Protokoll:
18017

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 17

  • date_rangeDatum: 20. Februar 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:41 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/17 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 17. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 I n h a l t : Wahl der Abgeordneten Volkmar Vogel und Ulrich Hampel als Mitglieder im Stiftungs- rat der Bundesstiftung Baukultur . . . . . . . . 1203 A Wahl der Abgeordneten Dietmar Nietan und Hiltrud Lotze als ordentliche Mitglieder so- wie Dr. Lars Castellucci und Christina Kampmann als stellvertretende Mitglieder im Stiftungsrat „Stiftung Flucht, Vertrei- bung, Versöhnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1203 B Wahl der Abgeordneten Tabea Rößner und Dr. Julia Verlinden als persönlich stellvertre- tende Mitglieder des Beirats bei der Netz- agentur für Elektrizität, Gas, Telekommu- nikation, Post und Eisenbahnen . . . . . . . . . 1203 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1203 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 16 c . . 1203 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Eidesleistung des Bundesministers für Er- nährung und Landwirtschaft . . . . . . . . . . . 1203 D Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204 A Appell zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . 1204 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Vereinbarte Debatte: zur Lage in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204 D Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1205 D Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 1206 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1208 B Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1209 A Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1210 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1210 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1211 A Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1212 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . 1212 D Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1215 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215 D Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 1216 D Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1217 C Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bekräftigung der Empfehlungen des Ab- schlussberichts des 2. Untersuchungsaus- schusses der 17. Wahlperiode „Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund“ Drucksache 18/558 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1218 D Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1218 D Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1221 A Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1222 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1223 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1224 D Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1226 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1227 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1228 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . 1229 C Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 1230 B Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1231 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1232 D Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1233 D Martin Patzelt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1235 B Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1236 D Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mieterhöhungsstopp jetzt Drucksache 18/505 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1237 D b) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern Drucksache 18/504 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1238 A c) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Marktmacht brechen – Woh- nungsnot durch Sozialen Wohnungsbau beseitigen Drucksache 18/506 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1238 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 1238 B Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 1239 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 1240 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1242 C Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1243 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1244 B Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1245 A Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1246 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1248 B Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1249 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1250 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1251 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1252 D Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1254 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1255 D Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1256 D Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1258 B Tagesordnungspunkt 4: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Si- cherheitsunterstützungstruppe in Af- ghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutio- nen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/436, 18/602 . . . . . . . . . . 1259 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/615 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1259 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1260 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1261 D Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1262 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1264 B Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1264 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1264 C Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1265 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 1266 D Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1267 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1269 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1269 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1270 A Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1270 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1270 C Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1271 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1272 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 III Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1272 C Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1274 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 1275 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 D Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates über Honig – KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Wahlfreiheit für Ver- braucherinnen und Verbraucher herstel- len – Honig mit gentechnisch veränderten Bestandteilen kennzeichnen Drucksache 18/578 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1275 C Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/299, 18/413 Nr. 2, 18/516 1275 D b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 1 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streit- sachen vor dem Bundesverfassungsge- richt Drucksache 18/593 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1276 A c)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 7, 8, 9, 10, 11, 12 und 13 zu Petitionen Drucksachen 18/507, 18/508, 18/509, 18/510, 18/511, 18/512, 18/513 . . . . . . . . 1276 A Tagesordnungspunkt 5: a) Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Drucksache 18/560 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1276 D b) Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der „Stiftung Berliner Schloss – Hum- boldtforum“ Drucksache 18/561 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1276 D c) Wahl der Mitglieder des Beirats für Fragen des Zugangs zur Eisenbahnin- frastruktur (Eisenbahninfrastrukturbei- rat) Drucksache 18/562 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 A d) Wahl der Mitglieder des Verwaltungs- rates bei der Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht Drucksache 18/563 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 A e) Wahl der Mitglieder des Beirats zur Auswahl von Themen für die Sonder- postwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen (Pro- grammbeirat) Drucksache 18/564 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 A f) Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates der Deut- schen Welle gemäß der §§ 31 und 36 des Deutsche-Welle-Gesetzes (DWG) Drucksache 18/565 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 B g) Wahl der Mitglieder des Verwaltungs- rates und der Vergabekommission der Filmförderungsanstalt gemäß der §§ 6 und 8 des Filmförderungsgesetzes (FFG) Drucksache 18/566 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahl der Mitglieder des Beirats für die grafische Gestaltung der Sonderpostwert- zeichen beim Bundesministerium der Fi- nanzen (Kunstbeirat) Drucksache 18/567 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung bei der Zulassung der Genmaislinie 1507 und zur Sicherstellung der Wahlfreiheit in Bezug auf gentechnik- freie Lebensmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1280 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1280 A Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1281 C Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 1282 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 1283 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1284 D Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1286 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 1287 A Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1288 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1289 C René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1290 D Rita Stockhofe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1292 A Hermann Färber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1293 B Tagesordnungspunkt 6: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-ge- führten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/ 87/GASP des Rates der Europäi- schen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen Drucksachen 18/437, 18/603 . . . . . . . . 1294 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/616 . . . . . . . . . . . . . . . 1294 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Entschlie- ßungsantrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu der Abgabe einer Regierungserklä- rung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. Dezem- ber 2013 in Brüssel Drucksachen 18/196, 18/531 . . . . . . . . . . 1294 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1294 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1295 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1296 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1297 D Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1299 A Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1299 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1301 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 1301 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1303 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Un- abhängige Patientenberatung stärken und ausbauen Drucksache 18/574 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1302 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1302 B Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1306 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1307 C Helga Kühn-Mengel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1308 D Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1309 D Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1311 B Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung Drucksache 18/559 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1312 B Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1312 B Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1313 A Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . 1314 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1315 B Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1316 B Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 1317 B Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1318 A Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Straf- freiheit bei Steuerhinterziehung durch Selbstanzeige abschaffen Drucksache 18/556 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1319 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 1319 B Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1319 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1321 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1322 C Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1323 C Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . 1324 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1325 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 V Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 1326 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 1327 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 1327 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1327 D Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) Drucksachen 18/201, 18/606 . . . . . . . . . . 1328 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/617 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1328 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1329 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1330 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1331 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1332 B Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1333 B Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . 1334 B Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1335 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäudebereich und im Quartier voranbringen Drucksache 18/575 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1336 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1336 D Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 1337 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1339 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1340 B Tagesordnungspunkt 12: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festsetzung der Bei- tragssätze in der gesetzlichen Ren- tenversicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz 2014) Drucksachen 18/187, 18/604 . . . . . . . . 1341 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/618 . . . . . . . . . . . . . . . 1341 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisie- rung der Beitragssätze in der gesetzli- chen Rentenversicherung (Beitragssatz- gesetz 2014) Drucksachen 18/52, 18/604 . . . . . . . . . . . 1341 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Ge- rechtigkeit und Frieden ausrichten Drucksache 18/503 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1342 B Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- rat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Schulobstgesetzes Drucksachen 18/295, 18/601 . . . . . . . . . . . . . 1342 C Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1342 C Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 1343 B Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1344 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1345 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1346 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid Nouripour, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Drucksache 18/576 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1347 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1347 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1348 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 1351 A Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1352 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1354 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1355 A VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübin- gen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grund- lage der Resolution 1386 (2001) und folgen- der Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen (Tagesord- nungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Füh- rung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zu- letzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . 1356 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolu- tion 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Ta- gesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1356 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmink, Ulle Schauws (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolu- tion 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Ta- gesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1357 A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna- tional Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Reso- lution 1386 (2001) und folgender Resolutio- nen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) . 1358 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Meiwald, Corinna Rüffer, Hans- Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der mali- schen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/ 34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbin- dung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 6 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1358 D Anlage 8 Erklärung nach 31 GO des Abgeordneten Frank Tempel (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses Sammelübersicht 13 zu Petitio- nen Drucksache 18/513 (Tagesordnungs- punkt 22 i) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1359 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 VII Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Ren- tenversicherung für das Jahr 2014 (Bei- tragssatzgesetz 2014) – Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Ren- tenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1360 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 1361 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1362 A Dr. Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . 1362 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . 1363 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1364 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Afrika-Gipfel – Partner- schaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrich- ten (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1364 D Charles M. Huber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1365 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1366 D Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1368 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1369 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1203 (A) (C) (D)(B) 17. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 Beginn: 9.01 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1355 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 20.02.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 20.02.2014 Barthle, Norbert CDU/CSU 20.02.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 20.02.2014 Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.02.2014 Brase, Willi SPD 20.02.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 20.02.2014 Gabriel, Sigmar SPD 20.02.2014 Gutting, Olav CDU/CSU 20.02.2014 Heller, Uda CDU/CSU 20.02.2014 Dr. Lauterbach, Karl SPD 20.02.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.02.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 20.02.2014 Post (Minden), Achim SPD 20.02.2014 Rüthrich, Susann SPD 20.02.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 20.02.2014 Dr. Schlegel, Dorothee SPD 20.02.2014 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 20.02.2014 Dr. Steinmeier, Frank- Walter SPD 20.02.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 20.02.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.02.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 20.02.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In- ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 4) Wir unterstützen die Pläne, den ISAF-Einsatz bis zum Jahresende zu beenden und die Kampftruppen der Bun- deswehr aus Afghanistan abzuziehen. Nach über 12 Jah- ren eines Einsatzes, der zumindest die Ziele, mit denen der Einsatz ursprünglich begründet wurde, alle verfehlt hat, ist dies eine richtige und überfällige Entscheidung. Auch wenn die Truppen in Afghanistan bis Ende des Jahres stark mit der Vorbereitung des Abzuges beschäf- tigt sein werden, ist das Mandat doch kein ausschließli- ches Abzugsmandat. Die Bundesregierung beantragt auf Drucksache 18/436 die „Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützung in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF)“. Der Auftrag der Streitkräfte beinhaltet neben dem Rückbau militärischer Infrastruktur und damit einhergehender Aufgaben die Fortführung des bisherigen Auftrags. Wir haben den militärischen Einsatz in Afghanistan im Kern nie für richtig gehalten, auch wenn vor allem in den ersten Jahren bis 2003 durchaus vereinzelt Verbesse- rungen für die Situation der afghanischen Bevölkerung realisiert wurden. Die enge Verbindung des ISAF-Man- dats mit dem Mandat zur Terrorismusbekämpfung OEF hat jedoch viele Bemühungen der ISAF-Truppen zum Aufbau von Infrastruktur und Schutz der Bevölkerung zunichte gemacht. Der Bevölkerung war es nicht mög- lich, zwischen Soldaten, die sie bekämpften, und Solda- ten, die sie beschützten, zu unterscheiden. Heute bleibt zu konstatieren, dass die Sicherheitslage weiterhin be- sorgniserregend ist und sich seit 2003 zum Teil enorm verschlechtert hat. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivi- len Opfer in den ersten acht Monaten des Jahres 2013 wieder um 16 Prozent angestiegen. Unsere Fraktion bringt zum Antrag der Bundesregie- rung einen Entschließungsantrag ein, den wir mittragen. Wir können nachvollziehen, dass Fraktionskolleginnen Anlagen 1356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) und -kollegen dem jetzt beantragten Mandat, das den Abzug beinhaltet, zustimmen. Wir lehnen das Mandat ab, da es für uns in der Konse- quenz der Mandate seit 2001 steht, mit mehr negativen als positiven Folgen für die Bevölkerung Afghanistans. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Füh- rung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 4) Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Ab- zug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan bis zum Ende des Jahres 2014 ab. Damit wird nach über 12 Jahren der militärische Einsatz Deutschlands in Af- ghanistan beendet, den Bundeskanzler Schröder 2001 im Parlament nur mit der sogenannten Vertrauensfrage durchsetzen konnte. Ich stimme dem heute vorliegenden Mandat zu, damit der in Afghanistan unter deutscher Beteiligung geführte Krieg und die falsche Afghanistan-Politik der Bundes- regierung endlich beendet werden. Das ursprünglich mit dem Ziel Sturz der Taliban und Terrorbekämpfung be- gonnene Mandat OEF hat vor 12 Jahren eine grundsätz- lich falsche Strategie in der deutschen Afghanistan-Poli- tik begründet. Das später hinzugefügte Ziel, mit militärischen Mitteln in Afghanistan den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden zu unter- stützen, war durch die andauernde Verknüpfung mit dem ursprünglichen Kriegsmandat zum Scheitern verurteilt. Trotzdem oder gerade deshalb spreche ich mich dafür aus, nach dem Ende des ISAF-Einsatzes Afghanistan und die Menschen dort nicht erneut sich selbst zu über- lassen. Ich habe den deutschen Bundestag 2002, ein Dreivierteljahr nach Beginn des deutschen Militäreinsat- zes verlassen. Ich habe den Wunsch und die große Hoff- nung, dass das Bekenntnis von der Verantwortung, die Deutschland für diese Region übernommen hat, kein lee- res war. Das wird sich erst jetzt zeigen; in den kommen- den Jahren gilt es, den schwierigen wirtschaftlichen und institutionellen Aufbau in Afghanistan zu begleiten und den Menschen in Afghanistan tatsächlich langfristige Unterstützung zu geben. Andernfalls bliebe von den vollmundigen Bekenntnissen mehrerer deutscher Regie- rungen und zumindest im Jahre 2001 großer Teile der öf- fentlichen Meinung zum zivilen demokratischen Aufbau letztendlich nur ein militärisches und unverantwortliches Abenteuer übrig. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun- desregierung: Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Re- solution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 4) Wir haben uns stets für eine geordnete Beendigung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr bis spätestens Ende 2014 eingesetzt. Deshalb stimmen wir der letztmaligen Verlängerung des ISAF-Mandates der Bundeswehr und damit verbunden einem Abzug der deutschen Kampf- truppen zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz 2010 ha- ben die an ISAF beteiligten Nationen die Beendigung des Einsatzes bis Ende 2014 beschlossen. Die Entschei- dung, den ISAF Militäreinsatz zu beenden und die Si- cherheitsverantwortung vollständig an die afghanische Regierung zu übergeben, war und bleibt richtig. Damit wird dem politischen Prozess endlich Vorrang gegeben. Denn nur politisches und ziviles Engagement kann der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nach- haltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-, Bildungs- und auch Gesundheitssystems beitragen. Nur durch die zivilen Anstrengungen kann sich eine nachhal- tige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Auf- baustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht un- tergeordnet werden. Die Bundesregierung hat ein ISAF-Mandat vorgelegt, das den Einsatz deutscher Kampftruppen in Afghanistan bis spätestens 31. Dezember 2014 beenden wird. Dieses letzte ISAF-Mandat ist ein klares Abzugsmandat und von möglichen Folgemandaten entkoppelt. Sollte es kein Mandat auf einer neuen völkerrechtlichen Grundlage für ein Engagement ab Januar 2015 geben, endet Ende 2014 das gesamte deutsche militärische Engagement in Af- ghanistan. Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet un- sere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick auf Afghanistan näher dar. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1357 (A) (C) (D)(B) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven- Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Ulle Schauws (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In- ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 4) Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes- wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha- ben. Sie fordert wie kaum eine andere das Gewissen und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familienangehörigen gilt unser Dank und unsere Wertschätzung. Die jahrelange Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansätzen und eine fehlende ent- wicklungspolitische Strategie waren die zentralen Fehler der deutschen Afghanistan-Politik. Auch in diesem Ein- satzjahr findet das deutsche militärische Engagement in einem Umfeld gezielter Tötungen durch Kommando- aktionen und Drohnenangriffe anderer ISAF-Nationen statt. Diese Strategie der offensiven Aufstandsbekämp- fung lehnen wir entschieden ab. Sie konterkariert eine Verhandlungslösung und steht somit einer friedlichen Lösung des Konfliktes entgegen. Da der ISAF-Einsatz zur Gewalteskalation in Afgha- nistan beigetragen hat, haben einige von uns dem Mandat in der Vergangenheit nicht zugestimmt. Das vor- liegende Mandat beinhaltet die letzte Verlängerung die- ses Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Damit soll zum Ende des Jahres 2014 der Abzug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan erfolgen. Dies ist ein richtiger Schritt, den wir seit Jahren fordern. Da der Einsatz nun in erster Linie die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte umfasst, werden wir das Mandat nicht ablehnen und uns bei der Abstimmung enthalten. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die langjährige falsche Afghanistan-Poli- tik der Bundesregierungen der letzten Jahre. Auch und gerade nach dem Ende des ISAF-Einsatzes dürfen wir die Zukunft der Menschen in Afghanistan nicht aus dem Blick verlieren. Die deutsche Verantwor- tung reicht über 2014 hinaus, denn der Weg hin zu Frieden und Sicherheit, politischer Mitbestimmung, wirtschaftlichem Aufschwung und der Achtung der Menschrechte muss weiterhin mit zivilen Mitteln und al- ler Tatkraft begleitet und unterstützt werden. Strategie der Aufstandsbekämpfung ist gescheitert: Seit über einem Jahrzehnt beteiligt sich die Bundes- wehr am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Doch noch im- mer ist die Sicherheitslage sehr angespannt, unberechen- bar und besorgniserregend. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2013 erneut um 23 Prozent gestiegen. Die vergangenen Jahre waren geprägt von gewaltsa- men Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und den Taliban und anderen Aufständischen auf der an- deren. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge der Aufständischen verantwortlich. Aber auch die Strate- gie der offensiven Aufstandsbekämpfung durch die ISAF-Truppen hat zu einer zunehmenden Eskalation beigetragen. Die in den letzten Jahren vor allem von den USA und anderen ISAF-Nationen durchgeführten gezielten Tötungen mit unzähligen zivilen Opfern in Afghanistan und Pakistan tragen nach wie vor maßgeb- lich zur Eskalation der Gewalt bei. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen fordert zahlreiche zivile Opfer, zerstört den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den Aufständischen. So werden die Bemühungen um eine Verhandlungslösung, die Stabilisierung der Sicherheits- lage und der Erfolg des Transitionsprozesses in Afgha- nistan konterkariert. Die Strategie, mit militärischen Mitteln den Frieden in Afghanistan erzwingen zu wol- len, ist gescheitert. Wir unterstützen, dass der ISAF-Einsatz beendet und die Kampftruppen der Bundeswehr mit Auslaufen des vorliegenden Mandates zum Jahresende abgezogen wer- den. Nachdem zu lange auf eine militärische Lösung des Konfliktes gesetzt wurde, ist es richtig, der afghanischen Regierung nun die vollständige Sicherheitsverantwor- tung zu übergeben. Doch die Herausforderungen, die die Afghaninnen und Afghanen in den nächsten Jahren zu bewältigen haben, sind nach wie vor enorm. Versöhnung und Wiederaufbau verlässlich unterstüt- zen: Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan muss ein breiter Versöhnungsprozess stattfinden und der wirt- schaftliche und institutionelle Wiederaufbau des Landes vorangetrieben werden. Menschenrechtsverletzungen, ungeachtet von welcher Seite, müssen aufgedeckt und aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumati- sierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft gelin- gen kann. Ein Waffenstillstand reicht nicht aus, um Frieden zu schaffen. Auch wenn dies im von Krieg und Gewaltherrschaft geprägten Afghanistan schwierig ist und schmerzhafte Kompromisse abverlangt, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um ein größtmögliches Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Afghanistan-Politik der letzten Jahre hat es ver- säumt, sich den mit einem echten Versöhnungsprozess 1358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) verbundenen Herausforderungen zu stellen. Wiederauf- bau und Versöhnung gehören hierbei ins Zentrum. Doch die Unterstützung bei der Entwicklung grundlegender Staatsstrukturen und einer funktionierenden Verwaltung wurde vernachlässigt. Dem Engagement insgesamt hat es an einem Gesamtkonzept und einer sinnvollen Schwerpunktlegung für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans gefehlt. Diese müssen sich an den Bedürf- nissen der afghanischen Bevölkerung und den Gegeben- heiten vor Ort orientieren. Der für die afghanische Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor und die Modernisierung des afghanischen Bildungssystems müs- sen dabei im Vordergrund stehen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus ist die Stärkung der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen. Afghanistan nach dem ISAF-Einsatz: Auf dem langen und steinigen Weg zu einem nachhal- tigen Frieden in Afghanistan ist eine langfristige und verlässliche Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft unabdingbar. Der zivile Aufbau Afghani- stans muss auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes tat- kräftig unterstützt werden. Da das Land noch viele Jahre auf erhebliche Hilfe von außen angewiesen sein wird, müssen die auf der Tokio-Geberkonferenz gemachten Zusagen eingehalten und die zivile Unterstützung min- destens auf dem zugesagten Niveau von 430 Millionen Euro jährlich fortgeführt werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und fol- gender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 4) Dem Antrag der Bundesregierung stimme ich nicht zu. Ich stimme mit Nein. Das Mandat ist kein reines Abzugsmandat, sondern ein Mandat zur Verlängerung des Kampfeinsatzes der Bundeswehr im Krieg im Norden Afghanistans. Das be- deutet, dass im deutschen Verantwortungsbereich und auch mit deutscher Beteiligung weiter – wie in den letz- ten Jahren – Kriegseinsätze durchgeführt werden. Es werden insbesondere nächtliche Kommandounterneh- men stattfinden mit dem Ziel, Menschen gefangen zu nehmen oder zu töten, oder Drohneneinsätze mit dem Ziel, Menschen nach einer Todesliste zu töten. Damit wird der Krieg eskalieren, der Hass in der Be- völkerung wird weiter geschürt, und es werden Terroran- griffe provoziert. Eine friedliche Entwicklung in Afgha- nistan wird damit verhindert, und Verhandlungen über Waffenstillstand und Frieden werden erschwert. Insbe- sondere die schleppendenden Verhandlungen der afgha- nischen Regierung mit einem Teil der Aufständischen, die einzige realistische Chance, einen Übergang zu we- niger Krieg und Gewalt zu erreichen, werden damit kon- terkariert. Der Krieg in Afghanistan kann von der NATO nicht gewonnen werden. Er ist verloren. Die Sicherheitslage hat sich im letzten Jahr für die Bevölkerung verschlech- tert. Die Anzahl der Opfer an Menschenleben und die Anzahl der Verletzten, vor allem auch bei den afghani- schen Sicherheitskräften, ist im Jahr 2013 dramatisch zweistellig angestiegen. Auch in der Hauptstadt Kabul haben Anschläge von Aufständischen mit vielen Opfern zugenommen. Ausufernde Korruption bis in die höchs- ten Regierungskreise und die Zunahme des Anbaus und Handels mit Mohn und Opium prägen die Lage. Eine funktionierende staatliche Verwaltung gibt es in weiten Teilen des Landes nicht. Gerichte und Gerechtigkeit gibt es in der Regel nur für Reiche, die die Justiz bezahlen können. Die Sicherheit von Frauen vor Gewalt ist nicht gewährleistet. Konsequente faire Verhandlungen mit allen, die dazu bereit sind, bieten eine Chance für die Vermeidung eines Bürgerkrieges nach Abzug der NATO-Truppen. Die Fortsetzung des Krieges bis zum Abzug bringt viele wei- tere Opfer an Menschen und weitere Zerstörungen. Die Alternative wäre ein Abzugsmandat mit einem Waffenstillstandsangebot und Verhandlungen sowie Waffengebrauch nur zur Notwehr und Nothilfe, wie das ISAF-Mandat ursprünglich 2001 mal konzipiert war. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Meiwald, Corinna Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Ausbildungsmis- sion EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a) Den Antrag der Bundesregierung, weiterhin Bundes- wehrsoldaten zur Ausbildung und Beratung der dortigen Armee nach Mali zu entsenden, lehnen wir ab und stim- men mit Nein. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1359 (A) (C) (D)(B) Mali braucht einen staatlichen Neubeginn unter mög- lichst stabilen Rahmenbedingungen. Dies steht außer Frage, und wir stimmen mit der Bundesregierung völlig überein, dass unser Land hier aufgefordert ist, substan- ziell Verantwortung für eine Verbesserung der Lebensbe- dingungen der Menschen Malis zu übernehmen. Festzustellen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass sich im Nachgang der bisherigen militärischen Interven- tion afrikanischer und europäischer Truppen zwar die di- rekte militärische Gefährdung des malischen Staates nicht mehr so darstellt wie vor zwei Jahren. Allerdings ist ebenso zu konstatieren, dass das aktuelle Mandat der Bundeswehr trotz aller Bemühungen auch nicht dazu ge- führt hat, die drängende Herausforderung des staatlichen Wiederaufbaus Malis entscheidend voranzubringen. Im Gegenteil. Da ein echtes Gesamtkonzept zur Rückgewinnung staatlicher Souveränität einer legitimen Regierung für ganz Mali, welches vom malischen Volk, seiner gewählten Regierung – unterstützt durch die inter- nationale Gemeinschaft – getragen wird, weiterhin ekla- tant fehlt, besteht aus unserer Sicht das große Risiko, dass sich die mit deutscher Militärhilfe gestärkte mali- sche Armee nicht unbedingt als stabilisierendes Element im Entwicklungsprozess positionieren muss, sondern als eigenständiger Akteur in auch zukünftig noch drohenden Machtkämpfen agieren könnte. Diese Befürchtung besteht auch deshalb, weil die Ar- mee Malis schon einmal bis 2012 von deutschen Solda- ten monatelang ausgebildet worden war, dann aber ge- gen die damals legitime Regierung geputscht hatte. Danach kam es zu blutigen Auseinandersetzungen inner- halb dieser Armee. Die damalige Bundesregierung hatte deshalb die Militärhilfe eingestellt. Wenn auch der Put- schistenführer inzwischen in Haft ist, zeigt die damalige Entwicklung, dass deutsche Militärausbildung keines- wegs zur Demokratisierung, Disziplinierung oder Loya- lität der Soldaten gegenüber der legitimen Regierung und Stabilität des Landes führt. Die vom deutschen Mili- tär ausgebildete Armee soll sogar an schweren Men- schenrechtsverletzungen während ihres Einsatzes im Norden Malis gegen die dort ansässige Zivilbevölkerung beteiligt gewesen sein. Im Sinne eines echten Capacity-Building-Ansatzes für den fragilen Staat Mali stehen wesentliche andere Aufgaben auf der Agenda als die militärische Ausbil- dung einzelner Einheiten. Beispielhaft seien genannt: Moderation und Unterstützung des Versöhnungsprozes- ses, wirtschaftliche Aufbauhilfe, die Stärkung der poli- zeilichen Kräfte im Land, Korruptionsbekämpfung, Bil- dung und Ausbildung. Hierzu sind aus unserer Sicht die Instrumente der staatlichen und nichtstaatlichen Ent- wicklungszusammenarbeit, der politischen Stiftungen und der polizeilichen Ausbildung sowie die Stärkung re- gionaler, afrikanischer Initiativen deutlich besser geeig- net als der im EUTM-Mandat geplante Bundeswehrein- satz. Daneben sehen wir ein weiteres ernstes Problem mit dem vorgelegten Mandat. Auf die weiterhin sehr insta- bile Lage in der Nordregion um die Stadt Kidal herum gibt das EUTM-Mandat keine Antwort. Eine echte Frie- dens- und Versöhnungsinitiative für Mali, die letztlich die Grundlage für einen staatlichen Wiederaufbau dar- stellt, wird auch für diese Region Antworten geben müs- sen, damit sie nicht von vornherein die Probleme ledig- lich verschiebt oder verlagert. Eine Rechtfertigung über die Responsability to Protect, RTP, ist vor diesem Hin- tergrund für das vorgelegte Mandat nicht gegeben. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Tempel (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammel- übersicht 13 zu Petitionen Drucksache 18/513 (Tagesordnungspunkt 22 i) Petition 2-17-15-2127-015279 und andere: Der Petitionsausschuss hat in seiner Mehrheit aus Union und SPD beschlossen, die Petition zur Entkrimi- nalisierung von Cannabiskonsumenten vom 21. Oktober 2010 abzuschließen. Ich möchte nachfolgend begründen, warum ich dieser Empfehlung nicht folgen werde. Cannabiskonsum ist entgegen der realistischen und unstrittigen Gefahreneinschätzung in Deutschland krimi- nalisiert. Immer wieder erreichen mich Berichte von Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund ihres freizeitli- chen Cannabiskonsums strafrechtlich verfolgt werden. Ebenso erreichen mich regelmäßig Meldungen von Kon- sumentinnen und Konsumenten, welche aus medizini- schen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, und oftmals besitzen sie keinerlei Ausnahmegenehmigung vom Bun- desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM. Eine erst kürzlich von mir gestellte Schriftliche Frage an die Bundesregierung (vergleiche Drucksache 18/298) er- gab in diesem Zusammenhang, dass das BfArM kaum Ausnahmegenehmigungen erteilt, obwohl die Anträge auf medizinische Verwendung von Cannabis stark ange- stiegen sind. Dabei sind die monatlichen Therapiekosten bei vorhandener Ausnahmegenehmigung für Cannabis- patienten sehr hoch und liegen bei bis zu 1 500 Euro im Monat (vergleiche Drucksache 17/3810). Diese werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Die Linksfraktion hat vor zwei Jahren ein Fachge- spräch zum Antrag „Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs“ (Drucksache 17/7196) durchgeführt. Dabei bestätigten die geladenen Experten, dass die Repression keinen Einfluss auf das Konsumver- halten besitzt. Der Deutsche Hanfverband sprach von circa 100 000 Strafverfahren im Jahr. Ich selbst habe als Polizeibeamter Cannabiskonsumierende strafrechtlich verfolgen müssen. Dabei wurden nachweislich Berufs- karrieren zerstört, auch wenn die eigentliche Strafverfol- gung wegen der sogenannten Regelung zur geringen Menge eingestellt wurde. Die Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin betonten im Fachge- spräch, dass der moderate Konsum von Cannabis nicht schädlich ist. Die Annahme, dass Cannabis eine Ein- stiegsdroge sei, wurde bereits 1998 durch eine Studie, 1360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) die vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer in Auftrag gegeben wurde, widerlegt. Zahlreiche weitere Studien kamen zu eben jenem Ergebnis. Ausschlagend für Drogenkonsum seien vielmehr Faktoren wie Wohn- regionen, Preis der Substanz, gesundheitliche Aspekte, Lebensplanung und Einfluss der Freunde, so Nicole Krumdiek von der Universität Bremen auf dem damali- gen Fachgespräch. Vier Jahre hat die Bearbeitung der Petition im Peti- tionsausschuss gedauert. Dabei wurden 32 000 Unter- schriften für die Petition gesammelt und zwischenzeit- lich 20 Mehrfachpetitionen in diesem Zusammenhang eingereicht. Ebenso existiert mittlerweile eine Resolu- tion von 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren an die Abgeordneten im Deutschen Bundestag, in wel- cher sie die Einrichtung einer Enquete-Kommission des Bundestages zum Thema „Erwünschte und unbeabsich- tigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts“ fordern. Sie bezeichnen in dieser Resolution den Zweck der Pro- hibition als „systematisch verfehlt“, bezeichnen die Pro- hibition als schädlich für die Gesellschaft, die Konsu- mierenden sowie unverhältnismäßig kostspielig. Es ist also ziemlich offensichtlich, dass ein dringen- der Handlungsbedarf in der bisherigen Drogenpolitik und im aktuellen diesbezüglichen Strafrecht besteht. Die anhaltende Kriminalisierung von Cannabiskonsumieren- den muss endlich beendet werden. Länder wie Uruguay, Portugal, Niederlande, Belgien, verschiedene Bundes- staaten der USA und andere Länder zeigen, dass ein an- derer Weg möglich ist. Verhindern Sie nicht die notwen- dige Debatte, sondern stellen Sie sich endlich dieser, und sorgen Sie für eine Regulierung des Cannabiskonsums in Deutschland unter Verwendung des bestehenden Jugend- und Verbraucherschutzes. Ihre eigentlichen Kritiker wer- den dann nur noch die illegalen Verkaufsstrukturen sein, die seit Jahrzehnten durch die Illegalität gut verdienen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenver- sicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzge- setz 2014) – Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Ren- tenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Wir reden in ab- schließender Debatte über das „Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversiche- rung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz)“. Hinter dem Beitragssatzgesetz verbirgt sich ein ausgesprochen wich- tiger und zentraler Baustein für die Zukunft unseres Ren- tensystems. Dabei zeigt die Große Koalition bereits zu Beginn der Legislaturperiode, dass sie für eine Politik der Solidarität, der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit steht. Wir stärken das solidarische Rentensystem, indem wir für eine nachhaltig gute Finanzlage sorgen. Die Nachhaltigkeit der Deutschen Rentenversicherung ist mit gesetzlicher Rentenversicherung, privater Vorsorge und betrieblicher Altersvorsorge nach einem internatio- nalen Vergleich der OECD eines der besten. Wir wollen dafür sorgen, dass dies auch so bleibt, damit sich die Menschen in Deutschland auf die Stabilität unseres Ren- tenversicherungssystems verlassen können. Wir gewährleisten eine größere Planungssicherheit für Beitragszahler, Arbeitgeber und für Rentner. Damit vermeiden wir ein jährliches und von den Bürgern nicht mehr nachvollziehbares Auf und Ab der Beiträge. Wir treffen gleichzeitig Vorsorge, damit die Beiträge bei einem Abflachen der Konjunktur und einem Rück- gang der Beitragszahler nicht automatisch erhöht werden müssen. Wir sorgen dafür, dass das Grundsystem für die beitragsfinanzierten Rentensysteme stabil und berechen- bar bleibt, und leisten damit einen Beitrag zur Generatio- nengerechtigkeit. Wir schaffen gleichzeitig auch die Grundlage dafür, dass notwendige Leistungserweiterungen, die im Inte- resse unserer solidarischen Gesellschaft liegen, auf den Weg gebracht werden können: Dazu nenne ich die Müt- terrente, für die wir uns besonders stark gemacht haben. Hier verbessern wir für viele Mütter und auch Väter ihre Rentenanwartschaften bzw. sorgen dafür, dass sie höhere aktive Renten erhalten. Damit schließt die Große Koali- tion eine Gerechtigkeitslücke und honoriert die gesamt- gesellschaftliche Erziehungsleistung von Müttern und Vätern. Wir schaffen klare und nachvollziehbare Regelungen, damit Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenkassen einbezahlt haben, bereits ab dem 63. Le- bensjahr in Rente gehen können. Wir erkennen die Le- bens- und Beitragsleistung dieser Menschen ausdrück- lich an und honorieren sie. Es ist richtig, solidarisch und gerecht, dass Menschen nach einem langen und harten Berufsleben die Möglichkeit haben, mit 45 Beitragsjah- ren in Rente zu gehen. Gleichzeitig hat die Große Koali- tion hier einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Ge- fahr der Altersarmut zu vermindern. Ich bin auch davon überzeugt, dass es eine richtige Entscheidung ist, die Beiträge zur Rentenversicherung stabil auf 18,9 Prozent zu halten. Die letzten Beitrags- senkungen waren 2012 von 19,9 Prozent auf 19,6 und 2013 dann von 19,6 auf 18,9 Prozent. Die Große Koali- tion hat den Verlockungen einer kurzfristigen Senkung widerstanden, denn dieser Senkung hätte nach kurzer Zeit eine deutlichere Erhöhung folgen müssen. Die Ko- alition hat auch den Versuchungen widerstanden, die Rentenbeiträge jährlich um 0,2 Prozent zu steigern, wie dies vonseiten des DGB gefordert wurde. In guten und vertrauensvollen Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD wurde hier ein ver- nünftiger Weg gefunden, um die demografischen He- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1361 (A) (C) (D)(B) rausforderungen anzunehmen und für die nächsten Jahre Planungssicherheit zu haben. Abschließend glaube ich sagen zu können, dass die Große Koalition auch in Sachen Altersvorsorge für Sta- bilität und Verlässlichkeit steht. Wir stellen heute mit diesem Gesetz unter Beweis, dass dies nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis ist, son- dern auch ein Markenzeichen für eine zukunftsorien- tierte Renten- und Sozialpolitik für unser Land. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verläss- lichkeit ist in der gesetzlichen Rentenversicherung ein zentraler Faktor. Denn ohne Verlässlichkeit gibt es kein Vertrauen, und ohne Vertrauen kann ein generationen- übergreifendes System wie die gesetzliche Rentenversi- cherung keinen Bestand haben. Wenn von Verlässlichkeit die Rede ist, meinen die heutigen und die künftigen Rentnerinnen und Rentner an erster Stelle, dass sie sich darauf verlassen können, dass die wohlverdiente Rente pünktlich auf ihrem Konto ein- geht. Bei vollen Rentenkassen, bei einer Rücklage von 32 Milliarden Euro, wie wir sie heute haben, scheint das wie eine Phantomdebatte. Aber die Realität hat gezeigt, dass politisches Versagen die Rente in die Zahlungsunfä- higkeit manövrieren kann, wie dies im Herbst 2005 der Fall war. Damals musste der Staat in Vorkasse treten, da- mit die Rentnerinnen und Rentner nicht mit leeren Hän- den dastanden – und so etwas wollen wir auch für die Zukunft unbedingt vermeiden. Damals hatten auch Sie politische Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, und nicht wir. Heute haben wir, ungeachtet mehrerer Bei- tragssatzsenkungen, über Überschüsse in der Rentenver- sicherung politisch zu entscheiden. Angesichts dessen wundern mich manche Anwürfe ausgerechnet aus der grünen Ecke, wir würden die Rentenversicherung desta- bilisieren. Das betrifft allerdings auch den für die dama- lige Misere Hauptverantwortlichen, der zuletzt auch meinte, Ratschläge erteilen zu müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als 2001 unter Ihrer politischen Verantwortung erhebliche Einschnitte beim Erwerbsminderungsschutz vorgenom- men wurden, die die Rentenkassen um Milliardenbe- träge entlastet haben, hat keiner von Ihnen dieses ange- prangert. Kompensiert wurden diese Entlastungen durch geringere Ansprüche der Versicherten und steigende Grundsicherungsverpflichtungen der öffentlichen Hand. Jetzt fährt der Zug mal in die andere Richtung, was die Mütterrente betrifft, und das nur für eine sehr be- grenzte Zeit. Und das Lamento ist riesengroß. Neben der Mütterrente wollen wir auch den Schutz in der Erwerbsminderungsrente verbessern, der unter den eben dargestellten Umständen stark eingeschränkt wurde. Wir wollen dies, ohne Fehlanreize zu setzen. Durch die angestrebten Änderungen insbesondere bei den Zurechnungszeiten werden die seinerzeitigen Ein- schnitte zielgerichtet abgemildert. Betroffene erhalten rund 40 Euro im Monat zusätzlich. Die meisten können das Geld sehr gut gebrauchen. Die ebenfalls geplanten verbesserten Leistungen in der Rehabilitation werden die Rentenversicherung sogar mittel- und langfristig entlasten. Denn die konsequente Umsetzung des Grundsatzes „Reha vor Rente“ hat nicht nur eine humanitäre Komponente, weil sie die Wieder- herstellung der Gesundheit einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers vor eine in der Praxis recht beschei- dene Alimentation stellt. Zugleich entlastet sie spürbar die Rentenversicherung. Man kann sinnvolle Projekte wie mehr Gerechtigkeit bei der Mütterrente angehen, man kann sich aber auch von gestaltender Sozialpolitik, auch in der Rentenversi- cherung, verabschieden, das alles mit Hinweis auf große Zukunftsaufgaben lassen und sich ganz auf die Höhe der Beitragssätze fixieren, wie Sie das tun. Diesen Ansatz kannten wir bisher eher aus einer ande- ren Richtung. Er ist eindimensional und greift damit zu kurz. Tatsächlich geht es um einen Dreiklang der Ziele, die wir – zugegebenermaßen manchmal mit Mühe – unter einen Hut bringen müssen. Wir haben die solide Finan- zierung der Rentenversicherung im Blick – wir haben die Generationengerechtigkeit im Blick –, aber – das un- terscheidet uns – wir haben auch Gerechtigkeit im „Jetzt“ im Blick und die Sicherungsfunktion der gesetz- lichen Rentenversicherung. Wir alle wissen um die Be- deutung der zweiten und dritten Säule. Basis ist aber eine funktionsfähige erste Säule, und wenn diese nicht trägt, funktioniert das ganze System nicht mehr. Nun sind wir wenigstens in der Frage der Versteti- gung des Beitragssatzes, um die es heute eigentlich geht, nicht so weit auseinander, und dabei haben wir auch Rü- ckendeckung von Sachverständigen. Wenn wir jetzt den Beitragssatz senken würden, würde die Nachhaltigkeits- rücklage von 0,2 Monatsausgaben in absehbarer Zeit un- terschritten werden, und die Beiträge müssten sehr schnell wieder steigen. Mit unserem Gesetz können wir davon ausgehen, dass die Beiträge in den kommenden vier oder sogar mehr Jahren stabil bleiben. Stabilität bei den Sozialversicherungsbeiträgen bedeutet Sicherheit für die Kalkulation unserer Betriebe und bedeutet auch Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist nicht inhaltlicher Gegenstand dieses Beitrags- satzgesetzes, sollte aber weiter diskutiert werden, wie wir auch mit Veränderungen bei den Interventions- schwellen der Nachhaltigkeitsrücklage zu einer Versteti- gung und Stabilisierung des Beitragssatzes beitragen können. Insbesondere ist eine Untergrenze für die Nach- haltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben der Renten- versicherung sehr knapp genäht. Diese rührt aus der be- reits angesprochenen Zeit, als die Rentenversicherung aus dem letzten Loch pfiff. Für dieses Projekt brauchen wir allerdings kein Hauruckverfahren, denn aufgrund unserer erfolgrei- chen Politik – in Verbindung mit den Auswirkungen des vorliegenden Gesetzes – werden wir in den kom- menden Jahren nicht einmal in die Nähe dieser Marge gelangen. 1362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) Ich freue mich, dass sich nach anfänglichem Zögern alle Fraktionen des Deutschen Bundestages für einen stabilen Beitragssatz von 18,5 Prozent in der gesetzli- chen Rentenversicherung aussprechen. Auch die Grü- nen, die in der ersten Lesung anders argumentierten, sprechen sich jetzt in einem Entschließungsantrag für den Beitragssatz von 18,5 Prozent aus. Sichere und stabile Rentenfinanzen – das ist unser Ziel. Das Beitragsgesetz, das wir heute verabschieden, dient diesem Ziel. Verlässlichkeit – das ist das Marken- zeichen einer guten Politik. Markus Paschke (SPD): Jeder, der sich schon mal intensiver mit unserer Rente beschäftigt hat, stellt zwei Dinge fest: Erstens. Mittel- bis langfristig wird der Bei- tragssatz steigen. Allein die demografische Entwicklung und die Gebundenheit an das Erwerbseinkommen lassen keinen anderen Schluss zu. Zweitens. Wir haben in unse- rem heutigen System einige Gerechtigkeitslücken, die es zu schließen gilt. Um den zweiten Punkt kümmern wir uns mit dem Rentenpaket, das demnächst auch hier bera- ten wird. Heute geht es um die Beiträge. Die bisherigen Reden zeigen: Hier im Haus herrscht in den wesentlichen Punk- ten Einigkeit, denn wir sind uns einig bei dem Ziel, den Beitragssatz der Rentenversicherung zu stabilisieren und Planungssicherheit zu schaffen. Laut einer Forsa-Um- frage, die der DGB in Auftrag gegeben hat, wird dies von 84 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigte auch die Expertenan- hörung am Montag zu dem Gesetzentwurf. Unser Vorha- ben fand große Zustimmung bei fast allen Experten. Einigkeit im Parlament, Zustimmung in der Bevölke- rung und Zustimmung der Experten – wir machen da of- fensichtlich wirklich etwas richtig. Zudem liegen wir mit dem aktuellen Beitragssatz immer noch unter dem, was 2011 von vielen erwartet wurde. Um es klar zu sagen: Eine Beitragssenkung wäre nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Die Ex- pertenanhörung hat dies deutlich gemacht. Bei einer Bei- tragssenkung hätte ein durchschnittlich verdienender Ar- beitnehmer knappe 9 Euro mehr in der Tasche gehabt. Doch um welchen Preis? Wie sähe die Alternative aus? Das Institut für Makroökonomie und Konsumfor- schung hat in der Anhörung zutreffend formuliert: Jetzt eine Senkung, später eine deutliche Erhöhung – das macht man normalerweise nicht. Planbarkeit und Ver- lässlichkeit sind nach Aussage der Experten wesentlich wichtiger als die kurzfristige Senkung um ein paar Euro. Wir schaffen jetzt Planungssicherheit für Beschäftigte und Unternehmen. Und es ist richtig, dass wir die Beibe- haltung des Beitragssatzes per Gesetz regeln und nicht per Verordnung. Damit verschaffen wir dem Vorhaben eine größere Offenheit und Legitimation. Mir ist es wichtig, dass wir transparent handeln und die Menschen in unserem Land mitnehmen; denn für sie tun wir das hier alles. Nebenbei gesagt: Ich finde es gut, dass sich auch die Linken unserem Gesetzentwurf im Ausschuss angeschlossen haben. Eine Kontrolle der Re- gierung und eigene Anregungen sind wichtig; aber sinn- volle Maßnahmen kann man auch aus der Opposition he- raus unterstützen. In den Gemeinden funktioniert das gut. Warum soll das nicht auch im Bundestag klappen? Ich fasse also zusammen: Alle Fraktionen halten das wesentliche Ziel des Gesetzes für richtig. Umfragen in der Bevölkerung belegen die Akzeptanz, und wir haben die breite Zustimmung der Experten. Besser kann parla- mentarische Arbeit doch gar nicht laufen. Dr. Martin Rosemann (SPD): Die SPD-Bundestags- fraktion hat bereits die in der vergangenen Legislatur- periode vorgenommenen Beitragssenkungen abgelehnt. Folgerichtig sorgen wir jetzt in der Regierungsverant- wortung der Großen Koalition mit dem Beschluss des vorliegenden Gesetzentwurfs für eine Stabilisierung des Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 18,9 Prozent im Jahr 2014. Die Gründe hierfür waren und sind dieselben: Zu- nächst wäre es unverantwortlich, den Beitragssatz heute auf 18,3 Prozent zu senken, um ihn dann zu einem späte- ren Zeitpunkt umso deutlicher zu erhöhen. Dies wäre falsch für die mittelfristige Planungssicherheit der Un- ternehmen wie der Beschäftigten und damit auch kon- junkturpolitisch ein falsches Signal. Die SPD-Bundestagsfraktion verbindet mit der Stabi- lisierung des Beitragssatzes auch Leistungsverbesserun- gen in der gesetzlichen Rentenversicherung, die im ers- ten Rentenpaket von Bundesministerin Andrea Nahles enthalten sind: erstens die Anerkennung von Zeiten kurzfristiger Arbeitslosigkeit bei der Wartezeit für den vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzugang, zweitens das Vorziehen des vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzu- gangs für langjährig Versicherte, drittens die demogra- fiefeste Ausgestaltung des Rehabudgets – immer nach dem Motto „Reha vor Rente“ und viertens die von uns allen hier im Hause ja gemeinsam geforderten Verbesse- rungen bei der Erwerbsminderungsrente. Damit ist auch unsere Haltung zum Entschließungs- antrag von Bündnis 90/Die Grünen klar: Sie lehnen we- sentliche Teile dieser Leistungsverbesserungen ab. Des- halb lehnen wir ihren Entschließungsantrag ab. Am Montag dieser Woche hat der Ausschuss für Ar- beit und Soziales eine öffentliche Anhörung zum Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 durchgeführt. Ich bin ja neu in diesem Parlament, aber ich habe mir von meinen Kolleginnen und Kollegen sagen lassen, dass noch selten ein Gesetzentwurf von der Breite der Sach- verständigen so eine positive Beurteilung erfahren hat. Das gilt für die Sache selbst, die Beitragssatzstabilität. Es gilt aber auch für den gewählten Weg eines Gesetz- gebungsverfahrens anstatt der Verordnungen. Ebenso hat die Anhörung erbracht, dass keiner der Sachverständigen eine Abschaffung der Obergrenze für die Schwankungsreserve empfohlen hat. Hier sehen wir zumindest weiteren Diskussionsbedarf und werden da- her den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ablehnen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1363 (A) (C) (D)(B) Wir haben es in einer Großen Koalition natürlich auch mit großen Kompromissen zu tun. Das gilt unzweifelhaft auch für die Rentenpolitik. Als SPD-Bundestagsfraktion waren und sind wir der Auffassung, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten kon- sequent und vollständig durch Steuermittel finanziert werden müssen. Mit Blick auf den dabei gefundenen Kompromiss mit unserem Koalitionspartner ist unser Bauchweh daher schon recht groß – und es ist durch die Anhörung am Montag mit Sicherheit nicht kleiner ge- worden. Lassen Sie mich aber eines deutlich sagen: Der Vor- wurf, die Große Koalition würde die zusätzliche Berück- sichtigung von Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder ausschließlich über Beiträge finanzieren, ist falsch. Erstens befinden sich in der Rücklage der Ren- tenversicherung auch Steuermittel. Zweitens verhindert die Beitragssatzstabilisierung auch die Reduzierung der Bundeszuschüsse. Allein für das Jahr 2014 geht es dabei um rund 1,2 Milliarden Euro. Und zum Dritten sieht das Rentenpaket von Andrea Nahles ab dem Jahr 2019 vor, dass sich der Bund mit zusätzlichen Mitteln beteiligt, die bis zum Jahr 2022 auf rund 2 Milliarden Euro jährlich anwachsen. Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich zusammen- fassend festhalten: Insgesamt haben wir mit dem heute hier debattierten Gesetzentwurf zur Beitragssatzstabilität und dem ersten von der Bundesregierung vorgelegten Rentenpaket ein gutes Konzept auf den Weg gebracht: Wir sorgen für Beitragssatzstabilität und damit für Pla- nungssicherheit. Wir sorgen für notwendige und von der Bevölkerung gewollte Leistungsverbesserungen. Wir bauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab. Und wir sor- gen damit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzliche Rente. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Auch die Linke ist ausnahmsweise mal mit der Bundesregierung einer Meinung: Der Beitrag zur Rentenversicherung darf nicht auf 18,3 Prozent gesenkt werden. Ihn bei 18,9 Pro- zent zu belassen, ist vernünftig und zumutbar! Es ist zu- mutbar, weil wir derzeit den niedrigsten Rentenversiche- rungsbeitrag seit 18 Jahren haben! Und es ist vernünftig, weil wir im Kampf gegen die Altersarmut jeden Cent in der Rentenkasse brauchen! Denn nicht nur der Blick auf den Lohnzettel zählt, sondern auch der Blick auf die jährliche Renteninforma- tion. Und der ist für viele leider kein Augenschmaus! Der Grund: Union, SPD und Grüne haben in den vergan- genen 13 Jahren die Renten real drastisch gekürzt: Der „Riesterfaktor“ und der „Nachhaltigkeitsfaktor“ senken seit der Jahrtausendwende das Rentenniveau deutlich. Damit wurde die Rentenanpassung von der Lohnent- wicklung abgekoppelt. Das heißt auf Deutsch: Zwischen 2001 und 2030 ver- lieren die Renten ein Fünftel ihres Wertes. Eine Rente von ehedem 1 000 Euro wird dann nur noch einen Wert von 800 Euro haben, in heutigen Zahlen natürlich. Das bedeutet, dass viele Junge von heute morgen die armen Alten sein werden, und das wird die Linke niemals akzeptieren! Die Bundesregierung behauptet, bei stei- genden Löhnen sei das sinkende Rentenniveau kein Problem. – Die steigen aber nicht, die sinken sogar leicht! Gerade heute hat das Statistische Bundesamt die aktuellen Zahlen vorgelegt: Die Reallöhne sind vergan- genes Jahr um 0,2 Prozent gesunken! Das heißt: Die Preise fressen die Löhne auf, und der Riesterfaktor frisst die Renten auf! Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition: Führen Sie endlich den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein. Sofort! Denn wir haben keine Zeit mehr, auf ihn bis 2015 oder noch später zu warten! Und wir müssen dringend zurück zum Rentenniveau des Jahres 2001. Das waren 53 Prozent Sicherungs- niveau vor Steuern. Nur so können wir den Lebens- standard im Alter sichern. Mit Riester wird das nix. Ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau kommt den Al- ten und den Jungen zugute. Um das zu finanzieren, ist ein stabiler Beitragssatz ein kleiner erster und richtiger Schritt. Aber: Die Bundesregierung ist eigentlich verpflichtet, den Beitrag zu senken, wenn sich die Rentenkasse auf mehr als 1,5 Monatsausgaben füllt. Das ist unsinnig; denn wir brauchen jeden Cent in der Rentenkasse! Deshalb hat die Linke schon im November 2013 – also weit vor der Bundesregierung – ein Gesetz einge- bracht, das weitergehend ist. Wir wollen die Höchst- grenze bei der Nachhaltigkeitsrücklage streichen! Selbst Herr Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat am Montag in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ge- sagt: „Es ist widersprüchlich, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf der Linken nicht unterstützt, dass die Nachhaltigkeitsrücklage mehr als 1,5 Monatsausgaben betragen muss, aber die Beitragssatzfestlegung auf 18,9 Prozent macht.“ Recht hat er. Und es gibt noch einen Grund, unserem Gesetzent- wurf zuzustimmen: Die SPD hatte schon im September 2012 in ihrem Gesetzentwurf für ein sogenanntes „De- mografiefondsgesetz“ die Streichung der Höchstnach- haltigkeitsrücklage gefordert. Exakt die Forderung aus unserem Antrag. Schon vergessen? Schade! Ich komme zum zweiten Aber: Die zusätzlichen Beiträge werden jetzt sofort und völlig systemwidrig von Ihnen für die Ausweitung der sogenannten Mütterrente verpulvert. Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Wir Linken sind für die bessere Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Aber Kindererziehung ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das weiß jedes Kind. Deshalb muss die Mütterrente komplett aus Steuer- mitteln finanziert werden. Das haben auch alle Sachver- ständigen und alle Verbände in der Ausschussanhörung am vergangenen Montag einhellig betont! Und Linke 1364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) und Grüne sind sich hier ebenfalls völlig einig. Die Me- dien auch. Dafür müssen alle zahlen und nicht nur die Beitrags- zahlenden, weil auch die Mütter von Beamtinnen und Beamten, Rechtsanwälten, Politikern und Ärztinnen und Ärzten die Mütterrente erhalten! Und die Große Koalition? Will die „Mütterrente“ sys- temwidrig aus Beiträgen finanzieren. Die murmelt von rechts weiter: Keine Steuererhöhung! Oder sitzt links bedröppelt da. Zulasten der nächsten Generationen! Denn: Würden wir die „Mütterrente“ aus Steuern finanzieren, hätten wir sechseinhalb Milliarden Euro jährlich im Kampf gegen die laut heranrauschende Welle neuer Altersarmut. Wir könnten damit locker die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel streichen, damit das Rentenniveau stabilisieren und auch noch die Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten für dauerhaft Kranke abschaffen. Dafür lohnte es sich, die Beiträge nicht ab- zusenken! Würden wir dann noch die sinnlose Riesterförderung abschaffen, hätten wir weitere 3,5 bis 4,5 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung und könnten endlich Schluss machen mit dem Rentenkürzungsprogramm Rente erst ab 67! Wichtige Schritte, die alle in Ihrem Rentenpaket feh- len, Frau Ministerin! Wichtige Schritte, die auch bei der jungen Generation wirken würden, und wichtige Schritte, die Sozialverbände, Gewerkschaften und die Linke deshalb weiter fordern werden! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung verzichtet in ihrem Gesetzentwurf auf die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssatzsenkung, um einen großen Teil des von ihr versprochenen Rentenpakets zu finanzieren. Dazu gehören die höheren Rentenanwart- schaften für Kindererziehungszeiten, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ab 63 und kleinere Verbes- serungen bei der Erwerbsminderungsrente und beim Reha-Budget. Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Absen- kung des Rentenbeitragssatzes. Zum einen ist – bedingt durch die demografischen Veränderungen – auch lang- fristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für diesen absehbaren Beitragsanstieg sollte schon heute Vorsorge getroffen werden, um die Auswirkungen für die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abzufedern. Deswegen sollte eine höhere Nachhaltigkeitsrücklage gebildet werden. Da es der Bundesregierung aber eindeutig um die Finanzierung ihrer Wahlversprechen geht, wird das hö- here Beitragsaufkommen und gleichzeitig das Geld der Rücklage ausgegeben, das dann später an anderer Stelle fehlt. Wir lehnen diese falsche Prioritätensetzung zulas- ten der finanziellen Stabilität der Rentenversicherung ab und werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung da- her ablehnen. Die öffentliche Anhörung zum Beitragssatzgesetz 2014 am 17. Februar 2014 im Arbeits- und Sozialaus- schuss offenbarte, dass zehn von zwölf Sachverständi- gen die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von 1,5 Monatsausgaben für zu niedrig einschätzen. Für eine gänzliche Abschaffung der Obergrenze gab es indes keine Mehrheit. Nach unserer Auffassung sollte die Rücklage dazu verwendet werden, den Rentenbeitrags- satz auch über 2020 hinaus möglichst lange unter 20 Prozent bei einem gleichzeitig angemessenen Ren- tenniveau zu halten. Zugleich steht die Rente auch auf der Leistungsseite vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinan- zierten Leistungen sind vor allem Verbesserungen bei Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig. Die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Erwerbsminderungsrente gehen in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten sollten abgeschafft wer- den, wenn der Zugang allein aufgrund medizinischer Diagnose und Prüfung erfolgt. An den Abschlägen auf Erwerbsminderungsrenten hält die Bundesregierung aber ausdrücklich fest. Aktuell stehen zudem nicht aus- reichend Mittel zur Rehabilitation zur Verfügung. Wird das Reha-Budget nicht umgehend bedarfsgerecht ausge- staltet, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerin- nen und -rentner absehbar steigen. Auch der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke tritt für eine Beibehaltung des Beitragssatzes ein. In der Be- gründung heißt es, dass ansonsten „dringend notwendige systemgerecht zu finanzierende Leistungsverbesserun- gen … wie Verbesserungen bei den Erwerbsminderungs- renten und des Leistungsniveaus … auf längere Zeit er- schwert oder gar verhindert würden“. Außerdem soll die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage gänzlich aufge- hoben werden. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Linken ab, da wir – ähnlich wie die meisten Sachverständigen – eine gänzli- che Abschaffung der Obergrenze der Nachhaltigkeitsrück- lage für nicht sinnvoll erachten. Ohne eine Obergrenze würde es an einer Systematik für eine Beitragssatzfest- setzung fehlen. Zudem geht es den Linken einseitig um Verbesserungen des Leistungsniveaus. Wir hingegen möchten die finanziellen Spielräume gleichermaßen für einen gedämpften Beitragssatzanstieg sowie für ein an- gemessenes Rentenniveau verwenden. Hierzu stellen wir einen eigenen Entschließungsantrag. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Gute Afrika-Poli- tik, ob nun durch die Bundesregierung oder die Europäi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1365 (A) (C) (D)(B) sche Union, muss die Menschen in den Mittelpunkt stel- len. Der 4. EU-Afrika-Gipfel im April in Brüssel greift dieses Prinzip schon im Titel auf: „Investieren in Men- schen, Wohlstand und Frieden“. Nun machen gute Titel noch keine gute Politik. Der vorliegende Antrag ist ein Paradebeispiel dafür. Ihren Titel „EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Ge- rechtigkeit und Frieden ausrichten“ können die meisten hier mittragen – bei allem was darüber hinausgeht, ge- rade auch was Gerechtigkeit betrifft, verweise ich lieber auf die Eckpunkte, die Bundesminister Gerd Müller für sein Ministerium abgesteckt hat: Gerecht ist, die Investi- tionen in Bildungsprojekte im Rahmen der Entwick- lungszusammenarbeit zu steigern! Gerecht ist, auf diese Weise mehr Chancengleichheit zu schaffen! Gerecht ist demnach die Erhöhung der Mittel für Grundbildung, den Aufbau beruflicher Ausbildungszentren und tertiäre Bil- dung auf mindestens 400 Millionen Euro, die Minister Müller angekündigt hat! Bei seinem Antrittsbesuch bei der Afrikanischen Union Anfang des Monats sind Leuchtturmprojekte im Bereich der beruflichen Bildung vereinbart worden. Das schafft Gerechtigkeit. Das ist genau der Ansatz, der am Menschen orien- tierte und in zukünftigen Wohlstand investierende Poli- tik ausmacht! Das schlägt sich auch in den Themen des 4. EU- Afrika-Gipfels nieder, bei dem Bildung und Ausbildung als zentrale Themen genannt werden. Mit den weiteren geplanten Themenschwerpunkten des Gipfels wie der Jugend- und Frauenförderung, der Stimulierung von Wachstum, der Schaffung neuer Ar- beitsplätze und der Friedensicherung sind alle Elemente genannt, die die Basis für mehr Wohlstand legen können. Nur wenn durch positive Entwicklungen in diesen Bereichen bessere Lebensperspektiven vor Ort geschaf- fen werden, wird auch ein anderes dringendes Thema in der EU-Afrika-Politik einer Lösung näher kommen: So- lange fehlende Sicherheit und mangelnder Wohlstand Flucht- und Migrationsanreize setzen, werden verzwei- felte Menschen versuchen, den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer anzutreten. Solange positive Per- spektiven noch fehlen, müssen nachhaltige Anstrengun- gen durch die gemeinsame EU-Afrika-Politik zur Ver- besserung der Situation unternommen werden. Und so lange müssen sehr wohl auch die bestehenden Schutz- systeme einbezogen werden. Frontex und EUROSUR gehören dabei nicht, wie von den Linken verlangt, etwa abgeschafft, sondern gestärkt. Auch im vorliegenden Antrag wird deren wichtiger und für die Beamtinnen und Beamten alles andere als einfa- che Einsatz in ein falsches, schlechtes Licht gerückt. Dabei hat Frontex allein im Zeitraum von Oktober 2013 bis Januar 2014 16 700 Personen aus Seenot geret- tet. Der Einsatz ist sinnvoll und notwendig! Ich wünsche mir, dass sich durch den kommenden Gipfel auch das Verhältnis der Partner EU und Afrika weiter angleicht, dass Abhängigkeiten weiter abgebaut werden und dass auch die angestrebten Projekte zuneh- mend von einer Partnerschaft auf Augenhöhe geprägt sind. Ausdruck einer neuen Partnerschaft sind unter an- derem die immer weiter fortschreitenden Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, zu deren baldigem Abschluss der Gipfel hoffentlich beitragen wird. Mehrere wichtige Zielmarken der Millenniumsent- wicklungsziele sind erreicht oder können, realistisch be- urteilt, in der Frist bis 2015 erreicht werden. Einige Ziele werden aller Voraussicht nach in manchen Regionen nicht erreicht werden. Mit einer Post-2015-Agenda müs- sen wir die Millenniumsziele deshalb fortschreiben. Dazu soll der Gipfel beitragen. Auch hier wird die Arbeit verstärkt von Partnerschaft geprägt sein, von Zusammenarbeit und Kooperation und nicht, wie Sie in Ihrem Antrag unterstellen, von Bevor- mundung. Überall dort, wo wir dazu beitragen können, dass Menschen sich selbst helfen, sollten wir diesen Ansatz verfolgen. Eine gemeinsame EU-Afrika-Strategie und ein Gipfel unter dem Motto „Investieren in Menschen, in Wohl- stand und in Frieden“ ist deshalb genau richtig. Charles M. Huber (CDU/CSU): Afrika hat im Mo- ment circa 1 Milliarde Einwohner, Tendenz steigend. 2050 sollen es bereits doppelt so viele sein, im Jahr 2100 dann um die 3,5 Milliarden. Afrika steht zweifellos vor einer großen Herausforde- rung, und wenn wir und die Afrikaner nichts tun, nicht das Richtige tun, wird ein Großteil der Bewohner dieses Kontinents nicht unter menschenwürdigen Umständen leben können, gesetzt den Fall, dass sie überhaupt über- leben. Trotzdem gibt es, wie wir wissen, auch andere Per- spektiven auf Afrika. Es gibt Staaten mit einem Wachs- tum von über 5 Prozent, an der Spitze Angola mit 11 Prozent. Aber es gibt natürlich auch Staaten wie Somalia und die Zentralafrikanische Republik, Staaten, in denen es kaum mehr Strukturen gibt, nie gab, wo Leid und Elend den Alltag der dort lebenden Menschen bestimmen. Es hilft der Entwicklung dieser Länder natürlich nicht, wenn man in diesem Hause einen Dialog führt, der sich darauf beschränkt, was man in Afrika alles nicht tun darf. Da, glaube ich, wird jeder einsehen, dass sich die Afrikaner davon nichts kaufen können und dies auch keinen Menschen inspiriert, in Afrika zu investieren. Das dürfen jetzt einige von der Linkspartei gerne als Vorwurf verstehen; so ist es auch gemeint. Wer jeden Ansatz in Richtung einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten, die diese wohlgemerkt dringend benötigen und auch explizit wün- schen, in eine Grundsatzdiskussion ausarten lässt, der dokumentiert hier nur eines: dass er nämlich kein eige- 1366 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) nes Konzept hat und hier lediglich versucht, seinem des- truktiven Naturell eine objektive Legitimation zu verlei- hen. Als etwas anderes kann ich das nicht verstehen. Karl Marx hat es hier nicht gerichtet, und er wird es auch in Afrika nicht richten, schon gleich dann nicht, wenn die ehemalige Sowjetunion als potenzieller Han- delspartner praktisch ausfällt. Afrika ist nicht Europa, und Europa funktioniert nicht wie Afrika. Es soll Ihnen hier gesagt sein, dass ein paar Delegationsreisen nach Afrika nicht ausreichen, um zu verstehen, wie dieser Kontinent tickt, sprich: wie sich diese Thesenpapiere dann in der afrikanischen Realität niederschlagen. Ich als Deutscher mit afrikanischen Wurzeln, bei dem der eine Teil aus einer afrikanischen Politikerfamilie stammt, habe 10 Jahre gebraucht, um Afrika zu verste- hen. Aber schön, dass es Menschen gibt, die mit schier geballtem interkulturellen Einfühlungsvermögen dies in viel kürzerer Zeit tätigen können. Dieses Thema ist zu ernst, um es am Pranger der par- teipolitischen Profilierungssucht zu opfern, und die Zeit, in der man das Rad noch herumdrehen kann, ist knapp. Hier müssen Verantwortung und Empathie dem partei- politischen Kalkül vorgehen. Wer sagt, dass Afrika keinen Handel will, sagt etwas anderes als einem die Afrikaner selbst sagen, sowohl in Afrika als auch hier. Mich würde interessieren, was passieren würde, wenn jemand solche Thesen einmal in einem afrikanischen Slumgebiet erzählen würde. Da hätte ich gerne vorher etwas Zeit, mich von dieser Gruppe zu entfernen. Aus Handel entsteht Wertschöpfung, da aus Handel finanzielle Ressourcen entstehen, womit sich eben später die Möglichkeit ergeben kann, selbst als Produzent von Produkten verschiedenster Art aufzutreten. Das Problem des afrikanischen Binnenhandels ist nicht die Ausbeutung durch die Europäer, sondern das einer fehlenden Verkehrsinfrastruktur. Für manche Pro- dukte, welche Afrikaner gerne verzehren oder gebrau- chen, gibt es in Afrika kein Know-how in der Herstel- lung. Gebraucht werden sie trotzdem. Wo werden da nun lokale Produzenten in die Ecke gedrängt? Ein Bauer im ländlichen Bereich hat weder Zugang zu EU-Hühnchen noch kann er selbst genug pro- duzieren, um Hühnchen im großen Stil zu verkaufen. Ich muss Ihnen einmal sagen, Deutschland genießt hohes Ansehen in Afrika. Das ist Tatsache. Man hat lange auf uns gewartet, aber wir haben Afrika erst dann wahrgenommen, als die Schwellenländer sich schon aus- reichend für diesen Kontinent interessiert haben, allen voran China. Wir sollten die Chance jetzt noch ergreifen, neben der klassischen und multilateralen Entwicklungszusammen- arbeit, welche gerade in Krisenregionen extrem wichtig ist, durch Wirtschaftsinitiativen zu optimieren und kei- nesfalls zulassen, dass man durch Mangel an Weitsicht und, was die praktische Seite des Ganzen anbelangt, durch ein oberflächliches Wissen in der Sache einen ganzen Kontinent seiner Zukunftschancen beraubt. Es muss einfach aufhören, dass jeder, der im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit das Wort Wirtschaft in den Mund nimmt, Gefahr läuft, als Aus- beuter tituliert zu werden, und jede Aktion, welche der Stabilisierung fragiler Staaten dient und dies, wohlge- merkt, auf deren ausdrücklichen Wunsch sowie in Über- einstimmung mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Na- tionen, mit einem neokolonialem Einmarsch verglichen wird. In manchen Ländern mit Bürgerkriegsgeschichte be- trägt die Vergewaltigungsrate bei Frauen über 70 Prozent. Mir fehlen da ehrlich gesagt die Worte. Ruanda: Der Gedächtnisschwund in Zeiten zahlrei- cher und vielschichtig kommunizierter Medienereignisse scheint hier wohl seinen endgültigen Höhepunkt erreicht zu haben. Den 11. September vergisst auch keiner. Oder war Ruanda auch nur eine Verschwörungstheorie? Deutschland ist der Wunschpartner des afrikanischen Kontinents, sowohl im Zuge einer entwicklungspoliti- schen Kooperation im klassischen Sinne als auch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir gelten in beiden Bereichen als präzise und verlässlich. Den Mitarbeitern staatlicher und nichtstaatlicher Or- ganisationen möchte ich bei dieser Gelegenheit auch meinen Dank dafür aussprechen, dass sie sich auf dem Kontinent meines Vaters, teils sogar unter Lebensgefahr, eingesetzt haben und immer noch einsetzen. Wir müssen Afrika helfen, politische und ökonomi- sche Unabhängigkeit zu erlangen. Dazu gehören politi- sche Stabilität, Handel und Wertschöpfung. Keine Partei in Europa hat das Recht dazu, im Stile kolonialer Bevormundung den Leuten zu verbieten, sich selbst zu entwickeln – auch nicht, wenn sie von links kommt. Ob diverse Schwellenländer, in deren Hände man Afrika durch eine rein negativ formulierte Analyse deut- scher und europäischer Bemühungen treibt, mehr sozio- ökonomische oder gar ökologische Standards bei ihrer Entwicklungspolitik in afrikanischen Ländern ansetzen als wir, sei schon einmal dahingestellt. Eine gemeinsame Strategie wäre hier der Sache dien- lich. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Im Jahr 2007 haben sich afrikanische und europäische Regierungschefs in Lissa- bon auf Ziele und Handlungsfelder der Zusammenarbeit geeinigt. Der anstehende EU-Afrika-Gipfel in Brüssel sollte jetzt zum Anlass genommen werden, um über Er- reichtes und vor allem nicht Erreichtes zu sprechen und eine verstärkte Zusammenarbeit in den Fokus zu rücken. Zurzeit erleben wir eine interessante Debatte um die neue Ausrichtung unserer auswärtigen Politik. Afrika steht dabei im besonderen Fokus, die Einbindung in den europäischen Kontext ebenso. Das bedeutet, dass wir mit dem bevorstehenden Gipfel vor einer zentralen Aufgabe Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1367 (A) (C) (D)(B) stehen, nämlich Afrika als einen Kontinent mit vielen Chancen zu begreifen, der zudem ganz in unserer Nähe liegt, sowie eine stärkere Koordinierung der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit voranzutreiben. Afrika ist bereits Schwerpunktregion der Entwicklungs- zusammenarbeit. Ich bin aber überzeugt, dass wir unser Engagement noch weiter ausbauen können und vor al- lem auch sollten. Lassen Sie mich einige Punkte nennen, die für uns Sozialdemokraten wichtig sind: Erstens. Für Afrika ist die Bewältigung der Folgen des Klimawandels von besonderer Bedeutung. Trotz des geringen CO2-Ausstoßes leidet der Kontinent besonders unter der Erderwärmung. Wichtige Stichworte sind auch die Energiearmut und der Erhalt der globalen öffentli- chen Güter. Diese Global Commons müssen gemeinsam fortentwickelt und stabilisiert werden; denn Klimaschutz kennt keine Grenzen. Entscheidend dabei ist, den Zugang zu Energie in den afrikanischen Ländern zu verbessern. Die EU hat ver- sprochen, einen Beitrag zu leisten, dass 100 Millionen Afrikaner Zugang zu Energie erhalten, und zwar bis zum Jahr 2020. Nach meinem Verständnis sind Versprechen dazu da, auch gehalten zu werden. In puncto nachhaltige und moderne Energieversorgung müssen wir aber auch die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien vo- ranbringen, national wie international. Denn nur so schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass unsere Kli- maschutzziele und die der internationalen Gemeinschaft tatsächlich erreicht werden können. Zweitens. Wir Sozialdemokraten wollen im Bereich Wirtschaft und Handel Institutionen stärken und Trans- parenzinitiativen voranbringen. Rohstoffe dürfen nicht Fluch, sondern müssen Segen für die afrikanischen Län- der werden. Diesem Punkt muss eine noch viel stärkere Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit die Ressour- cen den Bevölkerungen Afrikas auch zugutekommen. Der EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş hat erst vor knapp einem Monat auf der Grünen Woche in Berlin an- gekündigt, die fragwürdigen Agrarsubventionen für Nahrungsmittelexporte nach Afrika abzuschaffen. Diese Subventionen erlauben es bislang, in Europa produzierte Überschüsse zu Dumpingpreisen auf die Märkte der Ent- wicklungsländer zu werfen. Auch unser Kollege im Europaparlament, Norbert Neuser, hat dieses schädliche Instrument schon seit langem kritisiert. Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die Agrarsubven- tionen zu Verzerrungen vor allem auf dem afrikanischen Markt kommt. Lokale Erzeuger können mit den subven- tionierten Produkten nicht mithalten. So werden regio- nale wirtschaftliche Anstrengungen von Kleinbauern zu- nichte gemacht. Klar ist, dass nur eine kohärente EU-Politik zu Ver- besserungen führt. Wir brauchen genau solche fairen EU-Entscheidungen für wirtschaftliche Entwicklung, die letztlich nämlich beiden Partnern, Afrikanern wie EU- Bürgern, zugutekommt. Bei der Ressourcennutzung geht es uns um Transpa- renz und Verteilungsgerechtigkeit. Hier ist zum Beispiel die Transparenzrichtlinie der EU ein erster wichtiger Schritt. Denn nur, wenn zugängliche und verständliche Informationen über Zahlungen von zum Beispiel Berg- bau- oder Erdölfirmen an staatliche Stellen vorliegen, können die Bürger der Länder, in denen abgebaut wird, die Einnahmen ihres Staates kontrollieren und die Fra- gen der Verteilung, also der sinnvollen Einnahmenver- wendung, in ihrer Gesellschaft diskutieren. Für staatliche Institutionen – wie zum Beispiel die Steuerbehörden – ist das ebenfalls von immenser Bedeutung. Auch bei den Verhandlungen der EU mit den Staaten in Afrika, Asien und im pazifischen Raum über den Ab- schluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, den sogenannten EPAs, erheben wir Sozialdemokraten selbstverständlich die Forderung, dass diese Abkommen entwicklungsfördernd sein müssen. Drittens. Wir wollen die Stabilität in Afrika erhöhen, denn in fragilen Staaten leidet die Bevölkerung beson- ders – unter großer Armut, Gewalt und politischer Will- kür. Betroffen hiervon sind Frauen, Kinder und ethni- sche oder religiöse Minderheiten. Fragile Staaten können die Sicherheit der Bevölkerung und deren Zugang zu so- zialen Grunddiensten nicht gewährleisten. Sie weisen nicht nur ein höheres Maß an Armut und sozialer Un- gleichheit auf, sondern stellen auch ein regionales und internationales Sicherheitsrisiko dar. Die Staatengemeinschaft darf diese Länder – trotz der schlechten Regierungsführung – nicht von jeglicher Zu- sammenarbeit ausschließen, sondern muss behutsam auf eine Verbesserung der Lage hinwirken. Dabei spielt die Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle. Je nach Land beinhaltet diese Zusammenarbeit, Not leidende Bevölke- rungsgruppen zu schützen, Selbsthilfe zu fördern, Re- formkräfte zu stärken und bei Regierungen Verhaltens- änderungen zu bewirken. In unserem Koalitionsvertrag haben wir festgeschrie- ben, dass die globalen Herausforderungen nur in interna- tionaler Zusammenarbeit und in einem koordinierten Einsatz aller Instrumente der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu bewältigen sind. Diese ressortübergreifende Kooperation wollen wir ausdrücklich auch in der Friedenspolitik stärken, etwa bei der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung. Daher wollen wir auch die deutschen Institutionen für Friedensförderung und Friedensforschung – wie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, das Forum Ziviler Friedensdienst, forumZFD, die Bundes- akademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stif- tung Friedensforschung – künftig noch stärker in die Politikberatung einbeziehen. Im Bereich der zivilen Krisenprävention ist es auch Auftrag und Mahnung, die UN-Resolution 1325 mit Le- ben zu füllen. In ihr wurden erstmals Konfliktparteien dazu aufgerufen, die Rolle der Frauen zu stärken und ihre herausragende Bedeutung bei Konfliktschlichtung und Wiederaufbau stärker zu nutzen, sie bei Friedensver- 1368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) handlungen besser zu berücksichtigen und einzubezie- hen. Viertens. Wir wollen die Interessen und Anliegen Afrikas stärker in den Fokus der internationalen Bera- tungen und Gipfel stellen. Das geht vom EU-Afrika- Gipfel in Brüssel im April 2014 über die deutsche G-8- Präsidentschaft im nächsten Jahr bis hin zum MDG/ SDG-Prozess. Dabei sollte auch die Zivilgesellschaft besser einbezogen werden. Zum Schluss meiner Rede auch noch einige Anmerkungen zum Antrag der Linken: Man könnte Ihren Anträgen mehr abgewinnen, wenn Sie mal verbal abrüsten würden. Ich zitiere als Beispiel nur folgenden Satz Ihres Antrags: „Die Menschen Afrikas sind ein weiteres Mal Opfer der kapitalistischen Indus- trialisierung des Nordens“. Süd-Süd-Kooperationen sind – nebenbei bemerkt – auch nicht „antikapitalistisch“; es kommt bei allem wirtschaftlichen Handeln darauf an, dass das, was in einem Land erarbeitet wird, auch der Bevölkerung zugutekommt. Gerade deshalb sind ja sol- che Initiativen wie die EU-Transparenzrichtlinie von großer Bedeutung. Sie zeichnen mit solchen Sätzen auch ein sehr eindimensionales Bild von Afrika, von dem ich nicht glaube, dass es den Entwicklungen auf dem afrika- nischen Kontinent gerecht wird. Niema Movassat (DIE LINKE): Im kommenden April findet der EU-Afrika-Gipfel statt. Wir sagen mit unserem Antrag heute: Die deutsche und europäische Afrika-Politik muss sich grundlegend verändern. Bis jetzt ist der Fokus oft darauf gerichtet, Zugang zu den Rohstoffen und Märkten in afrikanischen Ländern zu er- halten, statt wirksam gegen Armut zu kämpfen. Zudem heizen deutsche und europäische Rüstungsexporte Kon- flikte an. Wir brauchen stattdessen eine Afrika-Politik, die in ihr Zentrum Solidarität, Partnerschaft und Gewaltfreiheit stellt. Dazu muss zuallererst Schluss sein mit der wirt- schaftlichen Ausbeutung afrikanischer Länder. Leider bedeutete das Ende des Kolonialismus in Afrika nicht das Ende der Ausbeutung. Jahrzehntelang üben die Industrieländer schon Druck auf afrikanische Länder aus, ihre Märkte zu öffnen, ihre staatlichen Be- triebe zu privatisieren und ihre Schutzregelung für die eigene Wirtschaft abzubauen. Die Interessen und Bedürfnisse der Afrikanerinnen und Afrikaner stehen dabei nicht im Mittelpunkt. Das al- les hat Afrika nicht den versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Ganz im Gegenteil: Durch diese Politiken werden soziale Sicherungssysteme zerstört. Arbeits- und Umweltstandards werden verhindert. Es finden Mittelkürzungen bei Bildung und Gesundheit statt. Staatliche Strukturen werden geschwächt nach dem Motto: „Privat vor Staat“. Es ist diese Politik der Industrieländer, die einen enor- men Anteil an der Armut in Afrika hat, eine Politik, die zwar von Demokratie redet, sich aber, wenn es um ihre Interessen geht, auch gerne mal mit korrupten Eliten ver- bündet. Vor allem stehen immer wieder die Profite der europäischen Konzerne. Da muss endlich ein Kurswechsel her. Der bleibt aber aus. Das neuste Zaubermittel sind Wirtschaftspartner- schaftsabkommen. Klingt ganz toll, aber bedeutet die knallharte Fortsetzung der bisherigen Politik. Ein Beispiel: Ghana hat dem Druck der Industriestaa- ten nachgegeben und auf Freihandel gesetzt. Das Ergeb- nis: Das Land wurde überschwemmt mit Dumping-Ge- flügelimporten. Die eigene Geflügelproduktion konnte der steuersubventionierten Konkurrenz aus Europa nicht standhalten und brach zusammen. Unzählige Menschen wurden arbeitslos und das Land ist heute abhängig von Geflügelimporten. Nigeria zeigt, dass es anders geht. Es hat keinen Frei- handelsvertrag abgeschlossen. Stattdessen hat es hohe Importzölle erhoben und so seine Geflügelproduktion geschützt. Heute wird der heimische Bedarf aus eigener Produktion gedeckt. Das ist der richtige Weg. Stattdessen aber wird die europäische Freihandels- politik immer aggressiver. Sie will auf Teufel komm raus europäischen Unternehmen neue Märkte in Afrika er- schließen. Dazu verbietet die EU beispielsweise im Rah- men dieser Abkommen den Ländern, Zölle zu erheben, um ihre Märkte vor Billigimporten zu schützen. In vielen Ländern Afrikas wächst der Widerstand da- gegen. Und was macht die EU? Sie setzt auf Erpressung. So weigert sich Kamerun, dass Wirtschaftspartner- schaftsabkommen zu unterzeichnen. Die Folge: Die EU droht mit Entzug der Zugangserleichterungen zum euro- päischen Markt. Oft steht zudem die Drohung im Raum, Gelder der Entwicklungszusammenarbeit zu streichen. Das ist ein Unding. Es muss Schluss sein mit solchen Verträgen und Er- pressung. Das A und O einer jeden Entwicklung ist, dass die Menschen sich aus eigener Kraft ernähren können. Hier verlaufen alle Bemühungen im Sande, wenn nicht endlich wirksame Maßnahmen gegen Landraub, Nah- rungsmittelspekulation und Raubfischerei ergriffen wer- den. Deshalb brauchen wir Sanktionen gegen europäische Konzerne, die Menschenrechtsverletzungen in Afrika begehen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln gehört komplett verboten. Raubfischerei muss strafrechtlich verfolgt werden. Und auf die Länder Afrikas darf kein Druck ausgeübt werden, Fischfangquoten an europäi- sche Länder abzutreten. Alle hier sind entsetzt, wenn sie Bilder von Flüchtlin- gen sehen, die beim Versuch, aus Afrika nach Europa zu gelangen, sterben. Aber Empörung reicht nicht. Das Sterben geht doch Tag für Tag weiter. Weiter ertrinken Menschen im Mittelmeer. Das ist ein Skandal. Machen Sie endlich Schluss mit der menschenverach- tenden europäischen Grenzschutzpolitik! Menschen flie- hen niemals freiwillig, sondern aus Not und Elend. Europa als Friedensnobelpreisträger stünde es gut zu Ge- sicht, diesen Menschen zu helfen, statt sie mit allen Mit- teln abzuwehren. Wir erleben seit geraumer Zeit eine zunehmende Mi- litarisierung der europäischen Außenpolitik. Das heißt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1369 (A) (C) (D)(B) auch: mehr deutsche Soldaten ins Ausland. Ich sage ih- nen: Militärische Einsätze lösen keinen Konflikt. Und oft werden sie geführt, weil Rohstoffinteressen im Hin- tergrund stehen und nicht das Wohl der Menschen. Zual- lererst müssen Rüstungsexporte beendet werden, und zwar sofort. Denn auch deutsche Waffen finden sich bei fast jedem Konflikt in Afrika. Das ist beschämend. Unsere Vorschläge sind auch ein Beitrag für die ange- kündigte neue Afrika-Strategie. Wir wollen eine friedli- che und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unter der mehr als fraglichen Überschrift „In Menschen, Wohlstand und Frieden investieren“ will der 4. EU- Afrika-Gipfel in Brüssel die Partnerschaft zwischen den beiden Kontinenten vertiefen. Im Vorfeld des Gipfels hat die EU allerdings schon einmal den afrikanischen Part- nerstaaten gezeigt, was sie darunter versteht. Ich spreche von den Wirtschaftspartnerschaftsabkom- men, den EPAs. Nicht ohne Grund ziehen sich die Ver- handlungen zu diesen umfangreichen Freihandelsab- kommen seit Jahren hin. Hier nur ein Beispiel, warum viele afrikanische Staaten nicht unterzeichnen wollen: Europa will die Rohstoffe billig haben und will diesen Staaten nicht erlauben, auf ihre eigenen Rohstoffe Ex- portsteuern zu erheben. – Ja, es geht eben um Wohl- stand, es fragt sich nur für wen. Europa und Deutschland singen seit langem das Man- tra der Handelsliberalisierung. Dieses Mantra muss end- lich entsorgt werden. Wir brauchen keinen Freihandel, sondern eine Freiheit des Handels und des Handelns, eine Freiheit, die den Eigentümern der Rohstoffe die Entscheidungsfreiheit lässt. Deshalb brauchen wir vor allem endlich den fairen Handel. Thema Landwirtschaft. Die Afrikanische Union hat gerade das Jahr der Landwirtschaft ausgerufen. Hier müssen Deutschland und die EU ihrer Verantwortung gerecht werden, anstatt im Schulterschluss mit der Agrarlobby Weltpolitik zu betreiben. Die Entwicklungs- zusammenarbeit muss andere Wege gehen und die Länder auf den Weg zu ihrer Ernährungssouveränität begleiten. Wir müssen die bäuerliche und ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft unterstützen und gleichzeitg den Auf- und Ausbau von Wertschöpfungsketten und sozialen Si- cherungssystemen fördern. Hierzu erwarten wir deutli- che deutsche und europäische Bekenntnisse. Minister Müller hat im geschützten Raum bereits solche Bekennt- nisse abgegeben. Überzeugender wäre es, wenn Herr Müller sich für die Unterzeichnung des Weltagrarbe- richts 2008 einsetzen würde, was immer noch von der Agrarlobby verhindert wird. Themenwechsel: Mit dem uns vorliegenden Antrag bleibt sich die Linke treu. Da haben Sie viel mit der ka- tholischen Kirche gemein. Sie machen nach wie vor ein Dogma zum Leitmotiv Ihrer Politik: Militär ist schlecht und böse. Leider gibt es zu viele Belege in der Ge- schichte und in der Gegenwart, die dieses Dogma stüt- zen. Allerdings würde dies auch bedeuten, dass die Menschheit nichts dazulernen kann. Es muss heute un- sere Aufgabe sein, zu beweisen, dass wir Militäreinsätze kontrollieren und zielgerecht einsetzen können, und zwar zum Schutz von Menschen und ihrer Rechte. Ein Völkermord wie in Kambodscha oder in Ruanda, ein Massenmord wie in Srebrenica darf nie wieder zuge- lassen werden. Der Dogmatismus der Linken würde aber diesem Ziel entgegenstehen. Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand ist immer an eine nachhaltige Entwicklung geknüpft. Die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, fragile Staaten, Welternährung, Rohstoffverknappung, soziale Ungleich- heit, Menschenrechte, Schulden- und Finanzmarktkrisen verdeutlichen, dass wir neue Konzepte und Regeln für die globale Zusammenarbeit brauchen. Aber genau diese vermisse ich beim vorliegenden Antrag, allerdings auch bei der deutschen Bundesregierung. Gerade der EU-Afrika-Gipfel böte die Möglichkeit hier Neues zu beginnen. Zum Beispiel müssen die indi- rekten EU-Agrarsubventionen verschwinden; auch sie zerstören die Ernährungssouveränität. Oder lassen Sie uns verbindliche Offenlegungspflichten für die Unter- nehmen verankern. Es liegen viele gute Ansätze auf dem Tisch. Der EU-Afrika-Gipfel bietet die Chance einer neuen Partnerschaft. Verschenken Sie diese Chance nicht. 17. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 2 Eidesleistung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft ZP 3 Vereinbarte Debatte zur Lage in der Ukraine TOP 2 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses TOP 3 Mietenentwicklung und Wohnungsmarkt TOP 4 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (ISAF) TOP 21 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 22 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 5, ZP 4Wahlen zu Gremien ZP 5 Aktuelle Stunde zur Zulassung von Genmais TOP 6 Bundeswehreinsatz in Mali (EUTM Mali) TOP 7 Patientenberatung TOP 8 Einsetzung des Beirats für nachhaltige Entwicklung TOP 9 Strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung TOP 10 SGB V – Arzneimittel TOP 11 Energiewende im Gebäudebereich TOP 12 Beitragssätze 2014 in der Rentenversicherung TOP 13 EU-Afrika-Gipfel TOP 14 Schulobstgesetz TOP 15 Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801700000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

begrüße Sie alle herzlich. Die Sitzung ist eröffnet. Neh-
men Sie bitte Platz.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir
heute noch einige Wahlen durchzuführen.

Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, dass im Stif-
tungsrat der Bundesstiftung Baukultur für den ausge-
schiedenen Kollegen Peter Götz als Nachfolger der Kol-
lege Volkmar Vogel als Mitglied gewählt wird. Die
SPD-Fraktion schlägt für dieses Gremium als Nachfol-
ger der Kollegin Petra Müller den Kollegen Hampel,
Ulrich vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstan-
den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Kol-
legen Vogel und Hampel als Mitglieder des Stiftungsra-
tes gewählt.

Die Fraktion der SPD schlägt vor, im Stiftungsrat der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung für den aus-
geschiedenen Kollegen Wolfgang Thierse als Nachfol-
ger den Kollegen Dietmar Nietan als ordentliches Mit-
glied und als dessen Nachfolger als stellvertretendes
Mitglied den Kollegen Dr. Lars Castellucci zu wählen.
Als weiteres ordentliches Mitglied soll die Kollegin
Hiltrud Lotze für den ausgeschiedenen Kollegen Lars
Lindemann und als weiteres stellvertretendes Mitglied
die Kollegin Christina Kampmann für den ausgeschie-
denen Kollegen Patrick Kurth gewählt werden. Darf ich
auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann sind die genannten Kollegin-
nen und Kollegen als Mitglieder und stellvertretende
Mitglieder des Stiftungsrates gewählt.

Schließlich schlägt die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor, für den Beirat bei der Bundesnetzagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisen-
bahnen die Kollegin Tabea Rößner als persönliches
stellvertretendes Mitglied der Kollegin Katharina Dröge
und die Kollegin Dr. Julia Verlinden als persönliches
stellvertretendes Mitglied des Kollegen Oliver Krischer
zu wählen. – Auch hierzu kann ich keinen Widerspruch
erkennen. Dann sind die beiden Kolleginnen als persön-
liche stellvertretende Mitglieder des Beirats gewählt.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-
bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD

Umgang in der Bundesregierung und im
Deutschen Bundestag mit den Vorwürfen ge-
gen Sebastian Edathy

(siehe 16. Sitzung)


ZP 2 Eidesleistung des Bundesministers für Ernäh-
rung und Landwirtschaft

ZP 3 Vereinbarte Debatte
zur Lage in der Ukraine

ZP 4 Wahl der Mitglieder des Beirats für die grafi-
sche Gestaltung von Sonderpostwertzeichen
beim Bundesministerium der Finanzen

(Kunstbeirat)


Drucksache 18/567

ZP 5 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung bei der Zulas-
sung der Genmaislinie 1507 und zur Sicher-
stellung der Wahlfreiheit in Bezug auf gen-
technikfreie Lebensmittel

Dabei soll wie immer, soweit erforderlich, von der
Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen wer-
den. Die als Zusatzpunkt 3 vorgesehene vereinbarte De-
batte zur Lage in der Ukraine soll vor dem Tagesord-
nungspunkt 2 aufgerufen werden und eine Stunde
dauern. Außerdem wird der Tagesordnungspunkt 16 c
abgesetzt. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Eidesleistung des Bundesministers für Ernäh-
rung und Landwirtschaft





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Der Herr Bundespräsident hat mir mitgeteilt, dass er
am 17. Februar 2014 gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grund-
gesetzes für die Bundesrepublik Deutschland auf Vor-
schlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister für
Ernährung und Landwirtschaft, Herrn Dr. Hans-Peter
Friedrich, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen
und Herrn Christian Schmidt zum Bundesminister für
Ernährung und Landwirtschaft ernannt hat.

Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein
Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56
vorgesehenen Eid.

Herr Schmidt, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir
bitten.


(Die Anwesenden erheben sich)


Herr Minister, ich bitte Sie, den im Grundgesetz vor-
gesehenen Eid zu leisten.

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Scha-
den von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze
des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten ge-
wissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann
üben werde, so wahr mir Gott helfe.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801700100

Sie haben den im Grundgesetz vorgesehenen Eid ge-

leistet. Ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses und
persönlich alle guten Wünsche für Ihr neues Amt aus-
sprechen.


(Beifall im ganzen Hause – Bundesminister Christian Schmidt nimmt Gratulationen entgegen)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte bei die-
ser Gelegenheit dem Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich
im Namen des Hauses für seine Tätigkeit in der Bundes-
regierung herzlich danken.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lieber Kollege Friedrich, auch und gerade die gestrige
Debatte hat deutlich gemacht, dass unbeschadet mancher
kritischer und selbstkritischer Hinweise Sie sich im gan-
zen Hause einer großen persönlichen Wertschätzung er-
freuen. Deswegen freuen wir uns auf die weitere Zusam-
menarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachrichten
und Bilder aus Kiew und anderen Orten der Ukraine in
den letzten Tagen haben uns alle schockiert. Wochen-
lange friedliche Proteste Hunderttausender Bürger sind
umgeschlagen in blutige Gewalt mit brennenden Stra-
ßenzügen und Barrikaden, mit zahlreichen Verletzten
und inzwischen auch mindestens zwei Dutzend Toten
aufseiten der Demonstranten wie auch der Sicherheits-
kräfte.

Der Deutsche Bundestag hat nicht zu entscheiden,
welchen Weg die Ukraine gehen will und in welche
Richtung. Aber wir haben das Recht und die Pflicht, für
das Grundrecht der Menschen in diesem Land wie über-
all auf der Welt einzutreten, selbst darüber zu entschei-
den, wie sie leben und von wem sie regiert werden wol-
len.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir bewundern den Mut und die Entschlossenheit von
immer mehr Menschen, von immer mehr Frauen und
Männern, auch gegen Drohungen und Repressionen ihr
eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ihnen
gelten unsere Unterstützung und unsere Solidarität.


(Beifall im ganzen Hause)


Alle Beteiligten, in den Behörden wie auf den Stra-
ßen, auf beiden Seiten der Barrikaden, müssen einsehen,
dass sich weder gewünschte Veränderungen durch Ge-
walt erzwingen noch notwendige Veränderungen dauer-
haft mit Gewalt verhindern lassen. Deshalb fordern wir
alle auf, auf Gewalt zu verzichten. Wir unterstützen die
Bemühungen der Europäischen Union, insbesondere
auch die Mission der Außenminister, die sich in diesen
Stunden darum bemühen, zur Deeskalation der Lage bei-
zutragen, und appellieren an die Verantwortlichen,
schnellstmöglich zur friedlichen Beilegung des Kon-
flikts auf dem Verhandlungswege zurückzukehren.

Die ukrainische Regierung steht in einer besonderen
Verpflichtung, die sie nicht länger verweigern darf. Un-
sere Erwartung an den Staatspräsidenten ist klar und un-
missverständlich: Werden Sie Ihrer Verantwortung ge-
recht! Halten Sie weiteren Schaden vom eigenen Land
und von Ihren Bürgern ab! Vor allem: Lassen Sie endlich
eine offene Debatte über die seit langem geforderte Ver-
fassungsreform zu!


(Beifall im ganzen Hause)


Unser Respekt gilt allen aufrechten Demokraten. Un-
ser tief empfundenes Mitgefühl gilt allen Opfern der Ge-
walt und ihren Angehörigen.

Ich rufe unseren Zusatzpunkt 3 auf:

Vereinbarte Debatte
zur Lage in der Ukraine

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung, die wir
vorhin bestätigt haben, sind für die Aussprache 60 Minu-
ten vorgesehen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1801700200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wenn wir die Nachrichten über die
Toten, die Verletzten, die Verwundeten in der Ukraine
betrachten, dann dürfen wir eines nicht vergessen: Diese





Niels Annen


(A) (C)



(D)

Tragödie betrifft auch uns, weil das, was dort passiert, in
unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet. Des-
halb ist es gut, dass während dieser Debatte die Außen-
minister Polens, Frankreichs und Deutschlands in Kiew
bei Präsident Janukowitsch sind und dort den erneuten
Versuch unternehmen, zu einer politischen Lösung des
Konfliktes beizutragen und für eine Atempause zu sor-
gen. Ich danke Außenminister Steinmeier für diese Ini-
tiative; denn es ist vielleicht der vorerst letzte Versuch,
eine weitere Eskalation zu verhindern.

Die Nachricht von einem Gewaltverzicht, die uns ges-
tern am späten Abend erreicht hat, gibt Hoffnung, dass
der heutige Besuch tatsächlich etwas bewirken kann.
Aber Sie alle haben in den letzten Stunden und Minuten
vielleicht die Nachrichten von weiteren Schusswechseln
auf dem Maidan gehört. Es ist wirklich eine angespannte
Situation, und die Lage steht auf der Kippe. Es ist völlig
klar: Bei einem weiteren Rückschlag werden die EU-
Außenminister in Brüssel gar nicht umhinkommen,
Sanktionen zu beschließen.

Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass Sanktionen na-
türlich nicht die Lösung des Problems darstellen. Unsere
Politik der Östlichen Partnerschaft steht am Scheideweg.
Wir dürfen in der Ukraine nicht wieder den Eindruck er-
wecken, das Land müsse sich quasi zwischen Russland
und Europa entscheiden. Diese Nullsummenlogik müs-
sen wir überwinden. Aber damit gar kein Missverständ-
nis aufkommt: Die Hauptverantwortung für die Eskala-
tion tragen Präsident Janukowitsch und seine Entourage.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Er hat es seit Wochen in der Hand, den Weg für umfas-
sende Reformen freizumachen. Die Vorschläge dafür lie-
gen seit langem auf dem Tisch. Seiner Hinhaltetaktik ha-
ben wir es letztlich zu verdanken – das ist auch ein Teil
der Wahrheit –, dass die extremistischen Kräfte inner-
halb der Opposition immer mehr Zulauf bekommen ha-
ben.

Die Gewalt der letzten Tage ist ganz besonders bitter,
weil wir doch ein wenig Anlass zur Hoffnung hatten.
Nach Vermittlung durch die OSZE haben die Demon-
stranten das Kiewer Rathaus geräumt. Die Voraussetzun-
gen für eine Amnestie sind geschaffen worden. Viel-
leicht ist es auch die Furcht vor einer in Sichtweite
kommenden politischen Lösung, die extremistische
Kräfte auf beiden Seiten angestachelt hat, jetzt eine Lö-
sung zu verhindern. Wir kennen das von anderen Kon-
flikten. Auch die gewaltbereiten extremistischen Kräfte
innerhalb der Opposition tragen somit Verantwortung für
die Lage.

Die Leidtragenden dieser Eskalation sind wieder ein-
mal die Menschen, junge Menschen, alte Menschen,
zum Teil ganze Familien – wir alle haben die Bilder
noch im Kopf –, die seit Wochen und Monaten auf der
Straße für etwas kämpfen, das wir für selbstverständlich
halten. Sie wollen Teil dieses Europas sein, und das ist
auch ihr gutes Recht. Deshalb müssen wir hier im Hohen
Hause unterstreichen: Wir stehen an ihrer Seite.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es jetzt keine Lösung gibt, werden sie zerrieben
zwischen dem brutalen, rücksichtslosen Vorgehen der
ukrainischen Sicherheitskräfte auf der einen Seite und
dem martialisch auftretenden sogenannten Rechten
Block auf der anderen Seite. Präsident Janukowitsch hat
es in der Hand, die Gewaltspirale zu stoppen. Aber dafür
muss er Schluss machen mit seiner Politik des Hinhal-
tens und Täuschens und endlich wie der Präsident des
ganzen Landes handeln.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dem Gewaltverzicht müssen eine Rückkehr zur Verfas-
sung von 2004 und vorgezogene Neuwahlen noch in die-
sem Jahr folgen.

Mein Appell richtet sich an Präsident Janukowitsch:
Nutzen Sie die Atempause der gestrigen Vereinbarung!
Setzen Sie eine Verfassungskommission ein, und bilden
Sie unverzüglich eine repräsentative Übergangsregie-
rung! Ziehen Sie Ihre Sicherheitskräfte zurück, und stop-
pen Sie die Offensive Ihres Geheimdienstes!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident, schaffen Sie endlich die Voraussetzung
für eine Wiederaufnahme des politischen Prozesses.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801700300

Nächster Redner ist der Kollege Stefan Liebich für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801700400

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Brennende Barrikaden und Zelte, brennende Verwal-
tungsgebäude, Soldaten, die in die Menge schießen, De-
monstranten, die Molotowcocktails auf Soldaten und
Polizisten werfen – das sind die Bilder, die uns aller-
dings nicht mehr nur aus der Hauptstadt Kiew erreichen.
In Lwiw haben Demonstranten einen Panzerwagen in
Brand gesteckt, in Ternopil stürmten sie das Büro der
Staatsanwaltschaft. Verletzte und Tote sind zu beklagen.
Die Nacht von Dienstag zu Mittwoch war die blutigste,
die die Ukraine seit langer Zeit erlebt hat, und man muss
befürchten, nachdem der Gewaltverzicht offenkundig
nicht eingehalten wird, dass sich die Situation kurzfristig
nicht verbessern wird.

Wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert um-
kommen. Wer die Kalaschnikow nimmt, hat mit ei-
nem Kopfschuss zu rechnen. … Wer andere will-
kürlich der Freiheit beraubt, hat bald selbst keine
Fluchtwege mehr. … Deshalb müssen wir, die wir
hier versammelt sind, strikt das Prinzip der Gewalt-
losigkeit vertreten. Das gilt auch gegenüber von
Provokateuren, die in unseren Reihen sind.

(B)






Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)

Diese Worte sprach am 25. September 1989 beim Frie-
densgebet in der Leipziger Nikolaikirche der Pfarrer
Christoph Wonneberger. Viele, vor allem jene, die in der
DDR gelebt haben, denken angesichts der Bilder aus der
Ukraine an diese Zeit zurück. Wir sind dankbar, dass uns
das 1989 erspart blieb. Wir wissen, dass auch friedlicher
Protest Veränderungen erzwingen kann. Unser Appell an
alle Beteiligten des Konflikts in der Ukraine lautet da-
her: Keine Gewalt!


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei kommt der Regierung eine herausgehobene
Verantwortung zu. Präsident Janukowitschs Auffassung,
Demokratie sei es nur, wenn man das Wahlergebnis ak-
zeptiere, ist falsch. Es kommt erstens darauf an, was man
aus seinen Wahlergebnissen macht, und zweitens gehö-
ren Meinungsfreiheit und friedliche Proteste dazu. Rosa
Luxemburg hat 1918 in ihrem Text zur Russischen Re-
volution formuliert:

Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur
für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so
zahlreich sein – ist keine Freiheit.


(Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.

Aber auch die Opposition trägt Verantwortung. Eine
kleine Gruppe zum Teil rechtsradikaler und neofaschisti-
scher Hooligans darf nicht das Bild von den Protesten
prägen. Ihr Mittel, die Gewalt, wird von der Mehrheit
der Demonstranten abgelehnt. Wer Gewalt ausübt, von
welcher Seite auch immer, muss strafrechtlich belangt
werden.

Aber allgemeine Sanktionen – da habe ich eine an-
dere Meinung als Niels Annen –, die im schlimmsten
Fall den Teil der Menschen treffen, die mit demokrati-
schen Mitteln für ihre Meinung streiten, lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer Sanktionen fordert, der scheidet als Vermittler in ei-
nem Konfliktlösungsprozess aus. So hat es Staatssekre-
tär Dr. Ederer gestern früh im Auswärtigen Ausschuss
gesagt. Da muss ich ihm recht geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt größerer Abgrenzung müssen wir unsere Türen
endlich für die Ukrainerinnen und Ukrainer öffnen. Visa-
freiheit für die Europäische Union, das wäre eine sinn-
volle Botschaft an die Demonstrantinnen und Demon-
stranten auf dem Maidan.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch wenn einer der Schlüssel für die Lösung des
Konflikts in Moskau liegt: Gerade wir Deutschen dürfen
mit Blick auf unsere Geschichte gegenüber der Ukraine
im letzten Jahrhundert nicht einfach über die Köpfe der
Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg nach vermeintli-
chen Lösungen suchen. Die OSZE oder der Europarat,
wo Russland, die Ukraine, Deutschland und die anderen
EU-Mitgliedstaaten gleichberechtigte Mitglieder sind,
können und müssen eine aktive Vermittlerrolle einneh-
men. Die Bundesregierung sollte sie dabei aktiv unter-
stützen. Am Ende des Prozesses kann ein politischer
Neuanfang stehen. Hier gilt es zuallererst, eine Lösung
für den Konflikt um die Verfassung zu finden.

Noch viel wichtiger als all dies ist aber: Das Land
braucht endlich eine Regierung und eine Opposition, die
nicht zuerst an sich oder an die Gunst schwerreicher Oli-
garchen denken, sondern an ihre Bürgerinnen und Bür-
ger, die in großer Zahl in bitterer Armut leben.


(Beifall bei der LINKEN)


Und die Ukraine braucht Nachbarn, die nicht zuerst auf
Einflusssphären und Absatzmärkte schauen, sondern an
einer wirklichen Partnerschaft arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801700500

Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1801700600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sind zutiefst erschüttert über die Eskalation der Gewalt
in der Ukraine. Wir trauern um die Opfer der blutigen
Zusammenstöße. Wir sprechen dem ukrainischen Volk
unsere Anteilnahme aus und sichern ihm unsere volle
Solidarität zu. Wir sind froh, dass es jetzt die Chance für
einen Waffenstillstand gibt. Wir fordern alle Verantwort-
lichen auf, das Ihre dazu beizutragen, dass dieser Waf-
fenstillstand hält.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Zur Stunde ist Außenminister Steinmeier mit seinem
französischen und seinem polnischen Kollegen in Kiew.
Damit sind zwei Botschaften verbunden: Erstens. Die
Europäische Union ist bereit, zu vermitteln, um das Land
aus dieser existenziellen Krise herauszuführen. Zwei-
tens. Die Europäische Union muss bereit sein, über die
Östliche Partnerschaft hinaus der Ukraine in einem
schwierigen Transformationsprozess zu helfen.

Die Vermittlung ist notwendig, weil die Konfliktpar-
teien selbst nicht aus der Sackgasse herausfinden, zumal
Präsident Janukowitsch in den letzten Tagen zu einem
echten Dialog nicht wirklich willens war. Wir brauchen
deswegen einen fortgesetzten, anhaltenden Vermitt-
lungsbeitrag. Dazu kann, wie gerade gesagt wurde, die
OSZE beitragen. Dazu kann auch ein Hoher Vertreter
der Europäischen Union einen Beitrag leisten.

