Protokoll:
17240

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 240

  • date_rangeDatum: 16. Mai 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:33 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/240 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 240. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 15, 18 b, 27 und 57 i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Nachruf auf den Abgeordneten Dr. Max Stadler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachruf auf den ehemaligen Abgeordneten Jürgen Warnke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung des Botschafters der Republik Kroatien, Herrn Dr. Miro Kovač . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Verteidigung: Neu- ausrichtung der Bundeswehr – Stand und Perspektiven b) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bundeswehr – Einsatzarmee im Wandel (Drucksachen 17/9620, 17/13254) . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister  BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU)  (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael Gerdes, Ulrike Gottschalck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Projekt Zu- kunft – Deutschland 2020 – Bildungs- chancen mit guten Ganztagsschulen für alle verbessern (Drucksache 17/13482) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Aydan Özoğuz, Willi Brase, Ulla Burchardt, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – Eine moderne Integrationspolitik für mehr Chancengleichheit (Drucksache 17/13483) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 30119 A 30121 B 30121 B 30121 D 30122 A 30224 B 30122 C 30122 C 30126 A 30128 D 30130 B 30132 C 30134 C 30136 B 30137 B 30137 D 30139 C 30141 C 30142 B 30144 A 30144 D 30145 A 30145 B 30147 C 30149 C 30151 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin  BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Christoph Matschie, Minister (Thüringen) . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 56: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung der Prävention (Drucksache 17/13401) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversi- cherung (Drucksache 17/13402) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken (Apo- thekennotdienstsicherstellungsgesetz – ANSG) (Drucksache 17/13403) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- ten Gesetzes zur Änderung arzneimit- telrechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksache 17/13404) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Europäi- schen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsa- chen (Drucksache 17/13415) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 13. Januar 2013 über die Vorrechte und Immunitäten der Internationalen Orga- nisation für erneuerbare Energien (Drucksache 17/13416) . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Gesetzes zu dem OCCAR-Übereinkommen vom 9. September 1998 (Drucksache 17/13417) . . . . . . . . . . . . . . h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Abkommens vom 20. März 1995 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenz- brücken im Zuge der deutschen Bun- desfernstraßen und der polnischen Lan- desstraßen an der deutsch-polnischen Grenze (Drucksache 17/13418) . . . . . . . . . . . . . . i) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsge- setzes (Drucksache 17/13427) . . . . . . . . . . . . . . j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Geschmacks- mustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die Bekanntmachun- gen zum Ausstellungsschutz (Drucksache 17/13428) . . . . . . . . . . . . . . k) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tabakprä- vention und Schadensminderung stär- ken – EU-Tabakprodukterichtlinie wei- ter verbessern (Drucksache 17/13244) . . . . . . . . . . . . . . l) Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altöt- ting), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- ten Serkan Tören, Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: In- tegration von Menschen mit Migra- tionshintergrund im und durch den Sport nachhaltig stärken (Drucksache 17/13479) . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- 30153 A 30154 B 30157 A 30158 B 30159 D 30160 B 30161 A 30161 D 30163 B 30165 A 30165 C 30166 D 30167 D 30169 A 30169 D 30169 D 30170 A 30170 A 30170 A 30170 B 30170 B 30170 B 30170 C 30170 C 30170 C 30170 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 III wurfs eines Gesetzes zur Dopingbe- kämpfung im Sport (Anti-Doping-Ge- setz – ADG) (Drucksache 17/13468) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Rentenüberleitung zum Abschluss bringen (Drucksache 17/12507) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbandsklagerecht für aner- kannte Tierschutzverbände einführen (Drucksache 17/13477) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für die tat- sächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich (Drucksache 17/13478) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ländliche Räume als Lebensräume bewahren und zu- kunftsfähig gestalten (Drucksache 17/13490) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine kohä- rente Politikstrategie zur Überwindung des Hungers (Drucksache 17/13492) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Atomrisi- ken ernst nehmen – Auch in Bezug auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien (Drucksache 17/13491) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 57: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Seearbeitsüber- einkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 (Drucksachen 17/13059, 17/13302) . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 23. Juli 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Re- publik Österreich über die Nachnutzung der ehemaligen deutsch-österreichischen gemeinschaftlichen Grenzzollämter (Drucksachen 17/12954, 17/13346) . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Luft- verkehrsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung tech- nischer Vorschriften und von Verwal- tungsverfahren in Bezug auf das flie- gende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/ 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (Drucksachen 17/13029, 17/13349) . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahr- gastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (Drucksachen 17/13031, 17/13350) . . . . . f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ver- kehrsleistungsgesetzes (Drucksachen 17/13028, 17/13352) . . . . . g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ab- kommens vom 11. April 1955 über die Internationale Finanz-Corporation (Drucksachen 17/12953, 17/13366) . . . . . h) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes (Drucksachen 17/13027, 17/13465) . . . . . j)–q) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 582, 583, 584, 585, 586, 587, 588 und 589 zu Petitionen (Drucksachen 17/13260, 17/13261, 17/13262, 17/13263, 17/13264, 17/13265, 17/13266, 17/13267) . . . . . . . . . . . . . . . . 30170 D 30171 A 30171 A 30171 A 30171 B 30171 B 30171 C 30171 D 30172 A 30172 B 30172 C 30172 D 30173 A 30173 C 30173 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Schiffsunfalldatenbankge- setzes (SchUnfDatG) (Drucksachen 17/13032, 17/13532) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu der Verordnung des Bundesministe- riums für Wirtschaft und Technologie: Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf See- schiffen (Seeschiffbewachungsver- ordnung – SeeBewachV) – zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle: Ver- ordnung zur Durchführung der See- schiffbewachungsverordnung (See- schiffbewachungsdurchführungsver- ordnung – SeeBewachDV) (Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525) Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier – Bilanz der Chancen, Reden und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Altmaier, Bundesminister  BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/…/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstitu- ten und Wertpapierfirmen und zur An- passung des Aufsichtsrechts an die Ver- ordnung (EU) Nr. …/2012 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinsti- tute und Wertpapierfirmen (CRDIV- Umsetzungsgesetz) (Drucksachen 17/10974, 17/11474, 17/13524, 17/13541) . . . . . . . . . . . . . . . . b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investment- fonds (AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG) (Drucksachen 17/12294, 17/13395) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13396) . . . . . . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des In- vestmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsge- setz (AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz – AIFM-StAnpG) (Drucksachen 17/12603, 17/13036, 17/13562, 17/13522) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und 30174 C 30174 D 30175 B 30175 B 30176 C 30178 B 30179 B 30180 D 30182 A 30184 C 30186 A 30188 B 30189 C 30190 D 30192 B 30193 C 30194 D 30194 D 30195 A 30195 A 30195 C 30196 D 30198 A 30199 A 30200 A 30201 A 30202 C 30203 D 30204 D 30205 D 30206 D 30208 A 30208 B 30208 C 30209 A 30210 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 V Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Karin Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für alle Kin- der und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten (Drucksachen 17/11880, 17/13451) . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Eu- ropäischen Union (Drucksachen 17/11872, 17/13444) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Dietmar Nietan, Axel Schäfer (Bochum), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: EU- Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg führen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Axel Schäfer (Bo- chum), Michael Roth (Heringen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitrittsprozessen beteiligen (Drucksachen 17/12182, 17/12821, 17/13444) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union (Drucksachen 17/12769, 17/12852, 17/13445) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister  AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 57: c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Überein- kommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnen- schifffahrt (Drucksachen 17/13030, 17/13348) . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Ver- einten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolutionen des Sicher- 30213 C 30213 D 30214 D 30216 B 30217 C 30219 A 30220 B 30221 B 30222 C 30223 C 30223 D 30224 A 30224 B 30225 A 30226 B 30227 C 30228 C 30229 D 30230 B 30231 B 30232 C 30233 C 30233 D 30236 C 30237 A 30239 C VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 heitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/ GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Ra- tes der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Drucksachen 17/13111, 17/13529) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13534) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten (Drucksache 17/12850) . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker  (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Ingo Egloff, Burkhard Lischka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Exorbitante Managergehälter begren- zen (Drucksache 17/13472) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Tobias Lindner, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Mit- finanzierung exorbitanter Gehälter durch die Allgemeinheit – Steuerliche Abzugsfähigkeit eingrenzen (Drucksache 17/13239) . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und ande- rer Gesetze (Drucksachen 17/12636, 17/13452) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13454) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister  BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Informationsfreiheit und Transparenz unter Einschluss von Ver- braucher- und Umweltinformationen – In- formationsfreiheits- und Transparenzge- setz (Drucksache 17/13467) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 30237 B 30237 C 30237 D 30242 A 30242 C 30242 D 30243 D 30244 D 30245 D 30246 D 30248 B 30251 C 30248 C 30248 D 30249 D 30254 A 30255 B 30256 B 30257 B 30258 C 30258 D 30258 D 30259 C 30260 D 30262 A 30262 D 30264 A 30265 C 30266 B 30267 A 30267 B 30267 B 30268 C 30270 A 30271 A 30272 A 30272 D 30274 C 30274 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 VII Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich (Drucksachen 17/12726, 17/13526) . . . . . . . . Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister  BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen (Drucksachen 17/11208, 17/11724) . . . . . . . . Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ullrich Meßmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuld- befreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Drucksachen 17/11268, 17/13535) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon- Taubadel, Wolfgang Wieland, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rente für Dopingopfer in der DDR (Drucksache 17/12393) . . . . . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsge- setz – 2. KostRMoG) (Drucksachen 17/11471 (neu), 17/13537) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Stärkung des Er- folgsbezugs im Gerichtsvollzieher- kostenrecht (Drucksachen 17/5313, 17/13537) . . . c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Bera- tungshilferechts (Drucksachen 17/11472, 17/13538) . . – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskos- tenhilfe (Prozesskostenhilfebegren- zungsgesetz – PKHBegrenzG) (Drucksachen 17/1216, 17/13538) . . . – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Be- ratungshilferechts (Drucksachen 17/2164, 17/13538) . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfa- chung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungs- vereinfachungsgesetz – KJVVG) (Drucksachen 17/13023, 17/13531) . . . . . 30275 C 30277 B 30278 A 30279 C 30280 C 30281 B 30282 B 30282 C 30283 C 30285 A 30286 B 30287 D 30289 A 30290 B 30290 C 30291 C 30292 D 30293 D 30295 A 30296 A 30296 D 30297 A 30297 B 30298 B 30298 C 30298 C 30298 C 30298 D 30299 D VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mit einer eigen- ständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rück- halt geben – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Schneider, Katja Dörner, Sven- Christian Kindler, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Eigenständige Ju- gendpolitik – Selbstbestimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation (Drucksachen 17/12063, 17/11376, 17/12907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kin- der- und Jugendhilfe in Deutschland – 14. Kinder- und Jugendbericht – und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 17/12200) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Stefan Schwartze, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche ermöglichen – Konsequenzen aus dem 14. Kinder- und Jugendbericht ziehen (Drucksache 17/13473) . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rechte intersexueller Men- schen stärken (Drucksache 17/13253) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren (Drucksache 17/12859) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren (Drucksache 17/12851) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über die Kreditan- stalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze (Drucksachen 17/12815, 17/13318) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- zes über die Kreditanstalt für Wieder- aufbau und weiterer Gesetze (Drucksachen 17/13061, 17/13318) . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Ro- senheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte der Bahai wahren (Drucksache 17/13474) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Ener- gieeinsparungsgesetzes (Drucksachen 17/12619, 17/13037, 17/13527) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Schließung des einzigen deutschen Schie- nenherstellers TSTG Schienen Technik in Duisburg – Übernahme des Unternehmens 30300 A 30300 A 30300 B 30300 C 30301 C 30302 D 30303 B 30303 D 30305 B 30305 B 30305 C 30305 D 30305 D 30306 A 30306 B 30308 B 30309 B 30310 B 30311 D 30312 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 IX durch die Deutsche Bahn AG (Drucksachen 17/9581, 17/12880) . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 189 der Internatio- nalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte (Drucksachen 17/12951, 17/13303) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Beate Müller-Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsbedingungen von Hausangestellten verbessern – ILO- Übereinkommen Nr. 189 ratifizieren (Drucksachen 17/11370, 17/13303) . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine soziokultu- relle Existenzsicherung ohne Lücken (Drucksachen 17/12389, 17/12906) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung der Zu- ständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebe- nenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund (Drucksachen 17/12956, 17/13255) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13275) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig), Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des aufenthalts- und freizügigkeitsrecht- lichen Ehegattennachzugs (Drucksachen 17/8921, 17/13313) . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Katja Dörner, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Ehegattennachzug) (Drucksachen 17/1626, 17/13313) . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und 30313 A 30313 B 30314 A 30315 B 30315 D 30317 B 30318 A 30318 A 30318 B 30319 A 30320 B 30320 D 30321 D 30322 C 30323 B 30324 C 30326 C 30326 D 30328 D 30329 C 30330 B 30331 B 30331 C 30331 C 30332 C 30333 A 30333 C 30334 C 30335 B 30336 B 30336 C X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 der Fraktion DIE LINKE: Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen (Drucksachen 17/8610, 17/13313) . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermöglichen (Drucksachen 17/1577, 17/8081) . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberech- tigten und ausländischen Arbeitneh- mern (Drucksachen 17/13022, 17/13536) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13540) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht (Drucksachen 17/9187, 17/13315) . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförde- rung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schie- nengüterfernverkehrsnetz (Drucksachen 17/13021, 17/13494) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13495) . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär  BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ralph Lenkert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Durch Humanarzneimit- tel bedingte Umweltbelastung reduzieren (Drucksachen 17/11897, 17/12873) . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Treib- hausgas-Emissionshandelsgesetzes (Drucksachen 17/13025, 17/13398) . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30336 C 30336 D 30336 D 30338 D 30339 C 30341 B 30342 A 30343 C 30343 C 30343 D 30344 D 30345 A 30346 B 30347 A 30348 A 30348 A 30349 B 30350 A 30351 B 30351 D 30352 D 30352 D 30353 A 30353 D 30354 D 30355 A 30356 C 30357 A 30358 B 30358 C 30359 C 30360 C 30361 C 30362 D 30363 C 30363 D 30364 C 30365 C 30366 A 30367 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 XI Tagesordnungspunkt 35: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verord- nung (EU) Nr. 259/2012 (Drucksachen 17/13024, 17/13399) . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine Neuorientierung im Umgang mit Ge- walt und Organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika – Sicherheits- abkommen unter dem Primat der Men- schenrechte gestalten (Drucksachen 17/13237, 17/13533) . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Ehrenberg (FDP) . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Stra- ßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 17/13026, 17/13351 (neu)) . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: Antrag der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann (Wackernheim), Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates zum Schutz natürli- cher Personen bei der Verarbeitung perso- nenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfol- gung von Straftaten oder der Strafvollstre- ckung sowie zum freien Datenverkehr – (KOM(2012) 10 endg.; Ratsdok. 5833/12) – hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grund- gesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Einheitli- chen Datenschutz in Europa auf hohem Niveau weiter vorantreiben – Richtlinien- vorschlag der Europäischen Kommission zur justiziellen und polizeilichen Zusam- menarbeit mit Augenmaß umsetzen (Drucksache 17/13251) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Drucksachen 17/12955, 17/13400) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13413) . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30367 D 30367 D 30368 C 30369 C 30369 D 30370 C 30371 A 30371 B 30373 A 30373 D 30374 C 30375 C 30376 C 30376 D 30377 D 30378 B 30379 A 30379 D 30380 A 30381 A 30381 B 30383 A 30384 D 30385 C 30386 C 30387 D 30388 A 30388 A 30389 B 30391 A 30392 A 30392 D XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 Tagesordnungspunkt 42: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Karin Roth (Esslingen), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Millennium- Entwicklungsziele ernst nehmen – In- fektionserkrankungen wirksam durch eine nationale und europäische Förde- rung von Product Development Part- nerships bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Forschungsförderung zur Bekämpfung vernachlässigter Krank- heiten ausbauen – Zugang zu Medika- menten für arme Regionen ermöglichen (Drucksachen 17/8183, 17/7372, 17/13463) . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftver- kehrsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 17/12856, 17/13496) . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 40: Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Diana Golze, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Transparenz und öffentliche Kontrolle im Prozess der Organspende herstellen (Drucksache 17/12225) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Organspende in Deutschland transparent organisieren (Drucksache 17/11308) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 43: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 3. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch (Drucksachen 17/12958, 17/13345) . . . . . – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über den Informationsaus- tausch in Steuersachen (Drucksachen 17/12959, 17/13345) . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker Beck (Köln), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokra- tischen Protest unterstützen (Drucksache 17/13489) . . . . . . . . . . . . . . . . . 30393 C 30393 D 30395 B 30396 A 30397 A 30397 C 30398 D 30399 C 30399 D 30400 C 30401 D 30402 D 30403 B 30403 C 30404 B 30404 B 30404 C 30405 C 30406 D 30407 C 30408 B 30409 B 30409 B 30409 C 30410 B 30412 D 30413 B 30413 D 30414 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 XIII Tagesordnungspunkt 45: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Funktionen der Betreuungs- behörde (Drucksache 17/13419) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Deutschen In- novationsfonds einrichten – Gravierende Förderlücke im deutschen Innovationssys- tem endlich schließen (Drucksachen 17/11826, 17/13464) . . . . . . . . Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 47: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrens- rechte von Beschuldigten im Strafverfah- ren (Drucksachen 17/12578, 17/13528) . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Bologna-Re- form – Positive Entwicklungen stützen, Fehler korrigieren und Verbesserungen durchsetzen (Drucksache 17/13475) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 49: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Drucksache 17/13469) . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 46: Antrag der Abgeordneten Jens Petermann, Ralph Lenkert, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunft der Solarindustrie sichern (Drucksache 17/13242) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Energiewende si- chern – Solarwirtschaft stärken (Drucksache 17/9742) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 48: Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneu- tralität gesetzlich festschreiben (Drucksache 17/13466) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 30414 D 30415 A 0000 A30417 B 30418 A 30419 A 30419 D 30420 D 30421 A 30423 A 30424 A 30424 D 30425 B 30426 A 30426 A 30427 C 30427 D 30428 B 30429 A 30430 A 30430 B 30430 B 30431 C 30432 A 30433 B 30434 C 30435 A 30435 B 30435 B 30436 C 30437 C 30438 C 30439 A 30440 C 30441 B 30441 C XIV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bögel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jimmy Schulz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 50: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus (Drucksachen 17/11588, 17/13397) . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 7a) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union (Tagesordnungs- punkt 7a) Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Be- kämpfung der Piraterie vor der Küste Soma- lias auf Grundlage des Seerechtsübereinkom- mens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. No- vember 2010, 2020 (2011) vom 22. Novem- ber 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolutionen des Si- cherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/ 907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezem- ber 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Be- schluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Tagesordnungspunkt 9) . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Monika Lazar und Hans-Christian Ströbele (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste So- malias auf Grundlage des Seerechtsüberein- kommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. No- vember 2009, 1950 (2010) vom 23. Novem- ber 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolutionen des Sicher- 30443 C 30444 C 30445 D 30447 A 30448 A 30449 B 30451 A 30451 A 30452 A 30453 B 30454 A 30455 B 30456 C 30457 A 30457 B 30457 C 30458 A 30458 B 30458 D 30459 A 30459 C 30460 A 30460 B 30460 B 30460 C 30460 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 XV heitsrates der VN in Verbindung mit der Ge- meinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. No- vember 2008, dem Beschluss 2009/907/ GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Be- schluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Herbert Behrens (DIE LINKE) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschiff- fahrt (Tagesordnungspunkt 57 c) . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Doris Barnett, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Edelgard Bulmahn, Dr. Peter Danckert, Ingo Egloff, Ulrike Gottschalck, Gabriele Groneberg, Michael Groß, Bettina Hagedorn, Michael Hartmann (Wackernheim), Wolfgang Hellmich, Wolfgang Hellmich, Dr. Barbara Hendricks, Gustav Herzog, Frank Hofmann (Volkach), Lars Klingbeil, Astrid Klug, Angelika Krüger-Leißner, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Dr. Matthias Miersch, Manfred Nink, Stefan Rebmann, Gerold Reichenbach, Dr. Carola Reimann, Karin Roth (Esslingen), Ewald Schurer, Dr. Carsten Sieling, Sonja Steffen, Christoph Strässer, Kerstin Tack, Rüdiger Veit, Ute Vogt, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dagmar Ziegler, Brigitte Zypries (alle SPD) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Ersten Ge- setzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und An- nahme von Abfällen in der Rhein- und Bin- nenschifffahrt (Tagesordnungspunkt 57 c) . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rente für Dopingopfer in der DDR (Tagesordnungspunkt 16) Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Tagesord- nungspunkt 17) Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg von Polheim (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kos- tenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkos- tenrecht – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilfe- rechts – Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskosten- hilfe (Prozesskostenhilfebegrenzungsge- setz – PKHBegrenzG) – Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts (Tagesordnungspunkte 18 a und 18 c) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (fraktionslos) . . . . . . . . . 30461 C 30462 B 30463 A 30463 D 30465 A 30465 D 30466 D 30467 C 30468 C 30469 B 30471 A 30471 D 30472 C 30473 C 30474 B 30475 B 30477 A 30478 D 30480 C 30481 C 30482 C 30483 D XVI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Rechte intersexueller Menschen stärken – Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren (Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Verwaltungs- vereinfachung in der Kinder- und Jugend- hilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwal- tungsvereinfachungsgesetz – KJVVG) – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben – Eigenständige Jugendpolitik Selbstbe- stimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation – Unterrichtung: Bericht über die Lebens- situation junger Menschen und die Leis- tungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland – 14. Kinder- und Jugendbe- richt und Stellungnahme der Bundesregie- rung – Antrag: Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche fördern – Konsequenzen aus dem 14. Kinder- und Jugendbericht ziehen (Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d) Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: Gesetz zur Änderung des Ge- setzes über die Kreditanstalt für Wiederauf- bau und weiterer Gesetze (Tagesordnungs- punkt 22) Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- derung des Energieeinsparungsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 24) Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten ver- hindern – Demokratische Proteste unterstüt- zen (Zusatztagesordnungspunkt 6) Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bologna-Reform – Positive Ent- wicklungen stützen, Fehler korrigieren und Verbesserungen durchsetzen (Zusatztagesord- nungspunkt 7) Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30485 A 30485 D 30486 C 30487 D 30488 C 30489 B 30490 D 30492 C 30493 A 30494 A 30495 D 30496 B 30497 A 30497 D 30498 D 30499 C 30500 C 30502 A 30503 B 30504 B 30505 D 30507 C 30508 B 30509 A 30509 D 30511 D 30513 B 30514 D 30515 D 30516 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30119 (A) (C) (D)(B) 240. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30457 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 7 a) Bei der namentlichen Abstimmung habe ich verse- hentlich mit Enthaltung gestimmt. Mein Votum lautet aber Ja. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. De- zember 2011 über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union (Tagesord- nungspunkt 7 a) Annette Groth (DIE LINKE): Ich habe mich heute bei dem Antrag enthalten, da ich große Sorgen habe, dass der jetzige Beitritt von Kroatien weder den Men- schen im Land noch der heutigen Europäischen Union helfen wird. Als überzeugte Europäerin habe ich mich seit meiner frühen Jugend für das Ideal eines geeinten Europas, das die Interessen der Menschen und der Um- welt in den Mittelpunkt seiner Politik stellt, eingesetzt. Mit großer Sorge sehe ich jedoch, dass die heutige Euro- päische Union dieses Ideal faktisch aufgegeben hat und unter dem neoliberalen Diktat der herrschenden Eliten zu einem Instrument für die Durchsetzung der Interessen der großen transnationalen Unternehmen deformiert ist. Ich habe große Sorgen, dass auf Kroatien durch den EU- Beitritt dieselben Probleme zukommen können wie auf Italien, Portugal, Griechenland, Bulgarien oder Rumä- nien. Die heutige Wirtschaftsdynamik innerhalb der EU führt dazu, dass mit Ausnahme weniger Staaten die Ver- armung eines immer größeren Teils der Bevölkerung zu- nimmt. Die heutige EU wird immer mehr dazu miss- braucht, auf Kosten der Bevölkerung ein Sparpaket nach dem anderen zur Sicherung der Gewinne von Banken und Investoren durchzusetzen. Innerhalb der EU wurden die Demokratie und die Ta- rifautonomie in einzelnen Staaten immer weiter einge- schränkt. Unter dem Diktat der Troika werden Staaten gezwungen, geltende Tarifverträge auszusetzen, und Ge- werkschaften in ihren Rechten eingeschränkt. In den südlichen Ländern der EU steigt die Jugendar- beitslosigkeit in unvorstellbare Höhen. Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen sind in Griechenland arbeitslos, mehr als 50 Prozent in Spanien. Ein Ende dieser be- schäftigungspolitischen Katastrophe ist aufgrund der Austeritätspolitik nicht abzusehen. Die falsche Politik der EU produziert eine „verlorene Generation“. Ich habe mich heute bei dem Antrag enthalten, weil ich die politische Seite der Kopenhagener Kriterien als nicht erfüllt ansehe. Insbesondere die fortdauernde Dis- kriminierung der serbischen Minderheit stellt ein großes Problem dar. Durch den EU-Beitritt droht diese Diskri- minierungspraxis jetzt auch noch mit einem Plazet der EU versehen zu werden. Die Bestätigung dieser Diskri- minierungspraxis von Minderheiten könnte auch ein ver- heerendes Präjudiz hinsichtlich eines EU-Beitritts der Türkei sein. Es kann nicht sein, dass die Kopenhagener Kriterien an einem so wichtigen Punkt einfach ausgehe- belt werden. Wohin das führt, sehen wir an der verstärk- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 16.05.2013 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 16.05.2013 Bellmann, Veronika CDU/CSU 16.05.2013 Bleser, Peter CDU/CSU 16.05.2013 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 16.05.2013 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 16.05.2013 Hintze, Peter CDU/CSU 16.05.2013 Koch, Harald DIE LINKE 16.05.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 16.05.2013 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 16.05.2013 Pieper, Cornelia FDP 16.05.2013 Schirmbeck, Georg CDU/CSU 16.05.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 16.05.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 16.05.2013 Schulte-Drüggelte, Bernhard CDU/CSU 16.05.2013 Zylajew, Willi CDU/CSU 16.05.2013 Anlagen 30458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) ten Diskriminierung von Minderheiten nach einem EU- Beitritt sowohl in Bulgarien und Rumänien als auch im Baltikum. Zudem ist der Grenzverlauf zwischen Kroa- tien und Serbien auf der Donau weiterhin umstritten, so- dass eine künftige EU-Erweiterung auf dem Balkan mit zusätzlichen Problemen belastet würde. Ich bin ausdrücklich für den Beitritt aller Staaten des Balkans, wenn sie dies wünschen. Gleichzeitig bin ich jedoch der Überzeugung, dass ein solcher Beitritt nur dann für die Menschen in der Region Vorteile bringt, wenn es gelingt, einen Neustart innerhalb der EU durch- zusetzen und gleichzeitig mit einer reformierten Wirt- schafts-, Sozial- und Regionalpolitik der EU eine wirkli- che Entwicklung der Ökonomie und der sozialen Situation in diesen Ländern möglich zu machen. Aus diesem Grund habe ich mich bei diesem Antrag enthalten. Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich kann einem EU- Beitritt zu Kroatien unter den vorliegenden Bedingungen nicht zustimmen und werde mich bei der Abstimmung zum Antrag der Bundesregierung „GE 17/11872“ der Stimme enthalten. Es ist nicht erkennbar, dass Kroatien die politische Seite der Kopenhagener Kriterien, insbesondere was die Situation der serbischen Minderheit angeht, erfüllt hat. Dies ist aber eine der Voraussetzungen für einen EU- Beitritt. Ich befürchte zudem, dass hier ein Präzedenzfall für einen möglichen EU-Beitritt der Türkei und ihren Umgang mit der kurdischen Minderheit geschaffen wird. Des Weiteren bleibt im Bereich der Justiz die Bereit- schaft Kroatiens ungeklärt, Prozesse vor dem Sonderge- richt für Kriegsverbrechen in Kroatien auch nach dem EU-Beitritt fortzuführen. Es ist nicht nachvollziehbar, wie vor diesem Hintergrund die EU-Kommission grünes Licht für einen EU-Beitritt Kroatiens im Bereich „Jus- tiz“ erteilen konnte. Ferner ist die Frage des Grenzverlaufs zwischen Kroatien und Serbien entlang der Donau nach wie vor umstritten geblieben. Damit wird ein künftiger Konflikt im Falle eines EU-Beitritts Kroatiens nach dem Vorbild Slowenien-Kroatien in der Adria geradezu heraufbe- schworen. Frank Heinrich (CDU/CSU): Die Fortschritte auf dem Weg zu einem EU-Beitritt Kroatiens auszuwerten, erscheint in der derzeitigen politischen Großwetterlage eigentümlich unwirklich und unzeitgemäß. Die Zukunft und der Verbleib im Euro-Raum steht bei einer Reihe von Ländern auf tönernen Füßen – und wir reden über Kroatien. Das ist den Bürgern schwer zu vermitteln, und doch ist es richtig und konsequent. Denn wir müssen fair blei- ben. Die Versäumnisse in vorangegangen Aufnahmepro- zessen dürfen sich nicht einseitig zulasten der neuen Mitgliedskandidaten auswirken. Zusagen vonseiten der EU sind einzuhalten. Doch müssen wir hier konsequenter sein als früher: Nur wer alle Bedingungen erfüllt, kann der EU beitreten. Zu wichtig ist das Projekt der europäischen Einheit, als dass wir es durch Nachlässigkeiten gefährden dürften. Daher schließe ich mich den fachlichen Forderungen an, die mein Fraktionskollege Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, formuliert hat: Kroatien hat während des EU-Beitrittsprozesses um- fangreiche Reformen vorgenommen, es hat EU-Richtli- nien übernommen, die Leistungsfähigkeit seiner Justiz und Verwaltung gesteigert, die Korruption bekämpft und seine Wirtschaft auf den Beitritt vorbereitet. Es ist daher zu begrüßen, dass Kroatien das 28. Mitglied der Euro- päischen Union wird. Doch es muss sichergestellt wer- den, dass die bereits vorgenommenen Reformen nicht zurückgenommen oder ausgehöhlt werden. Zwar werden im Rahmen des Europäischen Semes- ters auch für Kroatien länderspezifische Empfehlungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der ma- kroökonomischen Stabilität veröffentlicht, doch auch die Rechtsstaatlichkeit muss regelmäßig in den Blick ge- nommen werden. Der Antikorruptionsbericht der Europäi- schen Kommission wird nur alle zwei Jahre vorgelegt – zu selten, um aktuelle Entwicklungen darstellen zu können. Ein jährlich erscheinender Kurzbericht wäre hier hilf- reich. Auch das EU-Justizbarometer, das die Funktions- weise der Justizsysteme in den Mitgliedstaaten unter- sucht, erscheint nur in unregelmäßigen Abständen. Zudem wurde hier bisher Kroatien nicht berücksichtigt, weshalb man auf einen Bericht über das kroatische Jus- tizsystem auf unbestimmte Zeit wird warten müssen. Eine einmalige Sonderausgabe des Justizbarometers für Kroatien noch 2013 wäre vor diesem Hintergrund wün- schenswert. Die genannten Berichte müssen zudem mit den Sank- tionsmechanismen des Beitrittsvertrags verbunden wer- den. In Art. 38 und 39 des Beitrittsvertrags sind für den Zeitraum von drei Jahren nach dem Beitritt – nicht näher spezifizierte – Maßnahmen vorgesehen, um den Euro- päischen Binnenmarkt und den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schützen – ein dazugehö- riges Berichtswesen, das diese Sanktionen auslöst, fehlt jedoch. Nur durch die Verbindung dieser Sanktionsmög- lichkeiten mit den Berichten der Europäischen Kommis- sion kann hieraus ein effektives Instrument entstehen, um die wirtschaftliche und rechtsstaatliche Situation in Kroatien zu verbessern. Robert Hochbaum (CDU/CSU): Der Beitritt Kroa- tiens als 28. Mitglied der Europäischen Union ist zu be- grüßen. Im Laufe des EU-Beitrittsprozesses hat das Land bereits umfangreiche Reformen vorgenommen, EU-Richtlinien wurden übernommen, die Leistungsfä- higkeit von Justiz und Verwaltung gesteigert, Korruption bekämpft und die Wirtschaft Kroatiens auf den Beitritt zur Europäischen Union vorbereitet. Kroatien hat in den vergangenen Jahren viel geleistet, um den Anforderun- gen für die Aufnahme in die EU gerecht zu werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30459 (A) (C) (D)(B) Ich stimme meinem Kollegen Gunther Krichbaum al- lerdings dahin gehend zu, dass dieser Reformeifer der letzten Jahre nach dem Beitritt Kroatiens nicht erlahmen darf. Wie die Erfahrung zeigt, ist dabei besonders wich- tig, dass vorgenommene Reformen nicht zurückgenom- men oder abgeschwächt werden. Vorhandene Berichts- instrumente sollten besser genutzt und miteinander verzahnt werden, damit gewährleistet werden kann, dass Kroatien bestehende Reformen aufrechterhält und mög- lichst weiter ausbaut. So bin auch ich der Ansicht, dass ein jährlich erschei- nender Antikorruptionsbericht der Europäischen Kom- mission hilfreich wäre, um aktuelle Entwicklungen bes- ser darstellen und verfolgen zu können. Weiterhin teile ich die Ansicht meines Kollegen Krichbaum, dass eine Sonderausgabe des Justizbarometers für Kroatien noch in diesem Jahr wünschenswert wäre, da dies eine Unter- suchung der Funktionsweise des Justizsystems in Kroatien voraussetzen würde. Um die Sanktionsmechanismen des Beitrittsvertrages, die unter anderem den europäischen Binnenmarkt schüt- zen sollen, besser überprüfen und gewährleisten zu kön- nen, sollten die oben genannten Berichte der Europäi- schen Kommission als Grundlage für die Überprüfung der Durchführung der Sanktionsmechanismen Verwen- dung finden. Inge Höger (DIE LINKE): Heute werde ich für den EU-Beitritt Kroatiens stimmen. Dennoch gebe ich zu bedenken, dass die EU-Mit- gliedschaft eine schlechte Nachricht für die dortige Be- völkerung ist. Wie jeder andere Beitrittskandidat musste auch Kroatien den gesamten „gemeinschaftlichen Be- sitzstand“ – acquis communautaire – der EU in sein ei- genes Rechtssystem übernehmen. Dazu gehören Dere- gulierung der Wirtschaft, Privatisierungen und der Abbau des öffentlichen Dienstes. Der EU-Beitritt bedeu- tet für die Masse der Bevölkerung Kroatiens mehr Wett- bewerb und mehr Armut. Ich stand im Vorfeld des kroatischen Referendums zum EU-Beitritt auf der Seite der linken EU-Gegner, die zu Recht fürchten, Kroatien könnte in eine ähnliche Not- lage wie Griechenland geraten. Ich respektiere allerdings den Ausgang des Referendums und stimme deshalb heute mit Ja. Ein anderes Stimmverhalten wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Abstimmung als Druckmittel für eine noch brutalere neoliberale Politik Kroatiens nutzen wollen. Ich finde es einen Skandal, dass die EU-Kommission von der kroatischen Regierung erwartet, noch bis zum Beitrittsdatum 1. Juli 2013 ihre Schiffswerften zu privatisieren. Das Verscherbeln öffent- lichen Eigentums steht im Widerspruch zu einer sozia- len, humanen Entwicklung und dient allein dem Inte- resse privater Großunternehmer. Ich finde es zwar bedauerlich, dass sich beim Refe- rendum eine Mehrheit für den EU-Beitritt Kroatiens ge- funden hat. Allerdings ist es in Teilen verständlich, dass sich die Bevölkerung nach den Vorteilen der Reisefrei- heit sehnt, die in der Sozialistischen Föderativen Repu- blik Jugoslawien Normalität war – eine Reisefreiheit freilich, von der aufgrund der heute voranschreitenden Verarmung immer weniger Menschen in Kroatien Ge- brauch machen können. In den Tagen, in denen die Abstimmung im Deut- schen Bundestag stattfindet, versammeln sich Hunderte Aktivistinnen und Aktivisten in Zagreb zum Balkan-Fo- rum im Rahmen des „Subversive Film Festivals“. Sie gehören zu sozialen Bewegungen und linken Gruppen aus allen Balkan-Ländern und versuchen, ein linkes Netzwerk über ethnische und nationale Grenzen hinweg aufzubauen. Sie wollen nicht zwischen der „euro-atlanti- schen Integration“ einerseits und dem grassierenden Ethnonationalismus andererseits wählen. Es handelt sich hier um Scheinalternativen, um zwei Seiten einer Me- daille, des neoliberalen Kapitalismus. Die Linke unter- stützt den Prozess des Balkan-Forums. Ein weiterer Grund zur Hoffnung ist der Achtungserfolg, den die Kroatische Arbeiterpartei – laburisti – bei den Europa- wahlen im April errungen hat. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit der kroatischen Linken, gemeinsam mit der Linken der gesamten Bal- kan-Region für die Komplettrevision der europäischen Verträge und für eine solidarische Neugründung der Eu- ropäischen Union zu kämpfen. Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Kroatien hat während des EU-Beitrittsprozesses umfangreiche Refor- men vorgenommen, es hat EU-Richtlinien übernommen, die Leistungsfähigkeit seiner Justiz und Verwaltung ge- steigert, die Korruption bekämpft und seine Wirtschaft auf den Beitritt vorbereitet. Es ist daher sehr zu begrü- ßen, dass Kroatien das 28. Mitglied der Europäischen Union wird. Doch der Reformeifer in Kroatien darf nach dem Beitritt nicht erlahmen. Auch muss sichergestellt werden, dass die bereits vorgenommenen Reformen nicht zurückgenommen oder ausgehöhlt werden, wie dies leider in anderen Fällen geschehen ist. Um dies zu gewährleisten, sollten vorhandene Berichtsinstrumente besser genutzt und miteinander verzahnt werden. Zwar werden im Rahmen des Europäischen Semes- ters auch für Kroatien länderspezifische Empfehlungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der ma- kroökonomischen Stabilität veröffentlicht. Doch auch die Rechtsstaatlichkeit muss regelmäßig in den Blick genommen werden. Der Antikorruptionsbericht der Europäischen Kommission wird nur alle zwei Jahre vor- gelegt – zu selten, um aktuelle Entwicklungen darstellen zu können. Ein jährlich erscheinender Kurzbericht wäre hier hilfreich. Auch das EU-Justizbarometer, das die Funktionsweise der Justizsysteme in den Mitgliedstaaten untersucht, erscheint nur in unregelmäßigen Abständen. Zudem wurde hier bisher Kroatien nicht berücksichtigt, weshalb man auf einen Bericht über das kroatische Jus- tizsystem unbestimmte Zeit wird warten müssen. Eine einmalige Sonderausgabe des Justizbarometers für Kroa- tien noch 2013 wäre vor diesem Hintergrund wün- schenswert. Die genannten Berichte müssen zudem mit den Sank- tionsmechanismen des Beitrittsvertrags verbunden wer- 30460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) den. In Art. 38 und 39 des Beitrittsvertrags sind für einen Zeitraum von drei Jahren nach dem Beitritt – nicht näher spezifizierte – Maßnahmen vorgesehen, um den europäi- schen Binnenmarkt und den „Raum der Freiheit, der Si- cherheit und des Rechts“ zu schützen – ein dazugehöri- ges Berichtswesen, das diese Sanktionen auslöst, fehlt jedoch. Nur durch die Verbindung dieser Sanktionsmög- lichkeiten mit den Berichten der Europäischen Kommis- sion kann hieraus ein effektives Instrument entstehen, um die wirtschaftliche und rechtsstaatliche Situation in Kroatien weiter zu verbessern. In künftigen Beitrittsver- trägen sollte dieses Junktim von Beginn an Berücksichti- gung finden. Andreas Lämmel (CDU/CSU): Dem Gesetz zum Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Re- publik Kroatien zur Europäischen Union – Bundestags- drucksache 17/11872 – stimme ich zu. Jedoch verbinde ich meine Zustimmung mit dieser Erklärung: Laut den Berichten der Europäischen Kommission er- füllt Kroatien die formalen Kriterien für einen Beitritt zur Europäischen Union. Persönlich habe ich jedoch er- hebliche Zweifel, ob die formale Erfüllung der Beitritts- kriterien auch die Realität in der Republik Kroatien ge- genwärtig widerspiegelt. Die Verabschiedung einzelner Gesetzespakete heißt noch lange nicht, dass diese zum Standard des staatlichen Handelns gehören. In der Ver- gangenheit hat dieses formale Vorgehen der Europäi- schen Union schon mehrfach zu verfrühten Beitritten ge- führt – zum Beispiel Griechenland, Zypern, Bulgarien, Rumänien. Auch den Zeitpunkt des Beitritts halte ich an- gesichts des momentanen Zustands der Europäischen Union für schwierig. Aus meiner Sicht gilt es zunächst die Probleme innerhalb der Europäischen Union zu lö- sen, bevor eine Erweiterung erfolgen kann. Der Beitritt der Republik Kroatiens darf unter keinen Umständen eine Vorentscheidung für die schnelle Eröff- nung von Beitrittsverhandlungen mit weiteren Staaten sein. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Aus meiner Sicht ist Kroatien nicht beitrittsreif und die EU derzeit nicht in der Lage, neue Mitglieder aufzunehmen. Diese Auffassung war in der Fraktion nicht mehr- heitsfähig. Deshalb stimme ich gegen meine Überzeu- gung zu. Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Ich stehe dem Beitritt der Republik Kroatiens zur Europäischen Union kritisch gegenüber, da ich denke, dass die Europäische Union zurzeit eine Pause bei ihrer Erweiterung braucht, um die vielen Probleme zu lösen, die innerhalb der Ge- meinschaft bestehen. Ich denke auch, dass die Republik Kroatien mit ihrer Entwicklung noch Zeit braucht, bevor sie die wesentli- chen Standards erfüllen kann. Ich stimme heute dem Gesetz zu, da meine Fraktion mit sehr großer Mehrheit diesen Weg beschlossen hat. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Kroatien hat wäh- rend des EU-Beitrittsprozesses umfangreiche Reformen vorgenommen, es hat EU-Richtlinien übernommen, die Leistungsfähigkeit seiner Justiz und Verwaltung gestei- gert, die Korruption bekämpft und seine Wirtschaft auf den Beitritt vorbereitet. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Kroatien das 28. Mitglied der Europäischen Union wird. Doch der Reformeifer in Kroatien darf nach dem Beitritt nicht erlahmen. Auch muss sichergestellt wer- den, dass die bereits vorgenommenen Reformen nicht zurückgenommen oder ausgehöhlt werden, wie dies lei- der in anderen Fällen geschehen ist. Um dies zu gewähr- leisten, sollten vorhandene Berichtsinstrumente besser genutzt und miteinander verzahnt werden. Wir müssen unsere gelernte Lektion insbesondere aus dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien zeigen, auch in Richtung dieser beiden Länder, wo der Umgang nun mit Kroatien sehr genau verfolgt wird. Zwar werden im Rahmen des Europäischen Semes- ters auch für Kroatien länderspezifische Empfehlungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der ma- kroökonomischen Stabilität veröffentlicht, doch auch die Rechtsstaatlichkeit muss regelmäßig in den Blick ge- nommen werden. Der Antikorruptionsbericht der Euro- päischen Kommission wird nur alle zwei Jahre vorge- legt – zu selten, um aktuelle Entwicklungen darstellen zu können. Ein jährlich erscheinender Kurzbericht wäre hier hilfreich. Auch das EU-Justizbarometer, das die Funktionsweise der Justizsysteme in den Mitgliedstaaten untersucht, erscheint nur in unregelmäßigen Abständen. Zudem wurde hier bisher Kroatien nicht berücksichtigt, weshalb man auf einen Bericht über das kroatische Jus- tizsystem unbestimmte Zeit wird warten müssen. Eine einmalige Sonderausgabe des Justizbarometers für Kroa- tien noch 2013 wäre vor diesem Hintergrund wün- schenswert. Die genannten Berichte müssen zudem mit den Sank- tionsmechanismen des Beitrittsvertrags verbunden wer- den. In Art. 38 und 39 des Beitrittsvertrags sind für einen Zeitraum von drei Jahren nach dem Beitritt – nicht näher spezifizierte – Maßnahmen vorgesehen, um den europäi- schen Binnenmarkt und den „Raum der Freiheit, der Si- cherheit und des Rechts“ zu schützen – ein dazugehöri- ges Berichtswesen, das diese Sanktionen auslöst, fehlt jedoch. Nur durch die Verbindung dieser Sanktionsmög- lichkeiten mit den Berichten der europäischen Kommis- sion kann hieraus ein effektives Instrument entstehen, um die wirtschaftliche und rechtsstaatliche Situation in Kroatien weiter zu verbessern. In künftigen Beitrittsver- trägen sollte dieses Junktim von Beginn an Berücksichti- gung finden. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Operation Atalanta Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30461 (A) (C) (D)(B) zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsüberein- kommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. De- zember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolu- tionen des Sicherheitsrates der VN in Verbin- dung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/ GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/ 907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/ 766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Tagesord- nungspunkt 9) Dem vorliegenden Antrag – Drucksache 17/13111 – der Bundesregierung werde ich, entgegen der Mehrheit meiner Fraktion, zustimmen. Am 19. Dezember 2008 stimmte der Deutsche Bun- destag einem Mandat zur Teilnahme an der Pirateriebe- kämpfung im Rahmen der EU-Mission Atalanta zu. Deutschland beteiligte sich in der Folge regelmäßig mit Einheiten der Marine. Der Auftrag des EU-Geschwaders im Indischen Ozean ist zuerst der Schutz aller Schiffe des UN-Welt- ernährungsprogramms, die mit Hilfsgütern für Somalia unterwegs sind. Hier verweist die EU auf eine 100-pro- zentige Erfolgsquote. Seit Beginn der Operation wurden 200 Schiffe des Welternährungsprogramms mit über 1,2 Millionen Tonnen Lebensmittel nach Somalia eskor- tiert. Kein Schiff des Welternährungsprogramms ging an Piraten verloren. Darüber hinaus ist die übrige Handelsschifffahrt im Seegebiet vor der Küste Somalias durch bewachte „Kor- ridore“ zu schützen – auch gemeinsam mit Kriegsschif- fen anderer Nationen: einem Nato-Verband, einer US- Task-Group und diversen Schiffen weiterer Staaten (In- dien, China). Dieses Verfahren – im Verbund mit Schutzmaßnah- men der Reeder – bietet neue Sicherheit: Wurden im Re- kordjahr 2010 insgesamt 47 Handelsschiffe entführt, wa- ren es 2011 noch 25 und 2012 fünf Schiffe. Im 1. Quartal 2013 konnten die Seeräuber lediglich ein Schiff tatsäch- lich in ihre Gewalt bringen. Auch die Zahl der versuch- ten Kaperungen nimmt weiter ab. 2010: 127, 2013: bis- her 3 (Stand 5. April 2013). Die Atalanta-Mission ist eine Erfolgsgeschichte. Be- fürchtete Gefährdungen durch die Erweiterung der EU- Regeln 2012 sind nicht eingetreten und nicht zu erwar- ten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Monika Lazar und Hans- Christian Ströbele (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fort- setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechts- übereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. De- zember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolu- tionen des Sicherheitsrates der VN in Verbin- dung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/ GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/ 907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/ 766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Tagesord- nungspunkt 9) Den Antrag der Bundesregierung lehnen wir ab und stimmen mit Nein. Dies ist die siebte Abstimmung zum Atalanta-Einsatz der Bundeswehr, wenn wir richtig ge- zählt haben. Wir stimmen wieder mit Nein, wie die sechs Male vorher. Der Einsatz der Bundeswehr im Golf von Aden und inzwischen im ganzen Indischen Ozean ist politisch falsch und nicht notwendig zum Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms vor Piraterie. Vor allem war er von Anfang an nicht das letzte mögliche Mittel, die Ultima Ratio, um die Schiffe zu schützen und Piraterie wirksam zu bekämpfen. Die Bundesregierung erklärt, die Zahl der erfolgrei- chen Schiffsentführungen durch Piraten am Horn von Afrika sei im vergangenen Jahr stark zurückgegangen. Das stimmt, der Rückgang beträgt sogar 66 Prozent. Was aber nicht stimmt, ist die Behauptung, der Grund sei die durchgängige Präsenz von Kriegsschiffen der Operation Atalanta im Golf von Aden. Die Bundesregierung legt dafür auch keine Beweise vor. Es ist schlicht eine An- nahme – eine falsche. In Wahrheit hat der Rückgang der Kaperungen ganz andere Gründe, und die Bundesregierung weiß das. Es gibt geeignete „zivile“ Maßnahmen, um das Risiko von Piraterieangriffen zu verringern. Das Einhalten der soge- nannten Best Management Practices – das Fahren im Konvoi oder mit hoher Geschwindigkeit sowie die Absi- cherung von Reling und Außenbord, etwa durch Stachel- 30462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) draht, und das Anbringen von Scheinwerfern – hilft schon viel. In den letzten Jahren konnte kein Schiff von Piraten aufgebracht werden, das sich an diese Regeln ge- halten hat. Der Schutz der Transporte des Welternährungspro- gramms – WFP – von Hilfsgütern und Nahrungsmitteln nach Somalia kann außerdem dadurch verbessert wer- den, dass das WFP mit besseren und schnelleren Schif- fen ausgestattet wird. Der Schutz von Handelsschiffen auf gefährlichen Routen durch zivile Sicherheitsdienste an Bord, die nicht schwer bewaffnet sein müssen, wird seit Jahren empfohlen. Nach Schätzungen sind inzwi- schen fast 80 Prozent der Schiffe in der gefährdeten Re- gion mit zivilen Sicherheitsdiensten an Bord unterwegs. Endlich werden die Best Management Practices zum Schutz vor Piraterieüberfällen weitgehend eingehalten. Sie wurden bereits seit Jahren gefordert, aber nicht prak- tiziert – aus Kostengründen. Der Reedereiverband soll ihnen zugestimmt haben, aber die Reedereien haben sich lange geweigert, diese wichtigen Schutzmaßnahmen zu finanzieren. Stattdessen verlangten sie den Schutz durch die internationale Armada aus Kriegsschiffen, der drei- stellige Millionenbeträge verschlingt und Krieg bedeu- tet. Im letzten Jahr wurde das Mandat der Operation Atalanta sogar erweitert: vom militärischen Kampfein- satz vor der Küste Somalias auf einen Küstenstreifen an Land von zwei Kilometern Breite. Zwar beschränkt sich diese Erweiterung des Mandats auf Angriffe nur aus der Luft mittels Hubschraubern lediglich auf die Logistik von Piraten. Nothilfeeinsätze an Land, um abgeschos- sene Hubschrauberbesatzungen zu retten, bleiben aber erlaubt. Die Erweiterung bedeutet daher ein zusätzliches Eskalationsrisiko. Jahr um Jahr entscheidet sich der Bundestag nun schon für diesen Kriegseinsatz, der aber letztlich nur die Symptome von Piraterie bekämpft. Deren Ursachen hin- gegen, die man politisch angehen kann, werden weitge- hend ignoriert. Dazu gehört die Überfischung der Ge- wässer vor Somalia. Modern ausgestattete Fangflotten aus der EU, aus Japan oder Taiwan rauben den lokalen Fischern die Existenzgrundlage. Zusätzlich kommt es durch illegale (Gift-)Müllentsorgung vor der Küste So- malias zu massivem Fischsterben, Menschen erkranken. Auch europäische Firmen sind in die Müllverseuchung verwickelt. Und an Land herrschen noch immer Armut, Hunger, Gewalt und politische Unsicherheit. Wen wun- dert, dass da die Aussicht, mit Schiffsentführungen harte Dollars zu verdienen, verlockend ist. Kriegsschiffe und Militäreinsätze sind jedoch nicht das richtige Mittel und nicht nötig, um die Piraterie wirksam zu bekämpfen. Der Einsatz der Bundesmarine ist umgehend zu beenden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Herbert Behrens (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausfüh- rungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt (Tagesordnungspunkt 57 c) Meine Fraktion hat heute gegen die Gesetzesände- rung gestimmt, weil darin eine Kompetenz von der Was- ser- und Schifffahrtsdirektion Südwest auf die General- direktion Wasserstraße übertragen werden soll. Diese Generaldirektion wurde ohne Beschlussfassung des Bundestages und Bundesrates am 1. Mai gegründet. Es ist Bestandteil der umstrittenen Reform der Was- ser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die von den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen, vielen Fachverbänden und mit einstimmigen Votum der Ver- kehrsministerkonferenz, VMK, der Bundesländer abge- lehnt wurde. Am 10. und 11. April 2013 in Flensburg er- neuerte die VMK hierzu ihre Kritik vom 4. Oktober 2012. Auch der Bundesrat hat hierzu in der 909. Sitzung am 3. Mal 2013 mit einer Entschließung zur Neuord- nung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bun- des – Drucksache 340/13 – „die Nichtberücksichtigung der sachlichen Kritik der Länder“ kritisiert sowie „ver- fassungsrechtliche Zweifel“ angemeldet und geht von „einem nicht hinnehmbaren Verlust in der Verkehrsqua- lität“ aus. Die vorgesehene Trennung der Wasser- und Schiff- fahrtsämter in Ämter für Betrieb und Unterhaltung einer- seits und Ämter mit revierbezogenen Aufgaben anderer- seits führt zu zusätzlichen Schnittstellen, Mehraufwand und zu einer geminderten Leistungsfähigkeit der Bun- deswasserstraßen. Der Abbau der regionalen Zentralen – Wasser- und Schifffahrtsdirektionen – führt zum Ver- lust regionaler Kompetenz. Die im Zusammenhang mit der Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung vorgelegte Kategorisierung der Wasserstraßen des Bun- des ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere besteht die Gefahr, dass durch die Abschaffung der regionalen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen das regionalspezifische Know- how verloren geht. Da die derzeitige organisatorische Um- gestaltung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes gegen den erklärten Willen der Bundesländer statt- findet, würde eine notwendige Nachzeichnung durch ein Zuständigkeitsanpassungsgesetz auch später keine Mehr- heit in der Länderkammer erhalten. Die Bundesregie- rung sollte daher die Rechtsunsicherheit durch Unwirk- samkeit der organisatorischen Umgestaltung vermeiden und auf die Zuständigkeitsänderung der Kompetenzen an diese Behörde in diesem Gesetz verzichten. Eine Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung unter Berücksichtigung einer ökologischen Ausrichtung der Verwaltung ist nur zu erreichen, wenn das vorhan- dene Know-how umfassend in den Reformprozess ein- bezogen wird und den Anforderungen der EU an eine ökologische Gewässerschutzpolitik gerecht wird. Die Linke lehnt diese Reform der Wasser- und Schiff- fahrtsverwaltung ausdrücklich ab und stimmt daher ge- gen die heutige Gesetzesänderung. Dem eigentlichen Übereinkommen zur Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt stim- men wir inhaltlich selbstverständlich zu. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30463 (A) (C) (D)(B) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Doris Barnett, Dr. Hans- Peter Bartels, Sören Bartol, Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Edelgard Bulmahn, Dr. Peter Danckert, Ingo Egloff, Elke Ferner Ulrike Gottschalck, Gabriele Groneberg, Michael Groß, Bettina Hagedorn, Michael Hartmann (Wackernheim), Wolfgang Hellmich, Dr. Barbara Hendricks, Gustav Herzog, Frank Hofmann (Volkach), Lars Klingbeil, Astrid Klug, Angelika Krüger-Leißner, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Dr. Matthias Miersch, Manfred Nink, Stefan Rebmann, Gerold Reichenbach, Dr. Carola Reimann, Karin Roth (Esslingen), Ewald Schurer, Dr. Carsten Sieling, Sonja Steffen, Christoph Strässer, Kerstin Tack, Rüdiger Veit, Ute Vogt, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wol- mirstedt), Dagmar Ziegler und Brigitte Zypries (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Aus- führungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt (Tagesordnungspunkt 57 c) Wir halten die mit dem heute beschlossenen Gesetz vorgenommene Anpassung der Regelungen zur Finan- zierung der Entsorgung von öl- und fetthaltigen Schiffs- betriebsabfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt sowie die Aufnahme einer datenschutzrechtlichen Rege- lung im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung durch die Zollverwaltung für richtig und geboten. Dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf sowie dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen haben wir dennoch nicht zugestimmt, weil: – der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens unsere ver- fassungsrechtlichen Bedenken an der vom Bundes- ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BMVBS, vorgenommenen Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, bestä- tigt hat. Die Bundesregierung hat in dem von ihr im April 2013 vorgelegten Gesetzentwurf die „Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest“ als zuständige Behörde benannt. Am 24. April 2013 wurde der Ge- setzentwurf im federführenden Ausschuss für Ver- kehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bun- destages einstimmig angenommen. Am 1. Mai 2013 hat das BMVBS per Organisationserlass die neue „Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt“, GDWS, eingerichtet und die sieben Wasser- und Schifffahrtsdirektionen abgeschafft. Durch die nach- trägliche Änderung des bereits durch den Fachaus- schuss des Deutschen Bundestages beschlossenen, aber durch den Erlass nun ins Leere laufenden Ge- setzentwurfs im Zuge der heutigen abschließenden Plenarberatungen soll die Zuständigkeit korrigiert und die Rechtswirksamkeit des Gesetzes sicherge- stellt werden. Dieses Vorgehen bestätigt die Auffas- sung, dass eine rechtssichere Umsetzung der Organi- sationsreform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eine gesetzliche Änderung der Aufgaben- und Zu- ständigkeitsregelungen zwingend erfordert. Das Bei- spiel des jetzt beschlossenen Gesetzentwurfs zeigt zu- dem, dass das von der Bundesregierung gewählte Verfahren, die Umstrukturierung der WSV durch Or- ganisationserlass zu regeln und auf ein Rechtsbereini- gungsgesetz zu verzichten, zu erheblicher Rechtsunsi- cherheit führt. – der Deutsche Bundestag mit dem heute beschlossenen Gesetz die neue, von uns in der jetzigen Form abge- lehnte Umstrukturierung der Wasser- und Schiff- fahrtsverwaltung des Bundes konstituiert. Das Vorha- ben, die WSV zu modernisieren, ist grundsätzlich richtig. Als Folge des erheblichen Personalabbaus seit Ende der 1990er-Jahre ist sie in ihren Verwaltungs- und Ablaufstrukturen reformbedürftig. Die Pläne der Bundesregierung sind jedoch nicht geeignet, dieses Ziel einer Modernisierung der WSV unter Berück- sichtigung gesamtwirtschaftlicher Gesichtspunkte zu erreichen. Insbesondere die beabsichtigte Fortsetzung des Personalabbaus, die Schließung der regionalen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen und die Überfüh- rung von Aufgaben an die neue Generaldirektion füh- ren zu einem Verlust von fachlicher Kompetenz und regionaler Nähe, schaffen zusätzliche Schnittstellen und bedeuten eine geminderte Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Wasserstraße insgesamt. – eine parlamentarische Befassung des Bundestages mit der Umstrukturierung der WSV unterblieben ist. Die Bundesregierung hat es abgelehnt, dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und zur Anpassung der Zuständigkeiten der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen vorzulegen. Dadurch sehen wir die Belange des Deutschen Bundestages und sei- ner Abgeordneten als nicht ausreichend berücksich- tigt. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundes- tages hat die Bundesregierung bereits im September 2012 aufgefordert, zeitnah ein Gesetz zur Rechtsbe- reinigung vorzulegen. Die Bundesregierung hat je- doch die sachlich begründete Kritik und die verfas- sungsrechtlichen Bedenken nicht berücksichtigt und eine angemessene Beteiligung des Deutschen Bun- destages verweigert. Wir sind deshalb nicht bereit, die mit dem heute beschlossenen Gesetz verbundene An- erkennung dieser Umstrukturierung zu unterstützen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rente für Doping- opfer in der DDR (Tagesordnungspunkt 16) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Unbestritten wurde in der ehemaligen DDR systematisches Doping betrie- ben. Dieses wurde von staatlichen Stellen angeordnet und von den Sportverbänden organisiert. Viele Sportle- rinnen und Sportler haben unter der Verabreichung von 30464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Dopingmitteln gelitten und tun das auch heute noch. Un- zweifelhaft ist auch, dass finanzielle Leistungen diesen Opfern ihre Gesundheit nicht wiedergeben können. Die wichtige Frage allerdings, ob sie diese Dopingmittel nun wissentlich oder unwissentlich eingenommen haben, führt schnell in den Bereich der Spekulation, denn im Nachhinein ist das nur schwer zu beantworten. Haben Sportler ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung gedopt? Zu der Beantwortung dieser Frage müsste man nachwei- sen können, dass Ärzte oder Betreuer die Sportler gezielt getäuscht haben, was ich juristisch für sehr kompliziert halte, aber für den rechtlichen Anspruch auf eine Ent- schädigung von ganz entscheidender Bedeutung wäre. Genau diese Frage wird in Deutschland seit dem Auf- decken des systematischen Staatsdopings intensiv disku- tiert. Im Ergebnis kann gesagt werden, dass nach juristi- schen Maßstäben der Nachweis, dass in der ehemaligen DDR Sportlerinnen und Sportler ohne ihr Wissen gedopt wurden, im Einzelfall nur sehr schwer zu führen ist. Ein ganz ähnliches Problem ergibt sich beim medizi- nischen Nachweis bezüglich der gesundheitlichen Schä- digung durch ein konkretes Dopingmittel. Ohne Zweifel gibt es eine Reihe von Indizien, aber einen Zusammen- hang zwischen der heute angegriffenen Gesundheit der Betroffenen und der damaligen Einnahme von ganz be- stimmten Substanzen lässt sich rechtlich kaum feststel- len. Diese beiden Dilemmata sind die Ursache der kom- plizierten juristischen Anerkennung von Dopingopfern aus der ehemaligen DDR. Genau hier liegt dann auch das Problem des uns vor- liegenden Antrags. Wo ist die Grenze zu ziehen? Welche Geschädigten sollen anerkannt werden? Die Grünen zie- hen diese bei damals minderjährigen Sportlern in der ehemaligen DDR. Ich frage mich bei dieser Grenze, wa- rum sie hier gezogen wurde? Meiner Ansicht nach mutet es willkürlich an, die Grenze bei 18 Jahren zu ziehen. Zum einen ist der genaue Zeitpunkt eines erstmaligen Dopings heutzutage kaum noch zu bestimmen, und zum anderen bleiben jene außen vor, die bei der Einnahme ei- nes Dopingmittels älter als 18 Jahre waren, obwohl sie heutzutage vielleicht die gleichen oder womöglich noch schwerwiegendere gesundheitliche Probleme haben. Wie wollen Sie mit Sportlern umgehen, die in der Zeit, in der diese Doping verabreicht bekommen haben, voll- jährig geworden sind? Ist die von Ihnen gezogene Grenze von 18 Jahren überhaupt juristisch zulässig? Ist sie gerecht? Was sagen Sie den damals volljährigen Do- pingopfern? Die Antworten auf all diese Fragen bleiben Sie in ihrem Antrag schuldig. Das von Ihnen geforderte Instrument der Anerken- nung und Einführung eines gesonderten Rentenan- spruchs für die Dopingopfer aus der ehemaligen DDR hält die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das falsche Instrument, den Betroffenen eine finanzielle Wiedergut- machung zu gewähren. Es gibt keine rechtliche Grund- lage für eine solche Opferrente und jede Regelung dahin gehend würde einen erheblichen arbeits- und sozial- rechtlichen Aufwand nach sich ziehen. Die Folge wäre, dass das mit Sicherheit neue Forderungen nach sich zie- hen würde, deren finanzielle Auswirkungen wir nicht absehen und damit verantworten können. Ohnehin lese ich in Ihrem Antrag sehr viel von finan- ziellen Forderungen. So soll neben einer monatlichen Rente, von wenigstens 200 Euro, eine unabhängige Be- ratungsstelle für Dopingopfer eingerichtet und betrieben werden. Zudem soll der Aufbau und Unterhalt eines Do- pingopferarchives finanziell und inhaltlich unterstützt werden. Zuletzt fordern Sie in Ihrem Antrag noch, dass Finanzmittel für die Durchführung einer Studie bereitge- stellt werden sollen, die Langzeitschäden des Dopings zusammentragen soll. Einen Hinweis darauf, wie das al- les finanziert werden soll, bleiben Sie aber ebenfalls schuldig. Insbesondere Ihre Forderungen nach dem Aufbau ei- ner gesonderten Beratungsstelle erscheint mir weit her- geholt. Ich denke, dass sich Hilfestellungen für die Betroffenen durch bestehende Institutionen und Sport- verbände organisieren lassen müssten. Der Doping-Op- fer-Hilfe-Verein, DOH, leistet hier bereits einen wichti- gen Beitrag. Genau da sind wir bei dem richtigen Thema ange- langt. Der 1999 gegründete DOH hat sich zum Ziel ge- setzt, ehemalige Sportler aus dem DDR-Dopingsystem zu unterstützen und Aufklärung über die körperlichen Langzeitschäden von Dopingmitteln zu leisten. Der Ver- ein betreut dopinggeschädigte Athleten mit einer umfas- senden Beratung durch seine Beiräte und möchte eine Langzeitstudie zu den Gesundheitsschäden von Doping in Auftrag geben. Zudem soll eine bundesweite Bera- tungsstelle eingerichtet werden, die als eine Anlaufstelle für ehemalige und aktive Sportler dienen soll. Diese bei einer Pressekonferenz Ende April dieses Jahres in Berlin vom DOH vorgestellten Maßnahmen beinhalten viele von den Forderungen, die die Grünen in ihrem Antrag von der Bundesregierung einfordern, ohne dabei zu be- denken, ob der autonome Sport diese Aufgabe mit der Unterstützung der Bundesregierung nicht besser organi- sieren könnte. Wie ich bereits zu Beginn meiner Rede gesagt habe, hat es in der ehemaligen DDR im Leistungssport ein sys- tematisches Doping gegeben. Die Opfer dieses Systems haben Bundesregierung und organisierter Sport in Deutschland anerkannt und ihnen auch eine finanzielle Hilfe gewährt, die weitaus niederschwelliger war. Das im Jahr 2002 in Kraft getretene Dopingopfer-Hilfegesetz war bewusst so ausgelegt, dass so viele Opfer wie mög- lich einen leichten Zugang zu dem mit dem Gesetz ent- standenen Hilfsfonds erhalten haben. 2 Millionen Euro hatte die damalige Bundesregierung bereitgestellt, um den damals 194 Berechtigten jeweils eine Einmalzahlung von 10 438 Euro zukommen zu lassen. Ende 2006 hat dann der organisierte Sport in Gestalt des DOSB – gemeinsam mit dem hauptverantwortlichen Pharmahersteller – einen Vergleich mit 167 Dopingopfern geschlossen und wiede- rum eine Einmalzahlung von 9 250 Euro vereinbart. Abschließend muss ich nochmals betonen, dass der uns vorliegende Antrag in die falsche Richtung geht, fal- sche – weil willkürliche – Grenzen setzt, die Autonomie des Sports nicht ausreichend würdigt, den Opfern eine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30465 (A) (C) (D)(B) unbürokratische Hilfe nur vorgaukelt. Wir können ihm deshalb nicht zustimmen. Klaus Riegert (CDU/CSU): Ich kann mich der Posi- tion von Eberhard Gienger nur anschließen und möchte daher auch nicht alle Argumente im Einzelnen wieder- holen. Wir haben uns mit allen Fraktionen bereits vor knapp zwei Jahren in einem Expertengespräch mit dem Thema beschäftigt. Im Ergebnis wurden von allen Seiten die gleichen Zweifel an dem von den Grünen vorgeschlage- nen Weg geäußert. Allein aus rechts- und sozialpoliti- scher Sicht war klar, dass eine solche Initiative gar nicht umsetzbar ist und nicht rechtskonform sein kann. Inso- fern wundert es mich schon sehr, wenn ein von den Grü- nen scheinbar selbst aufgegebener Punkt nach zwei Jahren zur Bundestagswahl aufgegriffen wird. Dahin ge- hend kann ich den Antrag der Grünen nicht als eine se- riöse und ernstgemeinte Initiative betrachten. Ehrlich ge- sagt ist es enttäuschend, wenn die DDR-Dopingopfer instrumentalisiert werden, um eine parteipolitische Showveranstaltung zu inszenieren, gleichwohl klar ist, dass der Antrag ins Leere läuft. Warum sind die Grünen denn nicht noch einmal auf alle Fraktionen zugegangen, bevor der Antrag eingebracht wurde? Diese Frage kann sich wohl jeder selbst beantworten. Unsere ablehnende Position gegenüber dem Antrag – wie auch jene der anderen Fraktionen – gründet darauf, dass die Initiative schlichtweg widersprüchlich, unge- recht und rechtswidrig ist. Mit einer Blockadepolitik hat das absolut gar nichts zu tun. Zudem stellt der Antrag auf das falsche sozialpolitische Instrument Rente ab. Weiterhin ignorieren die Grünen konsequent juristische und medizinische Anforderungen, die Eberhard Gienger bereits angesprochen hat. Eine Eingrenzung des Perso- nenkreises auf zum Zeitpunkt der Dopingmittelein- nahme minderjährige Sportlerinnen und Sportler der DDR zum Beispiel kann im Nachgang nicht abgren- zungsfrei vorgenommen werden. Warum werden die da- mals gerade volljährigen Athletinnen und Athleten in dem Antrag der Grünen prinzipiell ausgeklammert? Wie ist der Rentenanspruch von jenen Sportlerinnen und Sportlern zu sehen, die wissentlich gedopt haben? Auch die Festlegung der Rentenhöhe (von mindestens 200 Euro) ist offenkundig willkürlich gesetzt. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ent- hält eine Vielzahl an inhaltlichen und argumentativen Widersprüchen. Die Begründung der einzelnen Forde- rungspunkte ist völlig inkonsistent, viele Aspekte versto- ßen gegen geltende Rechtsvorschriften. Traurigerweise muss man davon ausgehen, dass die Schwächen und Mängel der Initiative den Antragstellern schon vorher bekannt waren und die Initiative nur ins Leere laufen kann. Mit Blick in die Vergangenheit hat sich die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion 2001/2002 maßgeblich für die Entschädigung von Dopingopfern starkgemacht. So ha- ben wir 2001 eine Anhörung zur „Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR“ (Bundestagsdrucksache 14/5674) beantragt und das Thema sachlich vorangebracht. Bei den von der damali- gen Bundesregierung zur Verfügung gestellten 2 Millio- nen Euro konnte so eine Einmalzahlung von circa 10 000 Euro geleistet werden. Im Gegensatz zur damali- gen Entscheidung sollten wir heute gemeinsam schauen, wie wir die Dopingopfer weiter unterstützen und die Einnahme von Dopingmitteln präventiv verhindern kön- nen. Das sozialpolitische Instrument der Rente ist dabei in jedem Fall der falsche Weg. Ich freue mich dahin gehend sehr, dass sich zum Bei- spiel auch der Doping-Opfer-Hilfe-Verein weiterhin für die Belange der ehemaligen Sportlerinnen und Sportler der DDR einsetzt. Ich würde mir wünschen, dass der Verein aktiv den Kontakt zu den Regierungsfraktionen sucht und man konstruktiv nach Lösungen für eine wei- tere Aufarbeitung der Vergangenheit und Unterstützung der Opfer sucht. Gerne unterstützen wir den Verein da- bei, eine Beratungsstelle in Berlin zu etablieren und den Kontakt zu weiteren Stakeholdern (zum Beispiel zur Pharmaindustrie) herzustellen. Neben der Vergangenheitsbewältigung wären vor al- lem jene Initiativen (zum Beispiel des Doping-Opfer- Hilfe-Vereins) besonders wünschenswert, die an Maß- nahmen des heutigen Kampfes gegen Doping im Sport anknüpfen oder diese ergänzen. Gerade im präventiven Bereich des Antidopingkampfes liegt ein großes Poten- zial, um im Vorfeld Missbrauch, Täuschung im sportli- chen Wettbewerb und letztlich schwere körperliche Fol- geschäden zu verhindern. Die Bundesländer haben sich für die Unterstützung der Dopingpräventionsarbeit ver- antwortlich gezeigt bzw. ihren Zuständigkeitsbereich an- gezeigt. Hier könnte ebenso eine starke Förderung statt- finden. Ferner wäre eine Kooperation mit der Nationalen Anti Doping Agentur Deutschland, NADA, der Deut- schen Sportjugend, DSJ, und weiteren Institutionen zu begrüßen. Die Kooperation sollte hierbei von Vertrauen, gegenseitigem Respekt, zielorientierten Initiativen, aber auch von Selbstverantwortung getragen sein, um sich einzeln und zusammen für das gemeinsame Ziel einzu- setzen. Der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB, hat in der Vergangenheit bereits vielfältige Bestrebungen unternommen sowie weiteres Interesse bekundet. Abschließend wird erkennbar, dass es nicht an sinn- vollen Vorhaben, konkreten Maßnahmen, Projekten und Initiativen mangelt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich auch weiterhin kraftvoll für die Aufarbeitung der Dopingvergangenheit einsetzen. Besonders wichtig ist für uns hierbei vor allem die Verbindung zur heutigen Zeit. Die Herausforderung ist, Doping im Sport präven- tiv zu verhindern, sodass es weder zu Missbrauch und Manipulation im Sport noch zu schweren körperlichen Folgeschäden kommt. Martin Gerster (SPD): Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht ein für den Sport und darüber hinaus wichtiges und sehr ernstes Thema an: Doping und seine Folgen für die Gesundheit. Etliche Sportlerinnen und Sportler aus der ehemaligen DDR zeigen auf dramati- sche Weise die enormen körperlichen Schädigungen durch Doping auf: Störungen der Fruchtbarkeit, Leber- 30466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) schäden, Herzschäden und vieles weitere. Die Liste der Leiden ist leider sehr lang. Hinzu kommt hier die beson- dere Widerwärtigkeit, dass dies von der DDR staatlich gefördert und vorgegeben war. Die Frage einer Rente für dopinggeschädigte Sportle- rinnen und Sportler aus der ehemaligen DDR begleitet uns bereits seit einigen Jahren. Verantwortung für Dopinggeschädigte übernahm erst- mals die damalige rot-grüne Bundesregierung mit dem Dopingopfer-Hilfegesetz im Jahr 2002. Insgesamt er- hielten 194 Betroffene eine Einmalzahlung von knapp 10 500 Euro. Wenn auch erst nach intensiven Rechts- streitigkeiten folgten diesem positiven Beispiel später der DOSB und das Pharmaunternehmen Jenapharm. Beide zahlten an 167 bzw. 184 Kläger jeweils 9 250 Euro. Und doch muss uns allen eines klar sein: Kein Geld der Welt kann das Leid der Betroffenen wiedergutma- chen! Wir sind gerne bereit, über eine Rente für Dopingge- schädigte zu sprechen, und lehnen den Vorschlag nicht grundsätzlich ab. Daher ist folgender, von dem Doping- Opfer-Hilfe-Verein gestern in einer Pressemitteilung ge- äußerte Satz in Bezug auf die SPD-Fraktion nicht rich- tig: „Die anderen im Bundestag vertretenen Parteien, da- runter die SPD-Opposition, haben angekündigt, sich der Initiative von Bündnis 90/Die Grünen nicht anzuschlie- ßen.“ Über die Details gilt es aber noch zu sprechen. Dafür sind die Beratungen im Parlament schließlich da. Zu dem vorliegenden Antrag: Richtig ist aus unserer Sicht, dass für einen möglichen Rentenanspruch die erst- malige Verabreichung der Dopingmittel vor Eintritt der Volljährigkeit erfolgt sein muss. Bei erwachsenen Men- schen muss eine vollständige Eigenverantwortung für ihr Tun und Handeln eingefordert werden können. Aber nicht bei Kindern und Jugendlichen. So gibt es beispiels- weise einen dokumentierten Fall, wonach ein Mädchen ab dem 13. Lebensjahr bereits Testosterondosen erhielt, ohne ihr Wissen, ohne die Chance, sich dem zu widerset- zen. Das ist eine Schande. Nichtsdestotrotz sehen wir in der Tat einige Punkte in dem Antrag kritisch beziehungs- weise haben noch einige Fragen an die Antragsteller. Neben der eigentlichen Hauptforderung der Rente für Dopinggeschädigte stellen Sie mit den weiteren Forde- rungen ganz offensichtlich eine Art Wunschkatalog für den Doping-Opfer-Hilfe-Verein auf: Einrichtung einer Beratungsstelle, Aufbau und Unterhalt eines Doping- opferarchivs sowie Durchführung einer medizinischen Studie über Dopinglangzeitschäden. Weniger ist viel- leicht auch manchmal mehr. Wir sollten den Kern der Rente nicht mit zu vielen Forderungen überfrachten. Dies ist nicht hilfreich bei der Suche nach einer inter- fraktionellen Lösung, wie es von Ihnen, Frau von Cramon, ja in den Medien angekündigt wurde. Vorweg: Um hier eines ganz klarzustellen. Es geht keineswegs um das Aufwiegen von Unrecht. Aber ich frage mich, wie Sie auf die Höhe von wenigstens 200 Euro monatlich kommen? Orientieren Sie sich am Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz? Dort erhalten Opfer politischer Haft bei einer Mindesthaftdauer von 180 Tagen eine Opferpension von bis zu 250 Euro mo- natlich. Es geht hier nicht um das Verhandeln um ein- zelne Euro. Das wird dem Leid der Opfer nicht gerecht. Vielmehr möchten wir lediglich für die weiteren Bera- tungen gerne wissen, wie Sie diese Untergrenze begrün- den und ob Sie eine Höchstgrenze angedacht haben. Und wenn ja, wo soll diese liegen? Des Weiteren schreiben Sie in dem Antrag: „Nicht nur die ehemaligen Sportlerinnen und Sportler sind von Gesundheitsschäden betroffen, sondern vielfach auch ihre Kinder.“ Können Sie diese Aussage mit Fakten be- legen? Durchaus können die Einnahme von Anabolika zu Fehlbildungen der Leibesfrucht führen und damit können auch die Kinder von gedopten Sportlerinnen und Sportlern an Gesundheitsschäden leiden. Aber noch- mals: Haben Sie dazu konkrete Zahlen, die Sie in Ihrer Annahme des „vielfach“ bestätigen? Dies würde mich sehr interessieren. Außerdem stellt sich mir die Frage: Warum haben Sie nicht zumindest in einem Prüfauftrag die Bundesrepu- blik Deutschland aufgeführt? Denn laut dem For- schungsprojekt „Doping in Deutschland“ gab es in der BRD auch ein vom Staat gebilligtes, zumindest nicht nachhaltig unterbundenes Doping. Dies belegen Studien des Bundesinstituts für Sportwissenschaft über den Ein- satz von Mitteln wie Anabolika und Testosteron aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Dies ist zwar nicht nur annä- hernd in dem Ausmaß der DDR mit ihrem Staatsplan 14.25, aber es sollte aus Sicht der SPD-Fraktion dennoch berücksichtigt werden. Ich hoffe, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu den offenen Fragen Antworten geben kann und freue mich auf die weiteren Beratungen in Ausschuss und Ple- num. Eine Anmerkung darf zum Thema Doping noch ab- schließend erlaubt sein: Es wäre für den sauberen Sport äußerst wünschenswert, wenn wir, nachdem wir heute über die Vergangenheit und die Folgen für die gegenwär- tige Situation betroffener Personen gesprochen haben, auch endlich eine sinnvolle Lösung im Umgang mit der Dopingproblematik für die Zukunft finden könnten. Die derzeitige rechtliche Situation um den § 6 a im Arznei- mittelgesetz reicht für einen zielführenden Antidoping- kampf nicht aus. Aber an dieser Stelle versperrt sich die Koalition aus CDU/CSU und FDP leider einer konse- quenten Lösung. Daher hat die SPD-Fraktion einen Ent- wurf für ein Anti-Doping-Gesetz eingebracht, über wel- chen wir demnächst gerne mit Ihnen allen diskutieren. Dr. Lutz Knopek (FDP): Alle Bundestagsfraktionen verurteilen in aller Schärfe das systematische staatliche Doping in der DDR, welches auch vor der Dopinggabe an Minderjährigen nicht zurückschreckte. Dass DDR- Leistungssportler und -Leistungssportlerinnen zum Teil ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen leistungsstei- gende Mittel einnehmen mussten und noch heute die ge- sundheitlichen Folgen dieser Mittel spüren, bedauern wir zutiefst. Das Unrecht, das den Betroffenen von ih- rem Staat angetan wurde, das Leid, das ihnen physisch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30467 (A) (C) (D)(B) und psychisch zugefügt wurde, die Schäden, die sie da- vongetragen haben: Das alles kann im Grunde nur schwer – wenn überhaupt – wiedergutgemacht werden. Dafür kann im engeren Sinne des Wortes kaum eine Ent- schädigung geleistet werden. Aber die Opfer brauchen Hilfe. Aus diesem Grund hat die Bundesrepublik Deutschland 2002, ohne Rechts- pflicht, mit dem Dopingopfer-Hilfegesetz einen Fond eingerichtet, aus dem mit der Summe von insgesamt 2 Millionen Euro Anspruchsberechtigte entschädigt wurden, und auch der DOSB sowie die Firma Jenapharm haben als Rechtsnachfolger Betroffenen Schadensersatz gezahlt. Dass die zwangsgedopten DDR-Leistungssportler Opfer der damaligen menschenverachtenden sozialisti- schen Diktatur waren und dass ihnen geholfen werden muss, darin waren sich 2002 alle Fraktionen einig. Auch war man sich einig, dass auf Grundlage eines Erfah- rungsberichtes der Bundesregierung in der 15. Wahlpe- riode geprüft werden soll, ob weitere Hilfen für diese Gruppe von Dopingopfern erforderlich sind. Die Prü- fung fand meines Wissens nach nicht statt und würde so eindeutig ein Versäumnis der damaligen rot-grünen Re- gierungsmehrheit darstellen. Warum wird dieser Antrag nun jetzt, kurz vor der Sommerpause, wo wir gar nicht mehr die Zeit haben, sachgerecht über dieses Anliegen zu sprechen, durch die Grünen in den Deutschen Bundestag eingebracht? Han- delt es sich vielleicht nur um ein durchsichtiges Wahl- kampfmanöver? Die Tatsache, dass die Grünen diesen Antrag ohne interfraktionelle Abstimmung heute ein- bringen, erhärtet diesen Verdacht. Der Vorstoß der Grünen ist meiner Meinung nach kontraproduktiv und zeigt einmal mehr, dass es dieser Partei wichtiger ist, sich mit großen Worten in den Me- dien zu schmücken, als wirklich etwas in der Sache zu bewegen. Der Schnellschussantrag wurde einem offenen Dialog mit allen Fraktionen zu diesem Thema vorgezo- gen. Selbst die Doping-Opfer-Hilfe e. V. hätte sich eine überfraktionelle Lösungssuche gewünscht. Ich finde es jedoch wichtig, dass der Wille des Sport- ausschusses aus dem Jahr 2002 nicht einfach ignoriert wird. Es ist sicherlich an der Zeit, dass sich das Parla- ment erneut mit der heutigen Situation dieser Doping- opfer befasst und sich alle Fraktionen gemeinsam über Möglichkeiten einer Hilfe, sei sie finanziell, in Form von Beratungsstellen oder medizinischen Studien über Lang- zeitschäden, austauschen. Ich hoffe, dass sich die Mit- glieder des zukünftigen Sportausschusses zeitnah mit diesem Thema befassen werden. Mehrere Punkte, die im Antrag der Grünen aufgeführt werden, müssen dann allerdings gründlich überdacht werden. Welche Form der Hilfe ist, gesellschaftlich wie für den einzelnen Betroffenen, am angemessensten? Welche Sportler haben Anrecht auf eine erneute Hilfs- zahlung bzw. Rente. Und vor allem: in welcher Höhe? Sollen es diejenigen Sportler sein, die durch das letzte Dopingopfer-Hilfegesetz bereits eine Zahlung erhalten haben, oder definiert man ein neues Findungsverfahren zur Feststellung der Anspruchsberechtigung? Und kann man heute überhaupt noch eine sachgerechte Differen- zierung im individuellen Einzelfall vorzunehmen? Kön- nen rückwirkend heutige Symptome noch zweifelsfrei auf einen konkreten Dopingmissbrauch zurückgeführt werden? Und warum fordert der Antrag der Grünen nur eine Rente für die damals minderjährigen Dopingopfer? Es gibt sicherlich auch Sportler, die erst als junge, unin- formierte Erwachsene Dopingmittel erhalten haben. Wa- rum wird ihnen diese Hilfe von vornherein verweigert? Die FDP-Fraktion hofft also sehr, dass diese Debatte in der kommenden Legislaturperiode fortgesetzt und eine Lösung gefunden wird, die den Opfern gerecht wird. Heute Nacht befassen wir uns ohne Notwendigkeit mit einem Schaufensterantrag der Grünen, der von vorn- herein überhaupt nicht auf das Interesse dieses Hohen Hauses zielt, sondern lediglich als Vehikel für längst er- folgte Medienaktivitäten meiner grünen Kollegin von Cramon-Taubadel dient. In seiner jetzigen Form, mit den zahlreichen ungeklärten Fragen, lehnt meine Fraktion diesen Antrag ab. Jens Petermann (DIE LINKE): Die missbräuchli- che Einnahme von Medikamenten und leistungssteigern- den Substanzen, gemeinhin als Doping bezeichnet, hat bei Leistungssportlern nicht nur zu Wettbewerbsvortei- len geführt. Leider sind zum Teil auch erhebliche ge- sundheitliche Schäden die Folge. Organisierte private, staatliche und Vereinsstrukuren, medizinische Fachab- teilungen und Trainer haben oft genug Hand in Hand ge- arbeitet. Sportlerinnen und Sportler indes stehen heute mit den gesundheitlichen Folgen dieser Praxis häufig al- lein da, befinden sich im sozialen Abseits und sind mit- unter auf staatliche Hilfe angewiesen. Es ist unseres Er- achtens Aufgabe der Politik, diese Praxis aufzuklären, zukünftig zu erschweren, bestenfalls zu verhindern und vor allem Menschen, die Schaden genommen haben, die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Parla- mentarische Initiativen in diese Richtung werden immer unsere Unterstützung finden. Der Grünen-Antrag versucht, die Thematik zu erfas- sen, lässt aber leider eine Reihe Fragen aufkommen: fachliche, inhaltliche und auch ideologische. Welchen Mehrwert hat dieser Vorstoß kurz vor der Bundestagswahl? Den bösen Verdacht, dass es sich da- bei um rein „wahltaktisches Geplänkel“ handeln könnte, äußerte unter anderem der langjährige Vorsitzende des Vereins Doping-Opfer-Hilfe, der in dieser Sache an sich sicherlich völlig unverdächtig ist. Das angeblich lang- wierige Werben der Grünen um einen interfraktionellen Antrag zu dem Thema ist zudem an die Linksfraktion das letzte Mal vor gut zwei Jahren herangetragen wor- den. In der Sache ist der Antrag ein kleiner Schritt, greift aber viel zu kurz. Aus unserer Sicht muss es mehr als 20 Jahre nach der deutschen Einheit möglich sein, die einseitige Opferarithmetik, die sich auf das Schicksal von Menschen im Osten beschränkt, ad acta zu legen und sich der Thematik als gesamtdeutsches Problem zu widmen. Selbst die Doping-Opfer-Hilfe hat mit der Vor- 30468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) standswahl Anfang März einen Richtungswechsel einge- leitet. Der Verein will sich von nun an um die Belange aller Sportlerinnen und Sportler kümmern, die Schaden durch Dopingpraktiken erlitten haben oder erleiden: also auch Athletinnen und Athleten aus dem Westen der Re- publik. Der Antrag greift dies nicht auf. Dass sich die Doping-Opfer-Hilfe auch um die Ge- genwart kümmern will, ist ein wichtiger Schritt. Da dür- fen wir Parlamentarier auch im Sinne der Geschädigten des aktuellen sportlichen Geschehens nicht nachstehen. Aus unserer Sicht ist eine solche Anlaufstelle eine sinn- volle Einrichtung. Von Sportausschuss und Innenminis- terium fordern wir, dass umgehend an einem entspre- chenden Haushaltstitel gearbeitet wird. Eine Rente für Dopingopfer mit Blick auf die erfolgte Einmalzahlung aus dem Dopingopfer-Hilfegesetz gänz- lich abzulehnen – wie es die Union beabsichtigt –, ist un- seres Erachtens ein unangemessener Umgang mit dem Problem. Statt die Augen zu verschließen, muss die Poli- tik handeln. Wir sollten uns im Klaren darüber sein, dass bis zum Bezug einer Rente hohe Hürden zu überwinden sind, die sich nicht so leicht nehmen lassen. Die von den Bündnis- grünen vorgeschlagene Rente würde sofort auf etwaige Transferleistungen angerechnet werden. Empfänger von Sozialleistungen beispielsweise hätten dadurch keinen Pfennig mehr in der Tasche. Ausschließlich um der An- erkennung willen eine Rente zu konzipieren, ist keine Lösung. Neben diesem symbolischen Akt geht es doch vor al- lem um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dazu gehört die berufliche Wiedereingliederung genauso wie eine ausreichende finanzielle Grundlage, die einen Kino- besuch nicht zum Luxus werden lässt. Beispielsweise könnte den Geschädigten eine Be- schäftigung beim DOSB, bei der Nationalen Anti-Do- ping-Agentur und Sportverbänden angeboten werden. Gerade der Deutsche Olympische Sportbund als wich- tigste Einrichtung des gesamtdeutschen Sportes trägt bei diesem Thema ein hohes Maß an Verantwortung. Denkbar ist auch, vergleichbar mit den Eingliede- rungsangeboten für Menschen mit Behinderung, ein besonderes Maßnahmepaket für Dopinggeschädigte, an- gesiedelt bei den Arbeitsagenturen. Der einzelnen Sport- lerin, dem einzelnen Sportler muss ein maßgeschneider- tes Angebot unterbreitet werden. Da es zwangsläufig ohnehin Probleme geben wird, den zweifelsfreien Nachweis einer Schädigung durch Dopingmittel zu führen – gleichgültig, ob Ost oder West –, bedarf es hierfür klarer Regeln, sonst gibt man den potenziell Anspruchsberechtigten Steine statt Brot und Frust statt Hilfe. Es bedarf dazu einer entsprechen- den unabhängigen Stelle, die frei von ideologischen Be- schränkungen über einen Zusammenhang entscheiden kann. Das bisherige System, das die Beurteilung von ei- nem einzigen Gutachter abhängig macht, ist in der Ver- gangenheit auch von der Doping-Opfer-Hilfe kritisiert worden. Damit eine Initiative zur Entschädigung von Do- pingopfern erfolgreich wird, müssen all diese Aspekte einbezogen werden. Der vorliegende Antrag wird die- sem Anspruch nicht gerecht. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfah- rens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Ta- gesordnungspunkt 17) Norbert Geis (CDU/CSU): Die freie soziale Markt- wirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie Monopole verhindert und die freie Konkurrenz ermöglicht. Durch diesen Wettbewerb setzt sie Anreize, die eigenen Fähig- keiten zu entfalten. Wer scheitert, wird durch ein dichtes soziales Netz aufgefangen. Dabei darf es jedoch nicht bleiben. Das Netz darf nicht zur Hängematte werden. Vielmehr soll jeder Arbeitnehmer oder Unternehmer, der aus irgendwelchen Gründen nicht mithalten konnte, die Chance zum Neubeginn haben. Dieses Ziel verfolgt das Gesetz zur Restschuldbefreiung. Der Schuldner soll un- ter der Last der Gläubigerforderungen nicht resignieren, sondern neu starten und seine ganze Leistungskraft nicht nur für sich, sondern für die Volkswirtschaft insgesamt einsetzen können. Dies ist der Grund, weshalb im Jahre 1999 das soge- nannte Restschuldbefreiungsverfahren eingeführt wurde. Danach kann der Schuldner nach einer Wohlverhaltens- phase von sechs Jahren die Befreiung von seiner Rest- schuld erreichen. Voraussetzung dafür ist, dass er sich in dieser Zeit anstrengt, seine Schulden zu tilgen. Die Insolvenzordnung allein, ohne Restschuldbefrei- ung, leistet dies nicht. Sie dient in erster Linie dazu, die Interessen der Gläubiger zu befriedigen. Die Interessen des Schuldners werden dabei nicht ausreichend berück- sichtigt. Der Gesetzentwurf behandelt viele Aspekte. Hier soll nur der eigentliche Kern des Entwurfs, die Verkürzung des Verfahrens zur Befriedigung der Restschuld, in den Blick genommen werden. Von Anfang an galt der Zeitraum von sechs Jahren für die Restschuldbefreiung auch im internationalen Ver- gleich als zu lang. Deshalb vereinbarten die Koalitions- parteien in ihrem Koalitionsvertrag, die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens unter bestimmten Be- dingungen von sechs auf drei Jahre zu halbieren. Dabei hatte man zunächst vor allem Unternehmensgründer im Auge, die nach einem Fehlstart zügig eine zweite Chance erhalten sollten. Allerdings war es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, diese Chance allen Schuldnern, die in Insolvenz geraten sind, zu eröff- nen. Voraussetzung für die Restschuldbefreiung innerhalb von drei Jahren ist allerdings, dass der Schuldner in die- ser Zeit mindestens 35 Prozent der Forderungen der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30469 (A) (C) (D)(B) Gläubiger erfüllt und die Verfahrenskosten trägt. Kann er die 35 Prozent nicht aufbringen, verkürzt sich die bis- herige Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens ledig- lich um ein Jahr von sechs auf fünf Jahre. Voraussetzung dafür ist, dass der Schuldner zumindest die Verfahrens- kosten übernimmt und zahlt. Ist er auch dazu nicht in der Lage, bleibt es bei der derzeitigen Dauer von sechs Jah- ren, bis der Schuldner bei entsprechendem Wohlverhal- ten Schuldenfreiheit erlangt. Die Verkürzung von sechs auf drei Jahre ist nicht un- umstritten. Richtig ist, dass für den Schuldner ein großer Anreiz entsteht, alles zu unternehmen, innerhalb von drei Jahren 35 Prozent der Schulden zu begleichen und die Verfahrenskosten zu übernehmen, um danach schul- denfrei zu werden. Zugleich haben die Gläubiger den Vorteil, dass sie wenigstens 35 Prozent der Forderungen erhalten. Natürlich bleibt für sie ein Verlust von 65 Pro- zent. Die Praxis zeigt jedoch, dass auch bei einem länge- ren Insolvenzverfahren die Gläubigerforderungen nur zu einem geringen Prozentsatz erfüllt werden. In der Tat kann also bei einer Quote von 35 Prozent ein vernünfti- ger Ausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger entste- hen. Dagegen wird eingewendet, dass es ein Schuldner ge- rade darauf anlegen kann, auf die Restschuldbefreiung zuzusteuern, ohne tatsächlich in einer finanziell schwie- rigen Situation zu sein. Er entschuldet sich mit der Zah- lung einer Quote von 35 Prozent und ist dann innerhalb von drei Jahren schuldenfrei. Ein gutes Geschäft! Ein wichtiger Einwand ist auch, dass nur ein finan- ziell stärkerer Schuldner, der unter Umständen auch von einem Dritten Kapital erhält, in der Lage sein wird, die 35 Prozent zu erreichen. Die schwächeren Schuldner, die gerade noch die Pfändungsfreigrenze erreichen und de- nen kein Kapital zur Verfügung steht, um die 35-Pro- zent-Quote zu erfüllen, können diese Restschuldbefrei- ung innerhalb von drei Jahren nicht schaffen. Bei der Abwägung darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass es im Insolvenzverfahren und auch beim Restschuldbefreiungsverfahren vor allem auch um die Befriedigung der Gläubiger geht. Deshalb ist der Ge- danke richtig, dass, wenn zugunsten des Schuldners die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens um die Hälfte gekürzt wird, auch die Gläubiger entsprechend zu berücksichtigen sind. Im Verhältnis zum Vorteil der Schuldner, den diese durch die Kürzung auf drei Jahre erhalten, ist es daher gerecht, auch auf die Interessen der Gläubiger zu achten und deshalb eine Tilgungsquote von mindestens 35 Prozent vorzusehen. Im Übrigen bleibt dem Schuldner, der diese Quote innerhalb der drei Jahre nicht aufbringen kann, immer noch die Möglichkeit, nach fünf bzw. sechs Jahren Schuldenfreiheit zu erlan- gen. Wichtig ist, dass die Auswirkung des Gesetzes genau beobachtet und eine Evaluierung vorgenommen wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Gesetz bewährt. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Mit dem heute in zweiter und dritter Lesung beratenen Ent- wurf eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbe- freiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte greifen wir ein Thema auf, das für viele Menschen große praktische Bedeutung hat. Im Jahr 2012 mussten bundes- weit rund 100 000 Menschen Privatinsolvenz anmelden. Circa 20 000 davon gingen insolvent, weil sie mit ihrem Unternehmen oder als Selbstständige scheiterten. Für den Rhein-Sieg-Kreis, aus dem ich komme, weist der Schul- denatlas 2012 der Creditreform aus, dass 42 500 Men- schen, immerhin 8,69 Prozent der Bevölkerung, über- schuldet sind. In vielen Fällen sind es Lebensrisiken wie Arbeitslo- sigkeit, Krankheit oder Trennung, die gar nicht oder nur sehr begrenzt zu beeinflussen und nicht vorwerfbar ver- ursacht sind, die zur Überschuldung geführt haben. In anderen Fällen kann der Ausfall einer berechtigten For- derung wegen der Zahlungsunfähigkeit eines anderen der maßgebliche Grund sein; bei wiederum anderen sind es Konsumschulden, mit denen sich der Schuldner se- henden Auges übernommen hat. Die Möglichkeit der Restschuldbefreiung gibt ihnen die Chance zum Neuanfang. Sie ermutigt mit der Aus- sicht auf neue wirtschaftliche Unabhängigkeit und moti- viert dazu, Verdienstmöglichkeiten auszuschöpfen, Ge- schäftsideen in die Tat umzusetzen, auch wenn sie mit der Gefahr des Scheiterns verbunden sind. Das hilft nicht nur den Schuldnern, sondern liegt auch in unserem gesamtwirtschaftlichen Interesse. Auf der anderen Seite steht dem das Interesse der Gläubiger gegenüber, be- rechtigte Forderungen auch durchsetzen zu können. „Pacta sunt servanda“ ist einer der zentralen Grundsätze unserer Zivilrechts- und unserer Wirtschaftsordnung. In diesem Spannungsfeld müssen die gegensätzlichen Interessen abgewogen werden. Die Verbraucherinsol- venz mit Restschuldbefreiung hat sich hier grundsätzlich bewährt und ist akzeptiert. Wir greifen mit dieser Re- form aber einige Punkte auf, die bisher als ungerecht oder unpraktisch empfunden worden sind. Dabei hat auch der Blick auf die Regelungen, die in unseren Nachbarländern gelten, eine Rolle gespielt. Dass es hier deutliche Unterschiede gibt, ist insgesamt nicht hilfreich und führt zu einem Insolvenztourismus, der diejenigen bevorzugt, die den Wohnsitz für eine Weile nach England oder Frankreich verlegen können. Auch hier darf man aber nicht nur auf die augenscheinlich kur- zen Fristen bis zur Restschuldbefreiung schauen; denn diese Rechtsordnungen geben dem Richter durchaus auch Spielraum, im Einzelfall längere Fristen, Quoten oder Auflagen festzusetzen. Eine stärkere Vereinheitli- chung der Rechtsordnungen auf europäischer Ebene wä- ren an dieser Stelle durchaus sinnvoll. Mit dem heute zur Beschlussfassung anstehenden Ge- setz schaffen wir zum ersten Mal einen Anreiz, durch besondere Anstrengung eine in der Insolvenz überdurch- schnittliche Quote zu erzielen, dafür im Gegenzug schneller zur Entschuldung zu kommen. Wer zumindest die Kosten des Verfahrens deckt, kommt nach fünf Jah- ren, das heißt ein Jahr früher in den Genuss der Rest- schuldbefreiung. Wer außerdem die Forderungen der Gläubiger mit einer Quote von 35 Prozent erfüllt, kann 30470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) dieses Ziel bereits nach drei Jahren erreichen. Davon profitieren im Regelfall beide Seiten: die Gläubiger mit einer höheren Quote, die die heute durchschnittlich er- zielten Quoten deutlich übersteigt und für die der Schuldner oftmals besondere, überobligatorische An- strengungen erbringt, zu denen er nicht verpflichtet ist und zu denen er nach bisher geltendem Recht auch kei- nerlei Anreiz hat; der Schuldner durch die schnellere Be- freiung aus den gleichsam als „Schuldturm“ empfunde- nen Einschränkungen der Wohlverhaltensphase. Wir haben es uns in diesem Zusammenhang nicht leicht gemacht, den richtigen Ansatz zu wählen. Insbe- sondere haben wir sehr ausführlich erwogen, ob mehr richterliches Ermessen, etwa mit Blick auf die jeweili- gen Ursachen der Insolvenz, an dieser Stelle zu mehr Gerechtigkeit und Zielgenauigkeit beitragen könnte: um etwa dem Gläubiger, der mit großer und selbst überobli- gatorischer Anstrengung immerhin 20 Prozent seiner Schulden aus einer gescheiterten Unternehmensgrün- dung aufbringt, ebenfalls einen schnelleren Neustart zu ermöglichen, und auf der anderen Seite dem Schuldner, der sich mit Konsumschulden absehbar übernommen hat, den Schuldenschnitt um 65 Prozent nicht zu leicht zu machen. Dies hätte allerdings sehr uneinheitliche und unberechenbare Handhabung durch die Gerichte zur Folge gehabt und die Insolvenzgerichte mit der schwieri- gen Aufklärung und Bewertung der ganzen Vorge- schichte der Insolvenz belastet. Wir haben deshalb der starren Quote den Vorzug gegeben. Dass 35 Prozent eine ambitionierte Vorgabe sind, ist sicher zuzugeben. Den Schuldnern hilft aber, dass die Privilegierung der Lohnabtretung nach § 114 Insolvenz- ordnung, von der vor allem die Gruppe der Kreditgeber unter den Gläubigern profitiert hat, abgeschafft wird. Damit stehen laufende Einkünfte jenseits der Pfändungs- freigrenze von Anfang an für alle Gläubiger zur Verfü- gung und erhöhen so die Möglichkeit für alle, zu höhe- ren Quoten zu kommen. Dies ist zugleich ein Beitrag zur Gläubigergleichbehandlung. Vor allem ist dieses zusätzliche Angebot einer schnel- leren Restschuldbefreiung ein wichtiger Anreiz, in Zu- kunft bereits früher ein Insolvenzverfahren konstruktiv anzugehen, sich bereits früher in professionelle Beratung zu begeben und sich wirtschaftlich zu konsolidieren, an- statt zuerst alle Ressourcen einschließlich eventueller Verwandtendarlehen zu verbrauchen und damit Zeit und Kraft für einen „fresh start“ zu verlieren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Schuldnerberatungen auch zeit- nah einen Termin anbieten können, wenn der Schuldner bereit ist, sich seiner Situation zu stellen und Beratung und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für die wirklich gute Arbeit der Schuldnerberatungs- stellen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank sagen, verbunden mit dem dringenden Appell an die Kommu- nen, hier für eine bedarfsgerechte Ausstattung zu sorgen. Eine ständige Unterfinanzierung und mehrmonatige Wartezeiten sind für Berater wie Schuldner eine große Belastung und schaden unterm Strich Schuldner wie Gläubigern. Sie haben nicht nur die wirtschaftliche Si- tuation der Schuldner und den billigen Schuldenschnitt für sie im Blick, sondern leisten umfassend die Hilfe, die im Einzelfall erforderlich ist, um wieder selbstverant- wortlich wirtschaften zu können. Wo 35 Prozent gleichwohl nicht erreichbar sind, kön- nen passgenaue Lösungen im Einvernehmen mit den Gläubigern erarbeitet werden. Die Schuldnerberatungs- stellen haben uns hier von guten Beispielen berichtet, dabei aber auch die Bedeutung der gerichtlichen Zustim- mungsersetzung unterstrichen, die in den Fallzahlen die- ses Verfahrens offenbar nur unzureichend zum Ausdruck kommt. Entgegen dem ursprünglichen Regierungsent- wurf haben wir deshalb dieses Verfahren in der Insolvenz- ordnung gelassen, weil allein schon die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung die Zustimmungsbereitschaft der Gläubiger zu einer vernünftigen individuellen Vereinba- rung und damit die Chance auf außergerichtliche Eini- gungen deutlich erhöht. Zusätzlich haben wir das Planverfahren für Verbrau- cherinsolvenzen eröffnet, sodass sich nun weitreichende Möglichkeiten vor und während des Insolvenzverfahrens bieten, durch Vereinbarungen mit den Gläubigern zu wirtschaftlich sinnvollen Vereinbarungen zu kommen und dabei einzelne obstruierende Gläubiger zu überstim- men. Damit knüpft dieses Gesetz an tragende Gedanken des ESUG an, das ebenfalls zu einer früheren Insovenz mit dem Ziel des Erhalts wirtschaftlicher Werte anstelle der Zerschlagung von Werten führt. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Reform ist die Stärkung der Gläubigerrechte. Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung können künftig nicht mehr nur im Schlusstermin geltend gemacht werden. Entschei- dend ist, dass sie bis dahin zumindest schriftlich vorlie- gen müssen; bei später bekannt werdenden Gründen ist auch die nachträgliche Geltendmachung noch möglich. Ärgerliche Fälle, in denen auch unredliche Schuldner Restschuldbefreiung erlangen konnten, weil die Gläubi- ger den Aufwand der Antragstellung im Schlusstermin scheuten, sind damit für die Zukunft ausgeschlossen. Eine Stärkung der Erwerbsobliegenheiten des Schuld- ners im Insolvenzverfahren und seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten erscheinen ebenfalls gerecht und sinnvoll. Zugunsten der Schuldner, die Mitglied einer Woh- nungsbaugenossenschaft sind, begründet das Gesetz nun erstmals den gleichen Kündigungsschutz wie für Mieter. Die Kündigung der Mitgliedschaft, die den Zugriff auf das Guthaben ermöglicht, aber zum Verlust des Wohn- rechts führt, ist in Zukunft nicht möglich, wenn das Gut- haben in etwa der Kaution in einem Mietverhältnis ent- spricht. Ein weiter gehender Schutz für höhere, gar unbegrenzte Genossenschaftsanteile war aber nicht mög- lich; dies hätte dem Wohnungsgenossen die Möglichkeit geschaffen, weitere Teile seines Vermögens vor dem Zu- griff der Gläubiger zu sichern. Der Referentenentwurf sah noch die Übertragung des Verbraucherinsolvenzverfahrens auf den Rechtspfleger vor, auch als Ausgleich zur Übertragung der Zuständig- keit im Insolvenzplanverfahren auf den Richter im ESUG. Dies haben wir nun – trotz der unzweifelhaft ge- gebenen fachlichen Kompetenz der Rechtspfleger – ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30471 (A) (C) (D)(B) ändert, da nach Auffassung mehrerer Sachverständiger erhebliche Zuständigkeitskonflikte und Abgrenzungs- probleme drohten, etwa bei der bisweilen komplexen Abgrenzung der Verfahrensarten oder den teilweise kraft Verfassung dem Richter vorbehaltenen Sicherungsmaß- nahmen. Die Übertragung der funktionellen Zuständig- keit auf den Rechtspfleger hätte im Übrigen zur Folge, dass jede Eröffnungsentscheidung des Rechtspflegers mit der Rechtspflegererinnerung anfechtbar wäre, wäh- rend die Eröffnungsentscheidung durch den Richter nur nach Maßgabe des § 34 InsO der Anfechtung unterliegt. Die Anhörung hat auch nicht ergeben, dass infolge der Zuständigkeit des Insolvenzrichters für Insolvenzplan- verfahren die Auslastung der Rechtspfleger signifikant zurückgegangen wäre. Meines Erachtens wird das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte einen großen Teil dazu beitragen, Gerechtigkeit und Akzeptanz des Insolvenz- und Rest- schuldbefreiungsverfahrens im privaten Bereich zu ver- bessern. Wir haben es geschafft, einen fairen Ausgleich zwischen dem Interesse der Schuldner an einem „fresh start“ und dem Interesse der Gläubiger an einer bestmög- lichen Befriedigung ihrer rechtmäßig erworbenen Forde- rungen zu erreichen. Sonja Steffen (SPD): „Was lange währt, wird end- lich gut“ heißt das Sprichwort. Schon im März 2010 kündigte die Justizministerin auf dem 7. Deutschen In- solvenzrechtstag eine Reform des Verbraucherinsolvenz- verfahrens an und stellte ein Jahr später die Eckpunkte dieser Reform vor. Ein für Sommer 2011 angekündigter Referentenentwurf folgte erst im Januar 2012. Seit der ersten Lesung des vom Kabinett beschlosse- nen Gesetzentwurfs sind wieder fast sechs Monate ver- gangen. Es währte also bisher alles schon recht lange, leider ist aber noch lang nicht alles gut. Zwischenzeitlich waren wir uns schon nicht mehr si- cher, ob es in dieser Legislaturperiode überhaupt noch eine Verabschiedung der Verbraucherinsolvenzrechtsre- form geben wird. Letztlich haben sich die Koalitions- fraktionen zu dem vorliegenden Kompromiss durchge- rungen. Dieser hat zur Folge, dass wir jetzt nicht mehr von einer Reform, sondern eher von einem Reförmchen sprechen müssen. In einem Punkt sind die Kollegen von der Koalition sich treu geblieben: Das Restschuldbefreiungsverfahren wird verkürzt und zwar nicht nur um ein oder zwei Jahre, sondern gleich halbiert: allerdings nicht für alle Schuldner, sondern nur für die, die genügend Geld auf- bringen können, um innerhalb der ersten drei Jahre 35 Prozent der Forderungen zu tilgen. Dies stellt nach Meinung der Kollegen der Koali- tionsfraktionen eine ausgewogene Abwägung zwischen den Interessen der Gläubiger und den Interessen der Schuldner dar. Dabei wurde insbesondere die Einfüh- rung einer Mindestbefriedigungsquote in der öffentli- chen Anhörung des Rechtsausschusses von den unter- schiedlichen Sachverständigen stark kritisiert. Es war von einer Ungleichbehandlung der Schuldner, der star- ken Missbrauchsanfälligkeit, der unnötigen Schaffung einer neuen Entschuldungszielgruppe, die eigentlich gar kein Verbraucherinsolvenzverfahren braucht, aber auch von dem erhöhten Druckpotential der Schuldner gegen- über den Gläubigern und der sinkenden Zahlungsmoral die Rede. Der Großteil der Schuldner wird nicht in der Lage sein, 35 Prozent der Forderungen zu tilgen, außer viel- leicht die Schuldner, bei denen noch eine Erbschaft an- steht, die sich Geld von Familienangehörigen und Freun- den leihen können oder die früh genug die verbleibenden finanziellen Mittel geschickt verteilt haben. In den we- nigsten Fällen werden diese 35 Prozent durch einen zweiten Nebenjob aufgebracht werden können. Ich bezweifle, dass Sie es mit diesem Anreizsystem tatsächlich schaffen werden, bei 15 Prozent aller betrof- fenen Personen das Restschuldbefreiungsverfahren zu verkürzen. Wie heute in der FAZ zu lesen war, geht zum Beispiel Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands, davon aus, dass höchstens 5 Prozent der Schuldner die Mindestbefriedi- gungsquote erreichen werden. Wir sind der Meinung, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Zweiklassengesellschaft von Schuld- nern eingeführt wird. Eine solche Ungleichbehandlung ist für uns nicht hinnehmbar. Die Dauer eines Rest- schuldbefreiungsverfahrens darf nicht davon abhängen, ob zum Beispiel die Eltern bereit und dazu in der Lage sind, einen Teil der Schulden zu übernehmen. Den Vorschlag der Grünen, das Verfahren generell für alle Schuldner von sechs auf drei Jahre zu verkürzen, leh- nen wir allerdings ebenso ab. Selbst Verbraucherschützer und Schuldnerberater gehen bei ihren Forderungen nach einer Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens nicht ganz so weit. Hier ist immer von vier Jahren die Rede. Auch wenn wir an das Wohl und die zweite Chance für den Schuldner denken, dürfen wir doch die Interessen der Gläubiger nicht völlig außer Acht lassen. Was den Rest angeht, so lassen Sie nach einigen Dre- hungen und Schleifen per Änderungsantrag letztlich doch das meiste beim Alten, was uns teilweise durchaus erfreut. Ihrem Anspruch, auch den außergerichtlichen Einigungsversuch effizienter zu gestalten und zu stärken, werden sie damit jedoch nicht gerecht, und so wird aus der groß angekündigten Reform letztlich nur ein Re- förmchen. Jörg von Polheim (FDP): Ich freue mich, dass wir heute nach langen Verhandlungen die Verkürzung des Verfahrens der Restschuldbefreiung bei Privatinsolvenz auf den Weg bringen. Wir haben in den letzten Wochen intensiv um einen Ausgleich der Positionen gerungen und sind so zu einem guten Interessenausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern gekommen: Die neue Regelung stellt einen signifikanten Wandel vom einseitigen Sanktionensystem hin zu einem Anreiz- 30472 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) system dar. Die Vorteile für die Gläubiger liegen auf der Hand: Wir haben erreicht, dass die Rückzahlungsquote auf 35 Prozent festgesetzt wird. Dafür habe ich mich starkgemacht. Das Anreizsystem hilft zum einen den Gläubigern, die so einen beträchtlichen Teil ihrer Forderung ersetzt bekommen – und das bereits nach drei Jahren statt bisher erst im Laufe von sechs Jahren. Und es hilft zum anderen auch dem Schuldner, der in eine finanzielle Notsituation geraten ist, schneller aus der Schuldenklemme zu gelangen. Er kann die Dauer seiner Wohlverhaltensphase auf drei Jahre verkürzen, wenn er während dieser Zeit 35 Prozent der offenen For- derung begleicht. Ging bis dato ein Kunde in Privatinsolvenz, führte dies im Handwerksbereich oft dazu, dass der Handwer- ker sein ausstehendes Geld fast vollständig verlor. Wäh- rend der Wohlverhaltensphase konnten die offenen For- derungen oft nur zu einem geringen Anteil getilgt werden. Das soll sich jetzt ändern. Der Anreiz, dass Schuldner im Sinne eines schnellen Schuldenschnitts auch aus ihrem familiären Umfeld finanzielle Unterstüt- zung zur Tilgung akquirieren, ist durch die 35-Prozent- Quote deutlich gestärkt. Das ist ein enormer Fortschritt: Die Rückflüsse sind nun nicht mehr beschränkt auf die vom Schuldner selbst erwirtschafteten Mittel. Ein weiterer, ganz wesentlicher Punkt des neuen Ge- setzes ist die Gleichbehandlung aller Gläubiger: Das bis- herige zweijährige Bankenprivileg sowie ein Fiskuspri- vileg sind im neuen Gesetz nicht mehr enthalten. Das ist ein großer Erfolg. So bekommen alle Gläubiger von An- fang an Rückzahlungen vom insolventen Schuldner, was bisher in den ersten zwei Jahren ausschließlich den Ban- ken vorbehalten war. Mit der Neuregelung tritt zudem eine Stärkung der Gläubigerrechte in Kraft. Auch beginnt die Erwerbsobliegenheit der Schuldner bei Eintreten der Insolvenz, nicht erst mit Beginn der Wohlverhaltensphase sechs Monate nach Verfahrenser- öffnung. Ein weiterer Punkt: Die Informationsmöglichkeiten über säumige Zahler werden erleichtert, indem ein zen- tral geführtes elektronisches Schuldnerverzeichnis ein- geführt wird. Insbesondere für Existenzgründer setzen wir mit der jetzt vorliegenden Neuregelung ein wesentliches Signal: Angesichts der besonderen wirtschaftlichen Risiken, de- nen sich Neugründungen vielfach ausgesetzt sehen und die nicht immer beherrschbar sind, wird dem Gründer im Insolvenzfall nun deutlich schneller als bisher eine zweite Chance ermöglicht. Damit verbessert die christlich-libe- rale Koalition an entscheidender Stelle die Rahmenbedin- gungen für innovative Unternehmen und Start-ups. Mit unserer Reform der Verbraucherinsolvenz setzen wir ein deutliches Zeichen. Gründern wird es erleichtert, ihre gu- ten Ideen in die Tat umzusetzen. Dies war unser erklärtes Ziel im Koalitionsvertrag. Jetzt ist es erreicht. Sehr bewusst haben wir diese Möglichkeit jetzt nicht nur Existenzgründern eingeräumt, sondern bei allen Pri- vatinsolvenzen. Das sind nicht nur eingesessene Hand- werksbetriebe, die unversehens durch ungünstige Um- stände in Schwierigkeiten geraten sind. Auch private Haushalte, die aufgrund von Krankheit, Scheidung oder plötzlicher Arbeitslosigkeit unverschuldet in Insolvenz geraten sind, können sich nun deutlich schneller daraus befreien. Die jetzt gefundene Regelung ist eine Win-win-Situa- tion, weil die Interessen der Schuldner und der Gläubi- ger angemessen austariert werden. Judith Skudelny (FDP): Wir als FDP stehen wie keine andere Partei für Freiheit. Wie unser Vorsitzender auf dem Parteitag im März treffend festgestellt hat, ge- hört dazu auch die Freiheit, einmal Fehler machen zu können. Wir verteidigen daher auch die Freiheit der zweiten Chance. Vor diesem Hintergrund beschließen wir heute das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbe- freiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubiger- rechte. Wer kennt nicht jemanden, der entweder von der In- solvenz betroffen ist oder auf den Eingang einer offenen Forderung wartet? Im Jahr 2012 meldeten in Deutsch- land insgesamt 122 001 Verbraucher Insolvenz an. Das sind in der überwiegenden Mehrzahl jedoch nicht Leute, die nicht mit Geld umgehen können. Vielmehr geraten die meisten Menschen wegen Tod, Scheidung oder Ar- beitslosigkeit in die Insolvenz. Diese Menschen verdie- nen eine zweite Chance auf einen Neustart. Das im Jahr 1999 eingeführte Insolvenzrecht hat aber nicht nur alle Gläubiger im Insolvenzverfahren weitest- gehend gleichgestellt. Auch alle Schuldner werden gleich behandelt. So macht es für die Entschuldung heute keinen Unterschied, ob sich ein Schuldner mehr oder weniger bemüht, seine Schulden im Insolvenzver- fahren zu begleichen. Die Reform schafft nun erstmals einen Anreiz für die Schuldner, sich über die geforderten Verpflichtungen hi- naus mehr anzustrengen. Sie belohnt diejenigen Schuld- ner, die sich redlich bemühen, ihre Schulden zurückzu- zahlen. Die derzeitige Quote im Insolvenzverfahren wird auf deutlich unter 10 Prozent geschätzt. Verlässliche Zahlen gibt es jedoch nicht. Nach der Reform soll ein Schuldner nach drei Jahren restschuldbefreit werden, wenn er 35 Prozent der ausstehenden Forderungen er- füllt und zusätzlich die Kosten des Verfahrens trägt. Da- von profitieren sowohl die Schuldner als auch die Gläu- biger. Bereits im Vorfeld wurde Kritik an der Quote laut; diese sei zu hoch. Solange jedoch keine validen Zahlen über die gesamte Breite der Verfahren vom ehemaligen Unternehmer bis zu den Verfahren, die über die Schuld- nerberatungen kommen, vorliegen, ist das jedoch nur reine Spekulation. Die Regierung hat sich zum Ziel ge- setzt, dass mindestens 15 Prozent der Verfahren die Möglichkeit der vorzeitigen Restschuldbefreiung nutzen sollen. In fünf Jahren wird überprüft, ob die Quote dieses Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30473 (A) (C) (D)(B) Ziel erreicht. Dann ist die richtige Zeit gekommen, Kri- tik zu üben und das Verfahren zu überprüfen. Neu ist auch, dass ein Schuldner, der zumindest die Prozesskosten trägt, sich nun bereits nach fünf Jahren von seiner Restschuld befreien kann. Eine solche Mög- lichkeit mit einer Rate von monatlich 30 Euro kann von nahezu allen Schuldnern genutzt werden und entlastet damit die Staatskassen und die Bürokratie der Länder. Neben diesen Verbesserungen für die Schuldner, die bereit sind, sich mehr anzustrengen, enthält der Gesetz- entwurf doch auch verschärfte Bedingungen für die un- redlichen Schuldner. Neben unerlaubten Handlungen bleiben nun auch Steuerstraftaten von der Restschuldbe- freiung ausgenommen. Die Bundesländer haben gefor- dert, dass die Restschuldbefreiung auch dann versagt werden soll, wenn ein Steuerhinterziehungsverfahren eingeleitet wurde. Diese Art der Vorverurteilung lehnen wir ab. Für diese Regierung gilt noch immer die Un- schuldsvermutung. Voraussetzung der Versagung der Restschuldbefreiung ist daher eine rechtskräftige Verur- teilung. Darüber hinaus kann dem Schuldner die Rest- schuldbefreiung auch dann versagt werden, wenn er ge- gen seine gesetzlichen Unterhaltspflichten verstößt. Neben den Regelungen für die Schuldner dürfen wir jedoch auch nicht vergessen, dass das Insolvenzverfah- ren immer den bestmöglichen Ausgleich zwischen Schuldnern und Gläubigern als Ziel hat. Aus diesem Grund haben wir durch die Ausweitung des Insolvenz- planverfahrens die Möglichkeit gestärkt, einvernehmli- che Lösungen zwischen Schuldnern und Gläubigern zu ermöglichen. Statt wie bisher nur bis zur Verfahrenser- öffnung können Vergleiche zwischen den Beteiligten nun auch während des Insolvenzverfahrens geschlossen werden – eine wichtige Möglichkeit, da das Insolvenz- verfahren für viele Betroffene der erste Schritt ist, ihre Vermögensverhältnisse neu zu ordnen und eine wirt- schaftliche Grundlage für ihre Zukunft zu legen. Wenn dieses Instrument funktioniert, können die Schuldner künftig auch im fortgeschrittenen Stadium mit ihren Gläubigern in Verhandlungen treten. Nachdem ich nun ausführlich die Verbesserungen für die Schuldner und die erweiterten Einigungsmöglichkei- ten dargelegt habe, möchte ich natürlich auch noch kurz auf die Verbesserungen für die Gläubiger eingehen. Die Gläubiger profitieren nicht nur davon, dass durch die Verkürzung des Verfahrens der Restschuldbefreiung mit der Mindestquote von 35 Prozent ein größerer Teil ihrer ausstehenden Forderungen beglichen wird. Durch die Reform wird das Abtretungsprivileg gebrochen, welches insbesondere Banken für sich in Anspruch genommen haben. Gerade Banken verfügen im Gegensatz zu den meisten Gläubigern über die größten Möglichkeiten, sich im Vorfeld der Kreditvergabe über die Bonität ihrer Kunden zu informieren. Deren Sicherungsrechte an Lohn und Gehalt der Schuldner hatten bislang jedoch ge- genüber den Forderungen der anderen Gläubiger zwei Jahre lang Vorrang. Künftig werden Banken vom ersten Tag an wie alle anderen Gläubiger behandelt, also gleichbehandelt. Davon profitieren vor allem die „klei- nen“ Gläubiger, die oftmals auf ihren Forderungen voll- ständig sitzenblieben. Lassen sie mich meine Rede auch im Hinblick auf die Freiheit beenden. Die Freiheit der zweiten Chance des einen ist in diesem Fall mit einem Eigentumsverlust der anderen verbunden. Mit dem vorliegenden Gesetz ist es uns gelungen, zwischen diesen beiden einen guten Mit- telweg zu schaffen, der die Situation für alle verbessern wird. Richard Pitterle (DIE LINKE): Ein halbes Jahr ist seit der ersten Lesung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vergangen. Hat sich in dieser Zeit etwas Wesentliches geändert? In der Anhörung hat die überwiegende Zahl der Sach- verständigen, auch die von der Regierungskoalition be- nannten, die völlig unrealistischen Befriedigungsquoten kritisiert, mit denen Sie Schuldner von den Schulden be- freien wollen, nachdem sie einen Teil gezahlt haben: nach drei Jahren Befreiung von den restlichen Schulden, wenn mindestens 25 Prozent der Schulden bezahlt sind. Durch Ihren Änderungsantrag haben Sie die Quote sogar noch um über ein Drittel erhöht auf 35 Prozent. Nach fünf Jahren Befreiung sollen die restlichen Schulden er- lassen werden, wenn der Schuldner die Verfahrenskosten aufgebracht hat. Wenn Sie auf den Sachverstand nicht hören, warum finden die Anhörungen überhaupt noch statt? Auch die Rednerinnen und Redner der anderen Oppo- sitionsfraktionen sehen das als völlig weltfremd an – wenn der Schuldner sich legal verhält, also weder vorher Geld beiseite geschafft hat noch in die Schwarzarbeit flüchtet. Die allermeisten Schuldner haben sich schon vor dem Antrag auf Privatinsolvenz lange Zeit stark einge- schränkt. Privatinsolvenz ist der allerletzte Schritt, wenn es dem Schuldner aussichtslos erscheint, seiner Schul- den „jemals Herr zu werden“, oder der Gerichtsvollzie- her vor der Tür steht oder bereits alles mitgenommen hat. Die Schuldnerberatungsstellen haben uns alle infor- miert, dass empirisch die Befriedigungsquoten sich um circa 10 Prozent bewegen. Sicher ist das eine Durch- schnittszahl, aber unser Auftrag lautet, Gesetze für die gesamte Bevölkerung zu machen. Das heißt, dass es al- len möglich sein muss, die Vorgaben des Gesetzes zu er- reichen, nicht nur gescheiterten Selbstständigen, die Sie mit Ihrem Koalitionsvertrag im Blick hatten und – wenn man sich das Gesetz ansieht – auch immer noch haben. Unser Blick geht weiter und schließt auch Gläubiger wie beispielsweise Handwerker, Einzelhändler, Versand- händler und kleine Dienstleister ein. Hier hat sich also im letzten halben Jahr bei der Re- gierungskoalition nichts verbessert, sondern durch Ihren Änderungsantrag wurde der Gesetzentwurf sogar dras- tisch verschlechtert. Da ist der Ansatz im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vernünftiger, denn dort wird eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren ermöglicht – 30474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) ohne Mindestbefriedigungsquote. Nach Ihrem Gesetz- entwurf werden die allermeisten wie bisher bei 6 Jahren hängenbleiben. Dass Sie auf die Streichung des außergerichtlichen und gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens ver- zichten, ist eher dem einhelligen Protest der Praxis als Ihrer Einsicht zuzuschreiben. Dass sich auch diese Bundesregierung inzwischen of- fensichtlich für das Recht auf Wohnung entschieden hat und endlich mit einer Änderung im Genossenschaftsge- setz dafür sorgt, dass Mieter einer Genossenschaftswoh- nung bei einer Privatinsolvenz geschützt sind, weil sie eine Kündigung ihrer Anteile an der Wohnungsgenos- senschaft – und damit den Verlust der Wohnung – nicht mehr fürchten müssen, ist zwar zu begrüßen. Doch eine Obergrenze von maximal vier Nettokaltmieten, wie sie die Regierung vorschlägt, ist – wie bereits der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilien- unternehmen nach einer Umfrage unter seinen Mitglie- dern dem Bundesministerium der Justiz mitgeteilt hatte – viel zu niedrig. Auch hier werden wir dem An- trag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen, die ebenso wie wir keine Obergrenze festlegen. Sie verlangen vom Schuldner einen Nachweis für die Mittel, die er zusätzlich aufbringt, um seine Schulden zu reduzieren, um eine vorzeitige Befreiung von seinen restlichen Schulden zu erreichen. Das ist zwar löblich, aber viel zu kurz gedacht. Sie schaffen damit vor allem einen Anreiz, heimliche Umschuldungen vorzunehmen, und stärken damit nur die Kreditwucherbranche. Hier hätte es zusätzlicher Regelungen bedurft. Die Streichung der Vorausabtretung halten wir im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Gläubiger zwar für hilfreich, aber ich fürchte, in der Praxis werden vor allem Familien ohne sonstige materielle Sicherheiten zu- künftig vor gravierenden Finanzierungsproblemen ste- hen. Zum Abschluss noch ein Hinweis in Sachen Demo- kratie und Öffentlichkeit: Die Insolvenz ist ein wichtiges Thema, das (fast) alle treffen kann. Leider darf es nicht im Parlament diskutiert werden. Schon bei der ersten Le- sung gingen die Reden zu Protokoll, jetzt bei der zweiten und dritten Lesung und damit der Verabschiedung des Gesetzes ist das wieder der Fall. Aber da die Regierung ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht hat, wird es am Ende der Legislaturperiode eng und wichtige Themen können nicht mehr in der parlamentarischen Öffentlich- keit besprochen werden, sondern wandern direkt in di- cke Akten. Diesen Gesetzentwurf lehnen wir ab. