(D)
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1355
        (A) (C)
        (B)
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        (D)
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        van Aken, Jan DIE LINKE 20.02.2014
        Alpers, Agnes DIE LINKE 20.02.2014
        Barthle, Norbert CDU/CSU 20.02.2014
        Bätzing-Lichtenthäler,
        Sabine
        SPD 20.02.2014
        Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        20.02.2014
        Brase, Willi SPD 20.02.2014
        Dağdelen, Sevim DIE LINKE 20.02.2014
        Gabriel, Sigmar SPD 20.02.2014
        Gutting, Olav CDU/CSU 20.02.2014
        Heller, Uda CDU/CSU 20.02.2014
        Dr. Lauterbach, Karl SPD 20.02.2014
        Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        20.02.2014
        Dr. Malecha-Nissen,
        Birgit
        SPD 20.02.2014
        Post (Minden), Achim SPD 20.02.2014
        Rüthrich, Susann SPD 20.02.2014
        Schlecht, Michael DIE LINKE 20.02.2014
        Dr. Schlegel, Dorothee SPD 20.02.2014
        Schmidt (Wetzlar),
        Dagmar
        SPD 20.02.2014
        Dr. Steinmeier, Frank-
        Walter
        SPD 20.02.2014
        Stritzl, Thomas CDU/CSU 20.02.2014
        Walter-Rosenheimer,
        Beate
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        20.02.2014
        Weinberg, Harald DIE LINKE 20.02.2014
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Christian
        Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter
        Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus,
        Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-
        Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
        namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
        empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie-
        rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In-
        ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        in Afghanistan (International Security Assis-
        tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
        auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und
        folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120
        (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra-
        tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
        punkt 4)
        Wir unterstützen die Pläne, den ISAF-Einsatz bis zum
        Jahresende zu beenden und die Kampftruppen der Bun-
        deswehr aus Afghanistan abzuziehen. Nach über 12 Jah-
        ren eines Einsatzes, der zumindest die Ziele, mit denen
        der Einsatz ursprünglich begründet wurde, alle verfehlt
        hat, ist dies eine richtige und überfällige Entscheidung.
        Auch wenn die Truppen in Afghanistan bis Ende des
        Jahres stark mit der Vorbereitung des Abzuges beschäf-
        tigt sein werden, ist das Mandat doch kein ausschließli-
        ches Abzugsmandat. Die Bundesregierung beantragt auf
        Drucksache 18/436 die „Fortsetzung der Beteiligung be-
        waffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten
        Internationalen Sicherheitsunterstützung in Afghanistan
        (International Security Assistance Force, ISAF)“. Der
        Auftrag der Streitkräfte beinhaltet neben dem Rückbau
        militärischer Infrastruktur und damit einhergehender
        Aufgaben die Fortführung des bisherigen Auftrags.
        Wir haben den militärischen Einsatz in Afghanistan
        im Kern nie für richtig gehalten, auch wenn vor allem in
        den ersten Jahren bis 2003 durchaus vereinzelt Verbesse-
        rungen für die Situation der afghanischen Bevölkerung
        realisiert wurden. Die enge Verbindung des ISAF-Man-
        dats mit dem Mandat zur Terrorismusbekämpfung OEF
        hat jedoch viele Bemühungen der ISAF-Truppen zum
        Aufbau von Infrastruktur und Schutz der Bevölkerung
        zunichte gemacht. Der Bevölkerung war es nicht mög-
        lich, zwischen Soldaten, die sie bekämpften, und Solda-
        ten, die sie beschützten, zu unterscheiden. Heute bleibt
        zu konstatieren, dass die Sicherheitslage weiterhin be-
        sorgniserregend ist und sich seit 2003 zum Teil enorm
        verschlechtert hat. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivi-
        len Opfer in den ersten acht Monaten des Jahres 2013
        wieder um 16 Prozent angestiegen.
        Unsere Fraktion bringt zum Antrag der Bundesregie-
        rung einen Entschließungsantrag ein, den wir mittragen.
        Wir können nachvollziehen, dass Fraktionskolleginnen
        Anlagen
        1356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        und -kollegen dem jetzt beantragten Mandat, das den
        Abzug beinhaltet, zustimmen.
        Wir lehnen das Mandat ab, da es für uns in der Konse-
        quenz der Mandate seit 2001 steht, mit mehr negativen
        als positiven Folgen für die Bevölkerung Afghanistans.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung
        über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag
        der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili-
        gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
        Einsatz der Internationalen Sicherheitsunter-
        stützungstruppe in Afghanistan (International
        Security Assistance Force, ISAF) unter Füh-
        rung der NATO auf Grundlage der Resolution
        1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt
        Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013
        des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
        (Tagesordnungspunkt 4)
        Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Ab-
        zug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan bis
        zum Ende des Jahres 2014 ab. Damit wird nach über
        12 Jahren der militärische Einsatz Deutschlands in Af-
        ghanistan beendet, den Bundeskanzler Schröder 2001 im
        Parlament nur mit der sogenannten Vertrauensfrage
        durchsetzen konnte.
        Ich stimme dem heute vorliegenden Mandat zu, damit
        der in Afghanistan unter deutscher Beteiligung geführte
        Krieg und die falsche Afghanistan-Politik der Bundes-
        regierung endlich beendet werden. Das ursprünglich mit
        dem Ziel Sturz der Taliban und Terrorbekämpfung be-
        gonnene Mandat OEF hat vor 12 Jahren eine grundsätz-
        lich falsche Strategie in der deutschen Afghanistan-Poli-
        tik begründet. Das später hinzugefügte Ziel, mit
        militärischen Mitteln in Afghanistan den Aufbau von
        Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden zu unter-
        stützen, war durch die andauernde Verknüpfung mit dem
        ursprünglichen Kriegsmandat zum Scheitern verurteilt.
        Trotzdem oder gerade deshalb spreche ich mich dafür
        aus, nach dem Ende des ISAF-Einsatzes Afghanistan
        und die Menschen dort nicht erneut sich selbst zu über-
        lassen. Ich habe den deutschen Bundestag 2002, ein
        Dreivierteljahr nach Beginn des deutschen Militäreinsat-
        zes verlassen. Ich habe den Wunsch und die große Hoff-
        nung, dass das Bekenntnis von der Verantwortung, die
        Deutschland für diese Region übernommen hat, kein lee-
        res war. Das wird sich erst jetzt zeigen; in den kommen-
        den Jahren gilt es, den schwierigen wirtschaftlichen und
        institutionellen Aufbau in Afghanistan zu begleiten und
        den Menschen in Afghanistan tatsächlich langfristige
        Unterstützung zu geben. Andernfalls bliebe von den
        vollmundigen Bekenntnissen mehrerer deutscher Regie-
        rungen und zumindest im Jahre 2001 großer Teile der öf-
        fentlichen Meinung zum zivilen demokratischen Aufbau
        letztendlich nur ein militärisches und unverantwortliches
        Abenteuer übrig.
        Anlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und
        Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN) zur namentlichen Abstimmung über die
        Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun-
        desregierung: Fortsetzung der Beteiligung be-
        waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
        der Internationalen Sicherheitsunterstützungs-
        truppe in Afghanistan (International Security
        Assistance Force, ISAF) unter Führung der
        NATO auf Grundlage der Resolution 1386
        (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Re-
        solution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des
        Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages-
        ordnungspunkt 4)
        Wir haben uns stets für eine geordnete Beendigung
        des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr bis spätestens Ende
        2014 eingesetzt. Deshalb stimmen wir der letztmaligen
        Verlängerung des ISAF-Mandates der Bundeswehr und
        damit verbunden einem Abzug der deutschen Kampf-
        truppen zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung.
        Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz 2010 ha-
        ben die an ISAF beteiligten Nationen die Beendigung
        des Einsatzes bis Ende 2014 beschlossen. Die Entschei-
        dung, den ISAF Militäreinsatz zu beenden und die Si-
        cherheitsverantwortung vollständig an die afghanische
        Regierung zu übergeben, war und bleibt richtig.
        Damit wird dem politischen Prozess endlich Vorrang
        gegeben. Denn nur politisches und ziviles Engagement
        kann der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nach-
        haltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann
        zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-,
        Bildungs- und auch Gesundheitssystems beitragen. Nur
        durch die zivilen Anstrengungen kann sich eine nachhal-
        tige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Auf-
        baustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht un-
        tergeordnet werden.
        Die Bundesregierung hat ein ISAF-Mandat vorgelegt,
        das den Einsatz deutscher Kampftruppen in Afghanistan
        bis spätestens 31. Dezember 2014 beenden wird. Dieses
        letzte ISAF-Mandat ist ein klares Abzugsmandat und
        von möglichen Folgemandaten entkoppelt. Sollte es kein
        Mandat auf einer neuen völkerrechtlichen Grundlage für
        ein Engagement ab Januar 2015 geben, endet Ende 2014
        das gesamte deutsche militärische Engagement in Af-
        ghanistan.
        Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet un-
        sere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick
        auf Afghanistan näher dar.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1357
        (A) (C)
        (D)(B)
        Anlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja
        Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven-
        Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Ulle
        Schauws (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
        namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
        empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie-
        rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In-
        ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        in Afghanistan (International Security Assis-
        tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
        auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und
        folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120
        (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra-
        tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
        punkt 4)
        Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes-
        wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die
        Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha-
        ben. Sie fordert wie kaum eine andere das Gewissen und
        Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem
        Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen
        Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie
        ihren Familienangehörigen gilt unser Dank und unsere
        Wertschätzung.
        Die jahrelange Dominanz militärischer Zielsetzungen
        gegenüber zivilen Lösungsansätzen und eine fehlende ent-
        wicklungspolitische Strategie waren die zentralen Fehler
        der deutschen Afghanistan-Politik. Auch in diesem Ein-
        satzjahr findet das deutsche militärische Engagement in
        einem Umfeld gezielter Tötungen durch Kommando-
        aktionen und Drohnenangriffe anderer ISAF-Nationen
        statt. Diese Strategie der offensiven Aufstandsbekämp-
        fung lehnen wir entschieden ab. Sie konterkariert eine
        Verhandlungslösung und steht somit einer friedlichen
        Lösung des Konfliktes entgegen.
        Da der ISAF-Einsatz zur Gewalteskalation in Afgha-
        nistan beigetragen hat, haben einige von uns dem
        Mandat in der Vergangenheit nicht zugestimmt. Das vor-
        liegende Mandat beinhaltet die letzte Verlängerung die-
        ses Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Damit
        soll zum Ende des Jahres 2014 der Abzug der deutschen
        Kampftruppen aus Afghanistan erfolgen. Dies ist ein
        richtiger Schritt, den wir seit Jahren fordern. Da der
        Einsatz nun in erster Linie die Ausbildung und Beratung
        der afghanischen Sicherheitskräfte umfasst, werden wir
        das Mandat nicht ablehnen und uns bei der Abstimmung
        enthalten. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in
        Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten,
        sondern gegen die langjährige falsche Afghanistan-Poli-
        tik der Bundesregierungen der letzten Jahre.
        Auch und gerade nach dem Ende des ISAF-Einsatzes
        dürfen wir die Zukunft der Menschen in Afghanistan
        nicht aus dem Blick verlieren. Die deutsche Verantwor-
        tung reicht über 2014 hinaus, denn der Weg hin zu
        Frieden und Sicherheit, politischer Mitbestimmung,
        wirtschaftlichem Aufschwung und der Achtung der
        Menschrechte muss weiterhin mit zivilen Mitteln und al-
        ler Tatkraft begleitet und unterstützt werden.
