auch von Vertre-
tern der Wirtschaft, Wissenschaft und insbesondere der
Zivilgesellschaft geführt werden. Vor allen Dingen wir
als Parlamentarier des Deutschen Bundestages müssen
hierzu unseren Beitrag leisten. Wir müssen unsere Auf-
fassung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung im di-
gitalen Zeitalter öffentlich vertreten und dafür werben,
und dies auch im Dialog mit unseren US-amerikanischen
Kolleginnen und Kollegen. Der von Bundesaußenminis-
ter Steinmeier angeregte Cyber-Dialog bietet hierfür
meiner Ansicht nach ein geeignetes Format, das wir mit
Leben füllen müssen. Wir müssen möglichst bald mit
diesem Dialog beginnen. Denn auch in den USA – sie
sind kein Monolith – gibt es unterschiedlichste Sichtwei-
sen auf die nachrichtendienstliche Massenüberwachung.

Meine Damen und Herren, der Kollege Ströbele hat
es bereits angesprochen: Wir haben heute im NSA-Un-
tersuchungsausschuss grundlegende Beschlüsse gefasst.
Wir haben mit den Stimmen aller Mitglieder dieses
Untersuchungsausschusses die Befragung von Edward
Snowden als Zeugen beschlossen, und wir werden in den
nächsten Tagen mit seinem Anwalt das weitere Verfah-
ren klären. Wir werden erste wesentliche Schritte noch
vor der Sommerpause in die Wege leiten können.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803314200

Kollege Flisek, achten Sie bitte auf die Zeit.


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1803314300

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch auf eine Herausforderung blicken. Die große
Aufgabe wird sein, die Rahmenbedingungen für das digi-
tale Zeitalter gemeinsam abzustecken. Wir brauchen ge-
meinsame Regularien auf völkerrechtlicher Ebene, weil
wir feststellen: Nationale Regelungen und selbst euro-
päisches Recht reichen in ihrer Wirksamkeit nicht mehr
aus. Ihre Wirksamkeit ist beschränkt. Wir werden diesen
Dialog mit unseren amerikanischen Freunden führen
müssen. Dann werden wir auch dafür eintreten müssen,
dass unsere Grundrechte nicht auf einem digitalen globa-
len Altar geopfert werden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803314400

Die Ergebnisse dieses Dialogs müssen wir in einer

anderen Debatte vertiefen. Ich bitte wirklich, die Zei-
chen, die wir sehr moderat geben, wenn es um die Rede-
zeit geht, ernst zu nehmen.

Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Nick für die
Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1803314500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne

das Bündnis mit den Vereinigten Staaten wären die letz-
ten 70 Jahre für unser Land weitaus weniger glücklich
verlaufen. Von der Luftbrücke und dem Marshallplan
über die Jahrzehnte des Ost-West-Konflikts bis zur deut-
schen Einheit: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen
sind eine Erfolgsgeschichte. Zusammen mit unseren
Partnern in der Europäischen Union sind die USA welt-
weit unser wichtigster Partner und verlässlichster Ver-
bündeter. Dies gilt heute und auch für die Zukunft. Re-
gelmäßige Gespräche und Arbeitsbesuche sind daher die
normalste Sache der Welt, aber auch ein Wert an sich. Es
war daher gut und richtig, dass die Bundeskanzlerin am
2. Mai in Washington mit Präsident Obama zahlreiche
aktuelle Themen offen und ausführlich erörtert hat.





Dr. Andreas Nick


(A) (C)



(D)(B)

Unstrittig ist: Informationen über tatsächliche oder
mutmaßliche Geheimdienstaktivitäten haben das
deutsch-amerikanische Verhältnis belastet und ohne
Zweifel Vertrauen beschädigt. Aufklärung und Aufarbei-
tung sind deshalb notwendig. Wir müssen uns auf beiden
Seiten des Atlantiks der Frage stellen, wie wir die Wah-
rung der bürgerlichen Privatsphäre auch im digitalen
Zeitalter sicherstellen können. Wir brauchen dort wie
hier immer wieder eine Verständigung über die richtige
Balance von Freiheit und Sicherheit in unseren offenen
Gesellschaften. Dieser Diskurs ist notwendig. Für ihn
gilt aber auch, um ein Wort von Heinrich August
Winkler aufzugreifen:

Wenn wir Europäer mit Amerikanern über Fragen
der politischen Kultur und der Werte streiten, dann
über unterschiedliche Auslegungen gemeinsamer
Werte.

Die Diskussion hat aber auch unser aller Bewusstsein
für Verwundbarkeiten gestärkt. Kollegin Esken hat be-
reits auf das gestrige öffentliche Fachgespräch im Aus-
schuss Digitale Agenda zu Fragen der IT-Sicherheit hin-
gewiesen. Aber niemand von uns sollte sich täuschen
oder täuschen lassen: Die ungleich größeren Bedrohun-
gen – nicht nur unserer digitalen Kommunikation – kom-
men aus ganz anderen Richtungen und Regionen. Ob es
um den Schutz vor internationalem Terrorismus geht
oder die Abwehr von Cyber-Kriminalität: Nachrichten-
dienstliche Zusammenarbeit zur Gefahrenabwehr und
Aufklärung wird auch in Zukunft unverzichtbar sein.

Aber auch vermeintliche Gewissheiten der Friedens-
ordnung in Europa, wie sie in der Charta von Paris 1990
ihren Ausdruck gefunden haben, erscheinen durch das
Verhalten Russlands in der Ukraine plötzlich infrage ge-
stellt. Die existenzielle Bedeutung der Sicherheitspart-
nerschaft zwischen Europa und Nordamerika in der
NATO für Frieden, Freiheit und Sicherheit wird wieder
deutlicher sichtbar. Es ist deshalb entscheidend, dass wir
auch in dieser Frage immer in enger Abstimmung mit
unseren Partnern in Europa und den USA handeln.

Wir wollen aber nicht nur gemeinsame Gefahren ab-
wehren. Wir wollen auch Chancen nutzen, und zwar
zum gemeinsamen Vorteil. Die Verhandlungen über das
Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkom-
men, TTIP, stellen eine solche enorme Zukunftschance
dar. Es geht um vielfältige Chancen für Wachstum und
Arbeitsplätze gerade auch in kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen. Es geht dabei auch um Chancen bei
Sicherheits- und Gesundheitsstandards zum Schutz von
Umwelt, Verbrauchern und Arbeitnehmern. Es geht aber
vor allem auch um langfristige globale Wettbewerbsfä-
higkeit und die Chance, für die nächste Generation in-
dustrieller Produkte gemeinsam weltweite Standards zu
setzen. Diese Chancen dürfen nicht verspielt werden,
auch nicht durch eine Debatte, die teilweise doch mehr
von Panikmache und irreführenden Parolen geprägt ist
als von Sachkenntnis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wo es im Verhältnis zu den USA unterschiedliche In-
teressen und Standpunkte gibt, werden wir diese selbst-
verständlich im Dialog und in Verhandlungen mit unse-
ren Partnern klar und in angemessener Weise vertreten.
Genau das hat die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in
Washington am 2. Mai getan. Aber jeder Versuch – egal
ob innerhalb oder außerhalb dieses Hauses, egal ob von
links außen oder rechts außen –, einen ideologisch moti-
vierten Antiamerikanismus zur Grundlage deutscher
Politik zu machen, wird heute wie in Zukunft auf den
entschiedenen Widerstand meiner Fraktion stoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn es um die Zukunft und die verantwortliche Gestal-
tung der deutsch-amerikanischen Beziehungen geht,
kann und darf daher jedermann mit unserer Verlässlich-
keit rechnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803314600

Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1803314700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Von dem genialen Deutsch-Amerikaner
Albert Einstein ist das Zitat überliefert: „Vertrauen und
Loyalität können nur auf der Basis der Gegenseitigkeit
gedeihen.“ Einsteins Vertrauen in Deutschland wurde
durch die Nazis vollständig zerstört. Zeit seines Lebens
konnte er nie wieder Vertrauen und Loyalität zu
Deutschland aufbauen, und er hat alle Annäherungsver-
suche aus Deutschland rigoros abgelehnt. Menschlich ist
diese Haltung sicherlich verständlich.

Zu unserem Glück zeigte sich die US-Regierung da-
mals nachsichtiger und weitsichtiger als Einstein. Nazi-
deutschland hatte jegliche Basis für gegenseitiges Ver-
trauen zerstört, und trotzdem ebneten die USA
Deutschland den Weg in die westliche Staaten- und Wer-
tegemeinschaft. Heute ist die transatlantische Partner-
schaft in wirtschafts-, gesellschafts- und sicherheitspoli-
tischer Hinsicht von überragender Bedeutung, nicht nur
für Deutschland, sondern für die ganze Welt. Das zeigt
sich aktuell auch in der Ukraine-Krise ganz deutlich.
Wie ich bereits im Februar an dieser Stelle gesagt habe,
kommt es auch und gerade in der Ukraine-Krise ent-
scheidend darauf an, dass die USA und Europa eine ge-
meinsame Haltung zu Russland finden. Dafür muss
Deutschland eine wichtige Vermittlerfunktion erfüllen.
Mit der Reise nach Washington hat die Bundeskanzlerin
diese Aufgabe erfüllt.

Zweifellos werden die deutsch-amerikanischen Be-
ziehungen gleichzeitig durch das Vorgehen der US-Ge-
heimdienste belastet. Die pauschale Überwachung des
deutschen und europäischen Datenverkehrs durch die
NSA beschädigt die Vertrauensbasis, auf der die transat-
lantische Partnerschaft ruht. Unsere gemeinsamen de-
mokratischen und rechtsstaatlichen Werte werden mit
der unkontrollierten Überwachung deutscher Bürgerin-





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

nen und Bürger durch befreundete Geheimdienste funda-
mental infrage gestellt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)


Im NSA-Untersuchungsausschuss müssen wir diese
Vorwürfe nun sachlich und umfassend aufklären. Wir
haben heute beschlossen, dass zunächst 27 Zeugen be-
fragt sowie weitere Sachverständige und Gutachter an-
gehört werden. Einer davon ist Edward Snowden. Aber
unser Ausschuss ist mehr als ein Edward-Snowden-Un-
tersuchungsausschuss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die CDU- und CSU-Kollegen haben heute eine klare
Position zur Anhörung von Edward Snowden bezogen.
Aufgrund der Stellungnahme der Bundesregierung wol-
len wir Edward Snowden nicht in Deutschland anhören
oder befragen, sondern wir überlegen, eine Befragung in
Moskau oder per Videokonferenz durchzuführen. Das
Weitere wird – Herr Kollege Flisek hat es gesagt – mit
dem Anwalt von Herrn Snowden besprochen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das langfristige Ziel unserer Aufklärungsarbeit muss
es sein, die Bürgerinnen und Bürger vor der Überwa-
chung im digitalen Zeitalter zu schützen. Die entschei-
dende Frage dabei ist: Wie erreichen wir dieses Ziel? Im
Gegensatz zur Opposition glaube ich nicht, dass sich
eine tragfähige Lösung ohne die USA finden lässt. Nur
gemeinsam mit den USA werden wir das umsetzen kön-
nen. Die Dominanz von US-Firmen wie Google, Face-
book oder Apple wird sich nicht per Parlamentsbe-
schluss relativieren lassen.

Die Bundesregierung weigert sich zu Recht, dem
ebenso populistischen wie kurzsichtigen Impuls nachzu-
geben und infolge des NSA-Skandals die deutsch-ameri-
kanische Freundschaft aufzukündigen oder gar die Ar-
beit der Nachrichtendienste infrage zu stellen. Selbst
Edward Snowden, der in diesen Tagen so oft genannt
wird, hat die Bedeutung unserer Nachrichtendienste für
unsere Sicherheit und die weltweite Terrorabwehr mehr-
fach betont.

Die Bundeskanzlerin weiß, dass sie auf internationa-
ler Ebene nur dann etwas für Deutschland bewegen
kann, wenn sie trotz aller Differenzen mit den anderen
Staaten im Gespräch bleibt. Das zeigt sich in der
Ukraine-Krise, und das zeigt sich beim NSA-Skandal.
Ihre Fähigkeit zum unaufgeregten und sachlichen Dialog
zeichnet unsere Kanzlerin aus. Mit dieser deeskalieren-
den Herangehensweise hat sie für unser Land zum Bei-
spiel auch in der Euro-Krise gute Ergebnisse erzielt. Ich
bin sicher: Wir werden das auch beim NSA-Skandal so
erleben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei allem Verständnis für den Schock, unter dem die
USA nach dem 11. September 2001 gestanden haben,
müssen wir die USA konsequent an unsere Vorstellun-
gen von Datenschutz erinnern. Wir müssen auch dafür
werben, dass verlorengegangenes Vertrauen zurückge-
wonnen wird. Auch wenn ich mir etwas mehr gewünscht
hätte im Sinne von gemeinsamen Absprachen, im Sinne
von No-Spy-Abkommen, so ist doch zumindest der ver-
einbarte Cyber-Dialog eine Möglichkeit, den USA un-
sere deutschen Erfahrungen mit der staatlichen Überwa-
chung näherzubringen und hier noch mehr von den USA
einzufordern; denn selbst eine alte Demokratie wie die
USA ist nicht vor staatlicher Willkür gefeit.

Oft angesprochen wurde heute auch das Freihandels-
abkommen. Ich will auf die Sinnhaftigkeit und den In-
halt dieses Freihandelsabkommens an dieser Stelle gar
nicht eingehen. Wir können die Verhandlungen in die-
sem Bereich auch dazu nutzen, dessen Inhalt eng mit der
Frage des Datenschutzes aus deutscher Sicht zu koppeln
und hier für eine klare deutsche Handschrift zu sorgen.
Für mich ist ein Freihandelsabkommen ohne klare Rege-
lungen beim Datenschutz nicht denkbar.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803314800

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Operation Atalanta zur Bekämpfung der
Piraterie vor der Küste Somalias auf Grund-
lage des Seerechtsübereinkommens der Ver-
einten Nationen (VN) von 1982 und der Reso-
lutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816

(2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom

7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezem-
ber 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember
2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009,
1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020

(2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012)

vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom
18. November 2013 und nachfolgender Reso-
lutionen des Sicherheitsrates der VN in Ver-
bindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/
851/GASP des Rates der Europäischen Union

(EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss

2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. De-
zember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP
des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Be-
schluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom
7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/
174/GASP des Rates der EU vom 23. März
2012

Drucksache 18/1282
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin der Verteidigung, Frau Dr. von der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin vor zwei Wochen bei unseren Soldatinnen und
Soldaten in Dschibuti gewesen. Ich habe mir angesehen,
was die Frauen und Männer bei Atalanta leisten, wel-
chen Herausforderungen sie sich stellen müssen. Ich
habe ihnen dafür unser aller Dank und unsere Anerken-
nung überbracht.

Die Operation Atalanta ist ungeheuer erfolgreich. Der
Erfolg lässt sich an zwei nüchternen Zahlen ablesen:

Allein seit 2008 sind 900 000 Tonnen Lebensmittel
durch Schiffe des Welternährungsprogramms nach So-
malia gebracht worden, und zwar immer im Geleit durch
Schiffe der Mission Atalanta. Das bedeutet, seit 2008
sind alle Schiffe des Welternährungsprogramms an dem
Hafen angekommen, für den sie bestimmt gewesen sind.
900 000 Tonnen Lebensmittel, die Somalia erreicht ha-
ben, sichern Hunderttausenden in Somalia das schiere
Überleben.

Auch eine zweite Zahl spricht Bände. In diesem Jahr
haben sich bislang erst vier Zwischenfälle ereignet, die
eindeutig der Piraterie zuzuordnen sind. 2011, in der
Hochphase, gab es 251 Piratenangriffe. Allein 30 Schiffe
und 900 Menschen waren in der Gewalt der Piraten.
Heute ist kein einziges Schiff mehr in der Hand der Pira-
ten. Ich glaube, auch das spricht für den Erfolg der Mis-
sion Atalanta.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Kampf gegen die Piraterie ist eigentlich so alt wie
die Schifffahrt selber. Der – fast romantische – Begriff
„Piraterie“ täuscht über die damit verbundene Aktualität
und die Brutalität hinweg. Piraterie ist ein Verbrechen.
Sie ist organisierte Kriminalität, sie bedeutet Raub, sie
bedeutet Geiselnahme, Lösegelderpressung, sie bedeutet
auch Mord. Noch immer sind etwa 50 Besatzungsmit-
glieder gekaperter Schiffe in der Hand von Piraten, ei-
nige sind in der Geiselhaft verstorben. Deshalb gilt es,
jeden einzelnen Überfall von Piraten auf ein Schiff zu
verhindern.

Unsere Marine beteiligt sich von Anfang an bei Ata-
lanta. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie viele Nationen
in dieser Region, am Horn von Afrika, an einem Strang
ziehen und die Operationen begleiten. Ein Soldat in
Dschibuti an Bord der Fregatte „Brandenburg“ hat mir
gesagt – ich zitiere –: „Der Einsatz verändert Afrika.“
Ich denke, er hat etwas ganz Zentrales ausgesprochen.
Wenn man sich anschaut, wie im Kampf gegen die Pira-
terie vor der Küste Somalias am Horn von Afrika China
und Japan, Deutschland und Indien, die USA und Russ-
land zusammenarbeiten, dann zeigt sich auch, wie hier
der gemeinsame Einsatz gegen die Piraterie tatsächlich
Früchte trägt.

Erst dann, wenn die Piraterie über einen längeren
Zeitraum verschwunden ist, das heißt, wenn die finanz-
starken Hintermänner der organisierten Kriminalität kein
attraktives Geschäftsmodell mehr darin sehen, kann die
Region um das Horn von Afrika sich wirtschaftlich ent-
wickeln. Die Chancen für die Region sind da; denn sie
liegt an einem Knoten des Schiffsverkehrs. 20 000 bis
25 000 Schiffe passieren jährlich den Golf von Aden.
Das ist eine große Chance für die Region, aber dafür
braucht es Sicherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Selbstverständlich müssen auf die Dauer die Staaten
selber für die Sicherheit dort aufkommen können. Ich
glaube, deshalb ist es auch richtig, dass die EU die ver-
schiedenen Maßnahmen dort am Horn von Afrika koor-
diniert hat: die Marinemission Atalanta, die Ausbil-
dungsmission EUTM Somalia, die Mission zum Aufbau
des regionalen Küstenschutzes und der Seeraumüberwa-
chung EUCAP NESTOR und die vielen bilateralen Bei-
träge zwischen verschiedenen Nationen und insbeson-
dere Dschibuti. Es ist der Mix an Maßnahmen, der den
Erfolg für diese Region bringt. Deshalb möchte ich Sie
im Namen der Bundesregierung darum bitten, dem Man-
dat zur Fortsetzung der Beteiligung der Marine an der
Mission Atalanta zuzustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803314900

Die Kollegin Sevim Dağdelen hat für die Fraktion

Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803315000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Keine Sitzungswoche vergeht, ohne dass wir
hier über neue Auslandseinsätze der Bundeswehr ab-
stimmen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein neues Mandat!)


„Deutschland will sich stärker auf dem afrikanischen
Kontinent engagieren“, heißt es. Nun werden die Afrika-
pläne der Bundesregierung und der Bundeswehr konkre-
ter, wie wir kürzlich über die Presse erfahren haben. Sie
planen eine Kooperation mit dem US-Kommando
AFRICOM mit Sitz in Stuttgart. Allein dies zeigt schon,
dass die Bundesregierung hier auf militärische Aben-
teuer setzt.

Jetzt soll zusammen mit dieser Institution, die per
Drohnenangriff Menschen in Somalia ermordet, Militär-
politik in Afrika gemacht werden. Die Linke wird diese
Kooperation mit Drohnenmördern und Militärinterven-





Sevim Dağdelen


(A) (C)



(D)(B)

tionisten niemals gutheißen. Statt mit AFRICOM zu ko-
operieren, muss man diese Mordeinrichtung auf deut-
schem Boden endlich dichtmachen.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was hat das mit Atalanta zu tun?)


Offiziell ist die Mission Atalanta eine Mission zur
Pirateriebekämpfung. Schauen wir uns das einmal an:
Wenn es um Maßnahmen geht, um eine Rückkehr der
somalischen Fischer aus ökonomischen Gründen zur
Piraterie zu verhindern, ist bei der Bundesregierung
schlicht Fehlanzeige. Im heutigen Korrespondentenbe-
richt der dpa zu dieser Frage werden somalische Fischer
mit der Beschwerde zitiert: „Westliche Schiffe fischen
unsere Fischgründe leer.“


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Deswegen Atalanta, oder? Das ist ja lustig!)


Nichts wird gegen diese illegale Plünderung der Fisch-
gründe vor Somalia unternommen. Die Fischer fangen
immer weniger Fische, sodass absehbar ist, dass sie,
wollen sie ihre Familien nicht erneut Hunger und Elend
aussetzen, zur Piraterie zurückkehren werden.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie müssen mal aktuelle Berichte lesen, nicht immer diesen alten Schmus von vorgestern!)


Auch hier wäre es wirklich einfach, etwas zu tun, um
eine weitere Ausplünderung der Reichtümer Somalias zu
verhindern und damit die Piraterie auch wirklich zu be-
kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es fällt zudem auf, dass die Bundesregierung nichts un-
ternimmt, um die Finanzströme der Hintermänner der
Piraterie lahmzulegen.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Welche denn?)


Um es deutlich zu machen: Die Linke verurteilt die
fortgesetzte Ausplünderung der Reichtümer Somalias.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie verurteilt auch den Raubbau an der Natur durch die
westlichen Konzerne, der den Leuten vor Ort die Le-
bensgrundlagen, die existenziell wichtig sind, nimmt.
Sie verurteilt ebenfalls die Untätigkeit dieser Bundes-
regierung. Die Bundesregierung unternimmt nichts, aber
auch gar nichts gegen diese Ausplünderung, ja, sie leistet
ihr sogar Vorschub.


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Und die Piraten verurteilen Sie nicht! Das ist doch interessant! – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Genau!)


Wenn es Ihnen nicht um die Bekämpfung der Piraterie
zu gehen scheint, wie es offensichtlich der Fall ist: Worum
geht es Ihnen dann eigentlich? In Ihrem Antrag finden
sich einige Hinweise, worum es bei Atalanta wirklich
geht. Atalanta soll eng mit der Militärausbildungsmis-
sion für die somalische Regierung – EUTM Somalia –
verzahnt werden.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wo steht das?)


– In der Begründung. Lesen Sie einfach einmal Ihren
Antrag! – Kurz gesagt: Atalanta soll eine entscheidende
Rolle bei der Unterstützung der verbrecherischen soma-
lischen Regierung spielen. Deshalb wurde diese Mission
bereits auf Landoperationen ausgeweitet.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha!)


Als kenianische Truppen ihre völkerrechtswidrigen
Angriffe auf somalischem Boden fortsetzten, wurden sie
dabei bereits von französischen Atalanta-Verbänden un-
terstützt. Da frage ich mich doch: Soll Somalia eigent-
lich das neue Afghanistan am Indischen Ozean werden?
Wollen Sie nach dem Scheitern der Bundeswehr und der
NATO in Afghanistan jetzt ein neues militärisches
Abenteuer mit der EU-Militäroperation Atalanta und mit
EUTM Somalia am Indischen Ozean beginnen? Die
Linke sagt unmissverständlich Nein zu dieser Art von
Außenpolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen nicht, dass Deutschland erneut eine Bürger-
kriegspartei wird und international bei Bürgerkriegen
mitmischt. Denn das ist es, worum es bei diesen Einsät-
zen im Kern geht. Alle drei Einsätze der Bundeswehr in
Somalia führen dazu, eine Bürgerkriegspartei zu werden.
Bei internationalen Bürgerkriegen mitzumischen, war
und ist nicht der Auftrag des Grundgesetzes. Deshalb
lehnt die Linke diesen Einsatz ab.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eines haben Sie mit Ihrer Mission am Indischen
Ozean schon geschafft: Sie haben den Bürgerkrieg und
auch Ihr eigenes Einsatzgebiet massiv ausgeweitet. Mitt-
lerweile droht ganz Ostafrika in einem neuen Bürger-
krieg zu versinken. Sie tragen hierfür die Mitschuld,
meine Damen und Herren,


(Beifall bei der LINKEN)


weil Sie politischen Lösungen und Verhandlungslösun-
gen überhaupt keinen Raum geben. Die Linke setzt auf
zivile Alternativen ohne Wenn und Aber. Wir brauchen
kein neues Afghanistan am Indischen Ozean, was Sie
mit diesen Missionen mit befördern.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ihre Rede war schmerzensgeldpflichtig!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803315100

Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt,

Michael Roth.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1803315200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Seit 2008 hält Somalia nunmehr den traurigen Spitzen-
platz im Ranking der sogenannten gescheiterten Staaten,
erstellt von der renommierten Denkfabrik „The Fund for
Peace“. Das führt uns eindrücklich vor Augen: Wir ste-





Staatsminister Michael Roth


(A) (C)



(D)(B)

hen in Somalia vor einer ausgesprochen schwierigen und
komplexen Aufgabe. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Trotz aller Probleme und Schwierigkeiten wäre es
aber verheerend, das Land einfach verloren zu geben
und seinem Schicksal zu überlassen, wie die Kollegin-
nen und Kollegen von der Linken dies offensichtlich be-
absichtigen. Es kann nicht unser außenpolitischer An-
spruch sein, anderen Staaten bei ihrem Scheitern tatenlos
zuzuschauen. Vielmehr wird die Bundesregierung auch
weiterhin alles daransetzen, Somalia nach Jahren der In-
stabilität auf seinem langen und mühseligen Weg zurück
in die Gemeinschaft der handlungsfähigen Staaten zu be-
gleiten.

Nach dem langjährigen Bürgerkrieg und dem weitge-
henden Staatszerfall benötigt Somalia unsere Unterstüt-
zung vor allem beim Wiederaufbau von Justiz und Ver-
waltung sowie des Sicherheitssektors. Darum wollen wir
uns ganz besonders kümmern; denn nur wenn Recht und
Ordnung wieder Einzug halten, wird die somalische Be-
völkerung mittelfristig auch wieder Vertrauen in den ei-
genen Staat schöpfen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Mandat für die
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta,
über das wir heute hier im Bundestag beraten, ist Teil
dieses umfassenden Ansatzes. Es ist von der Grundüber-
zeugung getragen: Unser Engagement am Horn von
Afrika und für Afrika insgesamt ist immer dann erfolg-
reich, wenn unser gesamtes außenpolitisches Instrumen-
tarium abgestimmt zum Einsatz kommt. Dafür müssen
sicherheits-, entwicklungs- und wirtschaftspolitische As-
pekte stets zusammen gedacht und eng miteinander ver-
zahnt werden. Die meisten Kolleginnen und Kollegen
hier im Hause sind sich dieser Verantwortung wohl be-
wusst.

In dieser Frage sind wir uns übrigens mit unseren euro-
päischen Partnern einig.

Die deutsche Afrikapolitik ist auch mit Blick auf un-
ser Engagement am Horn von Afrika fest in den EU-
Rahmen eingebettet. Mit ihrem umfassenden Ansatz für
Somalia verfolgt die Europäische Union ebenfalls die
Idee eines integrierten Handelns: politischer Dialog, ent-
wicklungspolitische Maßnahmen, humanitäre Hilfe und
notfalls – das fällt niemandem hier im Hause und auch
der Bundesregierung nicht leicht – eben auch der Einsatz
militärischer Kräfte. In ihrer Gesamtheit leisten diese
Aktivitäten einen entscheidenden Beitrag zu nachhalti-
ger politischer Stabilität und wirtschaftlicher Entwick-
lung in der Region.

Neben der militärischen Operation Atalanta ist die
EU am Horn von Afrika bislang mit zwei weiteren
Schwestermissionen unter deutscher Beteiligung enga-
giert, der militärischen Ausbildungsmission EUTM So-
malia und der zivilen Mission EUCAP NESTOR zur
Stärkung regionaler maritimer Fähigkeiten. EUTM So-
malia soll die somalischen Sicherheitsorgane durch Aus-
bildung und Beratung langfristig in die Lage versetzen,
Sicherheit und Stabilität wieder eigenverantwortlich zu
gewährleisten. Auch die zivile Mission EUCAP
NESTOR wird ihren Schwerpunkt zunehmend auf den
Aufbau von Kapazitäten zur Stärkung rechtsstaatlicher
Institutionen in den somalischen Küstengebieten legen,
damit Piratennetzwerke dort nicht mehr ungestraft agie-
ren können.

Die Operation Atalanta zeigt – es ist ein mühseliger
Weg; ich weiß das – mittlerweile erste Erfolge. Seit dem
Beginn der Operation im Jahr 2008 ist der Golf von
Aden, die wichtigste Schifffahrtsroute zwischen Europa,
der arabischen Halbinsel und Asien, deutlich sicherer
geworden. Die durchgängige Anwesenheit von See-
streitkräften zeigt Wirkung. Die Angriffe von Piraten
sind im Jahr 2013 gegenüber den Vorjahren auf einen
historischen Tiefstand zurückgegangen. Noch ist die so-
malische Übergangsregierung allerdings sehr weit davon
entfernt, die Küsten und anliegenden Seegebiete aus ei-
gener Kraft kontrollieren zu können. Daher können wir
auf den Einsatz im Rahmen der Operation Atalanta vor-
erst nicht verzichten und wollen sie zunächst bis Ende
Mai 2015 fortführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt umso mehr,
da die Operation Atalanta auch das leider nach wie vor
dringend benötigte humanitäre Engagement der interna-
tionalen Gemeinschaft für die notleidende Bevölkerung
in Somalia absichert. Denn noch immer ist Somalia ei-
nes der größten humanitären Krisengebiete weltweit.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigen
derzeit rund 2,7 Millionen Menschen in Somalia akute
Nothilfe. Die humanitäre Hilfe durch Lieferungen des
Welternährungsprogramms und anderer internationaler
Hilfsorganisationen erfolgt fast vollständig auf dem See-
weg. Vor diesem Hintergrund erfüllt die Operation Ata-
lanta auch die wichtige Aufgabe, die Lieferung von Nah-
rungsmitteln und weiteren wichtigen Hilfsgütern nach
Somalia sicherzustellen. Die an Atalanta beteiligten
Schiffe haben dafür gesorgt, dass alle im Auftrag des
Welternährungsprogramms durchgeführten Schiffstrans-
porte ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen konn-
ten. Auf diese Weise wurden insgesamt mehr als
900 000 Tonnen Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter
nach Somalia gebracht. Damit hat die EU-geführte Ope-
ration dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahren
Tausende von Menschenleben in Somalia gerettet wer-
den konnten. Vielleicht können Sie diesen Punkt bei Ih-
ren Überlegungen ansatzweise einbeziehen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen der Linksfraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Unterstützen Sie weiterhin das Schariaregime in Somalia? Sagen Sie etwas zu ihrer Regierung, zu der Verfassung!)


Als eines der größten Geberländer für humanitäre
Hilfe – alleine zwischen 2008 und 2013 flossen deutsche
Hilfsgelder in Höhe von 313 Millionen Euro nach Soma-
lia – hat Deutschland ein besonderes Interesse daran,
dass die Hilfsgüter auch dort ankommen, wo sie am nö-
tigsten gebraucht werden. Darüber hinaus geht es selbst-
verständlich aber auch darum, Seewege für einen funk-





Staatsminister Michael Roth


(A) (C)



(D)(B)

tionierenden Welthandel zu sichern. Auch das ist Teil
unseres europäischen Interesses. Auch diesem Zweck
dienen unsere Bemühungen zur Durchsetzung des inter-
nationalen Rechts vor der Küste Somalias. Wir teilen
dieses Interesse mit allen am Seehandel teilhabenden
Nationen. Gerade am Horn von Afrika zeigt sich in der
alltäglichen Zusammenarbeit die verbindende Wirkung
der Meere. Die Marinen der EU- und NATO-Staaten ko-
ordinieren ihre Aktivitäten im Seegebiet mit den Mari-
nen Chinas, Russlands, Indiens, Südkoreas und vieler
anderer Länder. Die sich daraus ergebenden Kontakte
und Arbeitsbeziehungen sind ein weiterer, nicht zu unter-
schätzender Nebeneffekt des gemeinsamen internationa-
len Engagements am Horn von Afrika. Sie bieten uns die
Möglichkeit, auf einer weiteren Ebene Gesprächskanäle
aufzubauen und offenzuhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen – das sage ich in
Richtung meiner eigenen Fraktion –, es gab in den ver-
gangenen Jahren im Deutschen Bundestag durchaus
kontroverse Diskussionen über die Operation Atalanta.
Meine Fraktion hat sich daran beteiligt. Insbesondere
ging es um die Ausweitung des Einsatzgebietes auf das
somalische Festland. Viele hatten damals befürchtet,
dass die EU-Einheiten in einen Einsatz an Land hinein-
gezogen werden könnten. Diese Bedenken haben sich in
der Praxis erfreulicherweise nicht bestätigt. Faktisch ist
diese Option nur ein einziges Mal gezogen worden, auch
weil die Hürden hierfür in den Einsatzregeln bewusst
sehr hoch gesetzt worden sind. Deshalb kann ich uns alle
nur dazu ermuntern, über jeden Militäreinsatz besonders
kritisch zu diskutieren, nachzuprüfen, auch die Regie-
rung in die Pflicht zu nehmen. Da kann manches noch
besser werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die da-
malige kritische Kontroverse dazu beigetragen hat, dass
sich die Bedenken, die von einigen geäußert wurden,
eben nicht erfüllt haben. Dafür mein herzliches Danke-
schön.

Derzeit laufen auf EU-Ebene noch Verhandlungen
über die Anpassung der Einsatzbefugnisse der Operation
Atalanta, die bis spätestens August/September 2014 ab-
geschlossen sein sollen. Die Bundesregierung wird sich
in enger Abstimmung mit ihren europäischen Partnern
um eine möglichst restriktive Regelung der Landeinsätze
bemühen. Ich bin schon jetzt gespannt, welche Vor-
schläge uns die Kolleginnen und Kollegen aus den zu-
ständigen Ausschüssen unterbreiten werden.

Positiv ist auch, dass mit dem neuen Mandat die per-
sonelle Obergrenze von 1 400 auf 1 200 deutsche Solda-
tinnen und Soldaten reduziert wird. Auch das ist ein Be-
leg für die ersten Erfolge bei der Eindämmung der
Piraterie vor der somalischen Küste. Wenn sich diese Er-
folge weiter verstetigen, gibt es die klare Perspektive ei-
ner weiteren Reduzierung der Truppenstärke.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opera-
tion Atalanta hat in der europäischen Öffentlichkeit, bei
unseren internationalen Partnern und im Kreis der see-
fahrenden Nationen hohes Ansehen. Sie wird als weithin
sichtbarer Leuchtturm einer handlungsfähigen Gemein-
samen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik wahrgenommen. Mit der Sicherung des Zugangs hu-
manitärer Hilfe nach Somalia und dem Schutz des
zivilen Schiffsverkehrs vor Piraterie erbringt sie einen
wertvollen Dienst im Interesse Somalias und des interna-
tionalen Rechts. Ich bitte Sie daher im Namen der Bun-
desregierung um Ihre Unterstützung für unsere fortge-
setzte Beteiligung an der Mission Atalanta.

Kritik ist – das will ich zum Schluss noch einmal aus-
drücklich unterstreichen – nicht nur erwünscht, Kritik ist
zwingend notwendig. Aber, liebe Kollegin, diese krude
Mischung aus Halbwahrheiten, Populismus und Ver-
schwörungstheorien


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist hilflos von Ihnen! Sagen Sie etwas!)


wird der Verantwortung, die wir gemeinsam für unsere
Soldatinnen und Soldaten, für die Sicherheitskräfte und
für diejenigen, die humanitäre Hilfe leisten und zu tra-
gen haben, leider nicht gerecht.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803315300

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Omid Nouripour das Wort.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803315400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

muss zugeben: Die bisherige Debatte hat mich ein biss-
chen verwirrt; denn alle Rednerinnen und Redner haben
von einem Somalia-Einsatz gesprochen. Wir haben da-
mals im Jahr 2008 eine maritime Mission begonnen, die
sich natürlich auch auf die Küstenregion vor Somalia er-
streckt – ja, viele der Piraten sind aus Somalia –, aber
das Einsatzgebiet insgesamt ist deutlich größer. Ein an-
derer Teil der Piraten stammt zum Beispiel aus Jemen
und Oman. Deshalb ist es nicht ganz lauter, wenn man
sich hier hinstellt und sagt: Somalia ist ein armes Land;
wir wollen den Menschen helfen und bekämpfen deshalb
die Piraterie. – Das beschreibt nicht den Einsatz, über
den wir heute sprechen.

Es geht um Symptombekämpfung – um nicht mehr
und nicht weniger. Die Mission als Symptombekämp-
fung war seit 2008 extrem erfolgreich; das ist überhaupt
nicht zu bestreiten. Die Schiffe, die im Auftrag des
World Food Programmes unterwegs waren, haben diesen
Schutz gebraucht. Im Jahr 2013 gab es meines Wissens
keinen erfolgreichen Piratenangriff mehr. Das ist gut und
richtig so. Dafür möchte ich allen, die daran mitgewirkt
haben, vor Ort für Sicherheit zu sorgen, im Namen mei-
ner Fraktion herzlich danken.

Ich stelle noch einmal die Frage, warum die Bundes-
regierung nicht einmal bei einer erfolgreichen Mission
bereit ist, eine Evaluation zu treffen. Gerade vor dem
Hintergrund der Debatten, die unser Außenminister und
unsere Verteidigungsministerin Anfang des Jahres mit
angestoßen haben, dass Deutschland mehr Verantwor-
tung übernehmen will, wäre es höchste Zeit, eine Eva-
luation zu machen. Dass Sie sich bei Afghanistan nicht
trauen, weil es seit Beginn des Einsatzes viele Bundesre-





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

gierungen gegeben hat – ich nehme keine aus –, die Feh-
ler gemacht haben, kann man verstehen, wenn man will.
Dass Sie dies aber auch bei einer erfolgreichen Mission
nicht machen, führt nicht unbedingt dazu, dass man aus
den bisherigen Einsätzen lernt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben seit 2008 mehrheitlich diesem Einsatz immer
zugestimmt. 2012 sind bei einer erfolgreichen Mission die
Regeln verändert worden. Es kam eine sogenannte Strand-
variante hinzu. Es gab dann die Möglichkeit, an Land zu
wirken. Es gab viel Unverständnis darüber, weil der Strand
eine Breite von 2 Kilometern hatte. Wir haben damals ge-
sagt, dass diese neue Komponente nicht nur unnötig ist,
sondern auch unnötige Risiken und Eskalationsgefahren
mit sich bringt. Wir haben damals einen Einsatz und die
Mission nicht verdammt, wir haben nicht dagegen ge-
stimmt. Wir haben gesagt, dass die Mission erfolgreich
ist, dass wir uns der Eskalationsgefahr entgegenstellen,
und haben uns enthalten. An dieser Eskalationsgefahr
hat sich seitdem im Übrigen nichts verändert.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Doch! Keine Eskalation – keine Gefahr!)


Die Sozialdemokratie hat damals mit Nein gestimmt.
Aus den Worten des Herrn Staatsministers habe ich nicht
gehört, was sich an der Realität dieser Mission und die-
ser zusätzlichen Komponente verändert hat. Das Ein-
zige, das sich verändert hat, ist das Mandat, und zwar
nicht nur die Mandatsobergrenze. Das, was auch von der
Sozialdemokratie abgelehnt wurde, steht expressis ver-
bis nicht mehr im Mandatstext, sondern in einem Quer-
verweis auf das alte Mandat, das die Sozialdemokratie
abgelehnt hat. Stimmen Sie jetzt Ihrer alten Ablehnung
zu, wenn Sie dem Querverweis auf das alte Mandat zu-
stimmen? Stimmen Sie jetzt Ihrer Ablehnung zu, oder
müssen Sie ablehnen, um zuzustimmen? Es ist nicht
mehr nachvollziehbar, was die Sozialdemokratie macht.
Eigentlich ist die Situation viel zu ernst.

Wir reden über ein bitterarmes Land, wenn wir über
Somalia reden. Die Küste Somalias ist nur ein Teil des
Problems. Gestern ist von 22 Hilfsorganisationen ein
Bericht veröffentlicht worden. Sie haben darauf hinge-
wiesen, dass es im Jahre 2011 eine Hungerkatastrophe
ungeahnten Ausmaßes gegeben hat. 250 000 Menschen
sind in Somalia verhungert. Sie sagen, dass eine verhee-
rende Trockenheit im Süden des Landes droht, dass sich
eine solche Katastrophe wiederholen kann. Es wird von
50 000 Kindern gesprochen, die an der Schwelle des To-
des seien. Oxfam weist darauf hin, dass es 2011 glas-
klare Indizien gegeben hat und dass die Weltgemein-
schaft damals zugeschaut hat. Es ist höchste Zeit, dass
man die Indizien, die es wieder gibt, zur Kenntnis
nimmt. Es ist höchste Zeit, dass wir auch zur Kenntnis
nehmen, dass die internationale Gemeinschaft nur
12 Prozent der notwendigen Hilfsgelder bisher hat gene-
rieren können und dass wir etwas tun müssen. Jenseits
der Debatte um Atalanta, jenseits einer erfolgreichen Be-
kämpfung der Symptome müssen wir auf Somalia selbst
schauen. Da reichen die Verquickungen, die nicht lauter
sind, nicht aus. Wenn wir etwas für Somalia tun wollen,
dann müssen wir nicht nur auf die politischen Prozesse,
die es in Mogadischu gibt, schauen, sondern auf die mas-
sive humanitäre Katastrophe, die derzeit im Süden des
Landes droht. Wir müssen alles daransetzen, dass sich
die Katastrophe, die es vor drei Jahren gab, nicht wieder-
holt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803315500

Der Kollege Philipp Mißfelder erhält für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1803315600

Sehr verehrte Präsidentin! Kollege Nouripour, ich

möchte unseren sozialdemokratischen Koalitionspartner
an dieser Stelle in Schutz nehmen. Als Hinweis für Sie:
Das Abstimmungsverhalten der SPD beim letzten Mal
steht heute nicht zur Debatte, wenn ich in Ihrer Logik
bleiben darf.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist ja gut! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie Ihren Abstimmungstext!)


Sie haben sich mit Ihren Querverweisen ziemlich verga-
loppiert. Sie haben die SPD aufgefordert, zu ihrem vor-
herigen Abstimmungsverhalten Stellung zu beziehen.
Staatsminister Roth hat ausführlich dargestellt, welche
kritische Überprüfung es bei dem Mandat gegeben hat.
Ich finde es wirklich kleinkrämerisch, nach den Erklä-
rungen der Bundesregierung durch zwei Regierungsver-
treter auf dieser Frage herumzureiten und vor allen Din-
gen den Kernpunkt außer Acht zu lassen, dass es sich bei
Atalanta um eines der erfolgreichsten Mandate der Bun-
deswehr


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er mehrfach erwähnt! Das hat er nicht außer Acht gelassen! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gesagt!)


und gleichzeitig um eines der beliebtesten Mandate in
der Bevölkerung handelt. Denn selten ist so logisch und
so eindeutig zu erkennen, wo die deutschen Interessen
liegen, wo unsere politische Verantwortung liegt und
worin zugleich der unmittelbare Nutzen liegt.

Ich darf daran erinnern – der frühere Verteidigungs-
minister Franz Josef Jung hat es mir gerade noch mit auf
den Weg gegeben –: 2008 gab es über 200 Attacken von
Piraten. Dieses Mandat ist wirklich eine große Erfolgs-
geschichte. Das sollte man an dieser Stelle erst einmal
festhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das habe ich doch gesagt!)


Deshalb sollten wir dieses Mandat verlängern. Und des-
halb danken wir in dieser Debatte zu Recht den 361
Frauen und Männern, die gerade für uns im Einsatz sind.





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin der Meinung, dass sie hervorragende Arbeit leis-
ten, übrigens in einem nicht einfachen Einsatzgebiet. Es
ist vorhin von einer Eskalation gesprochen worden. Ich
glaube, dass unsere Antwort auf mögliche Eskalations-
szenarien die richtige war: Wir haben Stärke demons-
triert. Das Ergebnis ist, dass die Situation nicht weiter
eskaliert ist. Keiner von uns kann aber sicher sagen, kei-
ner kann vorher beurteilen, ob es sich in die eine oder in
die andere Richtung entwickelt.

Zu dem Vorwurf, wir hätten keine Evaluation durch-
geführt, muss ich sagen: Schon der Parlamentsvorbehalt
und die Debatte am heutigen Tage zeigen, dass wir uns
sehr genau überlegen, welche Mandate wir auf den Weg
bringen und welche nicht. Ich fände es übrigens nicht
gut, wenn es im Parlament gängige Praxis wäre, den Par-
lamentsvorbehalt, der sich in den Beratungen hier in ers-
ter und zweiter Lesung und in einer Ausschussberatung
ausdrückt, so wahrzunehmen, dass wir uns vorher von
der Regierung einen Bericht zuschicken lassen, in dem
steht, was denn aus Sicht der Regierung an einem Man-
dat gelungen oder weniger gelungen ist. Wir haben es im
Falle Afghanistans so gemacht, um aus dem Einsatz ins-
gesamt Schlüsse ziehen zu können und eine generelle
Rückschau auf den langjährigen Einsatz in Afghanistan
zu ermöglichen.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie auch eine Woche nach der Abstimmung machen!)


Ich finde aber, dass hier der richtige Ort ist, darüber zu
reden, ob ein Mandat erfolgreich war und wir es verlän-
gern sollten oder nicht. Ich komme zu dem Ergebnis:
Dieses Mandat war erfolgreich und wird hoffentlich
auch erfolgreich bleiben. Deshalb plädieren wir dafür,
das Mandat zu verlängern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist die Grundlage dafür?)


Was Somalia angeht, so gebe ich Ihnen recht – es ist
angesprochen worden –: Natürlich können wir mehr tun.
Natürlich stimmt es, dass wir insgesamt mehr Engage-
ment für Afrika zeigen müssen, politisch, diplomatisch
und in der Entwicklungszusammenarbeit. Selbstver-
ständlich können wir mehr tun, selbstverständlich kann
auch die Europäische Union mehr tun. Trotzdem ist die
Lage in Somalia natürlich besonders schwierig und ge-
fährlich. Deshalb muss man genau hinschauen, wenn es
darum geht, welcher Maßstab der richtige ist, um festzu-
stellen, was in der Somalia-Politik bisher gut oder
schlecht gelaufen ist. Erinnern Sie sich noch daran? Ver-
gangenen Herbst gab es in Brüssel eine Tagung zur
Frage eines New Deal Engagement, und es ist dabei
nicht zu nennenswerten oder greifbaren Ergebnissen ge-
kommen.

Wir müssen eines sehen: Atalanta leistet einen stabili-
sierenden Beitrag zu einem ganz zentralen humanitären
Akt, nämlich zur Arbeit des World Food Programme.
Denn wenn Atalanta nicht wäre, dann wäre die Liefe-
rung von Nahrungsmitteln nicht möglich. Damit leistet
die Bundeswehr an dieser Stelle einen humanitären Bei-
trag, den wir aufrechterhalten wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Franz Thönnes [SPD])


Zu den Theorien von Frau Dağdelen ist von Staatsmi-
nister Roth vorhin schon ausführlich etwas gesagt wor-
den.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Meine „Theorien“?)


Ich höre sie jedes Jahr, wenn wir das Mandat verlängern.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Normalerweise ist auch Herr Ströbele ein Kämpfer für
die Theorie, dass die Piraterie aus der Überfischung re-
sultieren würde. Unabhängig davon, dass die soziale
Struktur in Somalia wirklich katastrophal ist, was eine
Ursache der Probleme ist, gibt es überhaupt keinen
Grund, sich nicht kriminellen Akten entgegenzustellen.
Es ist gerade deshalb wichtig, Präsenz zu zeigen und da-
für zu sorgen, dass die Möglichkeit einer Rechtsstaat-
lichkeit überhaupt vorhanden ist. Dazu leistet Atalanta
aus meiner Sicht den richtigen Beitrag.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803315700

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1803315800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die EU-geführte Operation Atalanta soll zum
Schutz der internationalen Seeschifffahrt die vor der
Küste Somalias operierenden Piraten abschrecken und
bekämpfen. Mit der Operation sollen weiterhin Geisel-
nahmen und Lösegelderpressungen verhindert, das Völ-
kerrecht durchgesetzt und humanitäre Hilfe für die so-
malische Bevölkerung, zum Beispiel – das ist schon oft
genannt worden – durch das Welternährungsprogramm,
sichergestellt werden.

Seit Beginn der Operation Atalanta ist kein Schiff des
Welternährungsprogrammes mehr angegriffen worden.
Auch die Sicherung der bedeutsamen Handelsroute zwi-
schen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien ist für
Deutschland als Exportnation und Importeur von Roh-
stoffen dauerhaft von besonderem Interesse.

In Osnabrück wurde im April dieses Jahres im ersten
Piratenprozess seit 400 Jahren ein somalischer Pirat in
erster Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt,


(Niels Annen [SPD]: So ist es! Und womit? Mit Recht!)


jetzt wird sich noch der Bundesgerichtshof mit diesem
Fall beschäftigen. Die Umstände dieses Falles machen





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

deutlich, warum die EU-geführte Operation Atalanta
weiterhin so wichtig ist und warum uns romantische Pi-
ratenklischees den Blick auf die grausame Realität nicht
verstellen dürfen.

Im Mai 2010 wird die „Marida Marguerite“, ein mit
Flugbenzin und Speiseöl im Wert von 10 Millionen Euro
beladener brandneuer Tanker einer Reederei aus dem
Emsland von Piraten vor Somalia gekapert. Für die Be-
satzung folgen acht Monate unvorstellbares Leid und
grausame Quälereien. Die Piraten schlagen und foltern
die Seeleute. Es gibt Scheinhinrichtungen; ein Schuss
geht knapp am Kopf des Kapitäns vorbei. Der Chefinge-
nieur wird stundenlang kopfüber an einer Eisenstange
über die Reling gehängt, die Piraten sperren Kapitän und
Ingenieur nackt bei minus 17 Grad Celsius in die Kühl-
kammer. Kurz vor Weihnachten 2010 werden aus einem
Flugzeug 5 Millionen Euro Lösegeld über dem Schiff
abgeworfen. Die Kidnapper bestätigen den Empfang per
Fax, unterschrieben mit: „Merry Christmas“. Am 28.
Dezember 2010 geben die Piraten Schiff und Besatzung
dann Gott sei Dank endlich frei.

Der Fall ist grausam, aber leider kein Einzelfall. In
der Vergangenheit wurden Besatzungen im Durchschnitt
bis zu fünf Monate lang gefangen gehalten. So etwas
dürfen Staaten nicht zulassen. Wenn ein Failed State wie
Somalia nicht in der Lage ist, die Piraterie zu unterbin-
den, muss die Weltgemeinschaft sich überlegen, was sie
unternehmen kann, um solche Verbrechen zu verhindern.

Die Mission EU NAVFOR Atalanta, über deren Ver-
längerung wir heute wieder einmal beraten, hat maßgeb-
lich dazu beigetragen, dass die Piratenangriffe heute auf
einem Tiefstand angekommen sind. 2013 wurden 20 ver-
dächtige Ereignisse registriert, aber nur 7 Angriffe, die
alle erfolglos blieben. Zum Vergleich: 2011 waren es
noch 176 Angriffe. Das zeigt einmal mehr, wie erfolg-
reich und gut dieser Einsatz ist.

Das militärische Vorgehen im Rahmen der Operation
Atalanta ist aber nur ein Teil eines umfassenden ressort-
übergreifenden Ansatzes zur Stabilisierung Somalias
und der gesamten Region. Parallel zu den militärischen
Bemühungen auf See laufen daher Bemühungen der Ver-
einten Nationen, der Europäischen Union und auch bila-
teraler Art, Somalia und die Region zu stabilisieren.
Deutschland beteiligt sich umfangreich an humanitärer
Hilfe für Somalia. Wir tragen über den allgemeinen Fi-
nanzierungsanteil 20 Prozent der humanitären Hilfe der
EU-Kommission; das waren allein zwischen 2008 und
2013 313 Millionen Euro. Schon bisher stellten das
BMZ und auch das Auswärtige Amt zusätzlich immer
wieder substanzielle Mittel zur Verfügung.

Mir scheint, dass das der richtige Ansatz ist: auf der
einen Seite Bekämpfung der akuten, gegenwärtigen Ge-
fahren der Piraterie auf See durch Abschreckung der Pi-
raten mit militärischen Mittel sowie Bekämpfung des
Hungers und Elends in den Flüchtlingslagern durch hu-
manitäre Hilfe, auf der anderen Seite zugleich zukunfts-
gerichtete Investitionen in die Stabilisierung der Region
und in den Aufbau staatlicher Strukturen.
In den letzten Debatten und auch heute wurden wie-
der Befürchtungen geäußert, die Ergänzung des Mandats
um die Möglichkeit der Bekämpfung der Piraterielogis-
tik am Strand aus der Luft führe zu einer Eskalationsge-
fahr und berge das Risiko ziviler Opfer.

Diese Horrorszenarien haben sich bisher nicht bewahr-
heitet. Es ist entgegen diesen unrealistischen Vorstel-
lungen bis heute nicht zu Kollateralschäden oder
Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen. Keine
Eskalation, deswegen keine Gefahr. Aus meiner Sicht
sollten sich alle nichtdogmatischen Fraktionen in diesem
Haus für den Einsatz im Rahmen des Mandats Atalanta
einsetzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Lobbyist! Krauss-Maffei lässt grüßen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803315900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1282 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kündigung bilateraler Kooperationen im Be-
reich der Nutzung atomarer Technologien
Drucksache 18/1336 (neu)


Über den Antrag werden wir später namentlich ab-
stimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Die Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
als Erste das Wort.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803316000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Brasilien baut ein AKW. Brasilien tut das auch mit deut-
scher Technik; darunter sind auch veraltete Komponen-
ten, die nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und
Technik entsprechen. Und Brasilien tut das in einem
Erdbebengebiet.

Die von Deutschland für den Export der deutschen
Komponenten bereitgestellte Hermesbürgschaft hat in
der letzten Legislatur zu heftigen Debatten geführt. Die
SPD wollte mit uns zusammen diese Hermesbürgschaft
verhindern. Die Hermesbürgschaft ist aber nur der un-
vermeidliche Begleiter des Abkommens zwischen





Sylvia Kotting-Uhl


(A) (C)



(D)(B)

Deutschland und Brasilien zur Förderung der sogenann-
ten zivilen Atomkraftnutzung, eines Abkommens, ge-
schlossen in der atomaren Euphorie der 70er-Jahre. Es
gibt mehrere dieser Abkommen, alle geschlossen vor
Tschernobyl und Fukushima, heute völlig anachronis-
tisch und aus der Zeit gefallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Abkommen mit Brasilien und das Abkommen
mit Indien laufen in diesem Jahr aus. Kündigt man die
Abkommen nicht, werden sie automatisch verlängert.
Das Abkommen mit Indien läuft heute in einer Woche
aus. Diese Abkommen sind keine Petitessen. Wer es mit
dem Atomausstieg im eigenen Land ernst meint, der
kann nicht im Ausland den Ausbau von Atomtechnolo-
gie mit Mitteln der Außenwirtschaftsförderung unter-
stützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Begründung des Wirtschaftsministerium, die wir
auf unsere Anfrage, warum das Abkommen mit Brasi-
lien nicht gekündigt wird, bekommen haben, lautet übri-
gens wie immer, wenn es um Atomkraft und deren Nut-
zung geht: Sicherheit. Die Sicherheit sei erhöht, wenn
deutsche Atomtechnik mit dabei sei.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Da hat die Bundesregierung recht!)


