(D)
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1355
(A) (C)
(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
(D)
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
van Aken, Jan DIE LINKE 20.02.2014
Alpers, Agnes DIE LINKE 20.02.2014
Barthle, Norbert CDU/CSU 20.02.2014
Bätzing-Lichtenthäler,
Sabine
SPD 20.02.2014
Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.02.2014
Brase, Willi SPD 20.02.2014
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 20.02.2014
Gabriel, Sigmar SPD 20.02.2014
Gutting, Olav CDU/CSU 20.02.2014
Heller, Uda CDU/CSU 20.02.2014
Dr. Lauterbach, Karl SPD 20.02.2014
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.02.2014
Dr. Malecha-Nissen,
Birgit
SPD 20.02.2014
Post (Minden), Achim SPD 20.02.2014
Rüthrich, Susann SPD 20.02.2014
Schlecht, Michael DIE LINKE 20.02.2014
Dr. Schlegel, Dorothee SPD 20.02.2014
Schmidt (Wetzlar),
Dagmar
SPD 20.02.2014
Dr. Steinmeier, Frank-
Walter
SPD 20.02.2014
Stritzl, Thomas CDU/CSU 20.02.2014
Walter-Rosenheimer,
Beate
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.02.2014
Weinberg, Harald DIE LINKE 20.02.2014
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Christian
Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter
Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus,
Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie-
rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In-
ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan (International Security Assis-
tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120
(2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra-
tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
punkt 4)
Wir unterstützen die Pläne, den ISAF-Einsatz bis zum
Jahresende zu beenden und die Kampftruppen der Bun-
deswehr aus Afghanistan abzuziehen. Nach über 12 Jah-
ren eines Einsatzes, der zumindest die Ziele, mit denen
der Einsatz ursprünglich begründet wurde, alle verfehlt
hat, ist dies eine richtige und überfällige Entscheidung.
Auch wenn die Truppen in Afghanistan bis Ende des
Jahres stark mit der Vorbereitung des Abzuges beschäf-
tigt sein werden, ist das Mandat doch kein ausschließli-
ches Abzugsmandat. Die Bundesregierung beantragt auf
Drucksache 18/436 die „Fortsetzung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten
Internationalen Sicherheitsunterstützung in Afghanistan
(International Security Assistance Force, ISAF)“. Der
Auftrag der Streitkräfte beinhaltet neben dem Rückbau
militärischer Infrastruktur und damit einhergehender
Aufgaben die Fortführung des bisherigen Auftrags.
Wir haben den militärischen Einsatz in Afghanistan
im Kern nie für richtig gehalten, auch wenn vor allem in
den ersten Jahren bis 2003 durchaus vereinzelt Verbesse-
rungen für die Situation der afghanischen Bevölkerung
realisiert wurden. Die enge Verbindung des ISAF-Man-
dats mit dem Mandat zur Terrorismusbekämpfung OEF
hat jedoch viele Bemühungen der ISAF-Truppen zum
Aufbau von Infrastruktur und Schutz der Bevölkerung
zunichte gemacht. Der Bevölkerung war es nicht mög-
lich, zwischen Soldaten, die sie bekämpften, und Solda-
ten, die sie beschützten, zu unterscheiden. Heute bleibt
zu konstatieren, dass die Sicherheitslage weiterhin be-
sorgniserregend ist und sich seit 2003 zum Teil enorm
verschlechtert hat. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivi-
len Opfer in den ersten acht Monaten des Jahres 2013
wieder um 16 Prozent angestiegen.
Unsere Fraktion bringt zum Antrag der Bundesregie-
rung einen Entschließungsantrag ein, den wir mittragen.
Wir können nachvollziehen, dass Fraktionskolleginnen
Anlagen
1356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
(A) (C)
(D)(B)
und -kollegen dem jetzt beantragten Mandat, das den
Abzug beinhaltet, zustimmen.
Wir lehnen das Mandat ab, da es für uns in der Konse-
quenz der Mandate seit 2001 steht, mit mehr negativen
als positiven Folgen für die Bevölkerung Afghanistans.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag
der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
Einsatz der Internationalen Sicherheitsunter-
stützungstruppe in Afghanistan (International
Security Assistance Force, ISAF) unter Füh-
rung der NATO auf Grundlage der Resolution
1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt
Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
(Tagesordnungspunkt 4)
Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Ab-
zug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan bis
zum Ende des Jahres 2014 ab. Damit wird nach über
12 Jahren der militärische Einsatz Deutschlands in Af-
ghanistan beendet, den Bundeskanzler Schröder 2001 im
Parlament nur mit der sogenannten Vertrauensfrage
durchsetzen konnte.
Ich stimme dem heute vorliegenden Mandat zu, damit
der in Afghanistan unter deutscher Beteiligung geführte
Krieg und die falsche Afghanistan-Politik der Bundes-
regierung endlich beendet werden. Das ursprünglich mit
dem Ziel Sturz der Taliban und Terrorbekämpfung be-
gonnene Mandat OEF hat vor 12 Jahren eine grundsätz-
lich falsche Strategie in der deutschen Afghanistan-Poli-
tik begründet. Das später hinzugefügte Ziel, mit
militärischen Mitteln in Afghanistan den Aufbau von
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden zu unter-
stützen, war durch die andauernde Verknüpfung mit dem
ursprünglichen Kriegsmandat zum Scheitern verurteilt.
Trotzdem oder gerade deshalb spreche ich mich dafür
aus, nach dem Ende des ISAF-Einsatzes Afghanistan
und die Menschen dort nicht erneut sich selbst zu über-
lassen. Ich habe den deutschen Bundestag 2002, ein
Dreivierteljahr nach Beginn des deutschen Militäreinsat-
zes verlassen. Ich habe den Wunsch und die große Hoff-
nung, dass das Bekenntnis von der Verantwortung, die
Deutschland für diese Region übernommen hat, kein lee-
res war. Das wird sich erst jetzt zeigen; in den kommen-
den Jahren gilt es, den schwierigen wirtschaftlichen und
institutionellen Aufbau in Afghanistan zu begleiten und
den Menschen in Afghanistan tatsächlich langfristige
Unterstützung zu geben. Andernfalls bliebe von den
vollmundigen Bekenntnissen mehrerer deutscher Regie-
rungen und zumindest im Jahre 2001 großer Teile der öf-
fentlichen Meinung zum zivilen demokratischen Aufbau
letztendlich nur ein militärisches und unverantwortliches
Abenteuer übrig.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und
Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zur namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun-
desregierung: Fortsetzung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
der Internationalen Sicherheitsunterstützungs-
truppe in Afghanistan (International Security
Assistance Force, ISAF) unter Führung der
NATO auf Grundlage der Resolution 1386
(2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Re-
solution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages-
ordnungspunkt 4)
Wir haben uns stets für eine geordnete Beendigung
des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr bis spätestens Ende
2014 eingesetzt. Deshalb stimmen wir der letztmaligen
Verlängerung des ISAF-Mandates der Bundeswehr und
damit verbunden einem Abzug der deutschen Kampf-
truppen zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung.
Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz 2010 ha-
ben die an ISAF beteiligten Nationen die Beendigung
des Einsatzes bis Ende 2014 beschlossen. Die Entschei-
dung, den ISAF Militäreinsatz zu beenden und die Si-
cherheitsverantwortung vollständig an die afghanische
Regierung zu übergeben, war und bleibt richtig.
Damit wird dem politischen Prozess endlich Vorrang
gegeben. Denn nur politisches und ziviles Engagement
kann der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nach-
haltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann
zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-,
Bildungs- und auch Gesundheitssystems beitragen. Nur
durch die zivilen Anstrengungen kann sich eine nachhal-
tige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Auf-
baustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht un-
tergeordnet werden.
Die Bundesregierung hat ein ISAF-Mandat vorgelegt,
das den Einsatz deutscher Kampftruppen in Afghanistan
bis spätestens 31. Dezember 2014 beenden wird. Dieses
letzte ISAF-Mandat ist ein klares Abzugsmandat und
von möglichen Folgemandaten entkoppelt. Sollte es kein
Mandat auf einer neuen völkerrechtlichen Grundlage für
ein Engagement ab Januar 2015 geben, endet Ende 2014
das gesamte deutsche militärische Engagement in Af-
ghanistan.
Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet un-
sere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick
auf Afghanistan näher dar.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1357
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja
Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven-
Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Ulle
Schauws (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung zu dem Antrag der Bundesregie-
rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In-
ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan (International Security Assis-
tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120
(2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra-
tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
punkt 4)
Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes-
wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die
Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha-
ben. Sie fordert wie kaum eine andere das Gewissen und
Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem
Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen
Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie
ihren Familienangehörigen gilt unser Dank und unsere
Wertschätzung.
Die jahrelange Dominanz militärischer Zielsetzungen
gegenüber zivilen Lösungsansätzen und eine fehlende ent-
wicklungspolitische Strategie waren die zentralen Fehler
der deutschen Afghanistan-Politik. Auch in diesem Ein-
satzjahr findet das deutsche militärische Engagement in
einem Umfeld gezielter Tötungen durch Kommando-
aktionen und Drohnenangriffe anderer ISAF-Nationen
statt. Diese Strategie der offensiven Aufstandsbekämp-
fung lehnen wir entschieden ab. Sie konterkariert eine
Verhandlungslösung und steht somit einer friedlichen
Lösung des Konfliktes entgegen.
Da der ISAF-Einsatz zur Gewalteskalation in Afgha-
nistan beigetragen hat, haben einige von uns dem
Mandat in der Vergangenheit nicht zugestimmt. Das vor-
liegende Mandat beinhaltet die letzte Verlängerung die-
ses Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Damit
soll zum Ende des Jahres 2014 der Abzug der deutschen
Kampftruppen aus Afghanistan erfolgen. Dies ist ein
richtiger Schritt, den wir seit Jahren fordern. Da der
Einsatz nun in erster Linie die Ausbildung und Beratung
der afghanischen Sicherheitskräfte umfasst, werden wir
das Mandat nicht ablehnen und uns bei der Abstimmung
enthalten. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in
Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten,
sondern gegen die langjährige falsche Afghanistan-Poli-
tik der Bundesregierungen der letzten Jahre.
Auch und gerade nach dem Ende des ISAF-Einsatzes
dürfen wir die Zukunft der Menschen in Afghanistan
nicht aus dem Blick verlieren. Die deutsche Verantwor-
tung reicht über 2014 hinaus, denn der Weg hin zu
Frieden und Sicherheit, politischer Mitbestimmung,
wirtschaftlichem Aufschwung und der Achtung der
Menschrechte muss weiterhin mit zivilen Mitteln und al-
ler Tatkraft begleitet und unterstützt werden.