Wenn es in diesem Zusammenhang die Aufforderung
aus Moskau gibt, sich nicht von außen in Angelegenhei-
ten der Ukraine einzumischen, dann müssen wir das als
eine zynische Unterstellung zurückweisen, zumal da ge-
rade Moskau vor Unterzeichnung des Assoziierungsab-





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)

kommens durch offene Erpressung zur Eskalation der
politischen Krise in der Ukraine mit beigetragen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nachdrücklich unterstützen, was der Kollege
Annen gesagt hat: Wir dürfen uns keine Nullsummenlo-
gik aufzwingen lassen. Russland gewinnt nicht, wenn
die Ukraine die Zusammenarbeit mit der Europäischen
Union aufkündigt. Wir gewinnen nicht, wenn die
Ukraine nicht mit Russland zusammenarbeitet. Wir ge-
winnen entweder alle durch zunehmende Kooperation
und Integration in Europa, oder wir verlieren alle durch
Instabilität und Unsicherheit in Europa.

Wahr ist auch, dass es in der Ukraine inzwischen um
einen echten Systemkonflikt geht. Zur Wahrheit gehört,
dass Moskau für die Menschen auf dem Maidan und für
einen großen Teil der Zivilbevölkerung in der Ukraine
für den Status quo steht. Aber die Menschen wollen an-
ders leben. Die Menschen wollen in Freiheit leben. Die
Menschen wollen in einem Rechtsstaat mit freien und
fairen Wahlen, mit unabhängigen Gerichten, mit Mei-
nungsfreiheit und unabhängigen Medien leben. Die
Menschen sind nicht länger bereit, eine systemische
Korruption hinzunehmen, mit der sich die Machthaber
exzessiv bereichern.

Wenn Präsident Putin die Ukraine als ein Brudervolk
bezeichnet, dann muss es uns zu denken geben, dass
Russland für viele Menschen in der Ukraine an Anzie-
hungskraft verloren hat. Das ist für uns kein Grund zur
Genugtuung, im Gegenteil. Wir haben in der Europäi-
schen Union mit der Finanzkrise, mit der Überwindung
der Ungleichgewichte und mit unseren inneren struktu-
rellen Problemen genügend Probleme zu lösen. Aber
dass die Menschen in der Ukraine eine europäische Per-
spektive brauchen, dass das, was wir an Hilfen anbieten,
eben nicht wertneutral ist, sondern mit einem Leben in
Freiheit nach den Idealen der sozialen Marktwirtschaft,
mit Gerechtigkeit verbunden ist, zeigt sich in diesen Ta-
gen ganz besonders.

Diese europäische Perspektive muss über eine kurz-
fristige Lösung hinaus für die Menschen spürbar blei-
ben. Zu einer kurzfristigen Lösung gehören erstens ein
anhaltender Waffenstillstand, zweitens eine sofortige
Umsetzung der Amnestie, drittens die Bildung einer na-
tionalen Übergangsregierung und viertens die Rückkehr
zur Verfassung von 2004 mit echten Parlamentsrechten.
Dazu gehört, dass wir für die Menschen Europa erlebbar
machen, etwa durch Studienprogramme und durch Sti-
pendienprogramme vergleichbar zu ERASMUS. Dazu
gehört auch, dass wir – wie für die Republik Moldau –
den Menschen in der Ukraine durch eine Perspektive auf
Visafreiheit zeigen, dass Europa spürbar und erlebbar
bleibt.

Nur das ukrainische Volk selbst kann aus dieser Krise
herausfinden. Es gibt im Europa der souveränen Staaten
kein Zurück zu privilegierten Einflusszonen. Dabei
braucht die Ukraine die Hilfe der Europäischen Union.
Wir sind bereit, darüber mit anderen zu reden. Eine
Rückkehr zum Status quo ante gibt es nicht. Wir sind vor
allem bereit, darüber auch mit Russland zu reden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801700700

Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Göring-

Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu-
ropa ist unser Schicksal. – Das hat vor zwei Wochen ei-
ner der Protestierenden auf dem Maidan zwischen den
Barrikaden in der Kälte mitten in der Nacht zu mir ge-
sagt. Vor zwei Wochen bestand noch viel Hoffnung, dass
die Beharrlichkeit helfen würde, eine Ukraine zu schaf-
fen, die offen ist, demokratisch und europäisch. Seit vor-
gestern Abend ist diese Hoffnung schwer erschüttert.
Manche sagen auch: Sie ist völlig versiegt. Wir alle sind
betroffen von den Bildern. Wir denken an die Toten, wir
trauern mit den Angehörigen. Wir denken an die Verletz-
ten, an die Verfolgten und auch an die Helferinnen und
Helfer, die sich selbst in Gefahr bringen.

Kirchen sind zu Lazaretten geworden. Der evangeli-
sche Pfarrer der deutschen Auslandsgemeinde sagte in
einem Interview: „Ich halte die Steinwürfe für eine ge-
zielte Provokation.“ Es falle schon auf, dass die Polizei
darauf sofort mit massiver Gewalt geantwortet hat. Auch
in seiner Kirche in der Mitte von Kiew ist ein Lazarett
eingerichtet.

Meine Damen und Herren, das Regime Janukowitsch
hat verhindert, dass im Parlament überhaupt noch über
eine Verfassungsänderung, über mehr demokratische
Rechte, über die Möglichkeit des Machtwechsels debat-
tiert wird. Genau das war der Auslöser für die Eskala-
tion. Gleichzeitig hat die Regierung Janukowitsch die
Zugeständnisse der Opposition, nämlich beispielsweise
die Räumung des Rathauses, als Schwäche deklassiert.
Dann kam die Räumung des Maidan, und dann wurde
die Eskalation auf die Spitze getrieben.

Gestern Abend gab es wieder einen Funken Hoffnung
auf einen Waffenstillstand. Er ist heute Morgen, so
scheint es jedenfalls, vorbei, und eine Lösung ist nicht in
Sicht. Angesichts von Toten und Verletzten und ange-
sichts ausufernder Gewalt hoffe ich sehr, dass das Signal
der EU-Außenminister heute so deutlich ausfällt, wie es
die Lage gebietet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gehört auch, dass die kriminellen Geldflüsse der
Verantwortlichen gestoppt werden, meine Damen und
Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Dazu gehört, dass Auslandskonten gesperrt und Visa-
sperren für einzelne Beteiligte ausgesprochen werden.
Die Vereinigten Staaten haben hier einen ersten Schritt
getan.

Freilich, Frau Merkel: Man ist hinterher immer
schlauer. Ich maße mir nicht an, anders gehandelt zu ha-
ben. Aber was wäre passiert, wenn der Druck in dieser
Woche auch aus Deutschland schon stärker gewesen
wäre, als Vitali Klitschko und Arsenij Jazenjuk hier ge-
wesen sind, und wir deutlicher gemacht hätten, dass
Sanktionen auch sehr bald ausgesprochen werden kön-
nen? Ich glaube, wir haben tatsächlich eine Verantwor-
tung. Nicht nur auf europäischer Ebene müssen wir Posi-
tion beziehen. Ich finde, Deutschland kann in diesem
Konflikt keine neutrale Position einnehmen, meine Da-
men und Herren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zwar, weil es um Europa geht, weil es um Freiheits-
rechte geht, nach denen die Menschen streben, für die sie
kämpfen und für die sie so viel aufs Spiel setzen. Es geht
nicht darum, naiv zu sein. Es geht nicht darum, so zu
tun, als ob es nicht auch nationalistische Kräfte auf dem
Maidan gebe. Natürlich gibt es die. Trotzdem müssen
wir in aller Klarheit auf der Seite der europäischen Werte
und der Freiheitsrechte stehen und stehen bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ich mir anschaue, wie viele klare Worte dazu
gefallen sind – aus der Europäischen Union, aus den
Vereinigten Staaten –, dann hoffe ich sehr, dass auch wir
uns zu solch klaren Worten durchringen können. Frau
Merkel, es war vorhin eigentlich sehr schön, dass Sie bei
dem Satz des Präsidenten, dass die Ukraine frei entschei-
den können muss, aus Versehen – weil Sie das auf der
Regierungsbank nicht dürfen – geklatscht haben. Ja, ge-
nau darum geht es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801700800

Frau Kollegin Göring-Eckardt, gestatten Sie eine

Zwischenfrage der Kollegin Hänsel?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr gerne.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801700900

Danke schön. – Frau Göring-Eckardt, Sie sagten ge-

rade: Wir können keine neutrale Position einnehmen. –
Ich möchte bezweifeln, dass Deutschland bereits eine
neutrale Position eingenommen hat. Wir wissen doch,
dass die Opposition, zum Beispiel Klitschko, beste Kon-
takte pflegt und seine Partei, die UDAR, seit Jahren von
der Konrad-Adenauer-Stiftung finanziert und unter-
stützt wird. Das heißt doch nicht, dass wir eine neutrale
Position hätten.

Was die Eskalation angeht, wurde hier von mehreren
Rednern und Rednerinnen festgestellt, dass die Gewalt
auch von den Demonstranten und Demonstrantinnen
ausging. Ich möchte Sie fragen: Wie würden Sie reagie-
ren, wenn es von Parteien Aufrufe gibt, dass alle, die re-
gistrierte Waffen haben, auf den Maidan kommen sol-
len? Ich möchte von Ihnen gerne wissen: Wie würden
Sie darauf reagieren? Wollen Sie verhindern, dass der
gewalttätige Teil der Demonstrantinnen und Demon-
stranten weiter ermuntert wird, indem Sie einseitig
Sanktionen aussprechen? Was haben Sie denn für eine
Vorstellung von Politik, wenn Sie nur gegen einen Teil
Sanktionen aussprechen wollen?


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was würden Sie denn machen? Was wollen Sie denn?)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Hänsel, sorry, aber wenn wir über Sanktionen
wie Geldflüsse-Stoppen reden, wenn wir über Sank-
tionen im Hinblick auf Konten reden, mit denen
Janukowitsch, seine Familie, sein ganzer Clan auch Gel-
der für Unterstützung ins Ausland geschafft haben,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milliarden!)


dann trifft das genau die Richtigen; da bin ich mir ganz
sicher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich brauchen auch die Regierungsleute einen ir-
gendwie geordneten Rückzug; aber damit sie sich nicht
aus dem Staub machen können, um sich in Westeuropa
ein schönes Leben zu machen, finde ich es richtig, dass
man hier Visasperren verhängt, meine Damen und Her-
ren und Frau Hänsel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Opposition auf dem Maidan, in Lemberg und in
vielen anderen Orten der Ukraine ist zum großen Teil
friedlich


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja! – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oi, oi, oi!)


und hat sich von den nationalistischen Kräften distan-
ziert. Diese Opposition auf Twitter zu diffamieren mit
den Worten „Faschos in Militärkleidung“, wie es eine Ih-
rer Kolleginnen gemacht hat, das geht nicht, Frau
Hänsel. Das sind Leute, die für die Freiheit kämpfen und
die alles riskieren dafür.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, wenn wir über Klarheit re-
den, dann heißt das auch, dass wir klare Worte in Rich-
tung Russland, in Richtung Putin sagen müssen. Man
kann nicht in Sotschi den weltgewandten Gastgeber
spielen und gleichzeitig Janukowitsch decken, stützen





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

und unterstützen, während er den Protest niederwalzt.
Meine Damen und Herren, auch hier ist von unserer
Seite und vonseiten der EU Klarheit gefragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Europa ist unser Schick-
sal. Wir denken bei Europa manchmal zuerst an Büro-
kratie, Glühbirnenverbot, Hilfspakete, Lobbyismus oder
ich weiß nicht was. Die meisten Menschen, die auf dem
Maidan stehen, und diejenigen, die sie unterstützen, fin-
den: Europa ist eine Verheißung von Frieden, Rechts-
staatlichkeit und Demokratie. Wir dürfen nicht versagen,
wenn es um die Freiheit geht. Dazu brauchen wir eine
klare Haltung, den nötigen Druck und konsequentes
Handeln. Das sind wir den Menschen auf dem Maidan
genauso wie der europäischen Idee schuldig.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801701000

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Franz Thönnes

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1801701100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

war am Sonntag und am Montag in Kiew, um politische
Gespräche mit Vertretern der Parteien und der Zivilge-
sellschaft zu führen. Auf dem Weg zum Maidan am
Sonntagabend kam ich am Rathaus vorbei, das entspre-
chend den Verabredungen gerade geräumt wurde, damit
am Tag darauf das Amnestiegesetz umgesetzt werden
konnte. Wir alle kennen die Bilder vom Maidan, die
durch die Medien gegangen sind. Die Atmosphäre, die
ich vorgefunden habe, war einerseits ruhig und offen,
andererseits aber auch von Anspannung und Bereitschaft
geprägt. Es macht betroffen, wenn man an der von Ker-
zen beleuchteten Gedenkstätte für die – zu diesem Zeit-
punkt noch vier – Toten steht und sieht, welche Opfer
gebracht worden sind und welche Folgen die gewalttäti-
gen Auseinandersetzungen hatten.

Neben dem freundlichen und friedlichen Erschei-
nungsbild habe ich leider auch sehr wehrbereite Erschei-
nungsformen gesehen von radikalen Gruppen, die zur
Gewalt bereit sind. Das ist nicht die Mehrheit – man darf
es auch nicht so hinstellen –; aber man darf auch nicht
verschweigen, dass es so etwas gibt. Wir müssen allen
Provokateuren, egal auf welcher Seite sie stehen, die
Stirn bieten; denn sie stehen einem fairen Verhandlungs-
prozess im Wege.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Ich habe bei den Menschen Müdigkeit, Anspannung
und Sorge gesehen; aber ich habe auch Hoffnung gese-
hen: die Hoffnung auf eine freiheitliche, auf eine rechts-
staatliche Zukunft, auf eine Zukunft in Europa, in der
man einen guten Platz hat, in der man auch ein Stück
weit Hoffnung auf ein wenig Wohlstand haben kann.

Um Hoffnung ging es auch in den Gesprächen, die
sich angeschlossen haben: Hoffnung auf Rückkehr zur
Verfassung von 2004, Hoffnung darauf, im Parlament,
am Verhandlungstisch zu einer friedlichen Lösung zu
kommen, Hoffnung auf Unterstützung durch die Euro-
päische Union und auch Hoffnung auf Sanktionen, durch
die die andere Seite dazu bewegt wird, Interesse an einer
Einigung zu zeigen, aber auch Hoffnung auf Verhinde-
rung des angesichts der angespannten wirtschaftlichen
Situation drohenden ökonomischen Zusammenbruchs.
Diese Hoffnungen habe ich mitgenommen, als ich weg-
gefahren bin, aber auch das Bewusstsein, dass das ge-
genseitige Vertrauen dort gering ausgeprägt ist. Dort ist
nur ein Funke notwendig, um eine Explosion auszulö-
sen.

Das alles haben wir seit Dienstag leider erlebt: das
Abgehen vom Kurs des Verhandelns, das Verlassen des
Verhandlungstischs, die Provokation, die Verfassungsde-
batte im Parlament, die verabredet war, von der Tages-
ordnung abzusetzen. Wir haben eine unverhältnismäßige
Reaktion der Sicherheitskräfte erlebt, als die Demon-
stranten zum Parlament zogen, und wir haben Provoka-
tionen auf beiden Seiten gesehen, die an dieser Stelle
keinen Platz haben. Scharfschützen auf den Dächern
haben genauso wenig etwas in einem vernünftigen Ver-
handlungsprozess zu suchen wie Menschen, die mit
Benzinkanistern in Parteizentralen hineingehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Deutlich wurde auch die Hoffnung, dass man einen
guten Weg für die Ukraine findet. Doch die Brutalität,
mit der die Sicherheitskräfte vorgegangen sind, hat die-
sen Funken Hoffnung am Ende zerstört. Wir müssen
deutlich sagen: Diese Brutalität ist für uns inakzeptabel;
sie ist intolerabel. Verantwortlich dafür sind der Staats-
präsident Janukowitsch und die Verantwortlichen in den
Sicherheitskräften.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über 1 000 Verletzte und inzwischen 30 Tote: Das
sind die Folgen. Unsere Gedanken sind bei ihren Famili-
enangehörigen.

Ich glaube, es war notwendig und wichtig, dass ges-
tern sehr intensiv versucht worden ist, über alle mögli-
chen Kanäle einzuwirken: über die deutsch-französi-
schen Regierungskonsultationen, über Telefonate, über
Gespräche, über Kontakte und auch über die klare Aus-
sprache von Sanktionen. Ich denke, dass das Telefonat
der Bundeskanzlerin ebenso wie die Gespräche, die der
Bundesaußenminister am vergangenen Donnerstag und
Freitag in Moskau geführt hat, dazu beigetragen haben,
dass über Nacht der Hauch einer Chance für einen Waf-
fenstillstand entstanden ist.





Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)

Dass heute Morgen festzustellen ist, dass das Funda-
ment, auf dem diese Hoffnung beruht, sehr dünn ist,
sollte uns nicht entmutigen, sondern wir sollten jetzt
auch einen Funken Hoffnung in die Mission der drei EU-
Außenminister setzen. Vielleicht ist es ein ermutigendes
Zeichen, dass sich hier genau die Länder darum bemü-
hen, weiter eine friedliche Entwicklung in Europa zu er-
möglichen, die am stärksten von den Folgen des Zweiten
Weltkrieges betroffen worden sind.

Bei der Ukraine haben wir es mit dem zweitgrößten
Flächenstaat in Europa zu tun; dort leben über 45 Millio-
nen Menschen. Es gilt daher, eine Perspektive zu entwi-
ckeln, die nicht „entweder-oder“ lautet, sondern die der
Ukraine ihren Platz in Europa, inmitten der Europäi-
schen Union und mit Russland, ermöglicht. Es muss
Freiraum dafür geschaffen werden, dass die Menschen in
der Ukraine unter freiheitlichen und rechtsstaatlichen
Bedingungen selbst bestimmen können, welchen Weg
sie gehen. Das heißt, sie müssen zur Verfassung von
2004 zurückkehren und freie Wahlen durchführen kön-
nen, in der sie über ihre Volksvertretung und ihren Präsi-
denten entscheiden.

Wir haben als Mitgliedsland der Europäischen Union
die Aufgabe, gemeinsam mit Russland dafür zu sorgen,
dass es gelingt, die Ukraine in die Europäische Gemein-
schaft, in diese Staatengemeinschaft, aufzunehmen,
wenn sie es will, und Formen zu finden, mit denen ein
friedliches Zusammenleben in Europa, auf unserem
Kontinent, möglich ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801701200

Nächster Redner ist der Kollege Andrej Hunko für die

Fraktion Die Linke.


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801701300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, es gibt niemanden, dem die Bilder der letzten
Tage aus der Ukraine und die Eskalation der Gewalt
nicht nahegehen und der die Opfer auf allen Seiten nicht
bedauert. Das geht auch mir so als jemandem, dessen Fa-
milie in der Ukraine dem Bürgerkrieg in den 20er-Jah-
ren, dem Massenhunger in den 30er-Jahren und den
Zwangsumsiedlungen in den 40er-Jahren weitgehend
zum Opfer gefallen ist.

Ich wünsche mir sehr, dass das 21. Jahrhundert für die
Ukraine besser wird, als es das 20. Jahrhundert war.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Voraussetzung dafür ist aber, dass die Spirale der Eskala-
tion durchbrochen wird und dass die Ukraine nicht in ei-
nen Bürgerkrieg abgleitet. Wir müssen alles tun, um
diese Eskalationsspirale zu durchbrechen.

Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, wenn die
komplexe Situation in der Ukraine einseitig dem Präsi-
denten Janukowitsch angelastet wird und dabei verharm-
lost und verschwiegen wird, welche Kräfte zum Teil
auch auf dem Maidan aktiv sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube auch nicht, dass es zielführend ist, wenn, wie
heute, der französische, der polnische und der deutsche
Außenminister mit der Androhung von Sanktionen nach
Kiew fahren.

Ich war im Herbst 2012 Wahlbeobachter des Europa-
rates in Kiew. Mein Eindruck der Situation ist, dass die-
ses Land sozial zutiefst gespalten ist, dass sich in den
letzten 20 Jahren eine kleine Schicht unglaublich berei-
chert hat und dass diese kleine Schicht extremen Ein-
fluss auf die Politik nimmt. Das ist – wir haben es in die
Erklärung des Europarates aufgenommen – eine Oligar-
chisierung der Politik in der Ukraine. Sie betrifft alle
geostrategischen Orientierungen. Sie betrifft sowohl die
sogenannten prowestlichen Parteien als auch die pro-
russischen Parteien. Ich sage ganz klar, dass wir an der
Seite der Ukrainer und Ukrainerinnen stehen, wenn es
darum geht, diese Oligarchisierung der Politik und diese
soziale Spaltung in der Ukraine zu überwinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Leider ist es so, dass die Entwicklung in der Ukraine
nach dem Scheitern des Assoziierungsabkommens sehr
stark von geostrategischen Interessen überlagert wird,
und zwar sowohl von der russischen Seite als auch von
europäischer und US-amerikanischer Seite. Es ist leider
so, dass von beiden Seiten massiver Druck dahin gehend
ausgeübt wird, die Ukrainer in die eigene Einflusssphäre
zu ziehen und sie aus der anderen Einflusssphäre heraus-
zuholen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801701400

Herr Kollege Hunko, darf Ihnen der Kollege Sarrazin

eine Zwischenfrage stellen?


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801701500

Ja, bitte schön.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801701600

Verehrter Herr Kollege Hunko, ich möchte Ihnen eine

ganz simple Frage stellen. Glauben Sie eigentlich, dass
Herr Präsident Putin – Sie haben gerade vom Einfluss
der Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen
Föderation geredet –, als er vor drei Tagen die ersten
Tranchen für das Regime, die Regierung in der Ukraine
freigegeben hat, die Möglichkeit gehabt hätte, Einfluss
auf Herrn Janukowitsch dahin gehend zu nehmen, eine
Räumung des Maidan zu unterbinden? Glauben Sie, dass
Herr Putin die Möglichkeit gehabt hätte, auf Herrn
Janukowitsch Einfluss zu nehmen, um zu verhindern,
dass der Maidan geräumt wird, was der entscheidende
Schritt zur Eskalation war?


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801701700

Ich sage deutlich: Ja, es gibt eine Einflussnahme von

russischer Seite auf Präsident Janukowitsch. Es gibt aber
ebenso eine Einflussnahme von europäischer und von
US-amerikanischer Seite auf die Opposition. Da fordere





Andrej Hunko


(A) (C)



(D)(B)

ich ganz eindrücklich, dass die Kooperation mit faschis-
tischen Kräften auf dem Maidan beendet wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will verdeutlichen, was damit gemeint ist. Die
Partei Swoboda, die leider gegenwärtig zusammen mit
dem rechten Block die organisatorisch und ideologisch
dominante Kraft auf dem Maidan ist, wird vom Jüdi-
schen Weltkongress als neonazistisch eingestuft. Die eu-
ropäischen Bündnispartner dieser Partei sind die Jobbik
in Ungarn, die British National Party in Großbritannien
oder in Deutschland – Vertreter von Swoboda waren ein-
mal hier gewesen – die NPD in Sachsen. Das ist die poli-
tische Ausrichtung dieser Partei. Wir fordern ganz klar,
dass die Kooperation mit solchen Kräften beendet wird.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801701800

Nun möchte Ihnen die Kollegin Haßelmann eine

Frage stellen.


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801701900

Gerne.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801702000

Vielen Dank, Herr Hunko. Vielen Dank, Herr Präsi-

dent, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Hunko, ich
möchte Sie aus aktuellem Anlass bitten, uns Ihre Posi-
tion zu folgendem Sachverhalt zu erläutern. Ich will Sie
fragen, ob Sie sich von dem Tweet Ihrer Kollegin Sevim
Dağdelen, die die aktuelle Debatte anscheinend nicht im
Plenum, sondern vielleicht aus ihrem Bundestagsbüro
verfolgt und kommentiert, an die Grünen distanzieren.
Ich lese Ihnen den Tweet einmal vor und bitte Sie, sich
dazu zu positionieren und davon zu distanzieren:

Unerträglich diese verwelkten Grünen, die die Fa-
schisten in der #Ukraine verharmlosen, die antise-
mitische Übergriffe begehen. Ein Tabubruch!

Ich finde es unerträglich, in dieser Art und Weise unsere
Debatte zu kommentieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Davon gehört es sich zu distanzieren, wenn man als
Sprecher der Linken hier redet.


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801702100

Frau Kollegin, ich kann mich schlecht zu Tweets äu-

ßern, die ich nicht kenne.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie hat es doch gerade vorgelesen!)


– Nun hören Sie einmal zu! – Aber ich will schon sagen,
dass ich es tatsächlich problematisch finde – das habe ich
eben auch ausgeführt –, dass Kräfte wie die Swoboda-
Partei als Teil des Oppositionsbündnisses in der Ukraine
akzeptiert und toleriert werden.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch überhaupt niemand! Was fällt Ihnen ein! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr gestörtes Verhältnis zur Freiheit ist nicht unser Problem! Das ist ein Problem im Verhältnis zur Ukraine! Hören Sie mal zu, was gesagt wird! Erzählen Sie nicht so einen Quatsch!)


– Ich habe die Debatte so wahrgenommen. Mir geht die
hier stattgefundene Distanzierung von diesen Kräften
nicht weit genug. Seit den Parlamentswahlen im Oktober
2012, die ich beobachtet habe und bei denen ich das
auch schon gesagt habe, sind die Vaterlandspartei, die
Klitschko- oder UDAR-Partei und die Swoboda-Partei
in einem gemeinsamen Oppositionsbündnis.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein! Das ist doch falsch! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)


Ich kritisiere das, und ich fordere eine Distanzierung von
solchen Parteien.


(Beifall bei der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit Dağdelen überhaupt nichts zu tun, was Sie hier erzählen!)


– Mag sein, dass Sie das anders wahrnehmen. Ich sehe
das so, und ich will jetzt mit meiner Rede fortfahren.

Ich glaube, wir brauchen gegenüber der Ukraine und
gegenüber Osteuropa eine andere Ostpolitik. Die
Ukraine ist nach wie vor ungefähr hälftig an Russland
und hälftig an der Europäischen Union orientiert. Wenn
die Spannungen zwischen der EU und Russland weiter
verschärft werden, dann wird das auf dem Rücken der
Ukraine und der Menschen dort ausgetragen, und das
Land wird in einen Bürgerkrieg getrieben.

Ich fordere eine neue Ostpolitik, die vor allen Dingen
auf Kooperation mit Russland setzt. Ich fordere auch
eine Wirtschaftspolitik, die vor allen Dingen auf die so-
ziale Entwicklung in der Ukraine setzt statt auf die Öff-
nung der Märkte für europäische Konzerne. Vor allen
Dingen fordere ich – das hat mein Kollege Liebich vor-
hin schon gesagt; dazu werden wir auch eine Initiative
einbringen –, dass endlich das restriktive Visaregime ge-
genüber den Menschen in der Ukraine aufgehoben wird
und dass es eine Visaliberalisierung gibt,


(Beifall bei der LINKEN)


damit sich die Zivilgesellschaft in der Ukraine mit der
europäischen Zivilgesellschaft austauschen kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801702200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mir zu

dem gerade stattgefundenen Vorgang eine knappe Be-
merkung erlauben. Nach meinem Stilempfinden sollte es
sich von selbst verbieten, dass jemand, der an einer De-
batte nicht teilnimmt, aus welchem Grund auch immer,





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

gleichzeitig über welches Medium auch immer diese De-
batte kommentiert.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Röttgen für
die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1801702300

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Auch ich möchte nach diesem Beitrag in der De-
batte als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich
mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die Fraktion
der Linken diese Debatte nicht dazu genutzt hat, sich
von der Methode zu distanzieren und sie zurückzuwei-
sen. Dass einzelne Stimmen, die es in dieser Opposition
gibt, dazu benutzt werden, die Opposition und ihr Eintre-
ten für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte insge-
samt zu diffamieren, lehnt das Haus ab.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Chance verpasst, sich davon zu distanzie-
ren.

Ich bedaure das auch deshalb – ich möchte bewusst
damit beginnen –, weil die politische Situation in der
Ukraine auch in der politischen Debatte, die wir heute
führen, zunächst und zuallererst eine zutiefst menschli-
che Dimension und menschliche Seite hat. Wenn Todes-
opfer zu beklagen sind, dann gehört unser Mitgefühl den
Opfern von Gewalt und deren Angehörigen, und zwar
den Opfern jeglicher Gewalt. Wir differenzieren nicht.
Gewaltanwendung jeglicher Art muss unterbunden wer-
den. Das ist unsere erste Forderung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit wird sichtbar, dass das, was die menschliche Seite
betrifft, auch zutiefst politisch ist. Das Eintreten für Frei-
heit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hat den Sinn,
den Menschen in seiner Freiheit und Unversehrtheit zu
schützen. Deshalb ist von allen erneut die Forderung zu
erheben – das geschieht auch –: ein Ende der Gewalt,
unbedingt, sofort und auf allen Seiten!

Wie verfahren die Situation aber ist, wird schon da-
durch deutlich, dass man, wenn man sie genauer analy-
siert, wahrscheinlich zu dem Urteil kommen muss, dass
ein weitgehender Kontrollverlust auf den unterschiedli-
chen Seiten eingetreten ist. Es gibt wahrscheinlich nicht
mehr die Instanz, die allein entscheiden kann. Es ist na-
türlich nicht die Opposition. Es ist nicht die EU, aber es
sind auch nicht Moskau und die Regierung Janukowitsch
allein. Unter anderem das macht die Lage so verfahren
und kompliziert. Als Ergebnis der Eskalation haben wir
es mit einem weitgehenden Kontrollverlust der Lage zu
tun. Dennoch haben Präsident Janukowitsch und seine
Regierung die entscheidende Verantwortung und die
Möglichkeit, Macht auszuüben. Sie müssen ihre Macht
endlich einsetzen, Gewalt zu unterbinden und Gewalt-
anwendung wirksam zu verbieten. Janukowitsch muss
alles tun, was noch in seiner Macht steht, um Gewalt zu
unterbinden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Ende der Gewalt ist die Voraussetzung dafür,
dass das zur Geltung kommt, was die unverhandelbare
Grundlage einer Konfliktlösung ist, nämlich die Aus-
übung des Selbstbestimmungsrechts des ukrainischen
Volks; darum geht es. Man muss wieder zu einem politi-
schen Prozess zurückkehren, der Verfassungsreformen
beinhaltet und an dessen Ende die Ausübung des Selbst-
bestimmungsrechts durch Neuwahlen zum Präsidenten-
amt und zum Parlament steht.

Damit bin ich beim Parlament angekommen. Da wir
hier eine Debatte im Parlament führen, fordere ich die
Mitglieder des ukrainischen Parlaments, die Mehrheit,
die darüber entscheidet, auf: Stehen Sie nicht länger ei-
ner Debatte über eine Verfassungsreform im ukraini-
schen Parlament im Wege! Die Verweigerung einer De-
batte über eine Verfassungsreform im ukrainischen
Parlament war der Auslöser der Gewalteskalation. Als
Kolleginnen und Kollegen des ukrainischen Parlaments
sollten sie endlich wieder bereit sein, eine Debatte über
Verfassungsreformen zu führen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was können wir tun? Diese Frage wird immer kriti-
scher an uns gestellt. Was müssen wir tun? Was muss der
Westen tun? Diese Fragen sind gar nicht so einfach zu
beantworten. Ich glaube, auch das ist ein Teil der Wahr-
heit, die wir aussprechen müssen. Auf der einen Seite
haben wir – das ist sehr lobenswert und zu begrüßen –
Entschlossenheit, Geschlossenheit und Klarheit gezeigt.
Es muss klar sein – das ist es auch –, wo wir stehen.
Wenn in der Mitte Europas Menschen für europäische
Werte demonstrieren und ihr Leben einsetzen, dann
muss die europäische Politik klarmachen – das tut sie
auch –, auf welcher Seite wir stehen, nämlich auf der
Seite europäischer Werte und der Menschen, die für sie
eintreten. Das ist die Klarheit unserer Position.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801702400

Herr Kollege Röttgen, darf der Kollege Alexander

Neu Ihnen eine Zwischenfrage stellen?


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1801702500

Ja, bitte.


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801702600

Herr Kollege, Ihnen ist bekannt, dass es bereits 2004

eine Verfassungsreform im Sinne der heutigen Opposi-
tion gegeben hat. Wollen Sie dementsprechend immer,
wenn die Opposition, die gerade dem Westen genehm
ist, eine Verfassungsreform fordert, auch eine Verfas-





Dr. Alexander S. Neu


(A) (C)



(D)(B)

sungsreform einfordern? Sie selber haben das Selbstbe-
stimmungsrecht angesprochen. Das Selbstbestimmungs-
recht erfordert auch, dass sich die Bundesregierung und
die Konrad-Adenauer-Stiftung bei der Parteinahme zu-
rückhalten und den politischen Kampf den Menschen in
der Ukraine überlassen und nicht von außen steuern.
Auch das ist ein Teil des Selbstbestimmungsrechts. Tei-
len Sie diese Auffassung, ja oder nein?


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1801702700

Genau weil wir diese Auffassung teilen, treten wir da-

für ein und kämpfen die Menschen dort dafür, dass das
Selbstbestimmungsrecht, die Möglichkeit, politische
Freiheiten wahrzunehmen, friedlich zu demonstrieren,
seine Meinung frei zu äußern und frei zu wählen, auch
Ausdruck und Absicherung in einer Verfassung findet.
Eine solche Verfassung gibt es aber im Moment nicht.
Die Rückkehr zur Verfassung von 2004 ist das Mindeste,
um in einem ersten Schritt zu einem politischen Neuan-
fang in der Ukraine zu kommen. Dafür sollen sich auch
die Machthaber einsetzen. Es geht darum, Herr Kollege,
dass es zu einer Verfassung kommt, die Freiheit und De-
mokratie gewährleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und auf dieser Seite stehen auch wir.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich möchte noch eine Nachfrage zur Verfassungsreform von 2004 stellen! Sie ist von dem Mann ausgegangen, der heute sozusagen für die Opposition steht! Mit anderen Worten: Sie favorisieren also ständige Verfassungsreformen im Sinne der prowestlichen Opposition! – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht zu fassen! – Weiterer Gegenruf des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Die Verfassung ist doch außer Kraft gesetzt!)


– Ich glaube, es wird nicht besser, auch wenn Sie es per-
manent wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage mich die ganze Zeit, warum Sie als Parla-
mentarier so reden. Wir sind hier als Parlamentarier, weil
wir Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie haben.
Sie sind Teilnehmer der Demokratie, Sie sind Parlamen-
tarier. Ich frage mich, warum Sie das alles in Zweifel
ziehen, warum es Ihnen so schwerfällt, den Wunsch
nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einem euro-
päischen Land zu akzeptieren. Welche Probleme haben
Sie eigentlich damit, dass auch andere Demokratie und
Freiheit haben wollen? Ich verstehe Ihre Position an die-
ser Stelle nicht, diese Ignoranz.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])

– Vielleicht gehen Sie einmal in sich und denken über
Ihre Position nach, anstatt hier zu reden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil ich
glaube, dass die Klarheit unserer Position durch Ge-
sprächsinitiative und Gesprächsbereitschaft auch mit
Russland ergänzt werden muss. Auf der Basis des
Selbstbestimmungsrechts müssen wir ins Gespräch mit
der russischen Regierung kommen. Ich sage auch durch-
aus selbstkritisch aus europäischer Perspektive: Wir
müssen die fatale Psychologie des Entweder-oder durch-
brechen und durch eine Ratio von Gespräch, Diplomatie
und Kooperation ersetzen. Wir machen uns nicht altes,
überkommenes Einflusssphärendenken zu eigen, aber
wir wissen und respektieren sehr wohl, dass es in der
Ukraine einen beachtlichen Bevölkerungsteil gibt, der
sich Russland kulturell und traditionell verbunden fühlt.

Darum müssen wir auch mit Russland darüber reden,
weil keiner ein Interesse daran hat, wenn die Ukraine
brennt. Darum müssen wir darüber reden, weil gute
Nachbarschaft im Interesse von beiden ist, des Nachbarn
EU und des Nachbarn Russland. Diese Gesprächsinitia-
tive, diese diplomatische Initiative muss stärker werden.
Entweder-oder ist eine Sackgasse sowohl für die
Ukraine selber, wenn sie gezwungen wäre, einer Alter-
native den Vorzug zu geben, als auch für die außen- und
europapolitische Situation. Diese fatale Situation, die in
der Perzeption in Russland und der Ukraine vorherrscht,
müssen wir überwinden. Wir müssen zu einem koopera-
tiven Verhältnis kommen. Es gibt, wenn wir den Weg
des Entweder-oder und der Gewalt fortsetzen, nur Ver-
lierer, keine Gewinner.

Wenn wir von der westlichen Seite und der östlichen
Seite zu einer partnerschaftlichen und guten Nachbar-
schaft mit der Ukraine kommen, wird das für alle ein
Gewinn sein. Ich glaube, für diesen neuen, auch diplo-
matischen Ansatz müssen wir uns einsetzen. Klarheit
müssen wir einbringen; gleichzeitig darf uns nichts zu
schade sein. Es muss alles eingesetzt werden, was wir an
diplomatischen und außenpolitischen Möglichkeiten und
Potenzialen haben. Es geht um Friede, Freiheit, Men-
schenwürde und Demokratie, und sie verlangen jeden
Einsatz von uns.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801702800

Norbert Spinrath ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1801702900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die dramatische Ent-





Norbert Spinrath


(A) (C)



(D)(B)

wicklung der letzten Tage in Kiew hat uns sehr deutlich
gemacht, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln. Die Welt
hat seit Wochen aufmerksam nach Kiew geschaut und
sich mit diplomatischen Initiativen bemüht, ihren Bei-
trag zu leisten, um den Konflikt zu beenden. Ich denke,
das hat alle demokratischen Kräfte miteinander vereint.
Dies heute als fehlgeleitet zu geißeln, bezeugt Ihre Auf-
fassung von Demokratie, aber auch von Menschenrech-
ten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben wir in Hamburg ja gesehen!)


Die ukrainische Regierung hat sich dagegen auf un-
verantwortliche Weise ins Abseits manövriert. Sie ver-
sucht mit unverhältnismäßigen und brutalen Mitteln, den
Maidan zu räumen. Dabei wird sie immer dreister. Nach
einer blutigen Nacht vorgestern voller Gewalt mit 26 To-
ten und mehr als 1 000 Verletzten wollte sie gestern eine
Antiterroraktion starten. Die Sicherheitskräfte seien von
den Oppositionellen zum Eingreifen provoziert worden,
behauptet die Regierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gelernter
Polizist. In meinem anschließenden Studium befähigte
man mich unter anderem auch zur Bewältigung polizeili-
cher Großlagen. Mehrere Jahre war ich als Einsatzleiter
bei kleinen und großen Lagen unterwegs.

Daher weiß ich, dass es in einer Demokratie nicht hin-
nehmbar wäre, auf eine Provokation durch Demonstran-
ten in der in Kiew gesehenen Weise zu reagieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Daher weiß ich auch, dass es nicht möglich ist, innerhalb
von Minuten nach einer Provokation durch Demonstran-
ten spontan in dem Umfang zu reagieren, wie wir ihn in
Kiew gesehen haben. Daher weiß ich auch, dass es einer
präzisen Einsatzplanung und umfangreicher logistischer
Vorbereitungen bedarf, um einen verbarrikadierten Platz
wie den Maidan zu räumen und um, wie vorgestern und
gestern geschehen, die gesamte Stadt Kiew abzuriegeln
und damit den Zustrom weiterer Demonstranten zu un-
terbinden.

Das lässt für mich eben nur einen Schluss zu – ich bitte
die ganz linke Seite hier, einmal genau zuzuhören –: Die
Eskalation war keine Reaktion auf Provokationen; das
war eine geplante und gut vorbereitete Aktion der Si-
cherheitskräfte im Auftrag der Regierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische
Union stützt sich insgesamt in ihrem Bestand wesentlich
auf ihre friedensstiftende und friedensbewahrende Wir-
kung. Sie hat mit ihrem Europäischen Auswärtigen
Dienst von Beginn der Auseinandersetzungen in der
Ukraine an deutliche Bemühungen unternommen, diesen
Konflikt positiv zu beeinflussen. Allerdings wurde das
nicht hinreichend öffentlich.
Gestern hat sich die Europäische Union, gestern haben
sich aber auch die USA zur Androhung von Sanktionen
entschlossen. Heute werden die Außenminister des soge-
nannten Weimarer Dreiecks auf dieser Grundlage in
Kiew verhandeln. Viele Menschen tun sich damit schwer,
mit Sanktionen zu operieren, weil deren Wirksamkeit oft
sehr begrenzt ist, wie die Erfahrungen der letzten Jahr-
zehnte zeigen. Aber auch die Diplomatie – das haben wir
in den letzten Wochen ebenfalls erlebt – kann eine sehr
eng begrenzte Wirkung haben. Zumindest die Abläufe
des gestrigen Tages zeigen auf, dass die Androhung von
Sanktionen ein Mittel zum Einlenken sein kann. Denn
jetzt und sofort gilt es deutliche Signale zu setzen.

In der letzten Nacht erreichte uns dann die Eilmel-
dung, dass sich Präsident und Opposition auf eine Aus-
setzung der Gewalt geeinigt hätten. Dies könnte Hoff-
nung für die Menschen in der Ukraine bringen. Doch
schon die Bilder von heute Morgen zeigen, dass die Aus-
einandersetzungen wieder begonnen haben, als sei ges-
tern Abend nichts geschehen. Ich denke, das zeigt uns
auf, wie wichtig es ist, unsere Bemühungen um die Her-
beiführung einer friedlichen Lösung fortzusetzen und bei
diesen eben nicht nachzulassen.

Neben Sanktionen muss aber unabdingbar die Diplo-
matie weitergehen. Sie muss die Wirkung von Worten
verstärken. Sie muss stärker auf diplomatische Floskeln
verzichten, um mit der notwendigen Schärfe den Druck
auf Janukowitsch aufzubauen. Es gilt, den Staatspräsi-
denten an der Herbeiführung eines blutigen Bürgerkriegs
zu hindern. Es gilt aber auch, die letzte Chance zu nut-
zen, bevor extremistische Kräfte endgültig die Oberhand
über die anfangs so vorbildlich friedliche Opposition auf
dem Maidan gewinnen.

Die Europäische Union muss nun entschlossen auftre-
ten. Da geht es gar nicht darum, wer Sieger wird. Wie
mein Kollege Niels Annen eben schon gesagt hat, darf es
nicht darum gehen, dass sich die Ukraine entscheiden
muss zwischen Russland und der EU. Die Ukraine ist
Teil Europas. Sie braucht aber gleichermaßen verlässli-
che Handelsbeziehungen zu Russland.

Jenseits von Szenarien zu Machtordnungen in Ost-
europa müssen alle Anstrengungen darauf gerichtet sein,
eine Regierung, die sich ins Abseits manövriert hat, da-
von abzuhalten, die Lösung des Konflikts in brutaler Ge-
walt zum Nachteil ihrer Gesellschaft zu suchen und da-
bei einen Bürgerkrieg herbeizuführen. Im Vordergrund
müssen Deeskalation und Befriedung stehen. Zwecks
Rückkehr zu von allen Seiten getragenen demokrati-
schen Lösungen muss aber auch – dazu fordere ich die
Außenminister auf, die heute in Kiew sind – in Moskau
deutlich gemacht werden, dass die Ukraine kein Spiel-
feld für Machtinteressen und Machtoptionen sein darf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meinen Dank für
die Aufmerksamkeit verbinde ich mit meinem letzten
Gedanken: Russland und die EU müssen ab sofort an ei-
nem Strang ziehen: zur Verhinderung eines Bürgerkriegs
in der Ukraine – im Interesse der demokratischen Kräfte,
im Interesse der Menschen in der Ukraine.





Norbert Spinrath


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801703000

Das Wort hat nun der Kollege Florian Hahn für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1801703100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Waffenstillstand, der gestern ausgehandelt wurde und
uns noch Hoffnung gegeben hat, wurde offensichtlich
nicht eingehalten. Reuters meldet aktuell zehn weitere
Tote. Das Treffen mit den Außenministern des Weimarer
Dreiecks, das hoffnungsvoll anvisiert war, hat nicht statt-
gefunden; auch das läuft gerade über Reuters. Da ange-
sichts dieser Entwicklungen die Fraktion Die Linke mit
gerade einmal elf Kolleginnen und Kollegen in diesem
Haus diesen Zirkus hier veranstaltet und offensichtlich
diese Debatte nicht ernst nimmt, frage ich: Wo ist Herr
Gysi? Wo ist Frau Wagenknecht? Wo ist Frau Kipping?
Wo ist die Führung der Fraktion Die Linke? Ich finde
das unglaublich!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist keine zwei Jahre her, da haben Menschen auf
dem Maidan und in der ganzen Ukraine die Fußballeuro-
pameisterschaft gefeiert. Seit Wochen erreichen uns nun
erschütternde Bilder von den gleichen Stellen. Der trau-
rige Höhepunkt war in der Nacht von Dienstag auf Mitt-
woch mit etwa 30 Toten auf allen Seiten. Wir müssen
befürchten, dass dieses Land in den Bürgerkrieg hinein-
rutscht.

Mit der Erstürmung des Maidan durch die Polizei mit
Wasserwerfern, mit Blendgranaten, mit unglaublicher
Brutalität hat die ukrainische Regierung die Gewalteska-
lation ganz bewusst in Kauf genommen. Circa 30 Men-
schen sind getötet worden, jetzt noch einmal 10. Das
dürfte eine der blutigsten Nächte in Osteuropa seit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion gewesen sein. Die
Verantwortung dafür trägt in der Hauptsache das Regime
Janukowitsch.

Die Rede Janukowitschs anlässlich dieser Krawalle
muss sich für die Opfer und für die Familien der Opfer
wie Hohn und Spott anhören. Er nennt sich selbst einen
Feind der Gewaltanwendung. Wir wissen aus vielen
Quellen, dass Oppositionelle geschlagen, gefoltert wer-
den oder gar einfach verschwinden. Er wirft der Opposi-
tion vor, sie würde die Grundsätze der Demokratie miss-
achten. Es ist sein Regime, das die Versammlungs- und
Meinungsfreiheit der Bürger in der Ukraine einschränkt.
Es ist sein Regime, das eine Debatte im Parlament nicht
zulässt, in der die Opposition mögliche Verfassungs-
änderungen diskutieren will.

Der Präsident macht nur eines deutlich: Er will seine
Macht nicht abgeben. Das ist bitter; denn in den letzten
Wochen ist es den gemäßigten Oppositionsführern wie
Klitschko gelungen, die Gewaltbereiten in ihren eigenen
Reihen immer wieder zu beruhigen. Jetzt gibt es Brand-
anschläge gegen Büros der Opposition im ganzen Land.
Offensichtlich wollen Kräfte Gewalt erzeugen – regie-
rungsnahe Kräfte. Wenn das so weitergeht, kommt es
zum Bürgerkrieg. Deshalb müssen wir alle Beteiligten
an den Verhandlungstisch zurückbringen, und diese
müssen ernsthaft verhandeln. Um das zu erreichen, müs-
sen wir den Druck auf das Regime weiter erhöhen. Sank-
tionen, vor allem gegen die Oligarchen im Hintergrund,
müssen greifen, können womöglich das entscheidende
Quäntchen ausmachen, damit sich nun etwas tut und wir
eine weitere Eskalation verhindern.

Die nächsten Schritte für eine bessere Zukunft der
Ukraine müssen sein: ernsthafte Verhandlungen mit allen
Beteiligten, eine Übergangsregierung ohne Janukowitsch,
Neuwahlen. Es muss auch verhindert werden, dass die-
ses Land weiter gespalten wird. Die Oligarchen müssen
entmachtet und Korruption muss bekämpft werden. Hier
wollen wir und hier müssen wir der Ukraine helfen.

Den vielen mutigen Menschen, die aktuell für Frie-
den, Freiheit und Demokratie in der Ukraine kämpfen,
sollten wir von hier aus zurufen, dass sie durchhalten
sollen, so friedlich wie möglich. Gerade wir Deutschen
wissen, dass sich dieser Mut lohnen kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801703200

Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin,

Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801703300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist nicht leicht, hier zu reden. Im Internet
ist von sieben Toten die Rede, die allein heute früh in
Kiew zu beklagen sind. Es ist auch deswegen nicht
leicht, weil man nicht weiß, wie es weitergeht, wenn die
Mission des Weimarer Dreiecks, so wie es jetzt aussieht,
erfolglos ist und die Minister wieder abreisen müssen.
Es ist auch nicht leicht, vor dem Hintergrund der Ereig-
nisse der Linkspartei heute zuzuhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe Angst vor dem, was passiert. Ich habe Angst
davor, dass es eine Lage geben könnte, in der Stabilität
nicht schnell wiederherzustellen ist. Wer die Verantwor-
tung dafür trägt, kann man klar benennen. Die Verant-
wortung zeigt sich auch darin, dass spätestens mit dem
Einsatz zur Räumung des Maidan die Legitimität von
Wiktor Janukowitsch in der Ukraine nicht mehr die ist,
die sie vor drei Tagen noch war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Glauben Sie wirklich, wenn Sie hier von Stabilität reden,
dass man mit diesem Präsidenten noch in der Lage sein
wird, Stabilität in der Ukraine wiederherzustellen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)






Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass heute
Berlin, Budapest, Posen, Stettin, Danzig, Leipzig und
Vilnius auf Kiew schauen. Ich glaube, dass viele Men-
schen, die die Ereignisse in Zentraleuropa im 20. Jahr-
hundert miterlebt haben, heute auf Kiew schauen. Ich
denke – mit Verlaub –, dass Ihre Einlassungen hier, so
sehr auch ich Herrn Liebich beispielsweise schätze, da-
mit zu erklären sind, aus welcher Tradition Ihre Partei
kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Ich möchte aber auch sagen: Die Ukraine hat ein
Recht darauf, auch von der deutschen Außenpolitik zu-
erst aus ihrer eigenen Perspektive betrachtet zu werden,
mit ihren eigenen Interessen und mit ihrer eigenen Situa-
tion wahrgenommen zu werden. Die Ukraine hat ein
Recht darauf, dass die deutsche Außenpolitik sagt: Wir
stehen zu den Menschen, die sich für dieses Land einset-
zen. Wir stehen zu denen, die seit Monaten friedlich auf
dem Maidan bei klirrender Kälte für Demokratie, für
Freiheit und auch für den Nationalstaat gekämpft ha-
ben. – Das müssen sich auch der deutsche Außenminis-
ter und die deutsche Kanzlerin zu sagen trauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich die Äußerungen der letzten Stunden
und Tage anschaut – des polnischen Ministerpräsiden-
ten, des Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, des
schwedischen Außenministers, der konservativen litaui-
schen Präsidentin und auch Obamas –, glaube ich, dass
hier vielleicht früher mehr Klarheit und Deutlichkeit gut
gewesen wären.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Befehl zur Räumung des Maidan ist, wie ich
glaube, die Legitimität von Wiktor Janukowitsch nicht
mehr gegeben. Mit der Entscheidung, den Maidan zu
räumen, hat sich der Charakter des Vorgehens der ukrai-
nischen Regierung verändert. Seitdem handelt es sich
eher um eine Niederschlagung denn um einen Teil einer
politischen Lösung. Wenn ich daran denke, wie meine
Freunde in Lemberg empfinden, glaube ich, dass es nicht
einfach möglich sein wird, Stabilität mit einer Rückkehr
zum vorherigen Status wiederherzustellen. Deswegen
gehört es doch zur Wahrheit dazu – das ist auch ein Bei-
trag zur Lösung der Situation –, zu sagen: Die Verant-
wortung für diese Desintegration des Staates Ukraine,
die viele schreckliche Bilder erst möglich macht – Bil-
der, die keiner von uns gutheißt, auch wenn Sie uns das
unterstellen –, trägt das Regime, da es diese Desintegra-
tion erst durch das Aussitzen und die fehlende Bereit-
schaft, zu einer politischen Lösung beizutragen, herbei-
geführt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herrn Janukowitsch muss doch klar sein, wenn er
denn noch derjenige ist, der dort das Sagen hat, dass er
diese Legitimität nicht wieder herbeiführen kann, indem
er einzig und allein eine Anlehnung an den Kreml ver-
sucht. Ich glaube sogar, vor dem Hintergrund des Ein-
flusses, den der Kreml natürlich in der Ukraine geltend
gemacht hat, wie wir in den letzten Monaten erleben
konnten, ist es notwendig, dass auch die Europäische
Union Einfluss geltend macht. Ich teile in dieser Hin-
sicht die Einschätzung, dass die Europäische Union nicht
ein Mittler ist, der sozusagen neutral verhandeln kann.
Aber Russland ist auch nicht ein Mittler, der neutral ver-
handeln kann. Was Sie letztlich vorschlagen, ist,


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: OSZE haben wir vorgeschlagen!)


dass der russische Einfluss in der Ukraine bestehen blei-
ben soll, sich aber die Europäische Union und der Wes-
ten schön zurückhalten sollen. Das ist keine Lösung für
die Ukraine.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist nicht richtig! Wir haben OSZE vorgeschlagen! Sie müssen auch zuhören! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Seien Sie mal ruhig! Sie haben allen Grund, ruhig zu sein! – Gegenruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das entscheiden Sie nicht!)


Ich glaube, wir dürfen in dieser Situation eines nicht
vergessen: Wer glaubt, dass die Ukraine jetzt wie im
20. Jahrhundert in einer Art Glacis sei, wo die Einflüsse
der Nachbarn durch klare Grenzen eindeutig aufgeteilt
werden könnten, der bewegt sich in der Logik des
20. Jahrhunderts. Das ist nicht meine Sicht auf die
Ukraine, aber auch nicht auf Russland oder auf uns.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801703400

Herr Kollege Sarrazin.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801703500

Ich komme zum Schluss. – Ich glaube, wir müssen

deutlich machen, dass die Reaktion darauf, dass diese
Region im 20. Jahrhundert unter den schwersten Verbre-
chen gelitten hat, weil sie immer Objekt der Machtpoli-
tik ihrer Nachbarn war, sein muss, dass wir dafür sorgen,
dass die Menschen in der Ukraine selber entscheiden
können. Den friedlichen Demonstranten, die seit Mona-
ten auf dem Maidan für dieses Ziel einstehen, möchte
ich von dieser Stelle aus sagen: Djakuju!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801703600

Karl-Georg Wellmann ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1801703700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ge-

walt in Kiew ist furchtbar. Eben wird gemeldet, dass vor





Karl-Georg Wellmann


(A) (C)



(D)(B)

dem Hotel „Ukraine“ die Leichen von sieben erschosse-
nen Demonstranten liegen. Ich fürchte, das ist heute
noch nicht das Ende. Wenn die Gespräche der Außen-
minister erfolglos verlaufen sind, dann wird das weiter-
gehen.

Gewalt ist keine Lösung und mit den Anforderungen
der modernen Welt nicht kompatibel. Wir müssen
Janukowitsch sagen: Diese Form von Gewalt bringt dich
politisch ins europäische Mittelalter zurück. Es ist aus-
weglos.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Er muss wissen: Die Welt schaut auf Kiew.

Ich möchte Sie mit einem sehr skandalösen Vorgang
vertraut machen. Wir informieren uns vielfach über
Webcams. Viele dieser Webcams sind in Deutschland
gesperrt mit Hinweis darauf, dass die GEMA keine
Rechte zur Nutzung erteilt habe. Ich habe mit der
GEMA gesprochen. Sie sagt: Es ist nicht die GEMA,
sondern es ist Google, das über YouTube diese Webcams
sperrt. – Die Webcams sind ein ganz wichtiges Instru-
ment für Transparenz. Sie sind wichtig dafür, dass sich
die Welt informieren kann, dass sie zusehen kann, was
dort passiert. Es kann nicht sein, dass die Amerikaner,
die uns sonst so gerne über Menschenrechte belehren,
nicht dafür sorgen, dass diese Webcams freigeschaltet
werden.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Ich kann nur an die Bundesregierung appellieren, dass
sie bei der amerikanischen Regierung interveniert, dass
diese Webcams freigeschaltet werden. Das ist ganz
wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wahr ist: Allein Sanktio-
nen oder allein die Absetzung eines Präsidenten sind
noch kein Konzept. Wir brauchen für die Ukraine ein
umfassendes politisches und ökonomisches Konzept.
Wahr ist auch: Wir werden nicht gegen Russland eine
nachhaltige Lösung für die Ukraine zustande bringen.
Die Russen haben allerdings kein erkennbares eigenes
Konzept. Es reicht nicht, sich immer nur gegen eine ima-
ginäre Verschwörung zu wenden und uns zu sagen:
Mischt euch nicht ein! – Vielmehr müssen sie selbst Ver-
antwortung wahrnehmen. Wenn Russland Teil des gro-
ßen Europas sein will und mitreden will, muss es Verant-
wortung übernehmen und ein Konzept, wie es in der
Ukraine weitergeht, mit uns besprechen; mit uns heißt:
mit der EU, mit Deutschland, Polen, Frankreich und den
anderen Ländern. Wir müssen Russland sagen: Wartet
nicht, bis die ganze Ukraine in Flammen steht.

Der Konflikt ist ja auch nicht im Sinne Russlands. Es
würde ein gespaltenes Land übernehmen. Es müsste al-
les bezahlen; das tut es im Moment schon. Es gäbe keine
eigene politische Struktur. Und es hätte weiter mit dieser
ukrainischen Regierung zu tun. Auch die Politik Russ-
lands ist ausweglos. Wir müssen Russland sagen:
Kommt endlich an den Verhandlungstisch und sprecht
mit uns, mit der EU, über konstruktive Konzepte.
Die Krise hat vor allem politische Ursachen; das hat
Norbert Röttgen schon gesagt. Wir brauchen endlich ei-
nen vertrauenswürdigen Ministerpräsidenten. Wir brau-
chen ein nationales Rettungsprogramm für die Ukraine.
Wir brauchen deeskalierende Schritte. Janukowitsch
muss dafür sorgen, dass die Spezialeinheit „Berkut“ zu-
rück in die Kasernen kommt und wir nach und nach de-
eskalierende Schritte in Kiew durchführen können,


(Beifall des Abg. Niels Annen [SPD])


am Ende auch die Räumung von Gebäuden und Barrika-
den.

Das Ziel aber ist der Verfassungsdialog. In der
Ukraine muss ein öffentlicher Verfassungsdialog geführt
werden, durch den die Defizite, die im Moment in der
Verfassung bestehen, behoben werden. Dieser Verfas-
sungsdialog muss demokratische Standards herbeifüh-
ren, mit denen die Ukraine eine echte Zukunftsperspek-
tive in Europa hat.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801703800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1801703900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Nachrichten und die Bilder der letzten Tage, ja der letz-
ten Minuten, machen zutiefst betroffen. Reuters meldet
im Minutentakt weitere Opfer – Verletzte und Tote. Sol-
che Bilder erinnern mich persönlich schmerzlich an
Selbsterlebtes, und zwar an die Bilder aus Rumänien im
Winter 1989.

Es muss sich nicht alles wiederholen, wenn Menschen
ihr Schicksal im Kampf um Demokratie und Selbstbe-
stimmung in die eigenen Hände nehmen. Wir haben es
hier mit einer schwerwiegenden Krise mitten in Europa
zu tun, die sich inzwischen zu einem Bürgerkrieg entwi-
ckelt hat. Gestern erreichten uns erste Meldungen da-
rüber, dass sich das Militär in der Ukraine auf eine Inter-
vention vorbereite. Die humanitäre Lage ist prekär:
Schulen sind geschlossen, der Nahverkehr steht still, die
Krankenhäuser sind übervoll. Der polnische Ukraine-
Vermittler Aleksander Kwasniewski spricht bereits von
einem ukrainischen Tiananmen.

Die tragische Zuspitzung der Lage in der Ukraine
kann ich nur auf ein gezieltes unverantwortliches Vorge-
hen der aktuellen Regierung zurückführen. Präsident
Janukowitsch gibt sich uneinsichtig und spricht von ei-
nem Staatsstreich. Zum Schein geht er noch am Wochen-
ende auf die Opposition zu, um dann gezielt und geplant,
also gar nicht kurzfristig – das wurde heute schon darge-
stellt –, volle Härte zu zeigen. Von Terrorabwehr ist
plötzlich die Rede. Heute Nacht gab es nun ein Gewalt-
verzichtsabkommen. Die aktuellen Nachrichten zeigen
allerdings, dass es nicht hält. Als verlässlicher Verhand-





Dr. Bernd Fabritius


(A) (C)



(D)(B)

lungspartner hat sich Janukowitsch in den letzten Mona-
ten wahrlich nicht erwiesen – weder im Verhältnis zur
Europäischen Union noch zur Opposition im eigenen
Lande.

Medien sprechen zwar von Provokationen, aber auch
davon, dass die Demonstranten auf dem Maidan viel-
leicht „gezielte Störenfriede“ selbst im Griff hatten.
Trotzdem räumt die Regierung diese Wirkungsplattform
einer nach Demokratie schreienden Menschenmenge,
steckt deren Zelte in Brand und schießt wild um sich.
Mit Demokratie, mit Verständnis für die eigenen Bürger
oder auch nur dem Wohl des eigenen Landes hat das we-
nig zu tun. Ich muss schon sagen: Dass man das in die-
sem Hohen Hause mit Rosa-Luxemburg-Zitaten hinter-
legt, kann ich nicht verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Die Ukraine, meine Damen und Herren, scheint von
Russland vor die Wahl gestellt zu werden, sich zwischen
der eurasischen Zollunion Putins und einer Annäherung
an die Europäische Union entscheiden zu müssen. Nicht
anders können die Maßnahmen verstanden werden, die
letztlich zum Aussetzen der Assoziierungsverhandlun-
gen und zum Scheitern des Gipfels der Östlichen Part-
nerschaft in Vilnius geführt haben. Es kann aber auch
nicht um ein Entweder-oder im Sinne Russlands gehen.
Für die Ukraine erscheint dieser Konflikt schier unlös-
bar, wenn nicht alle Akteure einschließlich Russlands an
einer friedlichen Lösung mitwirken.

Die Ukraine und Russland sind eng verbunden. Kiew
ist als altes Zentrum des ostslawischen Großreichs, der
Kiewer Rus im 9. Jahrhundert, gleichsam die Wiege und
Keimzelle russischer Staatlichkeit und daher Russland
historisch nicht gleichgültig. Die Ukraine ist das wich-
tigste Bruderland. Sie ist damit Ausgangspunkt und als
ehemalige Sowjetrepublik Wegbegleiter der gemeinsa-
men Geschichte. Sie ist aber auch ein Land mit einer zu-
tiefst christlichen und in weiten Teilen proeuropäisch
orientierten Bevölkerung, das einen europaorientierten
sicherheitspolitischen Kurs und gute Kooperation mit
der NATO pflegt.

Es muss daher eine ukrainische Lösung im Sinne ei-
nes Sowohl-als-auch – selbstverständlich mit der von
den Menschen in der Ukraine gewünschten deutlichen
Annäherung an die Europäische Union – geben, die von
einer breiten demokratischen Mehrheit getragen würde.
Wie können wir dazu beitragen? Deutschland sollte ge-
meinsam mit den europäischen Partnern über bewährte
Institutionen wie die OSZE und den Europarat den Kon-
flikt positiv beeinflussen und hierbei auch Russland in
die Pflicht nehmen. Sanktionen, die vornehmlich – das
hat Herr Kollege Hahn zutreffend aufgezeigt – Regie-
rung und Oligarchen und nicht etwa die Menschen in der
Ukraine treffen sollen, sind dringend angezeigt. Vor al-
lem vom heutigen Treffen der EU-Außenminister er-
hoffe ich mir ein klares Signal.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind schon wieder abgereist! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Die sind noch da!)


Als zusätzliche Chance sehe ich die Einbindung unserer
polnischen Freunde, die wir darin bestärken sollten, zur
deutlichen Mäßigung in ihren Nachbarländern beizutra-
gen.

Unsere Außenminister, Frau Kollegin, sind nicht ab-
gereist. N-tv berichtete gerade, dass sie noch miteinan-
der sprechen. Nehmen Sie das als Zeichen einer hitzigen
Situation. Wir brauchen vor allem eine schnelle und
nachhaltige Lösung. Es hat oberste Priorität, weitere Op-
fer, egal auf welcher Seite, zu verhindern.

An Zuständen wie in Syrien kann in Europa niemand
Interesse haben: weder Russland noch die Ukraine und
schon gar nicht die Europäische Union.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801704000

Herr Kollege Fabritius, das war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratu-
liere, verbunden mit allen guten Wünschen für die wei-
tere Arbeit.


(Beifall)


Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Bekräftigung der Empfehlungen des Ab-
schlussberichts des 2. Untersuchungsaus-
schusses der 17. Wahlperiode „Terrorgruppe
Nationalsozialistischer Untergrund“

Drucksache 18/558

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Clemens Binninger für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1801704100

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Dass wir heute erneut über Ergebnisse eines Untersu-
chungsausschusses debattieren und den dazu vorliegenden
Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit einvernehmlich be-
schließen werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Dass
die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses ungekürzt
in den Koalitionsvertrag übernommen wurden, ist auch
keine Selbstverständlichkeit. Dafür bedanke ich mich





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)

noch einmal bei den Parteivorsitzenden; dies war ein
wichtiges Zeichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass wir uns heute als 18. Deutscher Bundestag noch
einmal mit den Ergebnissen befassen und die Empfeh-
lungen beschließen und damit ein Zeichen für deren Um-
setzung geben, ist ein ebenso wichtiger Punkt.

Heute soll es nicht darum gehen, die Fehleranalyse
noch einmal fortzusetzen. Heute soll der Startpunkt sein
für die Umsetzung unserer Empfehlungen.

Eines will ich aber vorwegschicken – das müssen wir
uns immer wieder in Erinnerung rufen –: Dass es einem
Verbrechertrio gelungen ist, über mehr als zehn Jahre
hinweg in Deutschland 10 Morde, 2 Sprengstoff-
anschläge und 14 Banküberfälle zu begehen, ohne dass
überhaupt jemand den Zusammenhang erkannt hat, ohne
dass jemand diesem Trio auch nur ansatzweise auf die
Spur gekommen wäre, war nicht nur eine Niederlage für
die Sicherheitsbehörden. Es war mehr: Es war eine Nie-
derlage für unsere Gesellschaft. Dies darf sich nicht wie-
derholen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir uns die Ursachen noch einmal vor Augen
halten, dann kann man sie sehr komprimiert in fünf
Punkten zusammenfassen:

Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staats-
anwaltschaften bei den Delikten, die die Ländergrenzen
überschritten haben, war nicht optimal. Die föderale Si-
cherheitsarchitektur wurde sehr schnell an ihre Grenzen
geführt.

Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfas-
sungsschutz war schlecht; man muss das in dieser Deut-
lichkeit sagen. Die Informationsweitergabe geschah nur
bruchstückhaft, zu spät oder gar nicht.

Das frühe Festlegen auf eine Ermittlungsrichtung bei
diesen Delikten – es muss sich um organisierte Krimina-
lität handeln – und daran über fast zehn Jahre festzuhal-
ten, war ein weiteres Problem.

Der teilweise problembeladene Umgang mit den Op-
fern und den Familien der Opfer, der diese fast noch ein-
mal zu Opfern gemacht hätte, war ein großer Kritikpunkt
und darf sich nicht wiederholen. Wer Opfer eines schwe-
ren Verbrechens wird, darf nicht durch die Ermittlungen
noch einmal zum Opfer werden.


(Beifall im ganzen Hause)


Auch der Einsatz der V-Leute war problematisch. Ich
sage gleich dazu: Wir können auf dieses Instrument
nicht verzichten. Aber so, wie dieser Einsatz im Bereich
des Rechtsextremismus in diesen 15 Jahren ablief, stan-
den Aufwand und Risiko, das man dabei eingeht, und
Nutzen in keinem Verhältnis. Er hat nicht dazu beigetra-
gen, diese Serie zu stoppen oder sie gar aufzuklären.
Auch das ist eines der Probleme, die wir klar benennen
müssen, damit so etwas nicht noch einmal vorkommt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Welche Empfehlungen sprechen wir aus? In dem An-
trag, der uns heute hier vorliegt, sind insgesamt 50 ge-
nannt. Ich will nur auf ein paar wenige eingehen; ich
gehe davon aus, dass die Kollegen nachher ganz gezielt
bestimmte Punkte ansprechen werden.

Wir sagen zum einen: Wir wollen an der föderalen Si-
cherheitsarchitektur festhalten. Aber wenn Ermittlungen
über Ländergrenzen hinweg, in mehreren Bundeslän-
dern, geführt werden müssen, dann kann es nicht sein,
dass fünf Polizeien, dass fünf Staatsanwaltschaften pa-
rallel zuständig sind und man am Ende ein Kunstgebilde
erfinden muss, um die Ermittlungen abzustimmen. In
solchen Fällen brauchen wir aufseiten der Polizei wie
aufseiten der Justiz eine Stelle, die federführend ist und
auch das Sagen hat; das ist eine der entscheidenden Ver-
änderungen, die wir empfehlen. Wenn das umgesetzt
wird, dann werden die Ermittlungen hier besser voran-
kommen.

Ein weiterer Punkt. Wir brauchen einen besseren In-
formationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungs-
schutz unter Beachtung des Trennungsgebots. Ich weiß,
dass das nicht einfach ist. Beim Verfassungsschutz un-
terliegen viele Informationen – nahezu alle – der Ge-
heimhaltung. Aber es gibt Möglichkeiten, und bei Mord-
ermittlungen, bei Kapitalverbrechen wäre dies auch in
der Vergangenheit schön möglich gewesen.

Der Austausch der Informationen muss hier besser
werden. Ich glaube, dass wir mit der Einrichtung der
Rechtsextremismusdatei, die wir schon in der letzten Le-
gislaturperiode beschlossen haben, einen wichtigen
Schritt gemacht haben. Das ist eine der Empfehlungen,
die wir geben. Die Sicherheitsbehörden in unserem
Land, die den Aufrag haben, gemeinsam für die Sicher-
heit der Menschen in diesem Land zu sorgen, müssen
vom Gesetzgeber in die Lage versetzt werden, zusam-
menzuarbeiten und Informationen auszutauschen. Auch
das ist ein wichtiger Punkt, den wir umsetzen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe es gesagt: Wir wollen das Instrument der
V-Leute nicht abschaffen. Es gibt Szenen und Phäno-
menbereiche, die so abgeschottet sind, dass man ohne
dieses Instrument gar keine Informationen bekommen
würde. Dazu gehört aber auch: V-Leute sind keine Mit-
arbeiter von Sicherheitsbehörden. Es sind Angehörige
einer kriminellen oder extremistischen Szene, und das
bleiben sie auch. Sie sind nur gegen Geld bereit, mit den
Behörden zusammenzuarbeiten. Deshalb braucht es hier
klare Regeln, mit wem man zusammenarbeitet und mit
wem nicht. Wenn man, wie hier geschehen, V-Leute aus-
wählt, die wegen versuchten Mordes verurteilt sind und
sich dann selber als V-Mann bei einer Verfassungs-
schutzbehörde andienen, und über viele Jahre führt, dann
überschreitet man im Rechtsstaat, wie ich finde, eine
rote Linie. Auch das darf sich nicht wiederholen.





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE])


Wir müssen aber auch Empfehlungen aussprechen,
die über diesen Bereich hinausgehen. Wir alle haben
diese Mordserie nicht erkannt, auch wir Fachpolitiker
nicht. Ich gehöre seit 2002 dem Deutschen Bundestag
an, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns
im Innenausschuss vor dem Auffliegen des NSU jemals
ausführlich mit dieser Mordserie befasst hätten. Auch
wir haben es also nicht gesehen. Auch viele Journalisten,
die vom Fach sind, haben diesen Zusammenhang nicht
gesehen. Auch über den zu Recht zum Unwort des Jah-
res gewählten Begriff „Döner-Morde“ hat sich interes-
santerweise niemand empört, bevor der NSU aufgeflo-
gen ist – dann zu Recht, aber vielleicht zu spät. Insofern
gilt, dass die Empfehlungen nicht nur an die Sicherheits-
behörden gehen; sie gehen auch an uns, an die verant-
wortlichen Parlamentarier.

Dies betrifft auch ein Feld, mit dem wir uns gerade
befassen, auch ich in meiner neuen Funktion als Vorsit-
zender des Parlamentarischen Kontrollgremiums: Auch
die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste
muss reformiert werden, damit sie effektiver, zielge-
nauer und ergebnisorientierter durchgeführt werden
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An wen richten sich diese Empfehlungen? Sie richten
sich nicht nur an den Bundesinnenminister. Sie richten
sich an den Bereich der Polizei, aber auch an den Be-
reich der Staatsanwaltschaften. Insofern ist auch der
Bundesjustizminister gefordert. Ich finde es gut, Herr
Maas, dass Sie hier heute kurz reden. Vielleicht durch-
brechen Sie da die Tradition Ihrer Vorgängerin, die zwar
gerne Vorschläge eingebracht hat, vorwiegend für andere
Ressorts, aber hier eher selten gesprochen hat. Sollte es
zu einer solchen Umkehr kommen, dann ist das ein guter
Start, um zu Ergebnissen zu kommen.

Aber nicht nur die Bundesbehörden, sondern auch die
Behörden der Länder sind in hohem Maße betroffen.
Deshalb müssen wir darauf setzen, dass auch die Länder
unsere Empfehlungen beherzigen. Die Bundesratsbank
ist heute zwar nur überschaubar gefüllt, trotzdem gilt die
Botschaft: Ohne Reformen bei den Sicherheitsbehörden
der Länder wird sich nur wenig verbessern.

Wir haben es immer so gehandhabt, dass wir partei-
übergreifend dort Kritik geäußert haben, wo sie notwen-
dig war. Nun muss ich Kritik an der grün-roten Landes-
regierung in Baden-Württemberg üben. Ich habe nicht
den Eindruck, dass man den bestehenden Reformbedarf
dort wirklich erkannt hat. Ich will das begründen.

Innenminister Gall hat vor einigen Tagen seinen Be-
richt zur sogenannten Ermittlungsgruppe Umfeld vorge-
stellt. Es ging darum, Bezüge des NSU nach Baden-
Württemberg aufzuklären. Ich will gleich hinzufügen:
Ich kritisiere nicht die Arbeit der Beamten dieser Ermitt-
lungsgruppe, die mit hohem Einsatz und trotz begrenzter
Möglichkeiten das Beste daraus gemacht haben.
In dem Bericht wird festgestellt – und das lässt auf-
horchen –, dass von jenen Personen, die Kontakt zum
NSU-Trio oder zu dessen Unterstützern hatten, 52 Per-
sonen – ich wiederhole: 52 Personen – Bezüge nach Ba-
den-Württemberg haben. In keinem anderen Bundesland
haben wir eine solche Häufung feststellen können.
Schon allein aufgrund dieser Feststellung finde ich die
Ergebnisse, die Herr Gall präsentiert, sehr mutig. Er legt
sich sehr fest in Bezug darauf, was es alles angeblich
nicht gibt. Es ist wenig Selbstkritik zu erkennen.

Die Ergebnisse der EG Umfeld machen nur einen
kleineren Teil des Berichts aus. Auf über 40, 50 Seiten
setzt sich der Bericht mit den Ergebnissen des Untersu-
chungsausschusses auseinander, relativiert diese, weist
darauf hin, dass doch alles immer gut war und gut lief.

Aber die Krönung für mich war – ich sage das, damit
Sie sehen, warum ich ein bisschen enttäuscht und verär-
gert bin –: Auf Seite 102 des Berichtes von Herrn Gall
– insgesamt umfasst er 150 Seiten – geht es um die Rolle
des Gründers des Ku-Klux-Klans in Baden-Württem-
berg. Man muss bedenken, welche Rolle dieser Mensch
sonst noch gespielt hat. Beim Verfassen des Berichtes
war man sich der Sensibilität dieses Themas offenbar
nicht bewusst. Man zitiert ernsthaft den Ku-Klux-Klan-
Gründer und führt aus, dass auch er seine Rolle immer
bestritten hat. Unterschwellig heißt das doch: Dann wird
es wohl so gewesen sein. – Was ist das für ein Bericht
zur Aufarbeitung der Vorgänge, wenn trotz der gewon-
nenen Erkenntnisse die Aussage des Ku-Klux-Klan-
Gründers zitiert wird? Hier ist offenkundig mehr Aufklä-
rung gefragt und nicht weniger.


(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir waren kollegial immer eng beieinander. Liebe
Kollegen der beiden angesprochenen Fraktionen, viel-
leicht haben Sie die Möglichkeit, darauf hinzuwirken,
dass das eine oder andere noch nachgearbeitet wird. Ich
wäre Ihnen wirklich sehr verbunden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu kann der Bundesinnenminister beitragen!)


Heute gilt es zu betonen, dass wir uns im Parlament
einig darüber sind, was zu tun ist. Heute setzen wir den
Startpunkt für die Umsetzung der Empfehlungen. Nicht
bei allen Empfehlungen wird uns dies von heute auf
morgen gelingen. Aber wir müssen dort Veränderungen
vornehmen, wo sie dringend notwendig sind. Wir alle
sind hier gefragt: der Bund, die Länder, aber auch wir im
Parlament.

Von dieser Debatte sollte das Signal ausgehen, dass
Menschen, egal woher sie kommen, in unserem Land si-
cher und frei von Angst vor Verbrechen leben können,
dass sie nicht fürchten müssen, dass sie aufgrund ihrer
Herkunft oder Religion Opfer einer Straftat werden, und
dass wir als Parlament alles dafür tun, dass die Bedin-
gungen dafür geschaffen werden. Das ist ein Verspre-
chen, das wir heute geben. An ihm müssen wir uns mes-
sen lassen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Herzlichen Dank.





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801704200

Die Kollegin Petra Pau erhält nun das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801704300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein

Nazitrio namens NSU, Nationalsozialistischer Unter-
grund, war 13 Jahre lang raubend und mordend durch
Deutschland gezogen. Nach dem 4. November 2011 flog
es auf. Das allgemeine Entsetzen war groß, auch über die
Ignoranz und Arroganz in Sicherheitsbehörden. Was
lange ausgeblendet wurde, weil nicht sein sollte, was
nicht sein darf, wurde manifest: Es gibt tödlichen
Rechtsterrorismus in Deutschland, und es gibt Opfer –
ebenfalls viel mehr, als bis dato eingestanden wurde. Vor
allem ihnen gilt unser erstes Augenmerk.

Der damalige Bundestag einigte sich fraktionsüber-
greifend auf einen Untersuchungsausschuss. Ich arbei-
tete für die Fraktion Die Linke mit. Am 2. September
2013 – der Kollege Binninger hat das eben schon vor-
getragen – hatte derselbe Untersuchungsausschuss,
wiederum fraktionsübergreifend, einen Abschlussbe-
richt vorgelegt. Die Linke hatte ihm zugestimmt. Der
Abschlussbericht enthält zugleich unsere weiter gehen-
den und auch abweichenden Positionen.

Grundsätzlich sind das vor allem drei:

Erstens halten wir die Ämter für Verfassungsschutz
für nicht kontrollierbar und deshalb auch nicht für refor-
mierbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie waren Teil des NSU-Desasters. Wir sind der Auffas-
sung, sie sollten deshalb als Geheimdienste aufgelöst
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens ist die staatliche Unterstützung für gesell-
schaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus, Ras-
sismus und Antisemitismus völlig unzureichend. Wir
brauchen folglich ein neues, ein anderes Fördersystem.

Drittens muss der grassierende Rassismus in der Ge-
sellschaft und institutionell endlich als akutes Problem
anerkannt und politisch bekämpft werden. Ignoranz hilft
da niemandem.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Militanter Rechtsextremismus hat außerdem eine in-
ternationale Dimension, auch für eine soziale und demo-
kratische Europäische Union. Nationalismus und Rassis-
mus töten die europäische Idee, und das will die Linke
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Mit dem Schlussbericht des Untersuchungsausschus-
ses waren wir uns allesamt einig: Keiner der NSU-
Morde und keiner der Anschläge ist schlüssig geklärt. Es
bleiben viele Fragen. Wir haben ebenso beklagt, dass der
Aufklärungswille in den meisten Bundesländern und
Landesparlamenten zu wünschen übrig lässt. Es wird
blockiert, übrigens ganz egal welche Parteifarben gerade
regieren. Ich hatte zwar erwartet, dass Innenminister und
auch Sicherheitsbehörden ein bisschen mauern. Ich ge-
stehe – das diskutiere ich auch mit meinen Kolleginnen
und Kollegen in den Ländern –: Dass aber Parlamenta-
rier kneifen, finde ich schlimmer.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun komme ich zu der Frage: Was ist seit dem Ab-
schlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des
Bundestages wahrnehmbar passiert? Dazu drei Bei-
spiele:

Erstens wurde die sogenannte Extremismusklausel,
mit der Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus
und Antisemitismus von Staats wegen kriminalisiert
wurden, abgeschwächt. Das ist ein Anfang.

Zweitens hat sich der Kölner Polizeipräsident bei den
Betroffenen des NSU-Bombenanschlages anno 2004 in
der Keupstraße dafür entschuldigt, dass sie im Zentrum
der Ermittlungen standen. Ich sage: endlich!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens. Die Bundesregierung hat seit 1990 knapp
60 Tote rechtsextremer Gewalt eingeräumt. Seriöse Re-
cherchen registrieren 150 bis 180 Tote. Die Diskrepanz
soll nun überprüft werden. Das ist überfällig.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles ist zu
wenig. Niemand, keine Regierung, keine Behörde – we-
der im Bund noch in den Ländern –, war daran gehin-
dert, die Schlussfolgerungen, die Empfehlungen aus dem
Bericht des Untersuchungsausschusses umzusetzen.
Dies geschah bislang kaum. Das verlängert das Desaster.

Die Todesspur gewalttätiger Nazis geht übrigens quer
durch die Bundesrepublik, West und Ost, Nord und Süd,
und ist auch nicht auf das NSU-Netzwerk reduzierbar. In
Sachsen-Anhalt begann diese Woche ein Prozess gegen
gewalttätige Nazis. Sie hatten 2013 in Bernburg einen
Imbiss überfallen, den Betreiber rassistisch beschimpft
und halb totgeschlagen. Es waren Wiederholungstäter,
vorbestraft und landesweit bekannt. Trotzdem tun sich
Polizei und Justiz schwer damit, überhaupt ein politi-
sches Motiv zu erkennen. Ich könnte ähnliche Fälle aus
den vergangenen Monaten aufzählen: aus Bayern, Ba-
den-Württemberg und immer wieder aus Sachsen. All
das sind ernste Hinweise darauf, dass zu viele die Lek-
tion NSU noch immer nicht gelernt haben, und das muss
sich ändern.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Eine aktuelle Zahl möge die Brisanz des militanten
Rechtsextremismus zusätzlich unterstreichen: Laut einer
Antwort aus dem Bundesinnenministerium wurden in
den Jahren von 2003 bis 2012 mindestens 1 794 An-
griffe registriert, bei denen Nazis Waffen eingesetzt ha-
ben oder damit gedroht haben. Mit anderen Worten: Im
statistischen Schnitt gibt es bundesweit jeden zweiten
Tag eine bewaffnete Attacke durch Rechtsextremisten.
Kurzum: Die Gefahr ist nicht gebannt. Sie ist ungebro-
chen hoch. Auch deshalb dürfen wir das Kapitel NSU
nicht schließen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang: Behauptungen aus Sicher-
heitsbehörden, die ich gelegentlich höre, der Ermitt-
lungsdruck habe die militante Naziszene eingeschüch-
tert, sind schlicht falsch. Im Gegenteil: Die NPD und die
autonome Naziszene machen in Wort und Tat bundes-
weit mobil, vor allem gegen Menschen in Not, gegen
Flüchtlinge und Asylsuchende, wie in den Pogromjahren
1991 und 1992. Daher sollten wir, sollten alle demokra-
tischen Parteien alles vermeiden, was von diesen Nazis
und Rassisten als aufmunternd verstanden werden
könnte.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch deshalb müssen die 50 Schlussfolgerungen aus
dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses end-
lich umgesetzt werden. Das wird im aktuellen Antrag
gefordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es drängt.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801704400

Die Kollegin Eva Högl hat nun das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801704500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sehr gut,
dass wir heute Morgen hier zusammenkommen, um
noch einmal die Empfehlungen des NSU-Untersu-
chungsausschusses mit Nachdruck zu bekräftigen. Ich
bedanke mich bei allen, die hier im Deutschen Bundes-
tag an dieser Debatte teilnehmen, und bei allen, die diese
wichtige Debatte verfolgen.

Herr Präsident, wir setzen damit eine Anregung von
Ihnen um. Denn Sie waren es, der uns am Ende der letz-
ten Legislaturperiode im Kreise der Obleute, die wir uns
bei Ihnen versammelt hatten, empfohlen hat, zu Beginn
der neuen Legislaturperiode, wenn wir dem Deutschen
Bundestag wieder angehören, die Empfehlungen des
NSU-Untersuchungsausschusses noch einmal auf unsere
Tagesordnung zu setzen und damit diesen neuen Deut-
schen Bundestag zu verpflichten, die Empfehlungen des
NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Das ma-
chen wir heute. Es ist ein ganz starkes, gutes und wichti-
ges Signal, dass wir dies verabredet haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Große Koalition hat verabredet – ich begrüße
ganz ausdrücklich, dass uns dies gelungen ist –, alle
Empfehlungen des Untersuchungsausschusses umzuset-
zen. Dort, wo der Bund betroffen ist, werden wir das zü-
gig und engagiert machen. Dort, wo die Länder betroffen
sind – das sind zahlreiche Empfehlungen –, werden wir
das in einem konstruktiven Dialog mit den Bundeslän-
dern – wir können ihnen nichts vorschreiben, aber wir
können Dinge anregen – gemeinsam auf den Weg brin-
gen.

Es sind mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen,
seit wir den NSU und die fürchterlichen Zusammen-
hänge entdeckt haben. Es ist in diesen zwei Jahren schon
einiges geschehen; das ist gut. Es bleibt aber noch ganz
viel zu tun. Darum soll es hier heute in unserer Debatte
gehen.

Ich möchte gleich zu Beginn sagen, dass eines ge-
schafft wurde – dafür sage ich ganz herzlich Danke in
Richtung der Bundesregierung, und zwar der Bundesfa-
milienministerin Manuela Schwesig und dem Bundesin-
nenminister Thomas de Maizière –: Es wurde, quasi als
erste Amtshandlung, gemeinsam die Extremismusklau-
sel abgeschafft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr de Maizière, schütteln Sie nicht mit dem Kopf. Das
war ein starkes Signal. Es ist für alle Verbände und Ini-
tiativen in unserem Land, die sich gegen Rechtsextre-
mismus und für unsere Demokratie engagieren, sehr
wichtig, dass diese Klausel verschwunden ist und durch
eine andere Erklärung ersetzt wurde. Ich begrüße das
ganz ausdrücklich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Bundesländer haben schon einiges auf den
Weg gebracht. Ich nenne nur wenige exemplarisch – nie-
mand möge beleidigt sein, wenn sein Bundesland nicht
genannt wird –: Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen
reformieren den Verfassungsschutz ganz engagiert. Hier
in Berlin steht eine Reform der Polizei auf der Tagesord-
nung.

Ich sage auch etwas zu Baden-Württemberg
– Clemens Binninger hat zu Recht kritisiert, dass die
Aufarbeitung dort etwas schleppend verlaufen ist –: Ge-
rade in Baden-Württemberg haben wir viele Verbindun-
gen gefunden. Es gibt dort eine sehr vernetzte rechts-
extreme Szene. Natürlich hat der Mord an Michèle
Kiesewetter in Heilbronn viele Fragen aufgeworfen, die
weit davon entfernt sind, aufgeklärt zu sein.





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)

Aber ich möchte auch sagen: Ich begrüße ganz aus-
drücklich, dass jetzt beschlossen wurde, dass sich eine
Enquete-Kommission bzw. ein Sonderausschuss des
Landtags – ähnlich einem Untersuchungsausschuss,
wollen wir einmal sagen – die ganzen offenen Fragen
noch einmal vornimmt und sie aufarbeitet. Wir sollten
Baden-Württemberg von dieser Stelle aus auf jeden Fall
dafür danken, dass es in dieser Richtung weitermacht,
und diese Bemühungen ganz tatkräftig unterstützen, da-
mit vielleicht auch dort noch die eine oder andere offen-
gebliebene Frage geklärt werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zwei Themen möchte ich ganz kurz ansprechen: Ver-
fassungsschutz und Polizei. Es ist so, dass wahrschein-
lich – jetzt benutze ich einen Superlativ – am meisten
Vertrauen beim Verfassungsschutz erschüttert wurde.
Auch zwischen den Fraktionen gibt es die größten Un-
terschiede, was den Verfassungsschutz angeht. Der Ver-
fassungsschutz ist also ein wichtiges Thema. Wir als
SPD sagen ganz klar: Wir brauchen einen Verfassungs-
schutz; wir brauchen auch V-Leute.

Aber wir wissen auch – deswegen müssen wir ihn
ganz grundlegend reformieren –: Ein Verfassungsschutz
kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn er das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger hat. Ein Verfassungs-
schutz braucht einen festen Platz in unserer Demokratie.
Ich werbe deshalb von dieser Stelle aus bei allen, die mit
dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten und mit den
Reformen befasst sind, dafür, mehr Kontrolle bzw. parla-
mentarische Kontrolle nicht als Misstrauen zu verstehen,
sondern als richtige Konsequenz aus dem, was wir im
NSU-Untersuchungsausschuss aufgeklärt und herausge-
arbeitet haben, nämlich sich selbst an die Spitze der Be-
wegung zu setzen und den Verfassungsschutz grundle-
gend zu reformieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich werbe von dieser Stelle aus auch ganz ausdrück-
lich bei der Polizei, bei allen, die bei der Polizei arbeiten,
dort Verantwortung tragen und mit der Arbeitsweise der
Polizei befasst und mit den Reformen betraut sind, dafür,
auf unsere Empfehlungen nicht reflexartig nach dem
Motto zu reagieren: Bei uns gibt es keine Vorurteile; bei
uns gibt es keine institutionelle Diskriminierung.

Wir haben partei- und fraktionsübergreifend feststel-
len müssen – das war eine bittere Erkenntnis –: Wenn die
Opfer andere Opfer gewesen wären, wäre anders ermit-
telt worden. Das war, wie gesagt, eine ganz bittere Er-
kenntnis. Deswegen sagen wir gemeinsam – wir drücken
das unterschiedlich aus –: Es gab institutionelle Diskri-
minierung. Sie war in Teilen rassistisch motiviert; man
muss das so deutlich ausdrücken. Ich bitte diejenigen,
die uns kritisieren, weil wir das ihrer Meinung nach
nicht deutlich genug ausdrücken, und sagen: „Das war
institutioneller Rassismus“, uns nicht unter Druck zu set-
zen. Ich bitte die Verantwortlichen bei der Polizei, die
Fehler nicht zu negieren, sondern zu sagen: Ja, es ist et-
was schiefgelaufen. Der Untersuchungsausschuss hat
das herausgearbeitet. Wir müssen alle gemeinsam aus
diesen Fehlern lernen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine allerletzte Bemerkung, meine Damen und Her-
ren. Es darf nie wieder passieren, dass, wie in Hoyers-
werda geschehen, ein junges Paar, das sich aktiv gegen
Rechtsextremismus engagiert, von der Polizei gesagt be-
kommt: Wir können euch nicht schützen; ihr müsst bitte
wegziehen. – Das darf es nie wieder geben in unserem
Land!


(Beifall im ganzen Hause)


Wir müssen die Polizei so stark machen, dass sie alle
Bürgerinnen und Bürger schützen kann. Wir müssen an
der Seite aller Bürgerinnen und Bürger stehen und es alle
gemeinsam als unsere Aufgabe betrachten, uns überall,
an jeder Stelle, zu jedem Zeitpunkt gegen Rechtsextre-
mismus zu engagieren. Deswegen darf der Bericht des
NSU-Untersuchungsausschusses nicht in einer Schub-
lade verschwinden, sondern muss für uns eine Hand-
lungsempfehlung sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801704600

Als nächster Redner hat Christian Ströbele das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße ganz besonders die Vertreterinnen und Ver-
treter der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Mobilen
Beratung für Opfer rechter Gewalt hier im Raume; ich
freue mich, dass Sie unserer Diskussion heute folgen
wollen.


(Beifall im ganzen Hause)


In dieser Debatte geht es um den Bericht des Untersu-
chungsausschusses. Wenn ich mich mit den Vorgängen
um den NSU beschäftige, bin ich noch immer empört
und fassungslos. Ich habe versucht, Erklärungen dafür
zu finden, warum die Sicherheitsbehörden in Deutsch-
land – Verfassungsschutz und Polizei – bundesweit mehr
als zehn Jahre lang, so unendlich lange, so dramatisch
versagt haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt leider!)


– Leider. – Wir haben nicht den einen Grund dafür fest-
stellen können; aber wir haben eine ganze Reihe von
Gründen gefunden, die immer wieder eine Rolle gespielt
haben – ich will einige davon aufzählen –: bürokratische
Ignoranz, so nach dem Motto „Sind wir überhaupt zu-
ständig?“, Inkompetenz, Konkurrenzdenken, Vorurteile,





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

aber auch das Selbstverständnis des Verfassungsschut-
zes: „Wir sind doch nicht zur Unterstützung der Polizei
da! Wir sind doch eine eigene Polizei. Was mischen die
sich hier ein? Wir sind ein eigener Sicherheitsbereich.“

Wir haben auch in Teilen der Sicherheitsbehörden
– nicht überall, aber in Teilen; das muss man so sagen –
institutionellen Rassismus und gruppenbezogene Men-
schenfeindlichkeit gefunden.

Der Fall ist mit dem Aufdecken des skandalösen Ver-
sagens der Sicherheitsbehörden nicht beendet. Gestern
hat mich ein Journalist vom MDR angesprochen – ich
glaube, Sie auch, Herr Binninger –, weil man herausbe-
kommen hat, dass Uwe Böhnhardts Handy drei Wochen
nachdem er untergetaucht war abgehört worden ist. Wir
fragen uns: Warum eigentlich nur für knapp einen Mo-
nat? Über dieses Handy hat sich eine ganze Reihe von
Personen bei ihm gemeldet, die alle zum NSU-Umfeld
gehören; einer von ihnen sitzt inzwischen beim Oberlan-
desgericht München auf der Anklagebank. Diese Maß-
nahme ist dann abgebrochen worden. Am selben Tag, als
sie abgebrochen wurde, sind die Aufnahmen gelöscht
worden. Keiner weiß, warum. Die Aufnahmen sind je-
denfalls nicht ausgewertet worden. Gegen die Personen,
die man identifizieren konnte, ist nichts unternommen
worden. – Da fragt man sich, wie so etwas kommt. In
solchen Situationen fällt es mir schwer, an das Zusam-
mentreffen so vieler Zufälle zu glauben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Wir haben der Öffentlichkeit in Deutschland und ins-
besondere den Angehörigen der Opfer versprochen,
möglichst alles aufzuklären. Wir waren uns beim Verfas-
sen des Untersuchungsausschussberichtes natürlich ei-
nig, dass wir damit nicht alles aufgeklärt haben. Ein Teil
muss jetzt beim Oberlandesgericht München weiter auf-
geklärt werden. Wenn ich solche Sachverhalte erfahre
wie gestern, dann weiß ich, dass auch wir Abgeordnete
weiter aufklären müssen, und das verspreche ich auch
der Öffentlichkeit. Dafür brauchen wir nicht gleich einen
neuen Untersuchungsausschuss, sondern das können wir
im Innenausschuss und müssen wir im Parlamentari-
schen Kontrollgremium tun. Und um diese Aufklärung
müssen sich auch die Bundesregierung und die Länder-
regierungen kümmern. Deshalb sollten wir einfordern,
dass auf der Tagesordnung unserer parlamentarischen
Institutionen regelmäßig Berichte zur Entwicklung des
Rechtsextremismus – vor allen Dingen des gewaltberei-
ten und gewalttätigen Rechtsextremismus – in Deutsch-
land stehen, in denen es um folgende Fragen geht: Was
machen die da? Was machen V-Leute da? Inwieweit sind
V-Leute in solche Taten möglicherweise verwickelt?
Welche V-Leute hat man da überhaupt angestellt?

In den neuesten Veröffentlichungen aus Berlin und
Thüringen tauchen immer neue V-Leute auf, die im Um-
feld des NSU-Trios tätig gewesen sind. Der Verdacht er-
härtet sich, dass sie eine größere Rolle gespielt haben als
nur die, ihren V-Leute-Führern hin und wieder einen
Tipp zu geben. Was haben sie dazu beigetragen, dass
dieses NSU-Trio so lange verborgen bleiben konnte?
Haben sie nicht zumindest bei den Behörden, denen sie
berichtet haben, die Gewissheit gefördert, die gewaltbe-
reite rechtsextreme Szene im Griff zu haben, weil sie
dort ja ihre V-Leute eingesetzt haben? Dabei wurde al-
lerdings übersehen, dass diese nie etwas berichtet haben,
was zur Aufdeckung der Zusammenhänge oder gar zur
Festnahme dieses Trios geführt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist der Einsatz von V-Leuten im rechten Be-
reich nicht zu vertreten. Sie kosten nicht nur viel Geld,
sondern sie schaden auch mehr, als sie nützen, weil sie
eine Sicherheit vortäuschen, die letztlich gar nicht gege-
ben ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen haben in einem Sondervotum eine ganze
Reihe von Punkten aufgelistet, um die sich die Behörden
zusätzlich kümmern müssen. In Bezug auf den Verfas-
sungsschutz sind wir anderer Auffassung als die Mehr-
heit. Das will ich hier jetzt im Einzelnen nicht mehr dar-
legen.

Ich erwarte nun, ein halbes Jahr nach der Vorlage des
Berichtes, vom Bundesinnenminister, dass er uns von
ersten Maßnahmen und auch darüber berichtet, was
im Innenministerium geschehen ist, um solches Versa-
gen in Zukunft zu verhindern. Ich erwarte auch, dass
wir – nicht nur, weil wir es den Angehörigen der Opfer
versprochen haben, sondern auch, weil wir es uns selbst
und unserer Gesellschaft schuldig sind – alles tun, um
aufzuklären und solches Versagen mit solchen entsetzli-
chen Folgen in Zukunft zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801704700

Jetzt hat Herr Bundesinnenminister Dr. de Maizière

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Mordtaten der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer
Untergrund“ bleiben, wie wir gehört haben, für uns alle,
für den Deutschen Bundestag und für die Bundesregie-
rung, Mahnung, Warnung und Auftrag.

Aus Hass und Verachtung haben die Täter das Leben
von zehn Menschen zerstört und noch mehr Menschen-
leben gefährdet. Sie haben unendliches Leid über die Fa-
milien der Opfer gebracht.

Die Täter hatten aber auch zum Ziel, in ganz Deutsch-
land Terror und Unsicherheit zu stiften und den Zusam-
menhalt in unserer Gesellschaft zu erschüttern. Dieser
Zusammenhalt beruht ganz wesentlich auf dem Respekt
vor der Würde des jeweils anderen. So hat es auch Ein-
gang in unsere Verfassung gefunden: Die Würde eines





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

jeden Menschen ist unantastbar. – Das unterstreicht un-
sere Verantwortung.

Viele haben es schon gesagt: Wir müssen alles dafür
tun, dass jede und jeder in unserem Land sicher leben
kann, in dem Vertrauen, Teil einer freien und toleranten
Gesellschaft zu sein, ohne Diskriminierung und ohne
jede Zurücksetzung. Das gilt selbstverständlich auch für
Flüchtlinge und Asylbewerber, unabhängig davon, wel-
che Staatsbürgerschaft sie haben, und sogar unabhängig
davon, ob sie sich hier legal oder illegal aufhalten.


(Beifall im ganzen Hause)


Deshalb ist schon die Verhinderung und Bekämpfung
extremistischer Ideologien und erst recht der daraus er-
wachsenen Straftaten eine der Kernaufgaben der Bun-
desregierung.

Aber nicht nur in den Regierungen, in den Parlamen-
ten und in der Justiz, sondern auch in der Bevölkerung
muss diese Verantwortung tief verankert sein. Die Zivil-
gesellschaft in Deutschland, die Gesellschaft freier Bür-
ger, muss stark und selbstbewusst sein, damit sich Hass
und menschenverachtendes Gedankengut bei uns gar
nicht erst entwickeln und verbreiten können. Es wäre
falsch, diese Aufgabe den Sicherheitsbehörden alleine
zu überlassen. Ich bin überzeugt: Nur wenn wir als Bür-
gergesellschaft und als wehrhafte Demokraten zusam-
menstehen, um Toleranz, Vielfalt und friedliches Zusam-
menleben in unserem Land zu schützen, wird dies eine
nachhaltige Wirkung haben, und zwar nicht nur in Not-
und Krisenzeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Högl hat ein schönes Beispiel aus Hoyerswerda
genannt. Der Schutz von Menschen, die dort leben und
die sich in ihrer Umgebung nicht mehr sicher fühlen,
darf nicht alleine der Polizei überlassen werden, sondern
dies ist eine Aufgabe für die Gesellschaft der Bürgerin-
nen und Bürger von Hoyerswerda, von Sachsen und von
ganz Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung wird aus den Verbrechen der
NSU wichtige Lehren für die Arbeit unserer Sicherheits-
behörden ziehen. Hier sind Fehler offenbar geworden,
die der Untersuchungsausschuss eingehend analysiert
hat. Ich möchte erneut dem Untersuchungsausschuss,
aber auch den Mitarbeitern des Untersuchungsausschus-
ses für ihre fraktionsübergreifende Arbeit herzlich dan-
ken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch dem Vorsitzenden!)


Ich finde es auch großartig, dass bei dieser Debatte die
Fraktionsvorsitzenden fast aller Fraktionen außer der der
Linken da sind.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Dafür ist die Parteivorsitzende da!)


Der Untersuchungsausschuss stellte eine Reihe von
Versäumnissen und Organisationsmängeln bei den Si-
cherheits- und Strafverfolgungsbehörden fest, des Bun-
des und der Länder. Festgestellt – das wurde hier schon
gesagt; ich will es mit meinen Worten formulieren –
wurde auch eine Art Gleichgültigkeit oder ein Mangel an
Empathie mit Opfern und Angehörigen. In diesem Un-
tersuchungsausschuss fiel in diesem Zusammenhang ein
sehr schöner Begriff: eine unzureichende Arbeitskultur.
Wir müssen im Bund und in den Ländern dafür sorgen,
dass künftig Ermittlungen nicht eindimensional geführt
werden, Menschen nicht vorschnell verdächtigt werden
und Hassmotive bei Straftaten systematischer untersucht
und aufgeklärt werden. Die Analysekompetenz muss
verbessert werden.

Zu alledem hat der NSU-Untersuchungsausschuss ei-
nen umfassenden Bericht mit 50 sehr konkreten Empfeh-
lungen verfasst. Diese Empfehlungen richten sich – das
ist vielleicht in der Debatte ein bisschen zu kurz gekom-
men – nicht nur an Polizei, Justiz und Verfassungsschutz
in Bund und Ländern. Vielmehr richten sie sich auch an
die Gesellschaft. Sie richten sich auch an uns, was die
Verstetigung der Programme zur Stärkung der Demokra-
tie betrifft – dazu sage ich gleich ein Wort – und die bes-
sere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Konzeption
dieser Programme. Diese Empfehlungen sind für die
Bundesregierung, nicht nur weil es im Koalitionsvertrag
steht, Richtschnur für die Zukunft.

Frau Kollegin Pau, ich weiß, es gab ein Minderheiten-
votum Ihrer Fraktion, was die Arbeit der Verfassungs-
schutzbehörden angeht. Aber wenn man gut und frühzei-
tig gegen Tendenzen gegen unsere Verfassung vorgehen
will, lange bevor Straftaten verübt werden, dann braucht
man einen besseren Verfassungsschutz, nicht die Ab-
schaffung des Verfassungsschutzes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Kollege Maas und ich werden dem Bundeskabinett
einen Bericht vorlegen, in dem umfassend beschrieben
wird, wie es um die Umsetzung der Empfehlungen steht.
Dieser Bericht, Herr Kollege Ströbele, wird dem Bun-
deskabinett in der nächsten Woche vorgelegt


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


und dann auch dem Parlament zugeleitet. Heute reicht
meine Redezeit nicht aus, um die einzelnen Umset-
zungsschritte vorzutragen.

Der Bericht zeigt, dass die Bundesregierung unmittel-
bar nach der Aufdeckung der Mordserie erste umfas-
sende Maßnahmen getroffen und Konsequenzen gezo-
gen hat. Diese reichen von der nachrichtendienstlichen
Früherkennung bis zur Strafverfolgung; auf die Datei hat
Herr Binninger schon hingewiesen. Diese Maßnahmen
umfassen die Verbesserung der internen Abläufe wie
auch strukturelle Verbesserungen bei der Zusammenar-
beit der Sicherheitsbehörden.





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

In dem Bericht werden auch die Maßnahmen be-
schrieben, die zur Förderung der Demokratie und zur
Stärkung der Zivilgesellschaft bereits getroffen wurden.
All dies stellt eine gute Grundlage dar, um den begonne-
nen Reformprozess in enger Zusammenarbeit mit den
Ländern fortzusetzen.

Für die Umsetzung der Empfehlungen werden wir
auch gesetzliche Änderungen brauchen. Wir bereiten
zurzeit eine Novellierung des Gesetzes über das Bundes-
amt für Verfassungsschutz vor. Ziel ist eine effizientere
Abstimmung und Arbeitsteilung mit dem Verfassungs-
schutzverbund. Es geht auch um eine bessere Analysefä-
higkeit im Bundesamt für Verfassungsschutz selbst.

Das wollen wir, und wir können es nur erreichen – so
hat es der Untersuchungsausschuss gesagt –, wenn wir
das Bundesamt für Verfassungsschutz als eine Zentral-
stelle sowie seine Rolle bei der Koordinierung der Ver-
fassungsschutzbehörden der Länder stärken.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das werden wir frühzeitig mit den Ländern besprechen
und mit ihnen – und nicht gegen sie – umsetzen. Aber
dass es so bleibt, wie es jetzt ist, wird keine Lösung sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte um Ihrer aller tatkräftige Unterstützung
bitten, auch der Innenminister der Union und der SPD,
damit wir diese Reformbemühungen erfolgreich umset-
zen können.

Andere Aufgaben, insbesondere der Wandel – ich
nenne noch einmal den Begriff der Arbeitskultur – der
Sicherheitsbehörden, werden sicher länger brauchen.
Hierbei geht es um Führung, um Sensibilität, um offene
Augen ohne Vorurteile. Ich bin zuversichtlich, dass die
angestoßenen Veränderungen das Problembewusstsein
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Führungs-
kräfte nachhaltig schärfen.

Letztlich werden wir die Probleme nur gemeinsam
mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen
eindämmen können. Dazu gehört auch Förderung. Dazu
gehören auch die Angebote, die die Bundesregierung in
verschiedenen Ressorts in einem ganzheitlichen Ansatz
denjenigen unterbreitet, die sich für unsere offene und
demokratische Gesellschaft engagieren.

Frau Högl, Sie haben gesagt, die Extremismusklausel
sei abgeschafft worden. Dabei habe ich ein bisschen mit
dem Kopf gewackelt. Denn zur vollen Wahrheit gehört,
dass wir zwar die Erklärung, die die Antragsteller unter-
schreiben mussten, abgeschafft haben, aber zugleich in
die Förderbescheide eine Nebenbestimmung aufnehmen:
die Bedingung, dass sie alles dafür tun, dass mit staatli-
chem Geld keine Extremisten gefördert werden. Frau
Kollegin Schwesig und ich haben exakt das in einer ge-
meinsamen Presseerklärung unterstrichen. Wir wollen
nicht, dass mit staatlichem Steuergeld Extremisten von
rechts oder links gefördert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist gut!)

Deswegen war Ihr Satz zwar richtig, aber nicht ganz
vollständig. Das musste ich auch für unsere Seite noch
einmal erklären.