Ich sage Ihnen eines, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition: Mehr Sicherheit für Brasilien gibt es
nur, wenn dieses Atomkraftwerk nicht gebaut wird, egal
mit welcher Technik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das müssen Sie den Brasilianern überlassen!)


Deshalb braucht es Kooperationen in den Bereichen er-
neuerbare Energien und Energieeffizienz und eben nicht
im Bereich der Nukleartechnik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die brasilianische Präsidentin macht übrigens keinen
Hehl daraus, dass es neben der Stromerzeugung durch-
aus auch um die Beherrschung des Brennstoffkreislaufs
geht.

Schauen wir uns den Atomwaffenstaat Indien an. Er
ist zwar Mitglied der IAEA, ist bis heute aber nicht dem
Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag beigetreten. Indien
importiert also zivile Atomtechnik, ohne die wesentli-
chen Kontrollmechanismen für das militärische Atom-
programm aufzuweisen. Damit unterstützt das Atomaus-
stiegsland Deutschland nicht nur den Ausbau der
Atomkraftnutzung, sondern auch das Unterlaufen des in-
ternationalen Nichtverbreitungsregimes. Eine solche
Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht Regie-
rung und Parlament national und international unglaub-
würdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun stellen sich Enttäuschungen über Verhaltenswei-
sen selbstverständlich unterschiedlich dar. Ich will nicht
verhehlen, dass ich in diesem Fall besonders von den
Genossinnen und Genossen der SPD enttäuscht bin. Alle
Häuser, die in der Frage der Abkommen eine Rolle spie-
len, sind in SPD-Hand: das Wirtschaftsministerium, das
Umweltministerium und das Auswärtige Amt. In der
letzten Legislaturperiode haben Sie noch mit uns die Be-
endigung der Förderung der Atomkraft im Ausland ge-
fordert. Nichts davon findet sich im Koalitionsvertrag,
und Ihre Häuser schweigen.

Am 28. März erfuhren wir in der Antwort auf un-
sere Kleine Anfrage, dass das Abkommen mit Indien
am 15. Mai ausläuft. Am 16. April bekam Umweltminis-
terin Hendricks von Jürgen Trittin und mir einen Brief
mit der Aufforderung, dieses Abkommen jetzt zu kündi-
gen. Keine Reaktion. Deshalb liegt heute unser Antrag
vor. Es geht in diesem Antrag nicht nur um das Abkom-
men mit Indien, sondern es geht um alles, was in diesen
Gesamtzusammenhang gehört: das Abkommen mit Bra-
silien, die Hermesleitlinien, die Kooperationen in den
Bereichen Erneuerbare und Energieeffizienz.

Das alles ist nur ein kleiner Teil dessen, was Sie ver-
säumen. Denn wer glaubt, dass sich der Atomausstieg in
einem Abschaltplan erschöpft, der irrt,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


obwohl ich zugeben muss, dass mir selbst der Abschalt-
plan inzwischen Sorgen macht, wenn ich mir anschaue,
was man von Ihnen zur Energiewende vorgelegt be-
kommt. Sie kümmern sich nicht um die Risiken grenzna-
her AKW. Sie lassen zu, dass mit öffentlichen For-
schungsgeldern an atomaren Techniken geforscht wird,
zum Teil in Kooperation mit Atomländern wie Frank-
reich oder auch China. Sie werben nicht für den interna-
tionalen Atomausstieg und für die Energiewende, und
Sie lassen zu, dass sich das deutsche Gesicht in der EU-
Kommission, Energiekommissar Oettinger, als Atom-
lobbyist betätigt. Heute haben Sie die Chance, zu zeigen,
dass Sie zumindest den Zusammenhang zwischen diesen
Abkommen und dem Atomausstieg verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind auch in Euratom gefangen. Wir haben hier
schon oft darüber diskutiert. Uns wird als Begründung
immer genannt: Wir können nicht aus Euratom ausstei-
gen, weil dies ein EU-Vertrag ist. Diese Abkommen sind
keine EU-Verträge. Man kann sie kündigen. Machen Sie
im Sinne von Konsequenz und Glaubwürdigkeit den
Schritt. Sie haben heute die Chance, das zu zeigen. Stim-
men Sie, zumindest die Genossinnen und Genossen von
der SPD, unserem Antrag zu, diese antiquierten Abkom-
men 40 Jahre nach ihrem Zustandekommen heute in ei-
ner völlig veränderten Welt endlich zu kündigen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803316100

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1803316200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Kotting-Uhl, zunächst möchte ich Ihren
Vorwurf, dass Herr Oettinger ein Atomlobbyist ist, zu-
rückweisen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich selbst so tituliert! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das kann man ganz sicher so nicht sagen. Die uns von
Ihnen unterstellte Atomeuphorie hat es aus meiner Sicht
auch nie gegeben.

Alle Jahre wieder kommt ein ähnlicher Antrag von
Ihnen zur Kündigung bilateraler Kooperationen im Be-
reich der Nutzung atomarer Technologien. Das gehört zu
Ihren Lieblingsthemen. Wie bereits in der letzten Legis-
laturperiode geht es auch heute wieder um die Hermes-
bürgschaften – Sie haben es eben gesagt – für ein Atom-
kraftwerk in Brasilien. In Ihrem Antrag heißt es – ich
zitiere –:

Wer zu Hause aus der Atomkraft aussteigt, weil ihre
Risiken zu groß und die hochgefährlichen Hinter-
lassenschaften nicht verantwortbar sind, kann sie
im Ausland nicht durch gezielte Außenwirtschafts-
förderung begünstigen.

So weit Ihr Antrag.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Klingt gut!)


Das klingt im ersten Moment plausibel und einleuch-
tend,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ist es aber nicht. Wer im eigenen Land so etwas be-
schließt, kann noch lange nicht fordern, dass alle ande-
ren es dann auch tun.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür arbeiten! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie können es fordern, aber Sie können es nicht erzwin-
gen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wollen wir auch gar nicht!)


Bei genauer Betrachtung der Lage in den anderen Län-
dern – diese haben Sie viel zu wenig betrachtet – können
Sie eine solche Forderung eben nicht aufrechterhalten.

Unsere Regierung hat beschlossen, dass Deutschland
mittelfristig aus der Atomkraft aussteigt. Ich stehe voll
und ganz dahinter, meine Fraktion selbstverständlich
auch.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hören Sie doch auf, sie zu exportieren!)


Der Fokus liegt auf den erneuerbaren, nachwachsenden
und reproduzierbaren Energien. Dennoch ist uns aber
auch bewusst, dass wir noch nicht ganz aus der Atom-
energie aussteigen und noch nicht völlig auf sie verzich-
ten können. Sie bleibt noch für einige Jahre ein Teil
unseres Energiemixes. Fossile Energieträger und Kern-
energie sind derzeit noch Bestandteil der Brückentech-
nologie auf dem Weg in das Zeitalter der erneuerbaren
Energien.

Wir haben allerdings – im Gegensatz zu Ihnen – nie,
zu keinem Zeitpunkt, eine Politik der Angst im Hinblick
auf die Atomenergie betrieben.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen, nein! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Menschen haben Angst vor der Atomenergie!)


– Ja, das haben Sie gemacht. Ich will Ihnen auch ein Bei-
spiel nennen, ein Beispiel, das ich in wirklich unguter
Erinnerung habe: Claudia Roth hat anlässlich des Fuku-
shima-Jahrestages die 16 000 Toten der Atomkatastro-
phe beklagt.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn das jetzt mit den Hermesbürgschaften zu tun?)


Das waren aber nicht 16 000 Tote der Atomkatastrophe,
sondern des Tsunamis und des Erdbebens. Als die Atom-
katastrophe kam, waren diese Menschen bereits tot. So
kann man das nicht machen. Ich finde es einfach nicht in
Ordnung, wenn man hier mit den Ängsten der Menschen
spielt. Genau das tun Sie beim Thema Atomenergie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man soll vor Fukushima also keine Angst haben, ja? Das müssen Sie den Menschen wirklich mal so sagen!)


Aber zurück zum Antrag. Sie fordern – wie immer be-
lehrend –,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie sind belehrend!)


dass wir den anderen Ländern vorschreiben sollen, wie
sie zu handeln haben.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es geht darum, wie wir zu handeln haben!)


Deutschland hat infolge einer Risiko- und Interessenab-
wägung für sich entschieden, wie es mit der Kernenergie
in Deutschland weitergehen bzw. nicht weitergehen soll.
Da sind wir ja auch vorbildlich. Wir sind das einzige
Land auf der Welt, das diesen Sonderweg geht.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ganz! – Dr. Frithjof Elisabeth Motschmann Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)





(A) (C)


(D)(B)


Es liegt aber in der souveränen Entscheidung eines jeden
Staates, bei der Ausgestaltung seiner Energiepolitik ei-
nen anderen Energiemix zu wählen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Eine Bevormundung – das ist immer Ihre Schwäche –,


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unsere souveräne Entscheidung, was wir exportieren!)


in diesem Fall eine Bevormundung anderer Staaten hin-
sichtlich der Energiepolitik, oder eine mittelbare Ein-
flussnahme liegen nicht im Interesse deutscher Außen-
politik.

Wir mögen es ja gewohnt sein, dass der Strom bei uns
in Deutschland immer fließt; daran haben wir uns ge-
wöhnt. Das ist aber nicht in allen Ländern so.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hören Sie doch auf, Angst zu schüren!)


Zum Beispiel erwähnen Sie in Ihrem Antrag Brasilien,
ein Land – ganz nebenbei –, das ich sehr gut kenne.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! 47 Prozent Erneuerbare!)


Ich bin in den Elendsvierteln von Brasilien gewesen und
weiß, wie es den Menschen dort geht;


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird das mit Atomstrom besser? – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU]: Ja! – Gegenruf der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben 47 Prozent Erneuerbare! Die brauchen das nicht!)


auch darüber müssen wir einmal reden. Zum einen gibt
es dort keine flächendeckende Stromversorgung. Zum
anderen leidet dieses südamerikanische Land mit seiner
rasch wachsenden Wirtschaft immer wieder unter stun-
denlangen Stromausfällen.

Zwei Beispiele will ich nennen. Im Oktober 2012
legte eine Panne den gesamten Norden und Nordosten
des Landes lahm. Im November 2009 waren rund
60 Millionen Menschen in Brasilien von einem Mega-
Blackout betroffen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie eine Energiekooperation! Aber keine Atomkooperation! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist übles Angstschüren! Angst schüren ist das, was Sie da machen!)


Das ist Ihnen völlig egal. Uns ist das nicht egal.

Der Weg hin zu einer flächendeckenden und verlässli-
chen Stromversorgung ist für viele Länder noch weit.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Und dann schickt man sie in die atomare Falle?)


Nicht nur die ärmsten Länder der Welt, sondern auch
Länder wie China oder Indien, die Sie in Ihrem Antrag
ebenfalls nennen, weisen in ländlichen Regionen noch
erhebliche Mängel bei der Stromversorgung auf;


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich! Und?)


das wissen Sie ganz genau, und das brauche ich Ihnen
nicht zu sagen.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen wir dem Iran auch helfen, ja? Atomkraftwerke in den Iran – eine tolle Idee! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sollen die jetzt alle Atomkraftwerke kriegen?)


Sie fordern, dass Deutschland den Menschen in diesen
Ländern seine Hilfe bei der Stromversorgung entziehen
soll.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich verrate Ihnen etwas: Es gibt noch Strom außerhalb von Atomstrom!)


Genau das wollen wir nicht. Deutschland muss aber
seine internationale Verantwortung annehmen und die
Menschen in diesen Ländern unterstützen.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das, was Sie da behaupten, hat niemand gesagt!)


– An Ihrer Aufregung sehe ich, dass das, was ich sage,
wohl doch ganz richtig ist, und dass Sie es verstanden
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Nein! Es ist völlig falsch, was Sie sagen! Deshalb regen wir uns auf! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist leider ziemlicher Unsinn! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich wollte Ihnen ein Geheimnis verraten! Es gibt noch anderen Strom als Atomstrom!)


– Das mit den Geheimnissen machen wir dann nach der
Rede; sonst geht mir meine Redezeit verloren.

Ihre Forderung, Ländern wie Indien oder Brasilien
Bedingungen zur verstärkten Energieeffizienz oder zur
Minderung der CO2-Emissionen aufzuzwängen, können
wir nicht unterstützen. Es geht immer um Freiwilligkeit.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das, Frau Motschmann? Wo steht das Wort „Bedingungen“?)


– Ganz einfach: Wenn die Hermesbürgschaften zurück-
gezogen werden, dann können diese Länder ihre Strom-
versorgung nicht gewährleisten und nicht finanzieren.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?)






Elisabeth Motschmann


(A) (C)



(D)(B)

Das finden Sie gut


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])


und wir schlecht.

Mit Blick auf große Teile dieser Länder gehen solche
Diskussionen an der Realität vorbei, die Sie offenbar
nicht kennen; und das tut mir leid.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden an der Realität vorbei, verehrte Frau Kollegin! Ich weiß nicht, in welcher Realität Sie leben!)


Die Menschen in diesen Ländern brauchen zuallererst
eine flächendeckende Stromversorgung. Die Wirtschaft
in diesen Ländern braucht diese Stromversorgung,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist doch sowieso noch gar nicht da!)


um sich überhaupt weiterentwickeln zu können. Man
kann die Kraftwerke doch gar nicht von jetzt auf gleich
ersetzen.

Wir können diesen Ländern nicht unsere deutschen
Maßstäbe, Vorstellungen und Wünsche aufzwingen,
auch wenn Sie von den Grünen es immer wieder so
gerne tun.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zwingen nichts auf!)


Angesichts Ihrer sozialen Einstellung, die ich ja sehr
schätze und die ich auch immer wieder sehe, wundert es
mich etwas, dass Sie gerade das Elend, die Probleme der
Menschen in diesen Ländern nicht sehen und solche Vor-
schläge machen.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen diese Rede geschrieben? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch einmal auf, diese Menschen für Ihre Atompolitik zu instrumentalisieren! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Frau Motschmann hat recht! So ist es!)


– Genau das ist der Punkt.

Ich will am Ende noch auf einen Punkt Ihres Antrages
eingehen: Sie behaupten, dass die Bundesrepublik
Deutschland „ihrer außenpolitischen Mitverantwortung
nicht gerecht“ wird und dass unsere Politik „sämtliche
Bemühungen im Bereich der Nichtverbreitung von Mas-
senvernichtungswaffen“ untergräbt; Sie haben das ja
eben auch erwähnt. – Deutschland ist sich der besonde-
ren Sensibilität von Nuklearprojekten absolut bewusst.
Das zeigt sich schon bei der Besetzung des Interministe-
riellen Ausschusses für Exportkreditgarantien. Auch das
sollten Sie einmal erwähnen: Allein daran sind vier Bun-
desministerien beteiligt: BMWi, BMF, Auswärtiges Amt
und BMZ.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sie treffen die falschen Entscheidungen!)


– Sie meinen, die irrten alle


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal kommt so etwas vor!)


und nur Sie hätten immer recht? Nein, haben Sie nicht. –
Solche Exporte werden strengstens geprüft, und es wird
abgewogen, inwieweit deutsche Hilfen eventuell zweck-
entfremdet und für den Bau von Waffen eingesetzt wer-
den können, so wie es sich für einen Rechtsstaat gehört.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Am Ende
sage ich noch einmal: Die Grünen wollen immer alles
bestimmen, sie wollen uns den Veggie Day aufzwingen,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


um aus Nachhaltigkeitsgründen den Fleischkonsum zu
verringern. Jetzt wollen die Grünen diesen Ländern auf-
zwingen, dass sie sich aus der Atomenergie verabschie-
den – wohl wissend, dass sie das in diesem Moment und
von jetzt auf gleich ganz bestimmt nicht können.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803316300

Kollegin Motschmann, ich muss Sie jetzt bitten, die-

sen angeregten Dialog zu beenden.


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1803316400

Ihre Bevormundungspolitik lehnen wir ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Veggie Day statt Intellekt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803316500

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Hubertus Zdebel das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803316600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, dass die Rede, die Frau Motschmann gerade
gehalten hat, eine sehr lustige Rede war; das trifft insbe-
sondere auf den Vorwurf zu, dass wir als Opposition
beim Thema Atomenergie eine Politik der Angst machen
würden. Wer angesichts von Fukushima und Tscherno-
byl weiterhin davon redet, dass mit Atompolitik eine
Politik der Angst gemacht werde, der hat überhaupt
nichts verstanden. Das möchte ich hier an dieser Stelle
noch einmal deutlich festhalten.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Atomausstieg in Deutschland und weitere Atomför-
derung im Ausland passen nicht zusammen; das ist auch
unsere Meinung. Vor diesem Hintergrund sagen wir voll-
kommen klar, dass die Abkommen zur Förderung von
Atomenergie – dazu gehören auch die bilateralen Atom-





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

verträge – gekündigt werden müssen, und zwar drin-
gend.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen richtig,
jetzt sofort aktiv zu werden. Ich bin der Fraktion der
Grünen auch sehr dankbar für die Kleine Anfrage, die
sie gestellt hat, und für den sich daraus ergebenden An-
trag, das deutsch-indische Atomabkommen jetzt sofort
und in nächster Zeit auch das deutsch-brasilianische
Atomabkommen zu beenden. Deswegen sage ich für die
Fraktion der Linken ganz klar: Wir werden den Antrag
der Grünen unterstützen. Wir setzen uns genau für diese
Ziele ein, die in dem Antrag formuliert worden sind.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage an dieser Stelle auch, dass ich sehr gespannt
darauf bin, wie sich die SPD in der namentlichen Ab-
stimmung gleich verhalten wird. Auch ich habe nämlich
nicht vergessen, dass sich die SPD in der vergangenen
Legislaturperiode dafür stark gemacht hat, dass Hermes-
bürgschaften bezüglich des Atomkraftwerks in Brasilien
nicht weiter erteilt werden, und dass in dieser Angele-
genheit auch Druck aufgebaut worden ist, ein Druck, der
nicht ganz erfolglos geblieben ist, weil daraufhin näm-
lich eine Ausweichfinanzierung angestrebt worden ist.

Auch ich bin sehr enttäuscht darüber, wie sich die
SPD jetzt in der Bundesregierung zu diesen ganzen Fra-
gen verhält.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das betrübt uns sehr!)


Deswegen bin ich sehr gespannt darauf, wie das in der
namentlichen Abstimmung gleich aussehen wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zum
deutsch-brasilianischen Atomabkommen sagen. Ich war
sehr beeindruckt von einem Gespräch, das Anfang April
2014 bei einem Treffen mit renommierten Vertreterinnen
und Vertretern der brasilianischen Zivilgesellschaft auf
Einladung von urgewald hier in Berlin stattfand, an dem
auch meine Kollegin Bulling-Schröter teilgenommen
hat. Dabei war auch Chico Whitaker. Er ist Mitbegrün-
der des Weltsozialforums und bis heute Mitglied im In-
ternationalen Rat des Weltsozialforums. Im Jahre 2006
erhielt er unter anderem auch den Alternativen Nobel-
preis.

Es war eine sehr angeregte Debatte mit den Vertretern
von urgewald aus Brasilien. Chico Whitaker sagte bei
der Gelegenheit, dass es keinesfalls ein diplomatischer
Affront wäre, wenn die deutsche Bundesregierung den
bilateralen Atomvertrag zwischen den beiden Ländern
zum Ende des Jahres kündigen würde. Er sagte:

Im Gegenteil: Das wäre eine wichtige Unterstüt-
zung Deutschlands für Brasilien. …


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem wäre es eine sehr wichtige und mehr als
opportune Maßnahme, jetzt, wo wir des 50. Jahres-
tages des Militärputsches in Brasilien gedenken,

in dieser Angelegenheit aktiv zu werden. Meine Damen
und Herren, Sie sollten nämlich nicht vergessen – für
den Fall, dass Sie es vergessen haben oder nicht wussten,
sage ich es Ihnen noch einmal –, dass dieser Vertrag da-
mals von den brasilianischen Militärs ausgehandelt wor-
den ist. In meinen Augen ist es auch vor diesem Hinter-
grund – ich zitiere Chico Whitaker – „höchste Zeit, sich
von diesem Relikt einer unheilvollen Kooperation zu
verabschieden.“


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem hat Herr Whitaker bei der Gelegenheit des
Gesprächs sehr deutlich gesagt – das sollten Sie sich
auch als Koalition noch einmal hinter die Ohren schrei-
ben –:

Wer im eigenen Land aus der Atomkraft „aus-
steigt“, sollte keine doppelten moralischen Stan-
dards anwenden und deswegen auch nicht weiter
den Ausbau der Atomkraft im Ausland unterstüt-
zen.

Dieser Aussage können wir Linke uns nur anschließen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Die Bundesrepublik ist
nicht nur durch die Abkommen mit Indien und Brasilien
an der Förderung von Atomenergie beteiligt, sondern
Deutschland ist nach wie vor auch Unterzeichner
des Euratom-Vertrages. Wir Linken sagen schon lange:
Euratom verfestigt die Förderung der Atomenergie und
muss aufgelöst werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch ein anderer Aspekt ist mir persönlich sehr wich-
tig. Weil ich aus dem Münsterland komme, möchte ich
bei dieser Gelegenheit auch noch einmal daran erinnern,
dass es nach wie vor die Urananreicherungsanlage in
Gronau gibt, die von der Firma Urenco betrieben wird.
Diese Firma Urenco gibt es nur auf Basis eines trilatera-
len Vertrages, der in den 70er-Jahren zwischen Deutsch-
land, den Niederlanden und Großbritannien geschlossen
worden ist. Diese Firma soll jetzt privatisiert werden.
Meiner Meinung nach gehört auch dieser trilaterale Ver-
trag von Almelo – so heißt er nämlich – zwischen diesen
Staaten, der die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der ge-
fährlichen Gaszentrifugentechnik regelt, auf den Prüf-
stand. Es ist nämlich nicht mit einem unverzüglichen
Atomausstieg vereinbar, dass in Gronau weiterhin Uran
angereichert wird. Sie sollten schleunigst aus dieser
Technologie aussteigen.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803316700

Die Kollegin Dr. Nina Scheer hat für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1803316800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Es muss klar sein, dass es
keinen Widerspruch zwischen einer nationalen Atom-
ausstiegspolitik und dem internationalen Verhalten be-
züglich der sogenannten friedlichen Nutzung von Atom-
energie geben darf. Das ist grundsätzlich klar; ich denke,
auch allen hier im Raum Befindlichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daraus erschließt sich, dass keine in die Zukunft ge-
richteten, auf neue Investitionen zielenden Vereinbarun-
gen in diesem Bereich geschlossen werden dürfen. In
Ihrem Antrag wird erwähnt – das ist ein richtiger Kritik-
punkt –, dass Indien dem Nuklearen Nichtverbreitungs-
vertrag bis heute nicht beigetreten ist. Insofern ist es
wichtig und richtig, dass uns dieser Antrag heute vor-
liegt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlev Pilger [SPD])


Was wir aber brauchen – ich finde, dieser Antrag
muss dafür die Tür öffnen –, ist eine öffentliche breite
Bewusstwerdung über den Zusammenhang zwischen der
zivilen und der kriegerischen Nutzung von Atomenergie.
Vor ein paar Monaten gab es auf der europäischen Ebene
Bemühungen, die Möglichkeiten der zivilen Nutzung
von Atomenergie zu erleichtern. Auch europäische Staa-
ten, die selber über Atomwaffen verfügen, haben sich
dafür starkgemacht. Das waren insbesondere Großbri-
tannien und Frankreich. Aber auch Lettland und andere
Zulieferstaaten waren darunter.

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der
kriegerischen Nutzung und der friedlichen Nutzung von
Atomenergie. Ein Staat, der Atomenergie nicht zu fried-
lichen Zwecken nutzt, ist nicht in der Lage, sich ein
Atomwaffenarsenal aufzubauen. Das muss uns bewusst
sein. Insofern ist es wichtig, darauf zu schauen, was die-
ser wichtige Vertrag der Nuklearen Nichtverbreitung von
uns verlangt. Er verlangt, dass die Zahl der Atomwaffen
reduziert wird, dass diese Waffen abgeschafft werden.
Im Gegenzug versprechen Staaten, die über keine Atom-
waffen verfügen, dass sie sich solcher nicht bemächtigen
werden. Aber wir sind heute weit von einer atomwaffen-
freien Welt entfernt. Insofern ist es wichtig, auf diese
Verknüpfung hinzuweisen.

Ich erwähne das an dieser Stelle, weil diese Verknüp-
fung natürlich immer, wenn wir über die zivile Nutzung
von Atomenergie sprechen, mitschwingen muss. Inso-
fern ist das an dieser Stelle ein wichtiger und in der Zu-
kunft ein ganz wesentlicher Faktor. Wir kommen nicht
von der Atomenergie herunter, wenn wir das Problem
mit den Atomwaffen nicht lösen können.
Die SPD-Fraktion hat 2012 den Antrag eingebracht,
dass die Atomverträge zwischen Deutschland und Brasi-
lien sowie zwischen Deutschland und Argentinien in
eine Kooperation dahin gehend überführt werden sollen,
erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu fördern
und auszubauen. Einen gleichlautenden Antrag hat die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab allerdings keinen gleichlautenden Antrag zu
dem Vertrag mit Indien. Auch das ist ein Fakt. Insofern
stelle ich an dieser Stelle fest, dass wir es trotz unserer
Kehrtwende hierzulande, weg von der zivilen Nutzung
der Atomenergie, und zwar nicht erst seit dieser Legisla-
turperiode, versäumt haben, diese beiden Abkommen,
die seit Jahrzehnten laufen – mit Indien seit 1972 und
mit Brasilien etwas später –, kritisch zu untersuchen
bzw. deutlich zu machen, dass wir daran nicht festhalten
wollen.

Wir haben dabei auch versäumt, genauer hinzu-
schauen, ob wir aus sicherheitspolitischen Gründen und
aufgrund von Passagen in diesen Verträgen möglicher-
weise verpflichtet sind, an diesen Verträgen festzuhalten,
und ob es möglich ist, diese Verträge entsprechend wei-
terzuentwickeln. Auch dazu kam es nicht. Dieses
schwere Versäumnis können und sollten wir im Zuge
entsprechender Anträge nachholen.

Ich denke, ich brauche nicht extra aus der entspre-
chenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage
von Bündnis 90/Die Grünen vom 1. April 2014 zu zitie-
ren, die diese sicherheitspolitischen Fragen aufgreift.

Der vorliegende Antrag enthält im Wesentlichen zwei
Forderungen, nämlich zum einen, die Verträge mit Brasi-
lien und Indien aufzukündigen, und zum anderen, in eine
Förderung einzusteigen. Bezüglich der Förderung kann
man feststellen, dass immerhin schon ein Milliardenpro-
gramm für Indien aufgelegt worden ist. 1 Milliarde Euro
ist dafür vorgesehen.

Bezüglich der Kündigung ist zu sagen: Es ist eine
ernstzunehmende Fragestellung,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


welche Bestimmungen in den Verträgen uns veranlassen
müssen, aus den Verträgen auszusteigen. Es ist aber eine
genauso ernstzunehmende Herausforderung, darauf zu
achten, ob es Passagen gibt, an denen wir festhalten
müssen, und was uns verleiten müsste, solche Verträge
entsprechend weiterzuentwickeln.


(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich habe im Vorfeld dieser Debatte versucht, zu errei-
chen, dass wir den Austausch, den wir dringend brau-
chen, im parlamentarischen Prozess hinbekommen. Ich
habe die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gebeten, von
der namentlichen Abstimmung heute abzusehen und die
Abstimmung zu vertagen. Wir haben uns unter den Frak-
tionen darüber ausgetauscht. Ich hätte es für richtig be-

(A)






Dr. Nina Scheer


(A) (C)



(D)(B)

funden, solche Fragen in den Ausschüssen zu debattie-
ren.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803316900

Kollegin Scheer, ich habe gerade die Uhr angehalten

und muss Sie fragen, ob Sie eine Frage oder Bemerkung
der Kollegin Haßelmann zulassen.


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1803317000

Ja.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803317100

Bitte.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803317200

Vielen Dank, Frau Präsidentin, und vielen Dank auch,

Frau Scheer. – Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie
uns gebeten haben, diesen Antrag heute zurückzustellen
und ihn in den Fachausschüssen zu beraten. Ich glaube,
es ist sachlich völlig klar, dass wir das aus einem Grund
nicht tun können. Am 15. Mai steht nämlich die Verlän-
gerung des Atomabkommens zwischen Indien und
Deutschland an. Wenn wir heute Ihrem Anliegen stattge-
geben hätten, dann würde als laufendes Geschäft der
Bundesregierung, der Sie als SPD-Fraktion angehören,
der Atomvertrag mit Indien einfach so verlängert wer-
den.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Der wird sowieso verlängert!)


Da wir als Fraktion wollen, dass dieser Atomvertrag
mit Indien nicht verlängert wird, muss heute über unse-
ren Antrag entschieden werden. Es steht doch der Mög-
lichkeit, über Brasilien oder die Hermesbürgschaften
sehr grundsätzlich zu reden, nichts im Wege, wenn wir
heute diesen Antrag in namentlicher Abstimmung be-
schließen. Dazu kann sich dann jede und jeder Abgeord-
nete entsprechend verhalten.

Sie haben als SPD-Fraktion in der letzten Legislatur-
periode auch zwei Anträge dazu eingebracht. Deshalb
verstehe ich nicht, warum Sie unsere Argumente nicht
nachvollziehen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1803317300

Bezüglich Indien – hier wurde das Abkommen mit

Indien mit der Kündigungsfrist zum 15. Mai angespro-
chen – gab es in den letzten Jahren keine Anträge, in
denen die Kündigung gefordert wurde. Das bezog sich
auf Brasilien.

Mir ist nicht entgangen, dass ein Ablauf der Frist be-
vorsteht. Wenn ich Ihnen sage, Sie hätten den Antrag
auch früher stellen können, dann nur auf Ihre Nachfrage
hin. Denn ich weiß selber, dass wir alle uns früher damit
hätten befassen können.

Nichtsdestotrotz enthält der Antrag mehrere Punkte.
Das Abkommen mit Indien ist nur ein Punkt von vielen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein sehr wesentlicher!)


– Wenn es ein sehr wesentlicher wäre, dann frage ich
mich, warum man das nicht etwas sortierter im Vorfeld
behandelt hat. Warum hat man das nicht trennen kön-
nen? Warum musste man das in einem Paket machen?
Das weckt bei mir den Eindruck – diesen Eindruck tei-
len, glaube ich, auch viele in unserer Fraktion –, dass wir
etwas vorgeführt werden sollen mit einem Abstim-
mungsverhalten, was zwar zu Inkongruenzen mit einem
früheren Verhalten führt, aber nur partiell.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist nicht sachgerecht, und ich finde es auch nicht
fair. Ich finde es nicht sachgerecht im Umgang mit die-
sen ernstzunehmenden Fragestellungen.

Ich finde es zwar richtig, dass Sie das thematisieren.
Aber in dieser Form sind wir nicht dazu in der Lage, uns
damit sachgerecht auseinanderzusetzen, und haben keine
Möglichkeit, uns darüber parlamentarisch auszutau-
schen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kündigen Sie den Vertrag einfach!)


Insofern halte ich meine Kritik aufrecht.

Ich möchte hinzufügen, dass ich einen Blick in die
Verträge geworfen habe. Tatsächlich verlängert sich der
betreffende Vertrag mit Indien automatisch, wenn wir
nicht bis zum 15. Mai gekündigt haben. Aber es gibt je-
derzeit eine Kündigungsmöglichkeit mit einer Frist von
zwölf Monaten. Angesichts der Tatsache, dass der Ver-
trag mit Indien aus dem Jahr 1972 stammt, dass wir Zeit
benötigen, um uns mit den infrage stehenden Punkten
auseinanderzusetzen, und in Anbetracht des Umfangs
der Thematik sind zwölf Monate kein Zeitraum, der
nicht zu verkraften wäre. Wenn ich Ihren Antrag lese,
dann komme ich zu dem Schluss, dass es überwiegend
Ihre Absicht ist, dass wir nicht in der Lage sein sollen,
uns damit sachgerecht auseinanderzusetzen und darüber
zu debattieren. Das finde ich schade. Warum geben Sie
uns mit Ihrem Antrag nicht die Möglichkeit eines parla-
mentarischen Prozesses?


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kriegen den Antrag hinterher!)


Das wäre des Parlaments würdig. Ich finde es nicht kor-
rekt, dass uns hier keine entsprechende Möglichkeit ge-
geben wurde.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben nicht zugestimmt, dass das an den Ausschuss
verwiesen und dann dort beraten wird. Wir hatten da-
rüber gesprochen, das mit öffentlichen Anhörungen zu
begleiten. Aber auch dem wurde nicht entsprochen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803317400

Kollegin Scheer, ich habe die Uhr schon wieder ange-

halten, da es noch einen Frage- bzw. Bemerkungs-
wunsch gibt. Aber bevor wir darüber verhandeln, ob Sie
den zulassen, bitte ich erst einmal alle Kolleginnen und
Kollegen, die erfreulicherweise schon im Plenum des





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Bundestages erschienen sind – wahrscheinlich in froher
Erwartung der demnächst folgenden namentlichen Ab-
stimmung –, sich einen Sitzplatz zu suchen und die
Möglichkeit zu geben, dass wir den Ausführungen der
Kollegin Scheer und derjenigen, mit denen sie jetzt ge-
gebenenfalls in einen direkten Austausch tritt, folgen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass für jeden gewählten
Parlamentarier und jede gewählte Parlamentarierin des
18. Deutschen Bundestages ein Sitzplatz existiert. Das
gilt im Übrigen auch für die Mitglieder der Bundesregie-
rung.

Frau Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kotting-Uhl?


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1803317500

Ich bin zwar schon fast fertig, aber gut.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803317600

Dann hat die Kollegin Kotting-Uhl das Wort.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803317700

Frau Scheer, ich möchte Ihnen zuerst einmal danken

für Ihren wirklich differenzierten Umgang mit unserem
Antrag. Das ist sehr wohltuend; denn es gab heute ja
auch schon andere Beiträge.

Ich will Ihnen erklären, warum wir diesen Antrag
jetzt eingebracht haben. Ich habe das bereits in meiner
Rede angerissen, will es aber noch einmal betonen. Wir
haben am 28. März die Antwort auf unsere Kleine An-
frage bekommen und dann realisiert, dass sich das in-
frage stehende Abkommen verlängert, wenn wir nicht
bis zum 15. Mai – in einer Woche – reagieren. Wir haben
daraufhin sofort einen Brief an die Bundesumweltminis-
terin geschrieben mit der Bitte, dieses Abkommen nun
zu kündigen. Ich habe mir, ehrlich gesagt, reichlich
Hoffnung gemacht – die drei für dieses Abkommen zu-
ständigen Ministerien, Wirtschaftsministerium, Umwelt-
ministerium und Auswärtiges Amt, sind in SPD-Hand,
und wir waren uns in der letzten Legislaturperiode mit
der SPD einig darüber, dass die Fortführung solcher Ab-
kommen mit unserem deutschen Atomausstieg im
Grundsatz nicht kongruent ist –, dass es keine großen
Probleme gibt und dass das in die Hand genommen wird.
Erst als keine Reaktion von Frau Hendricks kam, haben
wir diesen Antrag geschrieben. Deswegen ist die Frist
nun so kurz.

Abgesehen davon möchte ich fragen: Was hindert Sie,
wenn Sie und andere Mitglieder der SPD im Kern mit
uns übereinstimmen, daran, Ihrerseits Frau Hendricks,
Herrn Gabriel und Herrn Steinmeier noch einmal zu bit-
ten, die Frist innerhalb von einer Woche wahrzunehmen
und ein deutliches Zeichen zu setzen?


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1803317800

Ich stimme darin überein – ich denke, das teilen viele

meiner Fraktionskollegen –, dass das eine bedeutsame
Frage ist und dass es nicht hinnehmbar ist, dass Teile des
Abkommens darauf zielen, an einer friedlichen Koope-
ration zur zivilen Nutzung der Kernenergie festzuhalten,
als ob es keinen deutschen Atomausstieg gäbe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das kann so nicht weiterlaufen. Es gibt aber auch Stim-
men, die sagen: Das ist nicht das Maßgebliche des Ab-
kommens. Maßgeblich ist, dass wir Teile des Abkom-
mens brauchen, um gewisse Sicherheitsanforderungen
aufrechtzuerhalten. – Eigentlich sind das Äußerungen,
die vor den Doppelpunkt gezogen sind. Wir müssten uns
jetzt damit befassen. Aber genau eine solche Befassung
kann nicht stattfinden, weil wir heute darüber abstim-
men.

Wir würden diese Frist, die jetzt ansteht, tatsächlich
verpassen. Das denke auch ich. Aber eine sachgerechte
Auseinandersetzung erfordert das auch. Wir alle hätten
uns früher damit befassen müssen; ich möchte die
Schuld gar nicht bei Ihnen suchen. Da wir das nicht ge-
tan haben, sind wir hier und heute an dem Punkt, dass
die Befassung ausgeblieben ist. Uns bleibt nichts ande-
res übrig, als heute zu entscheiden, dass wir uns erst
noch damit befassen müssen. Wir können nicht von
heute auf morgen für alle über 600 Abgeordneten spre-
chen. Das ist nicht möglich in dieser Zeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Insofern kann es an dieser Stelle nur dabei bleiben,
dass dieser Antrag in die parlamentarische Beratung
hätte gehen müssen. Davon kann ich nach meiner festen
Überzeugung mit Blick auf die vorliegenden Fragestel-
lungen nicht abrücken. Insofern bitte ich um Ihr Ver-
ständnis, dass ich dem nicht folgen kann.


(Beifall bei der SPD)


Eine kurze Bemerkung zu den Äußerungen meiner
Koalitionskollegin Frau Motschmann wollte ich noch
loswerden. Frau Motschmann, ich sehe es nicht so, dass
die Bemühungen, die Energiewende auch weltweit zu ei-
nem Erfolg zu führen, sei es durch Förderprogramme,
die wir auflegen, sei es durch Kooperationen, die wir
früher übrigens auch bei der Atomenergie durchaus ein-
gegangen sind, etwas mit Bevormundung zu tun hätten.
Ich finde es grundlegend falsch, zu behaupten, dass die
Bestrebungen nach einer umweltfreundlichen, klimaneu-
tralen und von fossilen Ressourcen unabhängigen Ener-
gieversorgung, die wir weltweit in Gang bringen wollen,
und zwar aus der Überzeugung heraus, dass das weltweit
ein Erfordernis ist, etwas mit Bevormundung zu tun ha-
ben. Das ist keine Position, der wir zustimmen könnten,
und deshalb weise ich das zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend möchte ich mit Blick auf meine vorigen
Ausführungen und meine Einschätzung, dass wir die
parlamentarischen Beratungen über die vorliegenden
Abkommen dringend bräuchten, nur bitten, zur Kenntnis
zu nehmen, dass ein eventuell ablehnendes Abstim-
mungsverhalten der Mitglieder meiner Fraktion nicht re-
präsentativ ist und keinen Aufschluss über die Positio-
nierung meiner Fraktion in der Sache geben kann. Das
ist jetzt meine Einschätzung. Das heißt nicht, dass wir
uns enthalten könnten. Auch Sie wissen, was im Koali-
tionsvertrag steht. Ich kann nicht für alle Fraktionskolle-
gen sprechen im Hinblick darauf, wie sie mit dieser





Dr. Nina Scheer


(A) (C)



(D)(B)

Frage umgehen. Ich werde den Antrag ablehnen, nicht
weil ich viele Teile daraus nicht mittragen könnte, son-
dern weil ich es nicht richtig finde, wie an dieser Stelle
mit den betreffenden Fragestellungen umgegangen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803317900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte ernsthaft,

in allen Fraktionen jetzt dafür zu sorgen, dass wir die
Beratung bis zur namentlichen Abstimmung in geordne-
ter Weise hier fortsetzen können. Ich bin fest davon
überzeugt, dass der Kollege Lengsfeld sehr stolz darauf
ist, dass er fast vor dem gesamten Hause seine erste
Rede halten kann. Aber ich finde, dazu gehört auch, dass
sich sowohl seine Fraktionskollegen als auch die Kolle-
gen der anderen Fraktionen in die Reihen ihrer Fraktio-
nen begeben und die notwendige Aufmerksamkeit her-
stellen. Ich werde die Debatte vorher nicht fortsetzen.


(Beifall)


Es ist nicht so, dass wir keine Zeit haben. – Ich ver-
kneife mir jetzt auch alle Bemerkungen über die Vorsit-
zenden der betroffenen Fraktionen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Kauder, Sie sind angesprochen! Alles wartet auf Sie!)


Ich würde gerne Ihrem Kollegen Lengsfeld das Wort
zur ersten Rede geben, Kollege Kauder.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Tun Sie das doch!)


Dazu versuche ich, die Aufmerksamkeit des gesamten
Hauses auf ihn zu lenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die haben Sie von mir!)


Das gilt natürlich auch für alle anderen, die noch kei-
nen Platz gefunden haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn nicht alle sitzen, muss ich auch nicht! – Heiterkeit)


– Ich hatte eigentlich Hilfe erhofft. Wenn schon meine
Autorität nichts gilt, wird doch wohl die Autorität des
Kollegen Kauder in der Union noch etwas gelten.


(Heiterkeit und Beifall)


Ich gestehe Ihnen, es betrübt mich, dass auch meine
Fraktion meine Mahnung nicht wahrnimmt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hockt euch mal hin, ihr dahinten!)


Ich habe mein Möglichstes getan, Kollege Lengsfeld. –
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. Philipp Lengsfeld.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1803318000

Frau Präsidentin, vielen Dank für die nette Einleitung.

Vielen Dank auch für die Unterstützung. – Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen,
liebe Frau Kotting-Uhl, über den von Ihnen vorgelegten
Antrag kann man sicherlich sagen, dass er konsequent
wirkt. Da Deutschland aus der Atomenergie aussteigt,
sollen wir auch mit keinem anderen Land auf der Welt
im Bereich sichere zivile Nutzung der Atomenergie zu-
sammenarbeiten.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine sichere Nutzung!)


In Ihrem konkreten Antrag geht es um Indien und
Brasilien – das alles ist dargestellt worden – aufgrund
der zur Verlängerung anstehenden Verträge mit diesen
Ländern. Ja, dies sieht konsequent aus. Aber schauen wir
einmal genauer hin. Deutschland besitzt auf dem Feld
der Atomenergie nun einmal eine außerordentliche Ex-
pertise; das ist so. Es muss doch in unserem Interesse
sein, dass die brasilianischen und indischen Atomkraft-
werke sicher sind.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nicht!)


Deutschland hat übrigens auch einen exzellenten Ruf
als internationaler Kooperationspartner. Wenn wir also
helfen können, warum sollen wir dann anderen das Feld
überlassen? Reden wir also über Konsequenz, oder re-
den wir eigentlich über Dogmatismus?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie fordern, dass wir bilaterale Kooperationen mit In-
dien und Brasilien zur Nutzung atomarer Technologien
einseitig aufkündigen. Ein einseitiger, aus meiner Sicht
sachlich nicht zu vertretender Ausstieg erzeugt aber ei-
nen doppelten Schaden. Den größeren Schaden nimmt
– das ist heute hier noch nicht gesagt worden – Deutsch-
land, nehmen wir. Auf einen Schlag zerstören wir aufsei-
ten unserer Partner zwei Dinge, die für eine erfolgreiche
Kooperation unerlässlich sind, und zwar zwei Dinge, für
die Deutschland immer stand und steht: erstens, dass wir
ein verlässlicher Partner sind, und zweitens, dass wir ein
Partner sind, der weiß, was er tut. Dass wir das zerstören,
kann man einfach nicht wollen.

Aber auch für die Kooperationspartner in Indien und
Brasilien ist es verheerend, wenn laufende Kooperatio-
nen einfach so holterdiepolter gekündigt werden. Denn
sie müssen die Arbeit neu beginnen, sie müssen sich
neue Partner suchen – ich denke, das ist Ihnen klar –,
und diese neuen Partner bekommen aufgrund des unseri-
ösen Verhaltens Deutschlands einen unzulässigen Wett-
bewerbsvorteil.

Werden wir einmal ganz konkret. Wer wäre denn der
Gewinner einer solchen Politik? Vielleicht die russische
Atombehörde Rosatom? Deren Vertreter sammeln ge-
rade Expertise im Aufbau von AKWs in Weißrussland
und Nigeria. Wollen Sie wirklich, dass sie die Gewinner
von dieser Art von Politik sind? Das kann doch wirklich
nicht in unserem Interesse sein.





Dr. Philipp Lengsfeld


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir verärgern damit nicht irgendwelche kleinen Län-
der, was – ich will da nicht missverstanden werden –
auch schlimm wäre. Vielmehr verärgern wir zwei Länder
der BRIC-Staaten, also aufstrebende, wirtschaftlich sehr
bedeutende Länder. Mit Indien und Brasilien verärgern
wir nun auch noch gerade genau die BRIC-Staaten, die
Demokratien sind, und zwar Demokratien fast genau wie
die unsrige. Das ist der Kollateralschaden von Ihrer Art
von Politik.

Aber der Irrsinn geht noch weiter; Sie haben es selber
dargestellt. Deutschland hat ja nicht nur mit Indien und
Brasilien Kooperationsverträge zur zivilen Nutzung der
Kernenergie. Sie wollen erst, dass wir die Verträge mit
Indien und Brasilien kündigen, und dann geht es in gna-
denloser Konsequenz mit unseren europäischen Partnern
weiter. Da nenne ich einmal Tschechien, die Slowakei,
Finnland, Schweden, Spanien, Ungarn, Bulgarien, Ru-
mänien, und das ist nicht einmal die gesamte Liste. Dann
geht es natürlich weiter – Konsequenz muss sein! – mit
den Verträgen mit der Republik Korea,


(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


mit China, mit Argentinien, mit den Vereinigten Staaten
von Amerika. Ist das wirklich das, was wir verantworten
können? Ich glaube, nicht.

Die Atomkraft werden Sie damit global nicht eindäm-
men – das sage ich Ihnen –, auf keinen Fall. Was Ihnen
aber mit Sicherheit gelingen wird, ist, Deutschlands ex-
zellenten Ruf als verlässlicher internationaler Koopera-
tionspartner weltweit gründlich zu beschädigen. Das
kann nicht in unserem Interesse sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ja, es ist richtig – das zweifelt auch keiner in diesem
Hause an –, dass nach dem Unfall in Fukushima ein
Land kollektiv einen längst beschlossenen Atomausstieg
plötzlich noch einmal beschleunigt hat, und zwar unser
Land, Deutschland; keine Frage. Aber Sie wissen doch,
dass wir das einzige Land auf dieser Welt sind, das die-
sen Weg in dieser Weise geht.

Nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, dass die
Atomkraft für den Energiemix vieler Länder essenziell
ist, nicht nur für Indien und Brasilien. Das hat übrigens
auch mit CO2-Zielen zu tun. Die sollten wir nicht verges-
sen; das ist hier auch erwähnt worden. Es ist Deutsch-
land, das von allen Ländern dieser Welt immer ambitio-
niertere CO2-Reduktionsziele verlangt.

Ich weiß, Sie sagen, dass die Anstrengungen der
Atomkooperation auf den Bereich der erneuerbaren
Energien übertragen werden sollen. Gegen erneuerbare
Energien in Brasilien oder Indien ist absolut nichts ein-
zuwenden; im Gegenteil: Die lokale Energieversorgung
kann dort sicherlich sinnvoll mit einem signifikanten
Beitrag erneuerbarer Energien ergänzt werden. Aber
diese Projekte laufen längst. Deutschland hat zum Bei-
spiel mit Brasilien seit 2008 ein Regierungsabkommen
über die Zusammenarbeit im Energiesektor mit Schwer-
punkt auf erneuerbarer Energie und Energieeffizienz.
Diese Sachen gibt es längst.
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind
wichtig und sollten sich da durchsetzen, wo es sinnvoll
ist, aber aus meiner Sicht mit marktwirtschaftlichen Inst-
rumenten. Was wir ganz sicher nicht nach Indien oder
Brasilien exportieren sollten, sind deutsche Denkverbote
oder eine Energieplanwirtschaft à la EEG; das ist jeden-
falls meine persönliche Meinung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss
ein zuverlässiger internationaler Partner bleiben, nicht
nur im Energiesektor, selbstverständlich auch für Indien
und Brasilien – zum beiderseitigen Vorteil. Das ist
konsequente, richtige Politik. Was wir dagegen nicht
brauchen, sind – ich sage das harte Wort noch einmal –
grüner Dogmatismus und grüne Denk- und Koopera-
tionsverbote.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803318100

Kollege Lengsfeld, herzlichen Glückwunsch zur ers-

ten Rede im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Ich verbinde das mit dem Glückwunsch dazu, dass Sie
auch die Redezeit eingehalten haben. Das gelingt den
wenigsten bei ihrem ersten Auftritt in diesem Hause.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1336

(neu) mit dem Titel „Kündigung bilateraler Kooperatio-

nen im Bereich der Nutzung atomarer Technologien“.
Dazu liegt mit eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung des Kollegen Bülow vor. Entsprechend
unseren Regeln nehmen wir sie zu Protokoll.1)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt na-
mentliche Abstimmung.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir
heute noch zwei weitere namentliche Abstimmungen
durchführen werden. Die zweite namentliche Abstim-
mung werden wir zum nachfolgenden Tagesordnungs-
punkt 9 – also in circa 45 Minuten – durchführen. Die
dritte namentliche Abstimmung ist zu Tagesordnungs-
punkt 11 – „Mehr Transparenz bei Rüstungsexportent-
scheidungen sicherstellen“ – vorgesehen. Der Tagesord-
nungspunkt 11 soll abweichend von der geplanten
Reihenfolge vorgezogen und mit Zusatzpunkt 8 ge-
tauscht werden. Die dritte namentliche Abstimmung fin-
det in gut zwei Stunden statt.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Vorne
rechts fehlt noch ein Schriftführer. Ich kann nicht erken-
nen, ob von der Opposition oder von der Koalition. – Ich
frage noch einmal: Sind alle Schriftführerinnen und

1) Anlage 3





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Schriftführer an ihrem Platz? – Das scheint der Fall zu
sein. Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803318200

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimme nicht abgegeben hat? – Wenn das nicht der Fall
ist, dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1) Schönen Nachmittag!

Ansonsten würde ich Sie aus Respekt vor den Kolle-
ginnen und Kollegen, die jetzt gleich ihre Rede zu einem
sehr wichtigen Thema halten wollen, bitten, die Gesprä-
che außerhalb zu führen, damit wir in der Tagesordnung
fortfahren können. Das gilt auch für den ehemaligen
Schriftführer vorne links, die Kolleginnen und Kollegen
hinten sowie Herrn Kauder und andere.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Präsidentin!)


– Ja, Herr Kauder.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich bin der bravste Mensch hier!)


– Sie sind theoretisch der bravste Mensch. Vielleicht
sollte ich eine namentliche Abstimmung darüber abhal-
ten.

Wir wollen jetzt fortfahren in unserer Tagesordnung.


(Beifall – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes

Drucksachen 18/910, 18/1283

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/1359

Ich möchte darauf hinweisen, dass zur Annahme des
Gesetzentwurfs, über den wir später namentlich abstim-
men werden, nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgeset-
zes die absolute Mehrheit erforderlich ist. Das sind
316 Stimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. –
Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.

Ich gebe das Wort Bernd Rützel für die SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1803318300

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr

geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen

1) Ergebnis Seite 2786 D
und Kollegen! Wir beschließen heute die Aufnahme der
Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“ in den
Katalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Dieser
Entscheidung ging viel voraus. Unerträgliche Zustände
machten unser Eingreifen – denn das ist es – bitter not-
wendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Viele Arbeitgeber in der Fleischbranche haben ihr
einst ehrbares Handwerk durch sittenwidrige Behand-
lung der Arbeitskräfte in Verruf gebracht. Für überlange
Arbeitstage von 12, manchmal 15 Stunden am Tag erhal-
ten die häufig ausländischen Arbeitnehmer Armuts-
löhne, die kaum zum Leben ausreichen, selbst in Mas-
senunterkünften oder Mehrbettzimmern nicht. Die
Arbeitgeber haben jahrelang skrupellos daran gefeilt, ih-
ren Gewinn auf Kosten der Mitarbeiter immer weiter zu
steigern. In diesem Fall kann man sagen: Nicht der Fisch
stinkt vom Kopfe her, sondern das geschlachtete Tier.
Umso erfreuter bin ich heute, dass die Fleischbranche
nun die Skandale hinter sich lassen will. Mit der Einwil-
ligung in den Mindestlohntarifvertrag zeigen die Arbeit-
geber ein Einsehen in die Notwendigkeit einer Kursän-
derung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sicherlich half dabei neben dem Druck aus der Politik
und der Öffentlichkeit auch der von uns angekündigte
gesetzliche Mindestlohn. Immerhin gründete diese Bran-
che dafür erstmals und endlich einen Arbeitgeberver-
band, der – das sage ich dazu – perspektivisch sicherlich
noch mehr leisten kann und auch mehr leisten muss.

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie möch-
ten wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zukünftig für
alle Branchen öffnen.


(Beifall bei der SPD)


Die problembeladenen Zustände in der Fleischbran-
che machen es aber notwendig, hier sofort zu reagieren.
Angesichts des dringenden Handlungsbedarfs ist es des-
halb der richtige Weg, die Branche „Schlachten und
Fleischverarbeitung“ nun unverzüglich in den Katalog
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aufzunehmen. Mit
dieser Aufnahme ist dann der Weg frei für den Erlass ei-
ner Mindestlohnverordnung. Damit gilt der Mindest-
lohntarifvertrag für die gesamte Fleischbranche – auch
für nichttarifgebundene Betriebe – und für die zahlrei-
chen, meist osteuropäischen Werkvertragsnehmer, die
noch für Niedriglöhne arbeiten. Als letzter Punkt ist mir
besonders wichtig, dass auch die Werkverträge an die
Kette genommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der nun auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsen-
degesetzes bestehende Mindestlohntarifvertrag hat damit
international zwingende Wirkung und gilt für alle in-
und ausländischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auf
diese Weise wird es keine Schlupflöcher mehr geben.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinselbstständige!)






Bernd Rützel


(A) (C)



(D)(B)

Ab dem 1. Juli dieses Jahres erhalten die Arbeitneh-
mer in der Fleischbranche mindestens 7,75 Euro pro
Stunde. Das ist für viele eine sehr deutliche Lohnerhö-
hung. Ich gebe zu, man könnte kritisieren, dass wir in
den ersten neun Monaten des Jahres 2015 unter dem ge-
setzlichen Mindestlohn bleiben. Aber ab dem 1. Oktober
2015 wird in dieser Branche mit einem Stundenlohn von
8,60 Euro der Mindestlohn schon überschritten.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Um 10 Cent!)