        Strategie der Aufstandsbekämpfung ist gescheitert:
        Seit über einem Jahrzehnt beteiligt sich die Bundes-
        wehr am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Doch noch im-
        mer ist die Sicherheitslage sehr angespannt, unberechen-
        bar und besorgniserregend. Laut UNAMA ist die Anzahl
        der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2013 erneut um
        23 Prozent gestiegen.
        Die vergangenen Jahre waren geprägt von gewaltsa-
        men Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen
        und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite
        und den Taliban und anderen Aufständischen auf der an-
        deren. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge
        der Aufständischen verantwortlich. Aber auch die Strate-
        gie der offensiven Aufstandsbekämpfung durch die
        ISAF-Truppen hat zu einer zunehmenden Eskalation
        beigetragen. Die in den letzten Jahren vor allem von den
        USA und anderen ISAF-Nationen durchgeführten
        gezielten Tötungen mit unzähligen zivilen Opfern in
        Afghanistan und Pakistan tragen nach wie vor maßgeb-
        lich zur Eskalation der Gewalt bei. Der Einsatz von
        bewaffneten Drohnen fordert zahlreiche zivile Opfer,
        zerstört den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung
        und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den
        Aufständischen. So werden die Bemühungen um eine
        Verhandlungslösung, die Stabilisierung der Sicherheits-
        lage und der Erfolg des Transitionsprozesses in Afgha-
        nistan konterkariert. Die Strategie, mit militärischen
        Mitteln den Frieden in Afghanistan erzwingen zu wol-
        len, ist gescheitert.
        Wir unterstützen, dass der ISAF-Einsatz beendet und
        die Kampftruppen der Bundeswehr mit Auslaufen des
        vorliegenden Mandates zum Jahresende abgezogen wer-
        den. Nachdem zu lange auf eine militärische Lösung des
        Konfliktes gesetzt wurde, ist es richtig, der afghanischen
        Regierung nun die vollständige Sicherheitsverantwor-
        tung zu übergeben. Doch die Herausforderungen, die die
        Afghaninnen und Afghanen in den nächsten Jahren zu
        bewältigen haben, sind nach wie vor enorm.
        Versöhnung und Wiederaufbau verlässlich unterstüt-
        zen:
        Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan muss
        ein breiter Versöhnungsprozess stattfinden und der wirt-
        schaftliche und institutionelle Wiederaufbau des Landes
        vorangetrieben werden. Menschenrechtsverletzungen,
        ungeachtet von welcher Seite, müssen aufgedeckt und
        aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass
        der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumati-
        sierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft gelin-
        gen kann. Ein Waffenstillstand reicht nicht aus, um
        Frieden zu schaffen. Auch wenn dies im von Krieg und
        Gewaltherrschaft geprägten Afghanistan schwierig ist
        und schmerzhafte Kompromisse abverlangt, müssen alle
        Möglichkeiten genutzt werden, um ein größtmögliches
        Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen.
        Die Afghanistan-Politik der letzten Jahre hat es ver-
        säumt, sich den mit einem echten Versöhnungsprozess
        1358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        verbundenen Herausforderungen zu stellen. Wiederauf-
        bau und Versöhnung gehören hierbei ins Zentrum. Doch
        die Unterstützung bei der Entwicklung grundlegender
        Staatsstrukturen und einer funktionierenden Verwaltung
        wurde vernachlässigt. Dem Engagement insgesamt hat
        es an einem Gesamtkonzept und einer sinnvollen
        Schwerpunktlegung für die wirtschaftliche Entwicklung
        Afghanistans gefehlt. Diese müssen sich an den Bedürf-
        nissen der afghanischen Bevölkerung und den Gegeben-
        heiten vor Ort orientieren. Der für die afghanische
        Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor und die
        Modernisierung des afghanischen Bildungssystems müs-
        sen dabei im Vordergrund stehen. Ein weiterer wichtiger
        Schwerpunkt im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus ist
        die Stärkung der Zivilgesellschaft, insbesondere von
        Frauen.
        Afghanistan nach dem ISAF-Einsatz:
        Auf dem langen und steinigen Weg zu einem nachhal-
        tigen Frieden in Afghanistan ist eine langfristige und
        verlässliche Unterstützung durch die internationale
        Gemeinschaft unabdingbar. Der zivile Aufbau Afghani-
        stans muss auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes tat-
        kräftig unterstützt werden. Da das Land noch viele Jahre
        auf erhebliche Hilfe von außen angewiesen sein wird,
        müssen die auf der Tokio-Geberkonferenz gemachten
        Zusagen eingehalten und die zivile Unterstützung min-
        destens auf dem zugesagten Niveau von 430 Millionen
        Euro jährlich fortgeführt werden.
        Anlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele
        (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli-
        chen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
        lung zu dem Antrag der Bundesregierung:
        Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
        scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
        tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
        Afghanistan (International Security Assistance
        Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
        Grundlage der Resolution 1386 (2001) und fol-
        gender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120
        (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra-
        tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
        punkt 4)
        Dem Antrag der Bundesregierung stimme ich nicht
        zu. Ich stimme mit Nein.
        Das Mandat ist kein reines Abzugsmandat, sondern
        ein Mandat zur Verlängerung des Kampfeinsatzes der
        Bundeswehr im Krieg im Norden Afghanistans. Das be-
        deutet, dass im deutschen Verantwortungsbereich und
        auch mit deutscher Beteiligung weiter – wie in den letz-
        ten Jahren – Kriegseinsätze durchgeführt werden. Es
        werden insbesondere nächtliche Kommandounterneh-
        men stattfinden mit dem Ziel, Menschen gefangen zu
        nehmen oder zu töten, oder Drohneneinsätze mit dem
        Ziel, Menschen nach einer Todesliste zu töten.
        Damit wird der Krieg eskalieren, der Hass in der Be-
        völkerung wird weiter geschürt, und es werden Terroran-
        griffe provoziert. Eine friedliche Entwicklung in Afgha-
        nistan wird damit verhindert, und Verhandlungen über
        Waffenstillstand und Frieden werden erschwert. Insbe-
        sondere die schleppendenden Verhandlungen der afgha-
        nischen Regierung mit einem Teil der Aufständischen,
        die einzige realistische Chance, einen Übergang zu we-
        niger Krieg und Gewalt zu erreichen, werden damit kon-
        terkariert.
        Der Krieg in Afghanistan kann von der NATO nicht
        gewonnen werden. Er ist verloren. Die Sicherheitslage
        hat sich im letzten Jahr für die Bevölkerung verschlech-
        tert. Die Anzahl der Opfer an Menschenleben und die
        Anzahl der Verletzten, vor allem auch bei den afghani-
        schen Sicherheitskräften, ist im Jahr 2013 dramatisch
        zweistellig angestiegen. Auch in der Hauptstadt Kabul
        haben Anschläge von Aufständischen mit vielen Opfern
        zugenommen. Ausufernde Korruption bis in die höchs-
        ten Regierungskreise und die Zunahme des Anbaus und
        Handels mit Mohn und Opium prägen die Lage. Eine
        funktionierende staatliche Verwaltung gibt es in weiten
        Teilen des Landes nicht. Gerichte und Gerechtigkeit gibt
        es in der Regel nur für Reiche, die die Justiz bezahlen
        können. Die Sicherheit von Frauen vor Gewalt ist nicht
        gewährleistet.
        Konsequente faire Verhandlungen mit allen, die dazu
        bereit sind, bieten eine Chance für die Vermeidung eines
        Bürgerkrieges nach Abzug der NATO-Truppen. Die
        Fortsetzung des Krieges bis zum Abzug bringt viele wei-
        tere Opfer an Menschen und weitere Zerstörungen.
        Die Alternative wäre ein Abzugsmandat mit einem
        Waffenstillstandsangebot und Verhandlungen sowie
        Waffengebrauch nur zur Notwehr und Nothilfe, wie das
        ISAF-Mandat ursprünglich 2001 mal konzipiert war.
        Anlage 7
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Peter Meiwald, Corinna
        Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle
        BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen
        Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
        dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung
        der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
        kräfte an der EU-geführten Ausbildungsmis-
        sion EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens
        der malischen Regierung sowie der Beschlüsse
        2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates
        der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar
        2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung
        mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012)
        und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Ver-
        einten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a)
        Den Antrag der Bundesregierung, weiterhin Bundes-
        wehrsoldaten zur Ausbildung und Beratung der dortigen
        Armee nach Mali zu entsenden, lehnen wir ab und stim-
        men mit Nein.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1359
        (A) (C)
        (D)(B)
        Mali braucht einen staatlichen Neubeginn unter mög-
        lichst stabilen Rahmenbedingungen. Dies steht außer
        Frage, und wir stimmen mit der Bundesregierung völlig
        überein, dass unser Land hier aufgefordert ist, substan-
        ziell Verantwortung für eine Verbesserung der Lebensbe-
        dingungen der Menschen Malis zu übernehmen.
        Festzustellen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass
        sich im Nachgang der bisherigen militärischen Interven-
        tion afrikanischer und europäischer Truppen zwar die di-
        rekte militärische Gefährdung des malischen Staates
        nicht mehr so darstellt wie vor zwei Jahren. Allerdings
        ist ebenso zu konstatieren, dass das aktuelle Mandat der
        Bundeswehr trotz aller Bemühungen auch nicht dazu ge-
        führt hat, die drängende Herausforderung des staatlichen
        Wiederaufbaus Malis entscheidend voranzubringen.
        Im Gegenteil. Da ein echtes Gesamtkonzept zur
        Rückgewinnung staatlicher Souveränität einer legitimen
        Regierung für ganz Mali, welches vom malischen Volk,
        seiner gewählten Regierung – unterstützt durch die inter-
        nationale Gemeinschaft – getragen wird, weiterhin ekla-
        tant fehlt, besteht aus unserer Sicht das große Risiko,
        dass sich die mit deutscher Militärhilfe gestärkte mali-
        sche Armee nicht unbedingt als stabilisierendes Element
        im Entwicklungsprozess positionieren muss, sondern als
        eigenständiger Akteur in auch zukünftig noch drohenden
        Machtkämpfen agieren könnte.
        Diese Befürchtung besteht auch deshalb, weil die Ar-
        mee Malis schon einmal bis 2012 von deutschen Solda-
        ten monatelang ausgebildet worden war, dann aber ge-
        gen die damals legitime Regierung geputscht hatte.
        Danach kam es zu blutigen Auseinandersetzungen inner-
        halb dieser Armee. Die damalige Bundesregierung hatte
        deshalb die Militärhilfe eingestellt. Wenn auch der Put-
        schistenführer inzwischen in Haft ist, zeigt die damalige
        Entwicklung, dass deutsche Militärausbildung keines-
        wegs zur Demokratisierung, Disziplinierung oder Loya-
        lität der Soldaten gegenüber der legitimen Regierung
        und Stabilität des Landes führt. Die vom deutschen Mili-
        tär ausgebildete Armee soll sogar an schweren Men-
        schenrechtsverletzungen während ihres Einsatzes im
        Norden Malis gegen die dort ansässige Zivilbevölkerung
        beteiligt gewesen sein.
        Im Sinne eines echten Capacity-Building-Ansatzes
        für den fragilen Staat Mali stehen wesentliche andere
        Aufgaben auf der Agenda als die militärische Ausbil-
        dung einzelner Einheiten. Beispielhaft seien genannt:
        Moderation und Unterstützung des Versöhnungsprozes-
        ses, wirtschaftliche Aufbauhilfe, die Stärkung der poli-
        zeilichen Kräfte im Land, Korruptionsbekämpfung, Bil-
        dung und Ausbildung. Hierzu sind aus unserer Sicht die
        Instrumente der staatlichen und nichtstaatlichen Ent-
        wicklungszusammenarbeit, der politischen Stiftungen
        und der polizeilichen Ausbildung sowie die Stärkung re-
        gionaler, afrikanischer Initiativen deutlich besser geeig-
        net als der im EUTM-Mandat geplante Bundeswehrein-
        satz.