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungs- verfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte war von der schwarz-gelben Bundesregierung als großer Wurf geplant. Im Ergebnis ist nun ein Gesetz herausge- kommen, das wenig verändern wird. Es verfehlt sein Ziel, Unternehmensgründern oder anderen verschulde- ten Personen zügig einen finanziellen Neustart und eine zweite Chance zu eröffnen, völlig. Die langen Ausführungen im Gesetzentwurf lesen sich wie eine Ironie: Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, führen eingehend aus, warum eine sechsjährige Wohlverhaltensphase in der Verbrau- cherinsolvenz, wie sie derzeitig Rechtslage ist, zu lang ist. Hier stimmen wir Grünen Ihnen voll und ganz zu. Sie schlagen nun eine Verkürzung der Wohlverhaltens- phase um ein Jahr, also auf fünf Jahre, vor, wenn die Schuldnerin oder der Schuldner die Verfahrenskosten begleicht. Ursprünglich hatten Sie eine weitere Verkür- zung auf drei Jahre vorgesehen, wenn die Schuldnerin oder der Schuldner eine Mindestbefriedigungsquote von 25 Prozent erfüllt hat. Beide Regelungen haben nicht nur wir Grünen in der Vergangenheit klar kritisiert. Auch in der Anhörung ha- ben viele der Expertinnen und Experten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass in der Praxis nur sehr wenige Schuldnerinnen und Schuldner von den Neuregelungen profitieren würden. Die überwiegende Zahl der Verbrau- cherschuldnerinnen und Verbraucherschuldner wird auf- grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage sein, überhaupt eine Befriedigungs- quote aus eigenem Einkommen und Vermögen zu tra- gen. Aber es kommt noch schlimmer. In Ihrem Änderungs- antrag wollen Sie nun die Befriedigungsquote sogar auf 35 Prozent erhöhen, obwohl Sie in Ihrer Begründung selbst schreiben, dass die Quote nicht zu hoch sein darf, um Leistungsanreize zu setzen. Ein Anreizsystem halten auch wir Grünen nicht grundsätzlich für falsch. Bei der Begleichung der Verfahrenskosten zum Beispiel sind wir weniger kritisch. Aber mit Ihrer Mindestbefriedigungs- quote von 35 Prozent kommen Sie einseitig den Interes- sen der Kreditwirtschaft nach – und dies auf dem Rücken der Verbraucherschuldnerinnen und Verbrau- cherschuldner. Weitaus sinnvoller wäre es gewesen, für alle Schuldnerinnen und Schuldner gleichermaßen eine Verfahrensverkürzung auf drei Jahre einzuführen. Das wäre eine echte zweite Chance, eine Möglichkeit zum Neuanfang. Genau dies fordern wir Grünen in unserem Änderungsantrag. Viele Menschen haben große Erwartungen in dieses Gesetz gesetzt. Das zeigen uns die vielen Zuschriften von Privatpersonen. Von einem gerechten Interessenaus- gleich zwischen Gläubigerinnen und Gläubigern einer- seits und Schuldnerinnen und Schuldnern andererseits kann aber bei Ihrem Gesetz keine Rede mehr sein. Mit Ihrem Gesetzentwurf wird nur ein ganz geringer Teil al- ler Schuldnerinnen und Schuldner in den Genuss einer vorzeitigen Restschuldbefreiung kommen. Hier kann ich nur sagen: Ziel deutlich verfehlt. Erfreulicherweise nehmen Sie aber, das will ich posi- tiv hervorheben, mit Ihrem Änderungsantrag die vorge- sehene Abschaffung des Schuldenbereinigungsplanver- fahrens zurück. Wenigstens in diesem Punkt haben Sie sich die Expertisen der Sachverständigen zu Herzen ge- nommen. Doch von Ihren ursprünglichen Plänen, den äußerst erfolgreichen außergerichtlichen Einigungsver- such umfassend zu stärken, ist leider nicht viel übrig ge- blieben. Vorschläge hierzu hätte es genug gegeben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30475 (A) (C) (D)(B) Ein weiteres Problem haben Sie noch mit Ihrem Ge- setzentwurf abgemildert: Sie begründen Kündigungs- schutz für Schuldnerinnen und Schuldner, die eine Woh- nung von Wohnungsbaugenossenschaften gemietet haben und mit einer bestimmten Anzahl von Genossen- schaftsanteilen an der Genossenschaft beteiligt sind. Da- mit erhalten Mitglieder einer Wohnungsgenossenschaft, die in finanzielle Not geraten sind, wenigstens die Sicher- heit, in der Insolvenz ihre Wohnung behalten zu können. Hier wird endlich eine Lücke geschlossen. Das befürwor- ten wir sehr. Hierfür haben auch wir Grünen uns in der Vergangenheit stark gemacht. Wie der Bundesrat auch, hätten wir uns allerdings ein höheres Schutzniveau ge- wünscht. Insgesamt ist dieses Gesetzeswerk enttäuschend für die vielen Verbraucherschuldnerinnen und Verbraucher- schuldner, die lange darauf gewartet haben. Hier haben Sie nachvollziehbare Hoffnungen einseitig enttäuscht. Wir Grünen können Ihrem Gesetz in dieser Form nicht zustimmen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Moder- nisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechts- modernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkosten- recht – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts – Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe (Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz – PKHBegrenzG) – Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts (Tagesordnungspunkt 18 a und c) Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute ab- schließend über mehrere Gesetzentwürfe zur Moderni- sierung des Kostenrechts. Wie bereits in der ersten parla- mentarischen Beratung werde ich mich dabei auf die Prozesskostenhilfe, die Verfahrenskostenhilfe und Bera- tungshilfe beschränken. Der Kollege Seif wird die weite- ren Aspekte aus Sicht der Union erläutern. Mit der Reform des Prozesskostenhilfe- und Bera- tungshilferechts können wir heute eine weitere Vereinba- rung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Dazu greift der Gesetzentwurf einerseits die Forderungen der Länder aus den Bundesratsinitiativen der 16. und 17. Legislatur- periode auf, die stetig steigenden Ausgaben der Länder für Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe zu begrenzen. Gleichzeitig wird andererseits aber sichergestellt, dass der vom Grundgesetz garantierte Zugang zum Recht ge- richtlich wie außergerichtlich weiterhin allen Bürgerin- nen und Bürgern unabhängig von Einkünften und Vermö- gen offensteht. Darüber hinaus wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Einbeziehung steuer- rechtlicher Angelegenheiten in die Beratungshilfe umge- setzt. Auch wenn nicht alle Wünsche der Länder nach Kos- teneinsparungen erfüllt werden konnten, haben wir nun zusammen mit den Vereinbarungen zum 2. Kostenrechts- modernisierungsgesetz einen guten und ausgewogenen Kompromiss gefunden. So hat sich die CDU/CSU-Bun- destagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass die be- rechtigten Interessen der Länder an einer Kostensenkung in einen angemessenen Ausgleich mit der Rechtsschutz- und Rechtswegegarantie der Bürgerinnen und Bürger ge- bracht wurden. Nach umfassenden Beratungen im Rechtsausschuss und einer Sachverständigenanhörung am 13. März 2013 steht der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregie- rung, bei dem es sich um einen „abgespeckten Entwurf“ des ursprünglichen Länderentwurfes handelt, nun mit ei- nigen Änderungen heute zur Abstimmung. Bereits zu Beginn der Beratungen hat die Unionsfrak- tion deutlich gemacht, dass wir Einschränkungen bei der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfah- renskostenhilfe ablehnen. Grundsätzlich ist anzuerken- nen, dass die Bewilligung von Prozess- und Verfahren- skostenhilfe sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts in familiengerichtlichen Verfahren, die eine große per- sönliche Bedeutung für die Beteiligten haben, besonders sensibel und großzügig gehandhabt werden müssen. Au- ßerdem hätten für die jeweilige Partei Möglichkeiten be- standen, die Beiordnung eines Rechtsanwaltes trotz der vorgeschlagenen Änderung zu erreichen. So können bei- spielsweise zusätzliche Anträge zum Zugewinnausgleich oder Unterhalt gestellt werden, was wiederum vermeid- bare Verkomplizierungen und Kostensteigerungen mit sich bringt. Der Umstand, dass sich bemittelte Antrags- gegner bei einvernehmlichen Ehescheidungen seltener eines anwaltlichen Beistands bedienen, lässt sich auch darauf zurückführen, dass im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens – anders als bei bedürftigen Parteien – die Möglichkeit einer jeweiligen anwaltlichen Beratung in Anspruch genommen werden konnte. Darüber hinaus wollen wir eine Legaldefinition des Begriffs der Mutwilligkeit in die Zivilprozessordung einfügen. Danach ist die Rechtsverfolgung oder Rechts- verteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Pro- zesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdi- gung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinrei- chende Aussicht auf Erfolg besteht. Diese Definition entspricht der herrschenden Rechtsprechung, insbeson- dere der des Bundesverfassungsgerichts. Danach ist als Vergleichsperson derjenige Bemittelte heranzuziehen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Die Formel wird in der Praxis seit langem angewandt und hat sich be- währt. Sie gibt den Gerichten ausreichend präzise, je- 30476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) doch gleichzeitig flexible Kriterien für die vorzuneh- mende Bewertung vor. Eine Absenkung der Freibeträge für Erwerbstätige so- wie für Ehegatten oder Lebenspartner konnte vermieden werden. Wir sind der Auffassung, dass die Bereitstellung adäquater Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe dem Rechtsstaatsgebot entspricht und sich nicht an dem abso- luten verfassungsrechtlichen Minimum orientieren sollte. Die Halbierung des Freibetrages für Erwerbstä- tige hätte das anerkennenswerte Bemühen insbesondere von Geringverdienern um die Erzielung eines eigenen Erwerbseinkommens nicht hinreichend unterstützt. Die geltende Ratenhöchstzahlungsdauer von 48 Mo- naten stellt bereits einen angemessenen Ausgleich zwi- schen den Interessen der Partei an einer zeitlich über- schaubaren finanziellen Mehrbelastung infolge der Prozessführung und dem fiskalischen Interesse an einer hohen Refinanzierungsquote sicher. Daher haben wir eine Erhöhung auf 72 Monate abgelehnt. Mit einer Ver- längerung der Ratenhöchstzahlungsdauer wäre auch eine länger andauernde Pflicht zur Überwachung verbunden gewesen, die zu erheblichem personellem Mehraufwand in der Justiz geführt hätte. Dem hätte in einer großen An- zahl von Fällen – auch vor dem Hintergrund der aktuel- len Pfändungsfreigrenzen – kein Nutzen entgegenge- standen. Darüber hinaus haben wir die vorgeschlagene Befug- nis für die Gerichte, zur Klärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Einwilligung des An- tragstellers Auskünfte Dritter einholen zu können, abge- lehnt. Es wäre unverhältnismäßig gewesen, dass einem Dritten – beispielsweise einem Arbeitgeber oder einem Versicherer – auf diese Weise bekannt geworden wäre, dass der Antragsteller Prozesskostenhilfe für ein Ge- richtsverfahren beantragt hat. Diesem Eingriff in die Rechte der Antragsteller hätte also ebenfalls kein ad- äquater Nutzen gegenübergestanden. Die ursprünglich vorgesehene Erweiterung des Be- schwerderechts der Staatskasse hätte – beispielsweise durch nur geringfügige Rechenfehler zulasten der Staats- kasse – eine erhebliche Mehrbelastung der Bezirksrevi- soren sowie der zweiten Instanz zur Folge gehabt. Ferner wäre der Begründungsaufwand für den erstinstanzlichen Richter gestiegen. Die Einlegung einer Beschwerde führt darüber hinaus zwangsläufig zu einer Verzögerung des Hauptsacheverfahrens. Zunächst muss die Hauptakte nebst Prozesskostenhilfeheft an das Rechtsmittelgericht versendet werden. Weiterhin entsteht eine bis zu drei Monaten andauernde Unsicherheit, ob die Bewilligungs- entscheidung als solche noch angegriffen wird, was die Partei mit beigeordnetem Rechtsanwalt vielfach dazu bewegen wird, den genannten Zeitraum abzuwarten und zunächst nicht kostenverursachend tätig zu werden. Ge- rade in Verfahren, in denen der Beschleunigungsgrund- satz besonders ausgeprägt ist (zum Beispiel Kindschafts- sachen), stellt sich dies kritisch dar. Die Koalition hat ferner die vorgeschlagene Möglich- keit abgelehnt, Zeugen oder Sachverständige auch zur Prüfung der Bedürftigkeit vernehmen zu können. Schon nach bisheriger Rechtslage geht die fehlende Glaubhaft- machung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhält- nisse oder die ungenügende Beantwortung schriftlicher Fragen nach Fristsetzung zulasten des Antragstellers, da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in diesen Fällen abgelehnt werden kann. Deshalb ist nicht davon auszu- gehen, dass von der aufwändigeren Möglichkeit einer Klärung durch Vernehmung von Zeugen oder Sachver- ständigen nennenswert Gebrauch gemacht werden wird. Zudem entstehen durch entsprechende Vernehmungen gegebenenfalls erhebliche zusätzliche Kosten, die insbe- sondere bei einem Unterliegen der bedürftigen Partei, der ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, letzt- lich von der Staatskasse zu tragen wären. Zudem er- scheint die Kostentragungspflicht des Gegners im Falle seines Unterliegens verfehlt, wenn der Zweck der Ver- nehmung allein in der ausschließlich im Interesse der Staatskasse liegenden Aufklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse lag. Ferner haben wir die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit zur Übertragung der Bedürftigkeitsprüfung auf den Rechtspfleger als Länderöffnungsklausel ausge- staltet. Dies eröffnet den Ländern die Gestaltungsspiel- räume, die erforderlich sind, um auf den mit der Aufga- benübertragung verbundenen erhöhten Personalbedarf im Rechtspflegerbereich flexibel reagieren zu können. Außerdem wird die Möglichkeit einer nachträglichen Antragstellung nicht eingeschränkt und bleibt wie bisher an keine besondere Eilbedürftigkeit geknüpft. Die Sonderregel im arbeitsgerichtlichen Verfahren, dass einer Partei auch ohne Erfolgsaussicht ein Rechts- anwalt beigeordnet werden kann, wenn der Gegner an- waltlich vertreten ist, wird abgeschafft. Die „Waffen- gleichheit“ wird bereits durch § 121 ZPO ausreichend gewährleistet. Das nun vorgesehene Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2014 ermöglicht einen Umsetzungszeitraum von sechs Monaten. Dieser Zeitraum ist wegen des Um- stellungsaufwands in den Fachverfahren und wegen der Änderungen am Prozesskostenhilfe- und am Beratungs- hilfeformular notwendig. Zum Ende meiner Ausführungen noch eine Bemer- kung zu den Verfahren vor dem Europäischen Gerichts- hof für Menschenrechte, die auch unseren Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland offenstehen. Ich hatte diese bereits während unserer vergangenen Debatte angespro- chen. Mit dem Gesetz zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – dem EGMR-Kosten- hilfegesetz – liegt seit dem 25. April eine rechtliche Grundlage für zusätzliche Kostenhilfe für Verfahren in Straßburg vor. Konnten vorher nur die Beschwerdefüh- rer Kostenhilfe beim Gerichtshof beantragen, steht dies nun auch sogenannten Drittbetroffenen zu – beispiels- weise Kindern in Umgangsfragen. Damit ist jetzt sicher- gestellt, dass es nicht vom Geldbeutel eines Betroffenen abhängt, ob man sich in den eigenen Angelegenheiten in Straßburg Gehör verschaffen kann. Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass wir im Rechtsausschuss das eine oder andere am ursprünglichen Gesetzentwurf so nachjustiert haben, dass das heute be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30477 (A) (C) (D)(B) ratene Ergebnis alle Fraktionen in diesem Haus überzeu- gen wird. Detlef Seif (CDU/CSU): Das 2. Kostenrechtsmoder- nisierungsgesetz dürfte das umfangreichste rechtspoliti- sche Gesetzgebungsvorhaben in dieser Legislaturperiode sein. Dies bezieht sich nicht nur auf den Seitenumfang, sondern insbesondere auch auf die Maßnahmen zur Vor- bereitung des Regierungsentwurfs. Hier hat die Regie- rung eine umfangreiche Vorarbeit geleistet, eine Vielzahl von Einwendungen und Anregungen der Justiz, der Län- der und der betroffenen Berufsgruppen war „abzuarbei- ten“. Die Neuregelungen des Kostenrechtsmodernisie- rungsgesetzes aus dem Jahr 2004 wurden überprüft. Seitens des Bundesjustizministeriums wurde ermittelt, an welchen Stellen Korrekturbedarf besteht. Die Notar- gebühren wurden von November 2006 bis Februar 2009 durch eine Expertenkommission einer Prüfung unterzo- gen. Bezüglich der angedachten Veränderungen zur Ent- schädigung der in Justizverfahren beteiligten Berufs- gruppen wurden die betroffenen Verbände bereits Ende 2006 eingebunden und um Stellungnahme zur geplanten Änderung der Sachgebietsliste gebeten. Die Bestellungs- körperschaften und die Landesjustizverwaltungen wur- den eingebunden, im Jahr 2009 wurde eine umfangrei- che Marktanalyse beauftragt. Ein RVG-Panel zur Ermittlung der Gebührensituation in Sozialrechtsangele- genheiten wurde eingerichtet, es folgten viele Gespräche mit der Anwaltschaft, den Notaren und den Vertretern der Länder. Man kann bereits an diesem Auszug aus der Vorgeschichte zum Regierungsentwurf erkennen, wie anspruchsvoll das vollzogene Verfahren zur Erarbeitung des Regierungsentwurfs war. An dieser Stelle bedanke ich mich für die professio- nelle Arbeit der Regierung. Ich bedauere sehr, dass der verantwortliche Staatssekretär, Dr. Max Stadler, der per- sönlich viel Herzblut in das Gesetz investierte, durch sei- nen frühen Tod die Früchte seiner Arbeit nicht mehr ern- ten kann. Meinen Dank spreche ich auch ausdrücklich den Be- richterstattern der anderen Fraktionen aus. Auch wenn wir bei den Detailfragen oft unterschiedlicher Ansicht waren, haben wir alle gemeinsam die Kernziele des Ge- setzes nicht außer Acht gelassen: Beim 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz geht es im Kern zunächst darum, die im Jahr 2001 mit dem Ge- richtsvollzieherkostengesetz aufgenommene und im Jahr 2004 mit dem 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz fortgeführte Strukturreform zu vollenden. Das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz soll dazu beitragen, die Gerichte von der zwischenzeitlich sehr umfangreichen und teilweise auch undurchsichtigen Kostenrechtsprechung zu entlasten und Rechtssicherheit für die Beteiligten zu schaffen. Letztlich dient das Ge- setzgebungsvorhaben einer bundeseinheitlichen Rege- lung. Ein Schwerpunkt der Modernisierung liegt in der Schaffung eines neuen Gesetzes über Kosten der freiwil- ligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare, das die bislang geltende Kostenordnung ablöst. Insbesondere bedarf die seit dem Inkrafttreten der Reichskostenord- nung am 1. April 1936 in ihrer Struktur unverändert ge- bliebene Vorschrift einer grundlegenden Neugestaltung, die das zusammenwachsende Europa und die Anforde- rungen der elektronischen Datenverarbeitung berück- sichtigt. Die strukturellen Änderungen des Gesetzes führen zu einer klaren Trennung der für Gerichte und Notare gel- tenden Regelungen. So werden zum Beispiel alle Rege- lungen, die allein die Tätigkeit der Notare betreffen, in einem eigenen Kapitel zusammengefasst. Entsprechend findet man jetzt eine Zusammenfassung der Notargebüh- rentatbestände in einem eigenen Teil des Kostenver- zeichnisses. Die Vorschriften zur Justizvergütung und -entschädi- gung wurden strukturell überarbeitet. Hier wurde insbe- sondere die Sachgebietsliste, auch im Hinblick auf die Sachgebietsbeschreibung, angepasst. Ziel ist die Beseiti- gung von Problemen, die in der gerichtlichen Praxis bei der Zuordnung zu den einzelnen Sachgebieten aufgetre- ten sind. Auf der Grundlage der neuen Sachgebietsbe- schreibung wurde eine umfangreiche Marktanalyse durch die Hommerich Forschung durchgeführt, um die Marktpreise zu ermitteln. Die Kostenrechtsmodernisierung, die den Schwer- punkt des Gesetzes bildet, ist angesichts der Vielzahl der an uns herangetragenen Bitten, Beschwerden und Anre- gungen in der öffentlichen Wahrnehmung eher zurück- getreten. Es ist allzu verständlich, dass betroffene Be- rufsgruppen an uns herangetreten sind, um aus ihrer Sicht die Kostenvorschriften für den jeweiligen Berufs- stand zu „optimieren“. Es liegt auch in der Natur der Sa- che, dass sich die Länder mit dem Argument einer finan- ziellen Unterdeckung mehrfach an uns gewandt haben. Bei allem Verständnis für die Einwendungen der Länder ist an oberster Stelle zu berücksichtigen, dass die Justiz nicht – wie wirtschaftliche Unternehmen – kostende- ckend arbeiten kann. Der Rechtsstaat wäre gefährdet, wenn die Gebühreneinnahmen kostendeckend sein müssten. Dies würde zu einer unzumutbaren Erschwe- rung des Zugangs zum Recht durch die Erhöhung finan- zieller Hürden führen. Die zwischen dem Bundesjustiz- ministerium und den Ländern gefundene Einigung dürfte das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Länder an einem möglichst hohen Kostendeckungsgrad und dem ungehinderten Zugang zum Recht angemessen lösen. Soweit die Einwendungen der verschiedenen Berufs- gruppen nachvollziehbar waren und im aktuellen Ge- setzgebungsverfahren berücksichtigt werden konnten, haben sie zu einigen Änderungen des Regierungsent- wurfs geführt. Auch wenn der Regierungsentwurf bei den Anwalts- gebühren im Gesamtvolumen bereits eine Erhöhung von rund 12 Prozent vorsah, war dem gemeinsamen Einwand von Bundesrechtsanwaltskammer und Deutschem An- waltsverein zu folgen. Aufgrund der Anpassung der Ta- bellenstruktur des RVG an die Streitwertstufen des GNotKG führte der Regierungsentwurf bei einzelnen 30478 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Streitwerten zu niedrigeren Gebühren als bisher. Deshalb sieht der heute vorliegende Gesetzentwurf eine weitere Erhöhung um jeweils 5 Euro für jede Streitwertstufe vor. Auch das Argument der Anwaltschaft, dass die im Re- gierungsentwurf vorgesehene Kappungsgrenzenbe- schreibung in Nr. 2301 VV RVG-E in der Praxis zu einer neuen Höchstgebühr geführt hätte, war nicht von der Hand zu weisen. Diese Beschreibung wurde folgerichtig gestrichen. Bei den Gerichtsvollziehern ist leistungsgerecht eine Gebührenerhöhung von 30 Prozent vorgesehen. Von der Einführung einer Erfolgsgebühr für Gerichtsvollzieher haben wir Abstand genommen. Diese könnte Fehlan- reize setzen und dazu führen, dass Gerichtsvollzieher möglicherweise Vollstreckungsaufträge, die nach dem ersten Anschein aussichtslos erscheinen, nachrangig be- arbeiten. Die gewünschte Erhöhung des Mindest- und Höchstbetrages der Auslagenpauschale war nicht umzu- setzen, da die Portokosten mit Ausnahme des Standard- briefes nicht gestiegen sind und der Versand von Schrift- stücken zunehmend auf elektronischem Wege erfolgt. Allerdings war eine Anhebung der Wegegeldpauschalen für Gerichtsvollzieher angemessen. Der Gesetzentwurf sieht jetzt eine 30-prozentige Erhöhung vor. Dringend anpassungsbedürftig waren die im Regie- rungsentwurf vorgesehenen Honorare für Übersetzer. Den im Entwurf vorgesehenen Sätzen wurde der im Rahmen der Marktanalyse ermittelte einheitliche Zeilen- satz zugrunde gelegt, den 55 Prozent der Befragten au- ßergerichtlich berechnen. Unberücksichtigt blieb aber die Gruppe der Übersetzer, die nach der Qualität der Übersetzerleistung – Basisqualität und hohe Qualität/ Rechtssicherheit – unterscheidet, immerhin rund 45 Pro- zent der Befragten. Damit konnten die im Entwurf zu- nächst vorgesehenen Zeilensätze die Marktpreise nicht zutreffend wiedergeben. Dies ergab auch die Befragung des Sachverständigen Professor Hommerich in der öf- fentlichen Anhörung. Die von der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion erfolgte Anregung wurde von der Regierung aufgegriffen und spiegelt sich in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wider. Die Höhe der Übersetzerhonorare knüpft nun an die Übersetzung in hoher Qualität/Rechts- sicherheit an. Darüber hinaus ist ein erleichterter Zugang zum höheren Zeilensatz vorgesehen, da nicht mehr eine „erhebliche“, sondern nur noch eine „besondere“ Er- schwernis der Übersetzung verlangt wird. Zudem ist hier eine Erweiterung vorgenommen worden, indem die Er- höhungstatbestände um die Regelbeispiele „besondere Eilbedürftigkeit“ und „in Deutschland selten vorkom- mende Sprache“ ergänzt wurden. Hinzu kommt, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Übersetzungen nicht edi- tierbare Texte betrifft, für die ohnehin ein erhöhtes Ho- norar verlangt werden kann. Honorarsätze für die Übersetzung außergewöhnlich schwieriger Texte entfallen, da dieser Übersetzungsart nach dem Ergebnis einer Erhebung der Länder keine praktische Bedeutung zukommt. Darüber hinausgehende Forderungen der Berufsver- bände finden keine Entsprechung in den außergerichtli- chen Zeilensätzen. Sie widersprechen dem Regelungsge- danken des Gesetzes, dessen Honorarsätze die Marktpreise abbilden sollen. Die Einwendung der öffentlich bestellten Vermes- sungsingenieure, dass bei den Sachgebieten zwischen „Vermessungstechnik“ und „Vermessungs- und Katas- terwesen“ zu unterscheiden sei, war nachvollziehbar. Deshalb sieht der Gesetzentwurf jetzt auch vor, dass die reine „Vermessungstechnik“ in die Honorargruppe 1 ein- gestuft wird, während das anspruchsvollere „Vermes- sungs- und Katasterwesen“ zur Honorargruppe 9 gehört. Die vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, ZDH, geäußerte Kritik greift im Ergebnis nicht. Der ZDH ist der Meinung, dass viele handwerkliche Sachge- biete pauschal in die Honorargruppe 2 eingestuft wür- den. Gefordert wird die Beibehaltung des bisherigen Vergütungssystems. Eine derartige pauschale Zuordnung der handwerklichen Tätigkeit sieht der Gesetzentwurf aber überhaupt nicht vor. Das Gesetz orientiert sich bei der Bestimmung der Sachverständigenhonorare nämlich nicht an bestimmten Berufsgruppen wie etwa den Hand- werkern. Vielmehr wird auf den auf dem freien Markt erzielbaren Preis in einem bestimmten Sachgebiet abge- stellt, und zwar unabhängig davon, ob die Leistung von einem Handwerker oder einem Ingenieur erbracht wird. Dies führt zum Beispiel dazu, dass die Bewertung der handwerklich-technischen Ausführung im Bauwesen in Honorargruppe 2 (70 Euro pro Stunde) eingeordnet wird, während etwa für die Ermittlung von Schadenursachen im Bauwesen die Honorargruppe 5 (85 Euro pro Stunde) und für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung die Hono- rargruppe 8 (100 Euro pro Stunde) folgen. Auch wenn im Ergebnis nicht alle Anregungen be- rücksichtigt werden konnten, so wurden sie aber im Ge- setzgebungsverfahren abgewogen. Da das Gesetz jetzt viel stärker als früher auf eine marktgerechte Abbildung der Honorare abstellt, kann dies im Einzelfall zu Hono- rarkürzungen führen. Dies entspricht aber dem Zweck des Gesetzes, keine höheren Beträge zu gewähren als auf dem freien Markt erzielbar wären. Einzelne Einwendungen konnten jetzt keine Berück- sichtigung finden, da sie die Verabschiedung des Gesetzes in weite Ferne gerückt hätten. Müsste sich der Deutsche Bundestag bis ins kleinste Detail auf eine gemeinsame Lösung zwischen allen Beteiligten verständigen, könnte die Kostenreform in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden. Alles in allem schafft der jetzt vorliegende Gesetzent- wurf einen guten Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen und verdient in der heutigen zweiten und drit- ten Lesung des Gesetzes unsere Zustimmung. Christoph Strässer (SPD): Wir beschäftigen uns heute unter anderem mit dem Kostenrechtsmodernisie- rungsgesetz und dem Gesetz zur Prozesskostenhilfe. Die Titel sind sperrig, die Auswirkungen erheblich: Es be- trifft Rechtsuchende, die nicht in der Lage sind, Kosten für die Inanspruchnahme der Justiz aus eigenen Mitteln aufzubringen; es geht um die Vergütungen für Leistun- gen vieler Berufsgruppen, die für das Funktionieren un- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30479 (A) (C) (D)(B) seres rechtsstaatlichen Systems unentbehrlich sind: für Gerichtsvollzieher, Dolmetscher und Übersetzerinnen, für Sachverständige und nicht zuletzt für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen. Es geht aber auch darum, den Staat, insbesondere die Bundesländer, in die Lage zu versetzen, auch weiterhin die Mittel die für das reibungs- lose Funktionieren unserer Gerichtsbarkeit erforderlich sind, in ausreichendem Umfang zur Verfügung stellen zu können, ein nicht einfaches Unterfangen. Auf den ersten Blick sieht es bei dem Gesetzgebungs- projekt nach einer einseitigen Belastung des rechtsu- chenden Bürgers aus: Die Gerichtsgebühren werden er- höht, die Rechtsanwaltsgebühren werden erhöht, die Ratenzahlungshöhe der Prozesskostenhilfe wird erhöht. In einer Stellungnahme der Versicherungswirtschaft kündigt diese an, dass die Versicherungsprämien für Rechtsschutzversicherungen dadurch steigen könnten. Richtig ist aber auch: Der Kostendeckungsgrad der Justiz geht ständig zurück und liegt zurzeit nur bei 44 Prozent, die Vergütung nach dem Rechtsanwaltsver- gütungsgesetz wurde zuletzt 2004 strukturell angepasst, die Ausgaben der Länder für die Prozesskostenhilfe sind in den letzten Jahren gestiegen. Alleine in Berlin haben sich die Ausgaben für Prozesskostenhilfe in den letzten fünf Jahren vervierfacht. Es ist unbestreitbar: Es besteht Veränderungsbedarf. Dabei ist es die Aufgabe der Politik, für einen fairen Ausgleich zu sorgen und die Kosten gerecht zu verteilen. Das ist nicht einfach. Klar ist auch, dass die Justiz keine Kostendeckung von 100 Prozent anstreben kann und will. Es ist die Aufgabe des Staates, eine Justizinfra- struktur zur Verfügung zu stellen, die von allen Teilen der Bevölkerung genutzt werden kann, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten eines Verfahrensbeteilig- ten. In Deutschland sind Prozesse finanzierbar und das Kostenrisiko von Gerichtsverfahren so kalkulierbar wie in kaum einem anderen Land. Das ist Teil der friedens- stiftenden Wirkung der Justiz. Wir wollen keine Zwei- klassenjustiz. Veränderungen, die den Zugang zum Recht beschränken, insbesondere durch Veränderungen bei Prozesskosten bzw. Beratungshilfe, sind mit der SPD nicht zu machen. Das Kostenrecht muss mehr noch als die Prozesskos- tenhilfe modernisiert werden. Das unterstützt die SPD- Bundestagsfraktion. Und weil es hier um grundlegende Fragen geht, die auch den Zugang zum Recht betreffen, habe ich es befürwortet, dass wir uns gründlich mit diesem Thema beschäftigt haben. Es gingen jahrelange Beratungen zwischen den Ländern und dem Justizminis- terium, zwischen Verbänden und Abgeordneten voraus. Im März hat der Bundestag eine umfangreiche Anhö- rung durchgeführt. Wir sehen die Verbesserungen beim Entwurf zum Kostenrechtsmodernisierungs- sowie Prozesskosten- und Beratungshilfegesetz. Besorgniserregend ist aber die Verhandlungsführung mit den Ländern – das muss man mal anmerken dürfen. Seit Tagen und Wochen stehen die Telefone nicht mehr still. Die Ländervertreter sind mehr als erstaunt und unzufrieden. Letzte Woche Montag ti- telte dann auch Spiegel Online „Justizministerin lässt Kosten-Kompromiss platzen“. Es ist davon die Rede, dass Absprachen des Bundesjustizministeriums nicht eingehalten wurden. Im Ausschuss hat die Regierung das bestritten. Die Absprachen würden nur anders „aus- gelegt“. In Anbetracht der wenigen zur Verfügung ste- henden Sitzungswochen vor dem Ende der Legislatur- periode ist die miserable Abstimmung mit den Ländern besonders unprofessionell. Wenn die Kostenrechtmoder- nisierung scheitert, wäre dies ein verhandlungspoliti- sches und rechtspolitisches Desaster für die Regierung, denn viele Berufsgruppen warten auf die Erhöhungen, und das zu Recht. Nachdem Ländervertreter aller politi- schen Fraktionen angekündigt haben, den Vermittlungs- ausschuss anzurufen, erwarten wir und werden wir kons- truktiv daran mitarbeiten, so schnell wie möglich zu einem Ergebnis zu kommen, das trägt und noch in der laufenden Legislaturperiode ins Gesetzblatt kommen kann. Ich möchte nun auf die inhaltliche Bewertung zu sprechen kommen. Einige Punkte, die Ländern, Sachverständigen und uns wichtig waren, wurden nach der ersten Lesung im Plenum im laufenden Verfahren tatsächlich aufgegriffen. Im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf ist im Kostenrecht nun vorgesehen, dass den Ländern eine Gerichtsgebührenerhöhung von 18 Prozent statt nur 11 Prozent zugestanden wird und dass bei der Rechtsan- waltsvergütung eine Bereinigung der Streitwerte bis 10 000 Euro – Honorare wären in bestimmten Fällen durch die neue Staffelung gesunken – durchgeführt wird. Verbesserungen bei den Sachverständigenhonoraren so- wie beim Wegegeld für Gerichtsvollzieher begrüßen wir ebenfalls. Das gilt auch für die lineare Anhebung der Anwaltsvergütung um 2 Prozent im Verhältnis zum ers- ten Regierungsentwurf. Auch Übersetzer und Dolmetscher profitieren von einigen Korrekturen, wie zum Beispiel von erhöhten Zeilenhonoraren. Das ist aber nicht ausreichend. Es hätte auch die Möglichkeit von Vergütungsvereinbarungen ge- strichen werden müssen. Sie sind in vielen Bundeslän- dern üblich. Dolmetscher und Übersetzer werden dort nur berufen, wenn sie sich zuvor mittels Vergütungsver- einbarung zu niedrigeren Honorierungen bereit erklärt haben. Die Honorarerhöhungen nützen nichts, wenn sie durch Vergütungsvereinbarungen unterlaufen werden. Die über Honorarvereinbarungen möglichen Honorare entsprechen nicht mehr den ökonomischen Mindest- bedürfnissen. Wir treten auch für die Beibehaltung der Terminge- bühr beim Gerichtsbescheid im Sozialrecht und die Wiedereinführung der Kostenprivilegierung für arbeits- gerichtliche Teilvergleiche ein. Im Bereich der Prozesskosten- und Beratungshilfe wurden einige Einschnitte wieder zurückgenommen. Das begrüßen wir. Eine funktionierende Prozesskosten- und Beratungshilfe liegt mir besonders am Herzen. Bei allem Verständnis für die Nöte in den Justizhaushalten muss man in diesem Bereich besonders sensibel vorge- hen. 30480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Der Gesetzentwurf verfolgt zwei Ziele: Die Ausgaben für die Beratungs- und Prozesskostenhilfe sollen redu- ziert werden. Außerdem soll der Zugang zum Recht wei- ter gewährleistet werden. Das ist ein Balanceakt – keine Frage. Aber es müssen auch bestimmte Quellen für einen Anstieg der Kosten im Bereich der Prozesskostenhilfe angegangen werden. Es dürfen nicht nur die Symptome, sondern es müssen auch die Ursachen bekämpft werden. Ich nenne mal ein Beispiel. Viel zu vielen Widerspruchs- stellen der Jobcenter gelingt es nicht, Widersprüche nach den gebotenen rechtsstaatlichen Standards zu beschei- den. Die Gründe hierfür sind vielfältig, sie liegen in der Regel nicht in der Kompetenz oder Motivation der Be- schäftigten. Es ist feststellbar, dass eine teure Funktions- verschiebung im Verhältnis zwischen der Verwaltungs- und Widerspruchspraxis der Sozialleistungsträger und den Sozialgerichten zulasten der Gerichte stattgefunden hat. Ein richtiger Ansatz zur Eindämmung der PKH- und Beratungshilfekosten in diesem Bereich wäre daher, Qualität und Akzeptanz von Bescheiden der Sozialver- waltung zu stärken, sodass die Notwendigkeit oder auch das subjektive Bedürfnis nach gerichtlicher Klärung gar nicht erst entsteht. Mit der Forderung unserer Fraktion, in den Arbeitsagenturen und Jobcentern die Kontakt- dichte zwischen Fallmanagern und Arbeitsuchenden durch eine größere personelle Ausstattung zu verbes- sern, Bundestagsdrucksache 17/6454, haben wir einen Beitrag zu diesem Ansatz geleistet. Ich begrüße es, dass im Vergleich zum Ursprungsent- wurf die Freibeträge für Ehegatten und für Erwerbstätige nicht gesenkt werden, dass die Ratenhöchstzahlungs- dauer nicht von vier auf sechs Jahre verlängert wird und dass die vorherige Antragstellung der Beratungshilfe nicht vorgeschrieben wird. Zwei Punkte waren und sind uns besonders wichtig: die Anwaltsbeiordnung in Scheidungsverfahren und ar- beitsgerichtlichen Prozessen. Knapp die Hälfte aller Verfahren sind Scheidungsver- fahren. Eine beschnittene Prozesskostenhilfe dürfte vor allem auf Kosten der Frauen gehen, die nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sind. Im Bereich von Schei- dungen wurde argumentiert, dass sich bei Scheidungen ohne PKH 45 Prozent der Leute ohne Anwalt scheiden lassen, bei Scheidungen mit PKH aber nur 14 Prozent. Der Grund ist aber klar. Einkommensstärkere nehmen eine kostenträchtige Mediation in Anspruch oder lassen sich im Vorfeld anwaltlich beraten und klären Streit- punkte außergerichtlich, sodass das Scheidungsverfah- ren eine reine Formsache ist. Das lässt sich auf bedürf- tige Rechtsuchende nicht übertragen, für die die streitigen Punkte keine bloße Formsache sind. Wohn- recht, Vermögensauseinandersetzung, Unterhalt, Sorge- recht sind schwierige Fragen, bei denen die Gefahr be- steht, dass ein Partner nicht ausreichend beraten wird. Die Kehrtwende der Koalition in diesem Punkt ist zu be- grüßen. Auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren darf sich an der Beiordnung nichts ändern, § 11 a ArbGG. Das Ar- beitsrecht hat sich zu einer Spezialmaterie entwickelt. Die Arbeitgeberseite ist zumeist anwaltlich oder durch die Rechtsabteilung vertreten. Die Hinweispflichten des Richters sind nicht ausreichend. Das Ziel der Beiordnung, als diese 1953 eingeführt wurde, war, dem Arbeitnehmer im Prozess gegenüber dem finanziell und rechtlich in der Regel überlegenen Arbeitgeber Chancen- und Waffengleichheit zu gewäh- ren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Gerade die Entwicklung bei Niedriglohnverhältnissen und atypi- schen Beschäftigungsverhältnissen zeigt auf, dass es weiterhin dieser Schutzfunktion beim Prozess bedarf. In dieser Frage hat sich die Koalition leider nicht bewegt, sodass uns trotz einer Reihe von erheblichen Verbesse- rungen eine Zustimmung nicht möglich ist. Wenn sich der Vermittlungsausschuss mit den Gesetz- entwürfen beschäftigt, so wie dies die Länder angekün- digt haben, würde ich es begrüßen, wenn über diese Fra- gen noch einmal diskutiert werden könnte. Wir wollen, dass das Projekt Kostenrechtsmodernisierung schnellst- möglich zu einem positiven Abschluss gebracht werden kann. Marco Buschmann (FDP): Es ist mir ein Bedürfnis, bevor ich auf die Details der vorliegenden Gesetzent- würfe eingehe, eine persönliche Bemerkung voranzu- stellen: Bei meinem allerersten parlamentarischen Abend als frisch gewählter Abgeordneter im Jahr 2009 kündigte der gerade ernannte Parlamentarische Staatssekretär, un- ser letzten Sonntag verschiedener Kollege Dr. Max Stadler, an, eine Initiative zur Kostenrechtsmodernisie- rung im Justizwesen auf den Weg bringen zu wollen. Eine solche Reform war lange überfällig und ist von al- len Beteiligten immer wieder eingefordert worden. Viele haben damals geglaubt, dass man wegen der zahlreichen Interessensgegensätze hier kaum zu einer Lösung in die- ser Legislaturperiode kommen könnte. Dass wir heute abschließend im Deutschen Bundestag über die vorlie- genden Entwürfe debattieren können, haben wir auch dem großen Engagement sowie der menschlich einneh- menden und moderierenden Art von Max Stadler zu ver- danken. Fast über die gesamte Legislaturperiode hinweg hat er sich immer wieder um Ausgleich und Kompro- miss in der schwierigen Gemengelage bemüht. In dieser offenen und konstruktiven Atmosphäre war es auch möglich, Lösungen für eine Reihe von Proble- men zu finden, die dem Ursprungsentwurf der Bundes- regierung für dieses große Gesetzeswerk noch angehaf- tet haben: Wir haben den Zugang zum Recht auch für sozial schwache Personen weiter gesichert. Denn eine ganze Reihe von Beschränkungen im Rahmen der Prozess- und Beratungskostenhilfe, die sich vor allem der Bundesrat gewünscht hatte, haben wir zurückgenommen im Inte- resse des Zugangs zum Recht für alle. Wir haben einige – ich nenne es einmal – unbeabsich- tigte Unwuchten, etwa im Bereich der Rechtsanwalts- vergütung, beseitigt. Denn der Zugang zum Recht für alle Bürger ist nur dann gesichert, wenn anwaltliche Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30481 (A) (C) (D)(B) Tätigkeit auf hohem Niveau auch in der Fläche und auch außerhalb großer, spezialisierter Kanzleien einträglich möglich ist. Genau diesem Ziel dient nun dieser Ent- wurf. Nach dem Ursprungsentwurf gab es aber praxisre- levante Fallgruppen, in denen die Vergütung der An- wälte nicht gestiegen, sondern gesunken wäre. Dies haben wir korrigiert. Wir konnten die Interessen weiterer Berufsgruppen, die justiznah tätig werden, berücksichtigten – etwa die Dolmetscher und Übersetzer, die Gerichtsvollzieher und Sachverständigen. Zugleich haben wir auch die Interessen der Bundes- länder berücksichtigt, die die Kosten der Prozesskosten- und Beratungshilfe finanzieren müssen. Denn wir wol- len mit dem vorliegenden Entwurf die Gerichtsgebühren zugunsten der Länder anheben. Lassen Sie mich hierauf etwas detaillierter eingehen, da in der Öffentlichkeit und auch im Rechtsausschuss die Interessenlage der Länder ja immer wieder thematisiert worden ist: Der ursprüngliche Regierungsentwurf sah einen wirt- schaftlichen Vorteil für die Länder vor, der sich auf etwa 250 Millionen Euro beläuft. Fast 180 Millionen Euro wirtschaftlicher Vorteil hätten aus der Anpassung der Gerichtsgebühren resultiert. Weitere 70 Millionen Euro wünschten sich die Länder im Bereich der Prozess- und Beratungskostenhilfe. Der vorliegende Entwurf zur Kostenrechtsmodernisierung sieht nun auf der Einnah- meseite der Länder, nämlich bei den Gerichtsgebühren, schon einen wirtschaftlichen Vorteil von fast 300 Millio- nen Euro vor, nämlich 297 Millionen Euro. Darüber hinaus ergibt sich auch im Bereich der Prozess- und Be- ratungskosten eine maßvolle Einsparung von etwas über 15 Millionen Euro. In der Summe bewegen wir uns hier also bei einem wirtschaftlichen Vorteil von deutlich über 300 Millionen Euro für die Länder. Vor diesem Hinter- grund sind die immer wieder geäußerten Bedenken, das Gesetzeswerk gehe zulasten der Länder, an dieser Stelle nicht in vollem Umfang nachvollziehbar. Aber hier freuen wir uns auf einen konstruktiv kritischen Dialog mit dem Bundesrat. Am Ende, da bin ich mir sicher, wird dieses Gesetz auch die Länderkammer passieren. Denn es gibt nur Gewinner: bei den Justizberufen und den Ländern. Gleichzeitig haben wir auch die Perspektive der Bür- ger und Betriebe in diesem Land im Auge behalten. Denn sie müssen letztendlich die Gerichts- und andere Gebühren bezahlen. Daher haben wir als äußerste Grenze der Erhöhung in allen Bereichen einen Infla- tionsausgleich seit der letzten großen Gebührenreform gezogen. Dieser wird auch nicht im vollen Umfang aus- geschöpft – bei keiner betroffenen Gruppe. Daher gilt auch für die Bürger, dass es sich um eine maßvolle An- passung handelt, die letztendlich aber überfällig war, um den Zugang zum Recht für jedermann sicherzustellen. Denn die letzte umfassende Anpassung stammt immer- hin aus dem Jahre 1994. Daher werbe ich herzlich um Ihre Zustimmung. Jens Petermann (DIE LINKE): Den Ländern geht es ums Geld. Sie wollten Kosten in der Justiz einsparen, die Hürden für die Prozesskosten- und Beratungshilfe er- höhen und diese Leistungen kürzen. Außerdem forderten sie die Erhöhung der Gerichtsgebühren. Den Ländern geht es dabei um die eigene Finanzkasse und den Kos- tendeckungsgrad der Justiz. Wie, wo und bei wem da eingespart wird, ist zweitrangig. Am einfachsten geht das bei den Unterstützungsleistungen. Nach den Gesetz- entwürfen des Bundesrates sollen die Kosten für Pro- zesskosten- und Beratungshilfe eingedämmt werden. Die Bundesregierung hat das aufgegriffen und zunächst weitgehend die Einschnitte für Anspruchsteller mit ge- ringem Einkommen übernommen. Das sind die Men- schen, denen Sie eine angeblich weitverbreitete miss- bräuchliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe unterstellen. Diesem in Ihren Augen „Sozialschmarotzertum“ sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Die Verwunderung bei den Landesfinanzminis- tern wird sich indes in Grenzen halten, wenn wir als Linke im Bundestag und der Brandenburger Finanz- minister für soziale Gerechtigkeit einstehen und ein sol- ches Vorhaben nicht unterstützen, stattdessen aber das Vorhaben massiv kritisieren. Nach intensiver Beratung der Gesetzentwürfe, unse- rer begründeten Kritik und den Beanstandungen durch die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung hat das Bundesministerium der Justiz mit den Ländern einen Kompromiss ausgedealt. Die Länder bekommen statt 11 Prozent nun 18 Prozent mehr Gerichtskosten, dafür verzichten sie auf den Großteil der Einschnitte bei der Prozesskostenhilfe und der Beratungshilfe. Damit sind die Landesfinanzminister offensichtlich zufrieden und ruhiggestellt. Die kleinen Leute hingegen nicht. Deshalb fordere ich statt der nun geringeren Einschnitte für we- nig begüterte Mitmenschen eine Ausweitung der Leis- tungen zur Unterstützung der Rechtsverfolgung sowie eine einfachere Antragstellung. Dass unsere Kritik angekommen ist, zeigt sich an mehreren Beispielen: So wurde von der Erhöhung der Ratenzahlungshöchstdauer auf 72 Monate abgesehen, und es bleibt nun bei der bisherigen Regelung, dass man vier Jahre lang die Kosten für einen verlorenen Prozess in Raten zurückzahlen muss. Daneben bleiben die Frei- beträge für Erwerbstätige und für Ehegatten unverän- dert. Eine Abfrage bei Arbeitgebern, Versicherern etc. zur Bedürftigkeit der Antragstellerinnen und Antragstel- ler muss auch weiterhin unterbleiben, und die Verneh- mung von Zeugen und Sachverständigen zur Klärung der Bedürftigkeit ist nicht mehr vorgesehen. Die Bera- tungshilfe kann man auch in Zukunft über die Anwälte beantragen. Am Ende haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, eingesehen, dass die angeb- lich ausufernden Kosten und eine überhandnehmende missbräuchliche Inanspruchnahme mit der Realität nicht viel zu tun haben. Im internationalen Vergleich zahlt die Bundesrepublik für die gerichtliche und außergerichtli- che Unterstützung der Rechtsuchenden sehr wenig – und das bei einer der höchsten Kostendeckungsquoten in der Justiz. Darüber sollten Sie sich im Klaren sein, und zwar bevor Sie das nächste Mal beim Zugang zum Recht spa- 30482 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) ren und mit dem Rechtsstaat Geld verdienen wollen. Das haben sich die Väter des Grundgesetzes bei der Formu- lierung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 und 3 näm- lich anders vorgestellt und mit dem Gleichheitssatz, dem Sozialstaats- und Rechtstaatsprinzip gleichen Zugang zum Recht ohne Ansehen der Person postuliert. Abgesehen von den Verfahren vor den Familien- und Sozialgerichten sind die Zahlen für Prozesskosten- und Beratungshilfe sogar rückläufig, sodass insgesamt so- wieso schon weniger Mittel als früher dafür aufgewendet werden müssen. Und woraus die steigenden Zahlen bei den Sozialgerichten resultieren, habe ich Ihnen in mei- nem Redebeitrag zur ersten Lesung und davor auch schon mehrfach gesagt. Da Sie das offensichtlich igno- rieren, sage ich es Ihnen heute noch einmal: Die hohen Verfahrenszahlen der Sozialgerichte und die damit zwangsläufig verbundenen vielen Anträge auf Prozess- kostenhilfe liegen an der grottenschlechten Hartz-IV- Gesetzgebung und der miserablen Arbeitsweise der Job- center – und eben gerade nicht am Missbrauch der Leis- tungen. Wenn die Aufwendungen für Prozesskostenhilfe vor den Sozialgerichten reduziert werden sollen, gibt es nur einen Weg: die Hartz-IV-Gesetze abschaffen und durch eine menschenwürdige Grundsicherung, die eine wirkliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermög- licht, ersetzen. Und genau dafür steht die Linke. Ein guter Beitrag wäre auch die Abschaffung der Gebühren- freiheit für die Jobcenter im sozialgerichtlichen Verfah- ren. Dann würde vor dem Hintergrund des Prozessrisi- kos und der damit verbundenen Kosten mehr in die Qualität der Arbeit und in die Rechtmäßigkeit der Be- scheide investiert als bisher, und die Menschen wären nicht so häufig auf den Rechtsweg zur Durchsetzung ihrer Ansprüche angewiesen. Nun stellt sich die Frage, welche Verschlechterungen die Gesetzesänderungen für die Bürgerinnen und Bürger mit sich bringen: Die zu einengend formulierte und diskriminierende Definition der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung bleibt bestehen; die Anrechnung des in einem Gerichtsprozess Erlangten bleibt im Entwurf erhalten; die Streichung des § 11 a Abs. 1 und 2 Arbeits- gerichtsgesetz steht ebenso noch im Entwurf, sodass eine automatische Beiordnung eines Rechtsanwaltes im arbeitsgerichtlichen Verfahren, wenn die Gegenseite an- waltlich vertreten ist, nicht mehr erfolgt. Damit hat sich Waffengleichheit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitge- ber im Prozess erledigt, und das zieht einen Nachteil für den rechtsuchenden Arbeitnehmer nach sich. Darüber hinaus wird bei jedem Antrag auf Prozesskostenhilfe künftig der Gegner informiert und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das ist diskriminierend und verschafft dem Gegner im Prozess einen Vorteil. Jeder Antragsteller wird erst einmal unter den Pauschal- verdacht gestellt, sich ihm nicht zustehende Beihilfen er- schleichen zu wollen. Das tragen wir nicht mit. Zusammenfassend stelle ich fest, dass die verbliebe- nen Änderungen inhaltlich nichts bringen, aber gleich- wohl einen „Wink mit dem Zaunpfahl“ darstellen, um Antragsteller abzuschrecken und die Beantragung von Hilfen zur Rechtsverfolgung zu reduzieren. Das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz än- dert auf 589 Seiten in 43 Artikeln nahezu das gesamte Kostenrecht der Rechtspflege. Auch hier gab es als Er- gebnis der Gespräche zwischen Bundesjustizministe- rium und den Ländern einen Änderungsantrag der Re- gierungskoalition. Den Ländern war daran gelegen, die Kostendeckungsquote zu erhöhen, egal wie. Nun hat man sich auf die nochmalige Erhöhung der Gerichts- gebühren verständigt. Damit müssen sich alle Recht- suchenden ab 1. Januar 2014 auf eine Erhöhung der Ge- richtskosten um 18 Prozent einstellen. Hier langt der Staat wieder einmal kräftig beim Bürger zu, obwohl die Kostendeckung der deutschen Justiz im internationalen Vergleich schon eine der höchsten ist. Bürgerfreundlich ist das jedenfalls nicht. Der Änderungsantrag bringt Verbesserungen. So wurde die teilweise Reduzierung des Honorars für Dol- metscher und Übersetzer wieder zurückgenommen und nach erheblichen Interventionen erhöht. Die Rechtsan- waltsgebührentabelle wurde ebenfalls noch einmal durch Anhebung jeder Gebühr um 5 Euro verändert. Auch die lauten Rufe der Gerichtsvollzieher nach einer Erhöhung des Wegegeldes um 30 Prozent wurden erhört. Diese Er- höhungen sind für die einzelnen Berufsgruppen im Sinne eines Inflationsausgleichs durchaus sinnvoll, werden aber die Prozesse insgesamt verteuern und höhere Aus- gaben für Rechtsuche und Rechtsverteidigung nach sich ziehen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Sachverständigenanhörung zum Kostenrecht, über das wir heute debattieren, hat Dr. Matthias Kilian folgen- des festgestellt: „Die durchschnittlichen Aufwendungen der europäischen Staaten für die Justiz machen nach Er- hebungen des Europarats 1,9 Prozent des Staatshaushalts aus (Wert aus 2010). Die Aufwendungen des deutschen Fiskus für die deutsche Justiz liegen 16 Prozent unter diesem Mittelwert und betragen 1,6 Prozent. Im Ranking der 39 untersuchten europäischen Staaten ist der prozen- tuale Anteil der Kosten für das gesamte Justizsystem nur in 13 Staaten niedriger, aber in 25 Staaten höher als in Deutschland.“ Zwei große Themenblöcke beschäftigen uns heute: Es geht um die Neuregelung von Gerichts-, Anwalts- und Notarsgebühren und um die Neuregelung von finanziel- len staatlichen Leistungen im Justizbereich, die Prozess- kosten- und Beratungshilfe. Ich möchte zunächst auf das Kostenrechtsmodernisie- rungsgesetz eingehen. Dieses Gesetz verbessert die Kostendeckung in der Justiz, indem es Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren erhöht. Natürlich verteuert diese Neuregelung Gerichtsverfahren. Sie ermöglicht aber den Bundesländern den finanziellen Spielraum, den sie benötigen, um den hohen Justizstandard, den wir in Deutschland haben, aufrecht zu erhalten. Meine Damen und Herren, diesen Gesetzentwurf halte ich deshalb für einen gelungenen Kompromiss zwischen Bund und Län- dern. Gleichzeitig passt das Gesetz die Vergütungen der Rechtsanwälte, Notare, Sachverständigen, Dolmetscher Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30483 (A) (C) (D)(B) und Übersetzer an die aktuelle wirtschaftliche Entwick- lung an. Und dafür war es an der Zeit, meine Damen und Herren. Wenn sich die wirtschaftliche Lage im Land ändert, ist es notwendig, dass wir die Gesetze der wirtschaftli- chen Realität anpassen. Insbesondere freue ich mich, dass es im Rahmen der Verhandlungen über den Gesetz- entwurf noch zu entscheidenden Verbesserungen am Ge- setz gekommen ist, zum Beispiel für die Übersetzerin- nen und Übersetzer. Hier haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zu Recht die Inten- tion des Änderungsantrags von Bündnis 90/Die Grünen aufgenommen. Nicht aufgegriffen haben Sie allerdings unsere Forderung nach einer Angleichung der Anwalts- gebühren in Asylverfahren an die Gebühren in auslän- derrechtlichen Verfahren. Das ist schade, aber Sie haben jetzt noch die Chance, dies nachzuholen, indem Sie un- serem Änderungsantrag zustimmen. Und das wäre auch sachgerecht. Sowohl im Ausländer- als auch im Asyl- recht geht es um Aufenthaltsrechte in Deutschland. Es gibt keinen sachgerechten Grund dafür, Anwälte in Asylverfahren geringer zu vergüten als in Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz. Hier müssen wir Gleichheit und eine faire und rechtssystematisch sinnvolle Anpas- sung herstellen. Jetzt komme ich zu den weiteren Änderungen im Pro- zesskostenhilfe- und Beratungshilferecht. Ich fange mit der guten Nachricht an: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, haben sich zu enormen Verbesserungen an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchgerungen. Diese Verbesserungen bestehen größtenteils daraus, dass Sie die Hälfte der vor- gesehenen Änderungen ersatzlos aus dem Gesetzentwurf streichen. Die drastischsten Einschränkungen in der Pro- zesskosten- und Beratungshilfe, die die Bundesregie- rung, aber auch der Bundesrat geplant hatten, entfallen auf diese Weise. Die Einkommensfreibeträge werden nicht gesenkt. Prozesskostenhilfe wird nicht teurer. Wer Beratungshilfe benötigt, kann direkt einen Anwalt kon- taktieren und muss nicht erst beim Gericht einen Antrag auf Beratungshilfe stellen. Dies sind nicht nur gute Nachrichten für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die auf Prozesskostenhilfe an- gewiesen sind, sondern auch für alle, die sich für den Er- halt des sozialen Rechtsstaats einsetzen. In einem Rechtsstaat regiert nicht Geld die Welt. Der Rechtsstaat ist für alle da, unabhängig von ihrem Einkommen oder Vermögen. Auf die gute Nachricht folgt nun leider die schlechte Nachricht: Vom ursprünglichen Gesetzentwurf ist zwar nicht viel übrig geblieben, aber einige Verschärfungen will diese Regierung dennoch einführen. Das lehnen wir Grünen aus folgenden Gründen ab: Erstens: Jemand, der Prozesskostenhilfe empfängt, muss diese grundsätzlich – gegebenenfalls in Raten – zurückzahlen. Das ist selbstverständlich auch in Ord- nung. Die Ratenzahlung beginnt bisher allerdings ab ei- nem verfügbaren Einkommen in Höhe von 15 Euro. Diese Schwelle von 15 Euro soll nun auf 10 Euro abge- senkt werden. Der Aufwand des Gerichts, eine solche Summe einzutreiben, steht in keinem Verhältnis zu den geringen Mehreinnahmen der Landeskassen. Hier ist der Kosten-Nutzen-Effekt nicht gewahrt. Auch greifen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zu tief in die sozialen Teilhabemöglichkeiten vieler Menschen ein, wenn Sie die Schwelle der ratenfreien Prozesskostenhilfe um ein Drittel senken. Zweitens: Das Gericht soll eine einmal bewilligte Prozesskostenhilfe für einen Beweisantritt wieder ent- ziehen können, wenn der Beweis keine genügende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies bedeutet einen Verstoß gegen das zivilprozessrechtliche Verbot der vorwegge- nommenen Beweiswürdigung. Drittens: Das Gericht soll die Prozesskostenhilfe schon dann vollständig entziehen, wenn der Empfänger Änderungen seiner Adresse oder seines Einkommens aus grober Nachlässigkeit nicht richtig oder nicht unver- züglich dem Gericht mitteilt. Bisher kann das Gericht derartige Entscheidungen treffen. Dieser Unterschied zwischen „soll“ und „kann“ wirkt auf den ersten Blick klein, ist aber in der Praxis groß. Er wird dazu führen, dass das Gericht zukünftig die spezifische Situation des Prozesskostenhilfeempfängers weniger berücksichtigen wird, als das bisher der Fall ist. Meine Damen und Herren, Deutschland gibt im inter- nationalen Vergleich sehr wenig Geld für die Justiz im Allgemeinen und die Prozesskostenhilfe im Besonderen aus. Wenn wir wollen, dass unser Rechtssystem weiter- hin auch international als vorbildlich betrachtet wird, dürfen wir die Prozesskosten- und Beratungshilfe nicht weiter einschränken. Wir müssen den Zugang zum Recht für alle erhalten, unabhängig von ihrer finanziellen Si- tuation. Das ist gelebter Sozialstaat in der Justiz. Wolfgang Nešković (fraktionslos): Wir entschei- den heute unter anderem über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Prozess- und Bera- tungshilferechts. Der Gesetzentwurf ist in seiner ur- sprünglichen Fassung ein Dokument bitterbösen Geizes. Mit dem Gesetzentwurf wollte die Bundesregierung die Länderhaushalte um einen jährlichen Betrag von 70 Millionen Euro entlasten. Verteilt auf die 16 Landes- haushalte ergibt das Einsparungen von durchschnittlich 4,375 Millionen Euro je Land. Für diese vergleichsweise lächerliche Summe war die Bundesregierung bereit, ein Kernprinzip des sozialen Rechtsstaats zu opfern: den gleichen Zugang aller Menschen zum Recht. Die Bundesregierung wollte die Ausgaben für Pro- zesskostenhilfe und Beratungshilfe senken, obwohl die Bundesrepublik im internationalen Vergleich schon jetzt zu den geizigen Staaten gehört. In Großbritannien zum Beispiel sind die Ausgaben etwa zehnmal so hoch, in den Niederlanden, Schweden und Norwegen rund fünf- mal so hoch wie in Deutschland. In obszönem Gegensatz zu dem angestrebten Einspar- volumen steht die maßlose Verschwendung in anderen Bereichen: Das Drohnenprojekt „Euro Hawk“ hat bislang rund 562 Millionen Euro an Haushaltsmitteln verschlungen. 30484 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Am Dienstag dieser Woche ist bekannt geworden, dass die Bundesrepublik aus diesem Rüstungsprojekt ausstei- gen wird. Das bisher ausgegebene Geld ist vollständig verloren. Die Verzögerungen bei der Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens BER kosten jeden Monat 35 bis 40 Millionen Euro. Wann der Flughafen eröffnet wird, weiß niemand. In absehbarer Zeit wird jedenfalls kein Flieger vom BER starten. Die milliardenschweren Euro-Rettungsschirme ha- ben lediglich einige private Banken retten können. Zur Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise können sie kei- nen nennenswerten Beitrag leisten. Hochverschuldete Länder wie Griechenland befinden sich tiefer in der Krise als zuvor. Bedenkenlos und ohne mit der Wimper zu zucken, wird Geld für ein nicht funktionierendes militärisches Fluggerät, einen nicht funktionierenden Flughafen und eine nicht funktionierende Rettung des Euros ver- schwendet. Ausgerechnet bei denjenigen, die ohnehin am wenigsten haben, soll nunmehr der Rotstift angesetzt werden. Für viele Menschen ermöglichen Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe überhaupt erst den Zugang zu an- waltlicher Beratung und zum Gericht. Prozesskosten- hilfe und Beratungshilfe sollen Menschen gewährt wer- den, die sich bei Rechtsstreitigkeiten sonst keinen Anwalt leisten können. Sie dienen damit der Vermei- dung von Klassenjustiz. Sie sollen sicherstellen, dass derjenige, der recht hat, recht bekommt, auch wenn er arm ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte in seiner ursprünglichen Fassung diesen Anspruch unter- graben. Er enthielt eine Ansammlung sozialstaatswidri- ger Scheußlichkeiten. Es seien hier nur einige genannt: Der Entwurf wollte die Freibeträge senken und damit den Kreis der Anspruchsberechtigten verkleinern, die Ratenzahlungsverpflichtung sollte deutlich verlängert, die Beiordnung von Rechtsanwälten in familien- und ar- beitsgerichtlichen Verfahren beschränkt und Kontrollan- fragen bei Arbeitgebern und Banken ermöglicht werden. Der Gesetzentwurf hätte die Bundesrepublik kalther- ziger und unchristlicher werden lassen. Dies war offensichtlich sogar dem Bundestag – zu- mindest in Vorwahlkampfzeiten – zu viel an sozialer Kälte. Der Entwurf wird in der ursprünglichen Fassung nicht verabschiedet werden. Hätte dieser Entwurf Bun- destag und Bundesrat passiert, dann hätte das vor allem die SPD als die Partei der behaupteten sozialen Restge- rechtigkeit endgültig disqualifiziert. Hätte die SPD ge- gen diesen Entwurf nicht ausreichend opponiert, dann hätte sie sich einen Wahlkampf unter dem Motto: „Für ein neues soziales Gleichgewicht in unserem Land“ gleich an den Hut stecken können. Für diese Restehrlich- keit sei der SPD ausdrücklich gedankt. Der Entwurf der Regierung wird durch Änderungsan- träge des Bundestages erheblich abgeschwächt werden. Die Änderungen des Gesetzentwurfes waren gesetzes- technisch nicht schwer zu bewerkstelligen. Die Ände- rungsanträge beschränken sich im Wesentlichen darauf, Streichungen im Entwurf der Bundesregierung vorzu- nehmen und damit die geltende Rechtslage beizubehal- ten: Die Freibeträge werden nicht mehr gekürzt, die Ratenzahlungsverpflichtung wieder auf 48 Monaten be- grenzt und die Auskunftseinholung bei Dritten aufgeho- ben. Die Einschränkungen bei der Anwaltsbeiordnung in Scheidungssachen entfällt. Dies ist ausdrücklich zu be- grüßen. Bei dieser Gelegenheit wird mir bewusst, dass ich durch diesen Gesetzentwurf genötigt werde, sozialstaat- liche Selbstverständlichkeiten zu begrüßen. Es wäre aber darüber hinaus zwingend erforderlich gewesen, auch die übrigen Regelungen des Entwurfs zu streichen – noch besser: das ganze Gesetzeswerk ruhigen Gewissens dem Papierkorb anzuvertrauen. Die verbliebenen Regelungen haben zwar nicht mehr die sozialstaatswidrige Qualität der ursprünglich beabsichtigten Veränderungen. Auch sie sind jedoch im Einzelfall im Hinblick auf das Prinzip des sozialen Rechtsstaats nur schwer erträglich; besten- falls sind sie überflüssig. Die in § 114 Abs. 2 ZPO vorgesehene Legaldefinition des Mutwilligkeitskriteriums bringt vor dem Hinter- grund der bestehenden und gefestigten (Verfassungs-) Rechtsprechung für die Rechtsanwender keinen Nutzen. Die Formulierung bringt zudem nicht alle Aspekte der Rechtsprechung ausreichend klar zum Ausdruck. Sie führt insoweit zu überflüssigen und schädlichen Unwäg- barkeiten, die auch durch den in der Beschlussempfeh- lung des Rechtsausschuss „zum besseren Verständnis“ der Norm gegebenen Hinweis nicht vollständig beseitigt werden können. Die Lockerung der zwingenden Beiordnung eines Rechtsanwalts in arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde leider nicht aus dem Entwurf der Bundesregierung her- ausgestrichen. Dabei werden jedoch die strukturelle Ungleichheit und die besonderen Fragen und Probleme in Arbeitsgerichtsprozessen verkannt. In arbeitsgerichtli- chen Verfahren lässt sich nur schwerlich mit dem Krite- rium der Erfolgsaussicht und Mutwilligkeitsdefinitionen sinnvoll arbeiten. Die Regelung zur Anzeigepflicht bei einer wesentli- chen Verbesserung der Vermögensverhältnisse in § 120 a Abs. 2 ZPO wird zu einem erheblichen zusätzlichen Ar- beitsaufwand bei den Gerichten führen, der in der Sache nicht gerechtfertigt ist. Eine wesentliche Verbesserung soll bei laufenden Einkünften schon dann vorliegen, wenn das Einkommen pro Monat um mehr als 100 Euro brutto steigt. Da sich im Laufe der Zeit aber regelmäßig nicht nur das Einkommen ändert, sondern auch die Heiz- kosten oder andere zu berücksichtigenden Ausgaben Än- derungen unterliegen, muss bei jeder verhältnismäßig kleinen Änderung der Einkommensverhältnisse bei den gesamten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnis- sen neu gerechnet werden, ohne dass jedoch eine Ände- rung der Bewilligungsentscheidung zu erwarten ist. Statt solcher justizpolitisch verfehlten Regelungen im Prozesskosten- und Beratungshilferecht wären ein grund- sätzliches Umdenken und eine Abkehr vom Sparkurs in der Justiz dringend geboten. Unabhängig von einer Kos- ten-Nutzen-Rechnung muss eine personell und materiell Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30485 (A) (C) (D)(B) gut ausgestattete Justiz im Rechtsstaat für jeden – ob reich oder arm – selbstverständlich sein. Nicht kostendeckend muss die Justiz im Rechtsstaat arbeiten, sondern gerecht. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Rechte intersexueller Menschen stärken – Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren (Tagesordnungspunkt 19 a bis c) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Erneut haben wir heute die Gelegenheit, zum Thema Intersexualität zu sprechen. Dass das Thema im parlamentarischen Prozess an Bedeutung gewonnen hat, ist für uns, die wir uns nun seit einiger Zeit für das Thema starkmachen, eine erfreu- liche Entwicklung. Auf fachpolitischer Ebene besteht weitestgehend Ei- nigkeit darüber, dass insbesondere die Frage der ge- schlechtszuweisenden und geschlechtsanpassenden Ope- rationen bei Minderjährigen neu geregelt werden muss. Eine ganze Reihe von Berichten, aber auch die in den Anträgen aufgeführten Zahlen machen deutlich, dass vielen intersexuellen Menschen durch diese Operationen schlimmes Leid angetan worden ist und sie darunter noch heute leiden. Auch heute noch können Eltern stellvertretend für ihre Kinder in kosmetische Operationen einwilligen, durch die die Kinder sozusagen auf ein Geschlecht fest- gelegt werden sollen. Dies wiederspricht dem Prinzip der Selbstbestimmung aus meiner Sicht in eklatanter Weise und kann erhebliche negative Auswirkungen auf das weitere Leben der betroffenen Menschen haben. Wir sind uns interfraktionell darüber einig, dass diese Praxis beendet werden muss. Auch der Ethikrat hat eine ent- sprechende Forderung erhoben. Wir müssen sicherstel- len, dass ein medizinischer Eingriff zukünftig durch eine eindeutige Indikation belegt ist. Ganz besonders wichtig ist es, das Selbstbestimmungsrecht der jungen Menschen zu wahren. Dies müssen wir sicherstellen. Im Zentrum der Erwägungen müssen immer die Be- dürfnisse der betroffenen Menschen stehen. Es darf kei- nen Raum für medizinischen Machbarkeitswahn oder gefühlte Notwendigkeiten von Personen geben, die nicht in diesem Körper leben. Um diese Selbstbestimmung sicherzustellen, muss es natürlich im Umkehrschluss die Möglichkeit geben, bewusst eine geschlechtsanpas- sende Maßnahme vorzunehmen, wenn der Betroffene dies wünscht und eine Einwilligungsfähigkeit bereits be- steht. In den zurückliegenden Monaten ist in die gesamte Thematik Entwicklung gekommen. Es stimmt mich sehr zuversichtlich, dass es weitere konkrete Maßnahmen gibt. Es hat mich in diesem Zusammenhang sehr gefreut, dass es uns als christlich-liberaler Koalition gelungen ist, einen ersten Schritt im Sinne der intersexuellen Men- schen zu gehen und das Personenstandsrecht zu liberali- sieren, damit intersexuelle Menschen zukünftig nicht mehr gezwungen sind, sich auf eines der beiden Ge- schlechter festzulegen. Jetzt gilt es, weitere Schritte zu gehen, um den Betroffenen zu helfen. Viel des erlittenen Leids ist leider nicht mehr rück- gängig zu machen. Darum ist es auch unsere Aufgabe, uns im Namen des Deutschen Bundestages für das erlit- tene Leid zu entschuldigen und dafür Sorge zu tragen, dass Tatbestände aus der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Ein weiteres berechtigtes Anliegen ist die Einrichtung von unabhängigen Beratungsstellen, an die sich interse- xuelle Menschen und ihre Angehörigen wenden können. Derzeit ist es sehr schwierig für Betroffene, unabhängige und kompetente Hilfe zu erhalten. Zum Glück gibt es eine kleine Zahl sehr engagierter Selbsthilfeorganisatio- nen, die gleichzeitig viel Wissen über Intersexualität in ihren Reihen vereinen. Wir haben einen erfreulichen Anfang gemacht bei der Verbesserung der Situation intersexueller Menschen. Diesen Weg müssen und werden wir weitergehen, auch wenn manch eine Forderung schneller erhoben ist, als sie dann auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Dies dürfen wir nicht vergessen, wenn wir uns gegenseitig da- rin überbieten, Forderungskataloge aufzustellen. Ein nächster Schritt auf dem Weg in Richtung einer besseren Lebenssituation der intersexuellen Menschen ist ein umfassender Kongress, der nicht zuletzt mit Un- terstützung der Bundesregierung zustande kommen konnte. Am 22. Mai kommen Fachleute, Politiker und insbesondere auch intersexuelle Menschen im Rahmen dieses Kongresses zusammen, um konstruktiv über das Thema Intersexualität zu diskutieren und weitere Schritte vorzubereiten. Die Tatsache, dass auch die Ministerin anwesend sein wird, zeigt deutlich, dass das Thema Intersexualität bei der Bundesregierung eine hohe Priorität besitzt. Insofern bin ich sehr zuversicht- lich, dass wir die Situation für die intersexuellen Men- schen weiter Schritt für Schritt verbessern können. Christel Humme (SPD): Heute ist ein denkwürdiger Tag! Meines Wissens nach ist der Deutsche Bundestag weltweit das erste Parlament, in dem heute über ein ex- plizites Verbot von medizinisch nicht notwendigen „ge- schlechtsändernden“ bzw. „geschlechtsangleichenden“ Operationen an intersexuellen Kindern und Jugendlichen debattiert wird, die ohne den ausdrücklichen Wunsch und die ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen er- folgen. Ein solches Verbot ist längst überfällig, denn die bis- herige Praxis verstößt elementar gegen das Selbstbestim- mungsrecht aller Menschen. Daher freue ich mich, dass sowohl in unserem Antrag als auch in den Anträgen von Grünen und Linken diese zentrale Forderung an oberster Stelle steht. Ich hätte mir gewünscht, dass das gemeinsame Anlie- gen von Regierung und Opposition, die Lebenssituation 30486 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) intersexueller Menschen nachhaltig zu verbessern, auch in einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen gemündet wäre. Doch offenbar sehen Union und FDP nach ihrer Gesetzesänderung im Personenstandsrecht vom Januar diesen Jahres keinen weiteren Handlungsbedarf mehr. Die von der Regierung durchgeführte Änderung ist zweifellos eine Verbesserung. So heißt es nun: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personen- standsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenre- gister einzutragen.“ Durch diese Neuregelung wird den Eltern intersexueller Babies ein unnötiger und sogar ge- fährlicher Druck genommen, stellvertretend für ihr Kind eine (vor)schnelle Entscheidung über das Geschlecht ih- res Kindes treffen zu müssen. Die Folgewirkungen dieser Gesetzesänderung auf an- dere Rechtsgebiete wurden offensichtlich jedoch über- haupt nicht weiter beleuchtet. Im Interesse der Rechtssi- cherheit intersexueller Menschen muss die schwarz- gelbe Bundesregierung hier schnell Klarheit schaffen. In der kommenden Woche veranstaltet die Konrad- Adenauer-Stiftung in Berlin eine Fachkonferenz zum Thema Intersexualität. Das ist an sich sehr begrüßens- wert, vor allem weil der von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer wieder geforderte interdis- ziplinäre Ansatz ebenso wie eine Beteiligung der Interes- sensverbände intersexueller Menschen realisiert wurde. Dennoch frage ich mich: Brauchen wir nach dem fun- dierten Bericht des Deutschen Ethikrates vom Februar 2012 und nach der Sachverständigenanhörung des Fami- lienausschusses vom Juni 2012 tatsächlich noch eine weitere Veranstaltung, um herauszufinden, wie wir inter- sexuellen Menschen konkret helfen können? Mit Blick auf die umfassenden Anträge von SPD, Grünen und Lin- ken, über die wir heute debattieren, habe ich da so meine Zweifel. Gefragt ist nun konkretes politisches Handeln und keine Konferenz ohne konkrete Konsequenzen. Heute ist eine besondere Gelegenheit für uns als ge- wählte Volksvertreter, gemeinsam das Leid und das Un- recht, das intersexuelle Menschen in der Vergangenheit erfahren haben, anzuerkennen. Unser tiefes Bedauern sollte uns alle darin bestärken, alle Möglichkeiten, die wir als Gesetzgeber haben, zu nutzen, um sicherzustel- len, dass diese Menschenrechtsverletzungen endgültig der Vergangenheit angehören. Intersexualität ist keine Krankheit! Dementsprechend müssen auch der interdisziplinäre Ansatz im Umgang mit Intersexualität konsequent gestärkt und medizinische Leitlinien aktualisiert werden. Wir brauchen mehr und bessere Information und Aufklärung – sowohl für die Betroffenen und ihre Familien als auch für Beschäftigte in den Bereichen Medizin, Justiz und (Vor)Schule. Durch das in unserem Antrag geschilderte Maßnah- menpaket wollen wir im Zusammenspiel mit den Län- dern und Kommunen dafür sorgen, dass die Rechte intersexueller Menschen endlich umfassend gestärkt wer- den. Mechthild Rawert (SPD): Heute geht es um ein sehr wichtiges Thema: Es geht darum, Diskriminierungen und Stigmatisierungen von intersexuell, von mehrdeutig geschlechtlich geborenen Menschen endlich zu stoppen. Es geht darum, für alle Bürgerinnen und Bürger das Recht auf Selbstbestimmung und auf die Anerkennung der eigenen sexuellen Identität zu gewährleisten. Ich bin dankbar, dass sich an diesem gesellschaftlichen Aufklä- rungsprozess alle drei Oppositionsparteien mit eigenen Anträgen beteiligen – auch wenn ich es bedauere, dass es nicht möglich war, sich im Vorfeld auf einen gemein- samen interfraktionellen Antrag zu verständigen. Und an die CDU/CSU und die FDP gewandt: „Mitgefühl“ reicht nicht aus, um einen adäquaten Rechtsrahmen zum Schutz und zur Selbstbestimmung zu schaffen. Wir sind hier im Deutschen Bundestag der Gesetzgeber. Die Men- schen erwarten von uns Taten, erwarten konkrete Rege- lungen. Dass Sie sich dieser Aufgabe bei diesem Thema entziehen, enttäuscht mich und andere. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass es diese Debatte hier im Deutschen Bundestag überhaupt gibt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten tre- ten mit unserem Antrag „Rechte intersexueller Men- schen stärken“ dafür ein, dass sowohl ein geeigneter Rechtsrahmen als auch die notwendige psychosoziale Infrastruktur geschaffen wird, mit der die bisherigen physischen und psychischen Eingriffe, Diskriminierun- gen und Stigmatisierungen gestoppt und die gesell- schaftliche Akzeptanz intersexueller Menschen und ihrer Rechte gefördert werden. Der Deutsche Ethikrat hat mit seiner am 23. Februar 2012 im Auftrag der Bundesregierung veröffentlichten Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen in Deutschland die Debatte zur Verbesserung der Lebens- situation intersexueller Menschen sehr forciert. Der Deutsche Ethikrat ist der Auffassung, dass intersexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizinischen Fehlentwicklun- gen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden. Ich empfehle Ihnen, sowohl diese Stellungnahme als auch die Diskussionen des Onlinedialogs nachzulesen. Gleiches gilt für die Stellungnahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 25. Juni 2012, in der alle Sach- verständigen festgestellt haben: Intersexualität ist keine Krankheit. In der Vergangenheit hat die Haltung „Intersexualität ist eine Krankheit“ dazu geführt, dass zumeist schon so- fort nach der Geburt radikale medizinische geschlechts- zuweisende Operationen erfolgten. Ziel war es, die Norm der Zweigeschlechtlichkeit von „männlich“ und „weib- lich“ im wahrsten Sinne des Wortes „herzustellen“. Da- durch haben viele intersexuelle, mehrgeschlechtlich ge- borene Menschen großes physisches und psychisches Leid erfahren und leiden darunter auch noch heute. Mit- tels dieser geschlechtszuweisenden Operationen und der damit verbundenen langandauernden Hormonbehandlun- gen wurde das Menschenrecht auf körperliche Unver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30487 (A) (C) (D)(B) sehrtheit und auf Selbstbestimmung bei intersexuell ge- borenen Menschen verletzt. Dies wurde auf meiner Fraktion-vor-Ort-Veranstaltung „Intersexuelle Menschen anerkennen – Selbstbestimmung im Identitätsgeschlecht“ am 4. September 2012 mit vielen Bürgerinnen und Bür- gern, mit Mitgliedern der LGBTI-Community und Be- troffenenvertreterinnen und -vertretern in meinem Wahl- kreis Tempelhof-Schöneberg auch sehr deutlich. Das Fazit war: Niemand hat das Recht, jemandem ein Geschlecht zuzuweisen. Eine inklusive Gesellschaft muss auch mehrdeutig geschlechtliche, intersexuell ge- borene Menschen mit einschließen. Und: „Mit der richti- gen politischen Einstellung ist alles möglich!“ So Pedro Muratián, der Beauftragte der argentinischen Regierung gegen Diskriminierung, Ausländerfeindlichkeit und Ras- sismus, INADI. Auch in anderen Ländern kämpfen in- tersexuelle Menschen seit langem um Respekt und um gesellschaftliche Anerkennung. In Argentinien wird uns vorgemacht, wie die freie Wahl der Geschlechtsidentität gewährleistet werden kann: Auf Grundlage eines Antidiskriminierungsplans wurde in Argentinien zunächst systematisch analysiert, wo ge- sellschaftliche Diskriminierungen stattfinden. Im An- schluss wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, um Diskriminierungen auf allen Ebenen zu bekämpfen. So dürfen gleichgeschlechtliche Ehepaare heiraten und Kinder adoptieren – ein Ziel, welches wir Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten für die Bundesrepublik noch nachdrücklich anstreben. Seit Mai 2012 gibt es in Argentinien das Gesetz „Das Recht des Menschen auf Geschlechtsidentität“. Dieses erhöht die öffentliche Wahrnehmung von intersexuellen Menschen als gleich- berechtigte Mitglieder der argentinischen Gesellschaft. Es gibt keine kosmetischen OPs im Säuglings- und Kin- desalter mehr. Kinder werden nicht mehr zwangsweise einem Geschlecht zugeordnet. Jede Person entscheidet zu einem späteren Zeitpunkt des Lebens selbst, welcher Eintrag im Pass vorgenommen werden soll. Möglich bleibt aber der Zugang zu Operationen und/oder Hor- monbehandlungen, die für die Versicherten kostenfrei sind. Minderjährige haben das Recht, ihr Geschlecht, ih- ren Namen frei zu wählen. Auch Personen aus dem Aus- land, die in Argentinien leben, können ihr Geschlecht oder ihren Namen ändern. In den vergangenen Monaten haben wir uns in der SPD-Bundestagsfraktion arbeitsgruppenübergreifend in- tensiv mit der Herausforderung der Gestaltung eines die Selbstbestimmung und das Recht auf körperliche Unver- sehrtheit gewährenden Rechtsrahmens sowie der Schaf- fung der notwendigen psychosozialen Infrastruktur für Intersexuelle beschäftigt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten for- dern die Bundesregierung mit unserem Antrag „Rechte intersexueller Menschen stärken“ unter anderem dazu auf: irreversible geschlechtszuweisende und geschlechtsan- passende Operationen an minderjährigen intersexuellen Säuglingen und Kindern vor deren Einwilligungsfähig- keit zu verbieten; sicherzustellen, dass dem ausdrückli- chen Wunsch intersexueller minderjähriger Jugendlicher nach geschlechtszuweisenden Operationen Rechnung getragen wird, unter der Voraussetzung der Einwilli- gungsfähigkeit; zügig für eine Präzisierung des vom Deutschen Bundestag am 31. Januar 2013 verabschiede- ten Personenstandsrechts-Änderungsgesetzes – Bundes- tagsdrucksache 17/10489 – zu sorgen; bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Fristen für die Aufbewah- rung der Krankenakten bei Operationen im Genitalbereich auf mindestens 40 Jahre ab Volljährigkeit verlängert wer- den und intersexuellen Menschen ein ungehinderter Zu- gang zu ihren Krankenakten gewährleistet wird; bei den Ländern außerdem darauf hinzuwirken, dass das Thema Intersexualität fester Bestandteil der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Lehre- rinnen und Lehrern und vor allem in allen Gesundheits- fachberufen wird; sicherzustellen, dass intersexuelle Menschen stets in ein qualifiziertes interdisziplinäres Kompetenzzentrum zur Diagnostik und Behandlung ver- mittelt werden; eine Forschungsstudie in Auftrag zu ge- ben, die das an intersexuellen Menschen begangene Un- recht dokumentiert und dem Bundestag bis zum 31. Dezember 2015 einen Bericht vorzulegen. Wir alle müssen lernen, dass nicht jedes Kind eindeu- tig als „weiblich“ oder „männlich“ geboren wird. Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit ist zu überwinden. Als Gesellschaft tragen wir Verantwortung dafür, dass Säug- lingen unnötige geschlechtszuordnende Operationen er- spart bleiben. Den Eltern muss von Anfang an mit be- gleitender Beratung Unterstützung angeboten werden. Ärzte und Ärztinnen brauchen bessere Informationen. Nur mit vielfältigen differenzierten Maßnahmen wird eine Enttabuisierung gelingen, die Benachteiligung und Diskriminierung intersexueller Menschen zu stoppen, Vielfalt zu akzeptieren, sie zu fördern und zu lieben. Ich freue mich auf die Diskussionen in den Ausschüs- sen und lade Sie alle dazu ein, diese intensiv zu beglei- ten. Sibylle Laurischk (FDP): Dass es Menschen gibt, die sich nicht eindeutig als „Mann“ oder „Frau“ positio- nieren wollen bzw. können, löst auch heute noch starke Irritationen in der Gesellschaft aus. Wir halten für „nor- mal“ oder „natürlich“, was wir erlebt haben, was unserer Gewohnheit, unserer Neigung und unseren Vorlieben entspricht. Die Gesellschaft, Traditionen, Religion und selbst die Wissenschaft ist oft sehr leichtfertig und vor- schnell dabei, bestimmte Entwicklungen zu ihrem Maß- stab zu machen und alles Abweichende für „unnatürlich“ oder „krankhaft“ zu erklären. Daher gab es in der Medizin die Bereitschaft, nicht eindeutige genitale, chromosomale oder gonadische (ge- netische) Geschlechtsmerkmale meist schon in frühester Kindheit chirurgisch vermeintlich „anzupassen“. Die Betroffenen können sich im Kindesalter nicht gegen die Eingriffe wehren und verstehen nur langsam, was ge- schehen ist. Sie fordern zu Recht, Intersexualität recht- lich und gesellschaftlich anzuerkennen. Dabei berufen sie sich auch auf das Diskriminierungsverbot der UN und das grundgesetzlich geschützte Recht auf körperli- che Unversehrtheit. 30488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Am 31. Januar dieses Jahres haben wir hier im Ple- num die Änderungen im Personenstandsrecht verab- schiedet. In § 22 Abs. 3 wird festgelegt, dass Kinder, de- ren Geschlecht nicht zweifelsfrei feststeht, ohne Angabe von weiblich oder männlich in das Personenstandsregis- ter eingetragen werden können. Das Offenlassen des Geschlechtseintrages bei einem Kind im Geburtenregis- ter, das weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden kann, ist ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte. Das ist ein großer Schritt für intersexuelle Menschen, die sich jahre- lang in eine gesellschaftliche Norm zwingen mussten. Diese Gesetzgebung erkennt nämlich an, dass es Men- schen in unserer Gesellschaft gibt, die nicht weiblich oder männlich sind. Damit ist die Koalition einer rechtli- chen Empfehlung des Deutschen Ethikrates gerecht ge- worden, der ein solches Vorgehen in ihrer Stellung- nahme zur Intersexualität unterstützt hat. Die Änderung im Personenstandsrecht ist eine bedeu- tende Maßnahme in der Anerkennung von intersexuellen Menschen. Alle rechtlichen Fragen, die aus dieser Ver- änderung folgen – zum Beispiel im Familienrecht oder Arbeitsrecht –, bleiben zu klären. Die Zeit ist reif, diese Fragen nachhaltig und ergebnisorientiert zu beraten. Da- für sollten die Zuständigkeiten der verschiedenen Res- sorts so schnell wie möglich geklärt werden. Intersexuelle Menschen müssen als Teil gesellschaft- licher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesell- schaft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizini- schen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden. Deswegen ist eine zen- trale Fragestellung bezüglich Intersexualität immer noch, ob chirurgische Eingriffe an den Geschlechtsorga- nen von Menschen mit Besonderheiten der geschlechtli- chen Entwicklung und insbesondere bei betroffenen Kleinkindern überhaupt zulässig sein sollten. Betroffene und der Deutsche Ethikrat kritisieren aus diesen Gründen zu Recht die Zwangsfestlegung, insbe- sondere im Kindesalter, und fordern, die Genitaloperati- onen erst dann durchzuführen, wenn der intersexuelle Mensch volljährig ist, die Operation aus eigenem Willen möchte und ihr zustimmen kann. Chirurgische Anpas- sungen im Kindesalter werden von Betroffenen mit der unsäglichen Praxis der Beschneidung weiblicher Genita- lien gleichgesetzt, eine Auffassung, für die ich sehr viel Verständnis habe. Persönlich bin ich der Auffassung, dass niemand ohne Erlaubnis - und durch das Lebensal- ter der Betroffenen anzunehmende Einsicht – das Recht hat, Veränderungen an den Genitalien eines Kindes oder Jugendlichen vorzunehmen. Im Bereich Gesundheit besteht noch immer hoher politischer Regelungsbedarf: ob es die chirurgischen Eingriffe sind, die einer speziellen Norm unterliegen sollten, oder die Einsicht des betroffenen Menschen in seine Gesundheitsakte. Die Anträge der Opposition, die sich nicht nur im Wortlaut ähneln, sondern auch in ihren Forderungen, werden sich zwar der besonderen Situation intersexueller Menschen bewusst, verkennen aber den Ruf nach Freiheit und Anerkennung, der bei den Betrof- fenen am lautesten ist. Wie viele Geschlechtseinträge brauchen wir, wenn es Menschen gibt, die weder weib- lich noch männlich sind? Das Offenlassen des Ge- schlechtseintrages bietet eine freie Entscheidung für je- den, der sich eben nicht eindeutig entscheiden kann oder will. Die bloße statistische Seltenheit, das Unbekannte, Fremde oder scheinbar Unverständliche genügt oft, um Abweichendes zu diskriminieren. Dieses diffamierende Vorgehen müssen wir immer wieder thematisieren und eine Lösung herbeiführen, die den Betroffenen hilft und einer toleranten Gesellschaft Rechnung trägt. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): „Luce glaubte, eine Patientin meines Alters sei nicht in der Lage, das We- sentliche zu verstehen. Daher nahm er an jenem Nach- mittag kein Blatt vor den Mund. Mit einer sanften, ange- nehmen, sauber artikulierenden Stimme erklärte Luce, wobei er mir direkt in die Augen sah, ich sei ein Mäd- chen, dessen Klitoris nur ein klein wenig größer sei als die anderer Mädchen. Er zeichnete mir die gleichen Schaubilder auf wie meine Eltern. Als ich Genaueres über meine Operation wissen wollte, sagte er nur das: Wir führen eine Operation durch, um deine Genitalien zu vollenden. Sie sind nicht ganz vollendet, und wir werden sie vollenden. … Ich saß auf meinem Stuhl und dachte an überhaupt nichts. Mein Kopf war seltsam leer. Es war die Leere des Gehorsams. Mit unfehlbarem Instinkt des Kindes hatte ich gemutmaßt, was meine Eltern von mir wollten. Sie wollten, dass ich blieb, wie ich war. Und ge- nau das hatte Dr. Luce versprochen.“ Die hier beschriebene Szene stammt aus dem Buch Middlesex von Jeffrey Eugenides. Eugenides beschrieb plastisch, was viele Jahrzehnte gängige Praxis war und zum Teil auch heute noch jungen Menschen und sogar Babys angetan wird. Es geht um Intersexuelle, also Men- schen, die in einem streng biologischen Sinne zwischen den Geschlechtern stehen, weil sie gleichzeitig Merk- male beider Geschlechter aufweisen. Dr. Luce steht stell- vertretend für viele Mediziner, die ausschließlich in Kategorien von zwei Geschlechtern dachten und Inter- sexuelle mit geschlechtszuweisenden Operationen weib- lich oder männlich machten. Ihnen und ihren Eltern wurde vermittelt, dass es zu ihrem Besten geschehe. So wurden Eierstöcke entfernt, Klitorides zu Penissen ge- macht, oder es sollte wie in der hier beschriebenen Szene, ein kleiner Penis entfernt und eine Vagina herge- stellt werden. Heute wissen wir, dass diese Operationen fatale Fol- gen haben: In der Pubertät kann es dazu kommen, dass Geschlechtsidentität und hergestelltes Geschlecht nicht zusammenpassen, eine lebenslange Hormonbehandlung notwendig ist, vielen Betroffenen ihre Sexualität genom- men wird, Traumatisierungen und ein Sich-fremd-im-ei- genen-Körper-fühlen auftreten. Einige begingen Suizid. Der jugendliche Ich-Erzähler in Eugenides Ge- schichte floh, bevor es zur Operation kam, in die quere Metropole San Francisco und entging so den Folgen. Doch im wirklichen Leben geschieht dies nur selten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30489 (A) (C) (D)(B) Die Bundestagsfraktion der PDS und später Die Linke machten immer wieder auf die Situation von inter- sexuellen Menschen aufmerksam. Ich befragte mehrfach die Bundesregierung zu diesem Thema und erhielt regel- mäßig als Antwort, dass die geschlechtsangleichenden Operationen keine Grundrechtsverletzung darstellten und dass diese zum Wohle der Menschen geschehen. Dass dies nicht so ist, darauf verwiesen Betroffene schon lange. Mit dem CEDAW-Bericht im Jahre 2009 und dem daraus resultierenden Bericht des Ethikrates 2012 erhielten die Betroffenen endlich gewichtigen Bei- stand. Spätestens seit der öffentlichen Anhörung im Sommer letzten Jahres ist nun offensichtlich, was die Betroffenen schon lange wissen: Bei den frühkindlichen Operationen handelt es sich um eine Menschenrechts- verletzung, die der Gesetzgeber unterbinden muss. In Folge der Anhörung nahm ich mehrfach mit Kolle- ginnen und Kollegen aller Fraktionen des Deutschen Bundestags an intrafraktionellen Besprechungen teil, um einen gemeinsamen Antrag zur Wahrung der Men- schrechte von Intersexuellen in den Deutschen Bundes- tag einzubringen. Leider scherten die Kollegen der Re- gierungsfraktionen aus. Immerhin setzten sich diese Kollegen für eine Änderung des Personenstandsgesetzes ein, sodass Eltern intersexueller Kinder erstmals die Möglichkeit haben, keinen Geschlechtseintrag beim Per- sonenstand vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat damit erstmals Intersexuelle im Recht anerkannt. Die Opposi- tion wollte sich mit dieser Änderung nicht begnügen. Wir trafen uns weiterhin und entwickelten einen ge- meinsamen Antrag. Leider wurde dieser gemeinsame An- trag von der Fraktionsspitze der SPD und Grünen verhin- dert. Aber ich möchte dies auf sich beruhen lassen; denn die konstruktiven Gespräche resultierten in nun drei na- hezu gleichlautenden Anträgen, die im Wesentlichen das Verbot von geschlechtsangleichenden Operationen vor der Einwilligungsfähigkeit, die Förderung und Unterstüt- zung intersexueller Menschen und eine weiter gehende rechtliche Anerkennung von intersexuellen Menschen fordern. Die Linke fordert zudem, dass mit einem Fonds intersexuelle Menschen, die geschlechtszuweisende Ope- rationen erlitten haben, unbürokratisch materiell unter- stützt werden. Die Situation intersexueller Menschen erlaubt es nicht, dass wir uns hier parteitaktisch verhalten. Wir müssen handeln, helfen, unterstützen, fördern, weitere Menschenrechtsverletzungen unterbinden und intersexu- elle Menschen anerkennen. Es gibt nicht nur zwei Ge- schlechter. Dies müssen wir akzeptieren. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor anderthalb Jahren haben wir im Bundestag auf Initiative der grünen Bundestagsfraktion zum ersten Mal über das Thema Intersexualität diskutiert. Bei der Debatte über den grünen Antrag haben sich Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen dem Thema Intersexualität mit viel Em- pathie zugewandt. Mit Freude habe ich bei Ihnen viel Verständnis gemerkt, was unsere Forderungen betrifft, und große Bereitschaft gespürt, den intersexuellen Men- schen zu helfen. Allerdings haben die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition immer wieder auf die Arbeit des Deut- schen Ethikrates hingewiesen. Nun liegt seine Stellung- nahme nebst zahlreichen Handlungsempfehlungen seit über einem Jahr dem Bundestag vor. Auch darüber ha- ben wir bereits vor einem Jahr diskutiert. Als wir im November 2011 unseren Antrag einge- bracht haben, haben wir ihn absichtlich sehr moderat formuliert. Wir hofften, andere Fraktionen für das Thema zu sensibilisieren und sie zu einem interfraktio- nellen Antrag zu überzeugen. Danach haben wir Vertre- terinnen und Vertreter alle Fraktionen zu gemeinsamen Gesprächen eingeladen. Die Bereitschaft schien groß zu sein, intersexuellen Menschen gemeinsam zu helfen. Zu meinem Bedauern war das ein irrtümlicher Eindruck. Schon bald hat die Koalition erneut bewiesen, dass sie außer emphatischen Worten intersexuellen Menschen wenig zu bieten hat. Bei der Novellierung des Personenstandsrechts im Ja- nuar dieses Jahres hat sie vier Tage vor der abschließen- den Abstimmung einen Änderungsantrag eingebracht, der lediglich eine einzige Forderung von unserem grü- nen Antrag umgesetzt hat. Es wurde entschieden, dass bei Geburt eines intersexuellen Kindes der Personen- standsfall ohne Angabe zum Geschlecht in das Gebur- tenregister einzutragen ist. Diese grundsätzlich zu begrü- ßende Änderung, die der Existenz der intersexuellen Menschen Rechnung trägt, könnte aber auch Nachteile für die betroffenen Menschen bringen. Ohne gleichzeitig gesellschaftlicher Ausgrenzung intersexueller Menschen entgegenzuwirken, kann diese neue Regelung zu Stig- matisierung führen. Hat sich die Koalition überhaupt Gedanken gemacht, was mit intersexuellen Kindern ohne Geschlechtsantrag im Kindergarten oder in der Schule passiert? Sind diese Einrichtungen darauf vorbereitet? Wie sollen diese Kin- der an den Sportunterrichten teilnehmen? Wie werden andere Kinder und deren Eltern auf sie reagieren? Sind Lehrerinnen und Lehrer oder Schulpädagoginnen und Pädagogen für solche Situation vorbereitet? Für die wirkliche Unterstützung intersexueller Men- schen ist dagegen eine ganze Reihe von Maßnahmen er- forderlich, die wir in unserem neuen Antrag von der Bundesregierung fordern. Zunächst aber wollen wir, dass der Bundestag erlitte- nes Unrecht und Leid, das intersexuellen Menschen widerfahren ist, anerkennt und dies zutiefst bedauert. In- tersexuelle Menschen, die in der Regel mehrfachen Ope- rationen insbesondere im Säuglings- und Kindesalter un- terzogen wurden, berichten nämlich, dass sie sich als Opfer von Verstümmelungen sehen und ihre Gefühle, Wut und Hass sowie traumatische Erlebnisse noch Jahr- zehnte lang und sehr intensiv erleben. Auch wissen- schaftliche Nachuntersuchungen zeigen ein bedrücken- des Bild. Zweitens muss sichergestellt werden, dass ge- schlechtszuweisende und -anpassende Operationen an minderjährigen intersexuellen Menschen vor deren Ein- willigungsfähigkeit grundsätzlich verboten werden. Da- 30490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) bei muss gewährleistet sein, dass eine alleinige Einwilli- gung der Eltern in irreversible geschlechtszuweisende Operationen ihres minderjährigen Kindes – außer in lebensbedrohlichen Notfällen – nicht zulässig ist. Bei ei- ner medizinischen Indikation muss diese stets von einem qualifizierten interdisziplinären Kompetenzzentrum zur Diagnostik und Behandlung bestätigt werden. Drittens soll die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands für Kinder und Jugendliche auch für die Fälle geschaffen werden, in denen eine Übereinstim- mung zwischen dem ausdrücklichen Willen der Eltern und dem des/der intersexuellen Minderjährigen über die Frage der Einwilligung in geschlechtszuweisende Ope- rationen besteht, damit die Rechte von intersexuellen Kindern und Jugendlichen gewahrt werden. Darüber hinaus soll intersexuellen Menschen, die an Folgen der geschlechtszuweisenden Operationen leiden, die Kosten für daraus resultierende Hormonbehandlung sowie – falls notwendig – psychotherapeutische Unter- stützung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Schließlich handelt es sich um Folgekosten eines Eingriffes, der die Grundrechte der Betroffenen verletzt hat. Ebenso ist es dringend notwendig, ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kin- der, deren Eltern, betroffene Heranwachsende und Er- wachsene, einschließlich Unterstützung ihrer Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen, zu schaffen. Ungeachtet der erwähnten Änderung im Personen- standsrecht fordern wir in unserem Antrag die Bundesre- gierung dazu auf, das Personenstandsgesetz – wie vom Deutschen Ethikrat und dem Bundesrat vorgeschlagen – so zu novellieren, dass sowohl Eltern von intersexuell geborenen Kindern als auch intersexuelle Erwachsene durch die Schaffung einer weiteren Geschlechtskatego- rie die Möglichkeit erhalten, im Geburtenregister mit Wirkung für alle Folgedokumente und mit Wirkung ei- ner rechtlichen Gleichbehandlung dauerhaft weder eine Zuordnung zum männlichen noch zum weiblichen Ge- schlecht vornehmen müssen. Diese neue Geschlechts- kategorie ist gemeinsam mit den Betroffenenverbänden zu entwickeln. Darüber hinaus soll intersexuellen Menschen eine vereinfachte Änderungsmöglichkeit der Vornamen so- wie der ursprünglich durch ihre Eltern vorgenommenen Geschlechtskategorisierung eingeräumt und ein effekti- ves Offenbarungsverbot gewährleistet werden. Ferner beklagen intersexuelle Menschen, dass ihnen der Zugang zu ihren Krankenakten verwehrt bleibt. Oft erfahren sie über an ihnen im Säuglings- und Kindesalter durchgeführten Operationen erst im Erwachsenalter, wenn die ganze medizinische Dokumentation nicht mehr existiert. Deshalb ist es notwendig, eine Sonderregelung zu schaffen, nach der die Fristen für die Aufbewahrung von Krankenakten bei Operationen im Genitalbereich auf mindestens 40 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden und ein ungehinderter Zugang zu ihren Kranken- akten gewährleistet wird. Schließlich soll das bisher tabuisierte Thema Inter- sexualität in Fort- und Weiterbildungsangeboten für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsberufe inte- griert werden. Ebenfalls soll das Thema ein fester Bestandteil des Schulunterrichts, beispielsweise in den Fächern Biolo- gie, Sozialkunde oder Ethik, als auch bereits der früh- kindlichen Bildung sein, da schon in der Kita Vorurteile entstehen und Stigmatisierung intersexueller Menschen entgegengewirkt werden sollte. Darüber hinaus soll es weiter möglichst interdisziplinär unter Beteiligung von Kultur- und Gesellschaftswissenschaften sowie der Be- troffenenverbände erforscht werden. Neben dem grünen Antrag diskutieren wir heute auch über zwei Anträge der Fraktionen der SPD und Die Linke. Ich begrüße ausdrücklich die beiden Initiativen, die ähnliche Forderungen an die Bundesregierung stel- len. Ich wünsche mir aber, dass auch die Koalitionsfrak- tionen das Thema ernst nehmen und gemeinsam mit uns intersexuellen Menschen und deren Familien helfen. Wir sind für die Zusammenarbeit stets bereit. Seien sie es endlich auch! Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung : – Entwurf eines Gesetzes zur Verwaltungsver- einfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsver- einfachungsgesetz – KJVVG) – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben – Eigenständige Jugendpolitik Selbstbe- stimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation – Unterrichtung : Bericht über die Lebens- situation junger Menschen und die Leistun- gen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutsch- land – 14. Kinder- und Jugendbericht und Stellungnahme der Bundesregierung – Antrag: Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche fördern – Konsequenzen aus dem 14. Kinder- und Jugendbericht ziehen (Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d) Florian Bernschneider (FDP): Es heißt in der PR-Spra- che ja immer „Bad news are good news“. Aber da werde ich heute gerne den Spielverderber mimen, denn es gibt vor allem Gutes zu vermelden: Viele Länder Europas beneiden uns für unsere Erfolge, um unsere gute Jugend- arbeit, um unsere Erfolge auf dem Arbeits- und Ausbil- dungsmarkt, die gerade jungen Menschen den Berufs- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30491 (A) (C) (D)(B) eintritt bzw. das Finden einer Ausbildungsstelle enorm erleichtern. Die duale Ausbildung, die SPD und Grüne ja am liebsten verschulen würden, mausert sich mittler- weile zu einem richtigen Exportschlager. All diese Er- folge sind eine eindrucksvolle Bestätigung unserer Ar- beit, der Arbeit von Union und FDP, für junge Menschen in den vergangenen gut dreieinhalb Jahren. Wir können mit Stolz sagen, dass wir mehr als nur solide gearbeitet und gute Ergebnisse geliefert haben. Die Basis für viele Erfolge ist natürlich die gute wirt- schaftliche Entwicklung gewesen. Aber auch die Kinder- und Jugendarbeit benötigt, wie jedes Haus, eine solide Basis, ein Fundament, auf das aufgebaut werden kann. Dieses Fundament bildet das Kinder- und Jugendhilfege- setz, KJHG. Dieses Fundament stärken wir mit dem vor- liegenden Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfa- chungsgesetz, KJVVG, indem wir wichtigen Initiativen der letzten Jahre, vom Jugendhilfeweiterentwicklungs- gesetz bis hin zum Kinderförderungsgesetz, Rechnung tragen. Auch die Stärkung der Rechte leiblicher, nicht- rechtlicher Väter findet mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf seinen Niederschlag im SGB VIII, was meine Fraktion ausdrücklich begrüßt. Neben diesem Fundament benötigen wir aber noch mehr. Stabile Wände und tragfähige Decken, die unse- rem Haus einen Rahmen geben. Übersetzt auf die heu- tige Debatte bedeutet dies: Eine gute Kinder- und Ju- gendarbeit muss am Puls der Zeit arbeiten, sich selbst, ihre Verfahren und Instrumente immer wieder hinterfra- gen, wenn sie auf neue Entwicklungen gut und präventiv reagieren können will. Einen wichtigen Fingerzeig gibt hier der neue 14. Kinder- und Jugendbericht, der eben- falls heute in erster Lesung Gegenstand der Debatte ist. Und dieser Bericht bestätigt im Großen und Ganzen die Arbeit dieser Regierung. Nicht umsonst wird gleich zu Anfang durch die Autoren festgestellt, dass es Kindern und Jugendlichen noch nie so gut ging wie heute. Die überwiegende Mehrheit der Kinder und Jugendlichen wächst in ökonomisch und sozial gesicherten Verhältnis- sen auf. Die Tatsache, dass es wenig zu meckern gibt, unter- streicht auch der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion zum Bericht. Denn im Forderungsteil finden sich kaum Punkte, die sich auf diesen Bericht zurückführen lassen. Vielmehr erliegt die SPD-Fraktion zum wiederholten Male der Versuchung, alte Anträge noch einmal zu recy- celn. So sind etliche Punkte, wie etwa die Forderung nach einem neuen Ganztagsschulprogramm des Bundes, was derzeit aufgrund des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern ausgeschlossen ist, das Begehr nach der Stärkung der in der Verantwortung der Länder lie- genden Schulsozialarbeit oder die Forderung, Ombuds- stellen in der Kinder- und Jugendhilfegesetzgebung zu verankern, altbekannt. Vor allem aber liegen sie nicht in der Zuständigkeit des Bundes. Daher bringen sie uns nicht in Verlegenheit. Der Antrag zeugt vor allem von ei- ner gewissen Ratlosigkeit und argumentativer Erschöp- fung der Antragssteller. Denn jedes Mal, wenn es darum ging, den Schutz von Kindern und Jugendlichen im SGB VIII voranzutreiben – ich erinnere nur an die Verhandlungen zum Bundeskin- derschutzgesetz –, standen ausgerechnet Sie und ihre rot-grünen Landesregierungen auf der Bremse und lie- ßen keine Möglichkeit ungenutzt, sich jedes noch so kleine Zugeständnis im Bundesrat doppelt und dreifach teuer abkaufen zu lassen. Deshalb wäre es mehr als nur an der Zeit, dass Sie, bevor Sie hier neue Millionenbelas- tungen für die Länder durch die Einführung eines Om- budsstellensystems in der Kinder- und Jugendhilfe for- dern, sich erstmal mit Ihren eigenen Landesregierungen einig werden und vor allem dafür sorgen, dass sinnvolle und weniger kostenintensive Maßnahmen nicht im Bun- desrat blockiert werden. Die christlich-liberale Koalition hingegen kann für sich zu Recht in Anspruch nehmen, den Menschen nicht das Blaue vom Himmel zu versprechen, sondern die wichtigsten Punkte ihrer Agenda zuverlässig abgearbei- tet zu haben. Gerade für die ersten Monate und Jahre im Leben der Kinder hat diese Regierung in dieser Legisla- tur viel geleistet. So ist es uns gelungen, mit dem Bun- deskinderschutzgesetz wichtige Ergebnisse der Runden Tische „Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren“ und „Sexueller Kindesmissbrauch“ aufzunehmen und umzusetzen. Mit der Einführung der Frühen Hilfen und der Familienhebammen geht der Bund einen weiteren wichtigen Schritt, um die Begleitung von jungen Eltern und Neugeborenen zu verbessern. Den Ausbau der Kin- derbetreuung bringen wir mit einem 10-Punkte-Plan, der dazu beiträgt, die Kindertagespflege und die betriebliche Kinderbetreuung zu stärken, sowie insgesamt 5,4 Mil- liarden Euro von Bundesseite voran. Dazu begleiten wir die Ausbaubemühungen mit einer Fachkräfteoffensive. Ferner ist auch die Offensive Frühe Chancen zu nen- nen, mit der wir bis 2014 rund 400 Millionen Euro für rund 4 000 Schwerpunktkitas Sprache und Integration bereitstellen und somit gezielte Integrationsförderung betreiben – für die Zukunft unseres Landes. Auch auf das Programm „Elternchance ist Kinderchance“, durch das bis zu 4 000 Fachkräfte zu Elternbegleitern fortge- bildet werden sollen, möchte ich hinweisen und auch nicht unerwähnt lassen, dass wir mit dem derzeit in der parlamentarischen Beratung befindlichen Gesetzent- wurf zur Vertraulichen Geburt den Schutz von Schwan- geren und Neugeborenen weiter verbessern wollen. Als jugendpolitischer Sprecher meiner Fraktion will ich nicht verhehlen, dass die Jugendpolitik, angesichts dieser Erfolge, allzu häufig vergessen wird oder in den Hintergrund tritt. Aber wie es sich für ein ordentliches Haus gehört, benötigt man nicht nur ein gutes Funda- ment, stabile Wände und Decken, sondern auch ein gutes Dach, unter dem Träume in die Höhe wachsen können. Deshalb haben Union und FDP mit der Allianz für Ju- gend und dem Antrag zur Formulierung einer eigenstän- digen Jugendpolitik einen Prozess angestoßen, der weit über diese Legislatur hinaus reichen wird und alle rele- vanten Akteure beteiligt. Und mit dem Führerschein ab 17, dem Deutschlandstipendium, der BAföG-No- velle, der Verlängerung des Programmes „Schulverwei- gerung – die 2. Chance“, dem Programm „Bildungs- ketten“, der Sommerferienjobregelung im ALG II und zuletzt mit der Ergänzung des Baugesetzbuches, die 30492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) klarstellt, das Kinder und Jugendliche bei sie unmittelbar betreffenden Bauvorhaben zu beteiligen sind, haben wir einiges bewegt. Vor allem aber haben wir in der Real- politik deutlich gemacht, was Sie sonst nur in Sonntags- reden fordern; nämlich dass Jugendpolitik eine Quer- schnittsaufgabe ist. Daran können halbgare Behauptungen wie im Antrag der Grünen zur Jugendpolitik, dass sich immer mehr Ju- gendliche in Deutschland mit geringen Chancen auf ge- sellschaftliche Teilhabe vernachlässigt und von der Ge- sellschaft zurückgelassen fühlen, nichts ändern. Im Übrigen widerlegt der 14. Kinder- und Jugendbericht ge- rade diese Behauptung eindrucksvoll. Die Grünen üben sich in Schwarzmalerei. Ähnlich sieht es beim Antrag der SPD aus. Auf der ei- nen Seite fordern Sie viele wünschenswerte Dinge, zum Beispiel im Bildungsbereich, wohl wissend, dass der Bund hier kaum tätig werden kann. Auf der anderen Seite stellen Sie erneut viele wohlklingende Forderun- gen auf, ohne die Finanzierung mitzubedenken. Ich habe Sie bereits in der ersten Beratung auf die vielen Frage- zeichen des Antrags hingewiesen. Aber auch die Aus- schussberatungen haben Sie, liebe Kolleginnen und Kol- legen der SPD, leider nicht genutzt, um etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Bis heute ist unklar, was Sie genau unter einem Jugendpolitik-TÜV verstehen und welche Indikatoren Sie für eine „gute Jugendpolitik“ he- ranziehen wollen. Das ist schlicht ungenügend. Wenn wir den letzten Berufsbildungsbericht, den Tiefststand der Jugendarbeitslosigkeit, den 14. Kinder- und Jugendbericht, die aktuellen Arbeitsmarktdaten, die niedrige Schulabbrecherquote und vieles mehr Revue passieren lassen, wird eines überdeutlich: Wer behaup- tet, diese Regierung habe in der Kinder- und Jugendpoli- tik, wenn wir sie als Befähigungspolitik ausbuchstabie- ren, ihre Hausaufgaben nicht gemacht, der ist gehörig auf dem Holzweg. Damit wird auch klar, dass die Behauptungen der Op- position, diese Regierung täte nichts für Jugendliche, ja sie würde die Interessen von Jugendlichen gar vernach- lässigen, an den Haaren herbeigezogen sind. Denn wenn Union und FDP alles falsch gemacht hätten, wäre ich der Opposition – insbesondere SPD und Grünen – doch sehr verbunden, wenn sie erläutern könnte, warum Ihre ei- gene jugendpolitische Bilanz in Sachen Zukunftschan- cen, Bildung und Ausbildung im Vergleich zu unserer so grottenschlecht aussieht. Dafür muss es ja Gründe ge- ben. Vielleicht sollten Sie die verbleibende Zeit dieser Wahlperiode nutzen, um einmal in sich zu gehen und da- rüber nachzudenken. Wir, Union und FDP, können stolz auf die vergange- nen fast vier Jahre blicken. Unsere Bilanz in der Kinder- und Jugendpolitik ist sehr gut, die Zahlen stimmen, die Perspektiven auch. Es waren vier gute Jahre. Um im ein- gangs von mir aufgezeigten Bild zu bleiben: Das Haus steht, es ist stabil, die Wände sind gerade, die Decken tragen, das Dach ist solide. Jetzt können wir uns dem Garten widmen. Diana Golze (DIE LINKE): Was wir in der gestrigen Sitzung des Familienausschusses erleben konnten, war einmal mehr ein Beispiel dafür, mit welcher Herange- hensweise von dieser Regierungskoalition und der sie tragenden Fraktionen eines der wichtigen Zukunftsthe- men – die Kinder- und Jugendpolitik – abgehandelt wird. Nicht nur, dass dieser Themenbereich ohnehin schon äußerst selten durch Initiativen der Regierungs- parteien auf der Tagesordnung des dafür zuständigen Ausschusses steht: Die Taktik scheint entweder Ver- schleppung der notwendigen Maßnahmen zur Weiterent- wicklung und Verbesserung der Angebote für Kinder- und Jugendliche oder aber eine Scheintätigkeit in den Punkten, zu denen die Regierung sich mit ihren eigenen Vorgaben verpflichtet, zu sein. Beide Eindrücke wurden gestern auf beispiellose Art und Weise untermauert. Zu- nächst wurde gestern im Ausschuss der nun zu beschlie- ßende Gesetzentwurf der CDU/CSU- und FDP-Fraktio- nen zur Vereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe behandelt. Dieser Entwurf behandelt längst überfällige Schritte. So zum Beispiel eine Klarstellung in Sachen Förde- rung der Jugendorganisationen von Parteien und ihrer Arbeit. Interessant dabei: Der Jugendverband der Linken musste eine solche erst auf dem gerichtlichen Weg ein- klagen. Über Jahre hinweg wurde diesem Jugend- verband vorenthalten, was anderen parteilichen Jugend- verbänden seit Jahren gewährt wird. Auch jetzt wird lediglich die Förderfähigkeit grundsätzlich festgeschrie- ben. Konkrete Maßnahmen? Fehlanzeige! Stattdessen Verschleppung, Handlungsunwillen an den Stellen, wo Entscheidungen und Maßnahmen notwendig wären. Dass die Regierung einmal mehr versucht, wichtige Leistungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes durch sogenannte Vereinfachungs- und Bürokratieabbaumaß- nahmen zu beschneiden, war und ist nicht wirklich über- raschend. Umso erfreulicher ist, dass die vorgesehene Regelung zur Vereinfachung der Kostenbeteiligung junger Menschen und ihrer Eltern in der Kinder- und Ju- gendhilfe bei stationären und teilstationären Leistungen sowie vorläufigen Maßnahmen wirklich noch einmal in einem Fachausschuss nachverhandelt wurde und durch – kurz vor der Ausschusssitzung – eingereichte Ände- rungen der Koalitionsfraktionen soziale Härten verhin- dert werden. Eine Regelung, die keinerlei Anpassung der Kostenbeiträge vorsieht, wenn das Einkommen der El- tern im Laufe einer Maßnahme sinkt, wäre aus unserer Sicht nicht mit dem Grundgedanken des SGB VIII ver- einbar. Dass man im Fachausschuss dann aber auch partei- übergreifend und sachorientiert arbeitet, wäre wohl zu viel des Guten gewesen. So wurde ein fast gleichlauten- der Änderungsantrag unserer Fraktion abgelehnt. Zu den Regelungen zum Umgang von Kindern mit ih- ren leiblichen, aber nicht rechtlichen Vätern, die dieser Gesetzentwurf regelt, wurde die Regierungskoalition eher gejagt als getragen, und bei der Befristung der Hil- fen für die Betreuung von Kindern in Pflegefamilien muss der Gesetzentwurf weiterhin an Provisorien fest- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30493 (A) (C) (D)(B) halten, weil die Ministerin Schröder auch hier ihre Haus- aufgaben nicht gemacht hat. Schließlich rund wird das Resümee – welches man gleichermaßen für die gestrige Ausschusssitzung wie auch für das Engagement der Bundesregierung in Sa- chen Kinder- und Jugendpolitik ziehen kann – mit der Behandlung des 14. Kinder- und Jugendberichtes. Es wird einmal mehr deutlich: Diese Regierung – und vor allem diese Familienministerin – will an den sich immer mehr verschärfenden Zuständen in der Kinder- und Ju- gendhilfe nichts ändern, ja sie nicht einmal zu Kenntnis nehmen. Wie sonst ist es zu erklären, dass man umfas- sende Expertisen wie den Kinder- und Jugendbericht monatelang in den Schreibtischschubladen des Familien- minsteriums schlummern lässt? Wer vier Jahre lang einen gesamten Politikbereich sträflich vernachlässigt, der, Frau Schröder, darf sich nicht wundern, wenn die Bewertung in Sachen Kinder- und Jugendpolitik „ungenügend“ lautet. Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir reden heute spät nachts über einen bunten Strauß an Anträgen und Berichten. Die Koalition versucht auf die- sem Weg, ihre Versäumnisse und Baustellen unter den Teppich zu kehren und mit wenigen, kleinen Verbesse- rungen im Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfa- chungsgesetz vergessen zu machen. Vorweg, damit wir uns nicht falsch verstehen: Die im Kinder- und Jugend- hilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz vorgeschlagene Fristverlängerung, wenn im Rahmen der Eingliede- rungshilfe in einer Pflegefamilie Kinder mit Behinde- rung betreut werden, ist geboten und sinnvoll. Aber schon bei der Finanzierung der Jugendorganisa- tionen der Parteien wird planlos und parteipolitisch mo- tiviert gehandelt. Die Regierung vollbringt hier das Kunststück, ein Gesetz zu schaffen, das die Rechtsunsi- cherheit bei Jugendorganisationen noch vergrößert. Da- durch wird das Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsver- einfachungsgesetz zum besten Beispiel für das, was der 14. Kinder- und Jugendbericht der Regierung attestiert: Die Lebenssituation vieler Jugendlicher hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, nicht verbessert. Völlig unstrittig ist: Die Jugendlichen sind zu kurz gekommen, ja vergessen worden. Die Belange Jugendli- cher wurden nicht thematisiert, sondern „problemati- siert“. Wenn diese Altersgruppe in den Fokus gerät, dann um zur Risikogruppe stilisiert zu werden. Der 14. Kinder- und Jugendbericht hält fest, dass es immer noch nicht wirklich gelungen ist, die Jugend als eigenständiges Lebensalter wahrzunehmen, die Jugend in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen, Jugend nicht immer problembehaftet zu diskutieren und so Ju- gendliche abzustempeln und zu stigmatisieren. Dabei besitzt keine andere Gesellschaftsgruppe so viel Kraft, Engagement und Leidenschaft, wie unsere Jugend. Schauen Sie sich doch mal in den Freiwilligendiensten um! Aber die Bundesregierung traut ihnen nicht und erst recht traut sie ihnen nichts zu. Die Koalition attestiert der jungen Generation die Unfähigkeit, eigenständig zu denken und sich politisch zu engagieren. Als Argument dafür muss der fraglos benötigte Ausbau von Hilfsmaß- nahmen für junge Erwachsene herhalten. Was für eine Arroganz! Umgekehrt müsste als ein erster und nicht als der ein- zige Schritt zu echter Partizipation das Wahlalter auf mindestens 16 Jahre gesenkt werden. Diese Maßnahme im Kampf um mehr Beteiligung wurde von den Koali- tionsfraktionen als Feigenblatt der Jugendbeteiligung und sogar als realitätsfern und falsch bezeichnet. Das spricht Bände hinsichtlich des Bildes von Jugendlichen, das ihrer Jugendpolitik zugrunde liegt. Echtes Mitent- scheiden? Nicht mit Schwarz-Gelb! Eine eigenständige Jugendpolitik, die diesen Namen verdient, erfordert Maßnahmen. Wir müssen Jugendli- che an allen politischen Entscheidungen quer durch die Ministerien beteiligen, nicht nur bei kinder- und jugend- spezifischen Themen. Bei allen politischen Entscheidun- gen müssen wir uns die Frage stellen: Was bedeutet das für die junge Generation – heute und in der Zukunft? Dafür brauchen wir die angemessene Beteiligung der Jugendlichen an der Politik. Denn hört man den Jugend- lichen einmal zu und redet nicht immer nur über sie, dann stellt man sehr schnell fest, dass sie sehr wohl in der Lage sind, mitzuentscheiden. Aber es mangelt an echten Entscheidungsmöglichkeiten. Der Bericht der Bundesregierung beschäftigt sich um- fassend mit der Situation von Kindern und Jugendlichen in unserem Land. Es ist befremdlich, dass die europäi- sche Perspektive komplett fehlt. Auch jugendpolitisch müssen wir in Deutschland den Blick auf die europäi- sche Ebene weiten. Gerade die junge Generation fühlt sich längst nicht mehr nur als Deutsche oder Franzosen, sondern in erster Linie als Europäerinnen und Europäer. Trotzdem ist für die Bundesregierung anscheinend die europäische Dimension von Jugendpolitik überhaupt nicht von Interesse. Es darf uns doch nicht kaltlassen, dass in unseren europäischen Nachbarländern durch im- mens hohe Jugendarbeitslosigkeit von mittlerweile über 65 Prozent eine ganze Generation gesellschaftlich und ökonomisch zerstört wird. Hier müssten wir dringend unsere Solidarität unter Beweis stellen. Es ist entlarvend, dass uns Oppositionsfraktionen vor- geworfen wird, wir würden Forderungen stellen, die keine Bundeskompetenz seien. Darauf kann ich nur ant- worten: Im Gegensatz zur Koalition haben wir eine ganzheitliche Vorstellung davon, welche Maßnahmen Jugendliche brauchen, und schieben keine Kompetenz- argumente vor, um echten Wandel zu verhindern. Viel- mehr koordinieren wir uns eng mit den Ebenen, auf de- nen andere Schritte gegangen werden müssen. Denn genau das ist es doch, was von uns, den Politi- kerinnen und Politikern, erwartet wird: dass wir mit Un- terstützung von Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen Jugendpolitik als eigenes Politikfeld eta- blieren. Unser Antrag tut genau das: Er schafft die Grundlage, auf der Jugendpolitik gestaltet werden kann und beschreibt darüber hinaus konkrete gesetzliche Maßnahmen für eine echte eigenständige Jugendpolitik. 30494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Absolut zentral für ist dabei auch die starke Unterstüt- zung durch Jugendverbände, weil diese Freiräume für Jugendliche schaffen und ihnen demokratische Teilhabe ermöglichen. Dafür muss die Politik langfristig stabile Grundlagen schaffen. Ohne Extremismusklauseln und Kürzungen, sondern durch Vertrauen und die nötige fi- nanzielle Ausstattung – im Kinder- und Jugendplan. Seit über drei Jahren diskutiert die Bundesregierung nun schon, was eine eigenständige Jugendpolitik sein soll, welche Grundsätze und Ziele vereinbart werden. Jetzt ist die Zeit der Sonntagsreden vorbei, jetzt ist die Zeit, diese Jugendpolitik auch umzusetzen. Jetzt ist die Zeit für eine eigenständige und emanzipatorische Ju- gendpolitik. Und nachdem Schwarz-Gelb hier vier Jahre vertan hat, werden wir dies im Herbst angehen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: Gesetz zur Ände- rung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze (Tagesord- nungspunkt 22) Bettina Kudla (CDU/CSU): Es ist die Koalition, die die richtigen Schlüsse aus der Krise am Finanzmarkt ge- zogen hat: Wir wollen und wir brauchen eine stabile Währung. Hierzu brauchen wir stabile öffentliche Haushalte, eine stabile Wirtschaft und stabile Finanzmärkte. Stabile Finanzmärkte erfordern Vertrauen, damit diese auch funktionieren. Transparenz und klare Spielre- geln sind hier von essenzieller Natur. Daher hat es sich diese Koalition zur selbstverpflichtenden Aufgabe ge- macht, dass kein Institut, kein Produkt, kein Manager im Finanzsektor unreguliert oder unbeaufsichtigt bleiben soll. Für Risiken kommen diejenigen auf, die diese Risi- ken eingegangen sind. Jeder Einzelne haftet für sein Handeln am Markt. Diesen neuen Ordnungsrahmen setzt die Koalition seit Beginn der Wahlperiode konsequent um. Daher ist es ebenso konsequent, die KfW als wichti- gen Kreditgeber für die deutsche Wirtschaft und als wichtigen Akteur am Finanzmarkt durch die Bundesan- stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, anstatt wie bisher durch das BMF, zu beaufsichtigen. Obgleich beaufsichtigt, berücksichtigen wir gleichzeitig den be- sonderen Förderauftrag und belassen die KfW in der na- tionalen Bankenaufsicht. Mit dem Gesetz erhält die KfW erstmals echte Rechtssicherheit über die zu erfüllenden bankenauf- sichtsrechtlichen Auflagen, von denen sie bislang ausge- nommen war, die sie aber zum großen Teil freiwillig ein- hält. Kern des Gesetzes ist der neu in das KfW-Gesetz ein- zufügende § 12 a. Dieser bestimmt per Verordnungser- mächtigung für das Bundesfinanzministerium im Beneh- men mit dem Bundeswirtschaftsministerium, welche Vorschriften zukünftig durch die KfW bzw. die KfW- Gruppe explizit zu beachten sind. Das Rechtsmittel einer Verordnung wurde hier gewählt, um flexibel und zeitnah auf Veränderungen bankenaufsichtsrechtlicher Vor- schriften oder auf Veränderungen in der „deutschen För- derlandschaft“ reagieren zu können. Mit dem Gesetz wird die KfW in weiten Teilen den übrigen Kreditinstituten aufsichtsrechtlich gleichgestellt; allerdings ohne den besonderen Förderauftrag unberück- sichtigt zu lassen. Daher bleibt die KfW als Förderbank von europarechtlichen Auflagen ausgenommen, obliegt als drittgrößte Bank Deutschlands mit einer Bilanz- summe von über 500 Milliarden Euro jedoch einer nun gesetzlich manifestierten Aufsichtsregelung. Dies dient der Rechtssicherheit für die KfW wie auch der Sicher- heit für den Bund, der für die KfW garantiert. Diese Si- cherheit ist auch im Interesse der Steuerzahler, mit deren Steuergeldern letztendlich die Garantie untermauert ist. Gleichzeitig bleibt die KfW weiterhin ohne Ein- schränkung als Förderbank auch für die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland wie gehabt beste- hen. Entsprechend positiv hat sich der Vorstand der KfW in der zurückliegenden Anhörung zum Gesetz geäußert: So hält die KfW selbst eine „stärkere Annäherung [des] Hauses an regulatorische bankenaufsichtsrechtliche Vor- schriften für richtig und geboten.“ Dies schütze die öf- fentliche Hand und zwinge die KfW, sich stärker zu pro- fessionalisieren und den bankenaufsichtsrechtlichen Vorschriften zu genügen, sofern noch nötig. Um eine effiziente Aufsicht zu garantieren, plant die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, ein eigenes Referat mit etwa elf Stellen einzurichten so- wie einige Stellen, die Aufgaben in Querschnittsabtei- lungen – wie beispielsweise in der Abteilung für Geld- wäsche – wahrnehmen. Lassen Sie mich zusammenfassen: Dieses Gesetz ist eine Win-win-win-Situation! Gewonnen hat die KfW größere Rechtssicherheit. Gewonnen hat die öffentliche Hand größere Transpa- renz. Gewonnen hat die Wirtschaft noch größere Sicher- heit. An dieser Stelle möchte ich Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble zitieren: „Das Vertrauen, wel- ches aus soliden Staatsfinanzen erwächst, ist die Grund- lage für nachhaltiges Wachstum.“ Dieses Zitat möchte ich ein wenig erweitern: Das Ver- trauen, welches aus soliden Staatsfinanzen und stabilen Finanzmärkten erwächst, ist die Grundlage für nachhal- tiges Wachstum. Denn auch eine Vertrauenskrise an den Finanzmärk- ten schlägt irgendwann durch auf die Wirtschaft – wie in der zurückliegenden Wirtschaftskrise. Mit dem vorlie- genden Gesetz setzt die Koalition einen weiteren Stein in das tragende Fundament, auf dem unsere Wirtschaft und unser Land aufgebaut ist: Vertrauen und Nachhaltigkeit. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30495 (A) (C) (D)(B) Familienunternehmen, der deutsche Mittelstand, klei- nere und mittlere Unternehmen, Existenzgründer – all diese Unternehmer sind auf starke und verlässliche Part- ner, Investoren und Kreditgeber, angewiesen. In der deutschen Förderlandschaft spielt hier die KfW eine große Rolle. Ihr gesetzlich festgelegter Förderauftrag umfasst die bereits genannte Förderung ebenso wie Pro- gramme für Wohnungswirtschaft, Umweltschutz und In- frastruktur. Finanzierungsprogramme für Kommunen und regionale Förderbanken sowie die Finanzierung von Maßnahmen zur Bildungsförderung und von Maßnah- men mit rein sozialer Zielsetzung sind weitere Schwer- punkte. Das durch dieses Gesetz erreichte Mehr an Aufsicht stärkt das Vertrauen in die Kreditanstalt für Wiederauf- bau. Für die „Kunden“ der KfW, die zahlreichen Unter- nehmen in Deutschland, wird der „Hafen KfW“ so noch sicherer gemacht. Die KfW wurde im Jahre 1948 als Anstalt des öffent- lichen Rechts gegründet und gehört heute zu 80 Prozent dem Bund und zu 20 Prozent den Bundesländern. Mit ei- ner Bilanzsumme von etwa 500 Milliarden Euro ist sie die drittgrößte Bank in Deutschland. Das Haus refinan- ziert sich fast ausschließlich über die internationalen Ka- pitalmärkte. Im Jahr 2011 waren dies mehr als 79 Mil- liarden Euro. Sie hat weder eigene Filialen noch Kundeneinlagen. Garantiert wird sie durch den Bund. Die Größe der KfW wie auch das Volumen ihrer Refi- nanzierungstätigkeit und die Staatsgarantie zeigen deut- lich, dass die Kreditanstalt eines der wichtigsten Bank- häuser des Landes mit einer „umfangreichen“ Verflechtung zu den Finanzmärkten, aber auch einer „engen“ Verflechtung zur öffentlichen Hand ist. Verlass und Transparenz sind daher für alle Seiten von Vorteil und schirmen letzten Endes auch den Steuer- zahler von möglichen Risiken ab. Diesem Anspruch werden wir im Übrigen nicht nur auf nationaler Ebene gerecht, sondern auch auf europäi- scher Ebene. Mit der Verordnung über den Single Super- visory Mechanism, die sogenannte Europäische Ban- kenaufsicht oder Bankenunion, wollen wir die entspre- chende Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone vom 29. Juni 2012 umsetzen. Bedeutende Kreditinstitute und Kreditinstitute, die Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, oder der Europäischen Finanzstabilisierungsfazili- tät, EFSF, erhalten, mindestens aber die drei bedeutends- ten Institute eines teilnehmenden Mitgliedstaates, sollen bei wichtigen aufsichtsrechtlichen Auflagen der Auf- sicht durch die Europäische Zentralbank, EZB, unterlie- gen. Derzeit werden die Aufsichten durch nationale Be- hörden – in Deutschland durch die Bundesanstalt für Fi- nanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, – wahrgenommen. Als „bedeutend“ gilt ein Institut oder eine Gruppe dann, wenn die Bilanzsumme 30 Milliarden Euro überschreitet oder diese mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandspro- dukts eines Mitgliedstaates überschreitet. Ziel dieser neuen Regelung ist die Durchsetzung ein- heitlicher Aufsichtsstandards in den teilnehmenden Mit- gliedstaaten, das heißt generell in den Euro-Staaten und in den freiwillig teilnehmenden Nicht-Euro-Staaten. Mit der verpflichtenden Zusammenarbeit von Europäischer Zentralbank, EZB, und nationalen Aufsichten können übernationale Gefahren im Europäischen Bankensystem schneller erkannt und kann ihnen besser vorgebeugt wer- den. Die Liste dessen, was diese Koalition zur Stabilisie- rung der Finanzmärkte geleistet hat, lässt sich weit fort- führen. Mit dem Trennbankengesetz schirmen wir die Kun- den vor den Risiken spekulativer Geschäfte ab. Kreditin- stitute bzw. die Bundesanstalt müssen Sanierungs- bzw. Abwicklungspläne für den Krisenfall erstellen. Strafbar- keitsregeln werden eingeführt. Mit Basel III verpflichten wir die Banken, mehr Ei- genkapital zu halten, und machen die Institute so stress- resistenter. Mit der Finanztransaktionsteuer, FTT oder FTS, schaffen wir eine Beteiligung der Akteure an den Folge- kosten der Finanzkrise. Weitere beispielhafte Maßnahmen: Bankenabgabe, Bankenrestrukturierungsfonds, Verbot von Leerverkäu- fen, Regulierung des Hochfrequenzhandels etc. Zusammenfassend ist der vorliegende Gesetzentwurf über die von der KfW zu erfüllenden aufsichtsrechtli- chen Aufgaben ein scheinbar kleiner Bestandteil in der Finanz- und Förderlandschaft Deutschlands und Euro- pas. Vor allem daher, weil die KfW viele dieser Auflagen bereits freiwillig einhält. Als wichtiger Förderer für die Unternehmen und die Menschen in Deutschland aber geht die KfW gestärkt hervor. Klare Spielregeln und Transparenz bieten Sicherheit für alle Seiten. Manfred Zöllmer (SPD): Die Kreditanstalt für Wie- deraufbau gilt nach dem Kreditwesengesetz nicht als Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut im Sinne des Kreditwesengesetzes, unabhängig von den Geschäften, die sie tatsächlich betreibt. Der Grund für diese gesetzgeberische Entscheidung war, dass die KfW als nationale Förderbank und als Anstalt des öffentlichen Rechts ein besonderes Geschäftsmodell hat und einen gesetzlich festgelegten staatlichen Auftrag verfolgt und daher grundsätzlich nicht mit Kreditinstituten des privat- rechtlichen, genossenschaftlichen oder öffentlich-recht- lichen Sektors vergleichbar ist. Vor diesem Hintergrund ist die KfW auch von EU-Bankenrichtlinie ausgenom- men. Andererseits ist die KfW mit ihrer großen Bilanz- summe von über 500 Milliarden Euro im Grunde die drittgrößte deutsche Bank. Zwar hält die KfW bereits heute wesentliche Aufsichtsvorschriften freiwillig ein, um ihren gesetzlichen Auftrag sachgerecht wahrzuneh- men und möglichst effektiv fördern zu können, aber eine bessere Beaufsichtigung entspricht auch den Erfahrun- gen aus der Finanzkrise. 