Im Jahre 2016 landen wir dann bei 8,75 Euro. Davon
werden viele Tausend Menschen profitieren.


(Beifall bei der SPD)


Ganz besonders wichtig ist uns eine sorgfältige Kon-
trolle.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir aber gespannt!)


Denn wenn die Einhaltung nicht überprüft wird, dann ist
das beste Gesetz nichts wert. Die Zuständigkeit für die
Überwachung der Mindestlohnanforderungen im Be-
reich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes liegt bei den
Zollbehörden. Natürlich werden diese zusätzlichen
Überprüfungen in der Fleischbranche zu einem höheren
Personal- und Sachaufwand führen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht aber nichts im Haushalt!)


Wir gehen im Gesetzentwurf von einem zusätzlichen
Bedarf von 42 Arbeitskräften aus. Dies wird in den kom-
menden Haushaltsverhandlungen auch berücksichtigt
werden müssen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht aber noch nicht drin! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr es nicht eingestellt?)


Wir sind sehr optimistisch, dass uns auch dies gelingen
wird. Stellen die Zollbehörden bei ihren Kontrollen Ver-
stöße gegen die Mindestlohnbestimmungen fest, dann
drohen Bußgelder von bis zu 500 000 Euro.

Ich will in diesem Zusammenhang noch einen ele-
mentaren Punkt ansprechen. Der Generalunternehmer
haftet – auch ohne eigenes Verschulden –, wenn ein Sub-
unternehmer oder Subsubunternehmer seinen Arbeitneh-
mern nicht den Branchenmindestlohn zahlt. Daher ist es
für die Unternehmer wichtig, sich ihre Subunternehmer
sorgfältig auszusuchen; denn sie können sich nicht aus
ihrer Verantwortung stehlen. Das schafft Sicherheit für
die Beschäftigten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Lohndumping
in der deutschen Fleischbranche hat zu großer Empörung
in unseren Nachbarstaaten geführt. Die Aufnahme in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist auch ein Beitrag zu ei-
nem fairen und funktionsfähigen Wettbewerb innerhalb
Europas. So erreichen wir Arbeitnehmerfreizügigkeit in
Europa zu fairen Bedingungen.

Ich bin zuversichtlich, dass wir mit der Aufnahme in
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz heute eine einigerma-
ßen faire Entlohnung für alle Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in der Fleischbranche erwirken können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803318400

Vielen Dank, Herr Kollege.

Ich darf Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag „Kündigung bilateraler
Kooperationen im Bereich der Nutzung atomarer Tech-
nologien“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 577. Mit
Ja haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, mit
Nein haben gestimmt 465, Enthaltungen 2. Der Antrag
ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 110
nein: 465
enthalten: 2

Ja

SPD

Marco Bülow
Helga Kühn-Mengel

DIE LINKE

Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

SPD

Dr. Bärbel Kofler
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Nächste Rednerin ist jetzt Jutta Krellmann für die
Linken.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803318500

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Noch nie wurde so viel über die Fleisch-
industrie geredet wie in den letzten Monaten und Jahren.
Beispielsweise stand im April ein Artikel in der Frank-
furter Rundschau mit der bezeichnenden Überschrift
„Im Schweinesystem“. Es ging dabei vor allem um
Arbeitskräfte aus Osteuropa, Bulgarien und Rumänien,
die in deutschen Schlachthöfen arbeiten. 60 Stunden
schwere Arbeit pro Woche waren keine Seltenheit, und
das für einen Hungerlohn von 4,76 Euro pro Stunde.
Davon gehen bis zu 300 Euro für ein Bett in einer über-
füllten Bruchbude weg. Oft müssen noch Zwangsabga-
ben für den Transport zur Arbeit, das Werkzeug und die
Arbeitskleidung gezahlt werden. Das sind nahezu ma-
fiöse Strukturen – und das mitten in Deutschland. Urlaub
gibt es nicht. Dafür gibt es bei Krankheit die Kündigung.
Das ist pure Ausbeutung. Diese Zustände sind ein Skan-
dal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie erinnern an die schlimmen Arbeitsbedingungen in
der Fleischindustrie in Chicago im Jahre 1900, wie sie
Upton Sinclair in seinem Roman Der Dschungel
beschrieben hat. Damals ging es um Einwanderer aus
Litauen. Heute geht es um Menschen aus Osteuropa, die
in Deutschland arbeiten. Damals und heute ist das für die
Arbeitgeber ein sehr lukratives Geschäft. Große Fleisch-
produzenten wie Tönnies in Niedersachsen und NRW
verdienen sich auf dem Rücken der Arbeitnehmer dumm
und dämlich. Sie können sich dadurch sogar teure Bun-
desligaklubs zu Werbezwecken leisten.

Die Verantwortung für diese Ausbeutung tragen dabei
nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch der Gesetzgeber.
Politiker aller Regierungsparteien seit Rot-Grün haben
den Arbeitsmarkt dereguliert und dafür gesorgt, dass
Unternehmen heute leicht mit Leiharbeit oder Werkver-
trägen gesetzliche und tarifliche Standards unterlaufen
können. Undurchsichtige Subunternehmerketten und
Werkverträge sind gerade in der Fleischindustrie ein rie-
siges Problem. Es wird höchste Zeit, dass dagegen etwas
unternommen wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Mindestlohn ist überfällig und ein Schritt zur
Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischin-
dustrie. Die Linke ist für die Ausweitung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen, weil damit
leichter Branchenmindestlöhne festgelegt werden kön-
nen. Die Voraussetzung dafür muss aber sein, dass die
Branchenmindestlöhne höher sind als der gesetzliche
Mindestlohn.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das ist beim Mindestlohn für die Fleischindustrie leider
nicht der Fall. Es ist schon gesagt worden, dass er im
nächsten Jahr für neun Monate niedriger sein wird als
der gesetzliche Mindestlohn, der ab 1. Januar gelten soll.
So geht das nicht.

Ein Tarifvertrag muss bessere Bedingungen enthalten
und nicht gesetzliche Regelungen unterbieten. Die
Arbeitgeber in der Fleischindustrie haben jahrelang
Tarifverträge verhindert und damit wirklich schlimme
Arbeitsbedingungen geschaffen. Sie haben jede Mög-
lichkeit und jedes Schlupfloch genutzt, das der Gesetz-
geber ihnen ermöglicht hat. Die gleichen Arbeitgeber
nutzen jetzt die Möglichkeit, den gesetzlichen Mindest-
lohn per Tarifvertrag bis Ende 2016 zu unterschreiten.
Mir kann keiner erzählen, dass das der Wunsch der
Gewerkschaft NGG war. Es war die Situation, dass sie
einen Tarifvertrag haben mussten und wollten. Am Ende
mussten sie unterschreiben.

Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die Beschäf-
tigten in der Fleischindustrie im nächsten Jahr weniger
als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten; denn Sie
bieten den Arbeitgebern durch die Regelungen im Ge-
setzentwurf für den Mindestlohn ein neues Schlupfloch.
Damit muss einfach Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Mast [SPD])


Streichen Sie die Ausnahmen im Gesetzentwurf für den
allgemeinen Mindestlohn. Der gesetzliche Mindestlohn
darf kein löchriger Flickenteppich werden. Er muss eine
Schutzfunktion für alle Beschäftigten haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Tarifvertrag der NGG gilt heute schon. Heute
geht es um die Aufnahme der Fleischbranche in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Das ist ein Schritt in die
richtige Richtung. Die Beschäftigten werden ab dem
1. Juli im Verhältnis deutlich mehr Geld bekommen.
Deshalb und damit die Branche überhaupt in das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird, wird die
Linke diesem Gesetzentwurf zustimmen; damit wird es
auf den Weg gebracht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Donnerwetter!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803318600

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der

Debatte ist Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1803318700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Heute beraten und beschließen wir das Erste Gesetz
zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, mit





Wilfried Oellers


(A) (C)



(D)(B)

dem die Fleischindustrie als weitere und damit 14. Bran-
che in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen
werden soll.

Dieses Änderungsgesetz ist der Beweis dafür, dass
der Staat entschlossen gegen Missstände in unserem
Land vorgeht. Denn was fanden wir vor? Medien berich-
teten über menschenunwürdige Bedingungen für Arbeit-
nehmer in der Fleischindustrie. Die Rede war von Dum-
pinglöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen, die in
keinster Weise zu tolerieren sind. Die Bevölkerung war
zu Recht schockiert und empört. Karl Schiewerling
schilderte die Gesamtsituation im Rahmen der ersten Le-
sung.

Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat
man in der letzten Legislaturperiode nicht sofort gesetz-
liche Regelungen erlassen. Vielmehr hat man den
Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnet, die Angelegen-
heit in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern zu berei-
nigen. Andernfalls wären gesetzliche Regelungen die
Folge gewesen. Die Arbeitgeber gründeten auf diesen
Druck hin einen Arbeitgeberverband und traten mit der
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Tarifver-
handlungen ein.

Die erfreuliche Nachricht erfuhren wir dann am
13. Januar 2014: Die Tarifvertragsparteien hatten sich
auf einen Tarifvertrag verständigt und einen bundes-
einheitlichen Mindestlohn vereinbart. Bei Zustimmung
zum hier vorliegenden Gesetzesentwurf gilt für die
Fleischindustrie ab dem 1. Juli 2014 ein bundeseinheitli-
cher Mindestlohn von 7,75 Euro. Nach einer Anhebung
des Mindestlohns zum 1. Dezember 2014 auf 8 Euro und
einer weiteren Anhebung zum 1. Oktober 2015 auf
8,60 Euro erreicht der Mindestlohn zum 1. Dezember
2016 einen Betrag von 8,75 Euro. Wohlgemerkt: Das gilt
auch für die in Rede stehenden Werkverträge, was be-
sonders hervorzuheben ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Groneberg [SPD])


Um jedoch eine bundesweite Wirkung des Tarif-
vertrages zu erreichen, ist eine Aufnahme des Tarifver-
trages in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingend
erforderlich. Auch wenn an den geregelten Lohnstufen
Kritik geübt wird, so ist hier jedoch hervorzuheben, dass
diese Mindestlöhne von den Tarifvertragsparteien
vereinbart worden sind. Auch wenn der Mindestlohn
von 8,50 Euro, so wie er im Koalitionsvertrag vereinbart
ist, nicht schon zum 1. Januar 2015 erreicht wird, son-
dern erst später, so ist doch hervorzuheben, dass es sich
hier um eine tarifvertragliche Vereinbarung handelt.
Jeder, der dem hier vorliegenden Gesetzentwurf nicht
zustimmt, akzeptiert damit nicht die Vereinbarung der
Tarifvertragsparteien und missachtet zudem den Grund-
satz der Tarifautonomie.

Da die Union die Vereinbarung der Tarifvertrags-
parteien und ihren Wunsch auf Aufnahme in das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz respektiert, werden wir dem
Gesetzentwurf zustimmen. Damit stimmen wir für die
Beseitigung von unwürdigen Arbeitsbedingungen in der
Fleischindustrie, für die Schaffung eines tarifvertragli-
chen Systems und damit für geordnete Arbeitsbedingun-
gen in der Fleischbranche.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Tarifautonomie wird hierdurch ebenfalls gestärkt.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!)


Schließlich dient dieser Tarifvertrag auch dazu, einen
fairen und funktionierenden Wettbewerb zu gewährleis-
ten. Denn auch wenn die gesamte Branche und selbst die
Landwirtschaft, die nun gar nichts mit den Missständen
zu tun hatte und zu Unrecht damit in Zusammenhang
gebracht wurde, unter Generalverdacht gerieten, ist
festzuhalten, dass nicht in der gesamten Fleischbranche
unwürdige Arbeitsbedingungen herrschten. Viele Unter-
nehmer in dieser Branche zahlten ihren Mitarbeitern
schon vorher vernünftige Löhne. Diejenigen, die das
nicht taten, erlangten dadurch zu Unrecht einen Wettbe-
werbsvorteil. Das ist jetzt nicht mehr möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der im Frühjahr 2013 eingeleitete Prozess kommt
somit zu seinem verdienten Erfolg und kann nun weiter-
entwickelt werden. Die Union hat sich hierfür massiv
eingesetzt und damit maßgeblich dafür gesorgt, dass die
Missstände in der Fleischindustrie beseitigt werden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kann sich die CDU dafür einsetzen, dass es genügend Kontrollen gibt!)


Wie gesagt: Die Union stimmt dem Antrag daher zu. Der
Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass wir den Ände-
rungsanträgen ebenfalls zustimmen, die lediglich berich-
tigenden und klarstellenden Charakter haben.

Abschließend sei Folgendes erwähnt: Die Stellung-
nahme des Bundesrates vom 11. April 2014 zum Gesetz-
entwurf ist insoweit interessant, als die Haftungsrege-
lung für Unternehmer nach § 14 des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes infrage gestellt wird. Hiernach haftet
der Generalunternehmer verschuldensunabhängig für die
Zahlung der Löhne des von ihm beauftragten Subunter-
nehmers, wenn dieser die Löhne an seine Arbeitnehmer
nicht gezahlt hat.

Der Bundesrat weist nach meiner Auffassung zu
Recht darauf hin, dass nach dieser Vorschrift die Gefahr
besteht, dass ein redlicher Generalunternehmer, der sei-
nen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem von ihm
beauftragten Subunternehmer nachgekommen ist und
den Subunternehmer sorgfältig ausgesucht hat, in die
Situation kommt, zweimal zahlen zu müssen, obwohl er
sich vertragstreu und korrekt verhalten hat.

Auch wenn die vom Bundesrat vorgeschlagene
Lösung der Schaffung eines Hilfsfonds zu Recht abzu-
lehnen ist, da dies für Missbrauch durch unredliche
Unternehmer gegenüber den redlichen Unternehmern
Tür und Tor öffnen würde, so ist es nach meiner Auffas-
sung geboten, eine Lösung für diese Problemstellung zu
erarbeiten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803318800

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat für Bünd-

nis 90/Die Grünen Friedrich Ostendorff.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das dänische Fleischunternehmen Danish Crown bietet
neuerdings Rundgänge in einem gläsernen Schlachthof
in Horsens an, für Auszubildende, Studenten, gar für
Schulklassen und Familien. Aus vier Metern Höhe kann
jeder wirklich jeden Prozessschritt beobachten: das
Entladen und Treiben der Tiere, die Betäubung, das Ent-
bluten, das Zerlegen und schließlich das Verpacken der
fertigen Produkte. Alles wirkt sauber und hygienisch,
doch selbst durch doppelglasige Fenster dringt oftmals
ein unangenehmer warmer fleischiger Geruch zu den In-
teressierten.

Die Arbeiterinnen und Arbeiter dort, wie auch in allen
anderen Schlachthöfen, leisten harte Arbeit. Nicht nur
die Arbeit an sich ist anstrengend und ermüdend. Auch
durch die tägliche Konfrontation mit dem tausendfachen
Töten von Tieren unterscheidet sich diese Tätigkeit doch
sehr von anderen Berufen und trägt eine hohe emotio-
nale Belastung in sich.

Endlich ist nun nach langen Mühen auch für Arbeite-
rinnen und Arbeiter in deutschen Schlachthöfen ein
Mindestlohn vereinbart worden. Dieser wird nun in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz übernommen. Dieser
erste Schritt ist und war lange überfällig und wird von
uns schon lange gefordert; denn allzu oft ist die Realität
in den Schlachthöfen: 13 Stunden Arbeit bei 4 Euro
Stundenlohn. Das müssten wir endlich ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb unterstützten wir Grünen den Gesetzentwurf der
Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Doch worauf es nun ankommt, meine Damen und
Herren, ist die Umsetzung: Der Mindestlohn muss bei
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen.
Entscheidend ist, dass sie ihren Lohn vor Ort auch erhal-
ten. Denn in der Realität ist es so – Sie haben darauf
hingewiesen –, dass der Subunternehmer den Lohn er-
hält, bei dem die bulgarischen und rumänischen Arbeite-
rinnen und Arbeiter angestellt sind. Deshalb: Keine
profitorientierte Ausnutzung der Übergangsregelung!
Kein Umschiffen des Mindestlohns durch den weiteren
Missbrauch von Werkverträgen, Scheinverträgen oder
was es alles gibt! Es kann nicht sein, dass länger ange-
stellte Beschäftigte aus Rumänien oder Bulgarien zwar
besser entlohnt werden, dass neu eingestellte Arbeiterin-
nen und Arbeiter jedoch wieder mit einem wesentlich
geringeren Stundenlohn ausgebeutet werden, so gesche-
hen in meinem Wahlkreis im Münsterland. Das ist men-
schenunwürdig und beschämend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung zuge-
sagt, gesetzeswidrige Werkverträge zu verhindern. Sie
erklären auch überall: Schluss mit Scheinselbstständig-
keiten. Tun Sie endlich etwas, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein
Anfang, ein guter Anfang sogar, doch er wird nicht aus-
reichen, um die Missstände im Niedriglohnsektor gänz-
lich zu beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Für effektive Kontrollen braucht man mehr Personal.
Herr Rützel, Sie haben richtigerweise selbst darauf hin-
gewiesen. Sie sagten, dass 42 Stellen gebraucht werden.
Ja, ich frage mich nur: Warum stehen sie nicht im Haus-
halt? Das bedarf noch viel Anstrengung. Wir fordern Sie
ausdrücklich auf, nachzubessern und Geld für die ent-
sprechenden Stellen im Haushalt bereitzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Natürlich müssen auch die Kommunen endlich ihrer
Pflicht nachkommen und den Zustand der Unterkünfte
der Beschäftigten überwachen. Hier gibt es eklatante
Missstände, zum Beispiel die Unterbringung in baufälli-
gen Baracken. Die Kollegen und ich haben gesehen, dass
vier Männer in kleinsten Zimmern mit zwei Betten le-
ben. Das sind unwürdige Zustände. Diese Unterbringung
ist völlig indiskutabel. Die Kommunen sind gefordert,
endlich ihrer Pflicht nachzukommen. Wenn wir in
Europa so respektlos mit Menschen umgehen, wie kön-
nen wir dann erwarten, dass diese Menschen in den
Schlachthöfen respektvoll mit den Tieren umgehen?
Profitgier ohne Rücksicht auf Verluste schadet den Men-
schen, sie schadet den Tieren, und sie schadet unserem
Land, Deutschland, als einem Land, in dem gute Arbeit,
wie wir es uns am 1. Mai erzählt haben, gut bezahlt
wird. Lasst uns das endlich tun!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das dänische Unternehmen Danish Crown zeigt
Selbstvertrauen. Ein gläserner Schlachthof demonstriert
die Überzeugung, dass dort nichts passiert, was nicht ge-
sehen werden darf. In Dänemark gibt es für die Schlacht-
hofmitarbeiter Tarifverträge. Das erhöht die Schlacht-
kosten für Danish Crown um bis zu 100 Prozent
gegenüber deutschen Unternehmen; Namen wurden hier
gerade genannt. Das führt dazu, dass Danish Crown auch
in Deutschland Schlachthöfe betreiben muss, weil in
Deutschland eben ein niedrigerer Lohn bezahlt wird.
Sind die deutschen Schlachthöfe auch so weit, dass dort
nichts passiert, was nicht gesehen werden darf? Ich
hoffe, wir kommen dahin. Lasst uns das gemeinsam in
Angriff nehmen, damit wir auch unsere Schlachthöfe
zeigen können, damit wir zeigen können, wie die Men-
schen dort arbeiten, damit wir auch die Unterbringung
der Menschen, die aus anderen europäischen Ländern zu
uns kommen und diese Arbeit verrichten, zeigen können
und sagen können: Das ist menschenwürdig.





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803318900

Vielen Dank, Kollege Ostendorff. – Das Wort hat für

die SPD-Fraktion Gabriele Groneberg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1803319000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute
ist für mich ein toller Tag; das muss ich sagen. Das Boh-
ren dicker Bretter in Berlin hat sich wirklich mal ge-
lohnt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Seit Jahren setze ich mich zusammen mit engagierten
Menschen aus meiner Region und hier im Haus intensiv
dafür ein, den Missbrauch von Werkverträgen in der
Fleischindustrie aufzudecken und Maßnahmen zu entwi-
ckeln, um diesen menschenunwürdigen Umgang zu be-
enden. Lange hat es gedauert, aber heute ist es endlich so
weit. Das ist ein guter Tag für die rund 100 000 Beschäf-
tigten in der Fleischbranche, von denen allein 20 000 in
Niedersachsen arbeiten.

Bereits seit 2003 kämpfen wir gegen Lohndumping in
der Fleischindustrie. Ich erinnere mich ganz besonders
gut an eine Veranstaltung in meinem Wahlkreis 2005, die
wir in der Hoffnung durchgeführt haben, eine schnelle
Lösung dieses Problems hinzubekommen. Doch das war
schwieriger, als wir gedacht haben. In der Folgezeit
brachten Razzien und Kontrollen in unserer Region, aber
natürlich auch bundesweit – wir stehen mit diesem Pro-
blem in dieser Republik ja nicht alleine da – unmenschli-
che und illegale Arbeitsbedingungen vor allem osteuro-
päischer Billiglöhner zutage.

Worum geht es hier eigentlich? In einer wirtschaftlich
starken Region, in unserem wirtschaftlich gut aufgestell-
ten Land gibt es Menschen – das ist heute mehrfach er-
wähnt worden –, die mindestens 10 bis 15 Stunden täg-
lich, sechs Tage die Woche, im Monat mindestens
26 Tage in der Fleischindustrie arbeiten. Sie schlachten,
sie zerlegen, sie verpacken. Das alles tun sie für einen
Stundenlohn von 3 bis 6 Euro; in großen Teilen sind es
noch weniger. Krankheitstage und Urlaub werden nicht
bezahlt.

Die Menschen, die unter diesen Bedingungen arbei-
ten, kommen überwiegend aus Ungarn, Bulgarien, Ru-
mänien und Litauen. Sie werden mit falschen Verspre-
chungen angeworben und in ehemaligen Geschäfts- und
Wohnhäusern untergebracht, die auf dem normalen
Markt gar nicht mehr vermietet werden können.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Sie leben dort mit vier bis fünf Personen in kleinen Räu-
men, es gibt ein Bad auf dem Flur für alle, und die hy-
gienischen Verhältnisse sind jenseits aller Diskussionen.
Für diese miesen Verhältnisse müssen sie Wuchermieten
zahlen.

Die Arbeit dieser Menschen wird so billig abgerech-
net, dass es sich lohnt, Schweine aus Dänemark zur
Schlachtung nach Deutschland zu bringen. Deutschland,
ein Billiglohnland? Um es ganz klar zu sagen: Es geht
hier um Missbrauch. Es geht um die fragwürdige Aus-
nutzung von Rechtsräumen, vor allen Dingen durch Sub-
unternehmen mit oder ohne Wissen der Generalunter-
nehmer, bis hin zu massiven Bedrohungen derjenigen,
die diese Missstände anprangern und in der Vergangen-
heit klar benannt haben.

Vor rund zwei Jahren ist bei uns in der Region der
Knoten geplatzt. Es hat – so möchte ich es beschreiben –
einen Aufstand der Anständigen gegeben, und es hat
sich einiges getan. Ja, auch einige Unternehmen der
Fleischbranche haben erkannt, dass diese Missstände
gleichzeitig große Imageschäden für ihre Unternehmen
bedeuten, und sie haben ein großes Interesse an Rege-
lungen, die anständigen Unternehmen Wettbewerbs-
gleichheit sichern. Leih- und Werkvertragsarbeiter sowie
aus dem europäischen Ausland stammende Beschäftigte
aus Werkvertragsunternehmen müssen den gleichen
Lohn wie die festangestellten Arbeitnehmer und Arbeit-
nehmerinnen bekommen. Anständige Löhne für harte
körperliche Arbeit!

Mein besonderer Dank gilt Andrea Nahles. Sie hat
2008 meinen Wahlkreis besucht, und wir haben die Si-
tuation mit betroffenen Gewerkschaftern und vielen In-
teressierten ausführlich erläutert. Sie ist diejenige, die
jetzt als zuständige Ministerin diesen Gesetzentwurf
vorlegt. Wir gehen davon aus, dass es jetzt ordentliche
Löhne in der Fleischindustrie und wirksame Sanktio-
nen beim Missbrauch geben wird. Richtig, Kollege
Ostendorff, wir müssen dafür sorgen, dass dieser Lohn
in der Tat bei den Beschäftigten ankommt. Das ist ganz,
ganz wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD war hier treibende Kraft. Das ist sicherlich
unstrittig. Wir haben das im Wahlkampf versprochen,
und dies ist jetzt – der GroKo sei Dank – in der Umset-
zung. Wenn alles nach Plan läuft, wird dieses Gesetz
Ende Juni in Kraft treten. Lieber Kollege Schiewerling,
damit sind wir endlich einmal auf einem gemeinsamen
Nenner. Das freut mich ganz besonders.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Was heißt hier „endlich einmal“?)


Wir haben weitere Gesetzentwürfe gegen den Miss-
brauch auf dem Arbeitsmarkt in der Beratung. Heute
Morgen zum Beispiel hat unser Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
wir ein weiteres Schlupfloch für Unternehmen stopfen
werden. Es darf nicht sein, dass Unternehmer über den





Gabriele Groneberg


(A) (C)



(D)(B)

Einsatz von Werkvertragsnehmern und Leiharbeitern die
Möglichkeit haben, sich der Zahlung der EEG-Umlage
zu entziehen. Wie ist denn das möglich? Letztendlich ist
es in unserem Interesse, diese Umgehungstatbestände
nicht mehr zu ermöglichen.

Einige Unternehmer mit entsprechender krimineller
Energie finden vielleicht trotzdem einen Weg. Holzauge
sei wachsam, kann ich da nur sagen. Ich finde, es ist
nach wie vor eine Schande, dass ein Land wie Deutsch-
land, welches wirtschaftlich so gut dasteht, im Vergleich
zu Nachbarländern ein Billiglohnland ist. Das müssen
wir unbedingt ändern.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht es!)


Ein wichtiger und richtiger Schritt ist Anfang Januar
geschehen, als sich die Tarifvertragsparteien in der
Fleischindustrie auf einen Tarifvertrag geeinigt haben.
Dieser wird den Mindestlohnstandard, den wir hier auch
noch vereinbaren werden, erreichen. Selbst wenn es et-
was später ist, ist das ein großer Fortschritt.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803319100

Frau Kollegin.


Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1803319200

Ja, ich komme zum Schluss. Sehr geehrte Frau Präsi-

dentin, gestatten Sie mir noch ein paar Sätze. Wenn man
so lange an etwas gearbeitet hat, ist die Erleichterung so
groß.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803319300

Es tut mir leid, aber das ist kein Argument.


Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1803319400

Ich werde mich jetzt auf einen letzten Aspekt be-

schränken. – Strenge und regelmäßige Kontrollen durch
Behörden der Zollverwaltung gehören natürlich dazu.
Auch darauf ist hier schon eingegangen worden.

Ich fasse zusammen: Versprochen und gehalten, das
ist die Handschrift der SPD in dieser Koalition.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen keine Dumpinglöhne. Ich bin erleichtert und
bitte alle Kolleginnen und Kollegen, heute gemein-
schaftlich in diesem Haus diesem Gesetzentwurf zuzu-
stimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Ohne uns gäbe es das nicht!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803319500

Danke, Frau Kollegin. Es gibt Irritationen, ob es jetzt

doch einen gemeinsamen Nenner in der Großen Koali-
tion gibt. Aber das kann ja der nächste Redner erklären.

Ich rufe Albert Stegemann auf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1803319600

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein
nicht ganz unbedeutender Fraktionsvorsitzender in die-
sem Hohen Hause wird immer wieder gerne mit folgen-
den Worten zitiert: „Politik beginnt mit dem Betrachten
der Wirklichkeit.“


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war ein berühmter baden-württembergischer Philosoph! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, ganz unbedeutend ist der!)


Unter diesem Motto habe ich mich vor etwa drei Wo-
chen auf den Weg gemacht und mit den Beamten der
Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamtes
Osnabrück an einer Kontrolle der Arbeitsverhältnisse in
einem großen norddeutschen Schlachtunternehmen teil-
genommen. Wissen Sie: Die dort gemachten Beobach-
tungen sind so zahlreich, dass fünf Minuten Redezeit
einfach nicht ausreichen, um Ihnen diese Eindrücke auch
nur ansatzweise zu schildern.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fünf Minuten reichen nie!)


Gestatten Sie mir deshalb das Arbeiten mit folgendem
Bild: Wie wir alle wissen, hat jede Medaille zwei Seiten,
redensartlich eine gute und eine schlechte. Es wirkten in
der Vergangenheit unterschiedliche Einflüsse auf die
Fleischbranche ein, die, wie bei einer Medaille eben
auch, besagte Seiten mit sich bringen. Auf die einzelnen
Einflüsse möchte ich im Folgenden eingehen.

Einfluss Nummer eins: der Wert von Lebensmitteln.
In kaum einem anderen Land der Welt ist es für Men-
schen so günstig, sich mit Lebensmitteln zu versorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten müssen wir
einen immer geringeren Anteil des Einkommens für die
Waren des täglichen Bedarfs ausgeben; das ist die gute
Seite der Medaille. Auf der anderen Seite sorgen aber
auch die preisbewussten Verbraucher für einen knallhar-
ten Wettbewerb im Handel, der weltweit ebenfalls sei-
nesgleichen sucht.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Discounter befördern die Suche nach immer neuen
Schnäppchen, indem sie den Preisdruck an die Produ-
zenten weitergeben. Dies hat den Kostendruck in der
Fleischbranche befeuert.

Einfluss Nummer zwei: wirtschaftliche Zwänge in ei-
ner globalisierten Welt. Kein Land auf dieser Welt hat
von den offenen Märkten derart profitiert wie die Bun-
desrepublik Deutschland. Mit technischen Neuerungen
sind Unternehmen Vorreiter, verkaufen erfolgreich ihre
Produkte, sichern den hiesigen Wohlstand auch durch
hohe Exporte. Wettbewerb ist allerdings nie nur einsei-





Albert Stegemann


(A) (C)



(D)(B)

tig. Der Transport spielt für die Warenpreise kaum mehr
eine Rolle. So steht die Fleischbranche einer harten Kon-
kurrenz von günstigen Fleischimporten aus aller Welt
gegenüber. Also: Der Druck im Kostenkessel steigt und
hat damit folgende Einflüsse voll durchschlagen lassen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musst du jetzt aber nicht auch noch entschuldigen!)


Einfluss Nummer drei: Maßnahmen zur Flexibilisie-
rung des Arbeitsmarktes. Kein Land in Europa ist so gut
durch die Krise gekommen wie Deutschland. Das hat
viel mit unserem flexiblen Arbeitsmarkt und dem part-
nerschaftlichen Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeit-
nehmern zu tun. Die funktionierende Sozialpartnerschaft
hat viele Menschen in Arbeit gebracht und gehalten.
Nicht umsonst ist das Beschäftigungsniveau so hoch wie
nie zuvor. Die Kehrseite gilt aber auch hier: Diese Part-
nerschaft, diese Erfolgsgeschichte endet dort, wo die fle-
xiblen Arbeitsmarktinstrumente bis an die Grenzen des
Vertretbaren ausgereizt werden. In der fleischverarbei-
tenden Industrie ist der Lohnkostenanteil in der Produk-
tion sehr hoch. Deshalb hat es hier diese extremen Aus-
wüchse gegeben.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mich herzlich bei
der ehemaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der
Leyen bedanken. Unter ihrer Führung hat es die letzte
Regierung geschafft, die Tarifvertragsparteien an einen
Tisch zu holen. Dies hat sicherlich auch mit dem politi-
schen Druck unter anderem der Kirchen zu tun. Auch ih-
nen sei an dieser Stelle gedankt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier hat die Gesellschaft ihre Verantwortung wahrge-
nommen. Demokratie funktioniert also.

Bleibt noch Einfluss Nummer vier, nämlich die Ar-
beitnehmerfreizügigkeit in Europa. In der Europäischen
Union gibt es keine Grenzen mehr. Dies bietet Chancen
nicht nur für junge Menschen, obwohl gerade sie im Mo-
ment das Sinnbild für ein zusammenwachsendes Europa
mit einem gemeinsamen Arbeitsmarkt sind. Die Suche
nach einem Arbeitsplatz fernab von der eigenen Heimat
verknüpfen sie mit vielen Hoffnungen. So weit die gute
Seite der Medaille.

Wir mussten in der Vergangenheit aber feststellen:
Solche Hoffnungen wurden ausgenutzt. Einzelne Unter-
nehmen sind vom Irrglauben ausgegangen, sich in einem
rechtsfreien Raum nach Wildwestmanier bewegen zu
können. Durch Werkverträge, die mit aus dem europäi-
schen Ausland stammenden Vertragsfirmen abgeschlos-
sen wurden, haben sie vorhandene Mindestlöhne umgan-
gen. Einziges Ziel war es, die Lohnkosten zu senken.
Dies war aber definitiv nie die originäre Intention der
Arbeitnehmerfreizügigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das jetzt zu beschließende Gesetz schiebt solchem
Handeln einen Riegel vor. Durch die Aufnahme der
Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
gilt dann der bereits beschlossene Mindestlohn auch für
aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer.
Meine Damen, meine Herren, heute ist ein guter Tag
für die Fleischbranche. Dieser Wirtschaftszweig ist viel
gescholten. Ein ursprünglicher Grund liegt im knallhar-
ten Wettbewerb. Dieser hätte jedoch nie so weit führen
dürfen, dass die Menschenwürde, wie in der Vergangen-
heit viel zu oft geschehen, dem Schlachtermesser zum
Opfer fällt. Ich hoffe sehr, dass wir heute einen Beitrag
dazu leisten, dass die Fleischbranche uns in der Zukunft,
ab heute, die gute Seite der Medaille zeigt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803319700

Vielen Dank, Herr Kollege.

Jetzt würden wir natürlich alle sehr gern wissen, wer
der nicht ganz unbedeutende Fraktionsvorsitzende ist;
aber vielleicht kann uns Herr Kauder das ja sagen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie es! Frau Roth, sagen Sie es doch bitte!)


Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Tobias
Zech für die CSU/CDU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die ge-
kommen sind, um sich an der Abstimmung zu beteiligen,
bitten, sich an dieser Debatte zuhörend zu beteiligen. Es
lohnt sich nämlich wirklich sehr.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt sowieso: bei Herrn Zech!)


Bitte, Herr Zech.


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1803319800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Heute

ist ein guter Tag …“, so begannen Anfang April fast alle
Reden, die in der ersten Lesung über die Aufnahme der
Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
gehalten wurden. In der Tat: Heute ist ein guter Tag. Es
geht heute für manche Arbeitnehmer in der Fleisch-
industrie sprichwörtlich um die Wurscht.

Aber es geht nicht nur um heute, es geht auch um die
Umsetzung des Gesetzes, das heute beschlossen werden
soll, es geht darum, dass wir aus einem guten Tag eine
noch bessere Zukunft machen. Lassen Sie mich daher ei-
nen positiven Blick in die Zukunft richten. Die Erfahrun-
gen mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind gut: Die
Branchenmindestlöhne haben nicht nur zu Beschäfti-
gungsgewinnen geführt, sondern auch zu mehr Fairness
im Wettbewerb der Unternehmen beigetragen.

Diese Vorteile kommen nun auch endlich bei den Ar-
beitnehmern in der Fleischindustrie an. Dabei geht es
zum einen darum, den Arbeitnehmern einen gerechten
Lohn zu garantieren. Ein angemessener Lohn für die
harte körperliche Arbeit ist das absolute Minimum. Es
müssen aber auch alle anderen Umstände gewährleistet
werden, um den Menschen ein Leben und ein Arbeiten
in Würde zu ermöglichen. Nur wenn auch die äußeren





Tobias Zech


(A) (C)



(D)(B)

Rahmenbedingungen stimmen, kann man diese körper-
lich harte Arbeit bewältigen und hygienische Umstände
für Mensch und Tier und für die Produkte garantieren.
Daher geht es auch um bezahlte Überstunden, um Ur-
laub, Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, Bedin-
gungen für die Überlassung von Arbeitskräften, Sicher-
heit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz
sowie last, but not least Nichtdiskriminierungsbestim-
mungen.

Eine Branche mit über 170 000 Arbeitnehmern soll
nun davon profitieren dürfen. Für viele Arbeitgeber ist
die Gewährleistung solcher Rahmenbedingungen eine
Selbstverständlichkeit. Im Hinblick auf diejenigen, für
die sie es bisher nicht waren, ist es unsere Aufgabe, sie
zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Dieser Indus-
trie wird somit ein Rechtsrahmen gesetzt werden, der für
einen fairen Wettbewerb sorgen kann, national wie inter-
national.

National, weil wir nicht vergessen dürfen: Wir sind
hier das gesetzgebende Organ. Es gab immer wieder
Rechtsstreite, in denen auf Werkvertragsbasis ausgebeu-
tete Beschäftigte erfolgreich eine Festanstellung einge-
klagt haben. Sie konnten nachweisen, dass es sich um
Scheinwerkverträge handelte. Es darf aber nicht Auf-
gabe der Gerichte sein, durch Rechtsprechung Gesetze
zu schaffen, wo wir keine Ordnung hergestellt haben.
Zudem beschreiten zu wenige den Weg der Gerichtsbar-
keit und müssen folglich mit den katastrophalen Um-
ständen leben, gerade bei den schwarzen Schafen, die es
wie in allen Industriezweigen auch in der Fleischindus-
trie gibt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen
Schritt gehen und diesen Menschen nun einen deutlich
besseren Schutz bieten – präventiv und nicht lediglich
erst im Vollzug.

Aber auch international ist dieser Schritt wichtig, da
nur bei entsprechendem Schutz aller europäischen Ar-
beitnehmer die Vision der Arbeitnehmerfreizügigkeit
weiter verfolgt werden kann. Damit garantieren wir
einen guten Standard an Arbeitnehmerrechten und er-
weitern so die Möglichkeiten für freie Arbeitnehmer-
wanderung und -zuwanderung und Wechsel innerhalb
der Europäischen Union.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In der Umsetzung bestehen zwei essenzielle Schwer-
punkte. Zum einen – das haben wir heute schon mehr-
mals diskutiert – geht es um die Kontrolle. Es bringt kein
noch so guter Wille etwas, wenn es an der Umsetzung
und an der Kontrolle scheitert.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss an der entsprechenden Stelle im Haushalt etwas eingestellt werden!)


Mit der Aufnahme der Arbeitnehmer in der Fleisch-
industrie ist unsere Arbeit also nicht getan, sondern wir
müssen die Aufsichtsbehörden tatkräftig unterstützen
und alle Möglichkeiten der Kontrollen ermöglichen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neue Stellen!)

Erst wenn diese einen effektiven Druck auf die Arbeitge-
ber ausüben können, erfüllt das Arbeitnehmer-Entsende-
gesetz auch seine Zwecke.

Zum anderen geht es um die Generalunternehmerhaf-
tung nach § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Dazu sei
zunächst gesagt, dass diese nicht neu ist und mit der
Aufnahme der Fleischindustrie auch nicht geändert wird.
Zudem ist diese Regelung verfassungskonform und kon-
form mit dem Europarecht.

Wir können diese Problematik nicht auf dem Rücken
der Arbeitnehmer austragen, die wir gerade schützen
wollen. Damit würden wir Gefahr laufen, neue Lücken
aufzureißen, die zu erneutem Missbrauch führen könn-
ten.

Es liegt in der Macht des Unternehmens und der Un-
ternehmer, sich die Subunternehmen aussuchen zu kön-
nen und dabei auf Zuverlässigkeit und entsprechende
Mindestmaßstäbe zu achten. Die Unternehmen haben
dabei mehr Möglichkeiten der Kontrolle als die Arbeit-
nehmer, und diese Kontrolle soll gerade genutzt werden,
um Subunternehmer genauer unter die Lupe zu nehmen.
Nur so können die schwarzen Schafe vom Markt ver-
drängt werden, die Arbeitnehmer mit falschen Verspre-
chungen locken und ausbeuten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dennoch verstehe ich die Bedenken der Unterneh-
men, die Doppelzahlungen befürchten, ohne sich voll-
ständig absichern zu können. Die Einführung eines
Hilfsfonds erachte ich jedoch nicht für sinnvoll. Dieser
würde zu einer höheren Belastung für die Gemeinschaft
und zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen.
Vor allem aber würden damit auch diejenigen Unterneh-
men zur Kasse gebeten werden, die zuverlässige Nach-
unternehmer gewissenhaft auswählen und sich somit
schützen, und gerade das ist ja auch das Ziel des Geset-
zes.

Dennoch sollten gerade die Konstellation des Pfän-
dungs- und Überweisungsbeschlusses näher beleuchtet
und weitere Lösungsvorschläge bedacht werden. Diese
Thematik werden wir insbesondere auch im Zusammen-
hang mit § 13 des Mindestlohngesetzes noch genauer
betrachten müssen.

Nichtsdestotrotz ist heute ein guter Tag für die Arbeit-
nehmer in der fleischverarbeitenden Industrie. Wir tref-
fen heute eine gute und zukunftsfähige Entscheidung.
Wir sollten aber auch weiterhin weitere Branchen sensi-
bel und aufmerksam im Blick behalten und diesen
Schutz gegebenenfalls ausweiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803319900

Vielen Dank, Herr Kollege Zech.

Ich schließe die Aussprache.





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A)



(D)(B)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!)


Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1359,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/910 und 18/1283 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die
absolute Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bun-
destages – das sind 316 Stimmen – erforderlich.

Wir stimmen nun namentlich über den Gesetzentwurf
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Kann mir irgendje-
mand ein Zeichen geben, ob alle Urnen besetzt sind? –
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den
Gesetzentwurf.

Ich frage, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist,
das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist
nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Er-
gebnis später bekannt gegeben.1)

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die nicht an
der Debatte teilnehmen wollen, sich entweder zu setzen
und zuzuhören oder den Raum zu verlassen. Das gilt für
alle Seiten des Hauses.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann

(Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion DIE LINKE

Abschaffung der Zwangsverrentung von
SGB-II-Leistungsberechtigten

Drucksache 18/589
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten
vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Matthias Birkwald be-
ginnt für die Linke die Debatte.


(Beifall bei der LINKEN)


1) Ergebnis Seite 2797 D

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803320000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Hartz IV ist und bleibt Armut per Gesetz. Das gilt für
alle Langzeitarbeitslosen, aber ganz besonders für die äl-
teren Arbeitslosen, die unbedingt arbeiten wollen, denen
aber niemand mehr einen Job gibt. Warum? § 12 a im
Sozialgesetzbuch II verpflichtet die Jobcenter, Hartz-IV-
Beziehende ab ihrem 63. Geburtstag in eine vorgezo-
gene Altersrente zu schicken, auch wenn diese mit hor-
renden Abschlägen verbunden ist, und zwar gegen den
Willen der Betroffenen. Das darf nicht sein. Darum sagt
die Linke: Die Zwangsverrentungen müssen abgeschafft
werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Menschen rufen wegen der Zwangsverrentung
in meinem Büro an. Sie sind wütend, komplett verunsi-
chert oder einfach nur enttäuscht. Ich schildere Ihnen das
Beispiel einer Betroffenen, einer Verkäuferin aus Frank-
furt. Sie wurde vor drei Jahren entlassen und ist am Ende
ihres Erwerbslebens in Hartz IV gerutscht. Im August
wird sie 63 Jahre alt, und sie hat stolze 44 Beitragsjahre
vorzuweisen.

Sie sieht im Fernsehen die Berichte über die ab-
schlagsfreie Rente ab 63, und sie hört, wie die CDU/
CSU und die Arbeitgeber vor Frühverrentungen warnen.
Sie will aber arbeiten. Nun hat sie vom Jobcenter einen
Brief bekommen. Kein Arbeitsangebot, nein: Sie soll im
August die vorgezogene Altersrente mit Abschlägen be-
antragen. Wenn sie das nicht tut, dann stellt das Jobcen-
ter den Rentenantrag für sie, auch gegen ihren Willen.
Dem Jobcenter ist es dabei völlig egal, wie hoch oder
wie niedrig ihre Rente sein wird.

Meine Damen und Herren, versetzen Sie sich bitte
einmal in die Lage der erwerbslosen Verkäuferin aus
Frankfurt. Sie versteht die Welt nicht mehr. Sie dachte zu
Recht: Ob und wann ich einen Rentenantrag stelle, kann
ich doch wohl selbst entscheiden. – Von wegen: Das darf
sie seit 2008 nach dem Willen von CDU/CSU und SPD
nicht. Das ist ein massiver und unverschämter Eingriff in
die Freiheitsrechte. Damit muss endlich Schluss sein.
Die Zwangsverrentung muss unbedingt abgeschafft wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was heißt die Zwangsrente für die arbeitslose Frank-
furterin? Das heißt, dass ihre Rente bis zu ihrem Lebens-
ende um 8,7 Prozent Abschläge gekürzt werden wird.
Bei ihrer Rente von 900 Euro im Monat sind das fast
80 Euro jeden Monat. Sie hofft jetzt darauf, wieder einen
Job zu finden. Doch das Jobcenter unterstützt sie dabei
schon lange nicht mehr und hat sie aus der Arbeitslosen-
statistik gestrichen. Das übrigens zum Thema geschönte
Statistik.

Das alles ist unerträglich. Es hat nichts, aber auch rein
gar nichts mit der Lebensleistung dieser Frau zu tun.
Deshalb sage ich: Die Zwangsverrentung muss beendet
werden.

(C)






Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es kommt noch schlimmer. Schwarz-Rot sind
nämlich 8,7 Prozent Abschläge noch nicht genug. Im
Gesetz ist nämlich eingebaut, dass die Kürzungen von
Jahrgang zu Jahrgang drastischer werden. Wer das Pech
hat, 1964 oder später geboren worden zu sein, bekommt
dann ab 2027 die Rente um sage und schreibe 14,4 Pro-
zent gekürzt. Das wären bei 900 Euro Rentenanspruch
130 Euro.

Am allerschlimmsten trifft es jene Hartz-IV-Betroffe-
nen, die durch die Abschläge nur auf eine Minirente
kommen. Sie werden nämlich bis zu ihrem offiziellen
Renteneintrittsalter auf Sozialhilfe angewiesen sein. Erst
danach können sie die Grundsicherung im Alter beantra-
gen. Sozialhilfe bedeutet im Unterschied zur Grund-
sicherung: Es gibt keinen Cent, bis der Spargroschen bis
auf 2 600 Euro aufgebraucht ist. Dann gibt es ein biss-
chen Geld, und dieses bisschen Geld holt sich der Staat
bei den Kindern wieder.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition, ich bin sehr gespannt, wie Sie das alles gleich in
Ihren Reden rechtfertigen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben die entwürdigende Zwangsverrentung im Jahr
2008 eingeführt. Wir Linken haben Sie gefragt, wie viele
Menschen davon aktuell betroffen sind. Die Bundesre-
gierung hat uns geantwortet. Was hat sie gesagt? Sie hat
geantwortet: Wir wissen es nicht.

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen
lassen. Sie schicken die Menschen in die Zwangsrente
und wissen nicht einmal, wie viele Horrorbriefe die Job-
center jeden Tag verschicken.

Das darf doch alles nicht wahr sein!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach unseren Schätzungen sind in diesem Jahr circa
65 000 ältere Hartz-IV-Betroffene von der Zwangsver-
rentung bedroht. Wir empfehlen allen Betroffenen: Le-
gen Sie Widerspruch ein, und beantragen Sie gleichzei-
tig beim Sozialgericht die aufschiebende Wirkung für
Ihren Widerspruch; denn je länger Sie das Verfahren ver-
zögern, desto geringer sind später Ihre Abschläge.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
einerseits schicken Sie Erwerbslose in die Zwangsrente,
und andererseits verwehren Sie diesen Menschen den
Zugang zu Ihrer neuen abschlagsfreien Rente ab 63 bzw.
65; denn für diese soll ja nur der Bezug von Arbeitslo-
sengeld I bei der Berechnung der 45 Jahre zählen,
Hartz-IV-Zeiten aber nicht. Das ist ungerecht. Wenn
Hartz-IV-Zeiten mitzählten, dann könnte unsere Frank-
furterin im August abschlagsfrei in Rente gehen. Ich
frage noch einmal hier im Plenum: Was unterscheidet
eine Verkäuferin, die einmal vier Jahre am Stück arbeits-
los war, von einem Gerüstbauer, der viermal ein Jahr ar-
beitslos war? Ich sage: Die haben doch dieselbe Lebens-
leistung, oder etwa nicht?


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803320100

Denken Sie an Ihre Redezeit.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803320200

Also, liebe Bundesregierung, schaffen Sie die

Zwangsverrentung sofort ab, und zwar ein für alle Mal!
Das fordern alle Erwerbsloseninitiativen. Das fordert die
Linke. Das fordern auch der DGB, die Sozialverbände,
der Deutsche Städte- und Gemeindetag sowie der Deut-
sche Landkreistag.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803320300

Und ich fordere Sie auf, zum Ende Ihrer Rede zu

kommen.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803320400

Ja, Frau Präsidentin, ich komme sofort zum letzten

Satz. – Hören Sie im Interesse der Betroffenen auf die-
sen guten Ratschlag!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803320500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das passiert nicht so

oft, ist aber, glaube ich, ein gutes Signal. Ich gebe das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeit-
nehmer-Entsendegesetzes bekannt: abgegebene Stim-
men 577. Mit Ja haben gestimmt 577 Kolleginnen und
Kollegen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 577
Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder

(Wiesbaden)


Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(B)

Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

(D)


(Beifall im ganzen Hause)


Das ist nicht nur ein guter Tag für die Fleischindustrie,
wie manche gesagt haben, oder für die Verbraucherinnen
und Verbraucher, sondern auch für das Parlament, das in
dieser Frage eine solche Mehrheit zustande gebracht hat.
Vielen Dank.

Nächste Rednerin in der laufenden Debatte ist
Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1803320600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nun darf ich hier und heute zum zweiten Mal zu Ihnen
sprechen, wieder zu einem Antrag der Fraktion Die
Linke.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind fleißig!)


– Ich auch. – Heute Mittag war es das soziale Europa,
das es zu verteidigen galt. Nun ist es das soziale
Deutschland, das es zu retten gilt. Kolleginnen und Kol-
legen der Fraktion Die Linke, Ihre Anträge haben einzig
und allein ein Ziel: sich hier vor der Europawahl wichtig
zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben den Antrag schon vor drei Monaten gestellt!)


Eigentlich sind wir uns doch einig darüber, dass in
unserem deutschen Sozialstaat das Prinzip der Solidari-
tät und der Subsidiarität gilt. Zwei Punkte möchte ich
dazu festhalten. Erstens. Unsere Sozialgesetzgebung un-
terliegt dem Prinzip des Förderns und des Forderns.
Zweitens. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist
ein nachrangiges Fürsorgesystem.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Regelung des SGB II, über die wir nun sprechen,
gilt seit dem 1. Januar 2005 und wurde bis heute mehr-
fach überarbeitet und angepasst. Kolleginnen und Kolle-
gen der Fraktion Die Linke, ich bin neu hier in diesem
Hause.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das merkt man auch!)


Aber ich weiß trotzdem, dass an der Vereinfachung von
Rechtsvorschriften im SGB II bereits seit der letzten Le-
gislaturperiode eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbei-
tet.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da schau her!)


Die Akteure, die hier neben Bund und Ländern tätig
sind, sind die Bundesagentur für Arbeit, die kommuna-
len Spitzenverbände sowie der Deutsche Verein für öf-
fentliche und private Fürsorge. Zusätzlich gehören Ver-
treter des Bundessozialgerichts und weitere Experten aus
Wissenschaft und Praxis dazu. Diese Arbeitsgruppe ar-
beitet auf rein fachlicher Basis. Für mich ist das so, als
wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke, mit Ihrem Antrag die laufende Arbeit dieser
Bund-Länder-Arbeitsgruppe torpedieren. Sie versagen in
meinen Augen damit den Beteiligten dieser Gruppe An-
erkennung und Wertschätzung für ihre Tätigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir geben gute Anregungen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht doch um etwas ganz anderes! Reden Sie doch mal zum Thema!)


Ich glaube, uns allen hier ist bewusst, dass unser Le-
ben einem stetigen Prozess gesellschaftlicher Verände-
rungen unterliegt. Die demografische Entwicklung und
die Einführung neuer Technologien gehen einher mit
Veränderungen in der Arbeitswelt und in unseren Le-
benswirklichkeiten.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und am 24. kommt der Weihnachtsmann!)


Deshalb müssen und werden wir darüber nachdenken,
wie wir diese Strukturen neu gestalten und anpassen, da-
mit sie den zukünftigen Anforderungen gerecht werden
können.


(Beifall des Abg. Markus Paschke [SPD])


Zum politischen Selbstverständnis meiner Partei ge-
hört es, sich für die Belange von sozial Schwachen und
sozial Benachteiligten einzusetzen. Deshalb nehmen wir
die Diskussionsbeiträge und die Anregungen dieser
Bund-Länder-Gruppe sehr ernst. Ich darf Ihnen hier ei-
nes versichern: Unser Ansatz ist es, Lösungen zu erar-
beiten, die von einer breiten Mehrheit getragen werden.
Ich kann Ihnen weiter versichern, dass diese Koalition,
CDU, CSU und SPD, stark genug ist, um Sachverhalte
wie diesen mit dem richtigen Augenmerk zu klären.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da sind wir gespannt!)


Die CDU gilt – auch das darf ich Ihnen versichern –
in ihrer Arbeitsweise als sorgfältig. Wir erlauben uns bei
einem so wichtigen Thema keine Schnellschüsse. Wir
wägen die verschiedenen Gesichtspunkte sorgfältig ab.





Christel Voßbeck-Kayser


(A) (C)



(D)(B)

Deshalb kann ich nur sagen: Diesen Antrag lehnen wir
hier und heute ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803320700

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Ich habe vor lauter Freude über die Einstimmigkeit
bei der namentlichen Abstimmung über den Entwurf ei-
nes Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes einen formalen Akt vergessen. Also:
Zur Annahme des Gesetzentwurfs ist gemäß Artikel 87
Absatz 3 Grundgesetz die absolute Mehrheit – das sind
316 Ja-Stimmen – erforderlich. Der Gesetzentwurf hat
die erforderliche Mehrheit erreicht und ist damit ange-
nommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nächster Redner: Markus Kurth für Bündnis 90/Die
Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803320800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Geschichte des Sozialgesetzbuchs II ab 2006, also
ab der vergangenen Großen Koalition bis heute, ist lei-
der auch eine Geschichte fortgesetzter Diskriminierung.
Es ist eine Geschichte der Diskriminierung von Leis-
tungsbeziehenden in verschiedenen Bereichen: So hat
Schwarz-Gelb in der vergangenen Legislaturperiode
zum Beispiel beim Thema Regelsatz mal eben beschlos-
sen, dass Ausgaben von Arbeitslosengeld-II-Beziehen-
den für Alkohol nicht vorzukommen haben.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch wieder nicht!)


Eine weitere Diskriminierung bedeutet die Einführung
des Bildungs- und Teilhabepakets als Sachleistung we-
gen der Unterstellung, dass Eltern das Geld eher vertrin-
ken und verrauchen, als es bei ihren Kindern ankommen
zu lassen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben die Grünen unterstellt!)