        Daneben sehen wir ein weiteres ernstes Problem mit
        dem vorgelegten Mandat. Auf die weiterhin sehr insta-
        bile Lage in der Nordregion um die Stadt Kidal herum
        gibt das EUTM-Mandat keine Antwort. Eine echte Frie-
        dens- und Versöhnungsinitiative für Mali, die letztlich
        die Grundlage für einen staatlichen Wiederaufbau dar-
        stellt, wird auch für diese Region Antworten geben müs-
        sen, damit sie nicht von vornherein die Probleme ledig-
        lich verschiebt oder verlagert. Eine Rechtfertigung über
        die Responsability to Protect, RTP, ist vor diesem Hin-
        tergrund für das vorgelegte Mandat nicht gegeben.
        Anlage 8
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Frank Tempel (DIE LINKE)
        zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
        des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammel-
        übersicht 13 zu Petitionen Drucksache 18/513
        (Tagesordnungspunkt 22 i)
        Petition 2-17-15-2127-015279 und andere:
        Der Petitionsausschuss hat in seiner Mehrheit aus
        Union und SPD beschlossen, die Petition zur Entkrimi-
        nalisierung von Cannabiskonsumenten vom 21. Oktober
        2010 abzuschließen.
        Ich möchte nachfolgend begründen, warum ich dieser
        Empfehlung nicht folgen werde.
        Cannabiskonsum ist entgegen der realistischen und
        unstrittigen Gefahreneinschätzung in Deutschland krimi-
        nalisiert. Immer wieder erreichen mich Berichte von
        Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund ihres freizeitli-
        chen Cannabiskonsums strafrechtlich verfolgt werden.
        Ebenso erreichen mich regelmäßig Meldungen von Kon-
        sumentinnen und Konsumenten, welche aus medizini-
        schen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, und oftmals
        besitzen sie keinerlei Ausnahmegenehmigung vom Bun-
        desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM.
        Eine erst kürzlich von mir gestellte Schriftliche Frage an
        die Bundesregierung (vergleiche Drucksache 18/298) er-
        gab in diesem Zusammenhang, dass das BfArM kaum
        Ausnahmegenehmigungen erteilt, obwohl die Anträge
        auf medizinische Verwendung von Cannabis stark ange-
        stiegen sind. Dabei sind die monatlichen Therapiekosten
        bei vorhandener Ausnahmegenehmigung für Cannabis-
        patienten sehr hoch und liegen bei bis zu 1 500 Euro im
        Monat (vergleiche Drucksache 17/3810). Diese werden
        von den Krankenkassen nicht übernommen.
        Die Linksfraktion hat vor zwei Jahren ein Fachge-
        spräch zum Antrag „Legalisierung von Cannabis durch
        Einführung von Cannabis-Clubs“ (Drucksache 17/7196)
        durchgeführt. Dabei bestätigten die geladenen Experten,
        dass die Repression keinen Einfluss auf das Konsumver-
        halten besitzt. Der Deutsche Hanfverband sprach von
        circa 100 000 Strafverfahren im Jahr. Ich selbst habe als
        Polizeibeamter Cannabiskonsumierende strafrechtlich
        verfolgen müssen. Dabei wurden nachweislich Berufs-
        karrieren zerstört, auch wenn die eigentliche Strafverfol-
        gung wegen der sogenannten Regelung zur geringen
        Menge eingestellt wurde. Die Vertreter der Deutschen
        Gesellschaft für Suchtmedizin betonten im Fachge-
        spräch, dass der moderate Konsum von Cannabis nicht
        schädlich ist. Die Annahme, dass Cannabis eine Ein-
        stiegsdroge sei, wurde bereits 1998 durch eine Studie,
        1360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        die vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer in
        Auftrag gegeben wurde, widerlegt. Zahlreiche weitere
        Studien kamen zu eben jenem Ergebnis. Ausschlagend
        für Drogenkonsum seien vielmehr Faktoren wie Wohn-
        regionen, Preis der Substanz, gesundheitliche Aspekte,
        Lebensplanung und Einfluss der Freunde, so Nicole
        Krumdiek von der Universität Bremen auf dem damali-
        gen Fachgespräch.
        Vier Jahre hat die Bearbeitung der Petition im Peti-
        tionsausschuss gedauert. Dabei wurden 32 000 Unter-
        schriften für die Petition gesammelt und zwischenzeit-
        lich 20 Mehrfachpetitionen in diesem Zusammenhang
        eingereicht. Ebenso existiert mittlerweile eine Resolu-
        tion von 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren
        an die Abgeordneten im Deutschen Bundestag, in wel-
        cher sie die Einrichtung einer Enquete-Kommission des
        Bundestages zum Thema „Erwünschte und unbeabsich-
        tigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts“ fordern.
        Sie bezeichnen in dieser Resolution den Zweck der Pro-
        hibition als „systematisch verfehlt“, bezeichnen die Pro-
        hibition als schädlich für die Gesellschaft, die Konsu-
        mierenden sowie unverhältnismäßig kostspielig.
        Es ist also ziemlich offensichtlich, dass ein dringen-
        der Handlungsbedarf in der bisherigen Drogenpolitik
        und im aktuellen diesbezüglichen Strafrecht besteht. Die
        anhaltende Kriminalisierung von Cannabiskonsumieren-
        den muss endlich beendet werden. Länder wie Uruguay,
        Portugal, Niederlande, Belgien, verschiedene Bundes-
        staaten der USA und andere Länder zeigen, dass ein an-
        derer Weg möglich ist. Verhindern Sie nicht die notwen-
        dige Debatte, sondern stellen Sie sich endlich dieser, und
        sorgen Sie für eine Regulierung des Cannabiskonsums in
        Deutschland unter Verwendung des bestehenden Jugend-
        und Verbraucherschutzes. Ihre eigentlichen Kritiker wer-
        den dann nur noch die illegalen Verkaufsstrukturen sein,
        die seit Jahrzehnten durch die Illegalität gut verdienen.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der
        Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenver-
        sicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzge-
        setz 2014)
        – Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung
        der Beitragssätze in der gesetzlichen Ren-
        tenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014)
        (Tagesordnungspunkt 12 a und b)
        Matthäus Strebl (CDU/CSU): Wir reden in ab-
        schließender Debatte über das „Gesetz zur Festsetzung
        der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversiche-
        rung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz)“. Hinter dem
        Beitragssatzgesetz verbirgt sich ein ausgesprochen wich-
        tiger und zentraler Baustein für die Zukunft unseres Ren-
        tensystems. Dabei zeigt die Große Koalition bereits zu
        Beginn der Legislaturperiode, dass sie für eine Politik
        der Solidarität, der Generationengerechtigkeit und der
        Nachhaltigkeit steht.
        Wir stärken das solidarische Rentensystem, indem
        wir für eine nachhaltig gute Finanzlage sorgen. Die
        Nachhaltigkeit der Deutschen Rentenversicherung ist
        mit gesetzlicher Rentenversicherung, privater Vorsorge
        und betrieblicher Altersvorsorge nach einem internatio-
        nalen Vergleich der OECD eines der besten. Wir wollen
        dafür sorgen, dass dies auch so bleibt, damit sich die
        Menschen in Deutschland auf die Stabilität unseres Ren-
        tenversicherungssystems verlassen können.
        Wir gewährleisten eine größere Planungssicherheit
        für Beitragszahler, Arbeitgeber und für Rentner. Damit
        vermeiden wir ein jährliches und von den Bürgern nicht
        mehr nachvollziehbares Auf und Ab der Beiträge.
        Wir treffen gleichzeitig Vorsorge, damit die Beiträge
        bei einem Abflachen der Konjunktur und einem Rück-
        gang der Beitragszahler nicht automatisch erhöht werden
        müssen. Wir sorgen dafür, dass das Grundsystem für die
        beitragsfinanzierten Rentensysteme stabil und berechen-
        bar bleibt, und leisten damit einen Beitrag zur Generatio-
        nengerechtigkeit.
        Wir schaffen gleichzeitig auch die Grundlage dafür,
        dass notwendige Leistungserweiterungen, die im Inte-
        resse unserer solidarischen Gesellschaft liegen, auf den
        Weg gebracht werden können: Dazu nenne ich die Müt-
        terrente, für die wir uns besonders stark gemacht haben.
        Hier verbessern wir für viele Mütter und auch Väter ihre
        Rentenanwartschaften bzw. sorgen dafür, dass sie höhere
        aktive Renten erhalten. Damit schließt die Große Koali-
        tion eine Gerechtigkeitslücke und honoriert die gesamt-
        gesellschaftliche Erziehungsleistung von Müttern und
        Vätern.
        Wir schaffen klare und nachvollziehbare Regelungen,
        damit Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet und in die
        Rentenkassen einbezahlt haben, bereits ab dem 63. Le-
        bensjahr in Rente gehen können. Wir erkennen die Le-
        bens- und Beitragsleistung dieser Menschen ausdrück-
        lich an und honorieren sie. Es ist richtig, solidarisch und
        gerecht, dass Menschen nach einem langen und harten
        Berufsleben die Möglichkeit haben, mit 45 Beitragsjah-
        ren in Rente zu gehen. Gleichzeitig hat die Große Koali-
        tion hier einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Ge-
        fahr der Altersarmut zu vermindern.
        Ich bin auch davon überzeugt, dass es eine richtige
        Entscheidung ist, die Beiträge zur Rentenversicherung
        stabil auf 18,9 Prozent zu halten. Die letzten Beitrags-
        senkungen waren 2012 von 19,9 Prozent auf 19,6 und
        2013 dann von 19,6 auf 18,9 Prozent. Die Große Koali-
        tion hat den Verlockungen einer kurzfristigen Senkung
        widerstanden, denn dieser Senkung hätte nach kurzer
        Zeit eine deutlichere Erhöhung folgen müssen. Die Ko-
        alition hat auch den Versuchungen widerstanden, die
        Rentenbeiträge jährlich um 0,2 Prozent zu steigern, wie
        dies vonseiten des DGB gefordert wurde.
        In guten und vertrauensvollen Gesprächen mit den
        Kolleginnen und Kollegen der SPD wurde hier ein ver-
        nünftiger Weg gefunden, um die demografischen He-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1361
        (A) (C)
        (D)(B)
        rausforderungen anzunehmen und für die nächsten Jahre
        Planungssicherheit zu haben.
        Abschließend glaube ich sagen zu können, dass die
        Große Koalition auch in Sachen Altersvorsorge für Sta-
        bilität und Verlässlichkeit steht.
        Wir stellen heute mit diesem Gesetz unter Beweis,
        dass dies nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis ist, son-
        dern auch ein Markenzeichen für eine zukunftsorien-
        tierte Renten- und Sozialpolitik für unser Land.
        Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verläss-
        lichkeit ist in der gesetzlichen Rentenversicherung ein
        zentraler Faktor. Denn ohne Verlässlichkeit gibt es kein
        Vertrauen, und ohne Vertrauen kann ein generationen-
        übergreifendes System wie die gesetzliche Rentenversi-
        cherung keinen Bestand haben.
        Wenn von Verlässlichkeit die Rede ist, meinen die
        heutigen und die künftigen Rentnerinnen und Rentner an
        erster Stelle, dass sie sich darauf verlassen können, dass
        die wohlverdiente Rente pünktlich auf ihrem Konto ein-
        geht. Bei vollen Rentenkassen, bei einer Rücklage von
        32 Milliarden Euro, wie wir sie heute haben, scheint das
        wie eine Phantomdebatte. Aber die Realität hat gezeigt,
        dass politisches Versagen die Rente in die Zahlungsunfä-
        higkeit manövrieren kann, wie dies im Herbst 2005 der
        Fall war. Damals musste der Staat in Vorkasse treten, da-
        mit die Rentnerinnen und Rentner nicht mit leeren Hän-
        den dastanden – und so etwas wollen wir auch für die
        Zukunft unbedingt vermeiden.