30496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Gesetz über die Kreditanstalt für Wiederaufbau nunmehr geän- dert und eine effektive Beaufsichtigung rechtsverbind- lich und transparent festgelegt. Dabei wird auch weiter- hin die besondere Rolle der KfW berücksichtigt. Der Gesetzentwurf ändert insoweit nichts daran, dass die KfW auch weiterhin kein Kreditinstitut und kein Finanz- dienstleistungsinstitut im Sinne des KWG ist und auch weiterhin von den bankenaufsichtsrechtlichen Regelun- gen der Europäischen Union ausgenommen wird. Der Gesetzentwurf sieht vor, das Bundesministerium der Finanzen gesetzlich zu ermächtigen, im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Techno- logie durch Rechtsverordnung festzulegen, welche bankenaufsichtsrechtlichen Vorschriften von der KfW beziehungsweise der KfW-Gruppe entsprechend anzu- wenden sind. Wie wir im Finanzausschuss ausgeführt haben, ist der vorliegende Gesetzentwurf durchaus zu begrüßen, weil er die bisher freiwillig vorgenommene Einhaltung von aufsichtsrechtlichen Standards durch die KfW jetzt auf eine gesetzliche Grundlage stellt. Wir bleiben aber bei unserer Kritik, wonach alle wesentlichen Punkte zukünftig im Wege der angespro- chenen Verordnung geregelt werden, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt ist. Wir erwarten, dass die Aus- gestaltung der Beaufsichtigungsanforderungen im Sinne der im öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses herausgearbeiteten Erfordernisse erfolgen wird und hier nicht Bundestag und Bundesrat bewusst ausgegrenzt werden. Wir haben auch den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt, der eine wichtige Konkretisierung vorgenommen hätte, die angemessen im Rahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs hätte geregelt werden könnten. Seit einiger Zeit nehmen immer mehr Pfandbriefbanken Kundeneinlagen an, so auch die Deut- sche Pfandbriefbank pbb. Bei Pfandbriefbanken sind die potenziellen Kosten für die Einlagensicherung aber er- heblich höher als bei anderen Banken, da Pfandbriefban- ken einen Großteil ihres Vermögens an Pfandbriefgläu- biger abgetreten haben. Vor diesem Hintergrund wäre eine weitreichendere Änderung notwendig gewesen, die dieser Problematik Rechnung tragen würde. Insgesamt halten wir den Gesetzentwurf aber für den richtigen Weg und stimmen ihm zu. Björn Sänger (FDP): Die FDP-Fraktion steht die- sem Gesetzesabschluss positiv gegenüber. Es besteht – mit Blick auf eine effektive Beaufsichtigung der KfW – ein Bedürfnis, rechtsverbindlich und transparent festle- gen zu können, welche bankenaufsichtsrechtliche Stan- dards für die KfW entsprechend gelten. Wir stimmen dem Vorhaben zu, die staatliche Förderbank KfW auch weiterhin nicht unter die geplante europäische Banken- kontrolle fallen zu lassen. Dementsprechend sieht das Gesetzesvorhaben vor, die Bankgeschäfte des von Bund und Ländern getragenen Instituts künftig strenger von der Finanzaufsicht BaFin zusammen mit der Bundes- bank überwachen zu lassen. Wir begrüßen diese klaren Regeln. Bei der geplanten Bankenaufsicht durch die Europäi- sche Zentralbank, EZB, sollen Förderinstitute ausge- nommen werden. Die KfW zählt nicht nur zu den größ- ten Geldhäusern in Deutschland. Mit einem Gewinn von voraussichtlich erneut mehr als 2 Milliarden Euro 2012 ist sie auch an die Spitze der ertragsstärksten Banken Deutschlands gerückt – noch vor der Deutschen Bank. Als öffentliche Förderbank unterliegt die KfW bisher aber trotzdem nicht der normalen Bankenaufsicht. We- sentliche bankrechtliche Regeln setzt die KfW allerdings bereits auf freiwilliger Basis um. Insofern ist es nur vernünftig, dass die KfW ange- sichts von Größe und Komplexität der Geschäfte künftig der BaFin-Aufsicht und teils dem KWG, unterstellt wer- den soll. Wie eine Geschäftsbank wird sie regelmäßig über Eigenmittel und Liquidität an die Finanzaufsicht berichten. Es wird schlichtweg mehr Transparenz ge- schaffen. Auch die Wirtschaft befürchtet bei diesem Gesetz keine Einschränkungen der Fördertätigkeit der KfW. Die BaFin nimmt diese Aufgabe auch bei anderen Förderbanken wahr und ist dafür am besten geeignet. Mit dem Gesetzentwurf soll diese Praxis also erwei- tert, kodifiziert und transparent gemacht werden. Die Regelungen werden damit verbindlich. Zentrale bank- aufsichtsrechtliche Standards des Kreditwesengesetz, KWG werden entsprechend auf die KfW angewendet. Die KfW ist auch in Zukunft kein normales Kreditinsti- tut im Sinne des Kreditwesengesetzes. Die KfW ist jedoch somit systemrelevant. Als solches birgt sie auch Gefahren und Risiken. Die FDP-Fraktion sieht hier eine Möglichkeit, die Risiken jedenfalls teilweise umzuwandeln und die Ge- winne dabei wieder dem eigentlichem Zweck der KfW zu gereichen. Die KfW könne künftig mehr Projekte in der Entwicklungshilfe, beim Straßen- und Netzausbau sowie in der Energiepolitik finanzieren, die der Bund bisher direkt aus seinem Etat bestreitet. Diese Umvertei- lung darf natürlich nicht die Förderfähigkeit der KfW gefährden. Mit dem Instrument der Verordnungsermächtigung wird sichergestellt, dass der Verordnungsgeber die we- sentlichen Aufsichtsvorschriften detailliert und spezi- fisch im Hinblick auf die KfW prüfen und nur solche Regelungen verbindlich für entsprechend anwendbar er- klären kann, die dem gesetzlichen Förderauftrag und dem Fördergeschäft der KfW nicht widersprechen. Zu- dem ist das Instrument der Verordnungsermächtigung geeignet, flexibel auf Veränderungen der bankenauf- sichtsrechtlichen Vorschriften, insbesondere auf europäi- scher Ebene, und auf Veränderungen der deutschen För- derlandschaft zu reagieren. Vor diesem Hintergrund wird in der Rechtsverord- nung geregelt werden, dass zum Beispiel die Eigenmit- telanforderungen, die Mindestanforderungen an das Risikomanagement und die Vorgaben für das Kreditge- schäft von der KfW entsprechend anzuwenden sind. Bei der Auswahl und Anwendung der im Einzelnen gelten- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30497 (A) (C) (D)(B) den Rechtsvorschriften wird der staatliche Förderauftrag und das besondere Geschäftsmodell der KfW Berück- sichtigung finden. Am Gewinnausschüttungsverbot än- dert sich durch das KfW-Änderungsgesetz nichts. Wir können aufgrund der aufgezeigten Aufsichts- maßnahmen und Kontrollmechanismen ein ausgewoge- nes Verhältnis von marktwirtschaftlicher Freiheit und Kontrolle erkennen und können dieses Gesetzesvorha- ben somit befürworten. Der Gesetzentwurf setzt eine Vereinbarung des Koali- tionsvertrages um. Die KfW erhält eine wirksame Auf- sicht, die sachgerecht ausgestaltet ist und auf die Beson- derheiten der KfW Rücksicht nimmt. Der gewählte Verordnungsweg ermöglicht die notwendige Flexibilität bei diesem Vorhaben. Der Gesetzentwurf ist ein weiterer wichtiger Baustein für eine stabile Finanzmarktarchitek- tur in Deutschland. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das Fachge- spräch zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Finanzausschuss war sehr ernüch- ternd. Die Bundesregierung will den Bundestag aus der Regelung der Aufsicht der KfW herausdrängen. Wir stimmen heute über die Änderung des KfW-Gesetzes ab, ohne zu wissen, was eigentlich genau geregelt werden soll. Wir stimmen über eine Gesetzeshülle ab. Das ist eine Beleidigung des Parlaments. Die konkrete Regelung der Aufsicht der KfW soll über den Verordnungsweg erfolgen. Das Finanzministe- rium teilte mit, dass der Verordnungsweg mehr Flexibili- tät bieten würde als ein Gesetz. Flexibilität ist ein scheinheiliges Argument der Bun- desregierung, um den Bundestag bei der Gesetzgebung auszuschalten. Im Fachgespräch wurde über eine Ver- ordnung gesprochen, die keiner kennt. Bis zum heutigen Tag gibt es nicht einmal einen Entwurf einer Verord- nung. Das hat nichts mit Flexibilität zu tun, sondern mit Verantwortungslosigkeit. Wir können allerdings von Glück reden, dass sich die FDP und die Marktradikalen in der CDU/CSU bei die- sem Gesetzentwurf nicht durchgesetzt haben. Für diese Kreise ist die staatliche Förderbank ein rotes Tuch. Für uns ist es eine Bank, die sich positiv von den Zockerban- ken unterscheidet. Die KfW versteht sich mit ihren Pro- grammen als Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen. Ich möchte hier nur den altersgerech- ten Umbau von Wohnungen hervorheben. Als Mitglied des Bundestages und des Verwaltungsra- tes der KfW war ich besorgt, als die Koalition von CDU/ CSU und FDP den Griff in die Kasse der KfW plante. Sie wollte das gesetzlich vorgeschriebene Gewinnaus- schüttungsverbot aufheben. 1 Milliarde Euro wollte die Koalition an Gewinnen abschöpfen, um ihre eigene Haushaltsbilanz aufzupolieren. Offensichtlich konnte dieser Angriff auf die KfW abgewehrt werden. Das ist erfreulich. Der Finanzminister versucht mit diesem Gesetz den Bundestag und den Verwaltungsrat der KfW zu schwä- chen und seinen eigenen Einfluss zu erhöhen. Er will mit Verordnungsermächtigungen die KfW an die kurze Leine nehmen. Der Minister könnte als Vorsitzender des Verwaltungsrates, ohne Rücksprache mit dem Verwal- tungsrat, gegenüber dem KfW-Vorstand den Willen des Verwaltungsrates vertreten. Das ist gefährlich. So kann die öffentlich-rechtliche Bank zum Spielball von politi- schen Interessen werden. Die teilweise Kontrolle durch die BaFin ist sinnvoll, wenn der Verwaltungsrat als Kon- trollgremium einbezogen wird. Das ist bisher nicht gere- gelt. Wir bevorzugen das französische Modell. In Frank- reich muss die Bankenaufsicht bei Problemen mit der Förderbank den Verwaltungsrat der Bank einschalten. Der Verwaltungsrat kann dann die notwendigen Maß- nahmen ergreifen. Das Modell des Finanzministers sieht dagegen den Direkteingriff der BaFin vor. Das wäre eine Entmachtung des Verwaltungsrats. Im Fachgespräch hatte ich die Vertreter der Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht, BaFin, und der Bundesbank ge- fragt, was sie von dem französischen Modell hielten. Sie kannten es nicht einmal. So etwas macht mich fassungs- los. Offensichtlich halten es die BaFin und die Bundes- bank nicht für nötig, ab und zu über den eigenen Garten- zaun zu schauen. Dem Gesetzentwurf sieht man an, dass sich die Koali- tionsparteien nur noch gegenseitig blockieren. Es gibt Regelungsbedarf, doch CDU/CSU und FDP haben daran kein Interesse. Ich nenne nur ein Beispiel. In der FAZ vom 17. März 2013 wird behauptet, dass der Verwal- tungsrat über die Gehälter der KfW-Vorstände entschei- det. Das ist nicht der Fall. Der sehr kleine Präsidialaus- schuss entscheidet darüber. Es ist schon verlogen, wenn die Bundesregierung über die Begrenzung der Manager- gehälter öffentlich debattiert und die Aktionärsversamm- lung über die Gehälter der Vorstände abstimmen lassen will und gleichzeitig bei der staatlichen Förderbank den Verwaltungsrat vor die Tür setzt, wenn es um die Gehäl- ter der KfW-Vorstände geht. Der Gesetzentwurf sieht die Entmachtung des Bun- destages und des Verwaltungsrates der KfW vor, deshalb lehnen wir den Gesetzesantrag der Koalitionsfraktionen ab. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit rund 500 Milliarden Euro Bilanzsumme ist die Kre- ditanstalt für Wiederaufbau die drittgrößte Bank in Deutschland. Damit ist die KfW-Bilanz nahezu doppelt so groß wie ein jährlicher Bundeshaushalt. Doch trotz dieser Größe und Haftungszusagen des Bundes für die KfW-Verbindlichkeiten in dieser gigantischen Höhe un- tersteht sie nicht wie normale Banken der Aufsicht von Bundesbank und BaFin. Auch gelten für sie bislang nicht die Regeln des Kreditwesengesetzes. Vielmehr sind bisher Wirtschafts- und Finanzministe- rium dafür zuständig, auf die KfW aufzupassen. Doch diese Aufsicht ist unzureichend. Darauf haben nicht nur wir Grüne in den letzten Jahren immer wieder hingewie- sen. Auch der Rechnungshof konnte „eine aktive Wahr- nehmung der gesetzlich geregelten Aufsichtsmöglich- 30498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) keiten gegenüber der KfW durch das BMWi nicht nachvollziehen“ und sah Interessenkonflikte beim BMF. Deshalb begrüßen wir es im Grundsatz auch aus- drücklich, die KfW unter die Aufsicht von BaFin und Bundesbank zu stellen und sie endlich dem Kredit- wesengesetz, dem Bankenaufsichtsrecht, zu unter- werfen. Wir können aber nicht nachvollziehen, dass Sie uns bis zum heutigen Tage vorenthalten, welche einzelnen aufsichtsrechtlichen Vorschriften künftig die KfW nach Ihren Vorstellungen erfüllen muss; denn sämtliche De- tails regeln Sie per Rechtsverordnung – also vorbei an Bundestag und Bundesrat. Wollen Sie mit dem vorlie- genden Gesetz also nach außen vor allem Ihren Koali- tionsvertrag „abarbeiten“, sind sich intern aber gar nicht einig darüber, welche konkreten Regelungen nach dem Kreditwesengesetz die KfW künftig überhaupt erfüllen soll? Klar ist jedenfalls: Das eigentlich Interessante und Wichtige, welchen Regeln denn die KfW unterworfen werden soll, steht in dem Gesetz nicht drin. Und wir Parlamentarier haben im Zuge der parlamentarischen Beratung dieses Gesetzes auch nicht einmal einen Ent- wurf der Verordnung, in der die Details geregelt werden sollen, zu Gesicht bekommen. Dass die schwarz-gelbe Koalition für dieses dünne Gesetz dreieinhalb Jahre gebraucht hat, ist eine schwa- che Leistung. Vor allem aber verschiebt sie die Verant- wortung aus dem Bundestag raus und hin zur Regierung. Das können wir Grünen nach den Erfahrungen mit der unzureichenden Beaufsichtigung der KfW durch die Ministerien nicht gutheißen! Wieso überhaupt wird die KfW nicht einer vollum- fänglichen, sondern nur auszugsweisen Aufsicht des KWG unterworfen? Immerhin unterliegen die Landes- förderbanken vollständig dem KWG und der Aufsicht von Bundesbank und BaFin. Warum der KfW hier ein Sonderprivileg eingeräumt werden soll, konnten bisher weder Sie von der Bundesregierung noch der KfW- Vorstandsvorsitzende im Rahmen der Anhörung überzeugend darlegen. Wir Grünen waren immer für das Argument offen, dass es Bereiche der KfW gibt, die sinnvollerweise nicht den normalen bankenaufsichtli- chen Regelungen unterworfen werden sollten, oder dass es einzelne Regelungen im Kreditwesengesetz gibt, die für die KfW nicht passen. Das muss man aber dann im Einzelnen auch überzeugend begründen. Und diese Be- gründung haben Sie nicht geliefert. Auch die Neuregelungen zum Verwaltungsrat sind vor allem fragwürdig und schwächen dieses wichtige Kontrollorgan eher, als dass sie es stärken. So kann der Verwaltungsrat künftig nur noch allgemeine und keine besonderen Weisungen mehr an den Vorstand erlassen. Außerdem werden Sie dem Anspruch Ihres Koalitions- vertrags, die „Verwaltungs- und Aufsichtsstrukturen der KfW deutlich zu straffen“, nicht gerecht. Dazu wäre dann wohl eine Verkleinerung des Verwaltungsrates, der mit fast 40 Mitgliedern völlig überdimensioniert ist, er- forderlich. Warum macht die Koalition denn da gar nichts? Die eigenen Ziele zu erreichen, übersteigt immer wie- der die Kraft dieser Koalition. Der vorliegende Gesetz- entwurf ist ein weiterer Beleg dieses Befundes. Sie lie- fern gerade noch die richtigen Überschriften. Aber die konkreten Inhalte sind – wie schon so oft – schlicht man- gelhaft. Sie nehmen hier ferner in Art. 3 eine Änderung des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgeset- zes vor, mit der – Zitat aus dem Gesetz – „zukünftig die beitragsmindernde Berücksichtigung von Sonderposten für allgemeine Bankrisiken nach § 340 HGB einge- schränkt werden kann“. Hierzu darf ich die Bundesbank aus der Anhörung zitieren: „Für uns ist diese Regelung nicht klar. Von daher können wir auch nicht abschätzen, welche Auswirkungen das hat.“ Wenn also noch nicht einmal die Bundesbank diese Neuregelung nachvollzie- hen und abschätzen kann, ist das aus unserer Sicht sehr bedenklich. Insgesamt lehnen wir Ihren Gesetzentwurf aus den genannten Gründen ab. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Vierten Geset- zes zur Änderung des Energieeinsparungsgeset- zes (Tagesordnungspunkt 24) Franz Obermeier (CDU/CSU): Ich denke, wir ha- ben einen weiteren wichtigen Schritt auf dem guten Weg der Energiewende geschafft. Konkret müssen wir hier die Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie umsetzen. Mich freut, dass es mit dem Energieeinsparungsge- setz gelungen ist, hierbei einen ausgewogenen Ausgleich zu erzielen zwischen notwendiger und vorgegebener Energieeinsparung und den finanziellen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger. Insbesondere liegen die not- wendigen Maßnahmen alle in der Zukunft, sodass aus- reichend Planungszeit und Planungssicherheit beim Kos- teneinsatz besteht. Erstens gibt es keine Verschärfung im Bestand, also keine Nachrüstpflichten. Die Anforderungen bleiben in diesem Punkt auf dem Stand der EnEV 2009. Insbeson- dere wird es nach jetzigem Stand auch keinen zwangs- weisen Heizungsaustausch geben. Zweitens erfolgen die Verbesserungen bei den Effi- zienzstandards für Wohngebäude in zwei moderaten Stu- fen jeweils um 12,5 Prozent – 2014 und 2016 –, bei Nicht-Wohngebäuden um jeweils 15 Prozent. Und drittens entlasten die Maßnahmen langfristig von Energiekosten und wirken weiteren Steigerungen entge- gen. Ein äußerst umstrittener Punkt sind die Nachtspei- cheröfen. Bisher profitieren Nachtstromheizer von einem reduzierten Netzentgelt von 1,5 Cent je Kilo- wattstunde gegenüber Haushaltsstrom: 6,5 Cent je Kilo- wattstunde und einer Sonderkonzessionsumlage von Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30499 (A) (C) (D)(B) 0,1 Cent je Kilowattstunde statt 1,79 Cent je Kilowatt- stunde für den regulären Haushaltsstrom. Diese Privilegierung von Nachtspeicheröfen wurde vom alten Strommarktdesign her gedacht, in dem Grundlastkraftwerke Tag und Nacht durchlaufen. Um eine gleichmäßigere Abnahme auch während der Nacht zu erreichen, reizten unterschiedliche Tag- und Nacht- tarife das nächtliche Speichern von Strom an. Nun steht nach der EU-Richtlinie Energieeinsparung im Vordergrund. Heizen mit Strom, zumal mit alten Nachtspeichergeräten steht da nicht so gut da. Andererseits sind wir im Zuge der parlamentarischen Beratungen wieder bei dem Punkt energiewirtschaftliche Speicherkapazitäten angelangt. Angesichts der Volatili- tät der neuen Energien gibt es hier eine neue Sichtweise. So erprobt RWE derzeit ein neues Steuerungskonzept für Stromspeicherheizungen. Bei viel günstigem Windstrom im Netz wird die Heizung aufgeladen und nimmt Strom ab, wenn wenig Nachfrage besteht. Es gibt derzeit ein laufendes Projekt mit 50 Kunden in Essen. Deshalb wurde das aktuell diskutierte Nachtspeicherheizungs- verbot erst einmal wieder aufgehoben, auch als ein wich- tiges politisches Signal, um technologische Pilotprojekte anzureizen. Das Verbot nach §10 a EnEV 2009 greift ab 2020 und gilt für dann mindestens 30 Jahre alte Anlagen. Es be- trifft große Geschosshäuser mit Nachtstromöfen. Häuser mit ein bis fünf Wohneinheiten sind nicht betroffen, so- dass auch soziale Aspekte berücksichtigt werden. Bis 2020 können Nachtspeicherheizungen weiter eingebaut werden und 30 Jahre laufen, das heißt, dass schon nach geltendem Recht Nachtspeicheröfen bis Ende 2049 lau- fen können. Angesichts der Zunahme des Anteils um- weltfreundlicher erneuerbarer Energien an der Stromer- zeugung ist diese Herangehensweise gut vertretbar. Weitere Änderungen: Ab 2021 müssen Neubauten als Niedrigstenergie- gebäude errichtet werden. Das gilt bereits ab 2019 für Behördengebäude, also Gebäude der öffentlichen Hand, die nicht zu Wohnzwecken dienen. In Verkaufs- und Vermietungsanzeigen wird es Pflicht, den Energiekennwert des Gebäudes gemäß Ener- gieausweis anzugeben. In größeren Läden, Hotels, Kaufhäusern, Restaurants mit starkem Publikumsverkehr muss ein Energieausweis sichtbar ausgehängt werden. Es werden Stichprobenkontrollen auf Baustellen von Neubauten seitens der zuständigen Behörde – Vollzug erfolgt durch die Länder – eingeführt. Ebenso werden ein unabhängiges Stichprobenkontrollsystem für Ener- gieausweise eingeführt sowie Berichte über die Inspek- tion von Klimaanlagen. Alle diese Maßnahmen verschärfen den Blick auf ei- nen schonenden Umgang mit der Ressource Energie und vermeiden schädlichen CO2-Ausstoß. Das ist gut für uns alle. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Die Ener- gieeinsparverordnung geht uns alle an. Denn das, was hinter diesem Begriff „EnEV“ steckt, betrifft sowohl alle Mieter als auch all diejenigen, die in ihrem eigenen Haus wohnen oder als klein- bzw. gewerbsmäßige Vermieter tätig sind. Fakt ist: 40 Prozent des Energiebedarfs brauchen und verbrauchen wir für die Heizung in unseren Wohnungen. Fakt ist auch: Diesen Verbrauch müssen wir bis 2050 um mindestens 80 Prozent senken. Heute debattieren wir im Zusammenhang mit dem Energieeinspargesetz auch die novellierte Energieein- sparverordnung 2012 im Deutschen Bundestag in zwei- ter und dritter Lesung. Hierbei folgte die Bundesregie- rung mit ihrem Entwurf unseren politischen Vorgaben der christlich-liberalen Koalition, wenn es darum geht, die EnEV richtig zu machen. Für uns als christlich-liberale Koalition ist vor allem eines klar: An erster Stelle steht das Wirtschaftlichkeits- gebot. Das, was wir Bauherren und Investoren vorschrei- ben, muss sich in wirtschaftlich vertretbaren Zeiträumen refinanzieren. Genauso wichtig ist es, wenn wir über die Wirtschaft- lichkeit reden, denjenigen, die es umsetzen müssen, ei- nen möglichst breiten Spielraum zu geben. Wir wollen keine Technologien und Techniken vorschreiben. Viel- mehr wollen wir dies den Akteuren vor Ort – je nach re- gionalen und spezifischen Bedingungen – überlassen. Wenn wir heute über die Novelle des Energieeinspar- gesetzes und damit auch über die EnEV 2012 abstim- men, möchte ich daran erinnern, dass wir in kurzer Ab- folge in den letzten Jahren die EnEV 2007 und 2009 auf den Weg gebracht hatten. Ich will damit sagen: Es ist Zeit – und dies ist ein weiterer Grundsatz von uns –, den Akteuren Planungssicherheit zu geben. Die EnEV 2012 soll nach unserem festen Willen für einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren anwendbar bleiben. Die maßvolle Erhöhung der Standards für den Neubau in zwei Stufen von jeweils 12,5 Prozent Einspa- rung des Primärenergiebedarfs bis 2014 bzw. bis 2016 ist der richtige Ansatz. Uns ist klar, dass wir damit in den Grenzbereich der Wirtschaftlichkeit kommen; deswe- gen halten wir auch eine Verschärfung um jeweils 10 Prozent bei der Außendämmung für ausreichend. Wir wollen keine energetische Sanierungspflicht für die Bestandsgebäude haben. Das unterscheidet uns maß- geblich von SPD und Grünen. Einen Sanierungszwang im Bestand halten wir nicht nur für nicht sinnvoll, sondern sogar für kontraproduktiv. Die aus einem solchen Zwang resultierenden Belastun- gen können vor allem die vielen Hauseigentümer mit kleinen Einkommen nicht stemmen. Sie mussten bereits in den letzten Jahrzehnten viel Geld in die Hand neh- men, unter anderem für Wasser- und Abwasserbeiträge oder für Straßenausbaubeiträge. Eine weitere von uns verursachte Zahlungswelle hieße unter Umständen, das eigene Wohneigentum aufgeben. Von daher lautet unser Ansatz: Beratung und Information sowie Förderung frei- 30500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) williger Sanierungsmaßnahmen auch im energetischen Bereich. Darum werden wir dafür sorgen, dass die finanzielle Ausstattung der CO2-Gebäudesanierungsprogramme bis 2014 gesichert bleibt. Zudem haben wir weitere 300 Millionen für die nächsten acht Jahre zusätzlich in diese Programme gespeist. Wenn SPD und Grüne mit ihrem Willen zur Verbesse- rung der Energieeffizienz Ernst machen würden, hätten sie die Abschreibungsmöglichkeiten für die energetische Sanierung nicht blockiert. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen von SPD und Grünen, ich fordere Sie hiermit auf: Setzen Sie das Thema erneut auf die Tagesordnung und folgen Sie den Vorschlägen von CDU/CSU und FDP. Erforderlich geworden ist die Fortschreibung der EnEV, weil wir die EU-Gebäuderichtlinie umsetzen müssen. Das betrifft den Neubaustandard, der ab 2019 für öffentliche Gebäude und ab 2021 für alle anderen Neubauten dem Niedrigstenergiehausstandard der EU entsprechen soll. Energieausweise sollen bei Vermietung und Verkaufs- angeboten vorliegen und beim Abschluss von Verträgen übergeben werden. Energetische Kennwerte sind bei öf- fentlichen Gebäuden und Gebäuden mit öffentlichem Charakter, wie zum Beispiel Kinos und Theatern, im Eingangsbereich auszuhängen. Das ist aus unserer Sicht ein vertretbarer Aufwand und heißt auch bessere Infor- mation für die Bürger. Die Bundesregierung hat bei der Erarbeitung des Ent- wurfs intensiv mit den Bundesländern und den Verbän- den zusammengearbeitet. Unser Ausschuss hat sich in zwei Sitzungen und einer Anhörung intensiv mit dem Thema befasst. Der Bundesrat fordert unter anderem eine umfangreichere Auswertung von Gebäudedaten un- ter strikter Beachtung des Datenschutzes. Das hilft, die Wirkung der EnEV zu dokumentieren, und wird deshalb von uns unterstützt. Wir sollten die Definition des Niedrigstenergiehaus- standards nicht übers Knie brechen, sondern den Markt der Forschung, Entwicklung und praktischen Umsetzung genau beobachten und dann diese Standards festlegen. Doch die öffentliche Hand braucht Planungssicherheit, wenn sie diesen Standard schon 2019 anwenden muss. Deswegen wollen wir der Forderung des Bundesrates folgen und die Definition des Niedrigstenergiegebäudes für Behördengebäude bis Anfang 2017 erarbeiten. Außerdem wollen wir mit den heutigen Beschlüssen das Verbot für elektrische Speicherheizungssysteme aufgeben. Der § 10 a wird ersatzlos gestrichen. Mit den Entscheidungen zur Energiewende im Jahr 2011 wurden erneuerbare Energien und Speicherkapazitäten zu Fun- damenten der Energieversorgung. Neue, intelligente Stromspeicherheizungen leisten dazu einen wichtigen Beitrag, der noch vor fünf Jahren so nicht abzuschätzen war. Zum Schluss noch ein Wort zum Sanierungsfahrplan bis 2050: Diese EnEV ist ein Baustein davon. Sie zeigt den ordnungspolitischen Rahmen für dieses Jahrzehnt auf. Sie formuliert zudem das Ziel des Niedrigstenergie- hausstandards ab dem nächsten Jahrzehnt. Wir werden im Zusammenwirken mit allen Akteuren diesen Sanie- rungsplan weiterentwickeln und als Handlungsempfeh- lung fortschreiben. Dazu gehört auch das zukünftige Zusammenspiel zwischen EnEV und Erneuerbare-Ener- gien-Wärmegesetz. Wir haben mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, dass in der SPD ein Umdenken Raum gegriffen hat. Sie spricht sich in einem ihrer An- träge für die Zusammenführung von EnEV und EEWär- meG in einem Regelwerk aus. Das begrüßen wir. Ebenso unterstützen wir die Ansicht der SPD, die Zuständigkeit dafür im Bundesverkehrsministerium anzusiedeln, da auch nach unserer Ansicht dieses Thema etwas zu tun hat mit Baustoffen, Haustechnik, Bautechnologie, kurz: dem Gebäudesystem in seiner Gesamtheit. Wir werden dieses Thema in den nächsten Monaten wieder auf die Tagesordnung setzen. Nun aber gilt unser Ziel zunächst dem Klima, der Be- lebung der Wirtschaft und der Planungssicherheit für die Bauherren. Deshalb werden wir mit den Änderungen die überarbeitete EnEV zügig verabschieden. Wir bitten die Opposition, dem Gesetzentwurf mit den Änderungen zuzustimmen, damit noch vor dem Sommer der Bundesrat abschließend beraten kann und somit Planungssicherheit für die Akteure am Markt besteht. Das hilft dem Klima, der Wirtschaft und den fleißigen Handwerkern in den Regionen. Michael Groß (SPD): Die Energieeinsparverordnung (EnEV) sowie das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) sollen laut Aussage des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesverkehrsministers ein wesentliches Instrument der Energieeffizienzpolitik der Bundesregie- rung bilden. Da war es in der vergangenen Sitzungswo- che schon ein besonderes „Schmankerl“, dass die schwarz-gelbe Koalition auf Anforderung der FDP- Fraktion den Kabinettsbeschluss des eigenen Wirt- schaftsministers stoppte – ein Kabinettsbeschluss, der wohlgemerkt bereits am 6. Februar öffentlich gemacht wurde. Obwohl der Entwurf der EnEV auf dem Weg zum eu- ropäischen Niedrigstenergiegebäude in gemäßigten Schritten vorangeht, entdeckte die FDP-Fraktion plötz- lich angeblich den Mieterschutz und warnte vor Verteue- rungen im Wohnen. Ein durchaus ungewohntes Bild, welches wesentlich sinnvoller angewandt worden wäre bei der Mietrechtsnovelle, aber leider völlig ausblieb. Hier wäre es deshalb sinnvoll gewesen, weil die Koali- tion die soziale Funktion des Mietrechts erhalten und nicht ausgehöhlt hätte. Jetzt ist es nur noch die Bloßstel- lung des eigenen Ministers. Trotzdem scheinen sich die Koalitionspartner doch noch einig geworden zu sein. Mit der Novelle von EnEV und EnEG sollen die Vor- gaben der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäu- den (2012/31/EU) umgesetzt werden. Viel zu spät han- delt die Bundesregierung. Die EU hat die Umsetzung der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30501 (A) (C) (D)(B) Richtlinien längst angemahnt. Die Bundesregierung ist seit einem Jahr in Verzug. Ausgerechnet „Energiewende- deutschland“ droht nun eine Vertragsstrafe, weil das Re- gierungskabinett der Kanzlerin nicht in der Lage ist, EU- Vorgaben fristgerecht umzusetzen. Mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Energieeinspa- rungsgesetzes werden zum einen die gesetzlichen Er- mächtigungsgrundlagen für die aktuelle EnEV-Novelle und wird zum anderen die grundsätzliche Pflicht zur Errichtung von Neubauten im Niedrigstenergiegebäude- standard mit Wirkung ab 2019 für Behördengebäude und ab 2021 für alle übrigen Neubauten eingeführt. Die klare Definition des Niedrigstenergiestandards wird erst in den kommenden Jahren festgelegt werden. Hier kann ich der Bundesregierung nur raten, den Anträgen der SPD- Bundestagsfraktion sowie den Empfehlungen des Bun- desrates zu folgen und die Frist für die Definition nicht voll auszuschöpfen, um zeitig Planungssicherheit für die Hausbesitzer, Bauwirtschaft und Akteure am Markt zu schaffen. Wir – die SPD-Bundestagsfraktion – begrüßen, dass in der Novelle der EnEV auf Verschärfungen der Stan- dards für die Bestandsgebäude verzichtet wurde. Unlogisch bleibt die Entscheidung für das zweistufige Modell der Anhebung der Effizienzstandards für Neu- bauten in 2014 und 2016 um jeweils 12,5 Prozent. Ich halte dies für Augenwischerei und praxisfern. Welcher Bauherr soll denn 2014 Baustandards realisieren – wohl wissend, dass diese bereits zwei Jahre später veraltet sein werden? Hier hält die SPD-Bundestagsfraktion, ge- nau wie viele Länder, eine einstufige Anhebung der Effi- zienzstandards für ehrlicher und realistischer. Die Aus- einandersetzung im Bundesrat über die Höhe der Anhebung der Energieeffizienzstandards bleibt weiter- hin spannend, da Bayern lediglich eine Anhebung von maximal 15 Prozent fordert, ganz im Gegensatz zu den Vorschlägen des zuständigen Ministers. Ich möchte hier darauf hinweisen, dass die Höhe der Anhebung der Stan- dards gut überlegt sein sollte. Das Ziel ist für 2019 bzw. 2021 festgelegt. Ein zu geringer Ansatz verschiebt die Problematik nur wenig und verschärft nach 2016 die Situation um so mehr. Die Frage des Energieausweises wird leider mit dem heutigen Gesetzesentwurf nicht gut geklärt. Die Rege- lungen nach Bedarf und Verbrauchsausweisen bleiben unangefochten stehen und tragen weiter zur Verwirrung der Verbraucher bei. Die hausgemachte Intransparenz des Systems bleibt bestehen. Wir fordern daher dringend eine Vereinheitlichung der Berechnung der Energieaus- weise. Außer wenigen Fachleuten ist kein Laie wirklich in der Lage, die unterschiedlichen Berechnungen nach- zuvollziehen oder auf Anhieb zu verstehen. Wichtiger wäre es beispielsweise vergleichende Bezugsgrößen ein- zubeziehen. Eine vierköpfige Familie hat sicher einen höheren Energiebedarf als eine zweiköpfige Familie in der gleichen Wohnung; jemand, der ganztägig daheim ist, hat einen anderen Verbrauch als jemand, der zwölf Stunden unterwegs auf Arbeit ist, und so weiter. Ver- ständlich und einfach für den Nutzer ist auch ein Labe- ling – ähnlich der bereits vorhandenen Energielabel. Ers- tens hat dies bereits einen Wiedererkennungswert und ist einfach zu handhaben. Es sollte allerdings nur eine Istzu- standsbeschreibung sein, die einfach und transparent darstellt, welche energetischen Bedingungen jeweils vorliegen. Nicht zu verstehen ist, warum für Altmieter nicht auch ein Energieausweis ausgestellt werden kann. Die Daten müssen bei Neuvermietung sowieso verpflichtend nach der jetzigen Gesetzesgrundlage erhoben und vorge- legt werden. Der Mehraufwand wäre minimal, und für eine einheitliche Verbrauchersystematik ist es unver- ständlich, warum bereits bestehende Mietverhältnisse nicht auch einen solchen Energieausweis erhalten und somit schlechtergestellt werden. Insgesamt bleiben die EnEV und das EnEG ein Bau- stein, aber nicht die alleinige Lösung für die Umsetzung von Energieeffizienz- und Energieeinsparzielen im Ge- bäudebereich. Die vorgeschriebenen Maßnahmen wer- den nur greifen, wenn gleichzeitig der richtige Anreiz und die richtige Unterstützung durch Förderprogramme der Bundesregierung erfolgt. Und hier ist der große Ha- ken. Mit dem Energie- und Klimafonds hat sich Schwarz-Gelb ein Finanzloch gegraben. Die Einnahmen für den Fonds aus dem CO2-Zertifikatehandel gehen massiv zurück, und somit bricht die Finanzierung für das KfW-Förderprogramm der CO2-Gebäudesanierung und des energetischen Bauens zusammen. Die Förderung des Quartiersansatzes der energetischen Stadtsanierung kommt ebenfalls in Bedrängnis. Die wichtigen Klima- schutzziele rücken in weite Ferne. Wir wissen bereits länger, dass sich energetische Sanierung auch langfristig nicht durch die eingesparten Energiekosten amortisiert. Daher sind Anreize dringend notwendig. Ebenso ist es notwendig, dass der Staat gezielt dort mit Förderzu- schüssen ansetzt, wo sonst die energetisch notwendigen Maßnahmen aus rein finanziellen Hinderungsgründen nicht durchgeführt werden können, und dass Härten ab- gefedert werden. Nur so wird eine Umsetzung der Ziele erfolgreich sein. Der ganzheitliche Quartiersansatz – auch im Zusam- menhang mit Barrierefreiheit, sozialer und ausgewo- gener Wohnumfeldgestaltung sowie einer an den demografischen Wandel angepassten Strategie der Stadt- entwicklung – kann durch die EnEV oder das EnEG nicht geleistet werden. Das wird aber auch in keinster Weise von der Bundesregierung bedacht. Hier zeigt sich eine weitere Schwäche der Fortschrei- bung der EnEV: Die EnEV ist mittlerweile derart über- frachtet, dass in der Expertenanhörung im Fachaus- schuss gleich von mehreren Sachverständigen darauf hingewiesen wurde, dass die EnEV in der heutigen Form sogar ungeeignet ist für die Umsetzung der Effizienz- und Einsparziele im Gebäudebereich. Hier muss endlich über den Tellerrand geschaut werden. Die unterschiedli- chen gesetzlichen Grundlagen für die energetische Gebäudebeschaffenheit, wie EnEG und EnEV sowie das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz, EEWärmeG, müssen unter der Federführung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mittelfristig zu- sammengeführt und Möglichkeiten der stärkeren Vernet- 30502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) zung mit dem Ansatz des Energieeffizienten Quartiers gefunden werden. Wer Gebäude saniert, weiß, dass er dies in 20 Jahren oder mehr nur einmal machen wird. Hierbei spielt die Fi- nanzierung, aber natürlich auch die sonstige Belastung eines solchen Vorhabens eine wesentliche Rolle. Daher ist es wichtig, dass Aspekte wie altengerechte Anpassun- gen, Barrierefreiheit mit berücksichtigt und mit der ener- getischen Sanierung kombiniert werden. Dies gilt für den einzelnen Hausbesitzer ebenso wie für die Sanierung ganzer Wohnblöcke. Gerade weil jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, ist ein effektiver Mitteleinsatz geboten ebenso wie ein sinnvolles Ineinandergreifen der Maßnahmen. Wir haben deshalb vorgeschlagen, die Mit- tel für die energetische Stadtsanierung nicht nur aus dem EKF in den Haushalt zurückzuführen und aufzustocken, sondern in die Städtebauförderung zu integrieren. Der Quartiersansatz spielt bereits jetzt eine wesentliche Rolle in den Kommunen (Städten und Gemeinden). Es gilt, die vor Ort geeignetsten Wege zu finden, um Energie spar- sam zu verwenden, effizient einzusetzen und regenerativ ins Quartier zu bringen. Nur durch diesen Dreiklang kann im Gebäudebestand die Energiefrage gelöst wer- den. Ein alleiniges Verschärfen der Standards wird nicht zum Erfolg führen. Leuchtturmprojekte sind nicht nur teuer in der Umsetzung, sondern sind auch meist nicht alltagstauglich. Sebastian Körber (FDP): Die beste Energie ist die, die nicht verbraucht wird. Effizienz und Einsparung von Energie im Gebäudebereich sind daher entscheidende Eckpfeiler in unserem Fahrplan zur Verwirklichung der Energiewende. Auch das vorliegende Energieeinspa- rungsgesetz, EnEG, dient diesem Ziel, denn damit wird die EU-Richtlinie über die Gesamteffizienz von Gebäu- den in deutsches Recht umgesetzt. Durch das EnEG werden die Voraussetzungen ge- schaffen, um die zur Richtlinienumsetzung noch zu re- gelnden Aspekte in die Energieeinsparungsverordnung, EnEV, aufzunehmen. Anlass für die Änderung der EnEV sind – neben der Umsetzung dieser neu gefassten EU-Ge- bäuderichtlinie – auch die Beschlüsse der Bundesregie- rung zum Energiekonzept und zur Energiewende, soweit diese das Energieeinsparrecht für Gebäude betreffen. Darüber hinaus soll ab 2019 die Einführung des Nied- rigstenergiestandards für Gebäudeneubauten, die von Behörden als Eigentümer genutzt werden, beziehungs- weise ab 2021 generell für alle neu zu errichtenden Ge- bäude verankert werden. Die gewählte offene Umsetzung ist eine vernünftige Lösung, um der geänderten EU-Gebäuderichtlinie zu entsprechen. Richtig ist insbesondere der in der Begrün- dung aufgegriffene Ansatz, dass der sehr geringe Ener- giebedarf nicht absolut betrachtet werden darf, sondern auf die jeweilige Gebäudenutzung abzustellen ist. Dies gilt auch für die Auffassung, dass erneuerbare Energien nur so weit möglich eingesetzt werden müssen. Die Änderung des EnEG betrifft insbesondere die Re- gelung von Kontrollmaßnahmen bei Neubauten zur Ein- haltung der EnEV-Anforderungen – beabsichtigt sind ob- ligatorische Stichprobenkontrollen bei Neubauten durch die Länder –, die Einführung eines europarechtlich vor- gegebenen Stichprobenkontrollsystems für Energieaus- weise und Inspektionsberichte über Klimaanlagen, meh- rere ebenfalls europarechtlich bedingte Vorgaben, die das Instrument des Energieausweises stärken, die Vorbild- funktion bei Behördengebäuden schon ab 2017 sowie strikter Datenschutz bei Gebäudedatenauswertung. Die Koalitionsfraktionen haben im Rahmen der Bera- tung auch eine nicht mehr zeitgemäße Regulierung ge- strichen, die aus der Zeit vor der Energiewende stammt. Die Verordnungsermächtigung zur zwangsweisen Au- ßerbetriebsetzung von Nachtspeicherheizungen entfällt. Hausbesitzer können wieder frei entscheiden, wann sie ihre Heizungsanlage austauschen. Damit setzen wir als FDP ein Wahlversprechen um. Keine Frage: Gerade im Gebäudebestand gibt es noch große Potenziale. Hier wird noch viel zu viel Energie verschwendet, und das bedeutet zugleich: Bares Geld wird sprichwörtlich nutzlos aus dem Fenster – und durch die restliche Gebäudehülle – schlecht isolierter Häuser geworfen; übrigens nicht zuletzt begünstigt durch alte Heizungsanlagen und fehlende innovative Gebäudetech- nik, obwohl Deutschland hier Weltmarktführer ist. Ge- rade die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wer- den dadurch überproportional belastet. Ich denke, da sind wir uns einig. Es kommt wie immer auf die Definition neuer Ener- giestandards an – das EnEG ist sicher kein Freibrief für eine überzogene EnEV: Die momentan intensiv im Bun- desrat beratene EnEV-Novelle sieht vor, die energeti- schen Anforderungen für den Neubaubereich um insge- samt 25 Prozent in zwei Stufen bis 2016 zu verschärfen. Ich sehe das in Höhe und Umsetzung für im Grenzbe- reich des wirtschaftlich Zumutbaren und wünsche mir Nachbesserungen. Ich kann mir 15 Prozent in nur einer Stufe vorstellen. Wenn sich die Anforderungen erhöhen, schlägt sich das auf die Mieten nieder, bei Neubauten kann das schnell eine Baukostensteigerung um 5 Prozent oder mehr ausmachen. Gerade für den notwendigen Ge- schosswohnungsneubau in Ballungsräumen entstehen damit ungünstige Rahmenbedingungen, und letztlich droht eine politisch ja wohl kaum gewollte Mietenver- teuerung. Gleichermaßen erschweren diese Kostenstei- gerungen den Wohneigentumserwerb, insbesondere bei Einfamilienhäusern. In der öffentlichen Anhörung des Bauausschusses wurden meine Bedenken durch die Sachverständigen der gesamten Wohnungswirtschaft so- wie des Städtetages bestätigt. Die FDP-Fraktion hat in diesem Zusammenhang – die EnEV steht ja nicht zur Beratung hier im Hause an – deutlich bekundet, dass sie überzogene Anforderung ablehnt. Ich bin zuversichtlich, dass dieses Signal angekommen ist und auch bei den ab- schließenden Beratungen im Bundesrat, bei denen sicher noch einiges bewegt wird, Widerhall findet. Ich fühle mich jedenfalls in meiner Haltung nicht nur durch die Immobilienwirtschaft bestätigt, zumal auch die Bayerische Staatsregierung bereits angekündigt hat, man werde bei der EnEV-Novellierung sehr genau da- rauf achten, unvertretbare Belastungen zu vermeiden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30503 (A) (C) (D)(B) Die Planungen des Bundes, die primärenergetischen An- forderungen um 25 Prozent erhöhen, bewertet der für Woh- nungsbau zuständige Innenminister Joachim Hermann, CSU, mit bemerkenswert deutlichen Worten. Zitat aus einer Pressemitteilung von heute: „Das ist grober Un- fug.“ Also, liebe Kollegen der CSU, ich hätte es freund- licher ausgedrückt, aber die Tendenz teile ich ausdrück- lich! FDP und CSU Hand in Hand – das ist eben auch in dieser Frage gut für den Bund und gut für Bayern! Wir müssen die Menschen bei unseren Entscheidun- gen mitnehmen und dürfen sie nicht überfordern. Denn was wir sicher nicht wollen, ist, dass eine Anhebung der Anforderungen zu einer Verlangsamung der Sanierungs- dynamik führt. Unser Ziel bleibt, dass sich möglichst viele Gebäudeeigentümer freiwillig und ohne Zwang für einen energetischen Standard entscheiden, der besser ist als das Ordnungsrecht. Dafür wird von uns das erfolgrei- che CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit jährlich 1,5 Milliarden Euro Finanzausstattung als Zugpferd der Energiewende intensiviert. Seit Jahresbeginn werden zu- sätzlich für Zuschüsse – insbesondere an selbstnutzende Eigentümer – für acht Jahre jährlich 300 Millionen Euro, insgesamt also 2,4 Milliarden Euro, aus Bundesmitteln bereitgestellt. Die steuerliche Förderung der energeti- schen Sanierung, der „schlafende Riese“ mit riesigen Potenzialen für die Gebäude der 50er-, 60er- und 70er- Jahre, ist ja am rot-grünen Widerspruch im Bundesrat gescheitert! Damit stehen 2013 und 2014 jährlich 1,8 Milliarden Euro allein für diese KfW-Programme für Zinsverbilligungen und direkte Tilgungszuschüsse zur Verfügung. Für die kommende Legislaturperiode wäre es sinn- voll, als Beitrag zu Verständlichkeit, Vereinfachung und insbesondere Entbürokratisierung zu prüfen, wie das ge- bäudebezogene Energierecht vereinfacht, zusammenge- fasst und intelligent weiterentwickelt werden kann. Wir wollen die Förderung der Investitionsbereitschaft auf breiter Basis, Vermeidung von unnötigen Mieterhö- hungen, Planungssicherheit für Investoren und die Er- haltung von Eigentum, denn die Energiewende muss für die Bürger nachvollziehbar und bezahlbar sein. Rot- Grün steht hingegen auch hier für Blockade, Verbote und Mehrbelastungen! Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Den Weg, den die Bundesregierung bei der Energieeffizienzpolitik be- schreitet, konnte man letztens bei der Vorstellung der Dena-Studie gut betrachten, welche die Vor- und Nach- teile von Verpflichtungs- und Anreizsystemen unter- suchte. Der Vertreter des BMWi schloss sich vollinhalt- lich der umstrittenen, von RWE finanzierten Studie an. Deren Ergebnis fällt so aus, dass – wie überraschend – die deutschen Energieeffizienzanreizsysteme die besten der Welt sind, während Verpflichtungssysteme, wie sie etwa in Dänemark existieren, keine Alternative wären. Die wesentlichen Vorteile von Verpflichtungssyste- men, nämlich klare Zielvorgaben, klare Verantwortlich- keit für die Zielerreichung und ein haushaltsunabhängi- ges Budget, um die Ziele zu erreichen, wurden dabei vollkommen ignoriert. Zudem hat die Studie etliche an- dere Fehler, wie ein DENEFF-Papier zum Thema nach- weist. Aber die Bundesregierung scheut Verpflichtungen für Wirtschaft und Hauseigentümer wie der Teufel das Weihwasser. Und genau hier sind wir beim Gebäudebe- stand. Die jährliche Sanierungsquote muss auf 2 bis 3 Prozent verdoppelt werden. Ansonsten sind die Lang- fristklimaschutzziele Deutschlands nicht zu erreichen. Energieeinspargesetz und Energieeinsparverordnung stellen aber auch nach dieser Novelle fast ausschließlich auf den Neubau ab. Bestandssanierungen kann man, muss man aber nicht durchführen. Die KfW-Fördermit- tel für die Gebäudesanierung sind also lediglich ein An- reizsystem – ein wirklicher Sanierungsfahrplan steht in den Sternen. Im Übrigen ist mit dem Anreizen auch bald Schluss. Es herrscht ja Ebbe in den Kassen des Energie- und Klima- fonds, EKF. Auch weil die Bundesregierung Reformen beim EU-Emissionshandel blockiert, sind die CO2-Preise dauerhaft im Keller und damit auch die Auktionserlöse, aus denen sich der EKF speist. Für eine zukunftsweisende Energieeffizienzpolitik – nicht nur im Gebäudebereich – fehlen damit die Mittel. Und die Bundesregierung hat sie sich selbst weggeschossen – bravo! Klar ist: Wir brauchen eine solide Finanzierung. Denn insbesondere bei Sanierungen im Gebäudebestand brin- gen die Sanierungen vielfach weniger Einsparungen an Heizkosten als sie kosten. Zum Schutz der Erdatmo- sphäre gibt es zur Klimasanierung der Häuser dennoch keine Alternative. Die Finanzierungslücke muss also so geschlossen werden, dass unter dem Strich die Warm- mieten nicht steigen. Ansonsten droht eine Verdrängung ärmerer Haushalte. Aus diesem Grund sollte die Förderung des Gebäude- sandes über die drei Säulen KfW-Gebäudesanierungs- programm, steuerliche Förderung und Hilfen über För- derfonds für eine soziale Stadtteilentwicklung von gegenwärtig etwa 1,5 Milliarden Euro auf mindestens 5 Milliarden Euro angehoben werden. Dabei kann der Förderfonds für eine soziale Stadtteilentwicklung Kom- munen dabei unterstützen, in Stadt- oder Ortsteilen mit einem hohen Anteil einkommensschwacher Haushalte spezielle Programme für ein soziales Quartiersmanage- ment und Härtefälle einzurichten. Die Finanzierung und ihre soziale Dimension ist nur eine Seite des Problems. Eine erfolgreiche Klimapolitik im Gebäudebereich braucht zugleich verbindliche Vor- gaben. Für einen sehr interessanten Beitrag zur Debatte hält die Linke hier die Vorschläge der Diskussionsschrift „Strategie für eine wirkungsvolle Sanierung des deut- schen Gebäudebestandes“, welche im Auftrag des Na- turschutzbunds Deutschland, NABU, im Oktober letzten Jahres erstellt wurde. Danach ist seitens der Bundesre- gierung ein verbindlicher Sanierungsfahrplan zu erstel- len, der stufenweise bis 2050 zu erreichende Klima- schutzklassen für Gebäude festschreibt. Das Charmante an diesem Vorschlag ist, dass er nicht auf starrem Ordnungsrecht beruht. Er schafft zwar ver- pflichtende Standards, aber zugleich flexible Rahmenbe- 30504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) dingungen, wie bzw. wann diese zu erreichen sind. So kann vom Stufenplan – also dem Erreichen einer festge- legten Klimaschutzklasse zu einem bestimmten Zeit- punkt – zeitlich abgewichen werden. Wird die Klima- schutzklasse früher erreicht, sind Prämienzahlungen an den Hauseigentümer vorgesehen, während bei einer spä- teren Umsetzung spürbare Maluszahlungen anfallen wür- den. Letztere könnten die vorgenannten Prämien (teil-)fi- nanzieren. Damit wäre Raum geschaffen, energetische Teil- oder Grundsanierungen besser in den „natürlichen Sanierungszyklus“ des jeweiligen Gebäudes zu integrie- ren. Ein solches System halten wir für vorteilhaft, da so besser verhindert werden kann, dass beispielsweise noch funktionstüchtige Fenster oder Türen im Rahmen von energetischen Sanierungen ausgetauscht werden. Dies wiederum dient der Kostensenkung, also Mietern und Vermietern, sowie dem Ressourcenschutz. Allerdings meinen wir – über den NABU-Vorschlag hinausgehend –, dass über solche Flexibilisierungsoptionen nicht unbe- grenzt Sanierungsstufen ausgelassen oder aufgeschoben werden dürften. Die Bundesregierung hat dagegen überhaupt keinen Plan, welche Vorgaben sie Hauseigentümern machen will. Sie ist hier vollkommen fantasielos und lässt die Sache letztlich laufen. Wahrscheinlich weil sie weiß, dass viele Hauseigentümer sich den Ärger sparen wol- len, der mit Sanierungen zwangsläufig verbunden ist. So spart die Koalition dann auch Geld für Zuschüsse. Das passt dann wieder ganz gut damit zusammen, dass die Bundesregierung, wie oben beschrieben, offensichtlich wenig Interesse an stabilen Einnahmen des EKF durch eine Reform des Emissionshandels hat. Hier schließt sich der Kreis: Blockade einer zukunfts- fähigen Klimaschutzpolitik im Gebäudebereich wie bei Energieerzeugungs- und Industrieanlagen. Zahlen dafür werden die einfachen Leute mit langfristig steigenden Heizkosten sowie natürlich die Erdatmosphäre. Auch darum gehört diese Regierung abgewählt. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wir in Sachen Energieeinsparungsgesetz und Ener- gieeinsparverordnung erlebt haben, ist kaum zu glauben. Zunächst kann sich das federführende Haus des Baumi- nisters kaum mit dem BMWi und dem BMU auf einen Entwurf einigen, sodass die Bundesregierung kurz vor einem Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union steht. In der Anhörung im Bauauschuss zum Ge- setzentwurf lobbyiert RWE munter für eine Streichung des § 10 a in der Energieeinsparverordnung mit dem Ziel, dass die alten Asbestschleudern von Nachtspei- cheröfen aus den 1960er-Jahren weiter betrieben werden können. Die Koalition greift das dann auch noch in ei- nem Änderungsantrag entsprechend auf. Anforderungen hinsichtlich Modernisierung der bestehenden höchst in- effizienten Stromspeicheröfen? Fehlanzeige! Noch nicht einmal das haben Sie richtig hinbekommen. Und als Nächstes wurde dann im April die Lesung im Bauauschuss auf Betreiben des Koalitionspartners FDP geschoben. Ursache hierfür ist, dass der FDP die energe- tischen Anforderungen an den Neubau im eigenen Ge- setzentwurf zu weit gehen. Am Ende konnte sie sich aber nicht durchsetzen. Aber das ist in dieser Koalition auch nichts wirklich Neues. Hinzu kommt weiterhin die unsichere Finanzierung der Förderprogramme für die energetische Gebäudesa- nierung über den Energie- und Klimafonds. Der Preis für CO2-Zertifikate liegt aktuell bei knapp 3,50 Euro. Eine Reform des Zertifikatehandels ist also nicht länger auf- schiebbar. Aber eine konservativ-liberale Mehrheit im EU-Parlament hat eine Reform des Zertifikatehandels abgelehnt, die zu einem Anstieg der Zertifikatepreise und somit zu einer Verbesserung der Einnahmeseite des EKF geführt hätte. Herzlichen Glückwunsch zu einem so „klug abgestimmten“ Handeln. Dies macht deutlich, dass die Koalition, aber auch die Parteifreunde in Brüs- sel zu keiner gemeinsamen entschlossenen Haltung fin- den, wie sie die Energiewende im Gebäudebereich vo- ranbringen soll. Wir haben den Gesetzentwurf von Anfang an kriti- siert; denn dieser ist schlicht nicht geeignet, die Energie- wende im Gebäudebereich voranzubringen und den Kli- mawandel auch nur einen Tag zu verzögern. Die Verschärfung des Neubaustandards in zwei Stu- fen im aktuellen Entwurf bietet keinen verlässlichen Rahmen für Bauherren, Bauwirtschaft und Hersteller von Bauprodukten; denn so verbleibt man in der Syste- matik ständiger Änderungen der 2002 eingeführten Ver- ordnung, wie zuletzt 2004, 2007 und 2009. Das ist nicht gerade hilfreich für die beteiligten Marktteilnehmer. Und Sie setzen das auch noch so fort. Darüber hinaus werden die Mieterinnen und Mieter mit der Kostenfalle Heizung alleingelassen. Eine von uns in Auftrag gegebene Studie hat gezeigt, dass im Wärmemarkt allein für 12 Millionen deutsche Haushalte Heizöl mittlerweile zur Preisfalle geworden ist: In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Heizölpreise in Deutschland um über 150 Prozent erhöht. Mit dem vorgelegten Entwurf der Bundesregierung werden also gerade Mieterhaushalte zusätzlich belastet, da die Verbesserung der primärenergetischen Anforde- rungen zu keinerlei Energieeinsparung führt. Damit tra- gen die Mieter zwar die Kosten, haben aber keinen Nut- zen von der energetischen Sanierung. Dies wird nicht zur Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung beitragen. Hinzu kommt, dass erneuerbare Energien auf- grund der Lockerung der Anforderungen an den Wärme- schutz verschwendet werden. Dies ist nicht zielführend im Sinn des Verbraucherschutzes und der Energiewende. Die vorgesehene Erhöhung der Effizienzstandards für Neubauten wird gerade über die Hintertür wieder kas- siert. Das hat fatale Folgen. Denn Neubauten, die heute mit einem Standard gebaut werden, der nicht zielführend ist, müssen – das ist absehbar – aufwendig und teuer sa- niert werden. Die Novelle der Energieeinsparverordnung – EnEV – sollte entsprechend der Ziele im Gebäudebereich mit Blick auf 2020 ausgerichtet werden und schon heute eine langfristige Perspektive für Immobilienbesitzer, Mieter, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30505 (A) (C) (D)(B) Bauwirtschaft und Produktehersteller bieten. So werden Planungs- und Investitionssicherheit hergestellt. Wir streben für den Neubau ab 2019 das 1,5-Liter- Haus an, das pro Quadratmeter und Jahr nicht mehr als 15 kWh für Wärme und Kühlung benötigt. In einem weiteren Schritt wollen wir den Standard Energie-Plus- Haus für alle Neubauten einführen. Bis 2020 streben wir einen Energiestandard für Vollsanierung mit maximal 70 Kilowattstunden Energiebedarf für Wärme und Kühlung pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr an. Bei Instand- setzung oder Modernisierung einzelner Bauteile oder Anlagen sollten diese auf einen anteilig entsprechenden Energiestandard, der sich ab dem Jahr 2020 am 7-Liter- Haus orientiert, verbessert werden. Diese einzelnen Maßnahmen sollten so ausgeführt werden, dass sie in der Summe das 7-Liter-Haus-Niveau erreichen. Wir wollen also keine Zwangssanierung, sondern orientieren uns an immobilienwirtschaftlichen Investitions- und Instand- haltungszyklen: Wenn saniert wird, dann auf einem sinn- vollen und wirtschaftlichen Niveau. Unsere aktuelle Stu- die zeigt: Bei Vollsanierungen sanierungsbedürftiger Gebäude ist dieser Standard heute schon wirtschaftlich, für Vermieter, Mieter und Selbstnutzer. Weiterhin müssen Energieeinsparungsgesetz, Ener- gieeinsparverordnung und Erneuerbare-Energien-Wär- megesetz besser aufeinander abgestimmt und gegebe- nenfalls zusammengeführt werden. Auch ist dringend ein bundesweites Klimaschutzgesetz erforderlich, um ei- nen föderalen Flickenteppich in diesem Bereich zu ver- meiden. Wir Grüne wollen Transparenz herstellen und den Energieverbrauch nachvollziehbar machen. Wir fordern daher die Einführung eines einheitlichen Bedarfsauswei- ses, welcher den Energiebedarf eines Gebäudes unab- hängig vom individuellen Nutzerverhalten darstellt. Um Akzeptanz und Verständlichkeit zu erhöhen, ist die Ein- führung der gängigen Energieeffizienzklassen überle- genswert. Die Vielzahl der Ausweise hat die Marktteilnehmer verunsichert und Ausweichstrategien gefördert. So wird zunehmend, beispielsweise bei Abschluss von Kaufver- trägen über Immobilien, vertraglich vereinbart, dass der gesetzlich vorgeschriebene Energieausweis nicht vorlie- gen muss. Offenbar führt die Vielzahl der Ausweise auf- grund der Komplexität und schweren Nachvollziehbar- keit nicht zu der gewünschten Akzeptanz bei den Verbrauchern. Eine Vereinheitlichung und Überführung hin zu einem bereits bekannten System der Darstellung kann die Akzeptanz bei den Verbrauchern erhöhen. Diese Ausweise sollten einen individuellen Sanie- rungsfahrplan mit konkreten Modernisierungsempfeh- lungen für die Eigentümer enthalten. Mit dieser Dienst- leistung erhalten die Eigentümer Orientierung über mögliche Maßnahmen und ihre Alternativen. Der Aus- weis sollte bei Verkauf und Vermietung verpflichtend vorgelegt werden müssen. Wir Grüne wollen die Förderung stärken und so Vertrauen schaffen. Die Förderkulisse sollte die ver- schiedenen Eigentumsformen wie etwa Selbstnutzer, Kleinvermieter, Wohneigentumsgemeinschaften, Genos- senschaften oder Wohnungswirtschaft stärker berück- sichtigen. Die Förderung sollte vermehrt auf eine Zu- schussförderung abgestellt werden, da zinsverbilligte Darlehen derzeit für viele Haushalte völlig uninteressant sind. Konkret sind die CO2-Gebäudesanierungsprogramme der KfW auf 2 Milliarden Euro aufzustocken und aus dem regulären Bundeshaushalt zu finanzieren. Ergänzend hierzu wollen wir den Aufbau eines echten und verlässlich finanzierten grünen Energiesparfonds in Höhe von drei Milliarden Euro. Dieser fördert Maßnah- men für Wärme- und Stromeffizienz, insbesondere in Haushalten mit geringem Einkommen. Weiterhin treten wir nach wie vor für eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung für Selbstnutzer ein. Diese sollte progressionsunabhängig, sozial gerecht und ökologisch zielführend ausgestaltet sein. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Export von Überwa- chungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratische Proteste unterstützen (Zusatztagesordnungspunkt 6) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Dass Sie, sehr verehrte Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit Ihrem Antrag Gutes beabsichtigen, möchte ich nicht be- zweifeln. Denn wir reden über ein wichtiges Thema. Da- her möchte ich mich bei Ihnen dafür bedanken, dass auch Sie dieses Thema zur Sprache bringen. Wir brau- chen eine öffentliche und politische Debatte über die Zu- kunft von Cybersecurity. In diesem Rahmen müssen wir darüber sprechen, wie wir „Überwachungstechnologie“ weltweit besser regulieren können. Ich freue mich, dass wir auch im Bundestag, nämlich im Unterausschuss für „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung” am 17. April über dieses Thema diskutiert haben. Denn die technischen und politischen Entwicklungen der letzten Jahre stellen uns, aber auch alle anderen Länder vor entscheidende Herausforderun- gen. Und die Dinge müssen zusammenhängend betrach- tet werden. Die transformative Kraft des Internets hat auch einen enormen Einfluss auf Fragen der Menschenrechte, ins- besondere der Meinungsfreiheit. Das Internet hat sich zu einem Synonym für die Veränderungen und Möglichkei- ten der Globalisierung entwickelt. Große Chancen gehen Hand in Hand mit schwerwiegenden Risiken. Beides, die Chancen und die Risiken, haben sich in den politischen Umwälzungen in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens manifestiert: Einerseits haben wir uns über die demokratieför- dernde Wirkung der Neuen Medien gefreut, das muss man auch sagen dürfen. Und andererseits sehen wir, dass 30506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) neue Kommunikationstechnologien, sei es aus Deutsch- land oder anderen Innovationsstandorten, für niedere Zwecke missbraucht werden können. Genau hier müssen wir differenzieren. Denn Überwa- chungssoftware ist nicht per se schlecht. Zu Überwa- chungssoftware zählen Programme, die zur Kommuni- kationsüberwachung geeignet sind. Die Anwendung von Kommunikationstechnologie ist ein legitimes Mittel, von dem Polizei und Nachrichtendienst profitieren, um unseren Rechtsstaat zu schützen. Um es klar zu sagen: Überwachungstechnologie kann dabei helfen, Verbre- chen zu verhindern. Und deshalb ist es gut, dass wir in Deutschland innovative Unternehmen unterstützen, die unsere Softwaretechnologien weiterentwickeln und auch exportieren. Gefährlich wird es in der Tat, wenn diese Überwa- chungstechnologie missbraucht wird zu Zwecken der in- ternen Repression zum Beispiel für die Überwachung und Verfolgung Oppositioneller und von Minderheiten. Undemokratische Staaten dürfen nicht die technischen Mittel bekommen, um ihre Bürger auszuspionieren und zu bedrohen. Dieses Ziel eint uns. Cybersecurity ist daher eine große politische Heraus- forderung auf nationaler und internationaler Ebene. Ei- nes ist sicher: Kein Staat kann den Cyberspace alleine regieren. Daher müssen wir international zusammenar- beiten, um Antworten auf drängende Fragen zu geben, auch in Bezug auf Überwachungstechnologien. Damit keine Missverständnisse entstehen: Die deut- sche exportkontrollpolitische Linie zu Überwachungs- software ist bereits kritisch und strikt einzelfallbezogen, sofern die Güter im Rahmen der bestehenden rechtlichen Regelungen kontrolliert werden können. Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung und der Gemeinsame Standpunkt der EU zur Kontrolle der Ausfuhr von Mili- tärtechnologie sehen vor, dass die Einhaltung von Men- schenrechten im Empfängerland und der mögliche Miss- brauch der zu liefernden Ware geprüft werden. Zudem gibt es im Bereich der sogenannten Dual-Use- Güter – Güter mit doppeltem Verwendungszweck: im zi- vilen und militärischen Bereich – mit der EU-Dual-Use- Verordnung eine Regelung, in der vergleichbare Krite- rien an den Export gestellt werden. Wichtige Parameter, die bei der Bewertung der Aus- fuhrvorhaben bereits gelten und bei sensitiven Empfän- gerstaaten besonders sorgfältig geprüft werden, sind: Nutzungspotenziale der Güter, angegebene Endverwen- dung, Aufgabenprofil des Endverwenders, bestehende gesetzliche Regelungen des Einsatzes von Technologien und mögliche Hinweise auf innere Repression. Der Export von Software muss also in vielen Fällen vorher genehmigt werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Software von der Ausfuhrliste erfasst ist. Wenn beispielsweise eine Werkzeugmaschine aufgrund ihrer technischen Merkmale ausfuhrgenehmigungspflichtig ist, dann ist auch die zugehörige Steuerungssoftware ge- nehmigungspflichtig. Dies gilt dann auch für nachträg- lich gelieferte Softwareanpassungen. Neben den „normalen“ Exportkontrollvorschriften sind Embargos zu beachten. Zum Teil sind Güter im Be- reich der Überwachungssoftware bereits durch EU- Sanktionen erfasst. Dafür hatte sich auch Bundesminis- ter Westerwelle seit 2011 ausgesprochen. Dem wurde im Rahmen der EU-Sanktionen gegen Syrien und Iran be- reits Rechnung getragen. Unser Problem besteht darin, dass Softwareprodukte nicht immer als Dual-Use-Güter gelten oder auf der Aus- fuhrliste stehen und daher oft nicht unter die zu kontrol- lierenden Güter fallen. Es gibt noch keine übergreifende Exportkontrolle für jede Form von Überwachungssoft- ware. Die Bundesregierung arbeitet aktuell daran, den Export von Überwachungssoftware stärker regulieren zu können. Grundsätzlich kann die Ausfuhr von Überwachungs- software in die Länder, in denen Missbrauch vorherzuse- hen ist, nur überwacht werden, wenn diese als zu kon- trollierendes Gut auf Ausfuhrlisten aufgenommen ist. Erst dann besteht die Verpflichtung, vorab eine Ausfuhr- genehmigung zu beantragen. Es wird also an der Erfassung von Überwachungs- software durch exportkontrollpolitische Regime gearbei- tet, ohne dass es bislang bereits ein Ergebnis gäbe – ei- ner Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Im Übrigen sind andere Staaten dabei nicht weiter als wir. Nun kritisieren Sie in Ihrem Antrag, dass die Bundes- regierung trotz anders lautender Absichtserklärungen, nicht tätig geworden sei, um die Exportkontrolle für Gü- ter der Überwachungstechnik zu verschärfen. Diese Be- hauptung zeigt, dass Sie sich nicht gut genug informiert haben, oder aber, dass Sie vor der Bundestagswahl eine Chance wittern, ein emotionales Thema für Ihren Wahl- kampf zu missbrauchen. Und das wäre vor dem Hinter- grund der ernsthaften Thematik sehr schade. Fakt ist: Diese Bundesregierung stellt sich den verän- derten technologischen Rahmenbedingungen und re- agiert angemessen auf sie. Das Motto lautet auch hier: Qualität ist wichtiger als ein Schnellschuss aus der Hüfte. Ich glaube, ich spreche für die gesamte Koalition, wenn ich das Bestreben der Europäischen Kommission, die Effizienz und Wirksamkeit des europäischen Aus- fuhrkontrollsystems für Dual-Use-Güter zu optimieren, ausdrücklich unterstütze. In Ihrem Antrag, verehrte Kollegen von den Grünen, sprechen Sie das Wassenaar Arrangement an. Das Was- senaar Arrangement ist das internationale Exportkon- trollregime für konventionelle Waffen und für relevante Dual-Use-Güter und -technologien. Die in Deutschland geltenden Güterlisten für Dual-Use-Güter werden haupt- sächlich in den internationalen Exportkontrollregimen, wie dem Wassenaar Arrangement, verhandelt und be- schlossen. Deren Umsetzung in unmittelbar geltendes Recht erfolgt durch die Europäische Union (in Anhang I der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009). Ziel des Wassenaar Arrangement ist die Schaffung harmonisierter Exportkontrollen für diese Güter. Gerne teile ich Ihnen mit, dass im Moment Diskussionen im Bereich des Wassenaar Arrangement über die Aufnahme Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30507 (A) (C) (D)(B) bestimmter Güter aus dem Bereich Überwachungssoft- ware in die Kontrolllisten stattfinden, an der die Bundes- regierung sich konstruktiv beteiligt. Im Kontext der EU- Dual-Use-Verordnung gibt es auch Diskussionen über eine „catch all“-Klausel, deren Wirksamkeit allerdings von verschiedener Seite angezweifelt wird. Sicherlich wissen Sie, verehrte Kollegen von den Grünen, auch, dass eine Regelung auf internationaler Ebene – zum Beispiel im Wassenaar Arrangement oder in der EU – ein langwieriges Unterfangen ist. Dies hängt zusammen mit der notwendigen technischen Spezifizie- rung, der Einigung zwischen den Mitgliedstaaten und mit der darauf folgenden Aufnahme in europäische und nationale Ausfuhrlisten. Die Leitlinien des Wassenaar- Abkommens sehen vor, dass die zu kontrollierenden Gü- ter klar, präzise und anhand objektiver Parameter be- schrieben werden sollen. Durch die rasante technische Weiterentwicklung im Bereich der Überwachungssoft- ware ist es sehr schwierig, klar zu bestimmen, welche Überwachungstechnologien auf die Ausfuhrliste gehö- ren und wie diese genau definiert sein sollen. Zudem haben viele Überwachungstechnologien mehrere Funk- tionalitäten und sind auch für den ordnungsgemäßen Betrieb des Telekommunikationsnetzes erforderlich. Technisch präzise Listungen solcher Güter sind daher unverzichtbar, und darüber reden wir gerade. Es muss deswegen mit klaren Begrifflichkeiten argu- mentiert werden (wie im Wassenaar Arrangement vorge- sehen). Ein Beispiel: Der Begriff „digitale Waffen“ für Überwachungssoftware ist plakativ, könnte aber zu einer Verharmlosung der schrecklichen unmittelbar tödlichen Wirkung „echter“ Waffen führen. Wir sollten diese Sa- chen auseinanderhalten. Zudem wird im öffentlichen Raum Überwachungssoftware gelegentlich als Dual- Use-Gut bezeichnet, weil es legale und illegale Nut- zungsmöglichkeiten gebe. Dual-Use-Güter sind aber sol- che, die sowohl im militärischen als auch im zivilen Be- reich genutzt werden. So laut Sie auch schreien: Man kann diese Regelun- gen nicht übers Knie brechen. Solch eine Regelung ist aber bei Einigung der Mitgliedstaaten sehr zielführend. Eine Ausweitung der Kontrollen in diesem Rahmen hätte internationale Kontrollen von Überwachungssoft- ware zur Folge. Beschlüsse des Wassenaar Arrangement würden in EU-Recht umgesetzt und wären damit auch für alle Mitgliedstaaten der EU unmittelbar geltendes Recht. Die Bundesregierung hat mir versichert, sich für eine schnelle Regelung starkzumachen. Sollte eine Verständi- gung auf internationaler Ebene nicht erreicht werden können, wird die Bundesregierung Maßnahmen auf EU- Ebene prüfen. Sie sehen also, die Vorwürfe in dem vor- liegenden Antrag sind völlig unbegründet. Die Diskussion im politischen und öffentlichen Raum zeigt, dass sich das Thema weiterentwickelt und den- noch eine Herausforderung bleiben wird. Parallel zu den laufenden Verhandlungen könnten Hersteller von Über- wachungssoftware auch über eine Selbstverpflichtung nachdenken, die den Export nicht gelisteter Güter in be- stimmte Staaten ausschließt. Sie sehen die Komplexität dieser Fragen und dass sich durchaus etwas bewegt, wenngleich es einen langen Atem braucht. Ich bin überzeugt, dass dieses Thema bei unserer Bundesregierung in guten Händen ist, und lehne den vorliegenden Antrag daher ab. Dennoch freue ich mich über einen regen Austausch. Insbesondere darf diese Debatte sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern muss international geführt werden. Klaus Barthel (SPD): Auch für Krieg und Gewalt bei innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikten muss das Internet, müssen Bits und Bytes immer mehr herhalten. Die Wirkung kann genauso tödlich sein wie „unmittelbares“ Kriegsmaterial. Informations- und Kommunikationstechnologien entziehen sich in beson- derer Weise klassischen und belastbaren Definitionen von „Rüstung“ oder „Waffe“, „Dual-Use“ ist in Fällen zum Beispiel von Software noch schwerer abgrenzbar als bei anderem Kriegsmaterial. Von daher sind auch Einschränkungen und Verbote schwer zu praktizieren und zu kontrollieren. Betroffene Unternehmen weisen mit Recht darauf hin, dass es auch die Falschen treffen könnte. Allerdings gibt es genug Beispiele, bei denen die Zwecke einschlägiger Exporte schon vorher erkennbar sind. Der vorliegende Antrag liefert leider wenige kon- krete und handhabbare Hinweise für Kontrollen und Ver- bote. Heute kann es nur darum gehen, ein Nachdenken über diese Problematik zu befördern. An Berichte, wonach der Export von Panzern nach Saudi-Arabien, Katar und Indonesien in wachsendem Umfang und wiederholt genehmigt wird, musste sich die Öffentlichkeit in Deutschland in den letzten dreieinhalb Regierungsjahren von Schwarz-Gelb leider gewöhnen. Neben materiellen Rüstungsexporten fällt in die Amts- zeit dieser Bundesregierung auch der Export von Späh- software und Überwachungsprogrammen, die massiv Menschenrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit beeinträchtigen können. Im Einzelnen sieht das dann so aus: Deutsche Unter- nehmen schreiben Programme, mit denen E-Mails mit- gelesen, Skype-Gespräche mitgeschnitten oder Benut- zer von Computern direkt abgehört oder sogar gefilmt werden können. Nach Fertigstellung der Software wird sie an interessierte Länder verkauft, und diese setzen sie dann gegen unliebsame Oppositionelle im eigenen Land oder im Ausland ein. Nach einem Bericht des NDR- Medienmagazins ZAPP vom 7. Dezember 2011 wurden mindestens folgende Länder mit Software-Know-how aus Deutschland beliefert: Syrien, Bahrain und Iran. Die Menschenrechtslage in diesen Ländern zeigt ein mehr als besorgniserregendes Bild: Im ansonsten mit Sanktionen belegten Iran werden, gemessen an der Be- völkerungszahl, die meisten Todesurteile weltweit voll- streckt. In Bahrain wurden im Februar und März 2011 Proteste brutal niedergeschlagen. Es gab 35 Tote und Hunderte Verletzte. Das Thema Syrien kann hier nur er- wähnt, aber nicht ernsthaft abgehandelt werden. Und wie reagiert die schwarz-gelbe Bundesregie- rung? Auf die Kleine Anfrage der Grünen, Bundestags- drucksache 17/8052, ob die Bundesregierung aus den 30508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) damals bekannten Entwicklungen des Exports von Über- wachungs- und Zensursoftware Rückschlüsse hinsicht- lich einer Überarbeitung der Exportrichtlinien ziehen wolle, antwortete diese, dass sie nicht plant, die Richtli- nien zu überarbeiten, und dass sich die bestehenden Re- gelungen bewährt hätten. Für die schwarz-gelbe Bundes- regierung hat es sich also bewährt, indirekt autoritäre Regierungen im Kampf gegen Oppositionelle zu unter- stützen. Die Bundesregierung hat nicht nur weggesehen, sondern es wurden auch indirekte finanzielle Hilfen durch Hermesbürgschaften geleistet. Sie räumte ein, „Exportkreditgarantien zur Absicherung von Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Telekommunika- tionstechnik“ übernommen zu haben. Leistet die Bun- desregierung damit einen Beitrag zur Überwachung von Oppositionellen und Demokratiebewegungen? Nicht Kritiker von zweifelhaften undemokratischen Regimen sollten überwacht werden, sondern der Export von Soft- ware, mit der man Menschen ausspähen und/oder über- wachen kann. Darüber hat diese Bundesregierung offen- bar noch nicht einmal nachgedacht. Selbstverständlich können wir auch an Unternehmen appellieren und sie auffordern, keine Spähsoftware zu exportieren. Aber welche praktische Bedeutung hat das dann? Hier ist der Staat gefordert, zu prüfen und even- tuelle Exportverbote auszusprechen, wenn nötig auf Grundlage neuer gesetzlicher Regelungen. Auch wir fordern mit Nachdruck, dass Software, die zur Einschränkung von Demokratie und Menschenrech- ten dienen kann, gegebenenfalls der Rüstungsexportkon- trolle unterworfen und damit genehmigungspflichtig werden soll. Außerdem fordern wir die Auflistung von Exporten von Überwachungs- und Spähsoftware im jährlichen Rüstungsexportbericht. Wie auch im Bereich von bereits aufgelisteten Rüs- tungsgütern hat es die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht geschafft und nicht gewollt, eine verantwortungs- bewusste, transparente und vor allem restriktive Rüs- tungsexportpolitik umzusetzen. Anstatt demokratische Werte zu fördern, schauen CDU/CSU und FDP zu und unterstützen es, dass Panzer, Kriegsschiffe und Überwa- chungssoftware an zwielichtige Regime geliefert wer- den. Auch diese Rüstungsexportpolitik stellt einen wich- tigen Grund für die Notwendigkeit neuer politischer Mehrheiten im Herbst dieses Jahres dar. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Mit dem Antrag möchte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ihrem all- seits bekannten Hobby frönen: der Schaffung neuer Re- striktionen für deutsche und europäische Exportgüter. Das hehre Ziel, die demokratischen Prozesse in Krisenregio- nen zu unterstützen, verfehlt dieser Antrag komplett! So ist einer der Hauptangriffspunkte dieses Antrags, dass die Bundesregierung auf den Stand internationaler Verhandlungen verweise und nicht pro-aktiv genug handle. Nationale Alleingänge sind bei diesem Thema allerdings fehl am Platz. Wir stehen zu unseren interna- tionalen Verpflichtungen und Verträgen, wir stehen zu unseren Verbündeten und befreundeten Nationen in Eu- ropa und in der Welt! Die Bundesregierung hat sich aktiv für die Kontrolle von Überwachungstechnik in den Sanktionen gegen Iran und Syrien eingesetzt. Mit diesen Sanktionen ist es uns gelungen, den Export von Ausrüstung, Technologie und Software zur Überwachung des Internets und des Tele- fonverkehrs nach Syrien und Iran ohne vorherige Geneh- migung mit Inkrafttreten der Syrien-Embargo-Verord- nung (EU) Nr. 36/2012 am 19. Januar 2012 und der Iran- Embargo-Verordnung (EU) Nr. 264/201 2 am 24. März 2012 zu verbieten. Die bestehenden Regelungen der Ausfuhrliste zu Rüstungsgütern oder Dual-use-Gütern aus Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 (Dual-Use-Verordnung) werden strikt angewendet. Auch bei der Einzelfallprü- fung gilt der gemeinsame Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union und wird auch für den Export von Dual-Use-Gütern angewendet. Ausfuhrge- nehmigungen werden beim hinreichenden Verdacht des Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsver- letzungen grundsätzlich nicht erteilt. Ein Export ohne vorherige Genehmigung ist streng verboten. Die Bundesregierung wirkt erfolgreich auf multilate- raler Ebene an den relevanten, internationalen Verhand- lungen mit und stimmt sich regelmäßig und sehr erfolg- reich mit den internationalen Partnern zu weiteren Möglichkeiten der Exportkontrolle von Überwachungs- technik ab. Eine Ausweitung der Kontrollen des Was- senaar Arrangements in dem von den Grünen geforder- ten Rahmen hätte dagegen internationale Kontrollen unbekannten und unpraktikablen Ausmaßes zur Folge. Ein weiterer unbegründeter Vorwurf der Grünen ist, dass der damalige Bundeswirtschaftsminister Brüderle 2011 Verschärfungen der Kontrolle von Dual-Use-Gü- tern verhindert habe. Dabei ging es damals weder um die Ausweitung von Exportkontrollen noch um Überwa- chungstechnologie. Richtig ist vielmehr, dass das Euro- päische Parlament damals Verfahrenserleichterungen für die Ausfuhr bestimmter genehmigungspflichtiger Güter für unkritische Zwecke an einen begrenzten Länderkreis verabschiedet hat. Die dort verabschiedeten EU-Allge- meingenehmigungen betreffen indes keine Güter der Überwachungstechnik. Auch in der Stellungnahme zu dem entsprechenden Grünbuch der EU-Kommission im Oktober 2011 hat die Bundesregierung das Bestreben der Europäischen Kommission begrüßt, die Effizienz und Wirksamkeit des europäischen Ausfuhrkontrollsys- tems für Dual-Use-Güter zu optimieren. Denn wir unter- stützen grundsätzlich weitergehende Harmonisierungs- bestrebungen. Natürlich unterliegen die Exportkreditgarantien des Bundes wie auch die anderen staatlichen Kreditversiche- rungen der OECD-Länder umfangreichen internationa- len Regeln wie dem OECD-Konsensus und den Leitli- nien zum Umgang mit Umwelt- und Sozialaspekten. Diese sind bei der Vergabe zu berücksichtigen. Wir lehnen daher den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen ab. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30509 (A) (C) (D)(B) Andrej Hunko (DIE LINKE): Ich freue mich, dass sich auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen Ausfuhren neuer Technologien an autoritäre Regimes stellt. Nicht nur die Revolten in Nordafrika haben deut- lich gemacht, in welchem Umfang Behörden von digita- len Schnüffelwerkzeugen Gebrauch machen. Auch in Deutschland werden Mobiltelefone und private Rechner mit entsprechender Soft- und Hardware ausgeforscht. Wir haben uns immer wieder dafür eingesetzt, die in Rede stehende Technologie einer strikten Exportkon- trolle zu unterwerfen. Dabei geht es unseres Erachtens aber nicht nur um Trojaner oder Software zum Durch- leuchten von Datenpaketen, um damit die Kommunika- tion von Oppositionellen oder ihrer Computer zu über- wachen. Die Liste jener Dual-Use-Güter, für deren Export es einer Genehmigung bedarf, müsste deutlich erweitert werden. Hierzu gehören Anwendungen zur Versendung einer „Stillen SMS“ oder die sogenannten IMSI-Catcher und WLAN-Catcher, um Mobiltelefone zu lokalisieren und die Kommunikation der Besitzerinnen und Besitzer abzuhören. Auch die sogenannte Funkzellenauswertung gehört immer mehr zum Standard. Die beschriebenen Kommunikationsvorgänge laufen in „Monitoring Cen- tres“ zusammen, wie sie etwa Siemens, Nokia und nun die Firma Trovicor in arabische Länder exportiert. Angesichts der Vorverlagerung von Strafverfolgung zähle ich auch die zunehmende Nutzung von Data-Mi- ning-Software zu jenen Technologien, die – etwa im Na- men eines „Kampfes gegen Terrorismus“ – gegen miss- liebige Aktivitäten eingesetzt werden. Hersteller von Data-Mining-Programmen versprechen, über eine „vo- rausschauende Analyse“ Kriminalitätsmuster erkennen und dadurch Straftaten vorhersehen zu können. Was die- ser algorithmusgestützte Machbarkeitswahn für Bürger- und Menschenrechte nicht nur unter autoritären Regie- rungen bedeutet, lässt sich heute noch gar nicht ermes- sen. Erst zähe Nachfragen haben enthüllt, dass Polizeibe- hörden des Bundes zahlreiche ausländische Behörden in der Anwendung der Spionagewerkzeuge beraten: so ge- schehen etwa in Belarus oder in Kirgistan. Zur Verkaufs- förderung von Trojanersoftware hatte das Bundeskrimi- nalamt mit den deutschen Herstellern ein informelles Netzwerk eingerichtet, das in mehreren Ländern regel- rechte Tupperpartys zum „Informationsaustausch“ orga- nisierte. In Ländern des arabischen Frühlings führt das Bun- deskriminalamt Schulungen zur „Open Source Internet- auswertung“ durch – entsprechende Lehrgänge fanden sogar noch unter den damaligen Machthabern statt. Durch die Analyse sozialer Netzwerke im Internet, in öf- fentlichen Blogs und Chaträumen wird so nach Auffäl- ligkeiten, Interessen von Gruppen, Trends oder anderen Aussagen über Beziehungen zwischen Personen und Vorgängen gesucht. Mit entsprechenden Maßnahmen wenige Wochen vor Ausbruch der Revolutionen in Tu- nesien und Ägypten ist die Bundesregierung mitverant- wortlich für Verhaftung, Folter und Tod von Netzaktivis- ten. Ich glaube also nicht, dass sich die gegenwärtige Bun- desregierung für Exportbeschränkungen einsetzen wird. Denn der Markt für Überwachungstechnologie verzeich- net hohe Wachstumsraten. Alle Zeichen stehen darauf, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen den FDP- geführten Ministerien für Außen- und Wirtschaftspolitik zuungunsten der Menschenrechte ausgehen. Denn einerseits stellte Außenminister Westerwelle im Herbst auf der Konferenz „The Internet and Human Rights: Building a free, open and secure Internet“ in Aus- sicht, Deutschland würde sich für Exportbeschränkungen digitaler Ermittlungswerkzeuge einsetzen. Wenige Tage später richtete das Bundeswirtschaftsministerium in Düs- seldorf eine Verkaufsveranstaltung des Golfkoopera- tionsrats aus, in der es ausdrücklich um Überwachungs- technologie ging. Regierungs- und Industrievertreter aus der Bundesrepublik trafen sich dort mit Kolleginnen und Kollegen aus Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Ara- bien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht in die richtige Richtung, enthält allerdings den Vorschlag zu weiteren „einzelfallbezogen Länderembargos“. Ich halte dies aber nicht für zielführend: Denn Ausfuhrbe- schränkungen von Überwachungstechnologie laufen ins Leere, wenn über betroffene Länder von den zuständigen Ministerien nach politischem Gutdünken entschieden wird. Der Forderung nach Entwicklung und Verbreitung von Techniken, die eine Umgehung staatlicher Überwa- chungs- und Zensurbestrebungen zum Ziel haben, stimme ich hingegen vorbehaltlos zu. Die Bundesregierung muss sich in internationalen Gremien, vor allem auf Ebene der Europäischen Union, für den Abbau der digitalen Überwachung einsetzen. Das langfristige Ziel einer Ächtung der beschriebenen Spionagesoftware sollte dabei im Vordergrund stehen. Denn die Spähwerkzeuge werden weltweit gegen poli- tisch unliebsame Bewegungen genutzt – in Teheran ge- nauso wie in Dresden, Minsk, Tunis und Riad. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der arabische Frühling hat einmal mehr bewie- sen, welch demokratisches Potenzial Internet und neue Medien heute bieten. Ganze Protestbewegungen entste- hen online, Demonstrationen werden über soziale Netz- werke organisiert, und die Blogosphäre entwickelt sich zum Sprachrohr von denjenigen, die sonst nicht zu Wort kommen, obwohl ihre Stimmen für demokratische Pro- zesse wichtig sind. Nicht ganz ohne Grund also fürchten sich hochgerüstete Diktaturen vor Twitter-Nachrichten und begreifen YouTube oder Facebook als Gefahr für ihr Regime. Das zeigt: Die zunehmende Vernetzung demo- kratischer und oppositioneller Proteste mithilfe der neuen Medien hat ein enormes Potenzial für die Demo- kratisierung von nichtdemokratischen Staaten. Doch die zunehmende Vernetzung unserer Welt birgt auch erhebliche Gefahren. Das wissen wir nicht erst seit- dem wir über zahlreiche große Daten- und Überwa- chungsskandale in verschiedenen deutschen Unterneh- men sprechen. Wir wissen es nicht erst seitdem wir über die Möglichkeit der Auswertung von Daten, die im Zuge 30510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) die Vorratsdatenspeicherung gesammelt wurden, disku- tieren. Und wir wissen es nicht erst seitdem die Praxis der massenhaften Funkzellenabfragen bei Demonstratio- nen und in anderen Zusammenhängen bekannt wurde. Spätestens aber seitdem der Chaos Computer Club den sogenannten Staatstrojaner zur heimlichen „Online- durchsuchung“ untersucht und herausgefunden hat, dass dessen potenzielle, im Quellcode versteckten Funktio- nen offenbar mit verfassungsrechtlichen Vorgaben kaum in Einklang zu bringen sind, wissen wir um die Gefahren einer durch zunehmende Vernetzung möglichen umfas- senden Überwachung unserer Kommunikation. Genau aus dem Grund wollen wir das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln. Nicht ohne Grund gelingt es dem BKA trotz größter Mühen bis heute nicht, einen verfassungskonformen Staatstrojaner herzustellen. Das zeigt: Wir bewegen uns hier in einem verfassungsrechtlich hochsensiblen Be- reich. Das zeigt aber auch: Wir haben es in ebendiesem Bereich viel zu lange privaten Firmen überlassen, die Verfassungskonformität der entsprechenden Programme sicherzustellen. Wir haben outgesourct, wo man nicht outsourcen darf. Dass das BKA noch immer auf die Pro- dukte der einschlägigen Firmen zurückgreift, halten wir daher für grundlegend falsch. Heute wissen wir, welchen Zweck die sogenannte Nachladefunktion des Staatstrojaners hatte, dessen Quellcode den Behörden vor dem Hack des CCC schlicht unbekannt war: Die mit öffentlichen Mitteln er- stellten Programme wurden an zahlreiche Staaten dieser Welt weitergeliefert, auch an solche, die es oftmals lei- der mit der Einhaltung von Menschenrechtsstandards nicht so genau nehmen, bzw. solche, die völlig offen die Menschenrechte mit Füßen treten. So spürten Geheim- dienste in Ländern wie Iran, Syrien oder Bahrain mithilfe deutscher Technik politische Gegner auf. Unbe- merkt zeichneten Programme Telefongespräche mit, werteten Chatprotokolle und SMS aus, kopierten Pass- wörter und beobachteten in sogenannten Monitoring- Centern das Zusammentreffen von Zielpersonen. De- monstrationen konnten so zielgerichtet aufgelöst und Oppositionelle festgenommen werden. Nicht selten kam es in der Folge zu Folter, unfairen Gerichtsverfahren oder Hinrichtungen. Nach dem Fall zahlreicher Regime haben wir Gewiss- heit darüber, was vorher nur gemutmaßt werden konnte: In zahlreichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas wurden Programme deutscher und europäischer Firmen eingesetzt, um die eigene Bevölke- rung zu überwachen, auszuspähen und Oppositioneller habhaft zu werden. Deutsche Unternehmen spielen auf dem Markt der Überwachungs- und Zensurtechnik heute eine herausgehobene Rolle. Die Entwicklungen der letz- ten Jahre und die intensive Debatte über die Rolle der neuen Medien in den Demokratiebewegungen verschie- dener Länder haben auch den Fokus auf diejenigen ge- richtet, die durch ihre Technik dazu beitragen, dass de- mokratischer und oppositioneller Protest häufig verstummte. Diese Diskussionen haben aber eben auch gezeigt, dass erhebliche Defizite bezüglich der Kontrolle des Exports entsprechender Technologie und Software auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene bestehen. Als Grüne machen wir die Bundesregierung seit lan- gem auf diesen Umstand aufmerksam. Wir fordern, nicht nur den Einsatz entsprechender Programme in Deutsch- land solange auszusetzen, bis einwandfrei nachgewiesen werden konnte, dass verfassungsrechtliche Vorgaben auch eingehalten werden können. Zudem fordern wir die schwarz-gelbe Bundesregierung seit mehreren Jahren auf, dafür zu sorgen, dass deutsche Technik nicht länger einen entscheidenden Beitrag zu massiven Menschen- rechtsverletzungen weltweit leistet. Wir haben Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, im- mer und immer wieder aufgefordert, nicht länger die Augen vor diesen höchst fragwürdigen Geschäften zu verschließen, sondern sich stattdessen für eine Effekti- vierung der Exportbestimmungen einzusetzen. Gesche- hen ist nichts. Auch durch unsere wiederholten parlamentarischen Nachfragen wurde vielmehr deutlich, dass Sie hier ein wirklich perfides doppeltes Spiel spielen. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben mit Hinweis auf entsprechende Formulierungen des schwarz-gelben Koalitionsvertrags, nach dem das Internet „das freiheit- lichste und effizienteste Informations- und Kommunika- tionsforum der Welt“ ist und „maßgeblich zur Entwick- lung einer globalen Gemeinschaft“ beiträgt, in der Vergangenheit wiederholt das demokratische Potenzial der neuen Medien im Allgemeinen und des Internets im Speziellen gelobt. So wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zuge der Münchner Sicherheitskonferenz 2011 mit folgenden Worten zitiert: „Und dass man Face- book und Twitter überall auf der Welt hat, dass es zuneh- mend schwer wird, das zu sperren, ob es in China ist, in Ägypten, in Tunesien oder sonst wo auf der Welt, das ist auch ein kleines bisschen unser Verdienst.“ Während sich führende Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung erdreisten, die demokratisierende Wirkung der neuen Medien als ihr ureigenes Verdienst zu verkaufen, macht das innerhalb der Bundesregierung federführende Ministerium bislang alles, um entspre- chende Exporte weiter zu unterstützen und eine Begren- zung des Exports zu verhindern. Während Sonntags- reden über die demokratisierende Wirkung von sozialen Netzwerken, Twitter und Co geschwungen werden, drückt man bei CDU/CSU und FDP seit Jahren nicht nur beide Augen zu, wenn es darum geht, dass deutsche Technik demokratischen und oppositionellen Protest verstummen lässt und man so mithilft, Regimekritiker in Folterkellern verschwinden zu lassen. Man hilft diesen Unternehmen sogar dabei, ihre Technik an den Despoten zu bringen. Durch die Gewährung von Hermesbürg- schaften, durch die Unterstützung bei Reisen und Auf- tritten bei einschlägigen Messen, durch das Drucken von Flyern, in denen diese „Ziviltechnik“ gelobt wird, durch Schulungen von Personal im Umgang mit entsprechen- den Technologien, aber auch dadurch, dass man, wenn eine Effektivierung der Exportbestimmungen auf EU- Ebene auf der politischen Agenda steht, entsprechende Briefe an die deutschen Liberalen versendet, um sie mit Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30511 (A) (C) (D)(B) Hinweis auf hierdurch für deutsche Unternehmen entste- hende bürokratische Hürden davon zu überzeugen, an- ders als die Liberalen zahlreicher anderer Länder Euro- pas, bitte gegen eine Effektivierung zu stimmen. Während FDP-Bundesaußenminister Westerwelle bei einer am Ende letzten Jahres durchgeführten internatio- nalen Konferenz zu „Internet-Freedom“, übrigens wis- send, dass er innerhalb der Bundesregierung gar nicht zuständig ist, noch eine verbesserte Regulierung entspre- chender Exporte in Aussicht stellte und sich mit den Worten zitieren ließ, man dürfe „diesen Regimes nicht die technischen Mittel geben, ihre Bevölkerung zu über- wachen“, sieht das federführende Bundeswirtschafts- ministerium das noch immer ganz anders. Auf meine entsprechende Nachfrage an die Bundesregierung, wie eine vom Bundesaußenminister in Aussicht gestellte Kontrolle entsprechender Exporte durch deutsche Unter- nehmen denn konkret aussehen soll, antwortet das Bun- deswirtschaftsministerium vollkommen nichtssagend und verweist auf Diskussionen zu einer möglichen Aus- weitung des Kontrollregimes auf internationaler Ebene im Rahmen des Wassenaar-Arrangements. So sieht also die „verantwortungsbewusste Export- kontrolle“ aus, von der Sie bis heute schwadronieren. Sie suggerieren, sich für die Freiheit des Netzes einzusetzen, und in Wirklichkeit ermöglichen Sie – zumindest indi- rekt – Verfolgung und Folter „made in Germany“. Vor Ihrer Verantwortung für eine freies und offenes Netz und einem grundlegenden Schutz der Menschenrechte drü- cken Sie sich. Ihnen ist der Profit eines einzigen Wirt- schaftszweigs bis heute wichtiger als der Schutz der Menschenrechte von Tausenden Aktivistinnen und Akti- visten weltweit. Das ist schäbig. Leider sind weder der vollmundigen Ankündigung des Bundeswirtschaftsministers noch denen aus Reihen der CSU-Fraktion, eine Gesetzesänderung, die „einen demokratiefeindlichen Missbrauch von moderner Über- wachungstechnik verhindert“, vorzulegen, aber auch der Vertreter der FDP-Fraktion, die eine „Klarstellung im Kriegswaffenkontrollgesetz“, mit der verhindert werden soll, dass „Regierungen, die menschenrechtswidrig han- deln“, einen „Zugang zu solcher Software erhalten“, in Aussicht stellten, bis heute irgendwelche Taten gefolgt. Weil Sie scheinbar weder willens noch in der Lage sind, endlich den Export dieser digitalen Waffen, die heute ähnlich gefährlich wie ein Kampfpanzer sind, ef- fektiv einzudämmen, aber auch, um Ihnen die Chance zu geben, Ihren hehren Worten doch noch am Ende dieser Legislatur tatsächlich Taten folgen zu lassen, haben wir nun unseren lange angekündigten Antrag mit dem Titel „Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratischen Protest unterstützen“ vorgelegt. In unserem Antrag machen wir Ihnen verschiedene Vorschläge, wie eine Effektivierung konkret aussehen könnte. Wir fordern Sie auf, sofort alle Möglichkeiten zu nutzen, um den Export von entsprechender Technologie und Software auf nationaler Ebene zu regulieren und in autoritäre Staaten zu unterbinden sowie, sollte dies not- wendig sein, dem Bundestag hierzu eine entsprechende Gesetzesinitiative vorzulegen. Darüber hinaus fordern wir Sie auf, auch auf europäi- scher Ebene dafür zu sorgen, dass entsprechende Techno- logie und Software entweder in die Dual-Use-Liste aufge- nommen wird oder dass ein dem bisherigen Dual-Use- Regime entsprechender Kontrollmechanismus eingerich- tet wird. Da wir wissen, dass dies eine gewisse Zeit in An- spruch nimmt, empfehlen wir Ihnen, sich bis zur Umset- zung dieser Maßnahmen für mehr Einzelembargos gegen Länder einzusetzen, bei denen Defizite im Rechtsstaat- lichkeits- oder Menschrechtsbereich bestehen. Diese Länderembargos, die es unter anderem für Iran und Syrien heute schon gibt, dürfen jedoch nur eine Über- gangslösung sein. Daher fordern wir Sie noch einmal dazu auf, sich auch im Rahmen der Verhandlungen um eine Neuauflage des Wassenaar-Abkommens tatsächlich dafür einzusetzen, dass Technologien und Software, die zur in- ternen Überwachung und Zensur genutzt werden können, künftig als „digitale Rüstungsgüter“ erfasst werden und der Handel mit ihnen so effektiv reguliert wird. Ferner erwarten wir von Ihnen, die Entwicklung von Überwachungs- und Zensursoftware durch private Unternehmen nicht länger mit öffentlichen Geldern zu fördern und zu gewährleisten, dass keine Hermesbürg- schaften für entsprechende Exporte mehr übernommen werden. Statt den Handel mit Technologien zu beför- dern, die lediglich das Ziel haben, Menschen zu über- wachen und auszuforschen, um sie anschließend Repres- sionen auszusetzen, fordern wir Sie auf, sich auf europäischer und internationaler Ebene verstärkt für den freien und ungehinderten Zugang zum Internet einzuset- zen, um so das demokratische Potenzial der neuen Medien für Demokratie und Rechtstaatlichkeit tatsäch- lich bestmöglich nutzbar zu machen. Hierfür ist es von elementarer Bedeutung, auch die Entwicklung und die Verbreitung von Techniken, die eine Umgehung staatli- cher Überwachungs- und Zensurbestrebungen ermögli- chen und so Menschen, die demokratischen und opposi- tionellen Protest zum Ausdruck bringen, vor staatlicher Verfolgung schützen, stärker zu unterstützen. Zu guter Letzt fordern wir Sie auf, dem Bundestag halbjährlich über Ihre bisherigen Tätigkeiten einen Bericht vorzulegen. Vor dem Hintergrund entsprechen- der – interfraktionell verabschiedeter – Handlungsemp- fehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digi- tale Gesellschaft“, aber auch vor dem Hintergrund deutlicher Aussagen sowohl von Vertretern der Bundes- regierung als auch der Koalitionsfraktionen dieses Hohen Hauses werden wir uns die heutigen Debattenbei- träge ganz genau anschauen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bologna-Reform – Positive Entwicklungen stützen, Fehler korri- gieren und Verbesserungen durchsetzen (Zu- satztagesordnungspunkt 7) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wir debattieren heute einen Antrag der SPD mit dem Titel „Bologna-Re- form: Positive Entwicklungen stützen, Fehler korrigie- 30512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) ren und Verbesserungen durchsetzen“. Viele der Forde- rungen haben mit dem Bologna-Prozess allerdings wenig oder gar nichts zu tun; andere sind alte Evergreens der SPD, die kurz vor der Bundestagswahl noch einmal aufgewärmt werden. So kennen wir die Forderungen nach einem „Hochschulsozialpakt“ aus der Plenar- debatte vom 9. Februar 2012. Der „Hochschulpakt Plus“ war bereits am 20. Oktober 2011 Thema. Lassen Sie mich eingangs festhalten, dass wir bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses auf einem sehr guten Weg sind. Die Umstellung auf eine gestufte Studien- gangstruktur verläuft sehr erfolgreich. An Universitäten führen heute 85 Prozent der Studiengänge zu einem Bachelor- oder Masterabschluss; an Fachhochschulen sind es sogar 97 Prozent. Absolventen haben sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt; die Akzeptanz für die neuen Studienabschlüsse – insbesondere auch für den Bachelor – steigt. Es stehen ausreichend Masterstudien- plätze für Bachelorabsolventen zur Verfügung. Die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland ist 2009 auf 115 500 gestiegen. Das sind mehr als doppelt so viele wie 1999. Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, da die Hochschulen während der Umsetzung des Bologna- Prozesses enorme Zuwächse bei den Studierendenzahlen verkraften müssen. Zu Beginn des Bologna-Prozesses im Jahr 1998 waren 272 000 Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Heute sind es ungefähr doppelt so viele. Einige dieser Erfolge erkennen Sie in Ihrem Antrag – nicht zuletzt in der Überschrift – ausdrücklich an. Den- noch gehen unsere Auffassungen zu den Auswirkungen des Bologna-Prozesses gleich auf der ersten Seite Ihres Antrags auseinander. Sie sind der Auffassung, dass die schlechte Umsetzung des Bologna-Prozesses „zur Redu- zierung von selbstbestimmten kritischen Anteilen im Studium, zur Gefährdung der Einheit von Forschung und Lehre und zur Verengung auf eine Fachlichkeit ohne in- terdisziplinäre Bezüge und Einbettung in umfassende theoretische Kontexte geführt hat.“ Ich sehe die Entwicklung deutlich positiver. Nach meiner Überzeugung hat die Einführung abgestufter Stu- diengänge in erster Linie zu einem spürbar besser struk- turierten Studienverlauf geführt. Das gilt für die Sozial- wissenschaften in besonderem Maße. Auch wird die Einheit von Forschung und Lehre durch den Bologna- Prozess nicht gefährdet; vielmehr führt ein stärkerer Pra- xisbezug in vielen Studiengängen zu spürbar besserer Vorbereitung auf das spätere Berufsleben. Bei der Beurteilung der Studienabbrecherquoten zeichnen Sie in Ihrem Antrag ein Zerrbild der Realität. Richtig ist, dass die Quoten in den ersten Jahren nach der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen we- gen Übergangs- und Anpassungsproblemen angestiegen sind. Zur Wahrheit gehört aber auch: An Fachhochschu- len hat sich die Quote der Studienabbrecher nach der Einführung von Bachelor und Master zwischen 2006 und 2010 von 39 Prozent auf 19 Prozent halbiert. Dies geht aus einer HIS-Studie vom 7. Mai 2012 hervor, auf die Sie sich offenbar auch berufen. Die Autoren weisen darauf hin, dass diese positive Entwicklung an Fach- hochschulen – wegen der dort früheren Einführung von Bachelor und Master – zeitverzögert voraussichtlich auch an Universitäten Einzug halten wird. Deshalb darf erwartet werden, dass der Bologna-Prozess durch die Einführung abgestufter Studiengänge sehr wohl zur Sen- kung der Studienabbrecherquoten beitragen wird. Ihre Schlussfolgerung, wonach das Ziel der Senkung der Ab- brecherquoten verfehlt worden sei, ist nicht statthaft. Lassen Sie mich zu Ihrem Forderungskatalog kom- men und einige der SPD-Vorschläge kommentieren. Zu- nächst wollen Sie die soziale Situation der Studierenden verbessern und hierfür das BAföG erhöhen sowie einen Hochschulsozialpakt beschließen. Zu Letzterem habe ich in meiner Rede vom 9. Februar 2012 bereits Stellung genommen, deshalb hier nur so viel: Die Finanzierung von Wohnheimplätzen, Kinderbetreuungsangeboten und Studierendenwerken ist Ländersache. Anders sieht es beim BAföG aus, das Bund (60 Prozent) und Länder (40 Prozent) gemeinsam finanzieren. Die Bundesregie- rung muss nicht zu einer Erhöhung von Bedarfssätzen und Freibeträgen aufgefordert werden. Hierzu hat sich Ministerin Wanka im Vorfeld der letzten GWK-Sitzung am 12. April 2013 schon bereit erklärt. Zielführender wäre es, diesen Appell an die SPD-Wissenschaftsminis- ter zu richten. Die Länder müssen sich endlich einigen, ob sie die vom Bund vorgeschlagene Erhöhung mittra- gen wollen oder nicht. Bei einer BAföG-Erhöhung kom- men wir nur gemeinsam voran, und die Länder sind am Zug. Zweitens fordern Sie – wieder einmal – einen „Hoch- schulpakt Plus“, um die Kapazitäten der Hochschulen weiter auszuweiten. Erst vor wenigen Wochen hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, den Hochschulpakt nochmals massiv aufzustocken. Für die zweite Förder- phase (2011 bis 2015) stellt der Bund zusätzlich 2,2 Mil- liarden Euro zur Finanzierung neuer Studienplätze zur Verfügung. Damit sind bis 2015 insgesamt 625 000 Stu- dienplätze ausfinanziert. Für die Jahre 2016 bis 2018 hat der Bund seine Zusagen um 1,7 Milliarden Euro auf nunmehr 2,7 Milliarden Euro erhöht. Insgesamt stellt die Bundesregierung bis 2018 noch einmal zusätzlich 4 Mil- liarden Euro zur Verfügung, obwohl die Grundfinanzie- rung von Hochschulen Ländersache ist. Das freiwillige Engagement der Bundesregierung zur Ausfinanzierung von Studienplätzen ist enorm. Vor diesem Hintergrund einen zusätzlichen „Hochschulpakt Plus“ zu fordern, halte ich für abwegig. Nun zu Ihrem dritten Forderungspunkt – die Stärkung der Forschung an Fachhochschulen. Es ist richtig, dass die Fachhochschulen die Herausforderungen des Bologna-Prozesses besonders gut bewältigt haben. Ich bin jedoch auch überzeugt, dass wir mit der bisherigen Aufgabenteilung zwischen Universitäten und Fachhoch- schulen sehr erfolgreich gewesen sind und sie deshalb beibehalten werden muss. Die Stärke der Fachhochschu- len liegt im Angebot von praxisnahen und anwendungs- orientierten Studiengängen, die Absolventen optimal auf Berufe in der Wirtschaft vorbereiten. Universitäten bie- ten demgegenüber stärker forschungsgeleitete Studien- gänge an und bereiten auf eine Karriere in der Wissen- schaft vor. Für leistungsstarke FH-Studenten gibt es die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30513 (A) (C) (D)(B) Möglichkeit, in Kooperation mit einer Universität zu promovieren. Eine weitere Vermischung dieser erfolg- reichen Aufgabenteilung, so wie Sie es in Ihrem Antrag vorschlagen, lehne ich ab. Des Weiteren fordern Sie den Bund auf, die Grund- finanzierung der Hochschulen zu verbessern. Wie Sie wissen, ist die Sicherstellung der Grundfinanzierung der Hochschulen aber Ländersache. Tatsächlich könnten die Länder zum Beispiel Ihre Forderung nach der „Auflage einer Personaloffensive für die Hochschulen“ sofort in die Tat umsetzen. Ich schlage deshalb vor, Sie wenden sich mit dieser Anregung an Ihre SPD-Wissenschafts- minister. Wie eine solche Personaloffensive inhaltlich ausgestaltet werden könnte, haben wir in unserem An- trag „Exzellente Rahmenbedingungen für den wissen- schaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“ – Bundestags- drucksache 17/9396 – aufgezeigt. Abenteuerlich wird es bei Forderungspunkt 6, der Aufforderung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs für eine Grundgesetzänderung. Die Bundesregierung hat bereits im vergangenen Jahr einen solchen Entwurf vorgelegt, der es dem Bund erlauben würde, Hochschulen dauer- haft mitzufinanzieren. Diesen Vorschlag blockiert der SPD-geführte Bundesrat aber seit Monaten. Der Verweis auf den darin nicht geregelten Bildungsbereich ist ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Tatsächlich werden die Hochschulen von der SPD für rein wahltaktische Manöver in Geiselhaft genommen. Wenn es nach CDU/ CSU und FDP ginge, könnten Universitäten und Fach- hochschulen schon heute dauerhaft finanzielle Unterstüt- zung vom Bund erhalten. Es ist schlichtweg heuchle- risch, auf Seite 1 Ihres Antrags zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Probleme bei der Umsetzung der Bolo- gna-Reformen auf die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen zurückzuführen seien, und gleichzeitig eine bessere finanzielle Ausstattung von Universitäten und Fachhochschulen durch die eigene Blockadehaltung systematisch zu verhindern. Lassen Sie mich das Wesentliche zusammenfassen. Erstens. Wir kommen bei der Umsetzung des Bologna- Prozesses insgesamt sehr gut voran. Anzeichen hierfür sind die weitgehend abgeschlossene Umstellung der Stu- diengänge auf Bachelor und Master und der rasante Anstieg der internationalen Mobilität. Zweitens. Viele Vorschläge, die vonseiten der SPD im heute debattierten Antrag unterbreitet werden, sind entweder altherge- bracht oder haben mit dem Bologna-Prozess nichts zu tun. Und drittens sind wir bei einigen grundlegenden Forderungen der SPD schlicht anderer Auffassung. Dies gilt beispielsweise für die Ausrichtung der Fachhoch- schulen, die Zuständigkeit für die Grundfinanzierung der Hochschulen oder den Umgang mit unserem Gesetzent- wurf zur Änderung des Grundgesetzes. Aus diesen Gründen lehnen wir den SPD-Antrag ab. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die hochschulpoli- tische Bilanz der Koalition fällt dürftig aus. Mit Hängen und Würgen und auf den letzten Metern hat es die Bun- desregierung – gemeinsam mit den Ländern – geschafft, den Hochschulpakt auszuweiten. Das ist gut, aber doch nicht mehr als eine Pflichtaufgabe gewesen. Doch da- rüber hinaus hat die Koalition fast nichts zuwege ge- bracht. Abgesehen natürlich vom sogenannten Deutsch- land-Stipendium, das aber leider in die falsche Richtung geht: Statt Bedürftigen einen Rechtsanspruch auf Unter- stützung zu geben, werden hier wenige unabhängig von Bedürftigkeit finanziert. Die Handlungsverweigerung der Koalition ist ange- sichts der Herausforderungen im Hochschulbereich nachgerade sträflich. Wie steht es um die Bologna- Hochschulreform in Deutschland? Grundsätzlich ist zu sagen, dass es richtig war, Europa im Hochschulbereich mit dem Bologna-Prozess durch die Einführung eines gestuften Studiensystems aus Bachelor und Master mit europaweit vergleichbaren Ab- schlüssen und der Steigerung der Mobilität zusammen- wachsen zu lassen. Doch auch nach zehn Jahren gibt es Probleme. Die sind zu einem wesentlichen Teil dadurch entstanden, dass die Hochschulen in Deutschland chro- nisch unterfinanziert sind. Für den durch den Bologna- Prozess entstandenen Mehrbedarf sind keine ausreichen- den finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt worden, und das hat teilweise zu unvertretbaren Studienbedin- gungen geführt. Die seit Jahren erfreulicherweise stei- genden Studierendenzahlen werden das Problem der Un- terfinanzierung noch verstärken. Unser Antrag greift die wesentlichen Probleme im Hochschulwesen auf und zeigt die Richtung, in die wir nach Regierungsübernahme gehen wollen. Von zentraler Bedeutung ist, die soziale Situation der Studierenden zu verbessern und damit die Bildungschancen auszuweiten. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, die Hoch- schulen für alle, die studieren möchten, zu öffnen. Das wollen wir erreichen durch die Verbesserung des BAföG. Bedarfssätze und Freibeträge müssen bedarfsgerecht er- höht und künftig kontinuierlich an steigende Lebenshal- tungskosten angepasst werden. Wir müssen die Lernbedingungen für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke verbessern durch optimierte Studierbarkeit, Beratung und Betreuung so- wie entsprechende Infrastruktur. Mit einem neuen Schüler-BAföG wollen wir mehr jungen Menschen den Weg zur Hochschule ebnen. Ein Hochschulsozialpakt ist nötig zur Ausweitung ei- nes preiswerten Angebotes an Wohnheimplätzen, an flä- chendeckenden Kinderbetreuungsangeboten sowie zur Stärkung der Studierendenwerke und ihrer Beratungs- und Unterstützungsangebote. Beruflich Qualifizierten muss der Einstieg in die Hochschulen erleichtert werden durch passgenaue Ange- bote und durch Anreize im Hochschulpakt mit einer er- höhten Finanzierungssumme für diese Studienanfänge- rinnen und Studienanfänger. Strukturierte Vorbereitungskurse in Zusammenarbeit mit Schulen, Bildungsträgern und Betrieben können hel- fen, die Hochschulen weiter für Menschen zu öffnen, die bislang nicht studieren. 30514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Der Ausbau und die bessere Förderung der berufsbe- gleitenden Studiengänge sowie die verstärkte Schaffung von Teilzeitstudienangeboten, um insbesondere Studie- rende, die Angehörige pflegen, Kinder erziehen und mit Erkrankungen leben müssen, zu unterstützen, sind eben- falls nötig. Ziel dieser Maßnahmen ist, allen die gleichen Bil- dungschancen zu geben, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Familie, ihrer individuellen Lebenssituation. Das kann aber natürlich nur erfolgreich sein, wenn ausrei- chend Studienangebote zur Verfügung stehen. Die Kapa- zitäten der Hochschulen müssen weiter ausgeweitet und damit die Zulassungsbeschränkungen wie NC zurückge- drängt werden. Dazu muss die Bundesregierung mit den Ländern sofort in Gespräche über die Vereinbarung eines „Hochschulpaktes Plus“ eintreten. Wesentliche Ele- mente dieses neuen Hochschulpaktes sind die frühzeitige Vereinbarung einer dritten Programmphase bis 2020 zur Abdeckung des Bedarfs entsprechend der aktuellen Stu- dienanfängerprognosen und der Ausbau von Masterstu- dienplätzen durch ein Sonderprogramm, um sicherzu- stellen, dass allen interessierten Bachelorabsolventinnen und -absolventen der Weg zum Master offensteht. Wenn wir über die Hochschullandschaft sprechen, dürfen wir uns nicht nur auf die Universitäten fokussie- ren. Im Gegenteil sehen wir, wie erfolgreich und wichtig die Fachhochschulen sind. Sie wollen wir weiter stärken durch eine intensivierte Förderung kooperativer Promo- tionsvorhaben von Fachhochschulen und Universitäten, die Erhöhung des Haushaltstitels „Forschung an Fach- hochschulen“ um 20 Millionen Euro pro Jahr und eine stärkere Einbindung und Förderung von an Fachhoch- schulen aktiven Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- lern durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Eine weitere wichtige Herausforderung: die Verbesse- rung der Lehre an den Hochschulen und die Verbesse- rung der Grundfinanzierung. Wir wollen das Prinzip „Geld folgt Studierenden“ einführen. Damit werden die Aufwendungen für die Lehre und das Bemühen um Stu- dierende belohnt, und der Bund übernimmt die Kosten für ausländische Studierende. Wir wollen darüber hinaus einen „Abschlussbonus“, mit dem erfolgreiche Lehre angereizt und unterstützt wird, einführen, eine „Deutsche Gesellschaft für Hoch- schullehre“, die innovative Lehrkonzepte finanziell un- terstützt, gründen, die Auflage einer Personaloffensive für die Hochschulen mit zunächst 2 500 zusätzlichen Professuren sowie 1 000 zusätzlichen Juniorprofessuren, die Aus- und Weiterbildungsangebote von Lehrenden fördern und zusammen mit den Ländern darauf hinwir- ken, die Bezahlung von wissenschaftlichen und studenti- schen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verbessern. Weiterhin ist die Struktur und Studierbarkeit der Stu- diengänge gemeinsam mit den Ländern und Hochschu- len zu verbessern. Zu diesem Zweck soll eine „Nationale Bologna-Konferenz“ auf zunächst fünf Jahre eingerich- tet und institutionalisiert werden. Sie soll in Zusammen- arbeit aller Akteure von Bund, Ländern, Hochschulen und unter Einbezug der Studierenden eine kritische Überprüfung der bisherigen Reform vornehmen und Verbesserungen erarbeiten. Der Bund muss auch bei den Ländern und Hochschu- len darauf hinwirken, die Mobilität Studierender zu stär- ken. Hierbei muss der Fokus auf der europaweiten An- gleichung der ECTS-Punkte, der Anerkennung von im Ausland bzw. an anderen Hochschulen erbrachten Leis- tungen und einer verstärkten Wahlfreiheit von Modulen liegen. Grundsätzlich sind die Chancen einer solchen europaweiten Hochschulreform auch für eine Intensivie- rung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Hochschulen in Europa zu nutzen, um die europäische Bildungsidee, den europäischen Hochschullehrer und den Austausch und die Kooperation der Hochschulen in Studium, Lehre, Forschung und Management zu beför- dern bis hin zur verstärkten Einrichtung von Europa- Hochschulen. Und schließlich sind die Zugangsvoraussetzungen zum öffentlichen Dienst an die neue gestufte Studienstruktur anzupassen und der Wertigkeit eines Bachelorabschlusses angemessener als bisher Rechnung zu tragen. Wir wollen das erreichen, indem Bachelorabsolventen bei Vorliegen zusätzlicher, beruflicher Qualifikationen zum höheren öffentlichen Dienst zugelassen werden können. Die da- für bisher geltenden Verfahren sollen einer Evaluation unterzogen und dem Deutschen Bundestag soll im Jahr 2014 ein Bericht vorgelegt werden. Viele der hier vorgestellten Initiativen sind letztlich nicht möglich, wenn nicht die Kooperation von Bund und Ländern verbessert wird. Eine entsprechende Grundgesetzänderung ist dafür unerlässlich – und zwar nicht die leichtgewichtige Variante der CDU/CSU und FDP, beschränkt auf einige wenige Spitzeninstitute der Wissenschaft. Vielmehr ist eine umfassende Koopera- tionsermöglichung für den gesamten Bildungsbereich nötig, so, wie sie von der SPD in Bundestag und Bun- desrat vorgeschlagen wurde. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): In gewohnter Weise legt die SPD-Fraktion dem Deutschen Bundestag ihren alljährlichen Bologna-Antrag zur Beratung vor. Während die Sozialdemokraten im Feststellungsteil ein von Jahr zu Jahr immer weniger negatives Bild zu den Ergebnissen des Bologna-Reformprozesses malen, wird – je näher die Bundestagswahl rückt – der Forderungsteil immer länger. Allein dieser augenfällige Umstand macht hellhörig – zu Recht, wie ich meine. Die Bologna-Beschlüsse waren die richtige Weichen- stellung hin zu einem europäischen Hochschulraum. Die Einführung von Bachelor und Master hat unsere deut- sche Hochschullandschaft vollkommen umgekrempelt. Einen solch tiefgreifenden Reformprozess hat es in der Geschichte unserer Hochschulen noch nicht gegeben. Und nach mehr als einer Dekade haben die Studierenden von heute – im Gegensatz zu den meisten Lehrenden – niemals eine andere Hochschullandschaft kennengelernt. Auch wenn die Kollegen von der SPD dies offenbar an- ders wahrnehmen: Die meisten Studierenden – das zeigt der jüngste Bericht zur Umsetzung des Bologna-Prozes- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30515 (A) (C) (D)(B) ses in Deutschland – sind mit sich und der eigenen Stu- diensituation äußerst zufrieden. Auch im Allgemeinen kann und darf der Bologna-Re- formprozess trotz der vielen Fehler, die leider zu Beginn unter rot-grüner Ägide gemacht wurden, als erfolgreich bezeichnet werden. Heute ist Deutschland Spitze bei der Umstellung auf Bachelor und Master: 85 Prozent aller Studiengänge sind bereits umgestellt, und bei den Fach- hochschulen sind es gar 97 Prozent. Auch nimmt die Mobilität der Studierenden stetig zu. Jeder dritte Hoch- schulabsolvent hat einen studienbezogenen Auslands- aufenthalt hinter sich. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland auf 115 500 verdoppelt. Und schließlich sind unsere Hoch- schulen auch bei der Qualitätssicherung spitze, was glücklicherweise in den hervorragenden Beschäftigungs- chancen für unsere Bachelorabsolventen sichtbar wird. Das bestätigen zahlreiche Studien. Angesichts der vielen Fehler – die Antragsteller wei- sen dankenswerterweise selbst darauf hin –, die in den Anfangsjahren gemacht wurden, muss dieses Resultat überraschen. Obwohl die damalige rot-grüne Bundes- regierung die Bologna-Reform wie ein Findelkind denk- bar schlecht finanziell ausgestattet in die harte Realität ausgesetzt hat, haben unsere Hochschulen diese Mam- mutaufgabe bisher gut geschultert. Dort, wo sich Hoch- schulen, Lehrende und Studierende dem Reformprozess gestellt haben, ist er heute weitestgehend geglückt. An- ders kann meine Fraktion jedenfalls nicht bewerten, dass zum Beispiel die Zahl der Studienanfänger von 2009 bis 2011 um mehr als 20 Prozent angewachsen ist und die Studienanfängerquote heute bei über 50 Prozent liegt. Die Rahmenbedingungen für den Bologna-Reformpro- zess hätten schlechter kaum sein können. Die seinerzei- tige Bundesministerin Edelgard Bulmahn von der SPD gab zwar gern mit lautem Getöse den Startschuss, das nö- tige Geld jedoch stellte sie den Hochschulen nicht zur Verfügung. Die ohnehin unterfinanzierten Hochschulen wurden ihrem Schicksal „Bologna“ selbst überlassen und versuchten, diese Mammutaufgabe bestmöglich zu meis- tern. Erst als die Umsetzungsschwierigkeiten immer deutlicher sichtbar wurden, musste gegengesteuert wer- den, um den Prozess nicht zum Scheitern zu bringen. Schließlich war es diese christlich-liberale Koalition, die kurz nach Regierungsantritt das Heft des Handelns an sich nahm und durch eine deutliche Aufstockung des Hochschulpakts mit einem heutigen Gesamtanteil des Bundes von mehr als 10 Milliarden Euro, mit einem 2 Milliarden Euro schweren Qualitätspakt für eine bes- sere Lehre und mit einer lange überfälligen Modernisie- rung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, BAföG, den Bologna-Reformprozess vor dem Scheitern be- wahrte. Doch wo waren eigentlich Sie, verehrte Kolle- gen von der SPD? Anstatt unsere Initiativen berechtig- terweise zu loben und positiv zu begleiten, erdreisten Sie sich seit Jahren – nachdem Sie so gut wie nichts für ein erfolgreiches Gelingen beigetragen haben –, uns zu kriti- sieren und immer mehr zu fordern, als wir es bereits tun! Angesichts dessen, was wir seit Herbst 2009 geleistet haben, ist es eben dann doch nicht ein so überraschendes Resultat des Bologna-Prozesses in Deutschland. Es sind die Früchte erfolgreicher Arbeit von CDU/CSU und FDP. 13 Milliarden Euro mehr für Bildung und For- schung zeitigen eben Effekte. Es ist nur traurig, dass die Anstrengungen des Bundes gerade im Bereich der Hoch- schulfinanzierung, die ja ureigenste Aufgabe der Länder ist, von eben den Ländern, die von SPD, Grünen und Linken regiert werden, nicht adäquat flankiert werden. Viel schlimmer noch: Gerade diese Länder kürzen den Hochschulen fleißig die Mittel weg – ob nun in Branden- burg oder Sachsen-Anhalt. Und sie schlagen ihnen mit der populistischen Abschaffung der Studienbeiträge ein wichtiges finanzielles Standbein weg – ob nun in Baden- Württemberg oder Nordrhein-Westfalen. Sofort folgt der berühmte sozialdemokratische Ruf nach mehr Bundes- mitteln. Sie wollen den Bund als Lückenbüßer und Spar- schwein der SPD-regierten Länder missbrauchen, die nicht in der Lage oder willens sind, ausreichend eigene Anstrengungen zu unternehmen und die Prioritäten rich- tig zu setzen. Der heute vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist ein trauriger Höhepunkt in der Präsentation der hoch- schulpolitischen Ahnungslosigkeit der Antragsteller. Obwohl gerade eben der Hochschulpakt erneut aufge- stockt wurde, fordern sie einen „Hochschulpakt-Plus“ – vermutlich in völliger Unwissenheit um die Wirkung der Schuldenbremse in den Ländern. Der Bund jedenfalls unterstützt die Länder sehr großzügig bei ihrer grund- gesetzlich verankerten Aufgabe, die Finanzierung der Hochschulen sicherzustellen. Selbst beim BAföG haben wir wiederholt Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Ein verbindliches Angebot seitens der Länder ist mir je- doch bis heute nicht bekannt. Gleiches Bild bei der For- derung nach einer Änderung des Grundgesetzes: Unser Vorschlag zur Lockerung des Kooperationsverbots für den Hochschulbereich durch eine Änderung in Art. 91 b des Grundgesetzes liegt seit Monaten vor. Einzig die Op- positionsfraktionen und natürlich die von SPD, Grünen und Linken regierten Länder verweigern sich auch hier. Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf, Bologna schlecht zu reden, sondern begleiten Sie dort, wo Sie Verantwortung haben, den Reformprozess positiv! Und unternehmen Sie endlich eigene Anstrengungen, Bologna zum Erfolg zu führen! Nicole Gohlke (DIE LINKE): Von Anfang an waren mit der Umsetzung der Bologna-Reform große Schwie- rigkeiten verbunden: eine massive Zunahme an zeitlicher Belastung, an Workload und Prüfungen, eine Verschlech- terung hinsichtlich eines selbstbestimmten, kritischen und interdisziplinären Studierens, die Entstehung neuer sozialer Hürden durch den Master oder die Verknappung von Studieninhalten durch die Verkürzung der Regelstu- dienzeit. An der Bundesregierung ging das alles vorbei, Ganz nach gewohntem Muster ignorierte sie das Thema und versuchte, entstandene Probleme auszusitzen. Wenn die Regierung reagierte, dann nur, weil sich der Widerstand gegen die Reform und weil sich der Druck der Studie- renden und Lehrenden wie bei den Bildungsprotesten 2009/2010 einfach nicht mehr ignorieren ließen. 30516 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 (A) (C) (D)(B) Eine Maßnahme war die Einberufung einer Nationa- len Bologna-Konferenz, bei der sich die Politik mit den Nöten und Sorgen der Studierenden beschäftigen sollte. Konsequenzen folgten daraus allerdings nicht. Die Fol- gekonferenz im vergangenen Jahr wurde sogar ohne Be- gründung einfach komplett abgesagt. Die Regierung stellte wieder auf Ignoranz und das Prinzip Hoffnung: Das Thema möge doch bitte sehr im Sande verlaufen. Dass das Thema weiterhin wirklich drängend ist, be- legt eine kürzlich erschienene Studie: Zwei Drittel der Universitätsprofessorinnen und Universitätsprofessoren sind unzufrieden mit der Einführung der BA/MA-Struk- tur. Und das belegen nicht zuletzt Äußerungen der Hoch- schulrektorenkonferenz und sogar der Wirtschaft, die im Zweifel sind, ob die verkürzten Studienzeiten, ob die Mega-Ausdifferenzierung in 16 000 Studiengänge und ob die Einseitigkeiten, die dadurch hervorgerufen wur- den, überhaupt noch in ihrem Interesse sind. Im Interesse der Studierenden und Lehrenden war es nie – wie auch, wenn zum Beispiel Uni-Absolventinnen und -Absolven- ten mit Bachelorabschluss 20,3 Prozent weniger gegen- über den Absolventen mit traditionellen Abschlüssen verdienen. Die Linke fordert weiterhin die grundlegende Reform des Bologna-Prozesses. Unser Ziel ist, die Durchlässigkeit im Studium zu erhöhen, anstatt neue Hürden einzuziehen. Diesbezüglich haben wir bereits viele Vorschläge ge- macht: Der Zugang zum Masterstudium darf von keinen wei- teren Zugangskriterien abhängig gemacht werden als dem Bachelorabschluss. Neben dem Ziel der beruflichen Qualifizierung müssen gleichwertig weitere Studienziele wie wissenschaftliches Arbeiten, Persönlichkeitsentwicklung und Verständnis ge- sellschaftlicher Zusammenhänge und Prozesse verankert werden. Das Studium muss selbstbestimmt gestaltet werden können, mit einem großen Anteil frei wählbarer Lehr- veranstaltungen bzw. Module, die eine eigene Schwer- punktsetzung wirklich ermöglichen. Die Chance von Kindern aus akademischen Eltern- häusern, ein Studium aufzunehmen, ist sechsmal höher als bei Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schich- ten. Politisches Anliegen muss es doch sein, die soziale Dimension zu stärken. Gemeinsam mit den anderen Bo- logna-Staaten muss das verbindliche Ziel der Öffnung der Hochschule und der Verbesserung der sozialen Lage der Studierenden verankert werden, um allen, die studie- ren möchten, dies auch zu ermöglichen. So macht eine koordinierte Hochschulpolitik Sinn: und nicht das, was wir hier seit 14 Jahren präsentiert bekommen. Dafür müsste sich die europäische Hochschulpolitik allerdings erst einmal von der Wirtschaftspolitik der EU emanzipieren und eigenständige Ziele für die Entwick- lung der Hochschulen und deren Beitrag zu den europäi- schen Gesellschaften formulieren. Das wäre die Aufgabe einer Bundesregierung, die bildungspolitische Realitäten ernst nimmt, anstatt sie zu ignorieren. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bolo- gna muss besser werden! Wir unterstützen das visionäre Ziel eines europäischen Hochschulraums. Wir werden dieses Ziel in Deutschland aber nur erreichen, wenn so- wohl die Hochschulen als auch Bund und Länder ge- meinsam Probleme und Umsetzungsschwierigkeiten identifizieren und beheben – von der Studienorganisa- tion bis hin zur sozialen Öffnung der Hochschulen, die ausgewiesenes Bologna-Ziel ist. Für uns ist klar: Nicht die Bologna-Reform an sich, sondern ihre Umsetzung in Deutschland ist Problem und Herausforderung, die angenommen werden muss. Wesentliche Reformziele werden nach wie vor ver- fehlt: Die Auslandsmobilität in den Bachelorstudien- gängen an Universitäten stagniert. Um die Mobilität deutscher Studierender zu steigern, müssen Bachelorstu- diengänge flexibilisiert und Zeitfenster für Mobilität ein- gebaut werden. Auslandsaufenthalte müssen aber nicht nur ermög- licht, sondern auch ohne Schwierigkeiten und Zeitver- lust zu bewerkstelligen sein. Es kann nicht sein, dass nur magere 52 Prozent der im Ausland erworbenen Studien- leistungen an deutschen Hochschulen anerkannt werden. Denn das bedeutet im Umkehrschluss: Jede zweite Stu- dienleistung wird nicht anerkannt. Das ist eine beschä- mende und mobilitätsfeindliche Anerkennungspraxis, die Studierende demotiviert. Die Studierenden dürfen nicht unter einer bürokratischen und überpeniblen Aner- kennungspraxis der Universitäten und Fakultäten leiden, sondern sie brauchen eine grundsätzliche Anerken- nungsgarantie. Eine zentrale Herausforderung ist die Studienorgani- sation: Gerade in den ersten Reformjahren haben die Hochschulen nach dem Motto „verschulen, verdichten, umbenennen“ die gesamten Inhalte der alten, längeren Magister- bzw. Diplomstudiengänge in den Bachelor hi- neingepresst. Diese Fehler müssen korrigiert, die Stu- dierbarkeit erhöht und die Arbeitsbelastung gesenkt wer- den. Frei Denken und selbstbestimmtes Lernen müssen wieder besser möglich sein. Ständiger Prüfungsstress und Bulimie-Lernen erhö- hen nicht die Fähigkeit zu ganzheitlichem Denken, son- dern Abbruchquoten. Über ein Viertel aller Studierenden hängen laut der HIS-Studie zu Schwund- und Studien- abbruchquoten, die im Mai 2012 veröffentlicht wurde, das Bachelorstudium an den Nagel, an den Universitäten sogar 35 Prozent. Deswegen ist es dringend notwendig, dass Hochschulen ihre Studienprogramme überarbeiten, mehr sieben- oder achtsemestrige Bachelorangebote ma- chen, den Workload herunterschrauben und die Prü- fungsdichte reduzieren. Das kommt übrigens mittelbar auch der Studienqualität zugute, denn auch die Lehren- den haben dann mehr Luft für und Lust auf gute Lehre und Betreuung. All die skizzierten Probleme sind seit längerem be- kannt; zahlreiche Studien haben sie belegt, die Studie- renden haben mit kreativen und lautstarken Protesten auf die Umsetzungsprobleme hingewiesen. Die Bundesre- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2013 30517 (A) (C) (D)(B) gierung hat sich die Probleme dagegen tatenlos von der Zuschauertribüne aus angesehen. Bezeichnend ist es, dass die damalige Bundesbil- dungsministerin Annette Schavan die richtigen und wichtigen Bildungsproteste 2009 zuerst als „gestrig“ be- zeichnete. Erst nachdem der Druck zu groß geworden war, berief sie einen „Beschwichtigungsgipfel“ ein. Ge- nau zweimal gab es seitdem eine „Nationale Bologna- Konferenz“. Eine dritte hat die Bundesregierung abge- sagt und gar nicht mehr terminiert. Stattdessen verweist die Bundesregierung auf die Bologna-Evaluation durch die Hochschulrektorenkonferenz, nach dem Motto: „Ihr habt die Probleme – also evaluiert euch selbst und macht mal“. Das ist kurzsichtig: Bologna ist nach wie vor Chance und Herausforderung – für die Hochschulen und für die Hochschulpolitik in Bund und Ländern. Es ist in- akzeptabel, dass die Bundesregierung die Probleme al- lenfalls zur Kenntnis nimmt, aber fast gar nichts zur Lö- sung beiträgt. Wer die Umsetzungsprobleme unter den Teppich kehrt, gefährdet die Akzeptanz der Reform und verhin- dert vor allem die notwendigen Korrekturen, die mit al- len Akteuren gemeinsam angepackt und fortgesetzt wer- den müssen. Wir wollen, dass der nationale Bologna-Bericht, den Bund und Länder alle zwei Jahre erstellen, die Realität differenziert wiedergibt anstatt sie schönzufärben. In Folgeberichten muss deutlich werden, welche Konse- quenzen aus den im Bericht zuvor ausgesprochenen Handlungsempfehlungen gezogen worden sind und wel- che Effekte dies gebracht hat. Das gilt auch für eine weitere große Bologna-Bau- stelle hierzulande: die soziale Öffnung der Hochschulen. Wir wollen deutlich mehr Bildungsaufsteiger für ein Stu- dium gewinnen. Dafür brauchen wir deutlich mehr Stu- dienplätze, eine Aufstockung und Ausweitung des Hochschulpakts und flächendeckend bessere Studienbe- dingungen. Dazu zählt auch ein BAföG, das zum Leben reicht. Hier sehen wir viel Übereinstimmung mit der SPD, auch wenn manche Forderung in dem SPD-Antrag wenig mit der Bachelor-Master-Reform zu tun hat. Sicher ist: Um Bildungsaufsteigerland zu werden, brauchen wir endlich eine BAföG-Reform und -Moder- nisierung. Anstatt auf die Länder mit einem echten An- gebot zuzugehen, hat die Bundesregierung die Hände in den Schoß gelegt und die Studierenden mit ihren Finan- zierungssorgen alleine gelassen. Diese schwarz-gelben Taktikspielchen auf dem Rücken der Studierenden wird eine Bundesregierung aus SPD und Grünen beenden. Wir brauchen ein höheres und besseres BAföG, das zu- dem einfacher zu beantragen sein muss. Mittelfristig wollen wir das BAföG zu einem Zwei-Säulen-Modell erweitern – bestehend aus einer Sockelfinanzierung für alle Studierenden und einer bedarfsabhängigen Säule. Daneben braucht es gezielte Investitionen in die so- ziale Infrastruktur an den Hochschulen: also den Ausbau von Studien- und Sozialberatung, von studentischem Wohnen und der Infrastruktur zum Beispiel für Kinder- betreuung. Hier muss mehr passieren. Die oberste Leitli- nie für die soziale Dimension muss sein, zu mehr gesell- schaftlicher Vielfalt auf dem Campus zu kommen. In diesem Sinne müssen Bund, Länder und Hochschulen die Ärmel weiter hochkrempeln und handeln. 240. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zur Neuausrichtung der Bundeswehr TOP 4 Bildungs- und Integrationspolitik TOP 56, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 57, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 4 Aktuelle Stunde zur Bilanz nach einem Jahr Bundesminister Peter Altmaier TOP 5 Finanzmarktregulierung TOP 6 Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten TOP 7 Beitritt der Republik Kroatien zur EU TOP 57 c Abfälle der Rhein- und Binnenschifffahrt TOP 9 EU-Operation Atalanta TOP 8 Schutz bei Gewalt gegen Frauen TOP 10 Managergehälter TOP 11 Straßenverkehrsgesetz – Fahreignungsregister – TOP 12 Informationsfreiheit und Transparenz TOP 13 Regulierung im Eisenbahnbereich TOP 14 Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen TOP 17 Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahren TOP 16 Rente für Dopingopfer in der DDR TOP 18 Justizkostenrecht TOP 20 Kinder- und Jugendpolitik TOP 19 Rechte intersexueller Menschen TOP 22 Gesetz über die Kreditanstalt für Wiederaufbau TOP 21 Religionsfreiheit im Iran TOP 24 Änderung des Energieeinsparungsgesetzes TOP 23 Schließung des Schienenhersteller TSTG TOP 26 Arbeitsbedingungen von Hausangestellten TOP 25 Sozio-kulturelle Existenzsicherung TOP 28 Zuständigkeit für die Soldatenversorgung TOP 29 Ehegattennachzug TOP 30 Aufenthaltsrecht TOP 36 Situation Minderjähriger im Aufenthaltsrecht TOP 32 Investitionen in den Ersatz der Schienenwege TOP 31 Umweltbelastung durch Humanarzneimittel TOP 33 Treibhausgas-Emissionshandel TOP 35 Durchführung der EU-Phosphatverordnung TOP 34 Sicherheitsabkommen mit Mexiko TOP 37 Elektronischer Kfz-Halterdatenaustausch in der EU TOP 38 Datenschutz in Europa TOP 39 Durchführung der Biozid-Verordnung TOP 42 Gesundheit in Entwicklungsländern TOP 41 Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes TOP 40, ZP 5 Kontrolle im Prozess der Organspende TOP 43 Steuerabkommen mit den Cookinseln und Grenada ZP 6 Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie TOP 45 Funktionen der Betreuungsbehörde TOP 44 Deutscher Innovationsfonds TOP 47 Verfahrensrechte im Strafverfahren ZP 7 Bologna-Reform TOP 49 Bundesverfassungsgerichtsgesetz TOP 46, ZP 8 Zukunft der Solarindustrie TOP 48 Netzneutralität TOP 50 Sozialer Tourismus Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724000000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen
zunächst einige Vereinbarungen für die heutige Tages-
ordnung mitteilen. Es gibt eine interfraktionelle Verein-
barung, die verbundene Tagesordnung um die in der
Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP:

Pläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN für ein allgemeines „Tempolimit 120“ auf
Autobahnen

(siehe 239. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 56

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine
Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Dopingbekämpfung im
Sport (Anti-Doping-Gesetz – ADG)

– Drucksache 17/13468 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Gleiches Rentenrecht in Ost und West,
Rentenüberleitung zum Abschluss bringen

– Drucksache 17/12507 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi
Brase, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Verbandsklagerecht für anerkannte Tier-
schutzverbände einführen

– Drucksache 17/13477 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Schmidt (Aachen), Siegmund Ehrmann,
Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Für die tatsächliche Gleichstellung von
Frauen und Männern auch im Kunst-,
Kultur- und Medienbereich
– Drucksache 17/13478 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ländliche Räume als Lebensräume bewah-
ren und zukunftsfähig gestalten
– Drucksache 17/13490 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine kohärente Politikstrategie zur
Überwindung des Hungers

– Drucksache 17/13492 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Atomrisiken ernst nehmen – Auch in Be-
zug auf die nahe liegenden Atomkraft-
werke in Belgien

– Drucksache 17/13491 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache

Ergänzung zu TOP 57

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines

(SchUnfDatG)


– Drucksache 17/13032 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung (15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13532 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Valerie Wilms

b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie

(9. Ausschuss)


– zu der Verordnung des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie

Verordnung über die Zulassung von Bewa-

(Seeschiffbewachungsverordnung – SeeBewachV)


– zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirt-
schaft und Ausfuhrkontrolle

Verordnung zur Durchführung der See-

(Seeschiffbewachungsdurchführungsverordnung – SeeBewachDV)


– Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Ingo Egloff

ZP 4 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD:

Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier – Bi-
lanz der Chancen, Reden und Ergebnisse

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Organspende in Deutschland transparent or-
ganisieren

– Drucksache 17/11308 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Export von Überwachungs- und Zensurtech-
nologie an autoritäre Staaten verhindern – De-
mokratischen Protest unterstützen

– Drucksache 17/13489 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Bologna-Reform – Positive Entwicklungen
stützen, Fehler korrigieren und Verbesserun-
gen durchsetzen

– Drucksache 17/13475 –





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Josef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Energiewende sichern – Solarwirtschaft stär-
ken

– Drucksache 17/9742 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanz-
märkte: Erpressungspotenzial verringern –
Geschäfts- und Investmentbanking trennen

– Drucksachen 17/12687, 17/13523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Gerhard Schick

ZP 10 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:

Haltung der Bundesregierung beim Verkauf
der TLG

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll da-
bei, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 15, 18 b, 27 und 57 i wer-
den abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der
Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des
Ablaufs.

Ich mache schließlich noch auf mehrere nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkt-
liste aufmerksam:

Der am 28. September 2012 (196. Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechts-
ausschuss (6. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Die Förderung des Sports ist Aufgabe des
Staates

– Drucksache 17/6152 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Der am 28. September 2012 (196. Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechts-
ausschuss (6. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Agnes
Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im
Grundgesetz verankern

– Drucksache 17/10785 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

Der am 29. November 2012 (211. Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechts-
ausschuss (6. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten
Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Sportförderung neu denken – Strukturen ver-
ändern

– Drucksache 17/11374 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. – Das
ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Bevor wir nun in unsere Tagesordnung eintreten,
möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun-
destag trauert um sein langjähriges Mitglied Max
Stadler, der am vergangenen Sonntag gestorben ist. Max
Stadler war fast 20 Jahre, seit 1994, Mitglied des Parla-
ments und hat in dieser Zeit wichtige Funktionen und
Aufgaben übernommen. Zwei große Interessenfelder
gab es in seinem Leben: zum einen das Interesse an allen
Fragen des Rechts, zum anderen sein Wunsch, Politik zu
gestalten. Er durchlief zunächst eine juristische Ausbil-
dung, wirkte als Staatsanwalt und Richter. Bald schon
engagierte er sich politisch, zunächst auf kommunaler
Ebene, bevor er später in die Landes- und dann in die
Bundespolitik wechselte. Gerade in dem Amt, das er zu-
letzt, seit Beginn dieser Legislaturperiode, innehatte
– als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustiz-
ministerium –, konnte er seine beiden Interessenschwer-
punkte Recht und Politik auf eine Weise zusammenbrin-
gen, von der sowohl das Ministerium als auch das
Parlament profitiert haben.

Zu seinen Aufgaben als Abgeordneter und Parlamen-
tarischer Staatssekretär hat er weitere Funktionen über-
nommen. Er war Lehrbeauftragter an der Universität





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Passau und Präsident der Thomas-Dehler-Stiftung. Vor-
gestern sollte und wollte er an einer Veranstaltung
anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Deutsch-
Tschechischen Gesprächsforums teilnehmen, dessen
Beiratsvorsitzender er war und das er persönlich wesent-
lich vorbereitet hatte.

Seine politische Heimat hat Max Stadler in der FDP
gefunden – er war ein überzeugter Liberaler. Zugleich
war er von ganzem Herzen Bayer, in Passau und dem
Umland fühlte er sich zu Hause.

„Suaviter in modo, fortiter in re“ war sein persönli-
ches Lebensmotto, und wer ihn kannte, weiß, dass dies
für ihn zweifellos zutreffend war. So klar und fest er für
seine liberale Haltung einstand, so verbindlich kollegial
war sein persönliches Auftreten. Er war ein Kollege, mit
dem man einfach gerne zusammengearbeitet hat. Mit
seiner sachlichen, ruhigen, stets freundlich-ausgleichen-
den Art war Max Stadler in allen Fraktionen geschätzt.
Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für
das, was er in diesem Haus und für dieses Parlament
über viele Jahre hinweg geleistet hat. Wir werden ihm
ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Angehörigen
spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteil-
nahme aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 27. April ist
Jürgen Warnke im Alter von 81 Jahren verstorben, an
den im Unterschied zu Max Stadler die meisten jetzigen
Mitglieder des Bundestages nicht in gleicher Weise per-
sönliche Erinnerungen haben werden. Er hat dem Deut-
schen Bundestag fast 30 Jahre angehört. Seine Familie
stammte aus Mecklenburg, und sie hat nach dem Zwei-
ten Weltkrieg in Oberfranken eine neue Heimat gefun-
den.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften hat er
sich früh beruflich in der Wirtschaft engagiert und poli-
tisch in der CSU. Er war einige Jahre wissenschaftlicher
Mitarbeiter der CSU-Landesgruppe als Assistent von
Hermann Höcherl. Er hat sich parallel zu seiner berufli-
chen späteren Tätigkeit in der Partei engagiert, war
Kreisvorsitzender, später stellvertretender Landesvorsit-
zender, wurde 1962 in den Bayerischen Landtag gewählt
und 1969 in den Bundestag, dem er bis 1998 angehört
hat. In der Regierungszeit von Helmut Kohl war er bis
Anfang 1991 Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit, für eine kurze Zeit auch Bundesverkehrsmi-
nister, und er hat sich in dieser Zeit insbesondere darum
bemüht, die Entwicklungshilfe im Kontext der Interes-
sen der deutschen Außenpolitik als Hilfe zur Selbsthilfe
zu organisieren. Auch ihm bleiben wir für viele Jahre
seines Engagements für unser Land verbunden, und sei-
ner Familie gilt unsere Anteilnahme.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim ersten Tages-
ordnungspunkt unserer heutigen Plenarsitzung geht es
um die Neuausrichtung der Bundeswehr. Dabei wird der
Bundesverteidigungsminister auch auf den Tod eines
Soldaten Bezug nehmen, der am 4. Mai dieses Jahres
während des Einsatzes für unser Land in Afghanistan ge-
tötet wurde. Wir wollen diesen Soldaten und seine Ange-
hörigen in unser Gedenken einbeziehen.

Ich danke Ihnen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Verteidigung

Neuausrichtung der Bundeswehr – Stand und
Perspektiven

b) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Rainer
Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Bernhard
Brinkmann (Hildesheim), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Bundeswehr – Einsatzarmee im Wandel

– Drucksachen 17/9620, 17/13254 –

Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Also ist das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas
de Maizière.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestagspräsident hat
eben darauf hingewiesen: Am 4. Mai dieses Jahres ist
ein deutscher Soldat in Afghanistan gefallen. Die Trau-
erfeier für ihn war am Montag. Frau Kollegin Kastner
und ich waren dort. Die Beisetzung hat gestern stattge-
funden. Wir trauern um diesen Kameraden, sind in Ge-
danken mit den Angehörigen, mit denen der General-
inspekteur und ich auch sprechen konnten.

Der Tod unseres Soldaten wie der aller Gefallenen ist
uns Auftrag und Verpflichtung für unsere Arbeit in
Afghanistan, in allen Einsätzen und auch in Deutsch-
land, auch im Grundbetrieb und auch in der Neuausrich-
tung. Diese Neuausrichtung der Bundeswehr ist eines
der grundlegenden und großen Reformvorhaben dieser
Legislaturperiode. Sie ist ein tiefgreifender Umbruch in
der Geschichte der Bundeswehr. Die Neuausrichtung ist
für die Bundeswehr keine weitere Etappe in einer Reihe
von Reformen. Sie ist nicht die soundsovielte Reform.
Sie ist mehr als die Aussetzung der Wehrpflicht und
mehr als Standortschließungen.

Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr setzen wir
einen verteidigungspolitischen Schlussstrich unter den
Kalten Krieg und auch seine Nachwehen. Die Neuaus-
richtung der Bundeswehr ist die grundlegende Antwort
auf die veränderte sicherheitspolitische Lage, und sie ist
die grundlegende Vorbereitung auf absehbare, ja auf un-
absehbare zukünftige Aufgaben. Das hat viel zu tun mit
Organisationen und Verfahren, mit dem Aufbau und dem
Umbau und dem Abbau von Behörden, mit Standort-





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)


schließungen und Umgruppierungen von Einheiten. Ich
komme darauf noch zu sprechen.

Aber neben diesen wahrlich nicht zu unterschätzen-
den Strukturveränderungen ist die Neuausrichtung der
Bundeswehr auch ein geistiger Prozess, der das Selbst-
verständnis der Bundeswehr berührt. Die geistige Di-
mension der Neuausrichtung schafft zugleich die Grund-
lage für eine neue Organisationskultur. Die Übernahme
von Verantwortung vor Ort soll Freude machen. Wir
wollen dem Prinzip des Führens mit Auftrag wieder
mehr Geltung verschaffen. Eine Fehlerkultur auf allen
Ebenen wollen wir ermöglichen, damit wir aus Fehlern
lernen. Wir wollen, dass die Bundeswehr den Soldatin-
nen und Soldaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern Heimat bietet und Kameradschaft lebt. Wir wollen,
dass sie Respekt, Achtung und Wertschätzung unserer
Gesellschaft erfahren; denn unsere Soldaten und Mitar-
beiter dienen wie keine andere Berufsgruppe unserem
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Karin Evers-Meyer [SPD])


Ausgangspunkt und Ziel der Neuausrichtung ist der
Auftrag der Bundeswehr. Bis 1990 bestand die sicher-
heitspolitische Verantwortung Deutschlands vor allem
darin, unser Land und Mitteleuropa durch Abschreckung
zu verteidigen, ohne die Anwendung von militärischer
Gewalt, nur durch die Balance von Sicherheit und Ent-
spannung.

Das haben wir Schulter an Schulter mit unseren
NATO-Alliierten gemacht. Oft haben wir dabei auf die
starken Schultern der anderen verwiesen. Heute tragen
wir als vereintes, starkes und souveränes Land im Her-
zen Europas Mitverantwortung für Stabilität und Sicher-
heit in der Welt. Wir gehören heute selbst zu den starken
Schultern. Wir werden gefragt. Unser Einfluss ist er-
wünscht und anerkannt. Wir nehmen unsere Verantwor-
tung wahr – mit historischem Bewusstsein und politi-
schem Augenmaß. Wir sollten uns nicht überschätzen,
aber auch nicht unterschätzen.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr schafft die Vo-
raussetzung dafür, dass wir unsere internationale Verant-
wortung sicherheitspolitisch und auch militärisch erfül-
len können. Sie ist ein deutliches Signal an unsere
Verbündeten und Partner. Dort wird dies erkannt und an-
erkannt. Deutschland ist auch und gerade wegen seiner
Einsätze und auch und gerade wegen der Art und Weise
seines Vorgehens bei Einsätzen ein angesehenes Mit-
glied der internationalen Gemeinschaft. Unsere Bundes-
wehr ist nicht das einzige, aber sie ist ein zentrales In-
strument deutscher Sicherheitspolitik. Voraussetzung
dafür aber sind die passenden Mittel, die richtigen In-
strumente, gut ausgebildete Menschen und eine nachhal-
tige Finanzierung.

Die Bundeswehr war nicht umfassend auf die sicher-
heitspolitischen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts
ausgerichtet. Das – ich füge es hinzu – ist für die Vergan-
genheit auch nicht kritikwürdig. Wir hatten mit den Ver-
änderungen durch und seit 1990 wahrlich genug zu tun.

Für die Zukunft wäre der Status quo aber nicht ausrei-
chend.

Das Ziel der Neuausrichtung ist deshalb eine einsatz-
bereite und leistungsfähige Bundeswehr, die der Politik
ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Handlungsop-
tionen bietet, eine Bundeswehr, die sich durch effektive
Strukturen und effektive Prozesse auszeichnet, eine Bun-
deswehr, die nachhaltig finanziert und gut ausgerüstet
ist, über eine ausgewogene Personalstruktur verfügt und
als Freiwilligenarmee fest in unserer Gesellschaft veran-
kert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unsere Bundeswehr ist ein hochkomplexes Gebilde.
Sie scheint äußerlich vergleichbar mit einem global agie-
renden Konzern – mit bisher rund 300 000 Mitarbeitern
an rund 400 Standorten im In- und Ausland, mit Kampf-
truppe, einem Luftfahrtunternehmen, einer Reederei, ei-
nem Krankenhausverbund, einem Logistikunternehmen,
einer entsprechenden Verwaltung; die Liste ließe sich
lange fortsetzen. Ein solch komplexes Gebilde bei lau-
fendem Betrieb grundlegend zu verändern, ist überall
schwierig. Nur: Die Bundeswehr ist kein global agieren-
der Konzern. Wir sind die Bundeswehr mit einem ho-
heitlichen Auftrag. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie
jeder andere. Von niemandem sonst verlangen wir Tap-
ferkeit, von niemandem sonst erwarten wir, sich bewusst
in Gefahr zu begeben, von niemandem sonst verlangen
wir, notfalls im Gefecht zu bestehen, und von nieman-
dem sonst verlangen wir einen solch treuen Dienst.

Es geht bei der Neuausrichtung um eine Reform aus
einem Guss, die keine Ecke der Bundeswehr, keinen in
der Bundeswehr und auch keinen im Verteidigungsmi-
nisterium ausspart. Ich weiß, dass das kritisiert wird. Das
sei zu viel auf einmal, das sei zu schnell, sagen einige.
Es ist aber notwendig, dass wir alles gleichzeitig und ge-
meinsam auf den Prüfstand stellen und anpacken, weil
die Dinge nämlich ineinandergreifen.

Unsere Entscheidungen sind 2011 und 2012 gefallen.
Nun setzen wir sie systematisch nacheinander um. Im
Ministerium haben wir angefangen, um mit gutem Bei-
spiel voranzugehen. Knapp 5 000 der 6 400 Organisa-
tionselemente der Bundeswehr werden umstrukturiert
und sind direkt betroffen; die restlichen mindestens indi-
rekt. Der Zeitplan für die Umsetzung ist ehrgeizig, aber
realistisch. Bis Ende dieses Jahres sind über die Hälfte
der neuen Organisationselemente arbeitsfähig. Die neue
Führungsorganisation wird bis Ende 2014 vollständig
eingenommen sein. Die Verbände und Dienststellen wer-
den bis Ende 2016 umstrukturiert sein. Spätestens 2017
wollen wir fertig sein.

Wo stehen wir nun, und was ist noch zu tun? Ich
möchte mich heute auf drei Punkte konzentrieren.

Erstens. Die geplanten Fähigkeiten der Bundeswehr
sind sicherheitspolitisch begründet. Was heißt das? Die
Bundeswehr wird im multinationalen Verbund einge-
setzt. Das erfordert bündnisfähige Strukturen. „Bündnis-
fähigkeit“ bedeutet für ein Land von unserer Größe,
auch als Rahmennation, ein breites Spektrum von Fähig-
keiten vorzuhalten, in das sich kleinere Nationen einfü-





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)


gen können. Die Bundeswehr muss neben bekannten
auch für neue Aufgaben vorbereitet sein, ohne sie schon
genau zu kennen. Das ist so, wenn man in einer unsiche-
ren Welt agiert. Für so viel wie nötig vorbereitet zu sein,
verlangt ein breites Fähigkeitsspektrum. Wir müssen
nicht alles können, aber viel.

Wir sprechen hier nicht über abstrakte Prinzipien. In
den letzten sechs Monaten hat der Deutsche Bundestag
drei neue Einsatzmandate beschlossen. Kleinere Kontin-
gente der Bundeswehr wurden in die Türkei sowie in den
Senegal und nach Mali entsandt – mit unterschiedlichem
Auftrag. Aus diesen Erwägungen – unsere Erfahrungen
mit dem Einsatz, die Rolle im Bündnis und unsere inter-
nationale Verantwortung – haben wir uns für das Prinzip
„Breite vor Tiefe“ entschieden. Das macht eine enge Ar-
beitsteilung mit unseren Partnern in Europa und in der
NATO überhaupt erst möglich.

Natürlich gibt es für Fähigkeiten kritische Untergren-
zen. Das ist wahr. Wir unterschreiten sie auch nicht. Wir
wollen uns sicherheitspolitische Optionen in verschiede-
ner Weise offenhalten. Deshalb darf unser Fähigkeits-
spektrum nicht so aufgestellt sein, dass wir uns militä-
risch nur dann beteiligen können oder quasi müssen,
wenn wir eine bestimmte Fähigkeit in größerem Umfang
vorhalten, die mal gerade gebraucht wird. Wir müssen in
der Lage sein, auch in kleinerem Umfang Kontingente
zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel: mal Flugzeuge
zur Durchsetzung einer Flugverbotszone, mal Spezial-
kräfte, mal Ausbilder, mal Infrastruktur oder mal Sanität –
jedes für sich Teil eines Pakets im Bündnis. Frankreich
und Großbritannien, meine Damen und Herren, machen
es im Übrigen ganz genauso.

Ein zweiter Punkt. Die geplanten Strukturen der Bun-
deswehr sind demografiefest. Was heißt das? Die demo-
grafischen Bedingungen sind auch für die Bundeswehr
absehbar schwierig. Die Zahl der potenziellen Bewerbe-
rinnen und Bewerber eines Jahrgangs für den Dienst in
der Bundeswehr haben sich seit 1990 ungefähr halbiert.
Die Bundeswehr brauchte deshalb eine realistische Per-
sonalplanung. Dabei bleibt es. Notwendig war und ist
ein gleichzeitiger Abbau, Umbau und Aufbau des Perso-
nalkörpers Bundeswehr. Nach derzeitigem Stand sieht es
danach aus, dass wir unsere Ziele erreichen – quantitativ
und qualitativ, über alle Statusgruppen hinweg. Die jun-
gen Menschen bewerben sich bei uns. Wir können unter
Bewerbern auswählen. Ich freue mich darüber.

Die Bewerberzahlen sind insgesamt gut. Es gibt aller-
dings Ausnahmen, zum Beispiel bei der Marine. Wir
sind uns jedoch bewusst: Wir stehen mit Blick auf die
Personalgewinnung vor großen Herausforderungen.
Deshalb haben wir auch gerade den gesamten Organisa-
tionsbereich Personal so umgestaltet, dass er den Erfor-
dernissen der Bundeswehr und denen des Arbeitsmark-
tes entspricht. Die bisher zersplitterten Zuständigkeiten
für Personal werden gebündelt. Interessenten und Be-
werber, aktive Mitarbeiter und Soldaten haben bei der
Bundeswehr künftig einen zentralen Ansprechpartner.
Dort fassen wir die Personalführung für zivile Mitarbei-
ter und Soldaten zusammen und führen sie als einen Per-
sonalkörper aus einer Hand. Mitarbeiter und Soldaten,

militärische und zivile Organisationsbereiche: Sie alle
sind eine Bundeswehr. Aus einem Nebeneinander von
zivilen Mitarbeitern und Soldaten machen wir ein Mitei-
nander. Auch das verlangt ein Umdenken.

Die Bundeswehr wird künftig im Verhältnis über we-
niger Berufssoldaten und mehr Zeitsoldaten verfügen,
mehr als zwei Drittel. Deswegen werden wir auch keine
Berufsarmee, sondern wir sind eine Freiwilligenarmee.
Unser Personal verlässt die Bundeswehr höher qualifi-
ziert, als es in sie eingetreten ist. Das unterscheidet uns
von vielen anderen Streitkräften in der Welt. Wir sind
deswegen mit der Wirtschaft keine Konkurrenten um
junge Menschen, sondern in Wahrheit Partner. Die Wirt-
schaft wird wie bisher Zeitsoldaten einstellen, wenn sie
die Bundeswehr verlassen. Sie tut damit etwas für unser
Land und etwas Gutes für sich. Bessere Bewerber findet
sie nicht.

Für junge Menschen gehört zur Attraktivität eines Ar-
beitgebers neben einem guten Gehalt auch ein guter Ruf.
Seit Jahren gehört die Bundeswehr für Schüler zu den at-
traktivsten Arbeitgebern. Auch in diesem Jahr belegt sie
in den Umfragen den dritten Platz. Jüngst wurde der
Bundeswehr von Studenten bescheinigt, zum oberen
Drittel der Toparbeitgeber zu gehören. Wir waren der
Aufsteiger des Jahres.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das hat sich an der Humboldt-Uni vielleicht noch nicht
herumgesprochen.

Gleichzeitig müssen wir aber besser daran arbeiten,
diejenigen zu halten, die wir haben. Das hat mit guten
Dienstbedingungen zu tun. Das hat viel zu tun mit der
noch nicht ausreichenden Vereinbarkeit von Familie und
Dienst und mit Aufstiegschancen. An all dem arbeiten
wir. Hier werden wir weiter investieren. Das Reformbe-
gleitprogramm und das Attraktivitätsprogramm sind des-
halb wichtige Eckpunkte der Neuausrichtung.

Ein dritter Punkt: Die Neuausrichtung ist solide finan-
ziert. Die neu ausgerichtete Bundeswehr ist nachhaltig
finanzierbar. Was heißt das? Wir stellen die notwendigen
finanziellen Mittel zur Verfügung. Der aktuelle Haus-
halt, die Eckwerte für den Haushalt 2014 und die mittel-
fristige Finanzplanung schaffen eine stabile Grundlage
für die nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr in ih-
ren neuen Strukturen. Unser Haushalt bleibt im Wesent-
lichen gleich. Höhe und Stabilität unseres Haushalts in
den nächsten Jahren halten jedem Vergleich mit unseren
vergleichbaren Partnern in Europa stand, insbesondere
dem Vergleich mit Großbritannien und Frankreich. Der
Verteidigungshaushalt dieser Bundesregierung ist ein
Bekenntnis zur Bundeswehr und zu unserer internationa-
len Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Neuausrichtung der Bundeswehr beendet zudem
unzureichende Abläufe der Rüstungsbeschaffung und
-nutzung. Das liegt auch im Interesse der Steuerzahler.
Wir alle waren – übrigens nicht nur in Deutschland –
mit den Beschaffungsprozessen der Bundeswehr für mo-
derne Rüstungsgüter unzufrieden. Ein kritischer Blick





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



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richtete sich dabei oft auf die Industrie; das ist aber heute
nicht mein Thema. Denn auch in der Bundeswehr gab es
Schwachstellen. Die sogenannten Bedarfsträger wollten
schnell das Allerbeste kaufen bzw. haben. Die sogenann-
ten Bedarfsdecker mussten es irgendwie beschaffen. Die
Haushälter sollten es irgendwie finanzieren. Die Be-
schaffungskosten wurden von den Nutzungskosten ent-
koppelt. Wünsche an ein neues Großgerät wurden auch
nach der Bestellung ständig verändert. Der IT-Bedarf
wurde unterschätzt. All dies wird mit der Neuausrich-
tung der Bundeswehr grundlegend verändert.

Das neue Bundesamt für Ausrüstung, Informations-
technik und Nutzung ist aufgestellt und beginnt, mit
neuen Verfahren zu arbeiten. Wir planen nur, was wir
uns leisten können. Wir beschaffen nur, was wir brau-
chen, und nicht, was uns angeboten wird.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Drohnen zum Beispiel!)


Die Nutzungskosten werden von Beginn an in die Kos-
tenkalkulation einbezogen. Nachträgliche Veränderungen
werden erschwert. Gerade die Erfahrungen der letzten
Tage zeigen, wie notwendig ein integriertes Beschaf-
fungs- und Nutzungsverfahren ist, das von Beginn an alle
denkbaren Gesichtspunkte in den Blick nimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Probleme bei neuartigen Modellen auftauchen,
wie bei dem Fall, über den wir jetzt diskutieren, so wird
erst daran gearbeitet, sie zu lösen. Wenn wir dann sehen,
dass diese Probleme nicht adäquat behoben werden kön-
nen, wenn Kosten aus dem Ruder zu laufen drohen, dann
ziehen wir lieber die Reißleine – auch in Zukunft. Lieber
ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Das werden wir auch in diesem Fall chronologisch ge-
nau dokumentieren.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Lieber ein Ende! – Rainer Arnold [SPD]: Lieber ein Wechsel!)


Die Neuausrichtung wird umgesetzt, und zwar konse-
quent von oben nach unten. Mit dem Ministerium haben
wir angefangen. Dazu gehört auch die Verringerung der
Zahl der Mitarbeiter von 3 500 auf 2 000. Seit dem
1. April 2012 arbeiten wir mit der neuen Struktur. Ab der
zweiten Jahreshälfte 2012 folgten nach und nach die
Aufstellung der drei neuen Bundesoberbehörden, die
Auflösung der bisherigen Strukturen und die Aufstellung
der höheren militärischen Kommandobehörden. Ende
2012 wurde mit der Aufstellung der sogenannten Fähig-
keitskommandos, also der Ebene unter den Inspekteuren,
begonnen.

Die Neuausrichtung beginnt, im Alltag zunehmend
sichtbar zu werden: die Konzentration von Aufgaben an
einer Stelle, der Verzicht auf Doppelstrukturen, die Stär-
kung der Verantwortung unterhalb des Ministeriums, der
Abbau einer ganzen Kommando- und Verwaltungs-
ebene, die erstmalige Unterstellung der gesamten Streit-
kräfte unter den Generalinspekteur der Bundeswehr als
wirklich obersten Soldaten der Bundeswehr und ein um-
fassendes Programm zur Deregulierung, um den Ent-

scheidern die erforderliche Gestaltungsfreiheit zu geben.
All diese Maßnahmen greifen.

Aber: Die Neuausrichtung verlangt den Mitarbeiterin-
nen und Soldaten viel ab. Der Abschied von gewohnten
Rollen und Aufgaben, von eingespielten Strukturen und
Abläufen, von vertrauten Orten und Netzwerken und der
Personalabbau und -umbau kosten Kraft und führen zu
Unsicherheiten. Wer hätte dafür kein Verständnis?

Die Sachentscheidungen in einem derartig tiefgrei-
fenden Veränderungsprozess – mögen sie auch noch so
logisch und sinnvoll sein – werden nur dann von den be-
troffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgesetzt
und gelebt, wenn sie ausreichend bekannt sind, verstan-
den und mitgetragen werden. Hier gab es Kritik, auch
berechtigte Kritik. Wir haben sie aufgenommen. Enttäu-
schungen und Kritik begleiten jeden großen Verände-
rungsprozess. Die Angehörigen der Bundeswehr wissen
aus eigener Anschauung am besten, warum die Neuaus-
richtung notwendig ist; sie sind von der Notwendigkeit
der Veränderungen überzeugt und tragen sie trotz man-
cher einschneidender persönlicher Nachteile insgesamt
mit.


(Rainer Arnold [SPD]: Aber 90 Prozent sagen, sie geben keinen Sinn!)


Das Wie der Neuausrichtung müssen wir besser ver-
mitteln; aber wir werden trotzdem nicht jeden zufrieden-
stellen können. Personalabbau, Versetzungen, Abgabe
von Aufgaben an andere Ressorts – da hat das „Mitneh-
men“, wie es immer gefordert wird, objektive Grenzen.

Dennoch: Die Erfolge bei der Umsetzung werden Wo-
che für Woche sichtbarer. Auf diesem Weg sollten wir
weitergehen. Ich will ihn mit möglichst vielen gemein-
sam gehen. Nichts, meine Damen und Herren, fürchtet
die Bundeswehr mehr als eine neue Reform. Verlässlich-
keit und Kontinuität bei der Neuausrichtung – das sollten
wir anstreben. Das schließt Kritik an Details natürlich
nicht aus. Auch wir werden im Laufe des nächsten Jahres
die Neuausrichtung evaluieren und an dem einen oder
anderen Punkt möglicherweise nachsteuern.


(Zuruf von der SPD: Machen wir schon!)


Ein Nachsteuern ist aber keine grundlegende Revision
der Neuausrichtung.

Lassen Sie mich mit der Bitte schließen, dass wir die
Umsetzung der Neuausrichtung entschlossen und so ge-
meinsam wie nur irgend möglich fortsetzen. Das deckt
sich im Übrigen auch mit der Aussage des Kanzlerkandi-
daten der SPD, der nach einem Besuch bei der Bundes-
wehr gesagt hat, die Neuausrichtung würde nur schlep-
pend vorangetrieben. Daraus kann ich nur schließen: Sie
sollte entschlossen vorangetrieben werden. Recht hat er –
mal sehen, ob es die folgenden Redner auch so sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Alles, was wir tun, meine Damen und Herren, dient
nicht den Interessen von Einzelnen, auch nicht innerhalb
der Bundeswehr. Es dient auch nicht den Interessen von
Parteien, ja, nicht einmal der Bundesregierung. Alles,
was wir tun, hat den Interessen und der Sicherheit unse-





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)


res Landes zu dienen. Die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter, die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
verdienen unser Vertrauen, auch bei der Neuausrichtung.
Sie dienen Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724000100

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen

Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1724000200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gut, dass heute das Thema Bundeswehrreform an ex-
ponierter Stelle im Parlament behandelt wird. Schlecht,
dass es dazu einer Großen Anfrage der Sozialdemokra-
ten bedurfte; denn sonst hätte das nicht stattgefunden.
Und schlecht, Herr Minister, dass Sie sich zwölf Monate
Zeit gelassen haben, diese Große Anfrage überhaupt zu
beantworten.

Sie wollten über den Stand der Neuausrichtung reden;
so heißt es im Titel Ihres Berichtes. In Wirklichkeit spre-
chen Sie aber darüber, was Sie angeordnet haben, was
Sie sich wünschen. Wo wir stehen und welche Probleme
auf dem Tisch liegen, das blenden Sie aus. Sie nutzen
nicht einmal die Gelegenheit, die aktuelle Debatte über
die Euro-Hawk-Drohne hier dem ganzen Parlament zu
erläutern und die veränderte Position zu begründen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Es gibt im Internet einen interessanten Bundeswehr-
Blog. Ich möchte Ihnen ein paar Zitate daraus vortragen.
Einer schreibt:

… ich habe selten einen so schlechten Bericht gese-
hen. Über die Qualität … und das Ausmaß der Rea-
litätsbeugung bin ich regelrecht entsetzt.

Zweiter Eintrag:

… hat das der Presse-/Info-Stab selbst geschrieben
oder direkt eine Werbeagentur beauftragt?

Der Nutzer „Oberleutnant“ schreibt:

Sagenhaft … Wo finde ich diese Bundeswehr, wel-
che in diesem Bericht erwähnt wird?

Herr Minister, so schreiben die Menschen, die den
Truppenalltag kennen und erleben. Es sind keine Men-
schen, die nach Anerkennung gieren, sondern solche, die
sich Sorgen machen, ob ihr Berufsstand so attraktiv
bleibt, dass auch in Zukunft die Richtigen gefunden wer-
den; denn wenn das nicht gelingt, werden wir eine völlig
veränderte Bundeswehr haben. Diese Menschen, Herr
Minister, wissen, dass Ihre Neuausrichtung eine Mogel-
packung ist.

Noch ein Eintrag:

Der Anlaß für die Reform war das Einsparen …
nun wird es teuer bei geringer werdender …fähig-
keit …


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Jeder Mittelständler hätte seinen Geschäftsführer
mit so einem Bericht entlassen.

Dem muss man eigentlich nichts mehr hinzufügen.


(Beifall bei der SPD)


Nur, Herr Minister, warum legen Sie die Messlatte bei
Ihrer Reform so hoch? Die Anforderungen an diese Re-
form braucht man nicht zu überhöhen. Es geht nicht um
eine völlige Neuerfindung der Bundeswehr. Sie behaup-
ten: Es wird alles neu. – Herr Minister, am Ende wird bei
der Bundeswehrreform gar nichts Neues herauskommen
– Sie benennen auch nichts Neues –, heraus kommt von
allem weniger: weniger Geld, weniger Personal und we-
niger Gerät.

Die Reform ist auch sicherheitspolitisch überhaupt
nicht begründet, sondern nur fiskalisch. Die Welt hat
sich in den letzten drei Jahren doch nicht verändert.


(Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/ CSU])


Deswegen tragen wir so wichtige Eckpunkte wie die
Aussetzung der Wehrpflicht mit; man müsste es nur bes-
ser machen. Aber eines hat sich ein Stückchen verändert:
Wer glaubt, mit einem Einsatz wie in Afghanistan, mit ei-
ner Masse von Soldaten von außen kommend, Nation-
Building, Staatsaufbau betreiben zu können, der irrt. Das
wird sich die Staatengemeinschaft eher nicht mehr antun.
Sie selbst, Herr Minister, sprachen von kleinen Einsät-
zen. Genau auf diese neuen Herausforderungen – meh-
rere kleine parallele Einsätze logistisch zu unterstützen,
Sicherheitsbündnisse auszubilden, vor Ort zu qualifizie-
ren – gibt Ihre Reform keine Antwort. Gerade für die
drängendsten Zukunftsfragen haben Sie keine Lösung.


(Beifall bei der SPD)


Gewiss: Sie haben eine schwere Hypothek übernom-
men. Ihr Vorgänger hat Ihnen in der Tat eine Reform-
ruine hinterlassen. Sie haben zu Beginn gesagt, Sie wür-
den alles auf den Prüfstand stellen. In Wirklichkeit
haben Sie aber bei der Reformvorgabe überhaupt nichts
geändert. Sie haben nicht einmal – und das tut richtig
weh – die Chance genutzt, aus dem freiwilligen Wehr-
dienst ein breites gesellschaftliches Projekt der Freiwilli-
gendienste zu machen. Jetzt lese ich, dass die Kanzlerin
in 14 Tagen einen Gipfel zum Thema Freiwilligen-
dienste einberufen will. Das ist nun wirklich der Gipfel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Der Bundesfreiwilligendienst, das ist ein riesiger Erfolg! In welcher Welt leben Sie? – Henning Otte [CDU/CSU]: Das stimmt so doch gar nicht!)






Rainer Arnold


(A) (C)



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Es kommt doch nicht darauf an, vier Monate vor den
Wahlen zu sagen: Schön, dass wir mal darüber geredet
haben.

Herr Minister, Sie haben nichts wirklich auf den Prüf-
stand gestellt. Sie haben vor allem die Beschaffung von
Großgeräten nicht ordentlich geprüft und begleitet. Des-
halb führen wir im Augenblick so eine schwierige De-
batte über den Euro Hawk. Es ist schon richtig, dass er
mit großer Mehrheit des Parlaments gewollt wurde,


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Von der SPD mitbeschlossen!)


aber im Jahr 2011 sind gravierende Probleme aufgetre-
ten. Staatssekretär Beemelmans hat gestern erklärt, alle
Projektbeteiligten hätten diese Probleme vorgetragen be-
kommen. Herr Staatssekretär, Herr Minister, ja sind denn
das Parlament und der Haushaltsausschuss nicht projekt-
beteiligt? Uns hat man im Dunkeln gelassen; man hat so-
gar zwei Jahre lang Haushaltsbeschlüsse zu diesem Pro-
jekt fassen lassen.

Sehr interessant ist: Sie haben sogar Ihr eigenes Kabi-
nett vor einer Woche regelrecht getäuscht. In Ihrer Kabi-
nettsvorlage zum Stand der Neuausrichtung haben Sie so
getan, als ob die Beschaffung strukturrelevanter Haupt-
waffensysteme – Euro Hawk mit fünf Stück, Global
Hawk mit vier Stück –


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Obergrenze!)


ohne Probleme verfolgt werde. So gehen Sie mit Ihrem
eigenen Kabinett um!


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Lesen Sie die Tabelle richtig!)


Ich frage mich schon: Erhebt die Kanzlerin nicht mehr
den Anspruch, dass Probleme bei der Strukturreform, die
sowohl im internationalen als auch im finanziellen Maß-
stab gravierend sind, im Bericht zum Stand der Neuaus-
richtung korrekt vorgetragen werden?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Lesen Sie korrekt die Tabelle!)


Herr Minister, Sie und Ihr langjähriger Weggefährte,
Staatssekretär Beemelmans, sagen fast in jeder Rede vor
Soldaten, Sie seien dafür und sorgten dafür, dass bei der
Bundeswehr die Verantwortung in einer Hand liegt.
Nach dem finanziellen Desaster wäre jetzt eine gute Ge-
legenheit, diesem Anspruch gerecht zu werden. Oder
soll ich Ihnen wirklich wünschen, Herr Minister, dass
die Kanzlerin in den nächsten Tagen sagt, sie stehe voll
und ganz hinter Ihrem Verteidigungsminister?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von Abgeordneten der CDU/ CSU: Tätä! Tätä! Tätä!)


Herr Minister, ich spreche das auch deshalb an, weil
der Umgang mit dem Parlament in dieser Frage ein
Stück weit symptomatisch dafür ist, wie Sie mit den
Menschen in der Bundeswehr insgesamt umgehen, näm-

lich: Von oben nach unten anordnen, und alle sollen wi-
derspruchslos folgen. Wer das nicht tut, wird von Ihnen
beschimpft.

Herr Minister, Sie haben oft gesagt: Die Reform ist
eine schwierige Operation; sie entspricht einer Operation
am offenen Herzen. Ich finde, das ist ein schönes Bild,
weil es bei einer Operation am offenen Herzen wie die-
ser Reform insbesondere darauf ankommt, dass die Blut-
zirkulation des Patienten am Laufen gehalten wird. Das
tun Sie aber nicht. Sie operieren ohne Herz-Lungen-Ma-
schine. Sie lassen die Bundeswehr gerade in diesem
Übergangsprozess, der sechs bis sieben Jahre dauert,
personell regelrecht ausbluten. Sie haben Ihre Reform
nicht mit einem wirklichen Übergangsmanagementkon-
zept unterlegt. Darunter leiden die Soldaten. Das merken
die Soldaten im Augenblick, da bei der Feinplanung
sichtbar wird, wo die Defizite liegen. Über diese Pro-
bleme reden Sie aber in keiner Weise.


(Beifall bei der SPD)


Im Gegenteil, Herr Minister, Sie sagen ganz schlicht:
Der Mensch folgt den Aufgaben.

Herr Minister, Sie haben auch heute in Ihrer Rede ein
Bonbon verteilt: Sie haben gesagt, wir sollten den Solda-
ten vertrauen. Das sollten wir in der Tat. Wir sollten mit
den Soldaten respektvoll und mit ihren persönlichen Be-
dürfnissen und den Bedürfnissen ihrer Familien achtsam
umgehen. Wenn man von oben herab sagt: „Der Soldat
folgt den Aufgaben“, dann ist das entschieden zu wenig.
Das spüren die Soldaten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Wir haben ein großes Reformbegleitgesetz gemacht!)


Wir Sozialdemokraten werden die Reform zwar nach
der Wahl im September nicht völlig über den Haufen
werfen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gar nichts werdet ihr tun!)


Vieles kann man auch gar nicht ändern. Manches ist ja
auch vernünftig, die Organisation des Ministeriums zum
Beispiel. Aber wir werden an den Stellen, an denen man
nachsteuern kann, zügig nachsteuern. Wir werden nicht,
wie Sie es vorhaben, bis zum Jahr 2014/15 warten,


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Die Soldaten wollen Sicherheit!)


dann evaluieren und dabei feststellen, dass man es gar
nicht mehr ändern kann, weil der Prozess schon zu weit
vorangeschritten ist. Wir wissen, dass man in vielen Be-
reichen etwas ändern kann.

Ein wichtiger Punkt ist die Einhaltung der Vorgabe
– das hat auch das Parlament gewünscht –, dass Solda-
ten, nachdem sie 4 Monate im Einsatz waren, 20 Monate
zu Hause sein können, um in ihrem sozialen Gefüge zu
leben, um teilzunehmen am gesellschaftlichen Leben in
ihrer Heimat. Diese Vorgabe wird bei der Hälfte der Ein-
satzsoldaten inzwischen nicht mehr erfüllt. Machen Sie
sich darüber keine Gedanken? Reden Sie nicht darüber?





Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)


Erreichen Sie nicht die Briefe von Soldaten, in denen
steht, dass sie nicht, wie vorgegeben, maximal 21 Tage
auf Beihilfezahlungen zur Begleichung ihrer Arztrech-
nungen warten, sondern teilweise monatelang, und das
vor dem Hintergrund, dass, wie Sie am Sonntag im ZDF
ja noch gesagt haben, ein großer Teil der Soldaten zu
wenig verdient. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass das Fehlen eines
Übergangsmanagements dazu führt, dass zwei von drei
Offizieren und fünf von sieben Unteroffizieren im Be-
förderungsstau stecken, also nicht die Aufstiegschancen
bekommen, die sie eigentlich verdient hätten? Auch das
hat etwas mit Respekt zu tun.

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass die Soldaten sa-
gen, dass es keine wirkliche Personalplanung gibt, dass
sie manchmal von einem Tag auf den anderen die Bot-
schaft erhalten, wo sie jetzt hingehen sollen?

Macht es Ihnen keine Sorgen, dass es nach der Ab-
schaffung der Wehrpflicht kein vernünftiges Verhältnis
zwischen externer und interner Personalgewinnung gibt?

Herr Minister, Sie sagen, dass die Reform an der ei-
nen oder anderen Stelle Geld kostet, zum Beispiel, wenn
es um die Ermöglichung besserer Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf geht. Es gibt einen einfachen Ansatz
– das wäre schnell umzusetzen –: Herr Minister, Sie
selbst haben dem unsäglichen Betreuungsgeld im Kabi-
nett und hier im Bundestag zugestimmt.


(Zurufe von der FDP: Oh! – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Großer Erfolg!)


Dies führt dazu, dass entgegen der ursprünglichen Haus-
haltsplanung der Bundeswehretat bis zum Jahr 2017 auf
1 Milliarde Euro verzichten muss. Dieses Geld fehlt für
Attraktivitätsmaßnahmen. Ich sage Ihnen, Herr Kollege,
das werden wir im Herbst als Erstes ganz schnell ändern.


(Beifall bei der SPD – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Also bitte, Herr Arnold! Fällt Ihnen nichts Besseres ein?)


Herr Minister, Sie haben den Soldaten Hoffnungen
gemacht und ihnen die Zusage gegeben, dass sie im Jahr
2013 wissen, was aus ihnen persönlich wird. Das ist
auch eine Frage des Vertrauens, nämlich umgekehrt eine
Frage des Vertrauens in die Regierung. Nehmen Sie
nicht wahr, dass 70 Prozent der Soldaten bis zum heuti-
gen Tag überhaupt noch nicht wissen, wohin sie gehen
werden, was aus ihrer Familie, dem Arbeitsplatz und der
Ausbildung ihrer Kinder wird? Darüber reden Sie nicht.
Das führt zu Vertrauensverlusten.

Es ist einfach Fakt, dass 90 Prozent der in einer Um-
frage des BundeswehrVerbandes befragten Soldaten ge-
sagt haben, sie seien der Auffassung, diese Reform habe
keine Zukunft. Angesichts dessen können Sie doch nicht
einfach hier behaupten, dass die Soldaten die Reform gut
finden. In welcher Welt lebt man, wenn man angesichts
dieser Zahlen so etwas feststellt?

Ich habe Ihren Bericht gründlich gelesen. Am Schluss
habe ich gedacht: Siehe da, jetzt kommt doch noch et-
was. Ich war guten Mutes. Da steht nämlich, dass Sie

eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben
haben und einen Maßnahmenkatalog erarbeiten wollen,
der auf die „Beseitigung erkannter Defizite“ abzielt.
Jetzt geht es weiter: „… erkannter Defizite bei der Ver-
mittlung der Kernbotschaften der Neuausrichtung …“
Das heißt, Sie glauben immer noch, die Soldaten kapier-
ten nicht, um was es geht. Sie kapieren sehr wohl, um
was es geht. Es geht nicht in erster Linie um Kommuni-
kation und Vermittlung, sondern darum, dass Sie den Rat
und die berufliche Expertise der Soldaten endlich auf-
nehmen, dass Sie zuhören und dort Änderungen vorneh-
men, wo sie notwendig und angesagt sind.


(Beifall bei der SPD)


Herr Minister, halten Sie doch bitte nicht weiter starr
an Ihren falschen Vorgaben fest. Manchmal stehen wir ja
zu Politikern, die dicke Bretter bohren; den Eindruck, als
ob Sie dies tun, erwecken Sie ja auch mit Ihrem starren
Festhalten. Ich glaube aber, im Augenblick bohren Sie
eher Luftlöcher – siehe Veteranendebatte, ein Projekt,
das eher im Sande verlaufen wird. Nein, Herr Minister,
steuern Sie jetzt um, und zerstören Sie nicht dieses für
die Bundeswehr wichtige Gut, nämlich dass die großen
Parteien hier im Parlament eigentlich einen Grundkon-
sens hinsichtlich der gemeinsamen Verantwortung für
die Menschen bei den Streitkräften bewahren wollen.

Wir stehen zu diesem Grundkonsens. Er wird aber nur
tragen, wenn Sie auch zuhören und an der einen oder an-
deren Stelle etwas ändern. Wir werden dies ab Septem-
ber tun, Herr Minister. Niemand muss Sorge haben, dass
es eine neue Reform geben wird; vielmehr kann sich je-
der darauf verlassen, dass das, was gut ist – das gibt es
bei der Bundeswehr an vielen Stellen –, bewahrt wird
und das, was schlecht läuft, mit Augenmaß und in für die
Menschen verträglichen Schritten geändert wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724000300

Herr Kollege.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1724000400

So werden wir das ab der Bundestagswahl angehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724000500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elke Hoff (FDP):
Rede ID: ID1724000600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Es ist für jemanden, der nicht so tief in den Struktu-
ren der Bundeswehr steckt, immer schwierig, ein Bild
über die tatsächliche Lage zu bekommen. Wenn man
das, was der Kollege Arnold gerade eben vorgetragen
hat, genauer analysiert, bekommt man das Gefühl, dass
es einen völlig demotivierten Apparat gibt, der über-





Elke Hoff


(A) (C)



(D)(B)


haupt nicht mehr in der Lage ist, seinen Auftrag auszu-
führen, und dass es am besten wäre, all das, was auf den
Weg gebracht worden ist, wieder einzustampfen.

Mein Eindruck aus acht Jahren Tätigkeit im Bereich
der Verteidigung und aus vielen Truppenbesuchen so-
wohl im Inland als auch im Ausland ist, dass eher das
Bild zutrifft, dass Herr Minister de Maizière eben in sei-
ner Rede gezeichnet hat, nämlich dass wir Soldaten ha-
ben, die ihren Beruf lieben, dass sie es in den seltensten
Fällen bereuten, diesen Beruf ergriffen zu haben, und
dass sie nach wie vor davon überzeugt sind, einen richti-
gen Auftrag zu erfüllen. Gleichzeitig haben sie die Er-
wartung an uns Politikerinnen und Politiker, dass wir al-
les dafür tun, dass sie diesen Auftrag auch erfüllen
können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass diese Reform, die seit langer Zeit
überfällig war und die sicherheitspolitisch dringend ge-
boten war, zum richtigen Zeitpunkt auf den Weg ge-
bracht worden ist. Ein Jahr! Liebe Kolleginnen, liebe
Kollegen, wer kann ernsthaft erwarten, dass eine solche
umfassende Reform innerhalb eines Jahres sozusagen
ein Selbstläufer wird, ohne Strukturen zu erschüttern?
Genau das sollte doch auch mit der Reform bezweckt
werden: Strukturen, die nicht mehr funktionierten, sollen
so geändert werden, dass sie in Zukunft funktionieren.
Das bedeutet natürlich auch, dass sich an vielen Stellen
vertraute Mechanismen ändern und auch vertraute Ge-
sichter nicht mehr da sind. Das führt zu Widerständen,
das führt zu Fragezeichen, das führt zu Problemen. Ich
selbst habe dies in meiner Zeit außerhalb des Parlamen-
tes, als ich Leitungsaufgaben in einer reformierten Be-
hörde übernommen habe, erlebt.

Natürlich gibt es sehr viel Verunsicherung. Aber man
darf auch nicht vergessen, dass wir in dieser Zeit Erheb-
liches für unsere Bundeswehr erreicht haben. Ich würde
mich wirklich freuen, wenn bei aller berechtigten Kritik
– nobody is perfect – an der einen oder anderen Stelle
auch einmal die Verdienste dieser Reform dargelegt wer-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich werde dies jetzt tun, damit sie deutlich werden; dies
kann dann auch später im Protokoll nachgelesen werden.

Wir haben eine deutliche Verbesserung der Einsatz-
versorgung für unsere Soldatinnen und Soldaten erreicht.
Wir haben das Reformbegleitgesetz verbessert, indem
wir für den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen und eine
Verdoppelung der Einmalzahlung gesorgt haben. Wir ha-
ben die Verbesserung der Behandlung unserer seelisch
verwundeten Soldatinnen und Soldaten erreicht. Wir ha-
ben die Härtefall-Stiftung eingerichtet.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament!)


Wir haben gemeinsam die Verbesserung der Betreuungs-
kommunikation erreicht. Wir haben die Verbesserung
der Ausrüstung und des Schutzes unserer Soldaten im

Einsatz erreicht. Wir werden in Zukunft die Fähigkeit
zur Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger
selbst zu 100 Prozent, in toto, haben. Wir haben mit dem
Soldatengesetz eine einheitliche Rechtsgrundlage für
den Dienst aller Soldaten erreicht. Wir haben einen ein-
heitlichen Gerichtsstand für Auslandseinsätze der Bun-
deswehr geschaffen. Wir haben die zentrale Zuständig-
keit des Bundes für die Versorgung der Verwundeten,
Geschädigten und Hinterbliebenen erreicht. Das ist ein
wesentlicher Schritt nach vorne, um auch den schlim-
men Auswirkungen von Auslandseinsätzen gerecht wer-
den zu können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden für Verbesserungen im Hinblick auf das
Altersruhegeld, die Steuerfreiheit der Reservistenbezüge
und die teilweise Steuerfreiheit der Bezüge von freiwil-
lig Wehrdienstleistenden sorgen.

Die Gehälter von Beamten, Richtern und Soldaten
wurden in den letzten vier Jahren um insgesamt 8 Pro-
zent erhöht: Gehaltssteigerung im öffentlichen Dienst
plus Wiedergewährung des Weihnachtsgeldes. Der fi-
nanzielle Ausgleich für mehrgeleisteten Dienst der Sol-
datinnen und Soldaten wurde fast verdoppelt.


(Rainer Arnold [SPD]: Und das ist Ihr Verdienst?)


Und: Die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskosten und
Trennungsgeld blieb erhalten.

All das sind Dinge, die, mit Verlaub, auch im Rahmen
der erfolgreichen Zusammenarbeit in dieser Koalition
erreicht werden konnten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Parlament? Das ist nicht fair!)


Ich möchte die letzte Minute meiner Rede, die wahr-
scheinlich meine letzte Rede in diesem Parlament sein
wird, dazu nutzen, mich an erster Stelle aus tiefster
Überzeugung und aus tiefstem Herzen bei unseren Sol-
datinnen und Soldaten und ihren Familien für das zu be-
danken, was sie für uns tun und was sie für uns erleiden
müssen. Es ist für uns alle eine Verpflichtung, das nie zu
vergessen.

Ich möchte mich besonders bei den Kolleginnen und
Kollegen des Verteidigungsausschusses bedanken – bei
allen. Es hat viel, viel Freude gemacht, mit Ihnen zusam-
menzuarbeiten. Ich glaube, an dieser Stelle sagen zu
können – gerade auch im Hinblick auf die Besucherin-
nen und Besucher auf der Tribüne –: Trotz vieler Unter-
schiede in der parteipolitischen Ausrichtung war es allen
Kollegen ein Herzensanliegen, für unsere Soldatinnen
und Soldaten das Beste zu erreichen. Das hat mich zu ei-
nem tief überzeugten Anhänger des Prinzips der Parla-
mentsarmee gemacht. Ich glaube, meine Damen und
Herren, trotz aller parteipolitischen Unterschiede ist das,
was wir hier erreicht haben, ein Gut, das wir alle sorgfäl-
tig pflegen sollten, für das wir einstehen sollten. Wir
müssen immer wieder klarmachen, dass dieses Parla-





Elke Hoff


(A) (C)



(D)(B)


ment für die Sicherheitspolitik unseres Landes, aber
auch für das Wohlergehen unserer Soldatinnen und Sol-
daten einsteht. Wir sollten allen möglichen Überlegun-
gen, das Prinzip der Parlamentsarmee bzw. die Rechte
des Parlamentes an dieser Stelle zu verwässern, auszu-
höhlen oder abzuschaffen, mit allem Nachdruck gemein-
sam entgegentreten. Die Soldaten brauchen uns alle!


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es war eine tolle Zeit mit Ihnen. Es war eine tolle Zeit
mit den Soldaten. Ich melde mich ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724000700

Liebe Kollegin Hoff, da Sie für den nächsten Deut-

schen Bundestag nicht wieder kandidieren, ist dies eine
gute Gelegenheit, Ihnen herzlich für die Arbeit zu dan-
ken, die Sie in diesem Parlament insbesondere, aber
nicht nur in dem Aufgabenfeld, das Gegenstand dieser
Debatte heute Morgen ist, geleistet haben. Ich hoffe sehr,
dass Sie sich, auch wenn Sie sich aus dem Deutschen
Bundestag verabschieden, nicht von der Politik abmel-
den, und wünsche Ihnen für die nächsten Jahre alles
Gute.


(Beifall)


Paul Schäfer ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724000800

Werter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Der Bundestagspräsident hat zu Beginn unserer Debatte
an den deutschen Soldaten erinnert, der letzte Woche
umgekommen ist. Auch wir trauern um ihn. Nach den
Momenten des Innehaltens stellen sich Fragen: Warum?
Wofür? Musste das sein? – Diese Fragen kann man nicht
abweisen, man darf sie nicht abweisen. Sie verbinden
sich für uns damit, dass wir den Einzelfall beklagen, aber
zugleich alle Opfer eines Gewalteinsatzes, nicht zuletzt
die zivilen Opfer des Krieges, in den Blick nehmen. Da-
her geht es für uns immer auch um mahnendes Erinnern,
nicht um verklärendes.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wir reden heute über den Stand der Bundeswehrre-
form. Der Verteidigungsminister sagt gerne „Neuausrich-
tung der Bundeswehr“. – In Wahrheit haben wir diese
Ausrichtung seit 20 Jahren, und Sie wollen nun das Tüp-
felchen auf dem i anbringen: Die Rede ist vom Umbau
der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Inter-
ventionsarmee.

Sie schreiben, Herr Minister, die Neuausrichtung der
Bundeswehr orientiere sich streng an den sicherheits-
politischen, wirtschaftlichen und demografischen Rah-
menbedingungen. Nun ja, zunächst, was die Wirtschaft

anbetrifft: Vor drei Jahren hieß es angesichts der Wirt-
schafts- und Finanzkrise noch, dass auch die Streitkräfte
ihren Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haus-
halte leisten müssten. Heute haben wir immer noch Fi-
nanzkrise; aber jetzt heißt es wieder: Sicherheit hat ihren
Preis. – Der Verteidigungshaushalt soll im nächsten Jahr
statt wie eigentlich geplant 27,6 Milliarden Euro jetzt
doch wieder 32 Milliarden Euro umfassen. Sie mögen
sich das als Erfolg ans Revers heften, Herr Minister;
aber das geht alles zulasten der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler. Deshalb bleiben wir bei dem Schluss: Die
Bundeswehr ist und bleibt auch nach ihrem Umbau über-
dimensioniert und entschieden zu teuer.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Merkwürdige ist: Gleichzeitig werden die Mittel
für einen sozialverträglichen Umbau – also einen Umbau
im Interesse der Soldatinnen und Soldaten – nicht ausrei-
chen. Warum? Weil das Geld an der falschen Stelle aus-
gegeben wird. Das jüngste Beispiel dafür ist der Fall
Euro Hawk: Über 600 Millionen Euro müssen als ver-
brannt gelten, weil man jetzt beschließen musste, das
Projekt dieser Riesenaufklärungsdrohne zu beenden.
Reichlich spät ist man auf die Idee gekommen, dass auch
und gerade Drohnen eine Zulassung für den zivilen Luft-
raum brauchen. Das hätte man früher wissen müssen.
Man hätte früher handeln müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])


Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Politik zulasten
der Steuerzahler und zugunsten der Rüstungswirtschaft
gemacht wird.

Man verspricht jetzt – wir haben es gestern im Aus-
schuss erlebt –, der Rüstungslobby künftig weniger gut-
gläubig gegenübertreten zu wollen. Dieses Mantra ken-
nen wir zur Genüge. Passieren tut nichts, wird nichts.
Man muss eben den ehrlichen Willen haben, den Einfluss
dieser starken Lobbygruppe nachhaltig zu beschneiden,


(Beifall bei der LINKEN)


und es wird allerhöchste Zeit, dass das geschieht.

Was die sicherheitspolitische Einordnung betrifft, so
schreiben Sie, Herr Minister de Maizière – ich darf das
einmal zitieren –:

Da Bedrohungen für die Freiheit und Sicherheit der
Bundesrepublik und ihrer Verbündeten heute nicht
mehr vorrangig geographisch oder militärisch defi-
niert sind, müssen Streitkräfte im 21. Jahrhundert
ein hohes Maß an Einsatzbefähigung in einem brei-
ten Spektrum gewährleisten …

Na, das müssen Sie uns und dem Wahlvolk näher erläu-
tern. Also, weil die globalen Risiken nicht primär militä-
rischer Natur sind, reagieren Sie darauf mit qualitativer,
breit angelegter Aufrüstung? Diese Logik ist doch ab-
surd, und sie ist gefährlich obendrein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein zweites Beispiel:

Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört es





Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


– so ist es in Ihrem Bericht zum Stand der Neuausrich-
tung der Bundeswehr, den wir jetzt diskutieren, zu le-
sen –,

… die Kluft zwischen armen und reichen Weltregi-
onen zu reduzieren …

Richtig, genau das ist eine der wichtigsten Ursachen für
die konfliktträchtigen und gewaltförmigen Entwicklun-
gen, die es in der Welt gibt. Aber die Mittel, die notwen-
dig sind, um diese Kluft zu schließen, müssen doch ir-
gendwo herkommen. Dafür braucht es nicht zuletzt
Abrüstung. Die Ausgaben der Welt für das Militär sum-
mieren sich auf mehr als 1 Billion Euro; das ist viel zu
viel.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Klartext: Wir müssen aus der Rüstungsspirale raus.
Sie aber wollen – siehe Kampfdrohnen – in die nächste
Runde einsteigen. Wir wollen das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Minister, Sie leiten die Reform der Bundeswehr
wieder einmal aus Ihrer Einschätzung der globalen Risi-
ken und Bedrohungen ab. Sie stellen Behauptungen auf.
Warum man auf diese neuen Risiken militärisch reagie-
ren müsse, das wird nicht plausibel begründet, und das
kann man auch nicht. Ich nenne Beispiele:

Kritische Infrastrukturen und Informationsnetzwerke
seien gefährdet, sagen Sie in Ihrem Bericht. Was, bitte,
wollen Sie gegen Trojaner im Netz mit militärischen
Mitteln ausrichten? Oder will man vielleicht selber
Schadware platzieren?

Nächstes Beispiel: Transnationale organisierte Krimi-
nalität breite sich aus. Um dieser zu begegnen, braucht
man aber doch keine Panzer – das ist Sache der Polizei.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
drohe. Und Sie wollen der Verbreitung dieser Waffen
jetzt begegnen, indem Sie selber an der nuklearen Ab-
schreckung festhalten? Das Gegenteil ist doch richtig.
Wir müssen diese Schreckensvorstellung beenden und
endlich aus der nuklearen Teilhabe der NATO heraus.
Das ist doch die Aufgabe, die sich stellt.


(Beifall bei der LINKEN)


Der internationale Terrorismus bedrohe uns nach wie
vor, wird dort gesagt. Wollen Sie wirklich behaupten, die
militärische Seite der Terrorbekämpfung hätte den ge-
wünschten Erfolg gebracht? Wenn wir jüngst wieder
Soldaten entsandt haben, weil ein Terrorstaat in Afrika
drohte – ja, die Rede ist von Mali –, dann zeigt das doch,
dass wohl eher einiges schiefgelaufen ist.

Die Lehre heißt aus meiner Sicht vielmehr: Den mili-
tanten Dschihadismus bekämpft man vor allem, indem
man Entwicklungs- und Demokratisierungsprozesse
nicht zuletzt in der arabischen Welt fördert. Panzerliefe-
rungen an Saudi-Arabien gehören ganz gewiss nicht
dazu.


(Beifall bei der LINKEN)


Last, not least: der Dauerbrenner der gescheiterten
Staaten, in denen wir – sprich: die NATO oder die EU –
den Staat wieder aufbauen müssten. Die Realität zeigt
doch, dass das, was wir nach westlichen Maßstäben
gerne als „Failed“ oder „Failing States“ bezeichnen, eher
der Normal- als der Ausnahmefall in der Welt ist. Ihre
Schlussfolgerung kann doch nicht ernsthaft lauten, über-
all militärisch intervenieren zu wollen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines For-
schungsprojekts an der FU Berlin, die sich intensiv mit
Afghanistan beschäftigt haben, sind zu dem Schluss ge-
kommen, externe militärische Interventionen seien in
der Regel nicht effektiv, weil ihnen meist auch in den
Augen der betroffenen Bevölkerung die Legitimität
fehle, und oft trügen sie, weil sie lokale Widerstände
hervorriefen, zu mehr Unsicherheit und sogar zu mehr
Gewalt bei. Das ist ein Punkt, über den man nachdenken
muss.

Ich setze noch eins drauf – ich weiß, der nächste Satz
ist sehr plakativ; ich könnte das am Beispiel der pleitege-
gangenen Kabul Bank aber durchaus aufzeigen –: Der
aggressive, auf Militär gestützte Export des neoliberalen
Wirtschaftsmodells hat schon genug Schaden in den
Ländern des globalen Südens angerichtet. So kann es
nicht weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nachhaltige Fortschritte – auch das ist eine Konse-
quenz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler –
sind nur zu erreichen, wenn sich Akteure vor Ort finden,
die sich für die Emanzipation und die demokratische
Entwicklung ihres Landes einsetzen. Das ist der Schlüs-
sel, den man in der Hand haben muss.

Spätestens angesichts der gescheiterten Intervention
in Afghanistan müssen Sie doch zu ähnlichen Schluss-
folgerungen gelangt sein. In Afghanistan geht es jetzt
um eine Verhandlungslösung, um den NATO-Truppen-
abzug und um den zivilen wirtschaftlichen Aufbau. Da-
für sind wir hier vor Jahren angegriffen und als naiv ver-
spottet worden. Manchmal wäre es nicht schlecht, auf
die Linke zu hören.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Interventionismus ist gescheitert, aber Sie bauen
die Instrumentarien für eine solche Interventionsarmee
aus. 10 000 Kampftruppen will man für künftige Ein-
sätze bereithalten, das Heer soll über mehr Kampfver-
bände verfügen, und die Division Schnelle Kräfte wird
zu einem Schlüsselelement ausgebaut. Eine solche Inter-
ventionstruppe brauchen wir nicht, und wir wollen sie
auch nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig: Wir
müssen über die deutsche Sicherheitspolitik reden und
darüber, welche Rolle die Bundesrepublik künftig inter-
national spielen will. Die Evangelische Kirche in
Deutschland hat einen breiten Dialog dazu eröffnet. Das
ist zu begrüßen. Dazu gehört für mich auch der kritisch-
konstruktive Dialog mit den Soldatinnen und Soldaten.
Sie haben diesen Respekt verdient.





Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


In diesem Kontext kommen jetzt immer auch Stim-
men hoch – gestützt auf die neue deutsche Dominanz in
der EU –, dass wir, Deutschland, jetzt endlich als euro-
päische Führungsmacht auftreten müssen – auch militä-
risch. Die Bundesregierung hat hier bislang eine eindeu-
tige Positionierung vermieden. Sie reden wenig darüber,
aber durch den Aufbau dieser militärischen Fähigkeiten
schaffen Sie Fakten. Ich finde, darüber muss klar gespro-
chen werden.

Selbst das, was ich als Schlingerkurs bezeichne – ei-
nerseits ein bisschen zurückhalten, andererseits mitma-
chen, was man dann bündnispolitisch verbrämt –, ist
schon alles andere als harmlos und kann in einer gefähr-
lichen Eskalationsspirale münden, wie wir am Beispiel
der Patriot-Stationierung in der Türkei sehen. Die Bun-
desregierung wäre gut beraten, hier so schnell wie mög-
lich ein deutliches Zeichen zu setzen, dass man weder an
vorderster Front noch im Hinterland für eine Interven-
tion zur Verfügung steht und im Gegenteil alles unter-
nehmen wird, um eine Deeskalation zu erreichen. Das
fordern wir – also auch den Abzug der Patriots aus der
Türkei.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe es erwähnt: Es gibt eine beunruhigende De-
batte darüber, dass – leider hat auch der Minister einen
entsprechenden Tonfall in seine Rede hineingebracht –
sich Deutschland künftig als Führungsmacht präsentie-
ren sollte, an die sich dann die kleineren europäischen
Länder anlehnen könnten, dass es also sozusagen als Big
Brother, als großer Bruder, auftreten soll, auf den man
sich auch aufgrund seiner militärischen Fähigkeiten stüt-
zen kann.

Es ist altes Denken, dass sich Macht und Machtentfal-
tung in letzter Konsequenz in militärischer Potenz aus-
drücken. Unser Gegenentwurf heißt: Deutschland als zi-
vile Gestaltungsmacht.


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland kann sich künftig als globaler Partner für
Konfliktprävention und Wiederaufbau positionieren.
Durch Abrüstung würden Mittel frei, die dafür gebraucht
werden. Die Vereinten Nationen sind in ihren Bemühun-
gen um Krisennachsorge, um Peacebuilding chronisch
unterausgestattet. Sie können in der vorbeugenden Frie-
densarbeit jegliche Unterstützung gebrauchen. Das ist
eine Aufgabe, die sich stellt. Hier könnte sich die
Bundesrepublik Deutschland engagieren. Das ist unser
Modell.

Ich höre schon wieder den Einwurf: deutsche Drücke-
bergerei! George W. Bush hat im Zuge des Irakkrieges
geurteilt, die Deutschen seien nun einmal Pazifisten. An-
gesichts des Desasters und der Verwüstung durch diesen
Angriffskrieg frage ich: War es nicht richtig, damals Pa-
zifist zu sein?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724000900

Herr Kollege.


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724001000

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Die Linke ist

für Deutschland als Zivilmacht – nicht nur, weil das eine
Konsequenz aus der deutschen Gewaltgeschichte ist,
sondern weil das grundvernünftig ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724001100

Nächster Redner ist der Kollege Andreas

Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1724001200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es sehr, dass
der Verteidigungsminister heute eine inhaltlich breit an-
gelegte sicherheitspolitische Debatte zur Neuausrichtung
der Bundeswehr angestoßen hat. Dabei hat er auch zum
Thema Rüstung, insbesondere zum Zusammenhang zwi-
schen Beschaffung und Nutzung auch von Großgeräten,
das Notwendige gesagt, und er hat in dieser Woche auch
zum Thema Euro Hawk eine folgerichtige Entscheidung
getroffen.

Herr Arnold, was Sie zu diesem Thema gesagt haben,
war nichts als der billige Versuch, von der eigenen Mit-
wirkung der SPD-Fraktion an diesem Projekt abzulen-
ken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainer Arnold [SPD]: Sie haben im Jahr 2011 regiert!)


Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben das schlüssige
Gesamtkonzept zur Ausrichtung der Bundeswehr völlig
konfus kritisiert. Sie haben es tatsächlich geschafft, hier
zwölf Minuten lang zu reden, ohne auch nur einen einzi-
gen eigenen Vorschlag der SPD zur Neuausrichtung der
Bundeswehr zu unterbreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


Damit haben Sie eine Gelegenheit versäumt. Es hätte
uns interessiert, wie die Sozialdemokraten die künftige
Rolle der Bundeswehr in einer weiterentwickelten Euro-
päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und in
der NATO sehen, Herr Arnold. Es hätte uns interessiert,
wie sich die SPD die Reaktion auf die neuen Herausfor-
derungen für die Sicherheit Europas, vor allem im Hin-
blick auf unsere südliche Nachbarschaft, vorstellt.

Allein diese Fragen – das zeigt die heutige Debatte –
erfordern eine breite und aus unserer Sicht auch regel-
mäßige sicherheitspolitische Debatte hier im Bundestag.
Wir haben keinen Mangel an Debatten über die verschie-
denen Auslandseinsätze, auch nicht über Teilaspekte der
Umgestaltung der Bundeswehr, zumal wir heute Nach-
mittag zum Thema Atalanta bereits die nächste Mandats-
debatte führen werden. Um es mit konkreten Zahlen
deutlich zu machen: Seit dem Urteil des Bundesverfas-





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)


sungsgerichts im Jahr 1994 zur Parlamentsbeteiligung
beschließt der Deutsche Bundestag heute exakt das
120. Mandat. Wir haben also in knapp 20 Jahren rund
240 Mandatsdebatten geführt.

Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungen
und Fragen unserer Zeit, wie sie der Minister heute dar-
gestellt hat, gehen weit über die konkreten Aspekte
der jeweiligen Mandate hinaus, zumal die sicherheits-
politische Lage Europas – auch das wurde in der Regie-
rungserklärung deutlich – erheblichen Veränderungen
unterliegt. Es geht zum Beispiel darum, welche Auswir-
kungen der Wandel in Nordafrika und im Nahen und
Mittleren Osten für unsere Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik und damit auch ganz praktisch für die Auf-
gaben der Bundeswehr hat – und dies in einer Zeit, in der
Europa, auch das wurde gesagt, mit der Bewältigung der
Schuldenkrise zu kämpfen hat.

Es ist notwendig, unsere übergreifenden Sicherheits-
interessen der deutschen Öffentlichkeit und unseren
Partnern in der NATO und in der EU umfassend zu ver-
mitteln. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Werte,
die Ziele und die Instrumente unserer Sicherheitspolitik.

Für alle diese Fragen brauchen wir eine regelmäßige
Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutsch-
lands.


(Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Ein guter Vorschlag! – Rainer Arnold [SPD]: In der Großen Koalition haben Sie persönlich das verhindert!)


– Guter Vorschlag! – Um auch hier die Zahlen zu nen-
nen: In den knapp 20 Jahren, in denen wir rund 240 man-
datsspezifische Debatten geführt haben, haben wir nicht
einmal zehn übergreifende Debatten zur sicherheitspoli-
tischen Lage geführt. Anlass dafür waren die Neuaus-
richtung der Bundeswehr, die Verteidigungspolitischen
Richtlinien von 2011, das neue Strategische Konzept der
NATO 2010, die beiden Weißbücher von 2006 und 1994,
die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 sowie die
von meiner Fraktion erarbeitete Sicherheitsstrategie von
2008.

Angesichts der Bedeutung und des Gewichts unseres
Landes in EU und NATO und mit Blick auf die vielfälti-
gen sicherheitspolitischen Herausforderungen halten wir
es für erforderlich, zur sicherheitspolitischen Lage
Deutschlands regelmäßig eine Debatte auf der Grund-
lage einer Regierungserklärung, möglichst in einem
jährlichen Rhythmus, zu führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainer Arnold [SPD]: Warum tut es Ihre Kanzlerin dann nicht?)


Eine solche Debatte soll und kann kein Ersatz für die
Mandatsdebatten sein. Aber sie soll für die einzelnen
Einsätze auch den größeren sicherheitspolitischen und
strategischen Gesamtzusammenhang sichtbar werden
lassen und damit auch das Verständnis und die Akzep-
tanz für die Einsätze verbessern. Deshalb danken wir
dem Verteidigungsminister, dass er mit der heutigen De-
batte den Anfang einer regelmäßigen Generaldebatte

gemacht hat. Eine solche Generaldebatte ist heute
beispielweise auch mit Blick auf die erforderliche Wei-
terentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik notwendig, über die der Verteidigungs-
gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember
zu beraten hat.

Worum geht es? Die vergangenen Monate haben
deutlich gemacht, dass wir Europäer nicht mehr in ähnli-
chem Umfang wie bisher auf die Unterstützung der Ver-
einigten Staaten bauen können, wenn es um die Wahrung
und Durchsetzung europäischer Sicherheitsinteressen
geht. Das bedeutet: Wir brauchen nicht nur mehr Hand-
lungsbereitschaft bei der Sicherung und Gestaltung un-
seres strategischen Umfeldes, sondern wir brauchen da-
für auch die notwendige Handlungsfähigkeit.

Der Trend geht jedoch in die entgegengesetzte Rich-
tung. Schon heute müssen wir nicht zuletzt auch als
Folge der Schuldenkrise durch unabgestimmte Kür-
zungsmaßnahmen zunehmend nationale Fähigkeitsver-
luste feststellen. Diese werden zu empfindlichen euro-
päischen Fähigkeitsverlusten führen, wenn diese
Prozesse weiterhin unkontrolliert ablaufen.


(Rainer Arnold [SPD]: Deutschland geht voran!)


Dem entgegenzusteuern, wird eine der wichtigsten Auf-
gaben des EU-Verteidigungsgipfels im Dezember mit
dem Ziel sein müssen, eine weitaus engere sicherheits-
politische Zusammenarbeit sowie aktive, mutige Schritte
in Richtung einer Vertiefung der militärischen Integra-
tion zu erreichen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt das?)


– Dazu komme ich jetzt gerade. – Das alles hat natürlich
auch Konsequenzen für die künftige Rolle der Bundes-
wehr. Im SPD-Wahlprogramm, weil Sie gerade danach
fragen, heißt es, dass die Neuausrichtung der Bundes-
wehr zu einer Europäisierung der Streitkräfte führen
soll. Ja, es ist sogar von dem langfristigen Ziel die Rede,
die Bundeswehr solle in einer europäischen Armee auf-
gehen. – In diesen grundsätzlichen Zielen sehe ich
durchaus eine Übereinstimmung. Ich finde es aller Mühe
wert, uns hier in diesem Hause darüber zu unterhalten,
welche Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel erforderlich
sind.


(Rainer Arnold [SPD]: Sieht das der Verteidigungsminister auch so?)


Was heißt das konkret? Nur ein Beispiel: Seit Jahren
sind in der Europäischen Sicherheitsstrategie und im
Strategischen Konzept der NATO die Aufgaben der
Streitkräfte definiert. Aber hinsichtlich der Frage der
geografischen Räume, in denen Europa künftig prioritär
handlungsfähig sein soll, gibt es keine Übereinstim-
mung. Solange es diese nicht gibt, wird es auch keine
echte Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben.

Das aktuelle Krisen- und Konfliktpotenzial im nördli-
chen Afrika und im Nahen und Mittleren Osten legt es
nahe, dieses als die geografisch nächstliegende Heraus-
forderung für die europäische Sicherheit zu betrachten.





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)


Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten von regio-
nalen Partnern oder von Regionalorganisationen, wie
beispielsweise der ECOWAS, durchgeführt werden, die
dazu noch mehr ertüchtigt werden müssen. Allein das
Beispiel Mali zeigt jedoch, wie weit der Weg noch ist,
obwohl für eine solche Ertüchtigung in den letzten Jah-
ren viel getan wurde und auch jetzt viel getan wird.

Aber sind wir uns denn hier im Hause oder in der EU
über eine solche geografische Prioritätensetzung einig?
Das sehe ich noch nicht. Deshalb brauchen wir hier im
Bundestag eine strategische Diskussion, was die EU mit
ihren zivilen und militärischen Missionen erreichen will
und erreichen kann. Eine solche Debatte ist auch deshalb
notwendig, weil eine derartige geografische Prioritäten-
setzung Folgewirkungen für die erforderlichen Fähigkei-
ten, die Ausrüstung und Ausbildung europäischer Streit-
kräfte und damit auch für die Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr hätte.

Europäisierung der Streitkräfte heißt natürlich auch
mehr Pooling und Sharing, also die Vertiefung der mili-
tärischen Integration deutlich über das hinaus, was wir
derzeit haben. Das bedeutet, sich noch mehr in gegensei-
tige Abhängigkeit zu begeben, so wie wir es bei den
AWACS-Flugzeugen oder bei den Battle Groups tun.

Wer sich durch Pooling und Sharing in eine Abhän-
gigkeit von seinen Bündnispartnern begibt, will auch
wissen, ob diese im entscheidenden Moment ihren mili-
tärischen Beitrag zu leisten bereit sind. Es ist die Frage,
ob wir das in der Breite oder in der Tiefe tun. Der Vertei-
digungsminister hat zu Recht auch diese Debatte heute
angestoßen.

Wir wissen, dass viele unserer Bündnispartner eine
stärkere militärische Integration mit Deutschland mit
Skepsis sehen, weil sie mit Blick auf das Parlamentsbe-
teiligungsgesetz fragen, wie zuverlässig und berechen-
bar unser Land ist. Um es gleich zu sagen: Ich halte
diese Vorbehalte nicht für gerechtfertigt, aber sie sind
nun einmal da und behindern bisher die notwendige Ver-
tiefung der militärischen Integration.


(Rainer Arnold [SPD]: Aber Libyen hat nichts mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz zu tun!)


Deshalb müssen wir prüfen, wie weit mit Blick auf in-
tegrierte Streitkräfte eine behutsame Anpassung des Par-
lamentsbeteiligungsgesetzes hilfreich sein kann und wie
weit eine jährliche Generaldebatte zur sicherheitspoliti-
schen Lage Deutschlands vertrauensbildend bei den Bür-
gern der Bundesrepublik Deutschland und vor allem bei
unseren Partnern in der EU wirken kann.

Mit Blick auf den EU-Verteidigungsgipfel im Dezem-
ber können wir am Ende dieser Wahlperiode nur einige
konkrete Ziele formulieren. Aber die Ergebnisse des
Gipfels werden dem nächsten Bundestag Anlass bieten,
die heutige sicherheitspolitische Generaldebatte fortzu-
setzen und zu einer ständigen Einrichtung zu machen.
Dies jedenfalls ist die feste Absicht meiner Fraktion,
weil wir eine solche Debatte für unverzichtbar halten
und weil der Bundesverteidigungsminister dazu heute ei-
nen guten und konstruktiven Anfang gemacht hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724001300

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Omid

Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724001400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

richtig, dass die Bundeswehr vor immensen Herausfor-
derungen steht: die gesellschaftliche Veränderung, der
Wandel in der Welt, der finanzielle Druck, die EU-Inte-
gration, die immense Anpassungen mit sich bringen
wird, und natürlich die Tatsache, dass vor zehn Jahren
niemand von uns im Traum oder auch im Albtraum da-
ran gedacht hätte, dass die Bundeswehr heute in Mali
oder im Libanon unterwegs sein kann.

Genauso wenig wissen wir, was in zehn Jahren für die
Bundeswehr von Belang sein wird. Deshalb ist die zen-
trale Aufgabe einer Veränderung der Bundeswehr, dass
sie flexibel wird und flexibel auf die nächsten Herausfor-
derungen eingehen kann. Das geht über das Zusammen-
halten von Geld, und das geht über bessere Strukturen.

Meine Damen und Herren, es gibt ein Märchen, das
häufig zu hören ist. Viele Leute denken: Die Konservati-
ven haben es nicht so mit sozialer Gerechtigkeit; ökolo-
gisch blind sind sie auch ein bisschen, und moderne Ge-
sellschaft können sie auch nicht.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist wirklich ein Märchen!)


Aber sie können wenigstens Sicherheit, und sie können
auch mit Geld umgehen.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das stimmt so! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wer sagt das?)


Die Bundeswehrreform, die sogenannte Neuausrich-
tung, begann mit dem Spardruck. Es gab Sparbeschlüsse
dieser Bundesregierung. Es war nicht der wildgewor-
dene Guttenberg, sondern es waren die Bundeskanzlerin,
der ehemalige Gesundheitsminister, der Außenminister
und der ehemalige Innenminister und heutige Verteidi-
gungsminister: Sie haben alle die Hand dafür gehoben,
dass die Bundeswehr bis Ende 2014 8,3 Milliarden Euro
spart.