Meine Damen und Herren, die Vergangenheit ist hin-
reichend aufgeklärt. Die Geschehnisse sind analysiert.
Wir müssen jetzt nach vorne blicken und Konsequenzen
ziehen. Darin sind wir uns einig. Ich bin zuversichtlich,
dass wir uns dabei alles in allem auf einem guten Weg
befinden, alles zu tun, damit sich eine solche Mordserie
nicht wiederholt, damit Hass in unserem Land keine
Chance hat, und alles zu tun, was den Zusammenhalt un-
seres Landes stärkt. Das ist das Mindeste, was wir den
Opfern dieser Mordserie schuldig bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801704800

Jetzt hat Martina Renner als nächste Rednerin das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801704900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle-

ginnen Abgeordnete! Es geht darum, ein Versprechen
einzulösen, das Politik und Regierung gegeben haben:
restlose Aufklärung im NSU-Komplex. Denn für die
Angehörigen der vom NSU Ermordeten und die Verletz-
ten der Sprengstoffanschläge gilt noch immer, was
Aysen Tasköprü im Februar 2013 an Bundespräsident
Gauck geschrieben hat. Sie schrieb: „Alles, was ich noch
möchte, sind Antworten.“

Wenn wir heute über Konsequenzen und Schlussfol-
gerungen aus dem Untersuchungsausschuss sprechen,
dann müssen wir nicht nur zu den Vorschlägen Bilanz
ziehen, die von allen Fraktionen gemeinsam unterbreitet
wurden und auf deren vollständiger Umsetzung wir bis
heute harren. Wir müssen auch über schmerzhafte Er-
kenntnisse sprechen, die viele von uns in den letzten
zweieinhalb Jahren gewonnen haben.

Ich war Mitglied des Thüringer Untersuchungsaus-
schusses. Ich bin unzufrieden, dass wir bis heute nicht
wissen, warum die Fahndung nach dem mutmaßlichen
Kerntrio des NSU seit 1998 erfolglos blieb. Ich bin un-
zufrieden, dass wir noch immer nicht wissen, was das
Motiv für die Ermordung der Polizistin Michèle
Kiesewetter in Heilbronn war. Ich bin unzufrieden, dass
wir noch immer nicht wissen, welche Rolle die V-Leute
im NSU-Unterstützernetzwerk tatsächlich innehatten
und was am 4. November 2011 in Eisenach tatsächlich
geschah. Aber meine offenen Fragen sind nichts gegen
das nicht eingelöste Versprechen auf Aufklärung, wie es
die Angehörigen der durch den NSU Ermordeten bekla-
gen, und die mangelnde Bereitschaft, über Rassismus zu
sprechen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Martina Renner


(A) (C)



(D)(B)

Ich will anhand von drei aktuellen Beispielen meine
Zweifel zum Ausdruck bringen, ob wir wirklich alles,
aber auch alles unternehmen, damit menschenverach-
tende Einstellungen, Rassismus und daraus folgende Ge-
walttaten zurückgedrängt werden.

Erstens. Ich erwarte beim Thema Neonazigewalt end-
lich eine neue Ermittlungskultur der Polizei. Wenn wie
vorletztes Wochenende in Thüringen 15 bis 20 Neonazis
eine Veranstaltung im Gemeindesaal von Ballstädt über-
fallen und ein Dutzend Menschen zum Teil schwer ver-
letzen, dann will ich keine Erstmeldungen mehr lesen, in
denen zielgerichtete, organisierte Neonaziangriffe als
Kirmesschlägerei unter Alkoholeinfluss verharmlost und
entpolitisiert werden.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Ich erwarte auch von den Staatsanwalt-
schaften ein anderes Umgehen mit der tödlichen Dimen-
sion neonazistischer Gewalt. Ende April beginnt vor
dem Landgericht Kempten der Prozess gegen mehrere
Thüringer Neonazis, die im Sommer 2013 einen 34-jäh-
rigen Mann aus Kasachstan auf einem Volksfest in Kauf-
beuren zu Tode geprügelt haben sollen. Einer der Tatver-
dächtigen hatte die Opfer des NSU im sozialen
Netzwerk Facebook verhöhnt. Die Staatsanwaltschaft
Kempten ist sich schon vor Prozessbeginn sicher, dass
kein ausländerfeindliches, rassistisches oder rechtsextre-
mes Motiv vorliegt. Da fühle ich mich an die Justizakten
der 90er-Jahre zu schweren Neonazigewalttaten erinnert,
die wir alle gelesen und kopfschüttelnd zur Kenntnis ge-
nommen haben. So etwas darf sich nie wieder wiederho-
len.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Und die Politik? Das Innenministerium in
Stuttgart hat gerade einen Bericht vorgelegt; ich muss
den Titel nicht wiederholen, da ihn Herr Binninger be-
reits genannt hat. Darin wird jede rassistische Ermitt-
lungspraxis gegen Angehörige der Roma-Minderheit
nach dem Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn
klipp und klar geleugnet. Das ist Reinwaschen in Rein-
kultur. Von der geforderten neuen Fehlerkultur keine
Spur! Auch das müssen wir klar benennen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kurzum: Das Aufklärungsversprechen von Bundes-
kanzlerin Merkel treibt mich und, wie ich gesehen habe,
auch viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus
weiter um. Wir alle unterliegen sicherlich parteipoliti-
schen Zwängen. Aber wir werden so lange weiterfragen
– das versprechen wir –, notfalls jahrelang, bis sich et-
was ändert und Aysen Tasköprü endlich Antworten hat.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801705000

Jetzt hat der Bundesjustizminister Heiko Maas das

Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die schrecklichen Verbrechen des NSU sind uns
mittlerweile seit mehr als zwei Jahren bekannt. All das,
was dort geschehen ist, muss uns nach wie vor mit dop-
pelter Scham erfüllen, zum einen Scham darüber, dass in
Deutschland wieder Menschen wegen ihres Glaubens
und ihrer Herkunft planvoll ermordet wurden, und zum
anderen Scham deshalb, weil der Staat und die Behörden
fast 14 Jahre nicht in der Lage waren, diese Taten zu er-
kennen, aufzuklären und vor allem zu verhindern.

Das unsägliche Leid, das die Terroristen des NSU an-
gerichtet haben, kann niemand wiedergutmachen. Aber
wir haben die Pflicht, gemeinsam dafür zu sorgen, dass
sich solche Taten nie wieder wiederholen. Nie wieder
dürfen Justiz und Polizei blind sein gegenüber rassisti-
schen und fremdenfeindlichen Motiven. Nie wieder dür-
fen bei der Aufklärung terroristischer Gewalt die Erfah-
rungen des Generalbundesanwalts ungenutzt bleiben.
Und nie wieder dürfen Verbrecher von unklaren Zustän-
digkeiten bei der Justiz profitieren. Das ist Auftrag aus
den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses zum
NSU.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundes-
tages hat viele konkrete Empfehlungen erarbeitet. Las-
sen Sie mich das einmal sagen als einer, der damals die
Arbeit von außen beobachtet hat. Nicht nur die Aufklä-
rungsarbeit des Bundestages in diesem Zusammenhang
hat Maßstäbe gesetzt; auch die Schlussfolgerungen und
Handlungsempfehlungen, die gegeben worden sind, sind
wegweisend. Deshalb wollen wir diese auch umsetzen.

Wir wollen die Zuständigkeit des Generalbundesan-
walts erweitern und sicherstellen, dass er zukünftig früh-
zeitig eingeschaltet wird, wenn es um rassistische oder
fremdenfeindliche Taten geht. Herr Binninger, mein
Ministerium wird hierzu noch vor Ostern einen Gesetz-
entwurf vorlegen. Also, ich fordere mich hier nur selber
zum Handeln auf und nicht andere. Damit dokumentiere
ich, dass uns die Ergebnisse dieses Ausschusses wichtig
sind und wir sie sehr schnell umsetzen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

In dem Entwurf soll Folgendes geregelt sein: Erstens.
Der Generalbundesanwalt soll künftig immer dann die
Ermittlungen an sich ziehen können, wenn objektiv ein
besonders bedeutendes Staatsschutzdelikt vorliegt. Die
subjektive Seite, die Motive der Täter bleiben einstwei-
len außen vor; denn die sind zu Beginn der Ermittlungen
oft noch gar nicht bekannt.

Zweitens. Wenn die Staatsanwaltschaften der Länder
Anzeichen dafür haben, dass der Generalbundesanwalt
für einen Fall zuständig sein könnte, dann müssen sie
den Generalbundesanwalt in Zukunft unverzüglich in-
formieren. Das wollen wir im Gesetz klarstellen, und da-
mit wollen wir vor allen Dingen erreichen, dass die Ex-
perten vom Generalbundesanwalt frühzeitig in die
laufenden Ermittlungen eingebunden werden können
und ihre Erfahrung dort genutzt werden kann.

Drittens. Der Generalbundesanwalt soll – das halte
ich für ganz wesentlich – zukünftig auch Streitigkeiten
über die Zuständigkeiten – das ist eines der Probleme in
diesem Zusammenhang gewesen – entscheiden können.
Wenn es, wie im Fall des NSU, mehrere Taten in ver-
schiedenen Ländern gibt und die Staatsanwaltschaften
sich nicht einig werden, ob und wo die Ermittlungen
konzentriert werden, dann soll zukünftig darüber der Ge-
neralbundesanwalt entscheiden. Es darf einfach nicht
sein, dass Konkurrenzdenken und Eifersüchteleien Er-
mittlungen in solchen Fällen behindern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen außerdem die Opfer einer Straftat über
ihre Rechte im Strafverfahren besser informieren – das
tun wir ohnehin bei der Umsetzung der EU-Opferrichtli-
nie im nächsten Jahr –, und wir wollen auch das Strafge-
setzbuch ändern.

Wir werden sicherstellen – das ist in der Debatte an-
gesprochen worden –, dass rassistische, fremdenfeindli-
che oder sonstige menschenverachtende Motive bei der
Strafzumessung stärker berücksichtigt werden können.
Damit sensibilisieren wir zugleich die Ermittlungsbehör-
den. Es geht eben nicht nur darum, was jemand getan
hat, sondern es geht an der Stelle auch um die Frage, ob
ermittelt werden muss, aus welchen Motiven ein Täter
gehandelt hat; denn nur dann können die Gerichte die so-
genannte Hasskriminalität auch angemessen bestrafen.

Klare Regeln und Gesetze sind notwendig und wich-
tig, aber es gibt auch den menschlichen Faktor, auch bei
Ermittlungen von Behörden. Damit alle unsere Sicher-
heitsbehörden wirksam gegen rassistische und fremden-
feindliche Taten vorgehen, brauchen wir Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter, die das haben, was wir heute
interkulturelle Kompetenz nennen. Wer den Betreiber ei-
nes Dönerlokals nicht als engagierten Unternehmer
sieht, sondern ihn in erster Linie schnell mit Mafia, Men-
schenhandel oder Drogen in Verbindung bringt, der hat
nichts verstanden und dem wird es vor allen Dingen
kaum gelingen, einen Fall vernünftig aufzuklären.


(Beifall im ganzen Hause)

Deshalb müssen wir Vorurteile und falsche Klischees
überwinden, und deshalb kommt es auch darauf an, wie
unser Personal in den Behörden zusammengesetzt ist.
Ich meine, wir brauchen in Justiz und Polizei nicht nur
Kollegen, die Heiko oder Thomas heißen, sondern wir
brauchen auch Mehmet und Ayse; denn auch das wird
der Aufklärung zuträglich sein.


(Beifall im ganzen Hause)


Rund 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ha-
ben heute einen Migrationshintergrund. Diese Vielfalt
unserer Gesellschaft muss sich auch beim Personal von
Justiz und Polizei niederschlagen. Ich weiß, dass hier vor
allem die Länder gefordert sind. Aber auch das ist eine
ganz wichtige Konsequenz aus dem, was der Untersu-
chungsausschuss herausgearbeitet hat, und auch das
müssen wir in unsere Behörden tragen. Ich meine, das
sind wir den Opfern des NSU und ihren Angehörigen
schuldig.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801705100

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Irene Mihalic

das Wort.


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801705200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Wie sind die Ereignisse in der Öffentlichkeit da-
mals eigentlich angekommen? Am 4. November 2011
fahndete die Polizei in Eisenach nach Bankräubern, und
sie fand die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe
Mundlos tot in ihrem Wohnmobil. Sie hatten vorher, un-
terstützt von Beate Zschäpe, bei 14 Raubüberfällen ins-
gesamt 600 000 Euro erbeutet. Bis zu ihrem Tod konnten
Böhnhardt und Mundlos nicht gestellt werden. Fast
13 Jahre blieben die NSU-Terroristen unentdeckt. Fast
13 Jahre konnten sie mit einfachen Mitteln ein unbehel-
ligtes Leben führen, Freundschaften zu Nachbarn auf-
bauen, ja sogar Urlaub an der Ostsee machen. In 13 Jah-
ren haben sie zehn Menschen kaltblütig exekutiert,
unentdeckt, unbehelligt und völlig ungestört.

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben angesichts
des rechtsextremistischen Terrors dramatisch versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Der Verfassungsschutz konnte den Terror von rechts we-
der erkennen noch analysieren. Der NSU-Terror folgte
eben nicht dem klassischen Muster mit Führungsspitze
und Bekennerschreiben, welches man zum Beispiel von
der RAF kannte. Durch das Denken in solchen Stereoty-
pen war der Verfassungsschutz völlig blind für den Ter-
ror von rechts, und diese Blindheit, Herr Minister, lässt
sich nicht wegreformieren. Deshalb muss der Verfas-
sungsschutz in seiner heutigen Form aufgelöst werden.





Irene Mihalic


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber auch die Polizei hat schwere Fehler gemacht.
Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde bei den Er-
mittlungen von vornherein stets ausgeschlossen.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Auch in Köln!)


Stattdessen bestimmten allzu oft rassistische Vorurteile
gegenüber den Opfern die Ermittlungsarbeit. Ein mafiö-
ser Hintergrund bei so einem Mord – na klar! Ein Ehren-
mord – immer vorstellbar im Migrantenmilieu! Das La-
bel der Boulevardpresse war „Döner-Morde“. Aufklären
sollte eine Soko „Bosporus“. Wenn der Fokus der Er-
mittlungen allein auf den Opfern liegt, dann ist es kein
Wunder, dass man die Täter nicht findet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße sehr,
dass wir hier heute noch einmal das interfraktionelle Er-
gebnis des Parlamentarischen Untersuchungsausschus-
ses zum NSU gemeinsam beschließen wollen. Damit
setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen, vor allem mit
Blick auf die Familien der Opfer. Wir alle schämen uns
dafür, dass die NSU-Morde lange Zeit so gravierend
falsch eingeordnet wurden. Zu Recht fordern daher die
Opferfamilien, dass nicht bereits zwei Jahre nach Aufde-
ckung des NSU-Terrors das große Abhaken beginnt.
Nein, wir stehen gerade erst am Anfang, und deshalb
kann der gemeinsame Beschluss auch nur der erste
Schritt sein. Wir müssen deutlich weiter gehen, wenn
wir dem Rechtsextremismus den Nährboden für die Saat
von Gewalt und Terror entziehen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dafür brauchen wir eine neue Polizei- und Behörden-
kultur. Allzu oft wurden gerade die Familien der Opfer
mit ihren Anliegen nicht ernst genommen. Sie wurden
verhöhnt und waren selbst übelsten Verdächtigungen
ausgesetzt. Wir brauchen hier einen Neustart in den
Strukturen und in der Ausbildung. Dort, wo personelles
Versagen nachweisbar ist, muss es auch zu dienstlichen
Konsequenzen kommen, in erster Linie natürlich bei
denjenigen, die in leitenden Positionen standen und
heute teilweise noch stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Strukturen des Verfassungsschutzes haben die
Aufdeckung des rechten Terrors vereitelt, weil sie den
falschen Mustern gefolgt sind. Er muss daher in seiner
heutigen Form aufgelöst werden. Wir brauchen stattdes-
sen eine völlig neu strukturierte Inlandsaufklärung mit
einer deutlich verbesserten parlamentarischen Kontrolle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Der Einsatz von V-Leuten, gerade in der rechten
Szene, muss ein für allemal beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben dem Rechtsextremismus mit diesem Instru-
ment sowohl Geld als auch Struktur gegeben, anstatt
wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Auf der anderen
Seite waren die letzten Regierungen – man muss es sa-
gen – eher geizig, wenn es um die finanzielle Unterstüt-
zung von Initiativen gegen rechts ging, insbesondere
was die Verlässlichkeit einer Finanzierung anging. Wir
fordern eine verbindliche Zusage des Bundes, diese Ini-
tiativen mit jährlich mindestens 50 Millionen Euro zu
unterstützen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn diese Mittel werden für Opferberatungsstellen,
Ausstiegsprojekte und vieles mehr ganz dringend ge-
braucht.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801705300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage vom

Kollegen Binninger?


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801705400

Selbstverständlich.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1801705500

Vielen Dank, Frau Kollegin Mihalic. – Keine Sorge,

ich will das Bild unserer interfraktionellen Einigkeit
nicht trüben; ich habe einfach eine Bitte an Sie. Sie ha-
ben den Großteil Ihrer Redezeit auf das Thema der Ab-
schaffung des Verfassungsschutzes verwandt. Das ist das
Sondervotum von Grünen und Linken gewesen; da hat-
ten wir keinen Konsens.

Sie kommen aus dem Polizeipräsidium Köln. In Köln
gab es ja den Sprengstoffanschlag in der Keupstraße, bei
dessen Aufklärung im Jahr 2004 wirklich eine Menge
schieflief und es ein Bündel an Fehlern gab, wie wir sie
sonst in keinem Fall gefunden haben. Ich möchte Sie
einfach nur fragen: Wären Sie bereit, vielleicht aus Ihrer
eigenen Erfahrung damals, als Sie dort Dienst gemacht
haben, ein paar Sätze dazu zu sagen?


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Geheimnisverrat!)


– Natürlich kein Geheimnisverrat, Frau Kollegin, nur et-
was, was öffentlich ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da gibt es wahrscheinlich gar keine Geheimnisse! In Köln gibt es keine Geheimnisse!)



Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801705600

Keine Sorge! Ich werde keine Geheimnisse verraten,

Kollege Binninger, selbstverständlich.

Sie haben natürlich völlig recht mit Ihrer Kritik – Sie
werden es auch meinen Ausführungen vorhin entnom-
men haben –, dass nicht nur beim Verfassungsschutz ein
eklatantes Versagen festgestellt worden ist. Es ist schon
bei meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angeklun-
gen: Wir müssen natürlich auch bei der Polizei in die





Irene Mihalic


(A) (C)



(D)(B)

Strukturen hinein. Wir müssen auch da dafür sorgen,
dass sich solche Ereignisse, wie sie damals in Köln pas-
siert sind – es hat auch da eine falsche Einordnung der
Dinge gegeben –, nicht wiederholen. Ich denke, in der
Frage, an diesem Punkt sind wir uns alle einig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen, und
zwar was die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Initiati-
ven angeht, die durch die unsägliche Extremismusklau-
sel immer noch massiv behindert wird. Da ist es eben
nicht von Belang, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, Frau Högl, ob das Bekenntnis zur Verfassung
wie bisher durch Unterzeichnung einer solchen Klausel
oder in einem verbindlichen Begleitschreiben erfolgt.
Diese Klausel muss ganz verschwinden; denn sie ist eine
völlige Verkehrung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn wir den zivilgesellschaftlichen Initiativen ständig
Knüppel zwischen die Beine werfen, dann unterstützen
wir indirekt Hass und Gewalt von rechts. Letztlich darf
der Staat für die rechte Gefahr nicht länger blind sein.
Das muss uns beim dringend notwendigen Umbau der
Sicherheitsarchitektur leiten. Kollege Binninger, also
auch da der Blick ganz klar auf die Polizei gerichtet!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Konsequenzen
aus den Verbrechen des NSU gehören zu den wichtigsten
parlamentarischen Aufgaben für diese Legislaturpe-
riode. Lassen Sie uns da gemeinsam an die Arbeit gehen,
Punkt für Punkt! Dabei gilt: Kosmetik und gute Vorsätze
reichen nicht aus. Die Struktur hat versagt, und deshalb
muss die Struktur verändert werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801705700

Als nächster Redner hat der Kollege Armin Schuster

das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1801705800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Öf-
fentlichkeit schockiert, Zuwanderinnen und Zuwanderer
verunsichert, die Menschen im Land erschüttert, Sicher-
heitsexperten sprachlos – das wurde ja schon beschrie-
ben –, so war jetzt lange der Zustand oder ist der Zustand
immer noch. Deshalb, finde ich, sollten wir das ganz
starke Signal, dass wir überfraktionell diese Einigkeit
haben, nicht überlagern durch eine Debatte, in der viel-
leicht hier noch ein bisschen eigenes Votum betont wird,
Frau Pau, vielleicht dort noch ein bisschen Votum betont
wird, Frau Mihalic. Dass der Deutsche Bundestag so ei-
nig zusammensteht, ist ein unglaublich gutes Signal.
Ich will Ihnen helfen. Ich würde Ihnen nicht die Frage
stellen, ob wir das PP Köln abschaffen sollen; das ma-
chen wir natürlich nicht. Ich glaube einfach, dass es eine
Nummer zu hart ist, zu sagen: Wir schaffen den Verfas-
sungsschutz ab, bauen ihn dann neu auf. – Gehen Sie
doch mit uns den Weg der Reform! Da können Sie im
Prinzip das Gleiche tun. Wir haben ja nicht gesagt, wie
stark wir reformieren.

Frau Pau, es ist nicht wertlos, wenn ich Ihnen sage: Es
wäre schon wahnsinnig gut, wenn die Linke einmal ihr
Verhältnis zu dem Begriff „Nachrichtendienst“ ent-
decken würde. Wir sprechen von Nachrichtendiensten
und nicht von Geheimdiensten.


(Martina Renner [DIE LINKE]: Das ist doch das Gleiche!)


Ich könnte mir sogar vorstellen, einen Geheimdienst ab-
zuschaffen; aber nicht einen Nachrichtendienst. Den
braucht dieses Land.


(Beifall bei der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Euphemismus!)


Wer den Empfehlungskatalog intensiv studiert, er-
kennt unendliche Chancen, die Sicherheitsarchitektur
Deutschlands weiterzuentwickeln. Es ist nötig. Wir ha-
ben im September 2013 von einem erheblichen System-
versagen der deutschen Sicherheitsdienste gesprochen,
nicht nur der Polizei und des Verfassungsschutzes, son-
dern auch der Justiz, der Gesellschaft, der Parlamente
und der Regierungen in Bund und Ländern. Wenn man
ein solch hartes Urteil fällt, wartet man natürlich auf das
Echo der Menschen draußen. Ich reise viel zum Thema
NSU durch das Land. Vor allem nach den Vorträgen sa-
gen die Leute mir: Sie haben recht. – Vorher sind sie alle
ziemlich angefasst, als würde man in einer Wunde he-
rumstochern. Wenn man mit ihnen spricht, dann merken
die Leute, dass sich etwas tun muss.

Der Bundespräsident hat den Untersuchungsaus-
schuss im Januar 2013 gefragt: Was ist das wichtigste
Ziel Ihrer Arbeit? – Wir haben übereinstimmend gesagt:
Dass das Thema in der 18. Wahlperiode unverändert
wieder auf der Tagesordnung ist und wir nicht zur Tages-
ordnung übergehen.

Das haben wir in drei Punkten erreicht.

Erstens. Der Bundesinnenminister hat es vorgetragen.
Sehr wohltuend waren die Äußerungen des Bundesjus-
tizministers, die mir gut gefallen haben, weil der Aspekt
der Justiz sehr stark im Vordergrund stand.

Zweitens. Der Koalitionsvertrag beinhaltet das
Thema geradezu prominent. Das hätte ich mir gar nicht
so gut vorstellen können. Herzlichen Dank an die Ver-
handler!

Drittens. Dass wir die Empfehlungen heute in einem
fraktionsübergreifenden Antrag behandeln, bekräftigt
die Ernsthaftigkeit unseres Vorhabens. Wir wollen unbe-
dingt weitermachen. So scharf, wie es einige vor mir ge-
tan haben, formuliere ich das jetzt einmal nicht. Ich ver-
suche es noch auf die konziliante Art. Wir brauchen die





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)

Länder – wenngleich ich da, Stichwort Baden-Württem-
berg, so meine Zweifel habe –, wir brauchen ihre Bereit-
schaft, wir brauchen ihre Mitwirkung. Dieser überfrak-
tionelle Konsens ist auch deshalb so wichtig, weil Sie
alle mithelfen können, weil Sie überall mitregieren. Bitte
nutzen Sie Ihre Vernetzung und Ihre Kontakte. Wir müs-
sen die Länder bewegen.

Wer hochflexible Ermittlungsgruppen in überregiona-
len Verfahren möchte, muss eine Lösung zwischen Bund
und Ländern finden. Wer eine Zusammenarbeit zwi-
schen den Ländern, zwischen Bund und Ländern, zwi-
schen Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaf-
ten erreichen und dabei noch das Trennungsgebot
verfassungskonform weiterentwickeln will, braucht eine
große Übereinstimmung. Die Aus- und Fortbildung von
Mehmet und Aischa müssen wir deutschlandweit in
16 Ländern und im Bund harmonisieren.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Und von Heiko und Thomas auch!)


– Von Heiko und Thomas auch. – So etwas konnten wir
bisher. Ich hoffe, von der Innen- und Justizministerkon-
ferenz Impulse für das Land zu bekommen.

Meine Damen und Herren, der Fall des NSU ist für
die föderale Sicherheitsstruktur nicht einzigartig. Wenn
wir uns den spektakulärsten ungelösten Fall organisierter
Kriminalität in diesem Land vornehmen und analysieren
würden, was würden wir feststellen? Die Täter operieren
länderübergreifend, nutzen ganz stark IT-Strukturen. Die
Zuständigkeit unserer Behörden würde sich wahrschein-
lich über eine Vielzahl von LKA, Staatsanwaltschaften,
den Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutzämter
etc., etc. erstrecken. Wo liegt der Unterschied? Nicht nur
aus dem NSU-Bericht, sondern auch aus den künftigen
und heute schon vorhandenen Bedrohungsszenarien
ziehe ich meine Motivation, die Forderung zu erheben,
besser überregional zu kooperieren, bessere gemeinsame
Best-Practice-Standards zu etablieren, verlässlichere
Kommunikations- und Führungsstrukturen in diesem
Land zu schaffen.

Qualität ist ein Markenzeichen Deutschlands. Qualität
entsteht am besten dezentral. Deswegen bin ich der fes-
ten Überzeugung, dass die föderale Struktur für uns gut
ist. Um es mit den Worten von Tomasi di Lampedusa zu
sagen: Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist,
dann ist es nötig, dass alles sich verändert. Deshalb
möchte ich weiter Finger in Wunden legen. Deshalb sind
jetzt, vor allen Dingen in den Parlamenten und Regie-
rungen, Vorbilder gefragt, die sich nicht abgrenzen, son-
dern kooperieren wollen. Deshalb möchte ich die Arbeit
an der deutschen Sicherheitsarchitektur sogar institutio-
nalisieren. Herr Bundesinnenminister, ich fand Ihre Idee
richtig – ich lobe Sie in jeder Rede für den damaligen
Vorschlag –, die Sicherheitsarchitektur in Deutschland
von einer Kommission analysieren und bewerten zu las-
sen. Ich würde mich freuen, wenn es dazu wieder käme.
Ich könnte mir übrigens auch vorstellen, dass, wenn Sie
ressortübergreifend und Bund-Länder-übergreifend
50 Empfehlungen in Sachen NSU-Folgerungen zu koor-
dinieren haben, auch da eine symbolhafte Institutionali-
sierung in Form einer Geschäftsstelle, eines Beauftrag-
ten das deutliche Signal – nach innen wie nach außen –
senden könnte: Wir meinen es ernst.

Meine Damen und Herren, wer die Sicherheitsarchi-
tektur fortentwickeln will, hat zwei gute Gründe: erstens
die modernen Erscheinungsformen der Kriminalität und
zweitens das Versprechen, das wir einzulösen haben, das
Versprechen, das wir den Hinterbliebenen der Opfer des
NSU-Terrortrios hier in diesem Hause gegeben haben:
Wir wollen erst ruhen, wenn alle Empfehlungen, die wir
geben konnten, umgesetzt wurden, sodass das nie wieder
passiert.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801705900

Als nächster Redner hat der Kollege Sönke Rix das

Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1801706000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich hatte ich – nichts gegen Sie, Frau Präsidentin! –
gehofft, dass Herr Lammert noch im Präsidium ist. Als
ich meine Rede vorbereitet habe, wusste ich, dass die
Debatte in der Kernzeit stattfindet, in der normalerweise
der Bundestagspräsident den Vorsitz hat. Nun hat sich
der Beginn unserer Debatte wegen der Ukraine-Debatte
verschoben. Aber ich wollte Herrn Lammert noch ein-
mal danken; vielleicht können Sie ihm den Dank ja aus-
richten, aber er wird es möglicherweise auch hören.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801706100

Das will ich gerne machen.


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1801706200

Danke schön. – Als die Mitglieder des Untersu-

chungsausschusses – Frau Högl hat es heute schon ein-
mal gesagt – bei ihm waren, hat er die Initiative für ein
Nachdenken über die Frage ergriffen: Wie gehen wir als
Parlament mit den Erkenntnissen, die wir im Untersu-
chungsausschuss gewonnen haben, um? Wir wissen ja:
So mancher Untersuchungsausschussbericht, so man-
cher Bericht einer Enquete-Kommission sowie andere
Dinge verschwinden in Schubladen. Ich finde es richtig,
dass wir als neugewähltes Parlament mit der heutigen
Beschlussfassung noch einmal bekräftigen, was wir in
diesem Bericht überwiegend gemeinsam festgehalten
haben, auch wenn es einige Einzelvoten gibt. Aber der
gemeinsame Bericht ist ein gutes Zeichen auch für diese
Wahlperiode und ein guter Auftrag an die Bundesregie-
rung und an uns als Parlament. Herzlichen Dank dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)

Ich will ganz kurz auf das kleine Streitthema „Extre-
mismusklausel“ eingehen. Denen, die da nur die halbe
oder zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt haben,
will ich an dieser Stelle sagen: Es gibt jetzt – dafür bin
ich Ihnen, Herr de Maizière, und auch Frau Schwesig
sehr dankbar – eine gemeinsame Linie der Bundesregie-
rung, wie man mit Projekten umgeht, die staatliche Mit-
tel zur Förderung von Demokratie haben wollen. Das ist
schon einmal sehr wichtig.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gab es vorher auch!)


Die gab es vorher nämlich nicht. Vorher gab es quasi
eine Einzelbewertung aus dem Hause der Familien-
ministerin. Sie hat darum gebeten, dass die Klausel un-
terschrieben wird. Diese Unterschrift ist nun nicht mehr
erforderlich. Es wird natürlich den Hinweis geben, dass
alles auf rechtlicher Grundlage basiert. Das ist aber eine
Selbstverständlichkeit, und darüber hat sich im Zusam-
menhang mit den Projekten aus den Häusern auch vorher
niemand beschwert. Ich finde es richtig, dass die Unter-
schrift nun wegfällt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns im Untersuchungsausschuss nicht im-
mer nur mit der Frage beschäftigt, was die Sicherheitsbe-
hörden und die Justiz falsch gemacht haben. Wir haben
uns, als wir mit Zeugen gesprochen und Sachverständige
eingeladen haben, auch intensiv mit der Frage beschäf-
tigt: Wie kann es eigentlich passieren, dass wir als Ge-
sellschaft einen Boden bereitet haben, auf dem aus
Rechtsextremismus sogar Rechtsterrorismus entstehen
konnte? Wie konnte es passieren, dass, wie im Falle von
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, junge Menschen, die,
wie wir erfahren haben, eine gewisse Perspektive hatten,
in den Rechtsextremismus abgewandert und sogar zu
Rechtsterroristen geworden sind?

Wir müssen uns vorstellen: In den 90er-Jahren
brannte in Rostock ein Asylbewerberheim, und die
Nachbarn haben geklatscht. Die Sicherheitsbehörden
waren überfordert. Diese Situation ist für uns heute im-
mer noch unbegreiflich. Ich hoffe, dass es nie wieder zu
solch einer Situation kommt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben im Rahmen unserer Untersuchungen leider
erkannt, dass einer der im Rahmen des NSU-Prozesses
Beschuldigten Mitglied bei der Bundeswehr war und dort
offen zu Protokoll gegeben hat – das ist aktenkundig –,
dass er sich als nationalsozialistisch bezeichnet. Bei der
Bundeswehr sind daraus damals keine Konsequenzen
gezogen worden. Er wurde sogar noch zum Gefreiten
befördert und bekam ein relativ durchschnittliches
Dienstzeugnis. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Auch an dieser Stelle fehlte die Sensibilisierung in ei-
nem Bereich unserer Gesellschaft.

In den 90er-Jahren wurden die Anti-Antifa Ostthürin-
gen und der Thüringer Heimatschutz gegründet, in de-
nen auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Mitglied
waren. Die Staatsanwaltschaft Gera ging damals jedoch
nicht von einer kriminellen Gesamtstruktur aus. Auch
das ist wieder ein Beweis dafür, dass die Sensibilität ge-
genüber diesen Taten und vor allem gegenüber dem
Rechtsextremismus nicht vorhanden war. Unser Ein-
druck ist, dass es die Bereitschaft dazu in der Bundes-
wehr, der Gesellschaft und den Medien nicht gab; Herr
Binninger hat das angesprochen. Deshalb ist es nach wie
vor eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich gegen
Rechtsextremismus zu wehren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh, dass wir in unserem Abschlussbericht
geschrieben haben, dass wir die Zivilgesellschaft an die-
ser Stelle weiterhin stärken wollen. Dazu gehören nicht
nur der Umgang mit der Extremismusklausel – mit Un-
terschrift oder ohne –, sondern auch die Bereitstellung
von mehr Mitteln, um diese dauerhafte Aufgabe einer
dauerhaften Finanzierung zuzuführen. Deshalb bin ich
dankbar, dass wir heute diesen gemeinsamen Antrag be-
schließen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801706300

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Sensburg das

Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801706400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Fast anderthalb Jahre hat der NSU-Untersu-
chungsausschuss gearbeitet. Es ist ein starkes Zeichen,
dass sowohl die Einsetzung als auch die Beschlussemp-
fehlung und der Abschlussbericht einstimmig erfolgten
und dass wir hier im Deutschen Bundestag große Einheit
zeigen. Es ist ein wichtiges und richtiges Zeichen. Ge-
nauso richtig ist es, dass wir dieses Thema in der
18. Wahlperiode quasi nicht als Akte zuklappen, sondern
aufgeklappt lassen. Das ist ein starkes und gutes Zei-
chen; das haben meine Vorredner bereits hinreichend be-
kundet.

Mich freut, dass die Kolleginnen und Kollegen – ins-
besondere Frau Kollegin Högl, als es um Baden-Würt-
temberg ging – hier jetzt nicht in Klein-Klein verfallen,
sondern wir uns einig sind, gemeinsam an dem Ziel zu
arbeiten, dass weiter aufgeklärt wird. Ich freue mich,
dass wir nicht in Fraktionsdiskussionen verfallen, son-
dern gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich finde, das
ist ein sehr starkes Zeichen.

Ich finde es genauso wichtig, dass wir in enger Zu-
sammenarbeit mit den Bundesländern die weiteren not-
wendigen Aufklärungen betreiben. Viele Maßnahmen
sind nun einmal in den Bundesländern zu treffen. Ich bin
daher ein wenig traurig, dass die Bundesratsbank, die





Dr. Patrick Sensburg


(A) (C)



(D)(B)

sonst auch nicht besonders gut gefüllt ist, heute bei die-
sem Thema leider auch recht leer ist. Die ersten Kolle-
ginnen und Kollegen gehen schon, obwohl die Debatte
noch nicht zu Ende ist. Ich hätte mir gewünscht, dass die
Bundesratsbank gerade heute etwas stärker gefüllt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Die besondere Einigkeit, die hier zutage tritt, ist bei ei-
nem Untersuchungsausschuss keine Selbstverständlich-
keit. Es ist in der Regel ein scharfes Schwert der Opposi-
tion, um zu ermitteln. Wenn man aber genauer hinschaut,
dann erkennt man, dass ein Untersuchungsausschuss ei-
gentlich ein zentrales Recht des Parlaments, der parla-
mentarischen Demokratie ist. Auch an dieser Stelle gilt
daher: Es ist ein gutes Zeichen, dass dieser Untersu-
chungsausschuss als ein zentrales Instrument des gesam-
ten Parlaments genutzt worden ist.

Ich danke allen Mitgliedern des Untersuchungsaus-
schusses, die in diesen fast anderthalb Jahren intensiv
gearbeitet haben: mit doppelter Sitzungszeit, mit vielen
Sitzungen und einer hohen Schlagzahl. Das war eine in-
tensive Arbeit. Ganz herzlichen Dank an alle, dass Sie
hier so intensiv gearbeitet haben.

Ich danke aber auch den Mitgliedern der Bundes-
regierung und der Behörden. Es war nicht immer leicht
im Untersuchungsausschuss. Es war nicht mit allen Be-
hörden einfach. Aber im Ergebnis ist es dann doch ge-
lungen. Gerade auch der Innenminister Thüringens, Herr
Geibert, der uns viele Erkenntnisse über den Thüringer
Verfassungsschutz vermittelt hat, hat dazu beigetragen,
dass der Untersuchungsausschuss arbeiten konnte.

Von der einen oder anderen Seite wurden die Polizei
und der Verfassungsschutz intensiv kritisiert. Dazu ist
viel gesagt worden. Vieles ist richtig. Ich möchte aber
auf das eingehen, was der Kollege Binninger erwähnt
hat. Wenn wir den Polizei- und Sicherheitsbehörden
Blindheit vorwerfen, dann müssen wir auch sagen, dass
wir alle blind waren. Das ist eine Lehre des Untersu-
chungsausschusses. Nicht nur Polizei- und Sicherheits-
behörden haben es nicht gesehen, sondern auch in der
Berichterstattung der Presse konnten wir nichts von ei-
nem deutlichen Fingerzeig nach rechts lesen. Auch in
unseren Debatten gab es keinen Hinweis in diese Rich-
tung. Ausnahmsweise muss ich einmal die Linke loben,
was ich sehr selten tue. Sie hat deutlich gesagt, dass auch
sie trotz erster Nachfragen nicht weitergebohrt hat. Die
Erkenntnis, dass wir zu wenig gemacht haben, muss uns
alle bewegen. Das ist ein ganz wesentliches Fazit dieses
Untersuchungsausschusses.

Wir müssen wachsamer sein. Wir müssen erkennen,
dass in den letzten Jahren – Frau Kollegin Pau hat es ge-
sagt – 60 Menschen getötet worden sind. Vor kurzem
wurde vor dem Landgericht Halle ein Fall verhandelt,
der sich in Eisleben ereignete. Dort wurden auf grau-
samste Weise Menschen zusammengeschlagen, weil sie
einen Migrationshintergrund haben. Das muss uns ein-
fach stutzig machen und zum Nachdenken anregen. Ich
danke daher allen Vereinigungen, Gruppen und Gesell-
schaftsgliederungen, die immer wieder auf rechts zeigen,
Sensibilität wecken und sich einsetzen. Auch wir wollen
mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses da
ansetzen, wo Toleranz, Kompetenz und Sensibilität ge-
fordert werden. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des
Untersuchungsberichtes.

Es sind auch Fehler gemacht worden. Bei einigen
wurde der Finger in die Wunde gelegt. Ich möchte nicht
mehr auf den polizeilichen Bereich eingehen, sondern
ich möchte auf den Bereich der Justiz eingehen. Wir
müssen feststellen, dass in vielen Bereichen der Justiz
Sachverhalte nicht richtig verfolgt wurden oder nicht zur
Anklage gebracht wurden. Es kann nicht sein, dass
Böhnhardt 1993 in U-Haft weitere Taten vollbringen
konnte – gemeinsam mit Sven R. und zwei weiteren fol-
terte er einen Mithäftling – und dies keine strafrechtli-
chen Konsequenzen hatte und es auch nicht zur Anklage
kam.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben 1996 Fotos einer Kreuzverbrennung im
Stil des Ku-Klux-Klans gefunden. Als später die Zeugin
Zschäpe vernommen wurde, hat sie konkrete Personen,
die den Hitlergruß und den Kühnengruß zeigten, be-
nannt. Auch hier wurde wieder nicht strafrechtlich er-
mittelt und die Sache zum Abschluss gebracht. Das kann
nicht sein. Wir müssen hier stärker sensibilisieren. Ich
hoffe, dass wir aus den Ergebnissen den Schluss ziehen,
dass Aus- und Fortbildung bei der Polizei und der Justiz
intensiviert werden müssen. Auch das EDV-Wirrwarr
zwischen den Bundesländern muss aufgelöst werden,
damit wir effektiv und intensiv arbeiten können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, uns muss es gelingen, alle
Empfehlungen aus dem Untersuchungsausschuss umzu-
setzen. Wir werden das gemeinsam mit der Bundesregie-
rung tun. Ich freue mich, dass heute zwei Minister gespro-
chen haben. Wir werden die Umsetzung als Parlament
begleiten. Ich hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode
konkrete Erfolge erzielen. Das sind wir den Opfern
schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801706500

Jetzt hat die Kollegin Ulrike Bahr das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1801706600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das
kroch.“ Über 50 Jahre alt ist dieser Satz aus Bertolt
Brechts Arturo Ui. Man könnte meinen, über eine so





Ulrike Bahr


(A) (C)



(D)(B)

lange Zeitspanne hätte er Staub ansetzen und an Aktuali-
tät einbüßen können. Doch weit gefehlt. Dies haben ge-
rade die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses
uns allen wohl in erschreckendem Ausmaß vor Augen
geführt.

Umso wichtiger ist es, diesen Bericht nicht in der
Schublade verschwinden zu lassen. Das Wiederaufgrei-
fen und der Entschluss zur Bekräftigung der Empfehlun-
gen des NSU-Untersuchungsausschusses setzen hier ein
wichtiges und vor allem ein dringend notwendiges Zei-
chen im Hinblick auf eine funktionierende, verantwor-
tungsbewusste und wehrhafte Demokratie.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen uns in der Tat wehren, und leider nicht im
Sinne von „Wehret den Anfängen!“. Denn dieser Punkt
ist bereits weit überschritten: Rechtsextreme und antise-
mitische Einstellungen sind längst in unserer Mitte ange-
kommen. Jeder zehnte Deutsche neigt laut der letzten
Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2012 zu rechts-
extremem Denken. Dies zeichnet, wie ich finde, ein sehr
alarmierendes Bild der Situation in Deutschland, einem
Land, das ich persönlich viel lieber als weltoffen, tole-
rant und bunt wahrnehmen würde.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der erschreckende Blick in die braunen Sümpfe in
Deutschland darf aber über eines nicht hinwegtäuschen:
Es gibt sie – jene, die immer und immer wieder gegen
rechtsextreme Aufmärsche, gegen Rassismus und Anti-
semitismus aufstehen, die sich von rechten Drohungen
nicht einschüchtern lassen. In ganz Deutschland wehren
sich Bürgerinnen und Bürger, unzählige Vereine und Ini-
tiativen sowie viele Kommunen gegen rechte Umtriebe.
Sie sagen: Wir sind bunt, und das soll so bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Dieses Netz von bunten Städten und Gemeinden zieht
sich mittlerweile über ganz Deutschland, und darauf dür-
fen alle Beteiligten wirklich stolz sein.

Genau hier sind wir auf dem richtigen Weg. Denn das
A und O für einen nachhaltigen und effektiven Kampf
gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis-
mus ist eine lebendige Zivilgesellschaft. Wo Menschen
erfahren, was man miteinander bewegen kann, werden
sie für extremes Gedankengut weniger empfänglich.
Hier sind auch wir als Politikerinnen und Politiker ge-
fragt. Politik muss wieder erlebbar und nahbar sein, nah
am Menschen. Demokratie ist für viele zu abstrakt, zu
weit entfernt von ihrem Alltag. Es ist unsere Aufgabe,
zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern, uns sel-
ber daran zu beteiligen und uns immer und immer wie-
der dafür starkzumachen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Martina Renner [DIE LINKE])


Dann wird auch wieder verständlicher, was Demokratie
im Kern ausmacht: das Recht auf Beteiligung.
In Anlehnung an die Empfehlungen des NSU-Unter-
suchungsausschusses findet sich auch im Koalitionsver-
trag ein klares Bekenntnis zur Förderung zivilgesell-
schaftlichen Engagements, um rechtsextremistischen
Strömungen entgegenzuwirken. Dafür ist es unbedingt
notwendig, die vielen Projekte, die die Demokratie vor
Ort hochhalten, auf eine sichere finanzielle Basis zu stel-
len. Wie wir aus dem letzten Jahr wissen, machte die
Angst vor dem finanziellen Aus auch vor so renommier-
ten Projekten wie Exit-Deutschland nicht halt, und das
darf nicht wieder passieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Wertschätzung, die den Initiativen bei diversen Fei-
erlichkeiten immer und immer wieder pathetisch versi-
chert wird, muss sich auch in ihrer Finanzausstattung wi-
derspiegeln.

Zusätzlich muss es unser Ziel sein, erfolgreiche Pro-
jekte zu verstetigen, um den Initiativen vor Ort das re-
gelmäßig wiederkehrende Zittern um Förderzusagen zu
ersparen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn für ihre wichtige Arbeit brauchen sie vor allem ei-
nes: Planungssicherheit. Die im Koalitionsvertrag fest-
gehaltene Aufstockung der Haushaltsmittel ist hier ein
wichtiger Schritt, um eine ausreichende Finanzierungssi-
cherheit zu gewährleisten.


(Beifall bei der SPD)


Gerade in diesem Bereich sollte zudem nicht immer gel-
ten: Wer zahlt, schafft an.

Wir brauchen dringender denn je zivilgesellschaftli-
ches Engagement. Deshalb müssen wir eine Partner-
schaft fördern, und zwar eine Partnerschaft auf Augen-
höhe und mit Beteiligungsformen, bei denen die
Expertise aus der Zivilgesellschaft aufgegriffen wird, um
das Engagement konsequent weiterzuentwickeln.

Ein wichtiges Signal im Hinblick auf eine gleichbe-
rechtigte Partnerschaft ist hier auch die gemeinsame
Entscheidung des Familien- und des Innenministeriums,
bei den Bundesprogrammen zur Demokratieförderung
zukünftig auf die sogenannte Extremismusklausel zu
verzichten. Die Parallelität des gemeinsamen Kampfes
gegen Rechtsextremismus und des gleichzeitigen Gene-
ralverdachts, damit linksextremen Einstellungen nahezu-
stehen, ist weder zeitgemäß, noch entspricht dies einem
partnerschaftlichen Verständnis im Verhältnis zwischen
Politik und Zivilgesellschaft.

Im Kampf gegen rechts können und müssen wir Par-
teilinien überspringen. In meinem Wahlkreis gibt es bei-
spielsweise ein „Bündnis für Menschenwürde“, in dem
sich alles vereint, was in Augsburg aktiv ist. Hier kämp-
fen Altlinke Seite an Seite mit wackeren Christsozialen,
Jung neben Alt, Kirche mit Gewerkschaften und Polizei
gemeinsam gegen rechte Umtriebe und zeigen Flagge,





Ulrike Bahr


(A) (C)



(D)(B)

wenn, wie womöglich am kommenden Wochenende
wieder, Nazis aufmarschieren.

Gerade hier spielt der Bereich der Bildung eine ganz
wesentliche Rolle. Denn Bildung und Aufklärung sind
mächtige Schutzwälle gegen extremes Gedankengut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor dem Hintergrund unserer Geschichte müssen wir
Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Persönlichkeit zu
stärken. Wir müssen ihnen vermitteln, dass unsere De-
mokratie ein wichtiges Gut ist und dass unsere Gesell-
schaft ohne Solidarität und Respekt niemals eine gute
sein kann.

Zivilcourage kommt nicht von selbst, aber sie ent-
steht, wenn man weiß, wofür wir sie brauchen. Unsere
Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir alle wieder be-
wusst zu schätzen wissen, was es heißt, in einer Demo-
kratie zu leben. Erst dann gibt es für Rechtsextreme kei-
nen Nährboden mehr.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801706700

Das war die erste Rede der Kollegin Bahr, und gleich

zu einem Thema, das uns alle sehr bewegt.


(Beifall)


Als nächster Redner hat der Kollege Martin Patzelt
das Wort. Auch für ihn ist das seine erste Rede.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1801706800

Sie meinen: vor diesem Hause!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Gut gesagt!)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Besucher hier im Bundestag! Die Demokratieför-
derung ist zwar die letzte Empfehlung, die der Untersu-
chungsausschuss in seinem Abschlussbericht gegeben
hat, aber sie ist nicht die letzte in ihrer Bedeutung. Aus
meiner Sicht ist sie von grundlegender Bedeutung.

Die Bundesregierung hat Bemühungen um Förderung
von Demokratie und Menschenfreundlichkeit und
gegen faschistische Ideologien und extremes Verhalten
seit dem Jahr 2000 gefördert. Seit 2008 wurden rund
377 Millionen Euro aus verschiedenen Ressorts zusam-
mengelegt, um die Kommunen bei spezifischen Pro-
grammen zu unterstützen.

Ich konnte in kommunaler Verantwortung erleben,
wie durch eine wachsende, sich profilierende Begleitung
und Beratung die Ratlosigkeit und die Ohnmacht der
Menschen in meiner Stadt angesichts öffentlicher rassis-
tischer Übergriffe und einer sich etablierenden Szene
von rechtsradikalen Jugendlichen sich wandelten. Ich
konnte erleben, wie in einer deutsch-polnischen Doppel-
stadt mit vielen ausländischen Studenten aus hilflosen
und spontanen Aktivitäten der Bürgerinnen und Bürger
ein bedachter Widerstand gegen fremdenfeindliche
Übergriffe organisiert wurde und ein friedliches und to-
lerantes Miteinander in der Stadt wuchs. Es waren insbe-
sondere die vom Bund bereitgestellten finanziellen Mit-
tel, die uns dabei halfen.

Wir müssen die Absicht zur Verstetigung der Förde-
rung und Entwicklung flächendeckender Beratungs-
strukturen unterstützen und, wo nötig und sinnvoll, auch
entsprechende Mittel aufstocken, damit die gewonnenen
spezifischen Erfahrungen und Kompetenzen nicht verlo-
rengehen. Meine Vorrednerin hat das ausführlich be-
gründet. Frau Pau, ich kann in diesem Zusammenhang
keine Uneinigkeit im Abschlussbericht des Untersu-
chungsausschusses finden. Für mich war beim Lesen ge-
rade in diesem Punkt eine große und bewundernswerte
Einigkeit erkennbar.

Die bislang geforderte Kofinanzierung von besonders
erfolgreichen Modellprojekten soll auf den Prüfstand ge-
stellt werden. Man überlegt, ob man nicht auf den kom-
munalen Anteil verzichten könnte, falls die Kommunen
kein Geld dafür haben. Davor warne ich ganz entschie-
den. Ohne einen finanziellen Beitrag der Länder und
Kommunen laufen diese Gefahr, ihre eigene Verantwort-
lichkeit zu unterschätzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD])


Die Menschen müssen an ihren Lebensorten gemein-
schaftlich um Demokratie und Toleranz ringen und sich
Fremdenhass und politischem Extremismus entgegen-
stellen. Dies muss man sich etwas kosten lassen. Sie
müssen verstehen lernen, dass es ihr Ding ist, diesen un-
ermüdlichen Einsatz für demokratisches Zusammenle-
ben zu gestalten. Ausgaben für einen solchen Einsatz
sind genauso wichtig oder vielleicht sogar noch wichti-
ger als andere Ausgaben, die Kommunen tätigen müs-
sen, etwa für gereinigte Straßen, gepflegte Grünanlagen
oder Politessen.

Der Bund kann und soll dauerhaft helfen, aber er darf
nicht die Verantwortung vor Ort mindern. Denn nur an
den Lebensorten selbst wird Erziehung und Bildung zu
demokratischem Verhalten vollzogen. Die Lebenskon-
texte sind geeignet, die Alternativlosigkeit und die Wert-
schätzung demokratischen Lebens überhaupt erfahrbar
zu machen und demokratisches Zusammenleben gera-
dezu zu trainieren. Gedenk- und Feiertagsrituale, Stun-
dentafeln und Bildungsreisen sind wichtig, aber sie rei-
chen bei weitem nicht aus. Sie können nicht die
widersprüchlichen Alltagserfahrungen, die Konflikte
und Frustrationen als Lernfelder ersetzen. Direkte Be-
gegnungen mit fremden, mit schwachen, mit hilfebe-
dürftigen Menschen, die Übernahme von Verantwortung
für Menschen und für Lebensbereiche, kurzum: die Par-
tizipation junger Menschen am Leben der Erwachsenen-
generation, das sind die geeigneten Orte der Begleitung
und Förderung junger Menschen und auch für spezifi-
sche Projekte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD])






Martin Patzelt


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind noch
am Üben; denn auch verbale Gewalt wird als Gewalt
empfunden. Strukturelle Gewalt, zum Beispiel im Ver-
waltungshandeln, führt zu Ohnmachtserfahrungen, und
ein andauernder Entzug von Aufmerksamkeit und Zu-
wendung führt zu Vereinsamung.

Ich konnte in Vorbereitung dieser Rede nicht darauf
verzichten, noch einmal meinen Blick auf die Täter zu
richten. Ich habe in der ausgezeichneten Recherche von
Christian Fuchs, Die Zelle, versucht, eine Antwort auf
die Frage zu finden, warum gerade Mittelstandskinder,
ohne materielle Not und ohne erkennbare soziale Ver-
werfungen aufgewachsen, sich in dem Gestrüpp natio-
nalsozialistischer Ideologien verfangen konnten und wa-
rum sie zu so furchtbaren und systematischen Morden
fähig wurden.

Der Untersuchungsausschuss konnte und wollte auf
solche Fragen keine Antworten geben. Dabei sind das
die Fragen, die vor allen pädagogischen und politischen
Interventionen stehen. Unsere Förderung darf nicht als
ein Feuerwehr- oder Reparaturprogramm verstanden
werden, sondern es muss auch nach den Ursachen und
den diesbezüglichen Bedingungen des Aufwachsens ge-
fragt werden. Fehlende Empathie, ungenügende Frustra-
tionstoleranz, keine Konfliktkompetenz und ungezügelte
Aggression sind Warnzeichen. In diesen Zusammenhän-
gen ist es unerlässlich, nach den Entwicklungsbedingun-
gen von Kindern in der Drehtür zwischen familiärer und
öffentlicher Erziehung zu fragen. Die anthropologischen
Wissenschaften geben uns dazu heute gute Antworten –
wenn wir sie nur hören wollen.

Die beabsichtigten Evaluationen von erfolgreich ge-
förderten Programmen stimmen hoffungsvoll. Ich bin
der Bundesregierung dankbar, dass sie sich in dem Ko-
alitionsvertrag so einmütig und so geschlossen zur Fort-
setzung und Evaluierung dieser Programme entschlossen
hat.

Noch ein Wort an uns alle: Vielleicht sind es gerade
unsere unbewältigten und verdrängten Konflikte und
Ängste, die es der nachfolgenden Generation schwer
machen, in eine lebbare Zukunft zu gehen. Vielleicht
führt unser unbedarfter Zugriff auf Ressourcen jeder Art
zu einer Situation, die jungen Menschen Angst macht,
die sie fragen lässt, wie sie in Zukunft leben sollen. Eine
junge Generation, die nicht vom Beispiel und vom Opti-
mismus der Älteren getragen und bewegt wird, kann
kein Vertrauen in die Zukunft entwickeln. Deshalb brau-
chen junge Menschen vor allem ältere und authentische
Kontaktpersonen – angefangen bei den Eltern bis hin zum
Nachbarn, zum Ausbilder, zum Lehrer –, die sie annehmen
mit ihren Eigenheiten und Fehlern, mit ihren Schwächen,
mit ihrer anstrengenden eigenen Sprache und ihrer eige-
nen Kultur, die ihre Ängste und Fähigkeiten ernst neh-
men, die Wertschätzung vermitteln und ihnen bei Proble-
men helfen, die mit ihnen im dauernden Gespräch
bleiben und dabei erfahren, dass solch eine Kommunika-
tion auch ihnen selbst helfen kann, ihre Ideologien auf-
zubrechen. Das bleibt schwer. Hier kann und soll pro-
fessionelle Beratung aus Sackgassen und Engpässen
heraushelfen.
Wir selbst müssen mit Blick auf unsere Kultur des
Umgangs im Deutschen Bundestag das Miteinander im-
mer wieder neu üben – daran entscheidet sich, ob und
wie Demokratie gelingt, ob sie wirklich und tatsächlich
die Ultima Ratio unseres Zusammenlebens ist –, indem
wir in der Sache scharf die Klingen kreuzen, der Person
aber immer die gute Absicht unterstellen; denn immer
neues, auch nach Enttäuschung investiertes Vertrauen ist
die beste Alternative zu Gewalt und Kraft. Das ermög-
licht uns eine gute individuelle Zukunft und eine gute
Zukunft unseres Landes und unserer Erde.

Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, eine eigene Ju-
gendpolitik zu entwickeln, so wie es im Koalitionsver-
trag schon anklingt. Ein erster Schritt könnte sein, dass
wir die Kinderkommission um eine Jugendkommission
erweitern.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801706900

Jetzt hat die Kollegin Susanne Mittag das Wort.


(Beifall bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wir gratulieren dem Kollegen Patzelt zur ersten Rede!)


– Ich hatte schon darauf hingewiesen. Ich sage es aber
noch einmal: Das war die erste Rede des Kollegen vor
diesem Hause.


(Beifall)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1801707000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hoffe,
als Schlussrednerin kann ich Ihre Aufmerksamkeit noch
ein bisschen bannen.

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren das, was
sich deutsche Sicherheitsbehörden anscheinend jahre-
lang nicht vorstellen konnten: eine rechtsextremistische
Terrorzelle. Erst nach dem Banküberfall und den darauf
folgenden Suiziden von Böhnhardt und Mundlos im No-
vember 2011 endeten die Mordanschläge, ohne dass die
Sicherheitsbehörden auch nur ahnten, wen sie da tot im
brennenden Wohnmobil vorgefunden haben. In den dar-
auffolgenden Wochen und Monaten machte sich Fas-
sungslosigkeit auch bei den Ermittlungsbehörden breit.
Die Frage, die wir uns alle gestellt haben, lautete: Wie
war es nur möglich, dass dieses Trio ungehindert jahre-
lang mordend durch diese Republik ziehen konnte?

Die strafrechtlichen Fragen klärt derzeit die Justiz;
dafür ist der Deutsche Bundestag nicht das richtige Gre-
mium. Allerdings war es bei all diesen gravierenden
Fehlern, Pannen und fragwürdigen Ermittlungsansätzen
unerlässlich, dass wir als Politik klären, was genau
schiefgelaufen ist und was wir ändern müssen, damit wir
als Gesellschaft solche terroristischen Umtriebe künftig
schneller erkennen und auch bekämpfen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)






Susanne Mittag


(A) (C)



(D)(B)

Der Deutsche Bundestag ist der zentrale Ort für die
politische Auseinandersetzung. Hier ringen wir um Posi-
tionen – das haben wir heute Morgen schon gemerkt –,
suchen Mehrheiten, und wir streiten, manchmal auch
härter, als es eigentlich sein müsste. Ganz anders war es
im NSU-Untersuchungsausschuss. Die Aufarbeitung
dort war geprägt vom Willen aller Fraktionen, gemein-
sam die Missstände aufzuklären und konstruktive Vor-
schläge zur Beseitigung zu erarbeiten. Dafür möchte
auch ich mich bei allen Beteiligten, die dem Ausschuss
zum Erfolg verholfen haben, ganz herzlich bedanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die im Untersuchungsausschuss geübte Praxis, dem
Phänomen des Rechtsterrorismus gemeinsam zu begeg-
nen, muss weiterverfolgt werden. Mir als neugewählter
Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages ist es
wichtig, dass wir hier und heute die Ergebnisse des Un-
tersuchungsausschusses fraktionsübergreifend bekräfti-
gen und als Arbeitsprogramm mit in diese neue Legisla-
turperiode nehmen. Ich denke, alle neuen Abgeordneten
werden mir da zustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind wir den Opfern, aber auch unserer Demokratie
schuldig.

Meine Vorredner Eva Högl und Sönke Rix haben als
Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses die be-
schämenden Ergebnisse mit vorgestellt und klare Forde-
rungen an die Politik in Bund und Ländern, an die Si-
cherheitsbehörden, aber auch an uns alle als Gesellschaft
formuliert. Das ist eben schon vorgetragen worden.

Bei allem, was wir in den kommenden Jahren in Bund
und Ländern als Politik verabschieden werden, ist mir
eines besonders wichtig: Lassen Sie uns nicht diejenigen
vergessen, die es dann auf der Straße umsetzen sollen.
Als ehemalige Polizeibeamtin weiß ich, wovon ich spre-
che. Wir dürfen also nicht immer nur neue Strukturen,
andere Herangehensweisen sowie Eigen- und Fremd-
kontrollen bei Ermittlungsabläufen in den Behörden ein-
fordern, sondern wir müssen gleichzeitig auch sagen,
wie die Kollegen vor Ort das leisten sollen. Denn oft-
mals fehlt es an Zeit, an Möglichkeiten und an Personal.
Ich sage hier ganz klar und deutlich: Wir werden in
Bund und Ländern nicht umhin kommen, mehr Geld für
Sachmittel und Personal auszugeben, wenn wir unsere
Forderungen hier ernst meinen. Wir haben ja bald Haus-
haltsberatungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch auf einen mir wichtigen Aspekt ein-
gehen und klarstellen: Der teilweise erhobene Vorwurf,
die Polizei und die Sicherheitsbehörden seien durchgän-
gig rassistisch und hätten ein frühzeitiges Erkennen des
NSU-Terrors bewusst verhindert, weise ich für die SPD
zurück. Gleichmacherei bringt uns hier kein Stück wei-
ter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielmehr haben sich in den Sicherheitsorganen unbe-
wusste Verdachts- und Vorurteilsstrukturen, Eitelkeiten
und mangelnder Informationsaustausch so potenziert,
dass sich hier alles zu einem Berg von Fehlern aufge-
türmt hatte, der kaum zu begreifen ist.

Daher halte ich es für vollkommen richtig, dass nun in
den Bundesländern die Altfälle aus den Jahren 1990 bis
2011 nach bisher unentdeckten rechtsextremistischen
Hintergründen erneut überprüft werden. Ich gehe davon
aus, dass mit gleichem Nachdruck auch den Altfällen
nachgegangen wird, bei denen sich keine rechtsextremen
Anhaltspunkte ergeben, sondern andere, sei es organi-
sierte Kriminalität oder seien es Anhaltspunkte aus dem
näheren Umfeld des Opfers.

Die Lehre aus dem NSU-Terror ist, dass jedes Opfer
einer Straftat das gleiche Recht auf bestmögliche Ermitt-
lungen hat, frei von Vorurteilen und Unterstellungen.
Das gilt unabhängig von Geschlecht, Rasse, Hautfarbe,
Sprache und Religion, unabhängig von politischen und
sonstigen Anschauungen, nationaler oder sozialer Her-
kunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit,
unabhängig von Vermögen oder sonstigem Status. Denn
jedes Opfer einer Straftat ist dem Staate und unserer Ge-
sellschaft ja wohl gleich viel wert und verdient unsere
Unterstützung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801707100

Auch für die Kollegin Mittag war es ihre erste Rede.


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktio-
nellen Antrag auf Drucksache 18/558 mit dem Titel „Be-
kräftigung der Empfehlungen des Abschlussberichts des
2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode ,Ter-
rorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund‘“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Gibt es Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag einstim-
mig angenommen worden – ein gutes Zeichen für dieses
Haus.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mieterhöhungsstopp jetzt

Drucksache 18/505





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungs-
wirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern

Drucksache 18/504
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Marktmacht brechen – Wohnungsnot durch
Sozialen Wohnungsbau beseitigen

Drucksache 18/506
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen.

Damit eröffne ich die Aussprache. Als erste Rednerin
hat die Kollegin Caren Lay das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801707200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Werfen Sie mit mir gemeinsam einen Blick auf
den deutschen Wohnungsmarkt: Wer ein Studium in Hei-
delberg aufnimmt, der darf sich auf eine saftige Kalt-
miete von etwa 10 Euro pro Quadratmeter gefasst ma-
chen. Eine Rentnerin, die in Prenzlauer Berg wohnt und
dort vielleicht auch ihren Lebensabend verbringen will,
weil sie seit 50 Jahren in ihrem Kiez zu Hause ist, muss
damit rechnen, bei der nächsten Modernisierung vor die
Tür gesetzt zu werden. Eine junge Familie in der Dresd-
ner Neustadt muss damit zurechtkommen, dass ihre
Miete in wenigen Jahren um 30 Prozent gestiegen ist.
Verdrängung, Gentrifizierung und Mietenexplosion auf
der einen Seite, Spekulation mit Wohnraum und hohe
Renditen aufseiten der Vermieter auf der anderen Seite,
das ist die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt.
Hier muss dringend etwas passieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es wäre die erste gute Tat
dieses neu gewählten Bundestages, wenn wir gemein-
sam festhalten könnten, dass die Vorgängerregierung
komplett versagt hat, als es darum ging, die Mieterinnen
und Mieter vor einer Mietenexplosion zu schützen, und
dass wir hier gemeinsam etwas auf den Weg bringen
müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Union und FDP haben doch tatenlos zugesehen! Sie
haben zugelassen, dass die Zahl der Sozialwohnungen in
zehn Jahren um ein Drittel zurückgegangen ist. Sie ha-
ben die Privatisierung öffentlicher Wohnungen nicht nur
nicht gestoppt, sondern sie auch selber mit betrieben;
noch im letzten Jahr wurden 11 000 Wohnungen, die im
Besitz des Bundes waren, ohne Not an eine Heuschrecke
verkauft. Sie haben zugelassen, dass der deutsche Woh-
nungsmarkt zu einem Eldorado für die internationale
Spekulantenszene geworden ist. Die CDU/CSU zuckt da
mit den Achseln und sagt: So ist sie eben, die Marktwirt-
schaft. – Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben die Rechte
der Mieterinnen und Mieter weiter reduziert, und zwar
im Rahmen des sogenannten Mietrechtsänderungsgeset-
zes.

Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Die oberste
Pflicht muss es jetzt sein, dafür zu sorgen, dass Wohnen
in Deutschland bezahlbar bleibt – auch und gerade für
Menschen mit geringem Einkommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Ich freue mich über den Applaus aus Reihen der SPD. –
Wir haben als Linke heute ein ganzes Maßnahmenpaket
vorgelegt. Eine ganz wichtige Forderung ist die Forde-
rung nach einer Mietpreisbremse. Eine andere Forde-
rung betrifft einen Neustart im sozialen Wohnungsbau;
meine Kollegin Frau Bluhm wird gleich näher darauf
eingehen.

Aber zurück zur Mietpreisbremse: Ich freue mich,
dass die Idee einer Mietpreisbremse im Wahlkampf eine
Rolle gespielt hat, dass dieser Begriff verwendet wurde
und dass es im Koalitionsvertrag Aussagen dazu gibt.
Mit Blick auf die Vorstellungen der Koalition verdient
die Mietpreisbremse jedoch ihren Namen nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Koalition will nämlich, dass die Mieten bei Wieder-
vermietung nicht stärker als um 10 Prozent steigen, ge-
messen an der örtlichen Vergleichsmiete. Wir fragen
uns: Warum soll die Miete bei einer Wiedervermietung
überhaupt steigen, wenn an der Wohnqualität überhaupt
nichts verbessert wurde?


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist doch völlig unlogisch: Frau A. wohnt in einer
Wohnung, für die sie 500 Euro Miete zahlt. Wenn jetzt
Frau B. in diese Wohnung einzieht, soll sie 550 Euro be-
zahlen. – Warum soll das so sein? Das kann mir wirklich
niemand erklären.

Kommen wir zum zweiten Pferdefuß: Diese „Miet-
preisbremse“ soll auch nur für fünf Jahre gelten und
auch nur dann, wenn die Länder bereit sind, sie umzuset-
zen. Da stellen sich zwei Fragen: Was passiert nach die-
sen fünf Jahren? Und, viel wichtiger: Was passiert ei-
gentlich, wenn die unionsregierten Länder sagen: „Nein,
wir setzen das nicht um, wir wollen in unseren Ländern





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

keine Mietpreisbremse haben“? Meine Damen und Her-
ren, das macht wirklich keinen Sinn. Sie delegieren hier
die Verantwortung an die Länder und wollen Ihre Hände
in Unschuld waschen. Das verdient den Namen „Miet-
preisbremse“ nun wirklich nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Grober Unverstand!)


Mit einer solchen „Mietpreisbremse“ kann man die Mie-
ten genauso bremsen, wie man einen Lkw mit einer
Fahrradbremse bremsen kann.

Wir als Linke schlagen etwas rigidere Regeln vor, die
die Mieterinnen und Mieter schützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen: Erstens. Mieterhöhungen nur aufgrund von
Wiedervermietung darf es überhaupt nicht mehr geben;
dafür gibt es nun wirklich keinen Grund. Zweitens.
Wenn die Miete erhöht wird, soll sie nur im Rahmen des
Inflationsausgleiches steigen dürfen. Das wäre der erste
Schritt dahin, dass Wohnen in Deutschland bezahlbar
bleibt.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass un-
sere Forderung, bei Maklerverträgen ein Bestellerprinzip
einzuführen, jetzt von der Koalition aufgegriffen wird.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal zu Ihren Anträgen!)


Anders macht das wirklich keinen Sinn. Wer beispiels-
weise in Berlin eine Wohnung sucht, der muss erst ein-
mal mindestens anderthalb Kaltmieten an den Makler
zahlen, selbst wenn der Vermieter ihn bestellt hat. Da
frage ich Sie: Welcher Rentner, welche Studentin kann
sich das denn überhaupt leisten? Das muss endlich geän-
dert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in der Mietenpolitik muss
etwas passieren. Wir fordern eine echte Mietpreisbremse
und einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Wir wol-
len die Spekulation mit Wohnraum eindämmen. Die Pri-
vatisierung von öffentlichem Wohnraum muss endlich
ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Mietenpolitik ist eine der größten sozialen Heraus-
forderungen der nächsten vier Jahre. Wir als Linke wer-
den hier Druck machen; das darf ich Ihnen versprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801707300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt hat der Kol-

lege Dr. Luczak das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Wiese [SPD])


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1801707400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Lay, Sie haben recht: Auf dem Miet-
wohnungsmarkt muss etwas passieren; aber – das kann
ich Ihnen vorab schon einmal sagen – das, was Sie vor-
schlagen, das wird jedenfalls nicht passieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man muss sich nur einmal ansehen, welche Wortwahl
die Linke in ihren Anträgen bei der Aufstellung ihrer
Forderungen benutzt. Da heißt es: „Mieterhöhungsstopp
jetzt“, „Marktmacht brechen“, „Wohnen in der City
[wird] zum elitären Statussymbol“. Meine Damen und
Herren, das sind die Schlagworte, die die Linke in ihren
Anträgen verwendet.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie sollten noch mehr zitieren! Das würde Ihre Rede besser machen!)


Ich muss sagen: Angesichts dieser Wortwahl – sie findet
sich eigentlich ständig in den Anträgen der Linken –
kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren: Ihnen geht
es nicht um die Sache, sondern allein um populistische
Forderungen und um Stimmungsmache. Damit werden
Sie den Menschen in diesem Lande nicht gerecht, meine
Damen und Herren von den Linken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es verwundert ja auch schon, dass Sie gerade jetzt mit
Ihren Vorschlägen um die Ecke kommen. Sie wissen
doch ganz genau, dass wir in wenigen Wochen einen ers-
ten Referentenentwurf bekommen werden, in dem wir
uns dezidiert und explizit mit diesen Forderungen zum
Mietrecht auseinandersetzen werden. Auch das zeigt
wieder einmal, dass es Ihnen nicht um die Sache geht,
sondern dass Sie an dieser Stelle Krawall machen wol-
len.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Ich rate Ihnen: Warten Sie den Entwurf ab, und setzen
Sie sich konstruktiv damit auseinander. Dann können
wir ja vielleicht über das eine oder andere miteinander
reden.

Aber was machen Sie stattdessen? Sie legen uns hier
heute – das kann ich gar nicht anders formulieren – ein
Sammelsurium an Unsinn vor.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das ist Komplexität!)


Sie lassen in Ihren Forderungen jegliche Kenntnis von
wirtschaftlichen Zusammenhängen vermissen. Sie wer-
fen Zerrbilder an die Wand und machen vor allen Dingen
eines deutlich: Sie sind immer noch nicht in der sozialen
Marktwirtschaft angekommen, sondern leben noch im-
mer in Ihren sozialistischen Fantasien.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sprechen in Ihren Anträgen zum Beispiel von der
„monopolartigen Dominanz des Privateigentums“


(Zurufe von der LINKEN)






Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

und von Eigentümern, die die angespannte Marktsitua-
tion „hemmungslos“ ausnutzen. Sogar das Wirtschafts-
strafgesetz wollen Sie jetzt für Eigentümer verschärfen.
Bei Ihnen ist immer noch der Eigentümer der Böse. Be-
greifen Sie doch endlich einmal: Eigentum ist nichts
Schlechtes, sondern die Grundlage unserer gesellschaft-
lichen und auch verfassungsrechtlichen Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss sagen, ich finde es sehr schade, dass Sie sich
in dieser Art und Weise mit der Mietenproblematik aus-
einandersetzen; denn das Thema ist wirklich sehr wich-
tig.

Ich finde, am Anfang einer solchen Diskussion muss
immer eine nüchterne Bestandsaufnahme stehen. Ja, es
gibt eine dynamische Mietpreisentwicklung. Ja, es gibt
auch Menschen, die sich ihre Wohnung nach einer Miet-
erhöhung nicht mehr leisten können. Aber zur Wahrheit
gehört doch auch, dass diese Phänomene nicht überall zu
finden sind. Vielmehr ist das doch vor allen Dingen ein
Problem von Ballungszentren, von großen Städten und
von Universitätsstädten.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das nutzt den Leuten überhaupt nichts!)


Auf dem platten Land, in weiten Teilen der neuen Bun-
desländer und in vielen anderen strukturschwachen Re-
gionen, werden Sie oftmals genau die umgekehrte Situa-
tion finden: Dort gibt es flächendeckenden Leerstand
und Vermieter, die überhaupt nichts mehr in ihre Woh-
nungen investieren.

Herrscht also einerseits Wohnungsknappheit, werden
an anderen Orten Hunderte Wohnungen abgerissen. In-
sofern: Der Wohnungsmarkt ist sehr differenziert, und
deswegen müssen die Antworten auf diese Fragen auch
sehr differenziert ausfallen, und das vermisse ich in Ih-
ren Vorschlägen hier völlig.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801707500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Lay?


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1801707600

Ja, sehr gerne.


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801707700

Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie eine Zwischen-

frage zulassen. – Sie haben darauf verwiesen, dass die
Situation in den verschiedenen Städten und Regionen in
Deutschland unterschiedlich ist. Das ist in der Tat richtig
und auch völlig unbestritten.

Ich darf Sie trotzdem fragen: Was nutzt es eigentlich
jemandem, der in Berlin, Frankfurt oder München hän-
deringend eine Wohnung sucht, weil dessen Arbeitsplatz
nun einmal in der Großstadt ist, dass meinetwegen in der
Uckermark oder auch im Bayerischen Wald die Mieten
noch bezahlbar und günstig sind? Vielleicht können Sie
das dem Hohen Hause einmal erklären.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1801707800

Liebe Frau Lay, das erkläre ich Ihnen sehr gerne.

Es geht darum, dass wir nicht alles über einen Kamm
scheren,


(Zuruf von der LINKEN: Wenn die Mietpreise nicht überall steigen, scheren wir nicht alles über einen Kamm!)


sondern dass sich die Differenziertheit des Wohnungs-
marktes tatsächlich auch in den Lösungsvorschlägen nie-
derschlägt. Es macht eben schon einen Unterschied, ob
man sich mit der Situation in großen Städten oder in Bal-
lungszentren oder mit der Situation auf dem platten Land
oder in strukturschwachen Regionen auseinandersetzt.
Dort müssen wir jeweils andere Lösungen finden.

Deswegen haben wir ja zum Beispiel – das haben Sie
gerade erwähnt – in unserem Mietrechtsreformgesetz der
letzten Legislaturperiode in Bezug auf die Kappungs-
grenzen, also die Möglichkeit, Mieterhöhungen inner-
halb eines laufenden Mietvertrages vorzunehmen, ge-
sagt: Wir geben den Ländern die Möglichkeit, zu
entscheiden, wo sie das machen wollen, weil die Länder
natürlich am besten wissen, wo Wohnungsknappheit
herrscht. – Es macht doch keinen Sinn, alles über einen
Kamm zu scheren und gleichzumachen. Ich weiß, das ist
immer Ihre Politik, aber das führt an dieser Stelle nicht
weiter, sondern wir müssen uns zielgenaue Regelungen
überlegen. Das haben wir in der letzten Legislaturpe-
riode getan, und das werden wir in dieser Legislaturpe-
riode genauso machen, Frau Lay.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will in Bezug auf steigende Mieten aber auch sa-
gen: Für die Union und auch für mich persönlich ist es
ganz wichtig, dass die Menschen – gerade junge Familien –
nicht aus ihren angestammten Kiezen verdrängt werden
dürfen. Die soziale Ausgewogenheit des Mietrechts war
und ist für die Union immer eine Selbstverständlichkeit.
Um uns daran zu erinnern, brauchen wir Sie von den
Linken nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das haben die letzten Jahre gezeigt!)


Die entscheidende Frage ist nur: Wie können wir
Mietsteigerungen nachhaltig dämpfen? Sie schlagen uns
– das haben Sie ja gerade gesagt – ein ganzes Maßnah-
menbündel vor: Sie schlagen vor, dass Mieterhöhungen
ohne Wohnwertverbesserung nur noch zum Ausgleich
der Inflation zulässig sind.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ja!)


Bei der Wiedervermietung einer Wohnung wollen Sie es
Eigentümern grundsätzlich verbieten, die Miete zu erhö-
hen.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Und warum?)






Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

Mieterhöhungen ohne adäquate Gegenleistung sollen zu-
künftig sogar strafbar werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Vorschläge – es gibt noch viel mehr, die ich hier
erwähnen könnte – zielen im Kern darauf ab, privates
Eigentum, private Investitionen und letztlich die soziale
Marktwirtschaft auf dem Wohnungsmarkt abzuschaffen
und durch ein staatlich reguliertes Mietensystem und
staatlichen Wohnungsbau zu ersetzen. Da sage ich ganz
klar: Das wird es mit der Union nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für uns ist völlig klar und eindeutig: Das beste Mittel
gegen steigende Mieten ist immer noch der Bau von
mehr Wohnungen;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn das ist letztlich die Ursache für steigende Mieten:
Es gibt schlechterdings zu wenig Angebote auf dem
Wohnungsmarkt. Natürlich, auch hier ist der Staat in der
Pflicht.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ja!)


Er muss den Wohnungsbau fördern. Das tun wir umfang-
reich mit diversen Förderprogrammen, zum Beispiel mit
den Mitteln des Bundes für die soziale Wohnraumförde-
rung. Hier stellt der Bund den Ländern immerhin bis
zum Jahre 2019 jedes Jahr über eine halbe Milliarde
Euro zur Verfügung.

An dieser Stelle sage ich: Wir als Bund haben die
klare Erwartung, dass diese Mittel zweckentsprechend
eingesetzt werden und wirklich für den Bau neuer Woh-
nungen verwandt werden, nicht für andere Sachen. Da
können Sie sich einmal an die eigene Nase fassen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken. Sie haben in
der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung hier in Berlin
mit diesem Geld über zehn Jahre lang alte Schulden ge-
tilgt. Von diesem Geld ist keine einzige neue Wohnung
gebaut worden. Also: Fassen Sie sich mal an Ihre eigene
Nase!


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Klar ist jedenfalls: Angesichts knapper Haushaltskas-
sen werden wir das Problem nicht allein über staatliche
Förderung lösen können; vielmehr sind wir dabei zwin-
gend auf private Investitionen angewiesen. Hier geht es
auch gar nicht so sehr um die großen Finanzinvestoren,
auf die Sie immer so gerne schimpfen, sondern es geht
vor allen Dingen um die privaten Kleinvermieter: Über
60 Prozent der Wohnungen in unserem Lande werden
von privaten Eigentümern angeboten. Das ist etwa der
Handwerksmeister, der vielleicht Mitte 50 ist, der sich
eine Wohnung oder zwei Wohnungen als Altersvorsorge
angeschafft hat und diese dann vermietet. Solche Men-
schen brauchen wir, wenn es auch zukünftig genügend
Wohnraum in unserem Land geben soll.
Diese Menschen investieren natürlich aber nur dann
in den Wohnungsneubau, wenn sich das für sie irgend-
wie rechnet.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Ja, eben!)


Man muss wissen: Als Anlageform ist die Vermietung von
Wohnungen – bei allen Unterschieden, die es da gibt – im
Kern relativ renditeschwach. Die Durchschnittsrendite bei
diesen privaten Kleinvermietern – noch einmal: sie bieten
60 Prozent der Wohnungen in unserem Land an – liegt bei
gerade einmal 2,14 Prozent.

Was würde nun passieren, wenn wir Ihre Vorschläge
umsetzten? Dieser Handwerksmeister würde sich sehr
genau überlegen, ob er sein Geld dann nicht lieber aufs
Tagesgeldkonto legt, statt sich mit Mietnomaden und
Ähnlichem herumzuärgern.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Unter dem Strich würde es weniger Investitionen in den
Wohnungsneubau geben. Weniger Investitionen bedeu-
ten aber weniger Wohnungen, und weniger Wohnungen
bedeuten weniger Angebote; weniger Angebote bedeu-
ten steigende Mieten – so sind die Zusammenhänge in
der Marktwirtschaft.

Das, was Sie uns als Linke vorschlagen, würde die
Mieten also nicht senken. Diese Vorschläge würden um-
gekehrt dazu führen, dass die Situation mittelfristig noch
viel schlechter wird. Ich sage Ihnen eines: Die Mieterin-
nen und Mieter in unserem Land werden sich bei Ihnen
bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht noch weiter – ich glaube, darin sind wir uns
alle einig –: Neben dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen, wollen wir auch Wohnraum haben, der energe-
tischen Ansprüchen genügt und den Anforderungen ei-
ner älter werdenden Gesellschaft gerecht wird. Beides ist
mit Blick auf die demografische Entwicklung und auf
unser gesamtgesellschaftliches Ziel des Klimaschutzes
völlig unabdingbar.

Natürlich, auch hier gilt wieder: Der Staat muss seiner
Verantwortung gerecht werden. Insofern haben wir im
Koalitionsvertrag – das ist gut und richtig – vorgesehen,
zum Beispiel die Mittel der KfW-Programme zur ener-
getischen Sanierung aufzustocken und das Verfahren
deutlich zu vereinfachen. Aber trotzdem: Öffentliche
Förderung bzw. staatliche Mittel sind begrenzt. Umso
mehr brauchen wir Rahmenbedingungen, die Eigentü-
mer nicht von Investitionen abhalten. Wir brauchen auch
bei der energetischen Sanierung und beim altersgerech-
ten Umbau privates Kapital, wenn wir unsere Ziele errei-
chen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir nun die Modernisierungsumlage, so wie Sie
das vorschlagen, auf 5 Prozent reduzieren und diese
dann letztlich sogar abschaffen, dann frage ich Sie: Wel-
cher Eigentümer soll zukünftig noch investieren? Wel-
cher Eigentümer soll denn noch Geld in die Hand neh-
men, wenn sich das für ihn überhaupt nicht mehr
rechnet? Niemand wird das mehr machen. Die Folge





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

wäre, dass privater Wohnraum dem Verfall ausgesetzt
wäre. Die Folge wäre, dass weniger Wohnungen energe-
tisch modernisiert und altersgerecht umgebaut würden.
Wozu das führt, konnte man bis 1990 in der damaligen
DDR beobachten. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber
ich will zu der Situation nicht zurück, die wir da gehabt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Richtig ist, dass wir genau das Gegenteil machen
müssen: Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaf-
fen, dass mehr in den Wohnungsneubau und in die Mo-
dernisierung des Wohnungsbestandes investiert wird.
Deswegen bedarf es für Investitionen wirtschaftlicher
Anreize und nicht zusätzlicher Hürden.

All das, was ich gerade ausgeführt habe, gilt natürlich
auch für die Vorschläge, die unser Justizminister Maas in
wenigen Wochen vorlegen wird. Deswegen sage ich an
dieser Stelle ganz klar: Ja, die Mietpreisbremse aus dem
Koalitionsvertrag wird kommen, weil sie ein Instrument
ist, um kurzfristig gegen steigende Mieten vorzugehen.
Aber klar muss auch sein, dass die Mietpreisbremse nur
bei den Symptomen ansetzt. Die Ursache für steigende
Mieten, nämlich zu wenig Wohnungsneubau, wird damit
in keiner Weise beseitigt, im Gegenteil: Mit der Miet-
preisbremse werden die Rahmenbedingungen für Eigen-
tümer, in Wohnungsneubau zu investieren, sogar ver-
schlechtert. Deswegen sage ich ganz klar: Wir müssen
die Mietpreisbremse so ausgestalten, dass sie nicht zu ei-
ner Investitionsbremse wird, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gleiche gilt auch für die geplanten Änderungen
bei der Modernisierungsumlage. Hier müssen wir zum
Beispiel sehr genau im Blick behalten, ob das, was wir
geplant haben, nämlich die Umlagefähigkeit bis zum
Zeitpunkt der Amortisation zu befristen, richtig ist. Ich
persönlich halte das für eine Regelung, die in der Praxis
kaum umsetzbar sein wird. Ich glaube, sie wird auch in
gewisser Weise einen Systembruch darstellen, weil mit
einer Modernisierung immer eine Erhöhung des Wohn-
wertes einhergeht. Dieser Wohnwert bleibt schließlich
bestehen, wenn die Modernisierungskosten sich amorti-
siert haben.

Im Kern würde diese Regelung also bedeuten, dass
ein Mieter die Wohnwertsteigerung nach Erreichen der
Amortisation zum Nulltarif hätte. Damit wäre, glaube
ich, das Äquivalenzprinzip in einem sehr wesentlichen
Punkt ausgehebelt. Deswegen müssen wir uns sehr ge-
nau überlegen, ob das der richtige Weg ist.

Zum Schluss, meine Damen und Herren von den Lin-
ken: Sie sehen also: Die Wohnungsmarktpolitik ist sehr
komplex und vielschichtig. Ihre einfachen und populisti-
schen Parolen leisten überhaupt keinen Beitrag dazu,
hier zu angemessenen Lösungen zu kommen. Deswegen
werden wir Ihre Anträge ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801707900

Als nächster Redner hat der Kollege Christian Kühn

das Wort.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren auf den Rängen! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Beim Thema Wohnen geht es nicht um ein x-belie-
biges Produkt oder eine Ware wie eine Zahnbürste, eine
Dienstleistung oder ein Möbelstück. Wohnen ist ein hohes
Gut. Die Lage einer Wohnung entscheidet heute über die
Kreditwürdigkeit und den Zugang zu Arbeit, Bildung,
Gesundheit und Sicherheit. Ein Stadtteil oder eine Straße
sind nicht nur eine Postanschrift; sie sind für viele Men-
schen Identität, soziales Umfeld und Heimat.

Mit einer Wohnung erhält man einen grundrechtlich
garantierten Schutz. Spricht man mit obdachlosen und
wohnungslosen Menschen bei den Vesperkirchen im
Land, die gerade ihre Tore geöffnet haben, dann kann
man erahnen, was es bedeutet, wenn man den Rückzugs-
raum und Schutzraum Wohnung nicht mehr hat.

Wohnen ist viel mehr als Markt und Ware. Deswegen
ist es unsere Pflicht, Wohnraum zu schützen und ihn
eben nicht rein marktwirtschaftlichen Gesetzen zu über-
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Wohnungsmärkte in den großen Städten boomen.
Ich finde es ein bisschen untertrieben, das eine normale
dynamische Entwicklung zu nennen. Gerade in den Bal-
lungsräumen und Universitätsstädten läuft das aus dem
Ruder. Sie können täglich nicht nur in Berliner Zeitun-
gen, sondern auch in anderen nachlesen, wie stark die
Mietanstiege in diesen Ballungszentren sind.

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, und das
ist auch gut so. Aber der Platz wird knapp, und dadurch
steigen eben die Preise. Dieser Effekt wird durch die
Niedrigzinspolitik verstärkt: Bei den niedrigen Zinsen
legen immer mehr Menschen ihr Geld in Betongold, also
in Immobilien, an und wollen dafür eine Rendite, zum
Teil auch eine hohe Rendite.

An diesem Montag hat eine Meldung der Bundesbank
uns Wohnungspolitiker aufhorchen lassen: In den Groß-
städten weichen die Preise für Wohnimmobilien um
25 Prozent nach oben ab. Sogar eine Immobilienblase ist
bei lang anhaltender Niedrigzinspolitik nicht mehr aus-
zuschließen.

Deswegen ist es richtig, jetzt in die Wohnungsmärkte
einzugreifen. Dabei kann man nicht von einer dynami-
schen Entwicklung sprechen. Vielmehr laufen in Teilen
Deutschlands die Märkte aus dem Ruder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Unser Mietrecht lässt einen Spielraum für Mietpreisstei-
gerungen zu, der gerade in den wachsenden Regionen





Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

ausgenutzt wird. Das heißt dann: Wer genügend Geld
hat, kann in den Städten wohnen bleiben.

Die wachsenden Märkte sind überhitzt. Ich finde, wir
brauchen dringend eine Abkühlung bei den Mietmärk-
ten, und zwar schnell, damit wir der Polarisierung und
sozialen Entmischung in unseren Städten etwas entge-
gensetzen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen stehen für lebenswerte, durchmischte
Städte, in die man gerne investiert, in denen man aber
auch gerne lebt. Dafür brauchen wir grundsätzlich ein
umfassendes wohnungspolitisches Konzept, das an un-
terschiedlichen Stellschrauben dreht. Staat, Mieterinnen
und Mieter sowie Eigentümerinnen und Eigentümer
müssen gemeinsam daran arbeiten, die drei großen He-
rausforderungen zu bewältigen: altersgerechter Umbau,
energetische Sanierung und sozialer Ausgleich. Leider
sehe ich ein solch umfassendes Konzept bei der Großen
Koalition nicht. Bei Ihnen fehlen nämlich die Investi-
tionsanreize, Herr Luczak.


(Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Bei Ihren Vorschlägen fehlen die Investitionsanreize!)


– Nein, bei Ihnen fehlen die Investitionsanreize.

Wir finden die Mietpreisbremse als ein Instrument,
das schnell eingeführt wird, richtig. Sie ist im Kern ein
Rettungsschirm, der schnell aufgespannt werden muss.
Sie sagen nun aber: Das verhindert den Neubau. – Das
ist falsch. Für den Neubau gilt sie gar nicht. Ich rate Ih-
nen, einen Blick in den eigenen Koalitionsvertrag zu
werfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Bitte lesen! Das steht da drin!)


Ich rate Ihnen: Rücken Sie von Ihren Wahlversprechen
nicht ab! Führen Sie die Mietpreisbremse ein! Bleiben
Sie hier standfest, wie man auf dem Bau sagt.

Bei der Modernisierungsumlage bin ich sehr skep-
tisch, was die geplante zeitliche Begrenzung angeht.
Wenn Sie diese einführen, werden Sie sich in juristi-
schen Fallstricken verheddern. Deswegen sage ich Ih-
nen: Schwenken Sie auf unser Konzept und die inhaltli-
che Beschränkung auf den altersgerechten Umbau und
die energetische Sanierung um. Wir brauchen echte An-
reize. Auch wir wollen die KfW-Programme verstetigen.
Wir wollen sie aus dem nicht funktionsfähigen Emis-
sionshandel herauslösen, der letztlich die Finanzierungs-
basis dafür bildet. Die Mittel für diese Programme müs-
sen auf mindestens 2 Milliarden Euro jährlich erhöht
werden. Zudem müssen Sie in die Quartierssanierung
mehr investieren. Mir fehlen hier die Zahlen der Großen
Koalition. Ich bin gespannt, ob Sie am Ende bei den
Haushaltsberatungen wirklich liefern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim sozialen Wohnungsbau sollten wir uns als Woh-
nungspolitiker ein bisschen ehrlich machen: Die Feder-
führung der Gesetzgebung liegt bei den Ländern. Wir als
Bund zahlen die Entflechtungsmittel. Wenn man wirk-
lich etwas Substanzielles ändern will, dann muss man in
eine neue Föderalismusreform einsteigen, dies dort als
Thema gezielt setzen und darüber nachdenken, wie der
soziale Wohnungsbau in Deutschland neu organisiert
werden soll. Ihnen in der Großen Koalition fehlt die
Kraft, dieses Thema wirklich anzugehen. Das finde ich
schade. Das ist eine vertane Chance für die Wohnungs-
politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was halten Sie von den Anträgen der Linken?)


Wir Grünen stehen für eine neue, innovative Woh-
nungspolitik, in der alle wohnungspolitischen Instru-
mente aufeinander abgestimmt sind. Es geht um die
Energiewende, den demografischen Wandel und den
sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Beim Wohn-
geld – das ist ein Beispiel dafür, was wir unter einer
neuen Wohnungspolitik verstehen – wollen wir einen
Klimazuschuss obendrauf setzen; denn wenn wir den
Heizkostenzuschuss wieder einführen, zahlen wir letzt-
lich die Heizkosten für schlecht isolierte Wohnungen.
Das macht weder volkswirtschaftlich noch haushalte-
risch Sinn. Deswegen bedarf es eines Klimazuschusses
beim Wohngeld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das, was wir Grünen mit einer klimafreundli-
chen und bezahlbaren Wohnungspolitik meinen. Die An-
träge der Linken verstehen wir in Teilen sehr gut. Wir
werden sie in den nächsten Wochen weiter prüfen. Heute
ist die erste Lesung. Wir werden darüber im Ausschuss
weiter beraten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801708000

Als nächster Redner hat der Parlamentarische Staats-

sekretär Florian Pronold das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1801708100


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wohnen“ kommt aus
dem Althochdeutschen und bedeutet „zufrieden sein“.
Wenn ich mir die Entwicklung gerade in Ballungsräu-
men und in vielen Universitätsstädten anschaue, dann
muss ich feststellen: Viele Menschen sind mit ihrem
Wohnumfeld nicht mehr zufrieden. Sie sind nicht mehr
zufrieden damit, dass die Mieten bei Wiedervermietung
in Städten zwischen 20 und 50 Prozent ansteigen, ohne
dass tatsächlich irgendetwas an der Wohnung gemacht
wurde. Die Menschen sind unzufrieden damit, dass sie,
wenn sie eine Wohnung – auch auf angespannten Woh-
nungsmärkten – gefunden haben, 2,3 Monatsmieten als
Maklergebühren zahlen sollen. Sie verstehen nicht, warum
das so sein muss.





Parl. Staatssekretär Florian Pronold


(A) (C)



(D)(B)

Wir als Große Koalition haben darauf reagiert. Unser
Koalitionsvertrag gibt – das ignoriert die Linke in ihren
Anträgen komplett – abgestimmte, zielgenaue Antwor-
ten auf die Probleme. Erstens erzielen wir Verbesserun-
gen beim Mietrecht, indem wir die Mieterinnen und
Mieter deutlich besser schützen. Zweitens regen wir In-
vestitionen an. Wir wissen, dass es auf angespannten
Wohnungsmärkten mehr Wohnungsbaus bedarf. Wer
sich die aktuellen Entwicklungen anschaut, sieht, dass
die Investitionen in den Wohnungsneubau anziehen und
dass dies zu einer Entspannung führt.

Das sind Themen, die wir angehen wollen. Die Bun-
desregierung und insbesondere das neue Umwelt- und
Bauministerium, wenn ich die Kurzformulierung benut-
zen darf, haben sich vorgenommen, in einem Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen alle Aspekte, die
hier auch von den Vorrednern angesprochen worden
sind, zusammenzubringen.

Wir brauchen energetisch sanierte Wohnungen, wir
brauchen altersgerecht gestaltete Wohnungen, wir brau-
chen aber auch bezahlbaren Wohnraum für viele Men-
schen, die heute Sorge haben, ob sie sich als Rentnerin-
nen und Rentner ihre Wohnung noch leisten können.
Auch der Polizeibeamte oder die Krankenschwester ma-
chen sich Sorgen, dass sie die nächste Mietsteigerung
nicht mehr tragen können und deswegen ausziehen und
an den Stadtrand ziehen müssen. Für all diejenigen wol-
len wir etwas machen. Ich finde, wir haben in dem Ko-
alitionsvertrag wirklich ganz tolle Dinge aufgeschrieben,
die wir Stück für Stück umsetzen werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801708200

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Ströbele?

Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1801708300


Gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Herr Staatssekretär. – Ich habe eine Frage:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung beabsichtigt, eine
Mietpreisbremse einzurichten, diese aber zeitlich zu be-
fristen, auf beispielsweise fünf Jahre?


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das hat die Kollegin Lay schon gesagt!)


Wenn das zutrifft, glauben Sie dann nicht mit mir, dass
für die Mieter die Aussicht, dass in fünf Jahren die Miete
völlig freigegeben wird und ohne jede Einschränkung er-
höht werden kann, keine Perspektive, sondern ein Horror
ist?

Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1801708400


Lieber Kollege Ströbele, wir haben bei jeder Miet-
rechtsänderung, die wir in diesem Hause machen, eine
zeitliche Befristung von vier Jahren; denn jede neue
politische Konstellation kann das bestehende Mietrecht
verändern. Wir haben uns in der Großen Koalition da-
rauf verständigt, diese Mietpreisbremse unter bestimm-
ten Bedingungen einzuführen.

Erstens. Wir wollen sie regional ausgestalten, weil
wir wissen, dass es das Problem, dass es bei Wiederver-
mietung zu solchen Sprüngen kommt, nur bei 10 bis
15 Prozent der Wohnungsmärkte überhaupt gibt. Zwei-
tens. Wir wollen die Mietpreisbremse zeitlich befristen,
um zu sehen, ob das ein Instrument ist, das auch tatsäch-
lich wirkt und funktioniert. Deswegen haben wir im Ko-
alitionsvertrag festgelegt, dass wir eine Periode von fünf
Jahren vorsehen, um dieses Instrument zu testen. Sollte
es sich als wirkungsvoll herausstellen, ist es der nächsten
Koalition doch völlig unbenommen, diese zeitliche Be-
fristung aus dem Gesetz herauszunehmen und ein be-
währtes Instrument – ich bin überzeugt davon, dass es
das ist – weiter fortzuführen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte gerne noch auf den Redebeitrag von der
Kollegin Lay eingehen. Warum kommen wir auf den Ge-
danken, bei der Wiedervermietung nicht die ortsübliche
Miete zugrunde zu legen, sondern einen Betrag, der
10 Prozent darüber liegt? Dem liegt doch eine ganz
praktische Überlegung zugrunde, die jeder, der sich ein-
mal mit der Vielfältigkeit von Vermietungen beschäftigt
hat, sofort erkennen muss.

Es gibt eine ganze Menge von Vermieterinnen und
Vermietern – die sind angesprochen worden –, die die
Miete nicht erhöhen. Es gibt eine ganze Menge, die klei-
nere Maßnahmen beim Mieterwechsel durchführen, die
nicht unter die Modernisierungsumlage fallen. Weil wir
verhindern wollen, dass permanent ein Druck zu Mieter-
höhungen besteht, und weil wir nicht wollen, dass klei-
nere Maßnahmen unterbleiben, wollen wir bei der Wie-
dervermietung einen gewissen Spielraum bieten, damit
so etwas auch gemacht wird. Wir wollen dafür sorgen,
dass es zu einem ausgewogenen Verhältnis kommt. Un-
ser Ziel ist es, Exzesse zu verhindern. Wir wollen ver-
hindern, dass es, ohne dass etwas an der Wohnung ge-
macht worden ist, auf einmal zu Steigerungen von 20 bis
50 Prozent kommt. Das werden wir mit dieser Mietpreis-
bremse erreichen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden gleichzeitig eine weitere Sorge aufgrei-
fen: Viele Mieterinnen und Mieter haben selbst bei an
sich sinnvollen Dingen wie zum Beispiel der energeti-
schen Sanierung Sorge, dass die Wohnung luxusmoder-
nisiert wird und dass sie sich die Wohnung nicht mehr
leisten können. Das Problem wollen wir angehen, indem
wir eine Härtefallklausel für Mieterinnen und Mieter
schaffen, wie es im Koalitionsvertrag steht, und indem
wir darüber reden, wie wir eine vernünftige zeitliche Be-
fristung hinbekommen und welcher Anteil umgelegt
werden kann.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheint ja noch strittig zu sein! Wo ist denn der Entwurf?)






Parl. Staatssekretär Florian Pronold


(A) (C)



(D)(B)

– Zunächst einmal gilt der Koalitionsvertrag, und wir
werden ihn umsetzen. Dieses Projekt wird unter der Fe-
derführung des Justizministeriums zügigst auf den Weg
gebracht.


(Beifall bei der SPD)


Sie werden das hier sehr schnell auf den Tisch bekom-
men, und dann können wir uns darüber unterhalten.

Letzter Satz, Frau Präsidentin; Sie ermahnen mich
schon. Wir werden dafür Sorge tragen, dass wir einen
vernünftigen Mix aus sozialer Wohnraumförderung, aus
mietrechtlichem Schutz und aus Investitionstätigkeit
hinbekommen, damit für alle Menschen in der Bundes-
republik Deutschland das Wort „wohnen“ mit dem Wort
„genießen“ wieder in Übereinstimmung gebracht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801708500

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heidrun

Bluhm das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801708600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Mietanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft ent-
wickeln und dauerhaft sichern“, „Mieterhöhungsstopp
jetzt“, „Marktmacht brechen – Wohnungsnot durch So-
zialen Wohnungsbau beseitigen“: Herr Kollege Luczak,
ich wiederhole das sehr gerne. Ich finde es extrem arro-
gant, wenn Sie sich hier vorne hinstellen und allein die
Titel unserer Anträge so disqualifizieren.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Disqualifiziert haben Sie sich selber!)


Wissen Sie überhaupt, wie viele Bürgerinnen und Bürger
genau so die Wohnungspolitik empfinden und in diesem
Parlament ein Sprachrohr brauchen? Dass Sie nur die
Vermieterseite vertreten und so tun, als wenn Sie die
Mieterseite ebenfalls bedienten, das kennen wir seit Jah-
ren.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ihre populistischen Bemerkungen gehen an der Sache völlig vorbei!)


Hier muss noch einmal deutlich klargestellt werden, dass
dem nicht so ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzle-
rin hat in ihrer Regierungserklärung vor ungefähr einem
Monat versprochen, im Mittelpunkt des Regierungshan-
delns stehe für sie der Mensch. Im Zweifel müsse man
sich für die Menschen entscheiden. Nun, wie es scheint,
hat die Bundesregierung noch etwas Zeit, sich mit sich
selbst oder sich nur mit ganz speziellen Menschen zu be-
schäftigen, bevor sie dazu kommt, sich mit den Proble-
men der Menschen im Allgemeinen zu beschäftigen –


(Beifall bei der LINKEN)

Zeit, die die Menschen im konkreten, im richtigen Leben
aber nicht haben. Auch können die Bürgerinnen und
Bürger nichts dafür, dass die Regierung so lange braucht,
um zum Handeln zu kommen, und dass wir zwischen-
zeitlich durch andere Aufgaben dabei aufgehalten wer-
den, uns ihnen zuzuwenden. Wir haben die Zeit genutzt
und haben unsere Anträge mit diesen Überschriften
heute hier so vorgelegt.

Herr Luczak, die Analyse, von der Sie sprechen und
die Sie gern durchgeführt sähen, liegt seit langem vor. Es
gibt mehrere Wohnungsmarktberichte, die wir bereits in
den vergangenen Legislaturen zur Kenntnis genommen
haben. Es gibt die Studie des Pestel-Instituts vom Okto-
ber 2013, in der festgestellt wird, dass in Ballungsgebie-
ten 30 bis 50 Prozent aller Haushalte Anspruch auf einen
Wohnberechtigungsschein, also auf eine sozial gebun-
dene Wohnung, hätten. Das entspricht einem Bedarf von
circa 5,6 Millionen Sozialwohnungen oder rund 28 Pro-
zent des Mietwohnungsbestandes. Ende der 1970er-
Jahre lag der Bestand an Sozialwohnungen in Deutsch-
land bei knapp 30 Prozent. Heute beträgt er nur noch
7 Prozent am gesamten Wohnungsmarkt, und dieser An-
teil ist weiter sinkend.

Angesichts dieser Fakten ist die im Koalitionsvertrag
angekündigte „Wiederbelebung“ des sozialen Woh-
nungsbaus nicht zu erreichen. Mit 518 Millionen Euro
jährlich, befristet bis 2019, lassen sich nicht einmal die
zukünftigen Verluste an Sozialwohnungen ausgleichen.
Auch das ist keine Trendwende. Selbst wenn die von uns
in unseren Anträgen geforderten 700 Millionen Euro
jährlich fließen würden, reichten sie dafür allein nicht
aus;


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Genau! Deswegen warten wir auf weitere Investitionen! Richtig!)


aber sie wären wenigstens ein Signal an die Länder und
die private Wohnungswirtschaft, dass wirklich Wieder-
belebung und nicht nur Notbeatmung gemeint ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die Länder dann mit gleicher Summe kofinanzie-
ren, könnten wir die Entwicklung auch umkehren.

Was wir vor allem und dringend brauchen, ist ein Pa-
radigmenwechsel in der politischen Einstellung der Re-
gierung. Angesichts der aufgestauten Probleme durch
den demografischen Wandel, durch die Klimaverände-
rung oder aber auch durch die Zuwanderung von Mi-
granten und Flüchtlingen nach Deutschland darf sich der
Bund nicht länger hinter dieser Länderzuständigkeit ver-
schanzen. Die ausschließliche Marktorientierung der
bisherigen Politik in der Wohnungswirtschaft muss ins-
gesamt auf den Prüfstand gestellt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke will kommunale und genossenschaftliche
Wohnungswirtschaft wieder deutlich stärken und der
Renditelogik der Immobilienmärkte weiter entgegenstel-
len. Herr Luczak, auch das ist Eigentum; das ist öffentli-
ches und solidarisches Eigentum. Es muss genauso ge-
schützt werden wie das Privateigentum.


(Beifall bei der LINKEN)






Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

Aber die Tendenz Ihrer Politik entwickelt sich immer
noch in die entgegengesetzte Richtung: Die Privatisie-
rung nimmt weiterhin ihren Lauf. Anstelle einer „Maas-
vollen“ Mietpreisbremse des Justizministers brauchen
wir eine radikale Privatisierungsbremse.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wohin die bisher geübte Praxis der Wohnungsprivati-
sierungen führt, zeigt uns sehr anschaulich das Beispiel
der ehemals bundeseigenen TLG-Wohnungen in Ost-
deutschland: Nach kurzer Schamfrist hat die TAG Im-
mobilien Aktiengesellschaft, die Käuferin der TLG
Wohnen, die Mieten flächendeckend angehoben, die Be-
stands- und erst recht die Wiedervermietungsmieten, in
Dresden zum Beispiel um 20 Prozent. Die zahnlose, mit
der vorherigen Bundesregierung ausgehandelte Sozial-
charta und die steuerfinanzierte Ombudsstelle haben
keine der Mieterinnen und Mieter davor geschützt. Um
dem Ganzen die Krone aufzusetzen, beteiligt sich jetzt
die unter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums ste-
hende Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder,
VBL genannt, also eine Anstalt des öffentlichen Rechts,
an der privaten TAG Immobilien Aktiengesellschaft, die
diese Mietenpolitik betreibt.