Strategie der Aufstandsbekämpfung ist gescheitert:
Seit über einem Jahrzehnt beteiligt sich die Bundes-
wehr am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Doch noch im-
mer ist die Sicherheitslage sehr angespannt, unberechen-
bar und besorgniserregend. Laut UNAMA ist die Anzahl
der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2013 erneut um
23 Prozent gestiegen.
Die vergangenen Jahre waren geprägt von gewaltsa-
men Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen
und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite
und den Taliban und anderen Aufständischen auf der an-
deren. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge
der Aufständischen verantwortlich. Aber auch die Strate-
gie der offensiven Aufstandsbekämpfung durch die
ISAF-Truppen hat zu einer zunehmenden Eskalation
beigetragen. Die in den letzten Jahren vor allem von den
USA und anderen ISAF-Nationen durchgeführten
gezielten Tötungen mit unzähligen zivilen Opfern in
Afghanistan und Pakistan tragen nach wie vor maßgeb-
lich zur Eskalation der Gewalt bei. Der Einsatz von
bewaffneten Drohnen fordert zahlreiche zivile Opfer,
zerstört den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung
und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den
Aufständischen. So werden die Bemühungen um eine
Verhandlungslösung, die Stabilisierung der Sicherheits-
lage und der Erfolg des Transitionsprozesses in Afgha-
nistan konterkariert. Die Strategie, mit militärischen
Mitteln den Frieden in Afghanistan erzwingen zu wol-
len, ist gescheitert.
Wir unterstützen, dass der ISAF-Einsatz beendet und
die Kampftruppen der Bundeswehr mit Auslaufen des
vorliegenden Mandates zum Jahresende abgezogen wer-
den. Nachdem zu lange auf eine militärische Lösung des
Konfliktes gesetzt wurde, ist es richtig, der afghanischen
Regierung nun die vollständige Sicherheitsverantwor-
tung zu übergeben. Doch die Herausforderungen, die die
Afghaninnen und Afghanen in den nächsten Jahren zu
bewältigen haben, sind nach wie vor enorm.
Versöhnung und Wiederaufbau verlässlich unterstüt-
zen:
Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan muss
ein breiter Versöhnungsprozess stattfinden und der wirt-
schaftliche und institutionelle Wiederaufbau des Landes
vorangetrieben werden. Menschenrechtsverletzungen,
ungeachtet von welcher Seite, müssen aufgedeckt und
aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass
der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumati-
sierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft gelin-
gen kann. Ein Waffenstillstand reicht nicht aus, um
Frieden zu schaffen. Auch wenn dies im von Krieg und
Gewaltherrschaft geprägten Afghanistan schwierig ist
und schmerzhafte Kompromisse abverlangt, müssen alle
Möglichkeiten genutzt werden, um ein größtmögliches
Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen.
Die Afghanistan-Politik der letzten Jahre hat es ver-
säumt, sich den mit einem echten Versöhnungsprozess
1358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
(A) (C)
(D)(B)
verbundenen Herausforderungen zu stellen. Wiederauf-
bau und Versöhnung gehören hierbei ins Zentrum. Doch
die Unterstützung bei der Entwicklung grundlegender
Staatsstrukturen und einer funktionierenden Verwaltung
wurde vernachlässigt. Dem Engagement insgesamt hat
es an einem Gesamtkonzept und einer sinnvollen
Schwerpunktlegung für die wirtschaftliche Entwicklung
Afghanistans gefehlt. Diese müssen sich an den Bedürf-
nissen der afghanischen Bevölkerung und den Gegeben-
heiten vor Ort orientieren. Der für die afghanische
Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor und die
Modernisierung des afghanischen Bildungssystems müs-
sen dabei im Vordergrund stehen. Ein weiterer wichtiger
Schwerpunkt im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus ist
die Stärkung der Zivilgesellschaft, insbesondere von
Frauen.
Afghanistan nach dem ISAF-Einsatz:
Auf dem langen und steinigen Weg zu einem nachhal-
tigen Frieden in Afghanistan ist eine langfristige und
verlässliche Unterstützung durch die internationale
Gemeinschaft unabdingbar. Der zivile Aufbau Afghani-
stans muss auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes tat-
kräftig unterstützt werden. Da das Land noch viele Jahre
auf erhebliche Hilfe von außen angewiesen sein wird,
müssen die auf der Tokio-Geberkonferenz gemachten
Zusagen eingehalten und die zivile Unterstützung min-
destens auf dem zugesagten Niveau von 430 Millionen
Euro jährlich fortgeführt werden.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli-
chen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung zu dem Antrag der Bundesregierung:
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolution 1386 (2001) und fol-
gender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120
(2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsra-
tes der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
punkt 4)
Dem Antrag der Bundesregierung stimme ich nicht
zu. Ich stimme mit Nein.
Das Mandat ist kein reines Abzugsmandat, sondern
ein Mandat zur Verlängerung des Kampfeinsatzes der
Bundeswehr im Krieg im Norden Afghanistans. Das be-
deutet, dass im deutschen Verantwortungsbereich und
auch mit deutscher Beteiligung weiter – wie in den letz-
ten Jahren – Kriegseinsätze durchgeführt werden. Es
werden insbesondere nächtliche Kommandounterneh-
men stattfinden mit dem Ziel, Menschen gefangen zu
nehmen oder zu töten, oder Drohneneinsätze mit dem
Ziel, Menschen nach einer Todesliste zu töten.
Damit wird der Krieg eskalieren, der Hass in der Be-
völkerung wird weiter geschürt, und es werden Terroran-
griffe provoziert. Eine friedliche Entwicklung in Afgha-
nistan wird damit verhindert, und Verhandlungen über
Waffenstillstand und Frieden werden erschwert. Insbe-
sondere die schleppendenden Verhandlungen der afgha-
nischen Regierung mit einem Teil der Aufständischen,
die einzige realistische Chance, einen Übergang zu we-
niger Krieg und Gewalt zu erreichen, werden damit kon-
terkariert.
Der Krieg in Afghanistan kann von der NATO nicht
gewonnen werden. Er ist verloren. Die Sicherheitslage
hat sich im letzten Jahr für die Bevölkerung verschlech-
tert. Die Anzahl der Opfer an Menschenleben und die
Anzahl der Verletzten, vor allem auch bei den afghani-
schen Sicherheitskräften, ist im Jahr 2013 dramatisch
zweistellig angestiegen. Auch in der Hauptstadt Kabul
haben Anschläge von Aufständischen mit vielen Opfern
zugenommen. Ausufernde Korruption bis in die höchs-
ten Regierungskreise und die Zunahme des Anbaus und
Handels mit Mohn und Opium prägen die Lage. Eine
funktionierende staatliche Verwaltung gibt es in weiten
Teilen des Landes nicht. Gerichte und Gerechtigkeit gibt
es in der Regel nur für Reiche, die die Justiz bezahlen
können. Die Sicherheit von Frauen vor Gewalt ist nicht
gewährleistet.
Konsequente faire Verhandlungen mit allen, die dazu
bereit sind, bieten eine Chance für die Vermeidung eines
Bürgerkrieges nach Abzug der NATO-Truppen. Die
Fortsetzung des Krieges bis zum Abzug bringt viele wei-
tere Opfer an Menschen und weitere Zerstörungen.
Die Alternative wäre ein Abzugsmandat mit einem
Waffenstillstandsangebot und Verhandlungen sowie
Waffengebrauch nur zur Notwehr und Nothilfe, wie das
ISAF-Mandat ursprünglich 2001 mal konzipiert war.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Peter Meiwald, Corinna
Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung
der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der EU-geführten Ausbildungsmis-
sion EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens
der malischen Regierung sowie der Beschlüsse
2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates
der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar
2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung
mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012)
und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Ver-
einten Nationen (Tagesordnungspunkt 6 a)
Den Antrag der Bundesregierung, weiterhin Bundes-
wehrsoldaten zur Ausbildung und Beratung der dortigen
Armee nach Mali zu entsenden, lehnen wir ab und stim-
men mit Nein.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1359
(A) (C)
(D)(B)
Mali braucht einen staatlichen Neubeginn unter mög-
lichst stabilen Rahmenbedingungen. Dies steht außer
Frage, und wir stimmen mit der Bundesregierung völlig
überein, dass unser Land hier aufgefordert ist, substan-
ziell Verantwortung für eine Verbesserung der Lebensbe-
dingungen der Menschen Malis zu übernehmen.
Festzustellen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass
sich im Nachgang der bisherigen militärischen Interven-
tion afrikanischer und europäischer Truppen zwar die di-
rekte militärische Gefährdung des malischen Staates
nicht mehr so darstellt wie vor zwei Jahren. Allerdings
ist ebenso zu konstatieren, dass das aktuelle Mandat der
Bundeswehr trotz aller Bemühungen auch nicht dazu ge-
führt hat, die drängende Herausforderung des staatlichen
Wiederaufbaus Malis entscheidend voranzubringen.
Im Gegenteil. Da ein echtes Gesamtkonzept zur
Rückgewinnung staatlicher Souveränität einer legitimen
Regierung für ganz Mali, welches vom malischen Volk,
seiner gewählten Regierung – unterstützt durch die inter-
nationale Gemeinschaft – getragen wird, weiterhin ekla-
tant fehlt, besteht aus unserer Sicht das große Risiko,
dass sich die mit deutscher Militärhilfe gestärkte mali-
sche Armee nicht unbedingt als stabilisierendes Element
im Entwicklungsprozess positionieren muss, sondern als
eigenständiger Akteur in auch zukünftig noch drohenden
Machtkämpfen agieren könnte.
Diese Befürchtung besteht auch deshalb, weil die Ar-
mee Malis schon einmal bis 2012 von deutschen Solda-
ten monatelang ausgebildet worden war, dann aber ge-
gen die damals legitime Regierung geputscht hatte.
Danach kam es zu blutigen Auseinandersetzungen inner-
halb dieser Armee. Die damalige Bundesregierung hatte
deshalb die Militärhilfe eingestellt. Wenn auch der Put-
schistenführer inzwischen in Haft ist, zeigt die damalige
Entwicklung, dass deutsche Militärausbildung keines-
wegs zur Demokratisierung, Disziplinierung oder Loya-
lität der Soldaten gegenüber der legitimen Regierung
und Stabilität des Landes führt. Die vom deutschen Mili-
tär ausgebildete Armee soll sogar an schweren Men-
schenrechtsverletzungen während ihres Einsatzes im
Norden Malis gegen die dort ansässige Zivilbevölkerung
beteiligt gewesen sein.
Im Sinne eines echten Capacity-Building-Ansatzes
für den fragilen Staat Mali stehen wesentliche andere
Aufgaben auf der Agenda als die militärische Ausbil-
dung einzelner Einheiten. Beispielhaft seien genannt:
Moderation und Unterstützung des Versöhnungsprozes-
ses, wirtschaftliche Aufbauhilfe, die Stärkung der poli-
zeilichen Kräfte im Land, Korruptionsbekämpfung, Bil-
dung und Ausbildung. Hierzu sind aus unserer Sicht die
Instrumente der staatlichen und nichtstaatlichen Ent-
wicklungszusammenarbeit, der politischen Stiftungen
und der polizeilichen Ausbildung sowie die Stärkung re-
gionaler, afrikanischer Initiativen deutlich besser geeig-
net als der im EUTM-Mandat geplante Bundeswehrein-
satz.
Daneben sehen wir ein weiteres ernstes Problem mit
dem vorgelegten Mandat. Auf die weiterhin sehr insta-
bile Lage in der Nordregion um die Stadt Kidal herum
gibt das EUTM-Mandat keine Antwort. Eine echte Frie-
dens- und Versöhnungsinitiative für Mali, die letztlich
die Grundlage für einen staatlichen Wiederaufbau dar-
stellt, wird auch für diese Region Antworten geben müs-
sen, damit sie nicht von vornherein die Probleme ledig-
lich verschiebt oder verlagert. Eine Rechtfertigung über
die Responsability to Protect, RTP, ist vor diesem Hin-
tergrund für das vorgelegte Mandat nicht gegeben.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Frank Tempel (DIE LINKE)
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammel-
übersicht 13 zu Petitionen Drucksache 18/513
(Tagesordnungspunkt 22 i)
Petition 2-17-15-2127-015279 und andere:
Der Petitionsausschuss hat in seiner Mehrheit aus
Union und SPD beschlossen, die Petition zur Entkrimi-
nalisierung von Cannabiskonsumenten vom 21. Oktober
2010 abzuschließen.