Eine Diskriminierung gibt es auch jetzt bei der Einfüh-
rung der abschlagsfreien Rente mit 63, bei der Zeiten der
Langzeitarbeitslosigkeit nicht angerechnet werden.

Eine weitere Diskriminierung erfolgt bei den Renten-
ansprüchen. Wir erinnern uns: Im Jahr 2007 hat die da-
malige Große Koalition die Rentenansprüche für SGB-
II-Beziehende locker um die Hälfte mit der Begründung
gekürzt, sie seien ohnehin so niedrig. Dann hat Schwarz-
Gelb nachgesetzt und das Ganze auf null gebracht. Das
ist der Hintergrund, vor dem wir die ebenfalls 2007 von
der damaligen Großen Koalition eingeführte Zwangs-
rente bewerten müssen. Der Bezug von Arbeitslosen-
geld II bedeutet mit Blick auf die Rentenanwartschaften
wegen der jetzt gar nicht mehr gezahlten Beiträge ohne-
hin schon einen erheblichen Einbruch und in den meis-
ten Fällen ein erhebliches Absenken der zu erwartenden
Rente.

In dieser Situation kommt nun zusätzlich die vom
Kollegen Birkwald zutreffend und mit dem Beispiel, wie
ich finde, auch eindrucksvoll beschriebene Zwangsver-
rentung, die dazu führen kann, dass die Person im Alter
von 63 in die Sozialhilfe rutscht. Ich finde, dieser Aspekt
ist in dem vorliegenden Antrag gut herausgearbeitet
worden. Es wird gezeigt, was das für die geschützten
Vermögenswerte und damit für die Altersvorsorge be-
deutet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Einführung des Sozialgesetzbuches II wurden
besondere Schonbeträge für die private Altersvorsorge,
für Lebensversicherungen eingeführt, für die Riester-
Rente sowieso. Diese Beträge müssen vom 63. bis zum
67. Lebensjahr eingesetzt werden. Das heißt, der vom
Gesetzgeber damit ursprünglich verbundene Sinn wird
hier ad absurdum geführt, und das ist ein Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann Sie wirklich nur auffordern, diese 2007 getrof-
fene diskriminierende Regelung endlich abzuschaffen
und auch die anderen diskriminierenden Punkte im So-
zialgesetzbuch II anzugehen.

Ich habe eben vergessen, aufzuzählen, dass auch beim
Rechtsschutz Diskriminierung vorhanden ist. In allen
anderen Bereichen der Sozialversicherung gilt, wenn
Bescheide fehlerhaft sind und von einem Gericht aufge-
hoben worden sind, eine Rückwirkung von vier Jahren;
für vier Jahre müssen die zu Unrecht vorenthaltenen
Leistungen nachgezahlt werden. Beim SGB II haben Sie
– das war auch Schwarz-Gelb – diese Rückwirkungsfrist
einfach mal auf ein Jahr verkürzt. Ich finde in der Ge-
samtschau – davon ist die Zwangsverrentung ein Be-
standteil –: Hier werden sozialleistungsbeziehende Men-
schen von Ihnen tatsächlich zu Menschen zweiter Klasse
gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das sollten Sie jetzt wirklich nicht fortsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich frage mich auch, wie das mit der von Ihnen ge-
planten sogenannten abschlagsfreien Rente mit 63 und
mit dem zumindest verbal vor sich hergetragenen Credo
zusammenpasst, dass man die Menschen länger im Ar-
beitsleben halten will. Fakt ist doch, dass man noch nicht
einmal ab dem 63., sondern schon ab dem 60. Lebens-
jahr oder mit Ende 50 vom Jobcenter im Grunde genom-
men keine wirklich tragfähigen Angebote mehr erhält,
um in den ersten Arbeitsmarkt zurückzufinden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)






Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)

Man darf an dieser Stelle nicht kürzen, sondern man
muss investieren, auch in ältere Beschäftigte, um Akzep-
tanz und Vertrauen herzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vor diesem Hintergrund ist dieser Antrag, der sich,
wie ich finde, im Unterschied zu manchen anderen An-
trägen der Fraktion Die Linke argumentativ sehr klar auf
diesen Sachverhalt konzentriert – das ist wohltuend –,
einer, den wir im Ausschuss wirklich gründlich erörtern
sollten. Sie sollten – egal von welcher Fraktion der An-
trag nun kommt – wirklich noch einmal in sich gehen,
damit wir diese Praxis endlich beenden können.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803320900

Vielen Dank, Markus Kurth. – Nächster Redner in der

Debatte: Markus Paschke für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1803321000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
Wesentliche, das, was hängen bleibt, ist bekanntlich der
Anfang und das Ende einer Rede. Deswegen lassen Sie
mich gleich zu Beginn festhalten: Menschen vorzeitig in
Rente zu schicken, widerspricht klar den Zielen dieser
Bundesregierung, wie Sie aus vielen Beiträgen der CDU,
der CSU und der SPD wissen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Im Gegenteil: Wir wollen, dass ältere Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer genauso ihre Chance auf
dem Arbeitsmarkt haben wie die jüngeren Kolleginnen
und Kollegen; das ist das Ziel der Bundesregierung. Da-
für ist es notwendig, dass wir in den Betrieben Voraus-
setzungen für altersgerechte Arbeitsplätze schaffen. Da-
für ist es aber auch notwendig, dass die Arbeitgeber
nicht nur über den Mangel an Fachkräften reden; viel-
mehr müssen sie den erfahrenen Fachkräften auch wirk-
lich eine Chance geben,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da können wir auch klatschen!)


auch wenn sie Ende 50, Anfang 60 sind.

Es ist in den letzten Jahren schon einiges in Bewe-
gung geraten; aber die Zahlen zeigen: Da ist noch viel
Luft nach oben. Hier sind die Arbeitgeber klar in der
Verantwortung. Ältere Arbeitnehmer sind keine Bürde
und auch keine unternehmerische Belastung. Im Gegen-
teil, mit ihrer Erfahrung sind sie ein Gewinn für das Un-
ternehmen. Wir brauchen endlich ein Umdenken in un-
serer Gesellschaft,

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


ein Umdenken dahin, dass man die Leistungsfähigkeit
nicht am Alter festmacht, sondern den Menschen mit
seinen individuellen Fähigkeiten in den Mittelpunkt
stellt.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die Beschäftigungssituation älterer Menschen ist
nach wie vor unbefriedigend; denn weniger als ein Drit-
tel der 60- bis 65-Jährigen geht einer sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigung nach. An dieser Stelle
sollten wir uns vielleicht noch einmal klarmachen: Über
wen reden wir hier? Wir reden über ganz viele unter-
schiedliche Menschen mit unterschiedlichen Lebensläu-
fen.

Wir reden auf der einen Seite über ältere Arbeitneh-
mer, die vielleicht 30 oder 35 Jahre in einem Betrieb ge-
arbeitet haben und dann mit Ende 50 durch eine Insol-
venz unverschuldet arbeitslos wurden. Häufig sind das
Fachkräfte, die allein aufgrund ihres Alters oder weil sie
in einer Branche gearbeitet haben, die überproportional
stark vom Strukturwandel betroffen war, keine Chance
mehr auf dem Arbeitsmarkt erhalten haben. Spätestens
nach 24 Monaten erhielten sie dann Arbeitslosengeld II.
Viele von ihnen haben sich einen Rentenanspruch erar-
beitet, der über der Grundsicherung liegt, wenn sie die
Rente ohne Abschläge beziehen können.

Es gibt aber auf der anderen Seite auch Menschen, für
die es keine finanziellen Nachteile bringt, wenn sie vor-
zeitig in Rente gehen. Ich kenne mehrere Betroffene, die
aufgrund von Krankheit, Unfällen oder anderen ein-
schneidenden Lebensereignissen unregelmäßige Er-
werbsbiografien hatten oder die mit niedrigsten Löhnen
vorliebnehmen mussten. Deren Rente wird sie niemals
unabhängig von der Grundsicherung im Alter machen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann ist es okay, die Rente zu kürzen?)


Viele von ihnen sind froh, wenn sie sich nicht mehr den
Regeln der Jobcenter unterwerfen müssen und in Rente
gehen können.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiwillig ist das kein Problem! Es geht hier um Zwang!)


Ich habe den Kontakt zu den Menschen, und ich rede
ständig mit den Menschen. Deswegen kann ich Ihnen sa-
gen: Auch das und nicht nur die Variante, die Sie, Herr
Birkwald, beschrieben haben, wird an mich herangetra-
gen.

Aber neben den beiden Beispielen, die ich gebracht
habe, gibt es – dazwischen, rechts und links, oben und
unten – ganz viele andere Einzelschicksale. Was wir
nicht wollen, ist, eine Ungerechtigkeit zu beseitigen und
neue Ungerechtigkeiten zu schaffen.





Markus Paschke


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche neuen Ungerechtigkeiten werden geschaffen?)


Deshalb ist Eile, wie in Ihrem Antrag gefordert, nach
meiner Ansicht völlig fehl am Platze.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Anmerkungen
zu dem vorliegenden Antrag machen. Seit Anfang 2008
– das haben Sie richtig festgestellt – können Arbeitslo-
sengeld-II-Bezieherinnen und -Bezieher, die das 63. Le-
bensjahr erreicht haben, vom Jobcenter aufgefordert
werden, einen Rentenantrag zu stellen. Tun sie dies trotz
mehrfacher Aufforderung nicht, so ist das Jobcenter be-
rechtigt, den Antrag selbst zu stellen. – Bis hierhin fasst
Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Lin-
ken, den Sachstand nach § 12 a SGB II korrekt zusam-
men.

Allerdings verschweigen Sie in diesem Zusammen-
hang auch Maßgebliches. Die Grundsicherung für Ar-
beitsuchende ist ein sogenanntes nachrangiges Fürsorge-
system. Hilfe bekommt, wer hilfebedürftig ist. Das ist,
glaube ich, vom Grundsatz her auch richtig. Hilfebedürf-
tig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht aus-
reichend selbst sichern kann. Zur Sicherung des Lebens-
unterhalts werden daher vorrangig eigenes Einkommen
oder Vermögen herangezogen. Das beinhaltet grundsätz-
lich natürlich die Verpflichtung, mögliches Einkommen
auch zu erzielen. Dazu gehören Versicherungsleistungen
wie zum Beispiel die Rente. – Das ist erst einmal der
Grundsatz.

Meine Damen und Herren, Sie wissen: Von jedem
Grundsatz gibt es Ausnahmen. Es gibt auch Ausnahmen
vom Grundsatz der Nachrangigkeit dieser Fürsorgeleis-
tung. In § 12 a steht noch viel mehr, und das verschwei-
gen Sie in Ihrem Antrag leider auch. Die Ausnahmen
lauten, erstens, dass niemand vor dem 63. Lebensjahr
gezwungen werden kann, vorzeitig Rente zu beantragen,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich habe nichts anderes behauptet!)


zweitens, dass auch derjenige, der arbeitet und aufsto-
ckende Leistungen bezieht, keine Rente beantragen
muss.


(Zuruf von der LINKEN: Das wäre noch schöner!)


Drittens gilt das auch für diejenigen, die innerhalb der
nächsten Monate eine abschlagsfreie Rente beziehen
können. Auch die werden nicht aufgefordert, vorzeitig
Rente zu beantragen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht die Sache nicht besser! Das macht es eher schlimmer!)


Viertens. Auch diejenigen, die glaubhaft machen kön-
nen, dass sie demnächst ein Beschäftigungsverhältnis
aufnehmen, müssen nicht in Rente gehen. Das alles rela-
tiviert die Zahl 65 000,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele sind es denn?)

die Sie genannt haben und die ich aus meiner Erfahrung
– ich war Mitglied im Beirat eines Jobcenters – auch
grundsätzlich bezweifle; denn so viele Fälle dieser Art
gab es da nicht. In den meisten Fällen – so kenne ich das
aus dem Jobcenter, bei dem ich im Beirat war – erfolgten
diese Aufforderungen nach Absprache mit den Betroffe-
nen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele sind es denn? Sagen Sie es mir! Ich lerne gerne!)


Diese Ausnahmen – das sage ich auch – stellen zum
Teil sicher, dass keine wahllose und unzumutbare Ver-
schiebung von einer Sozialleistung in die andere stattfin-
det. Ich sage ganz bewusst: zum Teil. Denn natürlich
muss man an dieser Stelle – da haben Sie recht – genau
hinschauen. Derzeit wird bei den Aufforderungen der
Jobcenter, Rente zu beantragen, zum Beispiel nicht die
Höhe des Rentenanspruchs – die Höhe der Abzüge – be-
rücksichtigt, der dadurch entstehen würde. Auch persön-
liche Lebenslagen bleiben unberücksichtigt.

Das alles kann zur Folge haben, dass Betroffene auf-
grund der Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenbe-
zug dauerhaft auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, das ist wirklich ein Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn es ist weder im Sinne der Betroffenen noch im
Sinne des Staates, wenn hier eine Bedürftigkeit neu ge-
schaffen wird – und diese dann auch noch im wahrsten
Sinne des Wortes lebenslang. Bis zum Erreichen der Al-
tersgrenze – das haben Sie richtig dargestellt – bestünde
Anspruch auf Sozialhilfe und danach auf Grundsiche-
rung im Alter. Diese Gefahr gilt es zu bannen. Ich
glaube, wir sind uns in der Regierungskoalition einig,
dass wir da konstruktiv an Lösungen arbeiten werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier muss mit Au-
genmaß und Präzision gearbeitet werden. Wir wollen
nicht – ich sagte es bereits – eine Ungerechtigkeit besei-
tigen und zehn neue schaffen. Es gibt viele Dinge, die in
diesem Zusammenhang abzuwägen sind. Viele unter-
schiedliche Lebensverläufe sind zu berücksichtigen.
Aber das Ziel ist klar: Wir wollen, dass möglichst we-
nige Menschen von Transferleistungen abhängig sind.
Das ist im Interesse der betroffenen Menschen, und das
ist auch im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollten die Betroffenen vielleicht selber entscheiden!)


Deshalb arbeitet diese Bundesregierung auch aktiv an
Lösungen auf vielen Ebenen. Deshalb haben wir das
Rentenpaket mit der Möglichkeit auf den Weg gebracht,
ab 63 abschlagsfrei in Rente zu gehen.


(Beifall bei der SPD)






Markus Paschke


(A) (C)



(D)(B)

Das wird nicht allen, aber vielen Betroffenen helfen, Ab-
schläge von ihrer Rente zu vermeiden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht den Betroffenen, von denen die Rede ist!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803321100

Herr Kollege Paschke, erlauben Sie eine Zwischen-

frage oder Bemerkung von Herrn Birkwald?


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1803321200

Aber gerne.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803321300

Gut.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803321400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr

Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie ha-
ben eben die Rente ab 63 und das Rentenpaket angespro-
chen. Ich gehe davon aus, dass Sie die Unbilligkeitsver-
ordnung kennen, in der Situationen benannt werden,
wann der betreffende Paragraf nicht angewandt werden
darf. Inhaltlich haben Sie schon ein paar genannt.

Sie haben eben auch schon erwähnt, dass, wenn je-
mand eine abschlagsfreie Rente in Aussicht hat, die
Zwangsverrentungsregelung nicht gilt. So weit, so gut.
Wenn die Rente ab 63, wie sie im Entwurf des Rentenpa-
kets bisher vorgesehen ist, kommt, wird in Zukunft je-
mand, der 1954 geboren ist – er kann dann nämlich im
Alter von 63 Jahren und vier Monaten abschlagsfrei in
Rente gehen –, wegen eines Monats, den sie oder er
nicht schafft, in die Zwangsverrentung geschickt wer-
den.

Ich weiß nicht, ob Ihnen das bewusst ist. Die Ab-
schläge betragen dann übrigens schon 9,6 Prozent – und
das auch ein ganzes Leben lang. Dieses Beispiel, das ich
jetzt angeführt habe, gilt für den Jahrgang ’54, gleicher-
maßen aber auch für andere Jahrgänge. Deswegen sage
ich: Nehmen Sie den Namen der Unbilligkeitsverord-
nung ernst. Diese Zwangsverrentung ist unbillig.

Schaffen Sie sie einfach ab! Ich kann nicht erkennen,
wo Sie neue Ungerechtigkeiten schaffen, wenn die Er-
werbslosen, die arbeiten wollen, so lange Arbeitslosen-
geld – in dem Fall dann Arbeitslosengeld II – bekommen
statt der Rente, wie sie es für sich entscheiden. Lassen
Sie den Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht, damit
sie selber entscheiden können, wann sie in die Rente ge-
hen wollen und wann nicht! Sagen Sie mir einen Grund,
der dagegen spräche!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1803321500

Herr Birkwald, ich habe schon in meinem Beitrag

deutlich gemacht, dass wir das Problem durchaus sehen.
Ich hatte gerade angefangen, einige Punkte aufzuzählen
– der erste war die Rente mit 63; ich werde gleich noch
einige mehr erwähnen –, die zeigen sollen, wo wir das
Thema anpacken. Die Rente mit 63 wird für viele der
Betroffenen dazu führen, dass sie keine abschlagsfreie
Rente bekommen. Ich habe in meinem Beitrag gesagt,
dass ich ganz optimistisch bin – das hat Frau Voßbeck-
Kayser ja auch schon gesagt –, dass wir eine gute Rege-
lung finden werden, die alle diese Dinge berücksichtigt.
Ich bin aber nicht dafür, dass wir das so, wie in Ihrem
Antrag, hopplahopp machen, sondern ich glaube, wir
sollten schon präzise und gut arbeiten. Sie können uns
vertrauen. Wir kriegen da schon etwas hin.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ganz einfach! Lassen Sie uns zur Rechtslage zurückkehren! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man braucht den Menschen nur die Würde und die Selbstbestimmung zurückzugeben! Das reicht!)


Ich hatte gerade angefangen, an einem Beispiel zu
erläutern, was wir tun, um die Situation der Menschen zu
verbessern. Das war die Möglichkeit, mit 63 abschlags-
frei in Rente zu gehen. Aber das ist ja nicht alles. Wir
haben erhebliche Verbesserungen bei der Erwerbsminde-
rungsrente auf den Weg gebracht. Wir führen den Min-
destlohn ein und erleichtern die Allgemeinverbindlich-
keit von Tarifverträgen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist ja nicht das Thema!)


Wir werden den Missbrauch bei Leiharbeit und Werk-
verträgen bekämpfen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um Zwangsverrentung!)


Wir werden ein Gesetz für eine solidarische Lebensleis-
tungsrente auf den Weg bringen. Sie sehen: Wir haben
schon viel auf den Weg gebracht, und wir haben auch
noch vieles vor, viele Schritte zu mehr Gerechtigkeit und
zu einer echten Perspektive für viele Menschen. Deshalb
sage ich: An dieser Stelle ist Eile völlig fehl am Platze.
Um eine verlässliche und nachhaltige Regelung zu erar-
beiten, braucht es Besonnenheit und ein verantwortungs-
volles Vorgehen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803321600

Und das Ende Ihrer Rede.


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1803321700

Ich komme jetzt zum Schluss. Erst denken, dann han-

deln und reden, das haben mir meine Eltern beigebracht,
ein Satz, der, glaube ich, in allen politischen Zusammen-
hängen seine Gültigkeit hat. In diesem Sinne – davon bin
ich überzeugt – werden wir gemeinsam mit unserem
Koalitionspartner eine vernünftige Regelung finden, wie
wir zukünftig Ungerechtigkeiten vermeiden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803321800

Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Jutta

Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1803321900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Beschäftigungssituation älterer Menschen
hat sich in den letzten Jahren in der Bundesrepublik
Deutschland deutlich verbessert. Sowohl der Fachkräfte-
mangel als auch die gute Konjunkturlage fördern die
gute Entwicklung. All das haben wir auch schon zum
Jahreswirtschaftsbericht gehört. Ich möchte es an dieser
Stelle aber gerne noch einmal unterstreichen.

Die Arbeitslosigkeit bei den unter 50-Jährigen ist
gesunken, die Beschäftigungsquote ist gestiegen. Die
Arbeitslosenquote bei den über 55-Jährigen ist in den
letzten zehn Jahren um 10 Prozent zurückgegangen. Das
ist gut, wenn auch im Vergleich – das haben die Vorred-
ner ja schon ausgeführt – mit dem allgemeinen Rück-
gang etwas geringer. Die Erwerbsbeteiligung steigt seit
Jahren an. Zwischen 2002 und 2012 ist die Quote bei
den 55- bis 59-Jährigen um gut die Hälfte gestiegen. Bei
den 60- bis 64-Jährigen hat sich die Quote seit 2002 auf
49,6 Prozent fast verdoppelt. Besonders möchte ich hier
hervorheben, dass der Anteil der Frauen in diesem Fall
stetig gestiegen ist. – Das sind für mich gute Entwick-
lungen. Aber solange die tatsächliche Beschäftigungs-
quote Älterer immer noch deutlich niedriger liegt als die
allgemeine Gesamtquote, können wir natürlich noch
nicht zufrieden sein.

Noch ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt leider nicht
so, dass ältere Beschäftigte schnell wieder eine neue
Beschäftigung finden. Ältere haben zwar ein geringeres
Risiko, arbeitslos zu werden. Aber sie haben auch
schlechtere Chancen als Jüngere, wieder in Beschäfti-
gung zu kommen. Da es leider immer noch knapp 1 Mil-
lion Ältere in Deutschland gibt, die arbeitslos sind, ha-
ben wir im Koalitionsvertrag festgehalten:

Die Erwerbstätigen- und die Beschäftigungsquote
der über 50-Jährigen steigt seit einem Jahrzehnt
kontinuierlich an. Deutschland ist bei der Beschäf-
tigung Älterer mittlerweile Vizeeuropameister
hinter Schweden. Diese Erfolgsgeschichte der
steigenden Beteiligung Älterer am Erwerbsleben
wollen wir fortschreiben. Unser Ziel ist eine
moderne und wettbewerbsfähige Gesellschaft des
langen Lebens und Arbeitens.

Wir müssen also noch intensiver bei Unternehmen wer-
ben – das hat der Kollege Paschke gerade gesagt – und
auch weiterhin sinnvolle, öffentlich geförderte Unter-
stützung leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-
rung hat dafür bereits 2007 richtige Maßnahmen auf den
Weg gebracht. Das Ziel war und ist, die berufliche Wie-
dereingliederung und Integration älterer Arbeitnehmer
zu verbessern. Das ist uns auch gelungen. Beispielhaft
nenne ich hier die Eingliederungszuschüsse im SGB III,
also den Zuschuss zum Arbeitsentgelt. Das ist unserer
Meinung nach ein wirklich gutes Instrument, das wir mit
der Instrumentenreform 2012 noch zielgenauer und ef-
fektiver gestaltet haben. Für ältere Arbeitnehmer ab dem
50. Lebensjahr haben wir die Förderdauer auf bis zu
36 Monate verlängert. Auch für die behinderten Men-
schen in diesem Land haben wir deutliche Verbesserun-
gen erreicht. Darüber hinaus brauchen wir natürlich auch
weiterhin spezielle Förderprogramme. Hier nenne ich als
Beispiel das Programm „Perspektive 50plus“, das im
Jahre 2015 ausläuft. Damit konnten etliche langzeitar-
beitslose Frauen und Männer zwischen 50 und 64 Jahren
wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt zurückfinden.

Insgesamt sind wir mit all unseren Maßnahmen, den
aktuellen und denjenigen, die wir neu entwickeln
werden, auf dem richtigen Weg. Unser Ziel ist es, ältere
Arbeitnehmer nicht in die Rente zu führen, sondern in
den ersten Arbeitsmarkt zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus diesem Grund haben wir 2008 die auslaufende 58er-
Regelung ersetzt. Ich brauche an dieser Stelle nichts
dazu zu sagen; denn das wurde heute schon in einigen
Reden erwähnt.

Auf einen Punkt möchte ich aber gerne noch einge-
hen. Die Linken sprechen immer wieder von Zwangs-
verrentung.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es ist doch so! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Das ist ein vollkommen irreführender Begriff. Sie unter-
stellen damit eine absichtliche Benachteiligung.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es ja!)


Das ist es aber nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch!)


Man muss unterscheiden zwischen persönlich erworbe-
nen Ansprüchen, beispielsweise in der Rentenversiche-
rung, und Leistungen der Allgemeinheit bei Hilfebedürf-
tigkeit, zum Beispiel nach dem SGB II. Bei der
Sozialhilfe – damit komme ich zum Schluss –, die eine
nachrangige Hilfe ist, wird es mit uns keine Veränderung
geben.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann auch Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz haben!)


Wir müssen an dieser Stelle beachten, dass die beiden
Systeme unterschiedlich finanziert werden. Man kann
aus ideologischen Gründen eine andere Meinung dazu
haben. Aber unsere Haltung in dieser Frage ist seit
vielen Jahren ganz klar.

Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803322000

Danke, Frau Kollegin. – Letzte Rednerin in dieser

Debatte ist Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1803322100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem

Antrag der Fraktion Die Linke scheint es sich auf den
ersten Blick um eine sozialrechtliche Feinheit zu han-
deln. Doch der Antrag betrifft der Logik nach die Idee
unseres Sozialstaats im Kern; denn das, was hier zur
Debatte steht, ist das Prinzip der Subsidiarität. Dieses
Prinzip setzt auf Selbstbestimmung und die Entfaltung
individueller Fähigkeiten,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können selbst bestimmen, wann sie in Rente gehen!)


und – das ist nicht davon zu trennen – es betont die
Selbstverantwortung. Genau das unterscheidet unseren
freiheitlichen Sozialstaat auch von einem sozialistischen
Staat, der ja nur den Staat kennt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist genau das Gegenteil! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, wir sind für Selbstbestimmung, Sie sind dagegen! So sieht es aus!)


Während nach Ihren Vorstellungen alle in ein soziales
Netz fallen, werden die Menschen in unserem heutigen
modernen Sozialstaat von vielen kleinen Netzen auf-
gefangen. Das macht unseren Sozialstaat konjunktur-
unabhängiger, stabiler und krisenfester.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Staat hilft, wenn Hilfe nottut, und zwar nach
dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ich sage das, damit
klar wird, warum Ihr Antrag der Logik unseres Sozial-
staates widerspricht und deshalb nicht zu befürworten
ist. Das gerade erklärte Subsidiaritätsprinzip bedeutet
nämlich für Ihr konkretes Anliegen Folgendes – da
müssen Sie durch, Herr Birkwald; Sie waren auf unsere
Antworten gespannt, deswegen hören Sie es jetzt leider
zum wiederholten Mal –:


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Problem! Ich höre Ihnen gerne zu, Frau Kollegin!)


Die Grundsicherung für Arbeitsuchende, um die es hier
geht, ist ein nachrangiges Fürsorgesystem. Es greift nur,
wenn Menschen hilfebedürftig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt hat er es vielleicht begriffen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803322200

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

Bemerkung von Herrn Markus Kurth?

Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1803322300

Ja, bitte.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803322400

Gut.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803322500

Frau Dr. Freudenstein, haben Sie schon einmal zur

Kenntnis genommen, dass es auch in einem subsidiären
Sozialhilfesystem durchaus begründete und plausible
Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz geben kann?
Wenn man zum Beispiel eine Entschädigung aufgrund
einer erlittenen Körperverletzung oder eines Unfalls er-
hält, dann wird das nicht angerechnet. Wenn man zum
Beispiel Blindengeld erhält oder einen Nachteilsaus-
gleich bekommt, gibt es auch eine Ausnahme vom
Nachrangigkeitsgrundsatz.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!)


Es wäre ein Leichtes, für diesen speziellen Fall des
Rentenbezugs ebenfalls eine Ausnahme vom Nach-
rangigkeitsgrundsatz in das Gesetz aufzunehmen, ohne
deswegen den Grundgedanken der Subsidiarität auszu-
höhlen und ohne die Logik des Sozialrechtssystems nach
SGB II zu zerstören. Es ist außerdem nicht ein System
der Sozialhilfe. Das Arbeitslosengeld II dient gerade
dazu, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Inso-
fern ist es etwas anderes als das SGB XII.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist eine Sozialleistung!)


Wollen Sie nicht zugeben, dass es sehr wohl begründete
Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz geben kann?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1803322600

Ich nehme das Subsidiaritätsprinzip zur Kenntnis,

ziehe aber ganz offensichtlich andere Schlüsse daraus als
Sie. Auch bei diesem System, über das wir heute reden,
gibt es Ausnahmen. Über die haben wir gerade gespro-
chen. Sie sind gut begründet und auch richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ein Bürger, der als Hilfebedürftiger Leistungen
nach SGB II bezieht, nun die Möglichkeit hat, eine
selbst erworbene Altersrente zu beziehen und sich so den
Lebensunterhalt durch ein vorrangiges Prinzip der sozia-
len Sicherung finanzieren kann, dann ist auch eine Ver-
pflichtung dazu richtig und in unserem Sinne.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es ist nicht in unserem Sinne!)


– In unserem schon.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Diese Verpflichtung zur Altersrente ist jedoch nicht
so schlicht konstruiert, wie Sie es darstellen. Es gibt
durchaus Ausnahmen. So sind Leistungsberechtigte, die
einer Erwerbstätigkeit nachgehen und das Arbeitslosen-





Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

geld II nur zusätzlich beziehen, die Aufstocker, nicht zu
dieser vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Ausgenom-
men sind auch Arbeitslose, die innerhalb der nächsten
Monate eine abschlagsfreie Rente beziehen können.
Auch die, die in naher Zukunft eine Erwerbstätigkeit
aufnehmen werden, fallen nicht unter die Regelungen.
Damit stellen wir sicher, dass Erwerbstätige nicht vor-
zeitig aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden.

Doch zurück zu Ihrem Antrag. Sie packen das Pro-
blem nicht an der Wurzel an. Das Problem ist nämlich,
dass die Menschen Arbeit brauchen und dies der einzige
Ansatz ist, womit man den Menschen wirklich helfen
kann. Genau dort wollen wir ansetzen. Die Bekämpfung
der Langzeitarbeitslosigkeit steht ganz oben auf der
Agenda der Großen Koalition. Uns liegt daran, dass die
Menschen die Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft hinter
sich lassen können.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Arbeitslosigkeit der Älteren steigt, seit Sie regieren!)


Wir wollen den Menschen wieder eine echte Perspektive
geben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803322700

Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/589 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Interfraktionell ist vereinbart, wie bereits angekün-
digt, den Tagesordnungspunkt 11 und den Zusatzpunkt 8
zu tauschen. Wir werden jetzt also über Tagesordnungs-
punkt 11 – da geht es um die Transparenz bei Rüstungs-
exportentscheidungen – beraten. Der an dieser Stelle
vorgesehene Zusatzpunkt 8 wird im Anschluss an den
Tagesordnungspunkt 11 aufgerufen. – Auch dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie die Zu-
satzpunkte 9 und 10 auf:

11 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Mehr Transparenz bei Rüstungsexportent-
scheidungen sicherstellen

Drucksache 18/1334

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van
Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Für ein generelles Verbot des Exports von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern

Drucksache 18/1348
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka
Brugger, Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Echte Transparenz und parlamentarische Be-
teiligung bei Rüstungsexportentscheidungen
herstellen

Drucksache 18/1360

Ich kündige an, dass über den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen später namentlich abgestimmt
wird.

Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die
Aussprache 38 Minuten vorgesehen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Klaus-Peter
Willsch für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1803322800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Wir debattieren heute den An-
trag der Koalition mit dem Titel „Mehr Transparenz bei
Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen“. Bereits in
unserem Koalitionsvertrag haben wir hierzu festgehal-
ten:

Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte
Drittstaaten sind die im Jahr 2000 beschlossenen
strengen „Politischen Grundsätze für den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“
für unser Regierungshandeln verbindlich. Über ihre
abschließenden Genehmigungsentscheidungen im
Bundessicherheitsrat wird die Bundesregierung den
Deutschen Bundestag unverzüglich unterrichten.
Die Entscheidung darüber, wem gegenüber die Un-
terrichtung erfolgt, liegt beim Deutschen Bundes-
tag. Darüber hinaus werden wir die Transparenz
gegenüber Parlament und Öffentlichkeit durch Vor-
lage des jährlichen Rüstungsexportberichtes noch
vor der Sommerpause des Folgejahres und eines zu-
sätzlichen Zwischenberichts verbessern.

So weit der Koalitionsvertrag. – Heute liefern wir. Mit
unserem Antrag wollen wir genau dies umsetzen. Erst
vor einigen Wochen haben wir über den Rüstungsexport-
bericht 2012 diskutiert – zugegebenermaßen etwas spät;
aber Sie wissen, dass es durch die Bundestagswahl und
die Regierungsbildung zu einer Verzögerung kam. Das
wollen wir in Zukunft zügiger machen.

Der Rüstungsexportbericht soll zukünftig vor Beginn
der parlamentarischen Sommerpause des Folgejahres
veröffentlicht werden. Zusätzlich hat die Bundesregie-
rung im Herbst eines jeden Jahres einen Zwischenbericht
für das erste Halbjahr des laufenden Jahres zu veröffent-
lichen. Das macht die parlamentarische Nachkontrolle
dichter und erhöht die Transparenz.

Darüber hinaus soll der Bundestag über abschlie-
ßende Genehmigungsentscheidungen des Bundessicher-
heitsrates unverzüglich, spätestens zwei Wochen nach





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

Tagung des Bundessicherheitsrates, schriftlich unterrich-
tet werden.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann tagt er denn?)


In dieser Unterrichtung sollen tabellarisch folgende In-
formationen aufgelistet werden: die Art des Exportgutes,
die Anzahl der genehmigten Güter und das Endempfän-
gerland. Die Unterrichtung geht an den federführenden
Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Dieser wiederum
wird die Unterrichtung als Ausschussdrucksache an
seine Mitglieder sowie an die mitberatenden Ausschüsse
entsprechend der Ressortbesetzung des Bundessicher-
heitsrates weiterleiten. Dazu zählen der Auswärtige Aus-
schuss, der Innenausschuss, der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz, der Haushalts-, der Finanz- und der
Verteidigungsausschuss sowie der Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es soll
also eine sehr breite und sehr frühe Information über ein
Thema, das in der Öffentlichkeit nicht ganz einfach zu
handhaben ist, zur Verfügung gestellt werden, wobei wir
immer darauf achten müssen, dass wir die Interessen
Deutschlands und die Firmeninteressen gleichermaßen
wahren. Es gilt aber auch, die Interessen von Partnerlän-
dern, die Gegenstand von Entscheidungen des Bundessi-
cherheitsrates sind, zu wahren.

Der gelegentlich genährten Vermutung, dass alles
leichtfertig geschehe, will ich entgegnen, dass das ganz
und gar nicht der Fall ist. Der Rüstungsexportpolitik lie-
gen, wie schon genannt, die Politischen Grundsätze vom
19. Januar 2000 zugrunde, damals unter Rot-Grün verab-
schiedet. Jede Rüstungsexportentscheidung ist eine Ein-
zelfallentscheidung. Gemäß dem Außenwirtschaftsge-
setz und der Außenwirtschaftsverordnung ist die
Ausfuhr aller Rüstungsgüter genehmigungspflichtig. Die
Prüfung und die Genehmigung der Ausfuhr von Kriegs-
waffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegen dem
Bundessicherheitsrat, dessen Zusammensetzung ich vor-
hin schon angesprochen habe.

Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handelt
es sich also nicht um einen formellen Akt. Es gibt keinen
Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung. Je-
der Einzelfall wird im Lichte der zugrunde liegenden
Gesetze und Vereinbarungen geprüft: zum Ersten des
Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen, zum
Zweiten des Außenwirtschaftsgesetzes über Exporte von
Kriegswaffen und sonstigen Wirtschaftsgütern, zum
Dritten des Verhaltenskodexes der Europäischen Union
für Waffenausfuhren und der Prinzipien zur Regelung
des Transfers konventioneller Waffen der OSZE. Wir
sind also in ein dichtes Geflecht gegenseitiger Verbind-
lichkeiten und Verpflichtungen eingetreten und orientie-
ren uns daran.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gegenseitige Bestechung!)


Eine herausragende Bedeutung für die Genehmigung
von Rüstungsgütern ist die Beachtung der Menschen-
rechte im Empfängerland. Rüstungsexporte werden
grundsätzlich nicht genehmigt, wenn der hinreichende
Verdacht besteht, dass damit interne Repressionen oder
sonstige Menschenrechtsverletzungen ausgeübt werden.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Willsch! Da wird grundsätzlich genehmigt, auch wenn Menschenrechte verletzt werden! Mein Gott!)


Der Export an Nicht-EU-, Nicht-NATO-Staaten wird äu-
ßerst restriktiv gehandhabt. Eine Genehmigung wird nur
in Ausnahmefällen erteilt.

Im Rahmen dieser restriktiven Genehmigungspraxis
für Drittländer können natürlich – und das ist notwendig –
legitime Sicherheitsinteressen solcher Länder im Einzel-
fall für die Genehmigung einer Ausfuhr sprechen. Dies
kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die jeweiligen
Sicherheitsinteressen auch international von Belang sind,
beispielsweise bei der Abwehr terroristischer Bedrohun-
gen oder der Bekämpfung des internationalen Drogen-
handels. Gerade bei Marinegütern ist vor dem Export in
Drittländer zu prüfen, ob ein Interesse der Staatenge-
meinschaft an sicheren Seewegen vorliegt und ob eine
effektive Ausübung der jeweiligen Staatsgewalt in den
Küstengewässern als wichtiger Aspekt angesehen wer-
den kann. Gerade wir als Nation, die auf den Welthandel
ausgesprochen angewiesen ist und die davon profitiert,
haben ein hohes Interesse daran, dass der Welthandel
funktioniert.

Es gibt eine ganze Reihe von Waffenembargos; bei-
spielsweise sind Waffenlieferungen nach Syrien ausge-
schlossen. Aber es gibt auch nicht nachvollziehbare No-
Gos. Dass Taiwan von uns keine Waffen bekommen
kann, die USA aber gleichwohl dorthin liefern, ist schon
fast absurd. Taiwan, der Leuchtturm der Demokratie im
asiatischen Bereich, hätte das gleiche Schicksal ereilt
wie andere Länder, zum Beispiel Tibet, wenn es nicht in
der Lage gewesen wäre, sich zu verteidigen.

Unsere Rüstungsexportpolitik hat auch in Betracht zu
ziehen, dass wir in diesem Bereich eine wettbewerbsfä-
hige Industrie haben, die hervorragende Güter hervor-
bringt, und dass wir mit unserer reduzierten Bundeswehr
selbst nicht mehr für den nötigen Umsatz sorgen können.
Auch viele Partnerländer innerhalb der NATO und der
EU können nicht mehr die erforderlichen Beiträge für
die Landesverteidigung aufbringen. Damit sind Märkte
weggebrochen. Wir müssen uns auch darüber Gedanken
machen, wie wir unsere technologischen Fähigkeiten er-
halten können, um in dieser Kernfunktion des Staates
nicht von Dritten abhängig zu sein.

Schauen Sie sich die Lage in der Ukraine an, die wir
momentan alle mit Sorge und gespannter Aufmerksam-
keit verfolgen. Sie hat bereits dazu geführt, dass Schwe-
den angekündigt hat, seine Verteidigungsausgaben zu er-
höhen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803322900

Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwi-

schenfrage oder -bemerkung der Kollegin Keul akzeptie-
ren?






(A) (C)



(D)(B)


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1803323000

Jederzeit gerne.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803323100

Echt? – Gut.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803323200

Vielen Dank, Herr Kollege Willsch. Sehr großzügig!

– Wenn ich die Gründe rekapituliere, die Ihrer Meinung
nach für Rüstungsexporte sprechen – Sie haben sie ge-
rade aufgezählt: vom Kampf gegen Terrorismus über
Selbstverteidigung bis hin zu wirtschaftlichen Grün-
den –, möchte ich Sie fragen: Fällt Ihnen irgendein Ort
auf dieser Welt ein, an den man nach diesen Kriterien
nicht liefern würde?


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1803323300

Dazu fallen mir natürlich Orte ein, Frau Kollegin.

Wichtig ist, dass sich die Waffen, die wir liefern, nicht
gegen uns selbst oder gegen unsere Verbündeten richten
sollen und dürfen. Wichtig ist, dass wir nicht an Staaten
liefern, die im Verdacht stehen, als Zwischenhändler auf-
zutreten, die Sachen also weiterzuleiten.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte gerne ein Beispiel!)


Damit ist der Bogen geschlagen. Das macht deutlich,
dass es neben den Ländern, in die wir aus außen- und si-
cherheitspolitischen Gründen nach sorgfältiger Prüfung
liefern, jede Menge Länder gibt, die dafür nicht in Be-
tracht kommen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches denn? Ein Beispiel! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie doch einmal eines!)


Danke für die Frage.

Lassen Sie mich meinen Gedanken zum Thema Rüs-
tungsbereitschaft bzw. Verteidigungsbereitschaft zu
Ende führen. Fogh Rasmussen hat zu Recht gesagt: An-
gesichts des Nichtfunktionierens des Schutzverspre-
chens, das die Ukraine 1994 im Budapester Memoran-
dum erhalten hat, müssen wir uns überlegen, ob die Idee
vom ewigen Frieden vielleicht eine Illusion war. Er hat
gesagt, dass wir die Bereitschaft, das eigene Land zu
verteidigen, mit entsprechender Technologie und ent-
sprechender Ausrüstung unterlegen müssen. Fast alle
Mitgliedstaaten der NATO sind – leider – weit davon
entfernt, die eingegangene Selbstverpflichtung, 2 Pro-
zent des Bruttoinlandsprodukts als Ausgaben für die
Verteidigung bereitzustellen, zu erfüllen. Auch wir ge-
ben dafür zu wenig aus.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transparenz bei Rüstungsexporten!)


Ich denke, wir sollten die krisenhafte Zuspitzung, die wir
in Europa gegenwärtig erleben, zum Anlass nehmen –
auch mit Blick auf Länder, die erst später der NATO bei-
getreten sind und vielleicht darüber nachdenken, ob das
NATO-Schutzversprechen wirklich für alle gleicherma-
ßen gilt –, die notwendigen Mittel in diesem Bereich
aufzuwenden. Es gilt der alte Grundsatz: Jedes Land hat
eine Armee in seinem Land, entweder die eigene oder
eine fremde.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803323400

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Jan

van Aken für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803323500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Willsch, Sie haben echt gar keine Ahnung.


(Beifall bei der LINKEN)


Das, was Sie hier gerade erzählt haben, war richtig
schlimm. Gleich am Anfang sagten Sie: Wir müssen die
Interessen der Bundesrepublik und der Industrie glei-
chermaßen berücksichtigen. Das ist an sich schon falsch.
Sie dürfen das nicht einmal.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben hier die politischen Grundsätze der Bundesre-
gierung zu Rüstungsexporten zitiert. Darin steht aus-
drücklich, dass ökonomische Interessen keine Rolle
spielen dürfen. Sie haben hier aber genau das Gegenteil
gesagt. Das heißt: Sie interessieren sich überhaupt nicht
für die Rechtslage. Sie interessieren sich überhaupt nicht
dafür, was mit diesen Waffen passiert. Sie interessieren
sich überhaupt nicht dafür, dass alle 60 Sekunden ir-
gendwo auf der Welt ein Mensch durch Waffengewalt
stirbt. 500 000 Frauen, Männer und Kinder sterben im
Jahr durch Waffengewalt, auch durch deutsche Waffen,
und das wird weiterhin so sein, weil Sie, Herr Willsch,
und Ihre Fraktion hier gleich wieder beschließen wer-
den, dass die deutschen Waffenexporte auch künftig ein
Rekordniveau erreichen werden; und das finde ich
falsch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben hier einen Antrag vorgelegt – das gilt für
CDU/CSU und SPD gemeinsam –, der nichts, aber auch
gar nichts daran ändern wird, dass auch weiterhin überall
auf der Welt Menschen mit deutschen Waffen getötet,
gefoltert, unterdrückt, verstümmelt werden. Da draußen
sterben Menschen, jeden Tag, immer wieder, auch durch
deutsche Waffen, weil Sie nicht bereit sind, Waffenex-
porte zu verbieten. So einfach ist das, und so brutal ist
das. Das wollen wir ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Gerade Sie von der SPD haben hier in den letzten Jah-
ren das Maul weit aufgerissen: gegen die Lieferung der
Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien, gegen Waffenex-





Jan van Aken


(A) (C)



(D)(B)

porte an Menschenrechtsverletzer. Und jetzt? Was legen
Sie hier vor? Angesichts dieses Antrags müssten Sie ei-
gentlich alle vor Scham im Boden versinken.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie unternehmen nicht einmal den Versuch, die Export-
genehmigung für Waffen an irgendeiner Stelle einzu-
schränken. Das Einzige, was Sie tun wollen, ist, etwas
mehr Informationen über Waffenexporte zu geben. Das
ist ja gut. Ich finde es in Ordnung, dass Sie jetzt zweimal
im Jahr statt nur einmal im Jahr einen Bericht über Ihre
ganzen Waffenexporte abliefern. Sie wissen aber ge-
nauso gut wie ich: Transparenz allein verhindert keinen
einzigen Waffenexport. Wer etwas anderes behauptet,
der lügt oder träumt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wissen Sie: Ich bin jetzt seit vier Jahren hier im Bun-
destag im Auswärtigen Ausschuss. In all den vier Jahren
habe ich eines immer wieder gesehen: Wenn irgendwo
auf der Welt geschossen wird, sehen Sie auch deutsche
Waffen, manchmal an Orten, da müssen Sie es selbst vor
Ort gesehen haben, um es überhaupt glauben zu können.
Ich war neulich in Syrien. Was fällt mir da in die Hände?
Die Überreste einer deutsch-französischen Panzerab-
wehrrakete, einer MILAN-Rakete, die zum Teil in
Deutschland produziert worden ist. Deutschland hätte
verhindern können, dass sie exportiert wird. Wer hat im
syrischen Bürgerkrieg mit dieser deutsch-französischen
MILAN-Rakete gekämpft? Al-Qaida. Das muss man
sich einmal vorstellen: Al-Qaida kämpft in Syrien mit
deutschen Waffen, weil irgendwann eine Bundesregie-
rung einen solchen Waffenexport genehmigt hat. Ich
finde das schändlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie, Herr Willsch – das ist der genialste Satz des Ta-
ges –, haben gerade gesagt: Na ja, das darf nicht an Län-
der oder an Personen geliefert werden, die diese Waffen
gegen uns richten. – Wissen Sie gar nicht, dass die Tali-
ban in Afghanistan mit deutschen Waffen kämpfen, dass
die mit deutschen Waffen auf deutsche Soldaten und auf
die afghanische Bevölkerung schießen? Das ist die Rea-
lität Ihrer Waffenexportpolitik.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nehmen Sie den Südsudan. Sie alle haben doch heute
den Bericht von Amnesty International über die furcht-
baren Verbrechen, die gerade im Südsudan stattfinden,
gelesen. Ich habe dabei die ganze Zeit ein Bild im Kopf,
und zwar ein Foto von Kindersoldaten im Sudan, kleine
Jungs in Reih und Glied aufgestellt, und alle haben ein
deutsches Sturmgewehr in der Hand. Dieses deutsche
Sturmgewehr wird jetzt im Sudan dafür benutzt, um Zi-
vilisten zu töten, zu foltern, zu vergewaltigen, weil ir-
gendwann einmal eine Bundesregierung einen entspre-
chenden Waffenexport genehmigt hat. Das muss
aufhören.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Was ist mit den russischen Waffen, Herr van Aken? – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist genauso falsch!)


Jetzt zur SPD. Das, was ich in den letzten Wochen
und Monaten von Ihrem Herrn Gabriel hinsichtlich Waf-
fenexporten gehört habe, war alles nur heiße Luft. In der
Ukraine-Krise – das war das Härteste, was Sie getan ha-
ben – verkündete Herr Gabriel plötzlich einen Stopp der
Waffenexporte nach Russland.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Russische Waffen sind gute Waffen! Das ist Ihre Auffassung!)


Was machte er konkret? Es gab ein großes Projekt von
Rüstungsexporten nach Russland. Dazu sagte er: Das
wird gestoppt, das geht nicht weiter. Zwei Tage später
kommt heraus: Das ganze Projekt wurde schon fast voll-
ständig geliefert. Da konnte überhaupt nichts mehr ge-
stoppt werden. Dann haben wir nachgefragt, und Herr
Gabriel musste uns schriftlich geben: Na ja, wir haben
nur das eine Projekt gestoppt, alle anderen Waffenliefe-
rungen nach Russland gehen im Moment weiter. – Es
gab 297 Waffenlieferungen allein in den ersten drei Mo-
naten dieses Jahres. Das ist doch Schaumschlägerei, was
Sie da machen. Sie stoppen überhaupt keine Waffenex-
porte, sondern Sie exportieren wohin Sie wollen, was Sie
wollen und wann Sie wollen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wenn es nur so wäre! Das Gegenteil ist der Fall!)


Wenn Sie verhindern wollen, dass irgendwann einmal
wieder irgendwo auf der Welt Menschen mit deutschen
Waffen unterdrückt und getötet werden, gibt es nur eine
Lösung, und diese heißt, den Waffenexport komplett zu
verbieten. Da trauen Sie sich nicht heran, aber das ist un-
sere Forderung.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das will kein Mensch!)


Ich mache mir gar keine Illusionen – das möchte ich
zum Schluss sagen –, dass ich mit Leuten wie Herrn
Willsch oder auch Herrn Gabriel in allzu naher Zukunft
ein komplettes Verbot von Waffenexporten erreiche.
Aber das Erste, was Sie tun müssen, ist, den Export von
Kleinwaffen zu verhindern. Kofi Annan nannte Klein-
waffen einmal die Massenvernichtungswaffen dieser
Zeit. Damit werden 70, 80, 90 Prozent der Menschen in
den Kriegen dieser Welt umgebracht. Dies können Sie
verhindern. Ökonomisch – das wissen Sie genauso gut
wie ich – spielen die 100 Millionen Euro kaum eine
Rolle.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803323600

Herr Kollege.


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803323700

Ich bin gleich fertig.





Jan van Aken


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja! Zeit, ihn abzustellen!)


Diese 100 Millionen Euro im Jahr an Kleinwaffenex-
porten in alle Welt sind angesichts der riesigen deut-
schen Exportwirtschaft ein Witz. Das ist relativ wenig
Geld, aber ganz viel Tod, und den wollen wir stoppen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803323800

Bernd Westphal ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1803323900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Das, was Herr van Aken hier eben
vorgeführt hat, war schon sehr polemisch.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Kasperletheater war das!)


Ich denke, das entbehrt jeder sachlichen Debatte bei die-
sem wichtigen und für alle Abgeordneten, für jede Re-
gierung schwierigen Thema. So kann man eine solche
Debatte nicht führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte
Drittstaaten sind die im Jahr 2000 beschlossenen Rüs-
tungsexportrichtlinien immer noch Grundlage für das
Handeln der Regierung. Darüber hinaus bekennt sich die
Bundesregierung ebenso zu dem 2008 beschlossenen
Gemeinsamen Standpunkt der EU betreffend gemein-
same Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militär-
technologie und Militärgütern.

Auf dieser Grundlage betreibt die Bundesregierung
eine restriktive Politik bei Exporten von Rüstungsgütern,
und diese Politik ist auch gut so.

Die Beachtung der Menschenrechte ist für die Ent-
scheidung über Rüstungsexporte von herausragender
Bedeutung, damit ausgeschlossen werden kann, dass
Waffen an Länder geliefert werden, in denen Menschen-
rechtsverletzungen existieren oder Bürgerkrieg herrscht.
Im Koalitionsvertrag haben wir die Neuregelung der
Rüstungsexportentscheidungen verankert. Dabei geht es
uns nicht um die Vermischung von Exekutive und Legis-
lative. Die Entscheidung über Genehmigungen für Rüs-
tungsgüter ist nach Artikel 26 des Grundgesetzes der
Bundesregierung zugewiesen, und sie soll auch weiter-
hin im Kernbereich der Exekutive bleiben.

Wir als Koalition sehen allerdings, wie auch die ande-
ren Fraktionen – man sieht ja die Anträge, die gestellt
worden sind –, im Bereich der Transparenz von Rüs-
tungsexportentscheidungen Handlungsbedarf. Eine Neu-
regelung ist überfällig, weil der Rüstungskontrollbericht
in der Vergangenheit viel zu spät vorgelegt wurde, teil-
weise erst anderthalb Jahre nach dem Berichtsjahr. Wir
sind uns einig, dass es politisch wenig Sinn macht, über
Rüstungsexporte zu reden, die weit in der Vergangenheit
liegen, während in der Öffentlichkeit über aktuelle Ent-
scheidungen oder Lieferungen diskutiert wird.


(Beifall bei der SPD)


Die Grünen haben sich für eine Klage vor dem Bun-
desverfassungsgericht entschieden, um auf diesem Weg
mehr Transparenz bei Rüstungsexporten einzufordern.
Wir haben uns gegen ein Abwarten des Urteils aus
Karlsruhe entschieden. Wir haben stattdessen konstruk-
tiv gehandelt und einen gemeinsamen Antrag der Koali-
tionsfraktionen erarbeitet. Mit der Umsetzung des vorge-
legten Antrages können wir eine wirkliche Verbesserung
gegenüber der heutigen Situation erreichen.

So wird der Rüstungsexportbericht künftig noch vor
Beginn der parlamentarischen Sommerpause des Folge-
jahres veröffentlicht werden. Zusätzlich ist im Herbst je-
des Jahres ein Zwischenbericht über das erste Halbjahr
des laufenden Jahres geplant. Des Weiteren wird der
Deutsche Bundestag über die abschließenden Genehmi-
gungen des Bundessicherheitsrates unverzüglich, das
heißt innerhalb von zwei Wochen nach Tagung des Bun-
dessicherheitsrates, informiert. Was dann dort berichtet
wird, hat der Kollege Willsch schon erwähnt.

Damit setzen wir nicht nur einen weiteren Punkt aus
dem Koalitionsvertrag um. Nein, wir gehen sogar noch
darüber hinaus. Der Bundestag wird zukünftig auch über
die anschließenden Entscheidungen des Vorbereitenden
Ausschusses der Staatssekretäre informiert werden. Die
Unterrichtung durch die Bundesregierung erfolgt im für
Rüstungsexporte federführenden Ausschuss für Wirt-
schaft und Energie. Die Weitergabe erfolgt dann von
dort aus als Ausschussdrucksache an die mitberatenden
Ausschüsse.