Sie haben sie nicht nur nicht gespart, sondern Sie ha-
ben jährlich noch mindestens 1 Milliarde Euro zusätz-
lich im Einzelplan 60 versteckt. Sie wissen ganz genau,
dass diese Blase irgendwann platzen wird und dass eine
Gesamtstärke von 185 000 Mann, die Sie vorgegeben
haben, Herr Minister, auf Dauer überhaupt nicht finan-
zierbar ist. Vom Märchen der tüchtigen Konservativen
ist nichts mehr übrig geblieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit bin ich beim Euro Hawk. Das kann man nicht
in drei Sätzen abhandeln, wie das heute getan wurde. Sie
sprechen vom Ende des Schreckens, Herr Minister. Ges-
tern trat Ihr Rüstungsstaatssekretär vor die Presse. Erste





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)


Frage: Wie viel kostet das jetzt eigentlich zusätzlich?
Wie viel Geld ist verschwendet worden? – Antwort: Wir
wissen es noch nicht; wir können es noch nicht absehen. –
Das Ende des Schreckens ist überhaupt noch nicht ab-
sehbar. Wir wissen nicht, was alles noch kommen wird.
Sie haben ein Millionenloch gegraben, von dem Sie
selbst nicht mehr wissen, wie tief es eigentlich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Rüstungsstaatssekretär hat gesagt, Ende 2011
habe er erste Zweifel gehabt, dann habe man noch ein-
mal diskutiert, und jetzt habe man endlich die Reißleine
gezogen. Am 10. Juni 2011 schreibt die Website Flight-
global.com, eine bekannte Fachzeitschrift für Rüstung,
dass es einen Bericht des Pentagon gibt, der bereits deut-
lich mache, dass es an der Version des Global Hawk, die
die Bundeswehr bestellt hat, immense Zweifel gibt und
dass das Pentagon zu dem Schluss kommt, dass hier die
Effizienz nicht gegeben ist. Ich frage mich: Wofür gibt
es eigentlich einen Rüstungsstaatssekretär? Lesen Sie
das eigentlich nicht? Wie kann es sein, dass Sie zwei
Jahre brauchen, bis Sie die Reißleine ziehen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch dramatischer wird es, wenn man hört, dass der
Rechnungshof den Vertrag nicht einsehen darf. Die Be-
gründung lautet: Es steht im Vertrag, dass der Rech-
nungshof das nicht darf. – Das ist eine massive Missach-
tung der demokratischen Gremien in diesem Land. Ich
frage mich, ob es legal ist, in einem solchen Vertrag fest-
zulegen, dass der Rechnungshof ihn nicht sehen darf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jahrzehntelang hieß die Rüstungsphilosophie: Wir
machen Industriepolitik; es geht nicht um Bedarf. – Das
ist ein Problem. Nun sieht man an den Verhandlungen,
die Sie über die Hubschrauber geführt haben: Am Ende
gibt es keine relevanten Einsparungen, wohl aber weni-
ger Maschinen. Und so geht es weiter. Die Lehre, die Sie
ziehen, hat Ihr Sprecher gestern verkündet: Wir sollten
nicht mehr im Ausland kaufen. – Das heißt, Sie setzen
jetzt deutlich mehr auf EADS und andere Firmen, die in
vielen anderen Bereichen – Sie kennen die Beispiele –
genauso gehandelt haben. Ich glaube, dass das Problem
hier überhaupt nicht erkannt worden ist. Meine Damen
und Herren, diese Konservativen können keine Sicher-
heit, und sie können erst recht nicht mit Geld umgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Henning Otte [CDU/CSU]: Ach, Herr Nouripour!)


Weder ist die Neuausrichtung neu – denn in der Ver-
gangenheit gab es schon sehr viele Reformansätze, auf
die aufgebaut wurde –, noch hat sie wirklich eine Aus-
richtung. Es gab am Anfang keine Ausgabenkritik, son-
dern Sparbeschlüsse. Dann haben Sie die Verteidigungs-
politischen Richtlinien nachgelegt und gesagt, das sei
eine nachgereichte Begründung, warum wir das alles ei-

gentlich machen sollten. Dass es sich um Verteidigungs-
politische Richtlinien und nicht um einen Kabinettsbe-
schluss handelt, ist an sich ein Beleg dafür, dass es keine
ressortübergreifende Zusammenarbeit gibt. In Ihrem ak-
tuell vorliegenden Bericht habe ich den Menschenrechts-
begriff ein einziges Mal gefunden. Was ich nicht gefun-
den habe, ist die zivile Krisenprävention. Eine solche
Prävention ist nur möglich, wenn es eine ressortüber-
greifende Zusammenarbeit gibt. Aber eine solche Zu-
sammenarbeit gibt es bei Ihnen nicht. Das führt am Ende
nicht nur zu weniger Frieden, sondern auch zu deutlich
mehr Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten. Das
ist das Problem. Sie werden die Bundeswehr nicht dahin
führen, dass sie fit für die Zukunft und VN-fähig ist,
sondern Sie werden weiterhin alle verunsichern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die entscheidende Frage lautet: Wollen Sie das denn?

Ich sehe ihn gerade nicht, aber Volker Kauder hat vor
ein paar Monaten ein Interview gegeben, in dem er ge-
sagt hat: Natürlich haben wir Werte, auch in der Außen-
politik. Aber wir haben auch Interessen, und diese sind
nun einmal nicht immer deckungsgleich. Manchmal ist
es so: Ja, die Saudis sind Antisemiten. Aber man muss
denen eben Panzer liefern, weil sie andere für uns be-
kämpfen müssen. – Es gab schon einmal zwei große
Kriege, die der Westen geführt hat und die das Ergebnis
von Ausbalancierungsfantasien waren, nach dem Motto
„Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Das haben
wir in Afghanistan und auch im Irak gesehen. Sie haben
daraus schlicht und ergreifend nichts gelernt.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wer hat denn Afghanistan beschlossen?)


Die entscheidende Frage lautet, ob nicht eine Kern-
aufgabe des Rechtsstaats darin besteht, alles daranzuset-
zen, dass Werte und Interessen nicht auseinandergehen.
Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass Interessen wer-
teungebunden, einfach frei florieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie Rüstungsgüter nach Katar und Saudi-Ara-
bien verkaufen, kann ich nur darauf hinweisen – das ha-
ben wir bereits häufig getan, und das kann man nicht oft
genug wiederholen –, wie moralisch verwerflich das ist
und was das für die Menschenrechtssituation vor Ort und
für die Abrüstungsbilanz der Bundesrepublik bedeutet.

Aber man muss Sie auch darauf hinweisen, dass Sie
Waffen an Länder liefern, die wiederum Gruppen mit
Waffen beliefern, die in einzelnen Einsätzen auf die
Bundeswehr schießen. Das heißt, Sie liefern indirekt
Waffen, die am Ende gegen die Bundeswehr, die wir ent-
senden, eingesetzt werden. Ich glaube, das ist nicht nur
moralisch verwerflich, das ist nicht nur verheerend für
die Abrüstungsbilanz, sondern diese Regierung ist auch
ein Risiko für die nationale Sicherheit Deutschlands.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Oh! – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Jetzt lehnen Sie sich aber ganz weit aus dem Fenster!)






Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)


Herr Minister, Sie sagen so häufig, Sie hätten gerne
eine breite Debatte. Kommen Sie doch her! Ich schenke
Ihnen Redezeit, sagen Sie doch einmal drei Sätze dazu.
Sagen Sie etwas dazu, was es eigentlich bedeutet, wenn
Katar Waffen bekommt und gleichzeitig die Dschihadis-
ten, die gegen die Bundeswehr kämpfen, beliefert und fi-
nanziert. Sie wollen die Debatte und führen eine Evalua-
tion der Bundeswehrreform 2014 durch. Das ist nach
dem Wahlkampf. Dafür kann es sachliche Gründe geben.

Aber es geht nicht, dass Sie sagen, Sie wollten Sicher-
heitspolitik an sich aus dem Wahlkampf heraushalten.
Das habe ich am 8. Mai 2013 in der Westdeutschen All-
gemeinen Zeitung gefunden. Das mutet nach einem
Minister an, der zwar immer eine Debatte fordert, aber
der einfach nicht bereit ist, vor Wählerinnen und Wäh-
lern Rechenschaft abzulegen. Wenn man sich die Bilanz
anschaut, dann weiß man auch, warum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das machen wir doch heute! Deshalb haben wir eine Regierungserklärung zur Neuausrichtung der Bundeswehr!)


Die Soldaten bekommen das natürlich alles mit. Die
Stimmung in der Truppe ist dementsprechend. Ihre Ant-
wort darauf ist: Nicht jammern, nicht gieren nach Aner-
kennung. – Das, was Sie heute „geistige Dimension“ ge-
nannt haben, besteht bei Ihnen in dem Motto „Indianer
kennen keine Schmerzen“. Das ist aber ein massiv über-
holtes Bild vom Soldatenberuf. Es geht hier im 21. Jahr-
hundert um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit
Rechten, denen man mit ein bisschen mehr Respekt, ge-
rade bei dem harten Job, den sie haben, begegnen sollte.
Sie aber vergrößern immer nur die Verunsicherung.

Die Neuausrichtung ist nicht neu, sie hat keine Rich-
tung. Das Ziel hätte sein müssen, dass die Bundeswehr
effizienter wird. Das Ziel hätte sein müssen, dass sie bil-
liger wird. Das, was Sie vorlegen, ist teurer, vergrößert
die Effizienzlücken und führt am Ende dazu, dass der
Beschaffungswahnsinn weitergeht, dass die Millionenlö-
cher, die Sie weiterhin graben, immer größer werden.
Das muss ein Ende haben. Aber es dauert nur noch vier
Monate, und dann gibt es ein Ende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724001500

Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Schnurr

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christoph Schnurr (FDP):
Rede ID: ID1724001600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach der vorangegangenen Debatte bleibt nur noch zu
sagen: Die Bundeswehrreform ist ein echter Erfolg. Ob-
wohl die Opposition hier in der ersten Runde nicht über
die Aspekte der Bundeswehrreform diskutiert und debat-
tiert, sondern die Problematik Euro Hawk – die Themati-
sierung ist berechtigt – und die Frage von Rüstungs-

exporten anspricht, so wird aus der Debatte doch deutlich,
dass diese Regierungskoalition viel für die Bundeswehr
erreicht hat, auch mit der Bundeswehrstrukturreform.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, zur
Euro-Hawk-Thematik: Ja, hier sind nicht nur Missstände
aufgedeckt worden, sondern das gesamte Verfahren ist
äußerst ärgerlich. Da sind wir, glaube ich, einer Mei-
nung. Der Minister hat aus guten Gründen gleich zu Be-
ginn seiner Rede gesagt, dass er auf diese Thematik
heute an dieser Stelle nicht eingehen möchte, sondern
dass wir darüber zu einem anderen Zeitpunkt debattieren
werden. Wir werden dies nicht nur im Haushaltsaus-
schuss, sondern auch im Verteidigungsausschuss noch
einmal thematisieren; aber heute geht es um die Neuaus-
richtung.

Wenn wir uns die Thematik anschauen, dürfen wir
uns nicht nur darauf konzentrieren, warum es in der letz-
ten Woche zu der Entscheidung gekommen ist, die soge-
nannte Reißleine zu ziehen, sondern wir müssen uns
auch ganz genau anschauen, wann die ersten Vorüberle-
gungen angestellt wurden und die Entscheidung, dieses
System zu kaufen, getroffen wurde. Letztendlich geht es
auch darum, welche Fehler von 2004 bis 2013 gemacht
wurden.

Die Euro-Hawk-Problematik zeigt auch auf, dass wir
ein Problem im Bereich der Beschaffungsvorhaben der
Bundeswehr haben. Deswegen ist es gut, dass im Rah-
men der Bundeswehrstrukturreform in Zukunft klare Zu-
ständigkeiten, klare Kompetenzen und eine klare Verant-
wortung bei Beschaffungsvorhaben vorliegen sollen.


(Rainer Arnold [SPD]: Wo ist jetzt die Verantwortung?)


Ich hätte, ehrlich gesagt, auch erwartet, dass die Op-
position am heutigen Tag einmal erklärt, dass sie die
Entscheidung, eine Reform durchzuführen, grundsätz-
lich befürwortet,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


auch wenn sie natürlich einzelne Kritikpunkte hat. Das
ist ausgeblieben. Von den Grünen hätte ich erwartet, dass
sie positiv erwähnen, dass diese Regierungskoalition das
umgesetzt hat, was sie seit Jahren und Jahrzehnten ge-
fordert haben – genauso wie die FDP –, nämlich die
Aussetzung der Wehrpflicht. Sie ist eine Erfolgsge-
schichte für die Bundeswehr. Das belegen die aktuellen
Bewerberaufkommen. Die Bundeswehr hat momentan
kein Nachwuchsproblem, wenngleich die Nachwuchsge-
winnung eine große Herausforderung bleibt; der Minis-
ter hat es zu Recht angesprochen. Insofern ist es unser
aller Aufgabe, die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu ge-
stalten.

Ja, dem Reformprozess sind eine breite Diskussion
und eine breite Beteiligung im Parlament und auch in der
Öffentlichkeit vorausgegangen. Zunächst wurde die
Weise-Kommission eingesetzt. Dazu fanden Meinungs-
bildungen in den Fraktionen, beim BundeswehrVerband





Christoph Schnurr


(A) (C)



(D)(B)


und auch beim Reservistenverband statt. Der General-
inspekteur hat die verschiedenen Modelle im Verteidi-
gungsausschuss vorgestellt, und anschließend gab es eine
Festlegung der Regierungskoalition über die Eckpunkte
der Neuausrichtung und daraufhin die Entscheidung des
Bundesministers. Diese Reform steht in der Tat auf einem
soliden Fundament, so wie man es sich wünschen kann.

Meine Redezeit geht zu Ende. Ich möchte noch auf ei-
nen Aspekt eingehen, und zwar auf die Frage der Finan-
zierbarkeit. Herr Arnold beispielsweise hat nämlich ge-
sagt, es fehle an jeder Ecke Geld, unter anderem für
Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, es war diese Bundesregierung
bzw. diese Koalition, die es geschafft haben, die Bundes-
wehr auf eine solide Finanzierungsgrundlage zu stellen,
auch durch ganz bestimmte Maßnahmen, etwa dadurch,
dass wir das Sparziel gestreckt haben; das ist richtig.
Aber heute ist der Finanzierungsrahmen besser als vor
vier Jahren. Mit Blick auf das Wahlprogramm der Grü-
nen möchte ich einen Satz zitieren – Herr Präsident,
dann komme ich zum Ende –:

Wir wollen über 10 % des derzeitigen Wehretats
einsparen.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Beschlusslage des Kabinetts!)


Daran sieht man in der Tat: Die einen wollen bei der
Bundeswehr sparen; die anderen wollen die Bundeswehr
zukunftsfit gestalten.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724001700

Das Wort erhält jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1724001800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Wort
zur Euro-Hawk-Debatte: Es ist schon bemerkenswert,
dass am Mittwoch vergangener Woche im Kabinett ein
Bericht zu den 30 Hauptwaffensystemen der Bundes-
wehr vorgelegt wurde –


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Mit den Obergrenzen für die Waffen! Mit den gebilligten Obergrenzen! Nicht das, was bestellt wird!)


– ja, ja –, die strukturrelevant sind. Dieser Bericht ent-
hält Obergrenzen hinsichtlich der Anzahl der Panzer und
der geschützten Fahrzeuge; vorgesehen waren auch fünf
Euro Hawk und vier Global Hawk. Zwei Tage später, am
Freitag, entscheidet ein Staatssekretär des Verteidigungs-
ministeriums, dass die beiden Hauptwaffensysteme Euro
Hawk und Global Hawk aus diesem Bericht herausge-

strichen werden. Es ist schon bemerkenswert, wer das
entscheidet.


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Sie werden nicht herausgestrichen! Es sind die Obergrenzen! Sie haben den Text nicht gelesen!)


– Herr Präsident, Herr Brandl ruft dazwischen. Geben
Sie ihm Redezeit?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724001900

Da Sie dem Haus nicht erst seit gestern angehören,

sollten Sie mit Zwischenrufen als gelegentlichen parla-
mentarischen Übungen hinreichend vertraut sein.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1724002000

Wenn Herr Brandl eine Zwischenfrage stellt, habe ich

mehr Redezeit. Das wäre besser.


(Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Jetzt will er eine Zwischenfrage stellen. Da eine Zwi-
schenfrage meine Redezeit verlängert, bin ich einver-
standen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724002100

Wenn ich dem zustimme, was ich ausnahmsweise tue.

Bitte schön.


(Heiterkeit)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1724002200

Herr Kollege Bartels, würden Sie zur Kenntnis neh-

men, dass die Tabelle, die Sie zitiert haben, die Über-
schrift trägt: „gebilligte Obergrenzen“? Es geht um
Obergrenzen, die vom Minister gebilligt worden sind. Es
geht also nicht um etwas, was endgültig beschafft wird.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1724002300

Die Überschrift dieser Tabelle lautet: „Strukturrele-

vante Hauptwaffensysteme der Streitkräfte“. Sie befin-
det sich auf Seite 24 des vom Kabinett gebilligten Be-
richts über die Neuorganisation der Bundeswehr.

Ich bemerke, dass zwei Tage später ein Staatssekretär
zwei dieser Hauptwaffensysteme aus der Tabelle heraus-
streicht. Es ist wohl mit einer gewissen Absicht gesche-
hen, dass es der Staatssekretär und nicht der Minister
war, der dies getan hat. Der Minister hat das Wort „Euro
Hawk“ auch heute nicht in den Mund genommen. Das
Problem, das Ihr Haus hat, ist, dass Sie seit zwei Jahren
wissen, dass es gravierende Probleme bei diesen Haupt-
waffensystemen der Bundeswehr gibt, und dass Sie den
Bundestag nicht darüber unterrichtet haben und sich
zweimal über den Haushalt weiteres Geld dafür haben
beschließen lassen. Wir als Bundestagsabgeordnete wis-
sen darüber nichts. Wir bekommen es erst auf Nachfrage
mit, und dann sagen Sie: Jetzt ziehen wir die Reißleine. –
So geht es nicht! Das Verhältnis von Parlament und
Ministerium muss anders gestaltet werden. Das ist kein





Dr. Hans-Peter Bartels


(A) (C)



(D)(B)


vertrauensvolles Miteinanderumgehen. Sie haben die
Verantwortung dafür, dass das Parlament über zwei
Jahre getäuscht worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Bundeswehrreform, Herr Minister, steht unter
keinem guten Stern. Sie haben noch einmal eine rein na-
tionale Reform versucht. Das ist altes Denken. Wir Eu-
ropäer stehen in den gleichen Auslandseinsätzen – auf
dem Balkan, in Afghanistan, in Afrika und auf hoher
See. Wir vertreten die gleichen Werte. Wir haben in Eu-
ropa manche alten Strukturen. Wir alle beschließen
Sparhaushalte, auch für das nationale Militär. Deshalb
wäre es besser gewesen, vorher mit den Briten, den
Franzosen, den Italienern, den Spaniern, den Polen da-
rüber zu reden: Wer will wo Schwerpunkte setzen, und
was kann man gemeinsam organisieren?

Stattdessen hat der Verteidigungsminister erst im
April in einem Interview mit dem britischen Guardian
beteuert, er wolle ausdrücklich keine europäische Ar-
mee. Das scheint er für eine Art sozialdemokratisches
Hirngespinst zu halten. Aber wie, um Gottes willen, ist
dann diese gefährliche SPD-Politik in Ihren schwarz-
gelben Koalitionsvertrag geraten?


(Heiterkeit bei der SPD)


Dort steht nämlich das Ziel einer europäischen Armee.
Oktober 2009! Da steht ausdrücklich: „Langfristiges Ziel
bleibt für uns der Aufbau einer europäischen Armee“,
übrigens „unter voller parlamentarischer Kontrolle“; das
steht da auch. Recht haben Sie, vollkommen recht! Das
ist ganz und gar die Meinung der deutschen Sozialdemo-
kratie. Das darf man aber nicht nur aufschreiben; das
muss man auch machen. Man muss Schritte auf dieses
langfristige Ziel zu machen, wenn man es denn ernst
meint. Aber Ihnen ist es nicht wirklich ernst damit, Herr
Minister; siehe Guardian-Interview.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wieso machen Sie ein Geschäft mit der bayerischen
Hubschrauberindustrie, nach dem die Ihnen nun 25 Pro-
zent weniger Hubschrauber liefert, der Bund bei der Be-
schaffung aber nur 2 Prozent vom Vertragsvolumen
spart? Das klingt wie ein ganz besonders schlechtes Ge-
schäft. Warum lassen Sie die überzähligen Tiger und
NH90 nicht bauen und verkaufen sie zum Freundschafts-
preis weiter an EU-Partner, die ihre Streitkräfte auch ge-
rade modernisieren? Das wäre gut für die Partner, gut für
die Standardisierung in Europa, gut für die Ausbildung
und Instandhaltung, die man in Europa gemeinsam ma-
chen könnte, gut also auch für Europa, und ein bisschen
Geld hätte es auch gebracht, jedenfalls mehr als 2 Pro-
zent Ersparnis, für die Sie persönlich so kraftvoll mit
Herrn Enders von EADS verhandelt haben. Wenn es Ihr
mitgebrachter Staatssekretär gewesen sein sollte, der Sie
da so schlecht beraten hat, dann wechseln Sie ihn aus! Er
ist zu teuer für Sie und zu teuer für unsere Bundeswehr.
Es ist der gleiche, der das Drohnendesaster zu verant-
worten hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wenn Ihr langfristiges Reformziel eine europäische Ar-
mee ist, dann hat dieses Ziel bei dieser Reform erkennbar
keine Rolle gespielt. Wenn das Ziel gewesen sein sollte,
Geld zu sparen – das war der Ausgangspunkt bei Minister
zu Guttenberg; wir erinnern uns: die Schuldenbremse als
höchster strategischer Parameter der Bundeswehrreform –,
wenn es also ums Sparen gegangen sein sollte, dann ist es
damit auch wieder nichts. Fehlanzeige! Wir schauen auf
die Haushaltszahlen: Sie steigen. Wohlgemerkt: Wir kri-
tisieren nicht die steigenden Zahlen – das hatten wir Ihnen
vorhergesagt –; wir kritisieren die Politik der dröhnenden
Ankündigungen – 8,3 Milliarden Euro sollten eingespart
werden –, die man hinterher stillschweigend wieder ein-
kassiert. Das ist es, was die Öffentlichkeit als schlechtes
Reformmanagement wahrnimmt.


(Beifall bei der SPD)


Hören Sie auf mit den Tricks, die es so aussehen las-
sen sollen, als würde doch kräftig gespart! In Wirklich-
keit werden nur Kostenblöcke verschoben. Das passt
nicht zu Ihrem seriösen Image, Herr Minister. Wenn
2 500 Zivilbeschäftigte aus dem Geschäftsbereich des
Verteidigungsministers in die nachgeordneten Bereiche
des Innenministers und des Finanzministers outgesourct
werden mit der gleichen Aufgabe, nämlich für die glei-
che Bundeswehr Bezüge und Beihilfen zu berechnen
und Dienstreisen abzurechnen, nur hinter einem anderen
Türschild, dann ist das nahe an haushaltspolitischer Täu-
schung. Es spart nicht. Im Gegenteil: Ihre eigenen Fach-
leute geben zu, dass sogar noch Zusatzkosten für neue IT
anfallen. Wir lehnen diese Verstöße gegen den Grund-
satz von Haushaltswahrheit und -klarheit ab.


(Beifall bei der SPD)


Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich ge-
sagt, nicht verstanden, warum diese fünfte Bundeswehr-
reform innerhalb von 20 Jahren seit dem Ende des Kal-
ten Krieges noch einmal mit diesem großen Pathos des
ganz Neuen, endlich einmal vernünftig Durchdachten,
objektiv Richtigen angepriesen wurde. Eine Nummer
kleiner hätte es vielleicht auch getan.

Es war bisher nicht alles Murks, und es wird in Zu-
kunft nicht alles Gold. Man muss nicht an jedem
Schräubchen drehen, nur weil man es kann. Dass so
viele Soldatinnen und Soldaten, so viele Zivilbeschäf-
tigte heute immer noch nicht wissen, wie es mit ihrer be-
ruflichen Zukunft weitergeht, das ist kein Zufall, das ist
kein Versehen; das ist strukturell so gewollt.

Minister de Maizière hat selbst immer wieder die Me-
tapher benutzt, er wolle die Treppe von oben kehren,
also mit den Veränderungen oben anfangen. So läuft das
jetzt auch ab. Das heißt für viele an der breiten Basis, in
den Bataillonen und Dienststellen: Sie werden die Letz-
ten sein, die Sicherheit über Dienstposten und die eigene
Verwendung haben. Wenn dieses personalwirtschaftliche
Prinzip „die Treppe von oben kehren“ ein Experiment
gewesen sein sollte, dann würde ich empfehlen, es als
gescheitert zu betrachten. Es hat sich nicht bewährt.





Dr. Hans-Peter Bartels


(A) (C)



(D)(B)


Drei Jahre nach Ausrufung der neuen Reform durch
Minister zu Guttenberg herrschen immer noch Unsicher-
heit und Unbehagen bei den meisten Reformbetroffenen
vor. Der BundeswehrVerband hat das mit seinen Umfra-
gen eindrucksvoll bestätigt. Das Bild vom Burn-out der
Bundeswehr, mit dem Oberst Kirsch die Lage gekenn-
zeichnet hat, ist sehr treffend. Deshalb werden wir So-
zialdemokraten diese Reform nicht wieder komplett um-
krempeln, wenn die Regierung wechselt. Manches ist
ausgezeichnet gelungen und sollte von Dauer sein: Das
Heeresmodell der sechs Standardbrigaden ist gut, ebenso
das Festhalten am gepanzerten Kern.

Zum Schluss noch ein Wort zur Amtsführung des
Ministers, der diese Reform zu verantworten hat. Es gab
viele Vorschusslorbeeren


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zu Recht!)


und auch weithin anerkannte Verdienste aus der Zeit der
vorherigen Regierung. Thomas de Maizière ist in jeder
Beziehung ein anderes Kaliber als Karl-Theodor zu
Guttenberg. Aber es läuft im Moment nicht so gut für
den Minister.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Wenn ich mir das Bild der Bundeswehr in der Öffent-
lichkeit anschaue, stelle ich fest: Es wachsen die Irritati-
onen und die Kritik.


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Der beliebteste Minister!)


Der Satz mit den Worten „Gier nach Anerkennung“ hat
viele Soldaten vor den Kopf gestoßen. So sollten Sie als
oberster Dienstherr nicht über Ihre Untergebenen reden,
Herr Minister.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Debatte um den Veteranentag hatte etwas sehr
Künstliches. Gut, dass Sie hier keine allzu hohen Erwar-
tungen mehr wecken. Der seltsame Hubschrauber-
EADS-Deal und das Euro-Hawk-Debakel zeugen nicht
von hoher Regierungskunst. In der Kampfdrohnenfrage
haben Sie sich offenbar erst von den eigenen Leuten
wieder auf den Boden der Realität holen lassen. Nichts
überstürzen; es gibt heute keine Fähigkeitslücke. Und
dass alle Waffen ethisch neutral seien, haben Sie natür-
lich nicht ernst gemeint. Das können Sie nicht ernst ge-
meint haben, Herr Minister.

Die Bundeswehr hat heute im Einsatz und in der Re-
form schwierige Zeiten zu bestehen. Es ist nicht die Aus-
sicht auf geniale neue Strukturen, die gegenwärtig sozu-
sagen den Laden am Laufen hält, sondern es sind die
Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten, die
nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern kamerad-
schaftlich und kollegial das Chaos meistern und dem
täglichen Wahnsinn trotzen, weil sie ihren Dienst und die
ihnen anvertraute Aufgabe mögen. Sie tun oft sehr viel
mehr als ihre Pflicht.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724002400

Burkhardt Müller-Sönksen hat nun für die FDP-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der FDP)


Nein, es ist gar nicht wahr. Entschuldigung, ich habe
den Kollegen Otte übersehen.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Jederzeit bereit, Herr Präsident!)


– Ja, ist gut. Wir können das aber friedlich lösen, bevor
beide gleichzeitig am Pult stehen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wäre auch mal eine Variante: im Duett!)


Bitte schön, Herr Kollege Otte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1724002500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Bartels, Ihre Rede war kein wirklicher Ansatz von Kri-
tik. Sie haben um Argumente gerungen, haben aber kein
wirklich gewichtiges Argument genannt.

Ich habe mich zudem gefragt, warum Ihr Spitzenkan-
didat heute nicht eine Minute bei dieser Regierungser-
klärung anwesend war. Entweder hat er den Anspruch
verloren, oder ihm ist das zentrale Thema der Neuaus-
richtung der Bundeswehr nicht wichtig.


(Rainer Arnold [SPD]: Der Außenminister ist gar nicht da gewesen!)


Der erfolgreiche Einsatz für Frieden auf dieser Erde
und für die Sicherheit unseres Landes ist nicht selbstver-
ständlich. Es bedarf dazu einer andauernden Anstren-
gung und eines konsequenten Handelns. Ich danke daher
ausdrücklich zu Beginn meiner Rede unserem Verteidi-
gungsminister Thomas de Maizière dafür, dass er die
Neuausrichtung der Bundeswehr als konsequente Ant-
wort auf die sicherheitspolitische Analyse gleichsam mit
Ruhe, Stärke und Weitsicht erfolgreich vorangetrieben
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Neuausrichtung stellt die wohl intensivste An-
passung der Streitkräfte in der Geschichte der Bundes-
wehr an die Erfordernisse der Gegenwart und der Zukunft
dar. Die Aussetzung des verpflichtenden Wehrdienstes,
die damit einhergehende Reduzierung des Truppenum-
fangs und die Schließung von Standorten sind – das ist
ganz klar – eine Herausforderung für die Beteiligten.

Unter dem Strich war und ist die Neugestaltung der
Bundeswehr eine zwingende Schlussfolgerung der si-
cherheitspolitischen Analyse. Die christlich-liberale Ko-
alition hat sich dieser Aufgabe angenommen und den
Umbau der Armee sicherheitspolitisch begründet, demo-
grafiefest ausgestaltet und finanzpolitisch abgesichert.
Diese Neuausrichtung gibt der Bundeswehr bis weit in
die Zukunft hinein Handlungssicherheit.





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)


Viel mehr noch: Die Sicherheit Deutschlands – darum
geht es bei der Bundeswehr in erster Linie – kann auf
diese Weise gewährleistet und gestärkt werden. Es darf
und wird aber keine weitere Reduzierung des Umfangs
geben, schon gar nicht aus finanziellen Gründen. Dafür
stehen wir von der Union auch nach der Wahl. Das un-
terscheidet uns von der Opposition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eng mit einer soliden Finanzierung hängt die Moder-
nität der Ausrüstung zusammen. Die Bundesregierung
hat mit einer soliden Planung und einer moderaten Ver-
ringerung von Stückzahlen den finanziellen Handlungs-
spielraum der Bundeswehr verbessert. Erstmals seit
Jahrzehnten ist der Druck auf den Ausrüstungstitel ge-
sunken und Geld für andere Dinge verfügbar gemacht
worden.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ich denke, Sie wollten einsparen!)


Die Bundeswehr ist während unserer Regierungszeit zu
einer der modernsten Armeen der Welt geworden.

Wir haben die richtigen Lehren aus den Einsätzen für
die Beschaffung gezogen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor der Neuausrichtung waren die Systeme zum Teil er-
heblich verzögert geliefert worden. Das hat sich mit dem
neuen Beschaffungs- und Nutzungsprozess wesentlich
verbessert. Wir Verteidigungspolitiker haben die langen
Entwicklungs- und Lieferzeiten nicht geduldet. Das neue
Beschaffungskonzept ist der richtige Schritt. Es doku-
mentiert den Willen der notwendigen engen Zusammen-
arbeit aller Beteiligten aus der Truppe und mit der Fach-
expertise der Wirtschaft, mit dem Ziel, das Gerät zu
beschaffen, das unsere Soldaten für den Einsatz in allen
denkbaren Szenarien benötigen.

Daraus abgeleitet wurde das Prinzip „Breite vor
Tiefe“. Dieses Prinzip ist richtig; denn es ermöglicht uns
politische Handlungsoptionen und macht uns flexibel in
der Gestaltung von Mandatsausübungen. Auf diese
Weise kann Deutschland seiner sicherheitspolitischen
Verantwortung in Europa und der Welt nachkommen.
Die Neuausrichtung – „Breite vor Tiefe“ und Steigerung
der Durchhaltefähigkeit auch durch multinationale Er-
gänzungen – steht für das, was wir wollen; denn sie ist
Ausdruck von Souveränität, von Kooperationsfähigkeit
und von Bündnistreue. Dafür steht die Union. Dafür
steht auch Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich sehe auch in sicher-
heitspolitischer Hinsicht zum jetzigen Zeitpunkt keine
Alternative zu dieser Maßgabe. Wir sind uns einig:
Deutschland kann und will Konfliktvermeidung und -ver-
hütung in mandatierten Einsatzgebieten nicht alleine
durchführen. Kein Land in einer eng vernetzten Welt
kann das. Eine immer engere Zusammenarbeit der Natio-
nen innerhalb von UN-Mandaten, innerhalb der NATO
und der EU-Staaten durch Pooling und Sharing ist ein

gangbarer, ja zukunftsfähiger Weg, und zwar auch um un-
terschiedliche Fähigkeiten in einem Einsatz bereitzustel-
len.

Es stellen sich aber zwei grundlegende Fragen: Ers-
tens. Wie erhalte ich die einzelnen Fähigkeiten in den
Bündnisstaaten? Zweitens. Wann und wie beginne ich
mit der Zusammenarbeit unter den neuen Bedingungen?
Visionen von einer europäischen Armee sind gut und
schön. Wir sollten aber nicht euphorisch damit umgehen.
Wir sollten nicht nur den großen Wurf suchen, sondern
uns ganz pragmatisch um die Umsetzung kümmern. Die
Europäische Union wurde schließlich auch nicht an ei-
nem Tag erschaffen, sondern Schritt für Schritt. Die Si-
cherheitspolitik ist für die christlich-liberale Koalition zu
wichtig, um aus ihr ein Experimentierfeld zu machen.
Ich warne davor, das Pferd von hinten aufzuzäumen.
Vielmehr müssen wir Smart Defense auch smart betrei-
ben und Pooling und Sharing vom Kopf auf die Füße
stellen.

Wenn das Motto „Train as you fight“ für die Bundes-
wehr richtig ist, dann bestimmt das auch die multinatio-
nale Ebene. Wir arbeiten im Einsatz sehr erfolgreich mit
unseren Partnern zusammen. Meines Erachtens beginnt
die Zusammenarbeit als solche aber zu spät. Wir sollten
vielmehr früher ansetzen und in Form einer gemeinsa-
men Ausbildung beginnen, und zwar dort, wo es schon
heute möglich ist. Es gibt hier gute Beispiele, etwa bei
der Tiger-Ausbildung oder der gemeinsamen Nutzung
des Gefechtsübungszentrums.

Wenn wir abwarten, bis im europäischen Abstim-
mungsprozess für jede Nation Kernfähigkeiten definiert
sind, werden wir nirgends in Europa funktionierende
Streitkräfte erhalten können. Es kann gelingen, mit einer
gemeinsamen Ausbildung zu beginnen, ohne damit ein-
hergehende staatsrechtliche Probleme, etwa die Parla-
mentsbeteiligung usw., usf., sofort regeln zu müssen.
Durch die Multinationalisierung der Ausbildung und der
Ausbildungseinrichtungen würde die europäische Inter-
operabilität auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Das ist
aus meiner Sicht die Fortführung einer erfolgreichen
Neuausrichtung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die christlich-libe-
rale Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben bei der not-
wendigen Konsolidierung nicht nur in der Wirtschafts-
und Finanzpolitik, sondern mit der Neuausrichtung der
Bundeswehr auch in der Sicherheitspolitik erledigt. Es
zeigt sich, Herr Nouripour: Wir können zusätzlich Um-
welt, wir können Bildung, wir können Soziales, wir kön-
nen Arbeit, und deswegen werden wir am 22. September
das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist eine Erfolgsgeschichte! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber deutsche Grammatik könnt ihr nicht!)


Ich komme nun zu denjenigen, die für uns bei der
Neuausrichtung die wichtigsten Beteiligten sind: die
Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr, die
die Reform bei laufendem Einsatz gestalten müssen. Für





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)


sie muss die Bundeswehr trotz aller reformbedingten
Veränderungen ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Ich
bin der Überzeugung, dass wir hier eine ordentliche Bi-
lanz vorweisen können und einen guten Job gemacht ha-
ben.

Mit der Besoldungsverbesserung und der Wiederein-
führung des Weihnachtsgeldes wurden Bezugserhöhun-
gen um durchschnittlich 8,1 Prozent sichergestellt. Mit
dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war das Parlament! Das waren wir alle!)


wurde die Versorgung von im dienstlichen Einsatz Ge-
schädigten und der Hinterbliebenen wesentlich verbes-
sert. Gerade im Bereich PTBS konnte viel gemacht wer-
den. Ich weise auch auf die Härtefall-Stiftung für
Radargeschädigte und auf das Bundeswehrreform-Be-
gleitgesetz hin, mit dem wir gemeinsam den Wegfall der
Hinzuverdienstgrenzen erreicht haben, aber auch auf die
Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die
über einen sehr kompetenten Background verfügt und
sich jetzt mit Vorfällen im Einsatz auseinandersetzen
kann. Bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie ist
noch Luft. Hier haben wir die gemeinsame Absicht,
noch vieles zu erreichen.

Aber noch nie wurden in einer Legislaturperiode so
viele Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten
erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


All das dokumentiert: Die christlich-liberale Koalition
ist für die Bundeswehr und für unser Land richtig.

Meine Damen und Herren, ich habe skizziert, woher
wir gekommen sind und wohin wir wollen. Ich freue mich
auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit unserem
Bundesverteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière.
Mein Dank gilt auch unserem Koalitionspartner, der FDP,
mit dem wir immer sehr gut und vertrauensvoll zusam-
mengearbeitet haben.


(Rainer Arnold [SPD]: Abschiedsrede!)


Ich grüße an dieser Stelle unseren verteidigungspoliti-
schen Sprecher Ernst-Reinhard Beck, der heute nicht
hier sein kann. Vor allem danke ich im Namen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion den Soldaten und den zivilen
Mitarbeitern, die in der Bundeswehr ihren Dienst leisten.
Ihnen gilt unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie stehen für
unsere Bundeswehr, für Frieden und Freiheit, für Ver-
lässlichkeit und Professionalität, für die Sicherheit unse-
res Landes, und dafür danken wir ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724002600

Nun hat der Kollege Müller-Sönksen das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):
Rede ID: ID1724002700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Neuausrichtung der Bundeswehr ist eine Erfolgsge-
schichte der koalitionsgeführten Bundesregierung; das
muss angesichts der heute hier teilweise neben dem
Thema des Tagesordnungspunktes geäußerten Kritik
gleich am Anfang unterstrichen werden.


(Beifall bei der FDP)


Der Fokus der Neuausrichtung liegt völlig zu Recht
auf der Optimierung der Einsatzfähigkeit. Die Reform
ist kein Selbstzweck, sondern wird die Bundeswehr fle-
xibler machen, damit sie ihre zukünftigen Aufgaben
bestmöglich erfüllen und unseren Verbündeten weiterhin
ein verlässlicher Partner sein kann.

Die grundsätzlichen strukturellen Veränderungen die-
ser Legislaturperiode gehen mit einem Paradigmenwech-
sel in der Wahrnehmung unserer Soldaten und Soldatin-
nen einher. So hat die Aussetzung der Wehrpflicht – ein
lang verfolgtes Ziel der FDP – eine breite gesellschaft-
liche Debatte angestoßen. Mit dem Reformbegleitpro-
gramm und legislativen Grundlagen wie dem novellierten
Einsatzversorgungsgesetz reagieren die Koalitionsfrak-
tionen auf diese gesellschaftlichen Veränderungen.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist von allen beschlossen worden! Wir haben den Druck auf die Koalition aufgebaut! Das waren nicht Sie als Koalition, das war das Parlament!)


Die Bundeswehr soll auch in Zukunft ein attraktiver
Arbeitgeber sein, der motivierte und engagierte junge
Menschen anspricht. Wenn ich die Opposition heute so
höre, dann weiß ich gar nicht, ob Sie mit Ihren Reden
überhaupt noch motivierte Menschen ansprechen und
adressieren wollen, um sie für unsere Bundeswehr zu ge-
winnen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie kann man bestimmt nicht mehr motivieren!)


Wenn wir gemeinsam wollen, dass die Bundeswehr
ein attraktiver Arbeitgeber bleibt, müssen wir dafür sor-
gen, dass die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass sie
sich im Worst Case auf die Unterstützung der Bundesre-
publik verlassen können. Unsere Soldatinnen und Solda-
ten sollen wissen, dass wir im Ernstfall für sie und ihre
Angehörigen sorgen. Sie sollen sich nicht als Bittsteller
fühlen. Anerkennung für die Leistungen der Soldatinnen
und Soldaten drückt sich in jeder öffentlichen Würdi-
gung aus, auch zum Beispiel im Umgang mit den Ver-
waltungsbehörden.

Es ist deshalb ein großer Erfolg, dass traumatisierte
Soldatinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt
werden als ihre Kameraden, die sichtbare körperliche
Schäden erlitten haben. Ich bin dankbar, dass wir dieses
wichtige Thema gemeinsam, über alle Fraktionsgrenzen
hinweg, angepackt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Burkhardt Müller-Sönksen


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben auch eine Härtefall-Stiftung ins Leben ge-
rufen, damit niemand in Bezug auf die Absicherung
durch das Raster fällt. Ich denke dabei vor allem an die
Soldatinnen und Soldaten, bei denen sich die Verfahren
auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung über
Monate, manchmal Jahre hinziehen und die hierdurch in
eine finanzielle Schieflage geraten, von dem psychologi-
schen Druck in dieser Situation ganz zu schweigen.

Neben den konkreten Verbesserungen in der Versor-
gung brauchen wir vor allem einen Paradigmenwechsel,
was die öffentlichen Anerkennung der Veteranen und der
Gefallenen angeht. Das Verhältnis zwischen der Bevöl-
kerung und den Streitkräften wurde einmal sehr passend
als „freundliches Desinteresse“ beschrieben. Im Rahmen
dieser Reform gilt es, deutlich zu machen: Die gefalle-
nen Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen gehören
in die Mitte unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen keine zur Schau gestellte Symbolpolitik
– nein, weiß Gott nicht –, sondern Aufrichtigkeit im
Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten, die wir auf-
grund der Beschlüsse unseres Parlamentes in die Ein-
sätze schicken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die
Neuausrichtung der Bundeswehr weiter vorantreiben und
die wichtige Debatte um die Verankerung der Truppe in
der Gesellschaft offensiv führen. Die Bundeswehr wird
gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen. Lassen Sie uns
diesen Weg gemeinsam beschreiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1724002800

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1724002900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich auf diese Legislaturperiode zurückblicke und
nachdem ich die heute vorliegende Antwort der Bundes-
regierung auf die Große Anfrage gelesen habe, bin ich
schon etwas stolz darauf, was der Bundeswehr unter ih-
ren Verteidigungsministern und mit der großen Unter-
stützung des Parlaments in den letzten Jahren gelungen
ist.

Die Bundeswehr ist 23 Jahre nach Ende des Kalten
Krieges im Jetzt angekommen. Sie hat sich in den
23 Jahren Schritt für Schritt von einer Armee der Lan-
desverteidigung zu einer modernen Einsatzarmee entwi-
ckelt. Es war ein langer Weg mit vielen schweren Schrit-
ten. Der größte und letzte Schritt war die Aussetzung der
Wehrpflicht. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben uns in
der Union gerade mit dem letzten Schritt, der Ausset-
zung der Wehrpflicht, sehr schwergetan; aber am Ende

haben wir uns dafür entschieden, weil wir wussten, dass
dieser Schritt notwendig ist.

Wir haben den Soldaten in den letzten vier Jahren
ziemlich viel zugemutet. Einen Apparat wie die Bundes-
wehr bewegt man nicht so einfach. Vom Kabinetts-
auftrag bis zur Verkündigung der Feinausplanung ver-
gingen zwei Jahre Planungszeit. Das bedeutete: Zwei
Jahre lang Unsicherheit für jede einzelne Organisations-
einheit. Erst danach konnte der einzelne Soldat der Frage
nachgehen: Was passiert mit mir? Kann ich bleiben? Wie
sehen die Modalitäten aus, wenn ich ausscheide? Wo
finde ich meinen Platz in der neuen Bundeswehr? Es gibt
viele Soldaten, für die diese Fragen immer noch nicht
endgültig geklärt sind.

Hinzu kommt, dass wir in der Übergangsphase noch
die alten Strukturen haben, aufgrund der Aussetzung der
Wehrpflicht aber plötzlich viel weniger Soldaten, die
diese Strukturen ausfüllen müssen. Als Betroffener wäre
ich mit dieser Situation auch unzufrieden. Ich werbe
aber auch um Verständnis. Jeder Soldat und jeder Zivil-
beschäftigte hat neben dem Anspruch auf Information
auch einen Anspruch darauf, dass eine einmal verkün-
dete Entscheidung gültig bleibt. Darauf muss man sich
verlassen können. Wenn man diesen beiden Ansprüchen
gerecht werden will, dann muss gründlich geplant wer-
den, und alle Abhängigkeiten, die in einer Armee beste-
hen, müssen berücksichtigt werden. Das braucht Zeit.

Ich habe großen Respekt vor denen, die diese Neuaus-
richtung fachlich planen. Ich habe großen Respekt vor
den Vorgesetzten, die vor der nicht immer einfachen
Aufgabe stehen, ihren Soldaten erklären zu müssen, dass
noch nichts sicher ist. Sie müssen ihren Soldaten die
Neuausrichtung erklären und ihnen sagen, dass es noch
ein bisschen dauern wird, bis endgültige Entscheidungen
getroffen werden und der Nutzen sichtbar wird. Ich habe
auch großen Respekt vor den Soldatinnen und Soldaten
und ihren Familien, die diese Phase der Unsicherheit
aushalten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie alle leisten das neben ihrem normalen Auftrag und
den Einsätzen, bei denen wir nicht einfach eine Pause
einlegen können. Dafür möchte ich ihnen von dieser
Stelle aus meinen Dank und meine große Anerkennung
aussprechen.

Die Unsicherheit, die uns in dieser Phase der Umset-
zung der Neuausrichtung begleitet, wird mit jedem Tag
kleiner werden. Ich bin sicher, dass eine vergleichbare
Reform auf absehbare Zeit nicht notwendig sein wird.
Für mich hat die Bundeswehr ihre Zielstruktur erst ein-
mal erreicht. Ich möchte das kurz begründen: Maßgeb-
lich für die Neustrukturierung war der Bedarf an einem
möglichst breiten Fähigkeitsspektrum. Daneben waren
die verfügbaren Finanzmittel und das verfügbare Nach-
wuchspotenzial strukturbestimmend.

Ich weiß noch sehr genau, dass wir im Bundestag und
im Verteidigungsausschuss in den Jahren 2009/2010
über das Fähigkeitsspektrum gesprochen haben. Wir ha-
ben uns die Köpfe zermartert, wie mögliche Einsatzsze-
narien der Bundeswehr in der Zukunft aussehen könn-





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)


ten: Wo wollen bzw. müssen wir unsere Bundeswehr in
fünf oder zehn Jahren einsetzen? Damals hat niemand
von uns gedacht, weder von der Opposition noch von der
Regierung, dass wir nur zwei Jahre später – 2013 – mit
Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien stehen würden,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stehen nicht an der Grenze zu Syrien!)


und keiner von uns hat damals gedacht, dass wir einen
Einsatz in Mali haben könnten – Pionierausbildung –
oder Einsätze im Senegal mit Lufttransport und Luftbe-
tankung. Das war für mich prägend. Ich habe daraus die
Erkenntnis gezogen, dass man das vielleicht gar nicht
vorhersehen kann. Wir wissen heute nicht, welche Auf-
gaben wir 2015 mit der Bundeswehr zu bewältigen ha-
ben werden. Wir wissen nur, dass wir als größte Volks-
wirtschaft in Europa auch in Zukunft mit Verantwortung
für Frieden und Sicherheit in der Welt tragen werden.
Wir wissen auch, dass die Bedrohungen, insbesondere
die Bedrohungen durch zerfallende, schwache Staaten,
in Zukunft eher größer als kleiner werden.

Deswegen war der Ansatz „Breite vor Tiefe“ richtig;
denn eine erneute Verkleinerung oder ein anderer Ansatz
hätten bedeutet, dass wir auf substanzielle Fähigkeiten
hätten verzichten müssen. Ich tue mich wirklich schwer,
zu sagen, auf welche Fähigkeiten wir verzichten können,
weil ich nicht weiß, was wir in Zukunft brauchen wer-
den; denn es gibt nun einmal Unsicherheiten in der Welt.
Ich hoffe, dass wir mit der Zeit immer mehr Fähigkeiten
in der NATO und in Europa gemeinsam erlangen wer-
den. Aber das werden kleine Schritte sein, Stück für
Stück. Kollege Otte hat die Ausbildung angesprochen,
die man stärker europäisieren kann. Diese kleinen
Schritte werden in der nächsten Zeit nicht strukturbe-
stimmend für die Bundeswehr sein.

Der zweite Grund, warum ich glaube, dass diese
Struktur Bestand haben wird, ist die Finanzierung. Es ist
gelungen, die Struktur der neuen Bundeswehr nachhaltig
zu finanzieren. Sie erleben es in den Haushaltsverhand-
lungen. Die Armee insgesamt wird kleiner, die Anzahl
der Soldaten und Zivilbeschäftigten nimmt ab, das Bud-
get bleibt aber konstant. Was bedeutet das? Das heißt,
dass wir das Geld, das wir sparen, in die Verbesserung
der Attraktivität, in effektivere Strukturen und in die
Verbesserung der Ausrüstung für unsere Soldatinnen und
Soldaten stecken können.

Da haben wir große Fortschritte gemacht. Das erken-
nen wir, wenn wir daran denken, welche Diskussionen
wir am Anfang dieser Legislaturperiode geführt haben,
insbesondere über die Ausrüstung der Soldaten in Af-
ghanistan. Der Wehrbeauftragte hat damals mehrmals
auf Probleme hingewiesen. Wenn ich sehe, welchen ho-
hen, guten Ausrüstungsstand wir gerade in diesem Ein-
satz erreicht haben, dann muss ich sagen, dass das ein
riesengroßer Erfolg für die gesamte Bundeswehr ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, dann kann
ich feststellen: Niemand kritisiert, dass wir zu wenig

Geld für die Bundeswehr ausgeben, sondern die Kritik
richtet sich darauf, dass wir zu wenig sparen. Aber damit
kann ich als Verteidigungspolitiker sehr gut leben. Ich
sage auch, wem wir die gute Situation zu verdanken ha-
ben. Das ist vor allem ein Verdienst unseres jetzigen
Ministers Thomas de Maizière, der gemeinsam mit dem
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dafür gesorgt
hat, dass die Bundeswehr in Zukunft nachhaltig finan-
ziert ist. Dafür meinen herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der dritte Grund, warum ich glaube, dass diese Struk-
tur hält, ist der starke Zulauf an Freiwilligen zur Bundes-
wehr trotz einer historisch guten Situation auf dem Ar-
beitsmarkt. Wir haben so wenig Arbeitslose wie seit der
Wiedervereinigung nicht mehr. Wir hatten große Angst,
dass die Bundeswehr nach dem Aussetzen der Wehr-
pflicht Probleme hat, genügend qualifizierten Nach-
wuchs für die Strukturen zu finden, und wir sie deswe-
gen irgendwann verkleinern müssen. Aber heute zeigt
sich, dass diese Angst unberechtigt war.

Dank einer aktuellen Anfrage der Linken wissen wir,
dass die Bundeswehr zum Beispiel bei den Offizieren im
letzten Jahr über 10 000 Bewerber bei knapp 1 800 Ein-
stellungen hatte. In einzelnen Bereichen, zum Beispiel
bei der Marine und auch bei den IT-Kräften, gibt es Pro-
bleme, Nachwuchs zu finden. Aber wenn ich die ge-
samte Bundeswehr betrachte, dann ist es überhaupt kein
Problem, den Bedarf zu decken, und das, obwohl die neu
aufgestellte Organisation zur Nachwuchsgewinnung
noch gar nicht richtig angefangen hat, zu arbeiten.

Das ist ein Riesenerfolg und sagt auch etwas über den
Stellenwert der Bundeswehr in der Gesellschaft aus. Je-
der, der heute zur Bundeswehr geht, weiß, dass er wahr-
scheinlich auch in einen Einsatz gehen muss. Aber er hat
das Vertrauen in die Bundeswehr und in uns Abgeordnete,
dass wir über die Einsätze nicht leichtfertig entscheiden.
Dieses Vertrauen haben wir uns in den vergangenen Jah-
ren gemeinsam mit der Opposition hart erarbeitet. Wir
müssen dem immer wieder neu gerecht werden.

Wir haben in dieser Legislaturperiode mit der Neu-
ausrichtung der Bundeswehr ein großes Projekt erfolg-
reich aufs Gleis gesetzt. Wir sind damit aber noch nicht
am Ziel. Die Umsetzung dauert noch an. Wir werden
auch in den nächsten Jahren noch kräftig anschieben
müssen. Wir als christlich-liberale Koalition haben die
Bundeswehr erfolgreich in das Jetzt geführt. Ich wün-
sche mir, ich werbe dafür und ich kämpfe dafür, dass wir
im September vom Wähler den Auftrag bekommen, die
Bundeswehr auch erfolgreich in die Zukunft zu führen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724003000

Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach

§ 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich Kollegen
Volker Kauder.






(A) (C)



(D)(B)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1724003100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

In seinem Redebeitrag hat der Kollege Nouripour auf ein
Interview von mir hingewiesen, in dem ich formuliert
habe, dass es in der Politik durchaus Dilemmata geben
kann. Ich habe darauf hingewiesen, dass in Saudi-Ara-
bien keine Religionsfreiheit herrscht und dass dort
Christen auch verfolgt werden.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Aber ich habe auch darauf hingewiesen, dass es in dieser
Region einen Zielkonflikt zwischen der Religionsfrei-
heit, die wir einfordern, und den Interessen in der Außen-
politik gibt. Wer den Eindruck erweckt, dass es solche
Dilemmata, solche Zielkonflikte nicht gibt, der macht
den Menschen etwas vor.

Ich bekenne mich in meinen Vorträgen zum Men-
schenrecht auf Religionsfreiheit; ich äußere mich also zu
genau diesem Dilemma und verschweige es nicht. Sich
aber hier hinzustellen und zu sagen, dies sei wohl ein ty-
pisches Problem einer konservativen, schwarz-gelben
oder christlich-liberalen Regierungskoalition, das ist von
einer Moral getragen, lieber Herr Nouripour, die ich
nicht akzeptieren kann. Ich habe in diesen Tagen ohne-
hin den Eindruck, dass Sie von den Grünen, was Ihre
moralischen Vorgaben angeht, sich zunächst einmal an
die eigene Nase fassen sollten, bevor Sie anderen Leuten
ständig die Moralkeule um die Ohren hauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt komme ich zum Thema. Ich möchte auf einen
Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 18. Februar die-
ses Jahres und auf einen Bericht von Spiegel Online vom
12. Juni 2011 zu sprechen kommen und nur einmal die
Fakten nennen, damit Sie Ihr Gewissen ein bisschen
schärfen können.


(Christel Humme [SPD]: Oberlehrer!)


– Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen: Wenn man hier in
diesem Haus von einem Kollegen in dieser Art und
Weise moralisch angegriffen wird, wird man wohl noch
das Recht haben, sich zu verteidigen, ohne von Ihnen
vorgeworfen zu bekommen, ein Oberlehrer zu sein. Das
ist ja unglaublich! Sie sollten sich dafür schämen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt komme ich zum Thema. Im Jahr 2004 wurden
von der rot-grünen Bundesregierung Genehmigungen
für Ausfuhren nach Saudi-Arabien erteilt. Dabei ging es
um Teile für Patrouillenboote, Teile für gepanzerte Fahr-
zeuge, Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Logistik-
ausrüstung und mehr. Die Süddeutsche Zeitung schreibt
dazu:

Die Geschäfte mit den Scheichs gingen also auch
damals schon ziemlich gut.

Auch Spiegel Online befasst sich damit, was Sie da-
mals alles gemacht haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724003200

Herr Kollege Kauder, Sie wollten eine Erklärung zur

Aussprache abgeben


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!)


und nicht die Aussprache verlängern.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1724003300

Ja, ich wollte das nur sagen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724003400

Ich bitte sehr darum, die Grenzen der GO zu beach-

ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1724003500

Jawohl. – Bei Spiegel Online ist zu lesen:

Ich kann nur sagen: Jeder blamiert sich – so gut es
geht – selbst.


(Thomas Oppermann [SPD]: Sie auch gerade!)


Dann heißt es dort:

Ein bisschen gilt das in diesen Tagen aber auch für
SPD und Grüne.

Das ist die Wahrheit. Geben Sie zu, dass es diesen Kon-
flikt gibt, und tun Sie nicht so, als ob Sie sich immer ast-
rein verhalten hätten. Sie haben nach Saudi-Arabien ge-
liefert, obwohl Sie die Menschenrechtslage dort gekannt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch totaler Unsinn! Tun Sie doch nicht so, als ob Sie die Wahrheit gepachtet hätten, wenn es um Moral geht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724003600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/13480. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Linke
stimmt dafür. Dagegen stimmen die beiden Koalitions-
fraktionen, die Grünen und die SPD.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Michael Gerdes, Ulrike





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Gottschalck, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – Bil-
dungschancen mit guten Ganztagsschulen für
alle verbessern

– Drucksache 17/13482 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aydan
Özoğuz, Willi Brase, Ulla Burchardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – Eine
moderne Integrationspolitik für mehr Chan-
cengleichheit

– Drucksache 17/13483 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort.


(Unruhe)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte all diejeni-
gen, die an der Debatte jetzt nicht teilnehmen wollen,
den Saal zu verlassen, damit wir in Ruhe weiter debattie-
ren können.

So, Kollege Steinmeier, Sie haben das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1724003700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Das ist ja eigenartig: Kaum ist die Bundeswehr-
debatte vorbei, verlassen die Kabinettsmitglieder gera-
dezu fluchtartig die Regierungsbank, keine Bundeskanz-
lerin mehr da, keine Arbeitsministerin mehr da, die
Plätze verwaist.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wo ist denn Herr Steinbrück? – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Die suchen Herrn Steinbrück!)


Aber genau das, meine Damen und Herren, ist eben sym-
ptomatisch: Entweder haben die Beteiligten immer noch
nicht begriffen, dass es beim Thema Bildung um die
zentrale Schlüsselfrage unserer gesamten Zukunft geht,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Lächerlich!)


oder es ist die magere Bilanz von vier schwarz-gelben
Regierungsjahren, die Ihnen so peinlich ist, dass Sie sich
nicht hertrauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Diese Regierung hat wahrlich keinen Grund, stolz zu
sein. Die bildungspolitische Bilanz dieser Regierung ist
nicht nur ernüchternd, sie ist aus meiner Sicht sogar ka-
tastrophal: Statt mit vereinten Kräften den Kitaausbau
voranzutreiben, haben Sie sich lieber im Hickhack um
das Betreuungsgeld zerlegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt Kindern aus benachteiligten Familien gleiche Chan-
cen zu eröffnen, haben Sie mit Ihren Bildungsgutscheinen
– ich sage: erwartungsgemäß – einen Flop gelandet. Statt
gemeinsam mit den Ländern zu arbeiten, beharken Sie
sich gegenseitig. Ich sage Ihnen: Das Kooperationsverbot
ist ein Fehler. In der Praxis taugt es nichts. Die Eltern, die
Menschen verstehen es nicht. Schwarz-Gelb schafft es
nicht einmal, im eigenen Laden eine gemeinsame Linie
zu finden.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das müssen Sie gerade sagen!)


Ich sage für uns: Dieses Kooperationsverbot ist ein in
Verfassungsrecht gegossener Irrtum, der beseitigt wer-
den muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Was ist mit einer Änderung von Art. 91 b Grundgesetz?)


Wir sind dazu bereit – seien Sie es auch!

Vor Jahren – Sie werden sich erinnern – fand Ihre
Bundeskanzlerin es schick, von der „Bildungsrepublik
Deutschland“ zu reden. Bildungsrepublik wird man aber
nicht durch bloßes Beschwören. Der Begriff klingt
schön, klingt anspruchsvoll; aber es braucht Taten und
Entscheidungen, die den Weg dahin ebnen. Das Einzige,
was Sie geebnet haben, ist der Weg in die Einbildungsre-
publik: Inszenierung statt echter Politik, Simulation statt
Weichenstellungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was ist mit Gerhard Schröder? – Patrick Meinhardt [FDP]: Heuchelei!)


Aber Sie wissen es, Sie ahnen es: Das reicht nicht für un-
ser Land.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


Die Menschen draußen haben es in den letzten vier
Jahren immer wieder erleben müssen: Anstatt Politik zu
machen, anstatt Entscheidungen zu treffen, anstatt hier
in diesem Hause Gesetzentwürfe vorzulegen, tummelt
sich die Regierung auf Bildungsgipfeln, Zukunftsgipfeln
oder – vor wenigen Tagen erst – auf sogenannten Demo-
grafiegipfeln. Sie erstürmen einen ganzen Himalaya von
Gipfeln; nur, erreicht haben Sie bisher nichts.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


„Über allen Gipfeln ist Ruh“ – wenn Sie Goethe schät-
zen; aber ich kann Ihnen versichern: Als Goethe das ge-
schrieben hat, hat er nicht an Politik und erst recht nicht
an Ihre Regierung gedacht. Er hätte gesagt: „Über allen
Gipfeln ist Ruh; aber aus Ruhe und Stillstand entsteht
eben keine Zukunft“, und damit hätte er recht gehabt,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Sie veranstalten einen Demografiegipfel, machen
aber nichts gegen den Fachkräftemangel. Sie veranstal-
ten einen Frauengipfel, machen aber nicht wirklich et-
was für Gleichstellung. Sie veranstalten Energiegipfel,
machen aber keine Energiewende. Sie veranstalten
IT-Gipfel, schaffen es aber nicht, den Breitbandausbau
voranzutreiben. In 45 Monaten schwarz-gelber Regie-
rung haben Sie 45 Gipfel veranstaltet. Das ist simulierte
Politik in Serie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sage ich Ihnen: Kommen Sie hierher in den
Bundestag! Legen Sie Konzepte vor für die Bewältigung
der Folgen des demografischen Wandels, für die Verein-
barkeit von Familie und Beruf, für gleiche Chancen von
Frauen – mit einer ehrlichen Frauenquote! Und machen
Sie den Weg frei für den Ausbau von Ganztagsschulen,
wie wir das heute vorschlagen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So geht Politik, die etwas will. Aber ich befürchte, Sie
wollen nichts außer wiedergewählt zu werden. Mit die-
ser Bilanz – das kann ich Ihnen versprechen – wird da-
raus nichts, und das ist gut für unser Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in Deutschland alle Chancen, wir könnten
die erreichte Stärke nutzen und jetzt richtig loslegen;
aber Sie legen unser Land lahm. Deshalb ist die Bundes-
tagswahl in 18 Wochen eine wirklich wichtige Wahl.
Entweder wir packen es und bereiten Deutschland auf
die Zukunft vor, oder unser Land fällt wieder zurück.
Wenn wir über Zukunft reden, dann gibt es aus meiner
Sicht nur drei wichtige Themen in diesem Land, nämlich
erstens Bildung, zweitens Bildung und drittens Bildung,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil wir wissen und wissen sollten: Bildung ist der
Schlüssel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft,
für die Zukunft unserer Kinder und – das sage ich Ihnen
deutlich – auch für unsere wirtschaftliche Stärke. Das er-
fahren Sie doch auch von Ihren Leuten.

Schon heute drückt der Fachkräftemangel auf Innova-
tion und Wachstum. Wir können es uns überhaupt nicht
leisten, auch nur ein einziges Kind zurückzulassen. Jedes
Jahr verlassen 60 000 Jugendliche ohne einen Abschluss
die Schulen, und nach den Arbeitslosenstatistiken sind
über 1 Million Menschen ohne die Chance auf geregelte
Arbeit. Das sind die, um die wir uns zu kümmern haben.
Für sie müssen wir uns anstrengen. Deshalb brauchen
wir mehr und gute Ganztagsschulen, wie wir sie heute in
unserem Antrag fordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Keiner bleibt zurück, jeder kriegt eine Chance: Das ist
mehr als nur das Schließen von Lücken bei den Fachar-
beitskräften. Wir müssen am Ende die Antwort auf die
Frage geben, ob unsere Gesellschaft lebenswert bleibt.
Nicht der Geldbeutel, das Stadtviertel oder die Herkunft
dürfen darüber entscheiden, welchen Schulabschluss ein
Kind macht, sondern es muss wieder das gelten, womit
wir, unsere Generation, groß geworden sind: Aufstieg
durch Bildung.

Die Frage ist aber doch: Was ist eigentlich von diesem
großen Versprechen an die Gesellschaft – Aufstieg durch
Bildung – übrig geblieben? Wenn man genau hinschaut,
dann sieht man doch: Ob man heute nach oben kommt,
hängt mehr denn je davon ab, ob man sich das leisten
kann.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


1,5 Milliarden Euro geben heute Eltern jedes Jahr für
den privaten Nachhilfeunterricht aus. Das ist nichts an-
deres als die teilweise Privatisierung von Bildungschan-
cen. Kleiner Geldbeutel, kleine Chancen: Diese Rech-
nung darf nicht gelten. Dafür, dass sie nicht gilt, gibt es
die Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade Kinder aus Zuwandererfamilien kommen
heute nicht oder zu wenig nach oben. Ich finde schon,
dass Sie sich hier besonders ignorant zeigen – ich nenne
Ihnen ein Beispiel, das ich Ihnen nicht ersparen kann –,
weil Sie mit dieser unsinnigen Betreuungsprämie auch
noch einen Anreiz geben, dass gerade die Kinder zu
Hause bleiben, die dringend auf Förderung angewiesen
wären. Sie vernichten die Chance, die diese Kinder brau-
chen. Sie alle haben Einzelbeispiele im Kopf und sind
ihnen begegnet.

Ich habe erst vor wenigen Monaten ein Mädchen tür-
kischer Abstammung getroffen, dem nach dem Haupt-
schulabschluss Gott sei Dank ein Lehrer gesagt hat: Hör
jetzt nicht auf, mach deinen Realschulabschluss. Sie hat
ihren Realschulabschluss gemacht, ist weiter gefördert
worden und hat schließlich ihr Abitur gefeiert. Inzwi-





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


schen hat sie das Studium schon hinter sich. Individuelle
Förderung, Ermutigung in der Bildungspolitik – darum
geht es!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will, dass solche Beispiele keine Einzelbeispiele
bleiben. Das wird uns aber nur mit mehr Ganztagsschu-
len gelingen.

Wir haben hier zu unseren eigenen Regierungszeiten
einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Das war nicht
ganz einfach. Ich glaube aber, das erste Ganztagsschul-
programm, das es damals gegeben hat, war ein Durch-
bruch. Wenn der Anfang auch gemacht ist, so heißt das
aber natürlich noch nicht, dass das Ziel erreicht ist. Die
Qualität in den Ganztagsschulen, die es gibt, ist nicht
überall so, wie wir uns das wünschen.


(Beifall der Abg. Christel Humme [SPD])


Das ist der Grund dafür, weshalb wir heute vor Sie tre-
ten und sagen: Wir brauchen ein Ganztagsschulpro-
gramm 2.0.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Machen Sie 3.0!)


Das soll den Ländern zu einem neuen Schub beim Aus-
bau verhelfen und dabei helfen, einen starken Akzent auf
Betreuungs- und Bildungsqualität zu setzen.

Ja, das kostet am Ende Geld. Unsere Programme kos-
ten 8 Milliarden Euro über mehrere Jahre. Das geht eben
nur über eine gemeinsame Anstrengung. Das funktioniert
nicht mit einem Kooperationsverbot und Steuersenkun-
gen und darf nicht über die Erhöhung der Neuverschul-
dung finanziert werden. Deshalb sagen wir vorneweg:
Für den, der Investitionen in Bildung wirklich ernsthaft
will,


(Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Der muss den Mittelstand fördern!)


darf auch ein höherer Spitzensteuersatz kein Tabu sein.
Das sagen wir ehrlich vor den Wahlen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin mir sicher, die Menschen draußen im Land
sind da ein bisschen weiter als manche hier in Berlin.
Die wissen oder ahnen zumindest, dass es Bildung zum
Nulltarif nicht gibt, dass sich Investitionen in Bildung
aber am Ende auszahlen.

Ja, Bildung ist teuer, das stimmt. Aber es gibt eine Sa-
che – hat John F. Kennedy gesagt –, die ist noch teurer
als Bildung, und das ist: keine Bildung. Damit hat er im-
mer noch recht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir bieten Ihnen deshalb an: Beschließen Sie mit uns
ein neues Ganztagsschulprogramm. Lassen Sie uns jetzt
einen kräftigen Schub geben, damit 2020 jedes Kind in
Deutschland, egal wo es wohnt, vor allem egal woher es

stammt, egal wie arm oder reich die Eltern sind, einen
Ganztagsschulplatz finden kann. Wir stehen bereit, wir
stehen auch jetzt vor den Wahlen noch bereit, dafür die
Weichen zu stellen. Sie können davon ausgehen, dass die
Mehrheit dafür im Bundesrat steht. Wir haben keine Zeit
zu vergeuden, und wir sind bereit, dafür jeden Sitzungs-
tag zu nutzen.

Wenn Sie dafür den Weg frei machen, dann können
Sie sich in Zukunft Bildungsgipfel und Demografiegip-
fel sparen, dann können wir endlich wieder anfangen,
Bildungspolitik in diesem Land zu machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724003800

Das Wort hat nun Dorothee Bär für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1724003900

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Lieber Herr Kollege Steinmeier, ich verstehe Ihre
Nervosität, weil Sie merken, dass es im September
schwierig werden wird. Dennoch finde ich es schade,
dass Sie hier die Chance vertan haben, dass Sie hier ein-
fach nur laut waren und ganz bewusst und wider besse-
res Wissen die ganzen Erfolge, die wir in den letzten
Jahren erzielt haben, hier auch noch negieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben wohl nicht zugehört!)


Wenn sich die einzige Kritik darin erschöpft, zu fra-
gen, wo ist denn der Minister oder die Ministerin, kann
ich nur sagen: Wir sind ja da, wir reden gern mit Ihnen,
und ich erkläre Ihnen auch gern, was wir alles geleistet
haben. Danach werden Sie aus der Debatte rausgehen
und sagen: Entschuldigung, Frau Bär, Sie hatten recht!


(Thomas Oppermann [SPD]: Wir reden jetzt über Bildungspolitik! – Sigmar Gabriel [SPD]: Erklären Sie doch einmal etwas zu Ihrer Familienpolitik! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Deshalb wäre es gut, einfach einmal zuzuhören.

Wenn Sie behaupten, die bildungspolitische Bilanz
sei katastrophal, wenn Sie sagen, der Kitaausbau gehe
schleppend voran, dann ignorieren Sie Fakten. Erstens
einmal war es unsere Fraktion, die diesen Kitaausbau
überhaupt auf den Weg gebracht hat.


(Lachen und Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)


Wir waren diejenigen, die gesagt haben: Der Bund ist
zwar nicht zuständig, aber wir machen das eben.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das mit dem Betreuungsgeld, das haben Sie auf den Weg gebracht! – Weitere Zurufe von der SPD)






Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)


– Herr Kollege Oppermann, ich komme noch zum Be-
treuungsgeld, dann erkläre ich Ihnen, wie auch Sie das in
Anspruch nehmen können.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Sigmar Gabriel [SPD]: Das Betreuungsgeld hat doch bei Ihnen eine ganz neue Verwendung!)


Also, wir haben den Kitaausbau angestoßen. Im April
haben wir beispielsweise in Bayern den 100 000. Krip-
penplatz eröffnet.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Die CSU hat ein ganz eigenes Betreuungsgeld!)


Damit haben wir in Bayern momentan eine Abdeckung
in Höhe von 50 Prozent.

Diese Woche hatten wir ein Gespräch mit Vertretern
der CSU-Landesgruppe und des Bayerischen Städteta-
ges. Der Bayerische Städtetag ist kein Gremium, in dem
zu 100 Prozent CSU-Politiker sitzen. Der Präsident bei-
spielsweise ist ein SPD-Oberbürgermeister. In unserem
Gespräch gab es auch vonseiten der SPD-Oberbürger-
meister und Ersten Bürgermeister einen ganz, ganz gro-
ßen Dank an die CSU-Landesgruppe dafür, dass wir uns
dafür eingesetzt haben.


(Heiterkeit und Zurufe bei der SPD)


– Ja, die Wahrheit tut weh.

Spannenderweise war es eben so, dass auch Ihre SPD-
Oberbürgermeister zu uns gesagt haben, als ich sie nach
dem Rechtsanspruch gefragt habe: Rechtsanspruch, das
ist ja beeindruckend, damit haben wir überhaupt kein
Problem, das kriegen wir locker hin. Das hat mir zum
Beispiel der Nürnberger Oberbürgermeister gesagt. Er
hat auch darauf hingewiesen, dass er Angst hat oder zu-
mindest denkt, dass einige Boulevardmedien versuchen
werden, jemanden zu finden, der dann klagt.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Was meinen Sie eigentlich mit Betreuungsgeld?)


Aber all unsere Oberbürgermeister, egal ob sie von den
Freien Wählern, SPD oder CSU kommen, haben gesagt:
Das ist locker ab dem 1. August 2013 einzuhalten. Es
hieß nicht nur: „Danke, Bundesregierung“, sondern ganz
besonders: „Danke, CSU!“ – Das sehen wir natürlich als
Auftrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD – Sigmar Gabriel [SPD]: Bei Ihnen haben sich eine ganze Menge Leute zu bedanken!)


Herr Kollege Steinmeier, mir ist eines wieder aufge-
fallen: Ich finde es schade, dass Sie Ihre Redezeit nur
dazu genutzt haben – ich kenne Sie noch von früher aus
dem Auswärtigen Ausschuss, da waren Sie anders –,


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da habe ich insbesondere über Außenpolitik gesprochen!)


unser Land und unsere Menschen systematisch schlecht-
zureden. Das finde ich schade. Ich finde es schade, dass

unsere ganzen Bemühungen und Ansätze, die wir auf
den Weg gebracht haben, schlechtgeredet werden und es
nur heißt: Ja, es gibt vielleicht auch ein paar positive
Beispiele. Warum werden diese ganzen Bemühungen,
die vor Ort stattfinden, so kaputtgemacht, indem man
sagt, das sei alles zu wenig oder das, was da an Engage-
ment laufe, funktioniere nicht? Bei Ihnen läuft es immer
auf das Gleiche hinaus. Ihre Haltung widerspricht aber
völlig unserem Menschenbild. In Ihrer Rede ging es im-
mer nur um Zwang und Bevormundung.


(Thomas Oppermann [SPD]: Sagen Sie mal etwas!)


Schauen wir uns an, was SPD-Politiker gefordert ha-
ben: Buschkowsky fordert eine Kitapflicht für jedes
Kind mit Migrationshintergrund. Hannelore Kraft hat in
ihrem Wahlkampf eine grundsätzliche Kitapflicht gefor-
dert. Herr Steinmeier fordert jetzt einen Ganztagsschu-
lenzwang.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wer hat den gefordert?)


Was soll das eigentlich? Warum akzeptieren Sie nicht
auch Optionen?


(Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie überhaupt zugehört?)


Wir sind diejenigen, die sagen: Nicht alle Kinder sind
gleich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich brauchen wir Ganztagsschulen, aber wir brau-
chen nicht für jedes Kind einen Platz in einer solchen
Schule. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass unser Ver-
einswesen kaputtgemacht wird. Ich möchte nicht, dass
funktionierende Familienstrukturen kaputtgemacht wer-
den.

Herr Oppermann hat eben wieder das Betreuungsgeld
angesprochen. Für uns liegt der Schlüssel zu Integration
und zu Bildung an allererster Stelle in den Familien. Ich
lasse nicht zu, dass suggeriert wird, Bildung könne es
nur außerhalb von Familien geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist auch spannend, zu sehen, wie die SPD hier wieder
versucht, publikumswirksam im Zusammenhang mit
dem bösen B-Wort die Gefahr heraufzubeschwören, da-
durch würden Frauen von der Erwerbstätigkeit abgehal-
ten.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Es sei denn, sie sind verwandt mit CSU-Politikern!)


Das Betreuungsgeld mit zunächst 100 Euro und dann
150 Euro wird längstens 22 Monate und in dem Zeit-
raum gezahlt, in dem die Kinder zwischen 14 und
36 Monate alt sind. Die SPD dagegen plant, das Kinder-
geld für Geringverdiener um monatlich 140 Euro aufzu-
stocken,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Maximal!)


und zwar 25 Jahre lang. Damit Sie verstehen, was in die-
sem Wahlkampf läuft, sage ich deutlich, dass hier ganz





Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)


bewusst versucht wird, Tatsachen zu verfälschen. Sie
wollen 25 Jahre lang mehr Geld zahlen, während wir ein
Betreuungsgeld für 22 Monaten übrigens nicht nur für
Mütter, sondern auch für Väter, die eine familiennahe
Betreuung möchten, eingeführt haben. Deswegen ver-
stehe ich überhaupt nicht, warum Sie das Betreuungs-
geld kritisieren.


(Katja Mast [SPD]: Äpfel und Birnen!)


Herr Kollege Steinmeier, Sie sind ja nicht bei uns im
Ausschuss. Erkundigen Sie sich einmal bei Ihren Fami-
lienpolitikerinnen und Familienpolitikern. Ich möchte
ein positives Beispiel, ein Erfolgsmodell, herausgreifen,
eines von vielen, zum Beispiel die bundesweite Offen-
sive „Frühe Chancen“, die wir auf den Weg gebracht ha-
ben.


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Auch Ihre SPD-Kolleginnen und -Kollegen loben uns
andauernd dafür, auch im Ausschuss.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mal zu den Anträgen!)


Wir haben 4 000 Schwerpunktkitas ausgewählt, vor al-
lem in sozialen Brennpunkten, um da Kinder in ihrer
sprachlichen Entwicklung zu begleiten und zu fördern.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchem Ausschuss sitzen Sie eigentlich?)


Was ganz wichtig ist: Das gilt nicht nur für Kinder mit
Migrationshintergrund, sondern selbstverständlich auch
für Kinder aus Familien, bei denen die Spracherziehung
nicht an allererster Stelle steht. Mit dieser Offensive
konnten wir in den Schwerpunktkitas sehr viel Positives
schaffen.

Wir haben im Zusammenhang mit den Jugendfreiwil-
ligendiensten ganz besonders Jugendliche mit Migra-
tionshintergrund angesprochen und gefördert. Wir haben
die „Aktion zusammen wachsen“ ins Leben gerufen. Wir
haben die Mehrgenerationenhäuser geschaffen. Schauen
Sie sich einmal vor Ort an, wie da Integrationspolitik
funktioniert, wie gut die Treffen für Eltern von Babys
und Kleinkindern sowie die Deutschkurse angenommen
werden. Insbesondere der Deutschkurs „Komm voran“
ist hier zu nennen.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Ist das neu gemacht?)

– Natürlich ist das neu. Wir haben in dieser Legislaturpe-
riode das Thema Integration extra für die zweite Förder-
welle dieses Bundesprogramms auf den Weg gebracht.
Hätten Sie zugehört, wüssten Sie das. Mehr Integration
kann man sich überhaupt nicht vorstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Uns ist wichtig: Wir stellen uns nicht so wie Sie hier
hin und sagen: Alles muss vom Bund gemacht werden,
Berlin kann es am besten. – Es war die unsinnige Idee
von ehemaligen SPD-Ministern, alles zentralistisch nach
Berlin zu verlagern.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Aufklärungquote?)


Wir sagen: Es gilt das Subsidiaritätsprinzip. Erledigen
sollen die Aufgaben vor Ort diejenigen, die es am besten
können: Das sind die Menschen in den Kleinstädten, die
sich für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzen
und die Patenschaften übernehmen.

Wir sind auf einem hervorragenden Weg. Ich möchte
unseren Bundeswirtschaftsminister zitieren, der gesagt
hat: Wir leben im coolsten Land der Welt. – Wir werden
auch die nächsten vier Jahre für das coolste Land der
Welt Politik machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724004000

Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724004100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß

nicht, ob es für die CSU gerade die richtige Zeit ist, sich
so ausführlich zur Familienpolitik zu äußern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Damit kennen sie sich aus! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wann denn sonst?)


Aber davon abgesehen haben wir ein gravierendes ge-
sellschaftspolitisches Problem, das sich über viele Jahre
entwickelt hat. Ich werde es Ihnen ganz kurz zusammen-
gefasst wie folgt nennen: Kinder waren mal für die Fa-
milien ein Sicherheitsfaktor – Kinder sind inzwischen
für die Familien ein Unsicherheitsfaktor. Wenn wir das
nicht ändern, dann nutzt Ihr komischer Gipfel, auf dem
Sie erzählen, dass wir irgendwann nur noch 63 Millio-
nen statt 80 Millionen sind, überhaupt nichts.


(Sibylle Laurischk [FDP]: So ein Quatsch! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Kinder als Unsicherheitsfaktor? Was haben Sie für ein Weltbild?)


Sie müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass die
Leute wieder gerne Kinder bekommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben es nicht handwerklich verlernt, sondern die
Bedingungen stimmen nicht.

Das Bildungssystem in Deutschland ist altmodisch
und antiquiert, chronisch unterfinanziert und unterschei-
det die Bildungschancen ganz klar nach sozialer Her-
kunft.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Auch Quatsch!)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


Andreas Schleicher, der PISA-Koordinator der OECD,
hat gesagt: Wenn wir die Kinder des 21. Jahrhunderts
von Lehrern mit einem Ausbildungsstand des 20. Jahr-
hunderts in einem Schulsystem unterrichten lassen, das
im 19. Jahrhundert konzipiert wurde, dann kann das so
nicht funktionieren.

Das gegliederte Schulsystem stammt aus dem Kaiser-
reich. Wir haben es bis heute nicht überwunden. Das ist
ein Skandal sondergleichen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das ist falsch!)


Jetzt komme ich zum nationalen Bildungsbericht der
Bundesregierung, also unser aller gemeinsamen Bundes-
regierung, gesetzt von CDU, CSU und FDP, von 2012.
Was steht da drin? 50 000 junge Menschen sind ohne
Schulabschluss. 300 000 Ausbildungssuchende – das
sind 30 Prozent – landen in Übergangsschleifen. 1,5 Mil-
lionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren sind ohne
Berufsabschluss. 7,5 Millionen Menschen – das alles laut
Bundesregierung – oder 14,5 Prozent der Bevölkerung
zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabe-
ten. 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter
18 Jahren wachsen in sogenannten Risikolagen auf, also
mit armen oder bildungsfernen Elternhäusern.


(Sibylle Laurischk [FDP]: In welchen Bundesländern?)


Der Zusammenhang zwischen Bildungschancen und
sozialer Herkunft wird an einem Beispiel deutlich
– mehr Zeit habe ich nicht –: 24 Prozent der Kinder von
Nichtakademikern studieren sowie 71 Prozent der Kin-
der von Akademikern. Da ist doch ganz klar, welcher so-
ziale Unterschied hier durch eine falsche Struktur im
Bildungssystem manifestiert wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die öffentlichen Bildungsausgaben sind bei uns im
Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um 20 Prozent gerin-
ger als in den meisten Industriestaaten, im Vergleich zu
Skandinavien sogar um 50 Prozent. Der Gipfel ist, dass
Lehrerinnen und Lehrer zum Teil prekär beschäftigt
sind.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Der Gipfel ist Ihre Rede! Die ist der Gipfel!)


Wenn dann gesagt wird: „Das sind ja bloß Vertretun-
gen“, dann sage ich: Dann sorgen Sie doch dafür, dass
sich endlich die Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen
und Lehrer verbessern und es an allen Schulen in
Deutschland eine ausreichende Zahl von Lehrerinnen
und Lehrern gibt!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Ganze machen wir als ein Industriestaat, der kaum
über Rohstoffe verfügt und schon deshalb, aber auch we-
gen der sozialen Gerechtigkeit auf eine gute Bildung an-
gewiesen ist. Wir haben 16 Bundesländer, 16 verschie-

dene Schulsysteme und 16 verschiedene Lehrpläne. Ich
bitte Sie, da hat der Mann doch recht. Das ist 19. Jahrhun-
dert. Das ist die Zeit der Postkutschen. Es hat mit dem
21. Jahrhundert rein gar nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist doch die Union, die immer den flexiblen Ar-
beitsmarkt predigt und sagt: Ein Ingenieur oder eine
Lehrerin müssen eben dahin umziehen, wo sie einen Job
kriegen, ob in Bayern, in Hessen oder in Mecklenburg-
Vorpommern. – Aber sie sollen auch Kinder haben, nach
Ihren Vorstellungen am besten drei. Aber dann frage ich
Sie: Wie sollen sie das gegenüber den Kindern verant-
worten, wenn sie jedes Mal das Schulsystem wechseln?
Das wäre völlig unverantwortlich. Schaffen Sie endlich
Bedingungen, dass wir von Mecklenburg-Vorpommern
bis Bayern ein Top-Bildungssystem haben, sodass man
umziehen kann, ohne sich Sorgen zu machen!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Welches System nehmen wir denn? Bremen oder Bayern?)


Wir können nicht – ich habe es schon gesagt – von der
einfachen Reproduktion der Bevölkerung ausgehen. Sie
haben gerade gesagt: Bis zum Jahr 2060 wird die Bevöl-
kerung von 81,7 Millionen auf 65 Millionen Menschen
sinken. Das wollen Sie dadurch ausgleichen, dass Sie
Fachkräfte aus der Dritten Welt nach Deutschland holen
wollen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wer sagt denn das?)


Vielleicht braucht die Dritte Welt ihre Fachkräfte selbst.
Vielleicht sollten wir andere Wege gehen. Es geht
schließlich auch um Integration. Ich nenne Ihnen eine
spannende Zahl: 2,87 Millionen Menschen, zum Teil
auch Deutsche, leben in Deutschland mit Bildungsab-
schlüssen aus anderen Ländern, die hier nicht anerkannt
sind. Warum eigentlich nicht?


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wir haben ein Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht!)


– 500 Anerkennungen im letzten Jahr. Das ist ja eine
tolle Zahl.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist Quatsch! 30 000 haben die Anerkennung bekommen!)


Wir brauchen eine gebührenfreie Anerkennung ausländi-
scher Abschlüsse.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie fälschen absichtlich die Zahlen!)


Dort, wo es erforderlich ist, muss eine Nachqualifikation
gebührenfrei angeboten werden; anders geht es über-
haupt nicht. Das wäre einmal eine Leistung bei der Inte-
gration.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


Welche Schule brauchen wir? Ich sage Ihnen ganz
klar, auch wenn Sie das nicht hören wollen: Ja, die Ge-
meinschaftsschule ist die Lösung. Ich weiß, dass Sie die
Gemeinschaftsschule immer Einheitsschule nennen. Das
ist großer Quatsch. Gemeinschaftsschulen lassen sich
ganz unterschiedlich ausrichten.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Einheitspartei war das bei Ihnen, glaube ich!)


– Warten Sie doch! – Man kann Gemeinschaftsschulen
für alte Sprachen, für neue Sprachen, für Musik, für
Sport, für Tanz und für Mathematik und Naturwissen-
schaften einrichten. Man kann das sehr unterschiedlich
gestalten. Ich will Ihnen die Vorteile der Gemeinschafts-
schule, wie wir sie in Berlin eingerichtet haben, nennen:
Es gibt keinen Schulwechsel mehr und keine feste Auf-
teilung in nach Leistung sortierten Gruppen, sondern ei-
nen individualisierten Unterricht und Förderung nach
den jeweiligen individuellen Fähigkeiten. Gemeinschafts-
schulen sind Ganztagsschulen. Das alles ist ein großer
Vorteil.

Als die Gemeinschaftsschulen in Berlin gegründet
wurden, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler zeitgleich begonnen, die Entwicklung der Schülerin-
nen und Schüler, die eine Gemeinschaftsschule in Berlin
besuchen, mit der von Schülerinnen und Schülern in
Hamburg zu vergleichen. Bei dieser Untersuchung ist et-
was Interessantes herausgekommen: Die leistungsschwa-
chen Schüler in Berlin sind deutlich stärker als die in
Hamburg, und die leistungsstarken Schüler in Berlin sind
auch besser als die in Hamburg.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Hamburg ist wohl nicht der Maßstab!)


Die Mär, dass gerade die Leistungsstarken unter einer
Gemeinschaftsschule leiden, ist damit für immer wissen-
schaftlich widerlegt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich werde Ihnen auch sagen, warum diese Mär schon im-
mer Quatsch war. Wenn Sie Kinder auf Eliteschulen
schicken, dann isolieren Sie sie. Wenn Sie sie isolieren,
dann lernen sie nicht sozial. Diese Kinder haben zwar
ein größeres Faktenwissen, aber sie können letztlich
nicht sozial damit umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Übrigens hat die Studie noch ergeben – auch das ist
interessant –, dass das Faktenwissen der bayerischen
Abiturienten größer ist als das der Berliner. Das glaube
ich sofort, weil ich Abiturienten aus beiden Bundeslän-
dern kenne. Andererseits ist auch festgestellt worden,
dass die Berliner Abiturienten Zusammenhänge besser
erklären können. Nun frage ich Sie: Was ist eigentlich so
schlimm daran?


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber abstrus!)


Die bayerischen Abiturienten wissen genauer, wer wann
geboren und gestorben ist, und die Berliner, warum. Wa-

rum darf man das eigentlich nicht zusammenführen? Ich
verstehe es nicht.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann sage ich Ihnen noch etwas zur Gemeinschafts-
schule. Es gibt wahrscheinlich mehrere Abgeordnete im
Bundestag, die eine Gemeinschaftsschule besucht haben,
aber zumindest von zwei Abgeordneten weiß ich es. Das
sind Angela Merkel und Gregor Gysi. Wir beide haben
eine Gemeinschaftsschule besucht. Glauben Sie im
Ernst, dass wir beide die Dümmsten im Bundestag sind?
Das kann sein, aber ich habe meine Zweifel. Ich will nur
sagen: Gemeinschaftsschulen sind sinnvoll. Alles andere
ist soziale Ausgrenzung. Wir müssen jede Begabung för-
dern. Das haben die Kinder verdient, und das haben wir
verdient. Kinder können nichts dafür, wenn ihre Eltern
Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sind. Kinder
dürfen nach der vierten oder sechsten Klasse nicht aus-
sortiert werden. Ich finde das abenteuerlich. Lassen Sie
uns endlich ein wirklich modernes Bildungssystem in
Deutschland einführen, und zwar für alle Kinder.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724004200

Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1724004300

Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Kollege Steinmeier, wenn ich nicht
ganz irre und den zeitlichen Ablauf genau Revue passie-
ren lasse, dann müssen Sie ab dem Jahre 2005 Vizekanz-
ler der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein. Wenn
Sie sich dann hier hinstellen und eine Verfassungsre-
form, die Sie selbst mitgetragen haben, als „in Verfas-
sungsform gegossenen Irrtum“ bezeichnen, dann kann
ich nur eines sagen: Sie sind der hier sitzende fleischge-
wordene Irrtum. Das ist die Verantwortung, die Sie ei-
gentlich wahrnehmen und der Sie sich stellen sollten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


„Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut
genug.“ Das schreiben Sie von der SPD als ersten Satz in
Ihrem Antrag. Ich sage Ihnen: Das deutsche Bildungs-
wesen ist gut, nur nicht dort, wo Sie regieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie stellen mittlerweile Dreiviertel aller Kultusminister
in der Bundesrepublik Deutschland. Sie tragen die Ver-
antwortung für Dreiviertel aller Schülerinnen und Schü-
ler in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn es also aus
Ihrer Sicht in der Schule nicht gut und nicht richtig läuft,
dann tragen Sie die Verantwortung dafür.





Patrick Meinhardt


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern hat die meisten Schulabbrecher!)


Dass ich noch erleben darf, dass es eine gemeinsame
Presseerklärung des Deutschen Philologenverbandes
und des Verbandes Deutscher Realschullehrer gibt – ich
zitiere –:


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zitieren Sie doch die GEW!)


Mit großer Sorge sehen die Verbandsvorsitzenden
des Deutschen Philologenverbandes … und des
Verbandes Deutscher Realschullehrer … die schul-
politische Entwicklung in Baden-Württemberg. Die
von der dortigen Landesregierung bereits ergriffe-
nen oder geplanten bildungspolitischen Maßnah-
men würden nach Ansicht beider Verbände nicht
nur zu einer Zerstörung und inneren Aushöhlung
erfolgreicher Schularten wie der Realschule und
des Gymnasiums führen, sondern mittel- und lang-
fristig zu einem gewaltigen Qualitäts- und Niveau-
verlust. …

Beide Verbände kündigten im Vorfeld der Bundes-
tagswahl eine bundesweite Aufklärungskampagne
über die fatalen Auswirkungen der in Baden-
Württemberg und einigen anderen Bundesländern
betriebenen, gegen Realschulen und Gymnasien ge-
richteten Bildungspolitik an.

Sie sollten sich das einmal in Ihr Stammbuch schrei-
ben lassen und Ihre Bildungspolitik verändern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In diesem Hohen Hause wird nie irgendjemand, der in
bildungspolitischer Verantwortung steht, irgendetwas
dagegen sagen, dass es gute Ganztagsangebote an Schu-
len geben muss. Sie müssen aber vor Ort, in den Schu-
len, in den Regionen befürwortet werden und aus der
Region heraus wachsen. Wir brauchen kein flächende-
ckendes Beglückungsprogramm,


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: So ist es!)


wir brauchen Ganztagsschulen vor Ort, wo sie notwen-
dig sind, und deswegen mehr Eigenverantwortung für
die Schulen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn es darum geht, wer was wo finanzieren soll, so
ist zu fragen: Was passiert denn in Sachsen, dem Bun-
desland mit dem höchsten Anteil – 73 Prozent – an
Ganztagsschulen?


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Wir sind nämlich die Guten!)


Ich zitiere die sächsische Kultusministerin, Frau Kurth:

Wir bauen das Angebot an Ganztagsschulen ohne
Bundesmittel aus. Das Geld im Landeshaushalt für
Bildung ist ganz einfach eine Frage der Priorität.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nehmen Sie sich ein Vorbild an dem, was die bürger-
liche Koalition in Sachsen, was die Landesregierung an
dieser Stelle tut. Ich glaube, wir müssen an dieser Stelle
auch deswegen ansetzen, weil wir das Gegenprojekt ge-
rade in meinem Heimatland Baden-Württemberg sehen.
11 600 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer werden ge-
strichen.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Ein Skandal!)


Zwei Drittel – per Presseerklärung der damaligen Kul-
tusministerin mitgeteilt und bestätigt durch den jetzigen
Kultusminister – der demografischen Rendite werden
per Kabinettsbeschluss aus dem Bildungsetat herausge-
nommen, und dann stellen Sie sich hier hin und fordern
vom Bund das Geld, das Sie auf Landesebene kürzen.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Unverschämtheit ist das!)


Das ist an Heuchelei und Unverschämtheit nicht zu über-
bieten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724004400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Rossmann?


Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1724004500

Der Kollege Steinmeier hatte genügend Zeit, die Posi-

tion der SPD darzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. FrankWalter Steinmeier [SPD]: Feigling!)


Ich glaube, dass wir dann vernünftig miteinander um-
gehen können, wenn keine Schaufensteranträge gestellt
werden. Diese Bundesregierung hat gezeigt und zeigt
weiterhin, was sie im Bereich der Bildungs- und For-
schungspolitik zu Wege gebracht hat: über 13 Milliar-
den Euro Investitionen, intensive Förderprogramme,
13,8 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das ist der größte
Haushalt für Bildung und Forschung, den es je in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben
hat, ein Rekordhaushalt. Das ist ein Zeichen und zeigt,
wer für Bildungsaufstieg steht und für Bildungsgerech-
tigkeit kämpft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
Ihre frühere nordrhein-westfälische Kultusministerin
Gabriele Behler hat den Bereich der Bildungspolitik als
das „Ventil für das sozialistische Gären in der SPD“
bezeichnet. Lasst uns alle in diesem Hohen Hause, Kol-
leginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP,
dafür kämpfen, dass dieses Ventil auf der Bundesebene
zubleibt.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724004600

Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724004700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Meinhardt, Sie haben jetzt zwar ganz viel zu den
Ländern gesagt, was aber Sie auf der Bundesebene ma-
chen wollen, das haben Sie uns verschwiegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: 13 Milliarden Euro!)


Ich muss jetzt bedauernd feststellen, dass Sie das ver-
schwiegen haben. Aber es ist gut, wenn man eine
Debatte nutzt, um über die Sache zu reden. Ich will mit
etwas anderem anfangen.

In den letzten Tagen haben Sie sehr viel über die For-
derungen der Grünen zur Steuerpolitik gesprochen.


(Patrick Meinhardt [FDP]: Lächerlicher Schaufensterantrag!)


Da haben Sie genauso reflexartig wie jetzt ein komplet-
tes Zerrbild gezeichnet, Stichwort „Abzocker“. Allein
das ist schon falsch. Grüne Steuerpläne entlasten 90 Pro-
zent der Steuerzahler.


(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das ist noch nicht bewiesen! Das ist Quatsch!)


10 Prozent der Steuerzahler hingegen werden – ja, dazu
stehen wir – zusätzlich belastet.

Ich will Ihnen auch sagen, warum. In dieser Gesell-
schaft geht die Schere zwischen Reich und Arm ausei-
nander. Die Tatsache, dass Sie irgendwelche Berichte
schönen, ändert nichts daran.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die privaten Vermögen im Land werden größer, die öf-
fentlichen Haushalte verarmen. Ich gebe Ihnen dazu ein
Beispiel. Wenn die Bibliotheken schließen, wenn die
Schwimmbäder nicht mehr funktionieren, wenn Fami-
lien- und Jugendhilfe nicht mehr zu finanzieren sind,
dann werden auch Sie feststellen, dass das Betreuungs-
geld den Familien nichts, aber auch gar nichts bringen
wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Am deutlichsten wird Ihr Irrweg in der Bildungspoli-
tik. Ja, wir Grünen wollen hierfür mehr Geld, weil wir
noch den Anspruch haben, zu gestalten, weil wir dieses
Land voranbringen wollen und weil wir das Geld gezielt
dorthin bringen wollen, wo wir es dringend brauchen,
nämlich in der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, in
der Daseinsfürsorge. Wir wollen dieses Geld in die Kin-
der, in Institutionen investieren. Wir wollen Armutsbe-
kämpfung. Das ist unser Ziel. 72 Prozent der Menschen
in diesem Land stimmen uns darin zu, weil sie verstan-
den haben, dass Gestaltung nur über diese Infrastruktur
funktioniert. 90 Prozent der Menschen halten Bildung

für einen der wesentlichen Faktoren der sozialen Ge-
rechtigkeit in diesem Land. Dafür müssen wir einstehen


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen wir auch!)


und nicht dafür, dass wir noch mehr privatisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von Ihnen hören wir dazu nichts. Ihr komisches Gerede
von einer Bildungsrepublik ist doch nur eine Worthülse.
Sie wagen doch nicht einmal selber, das hier zu verteidi-
gen. Das spricht doch für sich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist doch Käse, was Sie da erzählen!)


Lesen Sie Ihre eigenen Berichte. Wir brauchen weder
die PISA-Studie noch OECD-Berichte. Schon die Be-
richte Ihrer Häuser besagen: In diesem Land gibt es zu
viele Bildungsverlierer; der Bildungserfolg in diesem
Land hängt vom Einkommen des Elternhauses ab. – In
Ihrer Regierungszeit hat sich daran nichts, aber auch gar
nichts geändert.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Doch, wir lassen den Elternhäusern mehr Geld! Sie wollen den Elternhäusern Geld wegnehmen! Das ist der Unterschied!)


Sie verstetigen diesen Zustand sogar noch, anstatt ir-
gendetwas daran zu verändern.

Die Zahlen sprechen für sich. Gerade Jugendliche mit
Migrationshintergrund bleiben auf der Strecke. Gestern
präsentierte Frau Böhmer Zahlen, aus denen hervorgeht,
dass Kinder mit Migrationshintergrund zu 46 Prozent
sprachliche Defizite haben. Die Frage ist aber: Warum
schauen Sie darauf? Schauen Sie sich auch deutsch-deut-
sche Kinder, also Kinder ohne Migrationshintergrund,
an: Auch von ihnen haben 32 Prozent sprachliche
Defizite. Wenn Sie die sprachlichen Defizite der Kinder
der ersten Gruppe mit deren Migrationshintergrund be-
gründen, was sagen Sie dann zu den Sprachdefiziten der
deutsch-deutschen Kinder? Bei ihnen sprechen die El-
tern zu Hause Deutsch, und diese Kinder haben trotzdem
sprachliche Defizite. Machen Sie doch endlich einmal
Ihre Augen auf!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das habe ich doch erwähnt!)


Sie sollten endlich aufhören, ständig eine Unterschei-
dung zwischen deutschen Kindern und Kindern mit
Migrationshintergrund vorzunehmen. Schauen Sie sich
einfach einmal die soziale Lage der Kinder in diesem
Land an! Wir sollten uns endlich einmal darüber streiten,
was der beste Weg ist, um alle Kinder, egal welchen
Hintergrund sie haben, gleichermaßen bestmöglich zu
fördern. Das tun Sie nicht. Das werfe ich Ihnen vor.





Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Was wir brauchen, ist offensichtlich: einen Rechtsan-
spruch auf einen Ganztagsplatz in der Kindertagesstätte.
Dabei geht es um mehr als um die Frage der Vereinbar-
keit von Familie und Beruf. Reduzieren Sie diesen
Rechtsanspruch nicht darauf. Gerade die Kinder, deut-
sche Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund
– über sie rede ich –, werden die großen Verlierer Ihrer
Betreuungsgeldeinführung sein; denn die Sprachbildung
fängt in der frühesten Kindheit an, und Sie halten diese
Kinder davon ab, bestmöglich gefördert zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie entmündigen die Eltern! Das ist doch völliger Quatsch, was Sie da erzählen!)


Wir brauchen eine Aktion im Bereich der Ganztags-
schulen. Wir müssen da entschlossener vorangehen. Ihr
Protest gegen die Aufhebung des Kooperationsverbotes
hindert uns daran, an dieser Stelle weiterzukommen,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Reden Sie mal mit Herrn Kretschmann! Kennen Sie den?)


Kein Mensch redet hier von Zwang. Wenn die Jugendli-
chen heute nicht mehr so aktiv sind – in der Feuerwehr,
in den Vereinen; gerade in Bayern, Frau Bär –, dann liegt
das nicht an den Ganztagsschulen, sondern an der von
Ihnen vorangetriebenen Einführung von G8. Viele Kin-
der haben heute überhaupt keine Zeit mehr, sich um et-
was anderes als um die Schule zu kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn wir nicht in Bildung investieren, dann sparen
wir an der Substanz dieser Gesellschaft. Wenn wir aber
in die Bildung investieren, dann profitieren alle davon:
die Familien, die Wirtschaft, die Gesellschaft und auch
die 10 Prozent, die das am Ende mitfinanzieren.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724004800

Das Wort hat nun Bundesministerin Johanna Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine
Damen und Herren von der SPD, ich war von Ihrem An-
trag zu Ganztagsschulen positiv überrascht; denn in die-
sem Antrag wird ganz deutlich, dass Sie davon ausge-
hen: Wenn man ein neues Ganztagsschulprogramm will,

muss man das Grundgesetz ändern. – Diese Erkenntnis
ist schon mal ein Anfang. Ihre SPD-Länderkollegen
sehen das ganz anders.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie sollten mit der Wahrheit anfangen!)


– Lassen Sie mich ausreden!


(Ulla Burchardt [SPD]: Sie müssen sich erst einarbeiten! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Mit der Wahrheit anfangen!)


– Die kenne ich.

Wahrscheinlich haben Sie die Begründung des Geset-
zes zur Föderalismusreform I nicht richtig gelesen. In
der Begründung steht explizit, dass man diese Änderung
unter anderem macht, weil man kein Ganztagsschulpro-
gramm will. Das hat Herr Müntefering mit Herrn Stoiber
erarbeitet, und das hat die SPD mitbeschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie Ganztagsschulen, Frau Wanka?)


Jetzt will ich nicht nachkarten, sondern einfach sagen:
Das ist im Moment der Stand. Das ist die Verfassungs-
lage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Förderung und Finanzierung von Schulen sind zurzeit
Länderkompetenz.

Wenn Sie die Bundeskompetenz ausweiten wollen
– ich bin sehr dafür –,


(Ulla Burchardt [SPD]: Wollen Sie sie auch für die Schulen?)


dann sollten Sie, wenn es Ihnen wirklich ernst ist, sich
um die kümmern, die das ablehnen. Unter Annette
Schavan gab es große Runden – ich war als Landes-
ministerin dabei – zu der ganz klaren Frage: Gibt es eine
Bereitschaft der Länder, sich auf eine Grundgesetzände-
rung für die Kompetenz im Schulbereich zu verständi-
gen? Es ist eindeutig gesagt worden: Nein.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da ist Schule gar nicht mit drin, Frau Wanka!)


– Ich rede von der Diskussion, Herr Steinmeier; da wa-
ren Sie nicht dabei.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Doch!)


Sie müssen mir zuhören. Ich bin zwar nicht so laut wie
Sie, aber ich rede deutlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie verschleiern! Das sind Nebelkerzen!)


Das heißt, wir haben die Tür aufgemacht und gesagt:
Bringt einen Vorschlag, eine Einigung der Länder, und
dann kann auch vonseiten des Bundes darüber diskutiert
werden.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724004900

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Burchardt?

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Nein, ich würde gern erst zu Ende reden;


(Lachen bei der SPD)


das können wir gern am Schluss machen.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Die da hören ja nie zu! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sehr souverän!)


– Ja, bin ich.

Herr Steinmeier sagte vorhin, es gebe alle möglichen
Gipfel; wir bräuchten Gesetzesvorschläge. Wenn es um
das Kooperationsverbot geht: Ein konkreter Gesetzes-
vorschlag zu Art. 91 b Grundgesetz liegt schon seit län-
gerem auf dem Tisch.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: So ist es!)


Er ist wichtig.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Dieser Vorschlag hilft in dieser Frage überhaupt nicht weiter!)


Jeder im Hochschulbereich und im Wissenschafts-
bereich weiß: Das ist entscheidend für die Zukunfts-
fähigkeit Deutschlands. Wir haben an dieser Stelle kein
großes Zeitfenster. Das ist eindeutig.

Vorhin kam die Behauptung, wir machten nichts ge-
gen den Fachkräftemangel. Ich erwarte, dass man auch
in der SPD zumindest die Presse liest oder sich entspre-
chend zuarbeiten lässt. Was ist denn der Hochschulpakt,
den wir Gott sei Dank hinbekommen haben und in des-
sen Rahmen wir Milliarden mehr ausgeben?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist gut, aber kein Ganztagsschulprogramm! Darum geht es heute!)


Das sind die Fachkräfte für die 20er-, 30er- und 40er-
Jahre dieses Jahrhunderts. Das haben wir gemacht. Nen-
nen Sie mir ein Beispiel dafür, dass zu Ihrer Zeit einmal
frisches Geld ins Hochschulsystem gekommen ist! Über
viele Jahre gar nichts!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Lippenbekenntnisse!)


Was bringen Sie jetzt? Großes Geschrei: Das Koope-
rationsverbot muss weg! – Ich bin sehr dafür. Was ist Ihr
Angebot? Grundgesetzänderung; neuer Art. 104 c. Wo-
rum geht es da? Finanzierung durch den Bund. Wir kön-
nen mehr zahlen, aber nicht mitentscheiden.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Doch, natürlich!)


Nehmen Sie doch den Dialog zur Kenntnis, den Ihre Par-
tei für das Wahlprogramm geführt hat! Da haben die
Bürger gesagt, sie wollten die Gesetzgebungskompetenz

des Bundes sogar für Bildungsfragen. Davon will ich an
dieser Stelle ja gar nicht reden. Aber dass wir nur neues
Geld geben, ohne mitreden zu können, das geht nicht.
Wenn Sie jemanden brauchen, der Ihnen das bestätigt:
Gucken Sie doch einmal in die dpa-Meldung zu Herrn
Steinbrück! Der sieht das genauso.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will zu drei Punkten etwas sagen. Das war der
erste.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Von drei Punkten haben Sie bisher nichts gesagt!)


Zweiter Punkt. Ich bin sehr für die Ganztagsschule.
Ich freue mich auch über die Entwicklung der letzten
Jahre. Es gibt viele Gründe für Ganztagsschulen. Für
mich sind zwei Gründe besonders wichtig. Der eine
– das will ich gar nicht abwerten – ist die Vereinbarkeit
von beruflicher Tätigkeit und Kindern. Ich will, dass die
jungen Frauen und auch die jungen Männer, die mithilfe
des Pakts studieren können und später Fachkräfte sind,
auch arbeiten sollen – und das nicht nur aus volkswirt-
schaftlichen Gründen. Vielmehr sollen sie Freude haben.
Deswegen finde ich Ganztagsschulen außerordentlich
wichtig.

Der zweite Grund. Wir sind eine reiche Nation. Es ist
so, dass das Elternhaus natürlich einen Einfluss auf Bil-
dung hat; sonst wäre es ja auch anormal. Das bezieht
sich nicht allein auf ökonomische Gründe: Es gibt auch
bildungsferne Elternhäuser mit sehr viel Geld. Ich bin
der Meinung: Gerade weil wir eine reiche Kulturnation
sind, müssen wir dann, wenn das Elternhaus, aus wel-
chen Gründen auch immer, keine Anregungen bietet,
versuchen, durch unsere Möglichkeiten – das ist in der
Schule; das ist im Kindergarten – das auszugleichen.
Hierbei sind Ganztagsschulen wichtig.

Man kann nicht sagen: Ganztagsschule ist per se gut
oder schlecht. Irgendwo habe ich etwas Irriges dazu ge-
lesen, dass nämlich Ganztagsschulprogramme eine Kon-
sequenz aus der PISA-Studie gewesen wären. Gucken
Sie sich das doch einmal an: PISA 2000 war eine euro-
paweite Untersuchung. Seit diesem Zeitpunkt – das war
im letzten Jahrhundert – haben fast alle Länder ihre
Schulform so verändert, dass es de facto Ganztagspro-
gramme sind. Gucken Sie sich einmal die Leistungen in
Spanien, Frankreich und anderen Ländern an! Das heißt:
Das war nicht die Folge, sondern es handelte sich um ei-
nen Vergleich. Deswegen ist nicht die Form, sondern die
Qualität, was und wie man es macht, wichtig. Das bestä-
tigen immer wieder alle Untersuchungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!)


Wenn Sie sich die Studie zur Entwicklung der Ganz-
tagsschulen, StEG, ansehen, dann sehen Sie, dass die
Angebote der Ganztagsschulen,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Widerspruch? Wir wollen Ganztagsschulen mit Qualität!)






Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)


die bundesweit vorhanden sind, wesentlich stärker ge-
nutzt werden und Kindern aus höheren sozialen Schich-
ten zugutekommen. Wollen Sie das so lassen? Ich will
da Einfluss haben.


(Ulla Burchardt [SPD]: Was ist denn die Konsequenz daraus?)


Ich will Einfluss haben, wenn wir Geld zahlen sollen.
Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, warum jemand,
der hier im Bundestag sitzt, von einer Bildungsrepublik
redet, jeden Gestaltungsanspruch abgeben und nur Geld
rüberschieben will.


(Zuruf von der SPD: Wer macht denn das?)


Deswegen ist für Sie der neue Art. 104 c, den Sie in das
Grundgesetz einfügen wollen, wichtig. Sie können lesen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Frau Wanka, das ist nicht seriös! – Ulla Burchardt [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau!)


– Nein.

Zudem: Der Bund gibt da, wo er die Möglichkeit hat,
schon jetzt Geld.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viel Geld steckt denn da drin? Das sind doch Peanuts!)


Hierzu zählt zum Beispiel das Begleitprogramm für die
Ganztagsschulen, wo der Bund zwei Drittel der Kosten
trägt. Das ist außerordentlich wichtig. Die Begleitfor-
schung ist ganz wichtig, weil man dort auf Defizite auf-
merksam gemacht wird; denn das hat eine breite Wir-
kung; das ist anregend. Schauen Sie sich einmal die
Begleitforschung, den letzten Bericht von StEG an! Was
sind die Probleme, die die Schulleiter von Ganztags-
schulen sehen? Über 60 Prozent sagen, mit Abstand das
Hauptproblem ist die Rekrutierung von gutem Personal.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Genau!)


Deswegen geben wir im Rahmen der Qualifizierungsini-
tiative „Lehrerbildung“ genau dafür Geld.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun zum dritten Punkt: Bundesländer, die ja die
Kompetenz haben. Die Untersuchungen besagen: Es gibt
ein Ost-West-Gefälle. Das hat etwas mit unterschiedli-
cher Sozialisation und der unterschiedlichen Ausgangs-
position zu tun. In Niedersachsen sind wir mit 150 Ganz-
tagsschulen zu Beginn der Amtszeit von Schwarz-Gelb
gestartet. Am Ende war es das Zehnfache: 1 500.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir reden über die Qualität!)


Thüringen – Herr Matschie ist hier und wird später re-
den – hat eine klasse Zahl: 75,5 Prozent der öffentlichen
Angebote sind praktisch Ganztagsangebote. 51 Prozent
der Schüler sind dort. Sachsen ist natürlich besser: In
Sachsen sind es 98 Prozent.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Sachsen ist bei allen Rankings, gerade auch bei der
Nichtabhängigkeit vom Elternhaus, Spitzenreiter. Dort
ist die CDU seit 1990 an der Macht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist auch keine Frage des Geldes. Ich sehe, dass im
Schulgesetz von Thüringen die Ganztagsschule als ei-
gene Schulform außerhalb des Grundschulbereiches
überhaupt nicht verankert ist. Es gibt Probleme mit den
Verkehrsbetrieben, weil sie sich nicht darauf einstellen
können. Ferner ist die Tatsache zu nennen, dass es kei-
nerlei Qualitätskriterien für Ganztagsschulen gibt, und
die Tatsache, dass bisher nur Ganztagsschulen im
Grundschulbereich finanziert und unterstützt werden.
Das sind Dinge, die nicht vom Bund abhängen, sondern
sie sind vom Land zu regeln. Oder nehmen wir Mecklen-
burg-Vorpommern. Mecklenburg-Vorpommern hat in
Bezug auf die Ganztagsschulen eine gute Ausgangsposi-
tion.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724005000

Frau Ministerin, Sie überziehen Ihre Redezeit deut-

lich, –

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ja. Ich bin gleich fertig.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724005100

– zulasten der nachfolgenden Redner der Unionsfrak-

tion.

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Das erträgt meine Fraktion.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme aber zum Schluss, Herr Präsident.

Also: 39 Prozent der Schulangebote in Mecklenburg-
Vorpommern sind Ganztagsschulangebote. Bayern hat
eine schlechte Ausgangsposition, holt aber rasant auf.
Dort sind es mittlerweile über 43 Prozent. Bayern gibt
richtig Geld hinein, auch zusätzliches Personal. Das gilt
auch für andere Länder. Deswegen glaube ich: Der Weg
ist an vielen Stellen frei. Vielleicht sollten Sie sich be-
mühen, dass die Kultusminister von der SPD und den
Grünen, die in den Ländern am Ruder sitzen, das ma-
chen, was möglich ist, und uns hier nicht mit Schaufens-
teranträgen belästigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Sie haben ja keine mehr! Die sind ja alle abgewählt!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724005200

Das Wort hat nun Aydan Özoğuz für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1724005300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Frau Wanka, ich finde es sehr
schade, dass Sie als Wissenschaftsministerin bei den
vorliegenden Anträgen nicht auch ein Stück weit auf das
Einwanderungsland Deutschland eingegangen sind. Da
ich aber weiß, dass es noch einen Beitrag geben wird,
der sich explizit mit den von Ihnen aufgeworfenen Punk-
ten befasst, will ich mich auf diesen Bereich konzentrie-
ren.

Ich glaube, wenn man es mit unserer Gesellschaft, mit
dem Zusammenwachsen, mit der Notwendigkeit von
Zuwanderung – diese Einsicht ist im Kabinett nicht ge-
schlossen gegeben – und mit Teilhabe und Chancen-
gleichheit für alle Mitglieder in unserer Gesellschaft
ernst meint, muss man nicht nur ernsthafter über die
Punkte, die Frank-Walter Steinmeier angesprochen hat
– das Kooperationsverbot und die Zusammenarbeit von
Bund und Ländern – nachdenken und diese fördern. Man
muss auch Kategorien und Begrifflichkeiten wie Bil-
dungsinländer, Integration oder auch Migranten perspek-
tivisch überwinden und aufhören, diese Begriffe immer
wieder zu zementieren, wie es diese Bundesregierung tut –
als seien Migranten per se eine andere Art von Mensch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deutschland ist ein Einwanderungsland. Vielfalt ist
eine Zukunftsressource. Sie sollte endlich zu unserem
Selbstverständnis gehören. Es geht schließlich darum,
ein „Wir“ zu entwickeln, und nicht darum, immer wieder
zwischen „uns“ und „denen“ zu unterscheiden. Für uns
gilt das ursozialdemokratische Aufstiegsversprechen
durch Bildung. Herkunft darf kein Schicksal sein, das sa-
gen wir immer und immer wieder. Weder die Bildung
der Eltern noch das Geburtsland der Eltern oder der
Großeltern dürfen ausschlaggebend sein.

Ich möchte einmal daran erinnern, dass der FDP-Ge-
neralsekretär Döring an dieser Stelle in seiner Plenarrede
am 16. März 2010 gesagt hat, die Zeit der Bibliotheken
für Migrantenmädchen sei vorbei. Unabhängig davon,
wie unsinnig eine solche Aussage ist: Das unterscheidet
uns ganz klar von Ihnen.


(Beifall bei der SPD)


Wir sagen: Wir brauchen mehr Bildung. Wir brauchen
Ausbildungsgarantien. Wir brauchen mehr Anerkennung
von ausländischen Abschlüssen. Wir brauchen mehr
Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir brauchen eine ver-
stärkte und früher ansetzende Sprachförderung.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das haben wir doch gemacht!)


– Wir hatten da schon einige Ideen mehr, die Sie partout
nicht wollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Und wir brauchen das Wiederaufleben des Programms
„Soziale Stadt“, das Sie von der Regierungskoalition in
einen Komazustand gefahren haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So viel zu den Aktivitäten vor Ort, Frau Bär.

Es hat etwas Absurdes, wenn Menschen, deren Ange-
hörige über mehrere Generationen hinweg in Deutsch-
land leben und die auch hier geboren wurden, katego-
risch Ausländer bleiben. Deswegen musste dieses alte
Staatsangehörigkeitsrecht reformiert werden. Bekannter-
maßen ist dies nur zum Teil gelungen. Wenn ich mich
richtig erinnere, hat das mit Blockaden von der rechten
Seite des Hauses, nämlich der FDP, zu tun, die heute
munter für die doppelte Staatsangehörigkeit wirbt. Sie
tun so, als hätte das gar nichts mit Ihnen zu tun, dass es
all diese Einschränkungen gibt. Das ist schon erstaun-
lich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass Kinder, die in Deutschland geboren
wurden, immer Deutsche werden, sein und bleiben, aber
gleichzeitig – unter bestimmten Voraussetzungen – ihre
Herkunft nicht aufgeben müssen. Das geltende Options-
modell bewirkt aber genau das Gegenteil: Es zwingt sie
nämlich, mit dem Erwachsenwerden sich gegen ihre ei-
gene Herkunft zu entscheiden. Die Lebenswirklichkeit
von Menschen, die wandern, ist eben eine andere.

Außerdem müssen Sie auch zugeben: 19 EU-Staaten
leben mit dem Doppelpass, ohne dass die angeblich dro-
henden Schreckensszenarien eintreten, die einige Mit-
glieder Ihres Kabinetts gerne entwickeln, so als ob es
hier um etwas ganz Schwieriges ginge. Sie verheimli-
chen natürlich auch gerne, dass bereits bei über der
Hälfte der Einbürgerungen die doppelte Staatsbürger-
schaft hingenommen wird. Wenn man aus Marokko, Iran
oder Afghanistan kommt, ist das etwas anderes, als wenn
man türkischer Herkunft ist. Dann ist man – auch bei
Geburt in diesem Land – immer nur Deutscher unter
Vorbehalt. Das wird von den Betroffenen als ein Miss-
trauensvotum aufgefasst, wie es auch die Bertelsmann-
Stiftung ganz richtig festgestellt hat. Die Optionspflicht
gehört also endlich abgeschafft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zustimmung des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Ich möchte auf eine weitere Sache eingehen. Sowohl
Familienministerin Schröder als auch Bundesinnen-
minister Friedrich haben in den letzten Jahren wirklich
großes Versagen an den Tag gelegt, wenn es darum ging,
dass diese Gesellschaft ein Stück zusammenkommen
soll. Frau Schröder hat viel Geld für Studien ausgege-
ben, die immer wieder zeigen sollten, wie es nun um
junge Muslime bestellt ist. Aber sie hat sich nicht einmal
an die Ergebnisse der Forscher gehalten, sondern hat im-
mer wieder versucht, auf Pressekonferenzen die Ergeb-
nisse zu verzerren. Das ist schon der Gipfel an Unserio-
sität im Umgang mit seriöser Forschung. Es hat die
Wissenschaftler dazu getrieben, der Ministerin deutlich
zu widersprechen – Gott sei Dank. Bundesinnenminister
Friedrich hat es fertiggebracht, Studienergebnisse an die





Aydan Özoğuz

(A) (C)



(D)(B)


Bild-Zeitung weiterzugeben, dies sogar zu leugnen und
erst Wochen später, auf eine Kleine Anfrage der Linken
hin, zuzugeben, dass er dies überhaupt getan hat. Ich
glaube, auf diese Art und Weise kann man nun wirklich
keine vernünftige Gesellschaftspolitik für unser Land
gestalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724005400

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1724005500

Ich komme sofort zum Schluss. – Anfang dieser Wo-

che sagte die Bundeskanzlerin, wir bräuchten mehr Zu-
wanderung. Bundesinnenminister Friedrich widersprach
ihr natürlich sofort. Das bringt es doch auf den Punkt:
Diese Regierung hat gar keinen klaren Plan, wo es hin-
gehen soll. Wie man dann eine vernünftige Bildungs-
politik gestalten will, das bleibt ihr Geheimnis.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724005600

Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion

Die Linke.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Nein! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Hat der noch Restredezeit, der Herr Kaufmann? Hat Frau Wanka ihm noch Redezeit übrig gelassen?)


– Ich sehe in meiner Liste einen ganz dünnen Pfeil von
ganz unten nach oben. – Bitte schön, Kollege Kaufmann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Plus fünf Minuten!)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1724005700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD hört sich
zunächst gut an: Ganztagsschulen für alle, Qualitätsver-
besserungen, bessere Schulgebäude und anderes mehr.
Jetzt muss man den Antrag nicht wie ich von der ersten
bis zur letzten Zeile gelesen haben, um zu erkennen, dass
es sich wieder einmal um nichts anderes als bloßen
Wahlkampfpopulismus handelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Meinhardt [FDP] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das macht ihr nie! Das habt ihr noch nie gemacht!)