Ich möchte nachfolgend begründen, warum ich dieser
Empfehlung nicht folgen werde.
Cannabiskonsum ist entgegen der realistischen und
unstrittigen Gefahreneinschätzung in Deutschland krimi-
nalisiert. Immer wieder erreichen mich Berichte von
Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund ihres freizeitli-
chen Cannabiskonsums strafrechtlich verfolgt werden.
Ebenso erreichen mich regelmäßig Meldungen von Kon-
sumentinnen und Konsumenten, welche aus medizini-
schen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, und oftmals
besitzen sie keinerlei Ausnahmegenehmigung vom Bun-
desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM.
Eine erst kürzlich von mir gestellte Schriftliche Frage an
die Bundesregierung (vergleiche Drucksache 18/298) er-
gab in diesem Zusammenhang, dass das BfArM kaum
Ausnahmegenehmigungen erteilt, obwohl die Anträge
auf medizinische Verwendung von Cannabis stark ange-
stiegen sind. Dabei sind die monatlichen Therapiekosten
bei vorhandener Ausnahmegenehmigung für Cannabis-
patienten sehr hoch und liegen bei bis zu 1 500 Euro im
Monat (vergleiche Drucksache 17/3810). Diese werden
von den Krankenkassen nicht übernommen.
Die Linksfraktion hat vor zwei Jahren ein Fachge-
spräch zum Antrag „Legalisierung von Cannabis durch
Einführung von Cannabis-Clubs“ (Drucksache 17/7196)
durchgeführt. Dabei bestätigten die geladenen Experten,
dass die Repression keinen Einfluss auf das Konsumver-
halten besitzt. Der Deutsche Hanfverband sprach von
circa 100 000 Strafverfahren im Jahr. Ich selbst habe als
Polizeibeamter Cannabiskonsumierende strafrechtlich
verfolgen müssen. Dabei wurden nachweislich Berufs-
karrieren zerstört, auch wenn die eigentliche Strafverfol-
gung wegen der sogenannten Regelung zur geringen
Menge eingestellt wurde. Die Vertreter der Deutschen
Gesellschaft für Suchtmedizin betonten im Fachge-
spräch, dass der moderate Konsum von Cannabis nicht
schädlich ist. Die Annahme, dass Cannabis eine Ein-
stiegsdroge sei, wurde bereits 1998 durch eine Studie,
1360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
(A) (C)
(D)(B)
die vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer in
Auftrag gegeben wurde, widerlegt. Zahlreiche weitere
Studien kamen zu eben jenem Ergebnis. Ausschlagend
für Drogenkonsum seien vielmehr Faktoren wie Wohn-
regionen, Preis der Substanz, gesundheitliche Aspekte,
Lebensplanung und Einfluss der Freunde, so Nicole
Krumdiek von der Universität Bremen auf dem damali-
gen Fachgespräch.
Vier Jahre hat die Bearbeitung der Petition im Peti-
tionsausschuss gedauert. Dabei wurden 32 000 Unter-
schriften für die Petition gesammelt und zwischenzeit-
lich 20 Mehrfachpetitionen in diesem Zusammenhang
eingereicht. Ebenso existiert mittlerweile eine Resolu-
tion von 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren
an die Abgeordneten im Deutschen Bundestag, in wel-
cher sie die Einrichtung einer Enquete-Kommission des
Bundestages zum Thema „Erwünschte und unbeabsich-
tigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts“ fordern.
Sie bezeichnen in dieser Resolution den Zweck der Pro-
hibition als „systematisch verfehlt“, bezeichnen die Pro-
hibition als schädlich für die Gesellschaft, die Konsu-
mierenden sowie unverhältnismäßig kostspielig.
Es ist also ziemlich offensichtlich, dass ein dringen-
der Handlungsbedarf in der bisherigen Drogenpolitik
und im aktuellen diesbezüglichen Strafrecht besteht. Die
anhaltende Kriminalisierung von Cannabiskonsumieren-
den muss endlich beendet werden. Länder wie Uruguay,
Portugal, Niederlande, Belgien, verschiedene Bundes-
staaten der USA und andere Länder zeigen, dass ein an-
derer Weg möglich ist. Verhindern Sie nicht die notwen-
dige Debatte, sondern stellen Sie sich endlich dieser, und
sorgen Sie für eine Regulierung des Cannabiskonsums in
Deutschland unter Verwendung des bestehenden Jugend-
und Verbraucherschutzes. Ihre eigentlichen Kritiker wer-
den dann nur noch die illegalen Verkaufsstrukturen sein,
die seit Jahrzehnten durch die Illegalität gut verdienen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Festsetzung der
Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung für das Jahr 2014 (Beitragssatzge-
setz 2014)
– Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung
der Beitragssätze in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014)
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Matthäus Strebl (CDU/CSU): Wir reden in ab-
schließender Debatte über das „Gesetz zur Festsetzung
der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung für das Jahr 2014 (Beitragssatzgesetz)“. Hinter dem
Beitragssatzgesetz verbirgt sich ein ausgesprochen wich-
tiger und zentraler Baustein für die Zukunft unseres Ren-
tensystems. Dabei zeigt die Große Koalition bereits zu
Beginn der Legislaturperiode, dass sie für eine Politik
der Solidarität, der Generationengerechtigkeit und der
Nachhaltigkeit steht.
Wir stärken das solidarische Rentensystem, indem
wir für eine nachhaltig gute Finanzlage sorgen. Die
Nachhaltigkeit der Deutschen Rentenversicherung ist
mit gesetzlicher Rentenversicherung, privater Vorsorge
und betrieblicher Altersvorsorge nach einem internatio-
nalen Vergleich der OECD eines der besten. Wir wollen
dafür sorgen, dass dies auch so bleibt, damit sich die
Menschen in Deutschland auf die Stabilität unseres Ren-
tenversicherungssystems verlassen können.
Wir gewährleisten eine größere Planungssicherheit
für Beitragszahler, Arbeitgeber und für Rentner. Damit
vermeiden wir ein jährliches und von den Bürgern nicht
mehr nachvollziehbares Auf und Ab der Beiträge.
Wir treffen gleichzeitig Vorsorge, damit die Beiträge
bei einem Abflachen der Konjunktur und einem Rück-
gang der Beitragszahler nicht automatisch erhöht werden
müssen. Wir sorgen dafür, dass das Grundsystem für die
beitragsfinanzierten Rentensysteme stabil und berechen-
bar bleibt, und leisten damit einen Beitrag zur Generatio-
nengerechtigkeit.
Wir schaffen gleichzeitig auch die Grundlage dafür,
dass notwendige Leistungserweiterungen, die im Inte-
resse unserer solidarischen Gesellschaft liegen, auf den
Weg gebracht werden können: Dazu nenne ich die Müt-
terrente, für die wir uns besonders stark gemacht haben.
Hier verbessern wir für viele Mütter und auch Väter ihre
Rentenanwartschaften bzw. sorgen dafür, dass sie höhere
aktive Renten erhalten. Damit schließt die Große Koali-
tion eine Gerechtigkeitslücke und honoriert die gesamt-
gesellschaftliche Erziehungsleistung von Müttern und
Vätern.
Wir schaffen klare und nachvollziehbare Regelungen,
damit Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet und in die
Rentenkassen einbezahlt haben, bereits ab dem 63. Le-
bensjahr in Rente gehen können. Wir erkennen die Le-
bens- und Beitragsleistung dieser Menschen ausdrück-
lich an und honorieren sie. Es ist richtig, solidarisch und
gerecht, dass Menschen nach einem langen und harten
Berufsleben die Möglichkeit haben, mit 45 Beitragsjah-
ren in Rente zu gehen. Gleichzeitig hat die Große Koali-
tion hier einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Ge-
fahr der Altersarmut zu vermindern.
Ich bin auch davon überzeugt, dass es eine richtige
Entscheidung ist, die Beiträge zur Rentenversicherung
stabil auf 18,9 Prozent zu halten. Die letzten Beitrags-
senkungen waren 2012 von 19,9 Prozent auf 19,6 und
2013 dann von 19,6 auf 18,9 Prozent. Die Große Koali-
tion hat den Verlockungen einer kurzfristigen Senkung
widerstanden, denn dieser Senkung hätte nach kurzer
Zeit eine deutlichere Erhöhung folgen müssen. Die Ko-
alition hat auch den Versuchungen widerstanden, die
Rentenbeiträge jährlich um 0,2 Prozent zu steigern, wie
dies vonseiten des DGB gefordert wurde.
In guten und vertrauensvollen Gesprächen mit den
Kolleginnen und Kollegen der SPD wurde hier ein ver-
nünftiger Weg gefunden, um die demografischen He-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1361
(A) (C)
(D)(B)
rausforderungen anzunehmen und für die nächsten Jahre
Planungssicherheit zu haben.
Abschließend glaube ich sagen zu können, dass die
Große Koalition auch in Sachen Altersvorsorge für Sta-
bilität und Verlässlichkeit steht.
Wir stellen heute mit diesem Gesetz unter Beweis,
dass dies nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis ist, son-
dern auch ein Markenzeichen für eine zukunftsorien-
tierte Renten- und Sozialpolitik für unser Land.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verläss-
lichkeit ist in der gesetzlichen Rentenversicherung ein
zentraler Faktor. Denn ohne Verlässlichkeit gibt es kein
Vertrauen, und ohne Vertrauen kann ein generationen-
übergreifendes System wie die gesetzliche Rentenversi-
cherung keinen Bestand haben.
Wenn von Verlässlichkeit die Rede ist, meinen die
heutigen und die künftigen Rentnerinnen und Rentner an
erster Stelle, dass sie sich darauf verlassen können, dass
die wohlverdiente Rente pünktlich auf ihrem Konto ein-
geht. Bei vollen Rentenkassen, bei einer Rücklage von
32 Milliarden Euro, wie wir sie heute haben, scheint das
wie eine Phantomdebatte. Aber die Realität hat gezeigt,
dass politisches Versagen die Rente in die Zahlungsunfä-
higkeit manövrieren kann, wie dies im Herbst 2005 der
Fall war. Damals musste der Staat in Vorkasse treten, da-
mit die Rentnerinnen und Rentner nicht mit leeren Hän-
den dastanden – und so etwas wollen wir auch für die
Zukunft unbedingt vermeiden.
Damals hatten auch Sie politische Verantwortung,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, und
nicht wir. Heute haben wir, ungeachtet mehrerer Bei-
tragssatzsenkungen, über Überschüsse in der Rentenver-
sicherung politisch zu entscheiden. Angesichts dessen
wundern mich manche Anwürfe ausgerechnet aus der
grünen Ecke, wir würden die Rentenversicherung desta-
bilisieren. Das betrifft allerdings auch den für die dama-
lige Misere Hauptverantwortlichen, der zuletzt auch
meinte, Ratschläge erteilen zu müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als
2001 unter Ihrer politischen Verantwortung erhebliche
Einschnitte beim Erwerbsminderungsschutz vorgenom-
men wurden, die die Rentenkassen um Milliardenbe-
träge entlastet haben, hat keiner von Ihnen dieses ange-
prangert. Kompensiert wurden diese Entlastungen durch
geringere Ansprüche der Versicherten und steigende
Grundsicherungsverpflichtungen der öffentlichen Hand.