        Damals hatten auch Sie politische Verantwortung,
        liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, und
        nicht wir. Heute haben wir, ungeachtet mehrerer Bei-
        tragssatzsenkungen, über Überschüsse in der Rentenver-
        sicherung politisch zu entscheiden. Angesichts dessen
        wundern mich manche Anwürfe ausgerechnet aus der
        grünen Ecke, wir würden die Rentenversicherung desta-
        bilisieren. Das betrifft allerdings auch den für die dama-
        lige Misere Hauptverantwortlichen, der zuletzt auch
        meinte, Ratschläge erteilen zu müssen.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als
        2001 unter Ihrer politischen Verantwortung erhebliche
        Einschnitte beim Erwerbsminderungsschutz vorgenom-
        men wurden, die die Rentenkassen um Milliardenbe-
        träge entlastet haben, hat keiner von Ihnen dieses ange-
        prangert. Kompensiert wurden diese Entlastungen durch
        geringere Ansprüche der Versicherten und steigende
        Grundsicherungsverpflichtungen der öffentlichen Hand.
        Jetzt fährt der Zug mal in die andere Richtung, was
        die Mütterrente betrifft, und das nur für eine sehr be-
        grenzte Zeit. Und das Lamento ist riesengroß.
        Neben der Mütterrente wollen wir auch den Schutz in
        der Erwerbsminderungsrente verbessern, der unter den
        eben dargestellten Umständen stark eingeschränkt
        wurde. Wir wollen dies, ohne Fehlanreize zu setzen.
        Durch die angestrebten Änderungen insbesondere bei
        den Zurechnungszeiten werden die seinerzeitigen Ein-
        schnitte zielgerichtet abgemildert. Betroffene erhalten
        rund 40 Euro im Monat zusätzlich. Die meisten können
        das Geld sehr gut gebrauchen.
        Die ebenfalls geplanten verbesserten Leistungen in
        der Rehabilitation werden die Rentenversicherung sogar
        mittel- und langfristig entlasten. Denn die konsequente
        Umsetzung des Grundsatzes „Reha vor Rente“ hat nicht
        nur eine humanitäre Komponente, weil sie die Wieder-
        herstellung der Gesundheit einer Arbeitnehmerin oder
        eines Arbeitnehmers vor eine in der Praxis recht beschei-
        dene Alimentation stellt. Zugleich entlastet sie spürbar
        die Rentenversicherung.
        Man kann sinnvolle Projekte wie mehr Gerechtigkeit
        bei der Mütterrente angehen, man kann sich aber auch
        von gestaltender Sozialpolitik, auch in der Rentenversi-
        cherung, verabschieden, das alles mit Hinweis auf große
        Zukunftsaufgaben lassen und sich ganz auf die Höhe der
        Beitragssätze fixieren, wie Sie das tun.
        Diesen Ansatz kannten wir bisher eher aus einer ande-
        ren Richtung. Er ist eindimensional und greift damit zu
        kurz. Tatsächlich geht es um einen Dreiklang der Ziele,
        die wir – zugegebenermaßen manchmal mit Mühe – unter
        einen Hut bringen müssen. Wir haben die solide Finan-
        zierung der Rentenversicherung im Blick – wir haben
        die Generationengerechtigkeit im Blick –, aber – das un-
        terscheidet uns – wir haben auch Gerechtigkeit im
        „Jetzt“ im Blick und die Sicherungsfunktion der gesetz-
        lichen Rentenversicherung. Wir alle wissen um die Be-
        deutung der zweiten und dritten Säule. Basis ist aber
        eine funktionsfähige erste Säule, und wenn diese nicht
        trägt, funktioniert das ganze System nicht mehr.
        Nun sind wir wenigstens in der Frage der Versteti-
        gung des Beitragssatzes, um die es heute eigentlich geht,
        nicht so weit auseinander, und dabei haben wir auch Rü-
        ckendeckung von Sachverständigen. Wenn wir jetzt den
        Beitragssatz senken würden, würde die Nachhaltigkeits-
        rücklage von 0,2 Monatsausgaben in absehbarer Zeit un-
        terschritten werden, und die Beiträge müssten sehr
        schnell wieder steigen. Mit unserem Gesetz können wir
        davon ausgehen, dass die Beiträge in den kommenden
        vier oder sogar mehr Jahren stabil bleiben. Stabilität bei
        den Sozialversicherungsbeiträgen bedeutet Sicherheit
        für die Kalkulation unserer Betriebe und bedeutet auch
        Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
        Es ist nicht inhaltlicher Gegenstand dieses Beitrags-
        satzgesetzes, sollte aber weiter diskutiert werden, wie
        wir auch mit Veränderungen bei den Interventions-
        schwellen der Nachhaltigkeitsrücklage zu einer Versteti-
        gung und Stabilisierung des Beitragssatzes beitragen
        können. Insbesondere ist eine Untergrenze für die Nach-
        haltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben der Renten-
        versicherung sehr knapp genäht. Diese rührt aus der be-
        reits angesprochenen Zeit, als die Rentenversicherung
        aus dem letzten Loch pfiff.
        Für dieses Projekt brauchen wir allerdings kein
        Hauruckverfahren, denn aufgrund unserer erfolgrei-
        chen Politik – in Verbindung mit den Auswirkungen
        des vorliegenden Gesetzes – werden wir in den kom-
        menden Jahren nicht einmal in die Nähe dieser Marge
        gelangen.
        1362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
        (A) (C)
        (D)(B)
        Ich freue mich, dass sich nach anfänglichem Zögern
        alle Fraktionen des Deutschen Bundestages für einen
        stabilen Beitragssatz von 18,5 Prozent in der gesetzli-
        chen Rentenversicherung aussprechen. Auch die Grü-
        nen, die in der ersten Lesung anders argumentierten,
        sprechen sich jetzt in einem Entschließungsantrag für
        den Beitragssatz von 18,5 Prozent aus.
        Sichere und stabile Rentenfinanzen – das ist unser
        Ziel. Das Beitragsgesetz, das wir heute verabschieden,
        dient diesem Ziel. Verlässlichkeit – das ist das Marken-
        zeichen einer guten Politik.
        Markus Paschke (SPD): Jeder, der sich schon mal
        intensiver mit unserer Rente beschäftigt hat, stellt zwei
        Dinge fest: Erstens. Mittel- bis langfristig wird der Bei-
        tragssatz steigen. Allein die demografische Entwicklung
        und die Gebundenheit an das Erwerbseinkommen lassen
        keinen anderen Schluss zu. Zweitens. Wir haben in unse-
        rem heutigen System einige Gerechtigkeitslücken, die es
        zu schließen gilt. Um den zweiten Punkt kümmern wir
        uns mit dem Rentenpaket, das demnächst auch hier bera-
        ten wird.
        Heute geht es um die Beiträge. Die bisherigen Reden
        zeigen: Hier im Haus herrscht in den wesentlichen Punk-
        ten Einigkeit, denn wir sind uns einig bei dem Ziel, den
        Beitragssatz der Rentenversicherung zu stabilisieren und
        Planungssicherheit zu schaffen. Laut einer Forsa-Um-
        frage, die der DGB in Auftrag gegeben hat, wird dies
        von 84 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Dass wir
        auf dem richtigen Weg sind, zeigte auch die Expertenan-
        hörung am Montag zu dem Gesetzentwurf. Unser Vorha-
        ben fand große Zustimmung bei fast allen Experten.
        Einigkeit im Parlament, Zustimmung in der Bevölke-
        rung und Zustimmung der Experten – wir machen da of-
        fensichtlich wirklich etwas richtig. Zudem liegen wir mit
        dem aktuellen Beitragssatz immer noch unter dem, was
        2011 von vielen erwartet wurde.
        Um es klar zu sagen: Eine Beitragssenkung wäre
        nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Die Ex-
        pertenanhörung hat dies deutlich gemacht. Bei einer Bei-
        tragssenkung hätte ein durchschnittlich verdienender Ar-
        beitnehmer knappe 9 Euro mehr in der Tasche gehabt.
        Doch um welchen Preis? Wie sähe die Alternative aus?
        Das Institut für Makroökonomie und Konsumfor-
        schung hat in der Anhörung zutreffend formuliert: Jetzt
        eine Senkung, später eine deutliche Erhöhung – das
        macht man normalerweise nicht. Planbarkeit und Ver-
        lässlichkeit sind nach Aussage der Experten wesentlich
        wichtiger als die kurzfristige Senkung um ein paar Euro.
        Wir schaffen jetzt Planungssicherheit für Beschäftigte
        und Unternehmen. Und es ist richtig, dass wir die Beibe-
        haltung des Beitragssatzes per Gesetz regeln und nicht
        per Verordnung. Damit verschaffen wir dem Vorhaben
        eine größere Offenheit und Legitimation.
        Mir ist es wichtig, dass wir transparent handeln und
        die Menschen in unserem Land mitnehmen; denn für sie
        tun wir das hier alles. Nebenbei gesagt: Ich finde es gut,
        dass sich auch die Linken unserem Gesetzentwurf im
        Ausschuss angeschlossen haben. Eine Kontrolle der Re-
        gierung und eigene Anregungen sind wichtig; aber sinn-
        volle Maßnahmen kann man auch aus der Opposition he-
        raus unterstützen. In den Gemeinden funktioniert das
        gut. Warum soll das nicht auch im Bundestag klappen?
        Ich fasse also zusammen: Alle Fraktionen halten das
        wesentliche Ziel des Gesetzes für richtig. Umfragen in
        der Bevölkerung belegen die Akzeptanz, und wir haben
        die breite Zustimmung der Experten. Besser kann parla-
        mentarische Arbeit doch gar nicht laufen.
        Dr. Martin Rosemann (SPD): Die SPD-Bundestags-
        fraktion hat bereits die in der vergangenen Legislatur-
        periode vorgenommenen Beitragssenkungen abgelehnt.
        Folgerichtig sorgen wir jetzt in der Regierungsverant-
        wortung der Großen Koalition mit dem Beschluss des
        vorliegenden Gesetzentwurfs für eine Stabilisierung des
        Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung auf
        18,9 Prozent im Jahr 2014.
        Die Gründe hierfür waren und sind dieselben: Zu-
        nächst wäre es unverantwortlich, den Beitragssatz heute
        auf 18,3 Prozent zu senken, um ihn dann zu einem späte-
        ren Zeitpunkt umso deutlicher zu erhöhen. Dies wäre
        falsch für die mittelfristige Planungssicherheit der Un-
        ternehmen wie der Beschäftigten und damit auch kon-
        junkturpolitisch ein falsches Signal.
        Die SPD-Bundestagsfraktion verbindet mit der Stabi-
        lisierung des Beitragssatzes auch Leistungsverbesserun-
        gen in der gesetzlichen Rentenversicherung, die im ers-
        ten Rentenpaket von Bundesministerin Andrea Nahles
        enthalten sind: erstens die Anerkennung von Zeiten
        kurzfristiger Arbeitslosigkeit bei der Wartezeit für den
        vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzugang, zweitens das
        Vorziehen des vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzu-
        gangs für langjährig Versicherte, drittens die demogra-
        fiefeste Ausgestaltung des Rehabudgets – immer nach
        dem Motto „Reha vor Rente“ und viertens die von uns
        allen hier im Hause ja gemeinsam geforderten Verbesse-
        rungen bei der Erwerbsminderungsrente.
        Damit ist auch unsere Haltung zum Entschließungs-
        antrag von Bündnis 90/Die Grünen klar: Sie lehnen we-
        sentliche Teile dieser Leistungsverbesserungen ab. Des-
        halb lehnen wir ihren Entschließungsantrag ab.
        Am Montag dieser Woche hat der Ausschuss für Ar-
        beit und Soziales eine öffentliche Anhörung zum Gesetz
        zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen
        Rentenversicherung für das Jahr 2014 durchgeführt. Ich
        bin ja neu in diesem Parlament, aber ich habe mir von
        meinen Kolleginnen und Kollegen sagen lassen, dass
        noch selten ein Gesetzentwurf von der Breite der Sach-
        verständigen so eine positive Beurteilung erfahren hat.
        Das gilt für die Sache selbst, die Beitragssatzstabilität.