Mit über 10 Prozent Aktienanteil ist die VBL einer der
größten Aktionäre bei der privaten Aktiengesellschaft
TAG geworden, die von ebendiesem Finanzministerium
rund 11 500 Wohnungen in Ostdeutschland gekauft hat –
und das noch unter Umgehung der Grunderwerbsteuer.
Nicht nur, dass die VBL dadurch mit Beitragsgeldern der
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der TAG Immo-
bilien Aktiengesellschaft hilft, den Kaufpreis für die
vom Bund erworbenen Wohnungen zu refinanzieren; sie
wirkt nun auch noch darauf hin, dass ihr finanzielles
Engagement sich über steigende Mieten rentiert. Das ist
so paradox, so krank wie das ganze System.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber die Bundesregierung hält das alles, wie sie uns in
ihrer Antwort auf unsere entsprechende Kleine Anfrage
in der vergangenen Woche wissen ließ, für legal und völ-
lig normal, eben für systemkonform.

Dieses System der Wohnungswirtschaft muss sich
grundlegend ändern. Das Entstehen monopolartiger
Strukturen auf dem Wohnungsmarkt muss verhindert
werden. Ein weiteres Wuchern von rein renditeorientier-
ten Finanzinvestoren in der Wohnungswirtschaft muss
unterbunden und zurückgedrängt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Wohnungswirtschaft muss verändert und mindestens
um das Element eines nicht renditeorientierten Sektors
erweitert werden.

Der soziale Wohnungsbau, so wie die Linke ihn ver-
steht, muss zum Kern eines neuen, gemeinwohlorientier-
ten Segments in der Wohnungswirtschaft entwickelt
werden,


(Beifall bei der LINKEN)


nicht durch Enteignung, sondern durch Hinzufügung auf
dem Wohnungsmarkt. Mit den Ländern sollten dazu dif-
ferenzierte Vereinbarungen geschlossen werden, die so-
wohl Neubau als auch Sanierung oder auch den Ankauf
von Belegungsrechten ermöglichen. Wichtig ist: Die
Zweckbindung muss unbefristet und damit dauerhaft
festgeschrieben sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Luczak, Sie haben heute daran appelliert, mit den
Ländern solche Vereinbarungen zu verabreden. Ich muss
Ihnen sagen: Herr Schäuble hat sie im letzten Jahr geop-
fert und aufgegeben.

Mittel müssen überall dort in den sozialen Wohnungs-
bau fließen, wo Wohnungsnot besteht, und zur Heraus-
bildung eines dauerhaften sozial gebundenen Bestandes
in der kommunalen und genossenschaftlichen Woh-
nungswirtschaft verwendet werden. Das wäre eine wirk-
same Alternative zur rein marktwirtschaftlich aufgestell-
ten Wohnungswirtschaft. Nur so wird es uns gelingen,
die bestehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Un-
gleichgewichte zwischen Anbietern und Nachfragern,
also zwischen Vermietern und Mietern, auf dem Woh-
nungsmarkt aufzuheben.

Erinnern wir uns an das, was Frau Merkel in ihrer Re-
gierungserklärung gesagt hat: Wir wollen im Zweifel für
die Menschen sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin sehr gespannt auf die Gesetzesinitiativen der Re-
gierung.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801708700

Als Nächster erteile ich das Wort unserer Kollegin

Sylvia Jörrißen, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1801708800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir das Antrags-
paket der Linken heute nutzen, um über die Wohnungs-
situation zu sprechen. Klar ist aber, dass die Situation
deutlich komplexer ist, als von den Kollegen ausgemalt.

Erlauben Sie mir, in dieser Debatte darauf hinzuwei-
sen, dass die Wohnungspolitik kein Politikfeld ist, das
für parteipolitische Punktsiege missbraucht werden
sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir reden beim Thema Wohnung über das unmittelbare
Zuhause, das Heim der Menschen. Entscheidungen, die
wir treffen, haben unmittelbaren Einfluss auf dieses
engste und persönliche Umfeld; da stimme ich dem Kol-
legen Kühn von den Grünen absolut zu. Aber gerade
deshalb muss alles gut überlegt sein. Die Maßnahmen,
die wir treffen, dürfen nicht Ausfluss populistischer For-
derungen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Sylvia Jörrißen


(A) (C)



(D)(B)

Wenn ich mir den Wohnungsmarkt in unserem Land
anschaue, dann sehe ich ein Erfolgsmodell. In anderen
Ländern war der Immobilienmarkt der Auslöser der
Wirtschafts- und Finanzkrise, bei uns wirkt er bis heute
stabilisierend. Seine Mischung aus Eigentum, Miete und
genossenschaftlichem Wohnen macht den entscheiden-
den Unterschied. Eine sichere Wohnsituation bedeutet
Lebensqualität für die Menschen in unserem Land. Das
haben sich CDU/CSU und SPD auf die Fahnen und in
den Koalitionsvertrag geschrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auf der einen Seite gibt es in Deutschland eine ganze
Reihe von wirtschaftlich starken und aufstrebenden Re-
gionen. Sie sind attraktiv für Zuzüge. Hier passen regiona-
les Wohnungsangebot und Nachfrage aktuell nicht immer
zusammen. Auf der anderen Seite – das lassen Sie in Ih-
rem Antrag bewusst aus – gibt es vor allem in struktur-
schwachen Regionen einen massiven Wohnungsleerstand.
Diese regional völlig gegensätzlichen Probleme lösen Sie
mit Ihrer Pauschalforderung nach 150 000 neuen Sozial-
wohnungen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Einzige Lösung ist – da bin ich mir sicher –, dass sich
die regionalen Wohnungsteilmärkte den veränderten Be-
dingungen anpassen. Dazu brauchen wir Wohnungsneu-
bau – kommunalen, genossenschaftlichen und privaten –
und gerade keine Privatisierungsbremse, wie Sie sie for-
dern, Frau Bluhm.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Groß [SPD])


Dafür muss die Politik in allen drei Bereichen passge-
naue Anreize schaffen.

Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder für
die soziale Wohnraumförderung verantwortlich. Wir
verschanzen uns nicht hinter dieser gesetzlichen Rege-
lung; vielmehr wird der Bund die Länder dabei bis Ende
2019 mit jährlich 518 Millionen Euro unterstützen. Ich
sage ausdrücklich: unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird kritisch zu beobachten sein, ob und wie die ein-
zelnen Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Die
Selbstverpflichtung zur Zweckbindung ist für mich da-
bei selbstverständlich. Das Geld muss in den sozialen
Wohnungsbau fließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es geht nicht an, dass es zum Stopfen selbst verursachter
Haushaltslöcher verwendet wird. Ich erwarte aber auch,
dass sich die Bundesländer mit eigenen Mitteln beteili-
gen. Ursprünglich war die soziale Wohnraumförderung
hälftig angelegt. Der Bund hat klare und gesetzliche Zu-
sagen gemacht. Auf die Antwort der Länder bin ich sehr
gespannt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Licht ins Dunkel wird der Immobilienwirtschaftliche
Dialog bringen, den wir ausbauen und an dem wir nun
auch die Länder beteiligen. Für mich zeigt die Debatte
auf Bundesebene, dass wir unseren Blick viel stärker da-
rauf richten müssen, was die Länder vor Ort zur Pro-
blemlösung beitragen. Ich bedaure sehr, dass das im Ge-
setz zu den Kompensationsmitteln nicht zu regeln war.
Jetzt müssen wir dringend einen anderen Weg finden,
um Transparenz herzustellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschenswert und
wichtig sind ausreichende Anreize für den Wohnungs-
neubau. Private Investoren wollen mit Verkauf oder
Vermietung Geld verdienen. Das ist aber, anders als teil-
weise dargestellt, nichts Verwerfliches. Der gesellschaft-
liche Nutzen liegt in einem ausgeglichenen Wohnungs-
markt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD])


Auch hier wollen wir entsprechende Rahmenbedingun-
gen schaffen. Entbürokratisierung und Verschlankung
von Genehmigungsverfahren sind das eine. Steuerliche
Anreize wären das andere.


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Diese sind im Koalitionsvertrag nicht erwähnt,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Leider!)


aus unserer Sicht ausdrücklich aber auch nicht ausge-
schlossen. Auch hier kommt es wieder darauf an, wie
sich die Länder verhalten. Wir sollten uns diese Option
je nach Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt offenhal-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Anforderungen an den Wohnungsbau unterschei-
den sich nicht nur regional, sondern vor allem auch hin-
sichtlich der Zielgruppen. Es werden spezialisierte
Wohnraumlösungen gebraucht. Wohnen im Alter, Fami-
lienwohnen oder auch studentisches Wohnen sind nur ei-
nige Beispiele, die aber die Vielschichtigkeit der Heraus-
forderungen verdeutlichen.

Der viel beschworene demografische Wandel stellt
auch an den Wohnungsmarkt neue Anforderungen. In
vielen Wohnungsteilmärkten heißt das neben dem Neu-
bau vor allem auch Umbau von Bestandswohnungen für
bezahlbares und vor allem altersgerechtes Wohnen. Wir
wollen selbstbestimmtes Wohnen und damit ein Höchst-
maß an Lebensqualität in allen Lebensaltern. Sie, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
schlagen eine planwirtschaftliche Verordnung von
150 000 neuen, mietpreisgebundenen Wohnungen sozu-
sagen als Allheilmittel vor. Wir dagegen wollen indivi-
duelle und regional angepasste Anreize schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ziel ist für mich ein gesunder Wohnungsmarkt, der
die Nachfrage bedient und auf Veränderungen selber re-
agiert. Die Maßnahmen zur Wiederbelebung des sozia-





Sylvia Jörrißen


(A) (C)



(D)(B)

len Wohnungsbaus und die Mietpreisbremse, auf die
meine Vorredner zur Genüge eingegangen sind, sind
erste konkrete Projekte, die wir auf den Weg bringen
wollen. Weitere regional angepasste und zielgruppen-
orientierte Maßnahmen und Programme zur Förderung
des Wohnungsneubaus und -umbaus werden folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, seien Sie
versichert: Dieses Thema ist bei CDU/CSU und SPD in
guten Händen – auch ohne den Schaufensterantrag der
Linken. Wir setzen auf ein vielschichtiges Programm,
zielgruppengerechte und regionale Förderung und ge-
zielte Anreize. So sieht gute Politik für Deutschland aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801708900

Das war die erste Rede unserer Kollegin Sylvia

Jörrißen im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren ihr
dazu herzlich


(Beifall)


und wünschen ihr und uns weiterhin spannende parla-
mentarische Debatten.

Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Lisa
Paus, Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801709000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-

desbank hat in ihrem jüngsten Monatsbericht festge-
stellt, dass die Immobilien in deutschen Großstädten um
25 Prozent überbewertet sind. Das kann man nicht weg-
diskutieren und auch nicht wegrelativieren durch irgend-
welche Verweise; vielmehr muss man den Menschen in
dieser akuten Situation helfen. 25 Prozent Überbewer-
tung – das ist nicht nichts, sondern ein dramatisches Zei-
chen. Da herrscht Not, und dagegen müssen Sie etwas
tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Folgen dieser Überbewertung, die, wie schon ge-
sagt wurde, ihre Ursache in der Euro-Krise und in der
Krisenpolitik, die von der Bundesregierung mit zu ver-
antworten ist, hat, diese Folgen kann man auch hier in
Berlin erleben: Häuserzeilen, die in den letzten zehn Jah-
ren drei-, vier-, fünfmal verkauft worden sind, – Men-
schen, die wegen Luxussanierung aus ihrem Kiez an den
Stadtrand verdrängt worden sind –, Rentnerinnen und
Rentner, die sich ihre aktuelle Wohnung, die für sie in-
zwischen eigentlich zu groß ist, nicht mehr leisten kön-
nen, die es sich aber auch nicht leisten können, umzuzie-
hen, weil die neue, kleinere Wohnung wegen der nicht
vorhandenen Mietpreisbremse bei der Neuvermietung
um 30 bis 40 Prozent teurer wird, und die deshalb zur
Schuldnerberatung gehen müssen. Das ist die Situation
in Berlin, und deswegen müssen wir jetzt etwas tun in
diesem Lande.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben gesagt, dass Sie die Mietpreisbremse ein-
führen wollen. Wir sind da gespannt. Nach allem, was
ich bisher gehört habe, kommt sie mir wie ein löchriger
Schweizer Käse vor.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Da gibt es die Fünfjahresregelung; das Thema ist schon
angesprochen worden. Und auch für Erstvermietungen
soll die Mietpreisbremse nicht gelten. Darüber hinaus
soll es weitere Ausnahmen geben. Wir werden sehen,
wie bremsend diese Mietpreisbremse tatsächlich wirken
wird. Vor allen Dingen aber ist das zu wenig. Sie haben
auf all das verwiesen, was Sie noch machen wollen.
Aber dabei ist deutlich geworden, dass Sie sich inner-
halb der Koalition nicht in allen Punkten einig sind.

Es braucht ein Gesamtpaket. Die Bauministerkonfe-
renz zum Beispiel hat unisono darauf hingewiesen, dass
der Heizkostenzuschuss ein wichtiges Thema ist, um das
sich die Bundesregierung kümmern sollte – bis jetzt
Fehlanzeige. Ein weiteres Thema ist die Modernisie-
rungs- und Instandsetzungsumlage. Darüber gibt es of-
fenbar Streit in der Koalition, und das ist möglicher-
weise der Grund dafür, dass sie in dem Gesetzentwurf
nicht enthalten ist. Es gibt aber überhaupt keinen Grund,
warum es in dieser Zeit historisch niedrigster Zinsen
nach wie vor möglich ist, jedes Jahr 11 Prozent der Kos-
ten auf die Mieterinnen und Mieter umzulegen. Das ist
ein zentraler Kostentreiber, und deswegen sollten Sie
diesen Punkt in dem Gesetzentwurf, den Sie im März
vorlegen wollen, mit unterbringen. Ansonsten helfen Sie
den Menschen in diesem Lande eben nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Bereich der sogenannten zweiten Miete machen
Sie ebenfalls gar nichts. Sie haben zwar angesprochen,
dass das wichtig ist und Sie zu Runden Tischen einladen.
Konkret ist es aber so, dass Sie diesen Punkt in den Koa-
litionsverhandlungen am Ende rausgenommen haben. Es
gibt eben keine Erhöhung des KfW-Förderprogramms.
Es gibt keine steuerliche Förderung bei der energeti-
schen Gebäudesanierung. An dieser Stelle machen Sie
gar nichts.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das haben Ihre Kollegen letztes Jahr im Bundesrat mit abgelehnt!)


Deswegen wird bei den Menschen effektiv nichts an-
kommen. Deswegen haben es die Menschen weiterhin
mit einer Überbewertung der Immobilien von 25 Prozent
zu tun. Schnüren Sie ein vernünftiges Paket, und schnü-
ren Sie es zügig, um den Menschen tatsächlich zu hel-
fen! Dann haben Sie auch unsere Unterstützung. Aber
das, was bisher vorliegt, ist einfach deutlich zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Warten Sie doch mal ab!)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801709100

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen

Dennis Rohde von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1801709200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Das Wohnungsangebot in Deutschland ist der-
zeit sehr unterschiedlich und wenig einheitlich. In Groß-
städten, Ballungsräumen und Universitätsstädten ist
Wohnraum rar und oft unerschwinglich teuer. In ländli-
chen Gebieten hingegen stehen Wohnungen leer, und die
Immobilienpreise befinden sich im Sinkflug. Der Anteil
der Mieterinnen und Mieter in Deutschland liegt bei
circa 50 Prozent. Wohnungen sind Lebens- und Rück-
zugsraum. Bezahlbares Wohnen sicherzustellen, ist ein
soziales Kernthema und damit etwas, was uns Sozialde-
mokraten ganz besonders antreibt.


(Beifall bei der SPD)


Soziale Schieflagen zu beseitigen, ist bei weitem
nicht nur ein Thema der Sozial- und Steuerpolitik. Wir
sind nicht ohne Grund vor der Bundestagswahl nie müde
geworden, auch auf die alarmierende Situation auf dem
Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen. Für mich steht
fest: Qualitativ gutes und bezahlbares Wohnen darf kein
Luxus sein, weder in München noch in Berlin noch in
Leipzig oder Stuttgart, weder auf dem Land noch in der
Stadt.


(Beifall bei der SPD)


Es ist Aufgabe der Politik, es ist unsere Aufgabe, die
Rahmenbedingungen für einen lebendigen Wohnungs-
markt so zu gestalten, dass dort, wo die Menschen zu
Hause sind, dort, wo ihre Heimat ist, ausreichend guter
und bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Wir
Sozialdemokraten setzen dabei auf eine Stärkung der In-
vestitionstätigkeit sowie auf die Wiederbelebung des
sozialen Wohnungsbaus. Dies flankieren wir mit ausge-
wogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Maßnah-
men: Wir werden erstens die Mietsteigerungen begren-
zen. Wir werden zweitens die Investitionen in den
sozialen Wohnungsbau stärken. Wir werden drittens die
energetische Sanierung weiter vorantreiben und viertens
den familien- und altersgerechten Umbau von Wohnun-
gen unterstützen. All das muss man zusammendenken
und darf es nicht isoliert betrachten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist Gefahr in Verzug, und zwar nicht erst seit ges-
tern. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel dafür brin-
gen, was auf dem Wohnungsmarkt los ist: Meine Hei-
matstadt Oldenburg hat 160 000 Einwohner. In den
letzten fünf Jahren haben wir bei Wiedervermietungen
einen Anstieg der Mietpreise von gut 25 Prozent erlebt.
Kostete die kleine 40-Quadratmeter-Wohnung im Jahr
2008 noch gut 285 Euro kalt, so muss man heute durch-
schnittlich 360 Euro auf den Tisch legen. Das macht mo-
natlich 75 Euro weniger im Portemonnaie. Das sind
stolze 900 Euro im Jahr. Für viele ist das ein ganzer Net-
tomonatslohn weniger, der nun für Miete draufgeht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei solchen Fehlentwicklungen dürfen wir nicht weg-
sehen. Hier müssen wir schnell handeln.


(Beifall bei der SPD)


Die Folgen sind schon jetzt offensichtlich. In vielen
städtischen Räumen werden sozial Schwächere durch
die Preisexplosionen in Vororte und Randgebiete ge-
drängt, oftmals weit weg von ihrem Arbeitsplatz und
von der Schule der Kinder. Sie sind damit raus aus dem
Viertel, in dem sie aufgewachsen sind. Das ist nicht mein
Verständnis einer sozialen Demokratie. Das ist auch
nicht mein Verständnis eines ausgewogenen Sozialgefü-
ges. Das ist nicht sozial gerecht. Das ist nicht in Ord-
nung. Ich sage: Das gehört verändert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Wir alle wissen doch: Meistens trifft es die Schwächs-
ten. Ich habe vor meiner Wahl in den Deutschen Bundes-
tag unter anderem anderthalb Jahre in einer Schuldnerbe-
ratungsstelle gearbeitet. Ich weiß sehr genau: Altersarmut
ist kein Thema, das uns erst in 10 oder 20 Jahren droht.
Ich habe viele Fälle erlebt, in denen insbesondere ältere
Menschen ihr vertrautes Zuhause verlassen mussten,
entweder aufgrund mangelnder Barrierefreiheit oder
weil ihr Zuhause für sie allein einfach zu groß geworden
ist. Es sind genau diese Menschen, die dann auf einen
Mietmarkt treffen, der aus den Fugen geraten ist. Sie le-
ben oftmals von einer kleinen Rente und finden dort
keine Wohnung mehr, wo sie ihr Leben lang daheim wa-
ren. Gerade für diese Generation brauchen wir zeitnahe
Lösungen. Wir werden deshalb zur Förderung des gene-
rationengerechten Umbaus mit dem Programm „Alters-
gerecht Umbauen“ einen neuen Weg gehen.

Im CO2-Gebäudesanierungsprogramm möchten wir
bei zusätzlichen Maßnahmen zum altersgerechten und
barrierefreien Umbau einen Förderbonus verankern. Ge-
meinschaftliche Wohnformen für Ältere wollen wir un-
terstützen und fördern. – An diesen und vielen anderen
Beispielen wird klar: Es hat zu lange zu vieles brachge-
legen. Ich freue mich deshalb, dass die Große Koalition
nun handelt und Lösungen umsetzt. So stelle ich mir
praktische Politik vor.

Wie ich mir praktische Politik nicht vorstelle, kann
man im Übrigen ausgezeichnet an den Anträgen der
Linksfraktion sehen, um die es in dieser Debatte geht.
Sie haben immer ganz viele, ganz konkrete Ideen, wo
man noch ein paar Milliarden ausgeben könnte. Wenn es
aber darum geht, diese vermeintlich tollen Ideen auch
solide zu finanzieren, dann bleibt es immer reichlich leer
in Ihren Anträgen, wie auch in den heute vorliegenden.
Ich sage Ihnen: So geht das nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)






Dennis Rohde


(A) (C)



(D)(B)

Im Gegensatz zu Ihren Anträgen, werte Kolleginnen
und Kollegen der Linksfraktion, wird das Maßnahmen-
paket, welches Bundesminister Maas noch vor der Som-
merpause in den parlamentarischen Prozess einbringen
wird, dem verfassungsrechtlichen Konflikt gerecht,
nämlich der Eigentumsfreiheit auf der einen und dem
Sozialstaatsprinzip auf der anderen Seite. Wir werden
die Preiserhöhungen auf maximal 10 Prozent der ortsüb-
lichen Vergleichsmiete bei Neuvermietung beschränken
und damit nachhaltig auf die Bremse für Mietpreise tre-
ten, ohne dabei potenzielle Investoren abzuschrecken;
denn uns ist auch klar: Das vorhandene Angebot an
Wohnraum in Ballungsräumen ist längst nicht ausrei-
chend. Es braucht Investitionen, die wir nicht blockie-
ren, sehr wohl aber ordnen werden. Die Initiative zur
Schaffung zusätzlichen studentischen Wohnraums setzen
wir übrigens ebenfalls fort.

Lassen Sie mich auch das noch sagen: Zur guten Ord-
nung gehört auch, dass derjenige, der eine Leistung be-
stellt, diese auch bezahlt. Von uns würde niemand auf
die Idee kommen, in einer Gaststätte das teuerste Gericht
zu bestellen und die Rechnung dann wie selbstverständ-
lich an den Nebentisch zu reichen. Von daher wird auch
in Zukunft für den Wohnungsmarkt gelten: Wenn der
Vermieter einen Makler beauftragt, dann wird er die Be-
zahlung nicht mehr auf die Mieterinnen und Mieter ab-
wälzen dürfen. Was ganz normal ist, gilt dann auch im
Maklerrecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei Maklerleistungen werden wir zudem für klare bun-
deseinheitliche Rahmenbedingungen sorgen und Mög-
lichkeiten der Qualitätssicherung abwägen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wohnen ist
ein Grundrecht. Dieses Recht anzuerkennen und zu stär-
ken, muss selbstverständliche Aufgabe hier im Parla-
ment sein. Wenn fehlende Regelungen, undurchsichtige
Berechnungsvorgänge und ungleiche Entwicklungen
dazu führen, dass viele Mieter an die Seite gedrängt wer-
den, dann ist es ordnungspolitisch geboten, dies abzu-
stellen. Die Mietpreisbremse ist dabei der erste Schritt,
den die Große Koalition geht. Der zweite und der dritte
werden folgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801709300

Das war die erste Rede des Kollegen Dennis Rohde,

SPD-Fraktion, im Deutschen Bundestag. Herr Rohde,
wir gratulieren Ihnen zu Ihrer Rede und wünschen für
die weitere parlamentarische Arbeit alles Gute.


(Beifall)


Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Bärbel
Höhn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801709400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn am Anfang des Monats die Miete überwiesen wer-
den muss, dann ist es den Leuten egal, wie hoch die
Kalt- oder die Warmmiete ist. Sie müssen nämlich die
gesamte Miete überweisen. Wir haben hier sehr viel über
die Kaltmiete geredet. Aber wir müssen auch die Mietne-
benkosten beachten; denn diese steigen ebenfalls drama-
tisch. Wir haben nicht nur bei der Kaltmiete Unterschiede
zwischen Berlin, München, dem Ruhrgebiet oder dem
ländlichen Raum, sondern eben auch bei der Warm-
miete. Das betrifft auch die Heizkosten. Wir müssen da-
her viel stärker daran denken, endlich damit aufzuhören,
das Geld buchstäblich aus dem Fenster zu verheizen,
wenn die Fenster nicht dicht sind oder wenn Einfachver-
glasung vorhanden ist. Das führt nämlich dazu, dass die
Leute viel zu hohe Mietnebenkosten haben, und das wol-
len wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch in diesem Zusammenhang sind die Leute unter-
schiedlich betroffen: Die einen können sich eine Drei-
fachverglasung oder einen Passivhausstandard leisten,
die anderen haben Ölheizungen und müssen deshalb er-
heblich mehr zahlen. Allein in den letzten zehn Jahren
sind die Kosten für das Heizöl um 140 Prozent gestie-
gen. Das bedeutet, dass eine Familie, die 2002 noch
1 000 Euro im Jahr für ihre Heizung bezahlt hat, plötz-
lich 2 400 Euro bezahlt. Das ist eine Steigerung von weit
über 100 Euro im Monat; das macht weit mehr aus als
die Inflationsrate. Dies gilt übrigens nicht nur für Heizöl,
sondern auch für Erdgas oder Fernwärme. Das, meine
Damen und Herren, müssen wir angehen; ansonsten sub-
ventionieren wir etwas, was immer teurer wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


6,9 Millionen deutsche Haushalte geben mehr als
10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Energie
aus; 17,3 Prozent der Haushalte, also fast jeder fünfte
Haushalt, sind davon betroffen. Ich finde, das ist nicht
hinnehmbar. Es geht hier auch darum, den Anteil der
Heizkosten an den Kosten der Unterbringung zu senken;
denn von den 13 Milliarden Euro, die von den Kommu-
nen und der öffentlichen Hand dafür gezahlt werden,
entfallen allein 2 Milliarden Euro auf die Heizkosten.
Wir wollen das ändern, und zwar vor Ort, in den Kom-
munen, weil wir glauben, dass die Leute dort am besten
wissen, was getan werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen das ändern, indem wir den Kommunen
Mittel aus dem Energieeffizienzfonds zur Verfügung
stellen. Es gilt nämlich, Förderinstrumente und steuerli-
che Förderungen anzubieten. Dazu haben wir hier übri-
gens einen Antrag gestellt, den Schwarz-Gelb damals
abgelehnt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen eine steuerliche Förderung, und wir wollen
Mittel aus dem Energieeffizienzfonds gerade für Investi-
tionen in Mietshäuser. Wir wollen mehr Geld für Sanierun-
gen bereitstellen. Programme zur Erhöhung der Energie-





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)

effizienz sind auch Konjunkturprogramme. Sie schaffen
Arbeitsplätze und bringen den Menschen, die eine
Warmmiete zahlen, Entlastung. Sie schaffen mehr Wert-
schöpfung hier in Deutschland und führen dazu, dass
Kommunen und die öffentliche Hand entlastet werden.
Gerade deshalb wollen wir diesen Weg gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Was wir nicht wollen – das wäre zynisch –, ist, nur auf
warme Winter zu hoffen. Im Übrigen werden wir eine
ganze Menge kalter Winter bekommen; denn wir können
nicht davon ausgehen, dass wir davon profitieren, wenn
wir selber das Klima aufheizen. Das PIK hat nämlich
festgestellt: Der Klimawandel wird verstärkt dazu füh-
ren, dass wir hier kalte Winter bekommen. Was jetzt in
Nordamerika passiert, wird auch bei uns häufiger passie-
ren; wir haben es zwei Jahre hintereinander erlebt. Tun
wir also etwas dagegen, dass die Menschen in kalten
Wohnungen sitzen, weil sie sich Wärme nicht mehr leis-
ten können! Auch das gehört zum Thema Miete. Wir
wollen, dass die Wohnung genau das ist, was mehrfach
gesagt worden ist: das Heim, der Ort, an dem sich die
Leute wohlfühlen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801709500

Als Nächster erteile ich der Kollegin Dr. Anja

Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1801709600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede in
diesem Hause zu einem Thema halten darf, das für un-
sere Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Deutschland
ist ein Land der Vermieter und Mieter. Über 40 Prozent
der Deutschen wohnen zur Miete. Die Wohnung, in der
man lebt, ist für jeden von uns ein wichtiger Rückzugs-
ort. Für uns, die CDU/CSU, hat die Wohn- und Lebens-
qualität der Menschen deshalb einen hohen Stellenwert.
Ausreichender und bezahlbarer Wohnraum sowie ein
ausgewogenes Mietrecht sind dabei unerlässlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind uns diesbezüglich unserer politischen Ver-
antwortung sehr bewusst. Deshalb haben wir im Koali-
tionsvertrag ausdrücklich festgehalten, dass wir das
Mietrecht ändern, den sozialen Wohnungsbau stärken
und mehr Anreize für Investitionen schaffen wollen; das
ist ganz wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei binden wir alle relevanten Akteure ein, von den
Kommunen über die Länder bis hin zu den Wohnungs-
gesellschaften und den privaten Immobilienbesitzern.
Eines ist mir dabei ganz besonders wichtig: Wir arbeiten
für eine lebenswerte Heimat in ganz Deutschland, und
zwar in der Stadt und auf dem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Wohnungsmarkt in Deutschland entwickelt sich
sehr unterschiedlich. In immer mehr Groß- und Hoch-
schulstädten unseres Landes haben wir die angespannten
Wohnungsmärkte, von denen gerade viel berichtet
wurde, mit steigenden Mieten und steigenden Preisen.
Ich kann mich an viele Berichte von jungen Studenten
erinnern, die entweder gar keine Wohnung oder nur eine
völlig überteuerte Wohnung finden. Doch wir stellen
auch eine gegenteilige Entwicklung fest – das muss man
ganz klar sagen –: In den ländlichen Räumen, in man-
chen Bereichen der neuen Bundesländer oder auch in
meiner fränkischen Heimat, gibt es auch Wohnungsleer-
stände. Auf diese Unterschiede am Wohnungsmarkt
brauchen wir passgenaue, regionale Antworten und kei-
nen Einheitsbrei, der von oben verordnet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Bluhm, ich möchte ganz klar sagen: Wir ver-
schanzen uns, anders als Sie es gerade beschrieben ha-
ben, nicht hinter der Länderzuständigkeit, sondern wir
geben mit der regionalisierten Mietpreisbremse genau
die richtige Antwort. Damit geben wir den Ländern bei
Wiedervermietungen in Gebieten mit angespannten
Wohnungsmärkten die Möglichkeit, Mieterhöhungen auf
maximal 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Ver-
gleichsmiete zu beschränken. Die Mietpreisbremse wirkt
eben genau dort, wo sie wirken muss. In den Ländern
kennt man die Situation vor Ort am besten und kann so
die Mietpreisbremse zielgerichtet einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wurde behauptet, dass wir nur die Vermieterseite
vertreten. Das ist einfach nicht wahr. Auch wir nehmen
die Ängste der Menschen sehr ernst, die befürchten, ihre
Wohnungen und ihre vertraute Umgebung verlassen zu
müssen, weil sie sich die Miete schlicht nicht mehr leis-
ten können. Mit unseren Vorschlägen überlassen wir die
Menschen eben nicht den marktwirtschaftlichen Mecha-
nismen, wie das gerade beschrieben wurde. Unsere
Mietpreisbremse ist vielmehr das richtige Instrument ge-
gen die immer weiter steigenden Mieten. Das ist soziale
Marktwirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es kommt darauf an, wie man die Mietpreisbremse
ausgestaltet. In ihrem Antrag fordern die Linken, dass
Mieterhöhungen nur noch in Höhe des Inflationsaus-
gleichs zulässig sind. Da kann ich nur sagen: Bei Ihnen
fehlen die Investitionsanreize. Das ist nicht nur eine
Mietpreisbremse, sondern auch eine Investitionsbremse.
Das können Sie doch nicht wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn das, was die Linken vorschlagen, Gesetz
würde, würde sich die Situation am Wohnungsmarkt
noch weiter zuspitzen, weil dann keiner mehr in neue





Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)

Wohnungen investieren würde. Dadurch würden die
Mieten noch weiter steigen. Ich sage Ihnen: Der beste
Mieterschutz ist immer noch der Bau neuer Wohnungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir wollen, dass ausreichend neue Wohnungen
gebaut werden, dann brauchen wir private Investoren.
Hierbei denke ich nicht an renditeorientierte Finanz-
investoren, wie die Linken sie nennen, sondern an die
Millionen privater Kleinanbieter auf dem Wohnungs-
markt, die mehr als 60 Prozent der Wohnungen in
Deutschland halten. Diese investieren aber nur, wenn es
sich für sie wirtschaftlich lohnt. Das wird bei einer Miet-
preisbremse, wie die Linken sie wollen, nicht der Fall
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wir denken an die Menschen mit geringem Ein-
kommen. Wir wollen ihnen gutes Wohnen ermöglichen.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Wohnungen mit Mietpreis-
bindung. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen
unterstützen wir die Länder weiterhin und stellen ihnen
bis 2019 jährlich 518 Millionen Euro für den sozialen
Wohnungsbau zur Verfügung.

Wir erwarten aber von den Ländern, dass sie diese
Mittel zweckgebunden für den sozialen Wohnungsbau
einsetzen. Denn es kann doch nicht sein, dass der Bund
den Ländern Millionen Euro an Bundesmitteln für den
sozialen Wohnungsbau überweist und manche von ih-
nen, zum Beispiel das Land Berlin in den letzten Jahren,
davon nur Altverbindlichkeiten tilgen und keine einzige
neue Sozialwohnung bauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier sind die Länder in der Verantwortung. In Bayern
zum Beispiel funktioniert das mit der zweckgebundenen
Verwendung von Mitteln sehr gut. Deshalb werden wir
darauf hinwirken, dass sich die Länder verpflichten, die
Mittel zweckgebunden in den Wohnungsbau zu investie-
ren.

Als Umweltpolitikerin ist es mir besonders im Hin-
blick auf den Klimaschutz wichtig, dass wir Anreize für
Investitionen in energetische Modernisierungsmaßnah-
men setzen. Auf diesem Gebiet müssen wir allerdings
noch viel tun. Aus meiner Erfahrung als ehemalige
Europaabgeordnete weiß ich, dass wir in Bezug auf das
Thema Energieeffizienz, im Unterschied zum Ausbau
erneuerbarer Energien und der Verringerung von Treib-
hausgasemissionen, die Einsparziele auf europäischer
Ebene bis 2020 nicht erreichen werden.

Der Gebäudesektor kann einen enormen Beitrag zur
Steigerung der Energieeffizienz leisten. Allein 40 Pro-
zent der Energie wird im Gebäudesektor verbraucht.
Hier gibt es Einsparpotenziale, die wir nutzen müssen.
Wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen,
damit Vermieter in die energetische Sanierung investie-
ren. Frau Höhn, in diesem Punkt gebe ich Ihnen absolut
recht.
Energetische Sanierung nutzt nicht nur dem Klima, son-
dern sie nutzt auch den Mietern, weil sie durch die sinken-
den Energie- und Heizkosten bares Geld im Bereich der
Nebenkosten sparen. Deshalb werden wir das erfolgreiche
KfW-geförderte Gebäudesanierungsprogramm weiter
fortschreiben, aufstocken und verstetigen. Das sind die
Investitionsanreize, die wir geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend möchte ich noch etwas zur Städte-
bauförderung sagen. An dieser Stelle sind wir uns gar
nicht so fern. Ich freue mich außerordentlich darüber,
dass wir die Mittel der Städtebauförderung auf ein neues
Rekordniveau aufstocken, nämlich von 455 Millio-
nen Euro auf 700 Millionen Euro jährlich. Das ist ein
starkes Signal an unsere Städte und Gemeinden. Im Ko-
alitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir das Pro-
gramm „Soziale Stadt“ aufwerten, um damit Gebiete mit
besonderen Integrationsanforderungen zu unterstützen.

Als Abgeordnete aus dem ländlichen Raum möchte
ich – wie zu Beginn meiner Rede; da schließt sich der
Kreis –, eines abschließend betonen: Wir können unsere
wirtschaftspolitischen Ziele nicht erreichen, wenn wir
nur auf die Metropolregionen und die Städte setzen. Wir
brauchen auch die ländlichen Räume.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb ist es wichtig, dass wir auch weiterhin nicht nur
die Städte von der Städtebauförderung profitieren lassen,
sondern eben auch – wie in der Vergangenheit – die
ländlichen Räume. Das ist ganz wichtig; denn wir wol-
len gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilen
Deutschlands schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801709700

Die Kollegin Dr. Weisgerber hat viele Reden im

Europäischen Parlament gehalten; im Bundestag war es
heute die erste. Dazu gratulieren wir herzlich.


(Beifall)


Wir begrüßen Sie bei uns und freuen uns auf die weitere
parlamentarische Zusammenarbeit.

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk
Wiese, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1801709800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bei der Durchsicht der Anträge vonseiten der
Opposition zu meiner Linken zur heutigen Debatte fiel
mir spontan ein bekanntes Zitat eines ehemaligen Natio-
nalspielers ein:

Zu fünfzig Prozent haben wir es geschafft, aber die
halbe Miete ist das noch nicht.





Dirk Wiese


(A) (C)



(D)(B)


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wer war das?)


So einst Rudi Völler nach kräftezehrendem Spiel. Die
Sinnhaftigkeit dieser treffenden Analyse unseres ehema-
ligen Nationalspielers erschließt sich auch dem leiden-
schaftlichen Fußballfan nicht auf Anhieb. So ist das
heute auch mit Ihren Anträgen. Ist es doch die jetzige
Bundesregierung aus SPD, CDU und CSU, die im Koali-
tionsvertrag – auf die Seite 80 ff. des ausgehandelten
Koalitionsvertrags darf man durchaus selbstbewusst hin-
weisen – in einem sehr sozialdemokratischen Passus
zum guten und bezahlbaren Wohnen viele richtige und
wichtige Weichenstellungen zur Besserstellung von
Mieterinnen und Mietern vereinbart hat, und das ist gut
so;


(Beifall bei der SPD)


denn wir können auf alles Mögliche verzichten, auf das
iPad, auf das Handy, auf den Fernseher, aber nicht auf
ein Dach über dem Kopf für uns und unsere Familie.
Eine Familie mit Kindern braucht eine ordentliche Woh-
nung und eine funktionierende Heizung. Das ist eine
Existenzfrage und eine Frage der Würde. Deshalb hat
die Politik die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Wohnraum
bezahlbar ist, auch wenn man weniger Geld zur Verfü-
gung hat.


(Beifall bei der SPD)


Die alte Bundesregierung – gestatten Sie mir die
kleine Anmerkung – hat eher wenig dafür getan. Darum
ist es gut, dass die SPD jetzt mit in der Regierungsver-
antwortung ist und wir die Situation und die rechtliche
Stellung von Millionen Menschen verbessern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allerdings muss man dazu bereit sein, Regierungsver-
antwortung zu übernehmen. Ich glaube, daran fehlt es
bei den Antragstellern.


(Beifall bei der SPD)


Lukas Siebenkotten, Direktor des Deutschen Mieter-
bundes, brachte es in einem Kommentar wie folgt auf
den Punkt:

Die große Koalition kommt beim Mietrecht gleich
zur Sache.

Was haben wir im Detail vor? Wir geben den Ländern
die Möglichkeit, eine Mietpreisbremse einzuführen. Das
ist dringend notwendig. Die Vermieter wollen und sollen
ordentlich Geld verdienen – keine Frage –, aber man
muss auch Maß halten und darf die Not anderer Men-
schen nicht schamlos ausnutzen, wie es vor allem in ei-
nigen Großstädten geschieht. Geld verdienen ist völlig in
Ordnung, aber nicht mit Wuchermieten. Gegen Wucher-
mieten kann man etwas tun, indem man die Mietpreis-
bremse zieht, und das machen wir jetzt in der Großen
Koalition.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. JanMarco Luczak [CDU/CSU])

Künftig sollen nur noch höchstens 10 Prozent der
Modernisierungskosten auf die Miete umgelegt werden
dürfen. Wir passen die Härtefallklausel an, um Mieter
vor finanzieller Überforderung bei einer Sanierung zu
schützen. Für alle Mietverhältnisse wird klargestellt wer-
den, dass nur die tatsächliche Wohn- und Nutzfläche
Grundlage für die Festlegung der Miethöhe sein kann.
Oder um es einmal umgangssprachlich auf den Punkt zu
bringen: Wenn die Bude 100 Quadratmeter zum Wohnen
hat, dann sollen die Leute auch nur für 100 Quadratme-
ter Miete zahlen. Alles andere ist aus meiner Sicht Be-
trug.


(Beifall bei der SPD)


Uns geht es darum, dass sich Städte an den Bedürfnis-
sen, Ansprüchen und Möglichkeiten ihrer Bewohner
orientieren müssen. Für diese Form der Bürgernähe
fehlte in der letzten Legislaturperiode an der einen oder
anderen Stelle leider die nötige Sensibilität. Darum las-
sen wir das Programm „Soziale Stadt“ wieder aufleben.
Das ist genau der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor welchen Herausforderungen stehen wir jetzt?
Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes sinkt die
Bevölkerungszahl – so wird es prognostiziert – in den
kommenden Jahren rapide. Gibt es daher weniger Nach-
frage für ein gleichbleibendes Angebot mit der Folge,
dass die Mietpreise sinken? Weit gefehlt. Boomenden
Regionen auf der einen Seite stehen auf der anderen
Seite Regionen gegenüber, die von einem massiven Be-
völkerungsrückgang betroffen sind. Trotzdem steigt in
beiden Regionen die Wohnungsnachfrage tendenziell an,
da der Trend zur Individualisierung immer mehr zu einer
kleineren Personenzahl pro Wohneinheit führt.

Darum ist es wichtig, den Wohnungsbau in den Bal-
lungszentren, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, zu
stärken und die Initiative zur Schaffung von zusätzli-
chem studentischem Wohnraum fortzusetzen. Eine Zeit
meines Studiums habe ich in Münster verbracht. Ich
kann Ihnen eines sagen: Machen sie niemals den Fehler,
eine Anzeige für ein freies WG-Zimmer aufzugeben. Als
ich das einmal gemacht habe, dachte ich, vor dem Haus
fände eine Demonstration statt, so groß war der An-
drang.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Aber – auch das muss man an dieser Stelle sagen – es
gibt Regionen, in denen die Bevölkerungszahl schrumpft.
Die Leute sterben weg oder ziehen weg. Zurück bleiben
Häuser und Wohnungen, die niemand braucht, niemand
will und niemand nutzt. Sie stehen leer, obwohl sie in ei-
nem guten Zustand sind. Wenn wir nichts tun, werden
sie verrotten. Es wäre aus meiner Sicht ein Trauerspiel,
wenn unsere schönen und lebenswerten Dörfer, Klein-
städte und ländlichen Regionen eine solche Zukunft hät-
ten. Deswegen müssen wir etwas unternehmen, damit
unsere Dörfer und gerade die kleinen Städte im ländli-
chen Raum so lebenswert bleiben, wie sie es heute sind.
Auf die entsprechenden Programme hat mein Kollege
Dennis Rohde vorhin schon hingewiesen.





Dirk Wiese


(A)



(D)(B)

In meinem Heimatwahlkreis, dem Sauerland, in Süd-
westfalen – übrigens ist dies mittlerweile die größte In-
dustrieregion von Nordrhein-Westfalen; hier schlägt
heute das industrielle Herz von NRW –, ist das eine der
größten Herausforderungen für die kommenden Jahre.


(Zuruf von der CDU/CSU: Warum wohl?)


Noch einmal zurück zu Ihren Anträgen. Herr Luczak,
Sie sind vorhin auf die Überschriften eingegangen. Sie
müssen aber auch einmal den Inhalt der Anträge betrach-
ten. Ausführungen über „die monopolartige Dominanz
des Privateigentums“ oder die Konservierung der herr-
schenden Verhältnisse mögen in Ihren Reihen, den
Reihen der Linken, vielleicht bei dem einen oder ande-
ren einen romantisierenden Seufzer des heraufzube-
schwörenden Klassenkampfes hervorrufen, ändern aber
nichts am Ergebnis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn Phrasen bringen, ehrlich gesagt, keine Veränderun-
gen.

In den kommenden Wochen werden wir als Große
Koalition die entscheidenden Verbesserungen im Miet-
und Maklerrecht umsetzen. Damit lösen wir eines unse-
rer zentralen Wahlversprechen ein und zeigen, warum es
die richtige Entscheidung der SPD war, Regierungsver-
antwortung zu übernehmen. Endlich können wir das tun,
was wir am besten können: die Lebenswirklichkeit der
Menschen in diesem Land verbessern und Perspektiven
schaffen.


(Beifall bei der SPD)


Zum Abschluss sage ich: Das ist insgesamt wesent-
lich mehr als die halbe Miete. Das sind Verbesserungen
für Millionen von Menschen. Ich glaube, an dieser Stelle
wäre auch Rudi Völler begeistert.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801709900

Das war die erste Rede unseres Kollegen Dirk Wiese

im Deutschen Bundestag. Wir wünschen ihm für seine
parlamentarische Arbeit alles Gute.


(Beifall)


Die Frage, Herr Kollege Wiese, wo genau das indus-
trielle Herz Nordrhein-Westfalens schlägt, wird wahr-
scheinlich noch weiter behandelt werden,


(Heiterkeit)


aber das kann ja in späteren Debatten erfolgen.

Ich erteile das Wort der Kollegin Yvonne Magwas,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Yvonne Magwas (CDU):
Rede ID: ID1801710000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Vorredner haben schon eine ganze
Reihe von Aspekten angesprochen, die die Wohnsitua-
tion in Deutschland betreffen. Wer die Debatte in den
letzten Monaten verfolgt hat, der weiß, dass wir im
Wohnbereich einige offene Baustellen haben. Dazu
brauchen wir aber keine Anträge der Linken. Ein Blick
in den Koalitionsvertrag reicht aus, um zu sehen, dass
wir als Koalition das Thema angehen, und zwar gründ-
lich und ohne Schnellschüsse.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass es sich beim Wohnen um keine Bagatelle han-
delt, kann man schon dem Ursprung des deutschen Wor-
tes „wohnen“ entnehmen. Der Staatssekretär hat uns ja
schon darauf hingewiesen, dass es so viel wie „zufrieden
sein“ bedeutet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind uns sicherlich alle einig, dass wir den Wert des
Wohnens und einer guten Wohnung sehr schätzen.
Schließlich ist das Wohnen eines der Grundbedürfnisse
der Menschen. Es ist daher gut und richtig, dass sich der
Staat mit diesem Thema auseinandersetzt bzw. beschäf-
tigt und auch gesetzliche Regelungen vorhält.

Meine Damen und Herren, wie sieht es denn nun
wirklich mit der Wohnzufriedenheit der Mieter in
Deutschland aus? Da sagen nämlich viele Studien uni-
sono, dass sich über 80 Prozent der Mieter ihre Woh-
nung leisten können und mit ihrer Wohnsituation zufrie-
den sind. Deutschland ist wohl ein Land, in dem sich die
Mieter grundsätzlich wohlfühlen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Uns ist aber auch bewusst, dass Menschen, sei es ver-
schuldet oder unverschuldet, in Situationen geraten kön-
nen, in denen sie sich eine angemessene Wohnung nicht
mehr leisten können. Für diese Fälle halten wir eine
Reihe von Werkzeugen vor, die sozial schwache Bürge-
rinnen und Bürger unterstützen. Wir tun als öffentliche
Hand bereits eine Menge. Ich finde, wir sollten bei allen
diskussionswürdigen Punkten auch dies einmal positiv
zur Kenntnis nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie man vielleicht
hört, komme ich aus Sachsen. Meine Heimat ist das
ländlich geprägte Vogtland. Sie gehört sicherlich nicht
zu den Gebieten, wo Schlagworte wie „Mietpreis-
bremse“ oder „rasante Mietsteigerungen“ in Diskus-
sionen breiten Raum einnehmen. Ganz im Gegenteil:
Der demografische Wandel führt bei uns eher dazu, dass
wir mit Wohnungsleerstand zu kämpfen haben. Das
Schrumpfen der Bevölkerungszahl hat aber auch die
Folge, dass die Wohnqualität für die verbleibenden Men-
schen stagniert oder sogar sinkt. Welcher Vermieter will
noch investieren, wenn morgen vielleicht der Mieter
nicht mehr da ist? Das ist eine große Herausforderung
für uns im ländlichen Raum. Ich denke, gegenüber dem
Thema Mietpreisbremse darf das Problem des Leerstan-

(C)






Yvonne Magwas


(A) (C)



(D)(B)

des nicht kleingeredet werden. Wir als Koalition tun das
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, staatliche Hilfen im
Wohnbereich sind natürlich für den ländlichen Raum ge-
nauso wichtig wie für die urbanen Zentren. Drei Förder-
werkzeuge möchte ich kurz hervorheben. Es handelt sich
um die Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen
des Bezuges von ALG II, die Mietkostenübernahme im
Rahmen der Grundsicherung und den Bezug von Wohn-
kostenzuschüssen in Form des Wohngeldes. Alle drei
Formen der staatlichen Unterstützung ermöglichen es
einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern, ihren
Wohnraum zu finanzieren.

Kurz zu den Zahlen. Allein für die KdU sind im Jahr
2012 1,12 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Für
das Wohngeld waren es im gleichen Jahr 591 Millio-
nen Euro. Das sind aber nur die Mittel des Bundes.
Hinzu kommen noch die Mittel der Länder, die ebenfalls
diese Höhe haben. Ich denke, Bund und Länder meistern
hier eine solidarische Aufgabe im Sinne des Gemein-
wohls.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In letzter Zeit konnten wir aber auch beobachten, dass
die Haushaltsmittel für das Wohngeld nicht zur Gänze
ausgeschöpft wurden. Das kann sicherlich verschiedene
Gründe haben. Die gute wirtschaftliche Lage spricht si-
cherlich auch dafür, dass viele ehemalige Bezieher von
Wohngeld durch einen beruflichen Wiedereinstieg nicht
mehr auf die Unterstützung angewiesen sind. Hinzu
kommt aber auch eine Art Verdrängungseffekt, nämlich
dass über die Wohnkostenvollfinanzierung beim ALG II
potenzielle Wohngeldbezieher faktisch abgeschöpft wer-
den; denn der Bezug von ALG II und der Bezug von
Wohngeld schließen sich aus.

Was heißt das nun für uns? Wir müssen diese Ent-
wicklung ernst nehmen und das Förderinstrument Wohn-
geld überprüfen, verbessern und neu justieren. Deswe-
gen haben wir dies im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Unser Ziel bleibt es, mit dem Wohngeld denjenigen zu
helfen, die eigentlich in der Lage sind, auf eigenen Bei-
nen zu stehen, denen sozusagen nur ein Quäntchen an
finanzieller Kraft fehlt. Damit meine ich beispielsweise
ältere Menschen mit einer geringen Rente oder kurzfris-
tig Arbeitslose. Da dies aber keine alleinige Aufgabe des
Bundes ist, muss es hier eine enge Abstimmung mit den
Ländern geben. Nach dem, was man aus der Bauminis-
terkonferenz hört, bin ich guter Dinge, dass wir einver-
nehmlich zu Lösungen kommen.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zum
Thema Energie sagen. Ich weiß, es wird darüber disku-
tiert, ob man dem Wohngeld wieder einen Energie- und
Heizkostenzuschuss aufschlagen sollte. Wenn man diese
Diskussion aufnehmen würde – wofür ich durchaus Ver-
ständnis hätte –, dann müsste man sicherlich vorrangig
über eine sinnvolle und vor allem finanzierbare dauer-
hafte Lösung sprechen, eine Lösung, bei der auch Auf-
wärts- und Abwärtsentwicklungen der Energiepreise be-
rücksichtigt wären. Darüber hinaus gibt uns die
Energiewende auf, auch über Anreize zum Energiespa-
ren nachzudenken; das müsste in einer Diskussion über
einen Energie- und Heizkostenzuschuss meiner Meinung
nach auch zum Tragen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Ko-
alitionsvertrag unter das Motto „Deutschlands Zukunft
gestalten“ gestellt. Als Solidargemeinschaft, die den
Wert der sozialen Marktwirtschaft fest im Blick hat, wer-
den wir auch im Wohnbereich Lösungen finden. Wir
werden die Probleme eindämmen, ohne dabei die
Grundlagen eines intakten Wohnungsmarktes außer
Acht zu lassen. Wir tun dies für die Menschen und für
die Zukunft in unserem Lande.

Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und
danke Ihnen recht herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801710100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war die erste

Rede der Kollegin Yvonne Magwas im Deutschen Bun-
destag. Wir gratulieren ihr herzlich zu ihrer Rede. Ich
wünsche Ihnen und uns eine interessante parlamentari-
sche Zeit.


(Beifall – Abgeordnete der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gratulieren der Abg. Yvonne Magwas [CDU/CSU])


– Wir können noch einen kleinen Moment abwarten; mit
Verlauf der Debatte wird die Gratulationscour immer
größer.


(Heiterkeit)


Wenn es eine größere Feier wird, würde ich es nach
draußen verlegen;


(Heiterkeit)


sonst werden wir hier weitermachen wollen.

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Michael Groß von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1801710200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß,
wo das industrielle Herz in Deutschland liegt.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Baden-Württemberg!)


Ich bin da noch Traditionalist: Es liegt zwischen Duis-
burg und Dortmund.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)

Da wollte ich noch einmal betonen: Wir haben noch eine
riesige Wertschöpfung in diesem Bereich, und das prägt
natürlich auch das Leben.

Uns wurde hier vorgeworfen, dass wir beim Thema
Mietpreisentwicklung unsere Hände in Unschuld wa-
schen wollten und dass wir hier untätig seien. Sehr ge-
ehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, wenn in den ersten 100 Tagen ein Gesetzentwurf für
eine Mietpreisbremse eingebracht wird, muss man doch
sagen: Schneller geht es wirklich nicht.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der LINKEN: Wo ist er denn?)


Besonders wichtig ist uns, dass ein sozialer Ausgleich
zwischen Vermietern, Investoren und Mietern hergestellt
wird. Wir werden dafür sorgen – auch im Zusammen-
hang mit der Modernisierungsumlage, die wir kappen
wollen –, dass die soziale Funktion des Mietrechts wie-
der gestärkt wird. Das ist unsere Ambition, unsere Ziel-
setzung, und das werden wir umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir Sozialdemokraten haben uns in den letzten Jah-
ren insbesondere für gutes Wohnen und Leben in den
Städten eingesetzt. Die „Soziale Stadt“ gehört zur Da-
seinsvorsorge. Wir wollen eben nicht, dass sich in den
Städten Armen- bzw. Reichenghettos bilden, sondern
wir wollen, dass die Menschen integriert in den Städten
leben können, ein Zuhause finden; man kann es als Hei-
mat bezeichnen. In einigen Regionen besteht in Bezug
auf bezahlbarem Wohnraum ohne Zweifel ein Nachhol-
bedarf, und in allen Landesteilen gibt es einen Mangel
an generationengerechten und familiengerechten Woh-
nungsangeboten – und das insbesondere für die Empfän-
ger unterer und mittlerer Einkommen.

Es wurde schon mehrfach festgestellt, dass die Wie-
dervermietungsmieten in Wachstumsregionen doppelt so
stark steigen wie die Bestandsmieten. Das ist insbeson-
dere in den Städten mit über 500 000 Einwohnern zu be-
obachten. Die Einkommen haben mit dieser Entwick-
lung natürlich nicht standgehalten. 35 Prozent der
Mieterhaushalte haben ein monatliches Nettoeinkom-
men von unter 1 300 Euro, und sie müssen 30 bis
40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben.

Hinzu kommt noch das Thema Energiearmut; Frau
Höhn ist darauf eingegangen. Ich will an dieser Stelle
sehr deutlich sagen: Wir müssen alles dafür tun, dass
auch die Energie bezahlbar bleibt. Wir dürfen die Men-
schen aber natürlich nicht damit überfordern, dass die
Baukosten und die Modernisierungskosten durch zu
hohe Anforderungen in den Verordnungen in die Höhe
getrieben werden, wodurch die Modernisierung unbe-
zahlbar wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen also ein Maßnahmenbündel, das gerade
schon vorgestellt worden ist:

Uns ist wichtig, dass wir das genossenschaftliche
Wohnen unterstützen. Der soziale Wohnungsbau soll mit
über 500 Millionen Euro pro Jahr weiter gefördert wer-
den, und wir Sozialdemokraten erwarten hier auch einen
zweckgebundenen Mitteleinsatz. Ich komme aus NRW
und könnte mich natürlich hier hinstellen und sagen: Das
haben wir schon immer getan. – Es gibt aber eben auch
andere sozialdemokratische und nicht nur CDU-regierte
Länder, die dafür stehen.

Die Mittel für die Städtebauförderung – das ist ein
wichtiges Thema – werden aufgestockt. Für das Bund-
Länder-Programm „Soziale Stadt“ werden 150 Millio-
nen Euro bereitgestellt. Das ist für uns ein Her-
zensthema.

Das Wohngeld muss dringend angepasst werden. Die
Zahl der Haushalte, die Wohngeld empfangen, nimmt
deutlich ab. Fünf Jahre nach der letzten Wohngeldanpas-
sung hat sich deren Wirkung halbiert. Hier müssen wir
unbedingt etwas tun.

Wir brauchen Verlässlichkeit bei der energetischen
Gebäudesanierung; das ist deutlich gesagt worden. Mo-
dernisierung mit Augenmaß ist notwendig, und wir brau-
chen eben auch eine Kommission, um die Baukostenent-
wicklung zu überprüfen; diese wollen wir einsetzen.

Die Linke fordert, dass wir gemeinsam mit den Städ-
ten und Ländern Aktionspläne zur Behebung akuter
Wohnungsengpässe erarbeiten. Wir Sozialdemokraten
wollen mehr: Wir wollen ein Bündnis für bezahlbares
Wohnen mit allen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt
– von der Wohnungswirtschaft über die Gewerkschaften
bis zum Mieterbund – und sehr passgenaue individuelle
Lösungen finden.

Sie können sich übrigens das Bündnis für Wohnen in
NRW angucken. Das ist ein Erfolgsmodell.

Herzlichen Dank. Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801710300

Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin

Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1801710400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Linke fordert: „Mieterhöhungsstopp
jetzt“. Dabei müssten Sie doch eigentlich wissen – und
das nicht erst seit der heutigen Debatte –, dass unser
Minister Maas schon im Frühjahr einen Gesetzentwurf
zur Mietpreisbremse und zur Maklerprovision vorlegen
will.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bremschen!)


Sie als Linke wollen jetzt noch schnell auf den Zug auf-
springen. Dass Sie damit nicht glaubwürdig sind und Sie
damit auch keiner ernst nimmt, versteht sich von selber.





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir sagen: Mieten müssen auch in Ballungsräumen
bezahlbar bleiben. – Wir haben im Koalitionsvertrag
vereinbart, den sozialen Wohnungsbau neu zu beleben.
Dazu unterstützen wir die Länder mit sage und schreibe
518 Millionen Euro.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wow!)


Diese Mittel sind zweckgebunden für den Bau neuer
Sozialwohnungen und für die Sanierung des Bestandes.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Das ist die Unwahrheit!)


Die Länder müssen nämlich einen Teil der Finanzierung
mittragen und dürfen sich nicht wieder aus der Verant-
wortung schleichen. Wir werden verhindern, dass diese
Mittel, wie in der Vergangenheit geschehen, von den
Ländern zweckentfremdet werden.

Wir denken an die Menschen mit geringem Einkom-
men. Deshalb werden wir die Regelungen zum Wohn-
geld weiter verbessern.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801710500

Frau Kollegin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage

von der Frau Kollegin Bluhm zu akzeptieren?


Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1801710600

Von den Linken? – Nein. Ich meine, die haben heute

genug gesagt. Danke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Total souverän! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist unverschämt! Eine Dreiviertelstunde Große Koalition und dann so etwas!)


Wir werden die kostenlose Energieberatung für Haus-
halte mit einem niedrigen Einkommen ausbauen. Sie
von den Linken fordern eine kostenlose Mieter- und
Energieberatung für alle. Ich frage: Warum sollen denn
leistungsfähige Mieter keinen Eigenanteil bezahlen? Es
ist vernünftig, wenn sie einen Eigenanteil zahlen. Des-
halb werden wir das so ins Gesetz schreiben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatschen noch nicht einmal die Regierungsparteien!)


Ziel unserer schwarz-roten Koalition ist, ausreichend
Wohnraum zu schaffen und in Ballungsräumen die Mie-
ten bezahlbar zu halten. Unser Ziel ist es aber nicht, eine
Investitionsbremse einzuführen. Wir wollen auch keinen
deutschlandweiten Einheitswohnungsmarkt schaffen. Es
ist nun einmal ein Unterschied, ob ich in der wunder-
schönen, aber dafür dünn besiedelten Eifel, aus der ich
komme, wohne oder baue oder eben in München. Dieser
Unterschied muss sich widerspiegeln und spiegelt sich
auch immer im Mietpreis wider.

Wir wollen eine Mietpreisbremse, aber bei der Aus-
gestaltung werden wir genau hinsehen. Es darf nicht
dazu kommen, dass weniger Wohnraum gebaut wird,
und es muss am Ende auch in den Wohnungsbestand in-
vestiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Günstige Mieten bringen nämlich überhaupt nichts,
wenn es keine Wohnungen mehr zu vermieten gibt oder
die Wohnungen verkommen sind. Billigen, aber maro-
den Wohnraum zuhauf – das kennen wir aus der ehema-
ligen DDR. Das müsste Ihnen doch eine Lehre sein.

Wir müssen aufpassen, dass uns das Ziel, günstigen
Wohnraum zu schaffen, nicht am Ende einen ganzen
Markt kaputtmacht. Natürlich sieht das die linke Seite
dieses Hauses anders. Sie wollen die Bundesregierung
auffordern – ich zitiere aus Ihrem Antrag –,

geeignete Schritte gegen die Einflussnahme aus-
schließlich renditeorientierter Finanzinvestoren auf
dem Wohnungsmarkt zu unternehmen …


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Genau! Ist das falsch?)


Das ist weder sozial noch marktwirtschaftlich. Wer soll
denn in den Wohnungsbau investieren? Der Staat? Soll
der Staat Wohnraum für 80 Millionen Menschen bereit-
stellen, am besten mietfrei und mit einem Einheitssofa?


(Zurufe von der LINKEN)


Sie blenden vollkommen aus: Der Wohnungsmarkt in
Deutschland ist vielschichtig, vom Häuslebauer mit Ein-
liegerwohnung über gemeindliche und genossenschaftli-
che Gesellschaften bis zu weltweit agierenden Bauträ-
gern – das alles bildet unser deutscher Wohnungsmarkt
ab.

Gerade weil ich Verbraucherpolitikerin bin, kann ich
Ihre Marktskepsis überhaupt nicht nachvollziehen. Den
Verbrauchern und in diesem Fall den Mietern ist nicht
geholfen, wenn man die Investoren vertreibt. Stattdessen
müssen wir für Investoren Anreize schaffen, damit sie
mehr in Wohnungsbau investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn nämlich das Angebot größer ist, erhöht sich auch
der Wettbewerb um die Mieter, und die Mietpreise sin-
ken. Das passiert aber eben nur, wenn es sich lohnt, in
Wohnungsbau zu investieren. Ich bin der Überzeugung:
Fairer Wettbewerb ist an dieser Stelle der beste Verbrau-
cherschutz.

Als Abgeordnete einer ländlichen Region möchte ich
noch einen anderen Aspekt in die Debatte einbringen. Die
Entscheidung, insbesondere die Ballungsgebiete bzw. die
Städte mit positiver Einwohnerentwicklung zu fördern,
würde die ländlichen Räume benachteiligen. Im ländli-
chen Raum haben wir einen großen Vorteil, und der heißt:
preiswerter Wohnraum. Damit können wir punkten.
Städte dagegen können mit guter Infrastruktur, mit flä-
chendeckender medizinischer Versorgung, manchmal
auch mit einer großen Vielfalt kultureller oder gastrono-
mischer Angebote punkten.





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)

Die Höhe der Mietkosten ist Teil der Entscheidung,
ob jemand aufs Land zieht oder nicht. Auf diesen Wett-
bewerbsvorteil will ich nicht verzichten. Wir sehen an
anderen Ländern, welche Probleme eine starke Zentrali-
sierung bringt. Schauen wir nach Paris oder nach Lon-
don. Eine solche negative Entwicklung will ich in
Deutschland nicht haben. Ich will nicht, dass unsere
ländlichen Regionen weiter entvölkert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der ländliche Raum braucht deshalb unsere Aufmerk-
samkeit, die Aufmerksamkeit der Politik. Aber die Linke
zwingt uns auch heute wieder eine Debatte auf, in der es
ständig und ausschließlich um das städtische Lebens-
milieu gehen soll,


(Lachen bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Müssen Sie da nicht selber lachen? Wir haben es gemacht! Sie reden nur!)


und zwar mit drei zum Teil inhaltsgleichen Anträgen zu
einem Thema, das wir schon längst auf der Agenda ha-
ben.


(Zuruf von der LINKEN: Aber nichts gemacht!)


Im Gegensatz zu Ihnen, sehr verehrte Kollegen von
den Linken, wollen wir bezahlbaren Wohnraum schaf-
fen, ohne unser marktwirtschaftliches System aus den
Angeln zu heben, und wir wollen genauso Anwalt der
Ballungsräume sein wie der ländlichen Räume.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind eben nicht auf einem Auge blind.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nein, auf beiden!)


Der Wohnungsmarkt ist nämlich ein sozialer und ein
ökonomischer Raum. Beides ist untrennbar, auch wenn
die Linke das nie verstehen wird, obwohl sie es eigent-
lich aus ihrer Geschichte längst hätte lernen müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801710700

Zur letzten Rede in dieser Debatte erteile ich das Wort

der Kollegin Ulli Nissen, SPD-Fraktion, die jetzt wiede-
rum ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hält.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1801710800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern
vor 95 Jahren hat das erste Mal eine Frau in einem deut-
schen Parlament gesprochen: Marie Juchacz. Sie war
Sozialdemokratin, Sozialreformerin, Frauenrechtlerin
und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt. Heute darf ich,
Ulli Nissen, Sozialdemokratin, Frauenpolitikerin und,
nicht zu vergessen, AWO-Mitglied, meine erste Rede im
Deutschen Bundestag halten,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und dann noch zum wichtigen Bereich Wohnen. Es ist
für mich wirklich eine sehr große Ehre, heute hier reden
zu dürfen.

Ich kann mir kein Thema vorstellen, zu dem ich lieber
reden würde. Denn für mich als Frankfurter Abgeord-
nete ist ausreichender bezahlbarer Wohnraum von zen-
traler Bedeutung. Es gibt immer mehr Regionen in
Deutschland, wo Wohnraum knapp wird. Seit Jahren er-
leben wir in Städten wie München, Frankfurt und Ham-
burg, dass gutes Wohnen immer mehr zum Luxus wird.
Ich erlebe es vor Ort in meinem Wahlkreis. Frankfurt ist
einer der teuersten Ballungsräume Deutschlands. Inzwi-
schen ist es fast der Normalfall, dass 30 bis 40 Prozent
des Haushaltseinkommens für Wohnen ausgegeben wer-
den. Bei manchen einkommensschwachen Familien ist
es schon jeder zweite Euro.

Die Bevölkerung Frankfurts wächst, wie die vieler
anderer Städte auch, jährlich um mehr als 10 000 Men-
schen. Wir haben jetzt schon nicht genügend Wohnraum
für diese Personen. Was bedeutet es, wenn wir nicht han-
deln? Die Mieten steigen weiter. Wer eine neue Woh-
nung braucht, weil sich zum Beispiel die Lebensum-
stände ändern, kann kaum mehr im angestammten
Umfeld bleiben. In Frankfurt zum Beispiel kommen bei
einer attraktiven Lage einer Wohnung mehr als 100 Be-
werberinnen bzw. Bewerber auf eine Wohnung. Zum
Teil werden bei Wiedervermietungen mehr als 50 Pro-
zent aufgeschlagen. Wer kann sich das noch leisten?

Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Mieten ins
Unermessliche steigen, ganze Stadtteile komplett um-
strukturiert werden und sich deren Charakter verändert.
Familien, Rentner, Studenten und Normalverdiener in
Frankfurt – ich denke, auch in vielen anderen Großstäd-
ten – können sich viele Stadtteile nicht mehr leisten. Das
haben wir gerade in Frankfurt durch den Neubau der
Europäischen Zentralbank erlebt: Den „betroffenen“
Stadtteil Ostend kann sich kaum noch ein Mensch leis-
ten.

Ich bin sehr viel im Wahlkreis vor Ort unterwegs, und
immer wieder kommen Menschen verzweifelt auf mich
zu, die mir sagen: Ich kann mir meine Wohnung nicht
mehr leisten. – Dazu tragen auch Luxussanierungen bei.
Gentrifizierung ist eine Folge. Dagegen müssen wir vor-
gehen. Wir brauchen nicht nur mehr bezahlbaren Wohn-
raum, sondern auch dringend Regulierungen. Denn die
Situation in den betroffenen Gebieten wird nicht besser,
auch bedingt durch die steigende Zahl von Einpersonen-
haushalten. Aufgrund des demografischen Wandels brau-
chen wir auch – das ist heute schon öfter angesprochen
worden – dringend mehr generationengerechte Wohnun-
gen.

Wir müssen dringend handeln, und das tut die rot-
schwarze Bundesregierung.





Ulli Nissen


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Im ersten Schritt kommt die Mietpreisbremse. Bei ei-
ner Wiedervermietung kann künftig in Ballungsräumen
die Mieterhöhung auf maximal 10 Prozent über der orts-
üblichen Vergleichsmiete beschränkt werden. Das ist ein
ganz, ganz wichtiger Aspekt, insbesondere für Frankfurt.
Dass dies eines der ersten Vorhaben der rot-schwarzen
Koalition ist, zeigt, wie wichtig uns Mieterinnen und
Mieter sind.

Sinnvoll wäre es, auch beim Mietspiegel Änderungen
vorzunehmen, indem bei der Berechnung der Vergleichs-
miete alle Mieten und Mieterhöhungen herangezogen
würden.

Die Maklergebühren müssen dringend neu geregelt
werden. Wichtig ist: Wer bestellt, bezahlt. Die dement-
sprechende Änderung müssen wir ganz dringend vor-
nehmen, und ich bin froh, dass wir das machen.

Die Modernisierungskosten sollen künftig nur noch in
Höhe von bis zu 10 Prozent auf die Mieter umgelegt
werden, und dies auch nur bis zur Amortisation der Kos-
ten. Dies haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten lange gefordert. Ich bin froh, dass wir das in
die rot-schwarze Koalitionsvereinbarung aufgenommen
haben.


(Beifall bei der SPD – Henning Otte [CDU/ CSU]: Andersrum!)


Durch eine Neuregelung des Wohngelds wollen wir
die Leistungen verbessern und es an die Bestandsmieten-
und Einkommensentwicklung anpassen. Notwendig ist
hier auch wieder eine Energiekostenkomponente.

Verbesserungen beim Programm „Soziale Stadt“ wer-
den dazu beitragen, dass mehr Brennpunkte Hilfe erhal-
ten. Die letzte Bundesregierung hatte die Mittel dieses
erfolgreichen Programms drastisch gekürzt. Ich bin sehr
froh, dass wir das ändern; denn das hatte fatale Folgen in
vielen Stadtteilen.

Zusätzlich setzen wir auf die Wiederbelebung des so-
zialen Wohnungsbaus. Wir unterstützen diesen bis Ende
2019 mit jährlich 518 Millionen Euro. Diese Mittel müs-
sen aber zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ge-
nutzt werden und dürfen nicht für die Förderung von
Wohneigentum verwendet werden; die letzte CDU-Lan-
desregierung in Hessen hatte diese Mittel ja „fremdver-
wandt“.


(Beifall bei der SPD)


Außerdem setze ich mich natürlich dafür ein, dass es
keine weiteren Privatisierungen von öffentlichem Wohn-
eigentum gibt.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, es ist gut, dass die schwarz-rote – Verzei-
hung – rot-schwarze Koalition das angeht.


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich wollte meinen Kollegen von der Großen Koalition
ein kleines Bonbon geben.
Ich freue mich auf die Umsetzung und darauf, dass
wir etwas im Sinne der Menschen tun.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801710900

Wir gratulieren der Kollegin Ulli Nissen zu ihrer ers-

ten Rede.


(Beifall)


Ich bin sicher: In der Koalition wird die Frage der No-
menklatur im Hinblick auf die Farbreihenfolge noch ge-
klärt werden können.


(Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich schließe hiermit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/505, 18/504 und 18/506 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen
Widerspruch, das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in

(International Security Assistance Force, ISAF)

auf Grundlage der Resolution 1386 (2001)

und folgender Resolutionen, zuletzt Resolu-
tion 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksachen 18/436, 18/602

(8. Aus schuss)


Drucksache 18/615
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion

Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses zum Antrag der Bundesregierung werden wir
später namentlich abstimmen.

Es wäre übrigens schön, wenn die Kolleginnen und
Kollegen, deren Aufmerksamkeit sich nicht auf diesen
Tagesordnungspunkt richtet, uns jetzt verlassen oder
sich wieder entspannt hinsetzen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1801711000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Fraktion hatte in dieser Woche eine
ausführliche Aussprache auch über Auslandseinsätze,
aber insbesondere über die aktuellen Herausforderungen
in der internationalen Politik, vor allem über die Ent-
wicklung in der Ukraine; das war am Dienstag. Die
schlimmen Bilder, die schlimmen Berichte und all das,
was man in den letzten Minuten und Stunden gehört hat,
beschäftigen uns im Deutschen Bundestag den ganzen
Tag über, also nicht nur heute Morgen, und überschatten
in der Tat auch diese Debatte. Es ist schrecklich, wie
viele Menschen getötet und verletzt wurden. Gleichzei-
tig will ich daran erinnern, wie gut es ist, dass nach Be-
endigung des Ost-West-Konflikts die Nachfolgestaaten
der Sowjetunion auf Atomwaffen verzichtet haben. Wie
schlimm wäre die internationale Situation heute, wenn
ein Land, das innenpolitisch so zerrissen ist wie die
Ukraine, noch über Atomwaffen verfügen würde! Des-
wegen können wir sagen, dass wir zweimal großes
Glück hatten, zum einen mit der deutschen Wiederverei-
nigung, zum anderen mit der friedlichen Wiedervereini-
gung Europas und darüber hinaus.

Als wir in dieser Woche in meiner Fraktion über Aus-
landseinsätze gesprochen haben, waren sowohl neue Ab-
geordnete als auch viele, die schon länger Mitglied des
Deutschen Bundestages sind, gemeinsam der Auffas-
sung: Wir Außenpolitiker können zwar fachlichen Rat
geben, aber wir können dem einzelnen Abgeordneten
nicht die Gewissensentscheidung abnehmen. – Das gilt
heute genauso wie in Zukunft. Der große Wert solcher
Debatten wie der heutigen besteht somit im fachlichen
Ratschlag, der Einordnung in das Völkerrecht, der Aus-
kunft über die internationalen Rahmenbedingungen und
der Vergewisserung darüber, ob es eine außenpolitische
Strategie für den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten
gibt. Letztlich muss aber eben jeder selbst die Entschei-
dung treffen.

Ich glaube, egal ob man mit Ja oder Nein stimmt,
manchmal bleibt doch bei dem Einzelnen ein leichter
Zweifel über das, was in den nächsten Monaten passiert.
Umso mehr muss man bei Auslandseinsätzen darauf
achten, sie ernsthaft durchzuführen. Es geht hier nämlich
nicht nur um ein kulturelles und politisches Vermächtnis
Deutschlands; auch andere europäische Parlamente
schauen sehr ernsthaft auf den Deutschen Bundestag,
weil sie das Recht, das der Bundestag hat, gerne für sich
selbst hätten; zum Teil haben sie es ja auch schon er-
kämpft. Ein Resultat dieser Ernsthaftigkeit ist, dass
Raum für eine Demokratisierung der Außen- und Sicher-
heitspolitik geschaffen wird; denn im Gegensatz zu frü-
her nimmt das Parlament auch in diesem Bereich mehr
und mehr Verantwortung wahr, nicht mehr nur über
Haushaltsfragen, sondern auch ganz konkret bei einzel-
nen Entscheidungen.

In der Tat unterscheiden sich die jeweiligen Aus-
landseinsätze. Sie haben unterschiedliche Voraussetzun-
gen, und es gibt unterschiedliche Einflussmöglichkeiten.
Immer wieder müssen wir uns vergewissern, ob auch
wirklich alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft wor-
den sind. Auf der einen Seite muss das große Risiko, das
der Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in militäri-
schen Auslandseinsätzen birgt – darin unterscheiden sie
sich ja von anderen Einsätzen –, immer im Verhältnis zu
den Erfolgsaussichten abgewogen werden. Auf der an-
deren Seite müssen wir jede Möglichkeit nutzen, auf an-
dere Instrumente, insbesondere Instrumente der politi-
schen und zivilen Konfliktbearbeitung, zurückzugreifen.

Diese Debatte über die Verlängerung des Afghanis-
tan-Einsatzes ist auch eine besondere Debatte; denn über
das Mandat in diesem Rahmen wird heute das letzte Mal
im Deutschen Bundestag in namentlicher Abstimmung
abgestimmt. Über dieser Debatte liegt aber natürlich wie
auch in den letzten Jahren der Schatten des 11. Septem-
ber. Zwar wissen wir in Deutschland und in Europa, dass
der 11.09. die Strukturen der internationalen Politik nicht
verändert hat, aber persönlich wissen viele von uns noch
genau, wo sie sich am 11. September aufgehalten haben,
als diese schrecklichen Bilder die gesamte Welt erreicht
haben. Die USA dagegen stehen nach wie vor unter dem
Eindruck dieser Bilder und treffen so weiterhin politi-
sche Entscheidungen, die zum Teil zu kritisieren sind.

Ich will ganz deutlich sagen: Damals war die Unter-
stützung für den Afghanistan-Einsatz in der Tat größer.
Deswegen müssen wir Lehren daraus ziehen, auch für
zukünftige Auslandseinsätze. Insbesondere wäre die
Schlussfolgerung richtig, dass man gerade bei so heraus-
ragenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages
– das bezieht sich sowohl auf die Regierung als auch auf
das Parlament – in Zukunft etwas bescheidener formu-
liert. So erhält man auch ganz andere Möglichkeiten.
Man sollte vor allem die Abstimmung mit anderen Part-
nerländern frühzeitiger auf den Weg bringen und durch-
aus bereit sein, Fehler einzugestehen. Hinzu kommt,
dass man das Land, das um Hilfe bittet, und dessen Be-
wohner respektvoll behandelt.

Bezüglich Afghanistan sollte man sich immer vor Au-
gen führen, dass es sich nicht nur um ein Land im Bür-
gerkrieg handelt, sondern auch um ein Land mit einer
langen Geschichte und einer reichen Kultur und dass
viele Menschen dort versuchen, eine bessere Zukunft
aufzubauen. Dabei können wir helfen. Wir sollten unse-
ren Respekt von dieser Stelle aus bekunden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Gesamtschau
bleibt der Afghanistan-Einsatz in der Tat umstritten und
widersprüchlich. Wir sollten Schwarz-Weiß-Malerei, zu
der vielleicht der eine oder andere neigt, vermeiden und
uns stattdessen ernsthaft damit befassen und schauen,
wo es Verbesserungen gibt, wo es Rückschritte gegeben
hat, wo es Unterlassungen gab, aber auch, wo sich mög-
licherweise in den nächsten Monaten neue Chancen er-
geben.

Ich glaube, keiner von uns ignoriert, dass es weiterhin
Gewalt und Korruption gibt und dass der Drogenanbau
dieses Land belastet. Andererseits ist es mithilfe der in-
ternationalen Gemeinschaft – dazu gehören sowohl die
militärische Komponente als auch die zivilen Helferin-
nen und Helfer – gelungen, an der einen oder anderen





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

Stelle dafür zu sorgen, dass Grundbedürfnisse nach Was-
ser, Medizin und Bildung befriedigt werden können. Wir
vergessen oft, dass es für ein Land wie Afghanistan, das
wahrscheinlich im Jahr 2050 doppelt so viele Menschen
wie heute hat, selbst dann eine Herausforderung wäre,
diese Grundbedürfnisse zu befriedigen, wenn es keinen
Bürgerkrieg gäbe.

In dem geschaffenen Sicherheitsumfeld muss nun da-
für gesorgt werden, dass das Land vorankommt und es
einer besseren Zukunft entgegengeht, indem einerseits
kleine Betriebe und die Landwirtschaft gedeihen kön-
nen, auf der anderen Seite aber auch eine kritische Öf-
fentlichkeit entsteht. Wir vergessen oft, dass zurzeit eine
kritische Öffentlichkeit mit Erfolg versucht, auf Korrup-
tion und viele andere Mängel hinzuweisen.

Wir haben in den letzten Jahren große und kleine Hel-
den gesehen. Kleine Helden sind zum Beispiel diejeni-
gen, die auch dann zur Schule gegangen sind, wenn ihre
Eltern letztlich bedroht wurden. Frau Kakar, die wir hier
im Deutschen Bundestag empfangen durften, wurde um-
gebracht, weil sie ihren Polizeidienst ausgeübt hat. Sie
war eine Mutter von sechs Kindern, die gegen Taliban,
aber auch gegen den Drogenanbau in Kandahar massiv
vorgegangen ist. Alles das verbindet sich letztlich mit
diesem Mandat, und auch, dass auf dieser Basis nach den
Wahlen, die in den nächsten Wochen durchgeführt wer-
den, der erste demokratische Machtwechsel in diesem
Lande garantiert werden könnte. Unter anderem das
zeigt, wie wichtig es ist, diesem Land in den nächsten
Wochen seine Aufmerksamkeit zu schenken und es zu
unterstützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, zum zu beschließenden
Mandat: Es beinhaltet einen deutlichen Rückgang der
Zahl der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten. Da-
bei sollten wir anerkennen, wie aufwendig der Abzug
aus Afghanistan ist, wie viel Energie gerade von der
Bundeswehr in die Logistik gesteckt werden muss, da-
mit er ungehindert ablaufen kann. Gleichzeitig findet die
Ausbildung der Sicherheitskräfte statt. Herr Minister
Müller hat uns bei der Einbringung des Antrags ja noch
einmal eindringlich darauf hingewiesen, dass wir dieses
Land gerade im Hinblick auf den zivilen Aufbau – das
haben wir in den letzten Jahren immer wieder betont –
nicht vergessen dürfen.

Ich will gegen Ende meiner Rede auch noch einmal
auf die diplomatischen und politischen Rahmenbedin-
gungen hinweisen, unter denen wir diesen Afghanistan-
Einsatz durchführen. Da brauchen wir in dieser Großen
Koalition keine Nachhilfe. Außenminister Steinmeier
hat bereits beim G-8-Gipfel in Heiligendamm bewiesen,
wie wichtig diplomatische Vorgänge gerade für diese
Region waren. Dort haben sich nämlich ein pakistani-
scher und ein afghanischer Außenminister zum ersten
Mal getroffen, um überhaupt einmal über die Sicher-
heitsbedürfnisse in ihren Ländern zu reden.
Wir wollten das Ganze ja immer politisch begleiten.
Erst die Obama-Administration – die USA sind der
größte Truppensteller dort – hat aber erlaubt – auch das
ist noch nicht so lange her –, diese politischen Gespräche
zu führen. Die Herstellung regionaler Rahmenbedingun-
gen und die diplomatischen Anstrengungen, die die Bun-
desregierung in der Vergangenheit unternommen hat,
aber auch jetzt und auch in Zukunft unternimmt, sind
also sehr wichtig. Wir müssen uns dabei darauf verlas-
sen, dass die Regionalmächte im unmittelbaren Umfeld
Afghanistans auch in Zukunft ihre Verantwortung für
dieses Land tragen und nicht erneut einen Konflikt auf
afghanischem Gebiet austragen. Ich glaube, das im Blick
zu behalten, gehört zu einer klugen Außenpolitik dazu.

Zum Abschluss. Der Fraktionsvorsitzende der Lin-
ken, Kollege Gysi – gerade sehe ich ihn leider nicht; er
hat ja bei der Einbringung des Antrags eine sehr
schwarz-weiß gehaltene Rede vorgetragen, die nach
meinem Dafürhalten allein innenpolitische Bedürfnisse
bedient hat –, hat eine interessante Bemerkung gemacht;
Herr Kollege Gehrcke, vielleicht können Sie darauf ein-
gehen. Herr Gysi hat zum Beispiel gesagt, es sei unter
Umständen wichtig, zu überlegen, ob das kommende
Mandat nach Kap. VI der UN-Charta gezeichnet werden
könnte. Darüber müssen wir diskutieren. Das hängt mit
dem Truppenstellerstatut und vielem anderen zusam-
men. Vielleicht könnten Sie uns heute hier im Deutschen
Bundestag die Frage beantworten, ob die Linke, wenn
dieser Einsatz in Zukunft nach Kap. VI der UN-Charta
mandatiert wird, bereit ist, diesem Mandat beizutreten.
Das könnte eine interessante Debatte nach sich ziehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801711100

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Strategiewechsel, Herr Kollege!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801711200

Natürlich bekommt der Kollege Mützenich von mir

eine Antwort. Was denn sonst?

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich zu
Afghanistan argumentiere, möchte ich schon noch einen
Appell loswerden; schließlich befinden wir uns in einer
außenpolitischen Debatte. Bei allen Bildern aus der
Ukraine, die man sieht, und bei allen Differenzen, die
wir sicherlich miteinander haben, müsste von diesem
Parlament ein Appell ausgehen: Gewalt, wer auch im-
mer sie anwendet, gehört nicht nach Europa. Gewalt
muss aus dem Zusammenleben der Völker insgesamt
und der innenpolitischen Auseinandersetzung auf alle
Fälle ausgeschlossen werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

Das wollte ich zu Anfang noch einmal sagen, damit das
klargestellt ist.

Jetzt zum Afghanistan-Mandat. Ich möchte, dass wir
uns als Erstes darüber verständigen, was hier beantragt ist.
Es wird so getan und argumentiert, als sei es ein Abzugs-
mandat. Tatsächlich ist beantragt, dass über 3 000 Bun-
deswehrsoldaten, nämlich bis zu 3 300, in Afghanistan
bleiben – mindestens bis Ende des Jahres. Dass es das
letzte Mal ist, lieber Herr Kollege Mützenich, dass wir
hier über ein Mandat für Afghanistan sprechen, be-
zweifle ich in hohem Maße; denn es wird ein Anschluss-
mandat geben, kein ISAF-Mandat, sondern ein anderes,
das die UNO formulieren muss. Dafür sollen – so ist
vorgesehen – 8 000 bis 12 000 NATO-Soldaten bleiben,
darunter 600 bis 800 Bundeswehrsoldaten. Das steht im
Fortschrittsbericht. Das werden wir hier bereden müs-
sen. Wir sind also nicht an einem Endpunkt der Debatte
über die Afghanistan-Einsätze.

Wir sind für sofortigen Abzug und vollständigen Ab-
zug,


(Beifall bei der LINKEN)


aus einem Hauptgrund: Es geht nur über Verhandlungen,
auch mit den Taliban. Diese Verhandlungen sind ange-
leiert worden; sie finden statt.

In Afghanistan ist das Gefühl, dass das Land von aus-
ländischen Truppen besetzt ist, das Hauptargument, das
den Taliban und anderen immer wieder die Leute zu-
treibt. Man muss deswegen die Besatzung beenden,
sichtbar beenden, wenn man über Verhandlungen Er-
folge erreichen will.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Wir sind auf Einladung da und nicht als Besatzer!)


Das ist unser Motiv dabei. Dafür streiten wir von Anfang
an.

Heute ist jeder für Verhandlungen. Der arme Herr
Steiner wurde als Botschafter strafversetzt, weil er das in
Gang gebracht hat. Zu Beginn der Mandatierung sind
wir verhöhnt und verspottet worden, als wir gesagt ha-
ben: Man kann das nur mit Verhandlungen lösen. – Da
waren Verhandlungen tabu. Bekennen Sie sich dazu! Wir
waren in dieser Frage weitsichtiger. Das finde ich gar
nicht bedeutsam, aber immerhin: Wir haben es gesagt.

Das Zweite ist: Hier muss Klarheit darüber geschaf-
fen werden, wo die grundsätzlichen Differenzen liegen.
Ich zitiere für eine Mehrheit hier im Bundestag einmal
den Bundespräsidenten, Herrn Gauck. Er hat in Mün-
chen gesagt: „Der Einsatz der Bundeswehr war notwen-
dig …“ – Meine Position, die Position meiner Fraktion,
ist: Der Einsatz der Bundeswehr, der Eintritt Deutsch-
lands in diesen Krieg, war moralisch schändlich, poli-
tisch falsch und antihuman.


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Schlimm! Schlimm! Schlimm!)


Das sind die grundsätzlichen Differenzen, und darüber
kommen wir nicht hinweg. Das werden wir miteinander
zu diskutieren haben.

(Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Wir ignorieren das!)


Wir werden auch zu diskutieren haben, wer Verantwor-
tung dafür trägt, dass in diesem Konflikt 70 000 Menschen
umgekommen sind. Ich möchte auch, dass den Opfern
von Kunduz hier von diesem Platz endlich Respekt ent-
gegengebracht wird und dass man um Verzeihung bittet
für das, was man dort angerichtet hat. Auch das müsste
zur deutschen Politik gehören.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt muss ich Ihre Frage beantworten. Entschuldi-
gung, das ist jetzt ein bisschen Eigenwerbung. Lesen Sie
mein Buch darüber,


(Henning Otte [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)


wie der Bundestag in den Afghanistan-Krieg reingelo-
gen worden ist! Auf Seite 20 ist eine Rede von mir von
2001, in der ich vorgeschlagen habe, dass statt eines
Kriegseinsatzes nach Kap. VII ein nach Kap. VI der UN-
Charta mandatierter Einsatz, also ein Blauhelmeinsatz,
das Adäquate wäre, um die Konflikte in Afghanistan zu
beenden. Von Ihnen hat keiner zugestimmt. Von Ihnen
hat keiner Interesse daran gehabt. Ihnen ging es gar nicht
darum, den Konflikt anders zu lösen. Man hatte sich ent-
schieden: Die Bundeswehr wird geschickt. Das soll so
gelöst werden.

Was Sie jetzt fordern, habe ich also schon 2001 vor-
geschlagen. Jetzt werden wir einmal sehen, was die
UNO beschließt. Wir müssen uns damit auseinanderset-
zen. Sie sind aber gar nicht an einer inhaltlichen Debatte
zur Lösung interessiert, sondern nur daran, möglicher-
weise bei uns bestehende Konflikte zu eskalieren. Das
geht schief. Wir sind uns in der Frage einig. Was Sie jetzt
vorbringen, wurde schon 2001 von mir gesagt. Hätten
Sie mein Buch gelesen, hätten Sie es gewusst.

Danke sehr.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Rainer Arnold [SPD]: Das war der Werbeblock!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801711300

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Peter Beyer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1801711400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welches Bild ha-
ben wir Deutsche heute von Afghanistan? Seit zwölf
Jahren kämpfen deutsche Soldatinnen und Soldaten am
Hindukusch. Der ursprüngliche Aufbaueinsatz sah sich
zunehmend mit kriegsähnlichen Zuständen konfrontiert.
Es wäre verfehlt, zu glauben, Soldatinnen und Soldaten
würden in ein Kriegsgebiet geschickt und beschäftigten
sich dort vor allem mit dem Bohren von Brunnen und
dem Bau von Mädchenschulen.





Peter Beyer


(C)



(D)(B)

Wir haben 2001 Verantwortung übernommen. Diese
gibt es nicht zum Nulltarif und auch nicht ohne Risiko.
Einmal übernommene Verantwortung kann man nicht
einfach wieder abgeben, nur weil einem die Sache unan-
genehm wird. Ein solches Handeln wäre verantwor-
tungslos. Wer Einfluss auf die weitere Entwicklung in
Afghanistan nehmen will, muss einen Beitrag für den
Erfolg der gemeinsamen Sache leisten, und zwar zivil
wie militärisch. Das hat Deutschland in den letzten gut
zehn Jahren getan, und zwar mit vorbildlichem Engage-
ment unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie haben Aus-
gezeichnetes geleistet und viel für die Menschen in Af-
ghanistan geschaffen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801711500

Herr Kollege – –


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1801711600

Ja, bitte.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801711700

Es gibt den Wunsch der Kollegin Buchholz von der

Fraktion der Linken nach einer Zwischenfrage oder Zwi-
schenbemerkung. Möchten Sie die zulassen?


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1801711800

Im Moment nicht.

Dafür spreche ich an dieser Stelle den deutschen Sol-
datinnen und Soldaten meinen ausdrücklichen Dank aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage auch: Die Entscheidung, die der Bundestag
am 16. November 2001 getroffen hat, war richtig. Es
war auch richtig, was Peter Struck seinerzeit gesagt hat:
dass deutsche Interessen auch am Hindukusch verteidigt
werden. Denn der Kern der Mission ist nach wie vor,
Frieden und Sicherheit zu schaffen, für stabile Verhält-
nisse zu sorgen und ein durch jahrzehntelange Kriege
zerrüttetes Land wieder aufzubauen.

Damals wie heute gab und gibt es keine einfachen Lö-
sungen für Afghanistan. Es ist eine Politik der kleinen,
deshalb aber nicht weniger wichtigen Schritte. Das hat
gerade die kontroverse Debatte in erster Lesung in der
vergangenen Sitzungswoche in diesem Haus gezeigt.

Unsere Ziele für den Einsatz in Afghanistan waren in
der Tat hochgesteckt, mit den heutigen Erfahrungen viel-
leicht zu hoch. Dennoch geht es heute nicht um das, was
nicht erreicht werden konnte, und ebenfalls nicht um
das, was versäumt wurde. Wir entscheiden heute viel-
mehr über die Zukunft. Vielleicht erscheint es aus unse-
rer hochtechnologischen Perspektive als zu wenig, wenn
eine neugebaute Brücke oder instandgesetzte Straße in
der afghanischen Berg- und Steppenwelt einem Kind
den Weg zu Bildung oder einer schwangeren Frau den
Weg zu medizinischer Versorgung ebnet. Es mag für uns
nahezu unvorstellbar sein, ohne Strom und fließendes
Wasser zu leben. In Afghanistan beschreibt das leider
immer noch zu häufig die Normalität.
Meine Damen und Herren, der Westen muss sich end-
lich von der viel zu lange aufrechterhaltenen Illusion
befreien, Afghanistan nach westlichem Vorbild moderni-
sieren zu wollen und dabei zu glauben, kulturelle Unter-
schiede ebenso überwinden zu können wie 100 Jahre tech-
nologischen Rückstands aufzuholen. Vielmehr muss es
zukünftig darum gehen, eine erneute Machtübernahme
der Taliban zu verhindern. Es gibt hoffnungsvoll stim-
mende Anzeichen dafür, dass die Taliban verstanden ha-
ben, dass sie das Land nicht, wie einst 1996, mit einem
Handstreich einnehmen können, und dass sie wissen,
dass ihre zukünftige Rolle eine politische sein wird –
beispielsweise bei den Vorbereitungen für die Präsident-
schaftswahlen im April dieses Jahres, auch wenn die
Taliban keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Sie unter-
stützen die Wahl zwar nicht, rufen aber auch nicht zu ih-
rem Boykott auf. Das lässt aufhorchen.

Bildung ist einer der Schlüssel bei allen Aktivitäten.
98 000 Lehrerinnen und Lehrer wurden in den vergange-
nen Jahren aus- und fortgebildet. Darüber hinaus wurde
der Neubau bzw. die Instandsetzung von über 550 Grund-
und weiterführenden Schulen finanziert. Heute gehen in
ganz Afghanistan über 9,2 Millionen Kinder zur Schule.
39 Prozent davon sind Mädchen. Diese neu entstandene
ISAF-Generation ist alphabetisiert, die Jungen und Mäd-
chen können lesen und schreiben.

Zum Wichtigsten zählt, dass selbsttragende Sicher-
heitsstrukturen geschaffen werden. Ein Beispiel aus dem
Polizeiaufbau: Allein im laufenden Jahr wurden in Ka-
bul und Masar-i-Scharif zwölf Ausbildungsprojekte ab-
geschlossen und dabei über 460 Trainees im Rahmen
von Mentoring-Projekten und Professionalisierungskur-
sen aus- und fortgebildet.

Und doch: Niemand ist ehrlich bei der Betrachtung
und Bewertung Afghanistans, der die Probleme beschö-
nigt oder gar verschweigt. Die Regierung von Hamid
Karzai ist korrupt. Die staatlichen Institutionen funktio-
nieren noch nicht wie erhofft. Es fällt zunehmend
schwerer, sich das Katz-und-Maus-Spiel Karzais mit der
NATO und insbesondere mit den Amerikanern länger
anzuschauen. Der deutsche Botschafter in Kabul, Martin
Jäger, äußerte erst kürzlich, dass Karzai die amerika-
nisch-afghanischen Beziehungen einer schwerwiegen-
den Belastungsprobe aussetze. Das liege nicht allein an
dessen Verweigerungshaltung bei der Unterzeichnung
des bilateralen Sicherheitsabkommens, BSA, mit den
USA, sondern auch an der Antiamerika-Propaganda.
Unter anderem warf Karzai den US-Truppen vor, die
Taliban durch ihre Operationen zu stärken.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Recht hat er!)


Kürzlich hat er sogar angedeutet, die USA steckten hin-
ter einigen schweren Anschlägen. Das ist inakzeptabel
und nicht konstruktiv.

Meine Damen und Herren, wahr ist aber auch, dass es
jetzt das falsche Signal wäre, anzudrohen, die Unterstüt-
zung nach dem auslaufenden ISAF-Mandat im Dezem-
ber dieses Jahres gänzlich einzustellen. Der afghanische
Präsident muss begreifen, dass wir sehr zeitnah ein kla-

(A)






Peter Beyer


(A) (C)



(D)(B)

res Bekenntnis erwarten, spätestens nach den Wahlen im
April.

Vor dem Land liegt ein bedeutungsvolles Jahr. Im Juli
2013 wurde mit der Reform der Wahlgesetze die not-
wendige rechtliche Grundlage für demokratische Wah-
len geschaffen. Die Wahlvorbereitungen sind auf einem
guten Weg. In den Zentren hängen flächendeckend
Wahlplakate, und es finden öffentliche Diskussionen der
Kandidaten statt; insgesamt elf Kandidaten stellen sich
zur Wahl. Von dieser Wahl hängt letztlich auch die Zu-
kunft Afghanistans ab. Wir sollten Vertrauen haben;
denn die Dinge haben sich in den Köpfen vieler Men-
schen zum Positiven verändert. Deshalb teile ich die oft
vernommene Einschätzung nicht, dass die ISAF-Mission
insgesamt gescheitert ist.

Nun liegt es auch an uns, die positive Stimmung zu
erhalten und dazu beizutragen, eine rasche Klärung der
rechtlichen Grundlage für die Nachfolgemission „Reso-
lute Support“ herbeizuführen. Denn wenn wir als Teil
der internationalen Gemeinschaft dieses Land und seine
Menschen moralisch, ökonomisch und politisch alleine
ließen, wenn wir wegschauten und insgeheim oder ganz
offen froh wären, dass wir 2014 zu mehr oder weniger
großen Teilen raus sind aus der Sache, dann machten wir
einen folgenschweren Fehler. Deshalb möchte ich – hof-
fentlich zum letzten Mal – um Ihre Zustimmung zu einer
Verlängerung des ISAF-Mandats werben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801711900

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der

Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801712000

Herr Kollege Beyer, Sie haben hier über Verantwor-

tung gesprochen. Sie wissen wie ich, dass es in der
Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 auf Befehl der
Bundeswehr einen Angriff gab, durch den in der Region
Kunduz bis zu 142 Menschen zu Tode gekommen sind.
Sie wissen wie ich, dass es bisher keine angemessene
Entschädigung der Opfer gibt, und Sie wissen wie ich,
dass es keine Entschuldigung seitens der Bundesrepublik
Deutschland gegenüber den Hinterbliebenen und ihren
Familien gegeben hat. Ich frage Sie: Was werden Sie
tun, damit die Hinterbliebenen endlich eine angemes-
sene Entschädigung bekommen?


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801712100

Mögen Sie darauf antworten, Kollege Beyer?


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1801712200

Herr Präsident, das möchte ich in aller Kürze. – Ich

habe vollstes Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie
das verantwortungsvolle Handeln, das sie bisher gezeigt
hat, fortführt und sich dieser Sache ernsthaft annimmt.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Seit ein paar Jahren schon!)


Das sollte unser aller Überzeugung sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801712300

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801712400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am

15. April 2010 wurde Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer
von Taliban getötet, als er Verwundeten helfen wollte. Er
war 33 Jahre alt und ein werdender Vater.

Am 24. Dezember 2010 wurde zwischen Kholm und
Kunduz in der Provinz Balkh ein Berater der KfW Ent-
wicklungsbank von Taliban erschossen. Er verbrachte
Heiligabend ohne seine Familie, weil er den Bau einer
Straße in einer strukturschwachen Gegend betreute.

In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 starb
Sanaullah auf einer Sandbank im Kunduz-Fluss, als zwei
entführte Tanklastwagen bombardiert wurden. Er wurde
zehn Jahre alt.

Vor wenigen Wochen, am 23. Januar 2014, wurden in
der Provinz Laghman fünf Kinder von den Taliban er-
schossen, weil sie Volleyball spielten.

Kann man nach all den Opfern zufrieden sein mit
dem, was wir erreicht haben? Ist der Einsatz nach zwölf
Jahren nicht als gescheitert zu betrachten, weil wir nun
abziehen und nicht einmal mit Gewissheit sagen können,
ob die afghanischen Institutionen in der Lage sind, die
Sicherheit selbst zu tragen?

Es ist beileibe nicht alles schlecht in Afghanistan. Es
ist viel erreicht worden. Nur, wir hätten viel mehr errei-
chen können, und wir hätten auch viel mehr erreichen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass das nicht geschafft wurde, lag nicht an zu wenig
Militär. Es lag an zu wenig Diplomatie, an zu wenig zi-
viler Aufbauarbeit, an zu wenig Staatlichkeit und an zu
wenig Koordination.

Nun geht ISAF zu Ende. Meine Fraktion hat seit län-
gerem eine Abzugsperspektive gefordert. Nun wird sie
vollzogen. Das ist auch richtig so. Es ist allein deswegen
richtig, weil die völkerrechtliche Grundlage für ISAF
Ende 2014 nicht mehr gegeben ist. Wir als Fraktion wer-
den dem ISAF-Mandat dieses Mal deshalb mehrheitlich
zustimmen.

Weil es die letzte Debatte ist, möchte ich die Chance
nutzen, einigen zu danken. Ich möchte selbstverständlich
der Bundeswehr danken. Kein Einsatz hat die Bundes-
wehr so verändert wie dieser. Ich möchte aber nicht nur
den Uniformierten danken, wobei man niemals die Poli-
zei vergessen darf, die in Afghanistan unglaublich viel
getan hat; das kommt in den Debatten immer zu kurz.





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir dürfen auch die vielen Tausend Helferinnen und
Helfer nicht vergessen, die als Diplomaten, als Entwick-
lungs- und Aufbauhelferinnen und -helfer und in ande-
ren Funktionen in Afghanistan waren. Sie haben viel
Kraft, Herzblut, Zeit und Mühe investiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir dürfen auch ihre Familien nicht vergessen, die in
dieser Zeit viele Opfer gebracht haben.

Mein größter Dank aber geht an die Afghaninnen und
Afghanen, allen voran an die Afghaninnen. Sie leben seit
über 40 Jahren in einem Kriegsland. Sie haben Krieg
und Entbehrung erlebt und wagen es dennoch immer
wieder, Hoffnung zu schöpfen. Sie arbeiten unermüdlich
am Wiederaufbau ihres Landes. Sie sind zu Recht stolz
auf das, was in den letzten Jahren erreicht worden ist, al-
lerdings leider Gottes fast nur in urbanen Zentren. Diese
Menschen haben Freiheit erlebt. Es ist eine neue Genera-
tion herangewachsen, die erlebt hat, wie es ist, in einem
Konflikt auch einmal eine Atempause haben zu können.
Diese Menschen dürfen wir nicht vergessen. Das Wich-
tigste ist, dass von hier aus die Botschaft ausgeht, dass
unsere Solidarität nach ISAF nicht enden wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Mardom mohtaram Afghanestan, payane ISAF
payane hambastegiye ma nist. Ma shoma ra faromoush
nakhahim kard.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801712500

Als Nächstes erteile ich das Wort dem Kollegen

Thomas Hitschler, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1801712600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir stimmen heute zum letzten Mal über die
Verlängerung des ISAF-Mandats ab.


(Zuruf von der LINKEN: Warten wir es doch mal ab!)


Als einige von Ihnen das erste Mal über das ISAF-Man-
dat abstimmten, war ich 19. Der Einsatz der Bundeswehr
hat damit fast mein gesamtes bisheriges politisches Le-
ben begleitet und auch in besonderer Weise das Leben
von vielen Menschen in unserer Gesellschaft verändert
und beeinflusst.

Am 11. September 2001 habe ich zu Hause auf der
Couch den feigen Anschlag auf die amerikanische Na-
tion verfolgt und gesehen, wie das World Trade Center
in sich zusammengefallen ist. Ich war mir damals der
Tragweite dieses feigen Anschlages in keiner Weise be-
wusst. Wir haben erlebt, wie der Konflikt und der Krieg
zum Teil unserer Realität wurden. Plötzlich war von
Krieg und von gefallenen deutschen Soldaten die Rede.
Allein die öffentliche Auseinandersetzung über die Be-
grifflichkeit des gefallenen deutschen Soldaten hat viel
in unserer Gesellschaft verändert.

Heute, fast 13 Jahre später, diskutieren wir im Bun-
destag zum letzten Mal über die Verlängerung des ISAF-
Mandates. Ich bin mir sicher: Keiner von Ihnen hat sich
die Entscheidung zu diesem Mandat bisher einfach und
leicht gemacht, und das ist auch gut so. Selbst wenn der
Krieg Einzug in unseren politischen Alltag gehalten hat,
darf er immer nur der letzte Ausweg in einem Konflikt
sein.

Ich bin mir sicher, dass es eine besondere Errungen-
schaft des deutschen Parlamentarismus ist – um die uns
übrigens viele andere Staaten beneiden –, dass diese Ein-
satzfragen hier von uns Volksvertreterinnen und Volks-
vertretern beraten und beschlossen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese besondere Errungenschaft, der wir uns zu jedem
Zeitpunkt bewusst sein sollten, müssen wir auch in Zu-
kunft bewahren und verteidigen. Nur der Deutsche Bun-
destag soll darüber entscheiden dürfen, ob unsere Solda-
tinnen und Soldaten in Kampfeinsätze gehen.