Jetzt fährt der Zug mal in die andere Richtung, was
die Mütterrente betrifft, und das nur für eine sehr be-
grenzte Zeit. Und das Lamento ist riesengroß.
Neben der Mütterrente wollen wir auch den Schutz in
der Erwerbsminderungsrente verbessern, der unter den
eben dargestellten Umständen stark eingeschränkt
wurde. Wir wollen dies, ohne Fehlanreize zu setzen.
Durch die angestrebten Änderungen insbesondere bei
den Zurechnungszeiten werden die seinerzeitigen Ein-
schnitte zielgerichtet abgemildert. Betroffene erhalten
rund 40 Euro im Monat zusätzlich. Die meisten können
das Geld sehr gut gebrauchen.
Die ebenfalls geplanten verbesserten Leistungen in
der Rehabilitation werden die Rentenversicherung sogar
mittel- und langfristig entlasten. Denn die konsequente
Umsetzung des Grundsatzes „Reha vor Rente“ hat nicht
nur eine humanitäre Komponente, weil sie die Wieder-
herstellung der Gesundheit einer Arbeitnehmerin oder
eines Arbeitnehmers vor eine in der Praxis recht beschei-
dene Alimentation stellt. Zugleich entlastet sie spürbar
die Rentenversicherung.
Man kann sinnvolle Projekte wie mehr Gerechtigkeit
bei der Mütterrente angehen, man kann sich aber auch
von gestaltender Sozialpolitik, auch in der Rentenversi-
cherung, verabschieden, das alles mit Hinweis auf große
Zukunftsaufgaben lassen und sich ganz auf die Höhe der
Beitragssätze fixieren, wie Sie das tun.
Diesen Ansatz kannten wir bisher eher aus einer ande-
ren Richtung. Er ist eindimensional und greift damit zu
kurz. Tatsächlich geht es um einen Dreiklang der Ziele,
die wir – zugegebenermaßen manchmal mit Mühe – unter
einen Hut bringen müssen. Wir haben die solide Finan-
zierung der Rentenversicherung im Blick – wir haben
die Generationengerechtigkeit im Blick –, aber – das un-
terscheidet uns – wir haben auch Gerechtigkeit im
„Jetzt“ im Blick und die Sicherungsfunktion der gesetz-
lichen Rentenversicherung. Wir alle wissen um die Be-
deutung der zweiten und dritten Säule. Basis ist aber
eine funktionsfähige erste Säule, und wenn diese nicht
trägt, funktioniert das ganze System nicht mehr.
Nun sind wir wenigstens in der Frage der Versteti-
gung des Beitragssatzes, um die es heute eigentlich geht,
nicht so weit auseinander, und dabei haben wir auch Rü-
ckendeckung von Sachverständigen. Wenn wir jetzt den
Beitragssatz senken würden, würde die Nachhaltigkeits-
rücklage von 0,2 Monatsausgaben in absehbarer Zeit un-
terschritten werden, und die Beiträge müssten sehr
schnell wieder steigen. Mit unserem Gesetz können wir
davon ausgehen, dass die Beiträge in den kommenden
vier oder sogar mehr Jahren stabil bleiben. Stabilität bei
den Sozialversicherungsbeiträgen bedeutet Sicherheit
für die Kalkulation unserer Betriebe und bedeutet auch
Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Es ist nicht inhaltlicher Gegenstand dieses Beitrags-
satzgesetzes, sollte aber weiter diskutiert werden, wie
wir auch mit Veränderungen bei den Interventions-
schwellen der Nachhaltigkeitsrücklage zu einer Versteti-
gung und Stabilisierung des Beitragssatzes beitragen
können. Insbesondere ist eine Untergrenze für die Nach-
haltigkeitsrücklage von 0,2 Monatsausgaben der Renten-
versicherung sehr knapp genäht. Diese rührt aus der be-
reits angesprochenen Zeit, als die Rentenversicherung
aus dem letzten Loch pfiff.
Für dieses Projekt brauchen wir allerdings kein
Hauruckverfahren, denn aufgrund unserer erfolgrei-
chen Politik – in Verbindung mit den Auswirkungen
des vorliegenden Gesetzes – werden wir in den kom-
menden Jahren nicht einmal in die Nähe dieser Marge
gelangen.
1362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
(A) (C)
(D)(B)
Ich freue mich, dass sich nach anfänglichem Zögern
alle Fraktionen des Deutschen Bundestages für einen
stabilen Beitragssatz von 18,5 Prozent in der gesetzli-
chen Rentenversicherung aussprechen. Auch die Grü-
nen, die in der ersten Lesung anders argumentierten,
sprechen sich jetzt in einem Entschließungsantrag für
den Beitragssatz von 18,5 Prozent aus.
Sichere und stabile Rentenfinanzen – das ist unser
Ziel. Das Beitragsgesetz, das wir heute verabschieden,
dient diesem Ziel. Verlässlichkeit – das ist das Marken-
zeichen einer guten Politik.
Markus Paschke (SPD): Jeder, der sich schon mal
intensiver mit unserer Rente beschäftigt hat, stellt zwei
Dinge fest: Erstens. Mittel- bis langfristig wird der Bei-
tragssatz steigen. Allein die demografische Entwicklung
und die Gebundenheit an das Erwerbseinkommen lassen
keinen anderen Schluss zu. Zweitens. Wir haben in unse-
rem heutigen System einige Gerechtigkeitslücken, die es
zu schließen gilt. Um den zweiten Punkt kümmern wir
uns mit dem Rentenpaket, das demnächst auch hier bera-
ten wird.
Heute geht es um die Beiträge. Die bisherigen Reden
zeigen: Hier im Haus herrscht in den wesentlichen Punk-
ten Einigkeit, denn wir sind uns einig bei dem Ziel, den
Beitragssatz der Rentenversicherung zu stabilisieren und
Planungssicherheit zu schaffen. Laut einer Forsa-Um-
frage, die der DGB in Auftrag gegeben hat, wird dies
von 84 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Dass wir
auf dem richtigen Weg sind, zeigte auch die Expertenan-
hörung am Montag zu dem Gesetzentwurf. Unser Vorha-
ben fand große Zustimmung bei fast allen Experten.
Einigkeit im Parlament, Zustimmung in der Bevölke-
rung und Zustimmung der Experten – wir machen da of-
fensichtlich wirklich etwas richtig. Zudem liegen wir mit
dem aktuellen Beitragssatz immer noch unter dem, was
2011 von vielen erwartet wurde.
Um es klar zu sagen: Eine Beitragssenkung wäre
nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Die Ex-
pertenanhörung hat dies deutlich gemacht. Bei einer Bei-
tragssenkung hätte ein durchschnittlich verdienender Ar-
beitnehmer knappe 9 Euro mehr in der Tasche gehabt.
Doch um welchen Preis? Wie sähe die Alternative aus?
Das Institut für Makroökonomie und Konsumfor-
schung hat in der Anhörung zutreffend formuliert: Jetzt
eine Senkung, später eine deutliche Erhöhung – das
macht man normalerweise nicht. Planbarkeit und Ver-
lässlichkeit sind nach Aussage der Experten wesentlich
wichtiger als die kurzfristige Senkung um ein paar Euro.
Wir schaffen jetzt Planungssicherheit für Beschäftigte
und Unternehmen. Und es ist richtig, dass wir die Beibe-
haltung des Beitragssatzes per Gesetz regeln und nicht
per Verordnung. Damit verschaffen wir dem Vorhaben
eine größere Offenheit und Legitimation.
Mir ist es wichtig, dass wir transparent handeln und
die Menschen in unserem Land mitnehmen; denn für sie
tun wir das hier alles. Nebenbei gesagt: Ich finde es gut,
dass sich auch die Linken unserem Gesetzentwurf im
Ausschuss angeschlossen haben. Eine Kontrolle der Re-
gierung und eigene Anregungen sind wichtig; aber sinn-
volle Maßnahmen kann man auch aus der Opposition he-
raus unterstützen. In den Gemeinden funktioniert das
gut. Warum soll das nicht auch im Bundestag klappen?
Ich fasse also zusammen: Alle Fraktionen halten das
wesentliche Ziel des Gesetzes für richtig. Umfragen in
der Bevölkerung belegen die Akzeptanz, und wir haben
die breite Zustimmung der Experten. Besser kann parla-
mentarische Arbeit doch gar nicht laufen.
Dr. Martin Rosemann (SPD): Die SPD-Bundestags-
fraktion hat bereits die in der vergangenen Legislatur-
periode vorgenommenen Beitragssenkungen abgelehnt.
Folgerichtig sorgen wir jetzt in der Regierungsverant-
wortung der Großen Koalition mit dem Beschluss des
vorliegenden Gesetzentwurfs für eine Stabilisierung des
Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung auf
18,9 Prozent im Jahr 2014.
Die Gründe hierfür waren und sind dieselben: Zu-
nächst wäre es unverantwortlich, den Beitragssatz heute
auf 18,3 Prozent zu senken, um ihn dann zu einem späte-
ren Zeitpunkt umso deutlicher zu erhöhen. Dies wäre
falsch für die mittelfristige Planungssicherheit der Un-
ternehmen wie der Beschäftigten und damit auch kon-
junkturpolitisch ein falsches Signal.
Die SPD-Bundestagsfraktion verbindet mit der Stabi-
lisierung des Beitragssatzes auch Leistungsverbesserun-
gen in der gesetzlichen Rentenversicherung, die im ers-
ten Rentenpaket von Bundesministerin Andrea Nahles
enthalten sind: erstens die Anerkennung von Zeiten
kurzfristiger Arbeitslosigkeit bei der Wartezeit für den
vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzugang, zweitens das
Vorziehen des vorzeitigen abschlagsfreien Rentenzu-
gangs für langjährig Versicherte, drittens die demogra-
fiefeste Ausgestaltung des Rehabudgets – immer nach
dem Motto „Reha vor Rente“ und viertens die von uns
allen hier im Hause ja gemeinsam geforderten Verbesse-
rungen bei der Erwerbsminderungsrente.
Damit ist auch unsere Haltung zum Entschließungs-
antrag von Bündnis 90/Die Grünen klar: Sie lehnen we-
sentliche Teile dieser Leistungsverbesserungen ab. Des-
halb lehnen wir ihren Entschließungsantrag ab.
Am Montag dieser Woche hat der Ausschuss für Ar-
beit und Soziales eine öffentliche Anhörung zum Gesetz
zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen
Rentenversicherung für das Jahr 2014 durchgeführt. Ich
bin ja neu in diesem Parlament, aber ich habe mir von
meinen Kolleginnen und Kollegen sagen lassen, dass
noch selten ein Gesetzentwurf von der Breite der Sach-
verständigen so eine positive Beurteilung erfahren hat.
Das gilt für die Sache selbst, die Beitragssatzstabilität.
Es gilt aber auch für den gewählten Weg eines Gesetz-
gebungsverfahrens anstatt der Verordnungen.