        Es gilt aber auch für den gewählten Weg eines Gesetz-
        gebungsverfahrens anstatt der Verordnungen.
        Ebenso hat die Anhörung erbracht, dass keiner der
        Sachverständigen eine Abschaffung der Obergrenze für
        die Schwankungsreserve empfohlen hat. Hier sehen wir
        zumindest weiteren Diskussionsbedarf und werden da-
        her den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ablehnen.
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1363
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        (D)(B)
        Wir haben es in einer Großen Koalition natürlich auch
        mit großen Kompromissen zu tun. Das gilt unzweifelhaft
        auch für die Rentenpolitik.
        Als SPD-Bundestagsfraktion waren und sind wir der
        Auffassung, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie
        die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten kon-
        sequent und vollständig durch Steuermittel finanziert
        werden müssen. Mit Blick auf den dabei gefundenen
        Kompromiss mit unserem Koalitionspartner ist unser
        Bauchweh daher schon recht groß – und es ist durch die
        Anhörung am Montag mit Sicherheit nicht kleiner ge-
        worden.
        Lassen Sie mich aber eines deutlich sagen: Der Vor-
        wurf, die Große Koalition würde die zusätzliche Berück-
        sichtigung von Erziehungszeiten für vor 1992 geborene
        Kinder ausschließlich über Beiträge finanzieren, ist
        falsch. Erstens befinden sich in der Rücklage der Ren-
        tenversicherung auch Steuermittel. Zweitens verhindert
        die Beitragssatzstabilisierung auch die Reduzierung der
        Bundeszuschüsse. Allein für das Jahr 2014 geht es dabei
        um rund 1,2 Milliarden Euro. Und zum Dritten sieht das
        Rentenpaket von Andrea Nahles ab dem Jahr 2019 vor,
        dass sich der Bund mit zusätzlichen Mitteln beteiligt, die
        bis zum Jahr 2022 auf rund 2 Milliarden Euro jährlich
        anwachsen.
        Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich zusammen-
        fassend festhalten: Insgesamt haben wir mit dem heute
        hier debattierten Gesetzentwurf zur Beitragssatzstabilität
        und dem ersten von der Bundesregierung vorgelegten
        Rentenpaket ein gutes Konzept auf den Weg gebracht:
        Wir sorgen für Beitragssatzstabilität und damit für Pla-
        nungssicherheit. Wir sorgen für notwendige und von der
        Bevölkerung gewollte Leistungsverbesserungen. Wir
        bauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab. Und wir sor-
        gen damit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzliche
        Rente.
        Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Auch die
        Linke ist ausnahmsweise mal mit der Bundesregierung
        einer Meinung: Der Beitrag zur Rentenversicherung darf
        nicht auf 18,3 Prozent gesenkt werden. Ihn bei 18,9 Pro-
        zent zu belassen, ist vernünftig und zumutbar! Es ist zu-
        mutbar, weil wir derzeit den niedrigsten Rentenversiche-
        rungsbeitrag seit 18 Jahren haben! Und es ist vernünftig,
        weil wir im Kampf gegen die Altersarmut jeden Cent in
        der Rentenkasse brauchen!
        Denn nicht nur der Blick auf den Lohnzettel zählt,
        sondern auch der Blick auf die jährliche Renteninforma-
        tion. Und der ist für viele leider kein Augenschmaus!
        Der Grund: Union, SPD und Grüne haben in den vergan-
        genen 13 Jahren die Renten real drastisch gekürzt: Der
        „Riesterfaktor“ und der „Nachhaltigkeitsfaktor“ senken
        seit der Jahrtausendwende das Rentenniveau deutlich.
        Damit wurde die Rentenanpassung von der Lohnent-
        wicklung abgekoppelt.
        Das heißt auf Deutsch: Zwischen 2001 und 2030 ver-
        lieren die Renten ein Fünftel ihres Wertes. Eine Rente
        von ehedem 1 000 Euro wird dann nur noch einen Wert
        von 800 Euro haben, in heutigen Zahlen natürlich. Das
        bedeutet, dass viele Junge von heute morgen die armen
        Alten sein werden, und das wird die Linke niemals
        akzeptieren! Die Bundesregierung behauptet, bei stei-
        genden Löhnen sei das sinkende Rentenniveau kein
        Problem. – Die steigen aber nicht, die sinken sogar
        leicht! Gerade heute hat das Statistische Bundesamt die
        aktuellen Zahlen vorgelegt: Die Reallöhne sind vergan-
        genes Jahr um 0,2 Prozent gesunken! Das heißt: Die
        Preise fressen die Löhne auf, und der Riesterfaktor frisst
        die Renten auf!
        Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition:
        Führen Sie endlich den flächendeckenden gesetzlichen
        Mindestlohn ein. Sofort! Denn wir haben keine Zeit
        mehr, auf ihn bis 2015 oder noch später zu warten!
        Und wir müssen dringend zurück zum Rentenniveau
        des Jahres 2001. Das waren 53 Prozent Sicherungs-
        niveau vor Steuern. Nur so können wir den Lebens-
        standard im Alter sichern. Mit Riester wird das nix. Ein
        lebensstandardsicherndes Rentenniveau kommt den Al-
        ten und den Jungen zugute. Um das zu finanzieren, ist
        ein stabiler Beitragssatz ein kleiner erster und richtiger
        Schritt.
        Aber: Die Bundesregierung ist eigentlich verpflichtet,
        den Beitrag zu senken, wenn sich die Rentenkasse auf
        mehr als 1,5 Monatsausgaben füllt. Das ist unsinnig;
        denn wir brauchen jeden Cent in der Rentenkasse!
        Deshalb hat die Linke schon im November 2013
        – also weit vor der Bundesregierung – ein Gesetz einge-
        bracht, das weitergehend ist. Wir wollen die Höchst-
        grenze bei der Nachhaltigkeitsrücklage streichen!
        Selbst Herr Gunkel von der Bundesvereinigung der
        Deutschen Arbeitgeberverbände hat am Montag in der
        Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ge-
        sagt: „Es ist widersprüchlich, dass die Bundesregierung
        den Gesetzentwurf der Linken nicht unterstützt, dass die
        Nachhaltigkeitsrücklage mehr als 1,5 Monatsausgaben
        betragen muss, aber die Beitragssatzfestlegung auf
        18,9 Prozent macht.“ Recht hat er.
        Und es gibt noch einen Grund, unserem Gesetzent-
        wurf zuzustimmen: Die SPD hatte schon im September
        2012 in ihrem Gesetzentwurf für ein sogenanntes „De-
        mografiefondsgesetz“ die Streichung der Höchstnach-
        haltigkeitsrücklage gefordert. Exakt die Forderung aus
        unserem Antrag. Schon vergessen? Schade!
        Ich komme zum zweiten Aber: Die zusätzlichen
        Beiträge werden jetzt sofort und völlig systemwidrig von
        Ihnen für die Ausweitung der sogenannten Mütterrente
        verpulvert.
        Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen:
        Wir Linken sind für die bessere Anerkennung der
        Kindererziehungszeiten. Aber Kindererziehung ist und
        bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das weiß
        jedes Kind.
        Deshalb muss die Mütterrente komplett aus Steuer-
        mitteln finanziert werden. Das haben auch alle Sachver-
        ständigen und alle Verbände in der Ausschussanhörung
        am vergangenen Montag einhellig betont! Und Linke
        1364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
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        und Grüne sind sich hier ebenfalls völlig einig. Die Me-
        dien auch.
        Dafür müssen alle zahlen und nicht nur die Beitrags-
        zahlenden, weil auch die Mütter von Beamtinnen und
        Beamten, Rechtsanwälten, Politikern und Ärztinnen und
        Ärzten die Mütterrente erhalten!
        Und die Große Koalition? Will die „Mütterrente“ sys-
        temwidrig aus Beiträgen finanzieren. Die murmelt von
        rechts weiter: Keine Steuererhöhung!
        Oder sitzt links bedröppelt da. Zulasten der nächsten
        Generationen!
        Denn: Würden wir die „Mütterrente“ aus Steuern
        finanzieren, hätten wir sechseinhalb Milliarden Euro
        jährlich im Kampf gegen die laut heranrauschende Welle
        neuer Altersarmut.
        Wir könnten damit locker die Kürzungsfaktoren in
        der Rentenanpassungsformel streichen, damit das
        Rentenniveau stabilisieren und auch noch die Abschläge
        bei den Erwerbsminderungsrenten für dauerhaft Kranke
        abschaffen. Dafür lohnte es sich, die Beiträge nicht ab-
        zusenken!
        Würden wir dann noch die sinnlose Riesterförderung
        abschaffen, hätten wir weitere 3,5 bis 4,5 Milliarden
        Euro jährlich zur Verfügung und könnten endlich
        Schluss machen mit dem Rentenkürzungsprogramm
        Rente erst ab 67!
        Wichtige Schritte, die alle in Ihrem Rentenpaket feh-
        len, Frau Ministerin! Wichtige Schritte, die auch bei der
        jungen Generation wirken würden, und wichtige
        Schritte, die Sozialverbände, Gewerkschaften und die
        Linke deshalb weiter fordern werden!
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Bundesregierung verzichtet in ihrem Gesetzentwurf auf
        die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssatzsenkung, um
        einen großen Teil des von ihr versprochenen Rentenpakets
        zu finanzieren. Dazu gehören die höheren Rentenanwart-
        schaften für Kindererziehungszeiten, die abschlagsfreie
        Rente nach 45 Beitragsjahren ab 63 und kleinere Verbes-
        serungen bei der Erwerbsminderungsrente und beim
        Reha-Budget.
        Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Absen-
        kung des Rentenbeitragssatzes. Zum einen ist – bedingt
        durch die demografischen Veränderungen – auch lang-
        fristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für
        diesen absehbaren Beitragsanstieg sollte schon heute
        Vorsorge getroffen werden, um die Auswirkungen für
        die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und
        Beitragszahler abzufedern. Deswegen sollte eine höhere
        Nachhaltigkeitsrücklage gebildet werden.
        Da es der Bundesregierung aber eindeutig um die
        Finanzierung ihrer Wahlversprechen geht, wird das hö-
        here Beitragsaufkommen und gleichzeitig das Geld der
        Rücklage ausgegeben, das dann später an anderer Stelle
        fehlt. Wir lehnen diese falsche Prioritätensetzung zulas-
        ten der finanziellen Stabilität der Rentenversicherung ab
        und werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung da-
        her ablehnen.
        Die öffentliche Anhörung zum Beitragssatzgesetz
        2014 am 17. Februar 2014 im Arbeits- und Sozialaus-
        schuss offenbarte, dass zehn von zwölf Sachverständi-
        gen die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von
        1,5 Monatsausgaben für zu niedrig einschätzen. Für eine
        gänzliche Abschaffung der Obergrenze gab es indes
        keine Mehrheit. Nach unserer Auffassung sollte die
        Rücklage dazu verwendet werden, den Rentenbeitrags-
        satz auch über 2020 hinaus möglichst lange unter
        20 Prozent bei einem gleichzeitig angemessenen Ren-
        tenniveau zu halten.
        Zugleich steht die Rente auch auf der Leistungsseite
        vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinan-
        zierten Leistungen sind vor allem Verbesserungen bei
        Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig. Die
        von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur
        Verbesserung der Erwerbsminderungsrente gehen in die
        richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Die Abschläge
        auf Erwerbsminderungsrenten sollten abgeschafft wer-
        den, wenn der Zugang allein aufgrund medizinischer
        Diagnose und Prüfung erfolgt. An den Abschlägen auf
        Erwerbsminderungsrenten hält die Bundesregierung
        aber ausdrücklich fest. Aktuell stehen zudem nicht aus-
        reichend Mittel zur Rehabilitation zur Verfügung. Wird
        das Reha-Budget nicht umgehend bedarfsgerecht ausge-
        staltet, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerin-
        nen und -rentner absehbar steigen.