Warum das? Zunächst dachte ich, ich hätte mich ver-
lesen: Auf Seite 14 Ihres Antrags fordern Sie nicht weni-
ger als – hören Sie! – 20 Milliarden Euro zusätzlich, und
das jährlich. Davon sollen allein die Länder 10 Milliar-
den Euro jährlich tragen. Jetzt frage ich Sie: Wie soll das

denn funktionieren? Jeder von Ihnen, der schon einmal
an der Regierung beteiligt war, wird berichten können,
dass die Länder um jeden Cent feilschen, und selbst
kleinste Ausgabensteigerungen zugunsten unserer Stu-
dierenden sind mit den Ländern nicht zu machen. Ich
darf nur an die letzte BAföG-Erhöhung im Jahr 2010
oder auch an das Deutschlandstipendium erinnern. Das
alles stört Sie aber nicht. Sie laufen mit einem großen
Füllhorn durch die Gegend und haben schlicht verges-
sen, vorher etwas hineinzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn man nun schon etwas so hemmungslos fordert
wie Sie, dann müssen zumindest die eigenen Hausaufga-
ben gemacht werden, und davon sind Sie leider weit ent-
fernt. Im Gegenteil: Rot-grüne Länder sparen eisern an
der falschen Stelle. Das merken mittlerweile auch die
Betroffenen: Warnstreiks der Lehrer im rot-grünen Bre-
men, Proteste wegen der Kürzungen sowohl im Wissen-
schafts- wie auch im Bildungsbereich in Niedersachsen,
blankes Entsetzen – der Kollege Meinhardt hat es ausge-
führt – angesichts der radikalen Kürzungen und des mas-
siven Bildungsabbaus in meiner Heimat Baden-Würt-
temberg. Dort, wo Sie regieren, sind die Wähler mit
realer Streichpolitik konfrontiert, und dort, wo Sie nicht
regieren, erzählen Sie den Wählern von dem Huhn, das
goldene Eier legt und jedes Jahr 10 Milliarden Euro zu-
sätzlich ausgeben wird. Aber wie heißt es so schön: Eine
Henne, die viel gackert, legt wenig Eier.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich weiß, jetzt erzählen Sie uns wieder etwas von
einer soliden Gegenfinanzierung und von Steuererhö-
hungen. Die Grünen haben gerade erst unter heftiger
Kritik grüner Realpolitiker, wie Ministerpräsident
Kretschmann, beschlossen, die Steuern vor allem für die
breite Mittelschicht zu erhöhen – egal wie die Kollegen
hier das darstellen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Vermögenden!)


In Stuttgart trifft ihre Steuererhöhung beispielsweise je-
den leistungsstarken Facharbeiter; auch das muss einmal
gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Spitzensteuersatz ist bei 53 Prozent!)


Ich muss nicht erwähnen, dass der Staat über Rekord-
steuereinnahmen von über 600 Milliarden Euro verfügt.
Wenn Sie also mehr Geld für Bildung in den Ländern
ausgeben möchten, dann machen Sie es so wie die Bun-
desregierung: Setzen Sie die richtigen Prioritäten zu-
gunsten von Bildung und Forschung, statt Steuern zu er-
höhen und Kredite aufzunehmen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zur der leidigen Zuständigkeitsdebatte. Nur weil der
Bund weniger Schulden macht als die meisten Länder,





Dr. Stefan Kaufmann


(A) (C)



(D)(B)



(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä? Seit wann das denn?)


kann dies doch noch lange nicht bedeuten, dass der Bund
alles bezahlen muss, obwohl er gar nicht zuständig ist.
Genau dieses Geschäft betreiben Sie, meine Damen und
Herren Kollegen von der SPD.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: 100 Milliarden Euro Neuverschuldung!)


Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Art. 91 b
GG, der dem Bund begrenzte Mitspracherechte einräu-
men würde – Ministerin Wanka hatte es erwähnt –, leh-
nen Sie in Ihrem Antrag explizit ab.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben es für die Schule doch gar nicht vorgeschlagen! Tun Sie doch nicht so!)


– Herr Steinmeier, stattdessen fordern Sie einen neuen
Art. 104 c. Demnach sollen Finanzhilfen des Bundes
fließen, ohne dass der Bund überhaupt eine Zuständig-
keit erhält. Das heißt, wir überweisen das Geld, haben
aber weiterhin keine Kontrolle über die Verwendung.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist doppelt falsch, und Sie wissen das!)


Und das kann nicht sein! Mittel ohne Zweckbindung
wird es mit uns nicht geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Darüber hinaus sollten Sie auch einmal bedenken, wie
das Ende Ihrer Politik aussieht: Wenn Sie den Weg für
Finanzhilfen des Bundes für den Schulbereich freima-
chen, dann werden die Milliarden für die Ganztags-
schule nur ein Anfang sein. Ich erinnere Sie an die Län-
deraufgabe Inklusion, die notwendige Sanierung von
Schulgebäuden, den Bau von Wohnheimplätzen und,
und, und. Wenn der Bund in diesem Bereich auf einmal
Verpflichtungen in Milliardenhöhe eingehen soll, wer-
den wir sie auf der anderen Seite, im Wissenschaftsbe-
reich, einsparen müssen. Damit spielen Sie selbst den ei-
nen Bereich gegen den anderen aus. Und auch das kann
nicht sein! Unser gemeinsames Ziel sollte doch sein,
dass die Länder endlich selbst mehr für Ganztagsschu-
len, für bessere Lernbedingungen und auch für ein bes-
seres Schulsystem tun.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sorgen Sie für mehr Einnahmen!)


Schließlich: Ihr Ganztagsschulprogramm ist nicht nur
aus förmlichen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen
abzulehnen; denn mit Ihrem Antrag fördern Sie zum ei-
nen versteckt die Einheitsschule. Darüber hinaus sollen
nach Ihrem Willen gebundene, also verpflichtende
Ganztagsschulen mehr Geld erhalten als Ganztagsschu-
len mit einem offenen Angebot. Auch dies lehnen wir
ab. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland zur
Ganztagsschule zu verpflichten, das kann nicht das Ziel
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie sprechen diesen Punkt in Ihrem Antrag ja auch
selbstkritisch an. Denn es stellt sich die Frage: Wie ist
eine zwangsweise Ganztagsschule mit der Jugendarbeit
oder mit Vereinsaktivitäten vereinbar? Wie soll ein
Schüler, der in einer Sportart sehr begabt ist oder ein In-
strument gut spielen kann, diesem Hobby weiter nachge-
hen, wenn er den ganzen Tag in der Gemeinschafts- oder
Ganztagsschule eingespannt ist?

Ich darf auch darauf hinweisen, dass Ihr ständiger Ruf
nach mehr Ganztagsschulen noch lange kein besseres
Schulsystem zur Folge hat. Entgegen Ihren Schlussfol-
gerungen kann man anhand der KMK-Zahlen feststellen,
dass Berlin zwar einen der höchsten Anteile an Ganz-
tagsschulen vorzuweisen hat, während Länder wie Ba-
den-Württemberg und Bayern eher geringere Anteile
vorzuweisen haben, und dass trotzdem das Schulsystem
in diesen beiden Ländern nach einhelliger Auffassung
wesentlich besser und effizienter ist. Das heißt, Ganz-
tagsschulen führen nicht automatisch zu einem besseren
Schulsystem, wie Sie das suggerieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist eine tolle Erkenntnis!)


Abschließend darf ich den früheren SPD-Politiker
Hans Schwier zitieren:

Die Bildungspolitik ist ein Teil von einer Kraft, die
stets das Gute will und oft Probleme schafft.

Genau das trifft leider auf Ihren Antrag zu.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724005800

Das Wort hat nun Rosemarie Hein für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724005900

Danke schön, Herr Präsident. – Meine Damen und

Herren! Frau Wanka, Herr Kaufmann, bei der Bundesbe-
teiligung an der Bildungsfinanzierung nehme ich wahr:
Die größten Bremser dabei kommen immer noch aus
Bayern.

Aber lassen wir das, kommen wir zum Antrag der
SPD. Unsere Kritik an diesem Antrag fängt schon mit
dem ersten Satz an. Dort steht:

Das deutsche Bildungssystem ist gut …

Nein, wir haben zwar gute Schulen und gute Lehrerin-
nen und Lehrer, aber das Bildungssystem ist nicht gut.
Die Gründe hat Ihnen Gregor Gysi vorhin ziemlich deut-
lich erklärt.


(Beifall bei der LINKEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo ist der Gysi eigentlich? Kommt her, redet, und geht dann wieder!)






Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben noch weitere Kritikpunkte:

Erstens. Sie bürden Ganztagsschulen die ganze Last
notwendiger Reparaturen an diesem Schulsystem auf.
Das können sie gar nicht leisten; diesbezüglich gebe ich
meinem Vorredner teilweise recht. Ganztagsschulen, die
Gymnasien sind, bleiben Gymnasien, und Sekundar-
schulen oder Sekundarschulen plus – wie sie in den ein-
zelnen Ländern auch immer heißen mögen – bleiben in
einem gegliederten System immer Sekundarschulen. Sie
wollen von den Schulformen ja nicht weg.

Zweitens. Die unterschiedlichen Schulsysteme ver-
schwinden nicht durch Ganztagsschulen, sondern blei-
ben erhalten. Das ist aber ein wesentlicher Punkt in Ih-
rem Antrag. Das können die Ganztagsschulen doch gar
nicht leisten.

Drittens. Sie erwarten von den Ganztagsschulen die
Umsetzung von Inklusion. Auch das können sie so nicht
leisten. Wenn Sie nicht auch die Schulformen reformie-
ren und ein tatsächlich inklusives Schulsystem etablie-
ren, bürden Sie der Schulform, die überwiegend von
Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern be-
sucht wird, auch noch die schwierigsten Inklusions-
aufgaben auf. Das kann nicht funktionieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
ich glaube, Sie haben seit langem Ihren Frieden mit dem
gegliederten Schulsystem gemacht. Noch einmal: Das
kann nicht funktionieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724006000

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Rossmann?


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724006100

Aber gerne.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1724006200

Frau Kollegin, bevor Sie die Suada fortsetzen, darf

ich Ihnen den ganzen ersten Satz des SPD-Antrags vor-
lesen?

Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut
genug.

Das ist der ganze Satz. Daraus können Sie entnehmen,
dass wir weder blind sind noch alles schlecht finden,
sondern die klassische sozialdemokratische Reformpoli-
tik weitergeführt sehen wollen, unter anderem in Rich-
tung Ganztagsschule, unter anderem in Richtung Inklu-
sion, unter anderem in Richtung gemeinsames Lernen.
Ist es nicht politisch fair, ganze Sätze zu zitieren?

Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut
genug.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724006300

Ich finde, verehrter Herr Kollege, dass dieser Nach-

satz den ersten Teil des Satzes nicht besser macht. Das
deutsche Bildungssystem ist nicht gut. Es stammt aus

dem 19. Jahrhundert, und da gehört es hin. Wir müssen
endlich Schritte weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Diesbezüglich war die SPD einmal Vorreiter. Das ver-
misse ich bei Ihnen jetzt einfach.


(Iris Gleicke [SPD]: Trotzdem haben Sie richtig zu zitieren!)


Sie haben in fast allen Ländern, in denen Sie regieren,
Ihren Frieden mit dem gegliederten Schulsystem ge-
macht. Es gibt kaum noch intensive Versuche, das Sys-
tem aufzubrechen.

Ich fahre fort. Ich verstehe auch nicht, warum die
Schulsozialarbeit in Ihrem Antrag nicht mehr explizit
vorkommt. Das ist ein wesentlicher Punkt in einer Ganz-
tagsschule.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, über den in
den Ausschüssen noch zu debattieren ist. Den finden Sie
offensichtlich so gut, dass Sie sich darauf beziehen. Das
ist in Ordnung – wir werden sehen, ob Sie dem zustim-
men –, aber mir fehlt das Thema trotzdem in diesem An-
trag.

Wir plädieren aus den genannten Gründen für eine
Gemeinschaftsschule. Diese muss natürlich nicht nur in-
klusiv sein, sondern selbstverständlich auch eine Ganz-
tagsschule. Ich muss meinem Kollegen Kaufmann auch
insofern recht geben: Sie fordern zwar – richtigerweise –
die Zusammenarbeit mit regionalen Bildungslandschaf-
ten, mit kulturellen und sportlichen Akteuren vor Ort,
vergessen dabei aber, dass das nur exemplarisch immer
gut funktioniert. Sobald es in der Fläche funktionieren
muss, wird es schwierig, dann fehlt die Kapazität, dann
fehlt es an Möglichkeiten vor Ort. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Musikschulen in der Lage sind, jeder
Ganztagsschule ein dauerhaftes Angebot zur musikali-
schen Förderung der Kinder zu unterbreiten. Das wird
nicht funktionieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist auch in anderen Bereichen so. Außerdem darf
man nicht vergessen, dass dieser Bereich sehr stark an
die Ehrenamtlichkeit gebunden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vor
etwa 20 Jahren war die SPD die Lokomotive in der Bil-
dungspolitik, zumindest in meinen Augen. Jetzt stehen
Sie auf der Bremse, lassen unglaublich viel Dampf ab,
freuen sich über die Wolken und wundern sich, dass es
nicht wirklich vorwärts geht.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724006400

Das Wort hat nun Sibylle Laurischk für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1724006500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zuerst möchte ich der Bildungsministerin sagen:
Chapeau! Das war eine gute und klare Rede, die auch
davon geprägt war, dass sie die Landespolitik versteht
und sich insofern in der Bundespolitik gut bewegen
kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich erinnere mich noch ganz gut daran, dass der da-
malige Arbeitsminister von der SPD, Herr Scholz, auf
einem Integrationsgipfel gesagt hat, die Berufsanerken-
nung sei so schwer zu erreichen wie ein Flug auf den
Mond. Ich nehme an, dass er sich jetzt als Ministerpräsi-
dent des Landes Hamburg mit den Niederungen der
Ebene etwas mehr abgibt und gerade die Berufsanerken-
nung vorantreibt.

Ich wende mich dagegen, dass Herr Gysi hier sagt,
Kinder seien ein Armutsrisiko. Ich möchte das nicht so
stehen lassen. Ich weiß, dass Eltern, die sich für Kinder
entscheiden und Kinder haben wollen, sehr positiv dazu
stehen und sich nicht gegen Kinder entscheiden, weil sie
in ihnen ein Armutsrisiko sehen. Vielmehr wollen sie
dieser Gesellschaft etwas geben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Zukunft und gute
Bildungschancen haben. Wir sind aufgerufen, dafür zu
arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das tun wir auch hier im Bundestag und in allen politi-
schen Gremien.

Ich stimme durchaus zu, dass es sinnvoll wäre – ich
persönlich bin dieser Auffassung –, die Optionspflicht
abzuschaffen. Ich bearbeite im Moment den Fall eines
jungen türkischen Mannes, geboren in Deutschland und
deutschsprachig, der versucht, sein Aufenthaltsrecht zu
halten, um hier eine Ausbildung zu machen. Es gibt eine
Menge zu tun, gerade in den Kommunen und auf Lan-
desebene. Das sollten wir nicht vergessen.

Gerade deshalb sage ich hier sehr deutlich: Wir sind
ein Einwanderungsland. Diese Diskussion führen wir
nicht mehr; das ist die Realität, und dieser Realität stel-
len wir uns. Wir wissen, dass bundesweit in den Grund-
schulen 50 Prozent der Kinder und in allen Schultypen
ungefähr 30 Prozent der Kinder mittlerweile einen Mi-
grationshintergrund haben.

Deswegen ist mein Petitum – das wissen Sie; das
prägte meine Arbeit in den ganzen Jahren hier im Bun-
destag –, dass man sich gerade auch für den Spracher-
werb einsetzt. Wir brauchen gute Möglichkeiten für alle
Kinder, die deutsche Sprache so zu lernen, dass sie nicht
nur von ihren körperlichen und intellektuellen Fähigkei-
ten her schulreif sind, sondern auch sprachlich. Denn nur
die Kinder, die verstehen, was in der Schule passiert, ha-
ben echte Bildungschancen. Darum haben wir uns auf
Bundesebene gekümmert. Wir sind in vielen Fällen für
die Bildungspolitik leider nicht zuständig – leider. Aber

dort, wo wir zuständig sind, haben wir uns darum ge-
kümmert.

Wir haben als Familienpolitiker das Programm „Of-
fensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache &
Integration“ aufgelegt. Das wird hier gerne vergessen,
weil es genau das widerlegt, was die Opposition mit ih-
ren Anträgen darstellen will, nämlich dass wir nichts ge-
tan hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben 4 000
Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräu-
men bzw. mit einem hohen Anteil an Kindern mit
Sprachförderbedarf als „Schwerpunkt-Kitas Sprache &
Integration“ Geld gegeben und diese ausgebaut. Ich habe
sie mir vor Ort angeschaut. Dort wird ganz gezielt mit
Kindern gearbeitet, die es schwer haben, aus ihrem fami-
liären Rahmen heraus die deutsche Sprache ausreichend
zu lernen. Hier gibt es eine sehr sinnvolle Entwicklung,
die zeigt, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten
durchaus einen Beitrag leisten können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wir können nichts daran ändern, dass die Länder
– hier in der Mehrzahl die SPD- und mittlerweile auch
grün regierten Länder – das nicht schaffen und die Bil-
dungspolitik möglicherweise gegen die Wand fahren. Ich
will ihnen nicht unterstellen, dass sie dies wissentlich
und willentlich tun, aber die Ergebnisse sind leider man-
gelhaft. Entsprechend sehen wir das, was auf Landes-
ebene geschieht, kritisch.

Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.
Die FDP will Bildungschancen für alle Kinder und Ju-
gendliche. Wir haben bei der frühkindlichen Bildung ein
klares Zeichen gesetzt und werden diese Politik bei der
Bildung aller Kinder in ihrem weiteren Lebensverlauf,
gerade auch im Berufsschulbereich und in der Ausbil-
dung, fortsetzen. Dafür stehen wir.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724006600

Das Wort hat nun Kai Gehring für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724006700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine moderne Bildungs- und Integrationspolitik ent-
scheidet über das Zusammenleben in unserer Gesell-
schaft und den Alltag jedes Einzelnen, darüber, ob alle
Menschen gleiche Chancen auf Teilhabe innehaben oder
ob Herkunft oder Geldbeutel der Eltern maßgeblich sind,
darüber, ob sich Menschen zu dieser Gesellschaft zuge-
hörig und in ihrer Vielfalt anerkannt fühlen oder ob ihre
Bildungschancen und Lebensperspektiven blockiert wer-
den. In beiden Politikfeldern, sowohl bei Bildung als
auch bei Integration, hat die Union die Erneuerung die-
ses Landes jahrzehntelang ausgebremst und sich den ge-
sellschaftlichen Realitäten verweigert. Das war und ist
falsch.





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist doch wirklich Käse! Sie wissen es doch besser, Herr Gehring!)


Beispiel Bildung. Es ist noch nicht lange her, dass von
Konservativen Kindertagesstätten und Ganztagsschulen
als Kinderverwahranstalten diskreditiert wurden. Ich
erinnere mich noch sehr genau an die ideologischen
Unionsblockaden in den 2000er-Jahren, während die rot-
grüne Bundesregierung mit ihrem 4-Milliarden-Euro-In-
vestitionsprogramm für mehr als 8 000 Ganztagsschulen
die überfällige Wende hin zu einer modernen Schulpoli-
tik eingeleitet hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Erst gut zehn Jahre danach kann man sagen: Jetzt gibt es
hier einen gewissen politischen Konsens. Das gilt auch
für eine Vielzahl von Konservativen. Sie haben inzwi-
schen ihren Frieden damit geschlossen – Frau Wanka
vielleicht noch nicht so ganz –, dass gute Ganztagsschu-
len doppelt gut sind,


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


nämlich gut zur individuellen und inklusiven Förderung
für die Kinder und Jugendlichen und gut für die Verein-
barkeit von Familie und Beruf für die Eltern. Deshalb
war das ein großer Modernisierungsfortschritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei dieser Erkenntnis darf man aber nicht stehen blei-
ben. Es braucht dringend eine zweite Offensive zum
quantitativen und qualitativen Ganztagsschulausbau.
Das wollen wir, und dafür streiten wir gemeinsam mit
der SPD. Wir wollen ein Land der Chancengleichheit,
der Durchlässigkeit und des Bildungsaufstiegs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dafür ist es dringend notwendig, dass das im Grundge-
setz verankerte Kooperationsverbot gekippt wird. Es ist
2006 gegen unseren erbitterten Widerstand eingeführt
worden. Das Kooperationsverbot muss weg, damit Bund
und Länder bei der gesamtstaatlichen Finanzierung un-
seres Bildungs- und Wissenschaftssystems wieder ver-
lässlich zusammenarbeiten dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aha! Es geht also doch nur ums Geld!)


Es geht um Kooperationskultur, es geht um eine Er-
möglichungsverfassung für bessere Bildung und Wis-
senschaft, und es geht darum, dass man kooperieren
darf, um gesamtstaatlich Verantwortung für bessere Bil-
dung in diesem Land zu übernehmen. Das haben Sie mit
Ihrem Vorschlag hintertrieben. Sie haben nur die Elite-
unis dauerhaft finanzieren wollen. Wir wollen früher an-

fangen. Wir wollen, dass auch Schulen gefördert werden
können; denn auf den Anfang kommt es an.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh! Sind Sie jetzt plötzlich gegen die Exzellenzinitiative? Das ist ja was ganz Neues!)


Schwarz-Gelb hat es an Kraft und Konsenswillen ge-
fehlt.

Beispiel Zuwanderung. Es ist noch nicht lange her, da
haben konservative Politiker behauptet, Deutschland sei
kein Einwanderungsland, und Debatten über Leitkultur
angezettelt. Das war das Gegenteil einer Willkommens-
kultur auf der Basis des gemeinsamen Wertefundaments
unseres Grundgesetzes, einer Willkommenskultur, die
wir so dringend brauchen.

Auf dem vorgestrigen Demografiegipfel hat Kanzle-
rin Merkel mit Blick auf die Zuwanderung von Fach-
kräften gesagt – Zitat –:

Unser Ruf ist … sehr schlecht. Wir gelten als abge-
schlossen, wir gelten als ein Land, in das zu kom-
men sehr kompliziert ist.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Na ja, das ist so verkürzt aber nicht ganz richtig! Sie müssen mal in andere Länder gehen! Da sieht es noch ganz anders aus!)


Ja, das stimmt leider, Frau Merkel. Es wäre aber ehrli-
cher gewesen, wenn Sie als Kanzlerin hinzugefügt hät-
ten: Das ist auch das Resultat von Lebenslügen und Feh-
lern von CDU und CSU in den letzten Jahrzehnten,
angefangen bei der Gastarbeiterpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sagen den Leuten lieber: „Multikulturalität ist tot“,
anstatt Integrationsprobleme zu lösen und Rassismus
und Islamophobie in unserer Gesellschaft zu bekämpfen.

Als jemand, der vor kurzem dort gewesen ist, sage ich
Ihnen: Deutschland sollte mehr Kanada wagen. Dort ist
tagtäglich spürbar, was ein modernes Einwanderungs-
land wirklich auszeichnet, nämlich gelebte Willkom-
menskultur und Wertschätzung von Multikulturalität.
Dort gibt es ein kluges Punktesystem zur Steuerung und
Gestaltung von Zuwanderung. Dort gibt es regelhaft die
doppelte Staatsbürgerschaft statt eines Optionszwangs.
Dort gibt es eine gute Bildungspolitik, die in jeder Kita
und jeder Schule sehr aktiv Mehrsprachigkeit und Inklu-
sion fördert. Wie kanadische Schulen müssen auch deut-
sche Schulen je nach sozialer Lage und Vielfalt der
Schülerschaft mehr Unterstützung erhalten: mehr Mittel,
mehr Lehrkräfte, mehr Schulsozialarbeit, mehr Eltern-
arbeit, mehr Ganztagsbetreuung. Das Schlagwort
„Brennpunktschulen“ wird so zum Fremdwort. Das ist
genau der Weg, den die rot-grün und grün-rot regierten
Länder einschlagen.

Das alles macht Kanada zum Integrationsweltmeister.
Auch Deutschland hat das Potenzial dazu. Mit dieser
Bundesregierung gelingt das aber offensichtlich nicht,
weil sie sich einem modernen Zuwanderungsrecht ver-





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)


schließt. Ein modernes Zuwanderungsrecht würde auch
dabei helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Hier
brauchen wir endlich eine echte Doppelstrategie. Es
reicht nicht aus, wenn eine solche Strategie von Frau von
der Leyen lediglich verbal vorgetragen wird. Vielmehr
brauchen wir klares politisches Handeln: einerseits gute
Bildung und lebenslange Qualifizierung, um das inländi-
sche Potenzial besser auszuschöpfen, andererseits ge-
steuerte Zuwanderung, verknüpft mit Integrationsmaß-
nahmen und Sprachförderung für alle.

Wenn man wie wir für Bildungsgerechtigkeit und für
Strategien zur Fachkräftesicherung kämpft, dann darf
man keine Bildungsverlierer produzieren, dann darf nie-
mand zurückgelassen werden. Schwarz-Gelb hat es nicht
geschafft, die eklatante Bildungsspaltung in unserem
Land zu mildern. Es darf nicht sein, dass weiterhin jeder
zehnte Bürger als funktionaler Analphabet gilt, dass je-
der fünfzehnte Jugendliche die Schule abbricht und über
2 Millionen junge Erwachsene keinen Berufsabschluss
haben. Solange diese Zahlen nicht gravierend sinken, so
lange ist Frau Merkels Bildungsrepublik ein Jammertal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724006800

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724006900

Deshalb sage ich: Eine andere Bildungs- und Integra-

tionspolitik ist nötig, und sie ist möglich, aber ganz si-
cher nicht mit dieser Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724007000

Das Wort hat nun Marcus Weinberg für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1724007100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Deligöz von den Grünen hat den Kolle-
gen Patrick Meinhardt gebeten, er solle doch einmal er-
klären, was der Bund gemacht hat. Liebe Frau Kollegin
Deligöz, Sie müssen eigentlich nur drei Schriftstücke
lesen. Sie müssen in den Haushaltsplan schauen, Sie
müssen das aktuelle Integrationsbarometer lesen, und
Sie müssen die aktuellste Bildungsuntersuchung lesen.
Dann werden Sie feststellen: Noch nie hat eine Bundes-
regierung so viel in Bildung und Forschung investiert,
noch nie waren die Ergebnisse im Bildungsbereich so
gut wie heute,


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die auch so beschönigt wie im Armutsund Reichtumsbericht?)


und noch nie – das ist eine Wahrnehmung der Betroffe-
nen – wurde der Bereich Integration so positiv wahrge-

nommen. Das heißt, hier erkennen Sie ganz deutlich
stringentes Regierungshandeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kai Gehring hat noch einmal das Modell der Bil-
dungsgerechtigkeit formuliert. Bei dem Koalitionspart-
ner, den die ehemals selbstständigen Grünen in ihrem
Regierungsprogramm schon fixiert haben, der SPD,
findet man nicht Bildungsgerechtigkeit, Herr Gehring,
sondern Gleichheit. Sie sollten einmal darüber nachden-
ken, wo im Wertekanon Sie eigentlich stehen: Wollen
Sie Gerechtigkeit,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Chancengleichheit!)


oder wollen Sie Gleichheit durch Gleichmacherei? Das
ist Ihre Linie, Herr Schulz, nicht unsere Linie.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Chancengleichheit!)


Die Grünen werfen uns vor, wir wären in der Integra-
tionspolitik rückständig. Daher frage ich Sie, Herr
Gehring: Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass der
Koalitionspartner, auf den Sie sich festgelegt haben,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kämpfen gemeinsam für die Ganztagsschule!)


namentlich Herr Steinbrück, eine Trennung von Jungs
und Mädchen beim Sportunterricht gefordert hat? Das ist
in Ihrer Linie, glaube ich, nicht auffindbar. Sie sollten
sich einmal Gedanken darüber machen, wo Sie eigent-
lich stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Aydan Özoğuz [SPD]: Und warum machen Sie das in Bayern, wenn das so schlimm ist?)


Um aus der Parallelwelt wieder ein bisschen in die
Realität zurückzukommen, liebe Aydan Özoğuz: Sie
haben kritisiert – das sage ich als Hamburger zu einer
Hamburgerin –, dass sich die Ministerin in ihrer Rede
nicht mit dem Thema Integration beschäftigt hat. Nun,
wenn man viele Erfolge hat, dann braucht man auch viel
Redezeit. Leider ist die bei uns auch begrenzt; wir
bräuchten, glaube ich, zwei bis drei Stunden, um hier die
Erfolge der Regierung in den Bereichen Bildung, Fami-
lie und Integration darzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben viel zu viel Redezeit! – Aydan Özoğuz [SPD]: Sie haben die meiste Redezeit und sagen gar nichts! Das ist erstaunlich!)


Deshalb will ich nur einige Daten aus dem Integrations-
barometer wiedergeben:

Erstens. Über zwei Drittel der jungen Menschen mit
Migrationshintergrund fühlen sich in diesem Land wohl.
Dieser Wert war noch nie so hoch wie heute.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP])






Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


Zweitens – um auf den Bereich „Arbeitsmarkt und
Beschäftigung“ zu kommen –: In Deutschland findet
man leichter als in jedem anderen westeuropäischen
Land eine Beschäftigung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittens. 70 Prozent der unter 25-Jährigen glauben an
eine gute Zukunft in Deutschland, und die Hälfte der
jungen Menschen geht davon aus, dass die Unterschiede
in zehn Jahren abnehmen werden. Das bestätigen übri-
gens auch die Bildungsergebnisse in diesem Bereich.
Die Anzahl der jungen Migranten ohne Hauptschulab-
schluss ist um 40 Prozent zurückgegangen,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist hervorragend!)


wesentlich stärker als bei den jungen Menschen ohne
Migrationshintergrund. Das ist eine hervorragende Bi-
lanz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sicherlich ist das – auch das sei gesagt – in weiten
Teilen noch nicht ausreichend. Das streiten wir auch
nicht ab. Wir verkünden keine heile Welt. Wir sagen
weiter: Nutzen wir die Riesenchance der Integration!
Wenn man Gerechtigkeit will, Bildungsgerechtigkeit
und Chancengerechtigkeit, dann kann man die Chance
der Integration nutzen. Das ist aber ein anderes Konzept,
Herr Dr. Rossmann, als das Konzept der Gleichheit. Mit
Gleichmacherei wird man dieser Gesellschaft nicht ge-
recht.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nicht Gleichmacherei! Chancengleichheit!)


Wir wollen die Familien stärken, wir wollen die Indivi-
duen fördern, wir wollen Talente und Begabungen
fördern, aber nicht alles nivellieren auf einem gewissen
Niveau.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Aydan Özoğuz [SPD]: Wenn das einmal so wäre!)


– Man muss immer die Realität darstellen.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Ja, genau!)

Ich finde ja, Sie leben hier in einer Parallelwelt. In Ihrem
Antrag findet sich eine nette Lyrik; aber Sie müssen das
schon konkretisieren und die Fakten klar benennen.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Welche Talente werden denn gefördert?)


Sie müssen sagen, was getan wurde, was erreicht wurde
und wie die Ziele sind.

Ich möchte jetzt noch ein bisschen auf Herrn
Steinmeier eingehen,


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wo ist er denn? Wo ist Steinmeier?)


der uns kritisierte, indem er sagte, wir würden nichts für
den Kitaausbau tun. Wir haben über 4 Milliarden Euro
für den Krippenausbau ausgegeben. Wir haben – das

wurde von den Kollegen bereits angesprochen –
400 Millionen Euro für das Programm „Offensive Frühe
Chancen“ ausgegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen kann ich das, was die Kollegin von der FDP
gesagt hat, nur bestätigen. Gehen Sie einmal in eine Kita
in Hamburg, in unserer gemeinsamen schönen Stadt!
Über 70 Kindertagesstätten profitieren dort von diesem
Programm. Wenn Sie mit den Mitarbeitern, den pädago-
gischen Fachkräften, diskutieren, dann erfahren Sie, dass
sie für dieses Programm sehr dankbar sind.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Da wird auch etwas getan! Da wird es umgesetzt!)


Ein anderes Programm hat die Ministerin bereits an-
gesprochen. Wenn wir ernsthaft über Bildungsimplika-
tionen sprechen, dann stehen natürlich zuallererst die
Qualifizierung und die Ausbildung der Lehrkräfte vor-
nean. Wir haben hier vor wenigen Wochen darüber dis-
kutiert, dass wir endlich ein exzellentes Programm für
die Ausbildung unserer Lehrkräfte haben. Das hat diese
Bundesregierung mit 500 Millionen Euro auf den Weg
gebracht. Liebe Frau Hein, hier geht es um die Qualität
und nicht nur um eine reine Strukturreform, wie Sie sie
immer fordern, in Richtung einer Einheitsschule unter
Abschaffung des gegliederten Schulsystems. Es geht um
die Qualität, und die steigern wir auch mit diesem Pro-
gramm.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Sie erinnern sich an unseren Antrag? Wir brauchen diese Lehrer überall!)


Daneben gibt es weitere Fortbildungsprogramme im
Bereich der pädagogischen Fachkräfte und das Pro-
gramm „Lesestart“. Damit versuchen wir – und wir wer-
den es schaffen –, früh Bildungsgerechtigkeit zu produ-
zieren, indem wir junge Menschen für das Lesen
begeistern. Jeder junge Vater und jede junge Mutter
weiß, wie wichtig es für Kinder ist, dass sie für das
Lernen und Lesen begeistert werden. Über 2 Millionen
Kinder profitieren bereits von diesem Programm.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724007200

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1724007300

Gerne. – Ich glaube, dass wir in den nächsten Mona-

ten Zeit und Gelegenheit haben, noch vieles deutlich zu
machen. Es gibt den Schein, und es gibt das Sein. Hier
regiert das Sein. Das ist gut für die Bildungslandschaft in
Deutschland und ein Erfolg der Nachhaltigkeit. Darauf
werden wir auch in den nächsten vier Jahren aufbauen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724007400

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-

gen Ernst Dieter Rossmann.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1724007500

Herr Kollege Weinberg, wir haben Debattenbeiträge

gehört, bei denen man sich bemühte, den Kern der Bil-
dungspolitik – das heißt dann immer, sich an der Sache
zu orientieren – in den Mittelpunkt zu stellen. Ich will
Ihnen deshalb nur ganz knapp sagen: Mal eben einen
Patsch auszuteilen, nach dem Motto, die Sozialdemokra-
tie oder andere seien für Gleichmacherei, trifft es nicht.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal Ihren Antrag!)


Wir erkennen an, dass die Menschen unterschiedliche
Begabungen und Talente haben und dass sie sich unter-
schiedlich entwickeln. Wir sagen aber: Sie müssen alle
die gleiche Chance haben, diese entwickeln zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das ist doch etwas anderes als Gleichmacherei. Es geht
doch um die Gleichheit bezogen auf die Entwicklung der
Chancen. So haben wir das aufgeschrieben, und dafür ar-
beiten wir. Wir verlangen Respekt vor diesen Menschen
und möchten, dass Sie dies so anerkennen, statt hier
einen billigen Patsch auszuteilen. Das ist unter Ihrem
Niveau und auch unter dem Niveau des Bildungskonsen-
ses in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie es handfester wollen: Sie haben in Ham-
burg unter anderem mit einem Schulkonsens parteiüber-
greifend – die CDU, die SPD, die Grünen und andere
waren dabei – dafür gesorgt, dass es diese Chancen-
gleichheit über verschiedene Schulangebote, die nicht
gleich, aber gleichwertig sind, gibt. Auch aus Respekt
vor sich selbst könnten Sie doch vielleicht einmal aner-
kennen, dass andere dies teilen und dass es mitnichten
eine Gleichmacherschule ist, wenn es verschiedene Bil-
dungswege gibt, aber alle die gleichen Bildungschancen
entwickeln können.

Entschuldigen Sie diesen emotionalen Vortrag, aber
ich will ausdrücken: Es gibt einen Kern, den man bei al-
lem parteipolitischen Streit, der hier manchmal ziemlich
billig geführt wird, nicht aus den Augen verlieren darf.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724007600

Herr Weinberg, wollen Sie reagieren? – Nein.

Dann erteile ich das Wort dem stellvertretenden Mi-
nisterpräsidenten und Minister für Bildung, Wissen-
schaft und Kultur des Landes Thüringen, Christoph
Matschie.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1724007700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es

hat mich schon überrascht, dass es hier noch Rednerin-
nen oder Redner gibt, die den Ausbau von Ganztagsan-
geboten grundsätzlich infrage stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wer hat das gemacht?)


Ich verstehe das nicht. Der Kollege Kaufmann hat hier in
Zweifel gezogen, dass es überhaupt sinnvoll ist, ganztä-
gige Angebote zu machen.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Sie reden Quatsch, Herr Matschie!)


Dann kam der Vorwurf von der Kollegin Bär, hier würde
ein Zwangsprogramm aufgelegt. Das ist ein solcher Un-
fug, den ich aus der Unionsfraktion gehört habe. Gehen
Sie doch einmal raus, und erklären Sie das den Eltern!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Kollegin Wanka, ich habe hier von Ihnen keine
klare Stellungnahme dazu gehört, wie Sie als Bundes-
ministerin zum Ausbau von Ganztagsschulen stehen. Sie
haben hier deutlich gemacht – auch ganz stolz –, dass
Sie als Ministerin in Niedersachsen die Ganztagsschulen
ausgebaut hätten. Warum stehen Sie heute nicht hier und
sagen: „Auch als Bundesministerin halte ich das, was ich
als Landesministerin gemacht habe, für sinnvoll und
setze mich gemeinsam mit der SPD dafür ein, dass ein
neues Bund-Länder-Programm für mehr Ganztagsschu-
len kommt“? Warum tun Sie das nicht, Frau Wanka?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen verbreiten Sie hier Unwahrheiten. Sie ha-
ben von einer Gesprächsrunde von Bildungsministern
aus den Ländern mit der damaligen Bundesministerin,
Frau Schavan, gesprochen und gesagt, da hätten SPD-
Bildungsminister gesessen, die gegen die Ausweitung
der Grundgesetzänderung auf die Schulen gewesen
seien. Nennen Sie mir einen einzigen! Ich war damals
dabei: Die Meldungen dagegen kamen aus Bayern, aus
Hessen und von Ihnen als damalige niedersächsische
Bildungsministerin. Auf der Seite erfolgte eine Blockade
der Länder, nicht vonseiten der SPD-Bildungsminister.


(Beifall bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört! So ist das also gewesen!)


Dann wurde hier der absurde Vorwurf geäußert, es
solle alles auf den Bund delegiert werden. Darum geht es
doch überhaupt nicht, Kolleginnen und Kollegen.
Schauen Sie sich einmal die Zahlen aus dem Bildungsfi-
nanzbericht an! Die Länder tragen 80,4 Milliarden Euro,
die Kommunen tragen 22,6 Milliarden Euro und der
Bund trägt 7,3 Milliarden Euro, also rund 5 Prozent, an
den öffentlichen Bildungsaufwendungen. Wenn jemand
behauptet, da wäre keine Luft mehr nach oben, dann irrt
er ganz gewaltig. Wir brauchen eine gemeinsame An-





Minister Christoph Matschie (Thüringen)



(A) (C)



(D)(B)


strengung von Bund und Ländern für eine bessere Bil-
dungspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/ CSU]: Dann strengen Sie sich an! Was sind Ihre Überlegungen und Anstrengungen? Das würde uns interessieren!)


Es ist auch nicht so, dass nur einzelne Bundesländer,
dass nur SPD-geführte Bundesländer mehr Geld vom
Bund wollen. Ich darf einmal aus dem letzten Protokoll
über die Besprechung der Regierungschefinnen und Re-
gierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin zitie-
ren. Darin haben die Länder einvernehmlich festgehal-
ten:

Die Länder erwarten, auch im Hinblick auf ihre lau-
fenden Aufgaben im Bildungsbereich, dass neben
zusätzlichen Bildungsausgaben des Bundes dieser
die Länder im Rahmen der verfassungsmäßigen
Kompetenzordnung mit zusätzlichen Umsatzsteuer-
mitteln unterstützt.

Die Länder waren einstimmig der Meinung, dass sie zu
knappe finanzielle Ressourcen haben.

Ich kann Ihnen das einmal aus Sicht eines Bildungs-
ministers in einem Land, und zwar in einem ostdeut-
schen Land, schildern: Wir haben in dieser Legislaturpe-
riode unsere Bildungsausgaben um 400 Millionen Euro
angehoben. Gleichzeitig sinken die Mittel im Landes-
haushalt. Versuchen Sie sich doch einmal vorzustellen,
wie wachsende Bildungsausgaben in einem abgesenkten
Landeshaushalt untergebracht werden sollen.


(Patrick Meinhardt [FDP]: Sachsen!)


– Jetzt rufen Sie „Sachsen“ dazwischen. Dazu kann ich
Ihnen etwas sagen;


(Patrick Meinhardt [FDP]: Ich auch!)


das Beispiel kam ja schon. Eben wurde von Frau Wanka
Frau Kurth zitiert. Herr Kollege, ich habe eine Erinne-
rung an Sachsen. Da gab es einen Kollegen, den Vorgän-
ger von Frau Kurth, Professor Wöller. Der ist zurückge-
treten, weil die sächsische Staatsregierung insgesamt
nicht bereit war, ihm eine ausreichende Anzahl an
Lehrerstellen zu finanzieren. Das ist inzwischen die Bil-
dungswahrheit in Sachsen.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt gibt es da eine Kollegin – mit Verlaub, ich möchte
ja niemanden schlechtmachen –, deren Worte, dass
Sachsen mit seinen Ausgaben hinkommen wird, ange-
sichts dieses Rücktritts nicht besonders glaubhaft er-
scheinen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber die Ergebnisse sprechen für sich, oder?)


Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, hat
eine Forderung nach einer gemeinsamen Bund-Länder-
Anstrengung Aussicht auf Erfolg? Ich meine: Ja, das hat
sie. Es gibt dafür auch schon ein erfolgreiches Beispiel.
Die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 ein gemeinsa-

mes Bund-Länder-Programm für den Ausbau von Ganz-
tagsschulen aufgelegt. Ich selber habe damals auf Bun-
desseite die Gespräche mit den Ländern mit geführt. Am
Anfang gab es da von einer ganzen Reihe von Ländern
viel Widerstand. Aber schauen Sie sich einmal die Zah-
len an: 2002 lag das Angebot an Ganztagsschulen für
Schüler bei 10 Prozent. 2009, am Ende dieses Pro-
gramms, lag das Angebot an Ganztagsschulen bei knapp
30 Prozent. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist
es gelungen, das Angebot innerhalb eines knappen Jahr-
zehnts zu verdreifachen. Warum packen wir das nicht
wieder gemeinsam an? Warum sagen wir nicht: „Wir än-
dern das Grundgesetz;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wir schaffen die Voraussetzung für diese gemeinsame
Anstrengung“?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, was im Moment vorliegt, eine Änderung des
Art. 91 b Grundgesetz, reicht nicht aus. Wir brauchen
eine umfangreichere Änderung, die eine Zusammenar-
beit nicht nur im Hochschulbereich ermöglicht, sondern
im gesamten Bildungsbereich.

Ich kann Ihnen nur eines raten – lassen Sie mich das
zum Schluss sagen –: Machen Sie einen Praxistest! Re-
den Sie mit Eltern, und versuchen Sie einmal, denen zu
erklären, warum es dem Bund möglich ist, ein „Kita-In-
vest“-Programm gemeinsam mit den Ländern zu gestal-
ten – eine sinnvolle Sache –, aber warum es dem Bund
nicht möglich ist, gemeinsam mit den Ländern ein neues
Ganztagsschulprogramm aufzulegen. Ich wünsche Ihnen
dabei viel Spaß und hoffe, dass es Ihnen gelingt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, es ist höchste Zeit für eine gemeinsame
Anstrengung von Bund und Ländern über die Parteigren-
zen hinweg. Lassen Sie uns die Verfassung so ändern,
dass wir einen kooperativen Bildungsföderalismus be-
kommen, in dem Bund und Länder gemeinsam an einem
Strang ziehen!


(Patrick Meinhardt [FDP]: Ihre Fehler finanzieren?)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724007800

Das Wort hat nun Sylvia Canel für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sylvia Canel (FDP):
Rede ID: ID1724007900

Mein lieber Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Das ist heute eine interessante Veranstaltung. Wenn
man allerdings schon so viele Argumente gehört hat,
dann bleiben nicht mehr viele übrig, die man nennen
kann, ohne das Plenum damit zu langweilen. Es ist ganz





Sylvia Canel


(A) (C)



(D)(B)


bezeichnend, wie hier gegensätzlich argumentiert wird.
Wir haben hier einen Antrag der SPD vorliegen, und
Herr Rossmann hat sehr leidenschaftlich darauf hinge-
wiesen, dass es wichtig ist, auch einmal die Gegenseite
zu loben, deren Leistungen anzuerkennen und sie nicht
willentlich falsch zu verstehen. Ich finde das richtig,
Herr Rossmann. Aber das gilt für unsere Seite genauso.

Der vorliegende Antrag ist voll des Lobes für Ganz-
tagsschulen. Ich kann mich diesem Lob unbenommen
anschließen. Natürlich brauchen wir viel mehr Ganz-
tagsschulen, die mit gut ausgebildeten Lehrern ausge-
stattet sind. Natürlich brauchen wir in der heutigen Zeit
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber nicht nur
das: Wir brauchen auch gemeinschaftliche Erziehung,
damit es in den Schulen überhaupt zum Unterrichten
kommt. Wer aus der Großstadt kommt, weiß, was ich da-
mit meine.

Ja, da sind wir ganz beieinander. Aber ich verstehe
nicht, warum Sie das noch nicht vorangetrieben haben.
Mitglieder Ihrer Partei sind in den Bundesländern dafür
zuständig. Und was sehen wir zum Beispiel in Ham-
burg? Ich komme aus Hamburg. In Hamburg regiert die
SPD mit absoluter Mehrheit. Die Priorität für gut ausge-
baute Ganztagsschulen statt „schlechte Schulen den gan-
zen Tag“ haben wir in Hamburg so noch nicht wiederfin-
den können, wie Sie das hier so richtig verkaufen. Aber
genau dort liegt die Verantwortung, vor Ort in den Län-
dern, und das ist auch richtig so.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor Ort sollte man am besten wissen, was für die Schule
wichtig ist.

In Hamburg laufen Vermessungsteams über die
Schulhöfe und prüfen, ob da nicht vielleicht zu viele
Quadratmeter pro Schüler vorhanden sind. In diesem
Fall könnte man die Fläche nämlich gut für den Woh-
nungsbau nutzen. Meine Damen und Herren, wie passt
das zu Ihrem Anspruch, gute Ganztagsschulen einzu-
richten? Man weiß doch, dass Kinder Bewegung brau-
chen und ein Mindestmaß an Raum.

In Berlin ist es ähnlich. Auch in Berlin wird nicht der
Schwerpunkt auf gute Ganztagsschulen gelegt, obwohl
dort Sozialdemokraten in der Verantwortung sind.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die CDU übrigens auch!)


Warum setzen Sie das nicht einfach einmal um? Sie ha-
ben die Priorität gesetzt: Wir wollen unsere Infrastruktur
ausbauen. – Deshalb wird es dort irgendwann einmal ei-
nen Flughafen geben, der so teuer wird wie der Kölner
Dom. Bitte sehr! Aber Sie hätten auch eine ganze Menge
für gute Ganztagsschulen abzweigen können.

Warum ist Sachsen denn so erfolgreich? Weil sie dort
nicht im ideologischen Schulkampf verharren und Struk-
turmodelle bis zum Erbrechen diskutieren, sondern ein-
fach nur in guten Unterricht investieren. Das ist ein Vor-
bild.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Antrag ist auch deshalb interessant, weil er die ei-
gene Arbeit sehr lobt, etwa das Ganztagsschulpro-
gramm: Unsere Arbeit ist die tollste; alle anderen sind
Versager. – Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass
die Lehrer in guten Ganztagsschulen ein anderes Mitei-
nander vorleben als das, was heute im Parlament zu erle-
ben ist.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das steht aber im Antrag so nicht drin!)


– Das steht im Antrag so drin. Ich habe ihn sehr genau
gelesen, Herr Rossmann.

Das Nächste ist: Der Antrag schließt nicht nur mit
dem eigenen Lob und blendet alles aus, was in diesen
vier Jahren an Gutem investiert und umgesetzt wurde,
sondern auch mit der Forderung nach mehr Geld. Herr
Steinmeier hat es selbst gesagt: Es geht um Bildung, Bil-
dung, Bildung. In diesem Antrag heißt es nur: Mehr
Geld! Mehr Geld! Mehr Geld! Das ist für eine gute Bil-
dungspolitik eindeutig zu wenig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was geben wir den Leuten von unserer Bildungspoli-
tik mit, die wir in vier guten Jahren gemacht haben? Das
ist zunächst einmal die Priorität: Ja, Bildung braucht
Geld. Wir haben knapp 14 Milliarden Euro draufgelegt,
mehr als jede Koalition zuvor.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Geld! Geld! Geld!)


Darüber hinaus haben wir eine sehr gute Bilanz vorge-
legt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724008000

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.


Sylvia Canel (FDP):
Rede ID: ID1724008100

Danke sehr. Auch dann sind Sie noch mein Präsident.

Ich möchte nicht überziehen.

Man braucht eine ganze Menge Geld, aber Sie wissen
auch, dass das nicht alles ist. Strengen Sie sich in den
Bundesländern an! Sehen Sie zu, dass Ihre Ministerprä-
sidenten, Bürgermeister und wie sie alle heißen das tun,
was Sie hier fordern und in völlig überzogener Art und
Weise vorbringen.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724008200

Das Wort hat nun Thomas Feist für die CDU/CSU-

Fraktion.


Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1724008300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Da-

men und Herren! Vielleicht hätte der eine oder andere
die Losung für den heutigen Tag lesen sollen. Sie lautet:

Ich will Frieden geben an dieser Stätte, spricht der
Herr Zebaoth.





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)


So ein Gepolter, dabei hatte ich mich auf eine sachliche
Debatte gefreut.

Ich will manches auslassen, das in dem Antrag enthal-
ten ist. Ich will nicht über kollektive Zwangsbeglückung
sprechen. Ich will auch nicht darüber sprechen, dass man
aus dem Antrag herauslesen könnte, der Weg führe weg
von der Bildungseinrichtung hin zur Erziehungsinstitu-
tion. Das alles will ich nicht tun. Aber eine Bemerkung
kann ich mir nicht verkneifen. Sehr geehrte Kollegen
von der SPD, Sie waren schon mit Ihrem Wahlkampfslo-
gan nicht sehr erfolgreich. Sie haben nämlich den Slogan
von einer Zeitarbeitsfirma geklaut. Nun habe ich mich
gefragt: Was ist denn „Projekt Zukunft“ für ein putziger
Spruch? Wo kommt der her? Im Internet habe ich ent-
deckt, dass es eine Firma gibt, die unter dem Stichwort
„Projekt Zukunft“ wirbt – das können Sie sich vielleicht
merken –: „Ihr zuverlässiger Partner für professionelle
Verkaufsaktionen, Aktionsmarketing, Krisenmanage-
ment und Insolvenzen“.


(Heiterkeit bei der FDP)


Sie sollten vielleicht nächstes Mal aufpassen, was Sie
über Ihren Antrag schreiben, und vielleicht erst einmal
googeln.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sehr sachlicher Beitrag, den Sie da angekündigt hatten!)


Sie beginnen den Antrag mit dem Satz: „Das deutsche
Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug.“ Das
könnte auch als Überschrift über dem Antragsentwurf
vom 7. Mai stehen. Einen derart lieblos hingeklitterten
Antragsentwurf mit einem Haufen Rechtschreibfehlern,
grammatikalischen Unwuchten und Satzwiederholun-
gen, die irgendwo im Nirgendwo enden, habe ich noch
nie gesehen. Man sollte sich genau überlegen, ob man ei-
nen Referentenentwurf nicht besser durchliest, bevor
man seinen Namen darüberschreibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn zu Ganztagsschulen? Sprechen Sie noch zum Thema?)


Ein Blick in den Antrag zeigt: Es gibt Forderungen,
Forderungen, Forderungen, aber keine Lösungen. Es
hätte der Ehrlichkeit halber zumindest bedurft, dass man
abschließend nicht nur den Ländern und Kommunen für
die enormen Anstrengungen dankt, sondern vielleicht
auch einmal die Leistungen des Bundes erwähnt. Denn
den 400 Millionen Euro, die damals von Ländern und
Kommunen für das Ganztagsschulprogramm aufge-
bracht wurden, stehen 4 Milliarden Euro des Bundes ge-
genüber. Das wäre eine kleine Erwähnung an dieser
Stelle wert gewesen. Forderungen statt Lösungen – das
kann man nachlesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das mit den 4 Milliarden Euro wäre ja der Vorwurf des Selbstlobes gewesen!)


– Das ist doch Quatsch. So bescheiden sind Sie doch
sonst auch nicht, Herr Rossmann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie erheben nur Forderungen, bieten aber keine Lö-
sungen. Das gilt vor allen Dingen für die Diskrepanz
zwischen der schulischen Arbeit und der Freizeitgestal-
tung der Jugendlichen; das ist schon angesprochen wor-
den.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Kann es sein, dass Sie das nicht richtig verstanden haben?)


Die Jugendlichen brauchen auch Zeit, um Sportvereine,
Kirchengemeinden oder Musikschulen zu besuchen. Sie
schreiben in Ihrem Antrag dazu:

Als ungelöst muss weiterhin das Problem gelten, ei-
nen tragfähigen Ausgleich in der Zeitkonkurrenz
insbesondere zur freien Jugendarbeit oder zu den
Sportvereinen zu schaffen.

Ungelöst! Eine Lösung wäre schön gewesen, wenn Sie
schon einen so blumigen Antrag vorlegen. Oder ist das
zu viel erwartet?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Sind Sie jetzt gegen Ganztagsschulen? Das verstehe ich nicht ganz!)


Zu den Ganztagsschulen möchte ich Ihnen noch eines
sagen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Begriff
noch gar nicht genau definiert ist. Das ist an mehreren
Stellen Ihres Antrags zu lesen. Sie weisen außerdem da-
rauf hin, dass die Auslastungszahlen ganz unterschied-
lich sind. So liegt die Ganztagsteilnahmequote in Bayern
bei 11,4 Prozent, während sie in Sachsen mit fast 80 Pro-
zent den Spitzenwert erreicht. Doch auf die Ergebnisse
hat die Ganztagsschule anscheinend gar keinen Einfluss.
Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sieht, dass
die Ergebnisse in der Bildung sowohl in Bayern als auch
in Sachsen hervorragend sind. Oder geben Sie mir da
nicht recht?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sagen, dass wir mehr Qualität in den Ganztags-
schulen brauchen. Ich finde es bezeichnend, dass kein
Bildungspolitiker der SPD heute hier gesprochen hat,
abgesehen von einem Zwischenruf des Kollegen
Rossmann. Sie sagen, dass wir eine bessere Ausgestal-
tung der Ganztagsschulen brauchen. Ich begreife daher
nicht Ihre ablehnende Haltung, wenn wir 230 Millionen
Euro für die kulturelle Bildung zur Verfügung stellen,
die unserer Meinung nach zur Bildung – auch in den
Ganztagsschulen – gehört. Sie erheben ständig Forde-
rungen, aber wenn es darum geht, etwas zu tun, machen
Sie nichts.

Die Exzellenzinitiative „Lehrerbildung“ wird genau
in die richtige Richtung weisen. Wir werden das in den
nächsten vier Jahren weiterhin begleiten. Für Ihr Projekt
„Zukunft – Deutschland 2020“ haben Sie noch ein paar
Jahre Zeit. Machen Sie Ihre Hausaufgaben!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724008400

Vielen Dank, Kollege Dr. Feist. – Nächster Redner

für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege Helmut
Brandt. Bitte schön, Kollege Helmut Brandt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1724008500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als letzter Redner will ich zum Schluss die
Debatte auf den zweiten thematischen Teil, die Integra-
tionspolitik, lenken; denn die Bildungspolitiker aus mei-
ner Fraktion sind auf jeden Fall schon zu Wort gekom-
men. Im Übrigen möchte ich Ihnen, Frau Ministerin,
danken. Sie haben zwar etwas von unserer Redezeit in
Anspruch genommen. Sie haben aber recht: Wir haben
das gerne hingenommen; denn Sie haben ganz entschei-
dend zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen.
Jeder Satz von Ihnen war jede von Ihnen in Anspruch
genommene Minute wert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Im Gegensatz dazu steht der Aufschlag des SPD-
Fraktionsvorsitzenden. Er hat zwar lautstark artikuliert,
die Regierungsbank sei nicht hinreichend besetzt. Er sel-
ber hat aber das Ende der Debatte nicht erlebt und einem
großen Teil der Debatte nicht beigewohnt. Ich finde das
nicht gut. Man sollte schon mit gleichem Maß messen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Weil er eine Sitzung leiten muss! – Ulrich Kelber [SPD]: Es bleiben noch drei Minuten, um vom Inhalt abzulenken!)


– Sie müssen diese drei Minuten nicht ertragen. Sie kön-
nen – genauso wie Ihr Fraktionsvorsitzender – nach
draußen gehen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollten Sie nicht zur Integration sprechen?)


Ich möchte einen Punkt ansprechen, auf den ich Wert
lege.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt die Fachkräftezuwanderung?)


Sie fordern in Ihrem Antrag eine Grundgesetzänderung
und wollen erreichen, dass der Bund zukünftig in der
Lage sein soll, mehr Geld für Bildung auszugeben. Aber
Sie haben keinen einzigen Satz dazu verloren, dass dann
damit auch mehr Einfluss verbunden sein muss. Ich kann
Ihre Ausführungen nicht würdigen, Herr Matschie, weil
auch Sie dazu keinen einzigen Satz gesagt haben.

Angesichts der demografischen Entwicklung in
Deutschland haben wir ein großes Interesse daran, dass
alle hier lebenden Menschen, auch diejenigen mit Mi-
grationshintergrund, an unserem Bildungssystem teilha-
ben und davon profitieren. Nach dem Grundsatz „För-
dern und fordern“ erwarten wir von den Migranten
allerdings, dass sie sich den Herausforderungen stellen,
die ein Leben in Deutschland mit sich bringt. Für mich
und, wie ich denke, für uns alle bedeutet das in erster
Linie das Erlernen der deutschen Sprache. Ohne Bildung
und ohne eine gute Ausbildung, für die die deutsche

Sprache nun einmal unabdingbar ist, erleiden die Betrof-
fenen selbst große Nachteile, und – das muss man ganz
klar sehen – unserem Land droht damit die Gefahr, dass
nachwachsende Generationen ganz oder teilweise verlo-
ren gehen. Das können wir alle nicht wollen.

Deshalb war und bleibt es richtig, dass die Maßnah-
men zur Sprachförderung besser geworden sind, dass
auch da mehr Koordination stattgefunden hat. Die jüngs-
ten Zahlen der Integrationsbeauftragten belegen, dass
– und das ist etwas Trauriges, das eben auch schon Er-
wähnung gefunden hat – in manchen Bundesländern bei-
nahe jedes zweite Kind bei Eintritt in die Grundschule
nicht mehr über das erforderliche Sprachniveau verfügt.
Das ist ein, wie ich finde, dramatischer Befund, wenn
man bedenkt, dass in Deutschland bei den unter fünfjäh-
rigen Kindern 35 Prozent einen Migrationshintergrund
haben; denn dieser Nachteil zu Beginn des Schullebens
ist nur schwer aufzuholen und wirkt sich – das ist die Er-
fahrung – während der ganzen Schulzeit aus. Deshalb
müssen wir hier weitere Anstrengungen unternehmen.

Zum Schluss – meine Redezeit geht zu Ende –
möchte ich auf eines hinweisen, was hier noch nicht ge-
sagt worden ist. Im letzten Jahr hat die Zuwanderung in
Deutschland extrem zugenommen, was wir begrüßen.
Menschen aus europäischen Ländern und von außerhalb
Europas sind zu uns gekommen. Deshalb werden in Zu-
kunft – davon bin ich überzeugt – die Bildungs- und die
Integrationspolitik einen immer höheren Stellenwert ha-
ben. Ich würde mir wünschen, dass wir da jedenfalls ei-
ner Meinung wären.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724008600

Kollege Helmut Brandt war der letzte Redner in unse-

rer Aussprache, die ich nun schließe.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/13482 und 17/13483 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 l sowie
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g auf:

56 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Prävention

– Drucksache 17/13401 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Sportausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseiti-
gung sozialer Überforderung bei Beitrags-
schulden in der Krankenversicherung

– Drucksache 17/13402 –





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Sicherstellung des Notdienstes von

(Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz – ANSG)


– Drucksache 17/13403 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung arzneimittelrechtlicher und ande-
rer Vorschriften

– Drucksache 17/13404 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November
2001 zum Europäischen Übereinkommen vom
20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsa-
chen

– Drucksache 17/13415 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 13. Januar 2013 über
die Vorrechte und Immunitäten der Interna-
tionalen Organisation für erneuerbare Ener-
gien

– Drucksache 17/13416 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zu dem OCCAR-Überein-
kommen vom 9. September 1998

– Drucksache 17/13417 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Abkommens vom 20. März 1995 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Polen über die Erhaltung der
Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundes-
fernstraßen und der polnischen Landesstra-
ßen an der deutsch-polnischen Grenze

– Drucksache 17/13418 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

i) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Finanzausgleichsgesetzes

– Drucksache 17/13427 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Geschmacksmustergesetzes so-
wie zur Änderung der Regelungen über die
Bekanntmachungen zum Ausstellungsschutz

– Drucksache 17/13428 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-
Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Tabakprävention und Schadensminderung
stärken – EU-Tabakprodukterichtlinie weiter
verbessern

– Drucksache 17/13244 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus

(Altötting)

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Serkan
Tören, Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz
Knopek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Integration von Menschen mit Migrationshin-
tergrund im und durch den Sport nachhaltig
stärken

– Drucksache 17/13479 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

ZP 2a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dagmar Freitag, Martin Gerster, Christine
Lambrecht, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-

(AntiDoping-Gesetz – ADG)


– Drucksache 17/13468 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gleiches Rentenrecht in Ost und West, Ren-
tenüberleitung zum Abschluss bringen

– Drucksache 17/12507 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Verbandsklagerecht für anerkannte Tier-
schutzverbände einführen

– Drucksache 17/13477 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Schmidt (Aachen), Siegmund Ehrmann, Angelika
Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen
und Männern auch im Kunst-, Kultur- und
Medienbereich

– Drucksache 17/13478 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Tabea Rößner, Harald Ebner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Ländliche Räume als Lebensräume bewahren
und zukunftsfähig gestalten

– Drucksache 17/13490 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Harald Ebner, Uwe Kekeritz, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Für eine kohärente Politikstrategie zur Über-
windung des Hungers

– Drucksache 17/13492 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Bettina Herlitzius, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Atomrisiken ernst nehmen – Auch in Bezug
auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Bel-
gien

– Drucksache 17/13491 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a und b, 57 d
bis h sowie 57 j bis q sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b
auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla-
gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 57 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Seearbeitsübereinkommen 2006 der
Internationalen Arbeitsorganisation vom
23. Februar 2006

– Drucksache 17/13059 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 17/13302 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13302,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 17/13059 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dage-
gen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das Ergebnis ist wie vorhin, alle stimmen dafür. Wer
stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand.
Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli
2012 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Österreich über die
Nachnutzung der ehemaligen deutsch-öster-
reichischen gemeinschaftlichen Grenzzolläm-
ter

– Drucksache 17/12954 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/13346 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Petra Hinz (Essen)


Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/13346, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12954 an-
zunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dage-
gen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die
Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommis-
sion vom 3. November 2011 zur Festlegung
technischer Vorschriften und von Verwal-
tungsverfahren in Bezug auf das fliegende Per-
sonal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verord-
nung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 20. Februar
2008

– Drucksache 17/13029 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13349 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Behrens

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13349, den Gesetzentwurf der Bundesre-

gierung auf Drucksache 17/13029 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen des Hauses.
Gegenprobe! – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind wiederum alle Kolleginnen und Kollegen. Wer
stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Ebenfalls
niemand. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung (EU)

Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 16. Februar 2011 über die
Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und
zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/
2004

– Drucksache 17/13031 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13350 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Gottschalck

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13350, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/13031 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Enthaltungen? – Das sind die Fraktion der
Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Sozialdemo-
kraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 57 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes

– Drucksache 17/13028 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)






Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


– Drucksache 17/13352 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13352, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/13028 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen
und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt da-
gegen? – Niemand. Enthaltungen? – Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemo-
kraten. Gegenstimmen? – Niemand. Enthaltungen? –
Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke. Der
Gesetzentwurf ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 g:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Abkommens vom 11. April
1955 über die Internationale Finanz-Corpora-
tion

– Drucksache 17/12953 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19. Ausschuss)


– Drucksache 17/13366 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle
Dr. Barbara Hendricks
Harald Leibrecht
Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13366, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12953 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Links-
fraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Sozialdemokraten

und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 57 h:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstra-
ßenmautgesetzes

– Drucksache 17/13027 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13465 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13465, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/13027 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion der Sozialdemo-
kraten. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen und
Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Linksfraktion und
Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Tagesordnungspunkte 57 j bis q; das sind die Be-
schlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 57 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 582 zu Petitionen

– Drucksache 17/13260 –

Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltun-
gen? – Niemand. Sammelübersicht 582 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 583 zu Petitionen

– Drucksache 17/13261 –

Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? –
Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen.
Sammelübersicht 583 ist angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Tagesordnungspunkt 57 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 584 zu Petitionen

– Drucksache 17/13262 –

Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltun-
gen? – Niemand. Sammelübersicht 584 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 585 zu Petitionen

– Drucksache 17/13263 –

Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen, Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dage-
gen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? –
Niemand. Die Sammelübersicht 585 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 586 zu Petitionen

– Drucksache 17/13264 –

Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? –
Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Links-
fraktion. Sammelübersicht 586 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 587 zu Petitionen

– Drucksache 17/13265 –

Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen und Frak-
tion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? –
Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 587 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 588 zu Petitionen

– Drucksache 17/13266 –

Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen und Links-
fraktion. Wer stimmt dagegen? – Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Niemand.
Sammelübersicht 588 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 57 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 589 zu Petitionen

– Drucksache 17/13267 –

Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? – Die drei Oppositionsfraktionen. Ent-
haltungen? – Niemand. Sammelübersicht 589 ist ange-
nommen.

Zusatzpunkt 3 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsun-
falldatenbankgesetzes (SchUnfDatG)


– Drucksache 17/13032 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13532 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Valerie Wilms

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13532, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/13032 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen
und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? –
Linksfraktion. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialde-
mokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion. Enthal-
tungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.

Zusatzpunkt 3 b:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– zu der Verordnung des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie

Verordnung über die Zulassung von Bewa-

(Seeschiffbewachungsverordnung – SeeBewachV)


– zu der Verordnung des Bundesamtes für Wirt-
schaft und Ausfuhrkontrolle

Verordnung zur Durchführung der See-

(Seeschiffbe Vizepräsident Eduard Oswald wachungsdurchführungsverordnung – SeeBewachDV)





(A) (C)


(D)(B)


– Drucksachen 17/13308, 17/13309, 17/13525 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Ingo Egloff

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, der Verordnung des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie über die
Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschif-
fen auf Drucksache 17/13308 in der Ausschussfassung
zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! –
Linksfraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, der Ver-
ordnung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhr-
kontrolle zur Durchführung der Seeschiffbewachungs-
verordnung auf Drucksache 17/13309 in der
Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Linksfraktion. Enthaltungen? –
Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Nie-
mand. Enthaltungen? – Das sind die drei Oppositions-
fraktionen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmungen
haben wir geschafft.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD:

Ein Jahr Bundesminister Peter Altmaier – Bi-
lanz der Chancen, Reden und Ergebnisse

Ich habe eine Änderung der Rednerliste bekommen.
Diese wird den Fraktionen bekannt gegeben.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer
Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokra-
ten unser Kollege Ulrich Kelber. Bitte schön, Kollege
Ulrich Kelber.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1724008700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Vor etwa einem Jahr löste Frau Bundeskanzlerin
Merkel den damaligen Umweltminister Röttgen wegen
Erfolglosigkeit ab. Peter Altmaier sollte nun verhindern,
nachdem die CDU alle Landtagswahlen seit 2009 verlo-
ren hat, dass das Missmanagement bei der Energiewende
auch das Bundestagswahlergebnis verhageln könnte.
Nach einem Jahr Umweltminister Altmaier können wir
eine Bilanz ziehen: netter Typ, bunte Show, praktisch
keine Ergebnisse.

Es ist natürlich viel angenehmer, mit Peter Altmaier
zu sprechen und ihm zuzuhören als früheren oder aktuel-
len Energiepolitikern von CDU/CSU. Da schwärmt ei-
ner von den Chancen der Erneuerbaren. Da betont einer
die Wichtigkeit von Klimaschutz. Da redet einer von
Biodiversität. Da beschwört einer den Ressourcenschutz.
Aber dann kommt leider die Methode Norbert Röttgen:
Nach den warmen Worten folgt nichts oder sogar das
Gegenteil des Angekündigten. Dieser Altmaier bremst
dann die Erneuerbaren aus. Dieser Altmaier kämpft dann
gegen wichtige Instrumente zum Klimaschutz. Dieser
Altmaier folgt dann dem Landwirtschafts- und dem
Wirtschaftsministerium und tut nichts für die Biodiversi-
tät. Dieser Altmaier legt dann kein Wertstoffgesetz vor.
Das ist die Nullbilanz von Peter Altmaier.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere vier Redner werden das an den Themen Ener-
gie, Fracking, Klimaschutz und internationale Atompoli-
tik exemplarisch darlegen. Leider haben wir nur vier
Redner in der Debatte. Es hätte sicherlich mehr Themen
gegeben, an denen man das Ganze hätte veranschauli-
chen können.

Ich widme mich dem Thema Energie. Da staunt die
Öffentlichkeit seit etwa einem Jahr über den Dauerstreit
Altmaier und Rösler. Sie muss diesem Dauerstreit zu-
schauen. Das ist immerhin soziale Gleichheit; denn auch
die Bundeskanzlerin schaut diesem Dauerstreit nur zu.

Eine bessere Koordinierung der Energiepolitik hatte
Peter Altmaier vor einem Jahr versprochen. Ein einfa-
cher Faktencheck: Gestern haben wir ein Jubelpapier der
Regierung zu ihrer Energiepolitik erhalten. Sucht man
dort nach dem Thema „Interne Koordinierung“, findet
man tatsächlich einen Punkt: Die Staatssekretäre der be-
teiligten Ministerien träfen sich jetzt zweimal im Jahr.
Das ist die Koordinierung der Energiepolitik.

Lieber Peter Altmaier: Man kann sich nicht aussu-
chen, mit wem man regiert. Ich gestehe Ihnen zu, dass
Herr Rösler wirklich eine Prüfung ist, wenn man mit ihm
zusammen Ergebnisse erzielen muss. Die Frage aller-
dings ist: Warum müssen Sie immer nachgeben? Warum
darf Herr Rösler die Energieeffizienzrichtlinie in Brüssel
blockieren? Warum darf er verhindern, dass der Emis-
sionshandel repariert wird? Warum können Sie nicht
durchsetzen, dass Deutschland ambitionierte Klima-
schutzziele nach Brüssel meldet? Warum kämpfen Sie
gemeinsam mit Herrn Rösler dafür, dass auch neue Au-
tos weiterhin viel Benzin verbrauchen dürfen? Das ver-
stehen wir nicht, Peter Altmaier. Was hat die Umwelt
von einem Umweltminister, der keine Umweltpolitik
macht? Gar nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein besonderes Bubenstück war die sogenannte
Strompreisbremse. In dem Papier ist richtig analysiert
worden, dass nicht der Zubau der Erneuerbaren den
Strompreis treibt, sondern das gesetzlich erzwungene
Verscherbeln des aus erneuerbaren Energien gewonne-
nen Stroms an der Spotmarktbörse. Aber genau für die-





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


ses Problem legt der Minister dann keinen Vorschlag
vor, sondern sagt: Ich will den Zubau der erneuerbaren
Energien ausbremsen. Das ist das, was stört. Und dann
geht er auch noch mit Pathos hin und sagt: Wenn meinen
Vorschlägen nicht gefolgt wird, dann kostet das 1 Billion
Euro. Ging es nicht eine Nummer kleiner, Peter
Altmaier?


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Nein, geht halt nicht!)


Bis heute weigert er sich, diese Zahl zu erklären. Auf
eine schriftliche Anfrage antwortete er, er könne das nur
mündlich unter vier Augen und nicht in der Öffentlich-
keit machen.

Peter Altmaier vermittelt immer mehr den Eindruck,
man müsse bei der Energiewende auf die Wendebremse
treten. Er stellt den Zuwachs der erneuerbaren Energien
als Problem dar. Dabei ist der Zuwachs, ein schneller
Zuwachs, die Chance und die Lösung. Wir Sozialdemo-
kraten sind stolz darauf, dass der weltweite Erfolg erneu-
erbarer Energien immer mit dem Namen und dem Wir-
ken unseres verstorbenen Parteifreundes Hermann
Scheer verbunden bleiben wird. Wir wollen nicht auf die
Bremse treten.


(Beifall bei der SPD)


In Wirklichkeit haben Sie längst alle Regierungsver-
suche eingestellt. Im Rahmen des Beirats der Bundes-
netzagentur haben wir Staatssekretär Becker, Herr über
Hunderte Fachbeamte, gefragt, welche Vorschläge die
Regierung für diese konkreten Probleme vorlegen
würde. Einige, die hier sitzen, waren anwesend. Die Ant-
wort lautete: Wir werden keinen Vorschlag machen. Ma-
chen Sie doch einen Vorschlag an dieser Stelle. – Dazu
passt das, was Sie mir letzte Woche auf Twitter geschrie-
ben haben; wir treffen uns da häufiger virtuell. Sie haben
mich tatsächlich gefragt, was denn eine SPD-Regierung
in Zukunft zur Förderung der erneuerbaren Energien ma-
chen wird.


(Dr. Thomas Gebhart [CDU/CSU]: Das ist doch legitim!)


So sehr hat sich wohl noch kein Minister die eigene Ab-
lösung herbeigesehnt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Gebhart [CDU/CSU]: Und die Antwort?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724008800

Vielen Dank, Kollege Ulrich Kelber.

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Dr. Christian
Ruck. – Bitte schön, Kollege Dr. Ruck.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1724008900

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Aktuelle Stunde der SPD hat nur den
einen durchsichtigen Sinn: eine polemische Kampagne
gegen unseren engagierten Umweltminister Peter
Altmaier zu führen. Das ist sowohl schäbig als auch
scheinheilig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sehr parlamentarischer Ausdruck!)


Es ist schäbig, weil die Vorwürfe entweder an die falsche
Adresse gerichtet oder schlichtweg falsch sind. Das
nennt man Verleumdung. Scheinheilig ist es, weil die
Opposition von ihrem eigenen umweltpolitischen Versa-
gen ablenken will.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Wahrheit hat Bundesumweltminister Altmaier in
knapp einem Jahr Amtszeit mehr erreicht und angesto-
ßen als so mancher rote und grüne Amtsvorgänger zuvor
in einer ganzen Legislaturperiode.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte? Ausgebremst!)


Zu den erneuerbaren Energien: Entgegen Ihren Be-
hauptungen und falschen Thesen haben die erneuerbaren
Energien unter der Amtszeit Peter Altmaiers gewaltig
zugelegt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie die Meldungen zu Offshore gestern nicht gelesen?)


2012 wurden 10 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren
Energien erzeugt als 2011, und das, obwohl Peter
Altmaier völlig zu Recht und entgegen dem erbitterten
Widerstand mit seiner PV-Novelle dafür gesorgt hat,


(Ulrich Kelber [SPD]: Die sind alle vor seiner Amtszeit begonnen worden!)


dass die Photovoltaik heute nicht mehr der Hauptkosten-
treiber bei der Energiewende ist.


(Florian Pronold [SPD]: Da hat die „RuckRede“ eine völlig neue Bedeutung!)


Zum Bundesbedarfsplangesetz: Auch hier hat Peter
Altmaier gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminis-
ter den Netzausbau vorangetrieben und die Grundlagen
für einen weiteren Ausbau gelegt. Ich erinnere an dieser
Stelle auch an die neue Haftungsregelung im Bereich
Offshore und die Bundeskompensationsverordnung,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Darauf seid ihr auch noch stolz!)


bei denen Peter Altmaier für ein einheitliches Verfahren,
für mehr Transparenz und Effektivität gesorgt hat.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Offshoreregelung kostet die Kunden 1 Milliarde pro Jahr!)


Zu den KfW-Förderprogrammen für dezentrale
Stromspeicher: Auch hier hat Peter Altmaier die Integra-
tion der erneuerbaren Energien gefördert und die Spei-
chertechnologien stärker in den Markt gebracht.





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)



(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses!)


Zur organisatorischen Neuordnung des BMU: Mit
den drei neuen Unterabteilungen hat der Minister Kom-
petenzen gebündelt


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neue Abteilungen geschaffen!)


und die Strukturen für die großen Herausforderungen der
Umwelt- und Energiepolitik geschaffen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat Altmaier gar nichts dran gemacht!)


Zum Asse-Gesetz: Im großen Konsens aller Akteure
hat der Minister sichergestellt, dass die Rückholung der
Abfälle die bevorzugte Lösung ist. Auch das ist das Ver-
dienst von Peter Altmaier.

Zum Standortauswahlgesetz: Wir haben morgen die
erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf. Der parteiüber-
greifende Konsens in dieser so wichtigen und auch gene-
rationenübergreifenden Frage ist ebenfalls das Ergebnis
einer wirklich unermüdlichen Anstrengung von Peter
Altmaier.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dass ihr aufgehört habt, zu blockieren! Der Vorschlag war seit zehn Jahren auf dem Tisch!)


Ich möchte die Opposition warnen, diesen Kompromiss
jetzt mit parteitaktischen Spielchen zu gefährden. Wer
jetzt noch Absetzbewegungen vornimmt, betreibt Sabo-
tage auf dem Rücken zukünftiger Generationen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sagt ein Vertreter der CSU?)


– So ist es.

Weitere Beispiele: die Mittelstandsinitiative Energie-
wende und die kostenlose Energieberatung für einkom-
mensschwache Haushalte. Kurz: Alle Vorhaben des
10-Punkte-Programms, das Peter Altmaier am 16. Au-
gust letzten Jahres vorgestellt hat, hat er entweder enga-
giert umgesetzt


(Zuruf von der SPD: Fracking!)


oder sind in der Mache.


(Beifall bei der CDU/CSU – Marco Bülow [SPD]: „In der Mache“! Das hören wir jetzt seit Jahren! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle zehn Punkte sind in der Mache!)


Hier möchte ich insbesondere auf seinen Verfahrens-
vorschlag für die mehr als notwendige Überarbeitung
des EEG hinweisen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Wieso macht ihr das denn nicht alles? Immer nur Vorankündigungen! – Ulrich Kelber [SPD]: Hätte, könnte, sollte, müsste!)


Die Vorarbeiten für eine grundlegende Reform des EEG
hat Peter Altmaier vorangetrieben. Ich glaube schon,
dass diese Reform des EEG entscheidend für den Erfolg
der Energiewende ist, entscheidend dafür ist, ob wir es
trotz Energiewende schaffen, dass die Industrie das
Rückgrat unserer Wirtschaft bleibt, sodass wir ein Bei-
spiel für die Welt sein können.

Gerade beim EEG und bei Peter Altmaiers Vorschlag
zur Strompreisbremse zeigt sich die Scheinheiligkeit der
Opposition:


(Ulrich Kelber [SPD]: Die CSU hat doch einem Großteil widersprochen! Sie sind doch ein Gegner der Vorschläge!)


Auf der einen Seite lamentieren Sie laut über steigende
Energiepreise, auf der anderen Seite lehnen Sie über die
Länder die preisdämpfenden Vorschläge von Peter
Altmaier ab. Das ist keine verantwortungsvolle Energie-
politik.


(Florian Pronold [SPD]: Selbstkritik der CSU! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind doch ein Gegner der Strompreisbremse!)


Der Höhepunkt Ihrer verantwortungsvollen Haltung war
Ihr jämmerlicher Auftritt im Zusammenhang mit der
steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanie-
rung. Das bleibt ein Skandal, und da lassen wir Sie auch
nicht aus der Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Scheinheilig ist auch Ihre Nummer, dem Umweltmi-
nister bei seinem mutigen Eintreten für internationale
Umweltbelange ständig in den Rücken zu fallen,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Rolf Hempelmann [SPD]: Hohle Worte! Sonst nichts!)


und das bei dem massiven Gegenwind, den gerade der
internationale Umweltschutz in dieser Zeit verspürt; das
sehen wir auch beim Klimaschutz. Wenn ich mir dann
auch noch die zwielichtige Haltung etwa der rot-grünen
Landesregierung in Nordrhein-Westfalen – Stichwort
„Kohle“, Stichwort „Backloading“ –


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Ihre Leute denn gemacht? – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Abgeordneten haben im Parlament dagegen gestimmt, die SPD nicht!)


oder die schwachbrüstige Bilanz der rot-grünen Landes-
regierung von Baden-Württemberg bei den erneuerbaren
Energien anschaue, dann bleibt als Resümee der rot-grü-
nen Umweltpolitik nur übrig: Scheinheiligkeit als Partei-
taktik.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinheiligkeit ist Ihre Taktik! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für eine Scheinheiligkeit in Bayern!)


Das ist für eine zukunftsfähige Umweltpolitik zu wenig.





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)


Wir jedenfalls stärken Peter Altmaier bei seiner Um-
weltpolitik den Rücken.


(Marco Bülow [SPD]: Müssen Sie ja nur noch ein paar Monate machen!)


Mut in der Umweltpolitik birgt natürlich viele Risiken
und ruft Kritik hervor, vor allem, wenn es sich um große
internationale Herausforderungen oder um ein Megapro-
jekt wie die Energiewende handelt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724009000

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1724009100

Gerade in der Umweltpolitik gilt: Wer nicht kämpft,

der hat schon verloren. Darum sind wir sehr froh da-
rüber, dass Peter Altmaier unser Bundesumweltminister
ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt aber jetzt halbgar!)


Wir brauchen ihn, die Umwelt braucht ihn; aber die Um-
welt braucht keine rot-grünen Saboteure.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hilft dem Altmaier aber nicht, was Sie da sagen!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724009200

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für

die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Eva
Bulling-Schröter. Bitte schön, Frau Kollegin.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724009300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Peter Altmaier ist ein angenehmer Zeitgenosse. Ich per-
sönlich nehme dem Umweltminister auch ab, dass er die
Energiewende tatsächlich will. Aber im politischen Ge-
schäft ist das letztlich unerheblich; denn die Bundesre-
gierung als Ganzes will diese Wende offensichtlich nicht
bzw. nur gebremst oder verzögert.


(Florian Pronold [SPD]: Die Bundeskanzlerin hat sie ja gestoppt!)


Da nutzt weder Nettigkeit noch ein tatkräftig federnder
Gang – es zählt, was am Ende herauskommt.

In Sachen Klimaschutz bescheinigt gerade das Um-
weltbundesamt der Bundesregierung, dass mehr heraus-
kommt, nämlich mehr CO2 aus deutschen Kohlekraft-
werken und Industriebetrieben, und zwar deshalb, weil
der EU-Emissionshandel versagt hat. Auf dem Markt be-
finden sich rund 1,7 Milliarden CO2-Emissionszertifi-
kate zu viel, vor allem aufgrund von Überzuteilungen an
die Wirtschaft und einer Schwemme fauler Zertifikate
aus Auslandsprojekten. Die deutsche Regierung enthält
sich in Brüssel, wenn es darum geht, diese Überschüsse
auch nur zeitweise stillzulegen. Und diese Entscheidung
ist gegen den Klimaschutz und pro Erderwärmung, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann jetzt nicht beurteilen, wie hart Peter
Altmaier und Philipp Rösler in Sachen Emissionshandel
verhandelt haben; ich weiß es nicht. Am Ende hat jeden-
falls die Industrie- und Kohlelobby gesiegt, also der
FDP-Wirtschaftsminister. Eine Reform des Emissions-
handels wird in Brüssel aber nicht nur von den Libera-
len, sondern auch von den deutschen Abgeordneten der
Union mehrheitlich blockiert. Herr Altmaier, ich kann
Ihnen nur sagen: Sie haben offensichtlich Ihren eigenen
Laden nicht im Griff.

Wir Linke streiten nach dem Scheitern des Emissions-
handels für ein Kohleausstiegsgesetz; denn ein radikales
Umsteuern im Kraftwerksbereich ist dringend notwen-
dig.


(Beifall bei der LINKEN – Horst Meierhofer [FDP]: Sehen das die Brandenburger Linken auch so?)


Grüne und SPD schlagen hingegen so etwas wie Preis-
untergrenzen für CO2-Zertifikate vor. Sehr mutige Poli-
tik, muss ich sagen. Viel Spaß beim Rumdoktern!

Der Vollständigkeit halber sollte man ohnehin anfü-
gen, dass die Ursachen für die gegenwärtige Zertifikats-
schwemme nicht bei Schwarz-Gelb liegen, sondern
bei Rot-Grün bzw. Schwarz-Rot. Leute wie Schröder,
Clement, Trittin oder Gabriel


(Ulrich Kelber [SPD]: Oder Roland Claus, der die Sonderregelung für die Braunkohle gefordert hat!)


haben die Spielregeln für den Emissionshandel genauso
mit aufgestellt


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht die Linke in Brandenburg neuen Tagebau?)


bzw. in Brüssel maßgeblich beeinflusst wie Bundeskanz-
lerin Merkel. Kostenlose Zuteilung statt Versteigerung,
großzügige Anrechnung windiger Auslandszertifikate,
Überzuteilung an die Industrie, irrsinnige Extraprofite
für Energieversorger – das alles geht auf Ihr Konto und
fällt auf Sie zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt haben wir den Salat.

Mir wird auch ganz mulmig, wenn ich an das Endla-
gersuchgesetz denke, zu dem diese ganz große Koalition
gerade so einen tollen Konsens erbrütet hat. Auch hier
wurde die Linke wieder einmal von den anderen vier
Fraktionen ausgegrenzt. Das Ergebnis: ein Endlager-
suchverfahren, das die Beteiligung der Bürgerinnen und
Bürger zu einer Alibiveranstaltung macht.


(Michael Kauch [FDP]: Das ist doch abwegig!)


Weder die Linke noch die engagierten Bürgerinnen
und Bürger um Gorleben, Morsleben, Schacht Konrad
oder die Asse wurden zu den Gipfelgesprächen mit den
Fraktionen des Bundestages hinzugezogen. Angesichts
jahrzehntelangen Widerstands und der Sachkenntnis die-





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)


ser Bewegung halte ich das für eine Ohrfeige für die De-
mokratie.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Ach Mensch, Frau Bulling!)


Obwohl die Castoren mit ihrem Atommüll noch Jahr-
zehnte oberirdisch abkühlen müssen, setzen die etablier-
ten Parteien wieder auf Tempo statt auf Qualität und
Transparenz.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Quatsch!)


Richtig wäre es aber gewesen, zunächst eine gesell-
schaftliche Debatte darüber zu führen, wie Deutschland
grundsätzlich mit dem Atommüll umgehen soll, und die
Fehler der Vergangenheit schonungslos aufzuarbeiten.
Schließlich werden jetzt die Weichen für eine Atom-
müllverwahrung über mehrere Hunderttausend Jahre ge-
stellt. Dabei sollten Profilneurosen und Wahlkampfge-
töse eigentlich mal außen vor bleiben können – sind sie
aber leider nicht. Ein Endlagersuchgesetz dürfte erst am
Ende einer gesellschaftlichen Debatte stehen, nicht am
Anfang.


(Horst Meierhofer [FDP]: Nur nichts tun!)


Dass Mitreden nicht gewollt ist, darauf gibt das merk-
würdige Endlagersuchgesetz-Symposium Ende Mai ei-
nen Vorgeschmack. Hier soll nun die Öffentlichkeit an
der Diskussion über dieses Thema beteiligt werden: bei
einer zweieinhalb Tage dauernden Veranstaltung, für die
zwei Wochen vor Beginn – heute habe ich die Einladung
gesehen – weder die Tagesordnung feststeht noch klar
ist, welche Referentinnen und Referenten da sein wer-
den. Kein Wunder, dass die Antiatominitiativen überle-
gen, diese Alibiveranstaltung zu boykottieren – zu
Recht, wie ich finde.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724009400

Vielen Dank, Frau Kollegin Eva Bulling-Schröter. –

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde für die
Fraktion der FDP unser Kollege Michael Kauch. Bitte
schön, Kollege Michael Kauch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1724009500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das waren

vier gute Jahre mit dieser Regierungskoalition für den
Umweltschutz in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht denn die Bilanz der letzten vier Jahre?)


Wir waren es, die die Energiewende beschlossen haben.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie konnten ja gar nicht anders! – Zuruf von der SPD: Realitätsverlust!)


Sie haben es nicht hinbekommen, aus der Kernkraft aus-
zusteigen


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und gleichzeitig in das Zeitalter der erneuerbaren Ener-
gien einzusteigen. Das war die Koalition aus Union und
FDP, die das gemacht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb waren es vier gute Jahre für den Umweltschutz.


(Ulrich Kelber [SPD]: Kann ich Sie für meinen nächsten Kindergeburtstag buchen?)


Meine Damen und Herren, wir haben eine dynami-
sche Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien
erreicht und gleichzeitig die Subventionen für die Solar-
energie massiv gesenkt. Als wir die Regierungsverant-
wortung übernahmen, haben wir 43 Cent für die Kilo-
wattstunde Solarstrom bezahlt, genauer gesagt: haben
die Stromkunden mit ihrer Rechnung bezahlt. Jetzt ver-
güten wir weniger als 16 Cent; dennoch konnten wir in
den letzten vier Jahren den stärksten Ausbau der Solar-
technik in Deutschland verzeichnen. Das ist kluge Poli-
tik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Mehr Ökostrom für weniger Geld – das ist unser Ansatz.
Ihr Ansatz ist: mehr Geld, möglichst viel Geld und dann
gucken, was dabei herauskommt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Leute merken ja an ihren Rechnungen, wie Sie es billiger gemacht haben!)


Wir haben für die Gebäudesanierung dauerhaft ein Fi-
nanzvolumen von 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Selbst jetzt, wo wir Probleme mit dem Energie- und Kli-
mafonds haben, ist an dieser Stelle kein einziger Euro ge-
kürzt worden. Wir haben das Mietrecht in Bezug auf
energetische Sanierungen modernisiert. Wir waren auch
diejenigen, die eine weitere Förderung der Gebäudesa-
nierung mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro hier
im Deutschen Bundestag beschlossen haben, nämlich die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung. Das haben
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im
Bundesrat abgelehnt. Sie stellen die Blockademehrheit
im Bundesrat. Sie können es nicht dieser Regierung an-
lasten, wenn Sie im Bundesrat ständig blockieren. Wir
haben unsere Hausaufgaben in Sachen Energieeffizienz
gemacht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese Regierung hat auch den Großkonflikt um die
Atomkraft beendet.





Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)



(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir haben einen Bundesumweltminister, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, einen gesellschaftlichen Konsens
herbeizuführen.

Und es ist diese Regierung, die die Mittel für den in-
ternationalen Klima- und Umweltschutz sowie den
Waldschutz erhöht hat. Auch im Bereich der internatio-
nalen Umweltpolitik waren das vier gute Jahre für den
Umweltschutz.

Aber auch auf nationaler Ebene hat diese Regierung
viel auf den Weg gebracht, gerade für den Naturschutz.
Es ist diese Bundesregierung gewesen, die endlich ein
Bundesprogramm Biologische Vielfalt aufgelegt hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo? Keine Regierung, die so wenig für den Naturschutz gemacht hat!)


Es ist diese Regierung, die ein Bundesprogramm zur
Wiedervernetzung von zerschnittenen Lebensräumen
eingeführt hat. Es ist diese Regierung, die die Luftrein-
haltung vorangebracht hat, indem sie die Standards für
Kraftwerke erhöht hat,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschlussbilanz von Herrn Kauch!)


indem sie die Standards für Kleinfeuerungsanlagen er-
höht hat, indem sie die Rußpartikelfilter für Pkw geför-
dert hat. Auch für den Naturschutz und die Luftreinhal-
tung waren das vier gute Jahre für Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kauch, das nützt Ihnen nichts! Das nützt Ihnen gar nichts! Sie werden abgewählt!)


In Sachen Lärmschutz haben die SPD und ihre Um-
weltminister jahrelang geschlafen. Sie haben alle unsere
Anträge zum Lärmschutz bei der Bahn abgelehnt. Wir
haben lärmabhängige Trassenpreise eingeführt. Wir ha-
ben den Schienenbonus abgeschafft. Auch hier waren
das vier gute Jahre für den Lärmschutz in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Ab 2018 für Neubaustrecken! Das ist nicht einmal mehr eine Nebelkerze!)


Wir haben unsere Hausaufgaben auch bei anderen
Dingen gemacht. Wir sind diejenigen, die dafür sorgen
wollen, dass die Strompreise zum 1. Januar 2014 nicht
weiter steigen. Deshalb haben die Minister Altmaier und
Rösler ein Konzept vorgelegt. Dieses Konzept haben die
Koalitionsfraktionen noch einmal verbessert. Und wer
blockiert wieder? Die rot-grünen Länder im Bundesrat
signalisieren: Nein, wir wollen, dass die Strompreise
zum 1. Januar 2014 weiter steigen, damit keine Lobby
auf irgendetwas verzichten muss.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Alles Lügen!)


Das ist rot-grüne Politik. Unsere Politik ist es, die Kos-
ten für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, auch beim Thema Emis-
sionshandel wird hier viel heiße Luft verbreitet. Die Kol-
legin Bulling-Schröter hat dankenswerterweise schon
deutlich gemacht, dass nicht die FDP dafür verantwort-
lich ist, dass übermäßig viele Zertifikate in den vergan-
genen Handelsperioden verteilt worden sind.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind verantwortlich! Herr Rösler ist verantwortlich!)


Die FDP macht aber zugleich deutlich, dass dieser Emis-
sionshandel nicht gescheitert ist;


(Zuruf des Abg. Frank Schwabe [SPD])


denn das wesentliche Ziel des Emissionshandels ist er-
reicht worden, nämlich die Klimaschutzziele in Deutsch-
land und Europa bei möglichst niedrigen Kosten einzu-
halten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Also wollt ihr doch mehr Zertifikate!)


Anders als in den Sektoren, in denen wir keinen Emis-
sionshandel haben, ist das Klimaschutzziel in den Emis-
sionshandelssektoren eingehalten worden. In den Sekto-
ren, in denen wir Probleme haben, gibt es keinen
Emissionshandel. Deshalb ist es ein Märchen, dass der
Emissionshandel gescheitert ist.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Witz! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selten so gelacht!)


Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724009600

Vielen Dank, Kollege Michael Kauch. – Nächste

Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Bärbel
Höhn. Bitte schön, Frau Kollegin Bärbel Höhn.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724009700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man von Herrn Kauch gehört hat, welch tolle Poli-
tik die FDP gemacht hat, kann man gar nicht verstehen,
warum die FDP momentan in den Umfragen so schlecht
dasteht. – Es wird Zeit, dass endlich wieder Taten spre-
chen und nicht Worte. Es wird Zeit für eine Verände-
rung. Ab dem 22. September ist es so weit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und es wird kommen!)


Herr Minister Altmaier, Sie sind jetzt seit einem Jahr
im Amt. Ich wünsche Ihnen, dass das für Sie persönlich
ein gutes Jahr war. Für die Energiewende, für den
Umweltschutz und für den Klimaschutz war es ein
schlechtes Jahr. 20 Jahre lang ging der Ausstoß an Kli-
magasen zurück. Das erste Mal, dass wir wieder einen





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)


Anstieg verzeichnet haben, war das erste Jahr Ihrer
Amtszeit, Herr Altmaier. Dieses Jahr ist das erste Jahr, in
dem die CO2-Werte wieder gestiegen sind, und zwar um
1,6 Prozent.

Für ein Jahrzehnt fungierte der Ausbau der erneuerba-
ren Energien als Jobmotor für Deutschland. In Ihren
ersten zwölf Monaten ist die Zahl der Arbeitsplätze in
diesem Bereich durch den Zusammenbruch der Photo-
voltaikwirtschaft in großen Teilen Deutschlands zum
ersten Mal zurückgegangen. Sie sind der erste Umwelt-
minister in der Geschichte Deutschlands, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, den Ausbau der Erneuerbaren
auszubremsen, anstatt ihn zu fördern.

Sie haben nicht die Entscheidung des Europaparla-
ments verhindert, wodurch es jetzt weniger Klimaschutz
geben wird. Ein Beschluss für mehr Klimaschutz ist an
Deutschland gescheitert, an deutschen Abgeordneten, an
Konservativen und Liberalen, die sich gegen einen ehr-
geizigen Klimaschutz in Europa ausgesprochen haben.
Deutschland ist in Ihrer Amtszeit letzten Endes zum
Hindernis für europäischen Klimaschutz geworden.

Morgen werden Sie Ihren einzigen Erfolg erzielen.
Morgen wird nämlich das sogenannte Atommüllend-
lagersuchgesetz in den Bundestag eingebracht. Aber
auch diesen Erfolg haben Sie nur Rot-Grün zu verdan-
ken. Denn es war Ministerpräsident Kretschmann, der
diesen Prozess wieder eröffnet hat, indem er gesagt hat:
Ich bin bereit, auch in Baden-Württemberg nach einem
Endlagerstandort suchen zu lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es sind rot-grüne Regierungen wie die von Schles-
wig-Holstein und Baden-Württemberg, die sagen: Okay,
damit es keinen Castortransport mehr nach Gorleben
gibt, sind wir bereit, den Müll in Zwischenlagern bei uns
aufzubewahren. Wo ist Bayern? Wo ist Hessen? Herr
Ruck, Sie sind scheinheilig: Sie wollen die Zwischen-
lagerung und das Endlager nicht in Ihren konservativen
Bundesländern, stellen sich hier aber hin und versuchen,
Rot-Grün die Schuld zu geben. Das ist nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mies!)


Die Bilanz dieses ersten Jahres als Bundesumweltmi-
nister ist eine traurige Bilanz für den Umweltschutz. Ich
komme noch einmal auf die Entscheidung im Europa-
parlament zurück. Herr Altmaier, Sie hatten einen
flehenden Brief an die Kollegen von CDU und CSU ge-
schrieben. Was war der Erfolg? Die CSU hat fast ge-
schlossen nicht in Ihrem Sinne, sondern gegen den Kli-
maschutz gestimmt. Es war der Kollege Reul von der
CDU, der den Widerstand gegen den Klimaschutz auf
EU-Ebene massiv nach vorne getrieben hat. Auch die
FDP – dazu steht sie – hat gegen den Klimaschutz ge-
stimmt.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschlossen!)


– Geschlossen dagegen gestimmt. – Das heißt, auch die
Kanzlerin zeigt Ihnen die kalte Schulter und hat nur ein
paar warme Worte übrig. Das bedeutet andersherum: Sie
stehen mit Ihrer Politik und Ihren Positionen alleine da.
Sie werden von den eigenen Kollegen alleine gelassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD] – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von der Kanzlerin!)


Was machen Sie? Sie schreiben eine Zeitungs-
kolumne. Das machen Sie gar nicht so schlecht. Die ei-
gentliche Frage ist doch, ob Sie das nicht sogar besser
können. Also lautet mein guter Rat: Ab dem 22. Septem-
ber sollten Sie Zeitungskolumnen schreiben, statt Bun-
desumweltminister zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Marco Bülow [SPD])


Gerade beim Naturschutz, Herr Ruck, der Ihnen ei-
gentlich so am Herzen liegt, ist die Bilanz nach diesem
einen Jahr verheerend. Bei der Kompensationsverord-
nung geht es nun nur noch um die Frage: Wie machen
Sie es Naturzerstörern einfacher, das zu tun, was die
wollen? Sie wollen es ihnen einfacher machen, indem
sie sich freikaufen können. Das Einzige, was Sie in die-
sem Jahr für den Naturschutz zu bieten haben, ist, dass
Sie einen Ablasshandel zulasten der Natur auf den Weg
bringen wollen. Das wird nicht mehr Geld für den Natur-
schutz bringen, sondern weniger. Dieses Vorgehen ist
nicht in Ordnung und nicht gut für den Naturschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Angelika Brunkhorst [FDP]: Frau Höhn, die Fläche ist begrenzt!)


Nehmen wir das Thema Fracking. Sie sind dabei, ei-
nen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den erlaubt wird,
hochgiftige Chemikalien in den Untergrund zu pumpen.


(Horst Meierhofer [FDP]: Sie haben keine Ahnung!)


Sie sagen zwar, dass Sie Fracking verbieten wollen, aber
tatsächlich würde durch den Gesetzentwurf Fracking auf
über 80 Prozent der Landesfläche freigegeben werden.
Das ist letzten Endes kein Fracking-Verbotsgesetz, son-
dern ein Fracking-Ermöglichungsgesetz, was Sie da ma-
chen. Das lehnen wir ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich mir Ihre Amtszeit, Herr Altmaier, anschaue,
dann habe ich den Eindruck, Sie sind der Ritter von der
traurigen Gestalt. Sie haben keinen Rückhalt in den eige-
nen Reihen, kämpfen buchstäblich gegen Windmühlen
und bremsen die Erneuerbaren aus. Sie wollen gerne
Heldentaten vollbringen, aber das, was Sie beim Thema
Fracking machen, ist am Ende ein schlechter Kompro-
miss. Deshalb kann ich nur sagen: Sie sind immer noch
in Ihrer Rolle als Parlamentarischer Geschäftsführer: Sie
wollen unbedingt den Kompromiss, aber die Sache inte-





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)


ressiert Sie nicht. Das merkt man all den Entscheidun-
gen, die Sie treffen, an.

Wir wollen die Energiewende zum Erfolg führen. Wir
wollen wieder zum Vorreiter beim Klimaschutz werden.
Wir wollen, dass Naturschutz nicht nur ein Ablasshandel
ist. Wir wollen eine andere Politik, meine Damen und
Herren, und deshalb brauchen wir eine andere Regie-
rung. Dafür kämpfen wir am 22. September dieses
Jahres.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724009800

Vielen Dank, Frau Kollegin Bärbel Höhn. – Nächster

Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Bundes-
regierung Herr Bundesminister Peter Altmaier. Bitte
schön, Herr Bundesminister Peter Altmaier.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei Ihnen, lie-
ber Herr Kelber, und bei Ihnen, lieber Herr Miersch,
ganz herzlich für das nette Geburtstagsgeschenk, das Sie
mir gemacht haben, bedanken. Nicht jeder Minister hat
die Möglichkeit, nach einem Jahr im Amt über all das,
was in dieser Zeit geschehen ist und angestoßen worden
ist, vor dem deutschen Parlament und der deutschen Öf-
fentlichkeit zu berichten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wenn er sich eine Regierungserklärung zutrauen würde, schon!)


Einige haben gemeint, ich hätte meinem alten Freund
Thomas Oppermann etwas versprochen, damit er dafür
sorgt, dass dieser Punkt auf die Tagesordnung kommt.
Ich sehe das eher als eine Bestätigung des guten Verhält-
nisses an, das wir jenseits aller Polemik und allen Streits
in den letzten zwölf Monaten in fast allen wesentlichen
Fragen hatten. Deshalb möchte ich die verbleibenden
Redner ermuntern und bitten, ihr Licht nicht unter den
Scheffel zu stellen, indem sie das, was wir erreicht ha-
ben, kleiner machen, als es in Wirklichkeit ist. Nicht nur
die letzten vier Jahre, sondern auch das letzte Jahr waren
gute Jahre für den Umweltschutz und die Energiewende
in Deutschland. Manches hat diese Koalition vorange-
bracht, vieles haben wir gemeinsam bewegt.

Lassen Sie mich das im Einzelnen anhand der drei
großen Gesetzesvorhaben, die wir bereits verabschiedet
haben oder bis zur Sommerpause auf den Weg bringen
werden, erläutern: anhand des Asse-Gesetzes, der Re-
form der Photovoltaik und des Endlagersuchgesetzes.

Nachdem die Energiewende nach Fukushima be-
schlossen war, haben wir noch lange Zeit Debatten da-
rüber geführt, ob der Ausstieg aus der Kernenergie
endgültig ist oder nicht. Als ich Minister wurde, hat jede
Äußerung von mir in dieser Richtung Agenturmeldun-
gen und öffentliche Aufmerksamkeit provoziert. Inzwi-
schen ist es so, dass der Ausstieg aus der Kernenergie

eindeutig, umfassend und überall – nicht nur auf grünen
Parteitagen, sondern auch in der Wirtschaft, auch im
Mittelstand – akzeptiert ist und unterstützt wird.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Nachdem Sie zehn Jahre gebremst haben!)


Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es
richtig, dass wir für die Hinterlassenschaften dieser Ära
gemeinsam und im Konsens nach Lösungen suchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es war doch meine Entscheidung, als Erstes die Asse
zu besuchen, und zwar nicht alleine, sondern gemeinsam
mit dem vor Ort zuständigen Wahlkreisabgeordneten
Sigmar Gabriel – auch auf die Gefahr hin, dass die Statik
des Förderkorbes vielleicht überbeansprucht wird, wenn
wir beide gemeinsam drinsitzen. Jedenfalls haben wir
damit deutlich gemacht: Die Asse ist ein Thema, das
nicht innerhalb von Vierjahresschritten behandelt wer-
den kann, sondern über Wahltermine hinaus geregelt
werden muss.

Bei meinem damaligen Besuch habe ich angekündigt:
Wir machen ein Asse-Gesetz. – Das, was die Betroffe-
nen vor Ort über viele Jahre gefordert hatten, was weder
Sigmar Gabriel noch Jürgen Trittin erreichen konnten,
was die Betroffenen bis dahin von keinem anderen Bun-
desumweltminister bekommen konnten, habe ich ihnen
zugesagt, unter der Voraussetzung eines Konsenses im
Deutschen Bundestag.

Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich bei Frau
Kotting-Uhl, bei Frau Brunkhorst, bei Maria Flachsbarth
und auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei, die damals daran mitgewirkt haben, dass es
möglich wurde, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen.
Wir haben die finanziellen Mittel erhöht. Wir haben die
Zahl der Planstellen erhöht. Wir werden dort einen
neuen Schacht bauen. Wir sind dabei, dafür zu sorgen,
dass das Thema Asse, das ein skandalöses Thema war,
aus den Skandalschlagzeilen herauskommt. Die Men-
schen vor Ort sehen das, und sie schöpfen Hoffnung.
Deshalb war das ein gutes Jahr für die Bewohner aus
dem Umkreis der Asse und darüber hinaus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es war, meine Damen und Herren, auch ein gutes Jahr
für die Suche nach einem Endlager. Wir haben in all die-
ser Zeit unabhängig von Wahlkämpfen, unabhängig von
vielem öffentlichen Geschrei immer wieder über das
Thema Endlager gesprochen: mit Sigmar Gabriel, mit
Jürgen Trittin, aber auch in Niedersachsen mit David
McAllister und Stefan Birkner, anschließend mit
Stephan Weil und Stefan Wenzel sowie mit Herrn
Kretschmann in Baden-Württemberg. Wir haben damit
aufgegriffen, was Norbert Röttgen angefangen hat. Wir
haben darüber gesprochen, dass es wichtig ist, das Signal
zu geben, dass wir diese generationenübergreifende
Aufgabe gemeinsam lösen. Jürgen Trittin, Winfried
Kretschmann und Sigmar Gabriel waren nach dem Kom-
promiss fast noch euphorischer als ich. Deshalb tun Sie
mir den Gefallen, wenn wir morgen darüber sprechen:
Reden Sie diesen Kompromiss jetzt nicht schon wieder





Bundesminister Peter Altmaier


(A) (C)



(D)(B)


klein! Haben Sie vielmehr den Mut, zu sagen: Das haben
wir parteiübergreifend und gemeinsam erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun zum Ausbau der erneuerbaren Energien in
Deutschland. Ich bin zutiefst überzeugt, dass der Um-
stieg auf erneuerbare Energien nicht nur für unser Land,
sondern für den Umwelt- und Klimaschutz weltweit die
richtige Entscheidung war und ist. Aber damit diese Ent-
scheidung am Ende nicht eine deutsche Sonderlösung
bleibt, sondern auch von anderen Ländern – China,
Indien, Ländern in Afrika und in Lateinamerika – über-
nommen werden kann, muss diese Energiewende so or-
ganisiert werden, dass sie funktioniert und dass sie ein
Erfolgsprojekt ist, von Anfang an.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kriegen Sie nicht hin! Sie können es nicht, Sie wollen es nicht!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte spre-
chen Sie einmal mit Matthias Platzeck und mit Klaus
Wowereit. Ich bin überzeugt: Auch vom BER aus wer-
den eines Tages Flugzeuge starten.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der richtige Vergleich! Bei Ihnen bleibt die Klimapolitik am Boden!)


Genauso wird die Energiewende gelingen. Aber ich
möchte, dass – im Unterschied zum BER – die Energie-
wende als Erfolgsprojekt wahrgenommen wird, und
zwar vom allerersten Tag an. Dafür müssen wir die Wei-
chen jetzt stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Lieber Herr Fell und lieber Herr Ott, wenn Sie jetzt
versuchen, die Energiewende Ihrerseits schlechtzureden,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch keiner! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen doch nur Sie!)


dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass wir
auch die Verpflichtung haben, den Bürgerinnen und Bür-
gern offen und ehrlich zu sagen, was auf sie zukommt.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind Umweltminister!)


Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wer
den Bürgerinnen und Bürgern etwas anderes erzählt,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch keiner! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch keiner! Das machen nur Sie!)


der führt sie hinter die Fichte. Ich lese Ihnen jetzt einmal
ein Zitat vor:

Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer
Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur

rund 1 Euro im Monat kostet – so viel wie eine Ku-
gel Eis.

Das hat Umweltminister Jürgen Trittin im Jahre 2004 ge-
sagt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war 2004 auch so!)


Meine Damen und Herren, wer mit den Bürgerinnen und
Bürgern so umgeht, wer sie so wenig darüber informiert,
was diese Energiewende bedeutet, der wird seinen de-
mokratischen Verpflichtungen nicht gerecht. Deshalb
muss über die Kosten geredet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mies, Herr Altmaier!)


Über die Kosten muss auch geredet werden, damit wir
die Kosten begrenzen können. Wir müssen die Kosten
begrenzen, damit die Energiewende ein Exportschlager
wird. Wir müssen die Kosten auch im Interesse der Rent-
nerinnen und Rentner und der Familien mit niedrigem
Einkommen begrenzen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie doch gerade nicht!)


Eine Begrenzung der Kosten liegt auch im Interesse der
vielen Handwerker und des mittelständischen Gewerbes,
das viele Arbeitsplätze in Deutschland schafft.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das doch einmal Ihrem Kollegen Herrn Rösler!)


– Liebe Frau Höhn, ich nenne Ihnen jetzt einmal ein Bei-
spiel. Wir haben mehrere wichtige Gesetze verabschie-
det. Eines davon war das Gesetz zur Reform der Förde-
rung der Photovoltaik. Dieses Gesetz, das die Opposition
im Bundestag bekämpft hatte und das der Bundesrat
noch im Mai 2012 mit 16 zu 0 Stimmen abgelehnt hatte,
haben wir wenige Wochen später nach intensiven Ver-
handlungen, an denen einige von der Opposition betei-
ligt waren, mit breitester Mehrheit im Bundestag und mit
16 zu 0 im Bundesrat beschlossen. Wozu hat dieses Ge-
setz geführt?


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Niedergang der Photovoltaik!)


Dieses Gesetz, lieber Herr Fell, hat dazu geführt, dass
die Photovoltaik in Deutschland weiterhin stark ausge-
baut wird.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niedergang!)


Der Ausbau findet in einem Tempo statt, wie wir es noch
nie in Deutschland hatten.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden die Quittung bei der Wahl kriegen! – Weiterer Zuruf des Abg. Marco Bülow [SPD])


Trotzdem wird der Bürger in seiner Stromrechnung
weniger belastet, weil die Menschen und die Betriebe
PV-Anlagen für den Eigenverbrauch installieren.





Bundesminister Peter Altmaier


(A) (C)



(D)(B)


Sie haben damals diesen Regelungen zugestimmt.
Hinterher haben Sie versucht, sich vom Acker zu
machen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Photovoltaik
bezahlbar bleibt und in Deutschland eine Zukunftsper-
spektive hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kostet Sie die Wahl!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
einen Jahr sind nicht alle Probleme der Welt gelöst wor-
den.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu den CO2-Emissionen!)


Wir haben aber über vieles diskutiert, zum Beispiel über
die Strompreisbremse.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu den Emissionen!)


Ich habe vorgeschlagen, die Finanzierbarkeit der er-
neuerbaren Energien auch dadurch zu verbessern, dass
wir Einschränkungen bei den Ausnahmeregelungen für
energieintensive Unternehmen vorsehen. Unter anderem
habe ich mit dem Kollegen Rösler vorgeschlagen, dass
wir die Förderung von Steinkohle und Braunkohle nicht
mehr mit der Besonderen Ausgleichsregelung nach dem
EEG subventionieren. Das fanden die Grünen gut. Frau
Kraft und Herr Platzeck haben dann böse geguckt, und
dann war es mit Ihrem Mut vorbei. Ich habe selten er-
lebt, dass jemand so als Tiger gestartet und anschließend
als Bettvorleger gelandet ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Altmaier vor Rösler!)


Wir haben es in den letzten zwölf Monaten geschafft,
die Umwelt- und Energiepolitik wieder auf einen ganz
prominenten, vorderen Platz in der politischen Agenda
zu setzen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu Fracking!)


Die Menschen interessieren sich dafür und diskutieren
darüber. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Umwelt-
und Energiepolitik nicht in Hinterzimmern stattfindet,
sondern den Stellenwert bekommt, den sie verdient hat.
Darauf bin ich stolz.

Dies habe ich in Zusammenarbeit mit meinen Kolle-
ginnen und Kollegen von der FDP und der CDU/CSU
erreicht. Auch der eine oder andere von Ihnen hat daran
einen Anteil, weil Sie mit dazu beigetragen haben, viele
Gesetzentwürfe im Bundestag gemeinsam zu verab-
schieden.

Deshalb sollten wir bei allem Streit über Einzelrege-
lungen beim Fracking, beim Backloading und bei vielen
anderen Dingen eines nicht vergessen: Diejenigen, die
hier sitzen, sind die Unterstützer der Umwelt- und Ener-
giepolitik in Deutschland, und wir sollten uns auch ein

bisschen bemühen, Gemeinsamkeiten nach außen zu zei-
gen.

In diesem Sinne noch einmal herzlichen Dank für die
Gelegenheit, Ihnen und der Öffentlichkeit meine Leis-
tungen und meine Erfolge darstellen zu dürfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724009900

Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächster Red-

ner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Matthias Miersch.
Bitte schön, Kollege Dr. Matthias Miersch.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1724010000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, zunächst vielen Dank, dass Sie uns würdi-
gen, weil wir die Umweltpolitik hier zum Zentrum der
Aktuellen Stunde gemacht haben. Es ist in der Tat ein
wichtiges Thema.


(Horst Meierhofer [FDP]: Sehr richtig!)


Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass Sie hier
auch zu den relevanten energie- und umweltpolitischen
Themen Stellung nehmen, wenn es um Ihre Bilanz geht.
Zu den wirklich wichtigen Dingen haben Sie hier aber
leider geschwiegen, Herr Minister.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann er auch nichts sagen! Die Bilanz ist mies! – Ulrich Kelber [SPD]: Konkret wird er nicht gern!)


Sie haben vor einem Jahr in einer Hochglanzbro-
schüre mit vielen netten Fotos – der Minister im Watt,
der Minister mit Windmühle, der Minister mit Photovol-
taikanlage – zehn Punkte aufgeschrieben und Ihre Pläne
vorgelegt. Am Ende müssen wir fragen: Was ist eigent-
lich aus diesen zehn Punkten geworden? Bis auf ganz
wenige Ausnahmen, die wir nicht Ihnen und nicht
Schwarz-Gelb, sondern wenn, dann unserer gemeinsa-
men Vernunft zu verdanken haben, haben Sie nichts ge-
liefert, Herr Minister.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen zu Beginn mein Hinweis: Das Thema End-
lagerung sollten wir auch in diesem Raum sehr sensibel
besprechen; denn das ist kein Verdienst von einem
Minister oder einer Abgeordneten. All das, was dort in
den nächsten Wochen, Monaten und Jahren passiert, ist
hochfragil.

Wenn Sie von einem Endlagerkonsens sprechen, ohne
zu wissen, wie die Suche wirklich gestaltet wird und wo
sie tatsächlich stattfindet, dann sage ich: Vorsicht! Frau
Bulling-Schröter und Herr Ruck, wir sollten den politi-
schen Schlagabtausch hier nicht auf Kosten dieses Kon-
senses führen.





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)


Für die SPD und auch für das Land Niedersachsen ist
wichtig, dass – wir werden das morgen diskutieren –
Vereinbarungen, die getroffen worden sind, eingehalten
werden. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die
Menschen bei dieser Frage überhaupt Vertrauen bekom-
men, ein Vertrauen, das wir sicherlich Jahrzehnte brau-
chen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mir und uns geht es heute in dieser Aktuellen Stunde
aber darum, wie es mit den großen Themen weitergeht.
Sie haben heute zum Beispiel ein Thema, zu dem ich
hier reden will, völlig außer Acht gelassen – Sie haben
es als Randthema beschrieben –, nämlich das Thema
Fracking, die Förderung von unkonventionellem Erdgas.

Wir stellen fest: Inzwischen versprechen Sie hier seit
Jahren, wir würden eine gesetzliche Regelung treffen.
Wenn Pinocchio Ihre Reden und die Ihres Vorgängers
hier zitieren würde, dann könnte man nur froh sein, dass
die Kuppel nach oben hin offen ist, weil seine Nase dann
länger wäre als dieser Raum.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Meierhofer [FDP]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem 10-Punkte-
Programm haben Sie aufgeschrieben: Dem Prinzip der
Nachhaltigkeit fühle ich mich verantwortlich. Nachhal-
tige Ressourcennutzung und nachhaltige Energieversor-
gung stehen ganz oben.

Lieber Herr Bundesumweltminister Altmaier, gerade
bei einer solchen Diskussion würde ich mir von einem
Umweltminister wünschen, dass er die grundsätzliche
Frage stellt, ob es denn Sinn macht, in einem Land wie
Deutschland zu diesen Zeiten auch noch das Letzte aus
dem Boden herauszupressen. Wir hören leider gar nichts
davon, hierzu eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln, lie-
ber Herr Minister.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sich dann schon bemühen und sagen, wir
wollen ein Gesetz machen, stellt sich die Frage: Was le-
gen Sie vor? Dazu kann man von Tag zu Tag neue Mel-
dungen verfolgen. Plötzlich soll das Kabinett etwas ent-
scheiden. Zwei Stunden später liest man: Es ist wieder
von der Tagesordnung genommen. Dann kommen Abge-
ordnete aus ihren Wahlkreisen und sagen: Wir müssen da
etwas tun! – Das geht seit Monaten so, und es bewegt
sich nichts.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit drei Jahren!)


Oder Sie versuchen, ebenso wie Ihr Vorgänger – der Kol-
lege Krischer weist zu Recht darauf hin, dass das schon
seit drei Jahren so geht –, irgendwelche Fragmente in ei-
nem Gesetz zu regeln. Der neue Entwurf scheint eine
Länderklausel zu beinhalten, nach der die Bundesländer
selbst entscheiden sollen. Was ist das für eine Verantwor-
tungsübernahme dieser Bundesregierung?


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Gar keine!)


Man kann diese Frage nicht in Kleinstaaterei lösen; hier
brauchen wir eine bundesgesetzliche Regelung, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht darum, Giftstoffe im Grundwasser zu unter-
binden. Warum können wir uns auf diese Regelung hier
nicht im Konsens einigen – zumal die Vertreter der gro-
ßen Konzerne sagen, dass man in zwei Jahren so weit ist,
ohne Chemikalieneinsatz daran zu arbeiten?


(Horst Meierhofer [FDP]: Nichts anderes machen wir doch! Genau das machen wir! Das ist doch nicht zu fassen!)


Nicht einmal das bekommen Sie mit einem Gesetzent-
wurf hin, Herr Meierhofer. Sagen Sie uns, wo dieser Ge-
setzentwurf ist – wir würden uns sofort an der Debatte
beteiligen. Aber bei Ihnen ist nichts, aber auch gar nichts
zu dieser Frage zu sehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lieber Herr Altmaier, am Ende Ihres 10-Punkte-Pro-
gramms haben Sie zum Thema Umweltpolitik geschrie-
ben:

Gerade in einem Politikbereich wie der Umwelt-
politik ist es wichtig, kurzfristigen Aktionismus und
ständige politische Richtungsänderungen zu ver-
meiden, damit sich alle Akteure auf bestimmte
Sachverhalte und Entwicklungen einstellen können.

Die Energiepolitik dieser schwarz-gelben Regierung
und dieser schwarz-gelben Koalition, durch die zunächst
die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert wurden
und dann eine Rolle rückwärts gemacht wurde, ist ein
Lehrbeispiel dafür, wie man Energie- und Umweltpolitik
nicht machen darf.

Das Beispiel Fracking ist ein zweites Lehrbeispiel da-
für, dass Sie ganz einfach durch Nichthandeln Fakten
schaffen, die der Bevölkerung und den nachfolgenden
Generationen gerade nicht guttun. Sie können an dieser
Stelle leider nichts vorweisen.

Deshalb dient diese Aktuelle Stunde dazu, dass sich
auch die Bevölkerung, um die es geht, mit den Themen
auseinandersetzen kann. Ihre Bilanz ist an dieser Stelle
erschütternd.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724010100

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in un-

serer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser
Kollege Horst Meierhofer. Bitte schön, Kollege Horst
Meierhofer.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1724010200

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Weil wir gehört haben, wie die Grünen gebrüllt
haben, als der Herr Altmaier am Rednerpult war, wie sich
der Herr Ott, die Frau Höhn und der Herr Krischer nicht
mehr eingekriegt haben vor Eiferei, möchte ich als Erstes
sagen: Die grüne Krawatte würde ich noch einmal über-
denken, Herr Altmaier.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das einzig Grüne an dem ist die Krawatte!)


Wenn man sich die Herrschaften hier anschaut, muss
man denen nicht zu sehr entgegenkommen. Aber das nur
nebenbei.

Angesichts dessen, was die Kollegen von der SPD,
die ja diese Aktuelle Stunde beantragt haben, uns aus der
Zeit, als der Umweltminister noch Sigmar Gabriel hieß,
hinterlassen haben,


(Ulrich Kelber [SPD]: 1,1 Cent EEG-Umlage!)


ist es eine Frechheit, die aktuelle Situation zu kritisieren;
das ist vollkommener Wahnsinn. Da frage ich mich
wirklich, ob Sie sich überhaupt noch an irgendetwas er-
innern, was Sie damals geleistet haben. Können Sie sich
noch daran erinnern, wie viel erneuerbare Energien wir
damals hatten? Es gab 1,1 Cent EEG-Umlage in einer
Zeit, in der wir fast keine Erneuerbaren ausgebaut hat-
ten. Wissen Sie, wie viel erneuerbare Energien, wie viel
aus Photovoltaik, wie viel aus Wind und wie viel aus
Biomasse, wir heute haben?


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Wer hat denn die Grundlage geschaffen?)


Wissen Sie, wie viel es zu der Zeit gab, als Sie noch die
Verantwortung für den Umweltschutz hatten? Wissen
Sie von den Grünen noch, wie viel erneuerbare Energien
damals ausgebaut waren, als Trittin Umweltminister
war?