Ebenso hat die Anhörung erbracht, dass keiner der
Sachverständigen eine Abschaffung der Obergrenze für
die Schwankungsreserve empfohlen hat. Hier sehen wir
zumindest weiteren Diskussionsbedarf und werden da-
her den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ablehnen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1363
(A) (C)
(D)(B)
Wir haben es in einer Großen Koalition natürlich auch
mit großen Kompromissen zu tun. Das gilt unzweifelhaft
auch für die Rentenpolitik.
Als SPD-Bundestagsfraktion waren und sind wir der
Auffassung, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie
die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten kon-
sequent und vollständig durch Steuermittel finanziert
werden müssen. Mit Blick auf den dabei gefundenen
Kompromiss mit unserem Koalitionspartner ist unser
Bauchweh daher schon recht groß – und es ist durch die
Anhörung am Montag mit Sicherheit nicht kleiner ge-
worden.
Lassen Sie mich aber eines deutlich sagen: Der Vor-
wurf, die Große Koalition würde die zusätzliche Berück-
sichtigung von Erziehungszeiten für vor 1992 geborene
Kinder ausschließlich über Beiträge finanzieren, ist
falsch. Erstens befinden sich in der Rücklage der Ren-
tenversicherung auch Steuermittel. Zweitens verhindert
die Beitragssatzstabilisierung auch die Reduzierung der
Bundeszuschüsse. Allein für das Jahr 2014 geht es dabei
um rund 1,2 Milliarden Euro. Und zum Dritten sieht das
Rentenpaket von Andrea Nahles ab dem Jahr 2019 vor,
dass sich der Bund mit zusätzlichen Mitteln beteiligt, die
bis zum Jahr 2022 auf rund 2 Milliarden Euro jährlich
anwachsen.
Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich zusammen-
fassend festhalten: Insgesamt haben wir mit dem heute
hier debattierten Gesetzentwurf zur Beitragssatzstabilität
und dem ersten von der Bundesregierung vorgelegten
Rentenpaket ein gutes Konzept auf den Weg gebracht:
Wir sorgen für Beitragssatzstabilität und damit für Pla-
nungssicherheit. Wir sorgen für notwendige und von der
Bevölkerung gewollte Leistungsverbesserungen. Wir
bauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab. Und wir sor-
gen damit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzliche
Rente.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Auch die
Linke ist ausnahmsweise mal mit der Bundesregierung
einer Meinung: Der Beitrag zur Rentenversicherung darf
nicht auf 18,3 Prozent gesenkt werden. Ihn bei 18,9 Pro-
zent zu belassen, ist vernünftig und zumutbar! Es ist zu-
mutbar, weil wir derzeit den niedrigsten Rentenversiche-
rungsbeitrag seit 18 Jahren haben! Und es ist vernünftig,
weil wir im Kampf gegen die Altersarmut jeden Cent in
der Rentenkasse brauchen!
Denn nicht nur der Blick auf den Lohnzettel zählt,
sondern auch der Blick auf die jährliche Renteninforma-
tion. Und der ist für viele leider kein Augenschmaus!
Der Grund: Union, SPD und Grüne haben in den vergan-
genen 13 Jahren die Renten real drastisch gekürzt: Der
„Riesterfaktor“ und der „Nachhaltigkeitsfaktor“ senken
seit der Jahrtausendwende das Rentenniveau deutlich.
Damit wurde die Rentenanpassung von der Lohnent-
wicklung abgekoppelt.
Das heißt auf Deutsch: Zwischen 2001 und 2030 ver-
lieren die Renten ein Fünftel ihres Wertes. Eine Rente
von ehedem 1 000 Euro wird dann nur noch einen Wert
von 800 Euro haben, in heutigen Zahlen natürlich. Das
bedeutet, dass viele Junge von heute morgen die armen
Alten sein werden, und das wird die Linke niemals
akzeptieren! Die Bundesregierung behauptet, bei stei-
genden Löhnen sei das sinkende Rentenniveau kein
Problem. – Die steigen aber nicht, die sinken sogar
leicht! Gerade heute hat das Statistische Bundesamt die
aktuellen Zahlen vorgelegt: Die Reallöhne sind vergan-
genes Jahr um 0,2 Prozent gesunken! Das heißt: Die
Preise fressen die Löhne auf, und der Riesterfaktor frisst
die Renten auf!
Deshalb, meine Damen und Herren von der Koalition:
Führen Sie endlich den flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn ein. Sofort! Denn wir haben keine Zeit
mehr, auf ihn bis 2015 oder noch später zu warten!
Und wir müssen dringend zurück zum Rentenniveau
des Jahres 2001. Das waren 53 Prozent Sicherungs-
niveau vor Steuern. Nur so können wir den Lebens-
standard im Alter sichern. Mit Riester wird das nix. Ein
lebensstandardsicherndes Rentenniveau kommt den Al-
ten und den Jungen zugute. Um das zu finanzieren, ist
ein stabiler Beitragssatz ein kleiner erster und richtiger
Schritt.
Aber: Die Bundesregierung ist eigentlich verpflichtet,
den Beitrag zu senken, wenn sich die Rentenkasse auf
mehr als 1,5 Monatsausgaben füllt. Das ist unsinnig;
denn wir brauchen jeden Cent in der Rentenkasse!
Deshalb hat die Linke schon im November 2013
– also weit vor der Bundesregierung – ein Gesetz einge-
bracht, das weitergehend ist. Wir wollen die Höchst-
grenze bei der Nachhaltigkeitsrücklage streichen!
Selbst Herr Gunkel von der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände hat am Montag in der
Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ge-
sagt: „Es ist widersprüchlich, dass die Bundesregierung
den Gesetzentwurf der Linken nicht unterstützt, dass die
Nachhaltigkeitsrücklage mehr als 1,5 Monatsausgaben
betragen muss, aber die Beitragssatzfestlegung auf
18,9 Prozent macht.“ Recht hat er.
Und es gibt noch einen Grund, unserem Gesetzent-
wurf zuzustimmen: Die SPD hatte schon im September
2012 in ihrem Gesetzentwurf für ein sogenanntes „De-
mografiefondsgesetz“ die Streichung der Höchstnach-
haltigkeitsrücklage gefordert. Exakt die Forderung aus
unserem Antrag. Schon vergessen? Schade!
Ich komme zum zweiten Aber: Die zusätzlichen
Beiträge werden jetzt sofort und völlig systemwidrig von
Ihnen für die Ausweitung der sogenannten Mütterrente
verpulvert.
Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen:
Wir Linken sind für die bessere Anerkennung der
Kindererziehungszeiten. Aber Kindererziehung ist und
bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das weiß
jedes Kind.
Deshalb muss die Mütterrente komplett aus Steuer-
mitteln finanziert werden. Das haben auch alle Sachver-
ständigen und alle Verbände in der Ausschussanhörung
am vergangenen Montag einhellig betont! Und Linke
1364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014
(A) (C)
(D)(B)
und Grüne sind sich hier ebenfalls völlig einig. Die Me-
dien auch.
Dafür müssen alle zahlen und nicht nur die Beitrags-
zahlenden, weil auch die Mütter von Beamtinnen und
Beamten, Rechtsanwälten, Politikern und Ärztinnen und
Ärzten die Mütterrente erhalten!
Und die Große Koalition? Will die „Mütterrente“ sys-
temwidrig aus Beiträgen finanzieren. Die murmelt von
rechts weiter: Keine Steuererhöhung!
Oder sitzt links bedröppelt da. Zulasten der nächsten
Generationen!
Denn: Würden wir die „Mütterrente“ aus Steuern
finanzieren, hätten wir sechseinhalb Milliarden Euro
jährlich im Kampf gegen die laut heranrauschende Welle
neuer Altersarmut.
Wir könnten damit locker die Kürzungsfaktoren in
der Rentenanpassungsformel streichen, damit das
Rentenniveau stabilisieren und auch noch die Abschläge
bei den Erwerbsminderungsrenten für dauerhaft Kranke
abschaffen. Dafür lohnte es sich, die Beiträge nicht ab-
zusenken!
Würden wir dann noch die sinnlose Riesterförderung
abschaffen, hätten wir weitere 3,5 bis 4,5 Milliarden
Euro jährlich zur Verfügung und könnten endlich
Schluss machen mit dem Rentenkürzungsprogramm
Rente erst ab 67!
Wichtige Schritte, die alle in Ihrem Rentenpaket feh-
len, Frau Ministerin! Wichtige Schritte, die auch bei der
jungen Generation wirken würden, und wichtige
Schritte, die Sozialverbände, Gewerkschaften und die
Linke deshalb weiter fordern werden!
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Bundesregierung verzichtet in ihrem Gesetzentwurf auf
die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssatzsenkung, um
einen großen Teil des von ihr versprochenen Rentenpakets
zu finanzieren. Dazu gehören die höheren Rentenanwart-
schaften für Kindererziehungszeiten, die abschlagsfreie
Rente nach 45 Beitragsjahren ab 63 und kleinere Verbes-
serungen bei der Erwerbsminderungsrente und beim
Reha-Budget.
Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Absen-
kung des Rentenbeitragssatzes. Zum einen ist – bedingt
durch die demografischen Veränderungen – auch lang-
fristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für
diesen absehbaren Beitragsanstieg sollte schon heute
Vorsorge getroffen werden, um die Auswirkungen für
die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler abzufedern. Deswegen sollte eine höhere
Nachhaltigkeitsrücklage gebildet werden.
Da es der Bundesregierung aber eindeutig um die
Finanzierung ihrer Wahlversprechen geht, wird das hö-
here Beitragsaufkommen und gleichzeitig das Geld der
Rücklage ausgegeben, das dann später an anderer Stelle
fehlt. Wir lehnen diese falsche Prioritätensetzung zulas-
ten der finanziellen Stabilität der Rentenversicherung ab
und werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung da-
her ablehnen.
Die öffentliche Anhörung zum Beitragssatzgesetz
2014 am 17. Februar 2014 im Arbeits- und Sozialaus-
schuss offenbarte, dass zehn von zwölf Sachverständi-
gen die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von
1,5 Monatsausgaben für zu niedrig einschätzen. Für eine
gänzliche Abschaffung der Obergrenze gab es indes
keine Mehrheit. Nach unserer Auffassung sollte die
Rücklage dazu verwendet werden, den Rentenbeitrags-
satz auch über 2020 hinaus möglichst lange unter
20 Prozent bei einem gleichzeitig angemessenen Ren-
tenniveau zu halten.
Zugleich steht die Rente auch auf der Leistungsseite
vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinan-
zierten Leistungen sind vor allem Verbesserungen bei
Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig. Die
von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur
Verbesserung der Erwerbsminderungsrente gehen in die
richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Die Abschläge
auf Erwerbsminderungsrenten sollten abgeschafft wer-
den, wenn der Zugang allein aufgrund medizinischer
Diagnose und Prüfung erfolgt. An den Abschlägen auf
Erwerbsminderungsrenten hält die Bundesregierung
aber ausdrücklich fest. Aktuell stehen zudem nicht aus-
reichend Mittel zur Rehabilitation zur Verfügung. Wird
das Reha-Budget nicht umgehend bedarfsgerecht ausge-
staltet, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerin-
nen und -rentner absehbar steigen.