Wenn wir heute nach Afghanistan schauen, sehen wir
ein Land, das sich sechs Wochen vor einer wichtigen de-
mokratischen Entscheidung befindet. Wahlen werden
vorbereitet, und man hat den Eindruck, die Menschen
freuen sich darauf. Sie wollen wählen und wollen an ih-
rem Staat mitwirken. Dies zeigen nicht nur die millio-
nenfachen Registrierungen für das Wählerregister, son-
dern auch die Berichte, die uns unsere Einsatzkräfte vor
Ort bei vielen Gelegenheiten gegeben haben. Die Wah-
len werden in eigener Verantwortung und in anscheinend
relativer Sicherheit durchgeführt. Drücken wir den Men-
schen in Afghanistan die Daumen und wünschen ihnen
viel Erfolg für diese wichtige Entscheidung, vor der sie
stehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Afghanistan hat sich aber auch auf den Weg gemacht,
eigene institutionelle Prozesse in Gang zu bringen, eine
eigene unabhängige Verwaltung zu schaffen und damit
auch ein Stück Rechtsstaatlichkeit herzustellen. Es ent-
wickelt damit hoffentlich langfristig ein Fundament, um
friedlich leben zu können. Nebenher entsteht eine echte
Zivilgesellschaft. Wer hätte das vor 13 Jahren gedacht,
liebe Kolleginnen und Kollegen? Zusätzlich stellt man
fest, dass nach jahrzehntelanger fundamentalistischer
Bildungsfeindlichkeit heute wieder mehr junge Frauen
und Männer Zugang zu Bildung haben. Dies ist die beste
Voraussetzung und der optimale Grundstein für eine
langfristige positive Entwicklung in diesem Land.

In afghanisch-deutscher Kooperation wurden Kran-
kenhäuser gebaut, um das Gesundheitssystem wieder auf





Thomas Hitschler


(A) (C)



(D)(B)

stabilere Beine zu stellen. Die enorm hohe Säuglings-
sterblichkeit zeigt dennoch, dass wir Deutsche weiterhin
Unterstützung leisten sollten, um den Afghanen eine po-
sitive Zukunft zu geben.


(Zuruf von der LINKEN: Jawohl!)


Derzeit dienen etwa 3 000 Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan. Ihnen und den zahlreichen zivilen Helferinnen
und Helfern – mein Vorredner hat es gerade gesagt – gilt
mein besonderer Dank und, wie ich hoffe, auch unsere be-
sondere Anerkennung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen aber mehr tun, als einfach nur Danke zu
sagen. Wir müssen uns darum kümmern, dass diejeni-
gen, die ihr Leben in unserem Auftrag riskiert haben,
nach ihrer Heimkehr die verdiente Anerkennung erhal-
ten. Wir müssen uns darum kümmern, dass diejenigen,
die es nicht unversehrt nach Hause geschafft haben, von
unserem Staat dennoch eine gute Lebensperspektive er-
halten. Und wir dürfen diejenigen nicht vergessen, die
im Einsatz gefallen sind.

Meine Damen und Herren, der Einsatz in Afghanistan
ist von besonderer Komplexität. Wir alle müssen ge-
meinsam anerkennen, dass Fehler gemacht wurden, und
sicherstellen, dass die richtigen Schlüsse aus diesen Feh-
lern gezogen werden. Zeigen wir Respekt gegenüber der
Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, und erken-
nen wir an, was noch zu tun ist und vor uns liegt.

Am 31. Dezember dieses Jahres wird der Kampfeinsatz
enden. Niemand von uns darf naiv sein und glauben, ab die-
sem Zeitpunkt ist Afghanistan eine Demokratie nach west-
lichem Muster. Es wird in Afghanistan – auch für die Bun-
deswehr – noch viel zu tun geben. Wir werden auch künftig
als Partner zur Seite stehen und Aufbauhilfe leisten. Wir
werden als Partner bei der Entwicklungszusammenarbeit
und dem zivilen Aufbau eine wichtige Rolle spielen müs-
sen.

Lieber Kollege Gehrcke, wir werden in Verhandlun-
gen eintreten. Im Übrigen hat 2007 der Südpfälzer Kurt
Beck und nicht die Linkspartei den Vorschlag unterbrei-
tet, die Taliban an den Gesprächen zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen aber auch erkennen, dass die Diskussion
über Afghanistan noch lange Zeit Teil unseres Alltags
sein wird.

Junge Menschen, die heute in Afghanistan ungefähr
so alt sind, wie ich es war, als der Einsatz begann, kön-
nen sich nicht mehr an ein Leben ohne Krieg erinnern.
Für sie stellt der Übergang vom Kampfeinsatz unserer
Streitkräfte hin zu einer Unterstützungsmission einen
wichtigen Wegpunkt dar – hoffentlich hin zu Frieden,
Freiheit und Demokratie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Teenager im
Jahr 2001 habe ich sicher keine Sekunde daran gedacht,
einmal vor Ihnen um die Zustimmung für die finale Ver-
längerung des ISAF-Mandates bitten zu können. Neh-
men Sie bitte die bisherige Bilanz des langen Einsatzes
wohlwollend zur Kenntnis. Gehen Sie auch den letzten
Schritt gemeinsam mit uns. Ich bitte Sie deshalb um Ihre
Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801712700

Das war die erste Rede des Kollegen Thomas

Hitschler im Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir
Ihnen herzlich.


(Beifall)


Ich nutze den kurzen Moment der Gratulation, um auf
Folgendes hinzuweisen: Der Kollege Nouripour hat am
Schluss seiner Rede die Fremdsprachenkenntnisse der
Kolleginnen und Kollegen ein wenig überschätzt. Es ist
nett, wenn man zu einem solchen rhetorischen Mittel
greift; nur sollte man vielleicht auch die Übersetzung an-
fügen.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Übersetzung vorangestellt, Herr Präsident!)


– Das haben wir alle hier oben nicht mitbekommen. Da
bitte ich um Nachsicht. Es ist jedenfalls auf alle Fälle so
zu halten. Danke.

Wir hören als Nächste unsere Kollegin Heike Hänsel
von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801712800

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Laut dem jüngsten Bericht der UN-Mission in Af-
ghanistan, UNAMA, ist 2013 das schlimmste Jahr für af-
ghanische Frauen, Mädchen und Jungen seit 2009, mit
der höchsten Zahl an getöteten und verletzten Frauen
und Kindern. Erneut wurden Hunderte Zivilisten von der
sogenannten internationalen Schutztruppe ISAF getötet,
davon allein 19 Prozent durch Luftangriffe. Was das
konkret bedeutet, zeigt die Aussage eines Arztes über
ein vierjähriges Mädchen, das nach einem Luftangriff in
ein Krankenhaus gebracht wurde: Fast ohne Gesicht,
beide Augen verloren; ihre gesamte Familie wurde getö-
tet, als das Fahrzeug, in dem sie fuhren, bei einem Luft-
angriff bombardiert wurde. – In Afghanistan wird täg-
lich getötet und gestorben, und deswegen fordert die
Linke seit 13 Jahren ein Ende dieses Krieges und einen
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Die Taliban töten auch!)


– Genau, weil wir in einer Kriegssituation sind.

Übrigens sind allein im letzten Jahr 4 600 afghanische
Soldaten und Polizisten getötet worden. Ich finde, das
muss man hier, weil Sie jetzt immer auf die Sicherheits-
strukturen der Afghanen setzen, auch mal erwähnen.
Auch das zeigt, wie brutal es dort zugeht und wie die Si-





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)

cherheitslage ist. Jetzt sterben eben afghanische Solda-
ten, und auch das lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Hinblick auf die Erreichung all der Ziele, die Sie
zur Rechtfertigung dieses Krieges hier immer wieder an-
gegeben haben und auch immer noch angeben – Ent-
wicklung, Frauenrechte, Demokratie, Frieden –, sind Sie
gescheitert. Der Afghanistan-Krieg hat mindestens
70 000 Menschen das Leben gekostet. Das Land zählt
immer noch zu den ärmsten Ländern der Erde, und das
trotz milliardenschwerer Entwicklungsprogramme. Das
zeigt, dass wir unter der Bedingung von Besatzung und
Krieg keine nachhaltige Entwicklung ermöglichen kön-
nen; das muss doch die Erkenntnis sein.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Und was habe ich letzte Woche von Außenminister
Steinmeier gehört? Seine Erkenntnis aus dem Afghanis-
tan-Krieg ist: Wir müssen jetzt bessere Militäreinsätze
planen, müssen uns besser koordinieren und die zivil-
militärische Vernetzung verbessern. – Das ist doch keine
angemessene Konsequenz aus diesem Krieg. Die Konse-
quenz muss sein, dass wir die Bundeswehr generell nicht
ins Ausland schicken und militärische Interventionen ab-
lehnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Alle danken hier immer – ich muss sagen, sehr ri-
tualhaft – den deutschen Soldatinnen und Soldaten.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht ritualhaft, sondern tatsächlich!)


Ich möchte heute einmal den Friedensaktivisten danken,
die sowohl in Deutschland – übrigens auch heute vor
dieser Debatte wieder – als auch in Afghanistan und
weltweit über Jahre hinweg auf die Straße gegangen sind
und gegen diesen Krieg demonstriert und protestiert ha-
ben, die afghanische Friedenskräfte vor Ort unterstützen
und über 13 Jahre hinweg versucht haben, Alternativen
zu entwickeln und zu zeigen, dass es nicht darum gehen
kann, den Krieg zu gewinnen; wir müssen den Frieden
gewinnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie reden jetzt viel von internationaler Verantwor-
tung. Ich frage mich: Warum übernehmen Sie nicht erst
einmal Verantwortung für das, was in Afghanistan pas-
siert ist, für die Tausenden von Toten, für die auch die
ISAF-Schutztruppe verantwortlich ist? Meine Kollegin
hat es angesprochen: Für die Angehörigen der Opfer, der
Toten des Kunduz-Angriffes – Sie sprachen von einem
„verantwortungsvollen Handeln“ der Bundesregierung,
Herr Beyer – gab es eine Entschädigung von 5 000 US-
Dollar. Das darf ja wohl nicht wahr sein. Sie verstecken
sich hinter Gerichtsbeschlüssen. Das ist wirklich beschä-
mend. Das ist keine menschenwürdige Unterstützung für
die Hinterbliebenen.


(Beifall bei der LINKEN)

Warum übernehmen Sie eigentlich keine Verantwor-
tung für den schmutzigen Drogenkrieg, den die USA in
der Grenzregion Pakistan/Afghanistan, und übrigens
auch in Afrika, führen? Er wird auch von deutschem Bo-
den aus geführt, nämlich von den US-Kommandozentra-
len AFRICOM und EUCOM in Stuttgart. Das könnten
Sie hier unterbinden. Ich frage mich, warum diese Ein-
richtungen nicht längst geschlossen worden sind; denn
sie sind verantwortlich für diesen schmutzigen Krieg
und den Tod von Hunderten von Zivilisten in Afghanis-
tan und Pakistan.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Linke fordert einen vollständigen Abzug aus Af-
ghanistan und keine dauerhafte Besatzung mit US-Trup-
pen von bis zu 10 000 Soldaten über Jahre hinweg, wie
das geplant ist. Man spricht vom Jahr 2024, und falls es
die Sicherheitssituation erfordert, auch noch über diesen
Zeitraum hinaus. Wir wollen einen vollständigen Abzug
aus Afghanistan und keine dauerhafte Besatzung. Wir
wollen, dass afghanische Friedenskräfte, die eine mutige
Arbeit machen, aber bislang wenig unterstützt werden,
endlich die Unterstützung bekommen, die sie benötigen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801712900

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1801713000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute beraten wir im Deutschen Bundestag zum letzten
Mal die Mandatierung des Bundeswehreinsatzes im
Rahmen der ISAF. Der Kampfeinsatz der Bundeswehr
zusammen mit vielen Nationen zur Befriedung Afgha-
nistans wird Ende 2014 beendet sein.

Bevor man ein Fazit aus ISAF zieht, sollten wir uns
vergegenwärtigen, dass der Gesamteinsatz für die Si-
cherheit Afghanistans noch lange nicht zu Ende sein
wird.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Die internationale Gemeinschaft ist bereit, weiterhin ei-
nen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten – sofern das
Land Afghanistan dies will, sofern die Bedingungen für
die deutschen Soldaten stimmen und sofern die USA als
unsere Partner dies leisten wollen.

Was wäre wohl aus diesem Land und der gesamten
Region geworden, wenn die internationale Gemeinschaft
nicht bereit gewesen wäre, Verantwortung zu tragen?
Frau Hänsel, Sie haben von Besatzung gesprochen.
Überlegen Sie bitte: Was war denn mit den Steinigungen
in den Stadien?


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und heute gibt es keine Steinigungen mehr?)






Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)

Was war denn mit den Anschlägen in New York mit den
vielen Toten? Die nehmen Sie offensichtlich billigend in
Kauf. Das ist beschämend.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der internationale Terrorismus hätte Deutschland wei-
terhin bedroht. Der Beitrag der Bundeswehr und der alli-
ierten Streitkräfte hat zu einer Befriedung Afghanistans
und damit zur Stärkung der Sicherheit auch Deutsch-
lands beigetragen. Das ist ein Erfolg.

Wir danken dafür unseren Soldatinnen und Soldaten.
Wir danken dafür den Polizisten und auch den zivilen
Helfern aus Deutschland, die bereit waren, für die Si-
cherheit unseres Landes diesen sehr herausfordernden
Dienst zu leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801713100

Herr Kollege Otte, der Kollege Ströbele hat den

Wunsch nach einer Zwischenfrage bzw. einer Zwischen-
bemerkung. Wollen Sie das zulassen?


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1801713200

Ich würde gerne mit meiner Rede fortfahren, Herr

Präsident.

Viele Fortschritte – die sollte sich Herr Ströbele erst
anhören –


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


sind in diesem Land erzielt worden. Beispielsweise
wurde im deutschen Zuständigkeitsbereich ein Flugha-
fen als Lebensader gebaut. Freie Parlamentswahlen ste-
hen unmittelbar bevor. Das Land Afghanistan ist, so wie
von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert,
bereit zur Übernahme der Verantwortung für das eigene
Land.

Wir können feststellen, dass sich die Situation in Af-
ghanistan grundlegend verbessert hat. Das haben gestern
im Verteidigungsausschuss nicht zuletzt die Ausführun-
gen des zuständigen deutschen Generals im Regional
Command North mehr als verdeutlicht. Aus dem Ansatz
der vernetzten Sicherheit, der von Deutschland aus in
der NATO und damit auch in Afghanistan implementiert
worden ist, ist eine weitgehend selbsttragende Sicher-
heitsstruktur entstanden, die von den Afghanen nun
selbst permanent weiterentwickelt werden muss. Sie
wollen diese Sicherheitsstruktur auch weiterentwickeln.
Die Menschen in Afghanistan sind nicht zuletzt durch
die Unterstützung Deutschlands in die Lage versetzt
worden, ihr Leben selbst zu gestalten. Das ist ein Fort-
schritt. Diesen Fortschritt müssen wir weiter begleiten.

Es geht darum, dass ein Land, das zu scheitern und zu
zerfallen drohte, befähigt wird, eigene starke und belast-
bare Staatsstrukturen zu schaffen – auch ein Gewaltmo-
nopol –, die Wachstum und Fortschritt ermöglichen. Ei-
nen wesentlichen Beitrag dazu hat die Bundeswehr
geleistet: mit Profession, mit Motivation, ja, auch mit
Leidenschaft. Leider mussten wir auch Opfer bringen.
Ich denke gerade in dieser Stunde auch an die 55 Gefal-
lenen und deren Familien. Wir werden sie nicht verges-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sie sind uns gleichsam Mahnung und Verpflichtung,
wenn es um die zukünftige deutsche Sicherheitspolitik
geht. Wir müssen uns zukünftig stärker von vornherein
darüber klar werden, wo und wofür wir uns engagieren.
Diplomatie und Entwicklungshilfe müssen immer Vor-
rang vor militärischen Mitteln haben. Aber wenn Solda-
ten eingesetzt werden, dann müssen die Handlungsan-
weisungen klar und am Auftrag orientiert sein. Auch
hier haben wir gelernt.

Die Einsätze auf dem Balkan, aber vor allem die Ein-
sätze in Afghanistan haben aus der Armee der Einheit
eine Armee im Einsatz gemacht. Die Ausrüstung ist mit
großer Kraftanstrengung auf ein Niveau gebracht wor-
den, welches auch den internationalen Vergleich nicht zu
scheuen braucht. Hier sind wir top.

In diesem Zusammenhang möchte ich von einem
Truppenbesuch im letzten Jahr in Afghanistan berichten.
Wir wurden von dem militärischen Seelsorger gebeten,
am Ehrenhain für gefallene Soldaten eine Kerze anzu-
zünden. Die Kollegin der Linken hat dies verweigert.
Ungeachtet der Leistungen und der Opfer, die unsere
Soldaten für die Sicherheit und den Schutz unserer Bür-
gerinnen und Bürger erbracht haben, sieht sich die Frak-
tion Die Linke nicht in der Lage, Menschlichkeit und
Anteilnahme zu zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Jetzt überlegen Sie doch mal!)


Stattdessen bedienen Sie sich auch heute um Ihrer selbst
willen Klischees. Damit erhalten Sie sich offensichtlich
eine feste Wählerstruktur.


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Genau darum geht es denen nur!)


Sie sind als Linke nicht in der Lage, Verantwortung für
unser Land zu tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Diese Verantwortung wollen wir nicht!)


Die Bundeswehr ist in der Lage, der Politik die Mittel
und Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, die für Ein-
sätze im Sinne einer vernetzten Sicherheit je nach Inten-
sität und zeitlicher Dauer erforderlich sind. Das ist
exemplarisch in Afghanistan zu sehen: Wir bilden bei-
spielsweise ANA-Kräfte aus, es gibt Kampfeinsätze, es
gibt aber auch begleitende Schulungen für die Sicher-
heitskräfte. Um der Politik diese Möglichkeiten an die
Hand zu geben, muss die Bundeswehr auch zukünftig
über das gesamte Spektrum der Fähigkeiten verfügen.
Das ist der Grund, warum die Neuausrichtung der Bun-
deswehr an dem Ordnungsmerkmal „Breite vor Tiefe“
ausgerichtet ist. Diese Ausrichtung erfolgt anhand der si-





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)

cherheitspolitischen Notwendigkeit, der sicherheitspoli-
tischen Realität und des sicherheitspolitischen An-
spruchs.

Deutschland profitiert wie vielleicht kein anderes
Land von der freien Welt. Wir müssen bereit sein, uns
dafür einzusetzen, dass die Welt so frei und so gut es
geht auch sicher bleibt. Daher bin ich den Rednern, ins-
besondere unserem Bundespräsidenten, unserer Verteidi-
gungsministerin und unserem Bundesaußenminister, für
die Worte bei der Sicherheitskonferenz in München
dankbar.

Das Prinzip der Rahmennation hat sich bewährt und
spiegelt sich in der zukünftigen Struktur der Bundeswehr
wider, die wir entsprechend weiterentwickeln wollen.
Wir haben ein sehr tragfähiges Gleichgewicht zwischen
sicherheitspolitischer Verantwortung und finanzieller
Reichweite erreicht. Wir haben die richtigen politischen
und strukturellen Schlüsse gezogen. Es hat sich auch ge-
zeigt: Die Menschen in Deutschland verstehen den Ein-
satz der Bundeswehr, wenn wir ihnen mit Klarheit und
Wahrheit erklären, warum und wo unsere Streitkräfte
eingesetzt sind.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Warum tun Sie das dann nicht?)


Wir haben am KFOR-Einsatz gesehen, dass die Ein-
sätze nicht als beendet erklärt werden können, ehe nicht
alle Soldaten wieder nach Hause, zurück in unser Land
gekommen sind. In diesem Sinne müssen die zukünfti-
gen Mandate für Afghanistan sorgfältig an der tatsächli-
chen Lage ausgerichtet sein. Das vorliegende Mandat er-
füllt diesen Anspruch. Daher wird die CDU/CSU-
Fraktion zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801713300

Wir werden jetzt noch zwei Kurzinterventionen hö-

ren, bevor wir in der Debatte fortfahren. Kollege Otte,
Sie haben die Möglichkeit, auf diese zu reagieren.

Als Erstes hat der Kollege Hans-Christian Ströbele
das Wort zu einer Kurzintervention.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hätte mich auch gewundert, wenn nicht!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe mich gemeldet,
Herr Kollege Otte, weil das Ziel, der Sinn, der Zweck
dieses Kriegseinsatzes der Bundeswehr nicht nur von
den verschiedenen Rednern unterschiedlich dargestellt
worden ist, sondern in Ihrem Beitrag sogar gewechselt
hat. Geht es beim Kriegseinsatz der Bundeswehr dort da-
rum, die Konsequenzen aus dem 11. September 2001 zu
ziehen – das ist lange her –, oder geht es darum, Straßen
und Brücken zu bauen, oder geht es darum, freie Wahlen
zu ermöglichen? Zu all dem findet sich in dem ursprüng-
lichen Auftrag der UNO überhaupt nichts.
Ich bin ja von Anfang an dabei und kenne auch die
Debatten seit dem November 2001. Deshalb habe ich
eine Frage. Diese Frage wollte ich Ihnen während Ihrer
Rede stellen; jetzt mache ich es im Rahmen einer Kurz-
intervention. Wir stimmen hier nicht über ein Abzugs-
mandat ab. Wir stimmen hier heute in der namentlichen
Abstimmung über die Fortsetzung des Kriegsmandates
ab. Soll weitere zehn Monate wie bisher in Afghanistan
Krieg geführt werden? Das heißt, werden weiterhin ge-
zielte Tötungsaktionen, sei es durch US-Drohnen im
deutschen Verantwortungsbereich, sei es durch Kom-
mandounternehmen im deutschen Verantwortungsbe-
reich – möglicherweise mit deutscher Beteiligung –, und
andere kriegerische Einsätze durchgeführt? Darum geht
es hier. Für einen Abzug brauchen Sie kein Bundestags-
mandat.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wird das jetzt eine Rede oder eine Kurzintervention?)


Die deutschen Soldaten können jederzeit abziehen, wenn
der Krieg zu Ende ist oder das Ende des Krieges erklärt
wird.

Das heißt, wir müssen uns darüber im Klaren sein: Je-
der, der hier für dieses Mandat stimmt, übernimmt die
Verantwortung für die Tötung weiterer Menschen, Zivi-
listen, Angehöriger der afghanischen Sicherheitskräfte,
aber auch der deutschen Bundeswehr oder anderer
NATO-Streitkräfte, im deutschen Verantwortungsbe-
reich. Das ist die Frage, um die es jetzt geht. Es darf
nicht darum herumgeredet werden. Die Verteidigungs-
ministerin, die ja bezeichnenderweise hier heute nicht
dazu spricht, hat zu keinem Zeitpunkt gesagt, was es ei-
gentlich bedeutet, dass wir den Krieg dort jetzt noch
weitere zehn Monate fortführen, obwohl wir wissen,
dass der Krieg verloren ist. Für die weiteren Tötungen,
die dort stattfinden, gibt es damit überhaupt keine Be-
rechtigung.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801713400

Sie haben das Wort zur Erwiderung.


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1801713500

Sehr geehrter Herr Ströbele, es handelt sich hierbei

nicht um einen Kriegseinsatz. Ich empfinde auch Ihr Vo-
kabular angesichts des Fortschritts dort und der Sorge
um das Wohl der Menschen in Afghanistan als völlig un-
akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Heuchler!)


Dieses Mandat basiert auf einem Beschluss der Ver-
einten Nationen; er wird von vielen Nationen getragen.
Ich möchte sagen: Zwei Dinge unterscheiden uns,
glaube ich, ganz besonders von Ihnen. Wir setzen uns
weiterhin für die Sicherheit in einer freien Welt ein, und
wir – im Gegensatz zu Ihnen – würden die Menschen
dort nicht im Stich lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801713600

Zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin

Christine Buchholz das Wort.


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801713700

Herr Otte, Sie wissen ganz genau, dass meine Kolle-

gin auf der Delegationsreise nach Afghanistan an der
Gedenkveranstaltung teilgenommen hat. Das ist auch
richtig so; denn die Linke trauert selbstverständlich um
jeden einzelnen Soldaten, der in Afghanistan zu Tode
gekommen ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Allerdings messen wir nicht mit zweierlei Maß. Wir
trauern genauso um die Soldatinnen und Soldaten, die
im Einsatz auf Ihre politische Entscheidung hin ihr Le-
ben lassen oder traumatisiert, an Seele oder Körper ver-
wundet nach Hause kommen, wie wir auch um die Men-
schen trauern, die als Zivilistinnen und Zivilisten in
Afghanistan gestorben sind – durch ISAF, durch die
Bundeswehr. Deswegen haben wir uns selbstverständ-
lich auch an den Gesprächen über ein Gedenken für die
gestorbenen Soldaten beteiligt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn das so weitergeht, wird es mit Rot-Rot-Grün nie etwas! – Gegenruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie doch glücklich sein!)


Gleichzeitig sagen wir aber auch: Wir beteiligen uns
nicht an einer Zweiteilung dieses Gedenkens. Wir wol-
len, dass derer, die den Einsatz durchführen, und der zi-
vilen Opfer gleichermaßen gedacht wird. Wir nehmen
zur Kenntnis, dass unsere Vorschläge, beispielsweise der
Vorschlag, hier im Bundestag eine Gedenkveranstaltung
für die Opfer von Kunduz durchzuführen, von Ihnen
vom Tisch gewischt wurden. Von daher: Versuchen Sie
nicht, uns so darzustellen, als gingen die Opfer unter
denjenigen, die letztendlich die politischen Entscheidun-
gen, die Sie hier vorbereiten, ausführen, an uns vorbei!
Auch wir möchten, dass die Soldatinnen und Soldaten
unversehrt bleiben. Das Beste ist, Sie holen sie zurück,
und zwar sofort. Dann wird nämlich niemand weiter
traumatisiert, und dann wird auch niemand weiter zu
Tode kommen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801713800

Kollege Otte, Sie haben das Wort.


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1801713900

Sehr geehrte Frau Buchholz, die Dauer Ihrer Kurz-

intervention zeigt, dass Sie nach Argumenten dafür su-
chen, warum es Ihnen in Ihren Reden nicht gelungen ist,
deutlich zu machen, dass auch Sie für gefallene deutsche
Soldaten Trauer empfinden,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie bitte? Das ist schäbig!)


und dass es Ihnen unangenehm ist, dass ich dies ange-
sprochen habe.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach was! Sie können doch gar nicht argumentieren!)


Das mag so sein. Aber die deutsche Öffentlichkeit muss
erfahren, in welcher politischen Ecke Sie stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, ja! Und das sagen ausgerechnet Sie! Bei Ihnen weiß sie das ja schon!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801714000

Bevor wir mit der Debatte fortfahren, bitte ich die

schon zahlreich erschienenen Kolleginnen und Kolle-
gen, Platz zu nehmen und dafür zu sorgen, dass wir auch
den weiteren Rednerinnen und Rednern mit der notwen-
digen Aufmerksamkeit folgen können. Sie können mir
glauben: Wir haben hier im Saal für jeden Kollegen und
für jede Kollegin einen Stuhl.

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Uwe Kekeritz das Wort.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801714100

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

In der letzten Woche hat Entwicklungsminister Müller
hier Stellung bezogen. Um es ehrlich zu sagen: Bei sehr
vielen Themen ist Herr Müller sehr klar. Beim Thema
Afghanistan war er meines Erachtens ziemlich kontur-
los.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Unglaublich!)


In Anbetracht der schwierigen Lage in Afghanistan
wäre es aber zwingend notwendig, dass sich der Ent-
wicklungsminister klar und deutlich positioniert. Der
Minister müsste belegen, dass sich die Bundesregierung
kohärent, abgestimmt und intensiv auf die Zeit nach dem
Truppenabzug vorbereitet. Hierfür gibt es verschiedene
Szenarien. – Herr Minister, ich habe Sie nicht gesehen;
sonst hätte ich Sie direkt angesprochen. – Es eilt; denn
nicht nur der aktuelle Fortschrittsbericht zeigt, wie viel
zu tun bleibt.

Nur zwei Beispiele: Die Zahl der Binnenflüchtlinge
ist inzwischen auf über 600 000 angestiegen. Der Dro-
genanbau und der Drogenhandel greifen um sich wie nie
zuvor. Wir alle kennen natürlich die weiteren Probleme,
die wir gemeinsam mit den Menschen vor Ort struktu-
riert und vor allen Dingen geplant angehen müssen.
Heute rächt sich, dass die von uns seit Jahren gestellte
Forderung nach einer unabhängigen Evaluierung des zi-
vilen Engagements in Afghanistan schlicht ignoriert
wurde. Die möglichen Erkenntnisse einer qualifizierten
Evaluation würden sich in der zukünftigen Zusammenar-
beit mit Afghanistan sehr schnell auszahlen.


(Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Weigerung, eine solche Evaluierung heute durchzu-
führen, halte ich, Herr Minister, für einen ganz großen
Fehler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)

Anstatt zu evaluieren, plant das BMZ eine Kurzstudie
zu Evaluierungsoptionen. Vielleicht ist ein Fachmann
oder eine Fachfrau da, der bzw. die erklären kann, was
das bedeutet. Was auch immer da herauskommen soll,
eine Kurzstudie kann nicht die Grundlage der Arbeit
nach dem Abzug in Afghanistan liefern. Es scheint so,
als ob das BMZ die Bedeutung von Evaluierungen noch
nicht begriffen hat. Wer darauf verzichtet, erhöht das Ri-
siko eines entwicklungspolitischen Fehlschlages. So et-
was dürfen und wollen wir uns einfach nicht leisten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Verzicht auf Evaluierung ist unprofessionell. Herr
Müller, nehmen Sie den gewaltigen Umbruch, der uns in
Afghanistan im Herbst bevorsteht, sehr ernst und lassen
Sie sich bitte auch diesbezüglich nicht falsch beraten!

Gleiches gilt für die Sicherheit der zivilen Kräfte.
Herr Minister Müller, Sie haben im Spiegel angekündigt,
die zivilen Kräfte ohne militärischen Schutz vor Ort ar-
beiten zu lassen. KfW und GIZ sehen das allerdings
ganz anders: Beide Organisationen haben mir auf An-
frage schriftlich mitgeteilt, dass sie ohne militärischen
Schutz ihr Engagement nicht wie bisher fortsetzen kön-
nen. Herr Minister Müller, ich kann Ihnen nur raten: Set-
zen Sie sich rasch mit Vertretern der Durchführungsor-
ganisationen zusammen und klären Sie das!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das muss geklärt werden, Herr Müller, nicht in fünf Mo-
naten, sondern heute.

Viele NGOs positionieren sich übrigens ganz anders
als KfW und GIZ: Die Deutsche Welthungerhilfe, Mise-
reor und die EKD teilen mir mit, dass sie auf jeden Fall
wie bisher weiterarbeiten werden und dass sie auch in
Zukunft keinerlei Arbeitsbeziehung zur Bundeswehr
bzw. NATO wünschen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind Beispiele, die deutlich machen, wie notwen-
dig Vorbereitung und kohärente Abstimmung in den
Ministerien für diese Zukunftsaufgabe sind und wie
wichtig es ist, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft eine
Strategie für Afghanistan zu entwickeln. In Afghanistan
müssen wir zeigen, was internationale Verantwortung
für uns bedeutet: mehr Diplomatie, mehr ziviles Engage-
ment, mehr kohärente und mit anderen Staaten abge-
stimmte Entwicklungszusammenarbeit. Herr Minister,
Sie sind in der Verantwortung; wir werden Sie da nicht
rauslassen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß er! Er will ja gar nicht raus!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801714200

Die Kollegin Julia Bartz hat für die CDU/CSU – –

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Halt! Kurzintervention!)


– Es tut mir leid: Mir ist keine Kurzintervention ange-
zeigt worden; dann kann ich das auch nicht erahnen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Platz aus! – Weiterer Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU], an den Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU] gewandt: Willst du eine Kurzintervention machen? – Bitte!)


– Bei mir ist nichts angemeldet.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, ich melde es hiermit an!)


– Ich danke dem Fraktionsvorsitzenden der Unionsfrak-
tion, dass er gerade die Arbeit des Parlamentarischen
Geschäftsführers übernommen hat.

Bevor ich das Wort zur Kurzintervention erteile, ma-
che ich darauf aufmerksam, dass wir selbst ohne Kurzin-
tervention noch circa 13 Minuten Debattenzeit haben. Es
gibt also keine Veranlassung, jetzt hier auf dem Sprung
zu stehen. Nehmen Sie bitte Platz, liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sollten Sie der Debatte nicht folgen können
oder wollen, führen Sie notwendige Gespräche bitte au-
ßerhalb des Saales, sodass wir hier auch allen Beiträgen
folgen können.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Aber jetzt!)


Das gilt ausnahmslos für alle Fraktionen hier im Hause. –
Machen Sie es Ihren Fraktionsvorsitzenden und Ihren
Parlamentarischen Geschäftsführern doch bitte nicht so
schwer.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bei uns funktioniert es!)


– Hinten in den Reihen der Fraktion Die Linke stehen
auch noch zwei.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: He, Frau Lötzsch! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU], an den Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Sie gehorcht dir!)


– Die Zusammenarbeit zwischen Frau Wawzyniak und
Herrn Kauder funktioniert schon. Ich nehme an, dass
Frau Wawzyniak ihm demnächst behilflich ist, auch
noch die Kollegen in den Reihen der Unionsfraktion
zum Hinsetzen zu bewegen.

Ich erteile das Wort zur Kurzintervention.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1801714300

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich mache es auch

ganz kurz, meine Damen und Herren. Nachdem ich eben
mehrfach angesprochen wurde und hier in dem sehr rele-
vanten Bereich der Sicherheit Vorwürfe in den Raum ge-
stellt wurden – dass wir die Sicherheit der Partnerorgani-
sationen, der GIZ, der Deutschen Welthungerhilfe oder
der vielen anderen, die in Afghanistan großartige Arbeit





Dr. Gerd Müller


(A) (C)



(D)(B)

leisten, nicht ausreichend berücksichtigen würden –,
muss ich richtigstellen: Die Sicherheit – der Soldatinnen
und Soldaten wie der Kolleginnen und Kollegen der Ent-
wicklungszusammenarbeit – hat für uns selbstverständ-
lich oberste Priorität. Die ISAF und die Soldatinnen und
Soldaten haben hier in den vergangenen Jahren großar-
tige Arbeit geleistet. Die Zusammenarbeit war sehr gut
und reibungslos.

Es gibt selbstverständlich ein Konzept der vernetzten
Sicherheit zwischen dem Außenministerium, dem Ver-
teidigungsministerium und dem Entwicklungsministe-
rium. Auf diesem Konzept bauen wir auf und werden
wir die Zusammenarbeit fortsetzen.

Wir alle haben klargestellt, dass wir Karzai und die
Regierung auffordern, das Sicherheitsabkommen mit
den Vereinigten Staaten zu unterzeichnen. Ich habe aber
auch gesagt – und das sage ich jetzt auch hier noch ein-
mal –: Die Entwicklungsarbeit hat vor ISAF begonnen,
und sie wird auch nach ISAF fortgeführt werden, unab-
hängig davon, wie die Entscheidungen im militärischen
Bereich aussehen werden und wie sich Karzai und die
Afghanen aufstellen. Sie wird es auch danach geben; sie
ist ein unabhängiger Beitrag zur Stabilisierung der Lage
in Afghanistan.

Auch dafür gibt es natürlich ein Sicherheitskonzept,
das so auf die Gefährdungslage abgestellt ist, dass – ich
sage es einmal so – die Sicherheit der zivilen Helfer in
Afghanistan gewährleistet ist. Das ist sehr wichtig.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801714400

Kollege Kekeritz, Sie haben die Möglichkeit, dem

Kollegen Müller zu antworten.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801714500

Herr Minister, danke für Ihre Antwort. – Ich habe

nicht gesagt, dass Sie gar nichts tun. Darum geht es
nicht. Ich habe Sie aufgefordert, das Verfahren, das Sie
in Zukunft anwenden wollen, transparent zu machen und
vor allen Dingen auch mit der NGO-Szene zu bespre-
chen.

Sie werden ja sicherlich nicht nur ein Szenario vorbe-
reiten. Kein Mensch weiß, wie es im November, im De-
zember und in den darauf folgenden Monaten in Afgha-
nistan ausschauen wird. Sie werden also mindestens drei
Szenarien vorbereiten müssen. Diese müssen bitte schön
nicht nur zwischen den Ministerien, zwischen dem
BMZ, dem Verteidigungsministerium und dem Außen-
ministerium, sondern vor allen Dingen auch mit der
NGO-Szene abgesprochen sein. Das ist ein ganz wichti-
ges Kriterium, das Sie erfüllen sollten. Dafür ist die Zeit
jetzt nicht mehr sehr lang. Hier müssen Sie in die Pu-
schen kommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Aussage, dass das Konzept der vernetzten Si-
cherheit großartig und erfolgreich war, wage ich zu be-
zweifeln. Es war kein vollkommener Fehlschlag, aber es
ist doch so, dass viele NGOs heute sagen: Das war der
falsche Ansatz. Für uns wäre ein anderer Ansatz richti-
ger gewesen.

Um in Zukunft solche Probleme zu vermeiden, bitte
ich um Transparenz, und zwar sehr schnell.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801714600

Die Kollegin Julia Bartz hat nun für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1801714700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Heute und vergangene Woche haben wir
hier im Hohen Hause über die vielen positiven Entwick-
lungen, die ISAF bewirkt hat, gesprochen.

Den Menschen in Afghanistan geht es heute zum
überwiegenden Teil deutlich besser als vor zwölf Jahren.
Die Kindersterblichkeit hat sich halbiert, die Lebenser-
wartung hat sich erhöht, und das Bruttoinlandsprodukt
hat sich binnen zehn Jahren verdoppelt. Für mehrere
Millionen Menschen gibt es neue Straßen und Brücken,
Stromversorgung, Trinkwasser und Internetanschlüsse.

Im afghanischen Parlament sitzen 28 Prozent Frauen.
Bei den Provinzratswahlen im April treten über
300 Frauen an.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja mehr als bei der CDU!)


Unter den 200 000 ausgebildeten Lehrkräften sind
61 000 Frauen. Während 2001 nur knapp 1 Million Jun-
gen in Afghanistan zur Schule gingen, lernen heute
9,2 Millionen afghanische Schulkinder Lesen und
Schreiben – darunter 39 Prozent Mädchen.

Auch wenn es im Bereich der Frauenrechte in Afgha-
nistan noch großen Verbesserungsbedarf gibt: Hier
wächst eine gebildete und vielversprechende Generation
heran, die eines Tages Verantwortung in ihrem Land
übernehmen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist allerdings anders als bei der CDU!)


Die junge Generation, die mit Unterstützung der
ISAF heranwächst, gibt Anlass zur Hoffnung. Trotzdem
zeigt uns der Fortschrittsbericht der Bundesregierung
viele Bereiche auf, die aktuell und auch in Zukunft eine
große Herausforderung bedeuten und unsere Anwesen-
heit weiterhin sinnvoll machen. Die aktuelle Lage ent-
spricht sicherlich nicht in allen Bereichen den Zielen, die
wir mit unseren Verbündeten auf dem gemeinsamen
Weg formuliert haben. Nicht immer haben wir die Ereig-





Julia Bartz


(A) (C)



(D)(B)

nisse treffend beurteilt. Mitunter haben wir, daraus ablei-
tend, Ziele zu hoch gesetzt, auch wenn wir viel erreicht
haben.

Deutschlands historisch gewachsene Erfahrung in
Afghanistan und die noch 2001 bestehenden institutio-
nellen sowie persönlichen Kontakte beschränkten sich
damals im Wesentlichen auf Kabul sowie den paschtuni-
schen Osten des Landes. Gleichwohl ließen wir uns auf-
grund der dort seinerzeit herrschenden vermeintlich
schlechteren Sicherheitslage dazu hinreißen, einer Sta-
tionierung in dem als ruhiger wahrgenommenen multi-
ethnischen Norden zuzustimmen.

Wir setzen künftig auf eine stärkere Vernetzung. Zu-
künftig könnten uns auch mehr Gelassenheit bei der La-
gebeurteilung und das Ertragen von zum Teil künstlich
aufgebautem Druck durch unsere Verbündeten in eine
bessere Position bringen. Genau das tun wir.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was soll das heißen? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das weiß sie doch selber nicht! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das hat man ihr aufgeschrieben!)


Damit meine ich, dass unsere Bündnispartner manchmal
dazu neigen, uns vorzuwerfen, wir würden uns „too
little, too late“, also übersetzt: zu langsam, zu wenig be-
teiligen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!)


Wir sind jedoch der zweitgrößte Beitragszahler in der
NATO. Andere Staaten nutzen die NATO für ihre Inte-
ressen ganz klar aus. Wir tun das nicht. Wir haben auch
innerhalb der NATO-Befehlsstruktur nicht die Posten
inne, die eigentlich unserem finanziellen Beitrag ent-
sprechen würden.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worum geht es jetzt eigentlich?)


Das liegt aber auch daran, dass wir nicht die Ersten sind
und ganz sicher auch nicht die Ersten sein wollen, die
„boots on the ground“ sofort Soldaten entsenden.

Mit „mehr Gelassenheit bei der Lagebeurteilung“
meine ich: Wir zahlen erstens unseren Beitrag, nutzen
zweitens unsere Macht nicht für unsere Zwecke aus und
haben drittens eine Parlamentsarmee. Wir entscheiden
also nicht von heute auf morgen, unsere Truppen zu ent-
senden, sondern wir entsenden erst, nachdem das Parla-
ment entschieden hat.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Anders geht es auch nicht! Das wäre rechtswidrig!)


Dass Krieg nicht erst nach Ausrufen des Verteidi-
gungsfalles für deutsche Soldatinnen und Soldaten zur
Tagesrealität werden kann, wissen wir seit unseren Ein-
sätzen auf dem Balkan. Wie wichtig, ja überlebens-
wichtig eine moderne Ausrüstung ist, mussten wir in
Afghanistan erleben. Bei unseren Rüstungs- und Aus-
rüstungsprojekten sollten wir stets im Blick haben, was
unseren Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Um-
setzung ihres Auftrags bei höchster Sicherheit ermög-
licht. Genau das tun wir auch.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Kommen wir dem nicht nach, werden wir zukünftig im-
mer größere Schwierigkeiten haben, Menschen für den
faszinierenden, für die Sicherheit unseres Staates unab-
dingbaren, aber auch lebensgefährlichen Beruf der Sol-
datin oder des Soldaten zu gewinnen.

Bei der zukünftigen Formulierung konkreter Einsatz-
ziele sollten wir stets deren Umsetzbarkeit und Erreich-
barkeit vor Augen haben und diese auch entsprechend
kommunizieren. Darauf werden wir besonders achtge-
ben. Diese Schlüsse ziehen wir aus unserer bisherigen
Beteiligung in Afghanistan für ihre Fortsetzung sowie
für mögliche zukünftige Missionen andernorts.

Kommendes Jahr jährt sich der erste offizielle deut-
sche Kontakt mit Afghanistan durch die Niedermayer-
Mission zum hundertsten Mal. In diesem vergangenen
Jahrhundert hat Deutschland über viele Jahre hinweg zu
den Stämmen am Hindukusch Kontakt gehalten, die wir
heute als Afghanistan kennen, die wir aber in unserer
Wahrnehmung – stark verkürzt – erst seit 2001 betrach-
ten.

Lange Zeit waren wir in der Entwicklungs- und Wirt-
schaftshilfe in Afghanistan tätig. Wir wollen diese alte
freundschaftliche Verbundenheit zum afghanischen Volk
fortsetzen. Bundesminister Gerd Müller hat dazu vergan-
gene Woche den Fahrplan für 2015 und darüber hinaus
aufgezeigt. Bis 2016 werden wir bis zu 430 Millionen
Euro pro Jahr in die wirtschaftliche, soziale und politi-
sche Entwicklung Afghanistans investieren. Das ist
wichtig und richtig, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich darf daran erinnern: Fast auf den Tag genau heute
vor 25 Jahren verließ die Rote Armee Afghanistan, nach
neun Jahren Besatzung, die sie selbst als Hilfe deklariert
hatte. Sie ließ das afghanische Volk im Stich.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hätte sie dableiben sollen? Was ist das für eine Logik?)


Die Folgen waren Bürgerkrieg, Unsicherheit und hun-
derttausendfacher Tod.

Diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen, und das
werden wir auch nicht. Unsere Aufgabe in Afghanistan
ist noch nicht beendet. Es ist auch unsere moralische
Pflicht, den Prozess der vollständigen Übergabe der
Sicherheitsverantwortung an die 350 000 afghanischen
Sicherheitskräfte geordnet zu Ende zu führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Damit schaffen wir die Voraussetzung, dass sich das
Erreichte manifestiert und darauf aufbauend dem afgha-
nischen Volk eine gute Zukunft ermöglichen kann. Die-
sen Prozess möchten wir auch über 2014 hinaus beglei-
ten. Innerhalb der NATO planen wir dazu eine
Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission.






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801714800

Kollegin Bartz, achten Sie auf die Zeit? Sonst geht

das auf Kosten der Kollegin Pfeiffer.


Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1801714900

Ich komme zum Schluss. – Sehr geehrte Damen und

Herren, mit meinem Werben für eine Verlängerung des
Mandats würdige ich insbesondere den unermüdlichen
Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, aber auch den
unserer zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit
größtem Engagement und unter größten Strapazen für
sie selbst und ihre Familien haben sie in Afghanistan ein
Umfeld geschaffen, in dem sich wie schon in den 20er-,
60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts
erste Erfolge bei Sicherheit, Freiheit und Selbstbestim-
mung entwickeln konnten.

Es gilt, diesen Erfolg gerade nach den von uns selbst
gemachten Erfahrungen in Afghanistan zukünftig abzu-
sichern und auch der nächsten afghanischen Regierung
dabei zu helfen, den beschrittenen Weg fortzusetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801715000

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1801715100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass ich hier stehe, hat, denke ich, Symbolcharakter.
Denn wir werden auf diese Art und Weise dokumentie-
ren, was wir auch praktisch umsetzen: den Übergang
von militärischer Stabilisierung zur Entwicklungspolitik.
Das wird dadurch sichtbar, dass als letzte Rednerin zur
ISAF-Debatte eine Entwicklungspolitikerin redet. Das
ist nicht selbstverständlich; das wissen wir auch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie sind doch am Ende der Kette!)


– Wir sind nicht am Ende der Kette, sondern am Anfang,
liebe Kollegin Hänsel. Denn wir Entwicklungspolitiker
kommen jetzt erst richtig in Schwung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Davon bin ich fest überzeugt, vor allen Dingen, wenn
wir die Entwicklungspolitik so machen, wie wir sie uns
vorstellen, wie sie unser Bundesminister Müller vorgibt
und wie wir sie als Große Koalition unterstützen werden.

Machen wir uns nichts vor: Die Situation in Afgha-
nistan wird nicht besser, jedenfalls nicht sofort. Denn in
nächster Zeit werden wir erst einmal schwierige Zeiten
zu bestehen haben. Das eine ist nämlich, dass Afghanis-
tan vor Wahlen steht. Was das in Afghanistan heißt, wis-
sen wir nicht. Die Afghanen wählen einen neuen Präsi-
denten für ihr Land. Wir wissen definitiv jetzt schon,
dass es nicht bei einem einzigen Wahlgang bleiben wird.
Das heißt, es wird zu einer Stichwahl kommen müssen,
und es wird ein Machtvakuum geben.

Die Frage ist: Welche Kräfte haben mittlerweile auf
die Wahl eingewirkt? Wie demokratisch wird diese
Wahl? Welche terroristischen Kräfte wie die Taliban und
andere haben darauf eingewirkt? Es kann unter Umstän-
den sein, dass es ein relativ großes Machtvakuum geben
wird, was ich uns nicht wünsche, weil es unsere Arbeit
erschweren und die Arbeit der Entwicklungspolitik stö-
ren würde. Es wäre für die Zukunft Afghanistans mit Si-
cherheit nicht hilfreich.

Das Zweite wird sein, dass wir mit unseren Truppen
peu à peu aus Afghanistan abziehen. Parallel dazu brau-
chen wir dann das bilaterale Sicherheitsabkommen. Im
Gegensatz zu Ihnen, lieber Herr Gehrcke, Kollege
Kekeritz und Herr Ströbele, fordern wir den Einsatz der
Regierung nicht nur dann, wenn es darum geht, unsere
Hilfskräfte zu unterstützen und zu schützen. Vielmehr ist
es Aufgabe auch von uns Parlamentariern, unsere Ent-
wicklungshelfer vor Ort nicht im Stich zu lassen, sie zu
unterstützen und zu schützen. Das ist die zweite große
Aufgabe, die wir zu erledigen haben und die wir als Par-
lamentarier auch gerne erledigen wollen.

Wenn es nun zu einer instabilen Lage in Afghanistan
kommt: Was ist dann zu tun? Was ist zu tun, wenn die
Wahl nicht demokratisch abläuft? Was passiert, wenn
irgendwelche terroristischen Gruppierungen die Wahl
torpedieren? Wir müssen von uns aus die Regierung un-
terstützen und für Klarheit in der Zusammenarbeit sor-
gen. Wir müssen das von uns aus in die Hand nehmen.
Wir müssen mit den Afghanen die Rahmenbedingungen
schaffen, die wir schon in Tokio vereinbart haben. Es
geht darum, dass die Afghanen selber Verantwortung
übernehmen. Daran müssen wir sie erinnern. Die Afgha-
nen müssen aber nicht nur für ihre eigene Sicherheit,
sondern auch für die Sicherheit unserer Entwicklungs-
helfer, Unterstützer und Experten Verantwortung über-
nehmen.

Wir sehen aber noch offene Baustellen in Afghanis-
tan. Eine davon stellt für meine Begriffe das größte Ent-
wicklungshemmnis dar: die Korruption. Wir müssen als
Parlamentarier und Regierungsmitglieder darauf hinwei-
sen, dass wir Korruption ablehnen und dass dagegen et-
was getan werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn Korruption hemmt eine positive Entwicklung und
schadet den Afghanen vor Ort. Auch wir tun uns schwer,
die Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan zu
rechtfertigen, wenn es dort Korruption gibt. Schließlich
sind wir unseren Steuerzahlern verpflichtet. Natürlich
stellt sich grundsätzlich die Frage, ob wir mit korrupten
Regierungen zusammenarbeiten sollen. Nein, das tun
wir nicht. Deshalb müssen wir Bedingungen stellen und
ihre Einhaltung einfordern. Erst dann können wir eine
ordentliche Aufbauarbeit leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen zum Wohle aller Afghanen, dass die Men-
schenrechte und insbesondere die Frauenrechte in





Sibylle Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Afghanistan eingehalten werden. Wir wollen ein Land
ohne Terror und Unterdrückung. Wir wollen den Men-
schen Perspektiven durch eine funktionierende Wasser-,
Energie- und Gesundheitsversorgung sowie Bildungs-
möglichkeiten geben. Deshalb engagieren wir uns für
die Afghanen. Sie haben unsere Unterstützung verdient.
Wir sagen sie ihnen zu und freuen uns auf die Zusam-
menarbeit mit ihnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801715200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 18/602 zu dem Antrag der Bundesregierung auf
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung
der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 18/436
anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussemp-
fehlung namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Während dies ge-
schieht, mache ich darauf aufmerksam, dass mir mehrere
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorlie-
gen, die wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll
nehmen.1)

Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an Ih-
rem Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche
Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Vorsorglich bitte ich schon einmal die Kolleginnen
und Kollegen, die an unseren weiteren Beratungen nach-
her nicht teilhaben wollen, uns den Blick in den Saal
freizumachen, damit wir nach Abschluss dieser Abstim-
mung den nächsten Tagesordnungspunkt geordnet aufru-
fen und abwickeln können.

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, welches seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)

Wir sind noch immer beim gleichen Tagesordnungs-
punkt und kommen nun zur Abstimmung über die
Entschließungsanträge. Ich bitte, dem Präsidium zu er-
möglichen, die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei
feststellen zu können. Dieser Appell richtet sich sowohl
an die Regierungsbank als auch an die Fraktionen. Wir
kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/608. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion

1) Anlagen 2 bis 6
2) Ergebnis Seite 1277 D
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/609. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates zur Än-
derung der Richtlinie 2001/110/EG des Rates
über Honig

KOM(2012) 530 endg.; Ratsdok. 13957/12

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Ver-
braucher herstellen – Honig mit gentechnisch
veränderten Bestandteilen kennzeichnen

Drucksache 18/578
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Es handelt sich um eine Überweisung im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 i auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 22 a:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung

Erste Verordnung zur Änderung der Außen-
wirtschaftsverordnung

Drucksachen 18/299, 18/413 Nr. 2, 18/516

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/516, die Aufhebung der Verord-
nung auf Drucksache 18/299 nicht zu verlangen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-
Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Tagesordnungspunkt 22 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Übersicht 1

über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht

Drucksache 18/593

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 22 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 7 zu Petitionen

Drucksache 18/507

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 7 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 22 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 8 zu Petitionen

Drucksache 18/508

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 8 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 22 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 9 zu Petitionen

Drucksache 18/509

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 9 ist mit den Stimmen
der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 10 zu Petitionen

Drucksache 18/510

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 10 ist einstimmig an-
genommen.
Tagesordnungspunkt 22 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 11 zu Petitionen

Drucksache 18/511

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 11 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 12 zu Petitionen

Drucksache 18/512

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 12 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 13 zu Petitionen

Drucksache 18/513

Hierzu liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung des Kollegen Frank Tempel vor. Diese
Erklärung nehmen wir entsprechend unseren Regeln zu
Protokoll.1)

Wer stimmt für die Sammelübersicht 13? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber-
sicht 13 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g sowie
den Zusatzpunkt 4 auf. Es geht um Wahlen zu Gremien.

Tagesordnungspunkt 5 a:

Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der
„Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“

Drucksache 18/560

Es liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf Druck-
sache 18/560 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahl-
vorschläge sind einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 b:

Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
„Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“

Drucksache 18/561

1) Anlage 8





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/
CSU, SPD und Die Linke auf Drucksache 18/561 vor.
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 c:

Wahl der Mitglieder des Beirats für Fragen

(Eisenbahninfrastrukturbeirat)


Drucksache 18/562

Dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf
Drucksache 18/562 vor. Wer stimmt für diese Wahlvor-
schläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 d:

Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates bei
der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht

Drucksache 18/563

Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/563 vor. Wer stimmt für diese Wahlvor-
schläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 e:

Wahl der Mitglieder des Beirats zur Auswahl
von Themen für die Sonderpostwertzeichen
ohne Zuschlag beim Bundesministerium der
Finanzen (Programmbeirat)


Drucksache 18/564

Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/564 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 f:

Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates und
des Verwaltungsrates der Deutschen Welle ge-
mäß der §§ 31 und 36 des Deutsche-Welle-Ge-
setzes (DWG)


Drucksache 18/565
Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/565 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 g:

Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates
und der Vergabekommission der Filmförde-
rungsanstalt gemäß der §§ 6 und 8 des Film-
förderungsgesetzes (FFG)


Drucksache 18/566

Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/566 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind ein-
stimmig angenommen.

Zusatzpunkt 4:

Wahl der Mitglieder des Beirats für die grafi-
sche Gestaltung der Sonderpostwertzeichen
beim Bundesministerium der Finanzen

(Kunstbeirat)


Drucksache 18/567

Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/567 vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind ein-
stimmig angenommen.

Ich nehme an, dass ich für das gesamte Haus spreche,
wenn ich all den Kolleginnen und Kollegen, denen wir
gerade verantwortungsvolle Aufgaben übertragen haben,
im Übrigen immer einstimmig, viel Erfolg in ihrer Ar-
beit wünsche.


(Beifall)


Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich
Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt: abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben
498 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein ha-
ben 84 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, und es gab
17 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 599;
davon

ja: 498
nein: 84
enthalten: 17

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Dr. Herlind Gundelach
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Carsten Körber
Markus Koob
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Gabriele Groneberg
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Ekin Deligöz
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms
Nein

CDU/CSU

Norbert Schindler

SPD

Klaus Barthel
Bärbel Bas
Marco Bülow
Dr. Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Hilde Mattheis
Christian Petry
Dr. Wilhelm Priesmeier
Kerstin Tack
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Andre Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(B)

Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kühn (Tübingen)

Monika Lazar
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe

Enthalten

SPD

Sönke Rix
Ewald Schurer
Sonja Steffen

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Ulle Schauws
Dr. Julia Verlinden

(D)

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung bei der Zulas-
sung der Genmaislinie 1507 und zur Sicher-
stellung der Wahlfreiheit in Bezug auf gen-
technikfreie Lebensmittel

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801715300

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Vorab herzliche Glückwünsche an unseren neuen Minis-
ter Schmidt! – Er ist nicht da.

Was für ein Start der Großen Koalition! Nach rekord-
verdächtigen 59 Tagen ist der erste Minister weg, und in
der letzten Woche hat sie schon die erste historische
Chance verpasst, in Europa eine Ablehnung der Gen-
technik zu erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verpasst! Versemmelt! Auf Ihre Kappe geht es, wenn im
nächsten Jahr gentechnisch veränderter Mais auf unseren
Äckern wächst. Es ist kurios, wie Sie sich jetzt herausre-
den wollen. Sie tun so, als ob Ihr Abstimmungsverhal-
ten im Rat in Brüssel keine Rolle gespielt hätte. Das Er-
gebnis lehrt uns anderes. 19 von 28 Staaten haben gegen
die Zulassung gestimmt. Das ist eine überwältigende
Mehrheit. Nur 50 Stimmen haben gefehlt, davon 29 von
Deutschland. Die Bundeskanzlerin war doch bei den
CO2-Grenzwerten für Pkw auch nicht zimperlich,
Deutschlands Gewicht in die Waagschale zu werfen.
Aber hier hat sie die Hände in den Schoß gelegt, um sie
hinterher in Unschuld zu waschen. Das lassen Ihnen die
Menschen in diesem Land nicht durchgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gänzlich unbeschwert kommt jetzt die CSU daher.
Ich zitiere:

Die CSU sagt klipp und klar Nein zu den Genmais-
Beschlüssen der EU. … Bayern muss frei bleiben
von Gentechnik. … Was auf unseren Äckern und
Feldern angebaut wird, bestimmen wir selbst und
nicht EU-Bürokraten …


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)


So der Bayernkurier am Samstag.

Wo sind wir denn? Sind wir bei Grimms Märchen?
Wollen Sie Ihre Kanzlerin jetzt als EU-Bürokratin ab-
kanzeln? Sie ist doch für die Zulassung verantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt wie bei Ausländermaut und Flüchtlingen Eu-
ropa-Bashing zu betreiben, hätten Sie doch jetzt zu Ihrer
Verantwortung stehen und mit Ihrem Lieblingskoali-
tionspartner SPD einen Beschluss gegen den Genmais
herbeiführen müssen.


(Ute Vogt [SPD]: Was für eine Trauerarbeit!)


In Brüssel dafür, in Bayern dagegen: Das ist doch nur
noch peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bevor Sie weiter Sprüche à la „in Bayern nicht“ klop-
fen, schenken Sie den Menschen doch reinen Wein ein.
Für regionale Anbauverbote gibt es doch überhaupt
keine Rechtsgrundlage. Sie gackern über ungelegten Ei-
ern.

Aber es kommt noch besser: Für ein nationales An-
bauverbot wollen ja weder der CSU-Agrarminister noch
die SPD-geführten Ministerien – Wirtschaftsministe-
rium, Umweltministerium – die notwendigen Daten er-
heben. Ihnen reicht die Bewertung der EFSA. Was denn
jetzt? Sie sind gegen die Zulassung, aber für die EFSA-
Bewertung. Wer soll denn das jetzt glauben?

Schauen wir einmal auf die Fakten. Pollen der Gen-
maislinie 1507 sind 350-mal giftiger als die des Vetters
MON 810, der unter Kanzlerin Merkel wegen Risiken
für die Umwelt verboten worden ist. Sogar die gentech-
nikfreundliche EFSA hat Auflagen zum Schutz von Na-
turschutzgebieten und Schmetterlingen gefordert. Die
fehlen im Zulassungsvorschlag der Kommission. Das
Bundesamt für Naturschutz stellt fest: Es gibt keine aus-
reichende Risikoprüfung, es gibt kein ausreichendes Ri-
sikomanagement. Von der Glufosinattoleranz will ich





Harald Ebner


(A) (C)



(D)(B)

noch gar nicht reden. Und Sie wollen den Menschen
weismachen, alles wäre in Ordnung?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt die eigene Fachbehörde zu ignorieren und die
Zulassung durchzuwinken, hätte die Bundesregierung in
Brüssel entschlossen mit Nein stimmen müssen. Das ist
das, was die Menschen von Ihnen erwartet hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer braucht denn den Merkel-Mais? „Report Mün-
chen“ brachte es am Dienstag auf den Punkt. Hinter den
Heilsversprechen der Gentechlobby steckt genau: nichts.
Die Wirksamkeit gegen Maisschädlinge ist in Brasilien
schon nach zwei Jahren dahin. Dort werden mehr Pesti-
zide eingesetzt, nicht weniger. Jahr für Jahr steigt die
Anwendung. Was nutzt denn der ganze Zirkus? Das
braucht kein Mensch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen nicht noch mehr industriellen Maisan-
bau in Europa. Wir brauchen vernünftige Fruchtfolgen
und Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz.
Glaubt die Kanzlerin denn ernsthaft an die Märchen der
Gentechlobby von höheren Erträgen und trockentoleran-
ten Wunderpflanzen? Nach 20 Jahren Gentechanbau
herrscht hier völlige Fehlanzeige. Wir haben genug nor-
mal gezüchtete Maissorten am Markt, die trockentole-
rant sind, aber nur eine einzige gentechnisch veränderte.
Wenn Sie also wirklich etwas für die Welternährung tun
wollen, dann kümmern Sie sich um die Umsetzung des
TAB-Berichts zur Welternährungsforschung und des
Weltagrarberichtes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Abstimmung im Rat haben Sie jetzt verbockt.
Wir wollen für alle in diesem Land die Wahlfreiheit, sich
auch künftig für gentechnikfreie Produkte entscheiden
zu können. Da geht es demnächst auch um die Kenn-
zeichnungspflicht für gentechnisch veränderten Honig.
Wir erwarten von Ihnen die Prüfung der Möglichkeiten
einer Klage gegen die Zulassung von Genmais, den
Schutz der Honigrichtlinie vor Aufweichung und die
Aussetzung der Verhandlungen zum Freihandelsabkom-
men zwischen EU und USA, weil mit diesem Abkom-
men die europäischen Gentechnikstandards umgangen
werden könnten. Damit können Sie etwas für die Gen-
technikfreiheit und für die Wahlfreiheit in Europa tun.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801715400

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin

Dr. Maria Flachsbarth.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten)

D
Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1801715500


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ta-
gung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten am
11. Februar, also in der letzten Woche, wurde der Vor-
schlag der Europäischen Kommission zur Anbauzulas-
sung für die gentechnisch veränderte Maislinie 1507 er-
örtert. Da der Ministerrat am 11. Februar mangels
formaler Abstimmung keine Stellungnahme abgegeben
hat, liegt die endgültige Entscheidung über die Anbauzu-
lassung nun in den Händen der Europäischen Kommis-
sion. Deutschland hat sich im Rat für Allgemeine Ange-
legenheiten aufgrund unterschiedlicher Auffassungen
innerhalb der Bundesregierung der Stimme enthalten.

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch
Landwirte in unserem Land verbinden mit einem Anbau
der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 wesentlich
mehr Sorgen als die Hoffnung auf einen möglichen Nut-
zen. Diese Sorgen nimmt die Bundesregierung sehr
ernst.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schön! Aber es gibt ja noch nichts!)


Auf der anderen Seite, liebe Kollegen von den Grünen,
ist zu berücksichtigen, dass sich die EU-Kommission bei
ihrem Vorschlag auf insgesamt sechs Stellungnahmen
der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit,
also der EFSA, stützen kann, wonach im Ergebnis der
Anbau der gentechnisch veränderten Maislinie 1507
keine höheren Risiken für die Umwelt zur Folge hat als
der Anbau von herkömmlichem Mais.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also verteidigen Sie das jetzt! Halten Sie den jetzt für harmlos?)


Außerdem wurde in den Beratungen darauf hingewie-
sen, dass es in der EU bereits rund 30 gentechnisch ver-
änderte Maislinien gibt, die eine Zulassung als Lebens-
und Futtermittel haben, darunter eben auch diese Maisli-
nie 1507, die 2005 als Futtermittel und 2006 als Lebens-
mittel zugelassen worden ist.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das macht es aber nicht besser!)


Eine erforderliche Mehrheit gegen die Anbauzulas-
sung der Maislinie 1507 ist dann im Rahmen des im Rat
für Allgemeine Angelegenheiten unter den Mitgliedstaa-
ten eingeholten Meinungsbildes nicht zustande gekom-
men. Sie wäre übrigens auch nicht zustande gekommen,
lieber Herr Kollege Ebner, wenn Deutschland gegen die
Zulassung votiert hätte.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn dafür getan? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: CO2-Grenzwerte!)


Es ist nun vielmehr davon auszugehen, dass die Kom-
mission den Vorschlag zur Zulassung des Anbaus dieser





Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)

Maislinie veröffentlicht. Dabei bleibt abzuwarten, wann
das definitiv passieren wird.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Europawahl!)


Unser Haus, das Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft, geht davon aus, dass aufgrund der
zeitlichen Verläufe der Mais in dieser Legislaturperiode
ganz sicher nicht mehr angebaut werden wird.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Sie warten erst noch die Wahl ab!)


Ein möglicher Anbau würde dann 2015 – das wissen
Sie – auf sehr restriktive Haftungsregeln des Gentech-
nikgesetzes in Deutschland treffen, die wir hier aus gu-
tem Grund miteinander verabschiedet haben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: MON 810 wurde auch angebaut!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundes-
regierung tritt für eine EU-Kennzeichnungspflicht für
Produkte von Tieren ein, die mit gentechnisch veränder-
ten Pflanzen gefüttert werden. Das haben die Regie-
rungsparteien, also die Unionsparteien und die SPD, im
Koalitionsvertrag miteinander vereinbart. Darüber hi-
naus hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag
festgeschrieben, dass an der Nulltoleranz gegenüber
nichtzugelassenen gentechnisch veränderten Bestandtei-
len in Lebensmitteln und an der Saatgutreinheit selbst-
verständlich festgehalten wird.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Nulltoleranz? Das wäre schön!)


Die derzeit geltenden gemeinschaftsrechtlichen
Kennzeichnungsregelungen gehen nach der Auffassung
der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen aber
nicht weit genug. Denn danach erfolgt der Schutz der
Rechte der Verbraucher durch die nach EU-Recht gel-
tende Zulassungspflicht sowie durch die daneben beste-
hende Kennzeichnungspflicht von Futter- und Lebens-
mitteln, die aus gentechnisch veränderten Organismen
entweder direkt hergestellt werden, diese enthalten oder
aus diesen bestehen.

Ausgenommen von der Kennzeichnungspflicht sind
Futter- und Lebensmittel – das ist wahrscheinlich be-
kannt –, deren gentechnisch veränderter Anteil zufällig
oder aber technisch unvermeidbar und nicht höher als
0,9 Prozent ist. Diese Ausnahmen gelten selbstverständ-
lich nur für solche gentechnisch veränderten Organis-
men, die auf europäischer Ebene zugelassen sind und so-
mit kein Sicherheitsrisiko darstellen.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Milch-
und Fleischprodukte von Tieren, die mit gentechnisch
veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, ebenfalls ge-
kennzeichnet werden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten auf Sie!)

Eine solche umfassende Positivkennzeichnung würde
eine vollständige Verbrauchertransparenz im Hinblick
auf die Verwendung von Gentechnik in der Lebensmit-
telproduktion bewirken.

Um bereits vor der Einführung einer solchen umfas-
senden Kennzeichnung auf europäischer Ebene – Sie
wissen, wie lange das dauern kann – mehr Klarheit über
die Verwendung von Gentechnik in der Lebensmittelpro-
duktion zu schaffen, ist in Deutschland schon am 1. Mai
2008, also nunmehr vor sechs Jahren, die nationale Re-
gelung mit der freiwilligen „Ohne Gentechnik“-Kenn-
zeichnung in Kraft getreten. Diese Kennzeichnung er-
möglicht Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich
durch ihre Kaufentscheidung für Produkte mit dem
„Ohne Gentechnik“-Siegel gezielt gegen den Anbau und
gegen die Verwendung gentechnisch veränderter Nutz-
pflanzen als Lebensmittel oder Futtermittel aussprechen
zu können.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben das nicht finanziell unterstützt! Das ist armselig!)


Zur Erhöhung von Transparenz und Information und
zur Stärkung der Wahlfreiheit unterstützen die Bundes-
regierung und insbesondere mein Haus, das Bundes-
ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, deshalb
die breitere Anwendung der „Ohne Gentechnik“-Kenn-
zeichnung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801715600

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Kirsten Tackmann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801715700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Meine Damen und Herren von der Union,
ich verstehe Ihren Phantomschmerz bei diesem Thema.
Ich glaube, dass Sie gerade in dieser Debatte die FDP
schmerzlich vermissen. Aber die Kanzlerin tritt ja dieses
politische Erbe an, wie wir aus gut unterrichteten Krei-
sen vernommen haben. Zu dumm nur, dass mit der deut-
schen Enthaltung in Brüssel der Koalitionsvertrag schon
gebrochen ist, kaum dass die Tinte richtig trocken ist.
Die Demontage des Agrarministers hat auch gleich statt-
gefunden, der ja explizit gegen die Zulassung des
Mais 1507 war.

Schlimmer ist aber, dass sich damit Deutschland in
der EU isoliert. 19 Mitgliedstaaten haben die Anbauzu-
lassung abgelehnt, nur fünf waren dafür, darunter
Schweden und Finnland, deren Maisanbau, wie man sa-
gen muss, ein sehr übersichtliches Ausmaß hat.

Schade, dass das Zulassungsverfahren für diesen
Mais noch nach den vor den Lissabonner Verträgen gel-
tenden Regularien stattfindet. Danach kann die EU-
Kommission noch allein entscheiden, weil keine Zwei-
drittelmehrheit der Stimmen der Mitgliedstaaten gegen





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

die Zulassung gegeben ist. Nach den neuen Lissabonner
Regeln müsste der EU-Agrarrat, also alle Landwirt-
schaftsminister der Mitgliedstaaten, mit EU-Parlament
und unter Vermittlung der EU-Kommission in einen so-
genannten Trilog treten. Das ist ein kleiner, wenn auch
durchaus wichtiger demokratischer Fortschritt, zumal
das EU-Parlament gerade klar gefordert hat, alle Zulas-
sungsanträge für Genmais oder für gentechnisch verän-
derte Pflanzen auf Eis zu legen. Diese Position teilen wir
von den Linken vollständig.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Brüsseler Abstimmungsergebnis zeigt vor allen
Dingen drei Dinge:

Erstens. Es geht gar nicht um diesen Mais. Dessen
Zulassung soll vielmehr der Türöffner sein für sieben
weitere Anbauzulassungen, die noch in der Pipeline
sind. Das muss verhindert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Deutschland hat mit seiner Enthaltung die
Anbauzulassung erst ermöglicht. Deutschlands Nein al-
lein hätte keine qualifizierte Mehrheit dagegen bedeutet,
aber die Kanzlerin – sie ist auch sonst nicht so beschei-
den – hat doch politisches Gewicht in Europa und in der
Welt. Deshalb wäre es ein starkes Signal gewesen, wenn
Deutschland Nein gesagt hätte.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies gilt übrigens auch für das Freihandelsabkommen
mit den USA. Vielleicht war gerade dieses Signal nicht
gewollt. Genau das ist inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Gerade weil das EU-Parlament künftig ein
Mitspracherecht hat, sage ich für die Linke: Augen auf
bei der EU-Wahl!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Befürworter der Gentechnik und ihre Freunde
von der CDU behaupten, die Agrogentechnikgegnerin-
nen und -gegner hätten keine Ahnung und seien ideo-
logisch so verblendet, dass sie die Beglückungen der
Agrogentechnik nicht erkennen würden. Deswegen re-
den wir doch einmal Klartext. Der Mais 1507 macht die
Kritik übrigens besonders leicht. Selbst viele Länderag-
rarminister haben die Gefolgschaft verweigert. Der Mais
1507 hat gleich zwei gentechnische Veränderungen:

Zum einen ist er resistent gegen den Unkrautvernich-
ter Glufosinat. Wozu ist das gut? Man kann mit Glufosi-
nat alle Pflanzen auf dem Acker totspritzen. Nur der
gentechnisch veränderte Mais kann auf diesem Acker
wachsen. Ich finde das gruselig. Aber es kommt noch
viel absurder: Glufosinat ist schon seit November 2013
in Deutschland für den Maisanbau und ab 2017 in der
gesamten EU verboten, weil es so giftig ist. Wer braucht
– außer Pioneer – einen solchen Mais?

Zum anderen produziert der Mais ein Bakterientoxin,
das die Raupen des Maiszünslers abtöten soll. Das ist so
ähnlich, als ob man eine Kuh genetisch verändert, damit
sie ihr eigenes Antibiotikum produziert. Das ist absurd
und unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber es geht noch absurder. Ein ähnliches Toxin pro-
duziert der Mais MON 810 – Herr Ebner hat gerade da-
rauf hingewiesen –, dessen Anbau die Bundesregierung
aus gutem Grund längst verboten hat. Das Gift wirkt
nicht nur gegen den Maiszünsler, sondern auch gegen
nützliche Insekten. Mais 1507 produziert aber noch sehr
viel mehr Bakterientoxin. Deswegen ist es völlig lo-
gisch, dass man den Anbau dieser Maislinie jetzt ab-
lehnt. Report München hat am vergangenen Dienstag
sehr eindrucksvoll berichtet, dass in Brasilien wenige
Jahre nach der Anwendung von Mais 1507 Resistenzen
aufgetreten sind. Auch hier wieder: Wer braucht diesen
Mais außer Pioneer?

Abschließend noch zur Behauptung, die Wissenschaft
habe alles geprüft und hielte das für unbedenklich. Es
gibt seit Jahren massive Kritik am Zulassungsverfahren.
Um nur die Hauptdefizite zu nennen: Es fehlen Lang-
zeituntersuchungen und unabhängige Studien. Es fehlt
Transparenz im Verfahren. Es fehlen Folgeabschätzun-
gen für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirt-
schaft. Aber auch diese Defizite sind noch nicht alles.
Die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsi-
cherheit, EFSA, steht unter dem klaren Verdacht, zu
große Nähe zur Gentechniklobby zu haben. Also: Ge-
prüft und für gut befunden? Das ist absurd.

Für die Linke sage ich ganz klar: Wir haben die Bun-
desregierung agrogentechnisch geprüft, aber nicht für
gut befunden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801715800

Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1801715900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen!
Ich gehe jetzt nicht auf die Haltung der Bundesregierung
ein. Mir ist es wichtig, etwas zur Wahlfreiheit der Ver-
braucherinnen und Verbraucher zu sagen. Die Frau
Staatssekretärin hat dieses Thema bereits gestreift.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir zu einer sachdienli-
chen Arbeit zusammenfinden, an deren Ende Lösungen
stehen, von denen die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher auch profitieren. Es muss jetzt darum gehen, dafür
zu sorgen, dass hier kein gentechnisch veränderter Mais
angebaut wird. Es ist schon gesagt worden: In diesem
Jahr wird der Mais 1507 nicht mehr angebaut.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht Ihr Verdienst!)






Elvira Drobinski-Weiß


(A) (C)



(D)(B)

Aber wir müssen die Zeit nutzen, damit wir rechtzeitig
zur nächsten Aussaat eine rechtssichere Regelung haben.

Zum Thema Opt-out und regionale Anbauverbote ist
in der Presse viel zu lesen. Eine Ausstiegsmöglichkeit
für einzelne Mitgliedstaaten ist aber immer nur die
zweitbeste Lösung;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn die GVO-Verunreinigungen machen nicht an der
Landesgrenze halt. Deshalb müssen wir uns auch weiter-
hin auf EU-Ebene für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher einsetzen, die nicht nur in Deutschland, son-
dern in der ganzen EU mehrheitlich die Agrogentechnik
ablehnen.

Wir sollten auch aufpassen, dass da keine Missver-
ständnisse entstehen. Auf EU-Ebene liegt aktuell ein
Vorschlag für eine Opt-out-Regelung vor. Er ist aus un-
serer Sicht indiskutabel. Denn er sieht vor, dass Mit-
gliedstaaten, die keinen GVO-Anbau wollen, mit dem
Unternehmen, das den Antrag auf Zulassung einer Sorte
gestellt hat, darüber verhandeln. Ich denke doch, da sind
wir alle uns einig: Das wollen wir nicht.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann setzen Sie sich durch in der Koalition!)


Eine Regierung darf doch nicht vom Entgegenkommen
eines Unternehmens abhängig sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von Souverä-
nität und Demokratie. Aus guten Gründen hat deshalb
auch die schwarz-gelbe Vorgängerregierung diese Rege-
lung abgelehnt.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Fraktion gehören Sie an?)


– Bitte hören Sie zu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Ausgang solcher Verhandlungen ist absehbar;
schließlich beantragt das Unternehmen ja gerade die Zu-
lassung auf EU-Ebene, damit das Produkt auch angebaut
werden kann. Ohne Gegenleistung geht da also gar
nichts. Eine mögliche Gegenleistung könnte dann die
Zustimmung der Regierung zur Zulassung auf EU-
Ebene sein. Wollen Sie das? – Ich denke, das müssen wir
ablehnen.


(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Wenn wir eine Opt-out-Lösung, also eine Ausstiegs-
klausel wollen, dann sollte sich diese an den am 5. Juli
2011 vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit
angenommenen Vorschlägen orientieren. Denn darin hat
das Europäische Parlament die Vorlage für eine rechtssi-
chere Begründung von Anbauverboten in einzelnen Mit-
gliedstaaten geliefert.
Eine andere Stellschraube bei der Sicherung der
Wahlfreiheit ist Transparenz. Die bekommt man als Ver-
braucherin oder Verbraucher aber nur, wenn man beim
Lebensmittelkauf selbst erkennen kann, ob ein Produkt
GVO-verändert ist oder nicht. Wir, CDU, CSU und SPD,
haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass wir
für eine EU-weite Kennzeichnungspflicht für Produkte
von Tieren sind, die mit genveränderten Pflanzen gefüt-
tert worden sind; die Staatssekretärin hat es auch schon
erwähnt. Ich finde, das muss jetzt aktiv angegangen wer-
den.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht mal einen Zeitplan!)


Denn wo landet der gentechnisch veränderte Mais? Na,
klar: im Futtertrog. Aber leider können wir das nicht er-
kennen, wenn wir die Produkte kaufen; denn bei Milch,
Eiern, Käse, Fleisch oder daraus gefertigten Produkten
muss nicht angegeben werden, dass bei der Fütterung
der Tiere GVO-veränderte Pflanzen verwendet worden
sind.

Sie kennen die Umfragen, nach denen die Mehrheit
der Bevölkerung GVO-Pflanzen ablehnt, auf dem Acker
wie auch auf dem Teller. Ich finde, die Verbraucher sol-
len beim Einkauf endlich selbst entscheiden können, was
sie kaufen wollen. Das können wir nur mit einer entspre-
chenden Kennzeichnung erreichen. Dafür setzen wir,
CDU/CSU und SPD, uns gemeinsam ein.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gegen Gentechnik insgesamt beim letzten Mal!)


Das wird die Bundesregierung auf EU-Ebene angehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann wünsche ich gutes Verrichten!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801716000

Gratulation zur Punktlandung! Das muss man heute

wirklich vermerken. – Das Wort hat der Kollege Oliver
Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801716100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, es ist wichtig, hier in der Debatte einmal zu sa-
gen, dass es ein Riesenerfolg ist, dass Deutschland frei
von Agrogentechnik ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben wir aber nicht den Grünen zu verdanken!)


Diesen Erfolg, meine Damen und Herren, gäbe es nicht
ohne das Gentechnikgesetz, ohne das von Renate Künast
geschaffene Standortregister. Das ist die Grundlage da-
für, dass wir in diesem Land keine Agrogentechnik ha-
ben.





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Eben nicht! Künast hat sich auf der EU-Ebene genauso enthalten!)


Ich freue mich, dass das, was Grüne vor zehn Jahren ver-
treten haben, in der Politik inzwischen weitgehender
Konsens ist.

Wenn man einmal in die Wahlprogramme, in die Re-
gierungsprogramme schaut, dann muss man zur Kennt-
nis nehmen: Viereinhalb von fünf Parteien in diesem
Haus wollen keine Gentechnik, wollen keine Agrogen-
technik. Im Koalitionsvertrag findet sich eine eindeutige
Aussage dazu. Man kann sie nur so verstehen, dass Sie
selbstverständlich nichts zulassen wollen.

Jetzt passiert aber das Verrückte: Deutschland enthält
sich in Brüssel bei der Abstimmung über den Genmais
1507 und ermöglicht so seine Zulassung.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht gar nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unmöglich!)


Meine Damen und Herren, ich hätte erwartet, dass Sie
für Mehrheiten kämpfen, dass Sie das, was in Deutsch-
land Realität ist, europaweit möglich machen. Aber da-
von habe ich überhaupt nichts gemerkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Drobinski-Weiß, es ist ja schön, dass Sie hier die
Kämpferin gegen Gentechnik mimen. Ich hätte mich ge-
freut, wenn Sie hier so ehrlich gewesen wären wie im
ARD-Morgenmagazin. Dort haben Sie gesagt, wie es
wirklich ist – ich zitiere –: „Die Kanzlerin will den Gen-
mais.“


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!)


Damit haben Sie zugegeben, dass es völlig egal ist, was
in Wahlprogrammen, in Parteitagsbeschlüssen oder im
Koalitionsvertrag steht. Am Ende zeigt Mutti, wo der
Hammer hängt, und am Ende entscheidet sie: Wir wollen
Gentechnik in Europa.


(René Röspel [SPD]: Da gibt es eine Richtlinienkompetenz der Kanzlerin! Das darf man auch nicht vergessen!)


Ich kann Ihnen von CDU/CSU und SPD nur sagen: Bei
diesem Thema liegen Sie flach auf dem Boden. Das ist
keine Koalition, das ist Kapitulation!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anstatt jetzt aber zuzugeben: „Ja, allen schönen Wor-
ten zum Trotz haben wir das Thema versemmelt, jetzt
kommt die Zwangsbeglückung mit Gentechnik“, kom-
men nur Ausflüchte. Jetzt sind Opt-out-Regelungen im
Gespräch, die es den Ländern ermöglichen sollen, sich
herauszuwinden. Das ist aber keine Lösung, schon allein
deshalb nicht, weil Pollen über große Strecken durch die
Luft fliegen können und bekanntlich vor Ländergrenzen
keinen Halt machen. Sie sehen: Opt-out-Regelungen
helfen uns nicht weiter. Wir brauchen ein flächendecken-
des Verbot von Gentechnik. Darum müssen Sie sich
kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Opt-out-Regelung und all die anderen Vorhaben,
die jetzt diskutiert werden, sind nicht nur von der Sache
her, sondern auch juristisch absurd. Wir wollen keinen
Flickenteppich in Europa und erst recht keinen Flicken-
teppich in Deutschland, der entsteht, wenn jedes Bun-
desland seine eigenen Regelungen trifft. Das macht
überhaupt keinen Sinn.

Dahinter steckt Prinzip. Das haben wir beim Thema
CCS schon einmal erlebt. Auch damals standen Sie unter
dem Druck, Entscheidungen treffen zu müssen. Vor Ort
haben Sie dann so getan, als seien Sie die größten Kriti-
ker. Es wurde vereinbart, dass sich die Länder von den
Regelungen verabschieden können. Juristisch ist das al-
les wackelig. Bei der Gentechnik wird es am Ende auch
so sein: Es braucht nur einer zu klagen, dann kippen die
Regelungen. Dann haben Sie mit Zitronen gehandelt und
dem Schutz der Verbraucher vor Gentechnik einen abso-
luten Bärendienst erwiesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Thema setzt sich fort. Es geht nicht nur um Gen-
mais 1507. Demnächst müssen wir darüber abstimmen,
wie Honig gekennzeichnet werden soll. Es stellt sich die
Frage: Gibt es die Möglichkeit, klar zu kennzeichnen,
dass eine Honigsorte aus Pollen von gentechnisch verän-
derten Pflanzen hergestellt wird? Auch hier muss ich da-
von ausgehen, dass Sie wieder umfallen werden.

Ich mache mir die allergrößten Sorgen, wenn ich an
das Freihandelsabkommen denke. Wenn Sie mit dieser
Position und unter dem Druck, den die Kanzlerin ausübt,
verhandeln, dann wird am Ende durch das Freihandels-
abkommen der Gentechnik die Tür nach Europa geöff-
net. Aber dagegen werden wir mit allem Nachdruck
kämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir auch!)


Ich sage Ihnen zum Schluss: Weder die Menschen in
unserem Land noch die Menschen in Europa wollen
Agrogentechnik auf ihren Tellern. Wir werden dagegen
ankämpfen, dass die Menschen durch den Pro-Gentech-
nik-Kurs von Angela Merkel, der nun auch öffentlich so
benannt worden ist, zwangsbeglückt werden. Vielmehr
sollen sie vor Gentechnik geschützt werden. Wir wollen
in Deutschland weiterhin eine gentechnikfreie Landwirt-
schaft und eine gentechnikfreie Ernährung.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801716200

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Kees

de Vries das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1801716300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir sprechen heute in dieser Ak-
tuellen Stunde auf Antrag der Grünen wieder über die
Maissorte 1507, die sich vor dem Maiszünsler schützt,
dessen Raupen jedes Jahr weltweit bis zu 4 Prozent der
Maisernte zerstören. Dafür sorgt ein Gen, das aus dem
Bakterium Bacillus thuringiensis stammt, kurz: BT. Ich
gebe gerne zu: Es gibt eine Alternative. Man kann dieses
BT-Toxin, wie es übrigens im Biolandbau praktiziert
wird, auch spritzen. Dann hat man nicht das Risiko, dass
auch andere Insekten und Schmetterlinge abgetötet wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber nicht!)


Nebenbei bemerkt ist diese Maissorte gegen das für
Maisanbau in Europa nicht zugelassene Herbizid Glufo-
sinat resistent. Im Übrigen wird der deutsche Landwirt
diese Maissorte wegen der gesetzlich geregelten ver-
schuldensunabhängigen gesamtschuldnerischen Haf-
tung nicht anbauen können.


(Beifall des Abg. Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch das stimmt nicht! Das wissen Sie auch genau!)


Damit ist klar, dass es hier im Grunde nicht um den
Mais 1507 geht. Nein, es geht um die Frage, ob wir die
Forschung an der Grünen Gentechnologie auch in Eu-
ropa fortsetzen und damit die Zukunft in eigenen Hän-
den behalten oder uns von der weltweiten Entwicklung
abkoppeln und dieses Feld anderen überlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch jetzt um eine Anbauzulassung und nicht um Forschung!)


Ich spreche mich klar und deutlich dafür aus, dass wir
diese Entscheidung ausschließlich auf der Basis wissen-
schaftlicher Bewertungen treffen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Natürlich sind dabei die Risiken von genveränderten
Organismen abzuwägen, aber auch die damit verbunde-
nen möglichen Chancen für die Landwirtschaft, die von
Einsparungen bei den Pflanzenschutzmitteln bis hin zu
sicheren Erträgen in benachteiligten Gebieten reichen.
Vielleicht können wir uns die Meinung „Wir brauchen
Grüne Gentechnik nicht!“ in Deutschland zurzeit leisten.
Aber es gibt andere Länder, auch in Europa, und es wird
andere Zeiten geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal den Bericht zur Welternährung! Lohnt sich!)


In der Position der Fraktion der Grünen kommen die
Ängste hinsichtlich neuer Techniken, unbekannter Pflan-
zen oder Organismen zum Ausdruck. Diese sind sehr
ernst zu nehmen, weil ein großer Teil der Bevölkerung
diese Ängste teilt. Deshalb ist es wichtig, die Emotionen
in dieser Diskussion herunterzufahren und uns auf ver-
lässliche wissenschaftliche Untersuchungen zu stützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die CSU ist es auch eine ethische Frage!)


Der US-Hersteller DuPont Pioneer hat 2001 die Zu-
lassung durch die Europäische Behörde für Lebensmit-
telsicherheit, EFSA, für die Maislinie 1507 beantragt.
Seitdem gab es in 2005, 2006, 2008, 2011 und 2012 Gut-
achten, die keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte er-
gaben, dass diese Maissorte eine Gefahr für Mensch,
Tier oder Umwelt ist. Die Kommission hat aufgrund die-
ser Unbedenklichkeitsbescheinigungen dem Antrag auf
Anbau dieser Maissorte nach Maßgabe des Jahres 2012
stattzugeben. Vergessen wir aber nicht: In den letzten
zwölf Jahren hatten alle die Chance, ihre Bedenken vor-
zutragen, gehört zu werden und den Vorschlag unter al-
len Gesichtspunkten zu diskutieren. Alle Argumente
konnten in dieser Zeit ausführlich ausgetauscht werden.

Trotzdem: Es gab und gibt keine Mehrheit für und es
gab und gibt keine Mehrheit gegen den Vorschlag der
Kommission. Da es auch in unserer Koalition Meinungs-
verschiedenheiten gab, musste sich Deutschland logi-
scherweise der Stimme enthalten. Das hat übrigens auch
Ministerin Künast 2004 bei dem Mais MON 863 getan.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Was es nicht besser macht!)


Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinwei-
sen: Wenn wir die Menschen ehrlich informieren wollen
und wenn wir die auf Emotionen basierenden Ängste ab-
bauen wollen, dann brauchen wir eine lückenlose Pro-
zesskennzeichnung in der Lebensmittelproduktion, aber
das nicht nur für Produkte tierischer Herkunft. Nur so
kann jeder die Fakten erkennen, und nur so werden wir
Ängste, die gar nicht sein müssten, abbauen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801716400

Kollege de Vries, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich und
wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. Auch
das sei vermerkt – viele schaffen das nicht –: Sie sind in
der vorgegebenen Redezeit geblieben.


(Beifall)


Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801716500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

88 Prozent der Bevölkerung hier in diesem schönen
Land lehnen Lebensmittel, die genmanipuliert sind, ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD])


Jetzt höre ich: Das wissen wir. – Dann frage ich Sie: Wa-
rum enthalten Sie sich in Brüssel? Ich muss Ihnen vor-
werfen: Sie haben sich mit daran beteiligt, Sie waren zu-
mindest mit schuld, dass jetzt dieser Genmais eingeführt
wird.

Es gibt ja drei Parteien in der Koalition. Ich habe Ihr
Interview sehr genau verfolgt, in dem Sie sehr armselig
sagen mussten: Wir wollten ja, aber wir durften nicht. –


(René Röspel [SPD]: Das ist der Unterschied zu den Linken: Ihr wollt nicht, und ihr dürft auch nicht!)


Die CSU hat dann ein Flugblatt herausgebracht: Kein
Genmais nach Bayern! – Das ist ja schön. Sie wissen,
dass die Bayern natürlich auch gegen Genmais sind. Der
CSU-Generalsekretär sagt dazu ein klares Nein. Ich
frage mich: Warum setzen Sie sich in dieser Koalition
nicht durch?


(Beifall bei der LINKEN)


Vor der Bundestagswahl hat Horst Seehofer gesagt:
Mit unserer Maut setzen wir uns durch. – Dann ging es
um den Koalitionsvertrag. Da hat er wieder gesagt: Wir
setzen uns durch wie bei der Maut. – Ich frage mich:
Warum setzen Sie sich nicht durch? Sie verteilen solche
Flugblätter in Bayern, geben Presseerklärungen heraus,
in denen Horst Seehofer und Marcel Huber zitiert wer-
den, die eigentlich alle gegen Genmais sind. Ich sage den
bayerischen Wählerinnen und Wählern: Die CSU ist in
der Regierung und nicht in der Opposition. – Sie machen
das schon seit vielen Jahrzehnten so: Schon unter Franz
Josef Strauß hat man gegen die in Bonn geschimpft,
dann gegen die „Preißn“ in Berlin und so getan, als sei
man nicht beteiligt. Sie sind aber an der Regierung betei-
ligt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das haben die noch nicht gemerkt! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und zwar erfolgreich!)


Jetzt ist die Frage: Warum ist die CDU so dafür? Das
fragen sich ja viele. Ich habe den Eindruck: Es ist wieder
einmal ein Kotau vor den USA, ein Vorgriff auf das
TTIP-Abkommen. Wenn ich mir anschaue, was in den
USA passiert, sehe ich, dass dort ein Gesetz verabschie-
det wird, welches es den Gentechnikherstellern ermög-
licht, sich über gerichtlich angeordnete Verkaufsstopps
für Saatgut hinwegzusetzen. Tolle Demokratie! Es gibt
dort die FDA, die Food and Drug Administration, die für
den Schutz der öffentlichen Gesundheit zuständig ist.
Wenn man einmal genauer hinschaut, merkt man, dass
ein Großteil der Beamten dort ehemalige Führungskräfte
aus Gentechnikunternehmen sind. Das ist interessant.
Die Linke hat dazu schon 2006 eine Anfrage gestellt:
Auch bei uns gibt es in den Ministerien Vertreter der
Pharmakonzerne.

Eine Recherche der Initiativen „Kein Patent auf Le-
ben!“ und der „Coordination gegen BAYER-Gefahren“
belegt, dass zum Beispiel Bayer, aber auch andere Kon-
zerne zu den weltweit führenden Anbietern der Grünen
Gentechnik aufgeschlossen haben. Pioneer ist der um-
satzstärkste; aber die anderen Konzerne liegen dicht da-
hinter.

Jetzt rede ich über Patente, die in München genehmigt
werden: Von rund 2 000 Patenten, die das Europäische
Patentamt in den letzten 20 Jahren auf transgene Pflan-
zen gewährt hat, besitzt der Bayer-Konzern 206. Dabei
geht es um Mais, Weizen, Reis, Gerste, Soja, Baumwolle
und sogar genmanipulierte Bäume. Bayer liegt auf Platz
eins, noch vor Pioneer mit 179, BASF mit 144, Syngenta
mit 135 und Monsanto mit 119 Patenten. Es werden im-
mer mehr. Es gibt dann zum Beispiel die Genmaus und
das Genschwein. Wir demonstrieren immer wieder dage-
gen. Die Leute wollen das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich zitiere Ruth Tippe von „Kein Patent auf Leben!“:

Bei Pestiziden und Saatgut besitzen die zehn größ-
ten Agro-Unternehmen schon heute einen Marktan-
teil von über 70 %. Ziel dieses Oligopols ist es, den
Markt unter sich aufzuteilen und letztlich die Er-
nährungsgrundlagen der Menschheit zu kontrollie-
ren. Patente auf Pflanzen und Tiere sind dabei ein
zentrales Hilfsmittel.

Ich sage Ihnen: Die Menschen wollen das nicht. Ich bin
der Meinung, Sie sollten das endlich akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch wenn Sie eine Große Koalition sind und eine
80-Prozent-Mehrheit haben: 88 Prozent der Menschen in
Deutschland wollen das nicht. Da nutzt das, was Sie jetzt
alles fordern, nichts.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ach ja? Haben Sie alle 80 Millionen gefragt? Was maßen Sie sich eigentlich an, für alle anderen zu entscheiden?)


– Sie können mir ja eine Frage stellen, wenn Ihnen das
nicht passt. Wen bzw. welchen Konzern vertreten Sie?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte Ihnen jetzt noch etwas vorlesen: die Ei-
desformel des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers
und der Bundesminister:

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren,
Schaden von ihm wenden … werde.

Ich sage Ihnen: Tun Sie das endlich!


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh ja! Das müssen Sie gerade sagen!)






Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

Einen Schaden durch Gentechnik wollen wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe Ihnen hier einen Biomais mitgebracht. Wir
wollen solchen Mais, aber nicht den, den Sie wollen –
im Interesse der Konzerne, die Sie vertreten, und ihrer
Profite.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Guten Appetit!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801716600

Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1801716700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben in dieser Frage einen offenen Dissens inner-
halb der Bundesregierung.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die SPD hat verloren!)


Wir haben, Frau Kollegin Lemke, eine Erfahrung ge-
macht, die auch Ihnen, glaube ich, nicht ganz fremd ist,
wenn man politische Verantwortung übernimmt. Ich
glaube sogar, Sie waren damals, als es um die Novellie-
rung des Gentechnikrechts ging, Berichterstatterin, und
ich war als Sachverständiger im Deutschen Bundestag.
Ich habe den Eindruck, bei den damaligen Entscheidun-
gen wollten die Grünen andere Regelungen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die SPD damals nicht auch schon verloren? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da stand die SPD ganz woanders!)


Aber Sie waren in Verantwortung, und Sie mussten
Kompromisse schließen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mit der SPD, Kollege Miersch!)


– Mit der SPD. Trotzdem finde ich, wir haben ein Gen-
technikrecht – eben haben Sie es noch gelobt –, das rich-
tig klasse ist. Darauf können wir auch stolz sein.


(Beifall bei der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das also, wenn die SPD die Regierung führt, dann ist sie für Gentechnik, und wenn sie der kleinere Partner ist, dann ist sie dagegen? Das ist doch Heuchelei!)


Was ich sagen will, ist: Wenn man politische Verant-
wortung übernimmt, dann kann man sich in bestimmten
Punkten durchsetzen. Aber es gibt eben auch Themen,
bei denen man sich vielleicht nicht durchsetzen kann.
Dann muss man um den besten Weg ringen, Herr
Hofreiter; dazu lade ich Sie ein. Denn eines steht fest:
Wir haben in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben,
dass die unterzeichnenden Parteien die Vorbehalte des
Großteils der Bevölkerung gegenüber der Grünen Gen-
technik anerkennen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Es wäre schön gewesen, wenn Sie das auch gemacht hätten!)


Ich kann nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Als
Abgeordneter des Deutschen Bundestages kann ich es
nicht akzeptieren, wenn sich die Bundesregierung bei ei-
ner zentralen Zulassungsfrage enthält. Das ist keine Hal-
tung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koalitionskrise! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie hat denn die SPD abgestimmt, als wir das Thema im Bundestag hatten? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn damals mit Ja gestimmt?)


Ich glaube, dass es legitim ist, dass der Ball dann,
wenn sich die Bundesregierung nicht verständigen kann,
wieder beim Parlament liegt, dass wir dann offen darum
ringen müssen, was es für uns heißt, dass wir die Vorbe-
halte anerkennen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben unseren Antrag damals abgelehnt! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie haben Sie denn im Bundestag abgestimmt, Herr Miersch?)


Ethische Fragen sind die Sternstunden des Parla-
ments. Deswegen, Herr Hofreiter:


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie haben Sie denn nun hier im Parlament abgestimmt? – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der ist schon bei SchwarzGrün!)


Ich lade Sie ein – das wäre meine Bitte –, dass wir ge-
meinsam überlegen, wie wir eine solche Situation künf-
tig verhindern können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie anders abstimmen müssen!)


Ich bin fest davon überzeugt, dass von dieser Brüsseler
Entscheidung ein Signal ausgehen wird und wir in den
nächsten Wochen mehrere Anträge auf Zulassung be-
kommen werden.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich möchte diese Debatte nicht vor dem Hintergrund ei-
nes Antrags der Grünen, der Linken, der SPD oder der
CDU/CSU führen – denn dann müssten wir alle wieder
in unsere Gräben –,





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das hat doch damit gar nichts zu tun! Lasst uns das doch sachorientiert machen!)


vielmehr ist mir diese Frage so wichtig, dass ich Sie
– alle zusammen – einladen möchte, Herr Ebner, ge-
meinsam mit uns nach einer Lösung zu suchen. Bei den
Biopatenten haben wir das zusammen geschafft.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das war gut!)


Lassen Sie uns in den nächsten Wochen überlegen, ob
wir hier eine breite Debatte über die Fragen der Ethik
hinbekommen, auch über die Fragestellung, die Herr de
Vries angesprochen hat. Ich habe dazu eine völlig andere
Meinung, auch aus anwaltlicher Erfahrung: zum Bei-
spiel in dem Fall, dass Landwirt gegen Landwirt steht.

Ich möchte mit Ihnen gerne über eine Konsultations-
pflicht reden: dass dann, wenn man sich innerhalb der
Bundesregierung nicht verständigen kann, das Parlament
zumindest befragt werden muss. Ich bin mir sicher: Je-
der von uns hat eine Haltung, und zwar keine Enthal-
tung, sondern eine klare Position: ja oder nein. Diese De-
batte wünsche ich mir, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch Augenwischerei! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das Parlament befragt!)


Ich bitte die Bundesregierung darüber hinaus, Frau
Staatssekretärin, zu prüfen, ob die Gründe, die Ministe-
rin Aigner damals bei der Maissorte MON 810 angeführt
hat, nicht auch jetzt zutreffen: ob die Gesundheitsrisiken
nicht derart massiv sind, dass man für ein nationales An-
bauverbot plädieren muss.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen keine Debatte!)


Das Dritte, was ich mir von dieser gruppenübergrei-
fenden Debatte wünsche, ist ein Diskurs darüber, wie
wir die europäische Rechtsetzung zukünftig mit beein-
flussen wollen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ihr nicht einmal diese Abstimmung hinkriegt?)


Ich glaube, dass man über eine Opt-out-Klausel, wie sie
die CSU, aber auch SPD-Agrarminister wie Till
Backhaus jetzt ins Spiel bringen, zumindest debattieren
muss, wenn die Zulassung auf europäischer Ebene in die
Hose gegangen ist.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hättet ihr doch was gestalten können!)


Diese Debatte, Herr Ebner, wünsche ich mir. Ich glaube,
wenn wir sie in diesem Haus sachlich führen, werden
wir dem großen Thema „Gentechnik in der freien Natur“
gerecht.
Ich lade alle ein, die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Gentechnikgesetz einmal zu lesen.
Ich bin mir sehr sicher: Uns allen wird bewusst, dass es
ähnlich wie in der Debatte über Stammzellen oder über
das Klonen um urethische Fragestellungen geht, die wir
in diesem Parlament dringend diskutieren müssen, wenn
wir unserer Aufgabe als Abgeordnete gerecht werden
wollen. Wir können uns bei dieser wichtigen Frage nicht
enthalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801716800

Der Kollege Artur Auernhammer hat nun für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1801716900

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem ich diesem Hohen Hause jetzt acht Jahre nicht
angehört habe, mache ich heute eine Feststellung: Die
Sachkenntnis in manchen Redebeiträgen von den Grü-
nen hat nicht zugenommen, im Gegenteil: Sie hat abge-
nommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auweia! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann machen Sie es mal besser! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Herr Oberlehrer! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja spannend, was jetzt an Sachkenntnis kommt!)


Im Jahre 2004/2005 hat in Deutschland flächenmäßig
der größte Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen
stattgefunden. Wer war damals in der Regierungsverant-
wortung, wer war damals Bundeslandwirtschaftsminis-
terin? Mir fällt der Name gerade nicht ein. Vielleicht
können Sie mir weiterhelfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat MON 810 zugelassen? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie damit jetzt beweisen? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Sachkenntnis pur, Herr Kollege!)


Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren: Kehren wir zurück zur Sachlichkeit! Kehren wir zu-
rück zum Thema: zur eigentlichen Gentechnik. Bei der
Gentechnik haben wir eigentlich drei Themenbereiche:

Bei der sogenannten Roten Gentechnik geht es da-
rum, Krankheiten zu heilen. Sicherlich ist keiner von Ih-
nen dagegen, Schlaganfallpatienten, Krebskranken oder
Zuckerkranken zu helfen oder sie zu heilen.





Artur Auernhammer


(A) (C)



(D)(B)


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir heute gar nicht! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werfen Sie alles in einen Topf! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genmais ist Rote Gentechnik? Was ist das für eine Sachkenntnis? Ich dachte, wir wollen mit Sachkenntnis diskutieren! Bei Genmais geht es nicht um Weiße Gentechnik!)


Es besteht sicherlich Einigkeit in diesem Hause: Wir
wollen bei der Roten Gentechnik weiterkommen.

Bei der sogenannten Weißen Gentechnik müssen wir
feststellen, dass davon schon sehr viel in unseren Le-
bensmitteln enthalten ist. Dass viele Verarbeitungspro-
zesse durch die Weiße Gentechnik unterstützt werden,
ist, glaube ich, auch bekannt.

An der Grünen Gentechnik scheiden sich jetzt die
Geister. Warum? Weil es bei der Grünen Gentechnik
jetzt um den Schritt raus aus dem Labor, raus aus der
Forschung, hin aufs freie Feld geht. Da müssen wir – da-
rüber sind wir uns in diesem Hause wahrscheinlich noch
nicht ganz einig – besonders achtgeben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Rede mit dem Wort „Sachkenntnis“!)


Wobei ich gleichzeitig sagen muss: Zulassung bedeutet
nicht gleich Anbau.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wir haben, nicht nur in Süddeutschland, eine sehr klein
strukturierte und damit vielfältige Agrarstruktur – mit
bäuerlichen Familienbetrieben – und auch sehr vielfäl-
tige Vermarktungsstrukturen. Auf der Grünen Woche ha-
ben wir gerade wieder erlebt, wie vielfältig unsere Land-
wirtschaft in Deutschland sein kann. Diese zu erhalten
und zu fördern, ist auch Aufgabe der Politik.

Vieles haben wir in Deutschland den Naturwissen-
schaften zu verdanken. Wir sind ein Volk der Dichter
und Denker. Wir sollten uns aber auch fragen: Müssen
wir all das tun, was die Naturwissenschaften ermögli-
chen? Brauchen wir in dem einen oder anderen Bereich
nicht auch ethische Leitplanken? Dazu, dieses zu disku-
tieren, lade ich Sie ein.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Sachkenntnis!)


Ich selbst kann Ihnen als praktizierender Landwirt
sagen, dass mir der Anbau gentechnisch veränderter Or-
ganismen auf meinem Feld nichts nutzt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Denn wenn über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung
– ob es 80 oder 85 Prozent sind, ist zweitrangig –, also
die große Mehrheit, sagen: „Wir wollen keinen Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland“,
kann ich als Landwirt doch nicht etwas produzieren, was
der Verbraucher mir nicht abkaufen will.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nicht, aber andere tun es dann!)


Stellen Sie sich einmal vor: Die deutsche Automobilin-
dustrie würde etwas produzieren, was niemand kaufen
will.


(Ute Vogt [SPD]: Das passiert zuweilen!)


Ich als Landwirt stehe ja am Beginn der Wertschöp-
fungskette. Das möchte ich hier auch noch betonen.
Vorrangig der Landwirt und Produzent sollte für diese
Arbeit honoriert werden – und nicht irgendwelche Kon-
zerne, die vielleicht in Nordamerika sitzen.

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam nach Lösungen
suchen, um mit der Gentechnik verantwortungsbewusst
umzugehen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „verantwortungsbewusst“?)


Dazu zählt für mich eine wirklich umfangreiche Kenn-
zeichnung aller GVO-Produkte. Hier sollten wir gemein-
sam nach einer europäischen einheitlichen Kennzeich-
nung suchen. Schließlich soll letztendlich der
Verbraucher entscheiden dürfen, was er einkauft. Aber
auch der Verzicht auf die Nutzung von Gentechnik in
Deutschland gehört für mich dazu.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!)


Die Initiativen für gentechnikfreie Anbauregionen
sind deshalb zu begrüßen. Ich hoffe, wir erreichen die
sogenannte Opt-out-Lösung und werden in Zukunft hier
in Deutschland, wie bisher auch, gentechnikfrei bleiben
können.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt, Herr Kollege! Sie müssen auch was dafür tun!)