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Und wer hat gegen die Gesetze gestimmt?)


Und da trauen Sie sich, sich hier hinzustellen und so zu
tun, als würde jetzt zu wenig passieren! Das ist doch
wahnsinnig.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie tun doch nichts!)


Pippi-Langstrumpf-Politik ist das. Sie malen sich die
Welt so, wie sie Ihnen gefällt. Dabei erinnern Sie sich
nicht daran, was in der Realität jemals passiert ist.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Der Maler sind Sie!)


Was war denn in der letzten Legislatur zum Thema
CCS? Haben Sie dazu in der Großen Koalition irgendet-
was vorangebracht? Ist da vonseiten Herrn Gabriels ir-
gendetwas passiert? Hat man versucht, irgendetwas zu
ändern?


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Aber die Gesetze lagen alle nacheinander vor!)


Wohl kaum; das Ganze ist in dieser Legislaturperiode
beendet worden.

Was ist denn beim Thema Endlagerung passiert, als
Rot und Grün Verantwortung trugen, als der Kollege
Trittin Umweltminister war? Was ist denn passiert, als
der Kollege Gabriel Umweltminister war?


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Herr Meierhofer, ganz vorsichtig bei der Nummer! Ganz vorsichtig!)


Nichts! In der Zeit haben Sie nichts anderes getan, als al-
les auszusitzen und nichts anzupacken, weil Sie Angst
hatten, einen Fehler zu machen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wir können Sie nicht ernst nehmen, wenn Sie die Dinge selbst abgelehnt haben!)


Deswegen sind Sie in einer Schockstarre verhaftet und
haben nichts, aber auch gar nichts getan.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wenn jetzt jemand einmal den Mut hat, etwas anzupa-
cken, dann drohen Sie damit, nicht zustimmen. Das ist
doch die Schizophrenie Ihrer eigenen Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Sie leisten doch nichts anderes als Widerstand bei jeder
einzelnen Sache.

Jetzt habe ich gehofft, sagen zu können, dass im Be-
reich der Endlagersuche ein großer Sprung nach vorne
gelungen ist, weil Peter Altmaier jemand ist, der alle ein-
bezieht.


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Die FDP hat sich bisher gar nicht beteiligt! Was sagt denn Herr Kubicki in Schleswig-Holstein?)


Ich an seiner Stelle würde mir nach der heutigen Debatte
die Frage stellen, ob seine Taktik überhaupt die richtige
ist. Während er versucht, alle mit einzubeziehen, um ge-
meinsam zu einem Ergebnis zu kommen, machen Sie
doch nichts anderes, als das Ganze immer wieder aufzu-
schnüren.

Jetzt haben wir heute von Herrn Trittin gehört: Wenn
das Ganze so weitergeht, dann gibt es hier keinen Kon-
sens.


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Es gibt Vereinbarungen, Herr Meierhofer!)


So etwas macht man doch nicht über Spiegel Online. So
etwas macht man in Gesprächen, die man miteinander
führt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Haben Sie erlebt, dass der Umweltminister an die Öf-
fentlichkeit gegangen ist, ohne mit Ihnen gesprochen zu
haben? Gleichzeitig werfen Sie mir jetzt vor, ich würde
hier ein Thema ansprechen, das viel zu sensibel ist.





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)


Nein, das muss man direkt miteinander besprechen,
wenn man an einem Ergebnis Interesse hat. Aber ich un-
terstelle Ihnen, dass Sie kein echtes Interesse an Ergeb-
nissen haben, sondern dass Sie nur ein Interesse daran
haben, die anderen schlechtzureden, ohne selbst ver-
nünftige Vorschläge zu machen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist doch Ihre Spezialität! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine schöne Selbstbeschreibung! Sie machen doch selber gar nichts!)


Sie haben bei dem schönen Thema EEG in der letzten
Legislatur sehenden Auges nichts getan, obwohl Ihr
Umweltminister Gabriel dafür hätte sorgen können, die
absehbaren Fehlentwicklungen einzudämmen.

Michael Kauch hat darauf hingewiesen, wie stark die
Kosten für die Erneuerbaren in dieser Legislatur gesun-
ken sind und dass gleichzeitig der Ausbau der Anlagen
zugenommen hat. Trotzdem war das noch zu langsam,
zumindest zu Beginn 2010/2011. Das muss man zum
Thema Kostendegression selbstkritisch sagen. Woran lag
es? Es lag daran, dass vorher nichts passiert ist und weil
es natürlich die Akteure, die Player, gewohnt waren,
dass sie das Ganze aussitzen konnten; denn sie wussten:
Im Umweltministerium sitzt jemand, der selber nicht
den Mumm und die Kraft hat, hier etwas anzupacken. –
Über Jahre hat man alle Probleme ausgesessen, nichts
angegangen und nichts erreicht, aber jetzt macht man an-
deren Vorwürfe. Das ärgert mich furchtbar.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht, was Sie da erzählen!)


Jetzt erzähle ich Ihnen etwas zum Wertstoffgesetz, zur
Gebäudesanierung,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenerzähler!)


zur Strompreisbremse. Fällt Ihnen unter Umständen auf,
dass all das Themen sind, bei denen konkrete Vorschläge
von Herrn Altmaier gekommen sind?


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Wo ist denn das Gesetz? Legen Sie es doch einmal vor!)


Wenn es aber um die Umsetzung ging, haben Sie nichts
anderes gemacht, als sich querzustellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn es Ihnen um Klimaschutz geht und darum,
Energie einzusparen, frage ich Sie: Was hat denn der
Bundesrat beim Thema Gebäudesanierung gemacht?


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Bleiben wir doch beim Wertstoffgesetz! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, was Sie geschafft haben!)


Er hat alle Vorschläge abgelehnt. Wissen Sie, womit wir
beim Wertstoffgesetz begonnen haben? Mit dem Kreis-
laufwirtschafts- und Abfallgesetz. Wissen Sie, was da-
mit im Bundesrat passiert ist?


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Eine deutliche Verbesserung!)


Dann wissen Sie vielleicht auch, dass es im Bundesrat
nicht darum ging, möglichst etwas für den Schutz der
Umwelt und der Ressourcen zu tun, sondern einfach nur
darum, Pfründe und Besitzstände zu verteidigen und alle
entsprechenden Maßnahmen um Monate und Jahre hi-
nauszuzögern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das ist doch völliger Quatsch!)


Jedes Mal, wenn wir ein Gesetz einbringen, dem im
Bundesrat zugestimmt werden muss, dann geht es doch
nicht mehr um die Sache, sondern dann reiben Sie sich
mit Ihren rot-roten Kollegen die Hände und sagen: Wun-
derbar! Da können wir die Regierung wieder einmal blo-
ckieren. Danach stellen wir sie an den Pranger und sagen:
Sie machen nichts! – Das ist dermaßen durchsichtig, dass
es fürchterlich ärgerlich ist.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind durchsichtig! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie regieren aber hier!)


Als Letztes komme ich noch zum schönen Thema
Fracking. Wissen Sie, was Sie beim Fracking gemacht
haben? Beim Fracking haben Sie nichts anderes ge-
macht, als Vorschläge zu machen, die nicht einmal halb
so umweltfreundlich waren wie das, was wir momentan
in der Bearbeitung haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Schauen Sie sich einmal die Anträge der SPD an. Sie
haben doch gar nichts Konkretes vorgelegt. Wissen Sie,
was das bedeutet, wenn man ein Einvernehmen mit den
Wasserbehörden erreicht?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben hier dreimal namentlich abstimmen lassen über dieses Thema!)


Wissen Sie, was man macht, wenn Flowback verboten
wird und man das Rückwasser nicht in ein Wasser-
schutzgebiet einbringen kann? Ist Ihnen klar, was los ist?
Sie wussten gar nicht, dass Flowback überhaupt ein Pro-
blem ist, als Sie Ihren Gesetzentwurf eingebracht haben.
So schaut es doch aus.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Was Sie jetzt machen, ist einfach peinlich! Jetzt reden Sie mal über politische Unterschiede und erfinden Sie nicht einfach was! Sie belügen sich ja selbst!)


Jetzt geht es um das, was passieren wird. Es wird in
Deutschland keine Wasserschutzbehörde und kein Was-
seramt ein Verfahren mit giftigen Chemikalien genehmi-
gen, wenn es in einem Jahr ohne giftige Chemikalien
geht.





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Was wollen Sie denn, Herr Meierhofer? Wollen wir es verbieten, oder wollen wir es nicht verbieten? Ganz konkret!)


Deswegen ist doch die Frage, ob dieses Gesetz Ihre Un-
terstützung bekommt. Dazu hätte ich gerne eine Aussage
gehabt, statt dass Sie nur blockieren. Es geht darum, dass
wir dieses Verfahren dort verbieten, wo es Schaden an-
richtet. Genau das wollen wir machen. Da stellen Sie
sich wieder einmal quer. Aber das ist natürlich auch be-
quem.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Wo richten denn Chemikalien keinen Schaden im Boden an?)


– Lieber Herr Kelber, Sie hatten vorher genügend Zeit. –
Deshalb sollte man vielleicht ein bisschen mehr in den
Spiegel schauen, bevor man sich hier groß aufplustert
und den anderen Vorwürfe macht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben sich fünf Minuten lang selbst angelogen!)


Man sollte sich also ein bisschen herunterkühlen und
über die gemeinsamen Erfolge freuen, und wenn man
weiß, dass man selber nichts getan hat, dann sollte man
sich zumindest ruhig verhalten und nicht die anderen
auch noch ankeifen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn gemacht?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724010300

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für

die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Frank
Schwabe. Bitte schön, Kollege Frank Schwabe.


(Beifall bei der SPD)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1724010400

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und

Herren! Eigentlich ist es unfair, dass Herr Altmaier heute
alleine auf der Regierungsbank sitzt – wollte ich eigent-
lich sagen; aber jetzt hat er sie gerade verlassen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Immer wenn jemand zum Klima redet, wird er nervös!)


Eigentlich müssten auch Herr Röttgen und Frau Merkel
dabei sein. Aber vielleicht wird Herr von Klaeden ihr al-
les sagen.

Wir reden über die Bilanz von Peter Altmaier nach ei-
nem Jahr als Bundesminister. Aber eigentlich reden wir
über das Scheitern einer bald vierjährigen Energie-,
Klima- und Umweltpolitik in Deutschland.

Sie, Herr Altmaier, werden am Ende eine Randnotiz
in der Umweltgeschichte bleiben, ein Fortsetzungsmi-
nister nach Herrn Röttgen.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie bestimmt auch! – Gegenruf des Abg. Horst Meierhofer [FDP]: Das wäre schon ein großer Erfolg für den Kollegen Schwabe!)


Aber ich will Ihnen zugestehen, dass es weniger ein per-
sonelles Problem ist – die Nettigkeiten sind entspre-
chend verteilt worden –; es ist eher ein politisch-struktu-
relles Problem. Sie haben in diesem Ministerium einfach
Pech gehabt. Sie sind genauso wie Herr Röttgen Opfer
der Methode Merkel, nämlich des Lavierens, des Aussit-
zens, des Herumeierns und des Nichtentscheidens. Sie
sind fleischgewordenes Symbol einer traurigen Energie-,
Umwelt- und Klimapolitik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


Man muss wirklich lange überlegen – und es fällt mir
eigentlich gar nichts ein –, welches erfolgreiche Projekt
Sie zu verantworten haben. An Ihrer Rede ist deutlich
geworden: Sie glauben selber nicht, dass es sehr viele er-
folgreiche Projekte gibt. Die Strompreisbremse hat die
Kanzlerin einkassiert. Beim Fracking ist es die eigene
Fraktion, die es dazu kommen lässt, dass es am Ende
nicht einmal eine Kabinettsbefassung gibt.

Nehmen wir das Thema Klimaschutz und Emissions-
handel. Es ist interessant, dass Sie in Ihrer Rede keinen
Satz zu Ihrem 10-Punkte-Programm gesagt haben. Ich
habe das Programm so verstanden, dass es die Leit-
schnur Ihres Regierungshandelns sein soll. Sie haben es
aber heute gar nicht erwähnt. Sie haben sich über die Ge-
legenheit bedankt, zu der Bilanz nach einem Jahr
Altmaier hier zu sprechen, aber Sie haben Ihr 10-Punkte-
Programm nicht erwähnt. Darin trägt der Bereich Klima-
schutz die Überschrift „Neuer Schwung für Klima-
schutz“. Zentraler Baustein im Klimaschutz ist – darin
sind wir uns, glaube ich, einig – der Emissionshandel
bzw. das sogenannte Backloading.

In Ihrem 10-Punkte-Programm gehen Sie darauf um-
fassend ein und schreiben:

Das Bundesumweltministerium wird kurzfristig die
Initiative ergreifen … Ziel ist eine abgestimmte
Haltung der Bundesregierung bis Ende September.


(Peter Altmaier [CDU/CSU]: Ja! Jetzt haben wir Ende Mai! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei ihm muss man immer das Jahr dazusagen!)


Geschrieben wurde dies im August letzten Jahres. Mit
Ende September war wahrscheinlich 2012 gemeint. Sie
werden bis Ende September 2013 nichts vorlegen. Ich
finde das durchaus lustig, aber in der Sache hilft uns das
überhaupt nicht weiter.

Sie haben für Deutschland maßgeblich zu verantwor-
ten, dass der europäische Emissionshandel am Boden
liegt, und Sie haben mit Ihrer Politik eine vielfache Klat-
sche bekommen – das ist schon gesagt worden –: von
der eigenen Regierung, von der eigenen Koalition, von
der eigenen Fraktion, von der eigenen Partei und von Ih-
ren eigenen Europaabgeordneten. Das Thema Klima-
schutz ist in diesem Jahr kein Stück vorangekommen.





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)


Ganz im Gegenteil: Ihre Koalition verfällt jetzt – das
muss ich in dieser Deutlichkeit sagen – auf eine erbärm-
liche Verschleppungstaktik, weil sie nicht will, dass wir
im Deutschen Bundestag noch über die Frage des Back-
loading abstimmen und deshalb Anhörungen und Ähnli-
ches durchführen müssen und sollen. Frau Dött kann
gleich noch darauf Bezug nehmen und sagen, wann die
Anhörung stattfinden soll und welche Fragen noch offen
sind, bevor Sie entsprechend entscheiden können.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwürdiges Schauspiel!)


Deutschlands Führungsrolle im Klimaschutz ist
längst verspielt. In Ihrer eigenen Hilfslosigkeit greifen
Sie zu Symbolpolitik, die mit nichts unterlegt ist. Es mag
wie eine Marginalie klingen, aber es ist symptomatisch
für Ihre Politik. Sie haben den Klub der Energiewende-
staaten ausgerufen. In dem 10-Punkte-Programm kommt
er sogar dreimal vor.

In einer Regierungsbefragung vor einigen Wochen
haben wir Frau Reiche als Ihre Stellvertreterin gefragt
– das hat der Herr Kelber gemacht –, wie weit es mit
dem Klub der Energiewendestaaten ist bzw. ob es mehr
gibt als eine Pressemitteilung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Es gab aber auch ein Abendessen!)


Die Antwort von Frau Reiche war – ich darf zitieren –:

Es gibt informelle Konsultationen, und informelle
Konsultationen haben es an sich, dass man sich in-
formell austauscht.

Das war die Antwort. Das heißt unterm Strich: Es gibt
gar nichts.


(Peter Altmaier [CDU/CSU]: Am 1. Juni ist die Gründungssitzung hier in Berlin!)


Es ist nicht schlimm, dass Sie sich informell austau-
schen. Bloß blasen Sie es nicht zu einem Ballon ohne
Substanz auf.


(Beifall bei der SPD)


Sie sind nicht in der Lage, Ihr nationales Klima-
schutzziel mit Maßnahmen zu unterlegen; Sie sind nicht
einmal in der Lage, dieses Klimaschutzziel nach Brüssel
zu melden. „Neuer Schwung für Klimaschutz“, wie Sie
es überschrieben haben, sieht ganz bestimmt anders aus.
Herr Bauchmüller von der Süddeutschen Zeitung, sicher-
lich einer der kundigsten Journalisten bei diesem Thema,
hat vor kurzem einen Kommentar mit „Klimakanzlerin
a. D.“ übertitelt. Der Chef des Umweltbundesamtes,
Herr Flasbarth, hat von einer existenziellen Krise ge-
sprochen, nicht weil keiner weiß, was zu tun wäre, son-
dern weil der politische Wille fehlt. Sie sind Getriebener
einer Politik, der der politische Wille fehlt. Sie ersetzen
das Ganze durch Symbolpolitik und manche Nettigkei-
ten. Aber in der Substanz hilft uns das nicht weiter. Des-
wegen ist Ihre Bilanz nach einem Jahr miserabel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724010500

Vielen Dank, Kollege Frank Schwabe.

Wie Sie sehen, hat sich der Herr Bundesminister extra
auf die Parlamentsbänke gesetzt, um Zwischenrufe ma-
chen zu können. Er ist da und ist bekanntlich nicht zu
übersehen. Insofern ist auch die Bundesregierung durch
ihn vertreten.

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist un-
sere Kollegin Marie-Luise Dött für die Fraktion von
CDU/CSU. Bitte schön, Frau Kollegin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1724010600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

durchaus Mitgefühl angesichts der Situation, in der die
SPD derzeit ist. Wenn man jede Woche mit Enttäu-
schung die Umfragewerte betrachtet, dann kommt man
auf alle möglichen und unmöglichen Ideen, von Steuer-
erhöhungsorgien bis zum Tempolimit.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie werden in Oberhausen trotzdem nicht direkt gewählt, Frau Dött!)


Aber wenn das Parlament für eine Show benutzt wird,
wie es heute der Fall ist, fehlt mir dafür jedes Verständ-
nis.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch die Bürger haben für diese Art von Politik kein
Verständnis. Aber da wir nun einmal hier versammelt
sind, um über den Umweltminister und seine Politik zu
reden, können wir das natürlich tun.

Peter Altmaier ist jetzt ein Jahr im Amt, und das bei
einer schwierigen Konstellation, weil die Opposition
ihre Mehrheit im Bundesrat nicht zum Gestalten, son-
dern zum Verhindern nutzt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Oh! Das ganze Jahr!)


Trotz dieser schwierigen Situation hat er in diesem einen
Jahr sehr viel erreicht. In der Amtszeit von Peter
Altmaier ist die Umweltpolitik entscheidende Schritte
vorangekommen. Eine Vielzahl von Gesetzen und Ver-
ordnungen konnte gerade in den Bereichen Klimaschutz
und Energiepolitik beschlossen oder auf den Weg ge-
bracht werden. Dialogprozesse für die Energiewende,
für die Weiterentwicklung der Förderung der erneuerba-
ren Energien und für Fortschritte beim Klimaschutz wur-
den erfolgreich gestartet. Der internationale Klimaschutz
ist gerade auch dank seines Einsatzes auf der Klimakon-
ferenz in Doha – ich erinnere daran, dass dort bis in die
Nacht beraten wurde – und beim Petersberger Dialog
weiter vorangekommen.

Es ist auch gelungen, sich mit den Bundesländern und
den Fraktionen auf einen gemeinsamen Vorschlag zu ei-
nem Standortauswahlgesetz zu einigen. Das Gesetz zum
weiteren Vorgehen in der Schachtanlage Asse II ist be-
reits in Kraft getreten. Die Bundeskompensationsverord-
nung zur Neuregelung der naturschutzrechtlichen Ein-
griffsregelung konnte im Kabinett verabschiedet werden,





Marie-Luise Dött


(A) (C)



(D)(B)


Frau Höhn. Der Schutz vor elektromagnetischen Feldern
wurde verbessert.

Das alles sind nur Beispiele für die engagierte Arbeit
dieser Koalition und für die von Peter Altmaier im Spe-
ziellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Und, meine Damen und Herren, das ist nicht die Bilanz
einer Legislaturperiode – ich hoffe, wir haben noch ein-
mal Gelegenheit, Bilanz zu ziehen –, sondern das ist die
Bilanz eines Jahres.

Jetzt können wir auch über weitere wichtige umwelt-
politische Themen reden, wo wir gern mehr erreicht hät-
ten, bei denen Sie allerdings lieber Wahlkampf machen,
statt als Opposition umweltpolitische Verantwortung zu
übernehmen. Nehmen wir als Beispiel das Thema der
Kostenentwicklung bei den erneuerbaren Energien.


(Ulrich Kelber [SPD]: Au ja! – Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, interessant!)


Bei den Gesprächen zur Strompreisbremse haben Sie mit
Ihren Vorschlägen, die von Beginn an als Störfeuer ange-
legt waren, erreicht, dass hinsichtlich der Entlastung der
Bürger von unnötigen Kosten wertvolle Zeit verschenkt
wird. Sie haben doch nie einen ernstgemeinten Vor-
schlag gemacht.


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das ist ja nun wirklich unwahr, Frau Dött! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach unwahr!)


Nein, Sie haben sich mit der Rolle des Neinsagers be-
gnügt. Die Forderung nach einer Senkung der Strom-
steuer war der einzige, leider völlig untaugliche Vor-
schlag, den ich von Ihnen gehört habe.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Vorschläge zur Einsparung von 4 Milliarden gemacht!)


Selbst hier haben Sie nicht einmal eine gemeinsame
Sprachregelung zwischen Rot und Grün hinbekommen.
Sie haben mit dem Finger auf die energieintensiven Un-
ternehmen und übrigens auch auf die dort Beschäftigten
gezeigt und die Abschaffung der besonderen Aus-
gleichsregelung gefordert.


(Ulrich Kelber [SPD]: Herr Altmaier hat uns genau das Gegenteil vorgeworfen! Da müsst ihr euch schon einigen!)


Als es dann darum ging, konkrete Vorschläge zu ma-
chen, welche Branchen oder Unternehmen denn künftig
die EEG-Umlage zahlen sollen, haben Ihre Ministerprä-
sidenten nicht einen einzigen Vorschlag gemacht. Im
Gegenteil: Frau Kraft hat sich als Anwältin der ener-
gieintensiven Unternehmen geriert.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, was nun: So oder so? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder der Vorwurf oder der Vorwurf!)


Nach demselben Strickmuster agieren Sie beim Emis-
sionshandel. Sie wollen den Bürgern weismachen, dass
die SPD für das Backloading steht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Sozialdemokraten haben für das Backloading gestimmt und die Christdemokraten dagegen!)


In der politischen Realität bittet aber SPD-Minister Duin
aus NRW – unser ehemaliger Kollege – die Abgeordne-
ten des Europaparlaments, dem Vorschlag nicht zuzu-
stimmen, weil er der Wirtschaft schade.


(Ulrich Kelber [SPD]: Und wie haben die gestimmt? Wie hat die SPD abgestimmt?)


Sie, meine Damen und Herren von der SPD, spielen
ein doppeltes Spiel.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In der Öffentlichkeit sind Sie der Anwalt der Umwelt-
politik, und hinter den Kulissen verhindern Sie Umwelt-
und Klimapolitik. So haben Sie die Strompreisbremse
torpediert. Es hätte ja sein können, dass unser Minister
damit Erfolg hätte. So haben Sie im Europaparlament
dazu beigetragen, dass es zunächst keine Änderungen
beim Emissionshandel gibt. So haben Sie die steuerliche
Absetzbarkeit der energetischen Gebäudesanierung ver-
hindert, und so haben Sie auch versucht, die notwendige
Reduzierung der Vergütung für Photovoltaikanlagen zu
verhindern.

Das ist pure Verhinderungspolitik zulasten der Bür-
ger, zulasten der Unternehmen und ihrer Beschäftigten
und zulasten einer ambitionierten Umweltpolitik.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine schöne Selbstbeschreibung, die Sie da machen!)


Jetzt starten Sie erneut den völlig untauglichen Ver-
such, Umweltminister Peter Altmaier in die Ecke zu stel-
len. Sie sind die Verhinderer, niemand anders.

Dir, Peter Altmaier, herzlichen Glückwunsch und
herzlichen Dank für deine Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724010700

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in un-

serer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialde-
mokraten unser Kollege Marco Bülow. Bitte schön, Kol-
lege Marco Bülow.


(Beifall bei der SPD)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1724010800

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es

ist schon ein bisschen wie im Kabarett heute. Die Spitze
aufgesetzt haben dem Ganzen Herr Meierhofer und Herr
Kauch.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Herr Meierhofer sprach von den unglaublichen Errun-
genschaften der Regierung. Wir können einmal alle Be-
reiche auflisten, und dann sagen Sie, Herr Meierhofer,





Marco Bülow


(A) (C)



(D)(B)


mir bitte einmal, wann die Gesetze zu diesen Bereichen
zum ersten Mal verabschiedet worden sind: Emissions-
handel, erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung,
Atomausstieg, Marktanreizprogramm und Gebäudesa-
nierungsprogramm. All die Gesetze zu diesen Themen
sind zum ersten Mal unter Rot-Grün verabschiedet wor-
den.


(Horst Meierhofer [FDP]: Warum stimmen Sie jetzt dagegen? Verrückt ist das!)


Alle diese Gesetze sind Gesetze, gegen die die FDP
grundsätzlich und die Union in den meisten Fällen ge-
stimmt haben. Das ist die Tatsache, über die wir hier
sprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das kann man nachprüfen, Herr Meierhofer!)


Das alles kann man nachlesen und nachprüfen. Das
Schönste wäre, die Reden der FDP zu diesen Themen
hervorzuholen, vor allem die zum Atomausstieg. Was
wurde hier nicht gegen den Atomausstieg gewettert und
geeifert, den Rot-Grün beschlossen hat und der nicht in
dieser Legislaturperiode seinen Ursprung hatte!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist damals übrigens auch gegen die Stimme von
Herrn Altmaier geschehen.

Die Große Koalition hat große Teile von diesen Er-
rungenschaften ausgebaut, von denen die schwarz-gelbe
Koalition heute noch profitiert, weil einiges übrig ge-
blieben ist. Die Krone setzt Herr Kauch dem Ganzen mit
der Behauptung auf, Sie hätten den Atomausstieg einge-
leitet. Ich möchte daran erinnern, dass Sie den Atomaus-
stieg am Anfang dieser Legislaturperiode rückgängig ge-
macht haben. Ich mag ja einigen, wie zum Beispiel
Herrn Altmaier, glauben, dass sie nach Fukushima etwas
gelernt und endlich Vernunft angenommen haben, aber
leider gilt das nicht für alle. Es gibt Protokolle über Sit-
zungen dieser Legislaturperiode, in denen zu lesen ist,
dass es Unions- und FDP-Abgeordneten schon wieder
leidtut, aus der Atomenergie ausgestiegen zu sein. Das
zeigt, dass Sie es mit dieser Politik leider immer noch
nicht ernst meinen.

Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, auf die meine
Kollegen noch nicht eingegangen sind, weil sie zeigen,
dass wir da nicht vorankommen.

Erstens. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist, wie
gesagt, faktisch noch gar nicht durchgeführt worden.

Zweitens. Die internationale Dimension von Atom-
politik ist besonders wichtig. Wir wissen: Wenn ein
Atomkraftwerk in die Luft fliegt, sind vor allem die
Nachbarländer betroffen. Aber was haben Sie unternom-
men? Gab es denn zum Beispiel mit den Franzosen
Gespräche? Wir haben mehrere Male diesbezüglich
nachgefragt und keine Antwort bekommen. Marode
französische Atomkraftwerke stehen kurz vor der
Grenze zu Deutschland.


(Horst Meierhofer [FDP]: Das müsste doch der Steinbrück mit dem Hollande diskutieren!)


Wir wissen, dass wir die Suppe mit auszulöffeln haben
– man bedenke, wie häufig Westwind ist –, wenn diese
Atomkraftwerke in die Luft fliegen. Was ist bisher ge-
schehen? Gar nichts.

Was ist hinsichtlich Euratom geschehen? Wir haben
diesbezüglich mehrmals angemahnt und mehrere An-
träge eingebracht, die Sie alle abgelehnt haben. Wir ha-
ben darin gefordert, Euratom so umzubauen, dass es
auch andere Dinge, wie Energieeffizienz und erneuer-
bare Energien, fördert und eben nicht nur Atom. Auch da
sind Sie nicht vorangekommen.

Im Gegenteil: Sie haben international dafür gesorgt,
dass Hermesbürgschaften, also Geldgarantien Deutsch-
lands, mittlerweile wieder für Atomkraftwerke einge-
setzt werden können. Wenn eine Regierung, beispiels-
weise die brasilianische, in einem Erdbebengebiet ein
Atomkraftwerk bauen will und dafür von Deutschland
Hermesbürgschaften braucht, dann werden deutsche
Steuergelder dafür missbraucht, dieses Atomkraftwerk
zu finanzieren. Auch das ist Ihre Politik. Sie ist doppel-
deutig und beweist, dass Sie nichts dazugelernt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nächstes Stichwort: Energieeffizienz. Es ist schon
verwunderlich, dass dieses wichtige Thema von keinem
Vertreter der Regierungsfraktionen hier heute behandelt
worden ist.


(Michael Kauch [FDP]: Doch! Von mir!)


– Auch von Ihnen nicht.

Man muss sich das Ganze einmal genau anschauen;
dann wird vielleicht deutlich, warum das so ist. Ich habe
mich einmal auf der BMU-Internetseite umgeschaut.
Dort ist eine Studie zugänglich, in der steht: Der Ener-
giebedarf in der Europäischen Union kann um zwei Drit-
tel gesenkt werden. – Das macht deutlich, wie wichtig
Energieeffizienz ist.

Es gibt mehrere Reden von Ihnen, Herr Bundesminis-
ter, und von den beiden Staatssekretärinnen dazu, warum
Energieeffizienz so wichtig ist. Dennoch werden auf die-
ser Internetseite keine Maßnahmen aufgeführt. Unter
dem Punkt „Parlamentarische Vorgänge“ sind drei Ein-
träge verzeichnet. Ein Eintrag stammt vom 15. April
2012. Das ist eine Antwort auf eine Anfrage von Frau
Dr. Kofler zur Energieeffizienz im internationalen Be-
reich. Die nächsten beiden Einträge sind von 2011. Auch
das sind nur Antworten auf Anfragen der Opposition.
Das ist Ihre Bilanz hinsichtlich Energieeffizienz, und
zwar nicht bezogen auf ein Jahr, sondern auf vier Jahre.
Das zeigt doch, wie wichtig Ihnen diese Themen wirk-
lich sind und dass wir an bestimmten Punkten nicht wei-
terkommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Man muss Ihnen zugutehal-
ten, Herr Umweltminister – auch das wurde ein paarmal





Marco Bülow


(A) (C)



(D)(B)


gesagt –, dass Sie sich in einer schwierigen Lage befin-
den, weil Sie teilweise von der eigenen Fraktion nicht
unterstützt werden und weil Sie einen Wirtschaftsminis-
ter im Nacken haben, der Ihnen nicht zur Seite steht,
sondern der viele Dinge, die Sie vorbringen, blockiert.
Wir haben es im Umweltausschuss erlebt: Die FDP hat
sich an Diskussionen teilweise nicht beteiligt, beispiels-
weise an denen über Strompreisbremsen; die Union ist
da alleingelassen worden.

Am Ende ist das aber weder Herrn Altmaiers noch
Herrn Röslers Problem, sondern eines der Kanzlerin;
denn sie hat die Richtlinienkompetenz. Wenn die beiden
Minister sich nicht einigen, dann müsste sie durchgrei-
fen. Insofern haben nicht Sie persönlich eine schlechte
Bilanz, sondern die Kanzlerin. Das müssen wir am Ende
feststellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, sagen wir: beide!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724010900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner für die

Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege
Dr. Thomas Gebhart. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas
Gebhart.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist normalerweise so ein Gesundbeter!)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1724011000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Diese Aktuelle Stunde ist in der Tat eine gute Gele-
genheit, einmal darüber zu sprechen, dass wir einen her-
vorragenden Umweltminister haben, der vieles geleistet
und vieles vorangebracht hat. Ich sage: Er ist ein Glücks-
fall für unsere Regierung und für unser Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das haben Sie vor 366 Tagen auch über Norbert Röttgen gesagt!)


Thema Endlagersuche. Es gab jahrelang Streit. Peter
Altmaier hat es, auch dank der Mithilfe vieler, geschafft,
dieses Thema aus dem parteipolitischen Gezänk heraus-
zuholen. Wir haben eine Verständigung über Parteigren-
zen hinweg. Das ist ein echter Meilenstein und ein echter
Erfolg.

Thema Klimaschutz. Sie haben bemängelt, dass die-
ses Thema hier zu kurz kommt. Peter Altmaier ist ein
Streiter für mehr Klimaschutz. Wir haben ihn gemein-
sam auf der letzten Weltklimakonferenz in Doha erlebt.
Er hat sich unglaublich ins Zeug gelegt, auch vor der
Konferenz und nach der Konferenz. Er hat international
ein unglaublich hohes Ansehen erworben. Er hat ange-
kündigt, eine Initiative ins Leben zu rufen: den Klub der
Energiewendestaaten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Er hat angekündigt, eine Initiative ins Leben zu rufen!“ – Lachen der Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Er hält Wort. Dieser Klub geht in Kürze an den Start.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ankündigungen, das ist alles!)


– Er hält Wort. Am 1. Juni geht dieser Klub an den Start.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt weitere Themen, die vielleicht nicht so im
Rampenlicht stehen, aber bei denen er große Erfolge
erzielt hat und eine Menge erreicht hat. Ich komme zu
einem Thema, das uns in diesen Wochen und Monaten
sicherlich intensiver beschäftigt als alles andere: die
Energiewende. Ich will eines vorwegschicken: Die Ener-
giewende ist selbstverständlich kein Projekt, das von
heute auf morgen vollständig umgesetzt werden kann,
sondern die Energiewende wird ein langer Weg sein,
mitunter auch ein steiniger Weg. Es liegt sicherlich noch
vieles vor uns, aber wir haben auch schon eine ganze
Menge erreicht, und das sollten wir nicht kleinreden.
Wir haben bei den Energieeffizienzmaßnahmen einiges
erreicht, Gesetzgebung Netzausbau erneuerbare Ener-
gien.


(Marco Bülow [SPD]: Was denn bei der Effizienz?)


Sie haben uns in der Vergangenheit immer wieder
vorgeworfen, wir würden den Ausbau der erneuerbaren
Energien stoppen wollen. Meine Damen und Herren, die
Wahrheit ist: Der Anteil der erneuerbaren Energien ist so
hoch wie nie zuvor.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])


Wir wollen und werden weitergehen. Wir setzen neue
Impulse. Das Batteriespeicherprogramm ist am 1. Mai
dieses Jahres, vor wenigen Tagen, gestartet.

Klar ist aber auch: Zum Gelingen der Energiewende
gehört – dies ist Teil einer nachhaltigen Energieversor-
gung –, dass die Preise am Ende für die Menschen in
diesem Land bezahlbar bleiben, für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher, für die kleinen und mittleren Un-
ternehmen genauso wie für die großen Unternehmen.
Peter Altmaier hat dies erkannt. Er hat Maßnahmen zur
Strompreisbremse vorgeschlagen. Er hat ausdrücklich
alle eingeladen, sich konstruktiv in diese Debatte einzu-
bringen.

Nur, Fakt ist erstens: Rot und Grün sind sich uneinig.
Die Grünen wollen vor allem die energieintensiven In-
dustrien stärker belasten. Die SPD will dies nicht. Sie
sagt, das würde viele Tausende von Arbeitsplätzen in
diesem Land gefährden. Die SPD setzt stattdessen eher
auf die Senkung der Stromsteuer. Nur, da kann man die
Frage stellen: Würde sie tatsächlich bei den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern ankommen? Selbst wenn diese
Senkung dort ankommen würde, wäre das nur ein Trop-
fen auf den heißen Stein. Das kann nicht die Lösung der
Probleme sein.





Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(D)(B)



(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist nur einer von ungefähr 20 Vorschlägen! Ich gebe Ihnen die anderen 19 noch einmal!)


Fakt ist zweitens: Bis auf den heutigen Tag gibt es
beim Thema Strompreisbremse auf Ebene der Minister-
präsidenten – ich schaue wieder Sie von Rot-Grün an –
keine Bewegung in Richtung einer Einigung. Deswegen
sage ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition: Wir könnten bei der Umsetzung der Energie-
wende heute viel weiter sein, wenn Sie nicht Blockade-
politik betreiben und wichtige Schritte behindern
würden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was Richtiges!)


Ich nenne Ihnen gleich noch ein Beispiel. Der Vorred-
ner hat bemängelt, dass das Thema Energieeffizienz hier
nicht angesprochen werde. Ich spreche das Thema Ener-
gieeffizienz an. Energieeffizienz, Energieeinsparung, das
sind die wichtigsten Bausteine der Energiewende über-
haupt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann einigen Sie sich in der Koalition mal! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rösler blockiert alles!)


Wir haben einiges gemacht, aber wir wollen weiterge-
hen. Wir wollen die steuerliche Förderung der energeti-
schen Gebäudesanierung. Was ist passiert? Bis auf den
heutigen Tag: Blockade der Länder im Bundesrat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blockade des Wirtschaftsministers! – Ulrich Kelber [SPD]: Andere sollen zahlen, damit man selbst einspart! Super Idee!)


Es ist nicht nachzuvollziehen.

Deswegen sage ich, meine Damen und Herren:
Streuen Sie den Menschen nicht Sand in die Augen! Ich
bitte Sie und fordere Sie auf: Werden auch Sie Ihrer Ver-
antwortung als Opposition gerecht


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch billig, Herr Gebhart!)


und tragen Sie konstruktiv zum Gelingen unserer Ener-
giewende bei!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724011100

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste und letzte Red-

nerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von CDU und CSU unsere Kollegin Frau Dr. Maria
Flachsbarth. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1724011200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und

insbesondere liebe Kollegen von den Sozialdemokraten!
Ich finde, dass es eine wirklich richtig klasse Idee war,
diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Wo sonst hat man
noch einmal die Chance, die Umweltpolitik


(Ulrich Kelber [SPD]: Wir sind die einzige Fraktion, die so etwas beantragt!)


und auch einen Minister der Bundesregierung so in den
Mittelpunkt einer Debatte zu stellen – und das zur
Primetime? Also: richtig gut!

Unser Minister ist seit dem 22. Mai letzten Jahres im
Amt. Ich finde, dass sich seine Bilanz absolut sehen las-
sen kann.

Ich möchte aus der Sicht als Berichterstatterin für die
Endlagerung auf einige Aspekte eingehen. Nehmen wir
als Erstes die Asse. Der Minister hat sein umweltpoliti-
sches Programm am 31. Mai letzten Jahres vorgestellt.
Schon damals kam ein expliziter Hinweis auf die Asse.
Er sagte – ich zitiere –:

Wenn wir Umweltschutz … ernst nehmen, dann
dürfen wir solche offenen Wunden in der Natur
nicht einfach hinnehmen.

Am 1. Juni, also wenige Wochen nachdem er sein
Amt übernommen hatte, war er in der Asse und hat in
Begleitung von Sigmar Gabriel und Stefan Birkner mit
den Menschen gesprochen. Dort hat er gesagt und ver-
sprochen – ich zitiere wieder –:

Ich kann nicht versprechen, dass die Bürger immer
zu 100 Prozent mit meinen Entscheidungen einver-
standen sind, ich verspreche aber, dass ich mit Ih-
nen über alle Probleme reden werde.

Mich hat diese offene und konstruktive Art immer
sehr angesprochen. Dass dies kein leeres Gerede ist, hat
sich unter anderem bei seinem zweiten Besuch in der
Asse gezeigt – und das, wohlgemerkt, in dieser kurzen
Amtszeit –: Am 23. November hat er sich in Wolfenbüt-
tel wiederum mit der Asse-Begleitgruppe, mit Vertretern
der betroffenen Kommunen und der Umweltverbände,
getroffen und über die Fassung des Asse-Beschleuni-
gungsgesetzes, das am 11. Dezember in den Bundestag
eingebracht wurde, diskutiert.

Auf Initiative der Berichterstatterinnen im Bundestag,
ganz besonders unserer Kollegin Kotting-Uhl von den
Grünen, ist dieses Gesetz auf den Weg gebracht worden,
nämlich die Rückholung als Vorzugsoption festzuschrei-
ben und sie so weit zu beschleunigen, wie es uns im
Rahmen unserer Möglichkeiten als Parlament möglich
ist. Diese Gespräche waren sehr konstruktiv. Ja, sie
kamen aus der Mitte des Parlamentes, sind aber immer
begleitet worden von unserer Staatssekretärin Heinen-
Esser und von Fachbeamten aus dem Ministerium, na-
türlich unter positiver Begleitung unseres Ministers.





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)


Was mir auch sehr wichtig ist und häufig vergessen
wird: Die Bürgerinnen und Bürger der Region saßen im-
mer mit am Tisch, indem ein Anwalt, den die Asse-2-
Begleitgruppe beauftragt hat, unsere Berichterstatterge-
spräche begleitet und eigene Vorschläge gemacht hat.
Dieser Anwalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aus
den Mitteln des BMU bezahlt worden. Das zeigt letzt-
endlich, dass der Minister nicht nur Gespräche und die
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger anbietet, son-
dern dass er sich auch tatkräftig dafür einsetzt, dass diese
Beteiligung auf Augenhöhe stattfinden kann. Das ist in
unserer Debatte überhaupt noch nicht erwähnt worden.

Ich komme zu der großen und schwierigen Problema-
tik, die noch länger andauert als die Frage der Sanierung
der Asse: Das ist die Frage der Endlagerung hochradio-
aktiver Abfälle. Wir haben seit 35 Jahren einen Status
quo: Lediglich der Salzstock in Gorleben, im Wendland,
wird daraufhin untersucht, ob er möglicherweise geeig-
net sei, radioaktives Material aufzunehmen. Dort ist
– wir hatten heute Morgen die letzte Sitzung des Gorle-
ben-Untersuchungsausschusses – sehr viel Vertrauen
verloren gegangen. Eigentlich ist gar kein Vertrauen
mehr da. Wir brauchen – das kann ich als Lehre aus dem
Untersuchungsausschuss ziehen – dringend einen Neu-
start bezüglich einer Suche nach einem Endlager für
hochradioaktive Stoffe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darum haben sich in der Vergangenheit schon meh-
rere Bundesumweltminister bemüht. Bundesumweltmi-
nister Trittin hat damals in der rot-grünen Koalition im
Rahmen des AK End Vorschläge erarbeiten lassen, die
jetzt wieder in unsere Überlegungen einbezogen werden.
Aber damals war es nicht möglich, einen Gesetzentwurf
zu formulieren. Somit war es auch nicht möglich, dass
ein Gesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet
worden ist.

Auch Bundesminister Gabriel hat an dieser Problema-
tik in der Großen Koalition gearbeitet. Damals stand im
Koalitionsvertrag:

CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen
Verantwortung für die sichere Endlagerung radio-
aktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage
zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen
in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu
kommen.

Das ist nicht gelungen. Umso mehr rechne ich es die-
sen beiden ehemaligen Bundesumweltministern an, dass
sie sich jetzt konstruktiv in die neue Debatte eingebracht
haben.

Meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten
nach der verlorenen NRW-Wahl, der Niedersachsenwahl


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verloren, verloren, verloren! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle Wahlen verloren!)


– jetzt steht die Bundestagswahl an – hat es sich Peter
Altmaier nicht nehmen lassen, diese schwierige Proble-
matik, die er genauso gut zur Seite hätte legen können,
anzugehen und zu versuchen, die Fäden zusammenzu-
führen und die Gesprächspartner zusammenzubringen,
um noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu
kommen.

Herr Altmaier war selbstverständlich auch in Gorle-
ben und hat den Menschen dort einen Tag nach der Nie-
dersachsenwahl, um keine Interaktionen herbeizuführen,
versprochen – ich zitiere –:

Für Sie hier wäre es sicher der einfachste Weg,
wenn Gorleben von vornherein ausscheidet … Aber
das kann ich Ihnen nicht liefern.

Er ist ein offener, ehrlicher und konstruktiver Anwalt
der Umwelt, des Naturschutzes und der Reaktorsicher-
heit. Ich kann daher nur sagen: Lieber Peter Altmaier,
wir sind ziemlich froh, dass wir Sie als Bundesminister
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen
Ihre Arbeit von ganzem Herzen. Wir hoffen, dass Sie
noch lange unser Bundesumweltminister sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724011300

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth.

Wir sind damit am Ende unserer Aktuellen Stunde.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2012/…/EU
über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditin-
stituten und die Beaufsichtigung von Kredit-
instituten und Wertpapierfirmen und zur
Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verord-
nung (EU) Nr. …/2012 über die Aufsichtsan-
forderungen an Kreditinstitute und Wertpa-
pierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz)


– Drucksachen 17/10974, 17/11474 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 17/13524, 17/13541 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Gerhard Schick

b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
2011/61/EU über die Verwalter alternativer





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)



(AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG)


– Drucksache 17/12294 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/13395 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Sieling
Björn Sänger
Dr. Thomas Gambke


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/13396 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel (Berlin)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes
und anderer Gesetze an das AIFM-Umset-

(AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz – AIFM-StAnpG)


– Drucksachen 17/12603, 17/13036, 17/13562 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/13522 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Tillmann
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. Daniel Volk
Dr. Thomas Gambke

Zum CRD IV-Umsetzungsgesetz liegt ein Änderungs-
antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zum
CRD IV-Umsetzungsgesetz und zum AIFM-Umset-
zungsgesetz liegen jeweils Entschließungsanträge der
Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor.

Ich gehe davon aus, dass die Redner im Interesse aller
Zuhörerinnen und Zuhörer die Abkürzungen so erläu-
tern, dass sie nicht nur das Fachpublikum versteht, son-
dern auch jeder Einzelne, nicht nur hier im Hause, son-
dern auch außerhalb.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Sie
sind alle damit einverstanden. Dann ist dies so beschlos-
sen.

Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in die-
ser umfassenden Aussprache ist für die Fraktion von
CDU/CSU unser Kollege Hans Michelbach. – Bitte
schön, Kollege Hans Michelbach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1724011400

Herr Präsident, ich werde mich intensiv bemühen, Ih-

ren Anforderungen gerecht zu werden.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724011500

Ich bitte darum.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Der Herr Präsident sagt zum Ende, wer es am besten gemacht hat!)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1724011600

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Finanzmarkt,

kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt
darf unbeaufsichtigt bleiben. Das war die Ansage der
Bundeskanzlerin im Jahre 2009 beim G-20-Gipfel in
Pittsburgh und danach beim Londoner EU-Gipfel. Das
war und ist die Konsequenz aus der weltweiten Finanz-
und Wirtschaftskrise.

Diese ist leider noch nicht vorüber. Deshalb müssen
die Tätigkeit und Beaufsichtigung von Kreditinstituten,
insbesondere der systemrelevanten Institute, mit gesetz-
lichem Nachdruck neu geordnet werden. Haftung und
Verantwortung auf den Finanzmärkten gehören nach un-
serer Überzeugung zu den Grundwerten der sozialen
Marktwirtschaft. Wer da Hand anlegt, der wird diese so-
ziale Marktwirtschaft letztendlich zerstören. Deshalb
schaffen wir Schritt für Schritt gemeinsam mit unseren
Partnern einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanz-
märkte. Wir halten Wort. Über 30 Gesetze haben wir auf
unserer Habenseite. Da kann uns niemand etwas vorma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Wir haben noch mehr auf unserer Habenseite!)


In dieser Woche bringen wir gleich vier große Geset-
zespakete ins Ziel: für die Stabilität und Sicherung unse-
rer Banken durch hohe Eigenkapitalanforderungen, für
die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, für
die Abschirmung von Risiken, für eine größere Verant-
wortung von Bankvorständen, für das Wachstum unserer
Realwirtschaft durch die Anpassung des Investmentsteu-
errechts und damit letzten Endes auch für die Erhaltung
unserer Wirtschaftsgrundlage und unserer gemeinsamen
Euro-Währung.

Meine Damen und Herren, so verabschieden wir
heute mit dem CRD IV-Umsetzungsgesetz


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was war da mit den Abkürzungen?)


das Kernprojekt der europäischen Finanzmarktregulie-
rung, besser bekannt als Basel III. Damit wird eine neue
Grundordnung für Banken geschaffen. Wir schaffen da-





Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


mit auch im Interesse unserer Institute eine neue Vertrau-
ensbasis. Als eines der ersten Länder in Europa stellen
wir die vereinbarte Umsetzung von Basel III in nationa-
les Recht zum 1. Januar 2014 sicher. Durch die Stärkung
der Kapitalbasis wird die Risikotragfähigkeit jeder ein-
zelnen Bank deutlich gestärkt und das Finanzsystem ins-
gesamt stabiler gemacht. Die Eigenkapitalanforderungen
an Banken werden verschärft. Die Bankenaufsicht erhält
mehr Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten. Das ist
notwendig; das ist das Fazit aus der Krise. Es ist ein
Meilenstein auf dem Weg zur Konsolidierung und zu ei-
ner höheren Widerstandsfähigkeit des gesamten Finanz-
marktes und Bankensektors.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Je höher das Risiko eines Kreditnehmers ist, desto
mehr Eigenkapital muss für die Kreditaufnahme vorge-
halten werden. Das ist Marktwirtschaft, das ist die Re-
aktion. Mit der neuen Regulierung besteht nun die Ver-
pflichtung, das Niveau des Eigenkapitals von bisher
8 Prozent auf mindestens 10,5 Prozent hochzusetzen.
Somit wird die Qualität des durch die Banken vorzuhal-
tenden Eigenkapitals erheblich gesteigert.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Erst mal die Quantität!)


Das qualitativ beste Eigenkapital, das harte Kernkapital,
wird um den Faktor 3,5 erhöht; es macht letzten Endes
mindestens 7 Prozentpunkte des verpflichtenden Niveaus
von 10,5 Prozent aus. Die Kreditinstitute müssen also im
Vergleich zu heute mehr als dreimal so viel hochwertiges
Eigenkapital bereithalten. Das ist ein Weg zu einer neuen
Vertrauensbasis für den Finanzmarkt, für den Bankensek-
tor.

Meine Damen und Herren, die neuen Liquiditätsan-
forderungen sorgen dafür, dass die Banken auch in
Stresssituationen über ausreichend Liquidität verfügen,
damit sie auch ohne externe Refinanzierung zahlungsfä-
hig bleiben können. Durch Meldung einer Verschul-
dungskennziffer findet eine bessere Überprüfung statt.
Wir wollen nicht, dass die Steuerzahler weiterhin als
Einzige die Zeche zahlen müssen. Wir sagen unseren
Unternehmern und Arbeitnehmern: Das Geschäftsrisiko-
und Finanzierungsprofil der Banken darf sich nicht ne-
gativ auf die Gesamtwirtschaft auswirken. Die Banken
sind für die Realwirtschaft da, und nicht umgekehrt. Der
dienende Faktor der Finanz- und Kreditwirtschaft ist ein
wichtiges Anliegen der Realwirtschaft.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das wissen die Banken nur nicht!)


Unsere Institute nehmen diesen Faktor weitgehend
schon heute ernst.

Erfreulich ist, dass Basel III eine unterschiedliche Ri-
sikoeinstufung der einzelnen Kredite vorsieht. Die Bun-
desregierung hat auf unseren Wunsch durchgesetzt, dass
risikoärmere Mittelstandskredite nicht nur bis zu einem
Betrag von 1 Million Euro, sondern bis zu einem Betrag
von 1,5 Millionen Euro privilegiert werden. Meine Da-
men und Herren, das ist ein großer Erfolg im Hinblick

auf die Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft
und führt zu einer angemessenen Risikostreuung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das ist der richtige Weg bei der Mittelstandsfinanzie-
rung, im Interesse unseres Mittelstandes, der über
70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland beschäftigt, und insbesondere unserer klei-
nen und mittleren Institute, die es sich zur Aufgabe ge-
macht haben, den Mittelstand nachdrücklich zu unter-
stützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf
schaffen wir auch Regelungen zur internen Risikosteue-
rung der Institute und zu einer intensiveren Überwachung
der Risiken durch die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte.
Ich glaube, wir haben hier Augenmaß bewiesen. Wir sor-
gen für strengere Anforderungen an die Zusammenset-
zung und Qualifikation der Aufsichtsräte; auch das ist ein
wichtiger Punkt. Wir haben Regelungen zur Deckelung
der variablen Vergütung von Bankenmanagern geschaf-
fen. Der Nachhaltigkeit der Geschäftsstrategie kommt
eine größere Bedeutung zu.

Wir verabschieden heute einen Meilenstein. Wir ha-
ben noch weitere Gesetze auf den Weg gebracht, insbe-
sondere das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie stolpern von Stein zu Stein!)


Die Kollegin Antje Tillmann wird in ihrer Rede das Ge-
setz ausführlich erläutern. Wir haben uns sehr bemüht
und viel erreicht.

Abschließend möchte ich deutlich machen: Diese
Bundesregierung und unsere bürgerliche Koalition ha-
ben einen wesentlichen Fortschritt erzielt. Wir können
stolz darauf sein, dass wir heute die vorliegenden Ge-
setzentwürfe verabschieden. Das ist ein Weg in die rich-
tige Richtung. Wir schaffen eine neue Vertrauensbasis.
Lassen Sie uns damit in eine bessere Zukunft gehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724011700

Vielen Dank, Kollege Hans Michelbach. – Nächster

Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Manfred Zöllmer. Bitte schön, Kollege Manfred
Zöllmer.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1724011800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

war wirklich eine schwierige Geburt auf europäischer
Ebene, dieses Werk von insgesamt 1 300 Seiten be-
schlussreif zu machen. Es geht darum, wichtige und rich-
tige Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise zu ziehen.
Der überwiegende Teil des Werks kommt als Verordnung





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


daher und ist daher unmittelbar geltendes Recht. Lieber
Herr Michelbach, man sollte sich da nicht mit fremden
Federn schmücken.

Wir setzen jetzt den Teil um, der als Richtlinie in den
europäischen Gremien vereinbart wurde. Wir sollten
nicht vergessen, besonders den Kolleginnen und Kolle-
gen im Europäischen Parlament für ihr Engagement in
dieser Sache zu danken. Sie haben einen wirklich guten
Job gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir haben das initiiert!)


In der Finanzmarktkrise zeigte sich, wie anfällig das
Finanzsystem war, weil die Kapitaldecke der Banken
viel zu gering war und die Kreditinstitute ihre Liquidität
nicht mehr sicherstellen konnten. Die Refinanzierungs-
quellen waren versiegt. Von daher war es logisch, wich-
tig und richtig, Quantität und Qualität des Eigenkapitals
in den Fokus zu rücken. Durch höhere Eigenkapitalan-
forderungen soll die Widerstandsfähigkeit des Banken-
systems in der Krise gestärkt werden. Dies sieht der vor-
liegende Gesetzentwurf vor. Zusätzlich gibt es eine
Reihe von Kapitalpuffern, die die gleiche Aufgabe erfül-
len sollten. Auch die Anforderungen an die Qualität des
Eigenkapitals wurden deutlich verbessert.

Aber niemand in der Wissenschaft kann Ihnen präzise
Auskunft darüber geben, ob dies in einem möglichen
Krisenszenario in der Zukunft ausreicht, um eine Krise
zu verhindern. Immerhin verfügte Lehman über eine Ei-
genkapitalquote von 10 Prozent. Das hat nicht gereicht.
Viele Wissenschaftler fordern deshalb deutlich höhere
Quoten als diejenigen, die jetzt vereinbart wurden.

Ob der gefundene Kompromiss wirklich gut genug
ist, weiß niemand. Aber es ist gut, dass ein Kompromiss
gefunden wurde, und er geht in die richtige Richtung. Er
zeigt, dass Europa fähig ist, sich zu verständigen, und
dies auch bei sehr unterschiedlichen nationalen Märkten.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Ja, bei dieser Bundesregierung geht das!)


Dabei ist es gelungen – das muss man wirklich sagen –,
auf die deutschen Besonderheiten weitgehend Rücksicht
zu nehmen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Der Erfolg der Bundesregierung!)


Doch es gibt auch hier einige kritische Punkte, die wir
thematisieren und die ich jetzt ansprechen will. Man
setzt beim Baseler Ansatz unverändert auf eine risikoge-
wichtete Eigenkapitalunterlegung. Das heißt, die von
den Kreditinstituten selbst entwickelten internen Mo-
delle zur Risikoabschätzung bilden die Grundlage. Es
hat sich aber gezeigt: Diese Modelle haben in der Ver-
gangenheit versagt. Das hat die Krise deutlich gezeigt.
Nun soll durch eine Verfeinerung dieser Modelle das
ganze System sicherer werden. Ob dies gelingt, ist völlig
offen. Es wäre deshalb sinnvoll und notwendig, sie
durch eine Kennziffer zu ergänzen, die eine Verschul-
densobergrenze einzieht und damit die exzessive Ver-
schuldung eines Kreditinstituts verhindert. Eine solche

Kennziffer nennt man Leverage Ratio. Sie muss dabei
nach dem spezifischen Risikogehalt verschiedener Ge-
schäftsmodelle differenziert werden. Aber dies fehlt. Die
Entscheidung über die Einführung einer solchen Quote
soll erst im Jahr 2017 erfolgen.

Das Gleiche gilt für die Liquiditätsregulierung. Die
Kreditinstitute sollen künftig eine kurzfristige und eine
mittelfristige Liquiditätskennziffer einhalten müssen;
aber die Entscheidung darüber, wie sie auszugestalten
sind, wurde auf spätere Jahre verschoben. Wir bedauern
dies, da die Sicherung der Liquidität von Kreditinstituten
für die Krisenprävention von zentraler Bedeutung ist.

Zusätzlich enthält der Gesetzentwurf einige Regelun-
gen zur Verbesserung des Corporate Governance Kodex.
Im Mittelpunkt stehen dabei die neuen Vergütungsre-
geln. Zukünftig sollen exzessive Boni, wie sie in der
Vergangenheit gang und gäbe waren, verhindert werden.
Diese Boni führten in der Vergangenheit zum Eingehen
unzumutbarer Risiken. Das war ein wichtiger Auslöser
der Krise. Zukünftig müssen Boni, die über 100 Prozent
der fixen Vergütung hinausgehen, von der Hauptver-
sammlung genehmigt werden. Wir Sozialdemokraten
begrüßen den Ansatz einer Bonibegrenzung grundsätz-
lich; wir sind aber der Auffassung, dass die Hauptver-
sammlung, also die Eigentümerversammlung, nicht der
richtige Ort ist, um eine solche Entscheidung zu treffen.
Für solche Fragen sollte auch zukünftig der Aufsichtsrat
zuständig sein.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sonst seid ihr immer für Basisdemokratie!)


Die von uns seit langem geforderte Begrenzung der steu-
erlichen Absetzbarkeit solcher Zahlungen würde zu ei-
ner wirksamen Begrenzung von Bonizahlungen führen.

Die Umsetzung von Basel III in nationales Recht
umfasst auch das sogenannte Country-by-Country-
Reporting. Mit der Veröffentlichung verschiedener
Kennziffern soll das Agieren von Banken transparent ge-
macht werden. Verluste zum Beispiel müssten transpa-
rent gemacht werden. Aber die Veröffentlichungspflicht
setzt zu spät ein. Es wäre möglich, sie bereits 2014 zur
Pflicht zu machen. Wir würden dies unterstützen.

Wenn man nun abwägt – was ist bei der Umsetzung
von Basel III erreicht worden, und was ist nicht erreicht
worden? –, dann kommen wir Sozialdemokraten zu dem
Ergebnis, dass die Umsetzung zwar ein wichtiger, aber
noch nicht hinreichender Schritt ist, um mehr Stabilität
auf den Finanzmärkten sicherzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf dennoch
zustimmen, aber weiter darauf drängen, die noch offenen
Punkte in dem von uns angesprochenen Sinne zu regeln.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724011900

Das Wort hat nun Björn Sänger für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Björn Sänger (FDP):
Rede ID: ID1724012000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir haben heute zwei weitere große Pakete zur Fi-
nanzmarktregulierung vorliegen, den Entwurf eines
AIFM-Umsetzungsgesetzes mit dem zugehörigen Ent-
wurf eines Steuergesetzes und die Umsetzung von Ba-
sel III in Deutschland. Das sind zwei Pakete, die den
Verbraucherschutz und die Sicherheit und die Stabilität
der Finanzmärkte weiter stärken werden.

Ich will mit der AIFM-Richtlinie beginnen, zu der
heute noch gar nichts gesagt worden. Es geht um die
Frage der Regulierung alternativer Investmentvehikel,
des sogenannten grauen Marktes, der durch diese Regu-
lierung etwas mehr in den Blick gerückt wird. Das ist ein
wichtiger Finanzierer der Realwirtschaft; denn Schiffe,
Flugzeuge, Existenzgründungen und Immobilien werden
häufig über diese alternativen Investmentvehikel finan-
ziert. Ich hatte beispielsweise einen Petenten am Tele-
fon, der Kindergärten für Kommunen im Rahmen
geschlossener Fonds baute. All das sind alternative In-
vestmentvehikel, die wir hier regulieren. Auch volks-
wirtschaftlich gewünschte Investments wie beispiels-
weise die Finanzierung der Energiewende werden häufig
über derartige Konstrukte abgewickelt. Deswegen ist es
wichtig, dass wir mit Augenmaß regulieren, wie der Kol-
lege Michelbach schon gesagt hat.

Augenmaß ist auch beim exekutiven Handeln wich-
tig. Wir haben eine sehr breite Bemessungsgrundlage ge-
schaffen, um Umgehungstatbestände auszuschließen.
Das heißt, wir haben einen breiten Anwendungsbereich.
Das bedeutet aber auch, dass wir hier möglicherweise
Beifang haben, das heißt, dass bestimmte Unternehmen
– beispielsweise betrifft das Unternehmen aus der Im-
mobilienwirtschaft – als Fonds erfasst werden, obwohl
sie eigentlich gar keine Fonds sind und daher eigentlich
nicht unter diese Richtlinie fallen sollen. Insofern
kommt der BaFin hier eine besondere Verantwortung zu.
Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie diesen Spiel-
raum in unserem Sinne nutzen wird.

Wir haben bei der Energiewende einiges erreicht. Wir
haben uns zum Beispiel auf die Genossenschaftsmodelle
konzentriert. Im Wesentlichen geht es dabei um bürger-
schaftliches Engagement, um Modelle, bei denen sich
Menschen zusammenschließen, um die Energiewende
voranzutreiben, um einen Windpark zu betreiben, um
eine Photovoltaikanlage, Biogasanlage oder was auch
immer zu betreiben. Dies soll weiterhin im genossen-
schaftlichen Rahmen möglich sein. Wenn die Betreffen-
den es selber tun, das heißt, operativ tätig sind, sind sie
sowieso außen vor.

Wir haben – dies ist ein weiterer Punkt aus dieser
Richtlinie – die offenen Immobilienfonds erhalten. Die-
ses Investmentvehikel, bei dem jedermann mit kleinen
Beträgen in Immobilienvermögen investieren kann,
bleibt erhalten. Wir haben diese offenen Immobilien-
fonds krisenfester ausgestaltet, indem wir die Auszah-
lungsmodalitäten näher mit dem Investitionsobjekt,
nämlich eine Immobilie, verbunden haben. Jetzt ist es
eben kein Tagesgeldkonto mehr; als das wurde es häufig
verkauft.

Ein weiterer Aspekt in diesem Gesetzentwurf, der
vollkommen unstrittig war, ist das sogenannte Pension-
Asset-Pooling. Hiermit stärken wir den Finanzplatz
nachhaltig. Wir erweitern den Verbraucherschutz, indem
es internationalen Unternehmen möglich ist, Pensions-
fonds zu bündeln und dies auch von Deutschland aus zu
gestalten. Das war bisher nicht möglich. Da waren wir
im internationalen Vergleich im Nachteil. Ich freue mich
außerordentlich, dass es gelungen ist, auch ein solches
Anlageinstrument zur Verfügung zu stellen. Das ist mei-
nes Erachtens ein ganz großer Erfolg.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hinsichtlich der Umsetzung von Basel III in Deutsch-
land kam es uns auf drei Kernpunkte an: Erhöhung der
Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen, Verbesserung
des Risikomanagements und Erhöhung der Transparenz.
Auf die klassischen Insolvenzgründe, fehlendes Kapital
und fehlende Liquidität, wird angemessen reagiert, in-
dem zukünftig mehr Eigenkapital besserer Qualität zur
Verfügung gestellt werden muss. Ergänzend werden
Kapitalpuffer eingeführt, um bei Krisen eine höhere
Widerstandskraft zu haben. Zukünftig soll der Cashflow
so gesteuert werden, dass die Liquidität jederzeit zur
Verfügung steht.

Wir haben einen einheitlichen Ordnungsrahmen vor-
gelegt, der für alle Banken gilt; denn der Finanzsektor
muss sich entwickeln können. Es gab und es gibt nach
wie vor Stimmen, die sagen, dass das eigentlich alles nur
für die systemrelevanten Banken oder die Verursacher
der Krise gelten soll. Aber eine Bank ist eine Bank.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist ja interessant!)


Insofern gilt der Ordnungsrahmen grundsätzlich erst ein-
mal für den gesamten Finanzplatz. Wir können heute
noch nicht sagen, was zukünftig eine systemrelevante
Bank ist. Der Finanzmarkt muss sich an dieser Stelle
entsprechend entwickeln können.

Gleichzeitig haben wir die Anforderungen vor allem
an kleine und mittlere Institute nach dem Proportionali-
tätsprinzip gestaltet, das sich durch das gesamte Regulie-
rungsvorhaben zieht. Wer sozusagen ein einfaches Ge-
schäft betreibt, wer mit dem sogenannten Standardansatz
arbeitet, wird nicht viel zu befürchten haben, weil er
auch nicht mit großen Risiken arbeitet. Auch kommu-
nale Aspekte hinsichtlich der Ausgestaltung von Auf-
sichtsräten, zum Beispiel bei Sparkassen, haben wir ent-
sprechend berücksichtigt.

Unter dem Strich kann man sagen: Es handelt sich
wie immer um eine Regulierung mit Augenmaß, die die
Ziele der Regulierung, mehr Sicherheit und Stabilität in
den Finanzmarkt zu bringen, erreicht. Dies ist ein weite-
res Beispiel dafür, dass wir vier gute Jahre in Deutsch-
land erlebt haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724012100

Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724012200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

2008 begann die weltweite Finanzkrise, vor zwei Jahren
die Krise des Euro-Raums. Seitdem gibt es zumindest
ein politisches Umdenken dahin gehend, dass die Fi-
nanzmärkte reguliert werden müssen. Aber die Umset-
zung erfolgt sehr schleppend. 2009, also vor vier Jahren,
wurde in Pittsburgh von den G-20-Staaten eine Reihe
von Beschlüssen gefasst. Sie sind immer noch nicht in
Gänze in Kraft.

Wir beraten hier heute drei Gesetzentwürfe; auf diese
möchte ich mich konzentrieren.

Erstens geht es um das CRD IV-Umsetzungsgesetz.
Ich versuche, es einfach auszudrücken: Es geht darum,
Eigenkapitalanforderungen, Liquiditätsstandards und
Maßgaben zur Unternehmensführung einfachgesetzlich
zu verankern, Stichwort Basel III. Da ich hier nicht den
gesamten Gesetzentwurf bewerten kann, möchte ich
zwei Punkte herausgreifen.

Erstens: die Eigenkapitalvorschriften. Prinzipiell ist
die Heraufsetzung der Eigenkapitalquote im Verhältnis
zu dem Kreditvolumen, mit dem die Bank arbeitet, rich-
tig. Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob die vorge-
schlagenen Eigenkapitalanforderungen, die für die ver-
schiedenen Bereiche unterschiedlich sind, ausreichen,
um Kredite ausreichend abzusichern. Darauf die klare
Antwort: nein.

Nehmen Sie das Beispiel der Verbriefungen; das ist
eine besondere Form von Wertpapieren. Hier wird jetzt
eine Eigenkapitalquote von 5 Prozent verlangt. Die
Organisation Finance Watch, ein gemeinnütziger Verein,
der das Ziel hat, das Finanzgewerbe zum Wohle der Ge-
sellschaft zu beeinflussen, sagt: Wenn das verfolgte Ziel
erreicht werden soll, muss die Quote bei 20 bis 25 Pro-
zent liegen. – Davon sind wir meilenweit entfernt. Aber
nur bei einer solch hohen Quote würde wirklich kein An-
reiz mehr bestehen, locker-fröhlich mit Verbriefungen zu
spekulieren.

Zweitens: die Fremdverschuldungsquote; man kann
sie auch als Schuldenbremse für die Banken bezeichnen.
Verbindliche Pflichten sollen erst ab 2018 gelten, also
erst in fünf Jahren, neun Jahre nach dem Gipfel in Pitts-
burgh. Warum so spät? Das ist doch eine Frage, die sich
stellt. Bis dahin soll es nur eine Begrenzung der Bilanz-
summe im Verhältnis zum Kernkapital und Offenle-
gungspflichten geben. Das ist einfach zu wenig.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert eine ver-
bindliche Quote in Höhe von 3 Prozent für alle. Das hal-
ten wir für nicht zielführend, nicht deshalb, weil wir die
3 Prozent ablehnen, sondern weil wir eine Gleichbe-
handlung der verschiedenen Institute für nicht richtig
halten.

Lassen Sie mich an dieser Stelle hervorheben, dass
wir froh sind, dass der besonderen Rolle der Sparkassen
und Genossenschaftsbanken – dieses Anliegen haben
wir Linke im Finanzausschuss als Erste thematisiert – in
einem Mindestmaß Rechnung getragen wurde; denn ge-
nau diese Kreditinstitute zählten nicht zu den Verursa-
chern der Finanzkrise.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig! Endlich sagt sie mal was Richtiges!)


Insgesamt sage ich zur Umsetzung von Basel III: Die
Richtung stimmt, die Umsetzung ist zu zögerlich und
nicht ausreichend, und deshalb werden wir uns enthal-
ten.

Zum zweiten Gesetz, zum AIFM-Umsetzungsgesetz
und zum AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz. Hier muss
man wirklich grundsätzliche Fragen stellen. Es geht um
die Regulierung von Fonds, die bisher noch nicht regu-
liert waren – so weit, so gut. Da diese Fonds aber kein
wirtschaftliches Eigenleben haben, erfolgt die Regulie-
rung nur bei denen, die die Fonds verwalten, den Mana-
gern, also bei denen, die das Geld eingesammelt haben
und dann dafür zuständig sind. Aber lassen Sie uns doch
einmal die Frage stellen: Wozu braucht man diese Fonds
überhaupt? Der Nachweis, dass man sie braucht, ist
überhaupt noch nicht erbracht worden. Da Herr Sänger
gerade davon gesprochen hat, dass es sich dabei um
Vehikel handelt – für mich ist ein Fahrrad, das ich als
Vehikel bezeichne, schon kurz davor, nicht mehr fahren
zu können –, muss erst einmal der Nachweis erbracht
werden, warum es immer heißt: Die Finanzwelt muss
sich entwickeln können.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das erkläre ich Ihnen gleich!)


Sie soll ihre Kernaufgaben erfüllen. Das ist der Dreh-
und Angelpunkt.

Außerdem gibt es eine Minimumregelung, die besagt,
dass gewisse Vorschriften und Registrierungspflichten
eingehalten werden müssen. Aber sie gilt nur dann,
wenn das Fondsvermögen 100 Millionen Euro nicht
übersteigt. Dazu haben Sachverständige in der Anhö-
rung gesagt: Damit wird der Großteil der Fonds über-
haupt nicht erfasst.

Letzte Bemerkung. Sie führen eine völlig neue
Rechtsform ein: die Investmentkommanditgesellschaft.
Hierzu muss ich klipp und klar sagen: Das ist für inter-
national tätige Konzerne eine spezielle Form, Steuern
sparen zu können. Denn für sie ist das nur dann attrakti-
ver, wenn sie die betriebliche Altersvorsorge in Deutsch-
land zentral verwalten –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724012300

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724012400

– und die Vorteile der zwei Rechtsformen Kapital-

und Personengesellschaft nutzen können. Um das zu er-
möglichen, führen Sie diese neue Rechtsform ein.





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Falsch!)


Wir werden diese beiden Gesetzentwürfe ablehnen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724012500

Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn Erdbeeren in einer Schale sehr eng zu-
sammenliegen, dann ist es schwierig, die faulen Stellen
zu sehen. Wenn wir jetzt sehr dicht gedrängt – im
Rahmen eines Tagesordnungspunktes – mehrere Finanz-
gesetze diskutieren, ist es vielleicht auch schwierig – das
ist vielleicht auch die Intention, die hinter der Tagesord-
nung steckt –, die faulen Stellen zu sehen. Obwohl es
auch viele schöne Stellen an den Erdbeeren gibt, werde
ich jetzt über zentrale faule Stellen sprechen und zeigen,
wie man es nicht machen sollte.

Der erste wichtige Punkt: In der Bankenregulierung
– Basel III ist sozusagen der Verhandlungsrahmen gewe-
sen – gibt es zwei Richtungen, wie man es machen kann.
Die eine Richtung sagt: Wir führen den Weg weiter, den
wir in den letzten Jahren – vor der Finanzkrise – zu be-
schreiten begonnen haben, wir verlassen uns bei der
Bankenregulierung auf die Risikominimierungsmodelle
der Banken, wir lassen die selber ausrechnen, wie viel
Eigenkapital sie brauchen. – Wir mussten allerdings fest-
stellen, dass diese Modelle so gestrickt sind, dass sie
zum Beispiel diese Finanzkrise überhaupt nicht berück-
sichtigt haben. Nach den Modellen von Goldman Sachs
hätte es diese Finanzkrise nicht ein Mal in fünfzig Jah-
ren, nicht ein Mal in hundert Jahren, nicht ein Mal seit
der Eiszeit und auch nicht ein Mal seit dem Urknall ge-
ben dürfen, es hätte sie eigentlich gar nie geben dürfen.
Sollen wir die Stabilität unseres Bankensektors auf sol-
chen Modellen gründen? Wir Grünen meinen: nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um es konkret zu machen – daran wird dann deutlich,
warum wir einen neuen Weg beschreiten müssen –: Die
Deutsche Bank hat eine Bilanzsumme von 2 Billionen
Euro. Nach dem Risikomodell, nach dem die Bank das
Risiko selbst gewichtet, schnurpselt die Bilanzsumme
plötzlich zusammen auf einen Wert von unter 400 Mil-
liarden Euro. Plötzlich wirkt die Bank viel kleiner. So
wirkt auch das Eigenkapital, das sie hat, als würde es
ausreichen.

Deswegen braucht es einen neuen Weg der Bankenre-
gulierung – diesen Weg fordern nicht nur wir Grünen,
sondern auch Wissenschaft und Regulatoren weltweit –,
nämlich eine ungewichtete, von den Risikominimie-
rungsmodellen der Banken unabhängige Größe, eine
Schuldenbremse für Banken. Warum sind wir denn mit
dem Finanzausschuss nach Kanada gefahren – wir konn-

ten sehen, dass dort mit einer Mindestgrenze von 5 Pro-
zent die Banken stabil geblieben waren –, wenn wir in
Europa nicht von Kanada lernen wollen? Die Bundes-
regierung und – von der Bundesregierung beauftragt –
die Finanzaufsichtsbehörde haben bei den Verhandlun-
gen in Basel und in Brüssel auf der falschen Seite ge-
kämpft: für die alte Bankenregulierung. Was wir bräuch-
ten, wäre jedoch eine neue, stabilere Bankenregulierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein zweiter wichtiger Punkt: Bei dem sogenannten
AIFM-Umsetzungsgesetz, wo es um den grauen Kapital-
markt, die geschlossenen Fonds geht, sind viele Sachen
richtig, und dabei sind Sachen, die wir schon lange ge-
fordert haben. Aber eines kann man doch nicht machen:
eine große Ausnahme für alle geschlossenen Fonds unter
100 Millionen Euro. Wenn man sich die Skandalfälle der
letzten Jahre anschaut, sieht man, dass ganz viele davon
unter diesen Bedingungen wieder stattfinden könnten.
Dieses Loch darf man nicht offen lassen. Deswegen ha-
ben wir im Ausschuss gefordert: Schließen Sie diese Lü-
cke, damit Abzocker am deutschen Kapitalmarkt nicht
weiter freie Fahrt haben! Diese Lücke muss geschlossen
werden, da muss ein Stoppschild her; das vermissen wir
dringend in diesem Gesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Schließlich zu dem Punkt, zu dem wir unseren Ände-
rungsantrag stellen. Wir wollen endlich Transparenz,
wenn es um Steuerzahlungen geht. Große Konzerne
– und eben auch große Banken – können ihre Steuerlast
durch eine Verlagerung der Gewinne in Steueroasen und
verschiedene Länder senken.


(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Im diesjährigen Geschäftsbericht der Deutschen Bank
steht sogar explizit, dass so etwas geht. Bei diesem
Thema herrscht bisher viel Dunkelheit. Wir erfahren gar
nicht, welche Gewinne wo anfallen, welche Steuern wo
gezahlt werden. Die Bundesregierung hat leider dagegen
gekämpft, dass da Licht angemacht wird. Das Europäi-
sche Parlament hat hier für Transparenz gekämpft. Wir
wollen, dass der Deutsche Bundestag das klare Signal
gibt: „Licht an!“, damit wir die Steuervermeidungsstra-
tegien von großen Banken aufdecken können. Wir müs-
sen endlich etwas gegen diese Steuervermeidung tun;
denn alle Unternehmen sollen gleichmäßig Steuern zah-
len, nicht nur die kleinen Unternehmen, sondern auch
die großen. Das ist unser Ziel.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724012600

Das Wort hat nun Antje Tillmann für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1724012700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer auf den Rängen! Mit den heute vorliegen-
den Gesetzentwürfen setzen wir unseren Weg konse-
quent fort, gegen Steuergestaltung und Steuerschlupflö-
cher vorzugehen, ohne wirtschaftlich vernünftige
Gestaltungen in Deutschland zu verhindern. Wir wollen
ein Steuerrecht nach Leistungsfähigkeit. Das beinhaltet,
dass derjenige, der leistungsfähig ist, auch mehr Steuern
zahlt als der, der es nicht ist.

Durch die Umsetzung der AIFM-Richtlinie, über die
Ralph Brinkhaus nachher noch berichten wird, sind wir
gezwungen, bis Juli dieses Jahres auch das Investment-
steuerrecht zu reformieren. Das gibt uns die Gelegenheit,
auch hier Steuerschlupflöcher und ungewollte Gestaltun-
gen zu verhindern, so zum Beispiel – erster Punkt – beim
Bond-Stripping.

Mit der Neuregelung des § 3 Investmentsteuergesetz
wird eine Umgehung der Verlustabzugsbeschränkungen
gemäß § 8 c Körperschaftsteuergesetz verhindert. Der
Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht darauf hinge-
wiesen, dass hier in erheblichem Umfang Steuern ausfal-
len.

Bei diesem Modell investieren Investmentfonds in
Anleihen. Nach Erwerb der Anleihen werden die
Zinsscheine vom Anleihemantel abgetrennt und die An-
schaffungskosten für die Anleihe vollständig dem Anlei-
hemantel zugeordnet. Eine Aufteilung der Anschaf-
fungskosten auf Zinsscheine und Anleihemantel erfolgt
bisher nicht.

Durch die Veräußerung der Zinsscheine generiert der
Investmentfonds künstliche Erträge. Diese gelten mit
Ablauf des Geschäftsjahres des Investmentfonds als dem
Anleger zugeflossen. Bestehen beim Anleger Verluste,
können diese mit den dem Anleger fiktiv zugerechneten
Erträgen ausgeglichen werden. Damit wird § 8 c Körper-
schaftsteuergesetz, bei dem die Nutzung von Verlusten
in solchen Fällen eigentlich ausgeschlossen ist, umgan-
gen. Dieses Gestaltungsmodell werden wir mit der Neu-
regelung heute verhindern.

Zweiter Punkt. Das Gleiche ergibt sich beim Wer-
bungskostenabzug. Auch hier sind die gegenwärtigen
Regelungen des Werbungskostenabzugs im Investment-
steuergesetz sehr gestaltungsanfällig. Es gilt im Steuer-
recht grundsätzlich der Grundsatz, dass Werbungskosten
immer nur dann abzugsfähig sind, wenn sie im Zusam-
menhang mit Erträgen stehen, die hier in Deutschland
versteuert werden. Werbungskosten im Zusammenhang
mit steuerfreien Erträgen sollen nicht abzugsfähig sein.
Auch für diesen Bereich haben wir in diesem Gesetzent-
wurf eine Neuregelung vorgesehen.

Dritter Punkt. Ausschüttungsreihenfolge. Wir wollen,
dass sämtliche Erträge des laufenden Jahres und vorheri-
ger Geschäftsjahre steuerpflichtig ausgeschüttet werden
und dass sich der Steuerpflichtige dieser Steuerpflicht
nicht durch Thesaurierung entziehen kann.

Vierter Punkt. Auch international nutzen wir jede
Möglichkeit, Steuerhinterziehung zu unterbinden. So
werden wir mit dem heutigen Gesetzentwurf die Voraus-

setzungen dafür schaffen, dem internationalen FATCA-
Abkommen mit den USA beizutreten. Dabei geht es um
einen automatischen Datenaustausch mit den Vereinig-
ten Staaten, der es ermöglichen soll, Steuerhinterzieher
noch rechtzeitiger und noch ausgiebiger verfolgen zu
können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP])


Dieses Abkommen ist dann auch ein Vorbild für einen
generellen automatischen Informationsaustausch auf eu-
ropäischer und internationaler Ebene.

Neben der Beseitigung dieser ganzen Gestaltungs-
missbräuche wollen wir es aber auch möglich machen,
großes Kapital in Deutschland zu konzentrieren. Liebe
Frau Dr. Höll, Sie haben eben gefragt, wofür wir die In-
vestmentkommanditgesellschaft brauchen. Wir brauchen
sie deswegen, weil es – fünfter Punkt – internationale
Pension-Asset-Poolings gibt, wodurch Altersvorsorge-
mittel bzw. Pensionsvermögen in einer Größenordnung
von fast 1 Billion Euro verwaltet werden, die gebraucht
werden, um Pensionsverpflichtungen gegenüber deut-
schen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicherzu-
stellen.

Wenn es so wäre, wie Sie sich das wünschen, dass
nämlich dieses verwaltete Vermögen ordnungsgemäß in
Deutschland versteuert und verwaltet würde, dann
könnte man Ihnen recht geben, aber tatsächlich wandert
dieses Billionenvermögen ins Ausland. Das heißt, es
werden Länder mit entsprechend sinnvollen und einfa-
chen Gestaltungsmöglichkeiten ohne Regulierung ge-
sucht, durch die man an der deutschen Steuer vorbeige-
hen kann. Das wollen wir verhindern.

Wir wollen es den Unternehmen ermöglichen, auch in
Deutschland Pensionsvermögen zu verwalten. Das geht
nur über die Investmentkommanditgesellschaft, die wir
regulieren, weil ich es richtiger finde, die deutsche
Altersvorsorge in Deutschland zu regulieren und zu kon-
trollieren, und weil wir darüber hinaus zurzeit mehrere
hundert Millionen Euro Steuereinnahmen in Deutsch-
land nicht erzielen, weil die Möglichkeiten im Ausland
als besser empfunden werden als in Deutschland. Wir se-
hen das anders. Mit der Investment-KG werden wir das
auch zukünftig zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das wird nicht so, wie Sie sich das wünschen!)


Natürlich sehen wir aber auch die Missbrauchsmög-
lichkeiten. Deshalb haben wir den ursprünglichen Ge-
setzentwurf des BMF dahin gehend eingeschränkt, dass
wir diese Investmentkommanditgesellschaft ausschließ-
lich für Altersvorsorgeverpflichtungen zulassen. Wir
werden uns das Gesetz in der nächsten Legislaturperiode
noch einmal ansehen und gucken, wie die Auswirkungen
sind, um gegebenenfalls weiteren Missbräuchen entge-
genzutreten.

Sechster Punkt. OGAW. Der Vorsitzende hat eben da-
rauf hingewiesen, wir mögen Abkürzungen doch auch
erklären.





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)



(Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Erst AIFM, dann OGAW!)


– Axel Troost, du weißt, was OGAW sind. Wir haben si-
chergestellt, dass verschiedene Gestaltungsmöglich-
keiten, sowohl nach OGAW-Richtlinie, aber auch bei
Alternativen Investmentfonds, bei der Frage der Invest-
mentbesteuerung den gleichen Anlagebestimmungen un-
terliegen. Wer privilegiert besteuert werden möchte,
muss dieselben Anlagebedingungen erfüllen. Trotz aller
engmaschigen Kontrolle wollen wir sinnvolle Investitio-
nen in Deutschland möglich halten. Ich habe das eben
schon bei den Pension-Asset-Poolings gesagt. Das gilt
genauso für die Möglichkeit, in erneuerbare Energien zu
investieren.

Durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktio-
nen lassen wir die Möglichkeit zu, in erneuerbare Ener-
gien auch im Rahmen von OGAW und AIF zu investie-
ren. Wir wollen die Energiewende zu einem positiven
Ergebnis führen, und wir wollen keine steuerlichen
Maßnahmen beschließen, die da Schwierigkeiten verur-
sachen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Insgesamt ist das ein Gesetzentwurf, der in vielen
Bereichen Steuertricksereien, Steuergestaltungen verhin-
dert, die ausschließlich dem Ziel dienen, Steuerzahlun-
gen zu umgehen. Das ist ein weiterer Schritt hin zu dem,
was Hans Michelbach eben genannt hat, zu einer gerech-
teren Besteuerung in Deutschland.

Aber es gibt auch einige fachfremde Anträge in die-
sem Gesetzespaket. So haben wir es gegen den Wider-
stand der gesamten Opposition geschafft, das steuerfreie
Existenzminimum von 8 130 Euro in diesem Jahr auf im
kommenden Jahr 8 354 Euro steigen zu lassen. Das
sächliche Existenzminimum wird 2013 und auch 2014
steuerfrei gestellt. Demzufolge müssen auch Unterhalts-
verpflichtungen gegenüber unterhaltsberechtigten Perso-
nen an dieses Existenzminimum angepasst werden. Wir
setzen unsere versprochene Steuerentlastung der Bürge-
rinnen und Bürger fort. Wer Unterhalt leistet, der soll das
steuerlich geltend machen können. Diejenigen, die das
tun, sparen durch diesen Gesetzentwurf 30 Millionen
Euro.

Ein letzter Satz noch kurz zu den Änderungsanträgen
der SPD. Es gibt weitere Steuergestaltungsmöglichkei-
ten in § 4 f EStG, die uns auch bekannt sind. Der Antrag
der SPD ist aber nicht geeignet, diese Steuerlücke zu
schließen, weil er bei der falschen Person ansetzt. Es
geht darum, übernommene Verpflichtungen steuerbe-
günstigt aufzulösen. Wir werden in der neuen Legislatur-
periode dieses Problem mit den Ländern gemeinsam lö-
sen. Der jetzt von der SPD vorgelegte Vorschlag wirft
beihilferechtliche Probleme auf, was nur dazu führen
würde, dass wir über Jahre keine Rechtssicherheit hät-
ten. Wir brauchen die Rechtssicherheit aber sehr schnell
und werden dieses Thema deshalb einvernehmlich mit
den Ländern angehen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724012800

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1724012900

Abschließend kann ich Sie nur bitten – wenn wir den

Termin 22. Juli 2013 halten wollen, müssen wir gemein-
sam mit dem Bundesrat dieses Gesetz noch vor der Som-
merpause verabschieden –, uns dabei zu begleiten. Ich
hoffe, das tun Sie, damit im Juli keine Rechtsunsicher-
heit entsteht. Wir möchten das mit diesem Gesetz ver-
hindern. Sie können dabei mitmachen.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724013000

Das Wort hat jetzt Dr. Carsten Sieling für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1724013100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist der
Tag, an dem man sinnlich erfahrbar machen kann, dass
Sie als schwarz-gelbe Regierungskoalition im Bereich
der Finanzmarktregulierung


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Vieles gemacht haben!)


wertvolle Zeit verschenkt haben, dass Sie Entscheidun-
gen verzögert und verschoben haben, dass Sie vieles ver-
schleppt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wo lebt denn der Herr Sieling?)


Das Ganze hat nämlich ein Ergebnis. Kolleginnen
und Kollegen der Regierungskoalition stellen sich hier
hin und reden davon, Sie hätten 30 Gesetze verabschie-
det.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Nein, nein. Es sind 30 Gesetze am Ende des Tages,
aber erst am Ende des Tages. Denn richtig in die
Puschen gekommen sind Sie erst in den letzten Monaten.
So ist das: Am Abend werden die Faulen fleißig! Das ist
Ihre Politik und Ihr Herangehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist heute sinnlich erfahrbar.

Wir führen heute in eineinhalb Stunden eine abschlie-
ßende Beratung zu einem Gesetzespaket durch, das die-
sen großen Stapel Papier hier umfasst – für alle, die noch
zweifeln: es sind natürlich doppelseitig bedruckte Blät-
ter. Wir reden über drei große Gesetzesverfahren, die je-
weils einen Umfang von 300 bis 400 Seiten haben. Ich
finde, das ist ein Stück weit auch eine parlamentarische
Stresssituation, die Sie damit bei sich auslösen, die Sie
auch in allen anderen Bereichen hier auslösen – nur des-
halb, weil Sie zu viel Zeit haben ins Land gehen lassen





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)


und erst jetzt versuchen, das umzusetzen. Das ist wirk-
lich unglaublich und keine verantwortliche Regulierung.
Von wegen: Jeder Akteur, jeder Markt und jedes Produkt
wurde geregelt. – All das kommt ziemlich spät, meine
Damen und Herren von der Koalition.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will hier auf das Gesetz, das die Regulierung der
hochgefährlichen Investmentfonds betrifft, hinweisen.
Es ist wie in allen Bereichen: Es sind weitgehend euro-
päische Vorgaben, die Sie umzusetzen haben und umzu-
setzen hatten. In dieser Situation hatten Sie nicht viele
Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Das haben wir
über alle Fraktionen immer so gesehen. Aber es gab ein
paar Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen und auch
eigene Fehler zu machen.

Diese Chance, Fehler zu machen, haben Sie nicht aus-
gelassen, jedenfalls nicht bezogen auf die Sicherung und
die endlich durchgreifende Regulierung sogenannter ge-
schlossener Fonds. Dabei bleibt weiterhin, um ein be-
kanntes deutsches Magazin aus dieser Woche zu zitieren,
der „Abenteuerspielplatz“ der Finanzbranche unangetas-
tet. Das ist Ihre Regulierungspolitik. Die entscheidenden
Regelungen rühren Sie nicht an. Hinterher jubiliert die
Branche darüber, dass sie ihre Positionen in den Bera-
tungen erfolgreich durchgesetzt hat.


(Beifall bei der SPD)


Worum es geht, wissen wir, glaube ich, alle. Ich will
es aber noch einmal sagen: Es geht um Investitionen in
Fonds, bei denen man sein Geld nicht mehr so einfach
zurückbekommt. Am Ende des Tages geht es um große
Betonruinen, marode Einkaufszentren, erfolglose Film-
projekte in Hollywood. Da geht es sogar, so liest man
mittlerweile, um Krankenhauskomplexe in der Wüste. In
all diese Dinge können Leute ihr Geld investieren, die
auch das Risiko eingehen können. Aber wir wissen auch,
dass diese Einlagen in der Vergangenheit an Privatanle-
ger vergeben worden sind. Sogar älteren Menschen sind
diese Fonds verkauft worden. In Deutschland beträgt das
Volumen dieses Marktes 91 Milliarden Euro allein im
Bereich der Kleinanleger. Hier werden für die Risiken
wirklich die Bürgerinnen und Bürger herangezogen.

Deshalb sagen wir sehr eindeutig: An dieser Stelle
unterläuft Ihnen ein großer Fehler. Sie sorgen nicht da-
für, dass die Teilnahme von Privatanlegern an diesen
Fonds ausgeschlossen ist. Sie haben entgegen Ihren ers-
ten Überlegungen die Regelung zur Kreditaufnahme
deutlich gelockert. Die Grenze wurde von 30 auf 60 Pro-
zent verschoben.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wollen Sie die Energiewende, oder nicht?)


Die Branche wollte erheblich mehr und hat dies auch
verlangt. Der Bundesrat hat dieses Anliegen unterstützt.
Sie öffnen dem Wildwuchs Tür und Tor und sorgen da-
für, dass fehlerhafte Entwicklungen weiter Raum grei-
fen.

Sie haben insbesondere bei den einzubringenden An-
lagesummen keinen Schutz für diejenigen vorgesehen,
die am stärksten davon bedroht sind, dass ihr Geld da
verwendet wird, wo sie es nicht mehr so einfach zurück-
bekommen, wo man es nicht sichern kann und wo auch
die Risiken besonders hoch sind. Das ist an diesem Ge-
setz kritikwürdig und auch verwerflich.

Nichtsdestoweniger haben Sie und haben auch wir
– das muss man sagen –, nachdem die Regierung ihren
Entwurf vorgelegt hat, in konstruktiven Beratungen
noch ein paar Veränderungen erzielen können. Ich sage
sehr deutlich: Uns als Sozialdemokraten – das haben wir
in unseren Änderungsanträgen klargemacht – reicht es
nicht, was Sie im Bereich der offenen Immobilienfonds
gemacht haben und mit Ihrer Mehrheit heute machen
werden. Sie enthalten dieses Instrument Privatanlegern
jetzt und auch in Zukunft vor. Das ist eine falsche Ent-
scheidung.

Aber zumindest sind wir bei der Abgrenzung von
wirtschaftlichen Aktivitäten und Finanzanlagen weiter-
gekommen. Wir haben vor allem in der Sicherung der
für die Energiewende so notwendigen Bürgerenergiepro-
jekte mit der sogenannten Genossenschaftslösung ge-
meinsam eine gute Lösung erreicht. Von daher ist dies
ein Gesetz mit leider immer noch zu viel Schatten, aber
immerhin ein wenig Licht, was uns Sozialdemokraten
dazu führt, nicht durchgängig Nein dazu zu sagen. Wir
lehnen dieses Gesetz nicht ab, sondern wir werden uns
enthalten.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hey!)


– Wir hätten gerne zugestimmt, Herr Kollege
Michelbach. Aber dann hätten Sie auch unseren sehr
konkreten Änderungsanträgen Folge leisten müssen. Das
ist nicht geschehen. Von daher ist das Ergebnis, wie be-
reits vorgetragen, ein großer Stapel, den Sie am Ende des
Tages produziert haben. Das hätten wir gerne vor zwei,
drei Jahren gesehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724013200

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1724013300

Herr Präsident, ich danke Ihnen. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Was wir heute beraten, rundet die Arbeit
der Finanzmarktregulierung der christlich-liberalen Ko-
alition ab. Wir haben die Regulierung in den letzten vier
Jahren konsequent vorangetrieben und sind stolz auf die
Bilanz, die wir vorzuweisen haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben ein Leerverkaufsverbot umgesetzt und ei-
nen erhöhten Selbstbehalt bei Verbriefungen durch-
gesetzt. Wir haben die Bankenaufsicht in Deutschland





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


reformiert. Wir haben Ratingagenturen unter Aufsicht
gestellt. Wir haben ein Restrukturierungsgesetz geschaf-
fen, um Bürger künftig vor Bankeninsolvenzen zu schüt-
zen. Wir haben eine Bankenabgabe eingeführt. Wir ha-
ben den Hochfrequenzhandel reguliert. Wir haben eine
europäische Bankenaufsicht auf den Weg gebracht.

Heute regulieren wir die Fondswirtschaft und legen
einen sehr wichtigen Gesetzentwurf vor, nämlich zur
Umsetzung von Basel III. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sind Meilensteine in der Finanzmarktregulie-
rung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf ist sehr wichtig, weil es um ein
zentrales Gesetz zur Finanzmarktregulierung geht. Es
geht um die Verpflichtung der Marktteilnehmer, ihre Ri-
siken selbst abzusichern, indem sie ausreichend Kapital
vorhalten, um Verluste selbst tragen zu können und sie
am Ende nicht den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern
vor die Füße zu werfen. Das, was passiert ist, darf sich
nicht wiederholen. Dieses Gesetz ist die richtige Ant-
wort auf die Finanzkrise.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Genau!)


Wir führen mit dem Gesetzentwurf Freiheit und Ver-
antwortung zusammen. Deswegen sind wir fest davon
überzeugt, einen sehr wichtigen Schritt zu gehen. Es ist
ein sehr komplexes Regelwerk, aber es ist ein zentrales
Regelwerk, um Finanzmärkte künftig stabiler und die Fi-
nanzwirtschaft wieder sicherer zu machen.

Was heute vorliegt, ist gelungen. Es ist sehr umfang-
reich gewesen, es vorzubereiten. Der Kollege Sieling hat
freundlicherweise schon darauf hingewiesen, wie fleißig
wir waren und in welchem Umfang wir die Finanzmarkt-
regulierung vorangebracht haben. Es ist uns ein dickes
Konvolut mit präzisen, umfangreichen, aber notwendi-
gen Regelungen gelungen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Fleißige Vernichtung von Bäumen!)


– Herr Kollege Sieling, es war ein Versuch, an unserer
Arbeit noch irgendeine Kritik zu finden, dass Sie gesagt
haben, sie sei zu spät gekommen. Nun wissen aber alle
Kundigen, dass das auf europäischer Ebene vorbereitet
werden musste.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir gehen noch vorneweg!)


Es ist nicht wahr, dass wir erst am Ende dieser Legisla-
turperiode damit angefangen haben, das auf europäi-
scher Ebene voranzubringen; es war bereits 2009 und
2010.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Da haben Sie mit den Briten blockiert! Das wissen Sie auch!)


Das wissen Sie auch. Deswegen kann ich Ihren Vorwurf
nur zurückweisen. Sie blamieren damit sich selbst mehr,
als Sie uns schaden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Lieber Kollege Sieling, meine Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, nachdem Sie in eigener Verant-
wortung elf Jahre lang die Finanzmarktregulierung ver-
schlafen haben und seit 2009 unseren Regulierungsvor-
schriften im Bundestag nie zugestimmt, sondern sie
immer abgelehnt haben, beglückwünsche ich Sie, dass
Sie wenigstens heute bei dem einen Gesetzentwurf zur
Vernunft gekommen sind und endlich bei der Finanz-
marktregulierung mitmachen, statt nur zu reden. Sie
stimmen sonst immer nur dagegen.

Als Sie Verantwortung hatten, haben Sie nichts getan.
Deswegen ist es gut, dass Sie wenigstens bei der Basel-
III-Umsetzung mit im Boot sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Bei den Grünen ist diese Erkenntnis noch nicht ange-
kommen. Sie haben in eigener Regierungsverantwortung
die Finanzmarktregulierung verschlafen. Sie haben seit
2009 die Finanzmarktregulierung im Deutschen Bundes-
tag immer abgelehnt. Auch heute stimmen die Grünen
– auch das Publikum sollte das wissen – wieder mit
Nein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach vier Jahren
christlich-liberaler Regierung haben wir in Deutschland
den am stärksten regulierten Finanzmarkt in Europa. Un-
sere gezielte Regulierung ist konsequent und hat immer
einen fairen Umgang auch mit der für unser Land not-
wendigen und wichtigen Finanzwirtschaft im Blick. Sie
hat auch immer im Blick, dass Regulierung wett-
bewerbsneutral sein muss. All das exportiert die Bundes-
regierung vorbildlich nach Europa.

Deswegen sind wir nicht nur in Deutschland Vorrei-
ter. Nein, wir sind Regulierungsvorreiter in ganz Europa.
Wir haben ein zentrales Ziel christlich-liberaler Politik
erreicht. Was die Menschen zu Recht von uns erwartet
haben, wurde von uns Stück für Stück erarbeitet. Hinter
uns liegen vier gute Jahre für Deutschland und vier gute
Jahre für Europa. Wir können heute sagen: Mit diesem
Gesetz runden wir unsere Regierungspolitik weiter ab.
Wir schaffen stabile Finanzmärkte. Wir erfüllen eine
wichtige Aufgabe.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724013400

Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724013500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu-

ropa steckt nach wie vor in einer tiefen Krise. Das liegt
daran, dass die Bundesregierung unverändert an einer
verbohrten und falschen Sparpolitik festhält. Im Gegen-
satz dazu stimmt bei der Finanzmarktregulierung zumin-
dest die Richtung. Aber ich will heute eine ernüchternde
Bilanz der letzten Zeit ziehen. Zu den heutigen Gesetz-
entwürfen hat meine Kollegin Barbara Höll das Wesent-





Dr. Axel Troost


(A) (C)



(D)(B)


liche gesagt. Über das peinliche Trennbankengesetz und
die Finanzaufsicht werden wir morgen reden.

Fangen wir mit einer Institution an, über die hier sel-
ten geredet wird, dem Bankenrettungsfonds, dem Soffin.
Dieser aus der Zeit der Großen Koalition übernommene
Fonds weist inzwischen einen Verlust in Höhe von
23 Milliarden Euro auf. Er sollte ursprünglich 2010 aus-
laufen. Er wurde aber Anfang 2012 reaktiviert und Ende
2012 abermals verlängert, weil Banken nach wie vor zu
groß zum Scheitern sind und im Notfall wieder Staats-
gelder benötigen. Wegen dieses Problems haben Sie das
Restrukturierungsgesetz geschaffen, auf das Sie beson-
ders stolz sind.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Nur, dieses Gesetz hat einen großen Nachteil: Aus ideo-
logischen Gründen ist festgelegt, dass der Staat erst dann
eingreift, wenn alles andere gescheitert ist. – Ein führen-
der Vertreter einer großen Anwaltskanzlei, der bisher an
allen großen Bankenrettungen beteiligt war und sich da-
her auskennen muss, hat gesagt: „In Fachkreisen wird
bezweifelt, ob dieses Instrument jemals zur Anwendung
gelangen wird.“

Ein weiterer Flop ist die Begrenzung der Managerge-
hälter. Jetzt werden zwar Bonuszahlungen im Verhältnis
zum Fixgehalt gedeckelt, was nicht Ihre Idee war. Aber
dieser kleine Erfolg ändert nichts daran, dass nach wie
vor horrende Gehälter gezahlt werden, die nichts mit den
geschaffenen Werten zu tun haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nächster Punkt. In sehr großem Umfang sind inzwi-
schen Geschäfte in den unregulierten Sektor abgewan-
dert, in den sogenannten Schattenbanksektor. Bei dessen
Regulierung haben Sie überhaupt keine Erfolge vorzu-
weisen.

Beim Hochfrequenzhandel haben Sie im Wesentli-
chen den Status quo festgeschrieben. Sie haben also die
bescheidenen Sicherheitsmaßnahmen verpflichtend ge-
macht, welche die Börsen aus Eigeninteresse sowieso
schon eingeführt hatten.

Sie haben zwar die EU-Ratingverordnung umgesetzt.
Aber die Schlupflöcher sind nach wie vor riesengroß.
Sie haben es verpasst, eine große europäische Rating-
agentur zu schaffen, die das Oligopol der bisherigen
Ratingagenturen durchbricht.

Im Bereich des Anlegerschutzes haben Sie sicherlich
eine Reihe von Verbesserungen erreicht. Aber weder
konnten Sie sich durchringen, die provisionsgetriebene
Beratung wie in anderen Ländern abzustellen, noch ha-
ben Sie die Verbraucherzentralen gestärkt.

Bei Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen
haben Sie einige Einschränkungen vorgenommen. Doch
damit regulieren Sie nur einen winzigen Teil des Finanz-
markts.

Den Derivatehandel haben Sie transparenter und si-
cherer gemacht. Sie lassen den Wildwuchs an riskanten
und undurchschaubaren Derivaten aber ansonsten unan-
getastet.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber immerhin!)


Wir brauchen nach wie vor nicht ein Hinterherregu-
lieren, sondern einen Finanz-TÜV, der nur diejenigen Fi-
nanzprodukte genehmigt, die nützlich, beherrschbar und
verständlich sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Vertreter aller Parteien hatten gestern ein Gespräch
mit Bankern. Aus dem Mund von Bankern haben wir ge-
hört, dass in Deutschland 1 Million Zertifikate unter-
schiedlicher Art vertrieben werden und dass davon min-
destens 700 000 überflüssig sind. Es bleibt dabei: Hier
erfolgt nichts in Richtung Regulierung. Natürlich ist Fi-
nanzmarktregulierung wegen der internationalen Ab-
stimmung – das ist unbestritten – eine mühsame Arbeit.
Das erklärt aber nicht, warum etliche Ihrer Gesetze nur
Symbolpolitik sind. Es geht in der Tat darum, ein großes
Problem zu lösen, nämlich die Machtverhältnisse. Hier
muss man entsprechend herangehen.

Das ist aber eben nicht gelungen, weil man sich, wenn
das gelingen soll, mit der Lobby in ganz anderem Um-
fang auseinandersetzen muss. Dass die Branche nach
wie vor sehr ruhig ist, zeigt, dass das, was beschlossen
worden ist, ihr nicht wirklich wehtut.

Deswegen muss man ganz eindeutig sagen: Ihre Re-
gulierung war umfangreich. In einem Zeugnis würde
man formulieren: Sie haben sich ständig bemüht. – Aber
Sie waren nicht ambitioniert genug; von einem Meilen-
stein, Herr Michelbach, kann noch nicht einmal in An-
sätzen die Rede sein.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihre Rede ist auch keiner!)


Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724013600

Das Wort hat nun Thomas Gambke für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich habe mich schon bei den
Ausführungen von Herrn Michelbach und Herrn Wissing
gewundert, eine doch sehr merkbare Selbstzufriedenheit
feststellen zu müssen. Herr Wissing, wenn Sie sich hier
hinstellen und so tun, als sei das jetzt das letzte Gesetz,
das Sie gemacht hätten, und Sie aufzählen, was alles pas-
siert sei, wenn Sie damit nach außen den Eindruck ver-
mitteln, die Finanzkrise sei überwunden, weil alles gere-
gelt sei und nichts mehr passieren könne – das ist der
Eindruck, der möglicherweise entstanden ist –, dann
möchte ich hier ausdrücklich widersprechen und betonen,
dass noch ein gehöriger Regelungsbedarf besteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Joachim Poß [SPD])


Weil Sie es immer wieder erwähnen, Herr Wissing,
möchte ich auf eines hinweisen: Ich erinnere mich noch





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


an das Jahr 2000. Damals war ich noch nicht im Deut-
schen Bundestag. Ich erinnere mich, dass ich eines
Abends nach Amerika flog. Ein Kunde von uns mit ei-
nem Umsatz von 100 Millionen US-Dollar hatte einen
Verlust von 200 Millionen US-Dollar, und die Firma
wurde für 400 Millionen US-Dollar verkauft. Am selben
Abend erzählte mir der Chefvolkswirt der Deutschen
Bank, Herr Professor Walter, von den tollen Aktien.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Er ruhe in Frieden!)


Keiner von Ihnen, weder aus der liberalen noch aus
der Unionsecke, hat damals gesagt: Leute, wenn heute
hohe Zinsen gezahlt werden, dann ist das mit Risiken
verbunden, wenn heute Bubbles entstehen, ist das mit
Risiken verbunden. – Keiner von Ihnen ist damals dem
Neoliberalismus ernsthaft entgegengetreten. Nichts ha-
ben Sie gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie haben das ins Gesetz geschrieben!)


Lassen Sie mich auf das jetzige Gesetz kommen.
Schon die Tatsache, dass wir innerhalb von eineinviertel
Stunden drei wesentliche Gesetze beraten, zeigt, dass
wir unmöglich die Bedeutung und Wichtigkeit dieser
Gesetze würdigen können. Das aber ist meine Aufgabe
hier.

Ich möchte Ihnen sagen, wo die Lücken in den Ge-
setzentwürfen sind. Nehmen wir zum Beispiel den Ent-
wurf des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes, der heute
beraten wird.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist ein gutes Gesetz!)


Ja, es werden viele Lücken geschlossen. Das ist auch
gut so. Wir begrüßen das ausdrücklich. Aber es gibt eben
auch Steuerlücken. So ist bekannt, dass ausländische
Fonds Veräußerungsgewinne steuerfrei aus dem Land
lotsen können. Die Antwort der Koalition darauf ist: Das
sehen auch wir, das machen wir in der nächsten Legisla-
tur. – Meine Damen und Herren von der Koalition, so
können Sie damit nicht umgehen. Sie können sich nicht
hier hinstellen und sagen, Sie hätten alles geregelt, was
geregelt werden sollte. Das, was Sie uns hier vorlegen,
ist ein Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Joachim Poß [SPD])


Nehmen wir das Thema Pensionsrückstellungen. Die
Länder haben auf konkrete Fälle der Steuergestaltung
hingewiesen. Große Konzerne können durch das Ver-
schieben von Pensionsverpflichtungen unter eigenen
Teilfirmen Steuern sparen. Die Steuerausfälle – das muss
man einmal sagen – werden auf eine Größenordnung
von 20 Milliarden Euro geschätzt. Das sind Angaben der
Experten. Und was sagt die Koalition? Wir sehen uns
das in der nächsten Legislatur an. – Das ist einfach nicht
akzeptabel. Dass Sie angesichts dieser Sachlage diese
Selbstzufriedenheit und Selbstsicherheit zeigen, ist ein-
fach nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Lassen Sie mich zu dem Thema Transparenz kom-
men. Da hätten Sie als Koalition wirklich reagieren kön-
nen. In der EU ist ein Kompromiss erreicht worden,
2016 ein Country-by-Country-Reporting, also eine län-
derbezogene Berichterstattung, einzuführen. Sie müssen
sich einfach einmal damit auseinandersetzen, dass die
Geschäftsbanken in den letzten zehn Jahren 4 Milliarden
Euro Steuern gezahlt haben, die Volksbanken, Sparkas-
sen und Landesbanken aber 40 Milliarden Euro. Das ist
eine große Differenz. Die wird mir sogar von den Ban-
ken bestätigt. Aber da muss man doch einmal Licht hin-
einbringen, da muss man sehen, was Sache ist. Aber was
machen Sie? Sie verweisen auf 2016. Das ist einfach
nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sollten bescheiden auf Ihre Plätze zurückgehen. Am
22. September dieses Jahres wird der Wähler entschei-
den, ob Sie einen guten Job gemacht haben. Ich glaube,
Sie haben einen schlechten Job gemacht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724013700

Das Wort hat nun Patricia Lips für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1724013800

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrter Herr Gambke, keiner hat hier in den
Raum gestellt, dass wir heute zum Abschluss der Fi-
nanzmarktregulierungen kommen, die wir uns vorge-
nommen haben. Keiner hat hier in den Raum gestellt,
dass wir mit allem, was damit zu tun hat, aus der Krise
bereits heraus sind. Ich glaube, das zeigt sich auf weiten
Teilen dieses Kontinents.

Lassen Sie mich noch etwas sagen: Kritik und Klap-
pern gehören zum Handwerk einer Opposition. Das ist
ihr natürliches Recht. Es wäre schlimm, wenn es an die-
ser Stelle anders wäre. Aber ich möchte auch darauf
hinweisen, dass der Vorwurf der Verzögerung und Ver-
schleppung angesichts der zahlreichen Gesetzgebungsin-
itiativen, die wir hier gestartet haben – im Übrigen bis-
her als Einzige; Sie haben so etwas in den elf Jahren
Ihrer Regierungszeit nicht geschafft;


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wir haben in dieser Legislaturperiode ohne Ende Vorschläge gemacht!)


das darf man durchaus einmal erwähnen –, unzutreffend
ist.

Was uns – ich will nicht sagen: erschüttert – nahegeht
und worauf wir natürlich auch aufmerksam machen wol-





Patricia Lips


(A) (C)



(D)(B)


len, das ist die Tatsache, dass Sie sich in das Zustande-
kommen dieser zahlreichen Gesetzeswerke nur bedingt
eingebracht haben und dass Sie in Ihrer Regierungszeit
dazu nichts beigetragen haben.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was? – Manfred Zöllmer [SPD]: Wo waren Sie denn die ganze Zeit? Sie scheinen nicht dabei gewesen zu sein! Bei den Berichterstattergesprächen waren Sie nicht dabei!)


– Herr Sieling, Sie haben davon gesprochen, dass Sie
sinnliche Wahrnehmungen haben, wenn Sie über Invest-
mentfonds reden. Ich sage Ihnen eines: Sinnliche Wahr-
nehmungen hatten wir im Jahr 2004, als Ihre Regierung
das Investmentmodernisierungsgesetz auf den Markt ge-
bracht hat, womit Hedgefonds überhaupt erst ermöglicht
wurden.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Quatsch! Erzählen Sie doch nicht diesen Blödsinn!)


Wir fangen jetzt an, zu kontrollieren, was Sie damals auf
den Markt gebracht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Uns liegen heute in der Tat mehrere größere Gesetz-
entwürfe vor. Es wurde darauf hingewiesen: Einer der
größten Gesetzentwürfe steht heute nach viermonatiger
Beratungszeit zur abschließenden Beratung auf der Ta-
gesordnung, der Entwurf des sogenannten AIFM-Umset-
zungsgesetzes. Wir haben hier schon davon gesprochen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724013900

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Abgeordneten Sieling?


Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1724014000

Nein, ich würde gerne im Kontext fortfahren. Herr

Sieling hat schon zu diesem Tagesordnungspunkt ge-
sprochen.

Worum geht es? Es geht darum, Verwalter, sprich:
Manager, sogenannter alternativer Investmentfonds, die
erhebliche Teile aller Anlagen kontrollieren, unter Auf-
sicht zu stellen. Wir schaffen darüber hinaus ein gänzlich
neues Kapitalanlagegesetzbuch, ein in sich geschlosse-
nes, fast epochales Regelwerk, mit dem Ziel, sämtliche
Investmentfonds und ihr Management zu bündeln und
einer Finanzaufsicht zu unterwerfen. Es geht uns um
eine erhöhte Stabilität der Finanzmärkte, um die weitere
Begrenzung der sogenannten grauen Kapitalmärkte. Zu-
sammengefasst: Es geht einmal mehr um den Schutz der
Anleger.

Wir gehen mit dem heutigen Beschluss an dieser
Stelle einen weiteren wichtigen Schritt voran. Zum einen
setzen wir die europäische Richtlinie AIFM in die Tat
um. Wir haben darüber hinaus wieder nationale Ermes-
sensspielräume genutzt, und es werden zusätzliche An-
forderungen an Fonds – und deren Verwalter – gestellt,
die an Kleinanleger vertrieben werden, die sogenannten
Publikumsfonds.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Be-
schlüsse zur Finanzmarktregulierung werden in diesem
Haus über die interessierte Fachwelt hinaus oft wenig
spektakulär in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ver-
abschiedet. Die meisten hätten ganz sicher ein Mehr an
Aufmerksamkeit verdient, so auch dieser. Eine man-
gelnde Wahrnehmung hat oft damit zu tun, dass techni-
sche Vorgänge und Begriffe im Vordergrund stehen, aber
auch damit, dass man mit einer pauschalen Banken-
schelte oder der undifferenzierten Aufteilung der Fi-
nanzwelt in Gut und Böse oft mehr Aufmerksamkeit er-
regt. Ganz sicher hat sie auch etwas damit zu tun, dass
viele Menschen glauben, es betreffe sie nicht.

Dass dies nicht so ist, möchte ich kurz an zwei Bei-
spielen deutlich machen. So wird mit diesem Gesetzent-
wurf unter anderem auf Erfahrungen mit den offenen
Immobilienfonds reagiert, die auch bei Kleinanlegern
ein hohes Interesse erfahren. Hier ist es in der Vergan-
genheit zu Fondsschließungen und Abwicklungen ge-
kommen. Anleger konnten nicht mehr an ihr Geld gelan-
gen.

Das dürfen wir nicht verkennen. Für uns hat oberste
Priorität: Diese Fonds bleiben als indirekte Immobilien-
anlage erhalten. Darüber hinaus konnten wir im Zuge
der Beratungen geeignete Maßnahmen finden, um auch
hier zu einer erhöhten Stabilität zu kommen und gleich-
zeitig die Anlageform flexibel und attraktiv zu halten.

Ein weiteres Beispiel, über welches wir ebenfalls sehr
intensiv diskutiert haben, weil es viele Bürgerinnen und
Bürger betrifft – dieses Beispiel zeigt, dass nicht alle
diese Fonds immer böse sind und alles ganz schrecklich
ist –, sind die zahlreichen kleinen und großen Bürger-
energieprojekte in den Regionen unseres Landes. Meine
sehr geehrten Damen und Herren, sie leisten unbestritten
einen wichtigen Beitrag zur Energiewende in der Fläche.
Keiner wird infrage stellen, dass diese Projekte fachlich
geeignete und zuverlässige Geschäftsleiter haben soll-
ten. Darüber hinaus war es uns wichtig, Regelungen zu
finden, die ein Zukunftsobjekt nicht behindern und den-
noch ein verständliches Maß an Anlegerschutz bieten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Geset-
zeswerk ist derart umfassend, dass es uns mehr als bei
manch einem anderen Gesetz wichtig ist, die weitere
Entwicklung genau zu beobachten. In Teilen betreten
wir hier echtes Neuland. Es ist auch ein enorm hohes fi-
nanzielles Volumen, welches wir indirekt angepackt ha-
ben. Ich betone es noch einmal: Dieses Gesetzeswerk ist
nicht der Abschluss, aber es reiht sich ein in eine ganze
Reihe von Gesetzesmaßnahmen dieser Koalition zur Re-
gulierung der Finanzmärkte – oft sind wir dabei Vorrei-
ter in Europa, aber es wäre natürlich wünschenswert,
dass möglichst alle von Anfang an dabei sind –; es dient
damit gleichzeitig dazu, für den Schutz der Anleger er-
neut einen hohen Standard zu schaffen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724014100

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-

gen Carsten Sieling.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1724014200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Lips, in

solchen Debatten sind alle Argumente möglich und in
Ordnung, aber wir müssen hart bei der Wahrheit bleiben.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will Ihnen erstens sagen, dass Deutschland bei
den Hedgefonds mit – wenn ich das jetzt richtig weiß –
18 Hedgefonds ein Zwerg ist, wohingegen diese Fonds
in anderen Ländern massenhaft vertreten sind. Das liegt
daran, dass wir, als wir gemeinsam mit den Grünen an
der Regierung waren, dafür gesorgt haben, dass es eine
strikte Hedgefonds-Regulierung in Deutschland gibt. Sie
wollten erheblich mehr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr habt die eingeführt!)


Ein Zweites, wenn ich das noch sagen darf. Es ist
wirklich unglaublich, uns vorzuwerfen, wir hätten uns in
die Beratungen der letzten Monate und Jahre nicht ein-
gebracht. Wir waren es, die eine Reihe von Vorschlägen
gemacht haben, beginnend 2010 mit der Finanztransak-
tionsteuer. Zu jedem Gesetzgebungsverfahren haben wir
Änderungsanträge in die Beratungen eingebracht. Es
war das Papier von Peer Steinbrück zur Finanzmarktre-
gulierung vom September letzten Jahres, das bei Ihnen
eine solche Aufregung ausgelöst hat, dass Sie jetzt sogar
für Trennbanken in Deutschland sind. Vorher war das für
Sie schlimmes Zeug. Es sind unsere Vorschläge, denen
Sie hier hinterherlaufen, und das muss man auch sagen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Denen Sie deswegen nicht zustimmen wollen! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Die haben nicht einmal die Größe, dem zuzustimmen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724014300

Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.


Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1724014400

Kollege Sieling, ich glaube, Ihr größtes Problem in al-

len diesen Debatten ist, dass Sie sich in weiten Teilen an
Nebenkriegsschauplätzen aufhalten. Sie vergeuden Ihre
Zeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Finanzmarktregulierung ist ein hartes Brot. Dazu ge-
hören viel Fleiß und viel Engagement. Wir alle wollen
die Finanztransaktionsteuer. Die Bundesregierung ist in
Europa vorn. Wir machen sehr gute Fortschritte. Aber
tun Sie doch nicht so, als ob das das Allheilmittel in der
Finanzmarktregulierung wäre! Das kann immer nur ein
Element sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ob der Anteil der Hedgefonds nun groß oder klein
ist – es bleibt doch Fakt, dass Sie dieses Baby in
Deutschland mit auf die Welt gebracht haben.


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Die haben es geboren, und wir müssen es erziehen!)


Das können Sie nicht abstreiten. Fakt ist auch, dass wir
das Ganze hier und heute unter Aufsicht und Kontrolle
stellen.

Herr Sieling, ich glaube, wir haben uns an dieser
Stelle verstanden. Machen Sie mit! Arbeiten Sie mit!
Das tun Sie hinter den Kulissen ja auch. Sie tun es nur
nicht, wenn es darum geht, hier ins Mikrofon hineinzu-
sprechen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724014500

Das Wort hat nun Lothar Binding für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1724014600

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich gewusst
hätte, dass der Herr Wissing heute wieder die gleiche
Rede hält, dann hätte ich einige Zitate aus der Vergan-
genheit herausgesucht.

Ich will einmal einen Satz sagen: Die Freiheit des
Marktes geht über alles. – Von welcher Fraktion würden
Sie den hier erwarten? Wann immer jemand etwas in
Richtung Deregulierung tun wollte, war die FDP mit da-
bei. Wenn es etwas zu regulieren gab, waren wir mit da-
bei und Sie haben gesagt, wir sollten nicht jeden Unter-
nehmer unter Generalverdacht stellen, wir sollen nicht
den Markt gängeln, die Freiheit des Marktes gehe über
alles. – Wann immer wir über Schlupflöcher geredet ha-
ben: Waren Sie eigentlich mit dabei? Die Antwort ist
Nein. Wann immer es um Steuergestaltung ging, haben
Sie gesagt: Das ist Misstrauen gegenüber Unternehmern.
Wer macht denn das schon, Steuerhinterziehung, Steuer-
gestaltung? Außerdem: Wer würde denn CDs kaufen?


(Beifall bei der SPD)


Eigentlich sind die Leute doch ganz ehrlich und werden
es sicherlich noch anzeigen. – Sie – ich glaube sogar, Sie
persönlich, Herr Wissing – haben Irland als leuchtendes
Vorbild hinsichtlich des Finanzmarktes und der Steuer-
sätze hingestellt. Wer sich daran erinnert, weiß, wie un-
ehrlich Ihr Vortrag heute war.

Wer hier vor fünf oder zehn Jahren das Wort Bankge-
heimnis in den Mund genommen hat, musste aufpassen,
dass er nicht von den Zwischenrufen von rechts erdrückt
wurde, die das Bankgeheimnis beinahe zum Heiligtum
erhoben haben. Jetzt sind wir froh, dass es aufgehoben
wird und wir mit der Regulierung endlich schärfer vor-





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


angehen können. Insofern haben Sie recht: Sie sind flei-
ßig gewesen und haben viel gemacht. Man muss aber
auch nach der Qualität fragen. Denn die Materie – haben
Sie gesagt – ist wirklich komplex. Es sind mehr als
1 000 Seiten. Das stimmt auch. In diesem Kontext könn-
ten Sie der Opposition auch mal dankbar sein, angesichts
dessen, was wir hier mitgemacht haben in den letzten
Wochen. Noch in der letzten Nacht – oder war es heute
Morgen? – war eine Korrektur in den Unterlagen zu be-
stätigen und zu unterschreiben. Ich glaube, das, was Sie
uns in den letzten Wochen Ihrer Regierungszeit zugemu-
tet haben, ist schon grenzwertig.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724014700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wissing?