In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden,
dass wir damit keine weiteren Geheimgremien schaffen,
sondern im Vorfeld sicherlich auch dem Rechnung tra-
gen, was in der Öffentlichkeit verlangt wird. Wir werden
also künftig eine Debatte darüber führen und diese The-
men offen und transparent in den Fachausschüssen bera-
ten können. Ich bin mir sicher, diese Maßnahmen wer-
den die Transparenz von Rüstungsexportentscheidungen
zweifelsfrei erhöhen. Ich denke im Gegensatz zu mei-
nem Vorredner, diese Transparenz wird auch dazu füh-
ren, dass man sich bei Rüstungsexportentscheidungen
dementsprechend Gedanken macht. Im Ergebnis wird
die restriktive Exportpolitik, wie in der Vergangenheit,
weiter fortgeführt. Sie können sich darauf verlassen: Mit
der SPD wird es keine Waffenlieferungen in Spannungs-
gebiete geben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803324000

Das Wort erhält nun die Kollegin Agnieszka Brugger

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die un-
kontrollierte Verbreitung von Waffen ist eine Bedrohung
für den Frieden und die Sicherheit weltweit. Denn sie
verschärft Konflikte, sie macht sie blutiger, und sie kos-
tet am Ende mehr Menschenleben. Die Entscheidung da-
rüber, ob Rüstungsexporte aus Deutschland genehmigt
werden oder nicht, ist deshalb keine politische Entschei-
dung wie jede andere auch; denn sie kann katastrophale
Folgen haben, und sie kann eben noch mehr Menschen-
leben kosten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb verdient sie besondere Aufmerksamkeit, beson-
dere Sorgfalt und besondere Kontrolle.

Meine Damen und Herren, machen wir uns noch ein-
mal klar, wie die bisherige Praxis an dieser Stelle aus-
sieht: Der Bundessicherheitsrat – im Wesentlichen eine
Reihe von Ministern der Bundesregierung – entscheidet
hinter verschlossenen Türen, im Geheimen, über Voran-
fragen der Rüstungsindustrie, und weder das Parlament
noch die Öffentlichkeit werden darüber informiert. Die
Regierung muss nicht einmal begründen, warum sie ei-
nen konkreten Export genehmigt oder ihm die Genehmi-
gung versagt.

Ich finde, in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat
ist das ein unhaltbarer Zustand, gerade in dem hochsen-
siblen und kritischen Bereich der Waffengeschäfte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Kritik, die wir Grüne schon sehr lange äußern,
wurde auch von den Kolleginnen und Kollegen von der
SPD geteilt. Wir haben in den letzten Jahren, in der Op-
positionszeit, an dieser Stelle immer wieder sehr kon-
krete gemeinsame Vorschläge gemacht, wie wir diesen
Umstand und diese Praxis verändern und verbessern
wollen und wirkliche Transparenz und Kontrolle ermög-
lichen können. Wir haben darüber diskutiert, im Bundes-
tag ein Gremium einzurichten, das sich speziell mit die-
sen Fragen auseinandersetzt, das extra unterrichtet wird,
das auch bei besonders kritischen Waffengeschäften
vorab informiert wird und auch die Möglichkeit zur Stel-
lungnahme erhält. Wir haben immer wieder darüber ge-
sprochen, dass die Rüstungsexportberichte lückenhaft
sind, dass dort viele wichtige Informationen fehlen.

In unserem heutigen Antrag bekräftigen wir noch ein-
mal diese Forderungen. Wir sind sehr gespannt, wie Sie
von der SPD sich bei der namentlichen Abstimmung
verhalten werden; denn eigentlich haben Sie all diese
Forderungen gemeinsam mit uns in den letzten Jahren
erhoben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu den Änderungen, die die Koalitionsfraktionen pla-
nen und mit ihrem Antrag vorlegen – dass der Rüstungs-
exportbericht zeitnah kommen soll, dass es zusätzlich ei-
nen Zwischenbericht geben soll, vor allem aber die
Unterrichtung des Bundestages über rechtskräftig ge-
wordene Entscheidungen des Bundessicherheitsrates –,
kann ich nur sagen: Es ist doch eine Selbstverständlich-
keit in einer Demokratie, dass eine Regierung erklärt,
was sie überhaupt entschieden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Das sind nur kleine Korrekturen. Nach wie vor ist es
eben nicht möglich, ausreichend zu kontrollieren. Ihre
Vorschläge sind unzureichend und vor dem Hintergrund
dessen, was Sie versprochen haben, wirklich eine herbe
Enttäuschung.

Meine Damen und Herren, die SPD konnte sich an
dieser Stelle nicht durchsetzen. Das ist ja auch klar. So
unengagiert wie Herr Willsch hier den Antrag der Koali-
tionsfraktionen vorgelesen hat, wird deutlich: Die Union
hätte hier lieber alles im Dunkeln gelassen.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Das tut mir jetzt einfach weh!)


Sie machen auch in vielen Plenardebatten gar keinen
Hehl daraus, dass Sie überhaupt keine Probleme damit
haben, dass es einen immer größeren Trend gibt, Waffen
in Staaten zu liefern, die eine sehr problematische Men-
schenrechtslage haben.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! So ein Quatsch!)


Auch an dieser Stelle gibt es Versprechungen der SPD
aus dem Wahlkampf und aus der Oppositionszeit: Ganz
konkret haben Sie zum Beispiel sehr massiv und sehr
stark die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien kriti-
siert. Wenn man den Presseäußerungen glauben darf,
dann hat auch Minister Gabriel – als Minister, der für
Rüstungsexporte federführend ist – diese Kritik noch
einmal bekräftigt und angekündigt, dass er an dieser
Stelle intervenieren will. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, insbesondere natürlich die Regie-
rungsmitglieder der SPD, wenn Sie schon bei den Ver-
besserungen im Bereich der Transparenz und der
Kontrolle von Rüstungsexporten gescheitert sind, dann
lassen Sie hier an dieser Stelle Ihren Worten Taten folgen
und stoppen Sie die Panzerlieferungen nach Saudi-Ara-
bien!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in den letzten Stunden
geisterten Gerüchte über die Flure des Bundestages, die
besagen – ich kann Ihnen das nicht bestätigen, es ist ja
leider geheim; das würden wir Grüne gerne ändern –,
dass gestern die erste Sitzung des Bundessicherheitsrates
seit Amtsantritt von Schwarz-Rot stattgefunden habe.
Meine Damen und Herren, wir sind an dieser Stelle
wirklich sehr gespannt, wie und ob der Bundestag über
die Ergebnisse dieser Sitzung des Bundessicherheitsrates
informiert wird. Wir sind natürlich auch sehr gespannt,
zu erfahren, wie sich diese schwarz-rote Koalition zu





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)

den Leopard-Panzern, die nach Saudi-Arabien geliefert
werden sollen, positioniert. Sagen Sie Nein zu den Pan-
zerlieferungen und damit Ja zu den Menschenrechten?


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Wir Grüne sind an dieser Stelle ganz klar: Wir wollen
einen radikalen Kurswechsel für echte Kontrolle, wirkli-
che Transparenz. Bei uns gibt es ein klares Nein zu Waf-
fenlieferungen an Staaten, die in Krisenregionen liegen,
und ein klares Nein zu Waffenlieferungen an Staaten, wo
Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803324100

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege

Andreas Lämmel das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1803324200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es ist gute Tradition hier in diesem Hause, über das
Thema Rüstungskontrolle zu diskutieren. Ich weiß gar
nicht genau, wie viele Diskussionen wir zu diesem
Thema alleine in der letzten Legislaturperiode geführt
haben, und es ist ja auch richtig, dass man immer wieder
darüber diskutiert, welche Politik in Deutschland betrie-
ben wird.

Allerdings muss man noch einmal feststellen: Herr
van Aken, mit dem, was Sie hier immer tun, verkleistern
Sie im Prinzip die Augen der Öffentlichkeit in Bezug auf
das, was Sie wirklich wollen. Wenn man Ihrer Logik fol-
gen würde, dann müsste die deutsche Rüstungsindustrie
eigentlich geschlossen werden, und wenn wir nichts ver-
kaufen könnten, dann müssten wir natürlich auch nichts
mehr produzieren, sodass wir das Gerät beispielsweise
aus Russland kaufen müssten,


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie haben da etwas nicht verstanden!)


was sich in der jetzigen Situation sehr gut machen
würde.

Ich muss hier nur einmal an Ihre Vorgängerpartei er-
innern. Sie sind ja Mitglied in einer Partei, deren Vor-
gängerin in der ehemaligen DDR lange Zeit regiert hat.

Mit den Waffen, die in dieser Zeit in die Welt expor-
tiert worden sind, wird in Afrika heute noch gekämpft,


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Das stimmt!)


mit diesen Waffen wird weiterhin in Südamerika ge-
kämpft. Ich schlage also vor: Bevor man sich hier hin-
stellt und immer wieder beschwört, dass man der Frie-
densengel der Welt ist, würde ich zumindest einmal ein
Wort darüber verlieren, dass das, was früher war, auch
falsch gewesen ist.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Völlig richtig! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wer hat das denn verkauft? Wer war das denn? Wo sind denn die Restbestände der NVA?)


Das habe ich von Ihnen aber noch nie gehört – und von
denen, die früher in der SED waren, schon gar nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt komme ich zu den Grünen. Man muss es noch
einmal ganz deutlich und laut sagen: An den Grundsät-
zen, nach denen Rüstungsexporte in Deutschland erfol-
gen, haben Sie mitgeschrieben.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind auch gute Grundsätze!)


Daran war keine CDU/CSU-Fraktion beteiligt,


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das hätten Sie nie hinbekommen, das stimmt!)


sondern Sie waren es. Gemäß diesen Kriterien wird noch
heute exportiert.

Sie sagen: Die Kriterien sind falsch.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht! Sie sind nicht falsch, aber Sie halten sich nicht daran!)


Deshalb müssten Sie zumindest einmal selbstkritisch äu-
ßern, dass Sie das, was Sie heute fordern, selbst hätten
durchsetzen können.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sehr widersprüchlich! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir üben auch Selbstkritik!)


Ich frage mich nur: Warum haben Sie das damals denn
nicht getan?

Wenn man sich die Rüstungsexporte Deutschlands
anschaut, dann muss man als Erstes feststellen: Die Rüs-
tungsexporte sind rückläufig.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Sie haben ja gar keine Ahnung! Das stimmt nicht!)


– Die Rüstungsexporte sind rückläufig. Sie können sich
ja einmal den Rüstungsexportbericht anschauen.

Man muss auch feststellen: Die deutsche Rüstungs-
industrie ist in Zeiten des Kalten Krieges entstanden.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Bundesrepu-
blik Deutschland einmal über 4 000 Panzer hatte – hinzu
kamen die Panzer, die im Osten Deutschlands standen –,
während wir heute noch über einen Bestand von unge-
fähr 240 Panzern verfügen, dann kann man sehen, wie
sehr sich die Nachfrage nach Rüstungsgütern in Deutsch-
land reduziert hat. Das Gleiche ist natürlich auch bei un-
seren NATO-Partnern der Fall. Damit sind natürlich
auch die Industriekapazitäten insgesamt geringer gewor-
den.





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir unsere eigene Truppe, unsere eigenen Sol-
daten, bei Einsätzen aller Art schützen wollen, müssen
wir ihnen aber das modernste und beste Gerät zur Verfü-
gung stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist der Grund dafür, dass Deutschland überhaupt
über eine Rüstungsindustrie verfügt, die modernstes Ge-
rät herstellt. Dass die Welt es letztendlich akzeptiert,
dass Deutschland modernstes Gerät herstellt, zeigt sich
natürlich auch an der entsprechenden Exportnachfrage.

Wenn Sie sich die Struktur der Rüstungsexporte ein-
mal genau angucken – Herr van Aken, das wissen Sie
ganz genau –, dann sehen Sie, dass die Klassifizierung
der Rüstungsgüter durchaus fragwürdig ist. Verschie-
dene Dinge, die als Rüstungsgüter bezeichnet werden,
muss man eigentlich nicht unbedingt den Rüstungsgü-
tern zurechnen. Es gibt zum Beispiel die sogenannten
Dual-Use-Güter, die man für beide Zwecke einsetzen
kann.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Das hat nichts miteinander zu tun! Sie haben überhaupt keine Ahnung!)


– Das verfälscht die Zahlen natürlich völlig. Sie operie-
ren ja immer mit den großen Zahlen, die durch die Reali-
tät aber überhaupt nicht gedeckt werden.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Dual-Use-Güter sind keine Waffen!)


Wir wollen nun die Transparenz der Entscheidungen
verbessern. Diese Forderung höre ich hier im Hause seit
Jahren. Das passt Ihnen auch wieder nicht.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt echt belämmert, was Sie hier erzählen!)


Man muss einmal fragen: Was wollen Sie denn wirklich?
Wollen Sie nun Transparenz oder nicht? Wenn Sie sie
wollen, dann müssen Sie unserem Antrag heute zustim-
men.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echte Transparenz!)


Meine Damen und Herren, wo werden denn in der
Welt Geschäfte gemacht, bei denen man über Voranfra-
gen in der Zeitung schreibt und veröffentlicht, dass die
NATO-Partner XY angefragt haben, ob sie dieses oder
jenes Gut kaufen können? Sie glauben doch in Ihrer grü-
nen Welt nicht ernsthaft, dass so etwas überhaupt funk-
tionieren kann.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sind die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien bekannt geworden?)


Da Sie Deutschland in den nächsten 50 Jahren nicht re-
gieren werden, kommt diese Regelung zum Glück nicht.
Aber ich wünsche uns dieses Experiment auch nicht.
Aber wenn Sie Voranfragen öffentlich machen, dann
wäre das doch ein Witz; das wissen Sie ganz genau. Des-
wegen sollten Sie mit solch abenteuerlichen Forderun-
gen eigentlich überhaupt nicht mehr im Deutschen Bun-
destag erscheinen.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!)


Der Kollege Willsch und der Kollege Westphal haben
schon deutlich gemacht, was die Grundlagen unseres
Antrags sind, die die Transparenz der Entscheidungen
deutlich verbessern werden. Ich garantiere Ihnen Fol-
gendes, liebe Kollegen von den Grünen: Jedes Mal,
wenn der Rüstungskontrollbericht veröffentlicht wird,
wird es dazu eine Debatte im Deutschen Bundestag ge-
ben. Das heißt, über jeden dieser Berichte wird es – min-
destens zweimal im Jahr – eine Debatte geben und damit
Öffentlichkeit hergestellt. Ich garantiere, Herr van Aken:
Sie werden nach jeder Entscheidung, die im Wirtschafts-
ausschuss publik wird, eine Debatte im Deutschen Bun-
destag anzetteln, um hier jede einzelne Entscheidung zu
debattieren.

Ich weiß überhaupt gar nicht, woher Sie Ihr Miss-
trauen nehmen. Dass die Regierung Verantwortung für
Entscheidungen übernehmen muss – dafür wird sie
schließlich bezahlt, und dafür ist sie im Amt –, ist das
Normalste in der Welt. Ich kann nicht nachvollziehen,
wie Sie sich heute hier aufgeführt haben. Mit unserem
Antrag werden wir die Transparenz herstellen, die für
Rüstungsgeschäfte notwendig ist. Ich kann Ihnen nur
empfehlen: Folgen Sie diesem Antrag. Dann tun Sie et-
was für die


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Für die deutsche Wirtschaft!)


Öffentlichmachung der Rüstungsexporte deutscher Fir-
men.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803324300

Die Kollegin Finckh-Krämer ist die letzte Rednerin

zu diesem Tagesordnungspunkt für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1803324400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf
den Tribünen! Wie schon von meinen Vorrednern ausge-
führt, diskutieren wir heute über die Verbesserung der
Transparenz bei deutschen Rüstungsexporten. Kollege
Westphal hat diese Verbesserungen bereits detailliert be-
schrieben. Ich möchte noch hinzufügen: Mit der Be-
schlussvorlage erfüllen wir auch einige Forderungen der
Oppositionsparteien der letzten Legislaturperiode.

Mit dem Beschluss, die zuständigen Ausschüsse über
Rüstungsexporte zu informieren, bewegen wir uns in
dieselbe Richtung wie zum Beispiel Großbritannien, wo
sogar ein eigener Parlamentsausschuss eingerichtet
wurde, um über von der Regierung entschiedene Rüs-
tungsexporte zu diskutieren und diese zu bewerten. Dort





Dr. Ute Finckh-Krämer


(A) (C)



(D)(B)

hat sich gezeigt, dass die zeitnahe Debatte über Regie-
rungsentscheidungen in Parlamentsausschüssen durch-
aus disziplinierende Wirkung haben kann.

Als Außenpolitikerin beschäftigen mich vor allem die
außenpolitischen Folgen von Rüstungsexporten. Rüs-
tungsexporte haben eine außenpolitische Wirkung, ob
wir das wollen oder nicht. Nicht nur die Regierung, son-
dern auch wir als Abgeordnete sollten diese Wirkungen
bedenken und diskutieren. Ich freue mich auf die Dis-
kussion mit allen Fraktionen in den im Antrag genannten
Ausschüssen.

Im Fall von Exporten in Drittländer haben wir eine
besondere Verantwortung.


(Unruhe)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803324500

Einen Augenblick, bitte, Frau Kollegin. – Herr Kol-

lege Ströbele, könnten Sie mir vielleicht behilflich sein,
die stehenden Kolleginnen und Kollegen auf die weni-
gen noch verfügbaren Plätze zu verteilen?


(Heiterkeit)


Das ist sehr liebenswürdig. Ich bedanke mich. – So, bitte
schön.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1803324600

Gut. – Hier spielen neben den außenpolitischen auch

entwicklungspolitische und menschenrechtliche Aspekte
eine wichtige Rolle. Deswegen begrüße ich als Mitglied
des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe besonders, dass auch dieser Ausschuss über Rüs-
tungsexporte informiert wird.

Die Diskussion über Rüstungsexporte und Rüstungs-
exportkontrolle ist mit dem heute vorliegenden Antrag
aber nicht beendet. Es gibt auch, wie schon erwähnt, in-
ternationale Entscheidungsrahmen wie – neben den schon
genannten Regelungen der Europäischen Union – den
internationalen Waffenhandelsvertrag ATT. Deutsch-
land hat sich während der Verhandlungen um den ATT
besonders für das Vertragswerk eingesetzt. Wir haben es
am 2. April, dem Jahrestag des Beschlusses in der Gene-
ralversammlung der Vereinten Nationen, ratifiziert und
setzen den Vertrag bereits vor Inkrafttreten um. Wir hof-
fen, dass bis Ende des Jahres die für das Inkrafttreten
notwendige Zahl von 50 Ratifizierungen erreicht wird.

Wenn wir in internationalen Gremien glaubwürdig
auftreten wollen, müssen wir uns in der Tat auch selbst
beschränken. In diesem Zusammenhang unterstütze ich
es daher ausdrücklich, wenn sich unser Wirtschafts-
minister, wie er gerade öffentlich angekündigt hat, bei
rüstungsexportpolitischen Entscheidungen die dafür ge-
botene Zeit nimmt. Das ist ein weiterer Schritt in die
richtige Richtung.


(Beifall bei der SPD)

Lieber Herr van Aken, natürlich kann sich erst im
Laufe der Zeit zeigen, welche Wirkungen die neuen
Maßnahmen entfalten und ob wir gegebenenfalls nach-
steuern müssen. Wir können die Rüstungsexporte der
Vergangenheit, auf die Sie sich beziehen, aber nicht un-
geschehen machen und bestehende Exportgenehmigun-
gen nicht ohne Weiteres widerrufen. Aber wir können
zukünftige Exportgenehmigungen besser kontrollieren.
Auch darauf kommt es an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Botschaft der Ökumenischen Versammlung, die
vom 30. April bis 4. Mai in Mainz stattgefunden hat,
weist deutlich auf die ethischen Probleme von Rüstungs-
exporten hin und zeigt damit die Richtung auf, in die wir
uns bewegen sollten. Auch wenn wir mit den genannten
Schritten die sehr weitgehenden Forderungen der Öku-
menischen Versammlung und der Oppositionsanträge
nicht erfüllen: Ich hoffe, dass wir uns mit den jetzt zu be-
schließenden Maßnahmen in die Richtung eines guten
Zusammenlebens aller Menschen bewegen, das die Öku-
menische Versammlung erreichen möchte – ein Ziel, das
wir sicherlich alle teilen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803324700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/1334 mit dem Titel „Mehr Transparenz bei Rüs-
tungsexportentscheidungen sicherstellen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitions-
fraktionen angenommen.

Unter dem Zusatzpunkt 9 geht es um die Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksa-
che 18/1348 mit dem Titel „Für ein generelles Verbot
des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs-
gütern“. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit breiter
Mehrheit gegen die Stimmen der Antragsteller abge-
lehnt.

Unter Zusatzpunkt 10 stimmen wir ab über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Druck-
sache 18/1360 (neu) mit dem Titel „Echte Transparenz
und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexport-
entscheidungen herstellen“. Über diesen Antrag stim-
men wir auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen namentlich ab. Ich darf die Schriftführerinnen
und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen und mir zu signalisieren, ob jeweils Mehrheit
und Minderheit dieses Hauses angemessen vertreten
sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich
hiermit die Abstimmung über diesen Antrag.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der
Abstimmung später bekannt.1)

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 8 auf:

Vereinbarte Debatte

zum Europäischen Tag zur Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es
keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.

Dann darf ich diejenigen, die an dieser Debatte teil-
nehmen, bitten, Platz zu nehmen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1803324800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der An-

lass für diese Debatte heute ist der Europäische Tag zur
Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Zahl-
lose Ehrenamtliche haben diesen Tag in Deutschland zu
einem Protesttag gemacht. Allein 1 500 Menschen ha-
ben am Montag am Brandenburger Tor demonstriert.
Deswegen steht am Beginn der Debatte mein Dank an
alle Ehrenamtlichen, die mit ihren Aktivitäten, mit ihren
Anregungen, aber auch mit ihren Ermahnungen diesen
Protesttag gestaltet haben. Vielen Dank für dieses Enga-
gement.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, wenn ich das sagen darf, Herr Präsi-
dent, dass die Ansprechpartnerin für diese Aktivitäten,
nämlich die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung,
Frau Verena Bentele, heute hier der Debatte beiwohnt. Ich
darf Ihnen sagen, dass Sie sicherlich die Unterstützung
des gesamten Hauses bei Ihrer Amtsausübung hinter sich
wissen dürfen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gestern gab es noch einen weiteren Aktionstag. Vor
dem Bundestag hat die Globale Bildungskampagne uns
eingeladen, symbolisch mit Schülern aus Berlin eine
Mauer niederzureißen, eine Mauer, die dafür steht, Hin-
dernisse zur inklusiven Gesellschaft zu überwinden. Ver-
bunden damit war die Mahnung, dass 42 Millionen Kin-
der und Jugendliche mit Behinderung weltweit vom
Besuch des Schulunterrichts ausgeschlossen sind. Das
ist für uns Mahnung und Auftrag, nicht bei der Symbolik
zu bleiben, sondern uns der Herausforderung zu stellen
und daran zu arbeiten, das Menschenrecht auf inklusive
Bildung weltweit zu verwirklichen.

1) Ergebnis Seite 2818 D

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kampagne fordert aber auch: Deutschland muss
mit einem nationalen Beispiel vorangehen und Vorbild
sein. In der Tat ist Deutschland bei der inklusiven Bil-
dung immer noch am Anfang. Der Anteil der Schülerin-
nen und Schüler mit Förderbedarf steigt. Derzeit liegt er
bei 6,6 Prozent. Gut 28 Prozent aller Schüler mit Förder-
bedarf sind an allgemeinbildenden Schulen im gemein-
samen Unterricht. Das ist gut. Schlecht ist, dass fast
72 Prozent es eben nicht sind. Nur ein Viertel aller För-
derschüler macht überhaupt einen Schulabschluss. Des-
halb: Der allgemeine und gleiche Zugang für Menschen
mit Behinderung ist ein zentrales Versprechen der UN-
Behindertenrechtskonvention. Das umzusetzen, ist auch
eine nationale Aufgabe für die gesamte Politik in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich würde gerne drei Anmerkungen zu ganz konkre-
ten Herausforderungen der inklusiven Bildung machen:

Erstens. Wenn uns inklusive Bildung gelingen soll,
dann brauchen wir die Menschen, die das mit Leiden-
schaft, mit Überzeugung und mit Begeisterung umset-
zen, die Profis für Inklusion. Vor Ort gibt es viele Ängste
und auch Sorgen: Was passiert mit mir? Was passiert mit
meiner Bildungseinrichtung? Was passiert mit meinem
Kind? Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Wir brau-
chen am Ende alle diese Akteure: Eltern, Schüler, Stu-
dierende, Lehrer, Auszubildende, Erzieher, Hochschul-
lehrer, Sozialarbeiter – all diese Menschen sind Profis
für Inklusion. Auf ihre Erfahrungen, ob im allgemeinbil-
denden System oder in den Sondersystemen, können wir
nicht verzichten. Das ist das Herzstück einer gelungenen
inklusiven Bildung: Menschen unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben – der Staatssekretär aus dem Bildungsmi-
nisterium ist auch da – das Instrument der Qualitäts-
offensive, das Hinweise darauf liefern soll, wie wir die
Lehrerausbildung weiter gestalten können. Wir müssen
alle gemeinsam dafür sorgen, dass die Finanzierung über
eine Laufzeit von zehn Jahren gesichert ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweite Anmerkung. Menschen mit Behinderung
brauchen eine gute Arbeit, und zwar eine Arbeit, die ihre
Talente und Fähigkeiten einbezieht, ihnen Sinn und Zu-
friedenheit gibt. Deshalb müssen wir am Übergang von
der Schule in den Beruf arbeiten. Wir müssen diesen
Übergang glätten. Im Koalitionsvertrag sind die richti-
gen Stichworte wie ausbildungsbegleitende Hilfen und
assistierte Ausbildung aufgeführt. Wir brauchen an die-
ser Stelle auch die Werkstätten für Menschen mit Behin-
derung, und zwar nicht mehr als einzigen Arbeitsplatz
– diese Einbahnstraße müssen wir aufheben –, sondern
wir brauchen sie für die Berufsorientierung und für den
geglätteten Übergang von der Schule in den Beruf. Das





Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(D)(B)

gilt auch für Menschen mit psychischer Erkrankung.
Auch auf diese Erfahrung können wir nicht verzichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Wir müssen auch Studierende mit Behinde-
rung unterstützen und diese Unterstützung, wo es not-
wendig ist, auch modernisieren. Die Eingliederungshilfe
gewährt schon heute „Hilfen zur schulischen Ausbildung
für einen angemessenen Beruf einschließlich des Be-
suchs einer Hochschule“. Wir müssen jetzt darauf ach-
ten, wenn wir an das Teilhabegesetz herangehen, dass
die Standards gesichert und sie gegebenenfalls an ein
modernes Studium angepasst werden. Bundeseinheitli-
che Regelungen wären für die freie Studienplatzwahl
wünschenswert. Die Unterstützung für mehr als einen
Ausbildungsabschnitt für beruflich Qualifizierte, die bei-
spielsweise an die Hochschule gehen wollen, wäre sinn-
voll. Das sind die Ziele, die wir uns für die Menschen
mit Behinderung setzen müssen, die sich an den Hoch-
schulen befinden.

Zum Schluss. Inklusive Bildung ist ein Kernbereich
der UN-Behindertenrechtskonvention, ein Kernbereich
der politischen Herausforderung, der sich alle staatlichen
Ebenen stellen müssen. Das sollten wir als Bundestag
sehr ernst nehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803324900

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Werner

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803325000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Sehr geehrte Frau Bentele! Mehr als
1 500 Menschen mit Behinderung, ihre Freundinnen,
ihre Freunde sowie Familien haben uns Abgeordneten
hier in Berlin öffentlich ihre Unterstützung bei der Um-
setzung ihrer Interessen angeboten. Das sollten wir ernst
nehmen.

Am Protesttag für die Gleichstellung von Menschen
mit Behinderung am 5. Mai 2014 zeigte sich zweierlei:
Die Erwartungen der Menschen sind klar, und ihre Un-
zufriedenheit wächst. Alle Rednerinnen und Redner am
Brandenburger Tor sprachen sich einhellig für bedarfs-
gerechte Leistungen unabhängig von Einkommen und
Vermögen aus. Vor dem Rathaus in Berlin-Neukölln
wurden diese Erwartungen am selben Tag noch drasti-
scher geäußert: als Protest gegen amtliche Willkür. Das
Neuköllner Sozialamt hat in den letzten Monaten assis-
tenzbedürftige Menschen, die die Weiterbewilligung ih-
rer Hilfen beantragten, aufgefordert, einen Teil der Leis-
tungen bei der bisherigen Stelle als Hilfe zur Pflege zu
beantragen, und den Rest bei der Stelle, der die Einglie-
derungshilfe obliegt. Viel Vertrauen ist verloren gegan-
gen; denn zu viel Zeit ist leer verstrichen, und der Re-
formstau ist riesig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen haben reale Ängste. In Bürgerbriefen
und Internetportalen häufen sich kritische Anfragen. Da
ist die Mutter eines mehrfach schwerstbehinderten Soh-
nes. Seit Monaten fragt sie öffentlich, ob das Kindergeld
oder andere Leistungen gegen neue Teilhabeleistungen
angerechnet werden. Da kritisiert ein Betreuer, dass der
Barbetrag zur persönlichen Verfügung für einen Werk-
stattbeschäftigten so nebenbei in einem Rundschreiben
um 7 Euro im Monat gekürzt wird. Da wartet ein Berli-
ner Behindertenverband als Arbeitgeber sechs Monate
auf einen Entscheid über eine beantragte Arbeitsassis-
tenz. Da erhalten Eltern zwar Schulassistenz, aber nicht
für die Zeit im Hort. Da fragen schwerbehinderte Men-
schen, warum sie nicht mit 63 Jahren abschlagsfrei in
Rente gehen dürfen.

Deshalb war der Beifall am 5. Mai 2014 stark, als auf
der Kundgebung gefordert wurde, schnell ein Teilhabe-
gesetz vorzulegen, das man öffentlich breit diskutieren
muss.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zumindest ihre Gesetzeseckpunkte könnte die Bundesre-
gierung doch schon im Sommer vorlegen. Ich wieder-
hole unseren Vorschlag, dies bis zum 3. Dezember 2014,
also bis zum Welttag von Menschen mit Behinderungen,
zu tun, zumal am 10. Dezember der Internationale Tag
der Menschenrechte begangen wird und Anfang 2015
der elfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
vorgelegt werden muss.

Die Menschen brauchen endlich ein Leistungsgesetz,
ja, aber auch zivilrechtliche Stärkung. Die Linke unter-
stützt deshalb gesetzliche Zwischenschritte, um sofort
krasse Diskriminierung zu beseitigen, allerdings nur als
Weichenstellung in Richtung einer vollen Teilhabe und
nicht als Ersatzlösung. Die Bundesregierung muss ein
Signal setzen: Es geht nicht um Haushaltssanierung,
sondern um freiheitliche Lebenschancen.

Lassen Sie uns erstens sofort den Wahlrechtsaus-
schluss für Menschen unter sogenannter Vollbetreuung
und in psychiatrischen Einrichtungen aufheben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns zweitens sofort den Behinderungs-
begriff an die UN-Konvention anpassen, und zwar im
Behindertengleichstellungsgesetz, im Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetz, im SGB IX und auch in der Pflege-
versicherung.

Lassen Sie uns drittens sofort den Kostenvorbehalt in
§ 13 Absatz 1 im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch strei-
chen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn noch immer werden Menschen mit Behinderung
gegen ihren Willen gezwungen, in einem Heim zu leben.





Katrin Werner


(A) (C)



(B)

Nur ohne Kostenvorbehalt wird der Anspruch „ambulant
vor stationär“ Wirklichkeit.

Lassen Sie uns viertens endlich dafür sorgen, dass re-
gulär beschäftigte Menschen mit Behinderung ihr selbst-
verdientes Geld auch selbstbestimmt für sich und ihre
Familien ausgeben oder sparen dürfen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir teilen die Forderung von Frau Bentele, die Einkom-
mens- und Vermögensgrenzen komplett zu streichen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Lassen Sie uns fünftens umgehend die Ausgleichsab-
gabe anheben sowie die Beschäftigungspflichtquote wie-
der auf 6 Prozent erhöhen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was spricht sechstens dagegen, den Anspruch auf As-
sistenz sofort auszuweiten, für Kinder mit Behinderung
auch im Hort, für alle, die sich ehrenamtlich engagieren,
für Behindertensportler außerhalb ihres Trainings oder
im Krankenhaus für jede und jeden Erkrankten?
Lassen Sie uns siebentens das Allgemeine Gleichbe-
handlungsgesetz sofort überarbeiten.

Ein Antrag unserer Fraktion für ein Sofortprogramm
zur Beseitigung bestehender Barrieren liegt bereits auf
dem Tisch. Es wäre schön, wenn die fraktionsübergreifen-
den Gemeinsamkeiten der behindertenpolitischen Spre-
cherinnen und Sprecher dazu führen, diese wichtigen Fra-
gen aufzugreifen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803325100

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-

führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zum Thema „Echte Transparenz und parlamen-
tarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen“
bekannt: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben ge-
stimmt 104, mit Nein haben gestimmt 452 Kolleginnen
und Kollegen, eine Enthaltung. Damit ist der Antrag ab-
gelehnt.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon

ja: 104
nein: 451
enthalten: 1

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Enthalten

SPD

Marco Bülow
Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der
Kollege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1803325200

Verehrtes Präsidium! Geschätzte Frau Bentele! Liebe

Damen und Herren hier im Plenum! Es ist eine Woche
der Inklusion, die wir hier in Berlin miteinander erleben.
Am Montag demonstrierten in einer großen Kundgebung
vor dem Brandenburger Tor fast 1 000 Menschen dafür,
dass die Gleichstellung der behinderten Menschen in der
Arbeitswelt, in der Freizeit, in der Familie, im Leben
insgesamt durchgesetzt wird. Es war ein europäischer
Aktionstag, und es gab ein Motto, nämlich „Schon viel
erreicht. Noch viel mehr vor.“, das ermuntert, aber
gleichzeitig zeigt: Es ist noch ein weiter Weg, den wir
miteinander zurückzulegen haben.
Am Mittwoch bauten Schüler vor dem Paul-Löbe-
Haus und vor dem Reichstagsgebäude eine Wand auf,
die sie dann gemeinsam wieder abbauten und niederris-
sen, um zu zeigen, dass Barrieren nicht nur baulicher Art
sind, sondern auch mental in den Köpfen vorhanden
sind, die man aber miteinander überwinden kann, wenn
man sich kennenlernt, wenn man sich bemüht, wenn
man ein Leben miteinander entwickelt, indem man zu-
sammenfindet, sich nicht separiert, nicht gegeneinander-
steht und nicht nebeneinanderher lebt. Das war eine
Kampagne, die in 80 Ländern, also global, stattfand, in
deren Rahmen Barrieren in einem Happening modellhaft
niedergerissen wurden, um damit die Forderung „Inklu-
sive Bildung für alle und besonders für alle Kinder“
durchzusetzen.

Weltweit sind 1 Milliarde Menschen von Behinde-
rung betroffen. 80 Prozent von ihnen leben auf der südli-
chen Erdhalbkugel. Laut der UNESCO erhält weltweit





Uwe Schummer


(A) (C)



(D)(B)

nur jedes zehnte behinderte Kind überhaupt eine Schul-
bildung. Die meisten dieser Kinder werden wegge-
schlossen. Man schämt sich für sie. Sie erhalten keinerlei
Chance.

Es ging am Montag bei dem europäischen Aktionstag
vor dem Brandenburger Tor um ein Bundesteilhabege-
setz in Deutschland. Ein solches Gesetz werden wir in
dieser Legislaturperiode durchsetzen und verabschieden.
Es ging am Mittwoch um das globale Grundrecht eines
jeden Kindes auf eine inklusive Bildung und Teilhabe in
der Gesellschaft.

Der Koalitionsvertrag der Unionsparteien und der
SPD umfasst 20 Handlungsaufträge, mit denen wir in
den nächsten Wochen und Monaten das Thema „Inklu-
sion, Beteiligungsrechte“ vorantreiben werden. Es geht
um Barrierefreiheit beim Städte- und Wohnungsbau so-
wie bei Verkehrstechnologien. Es geht aber auch um
Barrieren in der Kommunikation, im Netz sowie in den
Köpfen, die beseitigt werden müssen, wenn wir mitei-
nander leben und uns miteinander verständigen wollen.

Es geht weiter darum, dass wir auch in der Entwick-
lungszusammenarbeit das Thema der behinderten Men-
schen verstärkt aufgreifen. Zu denken ist daran, was in
Ruanda durch Kriegsteufeleien passiert ist, wie viele
Menschen dort versehrt sind und nach wie vor Hilfe be-
nötigen. Auch das ist ein Thema der globalen Verant-
wortung, die wir miteinander haben.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Jetzt! – Du musst einmal Luft holen, Uwe! – Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


– Immer dann, wenn Frau Noll „Jetzt!“ sagt, müsst ihr
klatschen.


(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wir haben doch nur darauf gewartet!)


Ich danke sehr für diese Ermunterung.

Ich finde, dass wir bei allen diesen Themen die glo-
bale Sichtweise, die uns am Mittwoch dargestellt wurde,
weiterhin im Blick behalten müssen. Deshalb bin ich
dankbar dafür, dass wir das Thema in der Debatte, die
wir heute miteinander führen, noch einmal nach vorne
bringen. Wir hatten heute – SPD und Union gemeinsam,
Kerstin Tack war dabei –, was die Teilhabe in der Ar-
beitswelt angeht, eine sehr intensive Anhörung bzw. ein
Fachgespräch zum Thema Schwerbehindertenvertretun-
gen. Im Oktober dieses Jahres werden in den Betrieben
und Verwaltungen die Schwerbehindertenvertretungen
gewählt. Sie sind wichtige Ratgeber, um Inklusion in der
Arbeitswelt umzusetzen. Wie können wir die Schwerbe-
hindertenvertretungen auch in Bezug auf ihre Rolle auf-
werten und stärken, die sie im Zusammenhang mit dem
Betriebsrat und den Arbeitgebern spielen? Das gilt aber
auch für die betriebliche Gesundheitsprävention, damit
die Behinderten, wenn sie länger arbeiten, durch Ge-
sundheitsförderung ihre Arbeitspotenziale einbringen
bzw. nutzen können. Wie können sie Komanager in Un-
ternehmen werden, um, gesundheitlich gesehen, in der
Arbeitswelt ihrer Rolle möglichst gerecht zu werden?
Das war ein sehr intensives, sehr ausführliches Ge-
spräch mit vielen Praktikern aus den Unternehmen und
den Verwaltungen. Ich bin sicher, dass wir bei dem
Thema der Beteiligungs- bzw. der Mitwirkungsrechte
auch im Bereich der Schwerbehindertenvertretungen ei-
nige Positionen miteinander politisch diskutieren und
dann auch durchsetzen bzw. verabschieden werden.

Wir müssen, was das Bundesteilhabegesetz angeht,
aus der Armutsfalle heraus. Es ist richtig, dass bei einer
Heirat der Partner oder die Partnerin sofort mit seinem
bzw. ihrem Vermögen bzw. mit seinen oder ihren Ein-
künften mit herangezogen wird, sodass Liebe im Grunde
gleichzeitig in Armut führt. Das darf es nicht geben. Es
ist auch ein Verstoß gegen die Verfassung, nach der Ehe
und Familie in besonderer Weise zu fördern sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es darf keine Armutsfalle geben, wenn eine solche Part-
nerschaft zu einer Familiengründung führt. Deshalb
müssen wir miteinander überlegen, wie wir in einem
Bundesteilhabegesetz ein Bundesteilhabegeld entwi-
ckeln. Mit dem sollen auf der einen Seite die Kommunen
entlastet werden. Dies wäre ein Weg, ihnen mehr Gelder
zur Verfügung zu stellen. Die Nutznießer eines solchen
Bundesteilhabegesetzes müssen aber die betroffenen
Menschen sein. Da müssen wir dann ein Stück weit auch
die Beteiligungsrechte insgesamt im Blick haben und
solche Armutsfallen beseitigen.

Wir sehen das Schicksal der Menschen in den betreu-
ten Werkstätten. Es ist gut, dass es sie gibt. Die Zahl der
Mitarbeiter in den betreuten Werkstätten hat sich in den
letzten 15 Jahren auf 300 000 verdoppelt. Ich habe nicht
den Eindruck, dass sie den Auftrag, den sie auch haben,
erfüllen, nämlich immer darauf zu schauen, ob nicht
noch inklusive Arbeitsplätze im Außenbereich – in Inte-
grationsunternehmen oder auf dem ersten Arbeits-
markt – entwickelt werden können. Das kann mit Assis-
tenz bei der Arbeit geschehen. Es muss aber auch eine
Rückkehrmöglichkeit geben, wenn das nicht gelingen
sollte. Auch das Scheitern muss natürlich im Blick be-
halten werden.

Die Werkstätten müssen sich in dieser Frage flexibler
und stärker am Menschen orientiert organisieren. Eine
Vermittlungsquote von unter 1 Prozent in den betreuten
Werkstätten kann nicht die Auftragserfüllung sein, die
wir von ihnen erwarten. Wir wollen betreute Werkstät-
ten, aber sie müssen aus großen Tankern zu Schnellboo-
ten werden, die auch auf dem ersten Arbeitsmarkt inklu-
sive Arbeit mit entwickeln und mit fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielfalt ist die Voraussetzung für Wahlfreiheit. Ich
denke, es war eine wichtige Woche, die wir miteinander
erlebt haben. Wir werden gemeinsam über alle Frak-
tionsgrenzen hinweg dafür sorgen, dass dies nicht nur
eine „Woche der Inklusion“ war, sondern dass wir ein
Leben mit Inklusion vor uns haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803325300

Das Wort hat nun die Kollegin Corinna Rüffer für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803325400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ben-

tele! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Montag war
der Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Be-
hinderung. Schon am Dienstag danach ist Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, aufge-
fallen, dass Sie gerne hier heute im Plenum darüber re-
den wollen. Sie mussten dann ganz schnell von uns wis-
sen, ob wir einverstanden sind.

Ich sage: Besser spät als nie. Persönlich unterhalte ich
mich auch gerne über das Thema, erst recht hier im Bun-
destag. Aber ganz ehrlich: Von einer Bundesregierung
erwarte ich mehr als nur schöne Worte auf den letzten
Drücker. Ich erwarte, dass Sie auch etwas vorlegen.

Meine Fraktion hat schon vor einem Monat einen An-
trag eingebracht, über den wir hier auch debattiert haben.
Sie haben damals beklagt, unser Antrag sei enttäu-
schend. Die Fachwelt sieht das anders. Sie haben davon
gesprochen, dass Sie selbst sich da etwas mehr vorge-
nommen hätten. Das mag ja sein. Mir ist aber wichtig,
was Sie tun. Bisher beschränkt sich Ihr Tun darauf, Ver-
sprechen abzugeben. Davon profitieren Sie selbst am
meisten. In Reden und auf Podien schwingen Sie sehr
große Worte: Wir werden Teilhabeleistungen anrech-
nungsfrei gestalten und den Ausschluss vom Wahlrecht
abschaffen. – Aber wenn man mit Ihnen kleine, konkrete
Vorschläge diskutieren will, dann wehren Sie ab und sa-
gen: Nein, das geht nicht. Jetzt noch nicht. Wir wollen
nämlich mehr. Aber das dauert noch. Wir sind in Gesprä-
chen. Wir sind uns noch nicht einig.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Gesprä-
che über eine Weiterentwicklung des Leistungsrechtes
führen wir schon eine ganze Weile. Es gäbe eine Reihe
von Verbesserungen, die Sie ohne Weiteres direkt ange-
hen könnten. Ein paar Vorschläge haben wir in unserem
Antrag vor einem Monat gemacht. Sie könnten zügig
sehr viel zum Abbau von Barrieren und gegen Diskrimi-
nierung tun. Ich bin gespannt auf die Diskussion, die wir
im Ausschuss über unseren Antrag führen werden. Viel-
leicht können Sie sich ja durchringen, ihm am Ende zu-
zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte aber auch nichts dagegen, wenn Sie jetzt
selbst initiativ werden würden. Wenn Sie zeigen möch-
ten, dass Sie es wirklich ernst meinen, dann legen Sie
doch noch vor der Sommerpause etwas vor. Es könnten
ja einfach kleinere und überschaubare Projekte sein. In
Deutschland ist zum Beispiel noch nicht systematisch si-
chergestellt, dass alle neuen Gesetze und Verordnungen
auf Bundesebene den Anforderungen der Behinderten-
rechtskonvention genügen. Darum könnten Sie sich
doch kümmern. Nehmen wir einen anderen Bereich: In
Deutschland dürfen medizinische Experimente an behin-
derten Kindern auch dann vorgenommen werden, wenn
sie selbst nicht davon profitieren. Machen Sie Schluss
damit, jetzt und nicht erst später, irgendwann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann Ihnen versichern, dass meine Fraktion im-
mer gerne zustimmen wird, wenn Sie etwas dafür tun,
dass sich die Situation der behinderten Menschen ver-
bessert. Ihnen würde das auch bei behinderten Menschen
und ihren Verbänden mehr Anerkennung bringen als die
abenteuerlichen Vorschläge, mit denen der stellvertre-
tende Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs,
kürzlich zitiert wurde. Er forderte, bei der Eingliede-
rungshilfe zu sparen, um den Abbau der kalten Progres-
sion zu finanzieren. Das ist ein kalter Vorschlag. Ich
habe selten einen schlechteren gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Solche Äußerungen machen aber die Problematik
deutlich. Es gibt selbstverständlich auch bei Ihnen in der
Union und in der SPD Abgeordnete, die sich behinder-
tenpolitisch engagieren und wirklich etwas bewegen
möchten, unbestritten. In der Debatte vor einem Monat
haben sich einige von Ihnen sehr engagiert geäußert und
zum Beispiel kritisiert, dass sowohl behinderte Men-
schen selbst als auch ihre Ehepartner finanziell für ihre
Assistenz aufkommen müssen. Das sei ein Skandal, hieß
es. Das wurde heute mehrfach wiederholt. In ihrer Ant-
wort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion äußerte
sich die Bundesregierung aber ganz anders:

Die Auffassung, dass die Eheschließung bzw. Part-
nerschaft

– gut aufpassen –

von behinderten Menschen bei Sozialhilfegewäh-
rung unerträglich belastet würde, kann nicht über-
zeugen. Bei einer Partnerschaft spielen in unserer
Gesellschaft primär persönliche Aspekte eine Rolle.

Liebe zum Beispiel; das stimmt. Aber wir können von
Liebenden nicht erwarten, dass sie deshalb arm werden.
Das ist zu viel verlangt. Die Anfrage ist ein paar Wochen
alt. Da widerspricht sich irgendetwas.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Frau Nahles oder wer auch immer mir das be-
antworten will, was ist denn da los? Wem soll ich denn
glauben? Ihnen, wenn Sie von hier aus reden, oder der
Regierung, wenn sie schriftlich Fragen beantwortet?
Wenn ich mich dann an die Debatte zur finanziellen
Lage der Kommunen erinnere – das ist auch noch nicht
lange her; die haben wir kürzlich geführt –, schwant mir
wirklich nichts Gutes. Da wurde mir etwas zu häufig
über Finanzen und Einsparpotenziale geredet und etwas
zu wenig über die Rechte von Behinderten. Manchmal
muss man hinschauen, in welcher Debatte man sich ge-
rade befindet, um zu erkennen, was denn wirklich dahin-
tersteckt. Das ist ein großes Problem. Wenn das Teilha-
begesetz für Sie, liebe Große Koalition, in erster Linie
eine Möglichkeit sein sollte, Kosten zu sparen, bieten





Corinna Rüffer


(A) (C)



(D)(B)

wir denjenigen von Ihnen, die ernsthaft an einer men-
schenrechtsorientierten Behindertenpolitik interessiert
sind, gern Asyl – garantiert und ohne Abschiebung.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1803325500

Für die SPD-Fraktion hat nun Kerstin Tack das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1803325600

Herr Präsident! Liebe Verena Bentele! Meine lieben

Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und
Herren! Auf dem Protesttag am Montag haben wir mit
Blick auf die politischen Herausforderungen beim
Thema Menschen mit Behinderung festgestellt – ich
glaube auch, dass diese gemeinsame Klarstellung wich-
tig ist –, dass wir uns diesem Anliegen partei- und frak-
tionsübergreifend gleichermaßen in wertschätzender und
sachlicher Weise widmen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt erleben wir aber, dass das, was der Community
als wertvolle Unterstützung zugesagt wurde, in der
parlamentarischen Debatte zu einer relativ armseligen
Veranstaltung verkommt. Denn ohne selbst nur einen
einzigen inhaltlich-fachlichen Vorschlag zu machen, hält
man den anderen vor, dass sie nicht schon selbst längst
Vorschläge auf den Tisch gelegt haben.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So war es!)


Damit verabschiedet man sich auch noch von dem
Grundsatz „Nicht ohne uns über uns“.

Die Grünen fordern von uns – auch jetzt wieder –, in
vier Wochen eine umfängliche Sozialrechtsreform vor-
zulegen.


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch keiner, Frau Tack!)


– Aber selbstverständlich, Frau Rüffer. Das haben Sie
vorhin wieder getan. – Sie ignorieren dabei die Tatsache,
dass Deutschland sich mit der Ratifikation der UN-
Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat, ein Ge-
setzgebungsverfahren nur unter Beteiligung der Betrof-
fenen durchzuführen. Wer aber gleichzeitig fordert, das
Vorhaben in vier Wochen abzuschließen, der verabschie-
det sich von dem Anspruch, genau dieser Verpflichtung
nachzukommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gar nicht gesagt! Das ist doch billige Polemik!)


Ihnen muss klar sein, dass Sie mit diesen von Ihnen
immer wieder vorgebrachten Aussagen gegen den
Anspruch verstoßen, den Sie außerhalb des Parlaments
erheben.

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803325700

Frau Kollegin Tack, darf die Kollegin Rüffer Ihnen

eine Zwischenfrage stellen?


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1803325800

Ja, darf sie.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803325900

Sehr schön. – Frau Kollegin Rüffer.


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803326000

Liebe Frau Tack, ich finde es wunderbar, dass Sie so

engagiert über dieses Thema diskutieren. Das eint Men-
schen, die sich mit Behindertenpolitik beschäftigen.

Sie haben uns nun unterstellt, dass wir von Ihnen er-
warten würden, ohne Beteiligung Behinderter in vier
Wochen ein Bundesteilhabegesetz vorzulegen. Dem ist
aber mitnichten so. Wir haben nur gesagt, dass Sie nicht
alles in das Bundesteilhabegesetz schieben können. In
unserem Antrag und in den heutigen Reden haben wir
viele Punkte, die man außerhalb dieses Gesetzes regeln
muss, aufgezählt.

Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie der Meinung
sind, dass man all diese Punkte in ein Gesetz schieben
muss, oder ob man nicht die vielen Punkte, über die in
der Vergangenheit unter Beteiligung Behinderter aus-
führlich diskutiert worden ist, schon jetzt umsetzen
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1803326100

Nein, das kann man nicht. Ich will Ihnen auch sagen,

warum. Wir streben gemeinschaftlich eine Gesamt-
lösung an, was verbietet, Einzelaspekte herauszupicken.
Vier oder fünf Sozialgesetzbücher, die etwas miteinan-
der zu tun haben, sollen angefasst werden. Jetzt bei-
spielsweise § 13 aus dem SGB XII herauszupicken oder
einen Teilaspekt aus einem Paragrafen im SGB IX an-
ders zu fassen, bringt uns nicht weiter. Wir müssten es
nämlich ansonsten ein zweites Mal anfassen, nämlich
dann, wenn wir mit einer großen Reform eine Wirkung
auch auf andere Gesetzbücher entfalten wollen.

Wir sagen deshalb: Wir wollen kein Klein-Klein, son-
dern wir wollen eine große Reform, die Regelungen aus
verschiedenen Sozialgesetzbüchern in eine neue Dimen-
sion überführt. Wenn man eine Gesamtlösung anstrebt,
verbietet es sich, vorher einzelne Rosinen herauspicken.
Wenn wir das tun würden, würden wir die Verwirkli-
chung der angestrebten großen Reform gefährden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das möchten wir ausdrücklich nicht.

Im Gegensatz zu Ihrer Fraktion haben wir hier übri-
gens mehrfach gesagt, welche Erwartungshaltung wir
politisch bezüglich eines Bundesteilhabegesetzes haben.
Ich kann es gerne wiederholen: Uns geht es natürlich um
ein Wunsch- und Wahlrecht, um Personenzentriertheit,
um ein Raus aus der Sozialhilfe, um eine Überprüfung





Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)

der Einkommens- und Vermögensanrechnung, selbst-
verständlich auch um eine Lösung der Schnittstellen-
problematik SGB VIII, SGB IX, SGB XII und SGB V.
All diese Thematiken spielen für uns eine Rolle. Ich
warne dringend davor, ständig zu fordern, wir mögen
mit Schnellschüssen in den Bundestag kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat kein Mensch gesagt, Frau Tack! Das ist unredlich!)


Aber unsere politische Erwartungshaltung können wir
miteinander diskutieren. Das tun wir auch.

Im Übrigen führen wir viele Gespräche mit den Ver-
bänden von Menschen mit Behinderung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen: Die Erwartungshaltung ist immens, dass
wir uns hinreichend miteinander verständigen, wie wir
eine solche Reform ausgestalten. Richtigerweise haben
alle Vorschläge gemacht. Ja, das stimmt. Das sind aber
mitnichten Vorschläge, die wir alle einfach so zusam-
menpacken könnten, dass dann ein Exemplar heraus-
kommt, über das Einigkeit besteht. Ich möchte nicht den
einen gegen den anderen Verband ausspielen, indem wir
sagen: Eure Meinung ist uns mehr wert als die Meinung
eines anderen Verbandes. – Deshalb freue ich mich, dass
wir einen Zeitplan vereinbart haben, der es erlaubt, in
dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz zu
erarbeiten und so rechtzeitig zu verabschieden, dass es
auch noch seine Wirkung entfalten kann. Ich glaube, ge-
nau das haben wir zeitlich richtig konzipiert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Obwohl wir bis 2016 ein Bundesteilhabegesetz vor-
bereiten, haben wir natürlich vor, diverse weitere Ziele
vorab miteinander zu verhandeln und umzusetzen. Der
Kollege Schummer hat berichtet, dass wir vorhaben, die
gesetzlichen Mitwirkungsrechte der Schwerbehinderten-
vertretungen noch in diesem Jahr zu überarbeiten. Wir
werden auch über die Mitwirkungsmöglichkeiten von
Werkstatträten noch in diesem Jahr miteinander ins
Gespräch kommen. Wir werden den Themenbereich
Budget für Arbeit und Inklusion auf dem Arbeitsmarkt
miteinander beraten und in ein Konzept gießen. Wir
haben eine Menge vor; das haben wir immer wieder
gesagt. Wir haben es übrigens erstmals seit Existenz der
Bundesrepublik geschafft, dass in einen Koalitions-
vertrag die Herausforderungen für Menschen mit Behin-
derungen in allen Bereichen – sei es Verkehr, Bau,
Innenpolitik, Tourismus, Außenpolitik oder Menschen-
rechte – als Querschnittsthema aufgenommen wurden.
Ich sage Ihnen: Wir sind verdammt stolz darauf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, was wir als Koalition an dieser Stelle vereinbart ha-
ben, ist für die Bundesregierung neu. Es ist aber richtig
und wichtig, weil eine inklusive Gesellschaft mit all ih-
ren Facetten gebraucht wird und als Querschnittsthema
wichtig ist. Selbstverständlich werden wir diese Themen
nicht erst 2016 behandeln, sondern wir gehen sie jetzt
sukzessive an. Das ist auch richtig so.