        Auch der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke tritt
        für eine Beibehaltung des Beitragssatzes ein. In der Be-
        gründung heißt es, dass ansonsten „dringend notwendige
        systemgerecht zu finanzierende Leistungsverbesserun-
        gen … wie Verbesserungen bei den Erwerbsminderungs-
        renten und des Leistungsniveaus … auf längere Zeit er-
        schwert oder gar verhindert würden“. Außerdem soll die
        Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage gänzlich aufge-
        hoben werden.
        Wir lehnen den Gesetzentwurf der Linken ab, da wir
        – ähnlich wie die meisten Sachverständigen – eine gänzli-
        che Abschaffung der Obergrenze der Nachhaltigkeitsrück-
        lage für nicht sinnvoll erachten. Ohne eine Obergrenze
        würde es an einer Systematik für eine Beitragssatzfest-
        setzung fehlen. Zudem geht es den Linken einseitig um
        Verbesserungen des Leistungsniveaus. Wir hingegen
        möchten die finanziellen Spielräume gleichermaßen für
        einen gedämpften Beitragssatzanstieg sowie für ein an-
        gemessenes Rentenniveau verwenden. Hierzu stellen wir
        einen eigenen Entschließungsantrag.
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: EU-Afrika-Gipfel –
        Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden
        ausrichten (Tagesordnungspunkt 13)
        Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Gute Afrika-Poli-
        tik, ob nun durch die Bundesregierung oder die Europäi-
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1365
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        (D)(B)
        sche Union, muss die Menschen in den Mittelpunkt stel-
        len. Der 4. EU-Afrika-Gipfel im April in Brüssel greift
        dieses Prinzip schon im Titel auf: „Investieren in Men-
        schen, Wohlstand und Frieden“.
        Nun machen gute Titel noch keine gute Politik. Der
        vorliegende Antrag ist ein Paradebeispiel dafür.
        Ihren Titel „EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Ge-
        rechtigkeit und Frieden ausrichten“ können die meisten
        hier mittragen – bei allem was darüber hinausgeht, ge-
        rade auch was Gerechtigkeit betrifft, verweise ich lieber
        auf die Eckpunkte, die Bundesminister Gerd Müller für
        sein Ministerium abgesteckt hat: Gerecht ist, die Investi-
        tionen in Bildungsprojekte im Rahmen der Entwick-
        lungszusammenarbeit zu steigern! Gerecht ist, auf diese
        Weise mehr Chancengleichheit zu schaffen! Gerecht ist
        demnach die Erhöhung der Mittel für Grundbildung, den
        Aufbau beruflicher Ausbildungszentren und tertiäre Bil-
        dung auf mindestens 400 Millionen Euro, die Minister
        Müller angekündigt hat!
        Bei seinem Antrittsbesuch bei der Afrikanischen
        Union Anfang des Monats sind Leuchtturmprojekte im
        Bereich der beruflichen Bildung vereinbart worden. Das
        schafft Gerechtigkeit.
        Das ist genau der Ansatz, der am Menschen orien-
        tierte und in zukünftigen Wohlstand investierende Poli-
        tik ausmacht!
        Das schlägt sich auch in den Themen des 4. EU-
        Afrika-Gipfels nieder, bei dem Bildung und Ausbildung
        als zentrale Themen genannt werden.
        Mit den weiteren geplanten Themenschwerpunkten
        des Gipfels wie der Jugend- und Frauenförderung, der
        Stimulierung von Wachstum, der Schaffung neuer Ar-
        beitsplätze und der Friedensicherung sind alle Elemente
        genannt, die die Basis für mehr Wohlstand legen können.
        Nur wenn durch positive Entwicklungen in diesen
        Bereichen bessere Lebensperspektiven vor Ort geschaf-
        fen werden, wird auch ein anderes dringendes Thema in
        der EU-Afrika-Politik einer Lösung näher kommen: So-
        lange fehlende Sicherheit und mangelnder Wohlstand
        Flucht- und Migrationsanreize setzen, werden verzwei-
        felte Menschen versuchen, den lebensgefährlichen Weg
        über das Mittelmeer anzutreten. Solange positive Per-
        spektiven noch fehlen, müssen nachhaltige Anstrengun-
        gen durch die gemeinsame EU-Afrika-Politik zur Ver-
        besserung der Situation unternommen werden. Und so
        lange müssen sehr wohl auch die bestehenden Schutz-
        systeme einbezogen werden.
        Frontex und EUROSUR gehören dabei nicht, wie von
        den Linken verlangt, etwa abgeschafft, sondern gestärkt.
        Auch im vorliegenden Antrag wird deren wichtiger und
        für die Beamtinnen und Beamten alles andere als einfa-
        che Einsatz in ein falsches, schlechtes Licht gerückt.
        Dabei hat Frontex allein im Zeitraum von Oktober
        2013 bis Januar 2014 16 700 Personen aus Seenot geret-
        tet. Der Einsatz ist sinnvoll und notwendig!
        Ich wünsche mir, dass sich durch den kommenden
        Gipfel auch das Verhältnis der Partner EU und Afrika
        weiter angleicht, dass Abhängigkeiten weiter abgebaut
        werden und dass auch die angestrebten Projekte zuneh-
        mend von einer Partnerschaft auf Augenhöhe geprägt
        sind. Ausdruck einer neuen Partnerschaft sind unter an-
        derem die immer weiter fortschreitenden Verhandlungen
        zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, zu deren
        baldigem Abschluss der Gipfel hoffentlich beitragen
        wird.
        Mehrere wichtige Zielmarken der Millenniumsent-
        wicklungsziele sind erreicht oder können, realistisch be-
        urteilt, in der Frist bis 2015 erreicht werden. Einige Ziele
        werden aller Voraussicht nach in manchen Regionen
        nicht erreicht werden. Mit einer Post-2015-Agenda müs-
        sen wir die Millenniumsziele deshalb fortschreiben.
        Dazu soll der Gipfel beitragen.
        Auch hier wird die Arbeit verstärkt von Partnerschaft
        geprägt sein, von Zusammenarbeit und Kooperation und
        nicht, wie Sie in Ihrem Antrag unterstellen, von Bevor-
        mundung.
        Überall dort, wo wir dazu beitragen können, dass
        Menschen sich selbst helfen, sollten wir diesen Ansatz
        verfolgen.
        Eine gemeinsame EU-Afrika-Strategie und ein Gipfel
        unter dem Motto „Investieren in Menschen, in Wohl-
        stand und in Frieden“ ist deshalb genau richtig.
        Charles M. Huber (CDU/CSU): Afrika hat im Mo-
        ment circa 1 Milliarde Einwohner, Tendenz steigend.
        2050 sollen es bereits doppelt so viele sein, im Jahr 2100
        dann um die 3,5 Milliarden.
        Afrika steht zweifellos vor einer großen Herausforde-
        rung, und wenn wir und die Afrikaner nichts tun, nicht
        das Richtige tun, wird ein Großteil der Bewohner dieses
        Kontinents nicht unter menschenwürdigen Umständen
        leben können, gesetzt den Fall, dass sie überhaupt über-
        leben.
        Trotzdem gibt es, wie wir wissen, auch andere Per-
        spektiven auf Afrika. Es gibt Staaten mit einem Wachs-
        tum von über 5 Prozent, an der Spitze Angola mit
        11 Prozent.
        Aber es gibt natürlich auch Staaten wie Somalia und
        die Zentralafrikanische Republik, Staaten, in denen es
        kaum mehr Strukturen gibt, nie gab, wo Leid und Elend
        den Alltag der dort lebenden Menschen bestimmen.
        Es hilft der Entwicklung dieser Länder natürlich
        nicht, wenn man in diesem Hause einen Dialog führt, der
        sich darauf beschränkt, was man in Afrika alles nicht tun
        darf. Da, glaube ich, wird jeder einsehen, dass sich die
        Afrikaner davon nichts kaufen können und dies auch
        keinen Menschen inspiriert, in Afrika zu investieren.
        Das dürfen jetzt einige von der Linkspartei gerne als
        Vorwurf verstehen; so ist es auch gemeint.
        Wer jeden Ansatz in Richtung einer wirtschaftlichen
        Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten, die diese
        wohlgemerkt dringend benötigen und auch explizit wün-
        schen, in eine Grundsatzdiskussion ausarten lässt, der
        dokumentiert hier nur eines: dass er nämlich kein eige-
        1366 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
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        nes Konzept hat und hier lediglich versucht, seinem des-
        truktiven Naturell eine objektive Legitimation zu verlei-
        hen. Als etwas anderes kann ich das nicht verstehen.
        Karl Marx hat es hier nicht gerichtet, und er wird es
        auch in Afrika nicht richten, schon gleich dann nicht,
        wenn die ehemalige Sowjetunion als potenzieller Han-
        delspartner praktisch ausfällt.
        Afrika ist nicht Europa, und Europa funktioniert nicht
        wie Afrika. Es soll Ihnen hier gesagt sein, dass ein paar
        Delegationsreisen nach Afrika nicht ausreichen, um zu
        verstehen, wie dieser Kontinent tickt, sprich: wie sich
        diese Thesenpapiere dann in der afrikanischen Realität
        niederschlagen.
        Ich als Deutscher mit afrikanischen Wurzeln, bei dem
        der eine Teil aus einer afrikanischen Politikerfamilie
        stammt, habe 10 Jahre gebraucht, um Afrika zu verste-
        hen. Aber schön, dass es Menschen gibt, die mit schier
        geballtem interkulturellen Einfühlungsvermögen dies in
        viel kürzerer Zeit tätigen können.
        Dieses Thema ist zu ernst, um es am Pranger der par-
        teipolitischen Profilierungssucht zu opfern, und die Zeit,
        in der man das Rad noch herumdrehen kann, ist knapp.
        Hier müssen Verantwortung und Empathie dem partei-
        politischen Kalkül vorgehen.
        Wer sagt, dass Afrika keinen Handel will, sagt etwas
        anderes als einem die Afrikaner selbst sagen, sowohl in
        Afrika als auch hier.
        Mich würde interessieren, was passieren würde, wenn
        jemand solche Thesen einmal in einem afrikanischen
        Slumgebiet erzählen würde. Da hätte ich gerne vorher
        etwas Zeit, mich von dieser Gruppe zu entfernen.
        Aus Handel entsteht Wertschöpfung, da aus Handel
        finanzielle Ressourcen entstehen, womit sich eben später
        die Möglichkeit ergeben kann, selbst als Produzent von
        Produkten verschiedenster Art aufzutreten.
        Das Problem des afrikanischen Binnenhandels ist
        nicht die Ausbeutung durch die Europäer, sondern das
        einer fehlenden Verkehrsinfrastruktur. Für manche Pro-
        dukte, welche Afrikaner gerne verzehren oder gebrau-
        chen, gibt es in Afrika kein Know-how in der Herstel-
        lung. Gebraucht werden sie trotzdem.
        Wo werden da nun lokale Produzenten in die Ecke
        gedrängt? Ein Bauer im ländlichen Bereich hat weder
        Zugang zu EU-Hühnchen noch kann er selbst genug pro-
        duzieren, um Hühnchen im großen Stil zu verkaufen.
        Ich muss Ihnen einmal sagen, Deutschland genießt
        hohes Ansehen in Afrika. Das ist Tatsache. Man hat
        lange auf uns gewartet, aber wir haben Afrika erst dann
        wahrgenommen, als die Schwellenländer sich schon aus-
        reichend für diesen Kontinent interessiert haben, allen
        voran China.
        Wir sollten die Chance jetzt noch ergreifen, neben der
        klassischen und multilateralen Entwicklungszusammen-
        arbeit, welche gerade in Krisenregionen extrem wichtig
        ist, durch Wirtschaftsinitiativen zu optimieren und kei-
        nesfalls zulassen, dass man durch Mangel an Weitsicht
        und, was die praktische Seite des Ganzen anbelangt,
        durch ein oberflächliches Wissen in der Sache einen
        ganzen Kontinent seiner Zukunftschancen beraubt.