Ich lade Sie deshalb nochmals dazu ein, mit der nöti-
gen Sachkompetenz gemeinsam nach Lösungen zu
suchen – auch die Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nenfraktion. Es geht um das Wohl des deutschen Volkes
und auch um das Wohl der deutschen Bäuerinnen und
Bauern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine von Sachkompetenz geprägte Rede!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801717000

Der Kollege René Röspel hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1801717100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Viele Jahrzehnte haben Bäuerinnen und Bauern





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)

– Ökobauern wie konventionelle Landwirte – dann,
wenn der Maiszünsler ihr Maisfeld befallen hat, auf ein
Mittel zurückgreifen können, das sich Bt-Toxin nennt.
Das ist das Proteingift aus einem Bodenbakterium, das
in einer inaktiven Form ausgebracht werden kann. Wenn
es von den Schadinsekten aufgenommen wird, wandelt
es sich im Verdauungstrakt in eine aktive Form um und
führt dazu, dass der Schädling stirbt. Das nicht ver-
brauchte Toxin wird über Sonnenlicht und anderes de-
gradiert, also unschädlich gemacht.

Das hat lange Jahre funktioniert. Irgendwann kamen
kluge Wissenschaftler auf die Idee, sich zu fragen: Wie
wäre es, wenn wir aus dem Bodenbakterium das Gen für
dieses Gift herausnehmen und zum Beispiel in eine
Maispflanze einbauen, mit dem Vorteil, dass diese
Maispflanze dieses Gift dann ständig produziert? – Das
ist in der Tat wissenschaftlich hoch spannend und funk-
tioniert – jedenfalls mit unterschiedlichen Auswirkungen –,
hat aber eben nicht nur Vorteile, sondern auch eine Reihe
von Nachteilen:

Die aktive Form dieses Giftes wird während der
gesamten Vegetationsdauer permanent in der Pflanze
produziert. Es wird nicht nur von Schadinsekten aufge-
nommen, sondern auch Nützlinge – sogenannte Nicht-
zielorganismen – nehmen dieses Gift auf. Dadurch, dass
das Gift permanent produziert wird, ist natürlich die Ge-
fahr sehr groß, dass Resistenzen entstehen, und die
Wahrscheinlichkeit dafür wird sogar immer größer.

Es gibt also eine Reihe von Fragezeichen, die sich mit
dieser Technologie in Verbindung bringen lassen.

Herr Auernhammer, Sie haben von Wissenschaftlich-
keit gesprochen. Ich nehme diesen Ball auf. – Es gibt
eine ganze Reihe von Studien – wir haben das in den
letzten Jahren immer wieder diskutiert –, die die Un-
bedenklichkeit dieses Maises bzw. dieser Technologie
darlegen. Meistens werden diese übrigens von Unterneh-
men, die dahinter stehen, finanziert und sehr gut ausge-
stattet. Sagen wir einmal so: Das ist mittlerweile ein
recht hoher Stapel.

Aber es gibt eben auch wissenschaftliche Arbeiten,
die das in Zweifel ziehen, in denen Bedenken geäußert
werden, ob das unproblematisch ist, oder in denen ge-
fragt wird: Was passiert eigentlich, wenn nach einer sol-
chen Vegetationsperiode das Gift immer noch im Boden
vorhanden ist und nicht abgebaut wird? – Das ist viel-
leicht ein etwas kleinerer Stapel, weil dies die Ergeb-
nisse meist öffentlich finanzierter Forschung sind. Wir
haben in den letzten Jahren gemeinsam versucht, zu er-
reichen, dass diese kritische Forschung stärker berück-
sichtigt wird.

Aber dann hat man eben zwei unterschiedliche wis-
senschaftliche Positionen. Mir ist es noch nicht gelungen
– ich beobachte die Szene relativ gut –, eine eindeutige
wissenschaftliche Positionierung herauszufinden. Dann
sage ich an dieser Stelle – weil es eben eine politische
Entscheidung geben muss –: Politik muss eine Entschei-
dung treffen, wenn wissenschaftlich nicht eindeutig ist,
was passiert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Die SPD hat diese Entscheidung vor vielen Jahren ge-
troffen, nämlich vor dem Hintergrund folgender Frage:
Was passiert eigentlich, je nachdem, wie wir uns ent-
scheiden? Wenn wir jetzt den Anbau zulassen und wir in
20 Jahren feststellen, dass tatsächlich Probleme auftre-
ten, ist es nicht mehr umkehrbar. Dann sind diese Pflan-
zen „draußen“. Das wäre dann so wie bei der Atomener-
gie: Wir werden zeit unseres Lebens und darüber hinaus
im Atomzeitalter leben.

Vor diesem Hintergrund – da gebe ich Matthias
Miersch völlig recht – sage ich: Angesichts der Tatsache,
dass wir hier Entscheidungen treffen müssen, bei denen
es nicht möglich ist, sie in der nächsten Legislaturpe-
riode oder vielleicht zwei Generationen später wieder
rückgängig zu machen, hat sich die SPD – und übrigens
nicht nur sie, sondern auch die Grünen und die Linken –
dafür entschieden, diesen gentechnisch veränderten
Pflanzen in Deutschland noch keinen Raum zu geben.

Diese Haltung hat eben auch Auswirkungen in der
Abstimmung der SPD-geführten Ministerien innerhalb
der Bundesregierung. Das Wirtschaftsministerium unter
Sigmar Gabriel hat bei der Zulassung des Genmaises mit
Nein gestimmt. Das Umweltministerium unter Barbara
Hendricks hat bei der Zulassung des Genmaises mit
Nein gestimmt. Und das Justizministerium, auch SPD-
geführt, hat ebenfalls Nein gesagt. Die Position der SPD
ist also ziemlich klar. Wir sind für diese Haltung auch in
diesem Hause als „gentechnikfeindlich“ und „Technik-
gegner“ jahrelang beschimpft worden; wie auch immer.

Interessanterweise hat auch das CSU-geführte Land-
wirtschaftsministerium mit Nein gestimmt, gegen die
Zulassung. Ich hätte heute gerne eine Begründung dafür
gehört, aber diese habe ich leider nicht vernommen.
Aber immerhin: Es war ein Nein.

Jetzt haben aber Kanzleramt und alle CDU-geführten
Ministerien wie das für Gesundheit und das für For-
schung mit Ja gestimmt. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von den Grünen und von den Linken, wären Sie an
unserer Stelle, wäre es genauso gekommen,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)


mit einer Ausnahme: Da eure Fraktionen kleiner sind,
hätte es nicht aus drei Ministerien ein Nein gegeben,
sondern vielleicht nur aus zwei, weil ihr nicht so viele
Ministerien gehabt hättet.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Ende entscheidet die Kanzlerin!)


Aber am Ende ist nach der Gemeinsamen Geschäfts-
ordnung der Bundesministerien auf europäischer Ebene
eine Enthaltung herausgekommen. Das finden wir sehr
bedauerlich und schlecht. Ich hätte mir auch ein deutli-
ches Wort der Kanzlerin im Sinne der Richtlinienkompe-
tenz gewünscht: Will sie nun gentechnisch veränderte
Pflanzen zulassen oder nicht?





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch deutlich!)


Da mogelt man sich ein bisschen durch; das muss ich so
sagen.

Deswegen kann ich Ihnen versprechen, dass wir uns
als SPD weiterhin auf diesem Kurs bewegen und versu-
chen, alles dafür zu tun, dass gentechnisch veränderte
Pflanzen in Deutschland nicht angebaut werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801717200

Das Wort hat die Kollegin Rita Stockhofe für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1801717300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Warum beschäftigen wir uns so inten-
siv und so gegensätzlich mit diesem Thema? Sicherlich
tragen Umfragen wie die von Greenpeace ihren Teil
dazu bei. Das Resultat: 88 Prozent der deutschen Bevöl-
kerung sind gegen genmanipulierte Pflanzen in unserem
Land;


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Da gibt es auch andere, nicht nur von Greenpeace!)


das haben die Kollegin von der Linken und auch andere
vorhin schon erwähnt.

Wie kam es zu diesem Ergebnis? Bei den Antwort-
möglichkeiten gab es „Ja“, „Nein“, „Weiß nicht“. Viele
von Ihnen haben sicherlich häufiger E-Mails in Ihrem
Postfach, in denen zur Teilnahme an solchen Umfragen
aufgefordert wird. Ich weiß nicht, wie Sie sich da verhal-
ten – ich antworte nur dann, wenn ich meine Antwort be-
gründen kann, weil ich finde: Alles andere ist unseriös.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nichtsdestotrotz ist es so, dass viele Menschen die-
sem Thema gegenüber kritisch sind. Woran liegt das?
Viele Menschen sind unsicher. Woher kommt diese Un-
sicherheit? Wenn bei der Berlinale der Film Tante Hilda!
gezeigt wird, der eine manipulierte Pflanze zeigt, die ei-
gentlich der Bekämpfung des Welthungers dienen soll,
dann aber zu einer Umweltkatastrophe beiträgt, schürt
das Ängste.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie doch gleich den Herrn Kosslick verhaften!)


Ist es demgegenüber nicht besser, wenn wir sachlich fun-
dierte Argumente bringen, um diese Unsicherheiten und
Ängste zu nehmen?

Wenn dann noch der Vergleich mit der Atomenergie
kommt, macht das die ganze Geschichte natürlich nicht
besser. Es gibt über 1 000 wissenschaftlich fundierte
Studien, die belegen, dass weder für Mensch und Tier
noch für die Umwelt Risiken bestehen, wenn genverän-
derte Pflanzen angebaut oder konsumiert werden. Selbst
das Verdauungssystem der Bienen ist analysiert worden,
und sogar darüber gab es keine negativen Erkenntnisse.

Bereits seit 18 Jahren wird Gentechnik von Landwir-
ten genutzt. Weder ein Mensch noch ein Tier oder die
Natur sind in dieser Zeit dadurch zu Schaden gekom-
men. Auch Herr Ebner kennt sicherlich niemanden, der
dadurch zu Schaden gekommen ist. Die wenigsten Men-
schen wissen, dass sie regelmäßig Produkte konsumie-
ren, die gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten,
und das, obwohl wir eine Kennzeichnungspflicht haben.

Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch verän-
dertem Futter gefüttert werden, müssen nicht gekenn-
zeichnet werden, und zwar deswegen, weil keine gen-
technischen Veränderungen festgestellt werden können.
Forscher aus München haben zwei Jahre lang Kühe mit
gentechnisch verändertem Mais gefüttert, in der Milch
aber keine gentechnischen Veränderungen festgestellt.
Somit findet auch hier keine Kennzeichnung statt.

Über 80 Prozent des Sojas, das weltweit hergestellt
wird, ist gentechnisch verändert. Da Soja ein wichtiger
Proteinlieferant ist, ist es Bestandteil nahezu jeder Futt-
erration von Schweinen. Auch in der Rinderhaltung wird
es regelmäßig eingesetzt. Zur Geflügelhaltung, in der
das nicht gemacht werden soll, ist vorgestern eine Pres-
semitteilung herausgegeben worden, dass gar nicht ge-
nug GVO-freies Soja zur Verfügung steht, um das Geflü-
gel gentechnikfrei zu ernähren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle essen also bereits seit Jahren genveränderte
Lebensmittel, egal ob aus konventioneller Erzeugung
oder aus der Biobranche. Bioanbieter nutzen häufig die
CMS-Technik. Dabei werden nützliche Gene zwischen
Arten transferiert. Biochicorée enthält beispielsweise die
Erbsubstanz der Sonnenblume und Brokkoli Gene des
japanischen Rettichs. Das hat nichts mit einer Wertung
zu tun; das ist einfach Realität.

Enzyme, Hefen und Geschmacksstoffe werden eben-
falls gentechnisch hergestellt. Wenn wir nun die For-
schung anderen Ländern überlassen, stehlen wir uns aus
der Verantwortung und vertun Chancen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es kann doch nicht sein, dass die Angst, die aus Unsi-
cherheit und mangelnder Aufklärung entsteht, über der
Vernunft steht, die auf einem fundierten Forschungser-
gebnis beruht. Ein Artikel aus der Zeit Online trifft den
Nagel auf den Kopf mit der Aussage – Zitat –:

Es geht nicht um das Ende der Welt, es geht um
eine mit 20 Jahren noch immer junge Technologie,
die kritisch hinterfragt werden sollte, aber kein
Grund zur Panik ist.

In der Medizin sind genveränderte Produkte mittler-
weile anerkannt.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist die Rote Gentechnik!)






Rita Stockhofe


(A) (C)



(D)(B)

Das war nicht immer so. Aber durch den großen Nutzen
bei der Behandlung von Krankheiten ist die Akzeptanz
in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Als be-
kanntes Beispiel möchte ich Insulin nennen. Aus diesem
Grund haben wir die Möglichkeit, diese Medikamente
nun in Deutschland selber herzustellen und auch weiter-
zuentwickeln. Diese Chance haben wir in der Grünen
Gentechnik nicht.

Mittlerweile gibt es gentechnisch veränderte Lebens-
mittel wie den Goldenen Reis, die Krankheiten vorbeu-
gen können. Durch die Aufnahme von Vitamin A in die-
sen speziellen Reis können Sehstörungen und Blindheit,
die in Asien häufig durch Vitamin-A-Mangel ausgelöst
werden, vermieden werden.

Hier sind wir jetzt bei einem neuen Thema, dem Welt-
hunger. Es gibt keine einheitliche Meinung, die besagt,
dass der Welthunger durch genveränderte Pflanzen be-
kämpft werden kann. Aber die Chance dazu sollten wir
uns offenhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir in Deutschland haben Lebensmittel im Überfluss.
Das ist nicht selbstverständlich, und das ist auch nicht
überall so, im Gegenteil.

Abschließend möchte ich festhalten: Ich bin davon
überzeugt, dass wir es uns nicht leisten können, die Gen-
technik zu ignorieren, auch im Hinblick auf die rapide
wachsende Weltbevölkerung. Es muss selbstverständlich
sein, dass wir verantwortungsvoll damit umgehen. Dazu
könnte eine neue transparente Kennzeichnungspflicht
beitragen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801717400

Kollegin Stockhofe, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Wir gratulieren Ihnen dazu herzlich
und wünschen Ihnen Erfolg in Ihrer Arbeit.


(Beifall)


Das Wort hat der Kollege Hermann Färber für die
CDU/CSU-Fraktion.


Hermann Färber (CDU):
Rede ID: ID1801717500

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle sind
uns bewusst, dass ein Großteil der Bevölkerung die Gen-
technik kritisch betrachtet, dieser neuen Technologie kri-
tisch gegenübersteht. Für mich ist ganz klar: Jeder, der
für sich die Gentechnik ablehnt, hat das gute Recht dazu.
Er muss sich deshalb auch gegenüber niemandem recht-
fertigen. Wir als Abgeordnete aber müssen Entscheidun-
gen für andere treffen. Deshalb haben wir auch die
Pflicht, zu erklären, wie wir zu unseren Entscheidungen
kommen.

Für mich können Entscheidungsgrundlagen in Fragen
der Gentechnik nur wissenschaftliche Erkenntnisse sein.
Wir können uns hier nicht auf Emotionen oder auf unser
Bauchgefühl berufen. Wir brauchen eine objektive und
verlässliche Grundlage. Diese bietet uns die Wissen-
schaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in Deutschland und auch in Europa renom-
mierte Forschungsinstitute. Ich denke an die Helmholtz-
Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die
Fraunhofer-Gesellschaft. Sie garantieren gerade im sen-
siblen Bereich der Gentechnik eine verantwortungsbe-
wusste Forschung, und zwar – das ist sehr wichtig – un-
ter rechtsstaatlicher Kontrolle.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es muss auch klar sein: Wer diese Forschung in
Deutschland verhindert, treibt sie lediglich in andere
Länder, und zwar in Länder, wo es weniger Kontrolle
und Schutz gibt und wir keinerlei Einfluss darauf haben,
in welche Richtung die Forschung geht und wie die da-
zugehörige Sicherheitsforschung aussieht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei den Maissorten, die bisher zur Debatte standen,
bietet die gentechnische Veränderung im Moment über-
haupt keinen Vorteil bei einem Anbau in Deutschland.
Bei unseren Fruchtfolgen, die wir Landwirte praktizie-
ren, kommen wir mit den konventionellen Sorten her-
vorragend klar. Wie gesagt, ist der Anbau genveränder-
ter Pflanzen schon allein wegen der Abstands- und
Haftungsregelungen in Deutschland völlig unattraktiv.
Ich sehe im Moment auch keine Gefahr bzw. keinen An-
lass, dass dieser Anbau bei uns stattfinden wird. Ich kann
es auch keinem empfehlen, schon allein deshalb nicht,
weil es gar keinen Sinn machen würde. Mit anderen
Worten – das sage ich Ihnen an dieser Stelle als prakti-
zierender Landwirt –: Wir brauchen den Mais 1507 der-
zeit bei uns nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann verstehen, dass ein Konzern wie Monsanto
bei vielen Menschen Unbehagen auslöst. Es ist aber
sachlich nicht angemessen, die Diskussion über die Gen-
technik allein auf die Problematik und die Patentlizenzen
von Monsanto zu reduzieren. Ich bin der Ansicht: Die
Debatte über die Gentechnologie muss von der Debatte
über Patentinhabe und Vermarktungswege getrennt ge-
führt werden.

Wir brauchen in dieser Diskussion aber auch mehr
Ehrlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu gehört – das haben schon meine Vorredner gesagt –,
dass wir anerkennen, wo bisher in Europa und in Deutsch-
land Gentechnik schon eingesetzt wird. Das ist nicht nur in
der Medizin und bei einem großen Teil von Geschmacks-
stoffen, Hefen und Enzymen der Fall, sondern auch bei Fut-
termitteln. Heute wurde schon gesagt: Weltweit werden 80
bzw. 81 Prozent des gesamten Sojaanbaus mit gentechnisch
verändertem Saatgut durchgeführt. Seit knapp zwei Jahr-
zehnten – auch das muss uns bewusst sein – werden diese





Hermann Färber


(A) (C)



(D)(B)

Sojabohnen in die Europäische Union importiert; sie wer-
den bei uns an Tiere verfüttert, und in unseren Läden finden
sich Milch und Fleisch dieser Tiere. Der bekannte Schaden
aus der Produktion ist gleich null.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einen Satz zu diesem Thema
anfügen. Es muss auch gesagt werden: Lebensmittel hier
in Deutschland sind heute so gut und so sicher, wie sie es
noch nie in unserer Geschichte waren. Auch das ist Er-
gebnis wissenschaftlicher Forschung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte zum Schluss kommen. Ich wünsche mir
einfach eine sachliche Debatte, eine Debatte, die im Ein-
zelfall durchaus Chancen und Risiken betrachtet. Ich
habe Respekt vor jedem hier, der eine andere Ansicht
hat; ich erwarte aber auch den Respekt vor meiner Posi-
tion. Ich schlage Ihnen vor: Lassen Sie uns offen über
die bisherige Forschung und über die bisherigen Erfah-
rungen aus dem Anbau diskutieren, und zwar ohne
Scheuklappen, ohne Vorurteile in die eine oder andere
Richtung! Lassen Sie uns dann auf wissenschaftlicher
Basis verantwortbare Entscheidungen für jeden Einzel-
fall treffen! Ich freue mich auf die Gespräche mit Ihnen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801717600

Herzlichen Dank, Herr Kollege Färber. Das war Ihre

erste Rede. Ich gratuliere Ihnen dazu im Namen des ge-
samten Hauses.


(Beifall – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/ CSU]: Eine wohltuend sachliche Rede!)


Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführ-
ten Ausbildungsmission EUTM Mali auf
Grundlage des Ersuchens der malischen
Regierung sowie der Beschlüsse 2013/34/
GASP und 2013/87/GASP des Rates der
Europäischen Union (EU) vom 17. Januar
2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbin-
dung mit den Resolutionen 2071 (2012),
2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen

Drucksachen 18/437, 18/603


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/616
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

ordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour,
Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung
durch die Bundeskanzlerin zum Europäi-
schen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüs-
sel

Drucksachen 18/196, 18/531

Zu dem Antrag der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir später namentlich abstim-
men.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Damit ist so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie jetzt
bitten, die Plätze wieder einzunehmen. Dann könnte ich
die Aussprache eröffnen und den ersten Redner aufrufen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Niels Annen, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1801717700

Verehrte Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine sehr

verehrten Damen und Herren! Erinnern wir uns: Vor gut
einem Jahr waren islamistische Rebellen aus dem Nor-
den Malis auf dem Vormarsch in Richtung Hauptstadt
Bamako. Wären sie damals nicht durch das entschlos-
sene Eingreifen von Frankreich am Weitermarsch gehin-
dert worden, dann könnten wir heute nicht über die Fort-
schritte beim Wiederaufbau auch der staatlichen
Strukturen im Norden des Landes miteinander diskutie-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU])


Vermutlich wäre ein weiterer afrikanischer Staat zu ei-
nem Failed State geworden und in die Hände islamisti-
scher Rebellen gefallen.

Das ist glücklicherweise nicht eingetreten. Die Tatsa-
che, dass sich der politische Prozess gut entwickelt hat,
dass Fortschritte beim Wiederaufbau des Landes erzielt
werden konnten, dass Präsidentschafts- und Parlaments-
wahlen stattgefunden haben und eine neue Regierung
ihre Arbeit aufnehmen konnte, hat auch damit zu tun,
dass die internationale Gemeinschaft Mali eben nicht im
Stich gelassen hat. Außerdem hat es damit zu tun, dass
wir mit EUTM Mali und mit der UN-Mission
MINUSMA unsere Entschlossenheit zum Handeln de-
monstriert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Niels Annen


(A) (C)



(D)(B)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die außen-
politische Debatte der vergangenen Wochen hat zum Teil
fast skurrile Züge angenommen. So wurde unterstellt,
Deutschland beabsichtige jetzt, quasi routinemäßig über-
all und gerade in Afrika Soldaten einzusetzen. Ich will
an dieser Stelle klar sagen: Das ist eine bewusste Verdre-
hung der Tatsachen. Eine Zahl macht das deutlich: Auf
dem Höhepunkt unseres Engagements – wir hatten heute
eine Debatte zu Afghanistan – hatte Deutschland 10 000
Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Heute lie-
gen wir bei unter 5 000, mit fallender Tendenz. Statt
mehr Soldaten schicken wir weniger Soldaten ins Aus-
land.

Dennoch beschließen wir heute mit der Verlängerung
des EUTM-Mali-Mandates eine geringfügige Erhöhung
der Mandatsobergrenze von 180 auf 250 Soldaten. Ihr
Auftrag ist es, die malischen Streitkräfte so auszubilden,
dass sie zukünftig in der Lage sind, im eigenen Land für
Sicherheit zu sorgen. Seit Februar 2013 konnten bereits
knapp 3 000 malische Soldaten ausgebildet werden. Ich
finde, auch das ist ein Anlass, den deutschen Soldatinnen
und Soldaten zu danken, die diese schwierige Aufgabe
bewältigt haben und weiter bewältigen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was machen wir in Mali? Wir stärken malische Ei-
genverantwortung, indem wir die taktischen Fähigkeiten
der malischen Soldaten verbessern. Darüber hinaus leis-
ten deutsche Soldatinnen und Soldaten Sicherungsaufga-
ben sowie Sanitätsdienste. Wir begrüßen den Beschluss,
Teile der Deutsch-Französischen Brigade in Mali einzu-
setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies ist der erste gemeinsame Einsatz in Afrika. Er ist
auch ein politisches Bekenntnis zur revitalisierten Zu-
sammenarbeit zwischen unseren Ländern.

Unser Engagement ist keineswegs auf den militäri-
schen Part begrenzt. Für die Lösung des komplizierten
innermalischen Konfliktes ist der politische Prozess ent-
scheidend; jeder von uns ist sich darüber im Klaren. Die
Verhandlungen müssen fortgesetzt werden. Gerade die
Einbeziehung der Tuareg ist eine komplexe Aufgabe.
Ziel muss es sein, die Gruppen miteinander auszusöh-
nen, in die staatlichen Strukturen, die reformbedürftig
sind – das haben die Ereignisse der letzten Monate ge-
zeigt –, mit einzubeziehen. Nur dann kann langfristig
eine Stabilisierung gelingen.

Ich habe hier vor drei Wochen mit dem malischen
Versöhnungsminister sprechen können. Ich kann Ihnen
sagen: Die Erwartungen an uns sind hoch. Wir werden
sie gar nicht alle erfüllen können. Umso wichtiger ist es,
dass wir auch im Deutschen Bundestag zu prominenter
Zeit darüber diskutieren. Wir müssen unsere Anstren-
gungen verstetigen und auch weiter intensivieren. Das
gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit.

Ich will die Gelegenheit nutzen, hier nicht nur den
deutschen Soldatinnen und Soldaten zu danken, sondern
auch den Diplomaten, den Entwicklungshelfern. Ich will
aber auch die deutschen Stiftungen erwähnen, die vor
Ort sind. Sie leisten ihre Arbeit in keiner ganz einfachen
Situation. Für unsere Expertise hier im Deutschen Bun-
destag haben sie wichtige Beiträge geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich begrüße die Bestrebungen für eine zivile GSVP-
Mission in Mali. Das unterstreicht auch den politischen
Charakter dessen, was wir hier miteinander diskutieren:
dass es um eine frühzeitige und um eine nachhaltige
Stärkung funktionstüchtiger, demokratischer, legitimer
Strukturen geht. Es ist also ein umfassender Ansatz, über
den wir hier reden.

Außenminister Steinmeier hat in seiner Rede in Mün-
chen zu Recht darauf hingewiesen, dass Deutschland be-
reit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen. Mali ist ein
Beispiel dafür, wo wir Verantwortung in einem umfas-
senden Sinne übernehmen. Ich glaube, es kann uns allen
miteinander nicht gleichgültig sein, wenn Staaten zerfal-
len und in die Hände extremistischer Kräfte gelangen.

Lassen Sie uns, meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen, darüber reden, was unser Beitrag zur Stabilisierung
dieser Region sein kann! Lassen Sie uns über die not-
wendigen politischen und entwicklungspolitischen, dip-
lomatischen und, wie in diesem Falle, bescheidenen mi-
litärischen Mittel reden! Lassen Sie uns dieses Mandat
verlängern und in die notwendige Diskussion darüber
eintreten, wie wir die krisenhaften Teile des afrikani-
schen Kontinents unterstützen können!

Ich bitte um Zustimmung und danke für die Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801717800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Christine Buchholz.


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801717900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit gro-

ßem Tamtam hat Angela Merkel gestern in Paris die
Ausweitung des Militäreinsatzes in Mali verkündet und
das auch noch als einen großen Beitrag zur deutsch-fran-
zösischen Freundschaft verkauft. Richtig ist: Frankreich
und Deutschland haben ein gemeinsames Ziel. Paris will
Einfluss in Afrika halten; die Bundesregierung will ihren
Einfluss vergrößern. Doch die Haushalte in beiden Län-
dern sind klamm. So macht man einen Deal: Paris hat
die Militärbasen und die Beziehungen zu den nicht sel-
ten korrupten Machthabern in Afrika; Berlin wird einge-
laden, Lasten zu übernehmen. Dafür darf die Bundes-
wehr im Huckepack in die Kriegsgebiete.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch nicht wirklich!)


Militärpartnerschaft ist nicht das, was wir Linke unter
der deutsch-französischen Freundschaft verstehen.


(Beifall bei der LINKEN)






Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)

Die militärische Ausbildungsmission der EU in Mali
geht an der Lösung der Probleme im Land vorbei:

Erstens. Die Ausbildungsmission ist von dem Kampf-
einsatz der französischen und der afrikanischen Truppen
nicht zu trennen. Die malischen Pioniere, Sanitäter und
nun auch bald Infanteriekräfte, die die Bundeswehr aus-
bildet, werden für den Krieg im Norden eingesetzt.

Zweitens. Man kann Terror nicht mit Krieg bekämp-
fen,


(Beifall bei der LINKEN)


im Gegenteil: Experten schätzen, dass von den circa
2 500 Aufständischen und Dschihadisten, die 2012 den
Norden kontrolliert haben, circa 1 500 getötet oder ver-
haftet worden sind, aber an die 1 000 sich in den Bergen
und in den Dörfern weiter versteckt halten. Sie sind also
nicht weg. Sie beantworten die entscheidende Frage
nicht: Was sind die wirtschaftlichen und sozialen Wur-
zeln des Widerstands und des Dschihadismus in Mali?
Warum hat der malische Staat so wenig Unterstützung in
weiten Gebieten des Nordens?

Die Menschen, die in die Nachbarländer geflohen
sind – 160 000 –, können nicht zurück. Medienberichten
zufolge genehmigt die malische Regierung ihnen nicht
die Rückkehr. Gestern mutmaßte der Vertreter des Aus-
wärtigen Amtes im Verteidigungsausschuss, warum. Er
sagte, die malische Regierung würde vor Angst, Auf-
ständische könnten in das Land zurückkehren, die Rück-
kehr der Flüchtlinge verzögern. Das zeigt doch nur, dass
Ihr Ansatz keine Lösung bietet.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Es hat bereits vor 2012 militärische Ausstat-
tungshilfe und Ausbildung durch die Bundeswehr gege-
ben, übrigens auch von Frankreich und den USA. Das
hat die Krise nicht verhindert. Vielmehr sind mit Unter-
stützung Frankreichs und der internationalen Gemein-
schaft die sozialen und politischen Kräfte gestärkt wor-
den, die vor 2012 das Sagen im Land hatten und damit
mitverantwortlich für die Entwicklung der letzten Jahre
sind.

Viertens. Wir sind gegen diesen Einsatz, weil das mi-
litärische Handeln nicht von den wirtschaftlichen Inte-
ressen zu trennen ist.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Jetzt hören Sie doch mal auf! Das ist einfach unerträglich!)


Mali – das müssen auch die Grünen zur Kenntnis neh-
men – ist der drittgrößte Goldproduzent in Afrika. Das
Land sitzt auf reichen Öl- und Gasvorkommen, und in
der Region gibt es Uranabbau. Der Bergbauminister
Boubou Cissé erklärte im September 2013, dass alle Ver-
träge zwischen Mali und den internationalen Bergbau-
konzernen sowie alle Lizenzen auf den Prüfstand kom-
men. Aber über wie viel Unabhängigkeit verfügt eine
Regierung, die zur Herstellung ihrer Macht in der Hand
jener Länder ist, aus denen die Bergbaukonzerne stam-
men?

(Dagmar Ziegler [SPD]: Was ist denn nun Ihr Vorschlag?)


Cissé erhielt sogleich Gegenwind: von Richard Zink,
dem Vertreter der Europäischen Union, aber auch von
dem Vertreter des Bergbauverbands in Mali, Abdoulaye
Pona. Die Revision der Bergbauverträge müsse im Inte-
resse der Investoren sein, sagte dieser. – Das ist definitiv
eine Position, die wir als Linke nicht teilen.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Welche Haltung haben Sie eigentlich?)


Lassen Sie mich eines sagen: Herr Arnold von der
SPD hat mir in der letzten Debatte vorgeworfen, es sei
eine Ungeheuerlichkeit, darauf hinzuweisen, dass die
Bundeswehr nicht nur die malische Armee trainiere,
sondern auch sich selbst.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Er hat recht! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mir zu viel! Das ist ja unerträglich!)


Bitte verkaufen Sie die Öffentlichkeit nicht für dumm!

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das machen Sie schon!)

Natürlich muss die Bundeswehr, wenn sie in mehr afri-
kanische Einsätze geschickt werden soll, dort Erfahrun-
gen sammeln, um fit zu werden.
Das ist der Effekt, der ja genau in Ihre außenpolitische
Strategie passt, eine Strategie, um im Rahmen von euro-
päischen und anderen multilateralen Einsätzen deutsche
Soldaten in die Welt zu schicken. Was mit Transport,
Ausbildung und Sanitätern beginnt, kann mit Kampfein-
sätzen enden. Wir halten diese Strategie für falsch. Des-
wegen werden wir auch heute gegen die Beteiligung an
EUTM Mali stimmen.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist doch eine Unterstellung! Sie arbeiten nur mit Unterstellungen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801718000

Es spricht jetzt der Kollege Dr. Andreas Nick, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1801718100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den Antrag der Bun-
desregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffne-
ter Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission
EUTM Mali, der heute erneut zur Beratung und zur end-
gültigen Beschlussfassung ansteht. Im Kern beschließen
wir die Verlängerung des Mandats bis zum 28. Februar
2015 und die Anhebung der Personalobergrenze von 180
auf bis zu 250 Einsatzkräfte. Lassen Sie mich noch ein-
mal betonen: Es handelt sich bei EUTM Mali ausdrück-
lich nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um eine Trai-
ningsmission.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das wissen alle!)






Dr. Andreas Nick


(A) (C)



(D)(B)

Schwerpunkt des Einsatzes bleibt die Pionierausbil-
dung für malische Soldatinnen und Soldaten. Bis Mai
2014 werden planmäßig vier Gefechtsverbände die Aus-
bildung durchlaufen haben. Einige dieser Verbände ha-
ben bereits erfolgreich zur Verbesserung der Sicherheits-
lage im Norden des Landes beigetragen.

Damit verbunden sind ebenso die Erweiterung um
Beratungsleistungen für das Verteidigungsministerium
und die Führungsstäbe in Mali wie notwendige Siche-
rungsmaßnahmen zum Schutz der Mission selbst. Im
Mittelpunkt des Mandats steht also ganz eindeutig die
Befähigung lokaler Sicherheitskräfte mit dem Ziel eines
langfristig stabilen Staates.

Teil des Mandats ist auch die sanitätsdienstliche Un-
terstützung der deutschen Einsatzkräfte und der beteilig-
ten malischen Streitkräfte. Dabei ist auch das Lazarettre-
giment 21 „Westerwald“ aus Rennerod in meinem
Wahlkreis als Leitverband für das fünfte Kontingent in
Mali vorgesehen, welches im August 2014 startet. Vor-
gänger dieses Verbandes waren bereits am allerersten
Auslandseinsatz der Bundeswehr überhaupt beteiligt,
nämlich im Jahre 1960 an der humanitären Hilfe nach
dem verheerenden Erdbeben von Agadir in Marokko,
ebenfalls auf dem afrikanischen Kontinent. Ich nutze
deshalb besonders gern die Gelegenheit, allen an der
Mission EUTM Mali beteiligten Soldatinnen und Solda-
ten der Bundeswehr herzlich für ihr Engagement und die
Mitwirkung an diesem wichtigen Einsatz zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Mission EUTM Mali ist ein gutes Beispiel dafür,
wie Deutschland seiner gewachsenen internationalen
Verantwortung gerecht wird.

Wir handeln hier erstens gemeinsam mit unseren Part-
nern in der Europäischen Union. Soldaten aus 23 euro-
päischen Ländern sind im Rahmen der Mission im Ein-
satz. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt ausdrücklich die
gestrige Entscheidung, in Mali die Deutsch-Französi-
sche Brigade erstmals auch im Rahmen einer EU-Mis-
sion einzusetzen.

Wir handeln zweitens auf Bitten der malischen Regie-
rung, die im Übrigen über den Rahmen des derzeitigen
Mandats hinaus auch die Ausbildung von weiteren vier
Gefechtsverbänden anstrebt. Darüber wird zu gegebener
Zeit zu entscheiden sein.

Wir handeln drittens im Rahmen eines Mandats der
Vereinten Nationen. Die EU-Mission erfolgt parallel zu
der VN-geführten Mission MINUSMA, deren Einsatz-
kräfte überwiegend von Soldaten afrikanischer Staaten
gestellt werden, insgesamt etwa 6 400 Soldaten.

Die Verteidigungsministerin hat vergangene Woche
auf das eindrucksvolle Beispiel des aus Ruanda stam-
menden Offiziers Jean Bosco Kazura verwiesen, der
1994 den Völkermord in seiner Heimat Ruanda – Ru-
anda ist übrigens das Partnerland meiner Heimat Rhein-
land-Pfalz – miterleben musste und der heute als Kom-
mandeur der VN-Mission MINUSMA in Mali aktiv ist.
Ich will unterstreichen: Wir unterstützen damit in
Mali auch die weitere Entwicklung regionaler Sicher-
heitsstrukturen, innerhalb derer die afrikanischen Staaten
selbst die vorrangige Verantwortung für Stabilität auf ih-
rem Kontinent übernehmen.

Die Entwicklung in Afrika kann uns nicht gleichgül-
tig sein. Das ist nicht nur eine Frage der humanitären
Verantwortung, sondern auch Ausdruck unseres wohl-
verstandenen Eigeninteresses.

Wir wollen in unserer europäischen Nachbarschaft Si-
cherheit, Stabilität und nachhaltige Entwicklung ermög-
lichen.

Unser Engagement muss eingebettet sein in das Ge-
samtkonzept einer Afrika-Strategie. Dabei müssen wirt-
schaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe, der
Aufbau staatlicher Strukturen und, wo nötig, militärische
Unterstützung Hand in Hand gehen. Ich freue mich, dass
der frühere Bundespräsident Horst Köhler mit seiner
großen Glaubwürdigkeit bei diesem Thema und mit sei-
ner persönlichen Leidenschaft für Afrika unsere Fraktion
bei der weiteren Entwicklung einer Afrika-Strategie un-
terstützen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Deutschland profitiert wie
kaum ein anderes Land auf der Welt von der offenen,
freien und sicheren Weltordnung. Es ist deshalb das
überragende strategische Interesse unseres Landes, diese
Ordnung zu bewahren und weiterzuentwickeln. Dazu
leisten wir auch mit der Mission EUTM Mali einen Bei-
trag. Deshalb bitte ich Sie um die Unterstützung des vor-
liegenden Antrages.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801718200

Kollege Nick, das war Ihre erste Rede in diesem

Hause. Auch Ihnen gratuliere ich im Namen aller Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall)


Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt
der Kollege Cem Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801718300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung eine öffentliche
Debatte über die Verantwortung und das internationale
Engagement Deutschlands angestoßen hat. Richtig ist
auch, dass die Bundesregierung eine neue Afrika-Strate-
gie entwickelt. Aber wenn Sie eine neue Afrika-Strate-
gie entwickeln wollen, dann müssen Sie uns, dem Hohen
Haus, auch die Ziele und vor allem die Interessen benen-
nen. Das gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu.

Ich habe eine herzliche Bitte: Wir dürfen die Debatte
– das gilt für die Befürworter, zu denen ich mich aus-
drücklich zähle, ebenso wie die Mehrheit unserer Frak-
tion, als auch die Gegner – nicht auf die militärischen





Cem Özdemir


(A)



(D)(B)

Mittel und die Militäreinsätze reduzieren. Aus dem um-
fassenden Werkzeugkasten der Außenpolitik darf eben
nicht immer nur der Hammer der militärischen Interven-
tion benutzt werden; manchmal brauchen wir auch den
Schraubenzieher oder den Lötkolben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu verantwortungsvollem Engagement gehören Di-
plomatie, Demokratieförderung, zivile Konfliktpräven-
tion, humanitäre Hilfe und schließlich die Entwicklungs-
zusammenarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Trainings- und Ausbildungsmission der EU in Mali
ist ein positives Beispiel dafür. Sie hat bislang einen hilf-
reichen Beitrag zur Stabilisierung geleistet und damit
auch mitgeholfen, den erneuten politischen Dialog und
den Versöhnungsprozess in Mali zu ermöglichen. Der
Aufbau des Sicherheitssektors in Mali ist noch längst
nicht abgeschlossen; das wissen wir. Wir wissen auch,
dass die Situation im Norden des Landes gerade für die
Zivilbevölkerung nach wie vor angespannt ist. Wir,
Bündnis 90/Die Grünen, werden mehrheitlich dem Man-
dat zustimmen, gerade weil dieses Mandat eine klare
Aufgabenbegrenzung für die deutschen Soldatinnen und
Soldaten vorsieht.

Frau Buchholz, die Argumente der Linken hätten
mehr Glaubwürdigkeit, wenn Sie sagen würden: Bei die-
sem Einsatz, den die UN, die Gemeinschaft afrikani-
scher Staaten, die Nachbarstaaten und die Menschen im
Land befürworten, sind auch wir dafür; bei anderen sind
wir dagegen. Dann wäre es spannend, Ihnen zuzuhören
und Argumente auszutauschen. Aber bei einer Fraktion,
die zu jedem Einsatz, egal was die Vereinten Nationen
sagen, prinzipiell Nein sagt,


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wir machen doch nicht dieselben Fehler wie die Grünen!)


lohnt es sich auch nicht, die Argumente anzuhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Denn dann ist das einfach Ideologie pur und hat mit den
Menschen vor Ort nichts zu tun. Ich bin nicht bei der
Linkspartei, sondern bei den Grünen, aber ich habe in
den linken Lehren Internationalismus anders gelernt. Es
geht um Internationalismus, nicht um Nationalismus,
meine Damen und Herren von der Linkspartei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sehe den Einsatz der Deutsch-Französischen Bri-
gade auch im Rahmen dieser Mission als einen Schritt
hin zu mehr Abstimmung in der Europäischen Union,
und die brauchen wir. Frau Ministerin, allerdings hätten
wir da noch eine Frage. Die Brigade ist ja bekannt als
eine schnelle Eingreiftruppe. Da würden wir gerne wis-
sen, was genau die konkrete Aufgabe dieser Brigade in
Mali sein soll.
Ich finde – das muss in einer solchen Debatte ehrlich
gesagt werden –, dass zu jedem Einsatz, also auch zu
diesem, eine Evaluierung durchgeführt werden muss.
Wir wollen wissen, wie viele Soldatinnen und Soldaten
in Mali konkret von der Bundeswehr ausgebildet worden
sind, und natürlich auch, wie der weitere Bedarf hin-
sichtlich der militärischen Kapazitäten der malischen
Armee ist. Es muss künftig zu jeder Debatte in diesem
Haus gehören, dass wir anschließend gemeinsam aus-
werten und ehrlich sagen, was richtig gelaufen ist, was
falsch gelaufen ist und wo möglicherweise Konsequen-
zen gezogen werden müssen.

Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
haben eine weitere Bitte an Sie. Vergessen Sie bitte
nicht: Der Demokratisierungsprozess in diesem Land ist
noch längst nicht abgeschlossen. Es stehen noch Kom-
munalwahlen an. Die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes in
Mali muss noch hergestellt werden. Der Versöhnungspro-
zess im Land muss endlich in Gang gebracht werden. Bei
diesen Aufgaben muss die Bundesrepublik Deutschland
mindestens dasselbe Engagement zeigen wie bei der
Ausbildungsmission.

Schließlich müssen wir uns um die Flüchtlinge küm-
mern. Es handelt sich um mehr als eine halbe Million
Menschen, wenn wir die Binnenvertriebenen mitzählen.
Dies birgt ein hohes Störpotenzial für die Region und
kann die Region destabilisieren. Auch hier sind wir ge-
fordert. Darum wünsche ich, dass wir auch zur humani-
tären Hilfe aktiv beitragen. Die Vereinten Nationen ha-
ben uns als Bedarf 6,73 Prozent der entsprechenden
Hilfe mitgeteilt. Es wird Zeit, dass wir unseren Beitrag
leisten und uns nicht hinter anderen verstecken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Wir brauchen eine strategi-
sche Koordination der Maßnahmen unter Einbeziehung
der Zivilgesellschaft in Mali. Das betrifft insbesondere
die Frauen, weil vor allem sie über die Zukunft des Lan-
des entscheiden werden. Wir brauchen ausdrücklich eine
Einbeziehung der Nachbarländer – ich nenne nur Alge-
rien und Mauretanien –; ohne sie gibt es keine Friedens-
lösung. Frau Ministerin, wir wollen auch, dass die Trai-
nings- und Ausbildungsmission der EU in die Afrika-
Strategie eingebunden wird. Was wir im Land brauchen,
ist Ernährungssicherheit, Demokratisierung, Bestärkung
der Rolle der Frauen und Korruptionsbekämpfung.

Wir stimmen diesem Einsatz zu. Das ist unser Bei-
trag, unsere Verantwortung gegenüber Mali. Das machen
wir auch aus der Opposition heraus; denn wenn etwas
gemacht wird, was richtig ist, dann fällt uns kein Zacken
aus der Krone, das auch zu sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801718400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabi Weber, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


(C)







(A) (C)



(D)(B)


Gabi Weber (SPD):
Rede ID: ID1801718500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen

und Kolleginnen! Es ist schön: Ich bin schon die vierte
Rednerin, die sich darüber freut, dass erstmals Teile der
Deutsch-Französischen Brigade im Rahmen des deut-
schen Kontingents an einer EU-Mission beteiligt wer-
den.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die ist doch schon da! Die haben wir gerade besucht!)


Wenn wir in der Welt mit einer starken europäischen
Stimme wahrgenommen werden wollen, dann dadurch,
dass dies nicht nur ein symbolischer Ansatz ist, sondern
ein erster Schritt zu einer wirklich gemeinsamen euro-
päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Wir verlängern heute das Mandat für die Bundeswehr
in Mali – hoffentlich. Unsere Bundeswehrsoldaten und
-soldatinnen bilden dort malische Streitkräfte aus. Bisher
liegt die personelle Grenze bei 180 Soldatinnen und Sol-
daten; mit dem neuen Mandat wird diese Zahl um 70 auf
dann 250 Einsatzkräfte erhöht. Von einer Invasion Afri-
kas, wie es in den vergangenen Tagen einige Male an-
klang, kann also absolut keine Rede sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Gegenteil: Wir werden im Verbund mit den europäi-
schen Partnern auch weiterhin auf Bitten der malischen
Regierung im Land sein.

Völkerrechtliche Grundlage dafür ist ein einstimmi-
ger Beschluss des UN-Sicherheitsrates, letztmalig erneu-
ert im vergangenen April. Darin verurteilt der Sicher-
heitsrat die von terroristischen, extremistischen und
bewaffneten Gruppen geführte Offensive gegen den Sü-
den Malis. Dort wird betont – ich zitiere –, „dass der Ter-
rorismus nur durch einen nachhaltigen und umfassenden
Ansatz besiegt werden kann, bei dem alle Staaten und
die regionalen und internationalen Organisationen sich
aktiv beteiligen und zusammenarbeiten, um die terroris-
tische Bedrohung einzudämmen, zu schwächen und zu
isolieren“.

Frankreich hat letztes Jahr schnell reagiert und die
Offensive rasch zurückgedrängt. Die Existenz und Ein-
heit des malischen Staates standen auf dem Spiel. Die
Wahrscheinlichkeit, dass der Staat Mali zusammenbrach,
war hoch. Diese Gefahr ist bis heute nicht ganz gebannt.
Die Kolleginnen und Kollegen aus der Entwicklungszu-
sammenarbeit, aber auch viele andere Fachleute wissen,
wie schwer es ist, ein funktionierendes Staatswesen wie-
der aufzubauen, wenn es einmal zerstört wurde. Dafür ist
Afghanistan zurzeit sicher ein schlimmes und tragisches
Beispiel.

Was tun wir nun in Mali? Und was bedeutet dies für
uns? Ganz sicher keine Kampfeinsätze. Nein, seit letz-
tem Jahr beteiligt sich Deutschland im Rahmen der EU
und als Teil des internationalen Engagements – das be-
tone ich noch einmal – an der Ausbildung der malischen
Armee. Wenn wir eines aus Afghanistan gelernt haben,
dann dass wir nicht früh genug mit der Ausbildung der
einheimischen Sicherheitskräfte beginnen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ziel der Ausbildung ist es, dass der malische Staat
selbst für Sicherheit und Stabilität innerhalb seiner Gren-
zen sorgen kann. Das Motto lautet ganz unspektakulär:
Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei können wir aber nicht stehen
bleiben. Durch unsere Beteiligung an der militärischen
Ausbildung kommt uns auch eine Verantwortung gegen-
über dem Land und den Menschen zu. Dieser werden
wir uns mit mittel- und langfristigen Maßnahmen im
wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Bereich
stellen. Ein Beispiel für die zivil-militärische Zusam-
menarbeit könnte ein Beitrag der Bundeswehr zur Ge-
sundheitsversorgung der Bevölkerung sein.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Um Gottes willen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Malis neue Regie-
rung nimmt bereits die Verantwortung in die eigenen
Hände. Eine wichtige Aufgabe ist dabei, den Versöhnungs-
prozess im Land zu unterstützen. Bildung ist ebenfalls eine
Riesenherausforderung. Bildung fördert Deutschland
über seine Beiträge an die EU und bilateral bei der Leh-
rerausbildung für benachteiligte Kinder.

Im Bereich der Wasserversorgung kooperieren wir
verstärkt mit Mali, insbesondere auch im ländlichen Be-
reich. Wasser ist die Basis für Landwirtschaft und Le-
ben. Bei über 500 000 Flüchtlingen brauche ich nicht
weiter auszuführen, welche humanitäre Katastrophe
potenziell droht, wenn wir hier unser Engagement zu-
rückfahren würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die
demnächst anstehenden Haushaltsdebatten möchte ich
abschließend darauf hinweisen, dass wir langfristig un-
ser entwicklungspolitisches Engagement erhöhen müs-
sen. Mit militärischer Ausbildung allein ist es dort nicht
getan. Auch deshalb ist es wichtig, die Mission jetzt zu
verlängern und darüber hinaus die Anstrengungen im
Entwicklungsbereich nicht zu vernachlässigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801718600

Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Michael

Vietz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1801718700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mali steht vor einer wahren Herkulesaufgabe:
Sicherheit, Stabilität, Frieden. Leicht gesagt, schwer in
der Umsetzung; gerade aufgrund der komplexen Situa-
tion vor Ort. Bei dieser Aufgabe stehen wir und unsere
Partner an der Seite der Republik Mali. Mit einem ver-
größerten Kontingent in der EU-Ausbildungsmission





Michael Vietz


(A) (C)



(D)(B)

wollen wir auch weiterhin an der Seite der Bevölkerung
und zu unserer Verantwortung stehen. Lassen Sie mich
an dieser Stelle, anschließend an meine Kollegen, einen
herzlichen Dank an alle ausrichten, die für uns in Mali
unterwegs sind und ihre Aufgaben im Dienste unseres
Landes treu erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Mission basiert auf dem Ersuchen der mali-
schen Regierung, auf Beschlüssen der Europäischen
Union und Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Wir
sind Teil einer verantwortungsbewussten Gemeinschaft.
Deutschland ist ein verlässlicher Partner innerhalb der
EU und der Vereinten Nationen. Aus dieser Partner-
schaft ergibt sich eben auch eine sichtbare und aktive
Rolle. Wie diese Rolle dann mit Leben und Charakter
gefüllt wird, liegt in unserem Ermessen, wird jeweils im
Einzelfall geprüft und letzten Endes richtigerweise hier
von uns im Bundestag entschieden.

In den letzten Wochen wurde leidenschaftlich und
vielfältig über die drei Münchner Reden diskutiert. So-
wohl im Ausland als auch von Teilen dieses Hauses wur-
den diese geradezu reflexhaft mit „mehr deutsche Solda-
ten an die Front“ gleichgesetzt. Pawlow wäre begeistert
gewesen. Diese Reflexe sagen aber im Regelfall deutlich
mehr über die jeweiligen Interpreten aus als über die
Realität und die tatsächliche Außenpolitik Deutschlands.
Da mag der Wunsch Vater des Gedankens gewesen sein.

Lassen Sie uns daran erinnern: 2012 – das ist gar
nicht so lange her – stand Mali kurz davor, zu zerreißen
und zur Beute islamistischer Terroristen gemacht zu
werden. Nachdem Frankreich dies durch sein Eingreifen
verhindert und erst einmal grundlegend für Stabilität ge-
sorgt hat, gilt es nun Mali zu ertüchtigen, damit es wie-
der selbst für Sicherheit, Stabilität und Frieden in seinen
Grenzen sorgen kann,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


getreu dem Grundsatz: Hilfe zur Selbsthilfe. Je sicherer
und stabiler die Region ist, desto effektiver gestaltet sich
der Wiederaufbau staatlicher und ziviler Strukturen.

Nach einem guten Jahr ist in Mali noch lange nicht al-
les gut, aber es ist deutlich besser als zu Beginn, mit gu-
ten Prognosen für die zukünftige Entwicklung. Die Al-
ternative wären eskalierende Konflikte und ein blutiger
Bürgerkrieg gewesen. Sicherheit, Stabilität und Frieden
sind Grundvoraussetzungen für eine anhaltende stabile
Entwicklung der Region, damit humanitäre Nothilfe wir-
ken kann, Entwicklungszusammenarbeit Früchte trägt
und der Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft
gelingt, damit das volle Instrumentarium unserer Außen-
politik – von Entwicklungshilfe über wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und alle diplomatischen Wege, die wir ha-
ben – wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden kann.
Idealerweise wird dieser Dreiklang aus Sicherheit, Stabi-
lität und Frieden von Mali selbst gewährleistet.

Es sollte im Grunde für jeden einsichtig und verständ-
lich sein, dass die Menschen Perspektiven vor Ort brau-
chen, um sich eine Zukunft aufzubauen, um aus eigener
Kraft aus der Armutsspirale auszubrechen, um einen
wie auch immer gearteten bescheidenen Wohlstand zu
erlangen, um nicht letzten Endes als Flüchtlinge auf
dem Mittelmeer ihr Leben zu riskieren, aber auch, damit
die Region nicht zum Rückzugsort für internationalen
Terrorismus wird. Das liegt sowohl in unserem ureigens-
ten Interesse wie auch in dem unserer Partner und der
malischen Bevölkerung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das bisher Erreichte darf nicht leichtfertig aufs Spiel
gesetzt werden. Alle Beteiligten in der Region leisten
Außergewöhnliches und sind doch immer wieder mit
Rückschlägen konfrontiert. Mali ist immer noch unsi-
cheres Terrain. Jüngstes Beispiel ist die Entführung von
fünf Mitarbeitern des Roten Kreuzes, die seit Anfang Fe-
bruar vermisst werden. Mittlerweile hat sich eine isla-
mistische Gruppe zu der Entführung bekannt; die Suche
nach den Entführten ist bislang erfolglos. Solche Mel-
dungen schockieren, gerade wenn wir sehen, in welchem
Ausmaß Mali auf Unterstützung angewiesen ist.

Es sollte unstrittig sein, dass für den Einsatz von hu-
manitärer Hilfe und den Quasineustart des Staates etwas
getan werden muss, damit Institutionen, NGOs und de-
ren Mitarbeiter ihren Job machen können. Auch deren
Arbeit gedeiht am besten, wenn Sicherheit, Stabilität und
Frieden langfristig durch Mali selbst gewährleistet wer-
den. Dazu gehört, weitere Gräueltaten an der Zivilbevöl-
kerung zu verhindern und die systematische Zerstörung
von Kulturgütern, wie etwa in Timbuktu, zu stoppen.

Konfliktpotenzial birgt dabei nicht allein der Nord-
Süd-Konflikt, sondern auch die grundlegende Zerrüttung
der Zivilgesellschaft. Jahre der Korruption und der
Machtkämpfe um Einnahmen aus Drogenschmuggel,
Waffen- und Menschenhandel haben ihren Teil zu dem
Konflikt beigetragen. Hier muss die strukturelle Aufbau-
hilfe ansetzen.

Es liegt meines Erachtens auf der Hand, dass Pläne
für eine positive wirtschaftliche Entwicklung und eine
Genesung Malis erst dann greifen können, wenn die Ge-
walt beigelegt ist, wenn die malischen Streitkräfte dies
aus eigener Kraft gewährleisten können.


(Zuruf von der LINKEN: Ja, genau!)


Hierauf liegt nach wie vor der Fokus der internationalen
Gemeinschaft. Derzeit brauchen die malischen Streit-
kräfte einfach noch Unterstützung, um in ihrem eigenen
Land langfristig selbst für Sicherheit, Stabilität und Frie-
den sorgen sowie dem Terrorismus Einhalt gebieten zu
können.

Es fehlt derzeit noch stark an Training, Logistik, Aus-
rüstung und Erfahrung. Diese Lücke schließt die Ausbil-
dungsmission, an der wir uns beteiligen. Darum ist die
Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung ein rich-
tiger und wichtiger Schritt im Sinne einer verantwor-
tungsvollen Außenpolitik.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801718800

Vielen Dank. Herr Kollege Vietz, das war heute Ihre

erste Rede im Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen
aller. Als vorletzter Redner vor einer namentlichen Ab-
stimmung zu reden, ist eine besondere Herausforderung.
Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall)


Letzter Redner in der Debatte ist jetzt der Kollege
Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1801718900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vieles ist schon gesagt worden. Vermutlich
werde ich manches wiederholen, aber das lässt sich als
letzter Redner zu einem Thema, über das so große Einig-
keit herrscht, nicht ganz vermeiden. Im Zweifel gelingt
es vielleicht doch noch, den ein oder anderen von der
Fraktion Die Linke zu überzeugen, dem Einsatz zuzu-
stimmen.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein, die sollen gar nicht mitstimmen!)


Wir geben die Hoffnung nie auf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Januar 2013 hat sich Frankreich entschlossen, die
malischen Truppen im Kampf gegen islamistische Ein-
heiten im Norden zu unterstützen. So konnte in letzter
Minute ein Vordringen der Rebellengruppen, die für
Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden verant-
wortlich sind, in die Hauptstadt Bamako verhindert wer-
den. Deutschland unterstützt Frankreich im Rahmen der
EU-Mission durch Ausbildung und Beratung der mali-
schen Armee sowie im Rahmen der UN-Friedensmission
MINUSMA durch Transportflugzeuge.

Das Mali-Mandat kann als ausgesprochen erfolgreich
bewertet werden. Ausbildung und Beratung tragen
Früchte. Die Lage in Mali insgesamt hat sich vergleichs-
weise beruhigt. Unser Engagement im militärischen Be-
reich beinhaltet die Ausbildung von Sicherheitskräften.
Sie sollen in die Lage versetzt werden, selbst dauerhaft
für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Das ist ein wich-
tiger Teil unseres vernetzten Ansatzes, der auch den
Aufbau von staatlichen und demokratischen Strukturen
sowie wirtschaftliche Entwicklung beinhaltet.

Im Zuge der Verlängerung des Mandats wollen wir
die Mandatsobergrenze um 70 auf 250 Soldatinnen und
Soldaten erhöhen. Dies ist meiner Ansicht nach richtig
und verhältnismäßig, wobei wir im Blick behalten müs-
sen, dass die Zahl Französisch sprechender Soldaten in
der Bundeswehr begrenzt ist. Deshalb ist es gut, dass
gestern in Paris der Einsatz der Deutsch-Französischen
Brigade vereinbart wurde.

Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unseren Ein-
satz in Mali verlängern, um militärische Strukturen auf-
zubauen, die nachhaltig und selbstständig funktionieren.
Auch wenn wir das Mandat immer nur um ein Jahr ver-
längern, sollten wir dafür sorgen, die Infrastruktur für
unsere Soldaten deutlich zu verbessern und auf ein län-
geres Engagement auszurichten.

Der Einsatz in Mali zeigt, dass wir bereits erfolgreich
Verantwortung in Afrika übernehmen. Aber die Verant-
wortung besteht nicht allein in der Bereitstellung von
Militär oder Kampftruppen. Es gibt weitere Krisenregio-
nen in Afrika, die uns bereits beschäftigen oder noch be-
schäftigen werden.

Ich bin der Meinung, dass wir insgesamt unser Au-
genmerk verstärkt auf den Kontinent Afrika richten müs-
sen. Die CDU/CSU-Fraktion wird zu diesem Thema ei-
nen eigenen Kongress durchführen; denn Afrika muss
differenziert betrachtet werden, als Kontinent, der sehr
pluralistisch und heterogen ist.

Wann immer es um einen erneuten Einsatz oder mehr
Engagement geht, sollten wir intensiver als bisher fol-
gende Fragen beantworten: Welche Interessen leiten uns
in Deutschland oder Europa? Was wollen wir in wel-
chem Zeitraum erreichen? Können wir das überhaupt er-
reichen? Wie wollen wir das erreichen? Welche Instru-
mente wollen wir einsetzen? Haben wir dafür überhaupt
ausreichende Ressourcen? Das gilt gerade für den Be-
reich Personal. Wir wissen beispielsweise, dass die Ein-
satzbelastung in Teilbereichen der Bundeswehr schon
jetzt sehr hoch und manchmal auch grenzwertig ist. Wir,
das Parlament, wollen zusammen mit der Regierung
Antworten auf diese Fragen erarbeiten, bevor wir neue
Einsätze bestreiten. Auf diesen Prozess freue ich mich.
Er setzt viel Bereitschaft zu Transparenz und Kommuni-
kation bei allen Seiten voraus.

Abschließend möchte ich allen deutschen Sicherheits-
und Hilfskräften speziell in Mali für ihren Einsatz dan-
ken und alles Gute, Erfolg und Gottes Segen wünschen.
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Mandat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801719000

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 18/603 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission
EUTM Mali.

Zu dieser Abstimmung liegen drei Erklärungen ge-
mäß § 31 unserer Geschäftsordnung schriftlich vor.1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 18/437 anzunehmen.
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich
ab. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-
ten, ihren Platz einzunehmen. – Sind die Plätze an den
Urnen besetzt? – Das ist noch nicht der Fall. – Jetzt sind
alle Plätze besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.

1) Anlage 7





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/610. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der Grünen mit
den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.

Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zu der Abgabe einer Regierungserklärung
durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am
19. und 20. Dezember 2013 in Brüssel. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/531, den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/196 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU-
und SPD-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unabhängige Patientenberatung stärken und
ausbauen

Drucksache 18/574
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Die Aussprache eröffnet die Kollegin Maria Klein-
Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Präsidentin und – gerade bei diesem Thema – ehemalige
Gesundheitsministerin! Wir bringen an dieser Stelle als
Grüne den Antrag „Unabhängige Patientenberatung stär-
ken und ausbauen“ ein. Warum tun wir das? Seit dem
Jahr 2000 gibt es in Deutschland eine unabhängige Pa-
tientenberatung, gefördert mit Mitteln der GKV, auf den
Weg gebracht durch die damalige rot-grüne Regierung,
und zwar als Modellprojekt mit einer zehnjährigen Mo-
dellphase, die dann mit den Stimmen aller Fraktionen in
diesem Parlament 2011 als Regelaufgabe im Sozialge-
setzbuch verankert worden ist.

1) Ergebnis Seite 1303 C
Diese Entscheidung haben tatsächlich alle Fraktionen
hier im Bundestag begrüßt, wenngleich man sagen muss:
Die FDP musste vonseiten der Union durchaus zum
Jagen getragen werden. Das ist vielleicht auch einer der
Gründe, warum das Potenzial der unabhängigen Patien-
tenberatung nicht so entfaltet werden konnte, wie es
nach dieser Modellphase vielleicht möglich und nötig
gewesen wäre.

Gleichwohl kann man sagen: Nach einer Ausschrei-
bungsphase und dem Zuschlag hat dann die neue UPD
2011 ihren Betrieb aufgenommen. Wir müssen sagen:
Wir blicken heute auf eine echte Erfolgsgeschichte
zurück. Es hat sich gezeigt, dass viele Patientinnen und
Patienten sowohl telefonisch als auch persönlich diese
Beratungsstellen, bundesweit das gesamte Netz, in An-
spruch nehmen. Sie suchen neutrale und gut informierte
Beratung bei medizinischen Fragen, bei psychosozialen
Fragen und bei rechtlichen Fragen. Es geht also im Kern
um die Wahrnehmung sozialer Bürgerrechte, die Patien-
tinnen und Patienten zustehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr häufig geht es an dieser Stelle um die Leistungsent-
scheidungen der Krankenkassen, aber es geht natürlich
auch um das gesamte Versorgungsgeschehen im medizi-
nischen Bereich.

Gleichzeitig ist verankert worden, dass die Beratungs-
stellen der UPD eine Art Seismograf sind, um Verände-
rungsbedarf im Gesundheitswesen gerade bezogen auf
die Patienten anzuzeigen und uns als Politik hilfreiche
Tipps zu geben: Wo müssen wir gegensteuern? Wo müs-
sen wir darauf achten, dass die Versorgung besser und
patientengerechter wird? Wo müssen wir als Politik die
entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen?

Meine Damen und Herren, wir müssen an dieser
Stelle doch alle das Interesse haben, das, was wir über
viele Jahre aufgebaut und zum Erfolg geführt haben,
durch passende und zielführende gesetzliche Rahmenbe-
dingungen zu erhalten und auszubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das genau wollen wir mit unserem Antrag erreichen.

Warum bringen wir den Antrag jetzt ein? Derzeit läuft
die Vorbereitungsphase der Ausschreibung für den
neuen Vertragszeitraum. Wir wissen durch die Begleit-
forschung und durch die Rechenschaftsberichte, welche
Dinge wir verändern müssen, und sollten jetzt zumindest
die Chance ergreifen, das anzugehen. Dabei geht es um
den Ausbau der Beratungsstellen, es geht um die Verlän-
gerung der Vertragslaufzeiten, und es geht um die Stär-
kung der Unabhängigkeit.

Zum ersten Punkt. Wir haben derzeit 21 Beratungs-
stellen im gesamten Bundesgebiet. Das heißt übersetzt:
In Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, ha-
ben wir drei Beratungsstellen. Daran sieht man: Die
Ausstattung ist nicht besonders fürstlich. Wir meinen,
wir müssen von heute 21 Beratungsstellen auf eine Ziel-
marke von 31 kommen. Das entspricht in etwa einer Re-
lation von 2,5 Millionen Versicherten zu einer Bera-
tungsstelle.





Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)

Weiterhin können wir sagen: Durch die enorme Inan-
spruchnahme haben wir leider den Zustand, dass viele
dieser Beratungsstellen telefonisch kaum noch erreich-
bar sind. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass nur
noch 42 Prozent der Anrufenden direkt durchkommen
können. Das ist ein zentrales Indiz dafür, dass wir jetzt
tätig werden müssen, die Anzahl der Beratungsstellen
auszubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens geht es darum, sich noch einmal die Ver-
tragslaufzeiten anzuschauen. Vergegenwärtigen Sie sich
einmal: 2011 ist der Zuschlag erteilt worden; heute,
2014, denken wir schon wieder über die neue Ausschrei-
bung nach. Das zeigt ganz deutlich: Wir müssen die Ver-
tragszeiträume verlängern. Wir schlagen vor, sie von
derzeit fünf auf zehn Jahre zu verlängern. Für das Funk-
tionieren der Beratungsstellen sind ein enormer Ent-
wicklungsaufwand und eine enorme Qualifizierung not-
wendig. Das sollten wir nicht durch zu enge
Vertragslaufzeiten gefährden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens müssen wir die Unabhängigkeit stärken. Es
ist ja nicht ohne Grund so, dass wir keine Gewinnorien-
tierung haben, dass es um kostenfreie und unabhängige
Beratung geht. Wir müssen sicherstellen, dass die Trä-
gerschaft diese Unabhängigkeit tatsächlich unterstützt.
Derzeit ist der GKV-Spitzenverband zuständig. Wir mei-
nen, das ist nicht die richtige Adresse, um zum Beispiel
das jetzt laufende Ausschreibungsverfahren zu beglei-
ten. Immerhin werden in 50 Prozent der Beratungsfälle
Leistungsprobleme, beispielsweise der Krankenkassen,
angesprochen. Daran können wir ganz klar sehen: Hier
gibt es ein Spannungs- bzw. Konfliktfeld. Das sollten
wir ausräumen, indem wir die Trägerschaft neu ordnen
und sie einer wirklich unabhängigen Stelle, beispiels-
weise dem Bundesversicherungsamt, übertragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All diese Punkte sind geeignet, den Charakter der un-
abhängigen Beratungsstellen weiter zu profilieren, das
Angebot auszuweiten, in die verschiedenen Bevölke-
rungsgruppen weiter hineinzureichen und gleichzeitig si-
cherzustellen, dass unser Gesundheitswesen den Patien-
ten dient und den Wünschen der Patienten durch
unabhängige Beratung und Hilfe gerecht wird. Im Koali-
tionsvertrag haben Sie dazu, wie wir meinen, durchaus
den einen oder anderen richtigen Schritt formuliert. Bitte
schauen Sie sich unseren Vorschlag im weiteren Bera-
tungsverfahren ergebnisoffen an.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801719100

Vielen Dank. – Bevor ich dem Kollegen Reiner

Meier, CDU/CSU-Fraktion, das Wort erteile, möchte ich
Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
– Drucksachen 18/437 und 18/603 – bekannt geben: ab-
gegebene Stimmen 591. Mit Ja haben gestimmt 526, mit
Nein haben gestimmt 61, Enthaltungen 4. Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon

ja: 525
nein: 61
enthalten: 4

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Dr. Matthias Zimmer

SPD

Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Peter Meiwald
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Dr. Harald Terpe
Dr. Julia Verlinden





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Jetzt hat der Kollege Reiner Meier das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1801719200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das System der Gesundheitsversorgung in Deutschland
gehört zu den besten und leistungsfähigsten Systemen
weltweit. Gleichzeitig hatten die Patienten in unserem
Land noch nie so viele verbriefte Rechte wie heute. Fast
auf den Tag genau vor einem Jahr ist das Patientenrech-
tegesetz in Kraft getreten und hat die Grundlage dafür
geschaffen, dass der Patient gleichberechtigter Partner
im Gesundheitssystem geworden ist. Dabei ist gelungen,
was im Gesundheitswesen selten genug passiert, näm-
lich dass eine für alle Akteure tragbare Lösung herausge-
kommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Stichworte hierzu heißen „Transparenz“ und
„Rechtssicherheit“. Zum ersten Mal in seiner über 100-
jährigen Geschichte gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch
eine klare gesetzliche Regelung des medizinischen Be-
handlungsrechts. Die Zeiten des kunstvollen, aber unge-
schriebenen Richterrechts sind jetzt vorbei.

Wer zum Arzt geht, hat ein Recht darauf, alles zu er-
fahren, was für die Behandlung relevant ist. Das beginnt
bei der Diagnose und geht über die Folgen und Risiken
der Behandlung bis hin zu alternativen Heilungsmög-
lichkeiten.

Die Kosten sind transparenter geworden; denn der
Arzt muss bei individuellen Gesundheitsleistungen den
Patienten vorher aufklären und informieren, wie viel er
zuzahlen muss.

Es gibt jetzt klare gesetzliche Maßstäbe für die ärztli-
che Dokumentation; gleichzeitig hat der Patient grund-
sätzlich das Recht, seine Patientenakte jederzeit einzuse-
hen.

Bei Behandlungsfehlern ist das oberste Ziel die Ge-
sundheit des Patienten. Meine Damen und Herren, auch
im medizinischen Bereich passieren – leider – Fehler,
ganz einfach weil hier Menschen am Werke sind. Heute
kann jedoch ein Arzt Behandlungsfehler gegenüber dem
Patienten zugeben und korrigieren, ohne gleich befürch-
ten zu müssen, strafrechtlich belangt zu werden.

Diese neue Fehlerkultur gilt auch im stationären Be-
reich. Neben einem verpflichtenden Beschwerdema-
nagement gibt es eine Förderung für Fehlermeldesys-
teme in Kliniken. Auch da gilt: Fehler werden wir nie
verhindern können; aber wir können aus Fehlern lernen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie Sie sehen, hat es etliche Verbesserungen für die
Patienten gegeben, und das ist gut und richtig. Wir wis-
sen aber auch, dass viele Menschen Fragen zu den Vor-
gängen im Gesundheitswesen haben. Sie wollen zum
Beispiel mehr zur Behandlung, zu Kassenleistungen, zu
ihren Rechten als Patienten wissen. Dabei brauchen sie
Unterstützung und Beratung. Genau deshalb haben wir
die Unabhängige Patientenberatung von Anfang an un-
terstützt und konsequent weiterentwickelt. Es war näm-
lich zu Zeiten der christlich-liberalen Bundesregierung
im Jahr 2011, als aus dem Modellversuch „Patientenbe-
ratung“ eine Regelleistung gemacht wurde. Das sollten
wir auch nicht vergessen, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die UPD leistet seitdem einen wichtigen Beitrag dazu,
das Leitbild des mündigen und selbstbestimmten Patien-
ten Schritt für Schritt zu verwirklichen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Ge-
legenheit nutzen, um eine Lanze für die vielen engagier-
ten Mitarbeiter der Unabhängigen Patientenberatung zu
brechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist ihre Arbeit, die von den Patienten zu Recht so gut
angenommen wird. Dafür gebührt ihnen unser aller
Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem
vorliegenden Antrag fordern Sie den kontinuierlichen
Ausbau der UPD. Ich gestehe, da sind wir gar nicht weit
auseinander.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prima!)


Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass es die UPD
in der heutigen Form gerade einmal drei Jahre gibt. Las-
sen Sie uns doch erst einmal abwarten, wo sich der Bera-
tungsbedarf einpendelt, bevor wir am Geldhahn der Ver-
sicherten drehen.

Wir sind uns darin einig, dass wir gezielt auf jene
Menschen zugehen müssen, die besondere Unterstüt-
zung brauchen. Die UPD hat darauf hingewiesen, dass
vor allem ältere Menschen, Menschen mit geringen fi-
nanziellen Ressourcen und Bürger mit Migrationshinter-
grund besonderen Beratungsbedarf haben. Dem gerecht
zu werden werden wir uns selbstverständlich bemühen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich freue mich an dieser Stelle übrigens ganz besonders
darüber, dass Sie das Motto der CSU „Näher am Men-
schen“ so gut verinnerlicht haben.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir schon länger!)


Ihre Forderung, die Zahl der Beratungsstellen von 22
auf 31 Büros auszubauen, halte ich dennoch für verfrüht.
Natürlich liest sich das auf dem Papier zunächst gut,
aber auch wenn Sie den Antrag dreimal einbringen, wird
er dadurch nicht stichhaltiger.





Reiner Meier


(A) (C)



(D)(B)


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal stichhaltig etwas dagegen!)


Bei den allermeisten Patienten ist völlig unklar, ob am
Ende eine spürbare Verbesserung erreicht wird. Nach
den aktuellen Zahlen der UPD wählen etwa 80 Prozent
der Ratsuchenden das Telefon als Beratungsmedium. Sie
selbst schreiben, dass von allen Anrufern bei der UPD
– Sie sagten das vorhin auch – nur noch durchschnittlich
42 Prozent tatsächlich eine Beratung bekommen. Der
Rest – immerhin 58 Prozent der Anrufer – bleibt in der
Wartschleife hängen. Das ist ein Anstieg um 24 Prozent-
punkte seit 2010. Da müssen wir, glaube ich, ansetzen.
Das Geld sollte dorthin, wo es am meisten hilft, nämlich
zur Telefonberatung.

Lassen Sie uns an dieser Stelle nicht vergessen, dass
auch andere Stellen viel Gutes in der Patientenberatung
leisten. Ich denke dabei in erster Linie an die Ärzte, aber
auch an die freien Beratungsstellen, die zum Teil ehren-
amtlich arbeiten. Auch das muss in dieser Diskussion
einmal gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die bewährte Fi-
nanzierungsstruktur der UPD umzubauen. Das über-
zeugt mich, ehrlich gesagt, nicht. Ihnen schwebt doch
nichts anderes vor als eine gesetzlich verordnete
Zwangsfinanzierung durch die Krankenkassen. Wie Sie
das schaffen wollen, dazu steht in Ihrem Antrag aller-
dings keine Silbe. Private Krankenversicherungen kön-
nen Sie nämlich nicht einfach zur Gewährung einer ent-
sprechenden Regelleistung zwingen.

Sie begründen das alles mit Konfliktpotenzial, mit
möglicher Beeinflussung, mit angeblich fehlender Neu-
tralität. Ich sage Ihnen: Die Behauptung allein ist zu we-
nig. Schon heute ist es den Kassen gesetzlich verboten,
die Beratung der UPD inhaltlich oder dem Umfang nach
zu beeinflussen. Mir liegen keine Anhaltspunkte dafür
vor, dass sich die Krankenkassen in die Beratungstätig-
keit der UPD inhaltlich einmischen würden. Ebenso we-
nig gibt es übrigens belastbare Hinweise darauf, dass sie
ihren Finanzierungsaufgaben nicht nachkämen. Bevor
ich bereit bin, die organisatorische Konstruktion der
UPD anzutasten, erwarte ich von Ihnen mehr als bloße
Behauptungen und Mutmaßungen, ganz besonders dann,
wenn ein Verstoß gegen ein Gesetz im Raum steht.

Wir haben vor drei Jahren das Modell zur Regel ge-
macht und stehen selbstverständlich weiterhin unabding-
bar hinter der Unabhängigen Patientenberatung. Ein
weiterer Garant für die Unabhängigkeit der UPD ist der
Patienten- und Pflegebeauftragte der Bundesregierung,
Karl-Josef Laumann.

Die Patientenberatung ist aber auch ein lernendes
System. Dazu gehört, das System auch lernen zu lassen
und nicht voreilig und unüberlegt daran herumzubasteln.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
– damit möchte ich auch schließen – in den letzten Jah-
ren viel für die Patienten erreicht. Wo es sinnvoll ist,
sind wir auch immer für Gespräche offen.

Ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein kranker
nur einen Wunsch. Ich wünsche Ihnen und uns allen,
dass wir viele Wünsche haben. Aber deswegen ist der
Deutsche Bundestag noch lange kein Wunschkonzert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801719300

Vielen Dank. – Das war Ihre erste Rede. Herzlichen

Glückwunsch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
dazu!


(Beifall)


Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801719400

Lieber Herr Kollege Meier, auch ich gratuliere Ihnen

zu Ihrer ersten Rede hier im Haus. Wozu ich Ihnen nicht
gratulieren kann, ist diese ultimative Lobhudelei,


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Nun machen Sie mal einen Punkt! – Rudolf Henke [CDU/ CSU]: Ein bisschen auf die Atmosphäre eingehen! Ein bisschen situationsabhängig sprechen!)


die Sie gerade auf das sogenannte Patientenrechtegesetz
der letzten Koalition vorgetragen haben, aber dazu spä-
ter.

Die Unabhängige Patientenberatung, wofür brauchen
wir die eigentlich? Zu mir kam neulich ein Bürger ins
Wahlkreisbüro zur Sprechstunde, der sich von verschie-
denen Ärzten, von seiner Krankenversicherung, vom
Medizinischen Dienst schlecht beraten und schlecht be-
handelt gefühlt hat. Er hatte durchaus erstzunehmende
Hinweise darauf, dass er einen Arbeitsunfall erlitten
hatte, der nicht richtig diagnostiziert und nicht richtig
behandelt worden ist.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So etwas gibt es!)


In der Folgezeit haben sich seine Beschwerden ver-
schlimmert. Er hat inzwischen dauerhaft Schmerzen. In-
zwischen ist er Erwerbsunfähigkeitsrentner mit einer so
kleinen Rente, dass er davon noch nicht einmal seine
Krankenkassenbeiträge bezahlen kann. Also eine kom-
plexe Problemlage, bei der auch ich als Bundestagsabge-
ordnete nicht alle offenen Fragen beantworten konnte.

Da war ich natürlich froh, dass es nicht nur für diesen
Bürger, sondern auch für viele Tausend andere das An-
gebot der Unabhängigen Patientenberatung, der UPD,
gibt. Dieses Angebot ist kostenlos. Es wird inzwischen
bis zu 80 000-mal jährlich in Anspruch genommen:





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Das bestreitet niemand!)


entweder an der gebührenfreien Telefonhotline oder per-
sönlich in den Beratungsstellen.

Ich habe also die Hotline angerufen und musste fest-
stellen, dass man da sehr schwer durchkommt. Mein
Ratsuchender wird keine der Beratungsstellen aufsuchen
können, obwohl seine Fragen eigentlich im persönlichen
Gespräch hätten geklärt werden müssen; denn von mei-
ner Heimatstadt sind es bis zur nächsten Beratungsstelle
in Dortmund oder Bielefeld 80 Kilometer. Er kann sich
die Fahrtkosten in Form eines Bahntickets einfach nicht
leisten. So geht es vielen der allein bei uns im Münster-
land lebenden 1,5 Millionen Menschen.

Die Beraterinnen und Berater der UPD leisten seit
vielen Jahren eine hervorragende Arbeit.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Aber ihre Erreichbarkeit für die Menschen, die nicht in
unmittelbarer Nähe einer Beratungsstelle leben, ist tat-
sächlich auch aus unserer Sicht verbesserungswürdig.


(Beifall bei der LINKEN)


An der Hotline ist oft kein Durchkommen. Da müssen
sich die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes die
Finger wundwählen, weil es einfach zu wenig Beraterin-
nen und Berater gibt. Wir haben es schon gehört: Nur
ungefähr 42 Prozent der Anrufenden kommen innerhalb
der ersten Stunde durch. Deswegen meint auch die
Linke: Die UPD braucht dringend mehr Personal für die
telefonische Beratung und für den Ausbau des Bera-
tungsnetzes.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darauf haben wir übrigens gemeinsam mit den Grünen
schon vor vier Jahren hingewiesen. Das Modellprojekt,
das 2010 ausgelaufen ist, wurde damals in ein Regelan-
gebot überführt, nur leider viel zu spät, sodass bis zur er-
neuten Ausschreibung schon viele Strukturen weggebro-
chen waren, da sich zum Beispiel Beraterinnen und
Berater wegbeworben hatten. Deshalb war der Neustart
in den Beratungsstellen ausgesprochen mühsam.

Auch dass die Mittel für die Beratung nicht erhöht
und nicht an die allgemeinen Kostensteigerungen ange-
passt wurden, war ein Schönheitsfehler, den auch wir
schon damals kritisiert haben. Die Grünen fordern in ih-
rem Antrag, zunächst einmal 10,5 Millionen Euro für die
UPD bereitzustellen. Das ist bei insgesamt 200 Milliar-
den Euro im Gesamttopf keine sehr große Summe, aber
das würde doch einige Verbesserungen ermöglichen.
Weil die Beratungsstellen nicht danach fragen, ob je-
mand privat oder gesetzlich versichert ist, finde ich es
nur logisch, auch die privaten Versicherungen verpflich-
tend mit in die Finanzierung einzubeziehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch ein längerer Förderzeitraum von jeweils zehn
Jahren wäre gut; denn damit könnte besser geplant wer-
den, und auch die Beschäftigten hätten eine bessere Per-
spektive. Qualifiziertes Personal könnte auch langfristig
gehalten werden.

Wir unterstützen auch die Idee, dass die Finanzierung
unabhängig von den Krankenkassen erfolgen soll.
Schließlich sind es in vielen Fällen die Krankenkassen,
mit denen die Ratsuchenden Probleme haben. Deswegen
sind sie nicht neutral.

Ergänzend schlage ich vor, dass wir auch eine Lösung
für das Problem der Fahrtkosten für Bedürftige suchen,
damit der Besuch von Beratungsstellen nicht weiter zum
Privileg für Großstädter und Besserverdienende wird.

Insgesamt ist zu sagen, dass die Grünen einen Antrag
vorgelegt haben, der die wichtigsten Probleme korrekt
benennt und vernünftige Lösungsvorschläge unterbrei-
tet. Die Linke unterstützt diese Forderungen, und zwar
wirklich von ganzem Herzen. Ich hoffe, dass wir in den
Ausschussberatungen gemeinsam auch die Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen davon überzeugen
können. Denn nur gut informierte und selbstbewusste Pa-
tientinnen und Patienten, die ihre Rechte kennen, können
sich heute im Dschungel des Gesundheitswesens zu-
rechtfinden.

Wenn es uns dann noch gelingt, diese Koalition dazu
zu bringen, endlich ein Patientenrechtegesetz zu erarbei-
ten, das diesen Namen wirklich verdient, wäre das ein
richtig guter Tag für die Patientinnen und Patienten in
diesem Land.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801719500

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die

Kollegin Helga Kühn-Mengel.


(Beifall bei der SPD)



Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1801719600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Sie wissen es: Das Wort „Patient“ ist lateinischen
Ursprungs und hat zu tun mit Dulden, Leiden und Ge-
duldhaben. Das wird auch in diesem Gesundheitssystem
verlangt. Es ist zwar sehr gut ausgestattet und steht im
Prinzip auch weltweit gut da, aber die Patientinnen und
Patienten bzw. die Versicherten, die sich in diesem Ge-
sundheitssystem bewegen, müssen teilweise sehr viel
Geduld haben.

Sie müssen etwa lange warten, wenn sie Einsicht in
Behandlungsunterlagen nehmen wollen, oder sie erle-
ben, wenn sie das endlich tun konnten und die rechtliche
Klärung eines Behandlungsfehlers angehen wollen, wie
sie von den Gutachtern der Gegenseite immer wieder ge-
fordert und in ganz schwierige Situationen gebracht wer-
den.

Sie müssen Geduld haben beim Warten auf einen
Facharzttermin.





Helga Kühn-Mengel


(A) (C)



(D)(B)

Psychisch kranke Menschen, die Psychotherapie be-
nötigen, müssen warten, wenn sie zu der Gruppe der
– ich sage das in Anführungsstrichen – „nicht Wartezim-
mer-fähigen“ Patienten gehören, ein Ausdruck, über den
man wirklich nachdenken muss.

Sie müssen Geduld haben als gestresste, körperlich
und seelisch kranke Mütter, deren Antrag auf eine Mut-
ter-Kind-Kur abgelehnt wurde.

Sie müssen sich als Privatversicherte damit auseinan-
dersetzen, dass ihnen bestimmte Leistungen, zum Bei-
spiel eine ambulante Reha oder die Komplexleistung
Frühförderung, verwehrt werden.

Demenziell Erkrankte, die eine gerontopsychiatrische
Reha haben müssten, erhalten sie nicht.

Ganz schwierig wird es im zahnärztlichen Bereich,
wo Patientinnen und Patienten gar nicht mehr durchbli-
cken, was Regelleistung und was IGeL-Leistung ist und
warum sie hohe Zuzahlungen leisten müssen. Die UPD
stellt in diesem Zusammenhang fest, dass nirgendwo so
viel begutachtet wird wie im privatärztlichen Bereich.

Nicht zuletzt gibt es auch die Patientinnen und Patien-
ten, die sehr viel Geduld haben müssen, wenn sie im
Krankengeldbezug sind, aber von der Krankenkasse in
den Rentenbezug abgedrängt werden sollen.

Und viele wollen nach ihrem Krankenhausaufenthalt
wissen, wie es weitergeht. Wir kennen die Studien: Über
50 Prozent wissen an dieser Stelle nicht, was dann folgt.

Wir alle müssen viel Geduld haben, wenn zum Bei-
spiel der Gemeinsame Bundesausschuss sechs bis sieben
Jahre braucht, um eine neue Leistung in den Leistungs-
katalog aufzunehmen. Denken wir zum Beispiel an die
Knochendichtemessung. Wenn so etwas endlich Leis-
tung der Krankenkasse wird, dann erleben wir, wie ge-
schehen, dass auf einmal in diesem Bereich doch wieder
eine IGeL-Leistung angeboten wird, die mehr bringt als
die Kassenleistung. In diesem Bereich herrscht also sehr
viel Intransparenz.

All die Fälle, von denen wir als Gesundheitspolitiker
und -politikerinnen Kenntnis erhalten, laufen erst recht
und in größerer Zahl bei der Unabhängigen Patientenbe-
ratung Deutschland auf. Diese erfreut sich über die Jahre
hinweg zunehmender Akzeptanz. Wie gesagt handelte es
sich um ein rot-grünes Projekt, zunächst ein Modellpro-
jekt, das dann vor ein paar Jahren in die Regelleistung
überführt wurde. Es ist nun Bestandteil einer ganzen
Kette zur Stärkung von Patientenrechten. Dazu gehört
auch die Stärkung der Selbsthilfe. Ich rechne auch das
IQWiG und vor allem die dritte Bank im Gemeinsamen
Bundesausschuss dazu. Ich wünsche mir, dass endlich
auch die Patientenvertreter und -vertreterinnen ein
Stimmrecht bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber nicht alles, was wir uns wünschen, konnten wir im
Koalitionsvertrag durchsetzen.
Auf jeden Fall ist festzustellen, dass die UPD enorme
Kompetenzen in diesen Jahren entwickelt hat. Dazu
zähle ich Qualitätssicherung, hohe Standards und Eva-
luationen, zum Beispiel Auseinandersetzungen mit der
Frage, welche Patienten wir erreichen und welche nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich muss sich die PKV stärker beteiligen. Na-
türlich müssen wir über die Beziehungen zu den Kran-
kenkassen reden. Ich stimme dem Kollegen Meier zu,
dass die Erhöhung der Anzahl der regionalen Beratungs-
stellen auf 31 nicht die Lösung ist. Die Verdichtung des
Telefonnetzes scheint auch mir sinnvoller zu sein. Die
Menschen wollen nun einmal sprechen. Den Förderzeit-
raum auf zehn Jahre zu erweitern, mag verwaltungstech-
nisch und mit Blick auf die Mitarbeiter sinnvoll sein, ist
aber von der Steuerung und der internen Planung her
nicht unproblematisch.

Auch wir sind für eine Stärkung der UPD. Das ist
zwar nicht im Koalitionsvertrag verankert; aber Koali-
tionspartner und -partnerinnen können sich damit aus-
einandersetzen, hierbei bewegen und für Veränderungen
sorgen. Festgehalten im Koalitionsvertrag ist auf jeden
Fall – das ist ganz entscheidend für die Versorgungsland-
schaft – das neue Institut für Qualitätssicherung und
Transparenz im Gesundheitswesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Entscheidend für Patienten und Patientinnen ist, dass
dieses Institut in seinem Internetauftritt Krankenhaus-
vergleiche und viele Informationen zum Gesundheits-
system auf evaluierter, harter Faktenbasis zur Verfügung
stellen wird. Das ist ein wichtiger Punkt in der Versor-
gungslandschaft. Natürlich kann alles noch besser wer-
den.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801719700

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Dr. Roy Kühne.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Roy Kühne (CDU):
Rede ID: ID1801719800

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen

und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland, kurz
UPD, ist, wie bereits mehrfach gesagt, ein erfolgreicher
Baustein zur Stärkung der – wir kennen das Wort inzwi-
schen – selbstbestimmten und selbstbewussten Patien-
ten. Dies sollte der oberste Tenor aller Diskussionen
werden.

Seit ihrer Überführung von einem Modellvorhaben in
die Regelversorgung und der Sicherstellung der Finan-
zierung durch die GKV im Jahre 2011 – es wurde bereits
mehrfach gesagt, wer das veranlasst hat – steht die UPD
den ratsuchenden Patientinnen und Patienten in Deutsch-
land als kompetenter Partner mit Rat und Tat zur Seite;





Dr. Roy Kühne


(A) (C)



(D)(B)

das bestreitet niemand. Die Fragestellungen der Men-
schen sind vielfältig und spiegeln im Grunde die alltägli-
chen Probleme, die es im Gesundheitswesen gibt, wider.
Ich glaube, wir alle kennen aus unserem eigenen Umfeld
und wahrscheinlich auch aus eigener Anschauung genau
die Probleme, die ich jetzt im Sinn habe.

Man muss dabei bedenken: Qualifizierte Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, die sich durch Fortbildungen be-
müht haben, sich ihren Stand zu erarbeiten, versuchen in
den Beratungsstellen oder am Beratungstelefon, fach-
kundige und wissenschaftlich fundierte Hilfestellung zu
geben. Dafür gebührt ihnen selbstverständlich höchster
Respekt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


So konnten 2013, wie schon gesagt wurde, in über
80 000 Beratungsgesprächen beispielsweise Fragen zu
den Themen Patientenrechte, Behandlungsfehler, finan-
zielle Absicherung, aber auch zu psychischen Krankhei-
ten erörtert werden.

Die Patientinnen und Patienten sind im täglichen Um-
gang mit den Akteuren in unserem Gesundheitswesen in
der Tat verschiedensten Szenarien ausgesetzt. Wie ge-
sagt, schlechte Beratung, Probleme beim Zugang, Warte-
zeiten – ich glaube, wir kennen das – wurden eindeutig
im „Monitor Patientenberatung 2013“, einem sehr inte-
ressanten Werk, von der UPD genannt. Diese Berichte
und Daten der UPD sollten in der Tat Anstoß für die
Politik sein. Sie sollten als Grundlage dienen, um Pro-
blemstellungen im Gesundheitswesen zu benennen.
Ross und Reiter sollten ruhig beim Namen genannt wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Problem ist – ich glaube, das können wir alle
nachvollziehen –, dass momentan die Daten und Be-
richte von der UPD selber kommen. Es sollte ruhig be-
tont werden: Als Grundlage für Anpassungen sollten
diese Daten unabhängig erhoben werden und evidenzba-
siert sein. Wir sollten schauen, dass auch dieses Produkt
neutral beobachtet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist nicht so, dass die Ergebnisse der UPD in letzter
Zeit keine Auswirkungen gehabt hätten. Sie kennen das:
Patienten können reagieren. Wir haben die Zahlen mehr-
fach genannt.

Ein weiteres Beispiel ist das im Jahr 2013 in Kraft ge-
tretene Patientenrechtegesetz, das auch in der Praxis sehr
dazu beigetragen hat, bei den Menschen Unsicherheiten
abzubauen und – ich sage das ganz offen – bei denen, die
Medizin veranstalten, Vorsicht aufkommen zu lassen.
Der Patient hat Rechte, und diese werden gestärkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht aber nicht nur um den Leistungsanbieter
– nennen wir ihn Arzt, Apotheker, Physiotherapeuten
oder Logotherapeuten –, sondern das größte Problem ist
häufig die Situation bei den Krankenkassen. Hier ist es
oftmals so, dass Wartezeiten unnötigerweise entstehen.
Ich denke, genau hier sollten das Gesetz und natürlich
auch die unabhängige Patientenberatung ansetzen; denn
die dortigen Entscheidungen müssen tagtäglich an die
Patienten herangetragen und schneller umgesetzt wer-
den. Keiner hat Lust, sechs Monate oder auch nur sechs
Wochen auf Entscheidungen zu warten, die ihn unmittel-
bar betreffen und in seiner Lebensqualität durchaus
nachhaltig negativ beeinflussen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die UPD bietet somit einen geschützten Raum für die
Ratsuchenden, und das ist gut so. Dort sollen das Selbst-
bewusstsein und das Wissen der Patienten gestärkt wer-
den. Daher ist die Unabhängigkeit der Beratung das ent-
scheidende Element der UPD. Diese Unabhängigkeit der
Patientenberatung haben wir in § 65 b SGB V festgelegt.
Auch sind hier die Kriterien für die Förderung dieser
Einrichtungen genannt. Diese Kriterien sind eindeutig.

Zudem werden die Ausschreibung und die Vergabe an
zukünftige Träger – ich habe das heute noch einmal ganz
genau nachgelesen – einvernehmlich mit dem Beauftrag-
ten der Bundesregierung für die Belange der Patientin-
nen und Patienten sowie Bevollmächtigten für Pflege
durchgeführt, sodass auch hier die Unabhängigkeit und
damit die Qualität gewährleistet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der erstmaligen Ernennung eines Staatssekretärs
für Patientenrechte und Pflege hat die jetzige Bundesre-
gierung ganz deutlich gezeigt – ich denke, darauf kön-
nen wir stolz sein –, wie sehr ihr das Wohl der Patientin-
nen und Patienten in Deutschland am Herzen liegt. Es ist
nicht mehr nur ein MdB, der diese Aufgabe ehrenamt-
lich erfüllt. Damit haben wir eine große Stärkung im
System erreicht, und zwar für alle Seiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Jährliche Berichte des GKV-SV legen die Entwick-
lung der UPD dar und zeigen mögliche Handlungspoten-
ziale auf. Wenn hier ein nachweisbar erhöhter Förderbe-
darf besteht, dann kann und muss auch entsprechend
gehandelt werden. Der Förderzeitraum von fünf Jahren
– dies ist sicherlich überlegenswert – und die anschlie-
ßende erneute Ausschreibung dienen auch als Kontroll-
funktion. Von dieser Seite her wird sich erweisen, ob die
Träger der Unabhängigen Patientenberatung erfolgreich
sind. Sie werden sich, wenn sie gute Arbeit leisten, ge-
gen Neubewerber auch wieder durchsetzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieser Prozess sollte in jedem Fall transparent sein.
Wir dürfen nicht vergessen, dass im Rahmen der UPD
Beiträge der Versicherten ausgegeben werden. Es geht
um Beiträge der Bürgerinnen und Bürger, und wir haben
verdammt noch mal die Pflicht, damit sorgsam umzuge-
hen. Wenn sich ein entsprechender Bedarf ergibt, ist dem
Ausbau der Beratungsstrukturen der UPD auch nichts
entgegenzusetzen. Er muss allerdings – auch das ist
schon mehrfach gesagt worden – bedarfsgerecht und
nach Abwägung und Ausnutzung aller Effizienzreserven





Dr. Roy Kühne


(A) (C)



(D)(B)

erfolgen, und es darf nicht einfach nur Geld ins System
gesteckt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Abschließend möchte ich festhalten: Die UPD hat
sich sicherlich als ganz konkrete Hilfestellung für ratsu-
chende Menschen erwiesen, und sie muss sich in
Deutschland weiter beweisen. Herr Meier hat es gesagt:
Sie ist seit drei Jahren am Start. Da kann man so ein
Baby noch nicht beurteilen. Auf diesem Weg sehen wir
aber zunächst die Evaluierung und Optimierung der be-
stehenden Strukturen und die Optimierung und Konsoli-
dierung der Prozesse im Vordergrund. Man darf Geld
nicht einfach nur in ein System stecken, an dessen inter-
nen Management man durchaus noch arbeiten kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801719900

Vielen Dank. – Das war Ihre erste Rede. Auch Ihnen

die herzlichsten Glückwünsche aller Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall)


Die erste Rede ist es auch für die letzte Rednerin in
dieser Debatte. Das ist die Kollegin Bettina Müller,
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1801720000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen

und Herren! Viele der Kolleginnen und Kollegen, die
heute hier sitzen, sind, mit Verlaub, alte Hasen im Ge-
sundheitswesen.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Es sind auch junge Hüpfer dabei!)


Trotzdem müssen auch sie manchmal noch aufwendig
recherchieren, was wo wie geregelt ist, welche Leis-
tungsansprüche bestehen, welche Leitlinien oder Richtli-
nien gelten.

Für Neulinge in der Gesundheitspolitik wie mich gilt
das noch viel mehr, und das, obwohl ich als Anwältin
mit den Schwerpunkten Betreuungs- und Sozialrecht
sehr viel an der Schnittstelle zwischen Versicherten,
Kostenträgern und Leistungserbringern gearbeitet habe.
Wie soll es da erst den – so nenne ich sie mal – Otto Nor-
malversicherten gehen? Wie sollen sie alle Leistungsan-
sprüche kennen und die dann auch noch mit Nachdruck
durchsetzen? Wie sollen sie den Durchblick im dichten
Dschungel des Gesundheitswesens wahren, einem Di-
ckicht, bei dem Behandlungs- und Therapievorschläge
noch dazu oft interessengeleitet sind?

Daher hat die SPD seinerzeit die Unabhängige Patien-
tenberatung erfolgreich gestartet. Sie wird von nieman-
dem mehr angezweifelt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die hohen Kontaktzahlen in den 22 Beratungsstellen un-
terstreichen die große Bedeutung dieses Angebotes.
Aber natürlich gilt auch hier: Was gut ist, kann noch bes-
ser werden.

Ob uns dabei die fünf Vorschläge des Antrags der
Grünen weiterbringen, müssen wir in den Ausschussbe-
ratungen noch diskutieren. Die Vorschläge laufen ja im
Kern darauf hinaus, die Zahl der regionalen Beratungs-
stellen um 50 Prozent zu erhöhen, die Fördersumme zu
verdoppeln und einen unterstellten, vermeintlichen Ein-
fluss der Kostenträger zu reduzieren.

Nun zeigen uns die vorliegenden Daten der Evaluie-
rungsberichte aber Folgendes: Nur etwa 10 Prozent der
Beratungsleistungen erfolgen vor Ort in den regionalen
Beratungsstellen. Die telefonische Beratung liegt bei
80 Prozent. Die meisten Anrufe landen nicht bei den re-
gionalen Beratungsstellen, sondern bei der bundesweiten
Hotline. Auch die Beratung über das Internetportal steigt
stetig an.

Ob daher die Erreichbarkeit durch neun zusätzliche
Standorte in der Praxis zu einer nennenswerten Verbes-
serung der Situation führt, ist zweifelhaft. Dazu sind ge-
rade die Wege im ländlichen Raum zu weit, die Mobili-
tät von älteren und kranken Menschen – mit ihnen haben
wir es ja weitgehend zu tun – zu eingeschränkt. Daher
sollten wir in den anstehenden Ausschussberatungen
noch einmal prüfen, mit welchen Strukturen die Bera-
tung am besten gewährleistet werden kann. Wir sollten
das vor allem deshalb ernsthaft prüfen, weil wir in der
Großen Koalition einige Veränderungen planen, die sich
auf die Beratungsintensität auswirken werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Denken Sie nur an die Termingarantie bei Fachärzten,
oder denken Sie an den Anspruch auf eine Zweitmei-
nung bei stationären Behandlungen. Auch hier wird die
Nachfrage nach Beratung eher noch steigen; denn die
Leute wollen natürlich wissen, welcher Arzt, welche
Klinik hierfür infrage kommt.

Wir müssen uns also Gedanken machen, wie wir die
Unabhängige Patientenberatung in die geplante Qualitäts-
offensive der Großen Koalition einbinden und nutzen
wollen. Qualität ist schließlich eine der wesentlichen
Säulen der Wirtschaftlichkeit. Und für eine qualitativ
gute Behandlung ist die Mitwirkung des Versicherten
wichtig. Mündige, unabhängig und gut informierte Pa-
tienten wirken besser mit als ratlose und verunsicherte.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Es ist sinnvoll, die Weiterentwicklung der UPD in das
Konzept der Qualitätsverbesserung einzubinden. Über
die Instrumente dafür werden wir uns in den nächsten
Monaten im Ausschuss unterhalten. Dazu zählt unter an-
derem – das ist schon gesagt worden – auch ein Institut
für Qualitätssicherung, das insbesondere im stationären





Bettina Müller


(A) (C)



(D)(B)

Bereich Krankenhäuser bewerten und diese Ergebnisse
auch an die Versicherten weitergeben soll.

Die Koalition plant also umfangreiche Vorhaben mit
mehr Information und Beteiligung von Patienten als zen-
tralem Baustein. Das alles muss dann ohnehin mit beste-
henden Informationsangeboten vernetzt werden. Die
UPD sollte dann in diese Angebote passgenau eingefügt
sein. Deshalb gilt: Das neue Qualitätsinstrumentarium
muss von der Koalition jetzt zügig gesetzlich umgesetzt
werden. Dann muss es seine Wirkung entfalten. Daran
anschließend sind unabhängige Beratungsangebote wie
die UPD in dieses System zu integrieren.

Dafür sollten wir uns, meine Damen und Herren, Zeit
nehmen. Eine erneute Ausschreibung und eine Laufzeit
von weiteren fünf Jahren lässt Raum für sinnvolle Bera-
tungsangebote, wenn notwendig sogar für eine grund-
sätzliche Neuausrichtung der Beratungsangebote. Wir
sind ja nicht gezwungen, damit bis 2020 zu warten. Wir
können auch schon 2016 oder 2017 beginnen. Ein
Schnellschuss führt am Ende zu keiner wirklichen Ver-
besserung, und für Experimente ist uns, ist der SPD die
Unabhängige Patientenberatung einfach zu schade.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801720100

Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch von allen

zur ersten Rede!


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/574 an den in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Einsetzung des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung

Drucksache 18/559

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1801720200


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der na-
tionalen Nachhaltigkeitsstrategie verfügt die Bundesre-
gierung nun schon seit über zwölf Jahren über eine be-
währte und sich ständig weiterentwickelnde Strategie für
eine Politik, die darauf abzielt, heute und in Zukunft al-
len Menschen die Chance auf ein Leben in Wohlstand,
Gerechtigkeit und einer intakten Umwelt zu ermögli-
chen.

Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie wird bereits in
der vierten Legislaturperiode und über drei verschiedene
politische Koalitionen fortgeführt. Der Grund für den
anhaltenden Erfolg dieser übergreifenden Politikstrate-
gie liegt sicher in den grundlegenden und langfristigen
Fragen zur Erhaltung der Lebensgrundlagen, der Le-
bensqualität und der Gerechtigkeit, auf die die Strategie
Antworten sucht und finden will.

Es liegt aber auch daran, dass Nachhaltigkeit die ge-
samte Gesellschaft etwas angeht. Nachhaltigkeit lebt
vom persönlichen und vom zivilgesellschaftlichen Enga-
gement. Von Beginn an wurden gesellschaftliche Grup-
pen mit einbezogen. Wenn man einmal zurückblickt: Vor
zwölf Jahren war das schon ziemlich innovativ, und das
hat sich bewährt. Die Zustimmung der Bürgerinnen und
Bürger zu den Grundprinzipien der nachhaltigen Ent-
wicklung – das machen die Veranstaltungen, die Online-
dialoge und die direkten Gespräche der vergangenen
Jahre deutlich – ist weiterhin sehr groß. Generationenge-
rechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und
internationale Verantwortung sind die Grundziele der
Nachhaltigkeitsstrategie, die die Menschen heute und
auch in Zukunft weiter beschäftigen und die sie als wich-
tig erachten.

Für die Bundesregierung war und ist die Mitwirkung
des Parlaments bei der Umsetzung des Leitbilds einer
nachhaltigen Entwicklung von großer Bedeutung. Seit
2004 wurden viele der Vorschläge und Anregungen des
Parlamentarischen Beirats aufgenommen oder gaben der
Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitspolitik wichtige
Impulse. Ich erinnere zum Beispiel an den Austausch
des Ziels und des Indikators beim Thema „Kriminalität
und persönliche Sicherheit“ im vergangenen Fort-
schrittsbericht 2012. Dieses Ziel liegt dem Beirat und
uns sehr am Herzen. Es zeigt auch, wie die Ausrichtung
eines solchen Indikators zu mehr Zielschärfe führt und
den ganzen Prozess verbessert.

Auch international steht die Nachhaltigkeitspolitik
vor großen Herausforderungen, sei es bei der Weiterent-
wicklung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie im Span-
nungsfeld mit der EU-2020-Strategie oder den Verhand-
lungen über die Post-2015-Agenda für nachhaltige
Entwicklung der Vereinten Nationen. Auf diesen Ebenen
wird sich der Beirat sicher wie schon in der Vergangen-
heit engagieren. Ich begrüße insbesondere, dass sich der
Beirat mit der Nachhaltigkeitspolitik der Vereinten Na-
tionen stärker befassen will.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erst mal EU!)


Dies ist ein wichtiger Rahmen und Impuls für die Bear-
beitung der Zukunftsfragen unserer Bürgerinnen und
Bürger, unserer Volkswirtschaft und Gesellschaft.





Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)

Aus diesen Gründen ist die Fortsetzung der Arbeit des
Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung
auch in der aktuellen Legislaturperiode der Bundesregie-
rung ein sehr wichtiges Anliegen. Wir begrüßen den
heute vorliegenden Einsetzungsbeschluss und unterstüt-
zen den Beirat bei seinen Aufgaben.

Nachhaltigkeit kann nur gemeinsam gelingen. Wir
freuen uns auf die Zusammenarbeit zur wirksamen Um-
setzung des Leitbildes; denn sowohl national als auch in-
ternational wie global trägt Nachhaltigkeitspolitik auch
dazu bei, den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen
und gleichzeitig unser gemeinsames natürliches Erbe,
unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und zu
schützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801720300

Vielen Dank. – Es spricht jetzt die Kollegin Annette

Groth, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801720400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Finanzkrise, Euro-Krise, Klimakatastrophe, Sterben der
Arten, Ressourcenkrise, Energiekrise, Ernährungskrise,
jährlich über 40 Millionen Tote als Folge von Hunger
und sozialen Krisen. Der Theologieprofessor Ulrich
Duchrow beschreibt diese Krisen im Publik-Forum, ei-
ner katholischen Zeitschrift – ich zitiere –:

Meine These ist, dass alle diese Krisen eine zentrale
Ursache haben: Es ist die Zivilisation des Kapitalis-
mus. Ich sage ausdrücklich: Es ist nicht nur die ka-
pitalistische Ökonomie, sondern die gesamte Zivili-
sation. Denn alle Bereiche des Lebens, Denkens
und Fühlens sind inzwischen unter die Herrschaft
des Geldes in der Form des Kapitals geraten. Und
dieses hat nur ein Ziel: zu wachsen – ohne Rück-
sicht auf die Folgen. …

Unsere Zivilisation zerstört die Lebensgrundlagen
der Menschheit und der Erde. Die Frage ist deshalb
nicht, ob wir eine neue Kultur des Lebens entwi-
ckeln müssen, sondern ob wir sie noch aus Einsicht
gestalten wollen – oder ob wir erst durch immer
größere soziale und ökologische Katastrophen zur
Umkehr gezwungen werden müssen.