Ich wünsche mir – wenn ich das zum Schluss noch
sagen darf –, dass wir ein bisschen qualifizierter über ein
Bundesteilhabegesetz reden und uns nicht nur über die
Frage des Zeitpunktes, sondern auch fachlich und inhalt-
lich darüber austauschen. Ich glaube, das Thema ist es
allemal wert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Vokabeln kennen wir, Frau Tack!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803326200

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Jutta Eckenbach,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1803326300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Rüffer, lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede und
meiner Ausführungen einige Klarstellungen vorneh-
men, die mir an dieser Stelle wichtig sind. Sie wissen
und es ist gemeinsam vereinbart worden, dass es in
dieser Woche eine Aktuelle Stunde zu genau der jetzt zu
behandelnden Fragestellung hier im Bundestag geben
sollte. Es ist dann, und das auch gemeinsam, mit allen
vereinbart worden,


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Dienstag!)


dass diese vorgesehene Aktuelle Stunde zugunsten einer
über die Lage in der Ukraine – ich fand diese Debatte
sehr wichtig, denn es ging um die momentan wichtigste
Frage, die wir neben der in dieser Debatte anstehenden
angehen müssen – abgesetzt wurde. Wir legen also sehr
großen Wert darauf, dass hier im Bundestag Wahrheiten
zur Sprache kommen; aber Sie werfen hier einfach
Floskeln in den Raum und stellen die Dinge nicht richtig
dar. Es gab jedoch eine Vereinbarung aller Fraktionen, es
genau so zu machen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Und das geschah nicht erst nach diesem Montag, son-
dern es war bereits im Vorfeld klar, dass diese Aktuelle
Stunde durchgeführt werden sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Also stellen Sie hier bitte nicht all die Dinge, die wir ge-
meinsam vereinbart haben, auf den Kopf!

Ich glaube aber, es gibt am heutigen Tag Wichtigeres,
als sich mit dem auseinanderzusetzen, was Frau Rüffer
hier nicht sachgemäß vorgetragen hat. Wir haben hier im
Deutschen Bundestag bereits am 4. April eine sehr inte-
ressante Debatte geführt und haben kontrovers disku-
tiert. Zugleich konnten wir feststellen, dass wir uns ei-





Jutta Eckenbach


(A) (C)



(D)(B)

gentlich darüber einig sind, wie wir vorgehen wollen:
Wir wollen nämlich alles Menschenmögliche tun und
vor allen Dingen entsprechende gesetzliche Regelungen
finden, damit den Menschen mit Behinderungen mehr
Teilhabe zugestanden wird. Das hat dieses Haus am
4. April in aller Gemeinsamkeit festgestellt. Ich denke,
es ist wichtig, das zu wiederholen.

Die Frage, die wir heute wieder diskutieren, ist: Wie
gehen wir dabei vor? An dieser Stelle haben Sie, Frau
Tack, vollkommen recht: Es geht nicht scheibchen-
weise. – Aber die Veranstaltung am Montag, an der ich
leider nicht sehr lange teilnehmen konnte, aber lange ge-
nug, um einerseits Frau Bentele kennenzulernen und mir
andererseits einen Rap anzuhören, den ich übrigens auf
meiner Facebook-Seite eingestellt habe, hat uns gezeigt:
Auch die Kultur bietet eine Möglichkeit, viele Menschen
zu erreichen. Was wir da gehört haben, ist natürlich eine
tolle Geschichte. Ich empfehle jedem, sich das anzuhö-
ren, um zu erkennen, was zwischen Menschen mit
Handicap und Menschen, die nichts haben, die normal
sind – wobei das falsch ausgedrückt ist, denn wer weiß
schon, wer normal ist! –, möglich ist.

Etwas Weiteres, was mich bei dieser Veranstaltung
sehr beeindruckt hat, waren die fünf Ziele, die Frau
Bentele benannt hat. Lassen Sie mich an dieser Stelle ein
Ziel herausnehmen – es war heute schon einmal Gegen-
stand der Debatte –: Es geht um die Frage, wie man
eigentlich damit umgeht, wenn jemand wie zum Beispiel
die Richterin Frau Poser, über die jetzt im MDR zum
zweiten Mal ein Bericht lief, einem ganz normalen Beruf
nachgeht, aber bei der Arbeit auf eine Assistenz ange-
wiesen ist. Sie kann von dem, was sie verdient, nur
2 600 Euro ansparen; höher darf ihr Vermögen nicht
sein. Wenn es uns wichtig ist, die Teilhabe von Men-
schen mit Behinderung am Arbeitsleben zu gewährleis-
ten, müssen wir hier dringend etwas ändern. Ich finde,
das ist eine der ersten Forderungen, die wir hier aufstel-
len müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mich hat auch beeindruckt, was Frau Bentele bei der
Veranstaltung am Montag unter dem Bild des bunten
Adlers ausgeführt hat. Sie hat sich des Symbols des Bun-
desadlers angenommen und gefragt, was das Bild vom
bunten Adler bedeutet. In ihren Ausführungen hat sie
dann deutlich gemacht, wie wichtig es ist, sich vor
Augen zu führen, dass so bunt und einzigartig wie wir
alle als Einzelne sind, uns symbolisch doch der Bundes-
adler eint, der ein Zeichen für Stärke, Freiheit und
Unabhängigkeit ist. Unsere Aufgabe in diesem Hause ist
es, diese Stärke, Freiheit und Unabhängigkeit für einen
jeden in unserer Gesellschaft zu gewährleisten.

Insofern werden wir Frau Bentele bei ihrer Arbeit
unterstützen, so wie wir Herrn Hüppe unterstützt haben.
Wir sagen den vielen Menschen mit Handicap: Kommt
zu uns! Wir sind alle gleich, und wir wollen alle das
Gleiche erreichen, nämlich die Teilhabe am Leben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803326400

Herzlichen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte

ist Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1803326500

Frau Präsidentin! Frau Bentele! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ein-
mal nachgeschaut, wie der Begriff der Inklusion eigent-
lich in Leichter Sprache umschrieben wird. Leichte
Sprache ist übrigens auch für Menschen ohne Behinde-
rung etwas ganz Hilfreiches und Gutes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Inklusion bedeutet:

– so steht es auf einer Internetseite der Aktion Mensch –

Alle Menschen sollen überall dabei sein.
Alle Menschen haben die gleichen Rechte.
Alle Menschen können selbst bestimmen, was sie
wollen.
Niemand wird ausgeschlossen.

Das klingt alles selbstverständlich und auch ziemlich
einfach, und das nicht nur, weil es einfache Sprache ist.
Und doch wissen wir, wie schwierig das im Alltag oft ist
und welche Fragen und Probleme sich da auftun.

Bauliche Barrierefreiheit kostet oft zusätzliches Geld,
und es ist nachvollziehbar, wenn das einem Gemeinderat
Kopfzerbrechen bereitet. Es ist selbstverständlich, dass
eine Belegschaft erst einmal unsicher ist, wenn zum ers-
ten Mal ein Kollege im Rollstuhl zur Arbeit kommt. Für
eine Grundschullehrerin ist es nicht banal, wenn sie
plötzlich auch mit einem Kind mit Downsyndrom arbei-
ten soll und das vorher noch nie gemacht hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine,
wir sollten den Europäischen Protesttag zur Gleichstel-
lung von Menschen mit Behinderung auch dazu nutzen,
zum offenen Dialog zu ermuntern. Die Grundschullehre-
rin, der Gemeinderat – sie alle müssen ihre Ängste, Vor-
behalte und Unsicherheiten auch formulieren dürfen,
weil wir nur dann vorankommen. Es brauchen nämlich
beim großen Gemeinschaftsvorhaben der Inklusion nicht
nur die Menschen mit Behinderungen Hilfe und Unter-
stützung. Jeder Einzelne, auch die Nichtbehinderten,
brauchen, mal mehr, mal weniger, Hilfestellung beim
Großprojekt der inklusiven Gesellschaft.

Für den politischen, für den gesetzgeberischen Teil
der Inklusion sind natürlich wir hier zuständig. Die ge-
setzlichen Grundlagen für die Gleichstellung von Men-
schen mit Behinderung sind im Grundgesetz verankert.
Speziell das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und
das Behindertengleichstellungsgesetz bekräftigen die
Gleichheit und verbieten die Diskriminierung und Be-
nachteiligung behinderter Menschen. Aber damit haben
wir unseren Teil zur Gleichstellung noch nicht getan.





Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir heute in Deutschland von der Gleichstel-
lung behinderter Menschen sprechen, dann meinen wir
in erster Linie die Chancengleichheit bei der Teilhabe an
der Gemeinschaft, und die verlangt ganz konkrete Maß-
nahmen.

Eine dieser Maßnahmen – sie wurde eben schon an-
gesprochen – ist die Entwicklung der Eingliederungs-
hilfe zu einem modernen, zeitgemäßen Teilhaberecht,
mit dem eine größere Chancengleichheit erreicht werden
soll. Die Neuausrichtung von einer überwiegend einrich-
tungsbezogenen zu einer individuellen, personenzen-
trierten Teilhabeleistung ist unser Ziel. Menschen mit
Behinderung müssen mit ihren spezifischen Bedürfnis-
sen im Mittelpunkt stehen. Es muss eine Wahlfreiheit
geben, wenn es darum geht, wie und wo die Menschen
arbeiten und wohnen wollen. Es gilt auch, ein Verfahren
zu etablieren, bei dem alle Leistungsberechtigten in
Deutschland gleichermaßen an den Leistungen partizi-
pieren können. Das Verfahren muss die Bedarfsermitt-
lung vereinheitlichen.

Bei dieser Reform wird die Perspektive und die Er-
fahrung von Menschen mit Behinderung von Anfang an
mit einbezogen. Dass das nicht von heute auf morgen
geht, das haben wir eben schon diskutiert. Wir wollen
die Eingliederungshilfe nicht wegen eines abstrakten
Konzepts reformieren, sondern wir wollen sie für die
Menschen reformieren.


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen!)


Wir wollen die Teilhabe, die dem Einzelnen möglich ist,
auch möglich machen. Das ist ein Gebot der Gerechtig-
keit und Nächstenliebe. Dabei wird es nicht reichen,
möglichst viel Geld zu verlangen. Inklusion ist viel
schwieriger. Auf einer anderen Internetseite der Aktion
Mensch steht ebenfalls in Leichter Sprache:

Es gibt schon viele Gesetze und Regeln für Inklu-
sion. …

Diese Gesetze und Regeln sind wichtig.
Aber Vieles steht nur auf dem Papier.
Es muss sich viel mehr in den Köpfen von den
Menschen verändern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803326600

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan
Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hochschulpakt fortsetzen und aufstocken

Drucksache 18/1337
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Erster Redner der Debatte ist der Kollege Kai
Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803326700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ein 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildung und
Forschung hat die Große Koalition in ihrem Koalitions-
vertrag versprochen. Dazu muss ich zwei Dinge sagen:

Erstens. Diese Mittel sind viel zu gering, um die Un-
terfinanzierung von Krippen, Kitas, Schulen, Hochschu-
len, Forschungs- und Weiterbildungseinrichtungen zu
überwinden. Das sind geradezu Peanuts im Vergleich
zum Rentenpaket.

Zweitens. Bisher handelt es sich bei diesem 6-plus-3-
Milliarden-Euro-Paket um eine reine Luftnummer; denn
die Koalition streitet seit einem halben Jahr, ob, wie und
wohin das Geld überhaupt fließen soll. Währenddessen
landet bei Schülern, Studierenden, Lehrkräften und Wis-
senschaftlern kein Cent.

Damit riskiert diese Koalition die sichere Finanzie-
rungsbasis des Bildungs- und Wissenschaftssystems.
Das ist zukunftsvergessen, das ist innovationsfeindlich,
und das ist nicht generationengerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bildung und Wissenschaft brauchen erheblich höhere
Investitionen, und das am besten durch fachlich gebun-
dene zusätzliche Mittel des Bundes, die erstens wirklich
dort landen, wo sie hingehören – das müssen echte
Investitionen in die Bildungschancen unserer Kinder
sein –, und zweitens nicht zur Folge haben, dass einzelne
Länder ihre Etats für Schulen und Hochschulen absen-
ken. Um all das nachzuverhandeln, was in den Koali-
tionsgesprächen nicht ausgehandelt wurde, haben Minis-
terin Wanka und die Koalitionsfraktionen das jetzt in die
Hände von Merkel, Gabriel und Seehofer gelegt. Ange-
sichts dessen kann man doch sagen: Nicht der dringende
Investitionsbedarf bei Bildung und Wissenschaft wird
das Entscheidende sein, sondern der Machtpoker der
großen drei. Das ist die traurige und trostlose bildungs-
und forschungspolitische Realität dieser Großen Koali-
tion. Mit diesem Stillstand muss Schluss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Ist doch!)


Es gibt viele dringend anzugehende Projekte. Wir
stellen heute diesen Antrag,


(Martin Rabanus [SPD]: Ist aber ziemlich inspirationslos!)


damit die Koalition die Zukunft der Wissenschaftspakte
nicht vergisst,





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dafür brauchen wir die Grünen nicht!)


allen voran die Fortsetzung und Stärkung des Hoch-
schulpakts 2020. Wir haben einen fortdauernden Studie-
rendenboom. In jedem Jahr seit 2007 war die Nachfrage
nach Studienplätzen höher als geplant und der Hoch-
schulpakt stets unterdimensioniert. Das gilt übrigens
auch für die laufende zweite Paktphase. Wir wissen, dass
2012 und 2013 ungefähr 20 000 Studienanfänger mehr
als ursprünglich berechnet gekommen sind.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine gute Nachricht!)


Heute hat die Kultusministerkonferenz ihre neue Studi-
enanfängerprognose vorgelegt. Sie rechnet für 2014 und
2015 mit rund 62 000 Anfängern mehr als bisher pro-
gnostiziert und geplant.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Donnerwetter!)


Wenn der Bund jetzt seine Zusicherung, dass der
Hochschulpakt ein atmendes System ist,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der atmende Deckel!)


ernst nimmt, dann muss der Pakt folglich um 1 Mil-
liarde Euro aufgestockt werden. Also, halten Sie sich an
Ihr Versprechen eines atmenden Systems. Die Mehrbe-
darfe sind da. Die Hörsäle sind überfüllt, und sie werden
noch voller.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sagen deswegen in unserem Antrag, dass Sie die
Finanzierungslücke im laufenden Hochschulpakt schlie-
ßen müssen und dass Sie in diesem Jahr die Verhandlun-
gen über die 2016 startende Paktphase führen und
abschließen müssen. Wir als Grüne wollen den Hoch-
schulpakt stärken, damit Studierende und Hochschulen
wirklich Planungssicherheit haben. Das heißt, dass wir
dafür sorgen müssen, dass der Finanzdeckel automatisch
angepasst wird. Es bringt den Studis und den Wissen-
schaftlern nichts, wenn zwischen Bund und Ländern
ständig nachverhandelt werden muss. Wir wollen mehr
unbefristete Beschäftigungsmöglichkeiten für den wis-
senschaftlichen Nachwuchs schaffen. Auch dazu sind im
Hochschulpakt klarere Verabredungen zu treffen. Des-
halb bedarf es einer Planbarkeit und Verlässlichkeit der
Mittel. Wir wollen auch, dass die Programmpauschale
nicht infrage gestellt wird, sondern bestehen bleibt, weil
der Bund über die DFG Mittel direkt in die Hochschulen
geben kann. So kann die Programmpauschale bei Bedarf
schrittweise erhöht werden.

All das sind Beiträge, um die mangelnde Grundfinan-
zierung der Hochschulen und die schlechten Perspekti-
ven des wissenschaftlichen Nachwuchses ein Stück weit
zu verbessern. Anstatt weiter Eiertänze um das mögliche
Milliardenpaket aufzuführen, muss die Große Koalition
endlich das Notwendige für die junge Generation anpa-
cken. Kommen Sie aus Ihrer Selbstblockade heraus. Ge-
hen Sie ganz wichtige Projekte wie den Hochschulpakt
jetzt endlich an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803326800

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Dr. Claudia

Lücking-Michel, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1803326900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir führen heute Abend zu
später Stunde eine kurze Debatte zu einem Thema mit
sehr langfristigen Konsequenzen. Der Antrag greift
wichtige Fragen auf, und in manchen Punkten haben wir
auch ganz ähnliche Anliegen. Die richtigen Lösungen
müssen wir jedoch noch finden. Zur Bilanz gehört, nicht
nur zu sagen, was alles fehlt und dass das Glas nur halb-
voll ist, sondern auch zu sagen, was alles passiert ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn seitdem die CDU/CSU regiert, wissen die Hoch-
schulen und die Studierenden: Auf diese Bundesregie-
rung ist Verlass. Die Ausgaben für Bildung und For-
schung sind kontinuierlich erhöht worden,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und zwar – ich möchte das noch einmal festhalten – seit
2005 um 84,3 Prozent. Insgesamt hat der Bund für den
Hochschulpakt bisher allein 7 Milliarden Euro bereitge-
stellt.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Damit ist etwas passiert.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Genau!)


Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissen-
schaftsforschung sagt nicht nur, dass es so viele Studie-
rende gibt wie nie zuvor, sondern auch, dass die jungen
Menschen mit dem Lehrangebot, das sie an den Hoch-
schulen vorfinden, und mit ihrer Studiensituation zufrie-
den sind. Dazu hat der Bund beigetragen. Sie haben es
selbst gesagt: Der Hochschulpakt hat zur steigenden
Zahl an Studienplätzen einen großen Beitrag geleistet.
Der Qualitätspakt Lehre hat die Qualität verbessert.

Darin, dass jetzt weitere Herausforderungen anstehen,
stimmen wir alle, die wir heute Abend hier sind, glaube
ich, überein. Weiterhin werden viel mehr junge Men-
schen studieren als je zuvor, und das ist gut so. Unsere
Aufgabe ist es natürlich, weiterhin ausreichende Studi-
enkapazitäten zu garantieren. Deutsche Hochschulen
werden für internationale Studierende immer attraktiver.
Unser Wissenschaftssystem wird nur so leistungsfähig
und innovativ bleiben, wenn viele internationale Talente
zuwandern können und auch zuwandern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es stimmt: Wir müssen die Perspektiven verbessern, die
wir jungen Nachwuchswissenschaftlern bieten. Die





Dr. Claudia Lücking-Michel


(A) (C)



(D)(B)

Hochschulen brauchen mehr Planungssicherheit, um in
diesem Bereich wirkliche Perspektiven aufzubauen.

Den Hochschulpakt fortzusetzen, ist – da stimme ich
zu – wirklich im Bundesinteresse. Das ist eine nationale
Aufgabe. Das, was wir bisher erreicht haben, dürfen wir
nicht gefährden. Wir müssen an die Erfolge anknüpfen,
sie für die Zukunft sichern und das System inhaltlich
fortentwickeln.

Es stimmt: Den Hochschulpakt wird es weiterhin nur
so oder in einem ähnlichen Zuschnitt geben, wenn die
vorgesehenen Haushaltsmittel auch wirklich vom Bund
im Bereich Bildung und Forschung ausgegeben werden
können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn von den 6 Milliarden Euro ein Großteil, womög-
lich auch noch unkonditioniert, ohne Zweckbindung an
die Länder verteilt wird,


(Oliver Kaczmarek [SPD]: Wer will das denn?)


sind sämtliche Vorschläge des Bundes zur Fortführung
aller Wissenschaftspakte zur Disposition gestellt.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Oh! Das ist jetzt aber eine harte Aussage!)


Das kann nicht in unserem Sinne sein. Dieses Geld ge-
hört nicht in die Haushaltslöcher der Länder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber selbst damit haben wir nicht wirklich alle Pro-
bleme gelöst. Schließlich will ich deutlich machen:
Auch die Fortführung der Pakte bleibt ein Hilfskon-
strukt, mit dem wir uns zwar hier und jetzt in die Lage
versetzen können, zu handeln, mit dem wir auch viel er-
reicht haben, aber bei dem wir jetzt nicht stehen bleiben
dürfen. Wir brauchen keine weiteren neuen kurzfristigen
Projektzyklen, sondern in dieser Legislaturperiode müs-
sen wir tatsächlich gemeinsam an den großen Strukturen
arbeiten, innerhalb derer der Bund seine Verantwortung
für den Ausbau der Bildungsrepublik wahrnehmen soll.
Wer, wenn nicht jetzt wir, soll denn die Kraft aufbringen,
die Verfassung in diesem einen wichtigen Punkt zu än-
dern? Wenn der Bund nicht jetzt seine Mitzuständigkeit
für das Herzstück des Wissenschaftssystems, die Hoch-
schulen, bekommt, wann dann?

Insofern bin ich dankbar, dass durch diesen Antrag
die Debatte über die weitere Ausgestaltung von Artikel
91 b des Grundgesetzes wieder eröffnet ist. Wir müssen
dieses Thema aus der letzten Legislaturperiode dringend
aufgreifen und weiterführen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn ich bin mir sicher: Erst dann, wenn wir hier für Be-
wegung sorgen und Veränderungen herbeiführen, wer-
den wir das Geld auf Dauer sehr viel besser im Sinne
nachhaltiger Hochschulförderung einsetzen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also stimmen Sie unserem Antrag zu?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803327000

Vielen Dank, Frau Kollegin Lücking-Michel. – Das

war Ihre erste Rede. Ganz herzlichen Glückwusch dazu!


(Beifall)


Frau Dr. Rosemarie Hein redet jetzt für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803327100

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
mit dem vorliegenden Antrag zwar kein neues, aber ein
wichtiges Thema aufgegriffen; da sind wir uns alle einig.
Denn seit Jahren ist die Hochschullandschaft in der Bun-
desrepublik unterfinanziert. Mit der immer stärkeren
Bindung der Hochschulfinanzierung an die Einwerbung
von Drittmitteln und an einen auf den Markt orientierten
Wettbewerb hat sich die Situation an den Hochschulen
nicht verbessert, sondern verschlechtert. Das gilt für die
Lehre, für die Bedingungen für Studierende und für das
wissenschaftliche Arbeiten. So hat sich die Betreuungs-
qualität an den Hochschulen in den letzten Jahren enorm
verschlechtert. Vor einigen Jahren betreute ein Professor
noch circa 40 Studierende, heute muss eine Professorin
für etwa 57 Studierende da sein.

Die Pakte, die die Bundesregierung in den letzten Jah-
ren mit den Ländern für eine bessere Finanzierung der
Hochschulen abgeschlossen hat, konnten diesen Grund-
mangel nicht beseitigen. Der Pakt für die Exzellenz-
initiative hat diesen Trend sogar verstärkt. Dabei wurden
zwar wenige Leuchttürme der Wissenschaft besser
finanziert. Aber die Hoffnung, durch mehr Wettbewerb
und Spitzenförderung auch in der Breite der Hochschul-
landschaft Verbesserungen zu erreichen, hat sich nicht
erfüllt.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das war ja nicht der Sinn der Initiative, Frau Hein!)


Das hat die Linke stets kritisiert, und wir haben leider
Recht behalten.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das war auch nicht der Sinn und Zweck der Initiative!)


Es ist nämlich wie im Sport: Man braucht eine solide
finanzierte Breite, damit auch Spitzenleistungen entste-
hen. Umgekehrt geht das eben nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Darum sind wir dafür, die Mittel aus der Exzellenzinitia-
tive für die Grundfinanzierung der Hochschulen zur Ver-
fügung zu stellen.

Mit dem Hochschulpakt sollten nun all diese Defizite
behoben werden; alle drei Säulen – die Finanzierung der
Studienplätze, der Qualitätspakt Lehre und auch die Pro-
grammpauschalen – sind so ausgerichtet. Doch schon
längst ist klar, dass er in allen Bestandteilen hinter den
Erfordernissen zurückbleibt; mein Kollege Kai Gehring





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

hat die Zahlen vorhin genannt. Allein bei den Studien-
plätzen musste schon mehrmals aufgestockt werden. In
dem Haushalt, der uns vorliegt, ist die erhöhte Zahl noch
nicht einmal vermerkt. Wenn man den entsprechenden
FAZ-Artikel von heute gelesen hat,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr guter Artikel!)


der die Streitereien und Abwägungen innerhalb der Ko-
alition ein bisschen auseinandernimmt, dann muss man
sich fragen: Was passiert hier? Wird die Kitafinanzie-
rung gegen die Hochschulfinanzierung aufgewogen bzw.
ausgespielt?


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das darf nicht passieren, Frau Hein! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So läuft es doch gerade! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein! Wir wollen starke Vorschule und starke Bildung!)


Ich hielte das für fatal. Wir dürfen das nicht zulassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Indes sinnen nämlich viele Bundesländer angesichts
von Schuldenbremse und Haushaltsnot trotz dieses Pak-
tes auf Streichungsmöglichkeiten im Hochschulbereich.
So sollen in Sachsen-Anhalt in den Jahren von 2015 bis
2019 jeweils 5 Millionen Euro gespart werden. Danach
soll erneut verhandelt werden; dann wird es noch
schlimmer. Der Rektor der Martin-Luther-Universität in
Halle konstatierte ganz nüchtern: Das kostet Studien-
plätze.

Die Hochschulrektorenkonferenz geht davon aus,
dass wir längerfristig mit steigenden oder gleichbleibend
hohen Studierendenzahlen zu rechnen haben. Aber der
Hochschulpakt kann nicht zum Dauerinstrument wer-
den. Er muss immer neu ausgehandelt werden. Das gibt
doch keine Sicherheit für die Finanzierung.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Natürlich!)


Es besteht also akuter Handlungsbedarf. Ich bin sehr
dafür, die Länder nicht aus ihrer Verantwortung zu ent-
lassen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! Das ist ja mal richtig, Frau Hein!)


Darum ist es höchste Zeit, mit den Ländern über die
Fortsetzung des Hochschulpaktes zu verhandeln. – Sie
müssen mir öfter aufmerksam zuhören; ich sage das öf-
ter.


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich höre Ihnen immer zu!)


Der Antrag der Grünen greift nun wichtige Punkte
auf, die wir unterstützen können. Es muss allerdings
auch Wert darauf gelegt werden, dass zur Finanzierung
von Studienplätzen auch die Absicherung der sozialen In-
frastruktur – des studentischen Wohnens beispielsweise
und der Studienfinanzierung – gehört. Man kann sich
auch nicht nur auf die Studienanfängerinnen und -anfän-
ger konzentrieren, sondern man muss es bis zum Master
durchdenken. Ich denke, da bleibt der Antrag der Grünen
deutlich zu zahm.

Ich glaube, dass der Ansatz, das Kooperationsverbot
aufzuheben, auch mit diesem Antrag bzw. mit diesem
Fakt neue Nahrung bekommt.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau deshalb steht die Forderung drin! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Steter Tropfen höhlt den Stein!)


Ich hoffe allerdings sehr, dass die Grünen sich nicht da-
mit zufrieden geben, es – wir haben die Avancen eben
gehört – nur bei den Hochschulen aufzuheben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch nicht!)


Wir meinen: Das Kooperationsverbot muss im gesamten
Bildungsbereich aufgehoben werden, damit gemeinsam
finanziert werden kann, was gemeinsam verantwortet
wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803327200

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist

Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1803327300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Der Hochschulpakt
ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Bund
und Ländern in der Bildungspolitik. Ich bin weit davon
entfernt, zu behaupten, das sei alles perfekt und es habe
keine zähen Verhandlungen gegeben; aber insgesamt
– das muss man doch festhalten – ist der Hochschulpakt
der Versuch einer Antwort auf gestiegene Studienanfän-
gerzahlen; es geht um die Entwicklung von mehr Quali-
tät an den Hochschulen und um eine gemeinsame Über-
nahme der Verantwortung durch Bund und Länder.

Diejenigen, die behauptet haben, das gehe gar nicht,
und die auch heute anklingen lassen, Bund und Länder
könnten sich da gar nicht verständigen, sind widerlegt.
Der Hochschulpakt muss fortgesetzt werden, und zu die-
sem politischen Ziel hat sich die Koalition auch eindeu-
tig bekannt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ausfinanzieren müsst ihr ihn!)


Die hohe Studierneigung – das ist hier schon richtig
festgestellt worden – bleibt ja als Herausforderung beste-
hen. Es ist erfreulich, dass sich so viele junge Menschen
wie noch nie für ein Hochschulstudium entschieden ha-
ben.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])






Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(D)(B)

Viele von ihnen – das ist auch schon gesagt worden –
kommen aus anderen Ländern hierher, um zu studieren.
Das ist ein Erfolg, und das ist eine bildungspolitische
Konstante, mit der wir uns beschäftigen müssen.

Die Koalition hat darauf auch reagiert. Natürlich hätte
ich mir persönlich auch noch mehr vorstellen können;
aber wir stellen in dieser Wahlperiode 6 plus 3 Milliar-
den Euro zusätzlich für Bildung und Forschung zur Ver-
fügung.


(Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Noch in diesem Jahr werden 500 Millionen Euro fließen.
Wir wissen noch nicht genau, durch welchen Kanal; aber
sie werden fließen. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen
dafür, dass Bildung und Forschung auch in den nächsten
vier Jahren Priorität haben.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Ich will an dieser Stelle noch sagen: Dieses Geld ge-
hört nicht irgendwelchen staatlichen Ebenen, die darüber
streiten müssen, dieses Geld gehört der Bildung. Ich bin
der Meinung, dass keine staatliche Ebene sich über eine
andere erheben sollte nach dem Motto „Nur wir wissen,
wie man mit diesem Geld umgehen kann“. Nein, Bund
und Länder müssen sich darauf einigen, wie dieses Geld
in die Bildungseinrichtungen kommt.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oder in die Forschung!)


Ich vertraue dem Bund und den Ländern, dass es auch
dort ankommt, so wie wir es uns im Koalitionsvertrag
vorgenommen haben.


(Beifall bei der SPD)


Wir verzeichnen einerseits so viele Studienanfänger
wie noch nie, andererseits bleibt die Tür zur Hochschule
für viele junge Menschen immer noch verschlossen. Von
100 Kindern aus Akademikerfamilien – also wo beide
Eltern einen Hochschulabschluss haben – erhalten 77 die
Hochschulzugangsberechtigung. Von 100 Kindern aus
Nichtakademikerfamilien sind es nur 23. Das zeigt doch
eines: Die Debatte über Überakademisierung oder Aka-
demisierungswahn spiegelt nicht die soziale Wirklich-
keit wider. Die Zugänge zur Hochschule müssen weiter-
hin für alle offen sein und einigen erst noch eröffnet
werden. Darin dürfen wir nicht nachlassen, und da dür-
fen wir auch nichts gegeneinander ausspielen.


(Beifall bei der SPD)


Berufliche und allgemeine – in diesem Fall akademi-
sche – Bildung dürfen bildungspolitisch nicht als Gegen-
sätze begriffen werden. Im Gegenteil, zu Recht betonen
wir die Notwendigkeit der Stabilisierung der Wertschät-
zung der beruflichen Bildung. Arbeitsfelder differenzie-
ren sich aber immer weiter aus. Unternehmen fragen
heute auch immer mehr nach einem Mix aus betriebli-
cher Praxis und akademischer Weiterbildung oder aka-
demischer Ausbildung. Junge Menschen entscheiden
sich auch deshalb immer öfter für Ausbildung und Stu-
dium, manchmal nacheinander, manchmal auch parallel.
Das erreicht im Übrigen auch junge Menschen aus den
sogenannten bildungsfernen Schichten. Die Sozialerhe-
bung des Deutschen Studentenwerks liefert dazu interes-
sante Zahlen. Gerade im dualen Studium sind viele
junge Menschen aus den sogenannten bildungsfernen
Schichten. Deshalb müssen wir Lösungen für beides fin-
den. Wir dürfen nicht akademische und berufliche Bil-
dung als Gegensätze darstellen, wie das öffentlich teil-
weise geschieht, sondern wir müssen sie miteinander
kombinieren, miteinander verschränken. Deshalb ist es
richtig – die Koalition hat das vereinbart –, dass wir den
Zugang weiterer beruflich Qualifizierter zu einem Ver-
handlungskriterium bei den Verhandlungen über den
Hochschulpakt machen werden. Das ist eine Zukunfts-
aufgabe, und das muss im Hochschulpakt auch seinen
Niederschlag finden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist auch richtig – das wurde im Antrag auch ange-
sprochen –, dass der Hochschulpakt natürlich zügig wei-
terentwickelt und verhandelt werden muss, damit die
Hochschulen Planungssicherheit behalten. Einen Punkt
aus dem Antrag, bei dem wir nicht einer Meinung sind
– es stehen sicherlich auch Dinge drin, bei denen wir ei-
ner Meinung sind –, will ich aber noch herausgreifen. Es
geht um die Frage: Wer übernimmt eigentlich die Ver-
antwortung für einen erfolgreichen Studienabschluss,
und wie kann man das politisch mitsteuern?

Es ist richtig: Wir wollen die Autonomie von Hoch-
schulen. Sie sollen über ihr wissenschaftliches Profil und
ihre regionale Einbindung entscheiden, und sie sollen
auch die Mittelverausgabung selbst steuern können. Zur
Autonomie gehören aber eben auch Rechenschaftsle-
gung, Verantwortung und die Transparenz des Wissen-
schaftssystems.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn?)


Deswegen möchten wir eben nicht nur betrachten,
wie viel Geld man oben hineinsteckt, sondern es muss
auch Outputvariablen geben, die über den Studienerfolg
bzw. den erfolgreichen Studienabschluss Auskunft ge-
ben. Darüber, wie man sie bemisst – Zielvereinbarungen,
Abschlussboni usw. –, kann man länger diskutieren.
Deshalb haben wir in der Koalition vereinbart und im
Koalitionsvertrag fixiert, dass wir Angebote fördern
wollen, die mehr Studierende qualitätsgesichert zu ei-
nem erfolgreichen Abschluss führen. Das halte ich auch
für richtig;


(Beifall bei der CDU/CSU)


denn zur Qualität einer Hochschule gehört eben untrenn-
bar, dass sie möglichst viele Studierende zum Abschluss
führt.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn?)


Deswegen gehört das auch in den Hochschulpakt.

Besonders merkwürdig fand ich die Unterstellung,
Abschlussboni wären mit Fehlanreizen verbunden, die
dann auch die Qualität senken würden.





Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(B)


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch noch nicht einmal ein Modell!)


Ich bin hier anderer Meinung; denn wir müssen doch
eher umgekehrt fragen: Welche Anreize liefert das jet-
zige Finanzierungssystem? Das jetzige System liefert
den Anreiz, viele Studienanfänger aufzunehmen. Wir ha-
ben aber keine formal nachprüfbaren Kriterien für Stu-
dienabbrüche und für Studienabschlüsse.

Gerade diese Punkte sind für eine gemeinsame Ver-
einbarung und übrigens auch für die demokratische Le-
gitimation in Bezug auf den Hochschulpakt aber wich-
tig. Wir wollen wissen, wie viele Studierende das
Studium auch abgeschlossen haben. Das wollen wir
auch mit in die Verhandlungen einbeziehen. Darüber, in
welcher Form das geschehen wird, muss man reden, aber
wir müssen die Anreize an dieser Stelle eben auch rich-
tig setzen, und dabei muss es auch um Outputvariablen
gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Zeitplan der GWK ist ambitioniert.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803327400

Herr Kollege Kaczmarek, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Gehring?


Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1803327500

Gerne, ja.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803327600

Ich wollte einfach einmal fragen, ob Sie inzwischen

ein wirklich schlüssiges Modell für diese Absolventen-
boni haben und wie das genau aussieht. Wir haben am
Mittwoch im Ausschuss ja gelernt, dass die Hochschul-
statistik noch nicht einmal eine klare Aussage darüber
treffen kann, wie viele tatsächliche Studienabbrecherin-
nen und -abbrecher wir in der Bundesrepublik Deutsch-
land haben. Sie müssen erst einmal die statistischen
Grundlagen dafür schaffen, bevor Sie die Finanzierungs-
systematik des Hochschulpaktes komplett auf den Kopf
stellen. Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Es gibt
nämlich Fachrichtungswechsler, es gibt Studienort-
wechsler, und es gibt reale Abbrecher.

Wie wollen Sie unter diesen Voraussetzungen die Ab-
solventenprämie bzw. die Absolventenboni, die Sie im-
mer fordern und wofür ich noch kein überzeugendes
Konzept gesehen habe, in den Hochschulpakt implemen-
tieren? Hier müssen Sie als Regierungsfraktion auch ein-
mal Antworten liefern.


(Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1803327700

Ich will gerne darauf antworten. Ich habe ja gerade

schon gesagt: Wie man das bemisst, wird man sehen.
Der Abschlussbonus ist ein Modell, das genannt wird;
Zielvereinbarungen und eine vernünftige Dokumenta-
tion von Absolventenzahlen wären sicherlich ein ande-
res.

Ich wende mich nur dagegen, dass Sie sagen, dass Sie
das überhaupt nicht in Augenschein nehmen – das
schreiben Sie ja in Ihrem Antrag –, weil das angeblich zu
einem Qualitätsnachlass führt. Nein, im Gegenteil: Qua-
lität in einer Hochschule bedeutet auch, möglichst viele
der Studienanfänger zu einem geordneten und qualitäts-
gesicherten Abschluss zu führen. Das haben wir in den
Koalitionsvertrag geschrieben, und das wollen wir auch
realisieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer will nicht möglichst viele Absolventen?)


Die GWK wird noch in diesem Jahr Vorschläge für
die Weiterentwicklung des Hochschulpaktes vorlegen.
Das wird dann auch Grundlage für unsere weiteren Ge-
spräche sein, und ich bin schon sehr gespannt darauf.

Es ist in dem Antrag richtigerweise aber auch ange-
sprochen worden, dass die Phase des Auslaufens der
Pakte auch zur Weiterentwicklung anregt. Wir haben in
der Koalition vereinbart, über die Zukunft des Wissen-
schaftssystems zu debattieren und sie zu justieren. Wir
haben fest vor, dass der Bund stärker Verantwortung
übernimmt, indem er in die Grundfinanzierung der
Hochschulen mit einsteigt. In diesem Sinn wollen wir
die Pakte weiterentwickeln.

Es geht aber um mehr als nur um Finanzfragen. Es
geht um die Gesamtarchitektur des Wissenschaftssys-
tems: gemeinsame Verantwortung, Arbeitsbedingungen,
Karrierewege. All das wird diese Debatte bestimmen.

Zum Schluss. Ich würde sagen, Sie sollten den Hoch-
schulpakt nicht schlechtreden. Wir sollten genau hinse-
hen, welche Ziele wir damit verbinden. Wir sollten Zu-
gänge zum Studium erhalten und neue eröffnen. Wir
müssen das Wissenschaftssystem in der Mitte der Ge-
sellschaft entwickeln. Das sind wirklich große Heraus-
forderungen für die nächsten dreieinhalb Jahre.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803327800

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

das Wort Dr. Philipp Lengsfeld.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Zweite Jungfernrede!)



Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1803327900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen, lieber Kai Gehring, Ihr Antrag be-
handelt ein wichtiges Thema – das ist heute Abend
schon mehrfach gesagt worden –: die auskömmliche Fi-
nanzierung unserer Hochschulen. Ich war positiv über-
rascht – das sage ich –; denn ich hatte eigentlich erwar-
tet, dass Sie gemäß Ihrem Wahlprogramm einfach nur

(D)






Dr. Philipp Lengsfeld


(A) (C)



(D)(B)

eine Aufstockung um 1 Milliarde Euro pro Jahr für den
Hochschulpakt fordern. Ihr Antrag, jedenfalls so wie ich
ihn lese, ist da deutlich moderater.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Haushaltsantrag!)


Ich hoffe, dass Sie damit endlich das Signal des 22. Sep-
tember 2013 akzeptiert haben.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihr Antrag überhaupt?)


Die Wählerinnen und Wähler haben eine klare Richtung
vorgegeben. Die Union hat die Wahl gewonnen, und
zwar mit der Forderung nach solidem Wirtschaften ohne
Steuererhöhungen, verbunden mit dem klaren Bekennt-
nis, einen Schwerpunkt auf Bildung, Forschung und
Innovation zu legen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Man kann diesem Koalitionsvertrag vielleicht das
eine oder andere vorwerfen, aber sicherlich nicht, dass
wir einen zu geringen Fokus auf den Bildungsstandort
Deutschland legen. Hier können Sie uns unterstützen,
liebe Bildungspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen;
denn wir haben, zumindest was die Fortsetzung des
Hochschulpakts angeht, gar keinen Dissens; das ist dar-
gestellt worden. Hier droht von ganz anderer Seite Un-
gemach.


(Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt offenbar die Vorstellung mancher Länder, dass
die 6 Milliarden Euro für Kita, Schule und Hochschule,
die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, einfach blanko
überwiesen werden und der Bund weiter keine Rolle
spielen soll. Das halten wir für falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu den Details Ihres Antrags ist hier schon viel Wich-
tiges und viel Richtiges gesagt worden. Ich möchte über
zwei grundsätzliche Dinge reden. Eines dieser Dinge ist
noch gar nicht angesprochen worden. Ich halte zwei
Grundprämissen Ihrer Argumentationslinie für nicht
ganz korrekt.

Die erste Grundprämisse ist: Je mehr Studienanfän-
ger, desto besser. Aber hat Deutschland eine so geringe
Jugendarbeitslosigkeit und haben wir eine so gute Posi-
tion in Europa, weil wir einfach viel mehr Studienanfän-
ger haben als unsere europäischen Nachbarn? Nein.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir ja!)


– Nein, so einfach ist es nicht. Wir sind so gut aufge-
stellt, weil – das ist auch gesagt worden – unsere Fach-
kräfteausbildung auf zwei Säulen ruht. Wir müssen eben
dafür sorgen, dass beide Säulen gestärkt werden und er-
folgreich sind. Hier darf es keine Einseitigkeit geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen dafür sorgen, dass es Chancengerechtig-
keit gibt. Aber – auch das sage ich ganz deutlich – wir
müssen auch dafür sorgen, dass möglichst viele Schüle-
rinnen und Schüler den Ausbildungsweg einschlagen,
der für ihre Begabung und für die aktuellen Verhältnisse
der beste ist. Dafür brauchen wir an unseren Schulen ein
Leistungs- und Differenzierungssystem. Deshalb vertei-
digt die Union das Gymnasium. Das ist eine ganz klare
Politik, die wir da fahren.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Hochschulpakt!)


Die zweite Grundprämisse Ihres Antrags impliziert
– da will ich hier ein ganz heißes Thema ansprechen –,
dass es gerecht sei, dass die Steuerzahler die Gesamtkos-
ten für das Studium aller Studierenden tragen. Ich per-
sönlich halte dies für falsch. Ja, natürlich: Sie haben den
Kampf um Studiengebühren politisch gewonnen; das ist
überhaupt keine Frage.


(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Aber eben nur politisch, nicht fachlich. Fachlich haben
Sie unrecht. Die Daten haben gezeigt, dass Studienge-
bühren eben keinen relevanten negativen Einfluss haben,
weder auf die Studienanfängerquote noch auf die soziale
Zusammensetzung der Studierendenschaft. Das sind die
Daten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es auch andere Studien und Lebenserfahrungen!)


Sie fordern eine Aufstockung des Hochschulpakts;
dafür haben Sie schon viel Unterstützung erfahren. Im
Wahlprogramm hatten Sie dafür 1 Milliarde Euro pro
Jahr mehr veranschlagt; das haben Sie in Ihrer Rede sel-
ber gesagt, Herr Gehring. Darf ich daran erinnern, wie
viel Geld im Jahr 2008, also der Hochzeit der Studienge-
bühren, jährlich in Deutschland über Studiengebühren
eingenommen wurde? Es waren 1,2 Milliarden Euro.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das verlangt eine gewisse Antwort!)


Sie wollen also die Probleme lösen, die Sie durch die
vehemente Diffamierung von Studiengebühren ein Stück
weit selbst mit geschaffen haben. So sieht es aus. So ein-
fach ist es eben nicht.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das meinen Sie jetzt nicht wirklich ernst!)


– Das ist ein ganz klarer Vergleich von zwei Summen:
1 Milliarde Euro Einnahmen, die angeblich fehlen, und
1,2 Milliarden Euro, die wir eingenommen hatten.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das haben wir nicht gewollt!)


So einfach ist es nicht. Wir müssen darüber reden, wie
wir die von Ihnen formulierten Ziele, die ja nicht völlig
falsch sind, gemäß unserem Wählerauftrag erreichen
können, und diese Diskussion läuft bereits.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803328000

Vielen Dank.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1337 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zur Fortentwicklung des
Meldewesens

Drucksache 18/1284
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Interfraktionell sind für die Aussprache 25 Minuten
vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Erster Redner in der Debatte ist Dr. André
Berghegger, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. André Berghegger (CDU):
Rede ID: ID1803328100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute
zum ersten Mal den Gesetzentwurf zur Änderung des
Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens, ein zu-
gegebenermaßen sehr technisch klingender Titel. Aber
das Thema hat in der Vergangenheit zu lebhaften öffent-
lichen Diskussionen geführt.

In der letzten Legislaturperiode stand nämlich die
grundlegende Reform des Meldewesens an. Grund hier-
für war, dass im Rahmen der Föderalismusreform I die
Zuständigkeit für das Meldewesen von den Ländern auf
den Bund gewechselt ist. Ein inhaltlicher Schwerpunkt
der damaligen Debatte war sicherlich die Fragestellung:
Unter welchen Voraussetzungen dürfen Meldeämter Da-
ten an gewerbliche Anbieter, also an Adresshändler und
andere Firmen, weitergeben?

Der Bundestag hat nach Abschluss des Vermittlungs-
verfahrens aus meiner Sicht ein modernes Meldegesetz
beschlossen. Datenschutz, Verbraucherschutz und das
Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung waren
Themen, die in der Debatte eine Rolle spielten. Ein in-
haltlicher Schwerpunkt wurde auch auf die Einbezie-
hung der Betroffenen gelegt. Die Bandbreite reichte von
der Zustimmungslösung über die Widerspruchslösung
bis im Wesentlichen wieder hin zur Zustimmungslösung
nach dem Vermittlungsausschuss. Wichtig ist, dass vor
bestimmten Datenübermittlungen das Einverständnis der
Bürger erforderlich ist.

Aus meiner Sicht zeigt diese Diskussion erneut: Für
die öffentliche Hand ist der sensible Umgang mit Daten
äußerst wichtig. Warum entstand eigentlich im Verfahren
erst vor der Anrufung des Vermittlungsausschusses eine
lebhafte öffentliche Diskussion?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wann waren denn die Änderungsanträge? Also wirklich! Sie waren nicht dabei!)


Das Gesetz war lange vorbereitet. Jeder – auch jede
Fraktion – hätte alle Bedenken auch öffentlich vortragen
können. Aber es geschah relativ wenig. Vielleicht war es
die Zeit vor Bekanntwerden der Überwachungspraktiken
der NSA. Vielleicht war die Öffentlichkeit noch nicht so
sensibilisiert wie heute.

Aber der eigentliche Auslöser war ein ganz anderer,
nämlich der Zeitpunkt der Debatte. Zum Zeitpunkt der
Debatte fand die Fußballeuropameisterschaft statt, mit
dem Halbfinale Deutschland gegen Italien, das Deutsch-
land – aus meiner Sicht leider 1 : 2 – verloren hat, und
die Ränge, einschließlich der Ränge der Presse, waren
äußerst dürftig besetzt. Teile der Presse monierten die
vermeintlich schnelle Beratung mit wenigen Mitgliedern
des Bundestages zu dieser späten Stunde. Das Verfahren
wurde etwas in Zweifel gezogen.

Deswegen, denke ich, besteht heute die gute Möglich-
keit, die Bedeutung dieses modernen Melderechts auf
der einen Seite und den sensiblen Umgang mit Daten auf
der anderen Seite zu betonen und herauszustellen. Wir
werden verschiedene redaktionelle Änderungen vorneh-
men und Anregungen aus dem Bundesrat aufnehmen.

Insbesondere wird eine einheitliche Geltung des Mel-
derechts im gesamten Bundesgebiet ermöglicht werden.
Vor allem aber soll die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zur steuerlichen Gleichstellung von Ehe
und Lebenspartnerschaft im Einkommensteuerrecht
auch im Melderecht umgesetzt werden.

Details sind hier noch offen. Aus meiner Sicht müs-
sen wir jedoch noch einen Aspekt beachten, und zwar
den, dass keine unverhältnismäßigen Schwierigkeiten
für Beschäftigte bei Kirchen entstehen, die eine Le-
benspartnerschaft führen oder deren Ehe geschieden
worden ist. Der Prälat im Kommissariat der deutschen
Bischöfe hat schriftlich mitgeteilt, dass Meldedaten, die
der Kirche von den Meldebehörden übermittelt werden,
nicht für arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll das funktionieren in der Praxis?)


Aus meiner Sicht ist das ein wichtiges Signal für die Ar-
beitnehmer. Dennoch werden wir vor der abschließen-
den Lesung Prälat Dr. Jüsten ein Berichterstatterge-
spräch anbieten; da sind die Kollegin Frau Fograscher
und ich einer Meinung. Wir werden nach einem gemein-
samen Termin Ausschau halten, um über diese Thematik
zu debattieren.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der Opposition?)


Aber letztendlich sage ich deutlich: Die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichbehandlung
von Ehe und Lebenspartnerschaft ist eindeutig auch im





Dr. André Berghegger


(A) (C)



(D)(B)

Melderecht umzusetzen. Sonst läuft diese Entscheidung
ins Leere.

Bleibt also aus meiner Sicht nur zu hoffen, dass die
zweite und dritte Lesung nicht wieder zur Zeit eines
„Straßenfegers“ bei der anstehenden Fußballweltmeis-
terschaft durchgeführt wird, um eine ordnungsgemäße
Debatte zu führen. Aber ich kann Sie beruhigen: Das
erste Spiel der deutschen Mannschaft findet erst zehn
Tage später statt.

Vielen Dank für das freundliche Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803328200

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt

das Wort Frank Tempel.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803328300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Zu später Stunde sitzen wir wieder; aber
ansonsten ist zu Ihrer Ablaufschilderung einiges hinzu-
zufügen. Dass die Linke traditionell nicht mit jeder
Regelung im Meldewesen einverstanden ist und hier er-
hebliche Gefahren für den verantwortungsvollen Daten-
schutz sieht, ist allgemein bekannt. Der vorliegende Ge-
setzentwurf macht den Weg für das vor zwei Jahren
verabschiedete Meldegesetz frei. Das Meldegesetz soll,
wie es im Entwurf heißt, aktualisiert und optimiert wer-
den, „damit eine reibungslose Implementierung gewähr-
leistet ist“. Das klingt gut, nett, formal und wie schon
beim letzten Mal völlig unproblematisch.

Die lange und heftige öffentliche Debatte hatte aber
einen guten Grund; denn die schlimmsten Entgleisungen
des Ausgangsgesetzes mussten verhindert werden. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass der Bürger nicht mehr
gefragt werden sollte, wann seine Daten weitergegeben
werden. Er sollte nach der alten Regelung selbst aktiv
werden und Widerspruch einlegen, um die Weitergabe
seiner persönlichen Daten zu verhindern. Dem wurde
deutlich widersprochen. Ich möchte auch daran erinnern:
Erst kurz zuvor, zwei Tage vor der Sitzung des Innenaus-
schusses, kam es durch einen Änderungsantrag zu dieser
Änderung.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel zur Wahrheit!)


Deswegen gab es eine verspätete Diskussion darüber.
Das hatte nichts mit irgendeinem Fußballspiel zu tun,
sondern das war ein ganz gezielter strategischer Schach-
zug Ihrer Fraktion.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Widerspruchslösung ist nun durch eine Einwilli-
gungsregelung ersetzt. Das ist erst einmal in Ordnung,
wenn auch nicht ganz unproblematisch; denn die Einwil-
ligung muss nun bei dem betreffenden Unternehmen
selbst hinterlegt werden. Das heißt auf Deutsch: Das Un-
ternehmen muss bei mir als Bürger anrufen, muss sich
die Einwilligung holen und diese dann den Meldestellen
vorlegen. Ich möchte die Unternehmen nicht unter Ge-
neralverdacht stellen. Aber ich weiß nicht, ob jede Ein-
willigung, die bei einer Meldestelle vorgelegt wird, tat-
sächlich echt ist. Deswegen wäre es wesentlich
sinnvoller, dass die Meldebehörde sich selbst darum
kümmert, ob eine Einwilligung vorliegt, also mich als
Bürger fragt und das nicht über Dritte, über Unterneh-
men, macht. Dann ist diese Regelung für den Bürger
wirklich sauber nachvollziehbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Für verzichtbar halten wir aus verschiedenen Grün-
den weiterhin die Wiedereinführung der Hotelmel-
depflicht und die Vermieterbescheinigung beim
Wohnungseinzug, aber auch die grundsätzliche Daten-
übermittlung an Religionsgemeinschaften.

Es ist nicht meine Art, alles pauschal zu kritisieren.
Der Gesetzentwurf enthält auch vernünftige Regelun-
gen. Neben einigen redaktionellen Änderungen – das ha-
ben Sie schon angesprochen – gibt es zum Beispiel in
§ 49 eine Ergänzung, die aus meiner Sicht sehr sinnvoll
ist. Die Erweiterung der Protokollierungspflicht, die sich
auf alle automatisierten Melderegisterauskünfte bezieht,
ist eine sehr sinnvolle Regelung, die das Recht des von
der Datenerfassung Betroffenen auf Selbstauskunft
durchaus stärkt. Das begrüßen wir, und das sagen wir
auch so.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt aber auch – das haben Sie richtigerweise an-
gesprochen; da es noch die zweite und dritte Lesung
gibt, kann man noch etwas machen – ein Problem, des-
sen Lösung uns der Bundesrat sozusagen als Hausauf-
gabe aufgegeben hat. Das ist § 42. Er sieht nämlich vor,
dass der Familienstand bei Kirchensteuerpflichtigen,
zum Beispiel ob sie geschieden sind oder in einer Le-
benspartnerschaft leben, übermittelt werden muss.

Darauf sollte zumindest bei Beschäftigten von Reli-
gionsgemeinschaften verzichtet werden. Es geht hier
also um eine bereichsspezifische Übermittlungssperre.
Warum? Die Übermittlung dieser Daten kann schutz-
würdigen Interessen des betroffenen Personenkreises zu-
widerlaufen und ihnen erheblichen Schaden zufügen,
zum Beispiel eine Kündigung. Das ist ein guter Hinweis.
Wenn die Mehrheit hier im Haus schon nicht unserem
Vorschlag folgt, generell keine Datenübermittlung an
Religionsgemeinschaften zu erlauben – es finden sich
nun einmal Unterschiede in unseren Positionen –, dann
kann man wenigstens in diesem Punkt eine Einigung er-
zielen. Auch daran werden wir mitarbeiten.

Die Schadensbegrenzung im Hinblick auf den alten
Entwurf ist also noch nicht abgeschlossen. Es sind noch
genug Hausaufgaben zu machen. Dazu wird sich die
Linke in den Ausschusssitzungen entsprechend einbrin-
gen. Wir bitten nur darum, dass Änderungsanträge nicht
wieder erst zwei Tage vor der Innenausschusssitzung
vorgelegt werden.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803328400

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Gabriele

Fograscher, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1803328500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Mit dem Bundesmeldegesetz, das in der vergange-
nen Legislaturperiode beschlossen wurde, ist ein
Beschluss der Föderalismuskommission I umgesetzt
worden. Damit wurde die alleinige Gesetzgebungskom-
petenz für das Meldewesen auf den Bund übertragen.
Bisher existieren in den Bundesländern noch 16 unter-
schiedliche Formen von Melderegistern, die unter-
schiedliche Standards haben und untereinander auch
nicht vernetzt sind. Den Zeitraum bis zum Inkrafttreten
am 1. Mai 2015 brauchen die Meldebehörden zur Um-
setzung und Umstellung auf das neue System. Dann
wird das Meldewesen den Ansprüchen an eine moderne
Verwaltung gerecht werden.