        Es muss einfach aufhören, dass jeder, der im Rahmen
        der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit das Wort
        Wirtschaft in den Mund nimmt, Gefahr läuft, als Aus-
        beuter tituliert zu werden, und jede Aktion, welche der
        Stabilisierung fragiler Staaten dient und dies, wohlge-
        merkt, auf deren ausdrücklichen Wunsch sowie in Über-
        einstimmung mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Na-
        tionen, mit einem neokolonialem Einmarsch verglichen
        wird.
        In manchen Ländern mit Bürgerkriegsgeschichte be-
        trägt die Vergewaltigungsrate bei Frauen über 70 Prozent.
        Mir fehlen da ehrlich gesagt die Worte.
        Ruanda: Der Gedächtnisschwund in Zeiten zahlrei-
        cher und vielschichtig kommunizierter Medienereignisse
        scheint hier wohl seinen endgültigen Höhepunkt erreicht
        zu haben. Den 11. September vergisst auch keiner. Oder
        war Ruanda auch nur eine Verschwörungstheorie?
        Deutschland ist der Wunschpartner des afrikanischen
        Kontinents, sowohl im Zuge einer entwicklungspoliti-
        schen Kooperation im klassischen Sinne als auch in der
        wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir gelten in beiden
        Bereichen als präzise und verlässlich.
        Den Mitarbeitern staatlicher und nichtstaatlicher Or-
        ganisationen möchte ich bei dieser Gelegenheit auch
        meinen Dank dafür aussprechen, dass sie sich auf dem
        Kontinent meines Vaters, teils sogar unter Lebensgefahr,
        eingesetzt haben und immer noch einsetzen.
        Wir müssen Afrika helfen, politische und ökonomi-
        sche Unabhängigkeit zu erlangen. Dazu gehören politi-
        sche Stabilität, Handel und Wertschöpfung.
        Keine Partei in Europa hat das Recht dazu, im Stile
        kolonialer Bevormundung den Leuten zu verbieten, sich
        selbst zu entwickeln – auch nicht, wenn sie von links
        kommt.
        Ob diverse Schwellenländer, in deren Hände man
        Afrika durch eine rein negativ formulierte Analyse deut-
        scher und europäischer Bemühungen treibt, mehr sozio-
        ökonomische oder gar ökologische Standards bei ihrer
        Entwicklungspolitik in afrikanischen Ländern ansetzen
        als wir, sei schon einmal dahingestellt.
        Eine gemeinsame Strategie wäre hier der Sache dien-
        lich.
        Dr. Bärbel Kofler (SPD): Im Jahr 2007 haben sich
        afrikanische und europäische Regierungschefs in Lissa-
        bon auf Ziele und Handlungsfelder der Zusammenarbeit
        geeinigt. Der anstehende EU-Afrika-Gipfel in Brüssel
        sollte jetzt zum Anlass genommen werden, um über Er-
        reichtes und vor allem nicht Erreichtes zu sprechen und
        eine verstärkte Zusammenarbeit in den Fokus zu rücken.
        Zurzeit erleben wir eine interessante Debatte um die
        neue Ausrichtung unserer auswärtigen Politik. Afrika
        steht dabei im besonderen Fokus, die Einbindung in den
        europäischen Kontext ebenso. Das bedeutet, dass wir mit
        dem bevorstehenden Gipfel vor einer zentralen Aufgabe
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1367
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        stehen, nämlich Afrika als einen Kontinent mit vielen
        Chancen zu begreifen, der zudem ganz in unserer Nähe
        liegt, sowie eine stärkere Koordinierung der bilateralen
        und multilateralen Zusammenarbeit voranzutreiben.
        Afrika ist bereits Schwerpunktregion der Entwicklungs-
        zusammenarbeit. Ich bin aber überzeugt, dass wir unser
        Engagement noch weiter ausbauen können und vor al-
        lem auch sollten.
        Lassen Sie mich einige Punkte nennen, die für uns
        Sozialdemokraten wichtig sind:
        Erstens. Für Afrika ist die Bewältigung der Folgen
        des Klimawandels von besonderer Bedeutung. Trotz des
        geringen CO2-Ausstoßes leidet der Kontinent besonders
        unter der Erderwärmung. Wichtige Stichworte sind auch
        die Energiearmut und der Erhalt der globalen öffentli-
        chen Güter. Diese Global Commons müssen gemeinsam
        fortentwickelt und stabilisiert werden; denn Klimaschutz
        kennt keine Grenzen.
        Entscheidend dabei ist, den Zugang zu Energie in den
        afrikanischen Ländern zu verbessern. Die EU hat ver-
        sprochen, einen Beitrag zu leisten, dass 100 Millionen
        Afrikaner Zugang zu Energie erhalten, und zwar bis zum
        Jahr 2020. Nach meinem Verständnis sind Versprechen
        dazu da, auch gehalten zu werden. In puncto nachhaltige
        und moderne Energieversorgung müssen wir aber auch
        die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien vo-
        ranbringen, national wie international. Denn nur so
        schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass unsere Kli-
        maschutzziele und die der internationalen Gemeinschaft
        tatsächlich erreicht werden können.
        Zweitens. Wir Sozialdemokraten wollen im Bereich
        Wirtschaft und Handel Institutionen stärken und Trans-
        parenzinitiativen voranbringen. Rohstoffe dürfen nicht
        Fluch, sondern müssen Segen für die afrikanischen Län-
        der werden. Diesem Punkt muss eine noch viel stärkere
        Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit die Ressour-
        cen den Bevölkerungen Afrikas auch zugutekommen.
        Der EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş hat erst vor
        knapp einem Monat auf der Grünen Woche in Berlin an-
        gekündigt, die fragwürdigen Agrarsubventionen für
        Nahrungsmittelexporte nach Afrika abzuschaffen. Diese
        Subventionen erlauben es bislang, in Europa produzierte
        Überschüsse zu Dumpingpreisen auf die Märkte der Ent-
        wicklungsländer zu werfen. Auch unser Kollege im
        Europaparlament, Norbert Neuser, hat dieses schädliche
        Instrument schon seit langem kritisiert.
        Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die Agrarsubven-
        tionen zu Verzerrungen vor allem auf dem afrikanischen
        Markt kommt. Lokale Erzeuger können mit den subven-
        tionierten Produkten nicht mithalten. So werden regio-
        nale wirtschaftliche Anstrengungen von Kleinbauern zu-
        nichte gemacht.
        Klar ist, dass nur eine kohärente EU-Politik zu Ver-
        besserungen führt. Wir brauchen genau solche fairen
        EU-Entscheidungen für wirtschaftliche Entwicklung, die
        letztlich nämlich beiden Partnern, Afrikanern wie EU-
        Bürgern, zugutekommt.
        Bei der Ressourcennutzung geht es uns um Transpa-
        renz und Verteilungsgerechtigkeit. Hier ist zum Beispiel
        die Transparenzrichtlinie der EU ein erster wichtiger
        Schritt. Denn nur, wenn zugängliche und verständliche
        Informationen über Zahlungen von zum Beispiel Berg-
        bau- oder Erdölfirmen an staatliche Stellen vorliegen,
        können die Bürger der Länder, in denen abgebaut wird,
        die Einnahmen ihres Staates kontrollieren und die Fra-
        gen der Verteilung, also der sinnvollen Einnahmenver-
        wendung, in ihrer Gesellschaft diskutieren. Für staatliche
        Institutionen – wie zum Beispiel die Steuerbehörden – ist
        das ebenfalls von immenser Bedeutung.
        Auch bei den Verhandlungen der EU mit den Staaten
        in Afrika, Asien und im pazifischen Raum über den Ab-
        schluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, den
        sogenannten EPAs, erheben wir Sozialdemokraten
        selbstverständlich die Forderung, dass diese Abkommen
        entwicklungsfördernd sein müssen.
        Drittens. Wir wollen die Stabilität in Afrika erhöhen,
        denn in fragilen Staaten leidet die Bevölkerung beson-
        ders – unter großer Armut, Gewalt und politischer Will-
        kür. Betroffen hiervon sind Frauen, Kinder und ethni-
        sche oder religiöse Minderheiten. Fragile Staaten können
        die Sicherheit der Bevölkerung und deren Zugang zu so-
        zialen Grunddiensten nicht gewährleisten. Sie weisen
        nicht nur ein höheres Maß an Armut und sozialer Un-
        gleichheit auf, sondern stellen auch ein regionales und
        internationales Sicherheitsrisiko dar.
        Die Staatengemeinschaft darf diese Länder – trotz der
        schlechten Regierungsführung – nicht von jeglicher Zu-
        sammenarbeit ausschließen, sondern muss behutsam auf
        eine Verbesserung der Lage hinwirken. Dabei spielt die
        Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle. Je nach Land
        beinhaltet diese Zusammenarbeit, Not leidende Bevölke-
        rungsgruppen zu schützen, Selbsthilfe zu fördern, Re-
        formkräfte zu stärken und bei Regierungen Verhaltens-
        änderungen zu bewirken.
        In unserem Koalitionsvertrag haben wir festgeschrie-
        ben, dass die globalen Herausforderungen nur in interna-
        tionaler Zusammenarbeit und in einem koordinierten
        Einsatz aller Instrumente der Außen-, Sicherheits- und
        Entwicklungspolitik zu bewältigen sind.
        Diese ressortübergreifende Kooperation wollen wir
        ausdrücklich auch in der Friedenspolitik stärken, etwa
        bei der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung.
        Daher wollen wir auch die deutschen Institutionen für
        Friedensförderung und Friedensforschung – wie das
        Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, das
        Forum Ziviler Friedensdienst, forumZFD, die Bundes-
        akademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stif-
        tung Friedensforschung – künftig noch stärker in die
        Politikberatung einbeziehen.
        Im Bereich der zivilen Krisenprävention ist es auch
        Auftrag und Mahnung, die UN-Resolution 1325 mit Le-
        ben zu füllen. In ihr wurden erstmals Konfliktparteien
        dazu aufgerufen, die Rolle der Frauen zu stärken und
        ihre herausragende Bedeutung bei Konfliktschlichtung
        und Wiederaufbau stärker zu nutzen, sie bei Friedensver-
        1368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
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        handlungen besser zu berücksichtigen und einzubezie-
        hen.
        Viertens. Wir wollen die Interessen und Anliegen
        Afrikas stärker in den Fokus der internationalen Bera-
        tungen und Gipfel stellen. Das geht vom EU-Afrika-
        Gipfel in Brüssel im April 2014 über die deutsche G-8-
        Präsidentschaft im nächsten Jahr bis hin zum MDG/
        SDG-Prozess. Dabei sollte auch die Zivilgesellschaft
        besser einbezogen werden. Zum Schluss meiner Rede
        auch noch einige Anmerkungen zum Antrag der Linken:
        Man könnte Ihren Anträgen mehr abgewinnen, wenn Sie
        mal verbal abrüsten würden. Ich zitiere als Beispiel nur
        folgenden Satz Ihres Antrags: „Die Menschen Afrikas
        sind ein weiteres Mal Opfer der kapitalistischen Indus-
        trialisierung des Nordens“. Süd-Süd-Kooperationen sind
        – nebenbei bemerkt – auch nicht „antikapitalistisch“; es
        kommt bei allem wirtschaftlichen Handeln darauf an,
        dass das, was in einem Land erarbeitet wird, auch der
        Bevölkerung zugutekommt. Gerade deshalb sind ja sol-
        che Initiativen wie die EU-Transparenzrichtlinie von
        großer Bedeutung. Sie zeichnen mit solchen Sätzen auch
        ein sehr eindimensionales Bild von Afrika, von dem ich
        nicht glaube, dass es den Entwicklungen auf dem afrika-
        nischen Kontinent gerecht wird.