Auch der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke tritt
für eine Beibehaltung des Beitragssatzes ein. In der Be-
gründung heißt es, dass ansonsten „dringend notwendige
systemgerecht zu finanzierende Leistungsverbesserun-
gen … wie Verbesserungen bei den Erwerbsminderungs-
renten und des Leistungsniveaus … auf längere Zeit er-
schwert oder gar verhindert würden“. Außerdem soll die
Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage gänzlich aufge-
hoben werden.
Wir lehnen den Gesetzentwurf der Linken ab, da wir
– ähnlich wie die meisten Sachverständigen – eine gänzli-
che Abschaffung der Obergrenze der Nachhaltigkeitsrück-
lage für nicht sinnvoll erachten. Ohne eine Obergrenze
würde es an einer Systematik für eine Beitragssatzfest-
setzung fehlen. Zudem geht es den Linken einseitig um
Verbesserungen des Leistungsniveaus. Wir hingegen
möchten die finanziellen Spielräume gleichermaßen für
einen gedämpften Beitragssatzanstieg sowie für ein an-
gemessenes Rentenniveau verwenden. Hierzu stellen wir
einen eigenen Entschließungsantrag.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: EU-Afrika-Gipfel –
Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden
ausrichten (Tagesordnungspunkt 13)
Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Gute Afrika-Poli-
tik, ob nun durch die Bundesregierung oder die Europäi-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1365
(A) (C)
(D)(B)
sche Union, muss die Menschen in den Mittelpunkt stel-
len. Der 4. EU-Afrika-Gipfel im April in Brüssel greift
dieses Prinzip schon im Titel auf: „Investieren in Men-
schen, Wohlstand und Frieden“.
Nun machen gute Titel noch keine gute Politik. Der
vorliegende Antrag ist ein Paradebeispiel dafür.
Ihren Titel „EU-Afrika-Gipfel – Partnerschaft an Ge-
rechtigkeit und Frieden ausrichten“ können die meisten
hier mittragen – bei allem was darüber hinausgeht, ge-
rade auch was Gerechtigkeit betrifft, verweise ich lieber
auf die Eckpunkte, die Bundesminister Gerd Müller für
sein Ministerium abgesteckt hat: Gerecht ist, die Investi-
tionen in Bildungsprojekte im Rahmen der Entwick-
lungszusammenarbeit zu steigern! Gerecht ist, auf diese
Weise mehr Chancengleichheit zu schaffen! Gerecht ist
demnach die Erhöhung der Mittel für Grundbildung, den
Aufbau beruflicher Ausbildungszentren und tertiäre Bil-
dung auf mindestens 400 Millionen Euro, die Minister
Müller angekündigt hat!
Bei seinem Antrittsbesuch bei der Afrikanischen
Union Anfang des Monats sind Leuchtturmprojekte im
Bereich der beruflichen Bildung vereinbart worden. Das
schafft Gerechtigkeit.
Das ist genau der Ansatz, der am Menschen orien-
tierte und in zukünftigen Wohlstand investierende Poli-
tik ausmacht!
Das schlägt sich auch in den Themen des 4. EU-
Afrika-Gipfels nieder, bei dem Bildung und Ausbildung
als zentrale Themen genannt werden.
Mit den weiteren geplanten Themenschwerpunkten
des Gipfels wie der Jugend- und Frauenförderung, der
Stimulierung von Wachstum, der Schaffung neuer Ar-
beitsplätze und der Friedensicherung sind alle Elemente
genannt, die die Basis für mehr Wohlstand legen können.
Nur wenn durch positive Entwicklungen in diesen
Bereichen bessere Lebensperspektiven vor Ort geschaf-
fen werden, wird auch ein anderes dringendes Thema in
der EU-Afrika-Politik einer Lösung näher kommen: So-
lange fehlende Sicherheit und mangelnder Wohlstand
Flucht- und Migrationsanreize setzen, werden verzwei-
felte Menschen versuchen, den lebensgefährlichen Weg
über das Mittelmeer anzutreten. Solange positive Per-
spektiven noch fehlen, müssen nachhaltige Anstrengun-
gen durch die gemeinsame EU-Afrika-Politik zur Ver-
besserung der Situation unternommen werden. Und so
lange müssen sehr wohl auch die bestehenden Schutz-
systeme einbezogen werden.
Frontex und EUROSUR gehören dabei nicht, wie von
den Linken verlangt, etwa abgeschafft, sondern gestärkt.
Auch im vorliegenden Antrag wird deren wichtiger und
für die Beamtinnen und Beamten alles andere als einfa-
che Einsatz in ein falsches, schlechtes Licht gerückt.
Dabei hat Frontex allein im Zeitraum von Oktober
2013 bis Januar 2014 16 700 Personen aus Seenot geret-
tet. Der Einsatz ist sinnvoll und notwendig!
Ich wünsche mir, dass sich durch den kommenden
Gipfel auch das Verhältnis der Partner EU und Afrika
weiter angleicht, dass Abhängigkeiten weiter abgebaut
werden und dass auch die angestrebten Projekte zuneh-
mend von einer Partnerschaft auf Augenhöhe geprägt
sind. Ausdruck einer neuen Partnerschaft sind unter an-
derem die immer weiter fortschreitenden Verhandlungen
zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, zu deren
baldigem Abschluss der Gipfel hoffentlich beitragen
wird.
Mehrere wichtige Zielmarken der Millenniumsent-
wicklungsziele sind erreicht oder können, realistisch be-
urteilt, in der Frist bis 2015 erreicht werden. Einige Ziele
werden aller Voraussicht nach in manchen Regionen
nicht erreicht werden. Mit einer Post-2015-Agenda müs-
sen wir die Millenniumsziele deshalb fortschreiben.
Dazu soll der Gipfel beitragen.
Auch hier wird die Arbeit verstärkt von Partnerschaft
geprägt sein, von Zusammenarbeit und Kooperation und
nicht, wie Sie in Ihrem Antrag unterstellen, von Bevor-
mundung.
Überall dort, wo wir dazu beitragen können, dass
Menschen sich selbst helfen, sollten wir diesen Ansatz
verfolgen.
Eine gemeinsame EU-Afrika-Strategie und ein Gipfel
unter dem Motto „Investieren in Menschen, in Wohl-
stand und in Frieden“ ist deshalb genau richtig.
Charles M. Huber (CDU/CSU): Afrika hat im Mo-
ment circa 1 Milliarde Einwohner, Tendenz steigend.
2050 sollen es bereits doppelt so viele sein, im Jahr 2100
dann um die 3,5 Milliarden.
Afrika steht zweifellos vor einer großen Herausforde-
rung, und wenn wir und die Afrikaner nichts tun, nicht
das Richtige tun, wird ein Großteil der Bewohner dieses
Kontinents nicht unter menschenwürdigen Umständen
leben können, gesetzt den Fall, dass sie überhaupt über-
leben.
Trotzdem gibt es, wie wir wissen, auch andere Per-
spektiven auf Afrika. Es gibt Staaten mit einem Wachs-
tum von über 5 Prozent, an der Spitze Angola mit
11 Prozent.
Aber es gibt natürlich auch Staaten wie Somalia und
die Zentralafrikanische Republik, Staaten, in denen es
kaum mehr Strukturen gibt, nie gab, wo Leid und Elend
den Alltag der dort lebenden Menschen bestimmen.
Es hilft der Entwicklung dieser Länder natürlich
nicht, wenn man in diesem Hause einen Dialog führt, der
sich darauf beschränkt, was man in Afrika alles nicht tun
darf. Da, glaube ich, wird jeder einsehen, dass sich die
Afrikaner davon nichts kaufen können und dies auch
keinen Menschen inspiriert, in Afrika zu investieren.
Das dürfen jetzt einige von der Linkspartei gerne als
Vorwurf verstehen; so ist es auch gemeint.
Wer jeden Ansatz in Richtung einer wirtschaftlichen
Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten, die diese
wohlgemerkt dringend benötigen und auch explizit wün-
schen, in eine Grundsatzdiskussion ausarten lässt, der
dokumentiert hier nur eines: dass er nämlich kein eige-
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nes Konzept hat und hier lediglich versucht, seinem des-
truktiven Naturell eine objektive Legitimation zu verlei-
hen. Als etwas anderes kann ich das nicht verstehen.
Karl Marx hat es hier nicht gerichtet, und er wird es
auch in Afrika nicht richten, schon gleich dann nicht,
wenn die ehemalige Sowjetunion als potenzieller Han-
delspartner praktisch ausfällt.
Afrika ist nicht Europa, und Europa funktioniert nicht
wie Afrika. Es soll Ihnen hier gesagt sein, dass ein paar
Delegationsreisen nach Afrika nicht ausreichen, um zu
verstehen, wie dieser Kontinent tickt, sprich: wie sich
diese Thesenpapiere dann in der afrikanischen Realität
niederschlagen.
Ich als Deutscher mit afrikanischen Wurzeln, bei dem
der eine Teil aus einer afrikanischen Politikerfamilie
stammt, habe 10 Jahre gebraucht, um Afrika zu verste-
hen. Aber schön, dass es Menschen gibt, die mit schier
geballtem interkulturellen Einfühlungsvermögen dies in
viel kürzerer Zeit tätigen können.
Dieses Thema ist zu ernst, um es am Pranger der par-
teipolitischen Profilierungssucht zu opfern, und die Zeit,
in der man das Rad noch herumdrehen kann, ist knapp.
Hier müssen Verantwortung und Empathie dem partei-
politischen Kalkül vorgehen.
Wer sagt, dass Afrika keinen Handel will, sagt etwas
anderes als einem die Afrikaner selbst sagen, sowohl in
Afrika als auch hier.
Mich würde interessieren, was passieren würde, wenn
jemand solche Thesen einmal in einem afrikanischen
Slumgebiet erzählen würde. Da hätte ich gerne vorher
etwas Zeit, mich von dieser Gruppe zu entfernen.
Aus Handel entsteht Wertschöpfung, da aus Handel
finanzielle Ressourcen entstehen, womit sich eben später
die Möglichkeit ergeben kann, selbst als Produzent von
Produkten verschiedenster Art aufzutreten.
Das Problem des afrikanischen Binnenhandels ist
nicht die Ausbeutung durch die Europäer, sondern das
einer fehlenden Verkehrsinfrastruktur. Für manche Pro-
dukte, welche Afrikaner gerne verzehren oder gebrau-
chen, gibt es in Afrika kein Know-how in der Herstel-
lung. Gebraucht werden sie trotzdem.
Wo werden da nun lokale Produzenten in die Ecke
gedrängt? Ein Bauer im ländlichen Bereich hat weder
Zugang zu EU-Hühnchen noch kann er selbst genug pro-
duzieren, um Hühnchen im großen Stil zu verkaufen.
Ich muss Ihnen einmal sagen, Deutschland genießt
hohes Ansehen in Afrika. Das ist Tatsache. Man hat
lange auf uns gewartet, aber wir haben Afrika erst dann
wahrgenommen, als die Schwellenländer sich schon aus-
reichend für diesen Kontinent interessiert haben, allen
voran China.
Wir sollten die Chance jetzt noch ergreifen, neben der
klassischen und multilateralen Entwicklungszusammen-
arbeit, welche gerade in Krisenregionen extrem wichtig
ist, durch Wirtschaftsinitiativen zu optimieren und kei-
nesfalls zulassen, dass man durch Mangel an Weitsicht
und, was die praktische Seite des Ganzen anbelangt,
durch ein oberflächliches Wissen in der Sache einen
ganzen Kontinent seiner Zukunftschancen beraubt.