Das Melderecht verpflichtet jeden Bürger und jede
Bürgerin, bestimmte Daten an die Meldebehörden zu
übermitteln. Dazu gehören der Familienname, frühere
Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsan-
gehörigkeit, Adresse, Familienstand und andere Daten.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen darum sicher sein,
dass ihre Daten bei den Meldebehörden gut und sicher
aufgehoben sind und nicht unbegründet an Dritte weiter-
gegeben, dort gespeichert, gegebenenfalls weiterverwen-
det oder zu Werbezwecken missbraucht werden. Es
sollte daher der Regelfall sein, dass es für die Weitergabe
von Daten der Einwilligung des oder der Betroffenen be-
darf.

Viele von Ihnen können sich noch daran erinnern,
dass die Verabschiedung des Bundesmeldegesetzes 2012
hohe Wellen geschlagen hat; denn kurzfristig – es
stimmt: zwei Tage vor der Innenausschusssitzung – hat
die damalige schwarz-gelbe Koalition einen Änderungs-
antrag eingebracht und mit ihrer Mehrheit beschlossen.
Dieser Änderungsantrag hatte zum Inhalt, dass die Wei-
tergabe der Daten zum Regelfall geworden wäre; nur
wenn der Bürger oder die Bürgerin ausdrücklich bei der
Behörde widerspricht, sollte das unterbleiben. Diese
deutliche Verschlechterung des Datenschutzniveaus ha-
ben wir als SPD nicht mitgetragen, und nach einer öf-
fentlichen Protestwelle – es wurden sowohl der Inhalt
des Gesetzes als auch das Zustandekommen des Geset-
zes kritisiert – wurde die ursprüngliche Regelung mit-
hilfe des Bundesrates im Vermittlungsausschuss wieder
durchgesetzt. Jetzt ist die Weitergabe von Daten an
strenge Kriterien gebunden.

Das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens
muss noch vor Inkrafttreten in Einzelfragen aktualisiert
werden. So sollen unter anderem Ermächtigungsgrund-
lagen für notwendige Folgeregelungen in Bund und Län-
dern früher in Kraft treten. Zudem müssen noch weitere
Richtigstellungen vollzogen werden, sodass sich Melde-
pflichten in anderen Gesetzen nicht mehr aus den Lan-
desmeldegesetzen oder dem Melderechtsrahmengesetz
herleiten, sondern aus dem Bundesmeldegesetz.

Das Bundesverfassungsgericht entschied am 7. Mai
2013, dass die Ungleichbehandlung von Ehen und einge-
tragenen Lebenspartnerschaften verfassungswidrig ist.
Die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuer-
gesetzes verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheits-
satz. Dieses Urteil hat auch Auswirkungen auf das Mel-
derecht. So muss zum Beispiel bei der Bildung und
Anwendung der elektronischen Steuerabzugsmerkmale
das Datum der Begründung oder Auflösung einer Ehe
übermittelt werden. Aufgrund des Urteils des Bundes-
verfassungsgerichts muss nun auch das Datum der Be-
gründung oder Auflösung einer Lebenspartnerschaft
übermittelt werden. Mit dem heute vorliegenden Gesetz-
entwurf sollen diese notwendigen Änderungen nachvoll-
zogen werden.

Der Bundesrat spricht in seiner Stellungnahme ein
Problem an – darauf ist schon hingewiesen worden –,
das wir in den anstehenden Ausschussberatungen lösen
müssen. § 42 Bundesmeldegesetz regelt die Datenüber-
mittlung an öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaf-
ten, zum Beispiel zur Erhebung der Kirchensteuer. Auch
hier wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nachvollzogen, also die Vorschrift wird um die eingetra-
genen Lebenspartnerschaften ergänzt. Da die Meldebe-
hörden auch den Familienstand an die öffentlich-rechtli-
chen Religionsgemeinschaften übermitteln, können die
Kirchen so erfahren, ob ihre Mitarbeiter verheiratet oder
geschieden sind oder in einer eingetragenen Lebenspart-
nerschaft leben. Da aber zum Beispiel die katholische
Kirche die eingetragene Lebenspartnerschaft als „Ver-
stoß gegen Loyalitätsobliegenheiten“ ablehnt, könnte die
Übermittlung dieser Daten negative Auswirkungen für
die Kirchenmitarbeiter bis hin zur Kündigung haben.

Hier wollen wir eine Lösung finden. Der Bundesrat
schlägt die Einführung einer Widerspruchsmöglichkeit
für die betroffenen Personen vor. Diesen Vorschlag halte
ich nicht für zielführend. In einem aktuellen Schreiben
des Kommissariats der deutschen Bischöfe wird eine
solche Regelung auch abgelehnt.

Wir müssen versuchen, eine andere Lösung zu finden,
und die kann es nur zusammen mit der katholischen Kir-
che geben. In einem Schreiben vom 6. Mai dieses Jahres
vom Kommissariat der deutschen Bischöfe wird klarge-
stellt – ich zitiere –:

Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf hin-
weisen, dass die Meldedaten, die der Kirche von
den Meldebehörden übermittelt werden, nicht für
arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden.

Und weiter:

Ein gegenseitiger Abgleich zwischen Beschäftig-
tendaten, die vom kirchlichen Arbeitgeber erhoben
werden, und den Meldedaten, die die Kirchen von
den staatlichen Meldebehörden erhalten, findet
nicht statt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer’s glaubt, wird selig!)






Gabriele Fograscher


(A) (C)



(D)(B)

Wir werden das Gespräch mit der Opposition suchen.
Ich hoffe, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kom-
men werden.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803328600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803328700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch

ein Wort zur Legendenbildung des Kollegen von der
CDU. Das Problem war in der Tat – Sie waren damals
noch nicht dabei – der kurzfristige Antrag der schwarz-
gelben Koalition, dem wir im Ausschuss widersprochen
haben. Es spricht für die Beratungsintensität in Ihrer
Fraktion und in der ausgeschiedenen Fraktion der FDP,
dass die Koalition hinterher den Bundesrat gebeten hat,
man möge das Gesetz, das man hier mit Koalitionsmehr-
heit – wahrscheinlich irgendwie mit Überzeugung –
durchgewunken hat, doch bitte in den Vermittlungsaus-
schuss schicken, um das Schlimmste zu korrigieren. Das
haben wir gemacht. Da hat Rot-Grün gerne geholfen.
Aber für die Zukunft sollten wir uns merken: Nicht mit
Tischvorlagen arbeiten und sorgfältige Beratungen
durchführen, das hilft manchmal weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Sorgfältige Beratungen rate ich uns auch bei dem
Punkt, den alle Kollegen jetzt angesprochen haben: Wie
gehen wir mit der Übermittlung von Familienstandsda-
ten an Religionsgemeinschaften um? Die erste Frage, die
ich dazu stellen möchte, ist: Warum müssen diese Daten
überhaupt an die Religionsgemeinschaften übermittelt
werden? Ich habe mir gerade die EKD-Homepage ange-
schaut, um herauszufinden: Wie läuft das eigentlich mit
der Kirchensteuer? Die Kirchensteuer wird von den
Finanzämtern berechnet und erhoben. Die EKD schreibt:

Die Verwaltung der Kirchensteuer durch die
Finanzämter ist nahezu umfassend. Sie reicht von
der Festsetzung und Erhebung bis zur Beitreibung
und zum Einzug der von den Arbeitgebern abzufüh-
renden Kirchenlohnsteuer.

Es gab ein Problem mit den Banken; das ist aber be-
hoben. Das berührt nicht die Frage des Melderechts.
Deshalb stellt sich zunächst die Frage: Brauchen wir das
überhaupt?

Solange die katholische Kirche sagt, dass das Heira-
ten einer geschiedenen katholischen Person, die bei der
katholischen Kirche, etwa bei der Caritas, beschäftigt ist,
ein Kündigungsgrund ist, solange die katholische Kirche
sagt, dass die Begründung einer Lebenspartnerschaft
durch eine katholische Person, die bei der katholischen
Kirche beschäftigt ist, eine Loyalitätsverletzung gegen-
über der katholischen Kirche ist und zur Kündigung
führt, so lange, meine ich, können wir als Gesetzgeber
nicht regeln, dass ein solches Datum bei kirchlichen Be-
schäftigten an die Religionsgemeinschaften gemeldet
wird. Das würde ich gern auch mit Prälat Jüsten in einer
Berichterstatterrunde klären; telefonisch habe ich das
schon getan. Die beste Lösung wäre: Die katholische
Kirche versichert uns, dass sie in Zukunft weder wieder-
verheiratet Geschiedenen noch eingetragenen homo-
sexuellen Lebenspartnern kündigen wird. – Dann wäre
ich auch ganz sicher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ansonsten glaube ich die Intention des Briefes der
Deutschen Bischofskonferenz an uns, aber ich glaube
nicht, dass diese Argumentation lebenstauglich ist. Da
wird ja gesagt: Wir wollen diese Daten für die Feststel-
lung des Mitgliederbestandes, die Führung der Kirchen-
bücher, die Gewährleistung des kirchlichen Wahlrechts
sowie für pastorale und seelsorgerische Zwecke haben.
Das heißt, der Priester und der Gemeindevorstand erfah-
ren für diese Zwecke, wer wiederverheiratet geschieden
ist, wer in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt.
Da nützt es nichts, dass man sagt: Es wird nicht an die
Arbeitgeber übermittelt. – Die Menschen sind doch nicht
gespalten in ihrem Bewusstsein.

In vielen Caritas-Vorständen sitzt der Priester, der
vorher als Seelsorger nach der Schließung der Le-
benspartnerschaft oder der neuen Ehe, zum Jubiläum
oder zum 60. Geburtstag mit einem Blumenstrauß oder
zum Gespräch bei den Leuten war. Soweit es sich um
Beschäftigte der Kirche gehandelt hat und er ihnen dann
als Caritas-Vorstand begegnet, hat er das natürlich total
vergessen. – Das ist, glaube ich, nicht realitätstauglich.
Deshalb müssen wir da eine Regelung finden, die ver-
hindert, dass das, was unser geltendes Recht den Men-
schen als Freiheit an familienrechtlichen Instituten an-
bietet – mit dem Schutz der Verfassung! –, dazu führt,
dass diese Menschen ihre Lebensgrundlage und ihren
Arbeitsplatz bei kirchlichen Arbeitgebern aufgrund der
Datenübermittlung verlieren können. Da müssen wir ei-
nen vernünftigen Ausgleich finden. Wir sollten das bald
machen – im Dialog des Bundestages mit den Vertretern
der katholischen Kirche und mit den Vertretern des Les-
ben- und Schwulenverbands; denn wir sollten in diesem
Zusammenhang auch mit den Betroffenen reden, damit
klar wird: Was sind die Ängste? Was sind die Befürch-
tungen? Wie können wir eine Lösung finden, die für die
Kirchen und die Betroffenen akzeptabel ist?

Ich hatte schon gesagt: Das Beste wäre, die katholi-
sche Kirche würde ihr kirchliches Arbeitsrecht etwas an-
ders praktizieren. Prälat Jüsten sagte mir, darüber werde
inzwischen geredet. Ich hoffe, es wird nicht nur geredet,
sondern es kommt auch zu einem guten Abschluss – mit
Gottes Segen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803328800

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. Tim

Ostermann, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Tim Ostermann (CDU):
Rede ID: ID1803328900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem
schon beschlossenen Bundesmeldegesetz straffen und
vereinheitlichen wir das Melderecht in Deutschland. Aus
meiner Sicht ist es ein sinnvolles Ergebnis der Föderalis-
musreform, dass der Bund für diesen Bereich die Ge-
setzgebungskompetenz erhalten hat.

Das neue Melderecht wird die Bürokratiekosten ab
dem kommenden Jahr deutlich reduzieren. Man denke
etwa nur an die Einsparpotenziale durch IT-Standards,
die der Verwaltung eine weitgehende Vereinfachung des
Meldewesens ermöglichen. Darüber hinaus wird die
Meldepflicht in Krankenhäusern abgeschafft und die
Hotelmeldepflicht vereinfacht. Die Wirtschaft kann da-
durch jährlich Kosten im dreistelligen Millionenbereich
einsparen.

Mit dem Bundesmeldegesetz tun wir auch etwas ge-
gen die sogenannten Scheinanmeldungen. Bei diesen
melden sich Menschen für eine bestimmte Wohnung
beim Amt an, ohne dass sie dort tatsächlich wohnen und
ohne das Wissen des Vermieters. Viele Ordnungswidrig-
keiten, aber auch Straftaten gehen von dieser Praxis aus,
wie etwa die Erschleichung von Plätzen an Schulen oder
Kreditkartenbetrug. Die Bekämpfung von Scheinanmel-
dungen ist ebenfalls wichtig im Kontext der Armutsmi-
gration aus östlichen EU-Ländern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das neue Melde-
recht wird ab Mai 2015 greifen. Allerdings müssen
schon vorher einige Anpassungen am Bundesmeldege-
setz vorgenommen werden, damit es reibungslos in
Kraft treten und funktionieren kann. Das entsprechende
Änderungsgesetz, das wir heute in erster Lesung debat-
tieren, ist weitgehend unstrittig.

Zum reibungslosen Funktionieren zählt etwa, dass der
Bund und die Länder zur Vorbereitung der Umsetzung
Rechtsverordnungen erlassen können. Dafür müssen die
entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen im Bundes-
meldegesetz früher in Kraft treten als das übrige Gesetz.
Das wollen wir mit diesem Änderungsgesetz ermögli-
chen.

Außerdem müssen wir das Bundesmeldegesetz auf
den neuesten verfassungsrechtlichen Stand bringen. Be-
kanntlich – das ist auch schon zur Sprache gekommen –
hat das Bundesverfassungsgericht im Mai 2013 entschie-
den, dass einkommensteuerrechtliche Vorschriften zu
Ehegatten und Ehen auch auf Lebenspartner und Le-
benspartnerschaften angewendet werden müssen. Mit
dem Änderungsgesetz vollziehen wir diese Gerichtsent-
scheidung nach, indem wir die relevanten Meldepflich-
ten und -regeln auch auf Lebenspartner ausdehnen, sie
nicht lediglich auf Ehegatten beschränkt lassen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Ent-
wurf angemerkt, dass es zu Problemen bei der Daten-
übermittlung an Religionsgemeinschaften kommen
könnte. Er befürchtet, dass bei der Kirche beschäftigten
Personen, die eine Lebenspartnerschaft führen oder de-
ren Ehe geschieden ist, durch das neue Melderecht ein
Nachteil entsteht.

Das Kommissariat der deutschen Bischöfe hat zu die-
ser Thematik bereits eine Äußerung abgegeben und klar-
gestellt, dass die kirchlichen Einrichtungen die gemelde-
ten Daten nicht in einem arbeitsrechtlichen Kontext
verwenden und dies aus datenschutzrechtlichen Gründen
auch gar nicht dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass wir
im Dialog mit den Religionsgemeinschaften für diesen
konkreten Personenkreis eine angemessene Regelung
finden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie soll das realistischerweise stattfinden?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher:
Wir werden die Beratungen zu diesem Gesetz effektiv
und zügig abschließen – so, wie wir die heutige Debatte
effektiv und zügig geführt haben. Schön, dass trotz der
fortgeschrittenen Stunde doch die eine oder andere
Freundin oder der eine oder andere Freund des Melde-
wesens den Weg ins Plenum gefunden hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803329000

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/1284 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 14:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Halina Wawzyniak, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvor-
schuss ausbauen

Drucksache 18/983
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Erster Redner ist Jörn Wunderlich, Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







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(D)(B)


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803329100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nun zu vorgerückter Stunde noch etwas Altbekanntes
zum Unterhaltsrecht bzw. zum vorliegenden Antrag. Seit
2006 versucht die Linke, alleinerziehenden Elternteilen
bei den finanziellen Sorgen um ihre Kinder zu helfen.
Rechtspolitisch wird über das Ganze schon seit über
zehn Jahren diskutiert. Es gibt dazu schon Beschluss-
empfehlungen des Rechts- und des Familienausschusses
aus den Jahren 2000 und 2002. Es gab sogar einmal ei-
nen Referentenentwurf der Regierung zur Änderung des
Unterhaltsrechtes – auch des Unterhaltsvorschusses –,
den ich noch in meiner Eigenschaft als aktiver Familien-
richter damals auf den Schreibtisch bekommen habe.

Dass die bisherigen Regelungen des Unterhaltsvor-
schussgesetzes nicht ausreichen, ist seit Jahren fraktions-
übergreifend – auch bei den damit befassten Juristen –
wohl unstreitig. Das ist auch in der Praxis einhellige
Meinung. Dass die Altersgrenze auf 18 Jahre angehoben
werden soll, ist eine Lösung, die endlich umgesetzt wer-
den muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Niemand konnte bislang erklären, warum ein Kind
mit 13 keinen Unterhalt mehr braucht oder wie es sich
gefälligst selbst darum kümmern soll. Wie gesagt, es
geht nicht um den Unterhalt für einen Elternteil, sondern
um den für ein minderjähriges Kind. Die Beschränkung
auf 72 Monate muss ebenfalls fallen. Die Zahl der Ein-
stellung der Zahlungen infolge des Erreichens der
Höchstbezugsdauer ist in den vergangenen Jahren konti-
nuierlich – von 39 000 auf knapp 44 500 – gestiegen.

Es muss immer wieder wiederholt werden: Der Un-
terhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation von Al-
leinerziehenden und ihren Kindern verbessern, wenn der
unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsver-
pflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen
kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit unmittelbar
den Kindern von Alleinerziehenden zugute. Damit wer-
den alleinerziehende Elternteile vorübergehend unter-
stützt.

Aber auch nach dem Sinn des Unterhaltsvorschussge-
setzes – der Unterhaltsvorschuss soll vorübergehend
Hilfe leisten in einer Situation, in der kein Unterhalt er-
halten werden kann – muss doch die gegenwärtige ge-
sellschaftliche Situation berücksichtigt werden. Die
Dauer der Armutsphasen wird immer länger und ihre
Zahl immer häufiger. Die Armutsgefahr steigt, und die
Zahl derer, die armutsgefährdet leben, wird größer. Nach
der letzten Statistik betrifft das fast 40 Prozent aller Kin-
der hier in Berlin.

Außerdem ist nicht nachzuvollziehen, warum das
Kindergeld in voller Höhe angerechnet wird, während es
bei regulärer Zahlung nur zur Hälfte angerechnet werden
kann. Hier dürfen Eltern und Kinder doch nicht schlech-
tergestellt werden. Schon 2006 wurde im Ausschuss zu
einem inhaltsgleichen Antrag der Linken gesagt: Pro-
bleme richtig dargestellt, Lösungen aufgezeigt, leider
falsche Partei. – Die Probleme sind immer noch die glei-
chen, die Lösungsansätze nach wie vor gut, und ich bin
immer noch in der richtigen Partei.


(Beifall bei der LINKEN)


Letztlich sind Kinder und Jugendliche die Leidtragen-
den, wenn die Eltern aufgrund einer verfehlten Arbeits-
marktpolitik und der damit einhergehenden Arbeitslosig-
keit keinen Unterhalt zahlen können. Denn wie erklären
sich sonst die Zahlen aus der Antwort der Bundesregie-
rung vom 5. Mai 2014 – also noch druckfrisch –, nach
denen die Quote der unterhaltsvorschussberechtigten
Kinder in den neuen Bundesländern zum Teil viermal so
hoch ist wie in den alten Bundesländern? Hier soll sich
der Staat wieder aus der Verantwortung ziehen können?
Mehrausgaben würden zum Teil zu Minderausgaben im
Haushalt des Bundesarbeitsministeriums führen, da
manch alleinerziehender Elternteil nicht mehr aufsto-
cken müsste. Im Übrigen könnte der finanzielle Mehr-
aufwand durch Einsparungen beim Betreuungsgeld fi-
nanziert werden. Heute hat der Bundesfinanzminister
verkündet, dass nach Angaben des Arbeitskreises Steu-
erschätzung Steuermehreinnahmen von 19,3 Milliarden
Euro erwartet werden. Das Geld ist also da. Änderungen
sind allerdings nach Auskunft der Bundesregierung nicht
geplant – aus Kostengründen.

Seit Jahren kann hier jeder zusehen, wie Milliarden
für marode Banken verpulvert werden und Rüstungskon-
zerne Gelder bekommen, weil weniger Kriegsgerät ab-
genommen wird. Der Bundesrechnungshof und der
Bund der Steuerzahler monieren immer wieder den Um-
gang mit Steuermitteln. Aber hier, wo es um die geht, die
es am nötigsten brauchen und die unsere Zukunft sind,
da heißt es, es sei insbesondere aus haushälterischen
Gründen nicht vorgesehen.

Schade, dass Frau Schwesig nicht da ist. Frau Ferner,
bestellen Sie ihr einen schönen Gruß. Sie soll sich einen
Ruck geben. Sie ist in der Situation, das zu ändern. Sie
soll es machen. Sie ist hier nach eigenem Bekunden auch
angetreten, um den Alleinerziehenden zu helfen. Sie soll
es endlich machen, und zwar wirksam, damit man ihr
nicht in drei Jahren möglicherweise die Frage stellen
muss: Frau Schwesig, warum sind Sie Familienministe-
rin geworden? Floristin wäre doch auch etwas Schönes
gewesen.


(Beifall des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war echt neben der Kappe! Echt stillos! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Herr Wunderlich, das geht so nicht! Darüber reden wir noch!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803329200

Jetzt sagen wir nichts zu den Floristen. – Nächste

Rednerin ist Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1803329300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wunderlich, wir wer-
den, auch wenn das Betreuungsgeld nach wie vor bleibt,





Gudrun Zollner


(A) (C)



(D)(B)

Lösungen für unsere Alleinerziehenden finden. Glauben
Sie mir das.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da bin ich gespannt! Das wird seit Jahren versprochen, egal in welcher Konstellation!)


Ich glaube, wir sind uns grundsätzlich alle einig, dass
Alleinerziehende Enormes leisten und unsere volle Un-
terstützung brauchen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die sie nicht bekommen!)


Im Koalitionsvertrag ist deshalb auch fixiert, dass noch
in dieser Legislaturperiode der steuerliche Entlastungs-
betrag für Alleinerziehende angehoben wird und nach
der Anzahl der Kinder gestaffelt werden soll. Weiter will
die Bundesregierung mit rund 8 Milliarden Euro die Fa-
milien, Senioren, Frauen und Jugendlichen unterstützen.
Der Ansatz der Ausgaben nach dem Unterhaltsvor-
schussgesetz wurde bedarfsgerecht auf 295 Millionen
Euro angepasst. Mit Nachdruck werden wir auf der
Grundlage solider Finanzen lösungsorientiert und zielge-
richtet die Alleinerziehenden auch künftig nachhaltig
unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich – hier sind wir uns interfraktionell sicher
auch einig – nimmt der Unterhaltsvorschuss seit seiner
Einführung im Jahr 1980 eine besondere Stellung inner-
halb der familienpolitischen Leistungen ein. Im Jahre
2012 haben rund eine halbe Million Kinder Unterhalts-
vorschussleistungen bezogen. Bei bundesweit 2,2 Mil-
lionen minderjährigen Kindern in Einelternhaushalten ist
das ein enorm hoher Anteil. Kann oder will ein Elternteil
seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommen, so springt
der Staat ein und geht sozusagen in Vorleistung, ohne
den unterhaltspflichtigen Elternteil aus seiner Verant-
wortung zu entlassen.

Uns muss aber auch klar sein: Der Unterhaltsvor-
schuss ist keine auf Dauer angelegte zusätzliche Leis-
tung durch den Staat. Ein Drittel der Ausgaben für den
Unterhaltsvorschuss trägt der Bund, zwei Drittel über-
nehmen jeweils die Länder. Im gleichen Verhältnis wer-
den auch die Rückeinnahmen aufgeteilt. Aufgabe der
Länder ist es, sich diese Auslagen vom Unterhaltspflich-
tigen zurückzuholen. Bayern ist hier mit über 34 Prozent
im Länderranking absoluter Spitzenreiter und stellt das
Schlusslicht Berlin mit knapp 14 Prozent klar in den
Schatten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Durchschnittlich in vier von fünf Fällen gelingt es
aber nicht, den Unterhaltsvorschuss vom unterhalts-
pflichtigen Elternteil zurückzuholen. Hier muss nach-
träglich noch viel getan werden, um dem wahren Cha-
rakter dieses Gesetzes gerecht zu werden.

Sie stellen heute einen Antrag, werte Kolleginnen und
Kollegen der Fraktion Die Linke, der uns 500 Millio-
nen Euro mehr kostet, als im Haushaltsplan vorgesehen
sind. Aber Sie erläutern mit keinem einzigen Satz in Ih-
rem Antrag, wie Sie das finanzieren wollen.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Durch Einsparungen im Haushalt des Arbeitsministeriums? Heute hat das Finanzministerium 19,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen prognostiziert!)


Als verantwortungsvolle Parlamentarier ist es unsere
Pflicht, gut zu wirtschaften und mit den uns zur Verfü-
gung stehenden Geldern auszukommen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Deshalb auch die Banken!)


Dies ist bei Ihrem Antrag nicht der Fall. Wir müssen Lö-
sungen erarbeiten und dürfen nicht nur Forderungen auf-
stellen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803329400

Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Franziska Brantner,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank. – Schönen guten Abend! Vor
kurzem wurde das Ergebnis einer neuen Studie der
Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht, die eigentlich keine
neuen Erkenntnisse erbracht hat. Es wurde zum wieder-
holten Male dargelegt, dass nach wie vor alleinerzie-
hende Familien am meisten von Armut bedroht sind.
39 Prozent der Alleinerziehenden beziehen staatliche
Grundsicherung. Jedes zweite von insgesamt rund 2 Mil-
lionen Kindern, die von staatlicher Grundsicherung le-
ben, wächst in einer Einelternfamilie auf. Kinderarmut
wirksam zu bekämpfen, heißt also: Alleinerziehenden
helfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das 2008 reformierte Unterhaltsrecht zwingt de facto
alleinerziehende Elternteile, Vollzeit zu arbeiten. Nur für
jedes zweite Kind ist die Unterhaltszahlung regelmäßig
und vollständig. Dann brauchen Eltern eben den An-
spruch auf Unterhaltsvorschuss.

Ich will jetzt näher auf Ihren Antrag eingehen. Sie
fordern die Abschaffung der Altersgrenze von 12 Jahren
und der Bezugsgrenze von 6 Jahren. Es stimmt: Es ist
nicht verständlich, warum ein 14-Jähriger keinen An-
spruch mehr haben soll. Es ist ja der 14-Jährige, der den
Anspruch nicht mehr hat, und nicht die Elternteile. Ein
7-Jähriger hat dem Alter nach diesen Anspruch, aber
nur, wenn sich seine Eltern nicht schon getrennt haben,
als er ein Jahr alt war. Wo ist da die Logik? Warum sol-
len Teenager oder Kinder eines Alters nicht dieselbe
Leistung bekommen? Alles andere ist willkürlich und
dient nicht dem Schutz dieser Kinder. Aber um sie muss
es uns doch gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)






Dr. Franziska Brantner


(A) (C)



(D)(B)

Es ist absolut richtig, das zu ändern. Die Krux dabei
ist – Sie alle haben dies betont –, das notwendige Geld
aufzubringen und es auch für diesen Zweck auszugeben.
Da haben wir das große Problem, dass nicht genug zu-
rückgeholt wird. Das muss man hier sagen. Ich glaube,
bei den Berlinern liegt es nicht nur daran, dass sie nicht
genug Stellen haben, sondern auch daran, dass der Le-
bensunterhalt in Berlin durchschnittlich geringer ist als
der bayerische. Es gibt Studien innerhalb der Länder, die
aufzeigen, dass auch in reichen Städten der Einzug der
Forderungen nicht besser ist als in ärmeren. Das hängt
leider nicht immer zusammen. Häufig hängt es vor Ort
davon ab, wie viel für das Eintreiben des Unterhalts in-
vestiert wird. Wenn die Bundesregierung sagt, sie habe
dafür nicht das Geld, wünschte ich mir, dass man Strate-
gien entwickelt, wie man das Eintreiben des Unterhalts-
vorschusses verbessern kann. Ich glaube, das ist eine
Pflicht. Wir wissen, dass es dort nicht gut genug läuft. In
den Ländern und Kommunen gibt es Herausforderun-
gen. Gehen Sie diese Herausforderungen an. Wenn Sie
jetzt sagen, dass Sie die Gelder nicht wollen, so sagen
wir Ihnen: Wir hätten die Gelder gerne. Hier erwarte ich
Vorschläge der Bundesregierung. Die Alleinerziehenden
leisten einfach Unglaubliches.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist so schwierig für sie. Sie dort allein zu lassen, ist
nicht im Interesse unserer Gesellschaft.

Lassen Sie mich noch erwähnen, dass neun von zehn
Alleinerziehenden Frauen sind. Sie sind häufig doppelt
diskriminiert, auch auf dem Arbeitsmarkt: erstens als
Frau und zweitens als Mutter. Sie kämpfen hart. Wenn
das Kind 13 Jahre alt wird, dann fällt der Unterhaltsvor-
schuss weg. Das kann man diesen Müttern kaum vermit-
teln. Hier tragen wir Verantwortung, und dieser müssen
wir uns stellen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803329500

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Fritz

Felgentreu, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1803329600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin Zollner, ich gebe Ihnen absolut recht:
Gerade die Alleinerziehenden leisten besonders viel. Ge-
rade deswegen haben die Alleinerziehenden einen An-
spruch auf unsere besondere Solidarität und Unterstüt-
zung dabei, gemeinsam mit ihren Kindern ihren Alltag
zu meistern. Deswegen machen wir eine ganze Menge.
Die Große Koalition hat – angetrieben von den Forde-
rungen der SPD – etliche Vorhaben geplant oder auf den
Weg gebracht, von denen gerade Alleinerziehende profi-
tieren werden. Dabei geht es um den Ausbau und die
Qualitätsverbesserung der Betreuungs- und Bildungsin-
frastruktur, um die Möglichkeiten der Wiederaufsto-
ckung auf Vollerwerbstätigkeit, um die Einführung des
ElterngeldPlus, um die Arbeit am Konzept der Familien-
arbeitszeit, um die Einführung des Mindestlohns und um
die Initiativen zur Beseitigung von Lohnunterschieden
zwischen Frauen und Männern. Damit werden wir Al-
leinerziehende besser als bislang in ihrem Wunsch unter-
stützen, berufstätig zu sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Darüber hinaus müssen wir gerade die Instrumente in
den Blick nehmen, die auf die besondere Situation von
Alleinerziehenden zugeschnitten sind. Dazu zählt neben
dem Entlastungsbetrag der Unterhaltsvorschuss. Grund-
sätzlich sind wir uns in diesem Haus alle einig, dass der
Unterhaltsvorschuss eine wichtige Leistung für Alleiner-
ziehende ist und sinnvoll weiterentwickelt werden muss.
Mit Ausnahme der Linken sind wir uns darin einig, dass
nicht alles Wünschenswerte auch finanzierbar ist. Umso
mehr gilt es, Reformvorschläge genau zu durchdenken
und abzuwägen. Die Vorschläge der Linksfraktion sind
Antworten auf reale Lücken in der Ausgestaltung des
Unterhaltsvorschusses. Sie liefern aber noch kein durch-
dachtes Konzept, und Sie unterschlagen ein besonders
wichtiges Detail; denn Sie erwähnen bei Ihren Forderun-
gen nicht – auch in Ihrer Rede habe ich es nicht gehört,
Herr Kollege Wunderlich –, dass eine enge Abstimmung
mit den Ländern erforderlich ist, die schließlich zwei
Drittel der Kosten tragen. Ihr Anspruch ist es, dass künf-
tig mehr Familien länger vom Unterhaltsvorschuss profi-
tieren sollen. Das macht auch Sinn. Der Unterhaltsvor-
schuss soll in die Versorgungslücke treten, die entsteht,
wenn das getrennt lebende Elternteil seiner Unterhalts-
verpflichtung nicht nachkommt oder nicht nachkommen
kann. Wenn das stimmt, dann erschließt sich wiederum
nicht, warum Sie die Anhebung des Bezugsalters nur bis
zur Vollendung des 18. Lebensjahres fordern. Warum
sind Sie dann nicht so konsequent und orientieren sich
am Unterhaltsrecht, das besagt, dass Eltern dem Kind bis
zum Abschluss einer Berufsausbildung Unterhalt zahlen
müssen?


(Diana Golze [DIE LINKE]: Dann hätten Sie uns vorgeworfen, das sei zu teuer! 12 ist genauso willkürlich!)


– Mir geht es nur darum, dass wir nicht mit willkürlichen
Zahlen arbeiten. Frau Brantner hat kritisiert, dass die
Zahl 12 willkürlich sei. Es gab dazu unterschiedliche
Beschlusslagen: Die SPD-Fraktion hat in der letzten Le-
gislaturperiode beschlossen, dass sie die Bezugsdauer
gerne bis zum 14. Lebensjahr ausdehnen würde.

Das Gleiche hatte die schwarz-gelbe Koalition in ih-
ren Koalitionsvertrag geschrieben. Aus unterschiedli-
chen Gründen ist das bisher nicht umgesetzt worden.
Das Problem ist ja erkannt. Aber lassen Sie uns doch
nicht mit willkürlich gegriffenen Zahlen arbeiten, son-
dern lassen Sie uns überlegen, wie wir das Ganze in ein
stimmiges Konzept überführen können, das dann auch
finanzierbar ist.





Dr. Fritz Felgentreu


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803329700

Herr Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Abgeordneten Wunderlich?


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1803329800

Bitte schön.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803329900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Zahl 18 ist keine

willkürliche Zahl; es ist zufällig die Altersgrenze zur
Volljährigkeit. Sie argumentieren jetzt, man könne sich
bei der Zahlung des Unterhaltsvorschusses an der Be-
rufsausbildung bzw. am Unterhaltsrecht orientieren, also
möglicherweise bis zum Abschluss der ersten Berufsaus-
bildung oder des 27. Lebensjahres zahlen. Das ist dann
ja noch teurer. So weit wollten wir gar nicht gehen. Wir
wollten so weit gehen, dass Kinder unterstützt werden,
solange sie minderjährig sind. Wenn sie volljährig sind,
können sie sich selbst um diese Sachen kümmern und ei-
genständig ihre Ansprüche geltend machen.

Die geringe Rückholquote – das haben wir vorhin
schon mal bilateral besprochen – ist ein echtes Problem.
Aber Sie wissen genauso gut wie ich: Teilweise kann das
Geld nicht zurückgeholt werden, weil die Väter – Sie
sagten, einem nackten Mann könne man nicht in die Ta-
sche greifen – gar nicht in der Lage sind, Unterhalt zu
zahlen, sodass der Unterhaltsvorschuss als Ersatzleis-
tung gezahlt wird.

Dass das Ganze finanzierbar ist, habe ich dargelegt.
Insofern haben wir schon ein stimmiges Konzept. Der
Antrag ist schon vor acht Jahren – ich wiederhole: vor
acht Jahren – von der damaligen Großen Koalition als
guter Lösungsansatz deklariert worden. Es hieß nur, der
Antrag komme leider aus den falschen Reihen. Ich habe
es gesagt: Die Lösungsansätze sind genau die gleichen,
die Probleme sind dieselben, die Lösung ist da – es muss
nur umgesetzt werden.


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1803330000

Verehrter Herr Kollege Wunderlich, ich wundere

mich trotzdem ein bisschen,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das macht nichts! Das wundert mich nicht!)


dass Sie mich dafür kritisieren, dass ich das Nachdenken
über den Unterhaltsvorschuss mit dem Unterhaltsrecht in
Verbindung bringe. Ich finde das konsequent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass Sie an dem Punkt auf einmal fiskalische Aspekte
entdecken, die Ihnen in Ihrem eigenen Antrag völlig un-
wichtig waren, erschließt sich mir auch nicht.

Lassen Sie mich meinen Gedankengang zu Ende brin-
gen. Ich bin gerne bereit, mich auf Ihre Argumentation
und Ihre Forderungen einzulassen, die SPD-Fraktion ist
es auch. Wir müssen nur überlegen, wie man sinnvoll
vorgehen kann, und wir müssen das vor allen Dingen ge-
meinsam tun.

Sie nehmen einige Probleme, die mit dem Unterhalts-
vorschuss verbunden sind, nur in der Debatte in den
Blick, nicht aber in Ihrem Antrag. Dazu gehört die
Schwierigkeit, ausstehende Zahlungen einzutreiben. Ich
denke, um da wirklich zu vernünftigen Ergebnissen zu
kommen, brauchen wir genauere Erkenntnisse darüber,
woran es eigentlich liegt, dass jemand nicht zahlt.

Die ursprüngliche Idee war, dass der Unterhaltsvor-
schuss eine nicht auf Dauer angelegte Leistung des Staa-
tes ist. Dieser Anspruch scheint den Lebensverhältnissen
heute aus vielen Gründen nicht mehr gerecht zu werden.
Es gibt beim Unterhaltsvorschuss noch eine ganze Reihe
offener Fragen. Auch wenn es im Koalitionsvertrag
keine Erwähnung findet, halte ich es für richtig, dass wir
uns des Themas weiterhin annehmen.

Wir müssen auch darauf reagieren, dass es sich bei
Alleinerziehenden nicht mehr um eine gesellschaftliche
Randerscheinung handelt, sondern um eine Familien-
form, die häufig ist und immer häufiger wird. Laut der
kürzlich erschienen Bertelsmann-Studie ist das Armuts-
risiko von Kindern, die mit nur einem Elternteil auf-
wachsen, statistisch betrachtet fünfmal höher als bei an-
deren Kindern. Nach meiner festen Überzeugung helfen
wir diesen Familien am besten, indem wir die Infrastruk-
tur im Bereich der zuverlässigen, ganztägigen Betreuung
und Bildung konsequent ausbauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wir müssen – –


(Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ja, bitte schön.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803330100

Herr Kollege, ich gestatte das jetzt. – Bitte schön.


(Heiterkeit)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1803330200

Das nehme ich gerne hin, Frau Präsidentin.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1803330300

Herr Kollege Felgentreu, da Sie wie ich die Situation

in Berlin gut kennen, ist Ihnen doch sicherlich genau wie
mir bekannt, dass der DGB Bezirk Berlin-Brandenburg
dieses Thema, speziell die Berliner Situation, einmal un-
tersucht hat: Woran liegt es, dass die Kinderarmut in
Berlin so hoch ist und die Alleinerziehenden in Berlin fi-
nanziell so schlecht dastehen? Dann wird Ihnen doch
wie mir bekannt sein, dass es eben nicht so sehr an den
Kitas und Schulen liegt. Da können wir in Berlin noch
besser werden, aber wir sind da im Bundesvergleich re-
lativ gut: Die Kitaabdeckung ist sehr gut; auch im Ganz-
tagsschulbereich gibt es inzwischen einiges. Das zen-
trale Problem ist vielmehr die sonstige finanzielle
Situation der Alleinerziehenden, die dazu führt, dass





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)

Kinder in Armut sind. Das liegt wiederum daran, dass
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Alleinerzie-
hende in Berlin so schwierig ist, weil sie hier nicht auf
einen entsprechenden Arbeitsmarkt und auf entspre-
chende Arbeitgeber treffen.

Zu meiner Frage. Es ist richtig, dass wir Infrastruktur
brauchen, aber wie können Sie gerade aufgrund Ihrer
Berliner Erfahrung behaupten: Wenn die Infrastruktur da
ist, dann ist alles gut? Wir wissen doch beide, dass es
nicht so ist, dass es anders ist. Deswegen bitte ich darum,
noch einmal über den vorliegenden Antrag nachzuden-
ken.


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1803330400

Liebe Kollegin Paus, erstens bin nicht ich, sondern

sind die Linken der Antragsteller, und zweitens habe ich
nicht behauptet, dass bereits mit dem Ausbau der Bil-
dungsinfrastruktur alle Probleme gelöst werden. Ich
halte das aber dennoch für den allerbesten Weg. Das ist
der Punkt, an dem wir als Familienpolitiker ansetzen
müssen. Das ist ein neuer Weg, den wir beschreiten müs-
sen, weil wir als Familienpolitiker in der Vergangenheit
gar nicht über die Verbindung von Bildungspolitik und
Familienpolitik und die kommunizierenden Röhren, die
es in diesem Zusammenhang gibt, hinreichend nachge-
dacht haben. Das ist ein Weg, der sicherlich in die Zu-
kunft führt. An diesem Punkt müssen wir weiterarbeiten.
Zu glauben, dass wir mit einem einzigen Instrument alle
Probleme lösen werden, so naiv ist in diesem Hause kei-
ner.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nein, wir müssen eben nicht nur über den einen Weg,
den ich für den besten halte, nachdenken und diesen wei-
terentwickeln, sondern wir müssen auch die Instrumente
der individuellen Armutsvermeidung weiterentwickeln.
Dazu gehört neben dem Kinderzuschlag natürlich auch
der Unterhaltsvorschuss. Insofern besteht Anlass, den
Kolleginnen und Kollegen der Linken für ihren inhaltli-
chen Vorstoß zu danken, mit dem sie das Thema erneut
auf die Tagesordnung setzen. Aber zugleich bitte ich
auch um Verständnis, dass eine Regierungskoalition nur
auf der Grundlage einer soliden Finanzierung und eines
Gesamtkonzepts arbeiten kann.

Zu einem solchen Gesamtkonzept gehört im Falle des
Unterhaltsvorschusses in jedem Fall das, was die Länder
dazu zu sagen haben, die den Löwenanteil an den Kosten
tragen. Zu einem solchen Gesamtkonzept gehört auch,
dass wir die unterschiedlichen Instrumente der Familien-
förderung, die wir einsetzen, aufeinander abstimmen und
gemeinsam an ihnen weiterarbeiten. Das ist der Weg,
den die SPD-Fraktion an dieser Stelle für richtig hält.
Wir sind aber gerne bereit, ihn mit allen Fraktionen die-
ses Hauses intensiv zu diskutieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803330500

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Markus

Koob, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1803330600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alleinerziehende müssen sich jeden Tag allein um viele
Dinge kümmern: die Organisation des Haushalts der Fa-
milie, die Erziehung sowie die Sicherung des Einkom-
mens. Diese Herausforderungen lösen Alleinerziehende
oft mit einer bemerkenswerten Kreativität, aber sie füh-
ren oft auch zu handfesten Schwierigkeiten. Verschärft
wird die Lage der Alleinerziehenden, wenn das Kind den
Unterhalt vom anderen Elternteil nicht regelmäßig be-
kommt, nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht. In dieser
besonderen Lebenssituation unterstützt der Staat die Al-
leinerziehenden mit dem Unterhaltsvorschuss. Er ist eine
notwendige und wichtige Unterstützungsleistung, aber
bei weitem nicht die einzige.

Diese Koalition setzt nämlich darüber hinaus auf ei-
nen ganzheitlichen, umfassenden und differenzierten
Ansatz, um Alleinerziehende und deren Kinder best-
möglich zu unterstützen und ihrer individuellen Lage ge-
recht zu werden. Unsere Maßnahmen sind vielfältig. Es
gibt drei große Säulen: erstens die finanzielle Entlastung
der Alleinerziehenden, zweitens eine an den besonderen
Bedürfnissen von Alleinerziehenden orientierte Betreu-
ungsinfrastruktur und drittens eine Verbesserung beim
Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.

Bei der ersten Säule hält es die Koalition für wichtig,
dass Alleinerziehende finanziell entlastet und besserge-
stellt werden. Hier kommen nicht nur der Unterhaltsvor-
schuss sowie der Steuerentlastungsbetrag für Alleiner-
ziehende zur Geltung. Hierzu zählen auch die
Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes sowie die
breite Palette an familienpolitischen Leistungen. Für
Einelternfamilien trägt all das dazu bei, eine Verbesse-
rung des Nettohaushaltseinkommens zu erzielen.

Wir beobachten, dass seit 2009 die Zahl der arbeitslo-
sen Alleinerziehenden, die Leistungen der Grundsiche-
rung beziehen, kontinuierlich sinkt, und das wesentlich
stärker als der Durchschnitt der Arbeitsuchenden, die auf
Grundsicherung angewiesen sind. Die Quote der Einel-
ternfamilien, die auf staatliche Grundsicherung angewie-
sen sind, beträgt derzeit dennoch 39 Prozent. Daher wer-
den wir unsere Bemühungen fortsetzen, diese Quote zu
senken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie?)


Aus diesem Grund halten wir es für wichtig, zwei
weitere miteinander verknüpfte Bereiche in den Fokus
zu stellen: erstens die verstärkte Einbindung von Allein-
erziehenden in den Arbeitsmarkt und zweitens die ver-
besserte Vereinbarkeit der Erwerbstätigkeit mit dem Fa-
milienleben. Die wichtigste Aufgabe in der zweiten
Säule ist daher die dauerhafte existenzsichernde Arbeits-





Markus Koob


(A) (C)



(D)(B)

marktintegration von Alleinerziehenden. Die Statistiken
offenbaren, dass bei alleinerziehenden Frauen mit Kin-
dern unter drei Jahren die Erwerbstätigenquote bislang
am niedrigsten ist. Auch Arbeitgeber und Personalver-
antwortliche sind gefragt, wenn sich die Vereinbarkeit
von Familie und Erwerbstätigkeit verbessern soll. Wir
werben daher für eine Kultur der familienbewussten Ar-
beitszeitgestaltung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dafür hat sich insbesondere die Kollegin Kristina
Schröder schon in der vorherigen Bundesregierung ein-
gesetzt. Auch diese Koalition liefert praxistaugliche,
konkrete Impulse, etwa mit dem Antrag für mehr
Zeitsouveränität, den wir auf den Weg gebracht haben.

Die dritte Säule bilden Bereiche, die ebenso zu den
wichtigen Voraussetzungen zählen, um wieder in den
Beruf einzusteigen: Kitas, Tagesmütter, Horte und an-
dere Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Ganz in die-
sem Sinne hat die unionsgeführte Bundesregierung in
der vergangenen Legislaturperiode gehandelt, als sie
umfassende betreuungspolitische Maßnahmen angesto-
ßen hat. Für den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur
wurden 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das
und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Be-
treuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr wa-
ren wichtige Grundsteine, auf denen wir jetzt aufbauen
können.

Ich bin zuversichtlich, dass diese betreuungspoliti-
sche Offensive für die Alleinerziehenden positive Si-
gnale aussenden wird. Natürlich wird es sich die Union
auch weiterhin zur Aufgabe machen, für flexiblere Öff-
nungszeiten von Betreuungseinrichtungen und mehr
Ganztagsbetreuungsplätze einzutreten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um dies voranzutreiben, ist weiterhin die enge Zusam-
menarbeit von Ländern, Kommunen und Bund erforder-
lich.

Unser familienpolitischer Kompass ist klar: vielfäl-
tige Familienpolitik statt nur eindimensionaler Maßnah-
men. Daher werden wir sorgfältig überprüfen, wie wir
unser bestehendes Konzept der Vielfalt besonnen, effi-
zient und innovativ weiterentwickeln können.

Ganz in diesem Zeichen steht auch die Einführung
des ElterngeldPlus. Damit wird erstmals eine Möglich-
keit geschaffen, während des Elterngeldbezugs eine Teil-
zeitbeschäftigung aufzunehmen. Das ist vor allem für
die Alleinerziehenden ein Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Mischung aus finanzieller Förderung und Stär-
kung von familienfreundlichen Rahmenbedingungen
prägt unser Engagement für Alleinerziehende. Wir ste-
hen für eine Familienpolitik, die den vielfältigen Le-
bensrealitäten der Menschen in unserem Land ent-
spricht.

Auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, so er-
lebe ich doch in meinem Freundeskreis hautnah, welches
Glück Kinder bedeuten, aber auch welche Anforderun-
gen im Alltag für die Eltern. In nur wenigen Themenbe-
reichen bekomme ich so lebensnah Wünsche und Hin-
weise von jungen Eltern und Alleinerziehenden mit auf
den Weg wie bei diesem Thema. Ich freue mich, diese
intensiven Diskussionen und Erfahrungen in meine Ar-
beit hier im Parlament einzubringen und mit Ihnen ge-
meinsam an Konzepten zu arbeiten. Allein die Tatsache,
dass ich zu diesem Thema meine erste Rede gehalten
habe, wird es mir eine Herzensangelegenheit werden las-
sen, hier ein besonderes Engagement zu entfalten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803330700

Vielen Dank, Herr Kollege, und herzlichen Glück-

wunsch zu Ihrer ersten Rede.


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/983 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung von Gesetzen auf dem Gebiet des Fi-
nanzmarktes
Drucksache 18/1305
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Fritz
Güntzler hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Fritz Güntzler (CDU):
Rede ID: ID1803330800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vor etwas weniger als einem Jahr wurde hier
im Bundestag nach langen und sehr intensiven Beratun-
gen das Kapitalanlagegesetzbuch verabschiedet. Damit
wurde ein weiterer Schritt auf dem Weg der Finanz-
marktregulierung gemacht und die europäische AIFM-
Richtlinie umgesetzt. Das KAGB hat eine ganz neue
Rechtsgrundlage für das gesamte Investmentwesen in
Deutschland geschaffen. Es ist ein geschlossenes Regel-
werk und schafft einen einheitlichen Rechtsrahmen für
alle offenen und geschlossenen Fonds und ihre Manager.

Ziel all dieser Regulierungsmaßnahmen ist: Kein Fi-
nanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Markt
soll in Zukunft ohne angemessene Regulierung bleiben.
Es geht um die Begrenzung systemischer Risiken im Fi-
nanzsektor und des grauen Kapitalmarktes, die Verbes-





Fritz Güntzler


(A) (C)



(D)(B)

serung des Anlegerschutzes und um einen regulierten
Binnenmarkt für den Investmentfondsbereich.

Es ist festzuhalten, dass gerade auch alternative In-
vestmentvehikel volkswirtschaftlich gewollt und wichtig
für unsere Wirtschaft sind. Sie dienen der Finanzierung
von Schiffen und Flugzeugen, Immobilien und Infra-
struktur, helfen aber auch bei Existenzgründungen und
bieten Unternehmen Wachstumsmöglichkeiten. Sie sind
wichtige Instrumente zur Altersvorsorge, die auch von
Versicherungen und Pensionskassen genutzt werden.
Das gesamte Fondsvermögen in Deutschland beträgt
derzeit 1,7 Billionen Euro. Es hat sich in den letzten
zehn Jahren fast verdoppelt.

Das Kapitalanlagegesetzbuch hat seinen Praxistest
bestanden. Auch wenn es hier und da noch offene
Punkte gibt und einzelne Auslegungsfragen noch geklärt
werden müssen, kann man feststellen: Die Umsetzung
der AIFM-Richtlinie durch den Gesetzgeber erfolgte mit
Augenmaß und ist insgesamt als Erfolg zu sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Erfahrungen mit diesem Gesetz sind grundsätz-
lich positiv. So ist es gelungen, die geschlossenen Fonds
aus dem grauen Kapitalmarkt herauszuholen und ein-
heitlich zu regulieren. Seit März dieses Jahres liegt nun
auch der erste Erfahrungsbericht des BMF zur Anwen-
dung dieses Gesetzes vor. Es lässt sich feststellen: Die
BaFin hat ihre Grundsatzarbeiten zeitgerecht abgeschlos-
sen. Die Bearbeitungsfristen für Anträge zur Umstellung
auf das KAGB werden eingehalten, und mittlerweile – das
ist erfreulich – steigt auch die Bearbeitungsgeschwindig-
keit bei der BaFin. Die Branche hat das zweite Halbjahr
2013 aktiv genutzt und sich auf die Anwendung des neuen
gesetzlichen Rahmens eingestellt.

Wir stehen erst am Anfang der Umsetzung dieser
komplexen Regelung, und wir müssen feststellen, dass
eine belastbare Evaluierung des Gesetzes erst noch erfol-
gen muss. Wir werden dann sehen, ob wir als Gesetzge-
ber in einigen Punkten vielleicht noch nachjustieren
müssen, wenn es weiterhin Rechtsunsicherheiten und
Auslegungsfragen gibt, zum Beispiel die Frage: Was ist
tatsächlich eine operative Tätigkeit außerhalb des Fi-
nanzsektors? Wir hören aus der Praxis immer wieder,
dass nicht klar ist, was das nun eigentlich sein soll, auch
wenn schon damals in den Gesetzesberatungen deutlich
gesagt wurde, was sich der Gesetzgeber darunter vor-
stellt.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Ge-
setzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes, den wir heute
in erster Lesung beraten, beinhaltet bezogen auf das
KAGB im Wesentlichen nur redaktionelle Änderungen
und Anpassungen. Materiell geändert wird die Defini-
tion von offenen und geschlossenen Investmentfonds.
Sie folgt einer Delegierten Verordnung der Europäischen
Kommission, die voraussichtlich im Juli dieses Jahres in
Kraft treten wird.

Diese Änderung, die wir nun nachvollziehen, hätte er-
heblich negative Auswirkungen auf die zahlreichen
Energiegenossenschaften gehabt, sofern sie denn über-
haupt in den Anwendungsbereich des KAGB fallen. Ge-
rade für diese war noch in den letzten Zügen der damali-
gen Ausschussberatungen eine Ausnahmeregelung im
KAGB geschaffen worden, um diese zumeist Bürger-
energieprojekte nicht durch zu große Regulierung zu ge-
fährden. Wir haben in Deutschland mittlerweile 800
Energiegenossenschaften, die ungefähr 1,2 Milliarden
Euro in Bürgerkraftwerke investiert haben. Die Ausnah-
meregelung für diese Genossenschaften wäre aufgrund
der im Genossenschaftsgesetz stehenden Kündigungs-
möglichkeiten durch die neue Definition ausgehebelt
worden. Auch darauf reagiert der vorliegende Entwurf
des Finanzmarktanpassungsgesetzes und schafft eine
praktikable Lösung für diese Genossenschaften.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Diese Genossenschaften leisten einen erheblichen
Beitrag zur Energiewende und tragen zu ihrer Akzeptanz
bei. Bürgerliches Engagement sollte unterstützt und
nicht durch bürokratische Regulierungen unterbunden
werden. Darum sollten wir noch einmal prüfen, inwie-
fern man bei diesen Bürgerprojekten zu einer verträgli-
chen Lösung im Hinblick auf die fachliche Eignung der
Geschäftsleiter kommt. Hier scheint es in der Auseinan-
dersetzung bzw. den Gesprächen mit der BaFin in der
Praxis größere Probleme zu geben,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja!)


weil die Anforderungen im Einzelfall anscheinend doch
etwas hoch angesetzt werden. Von daher müssen wir uns
das, glaube ich, noch einmal ansehen.