        Niema Movassat (DIE LINKE): Im kommenden
        April findet der EU-Afrika-Gipfel statt. Wir sagen mit
        unserem Antrag heute: Die deutsche und europäische
        Afrika-Politik muss sich grundlegend verändern. Bis
        jetzt ist der Fokus oft darauf gerichtet, Zugang zu den
        Rohstoffen und Märkten in afrikanischen Ländern zu er-
        halten, statt wirksam gegen Armut zu kämpfen. Zudem
        heizen deutsche und europäische Rüstungsexporte Kon-
        flikte an.
        Wir brauchen stattdessen eine Afrika-Politik, die in
        ihr Zentrum Solidarität, Partnerschaft und Gewaltfreiheit
        stellt. Dazu muss zuallererst Schluss sein mit der wirt-
        schaftlichen Ausbeutung afrikanischer Länder.
        Leider bedeutete das Ende des Kolonialismus in
        Afrika nicht das Ende der Ausbeutung. Jahrzehntelang
        üben die Industrieländer schon Druck auf afrikanische
        Länder aus, ihre Märkte zu öffnen, ihre staatlichen Be-
        triebe zu privatisieren und ihre Schutzregelung für die
        eigene Wirtschaft abzubauen.
        Die Interessen und Bedürfnisse der Afrikanerinnen
        und Afrikaner stehen dabei nicht im Mittelpunkt. Das al-
        les hat Afrika nicht den versprochenen wirtschaftlichen
        Aufschwung gebracht. Ganz im Gegenteil: Durch diese
        Politiken werden soziale Sicherungssysteme zerstört.
        Arbeits- und Umweltstandards werden verhindert. Es
        finden Mittelkürzungen bei Bildung und Gesundheit
        statt. Staatliche Strukturen werden geschwächt nach dem
        Motto: „Privat vor Staat“.
        Es ist diese Politik der Industrieländer, die einen enor-
        men Anteil an der Armut in Afrika hat, eine Politik, die
        zwar von Demokratie redet, sich aber, wenn es um ihre
        Interessen geht, auch gerne mal mit korrupten Eliten ver-
        bündet. Vor allem stehen immer wieder die Profite der
        europäischen Konzerne.
        Da muss endlich ein Kurswechsel her. Der bleibt aber
        aus. Das neuste Zaubermittel sind Wirtschaftspartner-
        schaftsabkommen. Klingt ganz toll, aber bedeutet die
        knallharte Fortsetzung der bisherigen Politik.
        Ein Beispiel: Ghana hat dem Druck der Industriestaa-
        ten nachgegeben und auf Freihandel gesetzt. Das Ergeb-
        nis: Das Land wurde überschwemmt mit Dumping-Ge-
        flügelimporten. Die eigene Geflügelproduktion konnte
        der steuersubventionierten Konkurrenz aus Europa nicht
        standhalten und brach zusammen. Unzählige Menschen
        wurden arbeitslos und das Land ist heute abhängig von
        Geflügelimporten.
        Nigeria zeigt, dass es anders geht. Es hat keinen Frei-
        handelsvertrag abgeschlossen. Stattdessen hat es hohe
        Importzölle erhoben und so seine Geflügelproduktion
        geschützt. Heute wird der heimische Bedarf aus eigener
        Produktion gedeckt. Das ist der richtige Weg.
        Stattdessen aber wird die europäische Freihandels-
        politik immer aggressiver. Sie will auf Teufel komm raus
        europäischen Unternehmen neue Märkte in Afrika er-
        schließen. Dazu verbietet die EU beispielsweise im Rah-
        men dieser Abkommen den Ländern, Zölle zu erheben,
        um ihre Märkte vor Billigimporten zu schützen.
        In vielen Ländern Afrikas wächst der Widerstand da-
        gegen. Und was macht die EU? Sie setzt auf Erpressung.
        So weigert sich Kamerun, dass Wirtschaftspartner-
        schaftsabkommen zu unterzeichnen. Die Folge: Die EU
        droht mit Entzug der Zugangserleichterungen zum euro-
        päischen Markt. Oft steht zudem die Drohung im Raum,
        Gelder der Entwicklungszusammenarbeit zu streichen.
        Das ist ein Unding.
        Es muss Schluss sein mit solchen Verträgen und Er-
        pressung. Das A und O einer jeden Entwicklung ist, dass
        die Menschen sich aus eigener Kraft ernähren können.
        Hier verlaufen alle Bemühungen im Sande, wenn nicht
        endlich wirksame Maßnahmen gegen Landraub, Nah-
        rungsmittelspekulation und Raubfischerei ergriffen wer-
        den.
        Deshalb brauchen wir Sanktionen gegen europäische
        Konzerne, die Menschenrechtsverletzungen in Afrika
        begehen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln gehört
        komplett verboten. Raubfischerei muss strafrechtlich
        verfolgt werden. Und auf die Länder Afrikas darf kein
        Druck ausgeübt werden, Fischfangquoten an europäi-
        sche Länder abzutreten.
        Alle hier sind entsetzt, wenn sie Bilder von Flüchtlin-
        gen sehen, die beim Versuch, aus Afrika nach Europa zu
        gelangen, sterben. Aber Empörung reicht nicht. Das
        Sterben geht doch Tag für Tag weiter. Weiter ertrinken
        Menschen im Mittelmeer. Das ist ein Skandal.
        Machen Sie endlich Schluss mit der menschenverach-
        tenden europäischen Grenzschutzpolitik! Menschen flie-
        hen niemals freiwillig, sondern aus Not und Elend.
        Europa als Friedensnobelpreisträger stünde es gut zu Ge-
        sicht, diesen Menschen zu helfen, statt sie mit allen Mit-
        teln abzuwehren.
        Wir erleben seit geraumer Zeit eine zunehmende Mi-
        litarisierung der europäischen Außenpolitik. Das heißt
        Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1369
        (A) (C)
        (D)(B)
        auch: mehr deutsche Soldaten ins Ausland. Ich sage ih-
        nen: Militärische Einsätze lösen keinen Konflikt. Und
        oft werden sie geführt, weil Rohstoffinteressen im Hin-
        tergrund stehen und nicht das Wohl der Menschen. Zual-
        lererst müssen Rüstungsexporte beendet werden, und
        zwar sofort. Denn auch deutsche Waffen finden sich bei
        fast jedem Konflikt in Afrika. Das ist beschämend.
        Unsere Vorschläge sind auch ein Beitrag für die ange-
        kündigte neue Afrika-Strategie. Wir wollen eine friedli-
        che und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen
        Afrika und Europa.
        Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unter
        der mehr als fraglichen Überschrift „In Menschen,
        Wohlstand und Frieden investieren“ will der 4. EU-
        Afrika-Gipfel in Brüssel die Partnerschaft zwischen den
        beiden Kontinenten vertiefen. Im Vorfeld des Gipfels hat
        die EU allerdings schon einmal den afrikanischen Part-
        nerstaaten gezeigt, was sie darunter versteht.
        Ich spreche von den Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
        men, den EPAs. Nicht ohne Grund ziehen sich die Ver-
        handlungen zu diesen umfangreichen Freihandelsab-
        kommen seit Jahren hin. Hier nur ein Beispiel, warum
        viele afrikanische Staaten nicht unterzeichnen wollen:
        Europa will die Rohstoffe billig haben und will diesen
        Staaten nicht erlauben, auf ihre eigenen Rohstoffe Ex-
        portsteuern zu erheben. – Ja, es geht eben um Wohl-
        stand, es fragt sich nur für wen.
        Europa und Deutschland singen seit langem das Man-
        tra der Handelsliberalisierung. Dieses Mantra muss end-
        lich entsorgt werden. Wir brauchen keinen Freihandel,
        sondern eine Freiheit des Handels und des Handelns,
        eine Freiheit, die den Eigentümern der Rohstoffe die
        Entscheidungsfreiheit lässt. Deshalb brauchen wir vor
        allem endlich den fairen Handel.
        Thema Landwirtschaft. Die Afrikanische Union hat
        gerade das Jahr der Landwirtschaft ausgerufen. Hier
        müssen Deutschland und die EU ihrer Verantwortung
        gerecht werden, anstatt im Schulterschluss mit der
        Agrarlobby Weltpolitik zu betreiben. Die Entwicklungs-
        zusammenarbeit muss andere Wege gehen und die Länder
        auf den Weg zu ihrer Ernährungssouveränität begleiten.
        Wir müssen die bäuerliche und ökologisch-nachhaltige
        Landwirtschaft unterstützen und gleichzeitg den Auf-
        und Ausbau von Wertschöpfungsketten und sozialen Si-
        cherungssystemen fördern. Hierzu erwarten wir deutli-
        che deutsche und europäische Bekenntnisse. Minister
        Müller hat im geschützten Raum bereits solche Bekennt-
        nisse abgegeben. Überzeugender wäre es, wenn Herr
        Müller sich für die Unterzeichnung des Weltagrarbe-
        richts 2008 einsetzen würde, was immer noch von der
        Agrarlobby verhindert wird.
        Themenwechsel: Mit dem uns vorliegenden Antrag
        bleibt sich die Linke treu. Da haben Sie viel mit der ka-
        tholischen Kirche gemein. Sie machen nach wie vor ein
        Dogma zum Leitmotiv Ihrer Politik: Militär ist schlecht
        und böse. Leider gibt es zu viele Belege in der Ge-
        schichte und in der Gegenwart, die dieses Dogma stüt-
        zen. Allerdings würde dies auch bedeuten, dass die
        Menschheit nichts dazulernen kann. Es muss heute un-
        sere Aufgabe sein, zu beweisen, dass wir Militäreinsätze
        kontrollieren und zielgerecht einsetzen können, und
        zwar zum Schutz von Menschen und ihrer Rechte.
        Ein Völkermord wie in Kambodscha oder in Ruanda,
        ein Massenmord wie in Srebrenica darf nie wieder zuge-
        lassen werden. Der Dogmatismus der Linken würde aber
        diesem Ziel entgegenstehen.
        Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand ist immer an
        eine nachhaltige Entwicklung geknüpft. Die globalen
        Herausforderungen wie Klimawandel, fragile Staaten,
        Welternährung, Rohstoffverknappung, soziale Ungleich-
        heit, Menschenrechte, Schulden- und Finanzmarktkrisen
        verdeutlichen, dass wir neue Konzepte und Regeln für
        die globale Zusammenarbeit brauchen. Aber genau diese
        vermisse ich beim vorliegenden Antrag, allerdings auch
        bei der deutschen Bundesregierung.
        Gerade der EU-Afrika-Gipfel böte die Möglichkeit
        hier Neues zu beginnen. Zum Beispiel müssen die indi-
        rekten EU-Agrarsubventionen verschwinden; auch sie
        zerstören die Ernährungssouveränität. Oder lassen Sie
        uns verbindliche Offenlegungspflichten für die Unter-
        nehmen verankern. Es liegen viele gute Ansätze auf dem
        Tisch. Der EU-Afrika-Gipfel bietet die Chance einer
        neuen Partnerschaft. Verschenken Sie diese Chance
        nicht.
        17. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        ZP 2 Eidesleistung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft
        ZP 3 Vereinbarte Debatte zur Lage in der Ukraine
        TOP 2 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses
        TOP 3 Mietenentwicklung und Wohnungsmarkt
        TOP 4 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (ISAF)
        TOP 21 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
        TOP 22 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
        TOP 5, ZP 4Wahlen zu Gremien
        ZP 5 Aktuelle Stunde zur Zulassung von Genmais
        TOP 6 Bundeswehreinsatz in Mali (EUTM Mali)
        TOP 7 Patientenberatung
        TOP 8 Einsetzung des Beirats für nachhaltige Entwicklung
        TOP 9 Strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung
        TOP 10 SGB V – Arzneimittel
        TOP 11 Energiewende im Gebäudebereich
        TOP 12 Beitragssätze 2014 in der Rentenversicherung
        TOP 13 EU-Afrika-Gipfel
        TOP 14 Schulobstgesetz
        TOP 15 Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
        Anlagen