Mit anderen Worten: Wenn wir Nachhaltigkeit disku-
tieren und Vorschläge machen, wie Nachhaltigkeit um-
gesetzt werden kann, müssen wir uns wohl oder übel mit
unserem kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschafts-
system auseinandersetzen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nee!)


– Doch.


(Heiterkeit)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon heute wissen
wir, dass das 2-Grad-Ziel von Kioto nicht erreicht wer-
den wird. Der Klimawandel wird viele Hundert Millio-
nen Menschen zu Klimaflüchtlingen machen. Trotzdem
setzt die Kohlelobby weiterhin auf das massenhafte Ver-
brennen von Kohle für die Stromproduktion. Trotzdem
wird der Flottenverbrauch der hochtechnisierten und
hochgerüsteten Autos nicht relevant abgesenkt. Trotz-
dem wird eine Wachstumsstrategie für den Luftverkehr,
beim Ausbau von Flughäfen und bei der Subventionie-
rung von Flugbenzin wider besseres Wissen weiterver-
folgt.

Neulich war zu lesen: „Peking unbewohnbar“ – we-
gen der wahnsinnigen Luftverschmutzungswerte, jeden
Tag weit über 400 Milligramm; 10 Milligramm in der
Luft wären eigentlich erlaubt. Dieses „unbewohnbar“
dürfte auch auf viele andere chinesische Städte zutreffen.

Immer mehr Menschen wehren sich gegen umwelt-
schädliche Projekte wie zum Beispiel Stuttgart 21. Ein
explosionsartiger Bürgerprotest entwickelt sich gerade
in der Oberpfalz. Ja, Sie haben richtig gehört: in der
beschaulichen Oberpfalz. Dort wird jetzt ein Teil der
450 Kilometer langen Stromtrasse Süd-Ost gebaut. Man
muss sich das so vorstellen: 75 Meter hohe Masten,
40 Meter breite Querträger, und in den armdicken Lei-
tungen soll Gleichstrom mit 500 000 Volt fließen. Links
500 000 Volt, rechts 500 000 Volt. Jetzt regt sich Wider-
stand, da die Menschen in der Region direkt davon be-
troffen sind.

Ich selbst komme aus Stuttgart und bin davon über-
zeugt, dass S 21 ein absolut widersinniges und ökolo-
gisch schädliches Großprojekt ist. Mit Nachhaltigkeit
hat das nun wirklich gar nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Verkehrsaus-
schuss ist eines der Hauptthemen der Transport. Über
10 Prozent des Verkehrs entfallen allein auf den Trans-
port von Nahrungsmitteln. Nahrungsmittel werden durch
die Welt gefahren, obwohl viele davon auch regional be-
zogen werden könnten. Das ist der völlige Wahnsinn und
das Gegenteil von Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Hier bin ich wirklich für eine ganz starke Regionalisie-
rung. Das heißt, mein Joghurt und mein Gemüse sollen
aus der Nachbarschaft kommen. Auch darum spricht sich
die Linke gegen das Freihandelsabkommen EU/USA aus,
das noch viel mehr solcher Transporte nach sich ziehen
würde.

Für uns Linke bedeutet Nachhaltigkeit, dass wir Ge-
sellschaft und Ökonomie so gestalten müssen, dass öko-
logische, soziale und wirtschaftliche Gesichtspunkte
gleichermaßen berücksichtigt werden. Heutige gesell-
schaftliche und politische Entscheidungen müssen den
nächsten Generationen die Chance auf eine möglichst in-
takte Natur eröffnen und ihnen Grundlagen für ein ge-
sellschaftlich verträgliches Wirtschafts- und Sozialsys-
tem übergeben.





Annette Groth


(A) (C)



(D)(B)

Die Fraktion Die Linke begrüßt die Einrichtung des
Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung
und wird ihre Aufgabe darin sehen, immer wieder die
soziale Dimension in die Nachhaltigkeitsdebatte einzu-
bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801720500

Vielen Dank. – Es spricht jetzt Andreas Jung, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1801720600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-
lung wird in diesem Jahr nach den Jahren 2004, 2006
und 2010 zum vierten Mal eingesetzt. Damit ist er im
zehnten Jahr seines Bestehens. Das ist ein rundes Jubi-
läum. Er hat damit zwar noch nicht ganz die Volljährig-
keit erreicht, aber wir können, glaube ich, sagen, dass
der Nachhaltigkeitsbeirat damit aus dem Gröbsten he-
raus ist. Er hat sich ganz sicher einen festen Platz im par-
lamentarischen Gefüge erarbeitet und ist etabliert.

Das ist gut und richtig, weil wir die gemeinsame
Überzeugung haben, dass ein Querschnittsthema wie
Nachhaltigkeit auch ein Querschnittsgremium braucht.
Deshalb begrüße ich es und freuen wir uns, dass wir
heute über einen Einsetzungsantrag beschließen, den alle
Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam ein-
bringen. Dafür eine möglichst breite Mehrheit zu finden,
knüpft an unsere von Konsens geprägte Arbeitsweise an.
Denn wir wissen: Je mehr wir uns einig sind, desto stär-
ker ist unser gemeinsames Eintreten für nachhaltige Ent-
wicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will den Einsetzungsbeschluss und diese Debatte
zum Anlass nehmen, um folgende Frage zu stellen: Wa-
rum brauchen wir ein solches Gremium für Nachhaltig-
keit überhaupt? Wir brauchen ein solches Gremium des-
halb, weil die Politik sowie jede und jeder Einzelne
ständig in der Versuchung sind, mehr an die nächsten
Tage als an die nächsten Jahrzehnte zu denken, in der
Versuchung sind, zu glauben, dass kurzfristige Effekte
langfristiges Denken überlagern. Wir als Nachhaltig-
keitsbeirat verstehen uns als Wachhund für Nachhaltig-
keit im Parlament, der immer dann aufbellt, der immer
dann Laut gibt, der immer dann dazwischengeht, wenn
Entscheidungen drohen, die dieser langfristigen Verant-
wortung nicht gerecht werden, wenn Entscheidungen
drohen, die später zum Bumerang werden könnten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wird auch in Zukunft notwendig sein. Wir kön-
nen dabei an unsere Arbeit der letzten Jahre anknüpfen.
Diese möchte ich kurz damit umschreiben, dass wir je-
des einzelne Gesetz auf Nachhaltigkeit prüfen. Wir ha-
ben in der letzten Wahlperiode den Nachhaltigkeitscheck
eingeführt und untersuchen jede einzelne Gesetzesvor-
lage darauf, ob Ausführungen zu nachhaltiger Entwick-
lung darin enthalten sind und ob dieses konkrete Vorha-
ben mit den Vorgaben der Nachhaltigkeitsstrategie
tatsächlich vereinbar ist.

Wir haben damit – ich glaube, das können wir für uns
in Anspruch nehmen – Pionierarbeit geleistet.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die Gesetz-
gebung besser wird, dass sie nachhaltiger wird. Nach an-
fänglichen Anlaufschwierigkeiten ist es uns zum Ende
der letzten Legislaturperiode gelungen, dass bei den Ge-
setzentwürfen der Bundesregierung tatsächlich diesem
formalen Erfordernis Rechnung getragen wird.

Unsere Aufgabe wird jetzt sein, zu überlegen, wie wir
über diese formalen Prüfungen hinaus tatsächlich in me-
dias res gehen können, in die materielle Prüfung eintre-
ten können. Da spielt die Musik. Darüber werden wir
uns im Beirat unterhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das soll nicht heißen, dass wir bisher nicht auch
schon dort tätig waren, wo die Musik spielt, und dass wir
bei dieser Musik nicht auch mitgespielt haben. Wir ha-
ben solche Themen, die wir als besonders wichtig ange-
sehen haben, die über die einzelnen Fachbereiche hin-
ausgehen, herausgegriffen. Ich will unsere Initiativen zur
nachhaltigen Mobilität, unsere Anträge zu Umwelttech-
nologien, unsere Eingaben zur Reduzierung der Flächen-
inanspruchnahme ansprechen. An diesen Themen sollten
wir dranbleiben und uns Schwerpunkte suchen, bei de-
nen wir in besonderer Weise auf nachhaltige Politik
drängen.

Unsere Kernaufgabe ist – das ist auch im Einset-
zungsbeschluss beschrieben – die Begleitung der natio-
nalen Nachhaltigkeitsstrategie und der EU-Nachhaltig-
keitsstrategie. Ich glaube, das ist eine besonders wichtige
Aufgabe. Es ist vorhin gesagt worden: Vor zwölf Jahren
hat Deutschland als eines der ersten Länder eine solche
Nachhaltigkeitsstrategie eingeführt. Sie ist seitdem im-
mer wieder verbessert worden. Unser Anspruch sollte
sein, die Nachhaltigkeitsstrategie erstens weiterzufüh-
ren und zweitens neue Impulse zu geben, sie zu verbes-
sern und besser zu verzahnen, auch mit den Aktivitäten
der Europäischen Union und in den Ländern. Wir sollten
tatsächlich eine konsistente Politik für Nachhaltigkeit
liefern und ein Vorbild für andere abgeben, wie das Fort-
kommen, wie der Fortschritt bei der nachhaltigen Ent-
wicklung tatsächlich transparent gemacht werden kann.
Das sollten wir hier tun und damit ein Beispiel für an-
dere geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da ich von der nationalen Ebene und der EU gespro-
chen habe und davon, ein Beispiel für andere zu geben:





Andreas Jung (Konstanz)



(A) (C)



(D)(B)

Eine Aufgabe sehe ich in der schon angesprochenen Be-
teiligung an der internationalen Debatte. Heute leben
7 Milliarden Menschen auf der Erde, 2050 sollen es
9 Milliarden Menschen sein. Diese werden selbstver-
ständlich ihr Recht auf Nahrung, auf Wasser, auf Energie
und auf Rohstoffe geltend machen. Wir wissen: Wenn
nichts passiert, wenn die Entwicklung ausgehend vom
Status quo einfach fortgeschrieben wird, wenn es uns
nicht gelingt, das Ruder hin zu globaler nachhaltiger
Entwicklung herumzureißen, dann wird uns diese Welt
um die Ohren fliegen, dann wird sie im wahrsten Sinne
des Wortes explodieren.

Deshalb müssen wir einen Beitrag leisten. Ich finde,
wir Deutsche haben eine besondere Verantwortung, die
wir als Parlament wahrnehmen müssen. Wir erwarten
von der Regierung, dass das Eintreten für eine globale
nachhaltige Entwicklung die Leitlinie der deutschen Au-
ßenpolitik wird. Deutschland muss in besonderer Weise
als Vorreiter, als Dränger auftreten, andere mitnehmen
und international zu solchen Ergebnissen kommen. Das
ist mehr als nötig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das alles können wir nur, wenn wir selber glaubwür-
dig sind. Dazu gehört die Fortschreibung der Nachhal-
tigkeitsstrategie. Dazu gehört aber auch, dass wir in den
einzelnen Fachbereichen glaubwürdig sind und den
Punkt „nachhaltige Entwicklung“ umsetzen. Dazu ge-
hört auch – in der mir verbleibenden Redezeit kann ich
nur noch zwei Beispiele nennen – die Finanzpolitik. Wir
müssen die Nullverschuldung erreichen, weil Schulden
Sünde an den nächsten Generationen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere besondere Aufgabe ist – hier schaut alle Welt
auf uns –, dass wir die Energiewende hin zu erneuer-
baren Energien und Energieeffizienz zum Erfolg führen.
Wir müssen den Anstieg der Treibhausgase stoppen. Der
Klimawandel bleibt global gesehen die wichtigste
Herausforderung in unserem Jahrhundert. Es gibt viele
Aufgaben. Ich freue mich, diese Aufgaben mit den Kol-
leginnen und Kollegen aller Fraktionen anzugehen. Die
Union stimmt dem Einsetzungsbeschluss zu.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801720700

Danke, Herr Kollege. Schönen Abend von mir. – Jetzt

hat Dr. Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801720800

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Kollege Jung, Sie haben sehr
deutlich dargestellt, wie wir in den letzten vier Jahren
gearbeitet haben. Wir haben beide schon in diesem Gre-
mium gesessen.

Werte Kollegin Groth, ich bin über Ihre Ausführun-
gen ein bisschen erstaunt. Wir haben einen gemein-
schaftlichen Antrag aller Fraktionen vorliegen, und Sie
haben gerade Revue passieren lassen, wo es im Nachhal-
tigkeitsbeirat hingehen soll. Dann landen Sie jedoch auf
einmal bei der Kapitalismuskritik. Ich fühlte mich in
eine andere Welt versetzt.

Vielleicht erinnern Sie sich daran: Heute vor einer
Woche haben wir über Wachstum geredet. Heute versu-
chen wir, das Ganze etwas anders einzuordnen. Wir re-
den nämlich über Nachhaltigkeit. Bei Nachhaltigkeit
geht es nicht um das Gegenteil von Wachstum, sondern
um die ökologische und soziale Flankierung des Wachs-
tums. Darum geht es und nicht um Nullwachstum oder
gar kein Wachstum, was uns die Vertreterin der Links-
partei versucht hat zu erläutern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Über diese ökologische und soziale Flankierung hätte
der Wirtschaftsminister bei seiner Rede zum Jahreswirt-
schaftsbericht am Donnerstag letzter Woche reden sollen
oder, besser gesagt: müssen. Heute ist vom Wirtschafts-
ministerium erstaunlicherweise niemand anwesend. Die
Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebens-
qualität“, die es in der letzten Wahlperiode gab und der
einige von uns angehörten, hat gut zwei Jahre lang daran
gearbeitet. Der Bundestag hat beschlossen, dass bei jeder
Wachstumsdebatte auch über soziale und ökologische
Fortschritte oder Rückschritte geredet werden soll. Das
habe ich letzte Woche nicht gehört.

Die Debatte vor einer Woche hat gezeigt, dass die von
der Enquete-Kommission entwickelten zwanzig W3-In-
dikatoren, die Wohlstandsindikatoren, bislang in der
Politik wirklich niemanden interessieren.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Der Witz war, dass sie vormals hochgelobt wurden, aber
die Redner zum Jahreswirtschaftsbericht letzte Woche
keine Ahnung davon hatten.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Damit die ökosoziale Flankierung aber nicht verloren
geht, gibt es im Deutschen Bundestag, wenn wir nachher
abgestimmt haben, endlich wieder den Parlamentari-
schen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Er begleitet
schon seit zehn Jahren die nationale Nachhaltigkeitsstra-
tegie und wirft auch einen Blick auf Europa. Wenn man
sich die Nachhaltigkeitsstrategie dort ansieht, dann
gruselt es einen manchmal. Man ist da irgendwie auf
verlorenem Posten. Wir erstellen zudem regelmäßig ei-
nen Bericht zu einer entsprechenden Veröffentlichung
des Statistischen Bundesamtes.

Das ist der Unterschied zu dem, was die Enquete-
Kommission gemacht hat: In der Nachhaltigkeitsstrate-
gie haben wir nicht nur Indikatoren, sondern auch kon-





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)

krete Ziele vorgegeben. So enthält die Nachhaltigkeits-
strategie beispielsweise im Hinblick auf die Reduzierung
der Treibhausgasemissionen ein Ziel; sie sollen bis 2050
um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.
Der Indikatorensatz der Enquete-Kommission soll nur
dafür sorgen, dass irgendwo ein Lämpchen, ein Warn-
lämpchen oder ein Hinweislämpchen, blinkt. Meine
Damen und Herren, bitte nicht lachen! Jene, die das in
der letzten Wahlperiode beschlossen haben, meinten das
wirklich ernst. Das ist das Traurige an dieser Geschichte.

Werte Kolleginnen und Kollegen, damit der Nachhal-
tigkeitsbeirat in jeder Legislaturperiode neu eingesetzt
werden kann, braucht es in jeder Fraktion Befürworter;
wir haben sie gefunden. Wir haben einen gemeinsamen
Entwurf zustande gebracht. Vor zehn Jahren haben wir
die parlamentarische Begleitung der Umsetzung der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im Beirat in Gang
gesetzt. Aber ich habe heute in dieser kurzen Debatte
gemerkt: Kaum ein Wort wird derart missbraucht wie
das Wort „nachhaltig“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb soll hier nochmal für alle buchstabiert werden,
was das bedeutet: Bei einer nachhaltigen Entwicklung
geht es darum, eine in sich geschlossene Wirtschafts-
und Lebensweise zu finden, die die Würde des Men-
schen als Arbeitnehmer achtet – nicht nur hier, sondern
weltweit – sowie die ökologischen Grenzen unseres Pla-
neten respektiert. Kurz gefasst: Wir brauchen eine dauer-
haft tragfähige Wirtschafts- und Lebensweise für jetzige
und künftige Generationen gleichermaßen. Daran, liebe
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in den nächs-
ten vier Jahren arbeiten, mit neuen Projekten.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801720900

Danke, Frau Kollegin. – Carsten Träger ist der

nächste Redner für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1801721000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als mittlerweile fünfter Redner stehe ich hier,
und ich kann nicht anders: Auch ich werde das Hohelied
der Nachhaltigkeit singen. Wie die vier Kolleginnen und
Kollegen vor mir bin natürlich auch ich von dem Kon-
zept überzeugt. Wie die vier Kolleginnen und Kollegen
halte auch ich Nachhaltigkeit für unerlässlich, ja, für das
entscheidende Kriterium für gute Politik.

Ich sehe es aber ein bisschen so wie Frau Dr. Wilms:
In dem allumfassenden Konsens liegt auch eine gewisse
Gefahr. Wir führen den Begriff Nachhaltigkeit mittler-
weile so häufig, bei so vielen Gelegenheiten, und das oft
so unreflektiert, dass sich der geneigte Zuschauer unter
Umständen manchmal gelangweilt abwendet. Es gibt
inzwischen einen geradezu inflationären Gebrauch des
Begriffs Nachhaltigkeit. Das Wort schmückt Hoch-
glanzbroschüren von Konzernen. Keine politische
Grundsatzrede kommt ohne einen Absatz zur Nachhal-
tigkeit aus. Auch was wir konsumieren, ist mittlerweile
nachhaltig; Mode, Autos, sogar Urlaubsreisen sind nach-
haltig. Der Begriff läuft Gefahr, fast alles zu meinen und
damit dann auch wieder nichts.

Hubert Weiger, der Vorsitzende des BUND, der übri-
gens auch aus meiner schönen Heimatstadt Fürth
stammt, spricht sogar von einem Missbrauch des Be-
griffs. Ich zitiere:

Ein bisschen weniger Straßenbau wird als nachhal-
tiger Straßenbau bezeichnet, ein bisschen weniger
Schulden werden als nachhaltiges Haushalten cha-
rakterisiert.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!)


Ich schlage vor, dass wir hier verbal ein bisschen abrüs-
ten und dem Begriff wieder Trennschärfe geben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte jetzt nicht alles wiederholen, was meine
Vorredner schon gesagt haben. Stattdessen möchte ich
Ihnen kurz sagen, warum ich Nachhaltigkeit für wichtig
halte. Worauf sollte sich ein enger gefasster Begriff von
Nachhaltigkeit konzentrieren? Wo setzen wir die
Schwerpunkte?

Wir alle, die wir hier sitzen, kennen natürlich den
Ursprung des Begriffs: Fälle niemals mehr Holz, als an-
gepflanzt wird. – Das ist ein schönes, griffiges Bild, das
zum Ausdruck bringt: Wirtschaftliches Handeln ist er-
laubt, aber bitte nur mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit
und auf das Gemeinwohl. Übertragen auf heute heißt das
– das wurde schon gesagt –: Wir müssen unseren Kin-
dern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, ökono-
misches und, ich betone, soziales Gefüge hinterlassen. In
der öffentlichen Wahrnehmung steht im Zusammenhang
mit dem Begriff Nachhaltigkeit meist die Versöhnung
von Ökonomie und Ökologie im Vordergrund.

Ich schlage vor, dass wir den Fokus ein kleines biss-
chen hin zum sozialen Aspekt verschieben. Ich bin fest
davon überzeugt, dass die Bereiche Ökologie und Sozia-
les eng miteinander verknüpft sind. Nachhaltigkeit kann
es nur geben, wenn die Bereiche Soziales, Umwelt sowie
wirtschaftliche Interessen gleichermaßen berücksichtigt
werden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir keine
abgehobene Diskussion über das Thema Nachhaltigkeit
führen. Sie sollte nicht bloß auf Gutverdiener abzielen,
die im Biomarkt einkaufen können oder Hybridautos
fahren. Im Gegenteil: Ich möchte, dass wir unseren Blick
ein bisschen drehen und uns fragen: Wer sind die Leid-
tragenden von nicht nachhaltiger Politik? Das sind die





Carsten Träger


(A) (C)



(D)(B)

Menschen, die an einer stark befahrenen Straße wohnen,
weil die Mieten dort billiger sind, die aber unter Abgas-
belastung und Lärm leiden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das sind jene Menschen, die keine Bioprodukte kaufen,
und zwar nicht, weil sie es nicht wollen; vielmehr
können sie es nicht, weil die Produkte ein bisschen teu-
rer sind.

Nach meiner Vorstellung bedeutet mehr Nachhaltig-
keit mehr soziale Gerechtigkeit, und mehr soziale Ge-
rechtigkeit bedeutet mehr Nachhaltigkeit. So gesehen ist
nachhaltige Politik nicht nur gute Politik, sondern auch
sozialdemokratische Politik und christliche Politik, sie
ist auch sozialistische Politik und grüne Politik. Hier
schließt sich der Kreis. Denn wir alle beanspruchen für
unsere Politik den Ansatz einer zukunftsfähigen Verbin-
dung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Wir sind
uns nicht nur heute, sondern generell einig, dass Nach-
haltigkeit sehr wichtig für uns ist.

Ich freue mich auf die Diskussion im Parlamentari-
schen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Wir sollten
daran arbeiten, den Fokus zunächst ein bisschen und
dann ein Stück weiter zu verschieben. In diesem Sinne
übergebe ich jetzt an den sechsten Redner dieser De-
batte.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801721100

Vielen Dank, Herr Kollege. Übergeben dürfen Sie

nicht, das darf nur ich.

Wir gratulieren Ihnen von Herzen zu Ihrer ersten
Rede im Deutschen Bundestag und wünschen Ihnen viel
Erfolg in diesem sehr wichtigen, auf die Zukunft bauen-
den Bereich.


(Beifall)


Jetzt übergebe ich das Wort dem nächsten Redner und
begrüße Matern von Marschall für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1801721200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir alle wissen: Die Krise der
Europäischen Union, die durchaus eine Krise der Nach-
haltigkeit ist, ist keineswegs überwunden. Bedrückender
finde ich heute allerdings eine ganz andere Krise. Mit
Blick auf die Ukraine kann ich nur sagen: Derzeit befin-
det sich ganz Europa in einer Bewährungskrise.

Wenn die Union ihren östlichen Nachbarn eine
Partnerschaft anbietet, muss sie dafür sorgen, dass die
Länder, denen sie die Partnerschaft anbietet, diese auch
annehmen können, sonst ist eine Außenpolitik, die nach-
haltig sein soll, nichts wert. Der Begriff „Nachhaltig-
keit“ wäre nicht mehr als eine Worthülse. Darüber ist
vorhin schon gesprochen worden.

In der Ukraine kann es in allerletzter Minute viel-
leicht noch gelingen, das Allerschlimmste abzuwenden.
Es kann der Weg in die Rechtsstaatlichkeit noch gebahnt
werden, wenn die Europäische Union Klarheit und Ent-
schlossenheit zeigt. Ob aber die Europäische Union auf
Dauer, das heißt nachhaltig, stark ist, darüber entschei-
den ihre Bewohner. Wenn ich einige Tage zurückschaue
und mir den Volksentscheid in der Schweiz ansehe, er-
kenne ich, dass dort Ängste vor einer Außenwelt, die
man als Bedrohung empfindet, zum Ausdruck gebracht
wurden. Das muss uns als Warnhinweis dienen, auch für
die Europäische Union, auch in die Europäische Union
hinein. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die
Ängste auch bei uns vorhanden sind. Wir dürfen sie
nicht ignorieren, sondern wir müssen den Menschen er-
klären, welchen Wert diese starke und stabile Europäi-
sche Union hat. Das ist eine Frage der Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unser Ansatz ist also weder Rückzug noch Abschot-
tung. Unser Ansatz ist nicht ein Kurs der Konfrontation,
sondern ein Kurs der Kooperation, und zwar, weil wir
überzeugt sind – das ist in unserem Menschenbild veran-
kert –, dass der Mensch zur Zusammenarbeit, zur Ko-
operation geschaffen ist – und zur Toleranz. Das ist der
Weg der Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Europäische Union hat gezeigt, dass sie Zukunft
friedlich gestalten kann. Nach zwei Weltkriegen leben
wir unterdessen fast 70 Jahre in Frieden – das gilt für
eine halbe Milliarde Menschen auf diesem Globus – in
freiheitlichen, in solidarischen, in friedlichen Rechts-
staaten. Zu dieser Europäischen Union gehören zum
Beispiel auch Rumänien und Bulgarien. Stellen Sie sich
einen Moment lang vor, in welcher Situation diese Län-
der sich befinden würden, wenn sie heute nicht Mitglie-
der der Europäischen Union wären. Stellen Sie sich ein-
mal vor, wie zum Beispiel in Polen über diese Frage
heute gedacht wird.

Unsere Friedensgemeinschaft ist also – das sehen wir
in diesen Tagen mit großer Bestürzung – nicht selbstver-
ständlich, sondern wir müssen täglich daran arbeiten, sie
täglich neu beleben und die Menschen von ihrem Wert
überzeugen. Das ist nachhaltige Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will auf die vielen anderen Politikfelder, die auch
zur Nachhaltigkeit gehören und hier angesprochen wor-
den sind, nicht näher eingehen: die soliden Haushalte,
die Energiepolitik, die ganz wichtigen Themen, die Sie
alle kennen. Ich wollte auf dieses aktuelle Thema in be-
sonderer Weise eingehen, auf eine nachhaltige Außen-
politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schlüssel zum Erfolg einer Nachhaltigkeitspolitik
– das möchte ich zum Schluss sagen – ist die Subsidiari-





Matern von Marschall


(A) (C)



(D)(B)

tät. Das heißt, wir müssen die Menschen vor Ort mitneh-
men, einbeziehen und dürfen nicht ex cathedra eine
Lehre von oben verkünden; das geht nicht. Wir müssen
also die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökolo-
gischen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. Nur
dann kann Nachhaltigkeit gelingen.

Der Parlamentarische Beirat bemüht sich darum. Wir
möchten seine Arbeit stützen. Ich bitte Sie von Herzen:
Tun Sie das auch.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801721300

Vielen Dank, Herr Kollege. Wir gratulieren Ihnen von

Herzen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag
und hoffen, dass Sie in diesem Gremium, in diesem Be-
reich sehr viel Erfolg haben beim grenzüberschreitenden
Denken und bei der Suche nach nachhaltiger Politik.


(Beifall)


Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Andreas
Lenz für die CDU/CSU.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1801721400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-
ben es schon gehört: Zum vierten Mal setzen wir heute
den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwick-
lung ein. Gibt man in der Suchmaschine Google den
Begriff „Nachhaltigkeit“ ein, erscheinen ungefähr
6 590 000 Treffer. Gibt man den englischen Begriff
„Sustainability“ ein, erscheinen gar 38 Millionen Tref-
fer.

Das sind Zahlen, die man sonst nur von Haushaltsbe-
ratungen gewohnt ist, die aber auch zeigen, dass der Be-
griff Relevanz hat, auch wenn er mittlerweile, wie wir
schon gehört haben, inflationär verwendet wird.

Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich
– wir wissen es alle – aus der Forstwirtschaft und be-
schreibt hier den Umstand, dass der Natur auf Dauer
nicht mehr Ressourcen entnommen werden können, als
sie imstande ist, selbst zu reproduzieren. Im sogenannten
Brundtland-Bericht von 1987 wird Nachhaltigkeit als
dann gegeben betrachtet, wenn die gegenwärtige Gene-
ration ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die zukünftigen
Generationen zu gefährden. Die Konferenz der Verein-
ten Nationen in Rio de Janeiro 1992 definierte Nachhal-
tigkeit als ein Gleichgewicht unter Berücksichtigung
ökologischer, ökonomischer und sozialer Faktoren.
Diese Definition ist mittlerweile sehr weit verbreitet. Sie
ist jedoch auch in ihren Zielkonflikten zu verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Beirat für nachhaltige Entwicklung übernimmt
seit 2001 die langfristig angelegte Aufgabe, die natio-
nale Nachhaltigkeitsstrategie dauerhaft parlamentarisch
zu begleiten. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist die
Nachhaltigkeitsprüfung bei Gesetzesfolgenabschätzun-
gen. Der Beirat prüft sämtliche Gesetzentwürfe und Ver-
ordnungen der Bundesregierung unmittelbar nach Zulei-
tung an den Bundesrat auf ihre Nachhaltigkeit.

Schauen wir uns einige politische Handlungsfelder im
Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung an. Zunächst
einmal ist die finanzielle Nachhaltigkeit zu erwähnen.
Gerade die Haushaltskonsolidierung kann als Teil einer
nachhaltigen Politik für die folgende Generation verstan-
den werden. Hier leisten wir mit der Vorlage eines aus-
geglichenen Haushalts ab 2015 einen wichtigen Beitrag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen ist hier ein gesellschaftlicher Prozess zu spü-
ren, der eine nachhaltige Haushaltspolitik ausdrücklich
unterstützt.

Nachhaltigkeit heißt aber auch Ressourcenschonung.
Ein wichtiges Thema diesbezüglich ist der Flächenver-
brauch, der immer noch zu hoch ist. So werden in
Deutschland täglich rund 80 Hektar – das sind circa 120
Fußballfelder – neu versiegelt.

Ein weiteres Handlungsfeld ist die Stärkung der
Kreislaufwirtschaft. Unser Land ist hier bereits sehr gut
aufgestellt und genießt weltweit hohes Ansehen. Müll ist
in Deutschland eine wichtige Ressource.

Lassen Sie mich das Potenzial, das wir hier haben, am
Beispiel der Handyaltgeräte aufzeigen. In Deutschland
liegen rund 106 Millionen Handyaltgeräte in den Schub-
laden der Bundesbürger. Diese Geräte enthalten viele
wertvolle Rohstoffe wie Gold, Silber, Palladium oder
Kupfer. Bei diesen besagten 106 Millionen Handys sind
dies 3 Tonnen Gold, 30 Tonnen Silber, 1 900 Tonnen
Kupfer, 151 Tonnen Aluminium und 105 Tonnen Zinn.
Hinzu kommen Seltene Erden, die sonst in hohem Maße
auf anderen Wegen beschafft werden müssen. Das be-
deutet: Wir müssen das Potenzial der Kreislaufwirtschaft
noch stärker nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch der Verbraucher hat mit seiner Kaufent-
scheidung enormen Einfluss darauf, welche Produkte
sich auf dem Markt behaupten. Es wird deswegen künf-
tig noch stärker darauf ankommen, das Bewusstsein für
nachhaltige Produkte zu schärfen. Dies kann auch durch
mehr Transparenz – Stichwort „Kennzeichnung“ – ge-
schehen.

Da es um die Zukunft der nächsten Generation geht,
beinhaltet eine nachhaltig angelegte Politik immer auch
eine moralische Komponente. Jede Nachhaltigkeit
braucht ein Stück weit Gemeinsinn und – vor allem des-
halb, weil sie in die Zukunft gerichtet ist – Verantwor-
tung. Nachhaltigkeit bedeutet auch Rücksicht auf die
kommenden Generationen und ein Hintanstellen egoisti-
scher und kurzfristiger Bedürfnisse. Vielleicht heißt
nachhaltiges Wirtschaften auch ein Stück weit Verzicht.





Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

Für die Arbeit des Parlamentarischen Beirats für
Nachhaltigkeit wird weiterhin entscheidend sein, dass
wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg auf langfris-
tige Ziele verständigen. Dass dies zeitintensiv ist, brau-
che ich Ihnen nicht zu sagen. Aber, ich glaube, es lohnt
sich, dass wir miteinander um diesen Konsens ringen.

Ich habe heute im Laufe des Tages mitgezählt, wie oft
das Wort „Nachhaltigkeit“ vor dieser Debatte verwendet
wurde und bin auf 25 Mal gekommen. Daran sieht man –
das wurde ja schon gesagt –, wie inflationär das Wort
verwendet wird, aber auch, wie wichtig das Wort ist.
„Nachhaltigkeit“ ist ohne Zweifel ein Modewort gewor-
den, auch ein Schlagwort, und manchmal ist es, wie wir
gehört haben, eine Worthülse.

Lassen Sie uns versuchen, den Begriff mit neuem Le-
ben zu füllen. Ich freue mich auf eine gute Zusammenar-
beit im Beirat mit nachhaltigen Ergebnissen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801721500

Danke, Herr Kollege. – Auf die nachhaltigen Ergeb-

nisse freuen wir uns alle.
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur

Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf
Drucksache 18/559 zur Einsetzung des Parlamentari-
schen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Ich
wünsche von Herzen eine gute Arbeit in diesem wirklich
wichtigen Gremium. Damit ist der Parlamentarische
Beirat für nachhaltige Entwicklung eingesetzt.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Sehr schön!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch
Selbstanzeige abschaffen
Drucksache 18/556
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Der erste Redner in der Debatte ist Klaus Ernst für die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801721600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Heute sprechen wir die zweite Woche hinter-
einander über dieses Thema. Trotzdem noch einmal: Um
was geht es uns? Es geht uns darum, dass wir die strafbe-
freiende Selbstanzeige abschaffen wollen. Warum? Es
gibt eigentlich in § 370 der Abgabenordnung die klare
Regelung: Steuerhinterziehung wird mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, in besonders
schweren Fällen sogar mit sechs Monaten bis zu zehn
Jahren Freiheitsstrafe.

Ich weiß nicht, ob das auch Ihnen aufgefallen ist. Mir
ist aufgefallen, dass, obwohl wir dauernd von schweren
Fällen der Steuerhinterziehung hören, niemand sitzt.
Keiner! Offensichtlich gibt es bei uns Möglichkeiten,
sich bei Steuerhinterziehung von der Strafe zu befreien,
sozusagen die Möglichkeit der Strafhinterziehung.
Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir dieses
Thema sehr ernst nehmen müssen, weil in der Bevölke-
rung langsam der Eindruck entsteht: Die Großen lässt
man laufen, und die Kleinen gehen in den Knast.

Warum ist das so? Warum kann man sich bei Steuer-
hinterziehung sozusagen der Strafe entziehen? Weil wir
die §§ 371 und 398 a der Abgabenordnung haben, die
besagen, dass es automatisch – das unterscheidet diesen
Punkt von vielen anderen – zu keiner Strafe kommt – au-
tomatisch! –, wenn der Steuerhinterzieher sich selbst an-
zeigt, die Steuern nachzahlt – nicht alles, sondern nur für
einen bestimmten Zeitraum – und in besonders schweren
Fällen 5 Prozent Strafsteuer zahlt. Dann wird von einer
Strafverfolgung automatisch abgesehen. Das heißt, man
ist auch nicht vorbestraft. Man muss im Gegensatz zu
vielen anderen, die eine Straftat begangen haben, vor
keinen Richter.


(Zuruf von der CDU/CSU: Zinsen muss man auch zahlen! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Steuerschulden muss man ja auch nachzahlen!)


– Ja, Zinsen muss man auch zahlen. Wer die zahlt, wird
sich hinterher wahrscheinlich vom Balkon stürzen.

Meine Damen und Herren, da fragt man sich als Bür-
ger natürlich: Ist das eigentlich gerecht? Natürlich fragt
sich auch der kleine Ladendieb, der vor den Richter
muss: Ist das in Ordnung? Der Verkehrssünder, der
Zechpreller, der Kleinkriminelle, alle fragen sich: Ist das
eigentlich okay? Auch wenn es um relativ geringe Be-
träge geht, müssen sie zumindest vor den Richter. Der
Richter hat dann die Möglichkeit, zu entscheiden: Ist das
ein ganz besonders schlimmes Vergehen? Muss der in
den Knast oder nicht? – Bei Riesenbeträgen greift aber
die Automatik, dass man sich nicht einmal für seine Tat
zu verantworten hat.

Meine Damen und Herren, unser Antrag will – des-
halb stellen wir ihn – wieder Gleichheit vor dem Recht
für alle Bürger herstellen; das ist das Ziel unseres An-
trags. Das haben wir gegenwärtig nämlich nicht. Genau
aus diesem Grund erscheint die Straftat Steuerhinterzie-
hung dem Bürger nach wie vor als Kavaliersdelikt. Ich
habe in der letzten Woche viele Reden gehört, in denen
es hieß: Ja, aber wir wollen nicht, das ist kein Kavaliers-
delikt.


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Das haben wir gar nicht gesagt!)






Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

Durch die Straffreiheit machen wir Steuerhinterziehung
jedoch zum Kavaliersdelikt. Deshalb müssen wir das
Ganze ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir schlagen vor, die Strafbefreiung bei Selbstanzeige
abzuschaffen; dann ist alles wieder im Lot und jeder
wird gleich behandelt.

Ich freue mich, dass der Kollege Andreas Schwarz
von der SPD in der Debatte letzte Woche gesagt hat:

Wer trotz der aktuellen Debatte künftig Steuern hin-
terzieht und somit den Bürgerinnen und Bürgern in
unserem Land Schaden zufügt, der sollte sich nicht
mehr auf Strafbefreiung verlassen dürfen.

Genau darum geht es. Dann kann der Richter abwägen,
wie schwer die Straftat eigentlich ist; aber es gibt keine
Automatik mehr. Herr Schwarz hat eine Übergangsfrist
für das Auslaufen der aktuell gültigen Regelung vorge-
schlagen. Das kann man machen für eine bestimmte
Zeit; aber dann muss Schluss sein.

Natürlich müssen wir Bagatellen regeln: Wenn einer
bei seiner Steuererklärung eine Frist nicht eingehalten
hat, ist das sicherlich anders zu werten, als wenn einer
Millionenbeträge hinterzogen hat.

Über einige Argumente in der letzten Debatte habe
ich mich gewundert, meine Damen und Herren. Hans
Michelbach hat letzte Woche gesagt: „Es ist nicht verbo-
ten, Geld im Ausland anzulegen.“ Der ist aber schlau!
Als wäre es in der Debatte darum gegangen, dass man
kein Geld mehr im Ausland anlegen dürfe. Also, mit
welcher Ernsthaftigkeit manchmal die Debatten hier ge-
führt werden, da dreht es einem ja wirklich langsam den
Magen um. Dann hat er gesagt:

Damit wären wir beim eigentlichen Thema der heu-
tigen Aktuellen Stunde. Diese Debatte mit der Atti-
tüde des Klassenkampfes zu führen …

Also wenn man fordert, dass sich bitte schön auch Steu-
ersünder vor dem Kadi zu verantworten haben, dann ist
das schon Klassenkampf? Für jemanden, der so denkt,
muss dann eine Ansammlung von drei Bürgern mit Pla-
katen schon Bürgerkrieg sein. Da kann ich wirklich nicht
mehr folgen, meine Damen und Herren.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie wollten eine sachliche Debatte führen! Mann, Mann, Mann!)


– Dann gehen Sie einmal zu Herrn Michelbach; er hat
die Debatte so begonnen.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich denke, ich höre Sie jetzt!)


Herr Graf Lerchenfeld, ich habe auch Ihnen genau zu-
gehört. Sie haben gesagt, auch Brandstifter könnten
Strafbefreiung bekommen: wenn sie löschen. Das Ein-
zige, was mir an diesem Argument gefällt, ist, dass Sie
Steuerhinterzieher mit Brandstiftern vergleichen. An
diesem Vergleich ist was dran: Das eine betrifft viel-
leicht ein Häuschen, das andere das Klima in der Gesell-
schaft. Sie haben jedoch vollkommen vergessen, darauf
hinzuweisen, dass derjenige, der ein Haus angezündet
hat, sich in jedem Fall vor einem Richter verantworten
muss, der prüft, ob er auch anständig gelöscht hat und
nicht nur ein wenig gespritzt hat. Genau das ist das Pro-
blem bei der strafbefreienden Selbstanzeige: Kein Rich-
ter prüft, was der Steuerhinterzieher eigentlich wirklich
gemacht hat.

Meine Damen und Herren, warum hat sich denn Herr
Hoeneß angezeigt, Herr Graf Lerchenfeld? Weil er tätige
Reue zeigen wollte? War es tätige Reue bei Herrn
Hoeneß? Herr Graf, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
Herr Hoeneß hat sich angezeigt, weil er aufgeflogen war.
Er hat zu diesem Mittel gegriffen, um sich letztendlich
vor dem Knast zu retten. Vielleicht gelingt ihm das jetzt
nicht – das ist eine andere Frage –; aber das war sein
Motiv. Mit der Strafbefreiung bei Selbstanzeige hat das
nur insofern etwas zu tun, als dass sie dazu beigetragen
hat, dass der Fall in die Öffentlichkeit kam.

Ein letztes Argument; dann bin ich auch gleich fertig,
Frau Präsidentin.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801721700

Ja – ein letztes!


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801721800

Da ging es um die Frage „Volle Kassen statt voller

Gefängnisse“. Wenn das im Strafrecht zu Ihrem Prinzip
wird, dann bin ich gespannt darauf, wie unser Land
künftig aussieht.

Ich sage zum Schluss: Wir brauchen Rechtsgrund-
sätze, die für alle gelten, und wir brauchen ein Klima in
unserem Land, das so beschaffen ist, dass es den reiche-
ren Bürgern auch nicht gelingt, sich von Strafverfolgung
freizukaufen – so wie es jetzt Tatbestand ist.


(Beifall bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ach nein! – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Wir sind alle gleich!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801721900

Danke, Herr Kollege.

Als Nächste hat das Wort Bettina Kudla für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Metin Hakverdi [SPD])



Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1801722000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und

Herren! Die Fraktion Die Linke – wir haben es gerade von
Herrn Ernst gehört – fordert in ihrem Antrag die Abschaf-
fung der angeblichen Straffreiheit bei Steuerhinterzie-
hung bei einer Selbstanzeige. Als Begründung führen
Sie an, dass keine Strafverfolgung erfolgen würde.

Bemerkenswert ist: Die Erzielung von Steuereinnah-
men zuzüglich Zinsen durch das Eintreiben von hinter-
zogenen Steuern spielt in Ihrem Antrag überhaupt keine
Rolle.





Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)

Steuerhinterziehung ist eine Straftat, und wer bei
Steuerhinterziehung durch die Strafverfolgungsbehörden
erwischt wird, hat sich in Deutschland strafrechtlich zu
verantworten.

Leider wird Steuerhinterziehung in vielen Fällen aber
nicht entdeckt. Daher wurde vor Jahrzehnten das wirk-
same Instrument der Selbstanzeige geschaffen. Die Fi-
nanzbehörden sind nämlich darauf angewiesen, dass der
Steuerpflichtige richtige und vor allem vollständige An-
gaben macht.

Die Abschaffung der Selbstanzeige würde nicht
zwangsläufig zu weniger Steuerhinterziehung führen. Im
Gegenteil! Die Finanzbehörden können Steuerhinterzie-
hung nämlich in der Regel nicht aufdecken, wenn der
Steuerpflichtige nicht mitwirkt.

Das Instrument der Selbstanzeige wurde vor fast drei
Jahren durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ver-
schärft. Die Selbstanzeige ist folglich nicht mehr als Ge-
staltungsinstrument für Steuerhinterziehung nutzbar.
Selbstverständlich muss die Selbstanzeige aber weiter-
hin als Korrekturmöglichkeit, insbesondere bei der Um-
satzsteuer, bestehen bleiben.

Durch den Strafzuschlag von 5 Prozent bei größeren
Beträgen stellt sich der Steuerhinterzieher schlechter als
der steuerehrliche Bürger. Das ist der springende Punkt,
und den haben Sie in Ihren Ausführungen verschwiegen,
Herr Ernst.

Wer gegen Steuerhinterziehung vorgehen will, muss
sich vor allem aber auch dem Thema Steuervermeidung
widmen. Wir leben in einer globalisierten Volkswirt-
schaft. Internetunternehmen und Unternehmen mit ei-
nem hohen Exportanteil haben es etwas leichter, die
Steuerpflicht von einem Land in ein anderes zu verschie-
ben. Sie können sich also viel leichter der Besteuerung
entziehen als andere Unternehmen.

Wir müssen daher gegen aggressive Steuergestaltung
vorgehen. Das Regelwerk, welches die OECD zum auto-
matischen und grenzüberschreitenden Informationsaus-
tausch vergangene Woche vorgelegt hat, wurde von der
Bundesregierung begrüßt, und auch der Koalitionsver-
trag enthält in dem Kapitel „Steuerhinterziehung be-
kämpfen – Steuervermeidung eindämmen“ wichtige
steuerpolitische Ziele, wie zum Beispiel die Bekämp-
fung der doppelten Nichtbesteuerung und des doppelten
Betriebsausgabenabzugs. Die DBAs sollten diesbezüg-
lich überprüft werden. Insbesondere der Betriebsausga-
benabzug bei Geschäftsbeziehungen mit Briefkastenfir-
men ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen.

Wir brauchen mehr Transparenz in Steuersachen, und
zwar insbesondere in den Branchen, in denen Steuerhin-
terziehung besonders leicht möglich ist, nämlich in der
Finanzbranche und in der Rohstoffbranche.

Wir wollen Besteuerungslücken schließen. Das schaf-
fen wir insbesondere mit einem verbesserten Informa-
tionsaustausch. Es gilt, diesen Teil des Koalitionsver-
trages trotz aller Komplexität und Hürden zügig
umzusetzen;

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn das liegt nicht nur im Interesse der öffentlichen
Haushalte, sondern das ist auch eine Frage der Wettbe-
werbsfähigkeit.

Kleine und mittelständische Unternehmen sind hier
gegenüber großen Unternehmen häufig benachteiligt, da
sich große Unternehmen leichter der Besteuerung entzie-
hen können. Ich warne allerdings vor einem Generalver-
dacht und vor einer zu emotionalen Debatte. Nicht jeder
große Konzern begeht Steuerhinterziehung.

Grundsätzlich gilt: Ziel aller Maßnahmen gegen Steu-
erhinterziehung ist meines Erachtens nicht, die Leute un-
bedingt in den Knast zu bekommen, Ziel der Maßnah-
men ist in erster Linie, die Steuern einzutreiben. Der
Staat muss das eintreiben, was ihm gesetzlich zusteht.
Die Steuergesetze müssen eingehalten werden.

Wir müssen uns immer fragen: Was steht denn jetzt
im Vordergrund: die strafrechtliche Verfolgung oder die
Zahlung von Steuern? Steuern stehen der Allgemeinheit
zu. Wer hier die Abschaffung der Selbstanzeige fordert,
der verhindert Steuereinnahmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801722100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zusatzfrage oder

Bemerkung von Herrn Ernst?


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1801722200

Bitte schön.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801722300

Kollege Ernst, bitte.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801722400

Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Wenn

ich Sie richtig verstehe, ist bei Ihnen das oberste Motiv
des Strafrechts, die Einnahmen des Staates zu erhöhen,
oder habe ich Sie da falsch verstanden?


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie falsch verstanden!)


Sie haben gerade gesagt: Wir wollen mit diesem Instru-
ment dazu beitragen, zu möglichst hohen Einnahmen für
den Staat zu kommen. Das ist gut und schön; das wollen
wir ja auch. Aber es handelt sich hier um eine Straftat,
die unterschiedlich behandelt wird.

Wenn dieser Grundsatz prinzipiell gelten würde, dann
wäre es nicht das oberste Ziel der Strafverfolgung, künf-
tige Straftaten durch Androhung einer Strafe zu vermei-
den, sondern das oberste Ziel wäre es dann, die Einnah-
men des Staates zu fördern. Würde das dann allgemein
gelten oder nur bei Steuerhinterziehung?


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1801722500

Sie führen die Diskussion ideologisch.


(Zuruf von der LINKEN: Niemals!)






Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)

Oberstes Ziel der Steuergesetze ist es, die Steuern einzu-
treiben. Wie ich bereits sagte: Steuerhinterziehung ist
strafbar. Die Selbstanzeige ist ein Instrument, das zu
mehr Steuerehrlichkeit beiträgt. Machen wir uns nichts
vor: Wenn wir das Instrument der Selbstanzeige abschaf-
fen, dann werden wir der Steuerhinterziehung kaum bei-
kommen. Wir werden diese Straftaten schlichtweg nicht
aufdecken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nach wie vor gilt die Regelung: Wer Steuern hinter-
zieht, macht sich strafbar.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wird aber nicht besteuert!)


Durch die Zahlung des Strafzuschlages von 5 Prozent er-
langt der Steuerpflichtige zwar Straffreiheit, aber er
muss diese Strafe zahlen. Damit ist es für den Staat er-
heblich günstiger.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er ist nicht einmal vorbestraft!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801722600

Gut, danke schön. Weiter in Ihrer Rede!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1801722700

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Schweiz sa-

gen. Die Ausgangslage für Gespräche mit der Schweiz
ist nach der Ablehnung des bilateralen deutsch-schwei-
zerischen Steuerabkommens durch den Bundesrat und
auch nach dem aktuellen Schweizer Referendum zur Zu-
wanderung nicht einfacher geworden. Trotzdem sollte
man hier den Willen des Volksentscheids akzeptieren.
Aber die Europäische Kommission sollte gleichzeitig die
Gespräche mit der Schweiz über die Revision des Zins-
besteuerungsabkommens fortsetzen.

Fazit: Es gilt, den Koalitionsvertrag umzusetzen und
die Regelungen zur Selbstanzeige gegebenenfalls zu ver-
schärfen, sobald die Vorschläge der Arbeitsgruppe, wel-
che von der Finanzministerkonferenz eingesetzt wurde,
vorliegen. Keinesfalls darf die Verschärfung aber dazu
führen, dass die Selbstanzeige wirkungslos wird und
dass sich faktisch niemand mehr anzeigt. Die Regelung
zur Selbstanzeige ist übrigens nicht mit der Zielrichtung
der Abschaffung in den Koalitionsvertrag aufgenommen
worden, –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801722800

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1801722900

– sondern mit der Absicht, diese zielgenauer auszuge-

stalten. Der Antrag der Linken ist abzulehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801723000

Danke, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Lisa

Paus für Bündnis 90/Die Grünen.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801723100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute

ging in Hessen am Amtsgericht Eschwege ein Prozess
gegen drei Jugendliche zu Ende. Den dreien drohte bis
zu fünf Jahren Gefängnis, und zwar dafür, dass sie im
Juni letzten Jahres weggeworfene Lebensmittel aus ei-
nem Abfallcontainer eines Supermarktes genommen ha-
ben sollen, um auf die Verschwendung von Lebensmit-
teln aufmerksam zu machen und sie der Tafel für
Bedürftige zu übergeben. Fünf Jahre Gefängnis!


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Haben sie ja nicht bekommen!)


Gegen dieses Strafverfahren hat sich aus meiner Sicht
völlig zu Recht eine Welle der Empörung entwickelt.
Vor gut zwei Stunden ist nun der salomonische Urteils-
spruch erfolgt: Die drei Jugendlichen sind aus Mangel an
Beweisen freigesprochen worden. Das ist die gute Nach-
richt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber das Entwenden von Lebensmitteln aus Müllcon-
tainern ist weiterhin eine schwere Straftat. Das ist die
schlechte Nachricht, meine Damen und Herren.

Warum erzähle ich das heute? Weil sich an diesem
Fall einmal mehr zeigt, wie sich das Gerechtigkeitsemp-
finden und geltendes Recht einander in Deutschland
widersprechen. Es ist kaum zu vermitteln, dass Alice
Schwarzer straffrei davonkommt, weil sie ihre Steuer-
hinterziehung selbst beim Finanzamt angezeigt hat,
während die Staatsanwaltschaft junge Menschen wegen
einer Weiterverwendung bereits weggeworfener Lebens-
mittel anklagt.

Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, es greift dennoch deutlich zu kurz, jetzt ein-
fach im Umkehrschluss ebenso drakonische Strafen
schon für kleinste Steuerhinterzieher einzufordern,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das wollen wir nicht!)


zumal die Abschreckungswirkung von hohen Strafen oh-
nehin zweifelhaft ist. Entscheidend ist das Entdeckungs-
risiko. Daran wollen wir arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen wollen die strafbefreiende Selbstanzeige
nicht abschaffen. Aber wir wollen sie überflüssig ma-
chen. Das geht zunächst einmal, indem wir das Ent-
deckungsrisiko deutlich erhöhen. Das schaffen wir ers-
tens mit Transparenz, zweitens mit mehr Transparenz
und drittens mit noch mehr Transparenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Das ist ja super! Klasse!)






Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)

In diesem Zusammenhang ist uns Grünen zusammen
mit der SPD mit der Verhinderung des deutsch-schwei-
zerischen Steuerabkommens ein entscheidender Durch-
bruch für eine europäische Dynamik zugunsten von
mehr Transparenz gelungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Es fehlen jetzt 10 Milliarden!)


Denn seitdem wissen die Steuerbetrüger: Es wird in
Deutschland keine anonyme Amnestie für Steuerhinter-
ziehung im Ausland geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber es muss weitergehen. Die Instrumente dafür lie-
gen auf dem Tisch: Erstens. Wir brauchen einen automa-
tischen Informationsaustausch nicht nur für Zinsen, son-
dern für alle Kapitalerträge in der EU und im Übrigen
auch mit Nicht-EU-Ländern wie der Schweiz.

Zweitens. Wir machen einen automatischen Informa-
tionsaustausch in allen Doppelbesteuerungs- oder Steuer-
informationsabkommen mit anderen Staaten verpflich-
tend.

Drittens. Wir wollen die Abschaffung der Abgeltung-
steuer in Deutschland, damit auch in Deutschland Kapi-
taleinkünfte nicht mehr anonym bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber auch die derzeitigen Regelungen für die strafbe-
freiende Selbstanzeige gehören auf den Prüfstand. Denn
nach den derzeitigen Regelungen ist der Ehrliche noch
immer zu oft der Dumme. Wer wie Alice Schwarzer über
20 Jahre Steuern auf Erträge von Auslandskonten nicht
gezahlt hat und sich dann selber anzeigt, für den hat es
sich wegen der geltenden Verjährungsfristen eben doch
noch gelohnt, Frau Kudla. Das ist nicht in Ordnung, und
das wollen wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von der strafbefreienden Selbstanzeige darf kein zusätz-
licher Anreiz zur Steuerhinterziehung ausgehen.

Wir wollen auch über die Höhe des Steuerzuschlages
und darüber reden, warum ein Zuschlag erst ab
50 000 Euro fällig wird. Schließlich wollen wir auch
über die Mindeststrafen reden. Wir wollen sie überprü-
fen, damit wir diese klare Dreiteilung haben. Der Steuer-
ehrliche muss belohnt werden. Das ist das, was wir
wollen. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist etwas da-
zwischen. Wer trotz alledem immer noch weiter Steuern
hinterzieht, muss mit entsprechenden Strafen rechnen.
Für eine entsprechende Reform stehen wir bereit und
hoffen, dass Sie das in den nächsten Wochen entspre-
chend angehen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801723200

Vielen Dank, Frau Kollegin. Jetzt kann ich die Rede-

zeit, die Sie nicht gebraucht haben, niemand anderem
gutschreiben. Aber gut.

Nächster Redner in der Debatte ist Metin Hakverdi
für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1801723300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Thema strafbefreiende Selbstanzeige bei
Steuerhinterziehung, deren Abschaffung die Linke heute
wieder einmal fordert, haben wir im Rahmen der Aktuel-
len Stunde in der letzten Woche ausführlich besprochen.
Die wesentlichen Argumente wurden vorgetragen und
ausgetauscht. Wir können das jede Woche wiederholen,
wenn Sie wünschen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir haben einen Antrag gestellt! Das ist doch ein Unterschied!)


– Ich komme gleich darauf zurück, durchaus versöhn-
lich, Herr Ernst.

Die Debatte hat aufgezeigt – das kann man im Proto-
koll nachlesen –, dass wir durchaus einen Konsens im
Hause haben, dass wir alle gemeinsam mehr Steuerge-
rechtigkeit in Deutschland wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Steuergerechtigkeit ist eines der Kernanliegen der SPD-
Fraktion. Auch wir wollen an dem Erreichen des Ziels
mehr Steuergerechtigkeit konsequent weiterarbeiten.

Keine Einigkeit haben wir darüber erzielt, wie dieses
Ziel mehr Steuergerechtigkeit erreicht werden kann. Mit
der Union haben wir uns zuerst darauf geeinigt, die
Steuerhinterziehung stärker zu bekämpfen. Im Koali-
tionsvertrag haben wir vereinbart – darüber war schon
einiges zu hören –, dass wir gegen grenzüberschreitende
Gewinnverlagerungen von international operierenden
Unternehmen vorgehen werden. Wir haben vereinbart,
dass wir auf nationaler, europäischer und internationaler
Ebene weiter konsequent gegen Steuervermeidung durch
Nutzung von Offshorefinanzplätzen vorgehen wollen.
Außerdem haben wir vereinbart, dass wir im Lichte des
Berichts der Finanzministerkonferenz die Regelung zur
strafbefreienden Selbstanzeige, deren Abschaffung Sie
eilfertig fordern, weiterentwickeln und verschärfen
wollen.

Wenn man das Ziel mehr Steuergerechtigkeit konse-
quent ansteuert, dann genügt es eben nicht, einen einzel-
nen Baustein aus dem System der Steuergestaltung zu
betrachten und zu kritisieren. Mehr Steuergerechtigkeit
werden wir nur dann erreichen, wenn wir ein Bündel
verschiedener Maßnahmen weiterentwickeln und aufei-
nander abstimmen. Die Abschaffung der strafbefreien-
den Selbstanzeige allein wird eben nicht zu mehr Steuer-
gerechtigkeit führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Metin Hakverdi


(A) (C)



(D)(B)

Mit der Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige
allein werden Steuerbetrüger nicht zu rechtschaffenen
Bürgern, die sich in die Schlange vor dem Finanzamt
einreihen, um ihre Steuern zu zahlen.


(Beifall bei der SPD)


Wenn die strafbefreiende Selbstanzeige allein abge-
schafft würde, würden in diesem Land künftig – so para-
dox das klingen mag – mehr Steuern hinterzogen. Wenn
wir Ihrem Antrag heute folgen würden: Was würde sich
für die Menschen, die bisher Steuern hinterzogen haben,
ändern? Durch die ersatzlose Streichung der strafbefrei-
enden Selbstanzeige machen wir die Tür zu, durch die
diese Menschen bisher gehen können, um ihrer Steuer-
pflicht nachzukommen. Hierdurch bekommt der Staat
Einnahmen in nennenswerter Höhe: 3 Milliarden Euro.
Das ist viel Geld. Wenn wir allein das Institut der Selbst-
anzeige abschaffen würden, bekämen wir auch mit dem
Ankauf von Steuer-CDs eine so hohe Summe nicht her-
ein.

Die strafbefreiende Selbstanzeige ist in weiterer
Hinsicht nützlich. Durch sie bekommen wir wichtige
Hinweise auf weitere Steuerstraftaten; denn in diesen
Verfahren sind die Steuerbürger zur Mitwirkung bei der
Aufklärung verpflichtet. Es gibt kein Zeugnisverweige-
rungsrecht. Alle Steuersachen müssen lückenlos aufge-
deckt werden. Solche wichtigen Informationsquellen
würden verschüttgehen, wenn wir dem Antrag der Lin-
ken folgten.


(Beifall bei der SPD)


Die Steuerfahnder würden in der Praxis tatsächlich we-
niger Steuerstraftaten aufdecken.

Im Ergebnis muss man also fragen: Worauf kommt es
uns bei der Steuergerechtigkeit an? Wollen wir gesin-
nungsethisch oder verantwortungsethisch entscheiden?
Ist es uns bei der Steuergerechtigkeit wichtiger, sagen zu
können: „Wir haben die richtige Gesinnung“, oder ist es
uns wichtig, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Men-
schen tatsächlich ihre Steuern zahlen?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Wahrheit ist: Wir wollen beides. Wir wollen auch
dem Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft Rech-
nung tragen. Der Bericht der Bund-Länder-Fachgruppe
zur Evaluierung der §§ 371 und 398 a der Abgabenord-
nung hat gute Vorschläge gemacht. Diese sollten wir
aufgreifen und fortentwickeln. Zum Beispiel sollen bei
einfacher Steuerhinterziehung vollständige Angaben zu
dem für die Nachversteuerung relevanten Zeitraum ge-
macht werden. Mit Blick auf diese Erkenntnisse sollten
wir darüber diskutieren, ob wir die strafbefreiende
Selbstanzeige in Fällen schwerer Steuerstraftaten tat-
sächlich abschaffen wollen. Das haben wir schon vor ei-
nigen Jahren vorgeschlagen. Wir wollen keinen Ablass-
handel für Superreiche und Schwerkriminelle, die sich
teure Berater bei der Selbstanzeige und beim Zuschlag
leisten können. Das Papier der Bundesländer enthält
weitere Vorschläge, über die wir diskutieren und die wir
für eine Novellierung dieses Instruments heranziehen
sollten.
Im Ergebnis ist festzuhalten: Solange wir ein interna-
tionales Umfeld von sogenannten Steueroasen haben, ist
es richtig, wenigstens die Möglichkeit der strafbefreien-
den Selbstanzeige zu haben. Aber die Steuergerechtig-
keit und das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung
verlangen, dass wir die Brücke zur Straffreiheit durch
die Selbstanzeige neu justieren. Hierfür ist der Bericht
der Bund-Länder-Facharbeitsgruppe zur Evaluierung der
§§ 371 und 398 a der Abgabenordnung eine gute Dis-
kussionsgrundlage. Wir werden Ihren Antrag deshalb
ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801723400

Vielen Dank, Herr Kollege Metin Hakverdi. Das

ganze Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Nächster Redner in der Debatte ist Philipp Graf
Lerchenfeld.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1801723500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Hohes Haus! Wissen Sie, Kollege
Ernst, durch ständiges Behaupten von Halbwahrheiten
werden Tatsachen und Fakten nicht verändert, und fal-
sche Behauptungen werden einfach auch nicht wahrer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wieder eine gräfliche Lebensweisheit!)


Vielleicht erziele ich mit der Wiederholung meiner
Darstellung aus der Aktuellen Stunde der letzten Woche
einen gewissen Lernerfolg bei Ihnen. Man sagt ja: Repe-
titio est mater studiorum. Frei übersetzt: Die Wiederho-
lung ist die Mutter des Lernerfolgs. Oder: Wenn ich es
Ihnen oft genug sage, kapieren auch Sie es vielleicht ein-
mal.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen: Steuer-
hinterziehung ist nicht die einzige Straftat, bei der eine
Selbstanzeige zur Straffreiheit führen kann. Sie haben
das Beispiel des Brandstifters selbst genannt. Hier soll-
ten Sie in das Gesetz schauen. Dort steht nämlich, dass
schon der Versuch des Löschens dazu führen kann, dass
Straffreiheit gewährt wird.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Kann, Herr Graf, aber nicht muss!)


Gleiches gilt für die Hinterziehung von Sozialabgaben,
bei Geldwäsche, bei Geldfälschung, bei Subventions-
betrug, und es gibt, worauf ich hingewiesen habe, sogar
eine Straffreiheitsregelung im Parteiengesetz.

Wir sind uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig,
dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist. Steu-
erhinterziehung ist Betrug an der Gesellschaft und muss





Philipp Graf Lerchenfeld


(A) (C)



(B)

deshalb entsprechend verfolgt und bestraft werden. In
Ihrem Antrag, Kollege Ernst, wird auch korrekt darauf
hingewiesen, dass das Steuerstrafrecht in der letzten
Legislaturperiode erheblich verschärft worden ist. Au-
ßerdem haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart – das
haben Sie allerdings nicht in Ihren Antrag geschrieben –,
dass wir weitere Maßnahmen für notwendig halten. Nun
aber wegen der spektakulären Fälle, die in letzter Zeit
durch die Medien gegangen sind, gleich die Abschaf-
fung der strafbefreienden Selbstanzeige zu fordern, heißt
doch, das Kind mit dem Bad auszuschütten, und ist
wirklich nichts anderes als schnöder Populismus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
Ihnen geht es doch gar nicht darum, vermeintliche Unge-
rechtigkeiten zu beseitigen. Sie versuchen, mit Ihrem
Antrag alle finanziell besser situierten Bürgerinnen und
Bürger erst einmal unter einen Generalverdacht zu stel-
len. In Ihrer Vorstellungswelt ist anscheinend jeder, der
Vermögen besitzt, per se ein Straftäter, den der Staat
durch die strafbefreiende Selbstanzeige schützen will.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn! Woher haben Sie die Weisheit, Herr Graf?)


Sie sprechen vom gleichen Recht für alle. Bei Steuer-
hinterziehungen, bei denen durch eine umfassende
Selbstanzeige Straffreiheit gewährt wird, geht es doch
nicht nur um die spektakulären Fälle, sondern es geht
zum Beispiel auch um Eltern, die weiter Kindergeld be-
ziehen, weil sie das Alter ihrer Kinder in der Steuer-
erklärung nicht angegeben haben. Es geht auch um den
Rentner, der glaubt, seine Rente nicht versteuern zu
müssen, oder um den Lehrer, der wider besseres Wissen
ein Zimmer seines Hauses als Arbeitszimmer angibt,
oder um die eigentlich ehrlichen Bürger, die in Unkennt-
nis unseres wirklich komplizierten Steuerrechts fehler-
hafte Erklärungen abgeben. In allen diesen Fällen hilft
die Strafbefreiung bei Selbstanzeige, den Weg zur Steu-
erehrlichkeit wieder zu öffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Finanzbehörden sind gehalten, alle steuerlichen
Sachverhalte zu erfassen. Es ist schon gesagt worden,
dass hierzu die Mitwirkung der Steuerpflichtigen not-
wendig ist und eine Strafbefreiung auch dazu führt, dass
bei einer Selbstanzeige alle Tatsachen aufgeklärt wer-
den. Sonst hätte der Steuerbetrüger ein Aussageverwei-
gerungsrecht, und wir würden nicht zu den angestrebten
Ergebnissen kommen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801723600

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

Bemerkung vom Kollegen Ernst?


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Nein, nicht schon wieder!)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1801723700

Vom Kollegen Ernst immer besonders gerne.

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801723800

Echt? Gut, dann Kollege Ernst.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801723900

Danke schön. – Das scheint der Beginn einer grenzen-

losen Freundschaft zu werden.


Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1801724000

Das müssen wir noch abwarten, würde ich sagen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801724100

Ich wollte Sie, Herr Graf, darauf hinweisen, dass wir

genau die Delikte, die Sie ansprechen, mit der Abschaf-
fung der strafbefreienden Selbstanzeige nicht erfassen
wollen und sie deshalb ausnehmen. Wenn Sie unseren
Antrag gelesen hätten, wüssten Sie das. Vielleicht ist es
Ihnen auch entgangen. Es heißt dort – ich möchte zitie-
ren –:

Die Institution der strafbefreienden Selbstanzeige
dient auch als Korrekturmöglichkeit von nicht ab-
sichtlich begangenen Fehl- oder Falschangaben.
Dies betrifft insbesondere den Bereich der komple-
xen umsatzsteuerlichen Melde- und Erklärungs-
pflichten. Leichtfertige Steuerverkürzung ist nicht
gleichzusetzen mit bewusster Steuerhinterziehung.

Genau diesen Punkt greifen wir also auf.

Wir wollen nicht, dass Steuerhinterziehung in Millio-
nenhöhe mit der Tat von jemandem gleichgesetzt wird,
der vielleicht vergessen hat, seine Steuererklärung recht-
zeitig abzugeben. Genau das wollen wir nicht. Insofern
stimme ich Ihnen vollkommen zu, dass wir das Ganze
entsprechend regeln müssen.


Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1801724200

Wenn Sie mir so weit zustimmen, dann könnte das

mit der Freundschaft vielleicht noch etwas werden.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben, eben!)


Ich möchte Ihnen nur sagen: Sie fordern gleiches
Recht für alle. Gleichzeitig sagen Sie, dass die reichen
und superreichen Steuerbetrüger stärker als die anderen
bestraft werden sollen. Steuerhinterziehung ist grund-
sätzlich eine Straftat, und das gilt für jeden, in welcher
Höhe er auch immer Steuern hinterzieht. Wir brauchen
eine Strafbefreiung, damit Steuerhinterziehung geahndet
werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte noch auf eine Sache hinweisen, auf die ich
auch in der letzten Rede hingewiesen habe: Das Steuer-
geheimnis ist auch ein Dienstgeheimnis. Wir haben in
der letzten Zeit sehr viel von Dienstgeheimnissen gehört
und viel darüber gesprochen. Ich meine, dass es notwen-
dig ist, dass jeder, der ein Steuergeheimnis verletzt, un-
nachgiebig verfolgt wird.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ins Gefängnis!)


(D)






Philipp Graf Lerchenfeld


(A) (C)



(D)(B)

Es kann nicht sein, dass jemand in der Öffentlichkeit
durch den Dreck gezogen wird, weil man bei ihm Steu-
erhinterziehung vermutet oder weil an bestimmte Fern-
sehanstalten die Information weitergegeben worden ist,
dass eine Hausdurchsuchung stattfindet. So kann man
mit vermeintlichen Steuerhinterziehern nicht umgehen.
Solches Fehlverhalten muss genauso geahndet werden
wie die Steuerhinterziehung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Kann man sich da auch durch Selbstanzeige befreien?)


Wir können über eine Verschärfung der Regeln zur
Selbstanzeige durchaus reden. Aber wir müssen die an-
dauernde Verletzung von Steuergeheimnissen ebenso ins
Kalkül ziehen. Eine Abschaffung der Selbstanzeige für
alle Steuerdelikte, wie es die Linke in ihrem populisti-
schen Antrag fordert, ist ebenso unsinnig wie kontrapro-
duktiv und geht an der eigentlich zu führenden Debatte
vorbei. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Ich
hoffe, das tut unserer Freundschaft keinen Abbruch.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801724300

Die Steuer verbindet. – Vielen Dank, Herr Kollege. –

Nächster Redner ist Lothar Binding für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1801724400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke hat die Be-
griffe Straftat, Strafverfolgung, Strafrecht und Gerech-
tigkeit sehr stark strapaziert. Ich denke, es ist klug, wenn
man nur Vergleichbares miteinander vergleicht. Schauen
wir einmal, wie der Antrag der Linken eigentlich be-
ginnt:

Keine Schwarzfahrerin, kein kleiner Betrüger kann
durch Selbstanzeige einen gesetzlich zugesicherten
Anspruch auf Straffreiheit geltend machen.

Das stimmt.

Interessanterweise wird in diesem Antrag mit der
Überschrift „Straffreiheit bei Steuerhinterziehung durch
Selbstanzeige abschaffen“ ein Schlupfloch für die klei-
nen Leute gefordert. Da steht nämlich, Bagatelldelikte
sollten künftig nur als Ordnungswidrigkeit behandelt
werden. Es geht dabei um genau diejenigen kleinen
Leute mit ihren kleinen Fehlern, auf denen Sie die Be-
gründung Ihres Antrags aufbauen. Dann müssten Sie
konsequenterweise auch eine Bagatellgrenze für
Schwarzfahrer und für Betrüger fordern. Sie müssen
Gleiches mit Gleichem vergleichen. Dass Sie das nicht
tun, führt in Ihrem Antrag zu einem logischen Fehler.

Eigentlich ist Ihr Antrag gar nicht schlecht. – Ich lasse
jetzt keine Zwischenfrage zu. –


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Interessanterweise haben Sie in der 17. Legislatur-
periode etwas anderes vorgelegt, nämlich einen Antrag
ohne die Forderung nach dieser Bagatelldeliktregelung.
Das ist doch bemerkenswert. Interessanterweise haben
wir vor zwei Jahren ebenfalls beantragt, die pauschale
Straffreiheit nach einer Selbstanzeige abzuschaffen. Das
geschah teilweise auch, um bestimmte Leute zu erschre-
cken; das stimmt. Damals hatten wir nämlich schon im
Hinterkopf, dass es sich bei manchen Vergehen um
Kavaliersdelikte handelt. Von Jugendsünden war die
Rede. – Ich assoziiere mit „Jugendsünde“ ganz andere
Sachen.


(Heiterkeit)


Steffen Kampeter hat am 26. April 2013 etwas gesagt,
was auch in der Rückschau ganz anders klingt – Martin
Gerster hat es hier schon einmal zitiert; ich wiederhole
es gern noch einmal –:

Der Fall Hoeneß ist doch nur ein Einzelfall – ein
Zierfisch, ein dicker, fetter Zierfisch.

Über einen Zierfisch könnte man ja diskutieren. Aber
ich würde es doch als zu weitgehend bezeichnen, von ei-
nem Einzelfall zu sprechen, weil es nach dem Bekannt-
werden dieses Falles zu 50 000 Selbstanzeigen gekom-
men ist. Ein Einzelfall ist es also nicht. Hier merkt man,
warum die Selbstanzeige nicht funktioniert, wenn man
sie nicht mit Straffreiheit verknüpft. Warum? Wenn man
die Straftäter ganz korrekt verfolgen würde, würde man
größenordnungsmäßig vielleicht 2 000 Straftäter finden
können. Sie können die Verwaltungen aber noch so sehr
aufrüsten mit noch so vielen Steuerfahndern, Buchfüh-
rungshelfern, Buchprüfern, Bilanzprüfern: Sie würden
immer nur eine bestimmte Zahl von Straftätern finden
– nämlich die angenommenen 2 000 –; aber die anderen
50 000 würden sie nie entdecken. Sie hätten einen dop-
pelten Schaden. Sie würden die Gauner, die Nichtent-
deckten, belohnen. Die blieben nämlich straffrei, obwohl
sie straffällig geworden sind; das Entdeckungsrisiko ist
nämlich nahe null. Gleichzeitig hätte der Fiskus große
Ausfälle. Auch das ist eine große Ungerechtigkeit.

Deshalb glauben wir: Die Strafbefreiung bei der
Selbstanzeige ist ein Instrument, das auf dem Entde-
ckungsrisiko aufbaut, sodass insgesamt Gerechtigkeit
hergestellt wird. Wir haben ja gesehen, wie es funktio-
niert: Wir kaufen eine CD. Einige Prominente werden
entdeckt. Durch diese Kombination werden alle anderen
Steuersünder sich selbst anzeigen, werden damit offen
sichtbar. Dadurch kommt sozusagen eine selbstindu-
zierte Steuergerechtigkeit zustande. Das ist eine ganz
gute Sache, um das so zu rechtfertigen.

Ich glaube, an der Stelle muss man das beachten, was
Metin Hakverdi gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: Man
muss ein bisschen aufpassen, dass die Verantwor-
tungsethik nicht hinter der Gesinnungsethik zurück-
bleibt. – Wir sind der Meinung: Die Verantwor-
tungsethik gegenüber dem Staat ist so hoch, dass sich die
Strafbefreiung bei der Selbstanzeige für den Staat nicht
nur rechnet, sondern auch dazu führt, die Kriminellen,
die andernfalls unentdeckt bleiben würden, zu entde-





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

cken. Deshalb lohnt es nicht, ein solches Gesetz, wie von
Ihnen vorgeschlagen, zu beschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden natürlich eine Verschärfung der Regeln
bei der Selbstanzeige herbeiführen. Wir wollen die
Grenze von 50 000 Euro absenken. Wir wollen den Zu-
schlag, also den Strafzins, erhöhen. Wir wollen überle-
gen, wie wir die Menschen stärker sensibilisieren, sodass
sie selbst dahin kommen, weniger Steuern zu hinterzie-
hen. Ich glaube, dass wir auf einem sehr guten Weg sind,
ein Gesetz zu erarbeiten. Wir wollen die Gesetzeslage
verschärfen. Wir wollen aber nicht die Straffreiheit bei
der Selbstanzeige abschaffen – aus den genannten
Gründen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801724500

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Das Wort für

eine Kurzintervention hat der Kollege Klaus Ernst.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Viermal war der schon dran!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801724600

Herr Kollege Binding, vielleicht leihen Sie mir noch

kurz Ihr Ohr.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Hier!)


Ich wollte nur darlegen, wie wir das mit den Bagatellde-
likten sehen.

Der wesentliche Unterschied zur strafbefreienden
Selbstanzeige ist der, dass das Gesetz vorschreibt, dass
der Steuerhinterzieher straffrei bleibt. Wenn jemand
schwarzfährt, dann kann der Richter zum Beispiel die
Lebensumstände des Straftäters berücksichtigen. Ich
meine, der Richter würde die Tatsache berücksichtigen,
dass der Straftäter deshalb schwarzgefahren ist, weil –
ein Beispiel – seine Mutter überraschend ins Kranken-
haus gekommen ist und er kein Geld in der Tasche hatte.
Wenn der Richter einen Steuerhinterzieher vor sich hat
und verurteilen muss, sollte er auch berücksichtigen
können, was dessen Motiv war. Vielleicht musste er für
irgendetwas sparen, weil zum Beispiel eine große Ope-
ration bevorstand, sodass er seine Steuern gar nicht zah-
len konnte. Es müsste der Einzelfall berücksichtigt wer-
den.

Der wesentliche Unterschied zur – wie haben Sie das
im Zusammenhang mit der Straffreiheit bezeichnet? –
selbstinduzierten Steuergerechtigkeit besteht darin, dass
ein Richter diesen Straftäter nicht einmal zu sehen be-
kommt. Sonst könnte er sagen: Der hat viel hinterzogen
– im Gesetz ist ja auch ein Rahmen für das Strafmaß vor-
gesehen: sechs Monate bis zehn Jahre –; danach richtet
sich, welche Strafe er bekommt. – Aber dass der Steuer-
hinterzieher im Fall der Selbstanzeige von vornherein
per Gesetz straffrei bleibt, obwohl er Straftäter ist, das ist
ein Unterschied auch zum Brandstifter. Darauf wollte
ich nur noch einmal hinweisen.

(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Au! Au! Au! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801724700

Herr Binding, wenn Sie mögen, können Sie darauf

antworten.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1801724800

Ich will nur eine ganz kurze Erwiderung geben. – Ver-

gleichbarkeit wäre erst dann hergestellt, wenn man in
den von Ihnen genannten Fällen eine automatische Straf-
zahlung vorsehen würde. Das ist aber nicht so. Jemand
kommt vor den Richter, und dann wird sein Fall verhan-
delt. Aber bei der Steuerhinterziehung ist es anders. Hier
zeigt sich jemand selbst an. Er muss Mitwirkungspflich-
ten erfüllen – eine ganz harte Strafe; das ist doch klar.
Aber viel schlimmer ist, dass er eine Strafzahlung leisten
muss, und zwar automatisch. Diese wollen wir erhöhen
oder auch staffeln, damit jemand, der wenig Steuern hin-
terzieht, eine geringere Strafe zu zahlen hat als jemand,
der viel Steuern hinterzieht. Deshalb können wir uns
auch vorstellen, dass jemand, der sehr viel Steuern hin-
terzieht, auch sehr hohe Strafzahlungen leisten muss,
und zwar automatisch. Durch die Selbstanzeige ver-
pflichtet er sich dazu. Das macht für mich den großen
Unterschied zu den von Ihnen vorgetragenen Fällen aus,
die damit nicht vergleichbar sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801724900

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Als letztem

Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort Uwe Feiler
für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1801725000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Auch wenn man durch die öffentliche Be-
richterstattung der vergangenen Wochen einen anderen
Eindruck gewinnen könnte, schicke ich eines vorweg:
Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind kein
Volk von potenziellen Steuerhinterziehern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bis auf wenige Ausnahmen zahlen die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und
Rentner, die Unternehmerinnen und Unternehmer und,
Herr Ernst, auch Vermögende in Deutschland brav ihre
Steuern. Das kann ich Ihnen aus meiner 28-jährigen Tä-
tigkeit in der Finanzverwaltung versichern. Das sagen
aber auch alle Statistiken. Damit versetzen die Bürgerin-
nen und Bürger nicht zuletzt uns als Abgeordnete in die
Lage, mit ihrem Geld die Aufgaben des Staates zu finan-
zieren. Gerade deshalb ist es ja wichtig, dass alle ihren
Beitrag dafür leisten.

Jeder Steuerpflichtige muss bei der Steuererklärung
versichern, dass seine Angaben richtig und vollständig
sind. Die Finanzbehörden haben diesen Angaben, soweit
sie schlüssig und glaubhaft sind, zu folgen. Diejenigen,





Uwe Feiler


(A)



(D)(B)

die sich nicht an die steuerlichen Vorschriften halten,
unrichtige oder unvollständige Angaben machen und da-
durch Steuern verkürzen, begehen eine Straftat. Diese
Straftat muss – das ist in diesem Hause unstreitig – ver-
folgt und geahndet werden, so man sie denn erkennt.

Aber genau hier liegt das Problem. Wie in kaum
einem anderen Rechtsgebiet ist der Staat bei der Steuer-
festsetzung auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen
angewiesen. Straftaten müssen folglich erkannt und die
strafbare Handlung des Täters nebst der Besteuerungs-
grundlagen ausermittelt werden. Das erfordert Zeit,
enormen Aufwand und vor allem qualifiziertes Personal
in unseren Finanzämtern. Dabei stellt das Delikt der
Steuerhinterziehung durch das Verschweigen etwaiger
Zinseinkünfte nur einen kleinen Ausschnitt aus der
Bandbreite möglicher Fallgestaltungen dar.

Das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige wurde
vor knapp 100 Jahren eingeführt, um dem Steuerhinter-
zieher unter tätiger Reue den Weg zurück in die Gemein-
schaft der ehrlichen Steuerzahler zu ermöglichen. Sie ist
aber auch – das muss man ehrlicherweise dazusagen –
eine deutliche Arbeitserleichterung für die Finanzbehör-
den. Meinem Heimatland Brandenburg bescherten diese
Selbstanzeigen immerhin zusätzliche Einnahmen von
knapp 4,2 Millionen Euro seit dem Jahr 2010. Da mutet
es schon seltsam an, dass das von einem linken Minister
geführte Finanzministerium in Brandenburg öffentlich
eine neue Rekordzahl von Selbstanzeigen feiert, das
Geld gerne nimmt und gleichzeitig die Abschaffung der
strafbefreienden Selbstanzeige fordert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere Abgabenordnung eröffnet dem Steuerpflichti-
gen nach § 371 die Möglichkeit der strafbefreienden
Selbstanzeige unter gewissen Bedingungen. So muss für
den nicht verjährten Zeitraum die Steuer verzinst, nach-
entrichtet und ein etwaiger Strafaufschlag nach § 398 a
der Abgabenordnung bezahlt werden. Der Ankauf von
Steuer-CDs hat zweifelsohne den Druck auf die Täter
erhöht und ist in Fällen, in denen kein automatischer In-
formationsaustausch von Steuerdaten möglich ist, auch
vertretbar. Dennoch bleibt hier ein hoher Ermittlungs-
aufwand bestehen.

Was würde eigentlich passieren, wenn wir die Mög-
lichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige gänzlich ab-
schaffen würden? Das kann man sich gut am Beispiel
des gescheiterten Steuerabkommens mit der Schweiz vor
Augen führen. Ich bitte bereits jetzt um Nachsicht für
das von mir verwendete Bild des Staates als Fischer.

Mit diesem Abkommen wäre es möglich gewesen,
mit einem großen Schleppnetz alle Fische zu fangen, zu-
gegeben zum Preis der Straffreiheit und zum Preis, die
Fische nicht einzeln beim Namen zu kennen. Dieses
Netz wurde gekappt. Nicht zuletzt mit dem Kescher der
Selbstanzeige wurden immerhin noch einzelne, mitunter
auch große Fische gefangen. Diesen Kescher wollen Sie
von der Linken nun auch noch über Bord werfen. Statt-
dessen wollen Sie es mit der Angelrute versuchen und
darauf hoffen, dass ein Fisch anbeißt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da kann ich Ihnen nur viel Glück wünschen; die Aus-
beute wird wesentlich schlechter sein.

Wir sollten uns vielmehr darüber unterhalten, wie wir
das Mittel der Selbstanzeige modifizieren können. Ich
könnte mir vorstellen, den Zeitraum, für den sich der
Steuersünder zu erklären hat, auszuweiten. Wichtig wäre
auch, den Aufschlag nach § 398 a AO zu erhöhen, um zu
vermeiden, dass der von vornherein ehrliche Steuerzah-
ler schlechter gestellt wird als derjenige, der sich selbst
anzeigt und darauf vertraut, durch die Verjährung trotz
des Aufschlages einen finanziellen Vorteil zu erlangen.

Der Vorschlag der Linksfraktion ist in meinen Augen
vollkommen ungeeignet, die Steuerehrlichkeit und Steu-
ergerechtigkeit zu erhöhen, die Einnahmen zu sichern
und die Finanzbehörden in ihrer Arbeit zu unterstützen.
Verlassen Sie daher Ihren Irrweg, denn – frei nach Erich
Kästner – nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt
Amerika.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801725100

Vielen Dank, Herr Kollege Feiler. Das ganze Haus

gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Bundestag.


(Beifall)


Bleiben Sie der Literatur verbunden. Sie haben gerade
von Fischen und von Steuerpolitik geredet. Ich empfehle
eine Geschichte von Bert Brecht: „Wenn die Haifische
Menschen wären“. Das ist auch eine schöne Geschichte;
sie gefällt Ihnen sicherlich.

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/556 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch

(14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG)


Drucksache 18/201

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit (14. Ausschuss)


Drucksache 18/606

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/617

Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

(C)






Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und begrüße den Bundes-
minister für Gesundheit, Hermann Gröhe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1801725200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wer krank
ist, hat Anspruch auf bestmögliche Versorgung und da-
mit auch auf die besten Medikamente. Im Krankheitsfall
gilt nicht der Geldbeutel, sondern das Solidarprinzip un-
seres Gesundheitswesens. Diese Grundidee, die sich seit
Jahrzehnten bewährt hat, funktioniert deshalb so gut,
weil wir in der Politik stets aufs Neue die Rahmenbedin-
gungen überprüft haben mit dem Ziel, sie unter Quali-
täts- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten jeweils
neuen Herausforderungen anzupassen.

Das gilt gerade auch für die Arzneimittelversorgung.
Wir alle wollen im Krankheitsfall die besten Medika-
mente. Eine patientenorientierte Arzneimittelversor-
gung, die auf Qualität, auf Innovation, auf Bezahlbarkeit
und auf Zuverlässigkeit setzt, wird deshalb wie in den
vergangenen Jahren auch in dieser Legislaturperiode un-
ser Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem 14. SGB-V-Änderungsgesetz, das wir heute
abschließend beraten, knüpfen wir dabei an die Arznei-
mittelpolitik der letzten Jahre an. Uns geht es in diesem
Gesetz um eine nachhaltige, finanzierbare Arzneimittel-
versorgung für Deutschland als wichtigen Bestandteil
unserer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversor-
gung, eine Arzneimittelversorgung, die die Menschen im
Krankheitsfall mit der besten und wirksamsten Arznei
versorgt, die Preise und Verordnungen wirtschaftlich und
kosteneffizient gestaltet und die schließlich auch verläss-
liche Rahmenbedingungen für Innovation schafft.

In der letzten Legislaturperiode haben wir mit dem
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz bereits eine gute
Grundlage dafür geschaffen, diese Zielsetzungen zu er-
reichen. Wir haben dabei stets betont, dass das AMNOG
ein lernendes System ist und wir Erfahrungen sammeln
müssen und sie einfließen lassen müssen in die Weiter-
entwicklung stabiler Rahmenbedingungen der Arznei-
mittelversorgung.

Mit dem vorliegenden Gesetz lösen wir diese Ankün-
digungen ein; denn es hat sich inzwischen gezeigt, dass
wir für die Bereiche Bestandsmarktbewertung, Preismo-
ratorium, Herstellerrabatte und Erstattungsbetrag ange-
passte Lösungen finden müssen, um Rechtssicherheit zu
schaffen und der Versorgungswirklichkeit unseres Arz-
neimittelmarktes gerecht zu werden. Wir legen im Rah-
men des Gesetzes solide Lösungen für diese Bereiche
vor.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Beispiel Bestandsmarktbewertung. Im Gegensatz zu
der inzwischen bewährten frühen Nutzenbewertung für
neue Arzneimittel, die seit 2011 auf den Markt gekom-
men sind, mussten wir erkennen, dass die Bestands-
marktbewertung für patentgeschützte Arzneimittel, die
vor 2011 ihre Marktzulassung erhalten haben, eine Reihe
von Problemen hervorruft. Dabei handelt es sich um
Probleme, die sowohl rechtlicher als auch praktischer
Natur sind und die die Frage aufwerfen, ob der Aufwand
im richtigen Verhältnis zu den Entlastungen steht, die
wir uns für die gesetzlichen Krankenkassen oder die pri-
vaten Krankenversicherer versprechen. Wir haben des-
halb beschlossen, die Bewertung des Bestandsmarktes
zu beenden. Bereits gefasste Beschlüsse in diesem Zu-
sammenhang behalten ihre Gültigkeit.

Unsere Entscheidung, das Preismoratorium zu verlän-
gern, sollte eine breite Unterstützung finden. Nicht nur,
dass wir hier mit dem Votum der Patientenverbände, des
GKV-Spitzenverbandes und des Gemeinsamen Bundes-
ausschusses übereinstimmen, auch der Bundesrat hat im
Dezember kurzfristig – dafür waren wir sehr dankbar –
in einem ersten Schritt der Verlängerung des Preismora-
toriums bis zum 31. März 2014 zugestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Am Preismoratorium halten wir nun bis 2017 fest.
Das bedeutet: Für Medikamente, die bislang unter die
Bestandsbewertung fallen würden, gilt wie für alle ande-
ren Arzneimittel der Preis vom 1. August 2009 bis zum
Jahr 2017 fort. Ausgenommen sind die Arzneimittel, für
die ein Festbetrag gilt.

Zugleich werden wir den Herstellerrabatt von 6 auf
7 Prozent erhöhen. Auch von dieser Regelung sind Arz-
neimittel ausgenommen, die patentfrei und wirkstoff-
gleich sind, da in diesem Bereich ein guter Wettbewerb
für eine entsprechende Preisregulierung sorgt. Damit
greifen wir ein Ergebnis der Anhörung ausdrücklich auf.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: So ist es!)


Mit diesen Regelungen sparen wir bei der gesetzlichen
Krankenversicherung rund 650 Millionen Euro im Jahr
und stellen eine bezahlbare Arzneimittelversorgung auf
hohem Niveau sicher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In diesem Sinne wollen wir weiterarbeiten. Ich werde
deshalb mit der Pharmaindustrie in einen Dialog eintre-
ten; denn bei aller Kostendiskussion, die notwendig ist,
wollen wir uns immer wieder vor Augen führen: Ohne
die Innovationsfähigkeit unserer forschenden Arzneimit-
telhersteller müssten die Menschen auf viele Verbesse-
rungen im Arzneimittelbereich verzichten, auf Innova-
tionen, auf die wir zukünftig gerade im Hinblick auf
Mehrfacherkrankungen im Zuge der demografischen
Entwicklung dringend angewiesen sein werden. Nur ge-
meinsam mit der forschenden Arzneimittelindustrie kön-
nen wir eine moderne Arzneimittelversorgung für die
Menschen in unserem Land sicherstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)






Bundesminister Hermann Gröhe


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen, meine Herren, neben guten Rahmen-
bedingungen für eine nachhaltige Arzneimittelversor-
gung setzen wir mit dem vorliegenden Gesetz noch ein
weiteres Zeichen für eine gute Patientenversorgung;
denn wer krank ist, braucht seine Hausärztin oder seinen
Hausarzt.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Dieser Wunsch kann aber nur erfüllt werden, wenn eine
ausreichende Anzahl an Hausärzten vorhanden ist. Mit
dem vorliegenden Gesetz treffen wir deshalb weitere
Entscheidungen, um die hausärztliche Versorgung in un-
serem Land für die Zukunft zu sichern. Mit den Neu-
regelungen in § 73 b SGB V erweitern wir die Gestal-
tungsspielräume der Vertragspartner. Wir machen damit
den Weg frei für verbesserte Versorgungs- und Vergü-
tungsstrukturen im Bereich der hausarztzentrierten Ver-
sorgung. Hiermit schaffen wir Rahmenbedingungen und
Perspektiven gerade für den hausärztlichen Nachwuchs,
auf den wir dringend, nicht zuletzt für die Hausarztver-
sorgung auf dem Land, angewiesen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir bringen also heute ein für die Arzneimittelversor-
gung wichtiges Gesetz zum Abschluss und stärken zu-
gleich die Hausarztversorgung in unserem Land. Des-
halb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801725300

Vielen Dank, Minister Hermann Gröhe. – Das Wort

hat Kathrin Vogler für die Linken.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801725400

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Verehrter Herr Minister, der Titel des Ge-
setzentwurfs, über den wir heute debattieren, macht
nicht besonders neugierig auf den Inhalt. Aber ich finde,
es lohnt sich, beim 14. SGB V-Änderungsgesetz hinter
die Kulissen zu schauen.

Worum geht es? In ihrem Koalitionsvertrag haben
Union und SPD einen aus meiner Sicht äußerst fragwür-
digen Deal zugunsten der Pharmaindustrie und zulasten
der Patientinnen und Patienten und der Beitragszahlerin-
nen und Beitragszahler ausgehandelt.

Vor anderthalb Stunden habe ich in der Debatte über
die UPD, bei der es um wenige Millionen Euro ging, ge-
hört, dass Vertreter der Union sehr sorgsam mit Versi-
chertengeldern umgehen wollen. Jetzt schenkt die Große
Koalition den Pharmakonzernen etwa 2 Milliarden Euro
jährlich, natürlich nicht aus ihrer eigenen Tasche; denn
dann wäre die geplante Diätenerhöhung ziemlich rasch
verbraucht.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


Sie greifen wieder einmal in die Taschen der Versi-
cherten, also der Beschäftigten, der Rentnerinnen und
Rentner und aller Kassenmitglieder. Damit sie das nicht
so bemerken, nehmen Sie den Pharmafirmen wieder ein
bisschen weg; aber nicht mehr als eine halbe Milliarde
Euro. Das macht alles in allem eine Belastung von
1,5 Milliarden Euro. Die durchschnittliche Beitragszah-
lerin in der gesetzlichen Krankenversicherung wird also
in jedem Jahr circa 30 Euro draufzahlen müssen.

Wie machen Sie das? Die Krankenkassen erhalten
von den Pharmafirmen einen gesetzlichen Herstellerab-
schlag, den sogenannten Herstellerrabatt. Bis Ende des
letzten Jahres lag er bei 16 Prozent. Dann fiel er auf
6 Prozent, weil weder die alte noch die neue Koalition
etwas unternahm, um die Dauer dieser Regelung zu ver-
längern. Jetzt erzählt uns Minister Gröhe etwas von einer
Erhöhung auf 7 Prozent. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist ein Taschenspielertrick: linke Tasche rein,
rechte Tasche raus. Das lassen wir Ihnen nicht durchge-
hen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zudem wollen Sie für die patentgeschützten und die
besonders teuren Medikamente, die vor 2011 auf den
Markt gekommen sind, die Nutzenbewertung abschaf-
fen. Das ist wirklich ärgerlich, weil dadurch einige Hun-
dert Millionen Euro aus den Taschen der Versicherten in
andere Taschen wandern. Das wäre schon ein ausrei-
chender Grund, zu diesem Gesetz Nein zu sagen. Uns
geht es aber vor allem um die Behandlungsqualität. Die
Patientinnen und Patienten haben ein Recht darauf, dass
es für ihre Arzneimittel eine Bewertung des Nutzens und
des Zusatznutzens aus Patientensicht gibt; denn leider
haben die meisten teuren Präparate keinen Nutzen, außer
für diejenigen, die damit Geld verdienen wollen.

Passend zur Zweiklassenmedizin schaffen Sie auch
noch Zweiklassenmedikamente. Die ganz neuen Medi-
kamente müssen sich der Prüfung unterziehen, die nicht
ganz so neuen bleiben außen vor. Dafür haben Sie in der
öffentlichen Sachverständigenanhörung jede Menge Kri-
tik bekommen. Nicht nur die Vertreter der Kassen, son-
dern auch die Ärzteschaft und Patientenorganisationen
unterstützten den Änderungsantrag der Linken, die Nut-
zenbewertung im Bestandsmarkt fortzusetzen.

Sie argumentieren, dass die bisherige Regelung zu
kompliziert und rechtlich angreifbar gewesen sei. Ich
meine, wenn das so ist, muss man die Regelung einfa-
cher, klarer und juristisch weniger angreifbar machen.
Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Die Abschaffung
der Bewertung ist aus Patientensicht der falsche Weg.
Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir hätten auch mindestens einen Lösungsvorschlag.
Die Linke fordert seit Jahren ein Studienregister, in das
alle Studien zu Arzneimitteln vor Beginn verpflichtend
eingetragen werden müssen. Das gilt auch für die Stu-
dien, die später abgebrochen werden. Sämtliche Ergeb-
nisse müssen öffentlich zugänglich sein. Wenn wir auf
diese Art und Weise die gesamten Informationen trans-
parent haben, dann würde auch die Nutzenbewertung





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

mit geringerem Aufwand möglich sein, und die Herstel-
ler könnten die Ergebnisse nicht mehr so leicht frisieren.
Das fordern auch die Grünen in ihrem Entschließungsan-
trag. Dieser Forderung schließen wir uns an. Lassen Sie
uns entsprechende Regelungen gemeinsam auf den Weg
bringen; denn damit wäre ein großer Schritt zu mehr
Transparenz und Qualität in der Arzneimittelversorgung
getan.

Ich werbe hier jetzt ausdrücklich um Ihre Zustim-
mung zu unseren Änderungsanträgen. Wir wollen die
Nutzenbewertung des Bestandsmarkts erhalten und den
Herstellerrabatt für die teuren patentgeschützten Arznei-
mittel bei 16 Prozent fortschreiben. Grundsätzlich halten
wir die Preiskontrolle mit dem Rasenmäher – nichts an-
deres sind diese Herstellerrabatte – allerdings nicht für
optimal. Deswegen wollen wir die Regelung bis Ende
2015 befristen und die Zeit nutzen, um einen anderen,
nutzenorientierten Mechanismus der Preisbildung zu
schaffen.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Und wie schaut der aus?)


Ihrem Gesetzentwurf können wir in der jetzigen Form
nicht zustimmen. Für Taschenspielertricks zulasten der
großen Mehrheit der Menschen steht die Linke nicht zur
Verfügung.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801725500

Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1801725600

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Frau Vogler, ich bin für meine große To-
leranz bekannt, was die Linke anbelangt; aber nicht im-
mer ist eine starke Behauptung besser als ein Beweis.
Ich erkläre Ihnen gerne noch einmal, was wir jetzt hier
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Gut! – Weiterer Zuruf von der SPD)


– Ja, das ist meine pädagogische Langmut.

Wir haben uns im Koalitionsvertrag wirklich eine
Menge vorgenommen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht alles ist gut, was Sie sich vorgenommen haben!)


Wir wollen uns da an drei Zielen messen lassen: Erstens
wollen wir die Versorgungsqualität für Patientinnen und
Patienten verbessern. Zweitens wollen wir die Situation
der Beschäftigten im Gesundheitswesen stärken. Drit-
tens wollen wir sicherstellen, dass unser System bezahl-
bar bleibt. Mit diesem 14. SGB-V-Änderungsgesetz stel-
len wir die Weichen in diese Richtung. – Das AMNOG
ist ein lernendes System; da gebe ich Ihnen gerne recht.
Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir dafür sor-
gen, dass eine hohe Qualität in der Arzneimittelversor-
gung gewährleistet bleibt. Auf der anderen Seite wollen
wir die rapiden Kostensteigerungen bei Arzneimitteln
einschränken und dafür sorgen – das sage ich als SPD-
Politikerin auch sehr gerne –, dass Arbeitsplätze in mit-
telständischen Unternehmen, zum Beispiel bei Generi-
kaherstellern, nicht gefährdet werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen die Herstellerabschläge auf die Abgabe-
preise pharmazeutischer Unternehmen sowie das Preis-
moratorium erhalten. Diese beiden Instrumente haben
sich bei der Dämpfung der steigenden Ausgaben bei
Arzneimitteln wirklich bewährt. Deshalb wollen wir das
Preismoratorium bis zum 31. Dezember 2017 verlängern
und den allgemeinen Herstellerrabatt – auch wenn es Sie
nicht freut – von 6 auf 7 Prozent erhöhen. Sie wissen
doch: Der Rabatt von 16 Prozent auf patentgeschützte
Arzneimittel wäre jetzt sowieso ausgelaufen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber man hätte ja verlängern können!)


Ohne die Neuregelung, die wir im Gesetz vornehmen,
würden die Ausgaben für Arzneimittel im Jahr 2014 um
2 Milliarden Euro steigen. Mit unseren Maßnahmen ver-
hindern wir also einen überproportionalen Anstieg der
Ausgaben und leisten einen wichtigen Beitrag zur Finan-
zierung der gesetzlichen Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ferner haben wir mit dem Gesetz eine rechtliche
Klarstellung vorgenommen. Denn durch die Änderung
der Arzneimittelpreisverordnung stellen wir sicher, dass
der vereinbarte Erstattungsbetrag die Berechnungs-
grundlage für die Handelszuschläge des Großhandels
und der Apotheken ist. Damit schließen wir eine gesetz-
liche Lücke und stellen sicher, dass für die Zuzahlungen
der Patientinnen und Patienten in der Apotheke der nied-
rige Rabattpreis maßgeblich ist und nicht der höhere Lis-
tenpreis. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Was die Nutzenbewertung anbelangt, sind wir alle
uns vielleicht darüber einig, dass wir mehr darüber wis-
sen müssen, welchen Nutzen ein Arzneimittel tatsäch-
lich für Patientinnen und Patienten hat. Darauf komme
ich gerne später noch einmal zu sprechen.

Was uns auch sehr wichtig ist, ist der Änderungsan-
trag zur Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung,
den wir in den Ausschuss eingebracht haben; das ist ei-
ner der wesentlichen Punkte.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind es den Patientinnen und Patienten schuldig, dass
wir unmissverständlich – auch über die Fraktionsgrenzen
hinweg – die Versorgungssicherheit im Blick haben.

Deshalb ist dieser Antrag einer der wesentlichen Be-
standteile unseres Vorhabens. Durch ihn bestätigen wir,
dass wir den hausärztlichen Nachwuchs fördern wollen.
Das ist ein wichtiges Signal an die Hausärztinnen und
Hausärzte: Wir wollen die jungen Ärzte ermutigen, sich
als Hausärzte niederzulassen. Das ist ein ganz zentraler





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)

Punkt. Sie, Frau Vogler, und auch andere hier wissen
doch: Wenn man mit den Bürgern über Gesundheitsvor-
sorge spricht, dann stellt man fest, dass die Versorgungs-
struktur ein wichtiges Thema ist.

Lassen Sie mich auf den Bereich Generika zu spre-
chen kommen. Nach der Anhörung im Ausschuss war
uns klar: Wir müssen das, was wir in erster Lesung vor-
gelegt haben, nachbessern.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


Ein wichtiger Punkt ist: Wir dürfen nicht die Rabatte auf
17 Prozent erhöhen. Wir müssen deutlich machen: Der
Generikamarkt leistet zur Wirtschaftlichkeit unseres Ge-
sundheitssystems einen wichtigen Beitrag. Dass die bei-
den Änderungsanträge für eine Stärkung sorgen, ist un-
strittig. Das kam nicht nur in der Anhörung zum
Ausdruck. Auch die beiden Oppositionsparteien haben
– ich meine, zu Recht – immer deutlich gemacht: Ja, das
brauchen wir.

Zur Nutzenbewertung. Ich gebe gerne zu: Wir haben
erkannt, dass die Nutzenbewertung einen hohen verwal-
tungstechnischen Aufwand bedeutet. Deshalb sind wir
bereit, uns in einem der nächsten Gesetzgebungsverfah-
ren mit diesem Thema noch einmal auseinanderzuset-
zen. Es geht in diesem Zusammenhang nämlich auch um
Qualität und Sicherheit. Wenn wir uns über dieses Ziel
einig sind, wäre es doch schön, all die wichtigen Ände-
rungen in Bezug auf die Finanzierbarkeit unseres Ge-
sundheitssystems heute gemeinsam auf den Weg zu brin-
gen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801725700

Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Kordula

Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2011 gelang
es in Deutschland endlich, zumindest teilweise ein heh-
res Ziel zu erreichen: Für neu zugelassene Medikamente
und bereits auf dem Markt befindliche patentierte Arz-
neimittel wurde eine Nutzenbewertung eingeführt. Ich
betone: Bei der Nutzenbewertung geht es um den Nutzen
für die Patientinnen und Patienten.

Das war längst überfällig. Frau Mattheis, ich möchte
daran erinnern: Die SPD hat das damals genauso gese-
hen. Wir beide haben ursprünglich mehr gefordert, als
dann tatsächlich beschlossen wurde. Das war längst
überfällig; denn laut der Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft haben viele der bei uns zugelasse-
nen Arzneimittel keinen Nutzen bzw. keinen Zusatznut-
zen für Patientinnen und Patienten. Umso erstaunlicher
ist es nun, dass eine der ersten Maßnahmen der Großen
Koalition ist, die Bewertung des Nutzens von Medika-
menten im sogenannten Bestandsmarkt abzuschaffen.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Bei allem Verständnis für die Interessen der Pharma-
industrie: An erster Stelle bzw. im Mittelpunkt der Ge-
sundheitspolitik müssen immer die Interessen der Pa-
tienten stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist bei CDU/CSU und SPD offensichtlich nicht der
Fall.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das ist das erste Armutszeugnis Ihrer Gesundheitspo-
litik. Dass wir damit hinter die europäischen Standards
zurückfallen, ist ein zweites Armutszeugnis. Ein drittes
Armutszeugnis für die Gesundheitspolitik der Großen
Koalition konnte gerade noch verhindert werden.

Wir erinnern uns gut, dass Sie im Dezember versucht
haben, die jetzt vorliegende Gesetzesänderung im
Schnellverfahren ohne Anhörung durchzuziehen.


(Hilde Mattheis [SPD]: Ach, das ist ja nun nicht wahr! – Gegenruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch, das ist wohl war!)


Wäre das so geschehen, Frau Mattheis, dann hätten Sie
durch die vorgesehene Einbeziehung von Generika in
den Herstellerrabatt und das Preismoratorium einer gan-
zen Branche der Pharmaindustrie schweren Schaden zu-
gefügt. Das ist der Fall gewesen. Sie wollten diese An-
hörung, die jetzt stattgefunden hat, nicht. Unter Ihren
Maßnahmen hätte der Generikamarkt schwer gelitten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir freuen uns, dass Sie das eingesehen haben und bereit
sind, mit einer Änderung diesen schweren Fehler zu kor-
rigieren.

Die Regierungskoalition hat sich bei diesem Gesetz-
entwurf selbst unter extremen Zeitdruck gesetzt. Das
zeigt sich nicht nur bei den Generika. Das zeigt sich
auch daran, dass die Anhörung, die vor einer Woche
stattgefunden hat, von Ihnen offensichtlich noch nicht
umfassend ausgewertet wurde.