Es muss einfach aufhören, dass jeder, der im Rahmen
der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit das Wort
Wirtschaft in den Mund nimmt, Gefahr läuft, als Aus-
beuter tituliert zu werden, und jede Aktion, welche der
Stabilisierung fragiler Staaten dient und dies, wohlge-
merkt, auf deren ausdrücklichen Wunsch sowie in Über-
einstimmung mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen, mit einem neokolonialem Einmarsch verglichen
wird.
In manchen Ländern mit Bürgerkriegsgeschichte be-
trägt die Vergewaltigungsrate bei Frauen über 70 Prozent.
Mir fehlen da ehrlich gesagt die Worte.
Ruanda: Der Gedächtnisschwund in Zeiten zahlrei-
cher und vielschichtig kommunizierter Medienereignisse
scheint hier wohl seinen endgültigen Höhepunkt erreicht
zu haben. Den 11. September vergisst auch keiner. Oder
war Ruanda auch nur eine Verschwörungstheorie?
Deutschland ist der Wunschpartner des afrikanischen
Kontinents, sowohl im Zuge einer entwicklungspoliti-
schen Kooperation im klassischen Sinne als auch in der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir gelten in beiden
Bereichen als präzise und verlässlich.
Den Mitarbeitern staatlicher und nichtstaatlicher Or-
ganisationen möchte ich bei dieser Gelegenheit auch
meinen Dank dafür aussprechen, dass sie sich auf dem
Kontinent meines Vaters, teils sogar unter Lebensgefahr,
eingesetzt haben und immer noch einsetzen.
Wir müssen Afrika helfen, politische und ökonomi-
sche Unabhängigkeit zu erlangen. Dazu gehören politi-
sche Stabilität, Handel und Wertschöpfung.
Keine Partei in Europa hat das Recht dazu, im Stile
kolonialer Bevormundung den Leuten zu verbieten, sich
selbst zu entwickeln – auch nicht, wenn sie von links
kommt.
Ob diverse Schwellenländer, in deren Hände man
Afrika durch eine rein negativ formulierte Analyse deut-
scher und europäischer Bemühungen treibt, mehr sozio-
ökonomische oder gar ökologische Standards bei ihrer
Entwicklungspolitik in afrikanischen Ländern ansetzen
als wir, sei schon einmal dahingestellt.
Eine gemeinsame Strategie wäre hier der Sache dien-
lich.
Dr. Bärbel Kofler (SPD): Im Jahr 2007 haben sich
afrikanische und europäische Regierungschefs in Lissa-
bon auf Ziele und Handlungsfelder der Zusammenarbeit
geeinigt. Der anstehende EU-Afrika-Gipfel in Brüssel
sollte jetzt zum Anlass genommen werden, um über Er-
reichtes und vor allem nicht Erreichtes zu sprechen und
eine verstärkte Zusammenarbeit in den Fokus zu rücken.
Zurzeit erleben wir eine interessante Debatte um die
neue Ausrichtung unserer auswärtigen Politik. Afrika
steht dabei im besonderen Fokus, die Einbindung in den
europäischen Kontext ebenso. Das bedeutet, dass wir mit
dem bevorstehenden Gipfel vor einer zentralen Aufgabe
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1367
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stehen, nämlich Afrika als einen Kontinent mit vielen
Chancen zu begreifen, der zudem ganz in unserer Nähe
liegt, sowie eine stärkere Koordinierung der bilateralen
und multilateralen Zusammenarbeit voranzutreiben.
Afrika ist bereits Schwerpunktregion der Entwicklungs-
zusammenarbeit. Ich bin aber überzeugt, dass wir unser
Engagement noch weiter ausbauen können und vor al-
lem auch sollten.
Lassen Sie mich einige Punkte nennen, die für uns
Sozialdemokraten wichtig sind:
Erstens. Für Afrika ist die Bewältigung der Folgen
des Klimawandels von besonderer Bedeutung. Trotz des
geringen CO2-Ausstoßes leidet der Kontinent besonders
unter der Erderwärmung. Wichtige Stichworte sind auch
die Energiearmut und der Erhalt der globalen öffentli-
chen Güter. Diese Global Commons müssen gemeinsam
fortentwickelt und stabilisiert werden; denn Klimaschutz
kennt keine Grenzen.
Entscheidend dabei ist, den Zugang zu Energie in den
afrikanischen Ländern zu verbessern. Die EU hat ver-
sprochen, einen Beitrag zu leisten, dass 100 Millionen
Afrikaner Zugang zu Energie erhalten, und zwar bis zum
Jahr 2020. Nach meinem Verständnis sind Versprechen
dazu da, auch gehalten zu werden. In puncto nachhaltige
und moderne Energieversorgung müssen wir aber auch
die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien vo-
ranbringen, national wie international. Denn nur so
schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass unsere Kli-
maschutzziele und die der internationalen Gemeinschaft
tatsächlich erreicht werden können.
Zweitens. Wir Sozialdemokraten wollen im Bereich
Wirtschaft und Handel Institutionen stärken und Trans-
parenzinitiativen voranbringen. Rohstoffe dürfen nicht
Fluch, sondern müssen Segen für die afrikanischen Län-
der werden. Diesem Punkt muss eine noch viel stärkere
Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit die Ressour-
cen den Bevölkerungen Afrikas auch zugutekommen.
Der EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş hat erst vor
knapp einem Monat auf der Grünen Woche in Berlin an-
gekündigt, die fragwürdigen Agrarsubventionen für
Nahrungsmittelexporte nach Afrika abzuschaffen. Diese
Subventionen erlauben es bislang, in Europa produzierte
Überschüsse zu Dumpingpreisen auf die Märkte der Ent-
wicklungsländer zu werfen. Auch unser Kollege im
Europaparlament, Norbert Neuser, hat dieses schädliche
Instrument schon seit langem kritisiert.
Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die Agrarsubven-
tionen zu Verzerrungen vor allem auf dem afrikanischen
Markt kommt. Lokale Erzeuger können mit den subven-
tionierten Produkten nicht mithalten. So werden regio-
nale wirtschaftliche Anstrengungen von Kleinbauern zu-
nichte gemacht.
Klar ist, dass nur eine kohärente EU-Politik zu Ver-
besserungen führt. Wir brauchen genau solche fairen
EU-Entscheidungen für wirtschaftliche Entwicklung, die
letztlich nämlich beiden Partnern, Afrikanern wie EU-
Bürgern, zugutekommt.
Bei der Ressourcennutzung geht es uns um Transpa-
renz und Verteilungsgerechtigkeit. Hier ist zum Beispiel
die Transparenzrichtlinie der EU ein erster wichtiger
Schritt. Denn nur, wenn zugängliche und verständliche
Informationen über Zahlungen von zum Beispiel Berg-
bau- oder Erdölfirmen an staatliche Stellen vorliegen,
können die Bürger der Länder, in denen abgebaut wird,
die Einnahmen ihres Staates kontrollieren und die Fra-
gen der Verteilung, also der sinnvollen Einnahmenver-
wendung, in ihrer Gesellschaft diskutieren. Für staatliche
Institutionen – wie zum Beispiel die Steuerbehörden – ist
das ebenfalls von immenser Bedeutung.
Auch bei den Verhandlungen der EU mit den Staaten
in Afrika, Asien und im pazifischen Raum über den Ab-
schluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, den
sogenannten EPAs, erheben wir Sozialdemokraten
selbstverständlich die Forderung, dass diese Abkommen
entwicklungsfördernd sein müssen.
Drittens. Wir wollen die Stabilität in Afrika erhöhen,
denn in fragilen Staaten leidet die Bevölkerung beson-
ders – unter großer Armut, Gewalt und politischer Will-
kür. Betroffen hiervon sind Frauen, Kinder und ethni-
sche oder religiöse Minderheiten. Fragile Staaten können
die Sicherheit der Bevölkerung und deren Zugang zu so-
zialen Grunddiensten nicht gewährleisten. Sie weisen
nicht nur ein höheres Maß an Armut und sozialer Un-
gleichheit auf, sondern stellen auch ein regionales und
internationales Sicherheitsrisiko dar.
Die Staatengemeinschaft darf diese Länder – trotz der
schlechten Regierungsführung – nicht von jeglicher Zu-
sammenarbeit ausschließen, sondern muss behutsam auf
eine Verbesserung der Lage hinwirken. Dabei spielt die
Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle. Je nach Land
beinhaltet diese Zusammenarbeit, Not leidende Bevölke-
rungsgruppen zu schützen, Selbsthilfe zu fördern, Re-
formkräfte zu stärken und bei Regierungen Verhaltens-
änderungen zu bewirken.
In unserem Koalitionsvertrag haben wir festgeschrie-
ben, dass die globalen Herausforderungen nur in interna-
tionaler Zusammenarbeit und in einem koordinierten
Einsatz aller Instrumente der Außen-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik zu bewältigen sind.
Diese ressortübergreifende Kooperation wollen wir
ausdrücklich auch in der Friedenspolitik stärken, etwa
bei der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung.
Daher wollen wir auch die deutschen Institutionen für
Friedensförderung und Friedensforschung – wie das
Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, das
Forum Ziviler Friedensdienst, forumZFD, die Bundes-
akademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stif-
tung Friedensforschung – künftig noch stärker in die
Politikberatung einbeziehen.
Im Bereich der zivilen Krisenprävention ist es auch
Auftrag und Mahnung, die UN-Resolution 1325 mit Le-
ben zu füllen. In ihr wurden erstmals Konfliktparteien
dazu aufgerufen, die Rolle der Frauen zu stärken und
ihre herausragende Bedeutung bei Konfliktschlichtung
und Wiederaufbau stärker zu nutzen, sie bei Friedensver-
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handlungen besser zu berücksichtigen und einzubezie-
hen.
Viertens. Wir wollen die Interessen und Anliegen
Afrikas stärker in den Fokus der internationalen Bera-
tungen und Gipfel stellen. Das geht vom EU-Afrika-
Gipfel in Brüssel im April 2014 über die deutsche G-8-
Präsidentschaft im nächsten Jahr bis hin zum MDG/
SDG-Prozess. Dabei sollte auch die Zivilgesellschaft
besser einbezogen werden. Zum Schluss meiner Rede
auch noch einige Anmerkungen zum Antrag der Linken:
Man könnte Ihren Anträgen mehr abgewinnen, wenn Sie
mal verbal abrüsten würden. Ich zitiere als Beispiel nur
folgenden Satz Ihres Antrags: „Die Menschen Afrikas
sind ein weiteres Mal Opfer der kapitalistischen Indus-
trialisierung des Nordens“. Süd-Süd-Kooperationen sind
– nebenbei bemerkt – auch nicht „antikapitalistisch“; es
kommt bei allem wirtschaftlichen Handeln darauf an,
dass das, was in einem Land erarbeitet wird, auch der
Bevölkerung zugutekommt. Gerade deshalb sind ja sol-
che Initiativen wie die EU-Transparenzrichtlinie von
großer Bedeutung. Sie zeichnen mit solchen Sätzen auch
ein sehr eindimensionales Bild von Afrika, von dem ich
nicht glaube, dass es den Entwicklungen auf dem afrika-
nischen Kontinent gerecht wird.