Meine Damen und Herren, man kann schon heute sa-
gen, ohne ein Hellseher sein zu müssen: Das Kapitalan-
lagegesetzbuch wird uns hier im Hohen Hause auch wei-
terhin beschäftigen. Wir haben uns gerade erst auf den
Weg gemacht. Die erste Wegstrecke haben wir erfolg-
reich genommen. Ich bin mir aber sicher, dass auch das
Finanzmarktanpassungsgesetz nicht die letzte Etappe ge-
wesen sein wird. Es werden weitere folgen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und
danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1803330900

Vielen Dank. – Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ers-

ten Rede hier im Hause!


(Beifall)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanna
Karawanskij, Fraktion Die Linke.


Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803331000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste! Der vorliegende Gesetz-
entwurf nimmt tatsächlich vor allen Dingen Korrekturen
und Anpassungen im Nachgang zu EU-Regelungen vor.
Auch wenn sich in diesem Gesetzentwurf im Großen
und Ganzen vor allen Dingen redaktionelle Änderungen
finden, so möchte ich dennoch ein paar kritische Punkte
zu bedenken geben.





Susanna Karawanskij


(A) (C)



(D)(B)

Zum Ersten hat mich verwundert, dass es einen so
starken Ansturm der Interessenverbände gab. Es scheint,
als habe man ein bisschen Lunte gerochen und als wolle
man uns en passant doch wieder ein paar Deregulierun-
gen zu eigenen Gunsten unterjubeln. Um es an dieser
Stelle gleich ganz klar zu sagen: Wir stellen uns dem ent-
gegen. Wir kritisieren den Gesetzentwurf vor allen Din-
gen in den grundlegenden Zielen; denn es gilt, Regulie-
rungslücken zu schließen und die Finanzmärkte auf ihre
der Realwirtschaft und der Gesellschaft dienende Funk-
tion zurückzuführen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Zweiten kam es zur Neuregelung der Mitglied-
schaft in Verwaltungs- und Aufsichtsorganen. Zukünftig
sind auch Aufsichtsmandate bei Unternehmen zu be-
rücksichtigen, die nicht der Aufsicht der BaFin unterlie-
gen. Hier ist Vorsicht geboten – gerade bei den Sparkas-
sen-Finanzgruppen als Verbundunternehmen –, weil bei
der Wahrnehmung solcher Mandate in Unternehmen ei-
ner Verbundgruppe und den sachlich angrenzenden Un-
ternehmen die Höchstgrenze für Aufsichtsmandate sehr
schnell erreicht wird. Mehrere konzerninterne Aufsichts-
posten werden im Hinblick auf das Erreichen der
Höchstgrenze bislang allerdings nicht angerechnet. Das
führte und führt zu Ämterhäufung, zu Vermachtung und
oftmals zu Überlastung.

Nach dem Prinzip „Sechs Augen sehen mehr als
zwei“ sollten unseres Erachtens generell auch konzern-
interne Aufsichtsposten mitgezählt werden, und die Auf-
sicht sollte auf mehrere Personen verteilt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn solange Bankgeschäfte so komplex sind, wie sie
bisher sind, und solange sie an die Aufsicht hohe Anfor-
derungen stellen, ist es sehr legitim, zu fragen, ob die
Mitglieder, die mehrere Mandate wahrnehmen, ihrer
Aufgabe überhaupt gerecht werden können. Auch hier
ist unseres Erachtens ein gesundes Maß notwendig.

Damit zum dritten Punkt, und zwar zu den Regelun-
gen im Kapitalanlagegesetzbuch. Es ist schade, dass der
Gesetzentwurf nicht dazu beiträgt, bestehende Lücken
zu schließen, sondern tatsächlich vor allem redaktionelle
Fragen behandelt. Positiv hervorzuheben ist, dass zu-
künftig nur solche Fonds als geschlossene Fonds bzw.
alternative Investmentfonds gelten sollen, bei denen eine
Rücknahme der Anteile vor Beginn der Auslaufphase
nicht möglich ist. Doch es ist nicht klar bzw. schlicht und
ergreifend nicht schlüssig, warum den ständig neuen
Umgehungsstrategien und Ausweichkonzepten von
Emittenten nicht ein breiterer Riegel vorgeschoben wird.

Nachrangdarlehen beispielsweise werden nicht regu-
liert, weder im Kapitalanlagegesetzbuch noch im Ver-
mögensanlagengesetz. Genussrechte – das hat uns das
Beispiel Prokon vor Augen geführt – werden zum Leid
der Verbraucherinnen und Verbraucher ebenfalls nicht
erfasst.

Umgehungsmöglichkeiten bestehen auch darin – das
haben Sie selber gerade ausgeführt –, dass sogenannte
operativ tätige Unternehmen außerhalb des Finanz-
sektors durch Splitting des Anlagevermögens unterhalb
der 100-Millionen-Euro-Grenze bleiben können, ab der
die Regulierung beginnt, und damit eben nicht als In-
vestmentfonds oder als Investmentvermögen gelten. Das
verwischt schlicht und ergreifend die Tatsache, dass ope-
rativ tätige Unternehmen außerhalb des Finanzsektors
durch massives Geldsammeln auch zu einem Invest-
mentvermögen werden und damit im Prinzip auch unter
die Regulierung des Kapitalanlagegesetzbuches fallen
müssen.

Unseres Erachtens sind Nachbesserungen notwendig,
auch um dem grauen Kapitalmarkt das Wasser abzugra-
ben, ihn tatsächlich zu regulieren. Die redaktionellen
Änderungen dürfen uns nicht blenden: Es bleibt viel zu
tun, um die Aufsicht von Unternehmen effektiver zu ge-
stalten und vor allen Dingen um schlussendlich die
Schlupflöcher zu schließen, damit kein Hintertürchen
weiter offen bleibt.

In diesem Sinne vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803331100

Nächster Redner ist der Kollege Christian Petry, SPD,

dem ich hiermit das Wort erteile.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1803331200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir behandeln heute Anpassungen von Finanz-
marktregelungen. Das machen wir öfters; denn da ist
auch sehr viel zu tun seit der Finanzkrise. Mit diesem
Artikelgesetz regeln wir gleich in elf Gesetzen Vor-
schriften neu. Darunter sind viele Anpassungen und re-
daktionelle Änderungen.

Herr Dr. Meister, vielleicht eine kleine Anregung:
Das Gesetz an und für sich ist schon schwer zu lesen.
Die Begründung ist auch schwer zu lesen, sie sollte eher
auf den Punkt kommen. Das kann man etwas klarer for-
mulieren; gesetzestechnisch sollte das auch so sein. Viel-
leicht den kleinen Hinweis – den Sie bitte mitnehmen –,
dass das in Zukunft auch berücksichtigt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da verlangt einer verständliche Gesetze!)


– Wir verlangen verständliche Gesetze: dass auch derje-
nige, der nicht hundertprozentig in der Materie steckt,
über die Begründung zumindest ziemlich schnell auf den
Punkt kommt und weiß, um was es geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist aber etwas schwierig!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf zwei in-
haltliche Änderungen möchte ich näher eingehen: Die
erste ist die Änderung im Kapitalanlagegesetzbuch, das
zweite sind die Änderungen im Kreditwesengesetz. Mit
diesen Änderungen werden weitere Antworten auf die





Christian Petry


(A) (C)



(D)(B)

weltweite Finanzkrise gegeben; denn zunächst muss
man feststellen, dass es notwendig war, für die Überwa-
chung von Liquiditätsrisiken international oder zumin-
dest EU-weit geltende Regelungen in Kraft treten zu las-
sen; Basel III bzw. CRD IV sind hier zu nennen. Mit
stärkeren Eigenkapitalanforderungen an die Akteure
wollten wir für stabilere Märkte sorgen und auch für
mehr Transparenz auf diesen Märkten, um damit auch
Vertrauen zurückzugewinnen. In diesem Kontext sind
die Regelungen CRD IV und CRR zu nennen, die letzt-
lich die Ursache sind, dass wir in den entsprechenden
gesetzlichen Regelungsgehalten neue Maßstäbe setzen
müssen. Daraus resultieren unter anderem die Anpassun-
gen im Kreditwesengesetz, welche zu einer Begrenzung
der Zahl von Aufsichtsratsmandaten von Geschäftsfüh-
rern und Vorständen führen sollen, die ihrer Aufsichts-
funktion damit tatsächlich besser nachkommen können.
Es ist ja ein Zeitfaktor, wenn man sich intensiv der
Kontrolle widmen will. In der jetzigen Fassung sind
aber nicht nur die sogenannten großen konzerninternen
bzw. -übergreifenden Mandatsausübungen erfasst, son-
dern auch nationale Akteure sind davon betroffen, ins-
besondere unsere öffentlichen Banken; hier sind zum
Beispiel die Sparkassen zu nennen.

Lassen Sie mich zunächst mit Blick auf die Gesetze
zur Umsetzung von CRD IV sagen, dass wir in der SPD-
Fraktion die Kritik an der geforderten Beschränkung der
Zahl von Aufsichtsratsmandaten kennen und sie in den
weiteren Beratungen entsprechend würdigen werden.
Das ist bei uns angekommen.

Etwas ausführlicher möchte ich nun auf die zweite
wichtige Änderung im Finanzmarktbereich eingehen:
Das ist die Änderung, die im Kapitalanlagegesetzbuch
vorgenommen wird aufgrund der eben auch schon ge-
nannten Notwendigkeit der Umsetzung der entsprechen-
den Richtlinie auf EU-Ebene.

Durch diesen Schritt wird der Bereich der Invest-
mentfonds transparenter, besser reguliert und unter Auf-
sicht gestellt. Außerdem führt dieser Schritt insbeson-
dere dazu, dass der graue Kapitalmarkt in Deutschland
eingedämmt – auch das ist schon mehrfach genannt wor-
den – und unter die Finanzaufsicht gestellt wird.

Das KAGB ist ein wichtiger Aufsichts- und Regulie-
rungsrahmen. Ein besonderes Augenmerk legen wir hier
natürlich auch – das haben alle anderen Redner auch
schon gesagt – auf die Energiegenossenschaften und die
Bürgergenossenschaften. Wir wollen das Engagement
mit diesen Regelungen natürlich nicht eindämmen.

Von daher wurden bereits im vergangenen Juli auch
auf Anträge der SPD hin Ausnahmen für nicht operativ
tätige Genossenschaften eingeführt. Diese Genossen-
schaften würden sonst wie jeder andere Investmentfonds
strengen Regelungen unterliegen. Hier handelt es sich ja
insbesondere um lokale Akteure, Bürgergenossenschaf-
ten, die sich zusammenschließen und mit ehrenamtli-
chem Engagement arbeiten. Das wollten wir durch die
Ausnahmen natürlich auch weiterhin möglich machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist daher richtig und wichtig, dass wir nochmals
anpassen und nachsteuern, weil die EU auch nachgesteu-
ert hat. Dadurch wurde dies eben notwendig. Von daher
bin ich froh, dass wir mit diesem Gesetzentwurf tatsäch-
lich das Ziel erreichen werden, dass das volkswirtschaft-
lich, gesellschaftlich und auch umweltpolitisch wichtige
Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger auch wei-
terhin möglich ist – ja, sogar gestärkt wird.

Die Energiegenossenschaften sind natürlich nicht
gänzlich ohne staatliche Aufsicht. Auch das ist EU-
einheitlich und mit Blick auf den Anlegerschutz sinn-
voll. Diese Aufsichtspflicht verbleibt weiterhin bei der
BaFin. Die Registrierungspflicht sowie die Verwaltungs-
und Berichtspflichten sind zu erfüllen. Das ist auch in
Ordnung und leistbar.

Es gibt natürlich das von Ihnen genannte Problem,
Frau Karawanskij: die Eignung des Vorstandes bzw. des
Geschäftsführers. Hier müssen wir natürlich berücksich-
tigen, dass wir es in diesem Bereich unter Umständen
mit Ehrenamtlichen zu tun haben, die mit viel Herzblut
und Engagement tätig sind. In den Anhörungen und Be-
ratungen werden wir darauf eingehen müssen; denn es
würde mir nicht sachgerecht erscheinen, hier die glei-
chen Maßstäbe wie bei einem Weltkonzern anzulegen.
Ich glaube, in den Ausschussdiskussionen können wir
hierfür eine Lösung finden.

Die bestehenden und die noch anzupassenden Aus-
nahmeregelungen werden eine aktive Beteiligung der
Bürgerinnen und Bürger in den Energiegenossenschaften
ermöglichen. Diese Forderung haben wir als SPD mit in
die Verhandlungen eingebracht, und wir freuen uns
natürlich darüber, dass dies parteiübergreifend – in der
Großen Koalition, aber auch darüber hinaus – so gese-
hen wird. Ich denke, das ist wiederum ein großer Schritt
hin zur Erhöhung der Transparenz auf dem Kapitalmarkt
und einer Stärkung des Verbraucherschutzes.

Mehr Vertrauen auf dem Kapitalmarkt ist unser Ziel,
und ich freue mich ganz besonders darauf, dass wir in
den Beratungen mit Sicherheit noch den einen oder
anderen Änderungsbeschluss fassen werden, um dieses
Ziel zu erreichen, sodass der Gesetzentwurf dann in al-
len Bereichen der Gesellschaft stärker akzeptiert werden
kann.

Ich glaube, mit diesem Entwurf machen wir einen
weiteren wichtigen Schritt im Hinblick auf die Regulie-
rung, die Transparenz und das Vertrauen in unsere
Finanzmärkte.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803331300

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege

Dr. Thomas Gambke.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
wir beraten heute eigentlich einen unproblematischen
Gesetzentwurf; denn ausweislich der Begründung geht





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)

es nur um redaktionelle Änderungen. Man könnte ja ein-
mal kritisch fragen, warum es gerade bei Finanzmarkt-
gesetzen so viele redaktionelle Änderungen gibt, aber
ich will das gar nicht thematisieren. Es ist aber richtig,
dass wir uns das skeptisch anschauen und überprüfen, ob
es wirklich nur redaktionelle Änderungen sind.

Im materiellen Bereich – das ist angesprochen
worden, und ich will das auch kommentieren – muss
natürlich das Thema Energiegenossenschaften angefasst
werden, weil die Energiegenossenschaften als geschlos-
sene Fonds anders reguliert werden müssen, als wir das
vorgesehen haben.

Ich finde es wirklich gut, dass wir uns das Thema
Energiegenossenschaften noch einmal gemeinsam – so
war meine Wahrnehmung im Finanzausschuss – sehr
präzise angucken, um sicherzustellen, dass sie auch im
Rahmen der neuen Regulierung so betrieben werden
können, wie wir das geplant haben.

Ein bisschen zynisch muss ich bemerken: Wenn Sie
von der Union sich jetzt für die Energiegenossenschaften
einsetzen und heute Morgen bei der Debatte über die Re-
form des EEG herausgekommen ist, dass Sie den Ener-
giegenossenschaften das Wasser abgraben, indem Sie
nämlich Photovoltaik, Windenergie und Biogas prak-
tisch nicht mehr zulassen,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Mensch, Mensch, Mensch!)


dann frage ich mich schon, wo da Ihr Engagement sein
soll.


(Zuruf von der CDU/CSU: Voll daneben!)


– Das ist nicht daneben. Sie haben ja darauf hingewie-
sen, wie viel Geld dort in die Hand genommen wurde.
Ich bin Mitglied in einer Energiegenossenschaft.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aha!)


Wir gucken uns die Regelungen genau an. Herr
Brinkhaus, kommen Sie einmal zu uns nach Niederbay-
ern, ich lade Sie hiermit ein. Dann gehen wir zu den fünf
Energiegenossenschaften und fragen dort, was wir ange-
sichts der Gesetzgebung, die Sie heute Morgen angedeu-
tet haben, noch machen können. Das ist nicht sehr viel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Na ja!)


Bei den Energiegenossenschaften müssen wir nachre-
gulieren; das ist richtig. Aber ich möchte hier auf einen
Punkt aus der Praxis zu sprechen kommen: Wir können
den Mitgliedern der Energiegenossenschaften nicht
mehr, wie es das Genossenschaftsgesetz vorsieht, die
Rückzahlung der Genossenschaftsanteile zu einem belie-
bigen Zeitpunkt erlauben. In der Diskussion ist ein
Zeitraum von fünf Jahren. Ich möchte anregen, diesen
sehr langen Zeitraum dadurch abzukürzen, dass wir eine
Eigenkapitallimitierung vorsehen.

Wir haben uns das zusammen mit den Genossen-
schaftsverbänden sehr sorgfältig überlegt. Das wäre eine
Methode, die nach den Anforderungen des Gesetzes
notwendige Einengung zu erreichen, aber gleichzeitig
praxisorientiert vorzugehen. Meine Bitte ist, sich das
Thema wirklich genau anzusehen; denn wir haben jetzt
die Chance, hier nachzujustieren.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte – die
Kollegin von der Linken hat es schon angedeutet –, ist,
dass Sie im Rahmen der redaktionellen Änderungen dem
Druck der Verbände hinsichtlich einer Limitierung der
Aufsichtsratsmandate nicht nachgeben. Ich hielte das für
falsch. Sie haben sich in der schwarz-gelben Koalition
– das fand ich richtig – dem erklärten Willen vieler Ver-
bände und Lobbyorganisationen widersetzt und eine sehr
starke Limitierung in das Gesetz hineingeschrieben.

Wir werden im weiteren Verlauf darauf achten, dass
Sie diese starke Limitierung weiter aufrechterhalten;
denn wir müssen – die Kollegin hat es schon gesagt, ich
kann das nur aus eigener Anschauung unterstützen; wir
wissen aus den Finanzmarktdebatten, was schiefgelau-
fen ist – dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die in den
Aufsichtsräten sitzen, wirklich Verantwortung überneh-
men und ausüben können. In diesem Sinne bitte ich Sie
– das hoffe ich auch –, dass Sie sich den Verbänden nach
wie vor widersetzen und die harten Kontrollen, die im
Gesetz festgeschrieben sind, weiterhin Bestand haben,
weil nur dann in den einzelnen Aufsichtsräten verant-
wortlich gehandelt werden kann.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803331400

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Dr. Philipp Murmann, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1803331500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Besucher

sind nur noch wenige da an diesem wunderschönen
Abend.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Aber die sind wichtig!)


– Aber die sind immer wichtig, genau. – Bevor ich auf
den heute vorliegenden Gesetzentwurf, über den schon
meine Vorredner viel gesagt haben, zu sprechen komme,
möchte ich eine These in den Raum stellen. Sie lautet:
Gute Finanzpolitik ist die Politik einer soliden Balance.
Darauf, warum ich das sage, komme ich noch zu spre-
chen.

Es wurde schon gesagt: Wir haben Korrekturen vor-
zunehmen. Ich denke, es ist immer sinnvoll und richtig,
dass wir unsere Gesetze von Zeit zu Zeit kritisch be-
trachten und Verbesserungen da, wo es sinnvoll ist, vor-
nehmen. Ebenso wichtig wäre es sicherlich auch, das
eine oder andere Gesetz zu entschlacken. Das gelingt
uns nach meiner Wahrnehmung im Moment im Finanz-
und Steuerbereich noch nicht ausreichend. Das sollte im-
mer unser Ansporn bleiben.

Neben den rein technischen Fragen, von denen Sie
schon gesprochen haben, möchte ich auf einige grundle-





Dr. Philipp Murmann


(C)



(D)(B)

gende Aspekte unserer Balance in der Finanzpolitik ein-
gehen. Was bedeutet für uns in der Großen Koalition ei-
gentlich nachhaltige Finanzpolitik? Welche besonderen
Herausforderungen ergeben sich insbesondere auch ak-
tuell, wenn wir auf die europäische Regulierung und auf
die Bankenregulierung schauen, und welche Konsequen-
zen müssen wir daraus ziehen?

Zu Beginn noch einmal ganz kurz zu dem Teil, für
den ich verantwortlich bin: die sogenannte CRD-IV-Re-
gulierung, die Capital Requirements Directive, und die
Capital Requirements Regulation. Bei Letzterer, der
CRR, handelt es sich um eine Verordnung, die sich auf
die Institute bezieht und Eigenmittel, Risikovorschriften
und auch die Vorschriften für Großkredite und Liquidität
regelt. Die CRD IV hingegen richtet sich an die Mit-
gliedstaaten und regelt die Beaufsichtigung von Kredit-
instituten und Wertpapierfirmen. Sie formuliert Anforde-
rungen an die unterschiedlichen Kapitalpuffer,
Sanktionen bei Verstößen und ähnliche Regulierungen.
Das ist der technische Teil.

Seit dem 1. Januar gelten neue Regulierungen. Das
wurde schon gesagt. Ich denke, wir haben einen guten
Schritt in die richtige Richtung gemacht, um bei zukünf-
tigen Finanzkrisen angemessen reagieren zu können.

Es ist natürlich richtig: Wir müssen weiter daran ar-
beiten, dass wir ein qualitativ besseres System bekom-
men. Aber es gibt auch Probleme in diesem Bereich, die
ich ebenfalls ansprechen möchte.

Was die Frage angeht, was in Zukunft auf unsere Ban-
ken zukommt, so sind einerseits Regulierung, erhöhte
Eigenkapitalanforderungen, die absolut sinnvoll und
richtig sind, und die Bankenabgabe, die europaweit ein-
geführt werden soll, im Gespräch. Hinzu kommen die
Finanztransaktionsteuer und Ähnliches.

Es ist ein ziemliches Gewicht, das wir unserem Fi-
nanzsystem aufbürden. Wir müssen darauf achten, dass
wir in der Balance bleiben. Insofern müssen wir, denke
ich, dafür sorgen, dass kein negativer Nebeneffekt ein-
tritt und plötzlich die Kreditversorgung in der Wirtschaft
in Not gerät. Denn wir wollen schließlich, dass die Ban-
ken investieren, auch in Wagniskapital, die Gründung
von Unternehmen fördern und unsere Unternehmen mit
Kapital ausstatten. Wir müssen immer aufpassen, dass
die solide Balance nicht gefährdet wird.

Es wurde schon gesagt: Ein Teil betrifft die Beauf-
sichtigung von Tochtergesellschaften bzw. Aufsichts-
mandate. Mit Blick auf unser Sparkassensystem – wir
haben damit in Deutschland ein ganz besonderes System –
müssen wir auch immer differenzieren: Handelt es sich
um eine echte Aufsicht, oder handelt es sich nicht ei-
gentlich um eine Art von Geschäftsführung in einem
Verbund? Damit muss man sich sicherlich noch genauer
beschäftigen, um zu erreichen, dass wir auf der einen
Seite eine klare Regelung haben, auf der anderen Seite
aber auch diesen Strukturen, die lange gewachsen sind,
gerecht werden. Auch dabei kommt es wieder auf eine
gute Balance an.

Als Finanzpolitiker – das möchte ich zum Schluss sa-
gen – sind wir für eine nachhaltige Finanzpolitik verant-
wortlich. Das beginnt mit dem stabilen Bundeshaushalt,
den wir jetzt in erster Lesung eingebracht haben und im
nächsten Jahr zum ersten Mal ausgeglichen haben wer-
den.

Wichtiger Bestandteil sind aber auch nachhaltige Ein-
nahmen. Nachhaltige Einnahmen kommen letztendlich
von Unternehmen, die Geld verdienen, investieren, Risi-
ken eingehen, Mitarbeiter ausbilden und beschäftigen,
Forschung und Entwicklung betreiben und neue Ge-
schäftsfelder eröffnen. All diese Bereiche müssen wir
weiter fördern. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit
einer zu starken Regulierung eingreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Wir haben uns in der Großen Koalition darauf ver-
ständigt, dass wir unser Steuertableau stabil halten wol-
len, auch um die Balance, die sich jetzt eingespielt hat,
und unsere gute Perspektive nicht zu gefährden. Mittel-
fristig werden wir aber auch Reserven aufbauen müssen.
Das ist nicht nur im Bankenbereich der Fall, sondern es
wird auch in anderen Bereichen notwendig sein. Denn
wir müssen in der Zukunft nicht nur in der Infrastruktur
und in dem Bereich Bildung und Forschung Investitio-
nen tätigen.

Wir haben eine ganze Menge Themen vor uns. Nach-
haltige Finanzpolitik hat auch damit zu tun, Reserven
aufzubauen.

Deswegen bitte ich Sie: Achten Sie bei allen zukünfti-
gen Finanzplänen und bei allen guten Ideen immer da-
rauf, dass die solide Balance gewährleistet bleibt! Wir in
der Großen Koalition haben uns das vorgenommen, und
wir freuen uns auf Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803331600

Vielen Dank, Herr Kollege Murmann. – Damit

schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/1305 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe
niemanden hier im Hohen Hause, der einen anderen Vor-
schlag hätte. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 11 und 12 auf:

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Peter
Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den Umgang mit Nährstoffen an die Umwelt
anpassen

Drucksache 18/1338
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

(A)






Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Wasserqualität für die Zukunft sichern –
Düngerecht novellieren

Drucksache 18/1332
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Friedrich Ostendorff, Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; al-
lein die Dosis macht’s …“ So sprach Paracelsus vor lan-
ger Zeit. Auf die Dosis kommt es an, wie die Wirkung
ausfällt. Wer aber wie diese Bundesregierung auf
Fleischexport und auf weiteren Zubau von Großmastan-
lagen für Schweine und Geflügel ohne ausreichende Flä-
che setzt, der hat ein Problem mit explodierenden Nitrat-
und Phosphatwerten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An den Orten, wo zu viele Tiere sind, wird wertvoller
Dünger zum problematischen Abfall, und die Düngung
wird zur Entsorgung. Manche reden auch von Verklap-
pung. Das hat mit ordnungsgemäßer Landwirtschaft
nichts mehr zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Über die Feststellung des Deutschen Bauernverbands:
„Die bisherige deutsche Düngeverordnung hat sich be-
währt“ kann man nur den Kopf schütteln. Tatsache ist:
Die Europäische Kommission will ein Vertragsverlet-
zungsverfahren wegen unzureichender Einhaltung der
Nitratrichtlinie einleiten. Der von der Bundesregierung
beauftragte Sachverständigenrat für Umweltfragen sagt:
Das muss sofort geändert werden. – Das Ziel von 2010,
den Stickstoffüberschuss auf 80 Kilogramm Stickstoff
pro Hektar zu begrenzen, wurde nicht erreicht. Deutsch-
land und Malta haben nach der letzten Erhebung der EU
vor wenigen Wochen im Wasser die höchsten Nitrat-
werte Europas. Während Malta nur über 800 Hektar
landwirtschaftliche Nutzfläche verfügt, haben wir deut-
lich mehr, nämlich viele Millionen Hektar.

Die Wasserverbände haben in der Vergangenheit viel
Geld investiert, um die hohen Nitratwerte im Wasser ab-
zusenken. Das führte zu deutlichen Verbesserungen, hat
aber den Wasserpreis in die Höhe getrieben, den die
Kunden zu zahlen haben, nicht aber die Verursacher.
Meine Damen und Herren, ist es nicht nach wie vor so,
dass Wasser Allgemeingut ist und damit uns allen zur
Verfügung stehen muss und dass keiner das Recht hat,
Wasser in seiner Qualität zu beeinträchtigen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit kurzem steigen die Nitratbelastungen wieder
deutlich an. Wasser ist das Gewissen, das uns anzeigt,
was vor 10 bis 15 Jahren falsch gelaufen ist. Die Werte,
von denen wir reden – bis zu 250 Milligramm pro Liter
in manchen Brunnen und Messstellen –, wurden vor vie-
len Jahren verursacht. Was glauben Sie, wie diese Brun-
nen in weiteren zehn Jahren angesichts der heutigen
Tierzuwächse aussehen werden? In einigen Landesteilen
Nordrhein-Westfalens ist das erste Grundwasserstock-
werk für die Trinkwasserversorgung bereits ungeeignet.
Diese Regionen sind gezwungen, tiefere Grundwasser-
vorkommen zu nutzen. Wenn wir nichts ändern, werden
bald auch diese deutlich über dem Grenzwert von
50 Milligramm Nitrat pro Liter liegen.

Es sind nicht nur die Düngemittel, die das Fass zum
Überlaufen bringen. Auch Gärsubstrate aus Biogasanla-
gen und Ammoniakgase aus Tierställen sowie Gase, die
beim Ausbringen der Gülle entstehen, kommen als Am-
moniumsalze irgendwo wieder herunter und gelangen in
den Naturkreislauf. Das zerstört die Artenvielfalt, unsere
Landschaft und unsere Umwelt. 95 Prozent des Ammo-
niaks stammen aus der deutschen Landwirtschaft.

Sie von der Regierung, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, sind gefordert, endlich zu handeln. Wo bleibt denn
die schon länger angekündigte Novelle des Düngegeset-
zes? Bleibt sie nach wie vor in der Schublade, oder wird
sie doch nach den Wahlen das Licht der Öffentlichkeit
erblicken?

Unsere Forderungen sind: Erstens. Die Gärsubstrate
und Bioabfälle sollen zukünftig miterfasst werden, und
die Ausbringungsobergrenze von 170 Kilogramm Stick-
stoff pro Hektar muss endlich gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Es müssen endlich alle Düngemittel per
Hoftorbilanz wie in den Trinkwasserschutzgebieten ge-
nau erfasst und die Stickstoffüberschüsse am besten auf
50 Kilogramm pro Hektar und Jahr begrenzt werden.

Drittens. Die Ausbringungssperrfristen müssen ver-
längert und EU-weit vereinheitlicht werden.

Viertens. Die Lagermöglichkeit vor allem für gewerb-
liche Betriebe ohne ausreichende Fläche muss auf neun
Monate erhöht werden.

Fünftens. Die Ausbringungstechnik muss verbessert
werden.

Sechstens. Die Kontrollen der Landwirtschaftsämter
und -kammern müssen endlich greifen.

Aber vor allem muss die Tierhaltung endlich an die
Fläche angepasst werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)






Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie un-
seren Antrag, um die dramatische Wassersituation in
Deutschland endlich zu entschärfen. Das ist unser Auf-
trag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803331700

Als nächster Redner spricht der Kollege Josef Rief,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1803331800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Sie sind zwar mit allen Wassern gewaschen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Links- und der
Grünenfraktion, doch Ihre Anträge sind echte Schläge
ins Wasser.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Natürlich steckt die Bundesregierung in schwierigen
Verhandlungen mit der EU über die Novellierung unse-
rer Düngeverordnung. Uns geht es dabei darum, für un-
sere Bauern eine gute fachliche Praxis festzulegen, die
die EU-Nitratrichtlinie einhält und unser Wasser als
wichtigstes Lebensmittel schützt sowie für unsere Land-
wirte in der täglichen Arbeit auch praktikabel ist.

Die Opposition versucht mit umfangreichen Forde-
rungen in den vorliegenden Anträgen, diese Verhandlun-
gen noch zu verkomplizieren; die Anträge gehen in der
Summe in die falsche Richtung. Dem können wir nicht
zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür seid ihr denn? Gar nichts machen? Das lässt die EU nicht zu!)


Sie wissen alle: Das Auslaufen der Derogation hat die
Landwirte verunsichert. Deshalb wollen wir die Zulas-
sung der Derogation für nächstes Jahr wieder erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei handelt es sich um die Möglichkeit, unter be-
stimmten Voraussetzungen und auf bestimmten Flächen
pro Hektar bis zu 230 Kilogramm Stickstoff in Form von
tierischem Wirtschaftsdünger, also Gülle und Mist, aus-
zubringen, wenn es sich in der Nährstoffbilanz darstellen
lässt.

Es ist ein Merkmal einer modernen und nachhaltigen
Landwirtschaft, dass nach Entzug und Ertrag gedüngt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

„Viel hilft viel“, wie viele Zeitgenossen unterstellen –
das ist falsch. Es ist das Motto einer längst vergangenen
Steinzeitökonomie. Lassen Sie uns am bisherigen Sys-
tem der Düngeverordnung festhalten. Sie muss praxisge-
recht sein, den nötigen Umweltschutz berücksichtigen
und darf auch für kleine Betriebe keinen weiteren Büro-
kratieaufwand bedeuten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gehört aber auch ein besseres Grundwassermess-
stellennetz dazu, das nicht als Belastungsnetz funktio-
niert. Jeder, der sich informiert hat, weiß, dass wir vor
allem aufgrund dieser fehlerhaften Meldungen in
Schwierigkeiten geraten sind.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine fehlerhaften Meldungen! Die sind belastungsorientiert!)


Wir brauchen ein Messstellennetz, das Vergleichbarkeit
in Europa ermöglicht und uns sagt, wo etwas getan wer-
den muss und wo nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen die Ursachen angehen!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, es
nützt niemandem, die Nährstoffausbringung dort zu re-
duzieren, wo das Wasser in Ordnung ist. Laut Statistik
haben wir bei 73 Prozent der Wassermessstellen keinen
erhöhten Nitratgehalt. Davon lese ich in Ihren Anträgen
nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die anderen Messstellen macht ihr zu, oder was?)


Die Forderungen der Opposition sind unverständlich.
Eine Entscheidung des Bundestages für Ihre Anträge
wäre bei den Verhandlungen mit der EU nicht zielfüh-
rend. Die ordentlich wirtschaftenden Landwirte würden
nur weiter belastet. Ich habe den Eindruck: Es geht hier
nicht um die Sache. Es geht wieder einmal um Ideologie.

So fordern etwa die Grünen in ihrem Antrag eine
Mindestlagerkapazität für organischen Flüssigdünger
von neun Monaten statt bisher sechs. Das würde für
Kleinbetriebe eine erhebliche Mehrbelastung bedeuten
und würde den Strukturwandel weiter vorantreiben.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schönreden reicht nicht!)


In Ihren Reden, vor allem in Sonntagsreden, wollen Sie,
die Grünen, diesen Strukturwandel ja auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sonntags gehen wir in die Kirche! Da halten wir keine politischen Reden!)


Sie fordern weiter eine feste Obergrenze von 170 Ki-
logramm Stickstoff pro Hektar und Jahr für die Ausbrin-
gung,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)


also einen permanenten Verzicht auf die Derogationslö-
sung. Das ist einfach nicht praxisgerecht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Praxisgerecht ist Überdüngung, oder was heißt das? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ Josef Rief DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht um Derogation!)


(D)





(A) (C)


(D)(B)


Dazu kommen noch viele andere Punkte: von Verschär-
fungen vieler Vorschriften oder unpraktikablen Ausbrin-
gungstechniken bis hin zur kostenpflichtigen Zwangsbe-
ratung mit Androhung von Bußgeld für die Bauern.


(Eckhard Pols [CDU/CSU]: Oh, Vorschriften für die Bauern!)


Hier soll der ganze Berufsstand unter Generalverdacht
gestellt werden.

Unsere Landwirte in Deutschland sind bestens ausge-
bildet und bedürfen nicht bei jeder Gelegenheit der Be-
lehrung durch Leute, die wenig Kompetenz haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist eure Antwort auf das Nitratproblem? Das ist ja echt blamabel!)


In Sonntagsreden will die Opposition immer das Beste
für die Bauern. Werktags arbeitet die Koalition für sach-
gerechte Lösungen. Das ist der Unterschied, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Menschen verstehen das sehr gut, vor allem unsere
Bauern.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803331900

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Kirsten

Tackmann, die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1803332000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Kommen wir einmal von der Bauernver-
bandspolemik zurück zur Realität. Ich finde schon, dass
die heutige Debatte zum Düngerecht überfällig ist. Es ist
ja kein erfundenes Problem, sondern ein real existieren-
des. Nicht umsonst gibt es das Vertragsverletzungsver-
fahren der EU-Kommission gegen Deutschland wegen
nicht ausreichender Umsetzung der Nitratrichtlinie.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Realität!)


Der Bundesrat beschäftigt sich gerade mit zwei Geset-
zesinitiativen zum Düngerecht.

Drei wissenschaftliche Gremien zur Politikberatung
der Bundesregierung


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr haben wir nicht! Alle drei!)


haben sich im August 2013 gemeinsam geäußert und
haben uns zum Handeln aufgefordert. Dies waren der
Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, der Wissen-
schaftliche Beirat für Düngungsfragen und der Sachver-
ständigenrat für Umweltfragen. Ich zitiere einmal aus
der Presseerklärung dieser drei Gremien zu ihrem Kurz-
gutachten:

Trotz deutlicher Verbesserungen in den letzten
20 Jahren führen hohe Stickstoff- und Phosphataus-
träge aus der Landwirtschaft nach wie vor dazu,
dass zentrale Umweltziele der Bundesregierung,
wie auch der EU, nicht erreicht werden.

Wir können es doch nicht ignorieren, wenn uns drei Be-
ratungsgremien sagen, wir müssten etwas ändern.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich zitiere weiter aus dieser Presseerklärung:

Die Räte empfehlen nachdrücklich, die anstehende
Novellierung der Düngeverordnung für umfassende
Reformen zu nutzen.

Auch aus der Praxis erreichen zumindest mich sehr wohl
Forderungen nach einer Änderung.

Ich bin relativ häufig in Betrieben unterwegs. Neulich
fragte mich ein Landwirt, mit dem ich über das aktuelle
Düngerecht reden wollte: Geht es jetzt um Entsorgung
oder um Düngung? Ich finde, das ist zwar eine polemi-
sche Frage, aber es ist eigentlich die Grundfrage, die wir
als Gesetzgeber beantworten müssen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig ist es ein Zielkonflikt. Denn natürlich geht
es auch um Entsorgung von Gülle und Mist aus der Tier-
haltung; das ist keine Frage. Deshalb sagt die Linke: So
viel Düngung wie notwendig für eine gute Ernte und so
wenig Düngung wie möglich, um die Umwelt nicht zu
schädigen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dabei geht es natürlich um Grundwasser und unsere Ge-
wässer. Ich fände es schön, wenn der Verweis auf die
gute fachliche Praxis ausreichen würde. Aber wenn es
eben nicht so ist, dann müssen wir als Gesetzgeber han-
deln,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


und das eben nicht erst Ende des Jahres. So viel Zeit will
sich nämlich die Bundesregierung lassen, wie aus ihrer
Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken hervorgeht.
In Deutschland lag immerhin bei jeder zweiten Wasser-
gütemessstelle die mittlere Nitratkonzentration oberhalb
des Grenzwertes. In manchen Regionen wurde er sogar
deutlich überschritten. Natürlich ist es richtig, histori-
sche Belastungen von den Belastungen zu unterschei-
den, die aktuell entstanden sind. Natürlich ist es auch
richtig, dass Durchschnittswerte über die reale Situation
in bestimmten Regionen nicht viel sagen. Aber Tatsache
bleibt doch, dass in vielen Regionen die Nitratausträge
deutlich zu hoch sind.





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

Zu den Ursachen möchte ich noch einmal aus der
Presseerklärung der Räte der Bundesregierung zitieren:

Insbesondere in vielen Regionen intensiver Tierhal-
tung und Bioenergieproduktion sowie in Regionen
mit einem hohen Anteil von Sonderkulturen neh-
men die Nährstoffausträge sogar zu.

In solchen Regionen überschreitet die Nitratbelastung
des Grundwassers teilweise das Siebenfache des für
Säuglinge geltenden Grenzwertes. Auch das ist ein Ar-
gument, für die Linke zumindest, ernsthaft darüber nach-
zudenken, dass Dichte und Größe von Tierhaltungen in
den Regionen tatsächlich gedeckelt werden. Also nicht
Gülle verteilen, sondern Tierhaltung verteilen!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wird geschätzt, dass knapp 1,9 Millionen Tonnen
Stickstoff mehr ausgebracht werden, als Boden und
Tiere überhaupt verwenden können. Das heißt: Jährlich
werden 1,8 Milliarden Euro sinnlos für Stickstoffdünger
ausgegeben. Das ist kein betriebswirtschaftliches Pro-
blem, das sich am Markt quasi von allein erledigt; denn
diese Nährstoffüberschüsse geraten in unser Trinkwasser
und in die Gewässer, zuletzt in die Meere. Das heißt wie-
derum, dass wir alle die Kosten für die Umweltschäden
und für die Trinkwasseraufbereitung tragen müssen.
Auch deshalb will die Linke das dringend ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Unsere Forderungen, Herr Rief, lehnen sich übrigens
ganz stark an die Empfehlungen der Wissenschaftlichen
Räte an; sie sind nicht irgendwie ausgedacht. Dabei ist
uns die Durchsetzung des Verursacherprinzips besonders
wichtig. Wir wollen keine pauschalen Maßnahmen ge-
gen die Landwirtschaft insgesamt, aber wir wollen, dass
die Probleme schneller erkannt werden und konsequent
gelöst werden. Die konkrete Situation vor Ort soll schon
berücksichtigt werden, aber das darf nicht dazu führen,
dass das Ziel aufgeweicht wird, die Nährstoffüber-
schüsse zu reduzieren. Deswegen freue ich mich sehr auf
die Diskussion darüber, wie wir so etwas erreichen kön-
nen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803332100

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin

Rita Hagl-Kehl.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1803332200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrund-
lagen für heutige und künftige Generationen ist ein
Kernanliegen sozialdemokratischer Politik. Dies findet
sich auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD
wieder. Sie wissen, dass wir uns in der Großen Koalition
für den Schutz der Umwelt, insbesondere der landwirt-
schaftlich genutzten Böden, und für den Gewässerschutz
einsetzen.

Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass der
Schutz von Gewässern nicht nur den Schutz der Oberflä-
chengewässer, sondern ausdrücklich auch den des
Grundwassers mit einschließt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen alles dafür tun, dass Wasser beste Trinkwas-
sereigenschaften behält und nicht erst nach teuren Auf-
bereitungsverfahren als Trinkwasser aus der Leitung
kommen kann. Denn das würde bedeuten, dass Gewinne
durch Düngung auf Kosten der Allgemeinheit und zulas-
ten der Umwelt erzielt würden. Im Koalitionsvertrag
heißt es dazu – ich zitiere –:

Der Schutz der Gewässer vor Nährstoffeinträgen
sowie Schadstoffen soll verstärkt und rechtlich so
gestaltet werden, dass Fehlentwicklungen korrigiert
werden. Wir werden die Klärschlammausbringung
zu Düngezwecken beenden und Phosphor und an-
dere Nährstoffe zurückgewinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Düngeverordnung wird die EU-Nitratrichtli-
nie umgesetzt. Erklärtes Ziel der Nitratrichtlinie ist es,
Grund- und Oberflächengewässer vor Nitratverunreini-
gungen aus der Landwirtschaft zu schützen und für eine
gute Wasserqualität zu sorgen. Damit verbunden sind die
Ziele der Wasserrahmenrichtlinie: guter Gewässerzu-
stand europaweit. Trotz Fortschritten in den letzten Jahr-
zenten sind die Umweltziele der genannten Richtlinien
in Deutschland noch nicht erreicht. Es ist uns allen be-
wusst, dass – nicht zuletzt aus EU-rechtlichen Gründen –
Handlungsbedarf für eine Novelle zur Düngeverordnung
in Deutschland besteht. Eine Novelle hätte schon in der
letzten Legislaturperiode beschlossen werden müssen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt schon lange in der Schublade!)


Als Koalition werden wir unseren Teil der Verantwor-
tung mit der bevorstehenden Neuregelung vollumfäng-
lich wahrnehmen.

Die beiden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und
der Linken lesen sich wie eine Zusammenfassung ak-
tueller wissenschaftlicher Gutachten. Diese Gutachten
sind den mit den Themen „Umweltschutz“, „Gewässer-
schutz“ und „Novelle zur Düngeverordnung“ befassten
Abgeordneten aller Parteien dieses Hauses bestens
bekannt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse und Emp-
fehlungen der einschlägigen Gutachten werden die
Grundlage für die bevorstehende Novelle zur Düngever-
ordnung bilden. Am 25. Mai sind Europawahlen. Das
war sicher auch ein Grund für die eilends eingebrachten
Anträge der Opposition. Sie wollten sich in diesem Feld
noch vor der Wahl positionieren, obwohl Sie natürlich
wissen, dass wir als Koalition bereits intensiv an der No-
velle im Düngemittelrecht arbeiten.





Rita Hagl-Kehl


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das war ein Diskussionsbeitrag! Können Sie ja nutzen! Sie können auch abschreiben! Kein Problem!)


Ich freue mich, dass Sie mir heute durch Ihre Anträge
die Gelegenheit geben, die Position der Sozialdemokra-
tischen Partei Deutschlands noch einmal darzustellen.
Das ist gut so; denn Transparenz ist gut für die Demo-
kratie.

Zur Position der SPD. Die Neuregelung der Dünge-
verordnung muss im Kern mindestens folgende Punkte
enthalten:

Erstens. Schulungs- und Beratungsprogramme müs-
sen weiterentwickelt und intensiviert werden, um den
Stand der Technik schneller in die Praxis umsetzen zu
können und dadurch das betriebliche Nährstoffmanage-
ment zu optimieren. Ziel ist es, Düngeverluste zu mini-
mieren.

Zweitens. Die Düngeverordnung ist dahin gehend zu
verschärfen, dass a) die Stickstoffüberschüsse auf 50 Ki-
logramm pro Hektar und Jahr begrenzt werden, b) die
Stickstoff- und Phosphatbilanz mittels einer Hoftorbi-
lanz erhoben wird, die alle relevanten Nährstoffströme
– auch Gärreste und Futtermittel – einschließt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einverstanden!)


c) die Ausbringung von Gärresten aus Biogasanlagen in
die Stickstoffbilanz eingeht sowie d) eine zielgenaue,
bedarfsgerechte und standortangepasste Düngung defi-
niert und ermöglicht wird.

Drittens. Es muss der rechtliche Rahmen geschaffen
werden, der die Kontrolle einer konsequenten Einhal-
tung der Düngeverordnung ermöglicht und bei Bedarf
wirksame Sanktionsmaßnahmen sicherstellt. Damit mei-
nen wir nicht Bußgelder, sondern kostenpflichtige Nach-
schulungen. Dann hat der Bauer auch etwas davon, weil
er etwas lernt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Viertens. Die Belange des Biodiversitäts- und Klima-
schutzes müssen berücksichtigt werden.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Über diese Kernforderungen hinaus sind natürlich
weitere Regelungen im Detail erforderlich, zum Beispiel
die strikte Einhaltung von Abstandsregelungen. 1 Meter
Abstand zu Oberflächengewässer bei der Düngemittel-
ausbringung ist deutlich zu wenig;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ich fordere mindestens 5 Meter Abstand. Wir benötigen
kostenfreie EDV-Tools für die Landwirte zur Düngebe-
darfsermittlung, die Erweiterung von Sperrfristen auf
dem Ackerland und zudem die Verlängerung der Min-
destlagerdauer für Wirtschaftsdünger. In diesem Zusam-
menhang muss über eine finanzielle Unterstützung der
Landwirte beim Bau von Güllebehältern nachgedacht
werden.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Bärbel Höhn als Ministerin gemacht!)


Ich bin der Überzeugung, dass die „gute fachliche Pra-
xis“ genauer definiert werden muss. Das gilt insbeson-
dere für die Anforderungen an die Ausbringungs- und
Einarbeitungstechniken.

Die Novelle zum Düngerecht ist ein wichtiges Anlie-
gen für mehr Umweltschutz über alle Parteigrenzen hin-
weg. Ich bin sicher, dass wir nach der Europawahl auch
in den Ausschüssen gute und konstruktive Gespräche
führen können.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon vor der Europawahl!)


Zur Reduzierung der Stickstoff- und Phosphoreinträge
brauchen wir sinnvolle und zugleich praktikable Lösun-
gen. Ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende 2014 die
Novelle zur Düngemittelverordnung beschlossen haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803332300

Abschließender Redner zu diesem Debattenpunkt

– und vermutlich auch im Rahmen dieses langen Debat-
tentages – ist der Kollege Artur Auernhammer, CDU/
CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1803332400

Verehrter Herr Präsident, da ich der letzte Redner die-

ses Abends bin, obliegt es mir wahrscheinlich, so lange
zu reden, bis wir in Ihren Geburtstag hinein debattieren.
Deshalb bitte ich, die Redezeit dementsprechend einzu-
stellen.


(Heiterkeit)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803332500

Das wäre doch eine sehr großzügige Bemessung der

Redezeit.


Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1803332600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
Deutschland nicht nur ein Problem mit einem Vertrags-
verletzungsverfahren bzw. einer drohenden Klage, son-
dern auch mit der Nitratbelastung in deutschen Gewäs-
sern. Ich glaube, da sind wir uns einig, so einig, dass wir
heute über Gülle und Mist im Deutschen Bundestag
sprechen.

Als praktizierender Landwirt ist es mir wichtig, dass
wir die Düngeverordnung überarbeiten, und zwar mit





Artur Auernhammer


(A) (C)



(D)(B)

dem Ziel, die Nitratwerte zu senken, die Gewässerquali-
tät nachhaltig zu verbessern und – das ist mir besonders
wichtig – Landwirtschaft und das Düngen unserer Felder
weiterhin bedarfsgerecht zu ermöglichen. An einer
solchen substanziellen Verbesserung der Verordnung
arbeitet das Bundeslandwirtschaftsministerium – und
das ohne diese Anträge. Die Kompetenz des Bundes-
landwirtschaftsministeriums, an der Spitze der Minister
sowie seine ganze Mann- und Frauschaft, ist groß genug,
um diese Herausforderungen anzunehmen und hier eine
gute Lösung herbeizuführen. Das ist doch selbstver-
ständlich.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Umweltministerin spricht auch mit!)


Dass die Novellierung der Düngeverordnung unter
dem Gesichtspunkt des Gewässerschutzes, beispiels-
weise in Form einer Senkung der Nitratbelastung, sein
muss, ist uns klar. Wir wissen: Zu hohe Gewässerbelas-
tungen gefährden nicht zuletzt die Volksgesundheit. Eine
Novelle muss daher so weitreichend wie möglich erfol-
gen, zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Doch was
ist nötig, und was ist erforderlich?

Beim Lesen Ihrer Anträge, meine Kolleginnen und
Kollegen von den Linken und von den Grünen, fühlt
man sich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass es auch
in Deutschland noch möglich sein muss, Landwirtschaft
zu betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe langsam den Eindruck, Sie wollen die deutsche
Landwirtschaft abschaffen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Haben Sie das Gutachten gelesen?)


– Ja. – Düngen muss weiterhin möglich sein. Der Land-
wirt muss weiterhin seine Erfahrungen und Kenntnisse
aus Ausbildung und Praxis einbringen dürfen, um nicht
allein Landwirtschaft stur nach richtlinienkonformem
Handlungsmuster praktizieren zu dürfen. Landwirtschaft
ist nachhaltige, lebendige Nahrungsmittelproduktion
und ist auf Nährstoffausbringung angewiesen.

In der gesamten Nitratdebatte kommt aus meiner
Sicht aber ein Punkt zu kurz. Es sind nicht nur die Vieh-
halter, die Düngemittel ausbringen. Das geschieht auch
bei der in den letzten Jahren stark angewachsenen Bio-
gasproduktion. Gerade heute Morgen haben sich viele
bei der Demonstration der Biogasanlagenbetreiber in
richtigen Sonntagsreden zur Biogasproduktion bekannt,
auch die Vertreter der Linken und der Grünen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist doch kein Widerspruch!)


Jetzt heißt es aber auch, hier Farbe zu bekennen und zu
sagen: Wir müssen handeln. Das habe ich heute Morgen
da draußen vermisst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich aber gesagt! Das wissen Sie!)

Wir wissen, dass wir mit einer zunehmenden Aufla-
genpolitik unter unseren Landwirten die Flächenkonkur-
renz noch weiter anheizen und die Flächen nicht mehr
ausreichen werden. Das müssen wir auch im Rahmen
der Gemeinsamen Agrarpolitik berücksichtigen.

Verantwortungsbewusste Gülleausbringung geschieht
bereits vielfach vor Ort. Ich bin selbst Vorsitzender eines
Maschinenringes. Seit 20 Jahren haben wir eine soge-
nannte Güllegemeinschaft bei uns im Ring im Einsatz,
mit 19 Fässern, mit der entsprechenden Bereifung und ei-
ner umweltfreundlichen bodennahen Ausbringtechnik.
165 Landwirte im Landkreis nutzen dieses Angebot und
bringen bis zu 400 000 Kubikmeter Gülle umweltfreund-
lich aus. Das ist ein Beitrag für die Umwelt, den unsere
Bauern freiwillig leisten und der über den Maschinen-
ring organisiert wird.

Um die Klage der EU-Kommission abzuwenden und
eine Neugenehmigung der Derogationsregelung für
Wirtschaftsdünger tierischer Herkunft für die deutsche
Landwirtschaft zu bewirken, müssen wir handeln. Ich
habe das eben am Beispiel unseres Maschinenrings an-
geführt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Ihr
Forderungssammelsurium enthält viele Punkte, die ich
nicht mittragen kann. Ich nenne nur die neunmonatige
Güllelagerkapazität. Das würde in vielen kleinen bäuer-
lichen Betrieben dazu führen,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewerblichen!)


dass über 50-jährige Landwirte nicht mehr die notwendi-
gen Investitionen tätigen, sondern ihren Betrieb und da-
mit die Viehhaltung einstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch dies will ich einmal deutlich sagen: Ich habe in
dieser Legislaturperiode schon viele Anträge der Grünen
zur Agrarpolitik gelesen. Aus den meisten dieser An-
träge ziehe ich die Schlussfolgerung, dass die Grünen
die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland abschaffen
wollen. Das lasse ich Ihnen aber nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nicht drin! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie wohl gern!)


Ein Blick auf die Lebenswirklichkeit offenbart, dass
die von Ihnen angedachten Investitionshilfen das Risiko
nicht kompensieren können. In diesem Zusammenhang
will ich den Hinweis geben, dass die Schweinehaltungs-
verordnung dazu geführt hat, dass kleinere Schweinehal-
tungsbetriebe bei uns aufgehört haben. Wir dürfen keine
Düngeauflagen formulieren, die zu Betriebsaufgaben
führen. Schon wegen dieser Forderungen sehe ich Ihre
Anträge mehr als kritisch. Im Ganzen sind sie nicht zu-
stimmungsfähig und müssen abgelehnt werden.

Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Nachsicht bei
meiner Redezeit. Ich glaube aber, wir können nicht mehr
so lange warten, um Ihren Geburtstag zu feiern.





Artur Auernhammer


(A) (C)



(D)(B)

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1803332700

Vielen Dank, Herr Kollege Auernhammer, dass Sie

die von Ihnen angekündigte Redezeit nicht vollständig
ausgeschöpft haben.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/1338 und 18/1332 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung steuerlicher Regelungen an die Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts

Drucksache 18/1306
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden dazu sollen zu Protokoll gegeben wer-
den.1) – Ich sehe niemanden, der dagegen Einwände er-
hebt.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/1306 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu
gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke,

1) Anlage 5
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Nachhaltige Entwicklungsziele der Vereinten
Nationen – Soziale Ungleichheit weltweit
überwinden

Drucksache 18/1328
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Auch hierzu sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.2) – Ich sehe niemanden, der dagegen Einspruch
erhebt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1328 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dagegen erhebt
sich kein Widerspruch. Damit ist die Überweisung so
beschlossen.

Wir sind damit nach annähernd 14 Stunden Debatten-
zeit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung ange-
langt.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Mai 2014,
9 Uhr, ein.

Ich danke allen, die sich heute an den Debatten betei-
ligt haben, und wünsche Ihnen einen schönen Restabend.
Kommen Sie morgen frisch und ausgeschlafen um 9 Uhr
wieder ins Plenum.

Die Sitzung ist geschlossen.