Diejenigen, die bei der bestehenden Regelung zur Be-
standsmarktbewertung zu Recht rechtliche Umsetzungs-
probleme benannt haben, zum Beispiel die Bundesar-
beitsgemeinschaft Selbsthilfe, der Verbraucherzentrale
Bundesverband, das IQWiG sowie die Einzelsachver-
ständigen Professor Wille und Professorin Niebuhr, ha-
ben Änderungsvorschläge gemacht, die wir Grünen für
sehr sinnvoll halten und daher in unseren Entschlie-
ßungsantrag aufgenommen haben.

Dabei geht es uns erstens darum, eine Nutzenbewer-
tung für alle patentgeschützten Medikamente mit neuem
Anwendungsbereich bzw. neuer Anwendungsform
durchzuführen. Lassen Sie mich anmerken, dass seitens
der Koalition gestern im Ausschuss angekündigt wurde,
dass auch auf Ihrer Seite Änderungsbedarf gesehen wird.
Das zeigt aber auch, dass Sie die Anhörung bisher tat-
sächlich kaum ausgewertet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Kordula Schulz-Asche


(A) (C)



(D)(B)

Dadurch, dass Sie diese Änderung nicht jetzt vorneh-
men, sondern wieder verschieben, schaffen Sie neue Un-
gerechtigkeiten. Auch das zeigt, wie wenig Gedanken
Sie sich gemacht haben. Wir müssen in Ruhe entschei-
den. Hier ist nicht mit Schnellschüssen zu arbeiten. Das
zeigt, wie wichtig gerade bei einer Großen Koalition
eine Opposition ist. Wenn man so eine satte Mehrheit
hat, dann gehen einem offensichtlich manchmal die
Pferde durch, und es kommt zu Schnellschüssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zweitens – auch das steht in unserem Entschließungsan-
trag – halten wir die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts
in den Fällen des Wettbewerbsaufrufs für die Vergleichbar-
keit und bei biotechnologischen Medikamenten weiter für
notwendig.

Drittens fordern wir eine gesetzliche Verpflichtung
der Hersteller zur Herausgabe von Studienberichten,
wenn der Gemeinsame Bundesausschuss oder das
IQWiG anfragt.

Viertens – auch das gehört dazu; das ist schon er-
wähnt worden – fordern wir eine verpflichtende Regis-
trierung und Veröffentlichung der Ergebnisse aller Arz-
neimittelstudien, auch derjenigen, die wegen
mangelnder Erfolgsaussichten abgebrochen wurden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Dadurch können wir hinsichtlich der Nutzenbewertung
Patientensicherheit herstellen. Denn sowohl bei der Nut-
zenbewertung von Medikamenten als auch bei der Infor-
mation über Forschungsergebnisse geht es im Wesentli-
chen um Transparenz. Arzneimittelstudien dürfen nicht
in Schubladen verschwinden, sondern müssen veröffent-
licht werden, um auf einer soliden Basis Einschätzungen
zum Nutzen von Wirkstoffen gewinnen und überflüssige
Studien vermeiden zu können.

Eventuell wird es weitere Nachbesserungen durch die
Große Koalition geben. In der vorliegenden Form kön-
nen wir dem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801725800

Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Stephan

Stracke für die CSU/CDU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1801725900

Guten Abend, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf beenden wir insbesondere den Bestands-
marktaufruf bei patentgeschützten Arzneimitteln und
stärken die hausarztzentrierte Versorgung.

Dabei setzen wir wesentliche Vereinbarungen um, die
wir im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen getroffen
haben. Wir reden zu Recht viel über die Koalition, über
ihre Funktionsweise und ihre Arbeitsweise. Wenn wir
sagen, dass diese Koalition sich zumindest derzeit als
Arbeitsverhältnis definiert, dann nutzen wir dieses Ar-
beitsverhältnis, um die Chancen zu verbessern, dass für
die Patientinnen und Patienten sachgerechte und passge-
naue Lösungen gefunden werden, damit die Versor-
gungssituation in Deutschland besser wird. Und genau
das tun wir. Den Grundpfeiler dafür bildet der Koali-
tionsvertrag, den wir stringent umsetzen. Unser Bundes-
gesundheitsminister, Herr Gröhe, verfügt über große
Umsicht und zeigt praxisgerechte Lösungen auf, die in
diesem Gesetzentwurf ihren Niederschlag finden. Genau
so wollen wir weitermachen. Dafür sage ich Ihnen herz-
lichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Preismonopol im patentgeschützten Arzneimit-
telmarkt gehört der Vergangenheit an. Der Zusatznutzen
von Medikamenten steht im Mittelpunkt und bestimmt
den Preis. Die frühe Nutzenbewertung, mit dem Arznei-
mittelmarktneuordnungsgesetz eingeführt, ist ein wir-
kungsvolles Instrument, das sich bewährt hat. Patienten
wollen, dass Innovationen möglichst schnell auf den
Markt kommen. Gleichzeitig wollen Beitragszahler, dass
ihre Beiträge für wirkliche Innovationen ausgegeben
werden und nicht für bloße Innovationsglobuli, das heißt
für diejenigen Innovationen, die tatsächlich halten, was
sie versprechen.

Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen müssen einen
nachweisbaren Zusatznutzen gegenüber der Vergleichs-
therapie aufweisen. Daran halten wir fest. Wir sagen
auch: Das AMNOG – der Minister hat es deutlich ge-
macht – ist ein lernendes System. Deshalb werden wir
den Bestandsmarktaufruf beenden. Wir beenden ihn,
weil der Aufruf mit hohen Risiken und Unsicherheiten
verbunden ist. Wir sorgen nun für Planbarkeit und
Rechtssicherheit. Dafür gibt es gute Gründe. Die Anhö-
rung hat dies noch einmal deutlich gemacht.

Ein Grund ist die Studienlage. Die einschlägigen Stu-
dien sind gerade bei Arzneimitteln, die schon sehr lange
auf dem Markt sind, zum Teil sehr alt. Dies führt zu pro-
blematischen Bewertungen, gerade auch hinsichtlich der
Marktdurchdringung und der Abwägungen in diesem
Bereich. Es gibt auch ganz pragmatische Gründe: Wenn
der Aufwand sehr hoch ist und das Verfahren mit sehr
hohen rechtlichen Risiken behaftet ist, macht es Sinn,
den Bestandsmarktaufruf zu beenden. Gleiches gilt für
den Wettbewerbsaufruf.

Jetzt können Sie sagen: Das ist uns egal, egal, was
Rechtsrisiken angeht, und egal, was den Aufwand be-
trifft. Hauptsache die Ökonomie stimmt in irgendeiner
Weise. – Darauf muss man Ihnen, insbesondere den Kol-
leginnen und Kollegen von den Linken, sagen: Der Pa-
tentschutz für alle infrage kommenden Arzneimittel läuft
2018 aus, sodass wir in dieser Beziehung einen unglaub-
lichen Zeitdruck haben. Die Erwartungen, die gerade
hinsichtlich des Einsparpotenzials damit verknüpft sind,
können nicht in dem Maße erfüllt werden. Das bezieht
sich auch gar nicht auf die Qualität. Denn wir haben na-





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

türlich sehr wohl Möglichkeiten, die Qualität weiterhin
sicherzustellen, gerade was die Therapiehinweise, die
Verordnungsausschlüsse oder die Bildung von Festbe-
tragsgruppen angeht.

Ich möchte noch zu einem weiteren Aspekt ausführen
und Stellung nehmen: Das betrifft die Hausarztverträge.
Sie stellen ein sinnvolles und effektives Instrument zur
Förderung der hausärztlichen Versorgung dar. Wir haben
in Deutschland eine qualitativ hochwertige Hausarztme-
dizin, und es ist unbestritten: Unsere Hausärzte sind das
Rückgrat der medizinischen Versorgung. Der niederge-
lassene Hausarzt gerade im ländlichen Raum ist häufig
der einzige wohnortnahe ärztliche Ansprechpartner. Als
Generalist übernimmt er oftmals auch eine Lotsenfunk-
tion.

Wir haben uns jetzt darauf verständigt, § 73 b SGB V
zu verändern. Damit stärken wir die hausärztliche Ver-
sorgung. Wir streichen die Vergütungsbeschränkungen
im Hausarztvertrag. Dies hat sich in der Praxis als gro-
ßes Hemmnis für den Abschluss herausgestellt. Dieses
Hemmnis beseitigen wir nun. Wirtschaftlichkeit und
Qualität spielen weiterhin eine hervorragende Rolle. Die
Vertragspartner sind nun gefordert, entsprechende Ver-
einbarungen zu treffen. Vor allem die Refinanzierungs-
klausel hat sich in der Praxis als ein großes Problem he-
rausgestellt. Jetzt gilt eine Vierjahresregel, in der die
Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden muss. Dies
schafft auch den notwendigen Spielraum. Das ist ein
wichtiges Signal für die ökonomische Perspektive ange-
hender Hausärzte und wird die Bereitschaft junger
Ärzte, sich der hausärztlichen Tätigkeit zuzuwenden,
weiter fördern.

In der Gesamtschau: ein gutes Gesetz. Lasst es uns
beschließen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801726000

Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Martina Stamm-

Fibich für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martina Stamm-Fibich (SPD):
Rede ID: ID1801726100

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrter Herr Bundes-

gesundheitsminister Gröhe! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann mich inhaltlich nur meiner Frak-
tionskollegin Hilde Mattheis anschließen. Als neu in den
Bundestag gewählte Abgeordnete freut es mich ganz
besonders, dass ich einen Aspekt hervorheben kann. Zu-
sätzlich zum Gesundheitsausschuss bin ich auch Mit-
glied im Petitionsausschuss. Petitionen sind auf Bundes-
ebene ein hervorragendes Instrument der Demokratie.
Umso mehr möchte ich auf den Änderungsantrag zu
§ 129 SGB V verweisen, der die Ersetzung eines Arznei-
mittels durch ein wirkstoffgleiches neu regelt. Ein Ur-
sprung dieser Neuregelung ist eine Petition der
17. Wahlperiode. Im Jahr 2010 lieferte die Deutsche
Schmerzliga e. V., vertreten durch Dr. Marianne Koch,
den Anstoß. Die Petition fand mit 72 000 Unterzeich-
nern eine breite Unterstützung und wurde demzufolge
auch öffentlich in diesem Haus beraten.

Hauptanliegen der Petentin war, Betäubungsmittel
aus der automatischen Austauschpflicht herauszuneh-
men. Begründet wurde diese Forderung damit, dass die
Umstellung von einem Präparat auf ein anderes nicht nur
in Einzelfällen, sondern bei der Mehrzahl der Patienten
zu erheblichen Problemen führe. Die Umstellung sei da-
her kein sinnvoller, dafür aber ein sehr teurer Prozess, da
auch die entstehenden Folgekosten nicht außer Acht ge-
lassen werden dürften.

Dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apo-
thekerverband wurde die Möglichkeit gegeben, sich über
eine sachgerechte Lösung zu verständigen. Letztendlich
verliefen die Verhandlungen der beiden Akteure aber
nicht zufriedenstellend. Die Kolleginnen und Kollegen
der 17. Wahlperiode mussten die Akteure wiederholt
zum Handeln auffordern.

Um wieder mehr Bewegung in die stockenden Ver-
handlungen zu bringen, verabschiedeten die Gesundheits-
politiker aller Fraktionen im Juni im Gesundheitsaus-
schuss eine Entschließung, die eine Frist zur Einigung
bis 1. August 2013 vorsah. Bis dahin sollten die Rah-
menvertragspartner, GKV-Spitzenverband und DAV,
übereinkommen. Auf nur zwei Wirkstoffe konnte man
sich letztlich einigen. Vor diesem Hintergrund wird das
Problem jetzt mit diesem Änderungsantrag von uns auf
eine andere institutionelle Entscheidungsebene gehoben.

Die Änderung sieht konkret Folgendes vor: Der Ge-
meinsame Bundesausschuss bestimmt erstmals bis
30. September 2014 die Arzneimittel, bei denen die Er-
setzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausge-
schlossen ist. Dabei sollen insbesondere Arzneimittel
mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigt wer-
den. Falls bis 30. September keine Liste vorliegt, besteht
die Möglichkeit einer Ersatzvornahme durch das Bun-
desministerium für Gesundheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ziel ist es, den Therapieerfolg und die Sicherheit der Pa-
tienten nicht durch den unnötigen und ausschließlich
ökonomisch begründeten Austausch von Medikamenten
zu gefährden.

Die Koalition handelt an dieser Stelle und erteilt ei-
nen klaren Auftrag. Es freut mich außerordentlich, dass
der Änderungsantrag eine breite Mehrheit im Ausschuss
gefunden hat. Ich möchte mich für die Unterstützung
ausdrücklich bedanken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich
steht fest: An erster Stelle steht das Wohl des Patienten.
Mit diesem Änderungsantrag gehen wir in die richtige
Richtung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801726200

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das ganze Haus gratu-

liert Ihnen zu Ihrer ersten Rede.


(Beifall)


Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit im Peti-
tionsausschuss und im Gesundheitsausschuss. Nächstes
Mal dürfen Sie Ihre Redezeit mit großer Lust ausfüllen.
Alles Gute!

Die Debatte wird mit Michael Hennrich für die CDU/
CSU-Fraktion abgeschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1801726300

Frau Präsidentin! Herr Minister Gröhe, es freut mich,

dass Ihr Haus nahezu in Bestbesetzung angetreten ist.
Auch die beiden Staatssekretärinnen darf ich ganz herz-
lich begrüßen. Das dokumentiert, wie wichtig und ernst
Sie diese Debatte nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Vogler, als ich Ihren Redebeitrag gehört habe, ist
mir das Bild von der Kuh in Erinnerung gekommen, die
im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird. Das
Motto lautet: Die Pharmaindustrie hat’s ja; da können
wir es locker mitnehmen. – Es gibt da aber eine gewisse
Widersprüchlichkeit: Sie sagen selber, dass im Bereich
der Generika Preismoratorium und erhöhter Hersteller-
abschlag gravierende Folgen für die Industrie haben
könnten.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gesagt!)


Preismoratorium und erhöhter Herstellerabschlag kön-
nen für die forschende Arzneimittelindustrie aber ge-
nauso gravierende Folgen haben. Deswegen war es rich-
tig, dass wir den erhöhten Herstellerabschlag von
16 Prozent auf 6 Prozent gesenkt haben.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber die billigen Generika werden mit 16 Prozent belastet, die teuren Medikamente mit 7 Prozent!)


– Das gehört dazu. Frau Vogler, Sie müssen eines beden-
ken: Als wir den erhöhten Herstellerabschlag im Jahr
2009 beschlossen haben, mussten wir davon ausgehen,
dass wir im Gesundheitssystem im Jahr 2013 ein Defizit
von rund 15 Milliarden Euro haben. Heute haben wir ei-
nen Überschuss von 30 Milliarden Euro.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ach ja, die Kassen haben es ja! Das weckt natürlich Begehrlichkeiten!)


Schauen Sie einmal in die europäische Transparenzricht-
linie, wie da die Regelungen sind! Ihre Kollegin Frau
Bunge, die ich sehr geschätzt habe, hätte das sicherlich
etwas präziser und besser dargestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, über die
Beendigung des Bestandsmarktaufrufes kann man disku-
tieren. Ich gebe ganz offen zu, dass mich die Äußerun-
gen von Professor Ludwig von der Arzneimittelkommis-
sion der deutschen Ärzteschaft schon nachdenklich
gestimmt haben. Er hat gefragt: Macht das Sinn? Wir
müssen den Nutzen bewerten, auch von den Produkten,
die im Bestand sind.

Die Beendigung des Bestandsmarktaufrufes war aber
eine Abwägungssache. Wir haben auf der einen Seite in
der Tat das Problem, dass wir auch für den Bestands-
markt eine Bewertung wollen. Aber es war kein originä-
rer Wunsch der Politik, den Bestandsmarktaufruf zu
beenden. Dieser Wunsch wurde zum einen vom Gemein-
samen Bundesausschuss an uns herangetragen, zum an-
deren auch von den Kassen. Mich hat schon erstaunt,
dass der GKV-Spitzenverband das Einsparvolumen
durch den Bestandsmarktaufruf auf maximal 230 Millio-
nen Euro geschätzt hat.


(Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das war für mich ein Signal, dass auch die Krankenkas-
sen gesagt haben: Für den großen Aufwand, den wir da
treiben, haben wir zu wenig Erfolg.

Man muss auch sehen, mit welchen Problemen wir tat-
sächlich zu kämpfen gehabt hätten. Da gibt es rechtliche
Probleme: Wie bekommt man den Bestandsmarktaufruf
diskriminierungsfrei hin? Was hat es für Folgen für den
Wettbewerb, wenn einzelne Produkte aufgerufen wer-
den, die Unternehmen dafür Dossiers erstellen müssen,
diese Produkte einen schlechten Preis bekommen, an-
dere Produkte aber nicht? Das kann man nicht einfach so
regeln, wie das hier einige formuliert haben, sondern das
ist eine komplizierte Materie. Ferner stellen sich metho-
dische Probleme: Wie sollen denn die passenden Ver-
gleichsstudien aussehen? Bei der Bestandsmarktbewer-
tung handelt es sich in der Regel um Produkte, die heute
den Therapiestandard darstellen. Wenn ein solches Pro-
dukt bewertet werden soll, stellt sich die Frage: Soll die-
ses Produkt mit sich selbst verglichen werden? Auch da-
rauf gibt es keine vernünftige Antwort.

Ein letzter Aspekt ist, was der Bestandsmarktaufruf
für den Gemeinsamen Bundesausschuss und das IQWiG
an Arbeitsbelastung bedeutet hätte.

Von daher glaube ich, es war richtig, dass wir uns
dazu entschlossen haben, den Bestandsmarktaufruf zu
beenden, zumal – das ist für mich ganz wichtig – trotz-
dem die Möglichkeit besteht, Arzneimittel zu bewerten
oder sie von der Verordnung auszuschließen. Ich sage als
Stichworte nur: Therapiehinweise, Leitlinien. Wir haben
mit dem AMNOG eingeführt, dass der Gemeinsame
Bundesausschuss von den Unternehmen neue klinische
Studien einfordern und einzelne Produkte von der Ver-
ordnung ausschließen kann.

Wenn man das alles gegeneinander abwägt, kommt
man zu dem Schluss, dass wir heute die richtige Ent-
scheidung getroffen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD] – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Michael Hennrich


(A) (C)



(D)(B)

Ich habe jetzt noch 20 Sekunden. Ich hätte gern noch
einiges zum Erstattungsbetrag gesagt. Auch den Erstat-
tungsbetrag haben wir neu geregelt; wir sorgen für mehr
Transparenz. Auch das stellt für die Industrie eine Belas-
tung dar.

Ich hätte auch gern noch etwas zu der Substitutions-
ausschlussliste gesagt, einer guten Regelung, die Sie
wunderbar dargestellt haben. Auch das ist ein wesentli-
cher Aspekt, für den wir einen guten Ansatz gefunden
haben.

Ich glaube, wenn man das alles zusammen betrachtet,
sieht man, dass wir ein gelungenes Gesetz vorgelegt ha-
ben. Es wäre schön, wenn die Opposition zustimmen
würde. Aber das hat sie schon beim AMNOG nicht ge-
tan;


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die SPD aber auch nicht zugestimmt!)


deswegen verwundert es uns nicht, wenn sie auch heute
nicht zustimmt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801726400

Danke, Herr Kollege. – Wir werden gleich sehen, wer

wie abstimmt.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach-
ten Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss
für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/606, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/201 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei
Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die
wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/621? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Ko-
alition aus CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der Antrag-
steller abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/622? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Ab-
stimmungsergebnis abgelehnt, also mit der Mehrheit von
CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen und Zustimmung der Antragsteller.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zu-
stimmung von CDU/CSU und SPD und Ablehnung von
Bündnis 90/Die Grünen und den Linken angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Will sich jemand enthalten? –
Nicht. Der Gesetzentwurf ist damit durch die Mehrheit
von CDU/CSU und SPD angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/623. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit der Mehr-
heit von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der
Antragsteller und Enthaltung der Linken abgelehnt.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend
– der Abend ist noch lange nicht vorbei – und übergebe
an meinen Kollegen Singhammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801726500

Guten Abend! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11

auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden,
Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäu-
debereich und im Quartier voranbringen

Drucksache 18/575
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die zu diesem
Tagesordnungspunkt einen Beitrag leisten werden, Platz
zu nehmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der für die
Energiewende zuständige Minister Sigmar Gabriel hat in
seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag 22 Minuten
lang über die Energiewende und die Wirtschaftspolitik
gesprochen, dabei aber leider nichts Substanzielles zur
energetischen Gebäudesanierung gesagt. Es ist bis heute
unklar, wer in der Großen Koalition und zwischen den
Häusern bei der energetischen Gebäudesanierung den
Hut aufhat.


(Sören Bartol [SPD]: Das Parlament!)


Ich finde, das geht so nicht weiter. Mit dem Kompetenz-
gerangel auch zwischen den Ministerien muss endlich
Schluss sein. Wir haben heute Abend diesen Antrag auf
die Tagesordnung gesetzt, damit Sie sich zur energeti-
schen Gebäudesanierung verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

Es geht hier nicht nur um die Energiewende oder den
Klimaschutz, sondern auch um die Heizkostenbelastung
der Menschen in Deutschland. Es geht im Kern um die
Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Heizkosten stiegen
dreimal so schnell wie die Löhne, beim Öl sogar achtmal
so schnell. Unser Vorschlag ist: Machen Sie aus Ihrem
Bündnis für bezahlbares Wohnen, das Sie hier angekün-
digt haben, ein Bündnis für klimafreundliches und be-
zahlbares Wohnen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen Sie mehr Akteure mit auf, etwa die Umweltver-
bände! Nehmen Sie diejenigen mit auf, die sich mit Hei-
zungsanlagen auskennen, die die Produkte verkaufen,
also den Mittelstand, damit dieses Bündnis endlich auch
ein Bündnis für Klimaschutz und bezahlbares Wohnen
wird, auch hinsichtlich der Heizkosten.

Wenn Sie in diesem Bündnis nicht auch das Thema
Gebäudesanierung im Kern behandeln, dann wird dieses
Bündnis scheitern; denn Klima- und Sozialpolitik gehen
hier Hand in Hand. Wenn Sie dem Thema energetische
Gebäudesanierung in dieser Großen Koalition keine
Aufmerksamkeit schenken, dann zeigen Sie nicht nur
den Menschen mit hohen Heizkosten die kalte Schulter,
sondern eben auch dem Mittelstand, der große Hoffnun-
gen in Sie setzt, gerade bei der Frage des energetischen
Umbaus von Gebäuden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat
eine Studie herausgebracht, die besagt, dass bereits bei
einer Sanierungsrate von 2 Prozent 30 000 Arbeitsplätze
in Deutschland geschaffen werden können. Ich finde,
das ist ein Wort. Deswegen sollten wir uns alle gemein-
sam dieser Frage widmen. Ich frage Sie aber: Wie wol-
len Sie die Sanierungsrate steigern, wenn Sie keine plan-
baren und verlässlichen Mittel für die energetische
Gebäudesanierung zur Verfügung stellen? Rein über Be-
ratung und Information wird das nicht gelingen. Hier
müssen Sie als Große Koalition deutlich mehr Substanz
liefern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe CDU, tun Sie endlich etwas für den deutschen
Mittelstand! Liebe SPD, tun Sie etwas für die Mieterin-
nen und Mieter hinsichtlich der Heizkosten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Wir haben euch doch vorhin schon erklärt, wie das geht!)


Wenn Sie bei der energetischen Gebäudesanierung ver-
sagen, dann versagen Sie bei der Wohnungspolitik insge-
samt. Immer nur nach Neubau zu rufen, reicht nicht aus.
Wir müssen auch bei den Bestandsgebäuden vorankom-
men. Das Gebot der Stunde heißt eben nicht nur „Bauen,
bauen, bauen“, sondern auch „Sanieren, sanieren, sanie-
ren“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Thema Sanieren will ich Ihnen sagen: Machen
Sie nicht den gleichen Fehler wie ihre Vorgänger. Bis
jetzt haben wir leider zu viel Polystyrol an der Wand,
aber zu wenig intelligente, innovative Konzepte. Entwi-
ckeln Sie schlaue, innovative Konzepte, und bringen Sie
diese natürlichen und ökologischen Bau- und Dämm-
stoffe auf die Baustellen und in die Häuser.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine ganzheitliche Betrachtung bei der
Wärmeversorgung, bei der ganze Quartiere in den Blick
genommen werden. Wir brauchen eine Offensive bei den
Wärmenetzen und auch im Bestand.

Bauministerin Hendricks spricht immer davon, dass
sie die Sanierungsrate auf 2,5 Prozent erhöhen will. Die
Realität ist: Zwei Drittel der Fassaden und ein Drittel der
Dächer sind ungedämmt; vier Fünftel aller Gas- und Öl-
heizungen sind nicht auf dem neusten Stand der Technik.
Das ist eine immense Leerstelle, zum einen in der Ge-
sellschaft – damit müssen wir uns beschäftigen – und
zum anderen in Ihrer Politik, weil Sie hier keine Sub-
stanz liefern. Ich hoffe – ich sage Ihnen ganz klar: die
Hoffnung stirbt zuletzt –, dass Sie bei den Haushaltsbe-
ratungen deutlich nachlegen werden, dass Sie Zahlen lie-
fern, dass sich die beiden Ministerien, die sich hier zu-
ständig fühlen, einigen werden. Dann können wir
gemeinsam hier im Bundestag etwas für Mieterinnen
und Mieter und die Gebäudeeigentümer tun.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bin
gespannt auf Ihre Ausführungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801726600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herlind

Gundelach, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1801726700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

debattieren heute einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, der sich wie ein Wunschkatalog kurz vor
Weihnachten liest. Das ist das gute Recht der Opposi-
tion; denn sie muss sich in der Regel über die Finanzie-
rung keine Gedanken machen. Ob das allerdings zu einer
höheren Akzeptanz bei den Wählern führt, wage ich in
diesem Punkt zu bezweifeln.

Wir als Koalition von CDU/CSU und SPD tragen die
Gesamtverantwortung, und das heißt für uns – für uns in
der CDU/CSU ganz besonders –, dass wir nicht mehr
Geld ausgeben wollen, als wir einnehmen. Sie, meine
Damen und Herren von den Grünen, würden vermutlich
sagen – das haben Sie vor der Wahl auch ausreichend ge-
tan –: Lassen Sie uns doch einfach mehr einnehmen,
dann können wir auch mehr ausgeben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie geben einfach nur mehr aus!)


Das aber ist nicht unsere Politik. Wir wollen weder unse-
ren Bürgern noch unserer Wirtschaft höhere steuerliche
Belastungen zumuten.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

Nun aber zu Ihrem Antrag. Unter Ihren Forderungen
findet sich der Wunsch nach einer steuerlichen Förde-
rung der energetischen Modernisierung als zusätzlicher
Anreiz. Meine Damen und Herren von den Grünen, es
zeugt schon von einer ganz besonderen Chuzpe, dass ge-
rade Sie die steuerliche Förderung als einen der Königs-
wege fordern, nachdem Sie in der vergangenen Legisla-
turperiode alles dazu beigetragen haben, diese im
Bundesrat und im Vermittlungsausschuss durch immer
neue Forderungen an die Wand fahren zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Wir haben den Antrag eingebracht, und Sie haben dagegen gestimmt!)


Wir waren schon immer der Auffassung, dass die
steuerliche Förderung einer der erfolgversprechendsten
Wege ist. Aber wir haben uns im Koalitionsvertrag da-
rauf verständigt – das hat in den Verhandlungen auch
eine ganz erhebliche Rolle gespielt –, dass wir keine
Steuererhöhungen wollen. Die Kehrseite davon ist aller-
dings, dass wir uns auch keine Steuermindereinnahmen
leisten können, wenn wir unsere politischen Vorhaben
nicht gefährden wollen. Ich kann Ihnen aber versichern,
dass wir den Pfad der steuerlichen Förderung wieder be-
treten wollen, sobald finanzielle Spielräume dies zulas-
sen. Ich jedenfalls werde mich dafür einsetzen.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir alle in die-
sem Hause sind uns darin einig, dass die Energieeffi-
zienz neben dem Ausbau der Erneuerbaren eine tragende
Säule der Energiewende ist. Deshalb werden wir noch in
diesem Sommer, wie die Vertreterin der Bundesregie-
rung gestern im Ausschuss vorgetragen hat, unsere Maß-
nahmen zur Umsetzung der EU-Effizienzrichtlinie vor-
legen.

Wir sind uns in der Koalition auch darüber einig, dass
wir in unserer Politik und unseren Maßnahmen der Stei-
gerung der Energieeffizienz noch mehr Gewicht beimes-
sen wollen; denn wie wir alle wissen, sind die Einspar-
potenziale vor allem im Gebäudebereich riesig. Daher
wollen wir neben der sachgerechten Umsetzung der EU-
Energieeffizienz-Richtlinie Märkte für Energieeffizienz
entwickeln, 2014 einen Nationalen Aktionsplan für
Energieeffizienz erarbeiten, die KfW-Programme verste-
tigen und vor allem auch vereinfachen, eine fundierte
und unabhängige Energieberatung ermöglichen und
selbstverständlich auch das Erneuerbare-Energien-Wär-
megesetz im Einklang mit der Energieeinsparverord-
nung fortentwickeln.

Dabei ist für uns wichtig, dass wir ohne ordnungs-
rechtlichen Zwang und ohne Eingriff in Eigentum för-
dern; denn das geht nach hinten los, wie wir alle wissen.
Eine Steigerung der Sanierungsrate ist damit jedenfalls
nicht verbunden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich auf einen Punkt zu sprechen kom-
men, den Sie gerade angesprochen haben und der für
mich als ehemalige Wissenschaftspolitikerin von ganz
besonderer Bedeutung ist. Wir müssen auch in der For-
schungspolitik einen Schwerpunkt auf die Förderung
von Effizienztechnologien und Innovationen legen. Des-
halb ist es wichtig, dass wir unsere Forschungspro-
gramme aus den letzten Legislaturperioden zielgerichtet
fortführen. Präferenzen für eine bestimmte Technik oder
Zwang hemmen Investitionen, statt sie zu fördern.

Genau so haben wir in den letzten Jahren mit unseren
Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz bereits
viel erreicht. Betrachten wir beispielsweise den Zeit-
raum von 2008 bis 2011: In diesen Jahren haben wir die
Energieeffizienz um durchschnittlich 2 Prozent pro Jahr
verbessert und liegen damit nur knapp unter der Ziel-
marke von 2,1 Prozent. Wir haben dafür das energeti-
sche Gebäudesanierungsprogramm ausgebaut und jähr-
lich 1,8 Milliarden Euro an Fördermitteln zur Verfügung
gestellt. Das war so viel wie bei keiner Regierung zuvor.
Dieses Programm werden wir aufstocken, verstetigen
und vor allem deutlich vereinfachen. Auch darauf haben
wir uns im Koalitionsvertrag verständigt.

Im Rahmen dieser Förderung wurden zum Beispiel
auch Einzelmaßnahmen wie Heizungserneuerungen ge-
fördert. In Anbetracht der Kosten für eine umfassende
Sanierung eines durchschnittlichen Einfamilienhauses
von circa 60 000 bis 75 000 Euro ist dies ein ganz wich-
tiger Punkt. Denn setzen wir bei der Gebäudesanierung
den bisherigen Hebel von 1 : 12 an, haben wir damit
Energieeffizienzinvestitionen in Höhe von 21 Milliarden
Euro angeschoben.

Wir haben außerdem das Mietrecht angepasst, um
dem sogenannten Vermieter-Mieter-Dilemma zu begeg-
nen. So konnten wir sowohl erreichen, dass den Eigentü-
mern das energieintensive Sanieren erleichtert wird, als
auch, dass die Mieter über sinkende Nebenkosten von
energetischen Sanierungsmaßnahmen profitieren und
nicht überfordert werden.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Trotzdem steigen die Heizkosten!)


Bei einer Mieterquote von 57 Prozent in Deutschland
war diese Mietrechtsanpassung von enormer Bedeutung.

Lassen Sie mich aber noch einen weiteren Punkt Ihres
Antrags ansprechen. Sie fordern auch ein weiteres KfW-
Programm. Wissen Sie, wie viele Programme zur Förde-
rung der Erneuerbaren und der Energieeffizienz es
bereits gibt? Allein in der Datenbank des Bundeswirt-
schaftsministers finden Sie 180 Programme von EU,
Bund und Ländern.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem passiert nichts!)


Laut einer kürzlich erfolgten Umfrage vom Dachver-
band Deutscher Immobilienverwalter und der KfW führt
dies dazu, dass eine hohe Prozentzahl der Eigentümer
genau wegen dieser Fülle von Programmen und der
komplizierten Antragstellung keine Förderung in An-
spruch nimmt. Deswegen wollen wir hier für mehr Ver-
einfachung und mehr Übersichtlichkeit sorgen.

Außerdem fordern Sie eine Absenkung der möglichen
maximalen Erhöhung des Mietzinses von 11 auf 9 Pro-
zent nach einer Sanierung. Vor der Mietrechtsnovelle in





Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

der letzten Legislaturperiode hatten wir immensen
Sanierungsstau. Es war für Eigentümer schlichtweg un-
möglich, eine energetische Sanierung wirtschaftlich
durchzuführen; denn es gab geradezu absurde Regelun-
gen, welche zum Beispiel eine Mietminderung durch
den Mieter von bis zu 50 Prozent zuließen, wenn im
Sommer während der energetischen Modernisierung die
Heizung nicht richtig funktionierte. Daher war unsere
Mietrechtsnovelle dringend geboten. Wir haben diese
auch sozialverträglich ausgestaltet, beispielsweise durch
Härtefallregelungen, um sicherzustellen, dass sich die
Mieter auch nach der Sanierung ihre Wohnung noch leis-
ten können.

Eine maßvolle und gerechtfertigte Mietzinsanpassung
nach einer Sanierung steht dazu nicht im Widerspruch.
Zahlreiche Studien belegen, dass sanierungsbedürftige
Mehrfamilienhäuser durchaus warmmietenneutral sa-
niert werden können; denn eine Mieterhöhung wird
durch Einsparungen bei den Nebenkosten weitestgehend
ausgeglichen. Das gilt im Übrigen nicht nur für Einzel-
objekte, sondern auch für ganze Quartiere, wie wir in
Hamburg-Wilhelmsburg – Wilhelmsburg ist ein Stadtteil
mit einem sehr geringen Durchschnittseinkommen –
durch ein Projekt im Rahmen der Internationalen Bau-
ausstellung im vergangenen Jahr unter Beweis gestellt
haben.

Eine erneute Absenkung der zulässigen maximalen
Mieterhöhung würde sich erneut als Hemmschuh erwei-
sen, da viele Eigentümer schlichtweg befürchten müss-
ten, wieder alleine für die Kosten einer energetischen
Sanierung aufkommen zu müssen. Darüber hinaus
zeichnen Sie ein Bild von deutschen Vermietern, das
schlichtweg falsch ist. Entgegen der häufigen Darstel-
lung sind diese eben keine Spekulanten. In der Praxis
werden Mieten nach einer Sanierung durchschnittlich
um circa 80 Cent pro Quadratmeter angehoben. Durch
eine energetische Sanierung kann ein durchschnittlicher
Haushalt bis zu 1 000 Euro Nebenkosten im Jahr einspa-
ren.

Eine erneute Anpassung des Mietrechts ist also nicht
erforderlich und wäre aus unserer Sicht auch kontrapro-
duktiv.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch!)


Es gibt bei der energetischen Sanierung und bei der
Energieeffizienz keinen Königsweg. Wir müssen neben
standardisierten Methoden individuelle und angepasste
Lösungen finden und zulassen. Wir müssen dabei vor
allem offenbleiben für Fortschritt und Innovation. Damit
unterstützen wir zugleich unsere mittelständische Wirt-
schaft; denn sie ist der Innovationstreiber in unserer Ge-
sellschaft.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801726800

Frau Kollegin Dr. Gundelach, das war Ihre erste Rede

im Deutschen Bundestag. Ich beglückwünsche Sie dazu,
insbesondere zum Zeitmanagement, und wünsche Ihnen
weitere erfolgreiche Reden hier im Hohen Hause.


(Beifall)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm,
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801726900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trifft in ihrem Antrag
viele richtige Feststellungen und erhebt Forderungen,
die meinem Anliegen und dem meiner Fraktion in
Sachen Heizkostenersparnis und energetische Sanierung
weitgehend entsprechen. Heizkosten sind keine rein
fiskalische Frage für Familien und Haushalte im Land,
sondern sind eine zutiefst soziale Frage der Daseinsvor-
sorge.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen.

Neben viel Zustimmung zum Antrag Ihrer Fraktion,
Herr Kühn, habe ich einen Kritikpunkt und kleine Ände-
rungswünsche. Die Kritik zum Anfang: Meine Kritik
richtet sich gegen den Vorschlag, die Mieterhöhung nach
Modernisierung von 11 auf 9 Prozent jährlich zu senken,
wie Sie das in Ihrem Antrag fordern. Die damit mögli-
cherweise beabsichtigte wirtschaftliche Entlastung der
Mieterinnen und Mieter ist von der Tendenz her sicher-
lich richtig. Aber das Prinzip der Modernisierungsum-
lage ist aus unserer Sicht grundfalsch. Zum einen ist die
Modernisierungsumlage auf die Modernisierungskosten
fixiert. Auf diese haben die Mieterinnen und Mieter vor
Modernisierung leider fast keinen Einfluss. Zum ande-
ren bleibt der Nutzen der Modernisierungsmaßnahme,
nämlich der Wertzuwachs der Immobilie, beim Immobi-
lieneigentümer, nachdem die Mieterinnen und Mieter
diesen Wertzuwachs vollständig bezahlt haben, egal ob
sie das in neun Jahren wie bisher, in zehn Jahren, wie es
die Koalition vorhat, oder in elf Jahren, nach Ihrem An-
trag, abzustottern haben.

Nach unseren Vorstellungen sollte die Höhe der
Modernisierungsumlage nicht an den Kosten orientiert
werden, sondern am Nutzen, den die jeweilig Beteiligten
am Prozess daraus ziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Mieterinnen und Mieter sollen Kosten in der Höhe tra-
gen, in der sie Einsparungen bei der Heiz- und Energie-
kostenrechnung am Ende des Jahres tatsächlich erzielen
können. Vermieterinnen und Vermieter sollen den Wert-
zuwachs ihrer Immobilie tragen, und der Nutzen, den die
ganze Gesellschaft durch die energetische Gebäude- und
Quartiersentwicklung erlangt, soll auch gemeinschaft-
lich aus öffentlicher Förderung finanziert werden,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


dann aber aus Sicht der Linken mehr über Zuschüsse und
weniger über Kredite, die auch wieder nur die Gesamt-
rechnung belasten.





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

Die Linke will auf 5 Prozent der Modernisierungs-
kosten absenken, aber nur um in Stufen aus der unge-
rechten Modernisierungsumlage zu einem späteren Zeit-
punkt ganz auszusteigen; denn wir wissen, dass wir von
11 Prozent ausgehen und nicht von jetzt auf gleich auf
null Prozent senken können.

Damit bin ich bei meinen Ergänzungswünschen. Ein
wirklich tragfähiges Klimaschutzkonzept im Gebäude-
bereich braucht ein nachhaltig tragfähiges Finanzie-
rungskonzept. Die Größenordnung, die im vorliegenden
Antrag angepeilt wird, nämlich 2 Milliarden Euro
Bundesmittel jährlich für die Gebäudesanierung bereit-
zustellen und 3 Milliarden Euro jährlich in einen Ener-
giesparfonds einzuspeisen, deckt sich mit dem, was auch
wir für notwendig halten. Aber warum trennen Sie die
Mittel in zwei Fonds? Wäre es nicht flexibler, auch für
diejenigen, die darauf zurückgreifen wollen, wenn dazu
eine Position im Haushalt mit insgesamt 5 Milliarden
Euro veranschlagt wäre und dann sicher für viele Jahre
zur Verfügung stünde?

Der zweite Wunsch, den ich hätte: Heiz- und Energie-
kosten zu sparen und dabei die erneuerbaren Energien
voranzubringen, hat auch mit der kostengünstigen, flä-
chendeckenden Versorgung mit solchen Energien zu tun.
Neben einem bedarfsgerechten, nicht renditeorientierten
Trassenausbau gehören auch nachhaltige Konzepte zum
Ausbau regionaler Energieversorgung in den Werkzeug-
kasten der Energiewende. Auch das zu unterstützen,
muss von der Bundesregierung verlangt werden.

Ansonsten – Herr Kühn, Sie ahnen es –: Wir stimmen
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu.
Wir werden uns darüber in den entsprechenden Aus-
schüssen noch unterhalten. Ich hoffe, dass wir am Ende
darüber abstimmen und unsere Änderungswünsche ge-
gebenenfalls Berücksichtigung gefunden haben werden.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801727000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Nina Scheer,

SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1801727100

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Die Energiewende im Wärmebereich
ist eine sozial- wie auch umweltpolitisch herausragende
Aufgabe. Insofern ist die mit dem Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen vorgenommene Thematisierung der
Energiewende im Gebäudebereich gut und zu begrüßen.

Die Bedeutung der Energiewende im Wärmebereich
findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder, dem der
vorliegende Antrag in vielen Punkten inhaltlich ent-
spricht.


(Sönke Rix [SPD]: Da haben sie gut abgeschrieben!)

Wenn es nun aber um die Umsetzung weiterer Schritte
der Energiewende im Wärmebereich geht, eröffnet dies
auch die Chancen auf ein Umdenken der Politik im Wär-
mesektor. Ein Umdenken fehlt im Antrag der Grünen.

Ein Umdenken ist notwendig auf der Grundlage bis-
heriger Erfolge und Erfahrungen bei der Steigerung der
Energieeffizienz sowie dem Ausbau erneuerbarer Ener-
gien.


(Beifall bei der SPD)


Ein Umdenken ist aber auch mit Blick auf die kom-
mende neue Rolle des Wärmesektors erforderlich. Wäh-
rend der technologischen und akteursbezogenen Ent-
wicklungen der letzten Jahre zeichnete sich ab, dass der
Wärmesektor als kostengünstige, effiziente und somit
sinnvolle Flexibilitätsoption für den Ausbau fluktuieren-
der erneuerbarer Energien im Strombereich genutzt wer-
den kann.


(Beifall bei der SPD)


Um diese ökonomisch sinnvollen Ansätze sowie um-
weltpolitischen Chancen zu nutzen und darin enthaltene
Synergien auszuschöpfen, ist bei der Konzeption einer
Wärmestrategie und einer Politik für eine Wärmeener-
giewende mehr Systemdenken abzuverlangen.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den bei-
den genannten Punkten? Um die CO2-Reduktionsziele
von mindestens 40 Prozent im Jahr 2020 und langfristig
eine vollständige Dekarbonisierung zu erreichen, müs-
sen die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Wär-
meenergiewende verbessert werden. Gemäß einer Studie
des BBSR, des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und
Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung, vom März 2013 wurde ermittelt, dass es
für die Zielerreichung 2020 erstens auf Maßnahmen im
Gebäudebestand ankommen wird und, zweitens, bei ei-
ner Haushaltsfinanzierung jährlich 6 Milliarden Euro zur
Verfügung gestellt werden müssten. Es dürfte allen
Vertretern des Hauses klar sein, dass dies gerade bei Ge-
sprächen mit den Haushältern kein politischer Selbstläu-
fer ist. Nichtsdestotrotz wird man in der Koalition offen
darüber reden müssen, auf welchem Weg die offenkun-
dig notwendigen Verbesserungen der ökonomischen
Rahmenbedingungen erreicht werden können: ob mit
haushalterischen Finanzmitteln oder mit haushaltsunab-
hängigen Instrumenten oder mit einem Mix aus beidem.

Bei den Effizienzmaßnahmen hat man in den letzten
drei Jahrzehnten viele kostengünstige Potenziale zum
Teil schon gehoben. Weitere Potenziale sind zwar noch
vorhanden, aber unabhängig davon, wie sehr man die Ef-
fizienzmaßnahmen verstärkt und auch verhältnismäßig
teurere Potenziale erschließt: Am Ende wird man so oder
so den Restwärmebedarf durch erneuerbare Energien de-
cken müssen.


(Beifall bei der SPD)


Man wird also heute schon die Maßnahmen für erneuer-
bare Energien im Wärmesektor verstärken müssen, um
den aktuellen Stillstand aufzubrechen.





Dr. Nina Scheer


(A) (C)



(D)(B)

Insofern springt es zu kurz, schlicht die Sanierungs-
rate zu erhöhen. Hiermit ist für sich genommen keine
Aussage über sinnvolle Effizienz- oder gar Wärmeener-
giewende-Maßnahmen getroffen. Die deutsche Wärme-
politik ist bisher sehr stark von dem Fokus auf das ein-
zelne Gebäude geprägt. Nutzt man aber die Chance, den
Wärmesektor als kostengünstige Flexibilitätsoption zu
erschließen, muss der Fokus auf das einzelne Gebäude
verändert werden.


(Beifall bei der SPD)


Stärker müssen größere kommunale Einheiten, Quartiere
oder Stadtteile, bei der Wärmeversorgung in den Mittel-
punkt rücken; denn die sehr enge Systemgrenze des Ge-
bäudes kann zu Ineffizienzen führen.

Auch wenn der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
die Quartiere benennt, lässt er eine solche systemisch-
umdenkende Betrachtung nicht erkennen. Es gilt, durch
Nah- und Fernwärmenetze größere Wärmequellen zu er-
schließen und diese gleichzeitig zu flexibilisieren, etwa
mit Wärmespeichern und einer bivalenten Auslegung
von Kraft-Wärme-Kopplung. Der Kraft-Wärme-Kopp-
lung sowie der großtechnischen Anwendung von Solar-
thermie und Großwärmepumpen in Quartieren und
Stadtteilen wird damit eine größere Bedeutung zukom-
men. Dänemark bietet ein gutes Beispiel dafür.

Dies bedeutet aber auch, dass man sich das Planungs-
recht von Bund und Ländern genau anzuschauen haben
wird und den Städten und Gemeinden bei der Planung
der Wärmeversorgung eine größere Rolle zugestanden
werden muss.


(Beifall bei der SPD)


Gute Ansatzpunkte hierzu finden sich etwa im Erfah-
rungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz.

Bei der verstärkten Vernetzung des Stromsektors mit
dem Wärmesektor wird man sich auch die geltenden
Gesetze und Verordnungen anzusehen haben, um beste-
hende Hemmnisse für eine verstärkte Nutzung von soge-
nanntem Power-to-Heat abzubauen. An dieser Stelle sei
nur kurz auf die Energieeinsparverordnung und die Be-
rechnung des Primärenergiefaktors hingewiesen.

Zusammen mit einer verbesserten Finanzierung der
Wärmeenergiewende und der eventuellen Schaffung
neuer Instrumente, etwa im Rahmen der noch vorzuneh-
menden Umsetzung des Art. 7 der Energieeffizienz-
Richtlinie, ergeben sich mit diesem neuen Fokus neue
Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle, die durch neue,
vielfältige und dezentrale Akteure und Dienstleister be-
reitgestellt werden können. So kann und sollte eine neue
Aufbruchdynamik bei der Wärmeenergiewende geschaf-
fen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801727200

Frau Kollegin Dr. Scheer, das war Ihre erste Rede hier

im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen sehr herz-
lich dazu und wünsche Ihnen weitere erfolgreiche Rede-
beiträge im Hohen Hause.


(Beifall)


Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/575 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b
auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Festset-
zung der Beitragssätze in der gesetzlichen
Rentenversicherung für das Jahr 2014

(Beitragssatzgesetz 2014)

Drucksache 18/187
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


Drucksache 18/604

(8. Aus schuss)


Drucksache 18/618
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Matthias W. Birkwald, Sabine
Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sta-
bilisierung der Beitragssätze in der gesetzli-

(Beitragssatzgesetz 2014)

Drucksache 18/52
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/604
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU

und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Alle Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den von
den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitrags-
sätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das
Jahr 2014. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/604, den Gesetzentwurf der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/187 anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Ich stelle fest,
dass das die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die
Linke sind. Wer stimmt dagegen? – Dagegen stimmt





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Bündnis 90/Die Grünen. Damit kann ich mir die Frage,
wer sich der Stimme enthält, sparen. Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand.
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/611. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der
Linken und Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt worden.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Geset-
zes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzli-
chen Rentenversicherung.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/604, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/52 abzulehnen. Ich bitte jetzt diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Linken abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema
Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Gerech-
tigkeit und Frieden ausrichten

Drucksache 18/503
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Diese Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, dass alle damit einverstanden sind.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/503 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe auch dazu
Einverständnis. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Schulobstgesetzes

Drucksache 18/295

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft

(10. Ausschuss)


Drucksache 18/601

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die
Kollegin Katharina Landgraf, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1801727300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt sie

also doch, die gute Nachricht aus Brüssel. Als Berichter-
statterin für gesunde Ernährung habe ich die Botschaft
der Kommission und die folgende Aktion des Bundesra-
tes mit Wohlwollen aufgenommen. Die Länder sollen für
das Schulobstprogramm mehr Geld erhalten und selber
weniger dafür zahlen. Der Kofinanzierungsanteil von
50 Prozent wird jetzt also auf 25 Prozent gesenkt. Das
klingt gut und verführerisch. Das trifft auch auf die ak-
tuelle Ankündigung zu, dass Brüssel die Obst- und
Schulmilchprogramme zusammenführen will, sodass
man künftig gegebenenfalls gar nichts mehr zuzahlen
müsste.

Mit den heutigen Gesetzesänderungen zum Schulobst
öffnen wir für die Interessenten in Deutschland weit die
Tore und Türen. Das ist erst einmal die wichtigste Vo-
raussetzung dafür, den symbolisch aus Brüssel angebote-
nen Apfel annehmen zu können, mehr nicht. Ich kann es
mir hier getrost sparen, etwas zu den einzelnen Fristver-
änderungen zu sagen. Das geht schon in Ordnung. Einen
neuen Sündenfall müssen wir da nicht befürchten.

Jetzt kommt es aber darauf an, etwas daraus zu ma-
chen. Bei der praktischen Umsetzung sollte darauf ge-
achtet werden, dass vor allem Obst und Gemüse in die
Schulen kommt, das auch in den betreffenden Regionen
gewachsen ist. Für eine solche Entscheidung brauchen
wir keine Brüsseler und auch keine Berliner Bürokratie.

Wenn sich die Europäische Union dafür einsetzt, die
gesunde Ernährung der jungen Generation zu unterstüt-
zen, so haben wir damit das eigentliche Ziel noch längst
nicht erreicht. Die Begeisterung für die tägliche Portion
Obst und Gemüse wird mit einem aus EU-Mitteln finan-
zierten Programm zwar durchaus positiv begleitet, ge-
weckt wird sie damit aber eher nicht. Auf den Ge-
schmack kommen Mädchen und Jungen im wahrsten
Sinne des Wortes doch wohl erst, wenn in ihren frühen
Jahren die entsprechenden Nerven dafür sensibilisiert





Katharina Landgraf


(A) (C)



(D)(B)

worden sind. Das wiederum kann die Politik nicht wirk-
lich leisten. Das können nur die Erwachsenen, die die
Schutzbefohlenen auch in Sachen Nahrung betreuen und
erziehen.

Unsere Kompetenz als Politiker ist da eher begrenzt.
Wir können lediglich die entsprechenden Rahmenbedin-
gungen organisieren. Das tatsächliche Leben mit Obst
und Gemüse wird vor Ort entschieden: in den Familien,
Kindertagesstätten und Schulen. Dass es da läuft, hängt
einzig und allein von der Kompetenz der Akteure, der
Eltern und Pädagogen, ab. Der Idealfall wäre, wenn Va-
ter und Mutter selbst mit dem Thema gesunde Ernährung
und vor allem mit Obst aufgewachsen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die eigene Erfahrung, die man in seiner persönlichen
Entwicklung, in seiner Umgebung, in seiner Familie ge-
macht hat, ist die beste Wissens- und Handlungsgrund-
lage. Ist das nicht gegeben, so braucht man eine entspre-
chende pädagogische Begleitung. Klar ist, dass der
Idealfall im Alltag eher unüblich ist. Deshalb kann ich
ein Obst- und Gemüseprogramm in den Kitas und Schu-
len nur begrüßen. Wünschenswert ist, dass die Schulen
ein solches Angebot nicht als ein von oben verordnetes
Übel ansehen, das nur mehr Arbeit macht. Das Pro-
gramm sollte Bestandteil des gesamten Schulbetriebs
und des Unterrichtsprogramms sein. Kurzum: Es sollte
zum ganz normalen Alltag in den Schulen und Einrich-
tungen gehören.

Wie das entwickelt wird, ist Sache der Träger. Da
können wir von hier aus nur Appelle aussenden und al-
len Akteuren vor Ort danken, die sich wirklich für eine
gesunde Ernährung in Kitas und Schulen engagieren.

Ich persönlich wünsche mir, dass nach den heute zu
beschließenden Veränderungen des Gesetzes möglichst
alle Bundesländer das Angebot annehmen und sie nicht
ständig den bürokratischen Aufwand solcher Programme
dagegen aufwiegen. Mein Dank gilt letztlich dem Bun-
desrat wie auch dem Freistaat Bayern dafür, dass sie die
Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht haben. Danke
sage ich auch den Landfrauen für ihr Engagement. Den
Damen und Herren aus der Opposition danke ich im Vo-
raus dafür, dass sie mitziehen; denn es gibt sie wirklich:
gute Nachrichten aus Brüssel.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801727400

Als Nächstes spricht die Kollegin Karin Binder, Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801727500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! 918 582 Kinder haben laut der Pressemit-
teilung vom Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft im Schuljahr 2012/2013 an dem EU-
Schulobstprogramm teilgenommen. Das ist eine tolle
Zahl; aber es ist leider nur ein Bruchteil der Kinder, die
in Deutschland in die Kindergärten und Schulen gehen.
Es sind über 11 Millionen Kinder; das heißt, über 10
Millionen Kinder kamen leider nicht in den Genuss die-
ses Programms.

Dabei wissen wir alle: Obst und Gemüse sind uner-
lässlich für eine ausgewogene und gesunde Ernährung.
Wer schon als Kind Obst und Gemüse gegessen hat,
wird diese schöne Gewohnheit sicherlich nicht so
schnell aufgeben und ein Leben lang davon profitieren.
Übergewicht und ernährungsbedingten Erkrankungen
wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird hier gut vorge-
beugt. Die Linke unterstützt deshalb dieses Schulobst-
programm der EU, und wir unterstützen auch den vorlie-
genden Gesetzentwurf, wonach der Finanzierungsanteil
entsprechend steigen soll.

Allerdings wünschen wir uns deutlich mehr Engage-
ment vom Bund.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit unserem Entschließungsantrag fordern wir deshalb
die Bundesregierung auf, sich um die Kofinanzierung zu
bemühen. Der Anteil würde vorerst wahrscheinlich nur
ungefähr 5 Millionen Euro betragen, aber wir würden
weit mehr Kinder erreichen als bisher. Für die Kofinan-
zierung gibt es mehrere gute Gründe:

Erstens hat der Bund eine Fürsorgepflicht gegenüber
allen Kindern und Jugendlichen in diesem Land


(Beifall bei der LINKEN)


und trägt auch die Verantwortung für die Gesundheits-
vorsorge.

Zweitens ist dieses Schulobstprogramm Teil eines
Absatzförderungsprogramms für die Landwirtschaft.
Das ist wunderbar; auch wir begrüßen das. Wir sind sehr
dafür, dass regionale Landwirtschaft und Gartenbaube-
triebe unterstützt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Absatzförderung ist aber aus meiner Sicht eine
Aufgabe des Bundes.

Drittens nehmen bisher leider nur sieben Bundeslän-
der an diesem Programm teil. Grund dafür ist, dass viele
Bundesländer schlichtweg die Mittel nicht mehr haben,
um sich an der Finanzierung zu beteiligen.

Ein weiterer Grund liegt in der Bürokratie. Im Mo-
ment kann nicht die Rede davon sein, dass bundesweit
gleichwertige Verhältnisse bestehen. Eine Aufgabe des
Bundes ist doch die Angleichung der Lebensverhältnisse
zwischen Nord und Süd, Ost und West. Wir von den Lin-
ken fordern den Bund auf, sicherzustellen, dass alle Kin-
der und Jugendlichen an diesem Programm teilnehmen
können. Deshalb brauchen wir die Kofinanzierung des
Programmes durch den Bund und nicht über die Länder
alleine; denn allen Schulen muss die Möglichkeit eröff-
net werden, daran teilzunehmen.

Wichtig ist auch, die bürokratische Hürde herunterzu-
setzen.


(Beifall bei der LINKEN)






Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)

Ich höre den Amtsschimmel ganz laut wiehern ange-
sichts dessen, dass Lehrerinnen und Lehrer nach Vorga-
ben der EU-Bürokratie nicht mitessen und um Himmels-
willen nicht in den Obstkorb greifen dürfen. Das
Gegenteil muss doch der Fall sein: Die Lehrer sollen als
Vorbilder fungieren; sie sollen den Kindern zeigen, dass
Obst und Gemüse toll schmecken, und sie ermuntern, hi-
neinzubeißen. Einen solchen bürokratischen Unsinn
kann ich überhaupt nicht verstehen. Deshalb fordere ich
die Bundesregierung auf, diesem ein Ende zu setzen und
ihr ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen, damit
das auf europäischer Ebene geändert wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Abschließend ein weiterer Punkt. Wir müssen errei-
chen, dass in den Schulen Trinkwasserbrunnen aufge-
stellt werden, damit sich die Kinder nicht auf dem Klo
das Glas Wasser füllen müssen. Das machen Kids oder
Teenager bestimmt nicht gerne. Die Möglichkeit, Trink-
wasser aus Trinkwasserbrunnen zu nehmen, führt dazu,
dass Kinder keine süße Limonade oder gesüßte Säfte zu
sich nehmen; denn auch das hat – das wissen wir alle –
einen erheblichen Anteil an der Entstehung von Überge-
wicht. Trinkwasser kostenfrei und flächendeckend in
den Schulen zur Verfügung zu stellen, ist eine wichtige
Forderung. Davon hätte der Bund ganz viel Gewinn,
nämlich gesunde Kinder und gesunde Erwachsene mit
weniger Übergewicht.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801727600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine Pflugradt,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jeannine Pflugradt (SPD):
Rede ID: ID1801727700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Mit der Verabschiedung des deut-
schen Schulobstgesetzes Ende September 2009 fand
Deutschland eine Antwort auf das von der Europäischen
Union eingeführte Schulobstprogramm. Das Schulobst-
gesetz ist die Voraussetzung dafür, dass sich deutsche
Schulen an dem von der EU mitfinanzierten Programm
beteiligen können. In Deutschland sind, wie schon er-
wähnt, die Bundesländer für die Umsetzung des Pro-
gramms zuständig. Momentan beteiligen sich sieben
Bundesländer – Baden-Württemberg, Bayern, Nord-
rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-
Anhalt und Thüringen – am EU-Schulobstprogramm.
Ab dem Schuljahr 2014/2015 wird voraussichtlich Nie-
dersachsen in das Programm mit einsteigen.

Heute sprechen wir über das Schulobstgesetz, weil
die EU ab 2014 die Mittel für das Schulobstprogramm
für alle Mitgliedstaaten auf 150 Millionen Euro erhöht.
Das sind 60 Millionen Euro mehr als im vorigen Jahr;
das ist eine ganze Menge. Für Deutschland werden für
das nächste Schuljahr voraussichtlich 19,7 Millionen
Euro zur Verfügung stehen. Die EU übernimmt 75 Pro-
zent der Kofinanzierung statt bisher 50 Prozent. Der Ei-
genanteil der Länder sinkt somit auf – in Anführungszei-
chen – „nur noch“ 25 Prozent.

Damit die Mitgliedstaaten von den Änderungen auf
EU-Ebene profitieren können, wurde die Frist für die
Einreichung der Strategien von Ende Januar 2014 auf
Ende April 2014 verschoben. Der vorliegende Gesetz-
entwurf des Bundesrates nimmt diese Neuerungen auf
und passt sie an das deutsche Recht an. Bis zum 3. April
dieses Jahres haben die Bundesländer nun noch Zeit, ihr
Interesse beim Bundesministerium zu bekunden. Bis
Ende April muss der Bund schließlich seine regionale
Strategie bei der EU-Kommission eingereicht haben.
Ohne die vorgeschlagenen Veränderungen könnten die
teilnehmenden Bundesländer die erwartete Erhöhung
des Kofinanzierungsanteils nicht in Anspruch nehmen.

Zusätzlich enthält der vorliegende Entwurf eine Ver-
ordnungsermächtigung für das zuständige Bundesminis-
terium für Ernährung und Landwirtschaft, das in Zu-
kunft durch Rechtsverordnung auf solche Mittel- und
Friständerungen der EU zeitnah reagieren soll. Die zur
Verfügung gestellten Mittel sollen für den Ankauf von
Obst und Gemüse und dessen Verteilung an Schulen,
Kindergärten und anderen Vorschuleinrichtungen sowie
– ganz wichtig – für begleitende Informationsmaßnah-
men verwendet werden.

Ziel ist eine dauerhafte Erhöhung des Konsums von
Obst und Gemüse bei Kindern, um einen Beitrag zur ge-
sunden Ernährung zu leisten. Momentan haben 1,9 Mil-
lionen Kinder in Deutschland Übergewicht. Meine Da-
men und Herren, das ist eine besorgniserregende und,
wie ich finde, eine erschreckende Zahl.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Neben dem Angebot einer gesunden Ernährung müs-
sen deshalb auch die Ernährungsbildung verbessert und
vor allem das Bewegungsangebot optimiert werden;
denn das Wissen um eine ausgewogene Ernährung allein
reicht nicht aus, um das tatsächliche Ernährungsverhal-
ten zu verändern. Beispielsweise sollten die Kinder ler-
nen, woher die Nahrung kommt, die gerade verzehrt
wird, wie gesunde und ausgeglichene Ernährung funk-
tioniert oder wie mit Lebensmitteln umgegangen werden
soll.

90 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer, der Schullei-
terinnen und Schulleiter der in Deutschland beteiligten
Schulen sagen übereinstimmend, dass ein Schulobstpro-
gramm ohne große Probleme in den Schulalltag integ-
riert werden kann. Wichtig ist jedoch ein kostenfreies
Angebot für die Kinder, damit niemand aus sozialen
Gründen ausgeschlossen wird.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein gemeinschaftlicher Verzehr beeinflusst maßgeb-
lich sowohl das Zusammengehörigkeitsgefühl als auch
die Denkweise über die Ernährung. Ich persönlich halte
gesunde Essgewohnheiten von klein auf für enorm wich-
tig und auch für eine Grundlage für einen gesunden Le-
bensstil. Obst und Gemüse sind dabei unentbehrlich für





Jeannine Pflugradt


(A) (C)



(D)(B)

eine vollwertige und ausgeglichene Ernährung. Diese
Lebensmittel enthalten neben Vitaminen, Mineralstof-
fen, Ballaststoffen sowie Kohlenhydraten auch einen ho-
hen Wasseranteil. Ein hoher Verzehr von Obst und Ge-
müse hat eine positive Wirkung bei der Vorbeugung von
zahlreichen Erkrankungen.

Schulobstprogramme können und sollen einen direk-
ten Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten der Schü-
ler nehmen. Sie sollen helfen, Kindern Obst und Gemüse
schmackhaft zu machen. Gerade in der heutigen Zeit ist
die Schule auch ein Lernort für gesellschaftliche Aufga-
ben geworden. Schulen müssen mehr Verantwortung
übernehmen, da viele Eltern sich leider aus dieser Ver-
antwortung aus den verschiedensten Gründen zurückzie-
hen. Wertevorstellungen werden nicht nur von den El-
tern weitergegeben, sondern auch von Lehrern und
Mitschülern. Wenn in einer Familie nicht regelmäßig
Obst und Gemüse auf dem Tisch stehen, kann der Ver-
zehr als geplante Routine während der Schulzeit neue
Essgewohnheiten schaffen.

Durch die Einführung von Schulobstprogrammen
übernimmt der Staat eine wichtige Mitverantwortung für
eine gesunde Ernährung von Schulkindern. Deshalb sehe
ich auch den Vorschlag der EU-Kommission zur Zusam-
menlegung der beiden EU-Programme „Schulobst“ und
„Schulmilch“ sehr positiv. Wie Sie bereits wissen, haben
die ersten Beratungen im Europäischen Rat stattgefun-
den. Es wird vorgeschlagen, einen gemeinsamen rechtli-
chen und finanziellen Rahmen für die Verteilung von
Obst und Gemüse sowie Milch an Schulkinder zu gene-
rieren und durch verstärkte pädagogische Maßnahmen
zu unterstützen. Die bereitgestellten Mittel sind sicher-
lich nicht ausreichend, um das Gesamtproblem von
Übergewicht und Fettleibigkeit in den Griff zu bekom-
men. Programme wie die Verteilung von Obst, Gemüse
und Milch an Schulen sind da sicherlich nur ein Anstoß.
Aber dieser ist meiner Meinung nach sehr wichtig.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere hier an dieser Stelle an alle Bundeslän-
der, sich an diesem für unsere Kinder und Jugendlichen
sehr wichtigen Programm zu beteiligen. Und an Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, appelliere ich, sich in
Ihrem jeweiligen Bundesland und Wahlkreis über dieses
– gute – Programm weiter intensiv zu informieren.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir müssen
heute dieses Geld in unsere Kinder investieren; denn da-
durch minimieren wir unkalkulierbare hohe Kosten auf-
grund gesundheitlicher Probleme unserer Mitmenschen,
die unsere Gesellschaft auf Dauer belasten können. Nur
gesunde Kinder sind leistungsfähig, und die Wahrschein-
lichkeit, ein dauerhafter Leistungsempfänger zu werden,
sinkt durch eine gesunde Ernährung.

Einen persönlichen Wunsch habe ich anschließend:
Lassen Sie uns gemeinsam nach Wegen suchen, dieses
Programm zu erweitern, und beziehen wir die vielen
Sportvereine ein. In diesen Sportvereinen betätigen sich
die Kinder in ihrer Freizeit oder im Rahmen von Ganz-
tagsschulen. Auch das fördert ihre Gesundheit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801727800

Frau Kollegin Pflugradt, das war Ihre erste Rede hier

im Deutschen Bundestag. Meinen Glückwunsch dazu!
Ich wünsche Ihnen, dass Sie hier zahlreiche weitere Re-
den halten können.


(Beifall)


Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff,
Bündnis 90/Die Grünen.


(Abg. Jeannine Pflugradt [SPD] nimmt Glückwünsche entgegen – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solange die Redezeit noch nicht läuft!)


– Die Glückwünsche werden noch abgewickelt und mi-
nimieren nicht die Redezeit. –


(Heiterkeit)


Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt doch starten, Herr
Kollege Ostendorff.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beab-
sichtigten Änderungen im Schulobstgesetz finden die
Unterstützung unserer Fraktion.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Es ist gut, dass die von den Ländern für die Kofinanzie-
rung aufzubringenden Mittel durch die Aufstockung der
EU-Mittel zukünftig stark absinken werden.

Die Schulen sind wichtige Multiplikatoren. Unsere
Kinder sind die Verbraucher von morgen. Hier müssen
Gesundheitserziehung und Ernährungsbildung ansetzen.
Hier müssen die Leitbilder nachhaltigen und regionalen
Wirtschaftens vermittelt werden.

Meine Damen und Herren, wir Grünen wollen keine
krankmachenden, verdorbenen Erdbeeren aus China von
Sodexo für 8 Cent pro Kilo, wo doch bei uns Pflaumen,
Äpfel, Birnen, Kirschen und die ganze Vielfalt an Früch-
ten an den Bäumen hängt, das Gemüse auf den Feldern
wächst oder in unseren Lagern liegt. Wir Grüne wollen
lokal produzierte Lebensmittel. Wir wollen eine regio-
nale handwerkliche Verarbeitung und eine gesunde Ess-
kultur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen aber auch die Folgen einer globalisierten
Nahrungsproduktion problematisieren. All das lässt sich
durch intelligent gestaltete Schulernährungsprogramme
erreichen.

Es geht darum, dass sich die Kinder die Bauernhöfe
mit den Obstbäumen und Gemüsefeldern anschauen
können und sehen, wie ihre Nahrungsmittel produziert
werden. Es geht darum, den Bezug zu den Lebensmitteln
und ein Gefühl ihrer Wertschätzung zu erreichen. Das





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

kann kein Lehrbuch vermitteln, sondern nur das eigene
Erfahren, Entdecken und Erschmecken. Es geht also
nicht um Abfüttern, sondern um Gesundheits- und Er-
nährungserziehung. Ich sage nur: Der Spruch „An apple
a day keeps the doctor away“ gilt hier immer noch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Deutschland beteiligen sich leider erst sieben, zu-
künftig acht Bundesländer an diesem hervorragenden
Programm. Wer hätte denn gedacht, dass sich auf euro-
päischer Ebene Italien am stärksten engagiert? Ich habe
die Umsetzung dieses Programms, mit dem Regionalität
und Qualität sehr gut umgesetzt werden, in Nordrhein-
Westfalen, dem Vorreiterland bei der Schulobsternäh-
rung, von Anfang an begleitet.

Zentral für ein erfolgreiches Schulobst- und -gemüse-
programm ist die Auswahl der Anlieferer; das ist die
zentrale Frage. Die Auswahl erfolgt nicht über eine Aus-
schreibung, die nur den billigsten Anbieter fördert und
am Ende zu besagten chinesischen Erdbeeren oder zu ei-
nem Lieferanten führt, der am Großmarkt zum Schluss
den Ramsch abräumt. Die Anbieter aus der Region – sie
müssen die Lieferanten sein. Das sind oft Bauern und
Bäuerinnen, die direkt vertreiben, oder auch lokale
Händler. Sie werden von den Schulen in NRW vorge-
schlagen, beruhend auf guter Erfahrung und Zusammen-
arbeit. Die Zulassung erfolgt zentral auf Landesebene.
Die Vergütung erfolgt in NRW nach einem Festpreismo-
dell.

Wichtig ist auch die Einbindung von Eltern, Lehrkräf-
ten und ehrenamtlichem Engagement in das Programm.
Dies ist notwendig, weil das Obst und Gemüse – wenn
es geht, in Bioqualität – ordentlich gewaschen und ge-
schnitten präsentiert werden muss. Leider essen die we-
nigsten Kinder einen ganzen Apfel. Mein Dank geht hier
ausdrücklich – es wurde eben schon erwähnt, aber auch
ich will es sagen – an die Landfrauen, die oftmals die
praktische Umsetzung dieses Programms mit ermöglicht
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, das ist der Weg, den wir
weitergehen müssen, um zu verhindern, dass unsere
Schulen in Zukunft von den gerade vorgestellten neuen
Paketen von Amazon Fresh beliefert werden.

Bei der Schulverpflegung mit den unmoralisch niedri-
gen Tagessätzen pro Kind sind wir leider längst noch
nicht bei ausgewogenen, qualitativ hochwertigen Mahl-
zeiten angelangt. Viele Kinder sind heutzutage leider
von morgens bis abends aus dem Haus und daher oft in
der Auswahl ihrer Ernährung auf sich allein gestellt und
der irreführenden Werbung der Ernährungsindustrie aus-
geliefert. Deshalb müssen wir uns in der Politik viel stär-
ker um das Thema ausgewogene Ernährung kümmern.
Für uns alle gilt: Hier gilt es, anzusetzen, um Bewusst-
sein für gesunde Ernährung auszubilden und regionale
Versorgung flächendeckend umzusetzen. Das heißt für
uns: grüne Ernährungswende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801727900

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Alois Rainer, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1801728000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vielleicht wird es Sie überraschen, dass ge-
rade ich als Metzgermeister


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


in meiner ersten Rede zum Thema Schulobst sprechen
darf. Aber unbestritten ist, dass eine gesunde und vor al-
lem ausgewogene Ernährung ein wichtiger Beitrag zu
mehr Lebensqualität ist. Obst und Gemüse sind unent-
behrlich für eine vollwertige Ernährung. Vitamine und
Mineralstoffe sind besonders für Kinder und deren Ent-
wicklung wichtig.

Leider müssen wir in der heutigen Zeit oft feststellen,
dass viele Kinder und Jugendliche wenig bis gar kein
Obst oder Gemüse essen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man aber ändern! Da haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht!)


In vielen Familien ist es nicht selbstverständlich, dass
frisches Obst und Gemüse regelmäßig auf den Tisch
kommen. Umso wichtiger ist es, dass die Kinder dort,
wo sie sich lange aufhalten, nämlich in der Schule, Obst
und Gemüse zu sich nehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn regelmäßige Obst- und Gemüsemahlzeiten in der
Schule beeinflussen das Ernährungsverhalten der Kinder
langfristig positiv. Eine gesunde Esskultur beginnt von
klein auf. Wir alle kennen doch den Ausspruch: Was
Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der
heute vorgesehenen Änderung des Schulobstgesetzes
stellen wir langfristig die Weichen für eine bessere Ver-
teilung der Gemeinschaftsbeihilfe unter den Ländern.
Das Schulobstgesetz regelt das Verfahren zur Durchfüh-
rung des EU-Schulobstprogramms. Insbesondere regelt
es die Fristen für die jährlich einzureichenden Strategien
der Länder und die Verteilung der Gemeinschaftsbei-
hilfe.

Das bisherige Gesamtbudget der EU für das
Schulobstprogramm wird von 90 Millionen Euro auf
150 Millionen Euro jährlich erhöht. Damit wird der Ko-
finanzierungsanteil für die Mitgliedstaaten von 50 Pro-
zent auf 25 Prozent gesenkt. Ich hoffe, dass sich das
dann das eine oder andere Land auch leisten kann, liebe
Frau Kollegin.





Alois Rainer


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aufgrund dieser Änderung hat die Europäische Kom-
mission die Frist für die Einreichung der Strategien für
das aktuelle Schuljahr vom 31. Januar auf den 30. April
2014 verschoben. Damit es den Ländern bereits im kom-
menden Jahr möglich ist, von dieser Verbesserung zu
profitieren, hat der Bundesrat am 19. Dezember 2013 be-
schlossen, einen Gesetzentwurf einzubringen, durch den
insbesondere die Fristen angepasst werden.

Die Mittelaufstockung der EU und die Reduzierung
des Kofinanzierungsanteils für die Mitgliedstaaten von
50 Prozent auf 25 Prozent machen das Schulobstpro-
gramm noch viel attraktiver. Das müsste eigentlich für
alle Länder Grund genug sein, das Programm durchzu-
führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bayern hat hier von Anfang an die Initiative dazu ergrif-
fen. Als immer noch amtierender Bürgermeister kann
ich bestätigen, dass wir das Programm an unseren Schu-
len schon durchgeführt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich, dass sich die Länder Baden-Württem-
berg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saar-
land, Sachsen und Sachsen-Anhalt dem angeschlossen
haben und weitere Länder mit Sicherheit folgen werden.
Ich würde mich riesig freuen, wenn sich dem Programm
alle Länder anschließen;


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle
wollen, dass unsere Kinder frühzeitig an gesundes Essen
herangeführt werden und sich die Ernährungsgewohn-
heiten damit langfristig ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies ist und muss uns sowohl auf nationaler wie auf eu-
ropäischer Ebene ein wichtiges Anliegen sein.

Ich möchte mich abschließend bei allen bedanken, die
sich schon jetzt für dieses Programm einsetzen, bei den
Landfrauen – sie sind schon genannt worden –, den
Obst- und Gartenbauvereinen und den vielen freiwilli-
gen Helfern. Wir sind bereits auf einem guten Weg. Las-
sen Sie uns darum die erforderliche Gesetzesänderung
beschließen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801728100

Herr Kollege Rainer, Sie haben es erwähnt: Sie haben

als Metzgermeister Ihre erste Rede zum Schulobstgesetz
gehalten. Ich beglückwünsche Sie dazu und wünsche Ih-
nen weitere erfolgreiche Reden im Hohen Hause.


(Beifall)

Die Glückwünsche werden noch entgegengenommen.
Ich darf aber schon mitteilen, dass damit die Aussprache
zu diesem Tagesordnungspunkt geschlossen ist.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Schulobstgesetzes. Der Ausschuss für Ernährung
und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/601, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 18/295 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera-
tung von allen Fraktionen des Hohen Hauses angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
dieser Gesetzentwurf mit Zustimmung aller Fraktionen
angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/612. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15, den letzten
in unserer heutigen Tagesordnung, auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Katja Keul, Omid
Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien

Drucksache 18/576
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. Juli
2011 forderte Sigmar Gabriel hier im Plenum in Bezug
auf die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien die Vor-
gängerregierung dazu auf – ich zitiere –, „die Genehmi-
gung zur Ausfuhr entweder zurückzuziehen oder, wenn
sie noch nicht endgültig gefallen ist, nicht zu erteilen“.





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch im Februar 2013 griff Herr Oppermann Schwarz-
Gelb massiv an, weil es Saudi-Arabien – auch hier wie-
der ein Zitat – „total hochrüsten“ wolle und „aus den öf-
fentlichen Protesten gegen Waffenlieferungen in dieses
Land nichts gelernt“ habe. Ich würde sagen: Damit ha-
ben die beiden völlig recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lassen
Sie diesen schönen Ankündigungen jetzt, wo Sie Teil der
Regierung sind, konkrete Taten folgen. Heben Sie den
Vorbescheid für den Export von Patrouillenbooten und
insbesondere auch den für die Panzerlieferung an das
Königreich Saudi-Arabien auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich könnte noch viel mehr Zitate der SPD anführen, die
belegen: Eigentlich sind Sie – soll ich besser sagen: wa-
ren Sie? – gegen Rüstungsexporte


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Man lernt halt auch dazu!)


in Länder, wo Menschenrechte mit Füßen getreten wer-
den.

Nun versuchen Sie, sich hinter Schwarz-Gelb zu ver-
stecken, und verweisen auf die in der Vergangenheit ge-
troffenen Beschlüsse. Aber das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen. Denn jenseits schöner Ankündigungen in
Interviews besteht Ihre erste wahrnehmbare Handlung in
Regierungsverantwortung bei den Rüstungsexporten da-
rin, dass Sigmar Gabriel federführend und aktiv Hermes-
bürgschaften für die Lieferung von Patrouillenbooten
nach Saudi-Arabien auf den Weg bringt.


(Beifall des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ CSU] – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungeheuerlich!)


Statt dieses von Ihnen kritisierte Geschäft zu stoppen,
geben Sie nun also auch noch ganz bewusst die Zustim-
mung, diesen Deal mit deutschen Steuergeldern durch
Hermesbürgschaften abzusichern. Liebe Genossinnen
und Genossen, Sie verhalten sich wie ein Fähnchen im
Wind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von Union und SPD, hören
Sie endlich auf, Rüstungsexportpolitik als Wirtschafts-
politik zu betreiben! Denn das ist ein ziemlich kurzsich-
tiger und riskanter Kurs.

Zu den Hauptabnehmern deutscher Waffen gehören
neuerdings vor allem die zahlungskräftigen Staaten der
Arabischen Halbinsel. Die Kanzlerin bezeichnet diese
Länder als strategische Partner, die wir mit deutschen
Waffen ertüchtigen müssen. Doch damit rüstet Deutsch-
land eine sicherheitspolitisch höchst instabile Region
hoch und heizt die Rüstungsspirale an. Neben dem Ri-
siko, dass diese Waffen für innere Repression eingesetzt
werden, wissen wir doch alle auch, dass islamistische
Kämpfer von diesen Regimen auf der Arabischen Halb-
insel finanziert und ausgerüstet werden, wie zum Bei-
spiel in Syrien und Mali. Sie sehen, meine Damen und
Herren: Diese sicherheitspolitische Kurzsichtigkeit von
Kanzlerin Merkel ist aus vielen Gründen höchst gefähr-
lich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Forderung nach mehr Transparenz und par-
lamentarischer Beteiligung bei der Kontrolle von Rüs-
tungsexporten müsste den Kolleginnen und Kollegen aus
der SPD-Fraktion ebenso wie die Äußerungen zu den
Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien doch sehr be-
kannt vorkommen. Denn bis vor ein paar Monaten wa-
ren dies noch Ihre eigenen Vorschläge. Aber auch hier
sind Sie sehr schnell eingeknickt und haben der Union
nachgegeben. Nun wird es aufgrund Ihrer Untätigkeit
kein gesondertes Gremium im Bundestag geben, das
über Rüstungsexporte unterrichtet wird und die Regie-
rung an dieser Stelle kontrollieren kann.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der gesamte Bundestag wird unterrichtet! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Genau!)


Gerade solche sensiblen und kritischen Entscheidungen
wie die Genehmigung von Waffengeschäften muss eine
Regierung doch begründen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!)


Sie kann sich dabei nicht hinter den verriegelten Türen
des Bundessicherheitsrates verstecken. Es muss endlich
Schluss sein mit dieser Geheimniskrämerei. Ich finde,
das ist ein unwürdiger Zustand in einer Demokratie,
auch im Hinblick auf uns Abgeordnete.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen in der Koalition,
halten Sie sich an Ihre eigenen Rüstungsexportrichtli-
nien, halten Sie sich an Ihre Versprechen und Ihre mora-
lischen Ansprüche! Seien Sie kein Fähnchen im Wind,
sondern eine verlässliche Beschützerin der Menschen-
rechte, egal ob Sie regieren oder ob Sie opponieren!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801728200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1801728300

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Es ist schön, dass wir

nach dem Schulobst noch zu den Patrouillenbooten vor
Saudi-Arabien kommen. Frau Brugger, ich will einfach
einmal erklären, um was es eigentlich geht. Es geht um
einen Auftrag, den der Innenminister von Saudi-Arabien
deutschen Schiffsbauern erteilen möchte. Saudi-Arabien
möchte seine Grenzschutzflotte modernisieren und aus
diesem Grund 146 Boote verschiedenen Typs bei uns





Klaus-Peter Willsch


(C)



(D)(B)

kaufen: 2 Führungsboote, 33 Patrouillenboote, 79 schnelle
Einsatzboote und 32 Arbeitsboote. Dafür gibt es in
Saudi-Arabien natürlich auch einen konkreten Bedarf.
Die Boote sollen im Roten Meer und im Persischen Golf
eingesetzt werden: zur Überwachung von Küstenlinien,
zur Kontrolle und zum Schutz der Hoheitsgewässer und
der internationalen Seewege, zum Schutz von Hafenan-
lagen und zur Unterbindung von Piraterie, Sabotage und
Terrorismus.

Saudi-Arabien will auch seine Tanker und Ölplattfor-
men bzw. die seiner Kunden vor Piraten und Terroristen
am Horn von Afrika und im Persischen Golf schützen
und seine Grenzregionen gegen Terror jeglicher Art si-
cherer machen. Ich halte es für völlig legitim, dass
Saudi-Arabien das tut. Ich freue mich darüber, wenn
Saudi-Arabien dafür deutsche Technologie einsetzen
will.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD])


Wir müssen uns einmal vor Augen führen, in welcher
Region Saudi-Arabien liegt;


(Inge Höger [DIE LINKE]: Genau, das müssen wir uns mal vor Augen führen!)


diese Region ist ja nun alles andere als eine Insel der
Glückseligen: Hier liegen Afghanistan, Iran, Irak, Ägyp-
ten, Sudan, Somalia, und es gibt Stützpunkte des interna-
tionalen Terrorismus, zum Beispiel von Terrorgruppen
wie al-Qaida. Aber diese Region ist auch – das wissen
wir; deshalb sind auch wir selbst dort tätig – für den
Welthandel von herausragender Bedeutung. Die viel-
befahrenen Handelsrouten, auf denen die Tanker das Öl
nach Europa und in die USA bringen, liegen in diesem
Raum und brauchen Schutz. Die Straße von Hormus vor
der Küste Irans und der Suezkanal zwischen dem Roten
Meer und dem Mittelmeer sind Achillesfersen des Öl-
transports. Durch die relativ schmalen Wasserstraßen
schleusen die Tanker einen Großteil des weltweit ver-
brauchten Öls, viele Millionen Barrel täglich. Wenn ei-
ner der angrenzenden Staaten oder Terrororganisationen
diese Wege blockieren, gehen bei uns die Lichter aus.
Deshalb ist es wichtig, dass dort Ordnung gehalten wird.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Undemokratische Ordnung!)


Wir sollten uns über jeden, der daran mitwirkt, freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD])


Dass die Piraterie in diesem Bereich ein großes Pro-
blem darstellt, sollte Ihnen nicht entgangen, sondern
aufgrund der allgemeinen Nachrichten und unserer Mit-
wirkung an den entsprechenden Mandaten durchaus ge-
läufig sein. Saudi-Arabien hat in den zurückliegenden
Jahren nach Schätzungen 100 Millionen Dollar allein an
Lösegeld verloren, das man dort an Piraten zahlen
musste. Ich halte es für absolut legitim, dass Saudi-
Arabien als souveräner Staat seine Küsten optimal schüt-
zen möchte; ich finde, wir müssen dafür Verständnis ha-
ben. Wenn deutsche Hightechfirmen dafür die geeigne-
ten Gerätschaften haben und sie dorthin verkaufen
können, sollten wir sie dabei unterstützen. Das tun wir.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch gerade schon mal gesagt! Ihre Rede dauert einfach zu lange! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber nur, damit ihr es auch versteht!)


Wir können uns unsere Handelspartner natürlich nicht
immer aussuchen oder sie nach unseren Vorstellungen
malen. Aber wenn Sie sich einmal die Rolle Saudi-
Arabiens in der Region anschauen, dann werden doch
wohl auch Sie konzedieren, dass Saudi-Arabien sowohl
beim Friedensprozess im Nahen Osten als auch beim
Antiterrorkampf auf unserer Seite stand.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Also ein strategischer Partner?)


Bei Einmischungen in die Innenpolitik anderer Staa-
ten sollten wir uns eine gewisse Zurückhaltung auferle-
gen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht über-
all eine Situation herrscht wie bei uns in Westeuropa, wo
wir seit Jahrzehnten Frieden, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit haben.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie auch gleich den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung einstampfen!)


Wenn wir das zur Voraussetzung für den Handel in der
Welt machen würden, hätten wir nicht mehr viele Part-
ner.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nicht besser!)


Saudi-Arabien ist bei aller berechtigten Kritik an seiner
inneren Verfasstheit


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist Ihnen ja egal!)


– darüber brauchen wir nicht zu streiten; das ist doch
völlig klar – ansonsten ein stabiler Faktor für die Zusam-
menarbeit, ein stabilisierender Faktor im Nahen Osten
und insofern ein wichtiger Partner.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD])


Nehmen Sie zum Beispiel die arabisch-israelische
Friedensinitiative von 2002. Damals war Abdullah noch
Kronprinz; heute ist er der König von Saudi-Arabien. Er
hat diese Initiative angestoßen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echter Friedensengel!)


Nehmen Sie den Schlichtungsversuch 2011 im Jemen.
Auch in Ägypten spielt Saudi-Arabien eine konstruktive
Rolle. Außerdem ist Saudi-Arabien Gründungsmitglied
und Sprachrohr der Arabischen Liga. Insbesondere in
seiner Politik gegenüber Syrien und beim Nahost-
Friedensprozess agiert es hauptsächlich im Rahmen der
Beschlüsse der Arabischen Liga.

(A)






Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

Im außenpolitischen Konzept der Bundesregierung
vom Februar 2012 mit dem Namen „Globalisierung ge-
stalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung tei-
len“ heißt es ganz konkret:

Kein Staat der Welt kann heute nur mit militäri-
schen Mitteln oder allein für seine Sicherheit sor-
gen. Hierbei misst die Bundesregierung insbeson-
dere der Entwicklung und weiteren Vertiefung
sicherheitspolitischer Partnerschaften mit Staaten in
entfernten Regionen sowie deren jeweiligen Regio-

(z. B. im Rahmen der Afrikanischen Union, AU, oder der Arabischen Liga, AL)

große Bedeutung zu.

Genau dafür steht auch hier Saudi-Arabien.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie auch einmal die Rüstungsexportrichtlinien lesen!)


Deutschland hat in Sachen Export von Rüstungsgütern
hohe Hürden, hohe Standards.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen sind wir Exportweltmeister!)


Wir liefern keine Waffen an solche Länder, die weitläu-
fig als Schurkenstaaten bezeichnet werden. Wir verkau-
fen keine Waffen an Regierungen, bei denen wir davon
ausgehen müssen, dass sie diese gegen ihre eigene Be-
völkerung richten. Das spielt aber in diesem Kontext
überhaupt keine Rolle, weil wir von Booten reden.

Frau Brugger von den Grünen hat den Wirtschafts-
minister zitiert, den Koalitionswunschpartner der Grü-
nen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Also Ihren Partner!)


Ich will jetzt auch einmal Sigmar Gabriel zitieren: Die
Debatte um die Bürgschaft sei nicht besonders ehrlich,
hat er gesagt; denn mit Patrouillenbooten könne man
nicht auf Plätzen die eigene Bevölkerung unterdrücken. –
Genau so ist das.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sah Oppermann aber vor ein paar Monaten noch anders!)


Ich will den Blick einmal zurückrichten auf die Zeit,
als die Grünen selbst Verantwortung trugen. Rot und
Grün haben zwischen 1998 und 2002 Genehmigungen
für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien im Wert von
125 Millionen Euro erteilt.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Was? – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Darunter waren Teile für Feuerleiteinrichtungen, Kampf-
flugzeuge, Schießanlagen, Pistolen, Maschinenpistolen,
Herstellungsausrüstung für Maschinenkanonen usw.


(Klaus-Dieter Gröhler [CDU/CSU]: Schon vergessen?)


In der zweiten Wahlperiode von Rot-Grün, von 2002 bis
2005, beliefen sich die Rüstungsexporte nach Saudi-
Arabien, obwohl es nur drei Jahre waren, auf 130 Millio-
nen Euro, darunter Pistolen, Gewehre, Scharfschützen-
gewehre, Maschinenpistolen, Dekontaminationsausrüs-
tung, Munition usw. usw.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist ja nicht zu fassen! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das wollen wir jetzt gar nicht kritisieren!)


Das sind also Oppositionsspielchen, mit denen uns die
Grünen heute Abend die Zeit stehlen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit! Hier stiehlt man keine Zeit! Ein bisschen mehr Respekt!)


Wir reden heute über Boote für den Küstenschutz. Ich
habe Ihnen gerade all das vorgelesen, wozu Sie Ja gesagt
haben. Ich will gar nicht kritisieren, wozu Sie Ja gesagt
haben; ich mahne nur ein bisschen Ehrlichkeit an: dass
Sie hier nicht den einen Tag so handeln und den nächsten
Tag anders reden.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man kann ja aus Fehlern lernen! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein, das war ja gut!)


Die zentralen Merkmale der deutschen Rüstungs-
exportpolitik sind seit Jahrzehnten konstant. Sie sind
ähnlich wie die Außenpolitik, wenn überhaupt, nur
geringfügigen Schwankungen unterworfen. Natürlich
haben wir auch ein kommerzielles Interesse: Wir wollen,
dass unsere Hightechfirmen mit dem Export Geld ver-
dienen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])


Unsere Bundeswehr ist als Nachfrager inzwischen näm-
lich allein nicht mehr in der Lage, ihre Systemfähigkeit
in verschiedenen Bereichen zu erhalten. Wir müssen
deshalb versuchen, andere Märkte mit zu erschließen,
damit wir systemfähig bleiben und damit die Fähigkeit
zur Herstellung eigener Verteidigungstechnologie erhal-
ten.

Zur Situation in Mecklenburg-Vorpommern: In der
Peene-Werft in Wolgast freut man sich auf diesen Auf-
trag; es geht um 1,4 Milliarden Euro. In einer Region,
die als strukturschwach zu bezeichnen ist und in der es
eine große Schiffbautradition gibt, freut man sich, dass
mit diesem Auftrag die Tradition fortgeschrieben wer-
den kann. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In Mecklenburg-Vorpommern betrug die Arbeitslosen-
quote im Januar 2014 13,2 Prozent. Die Firma Lürssen,
zu der die Peene-Werft in Wolgast, die den Auftrag be-
kommen soll, gehört, hat 1 400 Mitarbeiter. Allein durch
diesen Auftrag werden bis zu 500 Schiffbauer für min-
destens zwei Jahre beschäftigt sein.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist doch was! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bauen auch schöne Jachten! – Gegenruf des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]: Die können sich nur die Grünen leisten!)






Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)

Das sind wichtige Argumente, finde ich; das sollte man
bei so einer Gelegenheit auch einmal erwähnen, ehe man
sich hier zu einer moralisch vermeintlich überlegenen
Position aufschwingt und die Dinge sehr einseitig be-
leuchtet.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen die Saudis schon!)


Seien Sie froh, dass unsere Produkte – ob es Schiffe
sind, ob es Boote sind, ob es Panzer sind, ob es Haubit-
zen sind, ob es Pkw sind – in aller Welt gefragt sind. Wir
liefern Spitzentechnologie; darauf können wir stolz sein
als Deutsche. Wir sehen keinen Grund, warum wir die in
Aussicht gestellte Genehmigung für die Zusammenar-
beit zwischen Saudi-Arabien und Lürssen infrage stellen
sollen. Wir freuen uns darüber.

Danke sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801728400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die wollen nur nach Kuba Waffen exportieren!)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801728500

Wir wollen gar keine Rüstungsexporte!


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Oder nach Nordkorea! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind
schon einige Zitate von Herrn Gabriel genannt worden.
Ich möchte noch ein anderes nennen. Noch vor kurzem
sagte er: „Es ist eine Schande, dass Deutschland zu den
größten Waffenexporteuren gehört.“ Dem kann ich nur
zustimmen. Umgekehrt sollte Herr Gabriel dem hier vor-
liegenden Antrag zustimmen – zumindest wenn er das,
was er verschiedentlich gesagt hat, ernst meint.

Selbst wer nicht grundsätzlich wie die Linke gegen
Rüstungsexporte ist, muss doch sehen, dass Waffenliefe-
rungen an Saudi-Arabien falsch sind. Dagegen sprechen
sowohl die Menschenrechtslage als auch die Spannun-
gen in dieser Region.

Die deutschen Rüstungsexportrichtlinien wurden
eben zitiert, aber nicht richtig. Sie sind hier nämlich ein-
deutig: Genehmigungen für Waffenexporte dürfen nicht
erteilt werden, wenn interne Repression und Menschen-
rechtsverletzungen zu befürchten sind oder wenn durch
zusätzliche Waffen bestehende Spannungen und Kon-
flikte aufrechterhalten oder verschärft werden könnten. –
Beides trifft auf Saudi-Arabien zu. Deshalb ist mein
dringender Appell an die Bundesregierung: Nehmen Sie
wenigstens die eigenen Richtlinien ernst.


(Beifall bei der LINKEN)

Waffenlieferungen in diese Region sind ein gefährli-
ches Spiel mit dem Feuer. Auf Nachfragen erhielt ich
wiederholt die Antwort, Saudi-Arabien sei für die Bun-
desregierung ein wichtiger Partner bei der Lösung regio-
naler Konflikte. Saudi-Arabien ist aber Teil der regiona-
len Konflikte. Eine weitere Aufrüstung dieses Landes
bringt keine Lösung, sondern verschärft die Spannun-
gen. Oder glauben Sie wirklich, dass eine Aufrüstung
Saudi-Arabiens den Iran zur Abrüstung motivieren
könnte?

Deutsche Waffengeschäfte beschleunigen die Aufrüs-
tungsspirale im gesamten Nahen und Mittleren Osten.
Wir brauchen aber Initiativen für Abrüstung. Dazu ge-
hört zum Beispiel die UN-Initiative für einen Nahen und
Mittleren Osten ohne Massenvernichtungswaffen.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sie müssen erst einmal den Iran abrüsten!)


Auch ich begrüße die arabische Friedensinitiative, die
König Abdullah 2002 angestoßen hat. Das könnte tat-
sächlich ein Weg zur Lösung des Nahostkonfliktes sein.
Ich weiß aber auch, dass sein Land Israel nach wie vor
nicht anerkannt hat. Ich habe mit Erschrecken die Satel-
litenbilder einer saudischen Raketenbasis zur Kenntnis
genommen, die der Telegraph im letzten Sommer veröf-
fentlichte. Die dort stationierten ungelenkten Raketen
sind auf zwei Ziele ausgerichtet: auf Tel Aviv und auf
Teheran.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Partner!)


Mit diesem Land, das als Teil seiner Militärstrategie
auch Angriffe auf Israel plant, wollen Sie tatsächlich
Rüstungsgeschäfte machen? Ich finde das unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Vier Linke weniger, dann gibt es keinen Beifall mehr!)


Es ist wirklich peinlich, dass Saudi-Arabien inzwi-
schen der wichtigste Abnehmer deutscher Waffen ist.
Dieses Geschäft mit dem Tod wird auch noch durch
staatliche Ausfallbürgschaften abgesichert. Ich frage Sie:
Warum hat die Lürssen-Werft überhaupt eine Hermes-
bürgschaft beantragt? Zweifelt sie an der Zahlungs-
fähigkeit des saudischen Königreiches? Wohl kaum!
Offensichtlich hält das Werftmanagement einen Zah-
lungsausfall aus politischen Gründen durchaus für mög-
lich.

Niemand weiß, wie lange sich das repressive politi-
sche System in Saudi-Arabien noch an der Macht halten
kann. Doch mit umfangreichen Waffenlieferungen und
mit Überwachungstechnologie aus Deutschland können
sich die saudischen Eliten auf jeden Fall etwas sicherer
fühlen. Wenn der innenpolitische Druck eines Tages
doch zu stark wird, ist es für die Rüstungsunternehmen
ein sogenannter politischer Schadensfall. Für die saudi-
sche Bevölkerung ist das weniger schön. Das könnte ei-
nen blutigen Bürgerkrieg nach sich ziehen, bei dem
deutsche Panzer und deutsche Gewehre gegen Demons-
trierende eingesetzt werden.





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Von Booten reden wir heute, nicht über Panzer!)


– Es geht um Panzer und Boote. Beides ist nicht notwen-
dig, sondern erhöht nur die Spannung in dieser Region.

Ein Risiko für deutsche Rüstungsschmieden gibt es
allerdings nicht, weil hier die staatliche Hermesbürg-
schaft einspringt. Die Absicherung weltweiter Rüstungs-
geschäfte durch Hermesbürgschaften muss endlich been-
det werden.


(Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Ihre Rede auch!)


Rüstungsgeschäfte sind menschenverachtend. Ich for-
dere die Regierung auf, ihre eigenen Ansprüche ernst zu
nehmen. Zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik,
von der in der letzten Zeit immer viel gesprochen wurde,
gehört auch, Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien künf-
tig nicht mehr durchzuführen. Außerdem bin ich für ein
Verbot von sämtlichen Rüstungsexporten, ganz egal in
welches Land.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ich bin für ein Verbot der SED!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801728600

Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal,

SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1801728700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich hätte mir für meine erste Rede hier im
Deutschen Bundestag eine andere Tageszeit gewünscht.
Aber da ich einmal in einem Dreischichtbetrieb gearbei-
tet habe, bin ich Nachtschichten durchaus gewohnt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Frage, ob Rüstungsgüter exportiert werden sol-
len, darf für Politiker nie eine leichte Entscheidung sein.
Jeder muss sich der Verantwortung und der Tragweite
seiner Entscheidung bewusst sein, gerade deshalb, weil
die Geschäftspartner oft in hochsensiblen Regionen zu
finden sind.

Der Export von Rüstungsgütern in Drittländer wird in
Deutschland restriktiv gehandhabt, und das ist gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Grundlage für den Export bilden die „Politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“, die übri-
gens von der damaligen rot-grünen Regierung beschlos-
sen wurden und in der Fassung vom 19. Januar 2000
weiterhin Gültigkeit besitzen.

Auch im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/
CSU ist verankert, dass die Bundesregierung eine zu-
rückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungsexport-
politik betreibt.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland verpflichtet sich im Koalitionsvertrag,
keine Waffen an Länder, in denen Bürgerkrieg herrscht,
zu liefern. Auch Unrechtsregime erhalten deshalb keine
Waffen, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt
werden können.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat diese Position
vor wenigen Tagen noch einmal bekräftigt und sich klar
für eine restriktive Haltung beim Waffenexport ausge-
sprochen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Minister hat angekündigt, dass er für jedes Waffen-
geschäft eine Einzelfallprüfung vornehmen wird, und
rechnet insgesamt mit einem weiteren Rückgang von
Rüstungsexporten.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das wäre schlecht!)


Deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien sor-
gen immer wieder für kontroverse Diskussionen. Von
daher ist der Antrag der Grünen richtig; denn er ermög-
licht es, dass es hier in diesem Hause eine Debatte da-
rüber gibt.

Es steht außer Frage, dass sich Saudi-Arabien in den
letzten Jahren zu einem großen Absatzmarkt für deut-
sche Rüstungsexporte entwickelt hat. Der Rüstungsex-
portbericht 2012 zeigt, dass mehr als ein Viertel der ge-
nehmigten Lieferungen für Saudi-Arabien bestimmt war
– Aufträge mit einem Wert von insgesamt 1,2 Milliarden
Euro. Dazu gehört allerdings auch eine Anlage zur Si-
cherung der 9 000 Kilometer langen Grenze des Wüsten-
staates. Allein dieses Geschäft hat ein Volumen von
1,1 Milliarden Euro. Daher muss man bei der politischen
Bewertung schon berücksichtigen, wann was an wen
und wohin geliefert wird.

Es ist also irreführend, sehr geehrte Kollegin Brugger,
wenn man alle Waffen in einen Topf wirft. Genau diesen
Fehler begehen aber die Grünen mit ihrem Antrag. In
dem Antrag wird gefordert, dass die Rüstungsexportge-
nehmigung für Saudi-Arabien aufgehoben werden soll,
berücksichtigt wird dabei aber nicht, dass eine Lieferung
von Patrouillenbooten an Saudi-Arabien ein völlig ande-
rer Fall ist, als wenn es Leopard-2-Panzer wären.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kriegswaffen! Kriegsschiffe!)


Kann ich die Kritik an einer Lieferung von Leopard-
2-Panzern durchaus nachvollziehen, weil dabei eben
nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Panzer unter
Umständen gegen die eigene Bevölkerung einsetzt wer-
den können, so stellt sich beim Verkauf von Patrouillen-
booten die Situation völlig anders dar.





Bernd Westphal


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da muss man differenzieren!)


Die Boote sollen vor allem zur Erkundung und Aufklä-
rung eingesetzt werden. Das saudi-arabische Innenmi-
nisterium beabsichtigt, die Patrouillenboote zum Schutz
seiner Küsten im Roten Meer und im Arabischen Golf
einzusetzen. Da Saudi-Arabien ein souveräner Staat ist,
ist dies ein legitimer Wunsch. Saudi-Arabien hat darüber
hinaus auch eine hohe strategische Bedeutung für die
weltweite Energieversorgung. Die Boote sollen deshalb
auch Hoheitsgewässer, internationale Seewege, Off-
shoreöl- und -gasfelder sowie Hafenanlagen schützen.

Weitere beträchtliche Probleme stellen die in dieser
Region starke Piraterie und der latente Terrorismus dar,
wodurch die internationalen Seewege massiv beeinträch-
tigt werden. Ich erinnere an die Anstrengungen der inter-
nationalen Gemeinschaft, die Seewege vor den Küsten
Somalias zu schützen. Auch die Bundesmarine leistet
dort eine sehr gute Arbeit, um den Piraten und Terroris-
ten Einhalt zu gebieten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Saudi-Arabien könnte mit dieser Ausrüstung einen eige-
nen Beitrag zum Schutz vor diesen Gefahren leisten und
die internationalen Streitkräfte dabei unterstützen. Es
handelt sich hierbei also um legitime staatliche Aufga-
ben Saudi-Arabiens, die letztlich auch im deutschen und
internationalen Interesse sind.

Deutschland hat auch als Industrie- und Exportna-
tion durchaus berechtigte Interessen. Die Verteidigungs-
und Sicherheitsindustrie in Deutschland ist mit fast
80 000 hochqualifizierten Arbeitskräften und mehreren
Hunderttausend Beschäftigten in der Zulieferindustrie
ein großer Beschäftigungsfaktor. Der Wunsch der saudi-
arabischen Regierung, Patrouillenboote von einem deut-
schen Hersteller zu erwerben, zeigt die hohe Qualität
und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Verteidigungs-
und Sicherheitsindustrie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Der Auftrag wird auch in ganz erheblichem Maße
zum Erhalt von Arbeitsplätzen an den Standorten der
Lürssen Werft und bei ihren Zulieferern beitragen. Die
positiven Arbeitsplatzeffekte betreffen insbesondere
strukturschwache Gebiete. Aber ich gebe Ihnen recht:
Das allein begründet nicht die politische Legitimation
der Lieferung. Es ist trotzdem ein wichtiges Argument.

Der Blick auf den Einsatzzweck der Boote rechtfer-
tigt allerdings nach Ansicht der SPD-Fraktion diesen
Rüstungsexport. Es kann ausgeschlossen werden, dass
mit Patrouillenbooten gegen die eigene Bevölkerung
vorgegangen werden kann.

Allerdings halte ich eine Hermesbürgschaft für die
Lieferung der Boote aufgrund der wirtschaftlichen
Stärke Saudi-Arabiens für nicht erforderlich. Diese
Bürgschaft sollte die Bundesregierung neu bewerten. In
diesem Punkt ist die Formulierung im Antrag richtig. In
anderen Bereichen allerdings fallen die Formulierungen
weit hinter unsere Bewertung zurück.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Frage der
Parlamentsbeteiligung eingehen. Für die SPD steht fest,
dass wir die Transparenz bei diesen hochsensiblen Ent-
scheidungen der Rüstungsexporte dringend erhöhen
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei geht es ausdrücklich nicht um die Vermischung
zwischen Exekutive und Legislative. Das lässt schon das
Grundgesetz nicht zu. Die Verantwortung für Rüstungs-
exporte trägt allein die Bundesregierung. Wir müssen
aber dafür sorgen, dass das Parlament mehr Interven-
tionsrechte erhält, verbunden mit größtmöglicher Trans-
parenz.

Zwei Punkte sind dabei aus meiner Sicht besonders
bedeutsam:

Erstens. Es muss dem Parlament und der Öffentlich-
keit grundsätzlich zeitnäher berichtet werden. Wir for-
dern deshalb die Veröffentlichung des jährlichen Rüs-
tungsexportberichtes noch vor der Sommerpause des
Folgejahres und einen unterjährigen Zwischenbericht.

Zweitens. Über die abschließenden Genehmigungs-
entscheidungen im Bundessicherheitsrat soll die Bun-
desregierung den Deutschen Bundestag innerhalb einer
Frist von 14 Tagen informieren.

Diese Maßnahmen erhöhen zweifelsfrei die Transpa-
renz und sollen – so beinhaltet es der Koalitionsvertrag –
in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801728800

Das war die letzte Rede in dieser Debatte und zu-

gleich die erste Rede des Kollegen Bernd Westphal, den
ich dazu beglückwünsche.


(Beifall)


Ich bin zuversichtlich, dass er auch bald zu anderen Ta-
geszeiten Reden halten wird.

Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/576 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Besonderheit ist
jedoch dabei, dass die Federführung strittig ist. Die
Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Feder-
führung beim Auswärtigen Ausschuss.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim
Auswärtigen Ausschuss – abstimmen. Wer stimmt für
den Überweisungsvorschlag an den Auswärtigen Aus-
schuss? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(B)

Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, die Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie
anzusiedeln. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü-
nen und der Linken federführend an den Ausschuss für
Wirtschaft und Energie überwiesen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung angekommen.

Ich danke allen und berufe die nächste Sitzung des
Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 21. Fe-
bruar, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.