Niema Movassat (DIE LINKE): Im kommenden
April findet der EU-Afrika-Gipfel statt. Wir sagen mit
unserem Antrag heute: Die deutsche und europäische
Afrika-Politik muss sich grundlegend verändern. Bis
jetzt ist der Fokus oft darauf gerichtet, Zugang zu den
Rohstoffen und Märkten in afrikanischen Ländern zu er-
halten, statt wirksam gegen Armut zu kämpfen. Zudem
heizen deutsche und europäische Rüstungsexporte Kon-
flikte an.
Wir brauchen stattdessen eine Afrika-Politik, die in
ihr Zentrum Solidarität, Partnerschaft und Gewaltfreiheit
stellt. Dazu muss zuallererst Schluss sein mit der wirt-
schaftlichen Ausbeutung afrikanischer Länder.
Leider bedeutete das Ende des Kolonialismus in
Afrika nicht das Ende der Ausbeutung. Jahrzehntelang
üben die Industrieländer schon Druck auf afrikanische
Länder aus, ihre Märkte zu öffnen, ihre staatlichen Be-
triebe zu privatisieren und ihre Schutzregelung für die
eigene Wirtschaft abzubauen.
Die Interessen und Bedürfnisse der Afrikanerinnen
und Afrikaner stehen dabei nicht im Mittelpunkt. Das al-
les hat Afrika nicht den versprochenen wirtschaftlichen
Aufschwung gebracht. Ganz im Gegenteil: Durch diese
Politiken werden soziale Sicherungssysteme zerstört.
Arbeits- und Umweltstandards werden verhindert. Es
finden Mittelkürzungen bei Bildung und Gesundheit
statt. Staatliche Strukturen werden geschwächt nach dem
Motto: „Privat vor Staat“.
Es ist diese Politik der Industrieländer, die einen enor-
men Anteil an der Armut in Afrika hat, eine Politik, die
zwar von Demokratie redet, sich aber, wenn es um ihre
Interessen geht, auch gerne mal mit korrupten Eliten ver-
bündet. Vor allem stehen immer wieder die Profite der
europäischen Konzerne.
Da muss endlich ein Kurswechsel her. Der bleibt aber
aus. Das neuste Zaubermittel sind Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen. Klingt ganz toll, aber bedeutet die
knallharte Fortsetzung der bisherigen Politik.
Ein Beispiel: Ghana hat dem Druck der Industriestaa-
ten nachgegeben und auf Freihandel gesetzt. Das Ergeb-
nis: Das Land wurde überschwemmt mit Dumping-Ge-
flügelimporten. Die eigene Geflügelproduktion konnte
der steuersubventionierten Konkurrenz aus Europa nicht
standhalten und brach zusammen. Unzählige Menschen
wurden arbeitslos und das Land ist heute abhängig von
Geflügelimporten.
Nigeria zeigt, dass es anders geht. Es hat keinen Frei-
handelsvertrag abgeschlossen. Stattdessen hat es hohe
Importzölle erhoben und so seine Geflügelproduktion
geschützt. Heute wird der heimische Bedarf aus eigener
Produktion gedeckt. Das ist der richtige Weg.
Stattdessen aber wird die europäische Freihandels-
politik immer aggressiver. Sie will auf Teufel komm raus
europäischen Unternehmen neue Märkte in Afrika er-
schließen. Dazu verbietet die EU beispielsweise im Rah-
men dieser Abkommen den Ländern, Zölle zu erheben,
um ihre Märkte vor Billigimporten zu schützen.
In vielen Ländern Afrikas wächst der Widerstand da-
gegen. Und was macht die EU? Sie setzt auf Erpressung.
So weigert sich Kamerun, dass Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen zu unterzeichnen. Die Folge: Die EU
droht mit Entzug der Zugangserleichterungen zum euro-
päischen Markt. Oft steht zudem die Drohung im Raum,
Gelder der Entwicklungszusammenarbeit zu streichen.
Das ist ein Unding.
Es muss Schluss sein mit solchen Verträgen und Er-
pressung. Das A und O einer jeden Entwicklung ist, dass
die Menschen sich aus eigener Kraft ernähren können.
Hier verlaufen alle Bemühungen im Sande, wenn nicht
endlich wirksame Maßnahmen gegen Landraub, Nah-
rungsmittelspekulation und Raubfischerei ergriffen wer-
den.
Deshalb brauchen wir Sanktionen gegen europäische
Konzerne, die Menschenrechtsverletzungen in Afrika
begehen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln gehört
komplett verboten. Raubfischerei muss strafrechtlich
verfolgt werden. Und auf die Länder Afrikas darf kein
Druck ausgeübt werden, Fischfangquoten an europäi-
sche Länder abzutreten.
Alle hier sind entsetzt, wenn sie Bilder von Flüchtlin-
gen sehen, die beim Versuch, aus Afrika nach Europa zu
gelangen, sterben. Aber Empörung reicht nicht. Das
Sterben geht doch Tag für Tag weiter. Weiter ertrinken
Menschen im Mittelmeer. Das ist ein Skandal.
Machen Sie endlich Schluss mit der menschenverach-
tenden europäischen Grenzschutzpolitik! Menschen flie-
hen niemals freiwillig, sondern aus Not und Elend.
Europa als Friedensnobelpreisträger stünde es gut zu Ge-
sicht, diesen Menschen zu helfen, statt sie mit allen Mit-
teln abzuwehren.
Wir erleben seit geraumer Zeit eine zunehmende Mi-
litarisierung der europäischen Außenpolitik. Das heißt
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Februar 2014 1369
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auch: mehr deutsche Soldaten ins Ausland. Ich sage ih-
nen: Militärische Einsätze lösen keinen Konflikt. Und
oft werden sie geführt, weil Rohstoffinteressen im Hin-
tergrund stehen und nicht das Wohl der Menschen. Zual-
lererst müssen Rüstungsexporte beendet werden, und
zwar sofort. Denn auch deutsche Waffen finden sich bei
fast jedem Konflikt in Afrika. Das ist beschämend.
Unsere Vorschläge sind auch ein Beitrag für die ange-
kündigte neue Afrika-Strategie. Wir wollen eine friedli-
che und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen
Afrika und Europa.
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unter
der mehr als fraglichen Überschrift „In Menschen,
Wohlstand und Frieden investieren“ will der 4. EU-
Afrika-Gipfel in Brüssel die Partnerschaft zwischen den
beiden Kontinenten vertiefen. Im Vorfeld des Gipfels hat
die EU allerdings schon einmal den afrikanischen Part-
nerstaaten gezeigt, was sie darunter versteht.
Ich spreche von den Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
men, den EPAs. Nicht ohne Grund ziehen sich die Ver-
handlungen zu diesen umfangreichen Freihandelsab-
kommen seit Jahren hin. Hier nur ein Beispiel, warum
viele afrikanische Staaten nicht unterzeichnen wollen:
Europa will die Rohstoffe billig haben und will diesen
Staaten nicht erlauben, auf ihre eigenen Rohstoffe Ex-
portsteuern zu erheben. – Ja, es geht eben um Wohl-
stand, es fragt sich nur für wen.
Europa und Deutschland singen seit langem das Man-
tra der Handelsliberalisierung. Dieses Mantra muss end-
lich entsorgt werden. Wir brauchen keinen Freihandel,
sondern eine Freiheit des Handels und des Handelns,
eine Freiheit, die den Eigentümern der Rohstoffe die
Entscheidungsfreiheit lässt. Deshalb brauchen wir vor
allem endlich den fairen Handel.
Thema Landwirtschaft. Die Afrikanische Union hat
gerade das Jahr der Landwirtschaft ausgerufen. Hier
müssen Deutschland und die EU ihrer Verantwortung
gerecht werden, anstatt im Schulterschluss mit der
Agrarlobby Weltpolitik zu betreiben. Die Entwicklungs-
zusammenarbeit muss andere Wege gehen und die Länder
auf den Weg zu ihrer Ernährungssouveränität begleiten.
Wir müssen die bäuerliche und ökologisch-nachhaltige
Landwirtschaft unterstützen und gleichzeitg den Auf-
und Ausbau von Wertschöpfungsketten und sozialen Si-
cherungssystemen fördern. Hierzu erwarten wir deutli-
che deutsche und europäische Bekenntnisse. Minister
Müller hat im geschützten Raum bereits solche Bekennt-
nisse abgegeben. Überzeugender wäre es, wenn Herr
Müller sich für die Unterzeichnung des Weltagrarbe-
richts 2008 einsetzen würde, was immer noch von der
Agrarlobby verhindert wird.
Themenwechsel: Mit dem uns vorliegenden Antrag
bleibt sich die Linke treu. Da haben Sie viel mit der ka-
tholischen Kirche gemein. Sie machen nach wie vor ein
Dogma zum Leitmotiv Ihrer Politik: Militär ist schlecht
und böse. Leider gibt es zu viele Belege in der Ge-
schichte und in der Gegenwart, die dieses Dogma stüt-
zen. Allerdings würde dies auch bedeuten, dass die
Menschheit nichts dazulernen kann. Es muss heute un-
sere Aufgabe sein, zu beweisen, dass wir Militäreinsätze
kontrollieren und zielgerecht einsetzen können, und
zwar zum Schutz von Menschen und ihrer Rechte.
Ein Völkermord wie in Kambodscha oder in Ruanda,
ein Massenmord wie in Srebrenica darf nie wieder zuge-
lassen werden. Der Dogmatismus der Linken würde aber
diesem Ziel entgegenstehen.
Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand ist immer an
eine nachhaltige Entwicklung geknüpft. Die globalen
Herausforderungen wie Klimawandel, fragile Staaten,
Welternährung, Rohstoffverknappung, soziale Ungleich-
heit, Menschenrechte, Schulden- und Finanzmarktkrisen
verdeutlichen, dass wir neue Konzepte und Regeln für
die globale Zusammenarbeit brauchen. Aber genau diese
vermisse ich beim vorliegenden Antrag, allerdings auch
bei der deutschen Bundesregierung.
Gerade der EU-Afrika-Gipfel böte die Möglichkeit
hier Neues zu beginnen. Zum Beispiel müssen die indi-
rekten EU-Agrarsubventionen verschwinden; auch sie
zerstören die Ernährungssouveränität. Oder lassen Sie
uns verbindliche Offenlegungspflichten für die Unter-
nehmen verankern. Es liegen viele gute Ansätze auf dem
Tisch. Der EU-Afrika-Gipfel bietet die Chance einer
neuen Partnerschaft. Verschenken Sie diese Chance
nicht.
17. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
ZP 2 Eidesleistung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft
ZP 3 Vereinbarte Debatte zur Lage in der Ukraine
TOP 2 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses
TOP 3 Mietenentwicklung und Wohnungsmarkt
TOP 4 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (ISAF)
TOP 21 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 22 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
TOP 5, ZP 4Wahlen zu Gremien
ZP 5 Aktuelle Stunde zur Zulassung von Genmais
TOP 6 Bundeswehreinsatz in Mali (EUTM Mali)
TOP 7 Patientenberatung
TOP 8 Einsetzung des Beirats für nachhaltige Entwicklung
TOP 9 Strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung
TOP 10 SGB V – Arzneimittel
TOP 11 Energiewende im Gebäudebereich
TOP 12 Beitragssätze 2014 in der Rentenversicherung
TOP 13 EU-Afrika-Gipfel
TOP 14 Schulobstgesetz
TOP 15 Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
Anlagen