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1724014800

Ja, erlaube ich.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1724014900

Ich verspreche Ihnen, Herr Kollege Binding, es ist

eine einfache und klare Frage, nämlich: Sind Sie der
Meinung, dass die SPD, die den Finanzminister in
Deutschland elf Jahre gestellt hat, bis sie 2009 aus der
Bundesregierung ausgeschieden ist, Deutschland regu-
lierte Finanzmärkte hinterlassen hat?


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1724015000

Ich will Ihnen mit einem Beispiel antworten, das

schon erwähnt wurde, um den Wahrnehmungsunter-
schied zwischen uns deutlich zu machen. Eben wurde
kritisiert, dass wir die Hedgefonds zugelassen haben. Es
wurde dem Sinne nach gesagt: Das war eine Art Deregu-
lierung. – Die Antwort ist ganz anders: Es gab in Frank-
reich und England Hedgefonds en masse. Die Gesetzge-
bung hierzu war in Arbeit. Viele Deutsche, die dort
investieren wollten, mussten Französisch oder Englisch
sprechen. Wir haben gesagt: Ist es nicht klüger, Hedge-
fonds in unserem eigenen Markt zu erlauben, um sie zu
regulieren? Sie sprechen mich jetzt auf eine Prüfung an.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen mal Herrn Steinbrück zitieren!)


– Darauf komme ich gleich zurück. – Wie hat diese Re-
gulierung eigentlich funktioniert? War sie gut oder
schlecht? Es gibt heute etwa 8 400 Hedgefonds in der
Welt.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist doch eine einfache Frage!)


– Ich gebe eine einfache Antwort, damit man merkt, wie
sich unsere Wahrnehmung verschiebt.

Von diesen 8 400 Hedgefonds gibt es nur 15 oder 18
in Deutschland. Damals haben die Märkte, für deren
Freiheit Sie kämpfen, gesagt: 80 Milliarden Euro gehen
an Deutschland vorbei. – Ich möchte einmal wissen, was
Sie gesagt hätten, wenn wir Hedgefonds nicht zugelas-

sen hätten. Sie hätten gesagt: Sie sind schuld, dass
80 Milliarden Euro am deutschen Markt vorbeigehen. –
Deswegen haben wir dieses Instrument erlaubt. Jetzt
kann man sagen: Der Hedgefonds war gefährlich. Wie
war die Regulierung? Die Antwort ist: Von den 80 Mil-
liarden Euro sind heute weniger als 2 Milliarden Euro in
Hedgefonds. So funktioniert gute Regulierung. Sie ist
messbar. Nach zehn Jahren kann man sagen: Das war er-
folgreich. Das Gesetz kann sich sehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist die Antwort auf Ihre Frage ähnlich. Wenn
Sie mit meiner Wahrnehmung für sich die Antwort ge-
ben, dann ist das eine supergute Antwort für Peer
Steinbrück. Wenn Sie aber mit Ihrer falschen Wahrneh-
mung die Antwort suchen, werden Sie sie nicht finden.
Das macht mir die Antwort natürlich einfach.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dem jetzigen Gesetz ist die Abkopplung des
Steuer- vom Aufsichtsrecht gut. Es gibt eine eigenstän-
dige Definition, bezogen auf die Investmentbesteuerung.
Die Neustrukturierung des Investmentsteuerrechts ist
ebenfalls gut – ich kritisiere nur die Dinge, die uns nicht
gefallen –: Es schafft insbesondere die Differenzierung
bezogen auf die Investmentfonds, die bestimmten An-
forderungsprofilen genügen müssen. Im Gesetz findet
sich dazu ein Katalog; das ist sehr gut. Ferner werden die
Investitionsgesellschaften wie Kapitalgesellschaften be-
handelt. Man kann sagen: Das ist wieder ein schönes Ge-
setz. Hierzu möchte ich gern den Eimervergleich anfüh-
ren: Es ist wieder ein Eimer. Sie haben richtig viele
Eimer produziert. Ein Eimer kann schön sein, weil er
eine schöne Form hat, weil er schön gebördelt ist, weil
der Henkel schön ist. Und doch: Wenn der Eimer Löcher
hat, dann werde ich diesen Eimer nicht kaufen. Ich
würde der SPD-Fraktion, den Grünen, auch den Linken
empfehlen, dies ebenfalls nicht zu tun. Warum Sie Eimer
kaufen, die Löcher haben, möchte man doch gern wis-
sen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sagen: Der Eimer ist ganz schön. – So wie Sie ihn
hinstellen, ist er auch ganz schön. Denn man sieht die
Löcher nicht. Manche Löcher sind klein, die großen sind
unten. Erst wenn man den Eimer hochhebt, merkt man,
was passiert ist.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist alles im Eimer!)


Deshalb ist klar: Mit dieser Komplexität können Sie
erreichen, dass niemand versteht, was wirklich passiert.

Wo sind eigentlich die Schlupflöcher? Ich vermute,
von den Zuhörern, die heute hier sind, betreiben die we-
nigsten einen Investmentfonds. Die wenigsten haben ir-
gendwelche Thesaurierungen in Luxemburg. Falls dies
doch auf Sie zutrifft, dann müssen Sie sich überlegen, ob
das, was die SPD will, nicht besser für Sie ist. Denn wir





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


wollen nicht diejenigen schützen, die solche Thesaurie-
rungsgestaltungen im Ausland haben. Wenn Sie diese
nicht haben, können Sie sich beruhigt zurücklehnen.
Dann sind Sie bei uns auf der sicheren Seite.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Beifall bei der SPD)


Was wir ebenfalls gut finden, ist, dass die Koalition
einer Bundesratsforderung, und zwar in Bezug auf die
OGAW, gefolgt ist. Ich soll das immer schön übersetzen,
hat der Herr Präsident vorhin gesagt. Es handelt sich bei
den OGAW um die Organismen für gemeinsame Anla-
gen in Wertpapieren; das ist die deutsche Übersetzung.
Es ist aber trotzdem schlecht zu verstehen. Das sind In-
vestmentfonds, die bestimmten europäischen Richtlinien
folgen. Es sind also gut geregelte Investmentfonds nach
europäischem Recht. Man unterwirft diese OGAW, also
eine große Gruppe von Fonds, nun einem ganz bestimm-
ten, auch auf Deutschland angepassten Anforderungska-
talog. Auf diese Weise können sie dann so besteuert wer-
den, wie wir das gerne möchten. Ich denke, das haben
Sie ganz gut geregelt, indem Sie die OGAW in den An-
forderungskatalog aufgenommen haben.

Was uns auch gut gefällt: Sie haben eine Anregung
aus der Anhörung mit aufgenommen, nämlich die Be-
fristung des Bestandsschutzes für AIFs, also für alterna-
tive Investmentfonds, die die Anforderungen des Kata-
logs nicht mehr erfüllen. Das ist eine gute Sache. Denn
einem Fonds auf alle Ewigkeit etwas zu gewähren, der
Bedingungen nicht erfüllt, die alle anderen erfüllen müs-
sen, wäre natürlich sehr schlecht gewesen.

Wir sehen noch ein Problem in der Einführung einer
Investmentkommanditgesellschaft und überlegen ent-
lang der Einwände des Bundesrates, ob hier nicht in Be-
zug auf die Gestaltung große Gefahren existieren. Man
muss sich in Anbetracht der zahlreichen bereits existie-
renden Rechtsformen, die unser System so komplex und
kompliziert machen, überlegen, ob es im Rahmen der
speziellen Fragestellung, die wir hier zu lösen haben,
klug ist, eine neue Rechtsform einzuführen. Wenn das
unser Verfahren wird, dann haben wir demnächst x-be-
liebig viele Rechtsformen. Das wird sicherlich sehr
kompliziert.

Was am Schlechten gut ist, ist, dass Sie dieses Instru-
ment auf Pension Pooling reduzieren. Das ist eine gute
Sache. Es bleibt natürlich fraglich, ob diese neue Rechts-
form nötig ist. Mit dieser offenen Frage will ich zum
Ende kommen.

Auf die ausländischen Kapitalinvestitionsgesellschaf-
ten, in die man Gewinne thesauriert und damit auf sehr
lange Zeit steuerfrei stellt, inklusive der Zinseszinsef-
fekte, ist schon eingegangen worden. Die vielen anderen
Löcher kann ich jetzt mit Blick auf die Uhr, die mir „mi-
nus 16 Sekunden“ anzeigt, nicht mehr vortragen. Aber
wir hätten in dieser Richtung noch viel zu sagen.

Ich fasse zusammen: Sie folgen mit diesem Gesetz-
entwurf einer marktkonformen Demokratie. Und die
wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724015100

Das Wort hat Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1724015200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Früh-

ling 2010 haben wir hier das erste Finanzmarktregulie-
rungsgesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet.
Das hatte etwas mit aufsichtsrechtlichen Vergütungs-
strukturen zu tun. Mit dem Zustimmungsgesetz zur Ban-
kenunion werden wir aller Voraussicht nach im Juni die-
ses Jahres das letzte Gesetz für diese Legislaturperiode
in diesem Bereich verabschieden.

Dazwischen liegen mehr als 30 Gesetze und 10 Initia-
tivanträge. Dabei waren kleine Sachen wie das Sitzab-
kommen für die Europäische Versicherungsaufsicht, die
EIOPA in Frankfurt. Dabei waren kleine, aber wichtige
Sachen wie das KfW-Gesetz, in dessen Rahmen wir die
KfW unter Aufsicht gestellt haben. Dabei waren ganz
große Dinge, zum Beispiel die Gesetzentwürfe – AIFM
und CRD IV –, über die wir heute sprechen. Dabei wa-
ren Sachen wie die OGAW-IV-Richtlinie und die sehr
wichtige Regulierung der Derivate unter dem Titel
EMIR, die wir umgesetzt haben, weil sie uns von euro-
päischer Seite vorgegeben wurden. Dabei waren auch
eine Menge ziemlich innovativer Dinge; in diesem Be-
reich ist Deutschland nämlich vorangegangen. Dazu ge-
hören das Restrukturierungsgesetz – das wurde eben
schon angesprochen –, das Verbot der Leerverkäufe, die
Regulierung des Hochfrequenzhandels und auch die
erstmalige Regulierung der Honorarberatung. Da haben
wir etwas ganz Neues geschaffen.

Wenn man sich die Bilanz insgesamt anschaut, dann
erkennt man, dass es eine durchaus erstaunliche Bilanz
ist. Sie zeigt, dass diese Bundesregierung von dem star-
ken Willen beseelt war, die Finanzmärkte zu regulieren
und den finanziellen Verbraucherschutz zu verbessern.
Ohne dass wir damit fertig sind, kann man, glaube ich,
sagen: Das ist uns durchaus gelungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber man muss auch sagen – es ist hier an der einen
oder anderen Stelle angeklungen –: Das war hin und
wieder mit der einen oder anderen Zumutung verbunden.
Erst einmal war es – das muss man ganz klar sagen –
eine Zumutung für die Kreditinstitute in diesem Land.
Da hat jemand gesagt: Ein Regulierungs-Tsunami ist
über uns hereingebrochen. – Das ist nicht ganz falsch.
Die Institute müssen unglaublich viele Verfahren ändern
und Bürokratie aufbauen. Auf der anderen Seite ist es
auch für diejenigen eine Zumutung, die fragen: Ist denn
alles, was da reguliert werden soll, richtig aufeinander
abgestimmt? Ist das alles konsistent?

Es ist auch eine Zumutung für die Verbraucher, die
sich an viele neue Produktinformationsblätter und Re-
geln gewöhnen müssen. Es ist eine Zumutung für die





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


Unternehmen, die den Preis dafür zahlen müssen, weil
Finanzdienstleistungen teurer werden. Es ist nicht zu-
letzt für uns hier im parlamentarischen Verfahren eine
Zumutung. Man muss sich einmal überlegen, wie viele
Daten, Paragrafen und Gesetze wir im Finanzausschuss
in den letzten vier Jahren bewegt haben. Das ist eine
enorme Leistung, die wir hier vollbracht haben.

Jetzt könnte man fragen: Musste das denn alles so
sein? Musste das alles in dieser Geschwindigkeit gesche-
hen? Ist da wirklich „no alternative to it“, wie es so
schön im europäischen Kontext heißt? – Natürlich wäre
die Alternative gewesen, sich mehr Zeit zu lassen, Aus-
wirkungsstudien in Auftrag zu geben und es noch ge-
nauer zu prüfen. Aber man muss eines sagen: Wir holen
hier Versäumnisse auch vergangener Regierungen nach,
die nicht reguliert haben oder in die falsche Richtung re-
guliert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das, meine Damen und Herren, ist jetzt gar nicht mal so
sehr der große Vorwurf. Denn die Regulierungspolitik
auch unter der rot-grünen Koalition war vom Zeitgeist
geprägt, der besagte: Wir müssen deregulieren.

Ich möchte das Stichwort Zeitgeist einfach hier in die
Runde werfen. Denn wir haben momentan einen Zeit-
geist, der besagt, dass alles reguliert werden muss. Viel-
leicht ist es so, dass in zehn Jahren jemand fragt:
Mensch, was haben die denn da alles reguliert? Warum
haben die nicht ein bisschen mehr darüber nachgedacht? –
Insofern wird es in der nächsten Legislaturperiode
unsere große Aufgabe sein, dass wir das, was wir wahn-
sinnig schnell aufgebaut haben, fine-tunen – wie es so
schön heißt –, dass wir für Konsistenz sorgen und bei
diesen Prozessen Bürokratie abbauen. Ich glaube, das
sind wir auch den Menschen schuldig, die in diesem
Land in den Finanzinstituten arbeiten. Das sind wir ins-
besondere den mittelständischen Strukturen, den Volks-
banken, Sparkassen und kleinen Privatbanken, schuldig,
weil sie von der Bürokratie im Zusammenhang mit der
Regulierung am meisten betroffen sind.

Wenn ich all das, was wir gemacht haben, zusammen-
fasse und es an den Kritikversuchen der Opposition
messe, die wir gerade gehört haben, komme ich zu dem
Schluss: Es ist wohl so schlecht nicht gewesen. Lieber
Axel Troost, du hast immer gesagt: Eigentlich nicht
schlecht, aber man hätte noch ein bisschen mehr machen
können.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die Richtung stimmt, ja!)


Das heißt doch, wir haben die Probleme identifiziert. Es
ist das Privileg der Opposition, zu sagen: Wir hätten all
das noch ein bisschen schärfer gestaltet. – Morgen, bei
der Debatte zum Trennbankengesetz, werdet ihr uns er-
zählen: Unser Trennbankengesetz wäre noch viel trenn-
bankiger als das gewesen, was ihr entwickelt habt.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie machen ja gar keins! – Manfred Zöllmer [SPD]: Ihr tut ja nur so!)


Ihr werdet auch sagen: Unser Hochfrequenzhandelsge-
setz hätte den Hochfrequenzhandel noch viel stärker re-
guliert als das, was ihr entwickelt habt. – Aber Sie müs-
sen doch eines anerkennen: Wir haben die Probleme im
Prinzip richtig identifiziert und die richtigen Maßnah-
men eingeleitet; das Herumkritisieren bezieht sich auf
Details. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es wäre auch
schlecht, wenn die Opposition das nicht machen würde;
denn das ist ihre Aufgabe. Insofern vielleicht ein Ap-
plaus dafür, dass die Opposition ihrer Aufgabe nachge-
kommen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] und Holger Krestel [FDP])


Ich komme jetzt zu den drei Gesetzen, die heute ver-
abschiedet werden. Das AIFM-Steuer-Anpassungs-
gesetz, mit dem sich Antje Tillmann dankenswerter-
weise beschäftigt hat, ist schon hochesoterisch und
hochspeziell. Da muss man einfach sagen: Klasse, dass
wir das so schnell hinbekommen haben.

Vielleicht ein Satz zum AIFM-Umsetzungsgesetz. Da
ist behauptet worden: Ein riesiger Bereich dort wird
nicht reguliert; da liegt eine Schwelle bei 100 Millionen
Euro, und die dürfen sich auch noch bis zu 60 Prozent
verschulden. – Soll ich Ihnen einmal sagen, wo es die
meisten Projekte mit einem Volumen unter 100 Millio-
nen Euro und einer Verschuldung von über 60 Prozent
gibt? Im Bereich der erneuerbaren Energien. Es sind die
Windparks an der schleswig-holsteinischen Westküste,
die mit einem Leverage von 90 Prozent finanziert wer-
den. Lieber Lothar Binding, da könnte man sich einmal
fragen, ob das nicht die Hedgefonds der Neuzeit sind.
Denn kein Hedgefonds würde mit einem solchen Hebel
arbeiten. Insofern muss man immer aufpassen, dass man
das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet. Wir wollten
auch diese Projekte schützen. Wir haben die Bürgerener-
gieprojekte im Bereich der Genossenschaften geschützt,
weil uns die Energiewende in diesem Land sehr wichtig
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP])


Zu dem CRD IV-Umsetzungsgesetz. Kollege Sieling
hat gesagt: Ja, ihr habt ja erst ganz spät angefangen, zu
arbeiten, und jetzt müsst ihr alles so schnell fertigma-
chen. Sorry, lieber Kollege Sieling, wir haben lange auf
unsere europäischen Kollegen gewartet.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Wo ist denn der Kollege?)


Wir wären schon im Jahr 2010 handlungsfähig gewe-
sen. Dieser Bundestag hat im Jahr 2010 einen Entschlie-
ßungsantrag auf den Weg gebracht, in den wir unsere Er-
wartungen an den CRD IV-Prozess hineingeschrieben
haben. Im Übrigen sind von den elf geforderten Punkten
im Zuge des Brüsseler Prozesses zehn Punkte von dieser
Bundesregierung mehr oder weniger hineinverhandelt
worden.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist das! Jawohl!)






Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


Darüber hinaus haben wir es noch geschafft, die Mittel-
standskomponente zu stärken. Man kann insgesamt fest-
stellen: eine hervorragende Bilanz.

Eben sind die Kollegen im Europäischen Parlament
gelobt worden – dem schließe ich mich teilweise an –,
aber ehrlich gesagt: Wir wären viel schneller fertig ge-
wesen, wenn sie diesen Prozess nicht immer wieder mit
neuen Forderungen belastet hätten. Dann hätten wir das
Gesetzesvorhaben schon längst abgeschlossen. Das ist
nicht geschehen, aber das liegt nicht in unserer Verant-
wortung.

Wir haben ein nahezu wahnwitziges Verfahren durch-
gezogen: Mitte April haben wir die Daten von der Euro-
päischen Union erhalten. Das Bundesfinanzministerium
hat in zwei Wochen die entsprechenden Umdrucke, die
Gesetzesänderungen, produziert. Eine Woche später
wurde die Anhörung dazu durchgeführt, und wieder eine
Woche später werden wir nun das ganze Gesetzgebungs-
vorhaben abschließen. Das ist für ein reguläres Gesetz-
gebungsvorhaben in der Geschichte des Deutschen Bun-
destages einmalig. Ich möchte mich ausdrücklich bei all
denjenigen bedanken, die das konstruktiv begleitet ha-
ben, die es möglich gemacht haben, dass das überhaupt
geschieht. Das war kein Selbstzweck, und es ist auch
kein Spaß gewesen.

Unsere Finanzindustrie muss die Basel-III-Regeln,
die CRD IV-Regeln bis zum 1. Januar 2014 in den Syste-
men verankern und umsetzen. Wenn wir uns, wie von ei-
nigen gefordert, mehr Zeit genommen hätten, dann hätte
der 18. Deutsche Bundestag dieses Gesetz im November
wahrscheinlich in einem ähnlichen Hauruck-Verfahren
beschlossen, und unsere Banken hätten dann vier Wo-
chen oder auch nur zwei Wochen Zeit gehabt, das Ganze
umzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen bitte ich um Nachsicht, wenn es an der einen
oder anderen Stelle geruckelt hat. Wir mussten so vorge-
hen, und es war richtig, dass wir das gemacht haben. Das
zeigt, dass diese Regierungskoalition und diese Bundes-
regierung sehr verantwortungsvoll mit Finanzmarktregu-
lierung umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Redner der FDP schließen heute immer mit dem
Satz: Es waren vier gute Jahre.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Jahre waren gut, das stimmt! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ich denke, du redest morgen noch mal!)


Die Jahre waren auch gut für Deutschland. Die Jahre wa-
ren nicht gut für jede Oppositionspartei, aber die Jahre
waren sehr gut für den Bereich der Finanzmarktregulie-
rung. Das kann man wohl sagen.

Wir haben unglaublich viel bewegt. An einigen Stel-
len hat die Opposition durchaus sehr konstruktiv mitge-

arbeitet, an anderen Stellen nicht. Insgesamt können wir
alle, die wir hier sitzen, sehr stolz auf das sein, was wir
geschafft haben. Die Aufgabe ist nicht beendet. Wir wer-
den weitermachen. Wir haben in den nächsten vier Jahre
noch viel vor.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724015300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie über den Zugang zur Tätigkeit von
Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditin-
stituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des
Aufsichtsrechts an die Verordnung über die Aufsichtsan-
forderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen

(CRD IV-Umsetzungsgesetz). – Wahrlich ein langer Ti-

tel eines Gesetz.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Empfehlung – das sind die Drucksachen 17/13524
und 17/13541 –, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksachen 17/10974 und 17/11474 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/13542 vor, über den wir zuerst abstim-
men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-
trag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der beiden Koalitionsparteien und der SPD gegen die
Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Beratung angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13524,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge, zunächst über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13543.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktio-





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


nen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthal-
tung der Linken abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/13544. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der Lin-
ken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 5 b. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter
alternativer Investmentfonds, AIFM-Umsetzungsgesetz.
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/13395, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 17/12294 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD
und Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-
vor angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/13518. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der bei-
den Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD
und Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/13519. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 5 c. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer
Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz. Der Finanz-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
– das sind die Drucksachen 17/13522 und 17/13562 –,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 17/12603 und 17/13036 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 6 aufrufe, teile
ich mit, dass die Tagesordnungspunkte 8 und 9, die dann
folgen werden, getauscht werden, sodass die namentli-
che Abstimmung zum Atalanta-Einsatz gegenüber dem
ursprünglichen Zeitplan etwa 30 Minuten früher stattfin-
den wird.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für alle Kinder und Jugendlichen eine hoch-
wertige und unentgeltliche Verpflegung in
Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten

– Drucksachen 17/11880, 17/13451 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Petra Crone
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Nicole Maisch

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Carola Stauche für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Carola Stauche (CDU):
Rede ID: ID1724015400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Ich möchte meiner Rede eine Defini-
tion voranstellen, die ich beim Durchblättern eines Poli-
tiklexikons gelesen habe und die, wie ich finde, sehr gut
zu diesem Antrag passt:

Populismus bezeichnet eine Politik, die sich volks-
nah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Ängste der
Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und ver-
meintlich einfache und klare Lösungen für politi-
sche Probleme anbietet.

Ich denke, eine bessere Beschreibung für diesen Antrag
kann man nicht finden. Es klingt gerade im Wahlkampf
natürlich besonders gut, kostenlose Verpflegung in
Schulen und Kindertagesstätten zu fordern.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, das wäre doch schön!)


Wir haben über dieses Thema bereits im Januar aus-
führlich diskutiert. Ich habe Ihnen, der Opposition, be-





Carola Stauche


(A) (C)



(D)(B)


reits damals gesagt, dass eine gesunde und ausgewogene
Ernährung der Kinder auch für uns als christlich-liberale
Koalition sehr wichtig ist. Dies gilt ebenfalls für die Bun-
desregierung. Viele der im Antrag gestellten Forderungen
wurden bereits umgesetzt. Bundesministerin Aigner und
dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz gilt hierfür mein Dank.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wofür denn?)


Ich verweise gerne noch einmal auf die Internetseite des
Ministeriums,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ah!)


auf der man, wenn man es will, viel Wissenswertes und
Interessantes zu dem im Antrag diskutierten Thema fin-
det. Die Bedeutung von Schulgärten und eines gesunden
Frühstücks werden dargestellt. In einem Absatz erfährt
man, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesell-
schaft für Ernährung als Orientierung verstanden werden
sollen. Dies wird übrigens im Antrag gefordert. Ideen für
Ernährungswettbewerbe, ein Kinderkochbuch, ein Er-
nährungsleitfaden und vieles mehr sind ebenfalls auf der
Seite des BMELV zu finden. Auch auf die „IN FORM“-
Projekte, welche sich an Kinder und Jugendliche richten,
wird dort hingewiesen.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass komplett kos-
tenlose Verpflegungen in Schulen und Kindertagesstät-
ten nicht hilfreich sind,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


um Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für den
Wert von Nahrung zu vermitteln.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das schaffen Sie ja nicht mal für Erwachsene!)


– Ja, das stimmt.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wertschätzung bildet man nicht nur durch eigenes Zu-
bereiten der Nahrung. Um etwas wertschätzen zu kön-
nen, muss man auch den monetären Wert erkennen. Si-
cherlich bildet sich Wertschätzung nicht nur dadurch,
aber man darf diesen Aspekt nicht vernachlässigen.

Ich denke, besonders gefragt sind die Familien; denn
hier findet zuallererst Ernährungsbildung statt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Familien sind zum Beispiel beim Frühstück gefragt;
dies haben Sie in Ihrer letzten Rede gefordert. Die Fami-
lien sollen sich morgens für ein gemeinsames Frühstück
zusammensetzen. Ich weiß, dass das nicht in jedem Fall
möglich ist, aber man kann den Kindern zumindest einen
schön gedeckten Frühstückstisch bieten, sodass sie sich
an den Tisch setzen und frühstücken. Die Eltern müssen
darauf achten, dass dies auch getan wird. Wenn das nicht
möglich ist, kann man auch zusammen Abendbrot essen.
Das fördert Ernährungsbildung zuallererst.

Sie kritisieren in Ihrem Antrag das Bildungs- und
Teilhabepaket als zu bürokratisch. Ich habe mich in mei-
nem Wahlkreis kundig gemacht. Es ist nicht so, wie Sie
es beschreiben; Beispiele zeigen dies deutlich. Das Es-
sensgeld wird direkt an die Schulen überwiesen, und
dort werden den betroffenen Kindern die Essensmarken
genauso gegeben wie den Kindern, deren Eltern das
Geld selbst überweisen. Es besteht kein Unterschied.
Aber man kann nicht mehr tun, als den Kindern das
Essen hinzustellen und ihnen Besteck zu geben. Essen
müssen die Kinder selbst.


(Mechthild Rawert [SPD]: Gegessen wird das, was auf den Tisch kommt! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


– Ja, es ist so.

Es findet keine Stigmatisierung der bedürftigen Kin-
der statt. Die Hilfe kommt unbürokratisch und unkom-
pliziert an. Natürlich müssen der Landkreis und der
Landrat das im Vorfeld entsprechend organisieren. Ich
habe auch schon anderes erlebt – das gebe ich zu –, aber
nicht unbedingt bei unserer Klientel.

Ängste zu schüren und Bürger und Bürgerinnen zu
verunsichern, überlassen wir Ihnen. Wir maßen uns nicht
an, zu wissen, was gut und was schlecht für die Kinder
oder für die Bürger ist.


(Mechthild Rawert [SPD]: Deswegen gibt es auch keine Präventionsstrategie!)


– Doch, eine Präventionsstrategie haben wir. Nur, sie
muss vor Ort auch angewandt werden. Gefragt sind hier
die Länder, die Schulen und die Eltern im Schulbeirat
vor Ort; denn sie sind die Hauptverantwortlichen, wenn
es darum geht, was in den Schulen gegessen wird, wer
die Auswahl trifft und wie hoch die Kosten sind. Sie ent-
scheiden vor Ort mit. Deshalb steht für uns der selbst-
bestimmte, eigenverantwortliche Bürger über allem.


(Mechthild Rawert [SPD]: Ach ja? Glauben Sie das wirklich?)


Wir lehnen Ihren Antrag auf Bevormundung ab.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724015500

Das Wort hat Petra Crone für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1724015600

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kollegin-

nen! Meine Damen und Herren! Frau Stauche, Sie hatten
uns sehr neugierig gemacht. Sieben Minuten hatten Sie
nun Zeit, uns zu erzählen, was diese Regierung in puncto
Schulernährung gemacht hat. Ich habe dazu leider nichts
hören können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Petra Crone


(A) (C)



(D)(B)


Gestern war der Internationale Tag der Familie. Dieser
Gedenktag der Vereinten Nationen ist ein klarer Auftrag
an uns, die Politik, auch hier in Deutschland.

Meine Fraktion will mehr für Familien tun. Wir wol-
len, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen
Herkunft, gute Lebenschancen erhalten. Heute Morgen
haben wir an dieser Stelle über unseren Stufenplan im
Hinblick auf das Ganztagsangebot in Kitas und Schulen
bis 2020 diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion will
20 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Betreuung
investieren.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Pro Jahr oder pro Monat?)


Davon profitieren alle Kinder, egal ob arm oder reich.


(Beifall bei der SPD)


Familien sind bunt. Sie haben ganz unterschiedliche
Vorstellungen vom Leben. Die Politik muss sie dabei un-
terstützen, auch beim Thema Ernährung. Früher trafen
sich Alt und Jung meist dreimal am Tag am Familien-
tisch. Dort herrschte zwar nicht durchweg Idylle, aber es
kam immer zum Austausch. Heute sind fast alle Famili-
enmitglieder ganztags außer Haus:


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Das wollen Sie ja! Da sind Sie hinterher! Sie stempeln ja Frauen und Männer ab, die zu Hause bleiben!)


in der Kindertagesstätte, in der Schule bzw. Ganztags-
schule oder auf der Arbeit. Vergangenheit ist Vergangen-
heit. Was allein zählt, ist die Gegenwart. Die Gesell-
schaft hat sich verändert. Das müssen auch Sie, liebe
Kollegen und Kolleginnen von der Koalition aus CDU/
CSU und FDP, akzeptieren. Wir müssen diese neuen
Herausforderungen bewältigen, indem wir geeignete
politische Rahmenbedingungen setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Berufstätige Mütter und Väter werden durch eine ver-
nünftige Schulverpflegung deutlich entlastet, organisato-
risch und – wie ich finde, trotz oder gerade wegen des
Elternanteils – auch finanziell. Das ist eine schöne Sache
für die Eltern und ein weiterer Schritt hin zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Auch heute treffen sich die meisten Familien zum
Abendessen. Neben der Aufnahme von Lebensmitteln
und Nährstoffen für den Organismus kommt jetzt auch
die Kommunikation zu ihrem Recht. Mahlzeiten sind
eine Form davon. Wichtig ist, dass dabei jeder und jede
zu Wort kommt, auch die Kleinsten und Kleinen. Ich bin
überzeugt, dass dieser „Appetit auf Gemeinschaft“ in
uns allen steckt. Wir müssen bei der Schulernährung
Strukturen und Qualitäten schaffen, die diesen Appetit
wecken und stillen: in der Gemeinschaft, auf gesunde
Weise und ohne Diskriminierung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP] – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht aber in dem Antrag nicht drin!)


Liebe Kollegin Binder, es ist Ihr Verdienst, dass wir
heute zum zweiten Mal den Antrag Ihrer Fraktion zur
Verbesserung der Schulverpflegung in Deutschland de-
battieren. Keiner hier im Saal darf sich aus der Verant-
wortung für die gesunde Ernährung unserer Kinder und
Enkel stehlen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade haben Union und FDP mit viel Tamtam ein
Präventionsgesetz auf den Weg gebracht. Bei genauer
Betrachtung stellt man leider fest: Es ist – wie sagte es
meine Kollegin Angelika Graf so schön? – ein Hauch
von Nichts.


(Christoph Poland [CDU/CSU]: Na, na! Jetzt ist es aber gut! Jetzt reicht es aber!)


Damit ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Ju-
gendlichen gelingen kann, müssen Gesundheitsförde-
rung und Prävention verstärkt in Kindertagesstätten und
Schulen ansetzen. Gute Ganztagsschulen, wie sie die
SPD-Bundestagsfraktion will, bieten hervorragende
Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Ernährungs-
bildung. Daraus wachsen positive Präventions- und mit-
telfristige Gesundheitseffekte.

Wir betrachten den Bund als Nutznießer guten Ernäh-
rungsverhaltens. Neben der eigenen Person profitieren
Krankenkassen, öffentliche Haushalte und Sozialversi-
cherer.

Die Bereitstellung einer gemeinsamen, gesunden und
diskriminierungsfreien Schulverpflegung ist von essen-
zieller Bedeutung; dabei sollen die Qualitätsstandards
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur Orientie-
rung dienen. Ja, das ist mit höheren Kosten verbunden.
Wir sagen nicht: Der Bund ist der Goldesel, der alles
zahlt. – Wir sagen: Der Bund wird die Länder wie die
Kommunen durch geeignete Maßnahmen in die Lage
versetzen, diese Aufgaben auch erfüllen zu können.

Was kann der Bund konkret tun? Drei Beispiele: Ers-
tens. Er kann dafür eintreten, dass die Schulspeisung in
den EU-Katalog von Bereichen einer möglichen Mehr-
wertsteuerermäßigung aufgenommen wird. Zweitens. Er
kann die Vernetzungsstellen Schulverpflegung weiterhin
unterstützen und die Förderung der Forschung zum
Ernährungsverhalten von Kindern stärken. Drittens. Er
kann, wie von uns vorgeschlagen, mit einem Investi-
tions- und Entschuldungspakt die Kommunen in die
Lage versetzen,


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Das sollen erst einmal die Länder machen! Die Länder saugen die Kommunen aus! Schauen Sie einmal nach Rheinland-Pfalz: Da wurde der Nürburgring gebaut!)


bei der Vergabepraxis die Qualität vor den Preis zu set-
zen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich
finde es wirklich schade, dass Sie mit Ihrer „Vollkosten-
mentalität“ in diesem Punkt über das Ziel hinausge-





Petra Crone


(A) (C)



(D)(B)


schossen sind. Sie geben dadurch – wir haben es gerade
gehört – Union und FDP die Möglichkeit, der Debatte zu
entgehen. Dass unsere Kolleginnen und Kollegen von
der schwarz-gelben Koalition diese Chance nutzen, ver-
steht sich von selbst. Man werfe nur einen Blick auf die
Argumentation der CDU/CSU-Fraktion in der Be-
schlussempfehlung, über die wir heute debattieren: Es
müsse mehr getan werden. – Ja, unbedingt! – Verant-
wortlich seien aber Länder, Kommunen und Eltern. Die
Aussagen zur mangelhaften Schulspeisung würden jeder
Grundlage entbehren. – Diesen Punkt finde ich beson-
ders interessant: Hier wird einmal ganz schnell eine Stu-
die der Hochschule Niederrhein als unseriös dargestellt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Von wem denn?)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, über welches belast-
bare Datenmaterial verfügen Sie und Ihr Ministerium ei-
gentlich, wenn Sie die Zuständigkeit mantraartig Län-
dern und Kommunen zuschieben? Die FDP warnte im
Ausschuss sogar davor, die Frage der Verpflegung von
Kindern und Jugendlichen auf die Bundesebene zu ver-
lagern. Dazu fällt mir, ehrlich gesagt, gar nichts mehr
ein.

Die SPD-Bundestagsfraktion entzieht sich ihrer Ver-
antwortung nicht. Wer wie wir einen Rechtsanspruch auf
eine Ganztagsschule schaffen möchte, der macht sich
auch Gedanken über die Zukunft der Schulernährung.
Darum, liebe Kollegen und Kolleginnen, wird die SPD-
Bundestagsfraktion nach dem Regierungswechsel


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Was für ein Regierungswechsel? Wovon reden Sie denn?)


die finanziellen Aspekte einer besseren Schulspeisung
genauer unter die Lupe nehmen. Bis dahin ist glückli-
cherweise nicht mehr lange hin.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724015700

Das Wort hat nun Hans-Michael Goldmann für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1724015800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Frau Crone, ich habe eben erst einmal
meinen Kollegen gefragt, bei welchem Tagesordnungs-
punkt wir eigentlich im Moment sind. Wenn ich das
richtig sehe, diskutieren wir über einen Antrag der
Linken, dessen Titel lautet: „Für alle Kinder und Jugend-
lichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung
in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten“.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Guter Antrag!)


Wir diskutieren nicht über die Inhalte, die Sie hier ange-
sprochen haben, Frau Crone; Sie haben nämlich gar kei-
nen Antrag dazu vorgelegt.


(Petra Crone [SPD]: Und dann darf ich nicht mitsprechen?)


Man muss sich das, was Sie eben gesagt haben, einmal
auf der Zunge zergehen lassen: Sie wollen mit Ihren gu-
ten Ideen erst hinter dem Berg hervorkommen, wenn Sie
Regierungsverantwortung haben. So habe ich Opposi-
tion bis jetzt nicht verstanden. Ich glaube, es ist die Auf-
gabe der Opposition, in einen aktuellen Diskussionspro-
zess Anträge einzubringen, die deutlich machen, in
welche Richtung man marschieren will.

Ich bin ja einverstanden, darüber zu reden, dass der
Mehrwertsteuersatz auf Schulverpflegung geändert wer-
den muss. Ich bin einverstanden, wenn Sie sagen, es
solle noch mehr für Forschung getan werden, obwohl
wir das schon tun. Aber man sollte schon zur Sache spre-
chen, und die Sache ist von ganz einfachem Charakter:
Die Linken sagen, der Bund solle für eine Aufgabe auf-
kommen, die eindeutig Sache der Länder oder der Schul-
träger ist, und das sind manchmal nicht nur die Kreise.


(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


– Sie haben eine so liebliche Stimme. Sprechen Sie doch
einmal, indem Sie sich melden! –


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Die Zuständigkeit muss bei denjenigen liegen – lassen
Sie sich das ganz in Ruhe sagen –, die das am besten
können. Ich kann nur davor warnen, zu glauben, man
müsse unsere Schulen mit Finanzmitteln von oben über-
schütten und damit wäre für eine vernünftige Ernäh-
rungskunde bzw. Ernährungslehre und eine vernünftige
Verpflegung in der Schule gesorgt. Das ist der falsche
Weg.

Die Schulen müssen in Verbindung mit den Elternver-
tretungen und den Schulvorständen das richtige Modell
für die jeweilige Schule entwickeln, und dabei darf es
nicht nur um die Bestellung des Caterers gehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Lassen Sie uns doch gemeinsam bei den Entscheidungen
auf Kreis- und Stadtebene dafür plädieren, dass bei der
Ausschreibung für ein Angebot, das in der Schule reali-
siert werden soll, nicht nur die Kosten, sondern auch die
Qualität entscheidend sind. Hier sind wir uns sofort ei-
nig. Wir müssen aber auch ehrlich sein und sagen: Die
Entscheidung für die richtige Weichenstellung muss vor
Ort getroffen werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte noch einmal betonen: Es geht nicht nur
darum, dass etwas hingestellt wird. Es müssen Räum-
lichkeiten vorhanden sein, in denen Kommunikation ge-
pflegt wird, und es muss auch eine Verbindung zur Re-
gion hergestellt sein. Mir ist ein Besuch in einer
berufsbildenden Schule hoch im Norden, in Wittmund,
unvergessen, wo ein riesiger Kerl mit großer Liebe
kleine, gleich große Möhrenstückchen schnitt. Dabei
stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Wahrscheinlich hat
er es in seinem Alltag, vielleicht sogar in seinem Berufs-
leben, mit größeren Teilen zu tun. Ich fragte ihn: Warum





Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)


geben Sie sich eigentlich so viel Mühe, damit alles
gleich groß ist? – Er sagte mir: Ansonsten wäre die
Kochzeit unterschiedlich, und damit wäre der Energie-
kostenaufwand höher. Deswegen müssen alle Stücke
gleich groß sein. – Da habe ich gesagt: Herzlichen
Glückwunsch, lieber Lehrer, du hast kapiert, was beim
Thema Schulverpflegung im Grunde genommen auf die
Tagesordnung gehört. Es geht nicht darum, nur etwas be-
reitzustellen, sondern es muss ein Prozess so weit durch-
drungen werden, dass er für die Menschen erfahrbar
wird und dass daraus ein Ernährungswissen entsteht, das
vernünftige Entscheidungen ermöglicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Petra Crone [SPD]: Sprechen Sie doch bitte zum Antrag!)


Zum Antrag der Linken – Frau Binder, Sie können
mir abnehmen, dass ich ein bisschen Ahnung davon
habe; schließlich war ich über Jahrzehnte Ernährungs-
lehrer in berufsbildenden Schulen – kann ich nur sagen:
Ihr Antrag geht völlig an der Sache vorbei. Ich will Ih-
nen auch sagen, warum – Frau Crone und Frau Stauche
haben das hier schon angesprochen: Es macht keinen
Sinn, für jedermann einen gleichen Betrag zur Verfü-
gung zu stellen. In diesem Fall macht es vielmehr Sinn,
sich Gedanken darüber zu machen, wo wir Akzente set-
zen können und wo wir das lassen sollten.

Meine Kinder brauchten in der Schule keinen Zu-
schuss zur Schulverpflegung. Das konnte ich wirklich
selbst leisten. Wir sollten dafür sorgen, dass auch in die-
sem Bereich ein gewisses Maß an Gerechtigkeit reali-
siert wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin ein biss-
chen enttäuscht, dass Sie, Frau Crone, heute an vielen
Stellen so getan haben, als wollten Sie dem Antrag zu-
stimmen. Ganz zum Schluss haben Sie dann noch einen
eleganten Schwenk gemacht und von der Regierungsver-
antwortung gesprochen, die Sie sich erträumen. Ich frage
mich: Warum diskutieren Sie das eigentlich nicht mit
uns im Ausschuss in der nötigen Qualität? Warum haben
Sie Ihre Argumente nicht bei der Beratung im Ausschuss
eingebracht? Warum bauen Sie hier ein Luftschloss, von
dem Sie genau wissen, dass das der Realität in keinster
Weise Rechnung trägt?

Die Schulverpflegung ist eine ganz wichtige Sache,
keine Frage. Ich bin auch für eine Anschubfinanzierung
in diesem Bereich, analog zu dem, was die Bundesregie-
rung bei den Krippen und den Kindertagesstätten ge-
macht hat. Ich durfte letzten Sonnabend dabei sein, als
eine Kindertagesstätte eingeweiht wurde. Dabei wurde
endlich einmal erwähnt, dass solche Einrichtungen auch
mit Fördermitteln des Bundes und nicht nur mit Mitteln
der Kommunen auf den Weg gebracht werden.

Wir sind bei den Themen Kita und Ganztagsschule,
bei den Bereichen Bildung und Information, auch beim
Projekt IN FORM, doch gar nicht auseinander; das ver-
folgen wir doch gemeinsam. Lassen Sie uns diesen Weg
zum Wohl der Kinder gemeinsam weitergehen. Das ist

der richtige Weg. Der Antrag der Linken sieht vor, dass
8 Milliarden Euro für die Schulen und 11 Milliarden
Euro für die Kitas ausgegeben werden. Das Geld soll so-
zusagen im Power-on-Verfahren über alle Schulen mit
ihren völlig unterschiedlichen Strukturen ausgeschüttet
werden. Das ist der falsche Weg.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724015900

Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724016000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Eine Schülerin aus Berlin
schreibt im Internetportal „openpetition“ zu einer vor
kurzem angestoßenen Petition für eine kostenfreie
Schulverpflegung:

In unserer Schule gibt es gutes Bioessen, allerdings
habe ich nicht das Geld, mir dort … etwas zu kau-
fen. Teilweise hab ich von 8 bis 17 Uhr Schule, und
da halte ich es nicht ohne Essen aus.

Eine Mutter aus Niedersachsen, die von BAföG lebt, er-
klärt:

Und dann muss ich monatlich noch 60 Euro fürs
Schulessen zahlen … Und das Schlimmste daran
ist, dass es … nur winzige Portionen gibt und mein
Kind trotzdem hungrig von der Schule kommt.

Das, meine Damen und Herren, liebe Kollegin Stauche,
ist die traurige Lebenswirklichkeit an Schulen und Kitas
in Deutschland.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist sie eben nicht! Das sind Einzelbeispiele! Schicken Sie mir das einmal aus Niedersachsen!)


Frau Kollegin Stauche und auch Herr Kollege
Goldmann, ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie die
Kommentare – ich schicke Ihnen den Link zu, Herr
Goldmann – und nehmen Sie zur Kenntnis, wie das Le-
ben vieler Kinder und Eltern tatsächlich aussieht.


(Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Schulverpflegung, wenn die Eltern nicht zahlen können, wird vom Sozialamt bezahlt! Das wissen Sie genauso wie ich! Das stimmt doch einfach nicht, was Sie da sagen!)


Frau Heil, Sie haben im Ausschuss gesagt, Deutsch-
land sei bei der Schulverpflegung gut aufgestellt. Herr
Goldmann, Sie meinten, Eltern und Lehrer kümmerten
sich nicht genug, wenn die Qualität und die Versorgung
nicht stimme, und der Bund sei nicht zuständig.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ganz im Gegenteil: Ich habe gesagt, Sie sollten sich darum kümmern! Es ist eine Unverschämtheit, was Sie da sagen!)






Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)


Kollegin Crone, auch ich hatte das Gefühl, die SPD
müsste eigentlich zustimmen können; aber Sie halten un-
sere Aufstellung der Kosten für utopisch. Frau Crone,
wir haben uns das nicht ausgedacht. Wir haben viele Ge-
spräche mit Köchen, Hauswirtschafterinnen und Ernäh-
rungswissenschaftlern, Eltern und Kommunen geführt.
Von den Fachleuten wurde ermittelt: Wir kommen mit
unter 4 Euro pro Mahlzeit nicht hin, wenn wir eine quali-
tativ hochwertige Ernährung in der Kita- und Schulver-
pflegung gewährleisten wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Kommen wir zu den leidigen Fakten: 90 Prozent der
Schulkantinen in Deutschland weisen Qualitätsmängel
auf, urteilt die Hochschule Niederrhein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Gehen Sie hin, und klären Sie das!)


Höchstens ein Drittel der Kitas und Schulen mit Verpfle-
gung orientiert sich an den anerkannten Qualitätskrite-
rien, mit denen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
arbeitet. An vielen Schulen sind Mensen nur behelfsmä-
ßig vorhanden, und die Essenspausen sind mit 30 bis
45 Minuten definitiv zu kurz, um ordentlich essen zu
können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das müssen Sie auch von oben regeln! Erlassen Sie ein Pausengesetz!)


Wenn es überhaupt warme Mahlzeiten gibt, sind die
Speisen einseitig, oft zu süß und zu fett. Oft werden
diese Speisen bis zu sechs Stunden warmgehalten. Dann
haben sie erstens jeden Geschmack verloren, zweitens
sind die Nährstoffe und Vitamine weg,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das wird besser, wenn es aus Berlin kommt!)


und drittens bieten sie den idealen Nährboden für Krank-
heitskeime. – Mahlzeit!


(Widerspruch von der CDU/CSU und der FDP)


Ich frage Sie: Was sind Ihnen die Kinder und unsere
Zukunft wert?


(Beifall bei der LINKEN)


Essen, eine gute Kita- und Schulverpflegung, gehört zu
einer guten Bildung dazu.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht um das Selbstverständnis, dass Ernährung und
Bildung zusammengehören. In vielen Ländern ist dies
eine Selbstverständlichkeit. Wer kluge Köpfe haben will,
muss auch für die notwendige Grundlage sorgen. Bauch
und Kopf arbeiten da Hand in Hand. Deshalb fordert die
Linke eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung
für jedes Kind in Schule und Kindergarten.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kollegin Maisch von den Grünen, wir stehen
vor dem Problem, Chancengleichheit für die Kinder in
der Bildung herzustellen. Das funktioniert nur, wenn die
Verpflegung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ist
und jedem Kind unentgeltlich zur Verfügung steht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!)


Nun zum Stichwort „Geld“. Die Fachleute – ich habe
sie vorhin aufgezählt – sind sich einig: Unter 4 Euro pro
Kind am Tag ist eine hochwertige Verpflegung nicht zu
machen. Es geht doch nicht nur um die Kosten für die
Lebensmittel und die Zutaten. Es geht doch auch um
eine ordentliche Bezahlung von Fachpersonal, um Kos-
ten für den Unterhalt der Mensa, um Geschirr und die
Reinigung. Es geht, nicht zu vergessen, auch um 19 Pro-
zent Mehrwertsteuer, wenn das Ganze nicht über eine
gemeinnützige Einrichtung oder einen Verein organisiert
werden kann. Wenn wir allen Kindern eine gute Mahl-
zeit zur Verfügung stellen wollen, kostet das den Bund
circa 8,3 Milliarden Euro im Jahr. Dieses Geld muss
aufgebracht werden, und es wäre aufzubringen. Wir
bräuchten lediglich das Dienstwagenprivileg und die
Ausnahmeregelungen der Industrie im Energiebereich
abzuschaffen. Dann wäre das Geld für die Schulverpfle-
gung für alle Kinder beisammen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Machen Sie das doch in den Kommunen, wo Sie die Mehrheit haben!)


Die Linke fordert erstens hochwertige und unentgelt-
liche Kita- und Schulverpflegung, und zwar vom Bund
finanziert. Der Bund ist hier in der Pflicht, für die Her-
stellung gleicher Lebensverhältnisse zu sorgen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern zweitens, Qualitätsstandards, wie sie die
Deutsche Gesellschaft für Ernährung vorschlägt, gesetz-
lich zu verankern. Wir fordern drittens, ein Investitions-
programm zum Aus- und Neubau von Küchen und Men-
sen in Kitas und Schulen aufzulegen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das bezahlen Sie aus eigener Tasche!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724016100

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist bis jetzt der beste Satz!)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724016200

Ich bin gleich so weit, Herr Präsident. – Wir fordern

viertens, die Vernetzungsstellen Schulverpflegung durch
den Bund dauerhaft zu finanzieren. Es ist ein Skandal,
dass Frau Ministerin Aigner die Förderung dieser Fach-
stellen auslaufen lassen will. Fünftens fordern wir, die
praktische Ernährungsbildung und Lernküchen zum fes-
ten Bestandteil des Erziehungs- und Lernalltags zu ma-
chen. Das ist eine ganz wichtige Sache, die man aber mit
den Ländern und Kommunen regeln muss.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724016300

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss

kommen.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724016400

Jawohl. – Ich schließe meinen Beitrag mit der Forde-

rung einer Schülerin bei „openpetition“:

Jedes Kind muss gleiche Chancen haben. Das be-
trifft den Lernstoff, aber auch ein gesundes regel-
mäßiges Essen.

Ich bedanke mich für Ihre Geduld.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724016500

Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724016600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Kolleginnen und der Kollege von Union und FDP haben
heute zum wiederholten Mal ihre Lieblingsausrede für
politisches Wenig- oder Nichtstun zur Aufführung ge-
bracht: Sie fühlen sich einfach nicht zuständig für die
Schulernährung.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Großartig! Sie hatten schon einmal mehr geboten!)


Handeln sollen immer die anderen: die Kommunen, die
Bundesländer, Frau Crone,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein, da fehlt die Zuständigkeit!)


die EU, im Fall von Frau Stauche auch die Eltern am
heimischen Herd. So ist es natürlich auch beim Thema
„Mittagessen an Schulen“.

Dabei wissen die PR-Profis auf der Ministerinnen-
bank doch durchaus, dass man mit dem Thema „gesunde
Ernährung für Kinder“ bei den Bürgern und Bürgerinnen
punkten kann. Die Ernährungsministerin weiht mit
Herrn Mälzer zehn Schulküchen pro Jahr ein. Die So-
zialministerin verkauft ihr Bildungs- und Teilhabepaket
als wirksames Mittel, das jedem Kind ein warmes Mit-
tagessen auf den Tisch bringt.


(Beifall der Abg. Carola Stauche [CDU/CSU] und Hans-Michael Goldmann [FDP])


Die Öffentlichkeitsarbeit war wie immer grandios. Cha-
peau, die Damen! Aber wo sind die konkreten Schritte
zur Einführung einer gesunden und bezahlbaren Verpfle-
gung für alle Schul- und Kindergartenkinder in unserem
Land?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Notwendigkeit ist unbestritten; Frau Binder hat Ih-
nen das, denke ich, überzeugend dargelegt. Auch die
Handlungsmöglichkeiten des Bundes sind vorhanden.

Was Ihnen fehlt, sind Kreativität und politischer Gestal-
tungswille.

Sie kennen die erschreckenden Zahlen zu Überge-
wicht und Fehlernährung bei Kindern. Sie wissen, dass
Ganztagsschule ohne vernünftiges Essen nicht funktio-
nieren kann. Sie wissen auch, dass von Übergewicht und
Fehlernährung besonders Kinder aus armen Familien be-
troffen sind. Hier bildet sich die soziale Spaltung an den
Körpern der Kinder ab. Ich denke, das sollte für Sie Mo-
tivation für politisches Handeln sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])


Frau Stauche, Sie haben uns die Erfolge der Koalition
ausführlich dargelegt. Ich finde es schön, dass es ein
Kinderkochbuch gibt. Ich finde es schön, dass es eine
entsprechende Homepage gibt. Aber wir wollen, dass
Kinder in der Schule etwas Vernünftiges zu essen haben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Habt ihr denn Anträge in den Ländern gestellt?)


Ich denke, das ist das politische Ziel.


(Carola Stauche [CDU/CSU]: Ihr seid aber in vielen Ländern beteiligt!)


Aber was macht die Bundesregierung? Sie streicht
den Schulvernetzungsstellen das Geld zusammen. Der
Bedarf an Schulverpflegung steigt. Sie streichen die Fi-
nanzierung zusammen. Das passt inhaltlich nicht zusam-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])


Frau Stauche, was das Bildungs- und Teilhabepaket
angeht, empfiehlt es sich bisweilen, die Empirie der ei-
genen Argumentation über den eigenen Wahlkreis hi-
naus auszuweiten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Na, na, na, Frau Maisch!)


Dann hätten Sie erfahren, dass lediglich 27 Prozent der
anspruchsberechtigten Kinder den Anspruch auf ein Mit-
tagessen wahrnehmen. Das liegt daran, dass über 50 Pro-
zent der Anspruchsberechtigten von dem Programm
noch gar nichts wissen oder die Beantragung der Leis-
tungen aufgrund von bürokratischen Hindernissen nicht
bewältigen können.


(Carola Stauche [CDU/CSU]: Das ist dummer Quatsch!)


30 Prozent der Kinder, die Anspruch auf ein warmes
Essen in der Schule haben, besuchen Schulen, in denen
es ein solches Angebot nicht gibt. Ich denke, auch das
muss Anstoß zu politischem Handeln sein, das über das
Kinderkochbuch und die nette Homepage hinausgeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Nicole Maisch


(A) (C)



(D)(B)


Wir Grünen sagen: Alle politischen Ebenen sind im
Zusammenspiel gefordert. Wenn Sie auch der Meinung
sind, dass kein kleiner Bauch in der Schule oder Kita
leer bleiben soll, dann müssten Sie doch die Kommunen
und die Länder beim Ausbau von Schulküchen und
Mensen unterstützen.

Es war vielleicht nicht der schlaueste Schritt, den Sie
– das muss man zugeben – gemeinsam mit der SPD un-
ternommen haben, nämlich ein Kooperationsverbot im
Bildungsbereich einzuführen. Das erschwert die Neuauf-
lage eines Ganztagsschulprogramms; aber es wird auch
wieder andere Mehrheiten geben, die das hoffentlich be-
enden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie uns die Instrumente, die wir schon auf
Bundesebene haben, wie die Absatzförderung, die För-
derinstrumente in der GAK und die Förderinstrumente
für den ökologischen Landbau nutzen, um regionale
Strukturen der Schulverpflegung auszubauen.


(Carola Stauche [CDU/CSU]: Das kann man auch alleine! Das funktioniert bei uns!)


Dazu braucht man nicht einmal eine Föderalismusre-
form. Dazu braucht man einfach nur den Willen und
Kreativität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Instrumente liegen auf dem Tisch. Ich finde, Sie
sollten sie nicht länger dort liegenlassen, sondern entwe-
der aktiv werden oder es andere besser machen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724016700

Nächste Rednerin ist Kollegin Marlene Mortler für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1724016800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das waren schon einige Zumutungen, die wir
hier erleben mussten.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden gut dafür bezahlt! Das können Sie sich antun!)


Ich konstatiere: Ihr Weltbild ist teilweise so weltfremd,
dass es für mich in weiten Teilen Ihrer Aussagen er-
schütternd, ja nahezu erschreckend war.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich will keinem im Raum
Autismus unterstellen.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollten Sie auch nicht! Das wäre eine Beleidigung!)


Aber der Ministerin und dem BMELV zu unterstellen, in
diesen vier Jahren wäre nichts passiert, ist nicht nur ha-
nebüchen,


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr!)


sondern schlichtweg gelogen. Ich erinnere an die Vernet-
zungsstelle Schulverpflegung und an die sogenannten
DGE-Standards, die Standards der Deutschen Gesell-
schaft für Ernährung. Wer hat denn diese Themen ge-
spielt bzw. in die Länder getragen? Das war unsere
Ministerin.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Gespielt, und dabei ist es geblieben!)


Auch wenn der Lernort Familie an Bedeutung verlo-
ren hat, gilt für mich heute und in Zukunft – ich denke
dabei an Kolping –: In der Familie muss beginnen, was
in Staat und Gesellschaft blühen soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist ja richtig prosaisch!)


In Ihrem Antrag spielen die Eltern eine absolute Neben-
rolle. Für mich spielen die Eltern auch in Zukunft eine
Hauptrolle. Elternverantwortung ist Eigenverantwor-
tung, und Eigenverantwortung braucht Elternverantwor-
tung.

Schule und Staat – das wissen wir alle – können die
Herausforderungen der Zukunft nicht stemmen. Der
Bund kann und darf nicht immer mehr Aufgaben und
Ausgaben der Länder übernehmen, schon gar nicht,
wenn er nicht zuständig ist.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Man kann ihn aber zuständig machen, Frau Mortler!)


Der Bund ist weder für hochwertige und kostenlose Ver-
pflegung zuständig noch für ein Investitionsprogramm
für Küchen, Mensen, den Ausbau und Neubau oder zu-
sätzliches Personal. Das können Sie in meiner letzten
Rede genau so nachlesen.

Aber lassen Sie mich zur Vernetzungsstelle Schulver-
pflegung kommen. Sie ist aus dem Projekt IN FORM
des BMELV, unseres zuständigen Ministeriums, entstan-
den. Ich danke an dieser Stelle unserem Ministerium
– der Staatssekretär ist anwesend – ganz ausdrücklich.
Es ist aus meiner Sicht noch nie so viel im Zusammen-
hang mit Ernährungsbildung passiert wie in dieser
Legislaturperiode.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich finde es klasse, wie mein Bundesland Bayern ge-
rade die Verpflegung zusammen mit der ganzen Schul-
familie, insbesondere mit den Eltern, und mithilfe von
Coaching jeden Monat optimiert: Was können wir tun,
damit das Schulessen noch besser abgestimmt ist?

Was nichts kostet, wird aus meiner Sicht nicht wert-
geschätzt. Deshalb muss mindestens 1 Euro pro Schul-
essen als symbolischer Beitrag vonseiten der Eltern ge-
zahlt werden; denn auch das Essen zu Hause kostet
Geld.





Marlene Mortler


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich halte fest: Schulessen ist Ländersache, genauso
wie die Gestaltung des Schulorts.

Ich bin stolz, dass meine Landfrauen in Bayern mit ei-
ner großen Unterschriftenaktion ein weiteres wichtiges
Ziel erreicht haben. Ab dem Schuljahr 2013 werden All-
tagskompetenz und Lebensökonomie in Bayern zum
verpflichtenden Unterrichtsgegenstand erklärt. Die ent-
sprechenden Fächer werden zielgerichtet ausgebaut,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


und zwar in Modulen gegliedert und über alle Jahrgangs-
stufen und Schularten hinweg. Das ist ein toller Erfolg.
Ich würde mich freuen, wenn diese verpflichtenden Un-
terrichtsfächer auch in anderen Bundesländern Schule
machen würden;


(Karin Binder [DIE LINKE]: Lassen Sie der Theorie auch Praxis folgen!)


denn wer Bescheid weiß, ist klar im Vorteil. Dabei gehen
die Inhalte sicherlich über die Themen Ernährungsbil-
dung und Kochen hinaus.

Ich nenne Ihnen zwei Beispiele für Defizite, die uns
nicht egal sein dürfen. Erstes Beispiel. Ein Klassenka-
merad ist bei einer Familie zu Gast, um Hausaufgaben
zu machen und zu essen. Als die Mutter ruft: „Das Essen
ist fertig“, geht der Klassenkamerad nicht zum Tisch,
sondern zur Tür, weil er glaubt, dass der Pizzaservice da
ist.

Zweites Beispiel. Väter und Mütter von „Minikö-
chen“ sind oft erstaunt, dass sie sich plötzlich nach ihren
Kindern richten müssen. Denn Kinder, die spielerisch
das Kochen von A bis Z erlernen, sagen zu Hause auf
einmal: Ich möchte einen schön gedeckten Tisch, und
zwar nicht nur, wenn ich bei den „Miniköchen“ bin.

Vor diesem Hintergrund werbe ich dafür, dass wir alle
in Zukunft dazu beitragen, dass wir nicht nur in Kinder-
tagesstätten, Kindergärten und Schulen, sondern auch zu
Hause in unseren Familien einen schön gedeckten Tisch
haben.

In diesem Sinne: Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1724016900

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Marianne Schieder.


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1724017000

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Es wird niemand bestreiten, dass eine ausgewo-
gene, gesunde Ernährung für die körperliche und geis-
tige Entwicklung von Kindern von ganz besonderer
Bedeutung ist. Es wird auch niemand bezweifeln, dass
über die angelernte Esskultur Lebensstil und Ernäh-
rungsgewohnheiten geprägt werden, die Menschen ein

ganzes Leben lang beeinflussen. Daher haben wir allen
Grund, darüber zu diskutieren, wie es um die Mittags-
verpflegung in unseren Schulen bestellt ist, und alles da-
für zu tun, dass die Mittagsverpflegung nicht als notwen-
diges Beiprogramm abgewickelt, sondern als wichtiger
Teil des schulischen Lernens und des Lebens betrachtet
wird. Es kann nicht nur darum gehen, dass die Schulver-
pflegung möglichst günstig ist. Vielmehr muss es gesun-
des, aber auch schmackhaftes, kindgerechtes Essen ge-
ben. Es muss die Chance ergriffen werden, schon in der
Schule Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang
mit der Schulverpflegung grundlegendes Wissen über
ausgewogene und gesunde Ernährung zu vermitteln und
mit ihnen vernünftiges Verbraucherverhalten einzuüben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP])


Natürlich gehört es für mich dazu, dass bei der Schul-
verpflegung auf die Ressourcen vor Ort geachtet wird;
denn wir haben mitbekommen, welche Probleme es mit
zentralen Cateringstrukturen gibt. Es sind Tausende Kin-
der in mehreren Bundesländern krank geworden, weil
ein einziger Betrieb verdorbene Erdbeeren verarbeitet
hat. Es gibt also wirklich viel zu tun.

Ich meine, dass das Luisen-Gymnasium in München
ein sehr gutes Beispiel ist. Dort ist die Mittagsverpfle-
gung in den Unterricht eingebunden. Da wird nicht nur
gesundes und schmackhaftes Essen vor Ort gekocht,
sondern die unterschiedlichen Klassen der Schule sind in
die Zubereitung eingebunden. Die Kinder lernen im Un-
terricht den Umgang mit und die Verarbeitung von Le-
bensmitteln im praktischen Handeln.

So positiv dieses Beispiel auch ist, dürfen wir die Au-
gen doch nicht davor verschließen, dass das kein flä-
chendeckender Zustand ist, auch nicht in Bayern, liebe
Frau Mortler. Ich zitiere Ihren eigenen Landwirtschafts-
minister. Der hat in einem Vorwort zu einer Studie der
TU München-Weihenstephan gesagt:

Durch den Ausbau des G8 und der Ganztagsschulen
gewinnt die Schulverpflegung in Bayern zuneh-
mend an Bedeutung. Jede zweite Schule bietet
künftig eine Mittagsverpflegung an.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Ist doch überholt!)


Somit erhalten etwa 200 000 Schüler täglich ein
warmes Mittagessen. Das bedeutet aber nicht
zwangsläufig, dass das Essen auch schmeckt oder
gesundheitsförderlich ist.

Er führt weiter aus, dass es da noch viel zu tun gibt,
um den Qualitätsstandard, den er gerne hätte, zu errei-
chen.

Im Übrigen, liebe Frau Mortler, ich war noch im Bay-
erischen Landtag, als Ihre Kolleginnen und Kollegen
von der CSU gegen unseren Widerstand und gegen un-
sere Warnung all die Fächer abgeschafft haben, die Sie
jetzt mit den Landfrauen in kleinen Teilen wieder er-
kämpft haben. Es ist also nicht so, dass die Welt in Bay-
ern in Ordnung wäre und es überhaupt nichts zu tun
gäbe.





Marianne Schieder (Schwandorf)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Insofern haben die Kolleginnen und Kollegen der
Linken natürlich recht mit ihrem Antrag. Aber ich sage
auch dazu: Hier 8 bis 9 Milliarden Euro vom Bund zu
fordern und es als ganz selbstverständlich zu betrachten,
dass es an allen Schulen ein vollkommen kostenloses
Mittagessen geben soll, halte ich für sehr überzogen, für
sehr unseriös, für nicht finanzierbar, auch nicht für not-
wendig und nicht für sinnvoll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Daher werden wir diesen Antrag ablehnen.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Einfach die Auslandseinsätze streichen!)


Ich möchte aber auch sagen, dass wir nur weiterkom-
men werden, auch in Sachen Schulverpflegung, wenn
sich die Rahmenbedingungen ändern. Wir haben heute
schon über unseren Antrag diskutiert, der unter dem
Motto steht, die Bildungschancen mit guten Ganztags-
schulen für alle zu verbessern. Wir müssen in diesem
Zusammenhang natürlich über die Aufhebung des Ko-
operationsverbotes reden;


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


denn solange es das gibt, ist da nichts zu machen. Es ist
leider wahr. Die Aufhebung müsste mehr umfassen als
das, was Union und FDP vorschlagen. Es darf dabei
nicht nur um Hochschulen gehen, sondern auch der Be-
reich Schule muss dabei sein, sodass all die Probleme,
die alle Bundesländer gleichermaßen zu bewältigen ha-
ben, auch gemeinsam bewältigt werden können, Kräfte
gebündelt werden können und der Bund den Ländern
und den Kommunen unter die Arme greifen kann.

Ich weiß natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union und der FDP, dass wir von Ihnen nicht
mehr viel zu erwarten haben, in dieser Legislaturperiode
schon gar nicht. Aber ich bin zuversichtlich; denn der
September ist nah. Spätestens dann, wenn der Münche-
ner Oberbürgermeister Ministerpräsident unseres schö-
nen Landes Bayern ist und Peer Steinbrück Bundeskanz-
ler der Bundesrepublik Deutschland,


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das glauben Ihre eigenen Leute nicht!)


werden wir als SPD-Bundestagsfraktion dafür sorgen,
dass die Länder mit unserem Ganztagsschulprogramm
die nötige Unterstützung vom Bund bekommen. Das ist
ein Grund mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Zuhörerinnen und Zuhörer, für einen Regierungswechsel
in Berlin und auch in Bayern.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724017100

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat jetzt die Kollegin Mechthild Heil von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1724017200

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Das alte deutsche Sprich-
wort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer-
mehr“ – und natürlich Gretel auch nicht –, gilt auch im
Bereich der Ernährung allzu oft; denn die Grundlagen
für einen gesundheitsbewussten Lebensstil werden in der
Kindheit gelegt, und da steht die Familie an erster Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Eltern und die Geschwister leben Ernährungs-
und Bewegungsmuster vor, an denen sich dann die Kin-
der orientieren und die sich im Laufe des Lebens verfes-
tigen. Die Eltern sind es auch, die die Pausenbrote
schmieren und die die Zutaten für die Pausenbrote ein-
kaufen. Die Eltern fragen sich: Kaufe ich eigentlich das
Richtige? Ist das gut und gesund?

Hier herrscht große Verunsicherung. Das zeigt sich an
einem kleinen Beispiel, an der sogenannten Hamburger
Keks-Affäre. Die Eltern von einem vierjährigen Jungen
hatten morgens verschlafen. Sie haben dann ihrem Sohn
ein paar Butterkekse anstatt eines Pausenbrots mit in den
Kindergarten gegeben. Der Junge durfte die Butterkekse
nicht essen. Stattdessen wurden die Eltern aufgefordert,
ihm etwas „Gesundes“ einzupacken.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz viele tolle Beispiele!)


Hier zeigt sich: Hysterie und Verunsicherung sind min-
destens genauso schlimm wie Unwissen und Desinte-
resse an gesunder Ernährung, womit wir es leider allzu
oft zu tun haben. Hilfe ist also gefragt.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was will der Redner uns damit sagen?)


Aber Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, hilft uns an dieser Stelle überhaupt nicht
weiter. Was soll dieser Antrag? Kollegin Stauche hat es
eben schön auf den Punkt gebracht: Das ist reiner Popu-
lismus im Wahlkampf.

Ich will Sie gar nicht noch einmal darauf hinweisen,
dass der Bund überhaupt nicht zuständig ist. Denn Sie
wissen sehr genau, dass das Grundgesetz einer vollen,
direkten Finanzierung der Schulverpflegung durch den
Bund entgegensteht.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Wo? Wo steht das?)


Aber das stört Sie nicht weiter; wir kennen das. Sie for-
dern munter drauflos, ohne Maß und ohne rechtliche
Grundlage.





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


Tatsache ist: Jede Ganztagsschule ist verpflichtet, ein
Mittagessen anzubieten. Dabei wird auch an die Kinder
aus einkommensschwachen Familien gedacht. Sie waren
damals dagegen. Wir haben es eingeführt. Heute erhal-
ten im Rahmen dieses Bildungs- und Teilhabepakets ein-
kommensschwache Familien Leistungen wie das Mittag-
essen in Kindertagesstätten, in Horten und in Schulen,
und das wird gut angenommen. Es ist die am häufigsten
genutzte Komponente des Bildungs- und Teilhabepa-
kets.

Reicht das? Ist das gut, und ist das gesund? Ja, es ist
sehr gut. Damit es auch gesund ist, hat die Deutsche Ge-
sellschaft für Ernährung einen Qualitätsstandard für die
Schulverpflegung entwickelt. Das ist hier wahrlich eine
große Hilfe. Dieser Standard liefert nämlich erstmals
wissenschaftlich gesicherte und praxisbezogene bundes-
weite Standards. Mit gutem Grund liegt es in den Hän-
den der Bundesländer und je nach Landesregierung so-
gar der Schulträger oder der Schulen selbst, in welcher
Weise sie diese Standards in ihren Schulen umsetzen.

In diesem Jahr wurde zum Beispiel ein Integrations-
betrieb in meiner Region mit diesem DGE-Zertifikat
ausgezeichnet. Das ist der erste Betrieb in Rheinland-
Pfalz, der ein solches Zertifikat bekommt. Dieser Betrieb
beliefert pro Tag Schulen und Kindergärten mit ungefähr
1 800 Essen.

Es gibt eine Fülle solcher guten Beispiele von Schul-
verpflegungen in den verschiedenen Regionen. Hier ist
es ein Altenheim, das die Versorgung von Kindergarten
oder Grundschule übernimmt. Dort legen die Eltern frei-
willig einen Euro drauf, um einen Extrawunsch erfüllt zu
bekommen, und die Verbandsgemeinde übernimmt die-
sen Euro für einkommensschwache Kinder. Hier erstellt
ein Spitzenkoch den Küchenplan, und dort findet sich
eine private Anbieterin, die mit frischen Zutaten aus der
Region kocht.

Ich bin immer noch Mitglied im Kreistag und im
Stadtrat. Viele Schulen gehören in unsere Trägerschaft.
Ich kenne viele solcher Beispiele, wie viele von Ihnen
bestimmt auch; es gibt davon Hunderte in Deutschland.
Vor Ort weiß man ganz genau, was die Kinder brauchen.
Aber eins ist klar: Bevormundung von den Linken brau-
chen wir vor Ort ganz bestimmt nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wäre manchmal schon ganz gut!)


All den Initiativen vor Ort, den vielen engagierten El-
tern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Betreuern und
Caterern sei hier an dieser Stelle ein ganz großer Dank
für ihre super Arbeit ausgesprochen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Denn nur so geht es: wenn alle mitmachen und sich für
eine gesunde Lebenswelt für unsere Kinder und Jugend-
lichen einsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724017300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Für alle Kinder und Jugendlichen eine hoch-
wertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und
Kindertagesstätten gewährleisten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/13451, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/11880 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen an-
genommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezem-
ber 2011 über den Beitritt der Republik Kroa-
tien zur Europäischen Union

– Drucksache 17/11872 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (21. Ausschuss)


– Drucksache 17/13444 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Dietmar Nietan
Oliver Luksic
Alexander Ulrich
Manuel Sarrazin

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Josip

(Bochum)

tion der SPD

EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Er-
folg führen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar
Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Michael Roth

(Heringen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der SPD sowie der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN

Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitritts-
prozessen beteiligen

– Drucksachen 17/12182, 17/12821, 17/13444 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Dietmar Nietan





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Oliver Luksic
Alexander Ulrich
Manuel Sarrazin

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung von Rechtsvorschriften des
Bundes infolge des Beitritts der Republik
Kroatien zur Europäischen Union

– Drucksachen 17/12769, 17/12852 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (21. Ausschuss)


– Drucksache 17/13445 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Dietmar Nietan
Oliver Luksic
Alexander Ulrich
Manuel Sarrazin

Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem
Vertrag über den Beitritt der Republik Kroatien zur Eu-
ropäischen Union werden wir später namentlich abstim-
men.

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur An-
passung von Rechtsvorschriften liegt je ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich Sie
darüber informieren, dass auf der Ehrentribüne der Bot-
schafter der Republik Kroatien, Herr Dr. Miro Kovač,
Platz genommen hat.


(Beifall)


Herr Botschafter, im Namen der Kolleginnen und Kolle-
gen begrüße ich Sie sehr herzlich. Ich freue mich, dass
Sie dieser Debatte zum Beitritt Kroatiens zur Europäi-
schen Union persönlich beiwohnen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Oliver Luksic von der FDP-
Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1724017400

Sehr geehrter Herr Präsident! Botschafter Kovač!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute mit
Freude feststellen, dass zum zweiten Mal ein Staat des
ehemaligen Jugoslawien bereit ist, Mitglied der Europäi-
schen Union zu werden. Wir können einen großen Erfolg
feiern, nicht nur für Kroatien, für Deutschland und für
Europa; dieser Schritt ist ein Signal für die ganze Re-
gion. Ich freue mich, dass wir als Bundestag heute in

großer Einmütigkeit und im breiten Konsens dieses Zei-
chen setzen wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kroatien hat einen langen Weg zurückgelegt. Seit Be-
ginn der Verhandlungen sind knapp sieben Jahre vergan-
gen. Der Prozess dauerte so lange wie bei keinem ande-
ren Land zuvor. Das liegt auch an den Erfahrungen, die
man bei vorherigen Beitrittsprozessen gemacht hat. Es
ist wichtig, noch einmal klar zu sagen, dass wir hier be-
sonders genau hingeschaut haben. Die Anforderungen
waren eher härter, die Beurteilungen noch genauer.

Kroatien hat in diesen sieben Jahren enorme Fort-
schritte gemacht, es hat allein in der letzten Legislatur-
periode über 300 Gesetze verabschiedet, um sich Europa
anzupassen und anzunähern. EU-Kommissar Füle hat
recht, wenn er sagt, Kroatien sei heute ein anderes Land
als zu Beginn der Verhandlungen.

Dieser Wandel, der durch den Beitrittsprozess ange-
stoßen wurde, wird nicht enden; er wird weitergehen. Es
ist ein neues Kapitel für das Land, das von Reformbemü-
hungen und Anstrengungen gekennzeichnet ist. Die frei-
willige Teilnahme am Europäischen Semester macht
diese Bereitschaft Kroatiens besonders deutlich.

Gerade wegen der aktuellen Lage – Stichwort „Ser-
bien“ –, wegen der Annäherung, die dort passiert, ist es
jetzt besonders wichtig, dass der Deutsche Bundestag
und die Europäische Union ein klares Zeichen setzen,
dass sich Anstrengungen auszahlen und für mehr Stabili-
tät im Land, in der Region und in Europa sorgen. Deswe-
gen ist der Beitritt Kroatiens auch ein Signal für den ge-
samten Westbalkan.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Die EU hat eine entscheidende Rolle bei Stabilisie-
rung und Demokratisierung gespielt. Wenn man sich ein-
mal die Begründung für die Verleihung des Friedensno-
belpreises an die Europäische Union anschaut, stellt man
fest, dass darin der Beitritt Kroatiens explizit als Faktor
für die Aussöhnung auf dem Balkan genannt wird. Des-
wegen können und sollten wir offen sagen, auch hier im
Deutschen Bundestag, dass die Europäische Union der
größte Demokratieförderer nicht nur in Europa, sondern
auch in anderen Regionen ist. Genau diese Bedeutung
des europäischen Beitrittsprozesses müssen wir immer
wieder erwähnen.

Wir haben Verantwortung, und wir nehmen sie wahr.
Als Bundestagsfraktion der FDP und als Koalition sagen
wir auch immer, dass wir uns zum Thessaloniki-Prozess
bekennen.

Der Beitrittsprozess mit Kroatien ist für den Balkan
ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratisierung
und auf dem Weg der Annäherung an die Europäische
Union. Es zeigt vor allem, dass trotz des Geredes über
die europäische Krise Europa ein Magnet für viele Län-
der bleibt, die Mitglied der Europäischen Union werden
wollen. Deswegen ist der Beitrittsprozess eine Erfolgs-
geschichte.





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch Deutschland profitiert vom Beitritt Kroatiens.
Viele Kollegen waren in Kroatien unterwegs und haben
gesehen, wie stark die Vernetzung ist. Gerade Mittel-
ständler erschließen sich dort neue Märkte. Die wirt-
schaftlichen Verflechtungen sind eine Chance. Deswe-
gen freuen wir uns.

Kroatien ist bereit, als 28. Staat der Europäischen
Union beizutreten. Der Beitritt Kroatiens ist nicht nur für
das Land selbst und für den gesamten Balkan wichtig; er
ist gut für Deutschland und – gerade in der jetzigen
Zeit – gut für Europa.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724017500

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dietmar

Nietan das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1724017600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Während sich in manchen Gründungsstaaten der Euro-
päischen Union Euroskepsis und Renationalisierung
breitmachen, freuen sich die Menschen in Kroatien auf
den Beitritt ihres Landes in die EU. Auch ich freue mich,
dass Kroatien am 1. Juli der 28. Mitgliedstaat unserer Eu-
ropäischen Union wird. Ich möchte an dieser Stelle den
Menschen in Kroatien zurufen: Dobrodošla Hrvatska!
Herzlich willkommen Kroatien in der Europäischen
Union!


(Beifall im ganzen Hause)


Oliver Luksic hat schon darauf hingewiesen: Mit kei-
nem anderen Beitrittskandidaten ist so lange und inten-
siv und hart verhandelt worden, weil die Europäische
Union aus ihren Fehlern zum Beispiel bei der Aufnahme
von Bulgarien und Rumänien gelernt hat. Der Monito-
ringbericht vom 26. März hat deutlich gemacht, dass
Kroatien die geforderten Punkte, die noch offen waren,
erfüllt hat. Das freut uns sehr. Ich will an dieser Stelle
aber auch betonen, dass Kroatien nicht den Fehler ma-
chen darf, dass man die Haltung entwickelt: Einmal in
der Europäischen Union drin, muss man keine weiteren
Reformen machen. Es gibt für Kroatien noch viel in den
Bereichen der Bekämpfung der Korruption, der organi-
sierten Kriminalität und der Wettbewerbsfähigkeit zu
tun. Das muss weitergehen. An dieser Stelle will ich
auch deutlich sagen, dass wir alle dafür sorgen müssen,
dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Grund-
werte unserer Europäischen Union, gelten. Deshalb will
ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass ich die
Rechtsstaatsinitiative unseres Außenministers begrüße.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es richtig, dass es Bemühungen gibt, einen
Mechanismus zum Schutz der Grundwerte der EU zu
entwickeln. Ich freue mich auch sehr, dass der Bundes-
außenminister bei seiner Initiative von den drei Außen-
ministern der Niederlande, Dänemarks und Finnlands
Unterstützung bekommen hat. Ich hoffe, dass es nur ein
Zufall ist, dass es drei Außenminister der Sozialdemo-
kratie sind, die ihn unterstützt haben. Ich hoffe, es gibt
auch konservative Außenminister, die diese Initiative
unterstützen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das hoffen wir auch!)


Sehr geehrte Damen und Herren – auch das hat Oliver
Luksic gesagt –, der Beitritt Kroatiens ist ein Signal für
die gesamte Region: für die Menschen in Serbien, im
Kosovo, in Montenegro, in Albanien, in Mazedonien
und in Bosnien-Herzegowina. Es zeigt nämlich, dass das
Versprechen der Europäischen Union von Thessaloniki
gilt: Wer sich anstrengt, wer Demokratie, Menschen-
rechte, soziale Marktwirtschaft und Frieden mit seinen
Nachbarn ernst nimmt und dafür arbeitet, hat die
Chance, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, darf es keinen Zweifel geben, dass
das Versprechen von Thessaloniki weiter gilt, dass auch
nach dem Beitritt Kroatiens die Tür der Europäischen
Union für alle Staaten, die harte Reformen durchführen,
die unsere Werte erreichen wollen, weiter offensteht.
Auch das muss deutlich werden. Es gibt kein: Nach
Kroatien ist Schluss.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist schon gesagt worden: Die Perspektive, Mitglied
der EU zu werden, ist der Motor für die Demokratisie-
rungsbewegungen in den Staaten, zum Beispiel des
Westbalkan. Sie ist aber auch eine Rückversicherung da-
für, den an manchen Stellen immer noch fragilen Frieden
und die noch immer fragile Stabilität dort weiter zu festi-
gen. Deshalb muss ich hier sehr deutlich sagen: Wer da-
von redet, dass der EU-Erweiterungsprozess nach der
Aufnahme Kroatiens zu stoppen sei, stoppt nicht nur die-
sen Reformmotor, sondern handelt auch verantwortungs-
los im Hinblick auf eine Perspektive auf Frieden und
Stabilität in dieser Region.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle dürfen nicht vergessen, dass die Europäische
Union und wir Europäer in den Vorwehen, beim Aus-
bruch und während des jugoslawischen Bürgerkriegs bit-
ter versagt haben. Ich finde, deshalb tragen wir eine Mit-
verantwortung für die Sicherung von Frieden, Stabilität,
Demokratie und Menschenrechten in dieser Region. Es
darf daher keinen Zweifel daran geben, dass wir den
Weg mit diesen Staaten mitgehen. Deshalb sage ich an
dieser Stelle sehr deutlich: Sollte es – hoffentlich bald –
das Implementierungsabkommen zwischen dem Kosovo
und Serbien geben und sollten – das ist wichtig – aus





Dietmar Nietan


(A) (C)



(D)(B)


diesem Abkommen konkrete nachprüfbare Schritte er-
folgen, die zeigen, dass das nicht nur ein Stück Papier
ist, sondern dass man die Normalisierung zwischen Ko-
sovo und Serbien voranbringen will, dann darf es keinen
Zweifel daran geben, auch nicht in diesem Hohen Hause,
dann muss Serbien ein Beitrittsdatum genannt bekom-
men, damit die Menschen, die jetzt in Serbien diese Re-
formen durchführen, sehen, dass auch für Serbien gilt:
Wer die Bedingungen erfüllt, kann sich auf uns verlassen
und bekommt dann auch ein faires Angebot für den EU-
Beitritt.

Am Ende möchte ich sagen: Viele Menschen in Kroa-
tien freuen sich sicherlich; denn für viele Menschen dort
– das ist dort vielleicht stärker der Fall als bei uns – ist
die Europäische Union immer noch ein großes Frie-
densprojekt. Für die Menschen in der kroatischen Stadt
Vukovar ist der Krieg noch eine reale Erfahrung. Es ist
noch keine 22 Jahre her, dass die Stadt einer schlimmen
Belagerung und Massakern ausgesetzt war. Für die Men-
schen Vukovars ist die Europäische Union der sichere
Hafen für Frieden und Stabilität. Diesen sicheren Hafen
für Frieden und Stabilität sollen aber nicht nur die Men-
schen in Vukovar, sondern alle Menschen in dieser Re-
gion bald erreichen. Deshalb müssen wir weiter hart da-
ran arbeiten, glaubwürdig zu bleiben. Wer Reformen
eingeht, wer ein verlässlicher Partner ist, erhält unsere
ausgestreckte Hand. Darauf müssen sich die Menschen
verlassen können. In diesem Sinne sage ich gerne noch
einmal: Herzlich willkommen, Kroatien!


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724017700

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Thomas Dörflinger.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1724017800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 19. Mai
1991 war der Tag, an dem sich die Mehrheit der Kroatin-
nen und Kroaten in einem Referendum für die Unabhän-
gigkeit vom bisherigen jugoslawischen Bundesstaat aus-
gesprochen hat. Wenige Wochen später, im Juni des-
selben Jahres, erklärte Kroatien einseitig seine Unabhän-
gigkeit. Nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber
hinaus gab es viele, die mit der Position der seinerzeiti-
gen Bundesregierung, namentlich mit der Position von
Hans-Dietrich Genscher als Bundesaußenminister und
von Bundeskanzler Helmut Kohl, die Unabhängigkeits-
erklärung Kroatiens anzuerkennen, kritisch umgegangen
sind.


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: So ist es! Wir erinnern uns!)


– Wir erinnern uns, Herr Bundesaußenminister. – In der
Rückschau können wir durchaus feststellen, dass die
Position der Bundesregierung von damals einen wesent-
lichen Beitrag dazu geleistet hat, Kroatien den Weg nach
Europa zu ebnen und so ein Stück Vorarbeit dafür geleis-

tet hat, dass Kroatien in wenigen Tagen Mitglied der Eu-
ropäischen Union werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In früheren Jahren und Jahrzehnten, schon aus histori-
schen Gründen, ist der Balkan nicht selten als das Pulver-
fass Europas bezeichnet worden. Vor dem Hintergrund,
dass die Europäische Union Trägerin des Friedensnobel-
preises geworden ist, ist dies – da teile ich die Einschät-
zung des einen oder anderen Vorredners – ein Stück ganz
konkrete und praktizierte Friedenspolitik. Durch den Bei-
tritt Kroatiens und durch die Ebnung des Weges für an-
dere Staaten des Westbalkan können wir einen wesentli-
chen Beitrag dazu leisten, dass es in dieser Region und in
Europa in der Zukunft nicht wieder zu kriegerischen Aus-
einandersetzungen kommen kann, da die Europäische
Union sich als ein Friedensprojekt eo ipso begreift.


(Beifall des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])


Kroatien hat – das darf man wohl mit Fug und Recht
behaupten – mit die strengsten Beitrittsverhandlungen
hinter sich gebracht, die es mit Kandidaten für den Bei-
tritt zur Europäischen Union je gegeben hat. Ich gestehe
gerne ein, Herr Botschafter, dass nicht nur der Deutsche
Bundestag in Gänze, sondern speziell auch die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion nicht immer nur ein bequemer
Gesprächspartner für Kroatien waren. Ich sage das nicht,
um mich dafür zu entschuldigen, sondern um zu be-
kräftigen, dass unsere Haltung richtig war. Ich sage das
auch vor dem Hintergrund, dass der Kollege
Dr. Schockenhoff erst vor wenigen Wochen wieder im
Rahmen einer Fact Finding Mission in Kroatien war, um
im Zusammenhang mit dem abschließenden „Monito-
ring-Bericht über die Beitrittsvorbereitungen Kroatiens“
der Europäischen Kommission ein Auge darauf zu wer-
fen, ob denn die Left-overs in den verschiedenen Ver-
handlungskapiteln tatsächlich abgearbeitet sind und ein
Zustand herbeigeführt worden ist, der es erlaubt, dass
Kroatien tatsächlich beitreten kann. Es hat uns alle ge-
freut, dass er von seiner Mission die Botschaft mitge-
bracht hat, dass dies erfolgreich abgeschlossen worden
ist.

An dieser Stelle können wir ein Dankeschön an un-
sere kroatischen Partnerinnen und Partner sagen, aber
auch, Herr Botschafter, an die Botschaft hier in Berlin,
denn zu jedem Zeitpunkt war es ein konstruktives Mitei-
nander. Man hat das ehrliche Bemühen gespürt. Man hat
sich also nicht darauf verlassen, dass der Beitrittsprozess
quasi ein Selbstläufer ist, sondern aus der Einsicht, dass
Kroatien wesentliche Beiträge zum Beitrittsprozess leis-
ten muss, dafür gearbeitet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich will zwei Punkte nen-
nen, die für Kroatien sicher nicht einfach waren. Als Ers-
tes nenne ich die Umstrukturierung und Privatisierung
im Bereich der Werften. Es ist erst kurze Zeit her, dass
dies tatsächlich abgeschlossen worden ist. Als Zweites
möchte ich den Sektor der Justiz nennen. Uns allen sind
in den letzten Tagen E-Mails und Schreiben mit dem





Thomas Dörflinger


(A) (C)



(D)(B)


Ziel zugegangen, die Beitrittsreife Kroatiens in Zweifel
zu ziehen. Das konnte ich schon deshalb nicht nachvoll-
ziehen, weil man einerseits einem unserer deutschen
Berater in Kroatien, dem früheren thüringischen Staats-
sekretär Haußner, pauschale Urteile und Polemik unter-
stellt hat, aber dieses Pamphlet, das uns zuging, anderer-
seits genau jene Polemik und Unsachlichkeit beinhaltete,
die man Herrn Haußner vorwarf; es passte auch inhalt-
lich nicht ganz. Ich sage vor dem Hintergrund dessen,
was wir in den letzten Wochen und Monaten festgestellt
haben: Kroatien hat einen harten Weg hinter sich ge-
bracht und ihn erfolgreich abgeschlossen, meine Damen
und Herren.

Ich will noch ein Wort zu den Entschließungsanträgen
sagen, die uns heute vorliegen und die wir mitberaten.
Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion können
diese Anträge nicht mit unserer Zustimmung versehen.
Warum? – Ich glaube, dass die Beratungen im Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union, aber
auch hier im Deutschen Bundestag in den letzten Wo-
chen und Monaten ein Beweis dafür waren und sind, wie
Beitrittsverhandlungen – am Beispiel Kroatien kann man
das sehr schön nachvollziehen – für die Öffentlichkeit in
ausreichendem Maße transparent gestaltet werden kön-
nen; das wird auch in Zukunft so sein. Deswegen können
wir uns Bemühungen, die darauf zielen, diesen Prozess
noch transparenter zu gestalten, im Grunde genommen
sparen. Wir sind heute an einem Punkt, an dem der Pro-
zess transparent ist.

Ich habe mich – das sage ich auch mit Blick auf die
Beratungen, die wir im Ausschuss für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union geführt haben – etwas über
den Inhalt des einen oder anderen Entschließungsantra-
ges zum Thema Freizügigkeit gewundert. Denn ich habe
natürlich noch im Ohr und im Gedächtnis, wie sich die
damalige rot-grüne Bundesregierung bei der großen Er-
weiterungsrunde 2004 verhalten hat, als Bundeskanzler
Gerhard Schröder im deutschen Interesse sehr darauf ge-
drungen hat, die Freizügigkeit in einem abgestuften Ver-
fahren umzusetzen, durchaus mit unserer Zustimmung
als seinerzeitige Opposition. Die Regelung zur Freizü-
gigkeit, die Gegenstand der Begleitgesetzgebung der
Bundesregierung ist, wird von Rot-Grün nun nicht nur
im Bundesrat infrage gestellt, sondern auch im Bundes-
tag. Diesen Kurswechsel kann ich nicht nachvollziehen;
wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden da
auch nicht mitgehen.

Nachdem mir der Kollege Hartwig Fischer eben, vor
Beginn der Debatte, einen Mini-Crashkurs in Kroatisch
gegeben hat, möchte ich dem Auftrag nachkommen, den
er mir erteilt hat. Weil ich mich in Ihrer Sprache, Herr
Botschafter, zugegebenermaßen nicht so gut auskenne,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Einzige, Herr Dörflinger!)


konzentriere ich mich auf das, was mir der Kollege
Fischer beigebracht hat. In seinem Auftrag, aber auch im
Auftrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich
Kroatien nicht nur in der Europäischen Union willkom-

men heißen, sondern Ihnen auch ein fröhliches „Živjeli!“
zurufen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724017900

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege

Thomas Nord.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Nord (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724018000

Herr Präsident! Herr Botschafter! Sehr geehrte Da-

men und Herren! Kroatien hat – das ist hier schon mehr-
fach gesagt worden – bis zum Beitritt zur Europäischen
Union einen langen Weg zurückgelegt, einen längeren
als alle anderen Beitrittsländer bisher. Nun jedoch wird
Kroatien am 1. Juli dieses Jahres das jüngste Mitglied
der Europäischen Union. Das ist für viele Menschen dort
und auf dem Westbalkan ein Grund zur Freude. Das po-
sitive Referendum zum EU-Beitritt in Kroatien ist für
uns ein wesentliches Argument, um ihm zuzustimmen;
denn für uns ist die Akzeptanz des Beitritts in den Län-
dern selbst entscheidend für unsere eigene Zustimmung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das 2003 gegebene Versprechen einer Beitrittsper-
spektive an den gesamten Westbalkan – davon war hier
schon die Rede – darf angesichts der momentanen Krise
der Euro-Zone und der Europäischen Union nicht zu-
rückgenommen werden. Deutschland steht da gerade an-
gesichts der politischen Mitverantwortung für den Zer-
fall des ehemaligen Jugoslawiens – und hier trennen sich
die Wege – aus unserer Sicht in moralischer Verantwor-
tung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer an dieser Stelle sagt, dass Kroatien von der Aner-
kennung als unabhängiger Staat bis zum heutigen Tag
eine geradlinige Entwicklung vollzogen hat, der blendet
einen Bürgerkrieg aus, der Zehntausende Tote gefordert
hat. Ich finde, das kann man hier nicht machen.


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Was ist das für ein historischer Quatsch!)


Gerade das aktuelle Abkommen zwischen Serbien
und Kosovo besagt im Kern, dass sich beide Seiten auf
dem Weg in die Europäische Union keine Hürden in den
Weg stellen wollen. Das zeigt: Die Beitrittsperspektive
ist der einzige positive Anreiz für einen rationalen Um-
gang zwischen nach wie vor verfeindeten Parteien. Ein
wirklicher Aussöhnungsprozess oder gar eine Anerken-
nung des Kosovo als eigenständiger Staat durch Serbien
kann hieraus eben nicht abgeleitet werden. Erst die Pra-
xis der nächsten Zeit wird erweisen, welche Substanz
dieses Abkommen hat.

Allerdings gibt es auch in Kroatien Menschen, die
den Beitritt nicht mit Freude, sondern eher mit Sorge er-
warten, und das sind bei weitem nicht alles unbelehrbare





Thomas Nord


(A) (C)



(D)(B)


Nationalisten. Es gibt Sorgen und Bedenken, auch in
Kroatien, die wir ernst nehmen sollten. Von 1,7 Millio-
nen erwerbsfähigen Menschen in Kroatien sind 370 000
arbeitslos. Der durch die EU ausgeübte Druck zur Priva-
tisierung der Werften hat hier mehr geschadet, als dass er
genutzt hat. Das Wirtschaftswachstum fiel im Vorjahr
um 1,9 Prozent. Das Haushaltsdefizit stieg zuletzt auf
5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein großer In-
vestitionsboom wird mit dem Beitritt in Kroatien nicht
erwartet. Kroatien wird mit dem EU-Beitritt Handels-
vorteile verlieren, und nur vom Tourismus wird auch
Kroatien auf Dauer nicht leben können.


(Oliver Luksic [FDP]: Quatsch!)


Gerade an Beitrittsstaaten wie Kroatien wird deutlich:
Die mit dem Beitritt auferlegte Wirtschaftspolitik von
Deregulierung, Privatisierung und Abbau öffentlicher
Leistungen ist kein zukunftsfähiger Weg für Europa und
die Europäische Union.


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Anti-Europa-Rede!)


Im Gegenteil, wie die aktuelle Lage in Griechenland,
Spanien, Portugal, Zypern usw. zeigt: Dieser Weg ge-
fährdet nicht nur die Existenz der Euro-Zone,


(Oliver Luksic [FDP]: Warum weinen Sie noch Milosevic hinterher?)


sondern der Europäischen Union insgesamt, Kollege
Luksic.

Notwendig sind gerade auf dem Westbalkan auch öf-
fentliche Programme, also zum Beispiel EU-Investi-
tionsprogramme zur Reindustrialisierung der Region.
Das kann übrigens zum Vorteil für alle Mitgliedstaaten
und ein guter Weg zur Überwindung der Krise insgesamt
sein. Wer sich nur auf private Investoren verlässt, wird
noch die letzte Privatisierung der Telekommunikation
bekommen, und das war es dann. Die Politik der Troi-
kas, der Schuldenbremsen und der Kürzung der Mittel
für die EU ist, aus unserer Sicht jedenfalls, ein Irrweg.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Hat mit Kroatien nichts zu tun!)


Die Kritik an der jetzigen neoliberalen EU-Politik
kann aber nicht dazu führen, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung abzulehnen.


(Oliver Luksic [FDP]: Aha!)


Nach Slowenien wird nun ein zweiter Staat, der aus dem
Zerfall Jugoslawiens hervorging, der Europäischen
Union beitreten. Damit wird der Beschluss von Thessa-
loniki weiter umgesetzt. Durch diese Umsetzung wird
wieder ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger
der Staaten, die aus dem blutigen Konflikt in Jugosla-
wien hervorgegangen sind, in einer gemeinsamen Union
ermöglicht.

Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens zu, weil da-
mit die Aussicht verbunden ist, einen jahrhundertealten
Konflikt beizulegen und dem gesamten Westbalkan eine
Friedensperspektive zu bieten.


(Beifall bei der LINKEN)


Dauerhaft, meine Damen und Herren, wird diese Frie-
densperspektive für den Westbalkan und ganz Europa
nur dann sein, wenn die jetzige selbstzerstörerische Poli-
tik in der Europäischen Union


(Widerspruch des Abg. Oliver Luksic [FDP])


von einer solidarischen, gerechten und demokratischen
Politik für die Menschen in der EU insgesamt abgelöst
wird.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724018100

Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724018200

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich persönlich teile nicht viel von dem, was Herr Nord in
seiner Rede gesagt hat. Ich freue mich aber ausdrücklich
darüber und erkenne an, dass wir hier mit allen Fraktio-
nen dieses Hauses diesen Beitrittsvertrag ratifizieren. An
dieser Stelle möchte ich auch einmal sagen: Kompliment
an die Linkspartei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Von mir kommt das nicht so häufig, aber es ist verdient.

Ich finde es auch gut, dass Sie am Schluss Ihrer Rede
zum Ausdruck gebracht haben, dass die EU, an der es
natürlich immer viel zu kritisieren und noch mehr zu
verbessern gibt, trotzdem eine unglaubliche Kraft hat
und die EU auch als Friedensprojekt keineswegs passé
ist. Deswegen ist es wichtig, dass man zu diesem Projekt
steht.


(Beifall des Abg. Josip Juratovic [SPD])


Meine Damen und Herren! Herr Botschafter! Es gibt
in Kroatien einen Spruch, der an mich herangetragen
wurde: Der Hase ist noch im Wald, das Feuer muss noch
nicht angemacht werden. – Ich glaube, wir können an
dieser Stelle sagen, dass die Republik Kroatien in den
letzten Jahren wirklich viel getan hat, um die Vorausset-
zungen zu erfüllen, die ihr von der Kommission und den
Mitgliedstaaten auferlegt wurden. Kroatien ist durch ei-
nen echten Transformationsprozess gegangen. Kroatien
hat viel geliefert. Wenn ich Kroatien sage, dann meine
ich damit ausdrücklich nicht nur die jetzige oder die vor-
herige Regierung, die Politik oder die Wirtschaft, son-
dern eben auch die Zivilgesellschaft. Dieser Beitrittspro-
zess verlief nur deshalb so erfolgreich, wie er sich bis
jetzt darstellt, weil die gesamte Gesellschaft mitgezogen
und mitgegangen ist. Es gab also einen wirklichen politi-
schen und gesellschaftlichen Transformationsprozess im
Lande. Das ist das Besondere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)






Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)


An dieser Stelle muss man sagen: So ein Transforma-
tionsprozess ist natürlich nie an einem Punkt zu Ende.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ganz klar!)


Zu den Äußerungen unseres Präsidenten, des Bundes-
tagspräsidenten, muss man hier, so glaube ich, deutlich
sagen: Natürlich muss dieser Transformationsprozess
weitergehen. Das, Herr Dörflinger, ist der Grund für un-
seren Entschließungsantrag. Wir wollen, dass dieser ent-
scheidende Akteur, die unabhängige Zivilgesellschaft,
die die Politik immer wieder getrieben hat – bei der Be-
kämpfung der Korruption, in Sachen Rechtsstaatlichkeit
und Anerkennung von Minderheitenrechten, beim
Thema Umweltschutz und beim Thema Naturschutz,
weil Naturschutz und Umweltschutz in vielfacher Hin-
sicht die beste Versicherung gegen Korruption sind –,
jetzt, wo Brüssel als überwachendes Element wegfällt,
weiterhin eine wichtige Rolle in der innerstaatlichen De-
batte in Kroatien spielt. Sie muss weiterhin Gehör fin-
den, um der Politik weiterhin Dampf machen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Dranbleiben können wir Kroatien zutrauen.
Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass es einen
breiten gesellschaftlichen und überparteilichen Konsens
gibt, die Herausforderungen anzugehen. Die Schwierig-
keiten, die Herausforderungen, das, was an Transforma-
tion noch in Kroatien stattfinden soll, soll in einem
Kroatien stattfinden, das gleichberechtigtes Mitglied der
EU der 28 ist und nicht mehr außen vor der Tür steht.
Das ist unser Ziel für die Zusammenarbeit mit Kroatien
in den nächsten Jahren.

Es ist auch eine Frage der Fairness. Auch angesichts
der wirtschaftlichen Probleme in Kroatien, die Herr
Nord gerade genannt hat, ist es nur fair, jetzt zu sagen:
Wir gehen diesen Weg gemeinsam. Wer sich jetzt gegen
diesen Beitritt aussprechen würde, würde nicht nur die
Chancen für das Land verringern, sondern auch die wirt-
schaftlichen Möglichkeiten dieses Landes gefährden.

Wir Grünen richten eine ganze Reihe von Wünschen
an Kroatien, Herr Botschafter. Diese kennen Sie zum
größten Teil schon. Neben der Frage der Transformation
des Landes ist es natürlich von entscheidender Bedeu-
tung, dass der Beitritt Kroatiens wirklich ein Teil des
Friedensprojektes für die gesamte Region ist. Es gab in
den letzten Jahren gewisse Schwierigkeiten, hinsichtlich
eines Beitritts Kroatiens immer überall Einstimmigkeit
herzustellen. Wir erwarten nun natürlich – das wissen
Sie –, dass es den nächsten Staaten, die beitreten wollen,
nicht ähnlich ergeht. Ich glaube, es ist entscheidend, dass
wir in Kroatien einen starken Partner haben, der sich da-
rum kümmert, Bosnien und Herzegowina als direkt an-
grenzendem Staat in der Region so viele Chancen wie
möglich einzuräumen, damit es an den Möglichkeiten,
die Kroatien durch die EU hat, partizipieren kann. Dabei
geht es um Grenzübergänge und um Handelspolitik, aber
natürlich auch um institutionelle Hilfe beim EU-Beitritt.
Es ist einer der wichtigsten Punkte auf unserem Wunsch-
zettel an das EU-Mitglied Kroatien, dass wir uns ge-
meinsam mehr um die Zukunft von Bosnien und Herze-
gowina kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es muss unser Ziel sein,
wirklich offen für junge Leute aus ganz Europa zu sein.
Die Betonung der Tatsache, dass 2030 in Deutschland
6 Millionen Erwerbspersonen weniger sein werden – dies
hat die Bundeskanzlerin diese Woche auf dem großen
Demografiegipfel gesagt –, ist die beste Antwort auf Ihre
ablehnende Haltung zu den Entschließungsanträgen von
Rot und Grün. Wir sollten nicht den Fehler machen, die
Arbeitnehmerfreizügigkeit in Bezug auf Kroatien einzu-
schränken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Schluss.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Unter Bezugnahme auf das genannte kroatische Sprich-
wort „Man sollte das Feuer nicht anmachen, wenn der
Hase noch im Wald ist“ möchte ich sagen: Liebe Men-
schen in Kroatien, lieber Herr Botschafter, Sie können
jetzt getrost das Feuer anstecken, denn der Hase nähert
sich durch diese Abstimmung sprichwörtlich dem Topf.
Darüber freuen wir uns.

Danke sehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Klingt aber martialisch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724018300

Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Guido

Westerwelle.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Kolleginnen und Kollegen! Nur anderthalb Jahr-
zehnte nach Krieg, schweren Menschenrechtsverletzun-
gen und Vertreibung integrieren wir Kroatien in das
große europäische Friedensprojekt. Kroatien ist ge-
schichtlich und auch kulturell ein zutiefst europäisches
Land, und jetzt wird es auch Teil unserer politischen Fa-
milie. Ich denke, wir können parteiübergreifend feststel-
len: Diese Debatte mag unspektakulär und unaufgeregt
verlaufen, aber das Ergebnis ist historisch. Wir gratulie-
ren Ihnen, Herr Botschafter, stellvertretend für das kroa-
tische Volk.


(Beifall im ganzen Hause)


Kroatien hat unter großen Anstrengungen sein Staats-
wesen aufgebaut und seit seinem Beitrittsantrag 2005
seine politische, wirtschaftliche und rechtliche Entwick-
lung am Standard der Europäischen Union ausgerichtet.
Bei der Erfüllung der Kriterien und Auflagen für die
Mitgliedschaft gab und gibt es keine Rabatte. Kroatien
wird als vollwertiges europäisches Mitglied den allge-
meinen Überwachungsmechanismen unterworfen sein.





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)


Ich begrüße die Versicherungen der kroatischen Regie-
rung, auch nach dem Beitritt bei den Reformanstrengun-
gen nicht nachzulassen. Dies ist nicht der Schlusspunkt
einer Entwicklung. Die Entwicklung geht weiter.

Der Beitritt Kroatiens zeigt, dass die Strahlkraft der
Europäischen Union ungebrochen ist. Europa ist eben
nicht nur Krise. Die europäische Perspektive ist der
Treibstoff für den Reformmotor in unserer Nachbar-
schaft. Diejenigen, die schon länger in diesem Hohen
Haus Mitglied sind, erinnern sich bestimmt an manche
Debatte, die wir gerade über den Balkan geführt haben.
Was haben wir hier manchmal mitgelitten? Was haben
wir über die Kriege gesprochen, über die Tausende von
Toten? Was haben wir über die vielen Vertriebenen ge-
sprochen, die Flüchtlinge, die auch in unser Land ge-
kommen sind? Denken wir einmal daran, welche Debat-
ten es in den 90er-Jahren gab, zum Beispiel unsere
Beratungen im alten Deutschen Bundestag in Bonn.
Dass wir heute so weit sind, erfüllt mich und, wie ich
glaube, alle Kolleginnen und Kollegen mit ganz großem
Glück.

Europa ist attraktiv – das ist die Nachricht, die heute
an alle Bürgerinnen und Bürger Europas gesendet wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724018400

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Josip Juratovic.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1724018500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Kroatiens Beitrittsprozess war so lang und so
intensiv wie kein anderer EU-Beitrittsprozess zuvor, und
das war gut so. Der Beitrittsprozess hat die kroatische
Gesellschaft reifen lassen. Nach der Monarchie, dem Fa-
schismus, dem Kommunismus und dem nationalisti-
schen Postkommunismus ist Kroatien endlich in einer
funktionierenden Demokratie angekommen. Mit den
Forderungen der EU nach mehr Demokratie und nach ef-
fizienter und unabhängiger Justiz hat sich die kroatische
Gesellschaft modernisiert. Dass Kroatien der EU beitritt,
ist nicht nur für die Kroatinnen und Kroaten gut, sondern
auch für die Europäische Union, und zwar aus vier
Gründen:

Erstens. Dank seiner Reife kann Kroatien mit seinen
Herausforderungen jetzt selbstständig umgehen.

Zweitens. Kroatien übernimmt eine Vorbildfunktion
für die anderen Staaten des westlichen Balkans. Das Bei-
spiel Kroatien zeigt: Es lohnt sich, Reformen durchzu-
führen.

Drittens. Kroatien nimmt eine aktive Vermittlerrolle
zwischen der EU und dem westlichen Balkan ein. Da-
durch ist Kroatien ein Garant für Frieden und Stabilität
in Südosteuropa.

Viertens. Kroatien wird innerhalb der EU ein verläss-
licher Partner bei der Lösung der europäischen Heraus-
forderungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich spreche heute
aber nicht nur zu diesem feierlichen Anlass. Wir als
SPD-Fraktion fordern die sofortige Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit für die kroatischen EU-Bürger.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Europa ist eine Wertegemeinschaft. Zu den Werten
unserer Gemeinschaft zählen vor allem Frieden, Freiheit
und Solidarität. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die
Übersetzung des europäischen Freiheitswertes in ein
konkretes Recht für jeden Einzelnen. Dieses Freiheits-
recht muss vor allem für die Menschen gelten; es darf
nicht nur für den freien Verkehr von Waren und Kapital
gelten. Wir dürfen die Menschen nicht in „brauchbar“
und „unbrauchbar“ einteilen, nach dem Motto: Die einen
lassen wir rein, die anderen nicht. Jeder europäische
Bürger hat das Recht auf diese Freiheiten und sollte glei-
che Chancen auf Arbeit haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun gibt es Kritiker, die Panik verbreiten, dass unser
Arbeitsmarkt überschwemmt würde. Doch es gibt kei-
nen Grund zur Panik. Denn die Erfahrungen aus den ver-
gangenen EU-Beitritten zeigen: Diejenigen, die kommen
wollen, kommen so oder so nach Deutschland, ob sie re-
gulär arbeiten dürfen oder nicht. Wenn sie nicht als so-
zialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten dürfen,
dann zwingen wir sie allerdings in ihrer Not in die
Scheinselbstständigkeit und in die Schwarzarbeit. Das
ist Ausbeutung. Das kann nicht in unserem Sinne sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit stärken wir hingegen
gute Arbeit in Deutschland und in Europa.

Wir machen einen Fehler, wenn wir die Arbeitneh-
merfreizügigkeit für Kroatien mit der sogenannten Ar-
mutszuwanderung aus Südosteuropa vermischen. Die
Armutszuwanderung ist ein europaweites Phänomen,
das auch europaweit gelöst werden muss. Vor allem
brauchen wir eine Lösung, wie die Kommunen entlastet
werden, die so knapp bei Kasse sind, dass schon verhält-
nismäßig wenige Asylbewerber eine finanzielle Heraus-
forderung darstellen.

Der Bundesrat hat die Bedeutung der Arbeitnehmer-
freizügigkeit bereits erkannt und beschlossen, dass keine
Übergangsfristen für Kroatien gelten sollen. Die Bun-
desregierung will jedoch, dass Deutschland die Arbeit-
nehmerfreizügigkeit für Kroatien einschränkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Ge-
währen Sie den kroatischen EU-Bürgern die gleichen
Rechte, die für alle Europäer gelten!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Josip Juratovic


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zur Euro-
päischen Union war für Kroatien sehr lang. Kroatien hat
dabei viel Unterstützung aus Europa erfahren, insbeson-
dere aus Deutschland. Der Vorsitzende des Europaaus-
schusses im kroatischen Parlament, Daniel Mondekar,
hat mich darum gebeten, in seinem Namen dem Bundes-
tag für diese großartige Unterstützung zu danken. Dem
Dank schließt sich auch der kroatische Botschafter
Dr. Kovač an. Auch für mich als gebürtigen Kroaten
geht mit dem EU-Beitritt Kroatiens ein Traum in Erfül-
lung. Dafür danken wir allen Fraktionen dieses Hauses,
die den Beitritt Kroatiens aktiv und konstruktiv begleitet
haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kroatien wird der
Europäischen Union in einer schweren Wirtschafts- und
Finanzkrise beitreten. Kroatien ist bereit, einen aktiven
Beitrag zu leisten, damit die EU diese Krise bald hinter
sich lässt. Dies ist eine ermutigende Nachricht. Erstens
zeigt dies, dass Solidarität nicht nur von der EU einem
Beitrittskandidaten gewährt wird, sondern diese auch er-
widert wird. Zweitens zeigt der Beitritt Kroatiens, dass
das europäische Projekt nicht der Vergangenheit ange-
hört, sondern der Zukunft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724018600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Karl Holmeier.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1724018700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr

Botschafter! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in
einer Zeit, in der diejenigen, die an der europäischen
Idee zweifeln, immer lauter das Wort ergreifen, in einer
Zeit, in der Europaskeptiker leider immer mehr Gehör
finden, zuerst ein paar Worte an die Kritiker eines Bei-
tritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union
richten: Am 1. Juli dieses Jahres wird nicht irgendein
Land das 28. Mitglied der Europäischen Union, am
1. Juli tritt ein Land der Europäischen Union bei, das
eine lange europäische Tradition hat und das im Übrigen
ein traditionell sehr beliebtes Urlaubsland von uns Deut-
schen ist.

Mit Kroatien tritt aber auch ein Land der Europäi-
schen Union bei, das einen unvorstellbar langen und
steinigen Weg gegangen ist, um dort anzukommen, wo
es heute steht. Ich denke dabei zum einen an die schreck-
lichen Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, an die
Kriegsereignisse, nach denen das Land erst mühsam
wiederaufgebaut werden musste. Zum anderen denke ich

aber auch an das Beitrittsverfahren, das Kroatien durch-
laufen hat: Es war eines der längsten und inhaltlich
strengsten in der Geschichte der Erweiterung der Euro-
päischen Union.

Kroatien bekam die Konsequenzen zu spüren, die die
Europäische Union aus den negativen Erfahrungen mit
vergangenen Beitritten gezogen hat. So hat die Europäi-
sche Union den Beitritt Kroatiens nicht, wie von einigen
gefordert, schon im Jahr 2012 vollzogen und sich auf ein
sogenanntes Nachmonitoringverfahren eingelassen,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nur Ihr Kollege Orban gefordert!)


sondern ganz genau darauf geachtet, dass sämtliche Vo-
raussetzungen für einen Beitritt Kroatiens vollumfäng-
lich erfüllt sind. Das war langwierig und hart für die
Kroaten; aber es hat sich, glaube ich, ausgezahlt. Die Eu-
ropäische Kommission hat Kroatien dann am 26. März
2013 die Beitrittsreife in vollem Umfang bestätigt. Es ist
daher nur folgerichtig, dass wir heute auch im Deutschen
Bundestag dem Beitritt Kroatiens zustimmen. Darüber
freue ich mich für Kroatien und für die Menschen in die-
sem Land.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer
Zeit der Krisen, in der zunehmend die Tendenz vor-
herrscht, nach einer Stärkung der Nationalstaaten zu ru-
fen, einen Austritt aus der Euro-Zone zu fordern oder so-
gar über einen Austritt aus der Europäischen Union
nachzudenken, sollte man sich immer wieder klarma-
chen, welchen unschätzbaren Wert die Europäische
Union für uns alle hat. Die Europäische Union hat nicht
ohne Grund den Friedensnobelpreis bekommen. Die eu-
ropäische Integration ist der Garant für Frieden, Freiheit,
Wohlstand und die Wahrung gemeinsamer Werte in Eu-
ropa.

Gerade wir Deutsche haben seit der Gründung der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von den
positiven Aspekten der europäischen Integration profi-
tiert wie kaum ein anderes Land in Europa. Wir leben
seit 68 Jahren in Frieden mit unseren europäischen Part-
nern. Das ist eine der größten Errungenschaften der Eu-
ropäischen Union. Der Wohlstand der Menschen in Eu-
ropa ist stetig gewachsen, vor allem im Vergleich zu
vielen anderen Ländern der Welt. Wir haben mit dem
Maastrichter Vertrag eine echte Wertegemeinschaft ge-
schaffen, die auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit beruht. Wir haben eine Gemeinschaft geschaf-
fen, die weltweit einzigartig ist und in der sich die
Menschen völlig frei bewegen und frei entscheiden kön-
nen, wo sie leben und wo sie arbeiten möchten.

Mit der jetzigen Aufnahme Kroatiens gehen wir die-
sen Weg in eine europäische Integration konsequent wei-
ter. Wir geben diesem Land damit nicht nur die Möglich-
keit, von den zahlreichen Vorteilen der Union ebenfalls
zu profitieren. Wir geben Kroatien auch eine Perspektive
für eine positive Zukunft und setzen zugleich ein klares
Zeichen für Stabilität, um die Attraktivität und die Chan-
cen der europäischen Wertegemeinschaft zu verbessern.





Karl Holmeier


(A) (C)



(D)(B)


Gerne möchte ich an dieser Stelle aber auch ein paar
Worte an die Kroaten selbst richten. Zunächst möchte
ich den Kroaten ein großes Lob und die ausdrückliche
Anerkennung für die Arbeit aussprechen, die dieses
Land in den letzten Jahren, Monaten und Wochen geleis-
tet hat. Wir alle wissen, wie schwierig der Weg zu grund-
legenden Reformen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Ge-
meinschaft mit künftig 28 Mitgliedstaaten ist es uner-
lässlich, eine gemeinsame Basis zu haben, auf der man
sich begegnet. Die weltweit einzigartigen Freiheiten und
Vorteile, die die Europäische Union gewährt, erfordern
einheitliche Regelungen, an die sich alle Beteiligten hal-
ten müssen.

Die Europäische Kommission hat daher den Kroaten
noch im Oktober vergangenen Jahres klarmachen müs-
sen, dass die von ihr aufgezählten Mängel zwingend be-
seitigt werden müssen, bevor ein Beitritt stattfinden
kann. Das war kurz vor dem Ziel noch einmal ein harter
Schlag für das Land; denn damit war klar, dass Kroatien
nicht beitreten kann, wenn nicht innerhalb kürzester Zeit
erhebliche weitere Reformanstrengungen unternommen
werden. Kroatien hat hart gearbeitet und darf nun den
verdienten Lohn dafür ernten.

Ich gratuliere dem Land und den Menschen hierzu
und freue mich, dass wir Kroatien am 1. Juli 2013 als
28. Mitgliedsstaat und künftigen neuen Partner innerhalb
der Europäischen Union begrüßen dürfen.

In meiner Heimatgemeinde gibt es eine einzigartige
Europaallee, sozusagen einen kleinen Wanderweg durch
Europa. In dieser Allee ist für jedes Land der Europäi-
schen Union ein landestypischer Baum gepflanzt. Die
Menschen können hier einen Spaziergang durch Europa
machen; vor allem viele Schüler kommen hierher. Ich
freue mich daher ganz besonders, dass nach dem Beitritt
Kroatiens im Juli der Baum für Kroatien gepflanzt wer-
den kann. Ich darf Sie, sehr verehrter Herr Botschafter,
zu diesem Termin recht herzlich in meine Heimatge-
meinde einladen.

In diesem Sinne: Herzlich willkommen, Kroatien! Al-
les Gute und auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
in der Europäischen Union!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dürfen wir auch alle kommen, oder laden Sie nur den Botschafter ein? Herr Nord und ich wollen auch kommen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724018800

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Horst Meierhofer von
der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Unruhe)


– Ich bitte Sie, die drei Minuten noch in Ruhe abzuwar-
ten und zuzuhören, weil dann die namentliche Abstim-
mung folgt. – Bitte, Herr Meierhofer.


Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1724018900

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Vorsitzender
der Deutsch-Kroatischen Parlamentariergruppe – dies
darf ich seit dreieinhalb Jahren sein – als Letzter zu die-
sem wichtigen Tagesordnungspunkt sprechen darf. Ich
glaube, wenn man die Begegnungen in Kroatien erlebt
hat und gesehen hat, welches Ansehen Deutschland in
Kroatien genießt, dann weiß man, dass wir uns auf einen
wirklich engen Freund Deutschlands in der Europäi-
schen Union freuen dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Deutschland ist seit wirklich langen Jahren ein beson-
ders enger Freund. Wir haben das vorhin schon in einer
anderen Intonation, als es mir recht wäre, gehört. Dabei
ging es auch um die Anerkennung und die Rolle, die
Hans-Dietrich Genscher damals gespielt hat. Spätestens
seitdem gibt es eine besonders gute und vertrauensvolle
Zusammenarbeit, die über die Jahre fortgesetzt und jetzt
in dem Beitrittsprozess in vielen Kleinigkeiten, aber
auch bei vielen wichtigen Punkten unterstrichen wurde,
zum Beispiel durch den bereits erwähnten Staatssekretär
Haußner, der im Justizministerium mitgeholfen und den
Kroaten gezeigt hat, wie sie im Justizsystem noch etwas
verbessern können. Er trat nicht als Lehrmeister von au-
ßen auf, sondern hat sich als Teil Kroatiens verstanden.
Ich glaube, das kam sehr gut an. Dafür auch herzlichen
Dank ans Auswärtige Amt, das dies zusammen mit dem
Freistaat Bayern ermöglicht hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei vielen Besuchen hatten wir auch die Möglichkeit,
mit jungen Menschen zusammenzukommen. Man
konnte erkennen, wie weltoffen, neugierig und euro-
päisch die Kroaten – gerade die jungen Kroaten – ge-
prägt sind und dass sie mit den alten Gefechten und
Schwierigkeiten, die es in Ex-Jugoslawien noch gibt,
nichts mehr zu tun haben und sich ganz anders orientie-
ren. Auch deswegen ist es besonders wichtig, dass Kroa-
tien jetzt endlich diese Chance hat.

Ich finde es ebenso besonders erfreulich, dass der so-
zialdemokratische Staatspräsident Josipovic immer wie-
der auch die eigene Schuld darstellt. Es ist eine Leistung,
so kurz nach einer Zeit, in der man Opfer eines Krieges
war, trotzdem zu sagen: Auch wir haben Fehler gemacht.
Das spricht für eine große demokratische Reife. Auch
das zeigt, wie wichtig Kroatien als Anker für die Region
ist und welche Möglichkeiten Kroatien haben wird, die
Nachbarn mit auf den Weg zur europäischen Integration
zu nehmen, auf die wir uns alle freuen.

Viele von uns denken, dass Kroatien relativ weit weg
ist. Aus München fliege ich eine Stunde nach Berlin;
nach Kroatien, nach Zagreb, dauert der Flug von Mün-
chen 45 Minuten. Daran erkennt man, wie nah wir zu-





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)


sammen sind. In den Köpfen ist dieses Bewusstsein oft
noch nicht so ausgeprägt, außer vielleicht bei dem einen
oder anderen im Urlaub: Wir gehören zusammen, und
wir müssen in der Europäischen Union gut zusammenar-
beiten.

Der Außenminister hat es bereits gesagt: Der Beitritt
ist nicht das Ende des Weges, sondern er ist der Anfang.
Das wissen auch die Kroaten. Sie haben sich im letzten
Jahr, in einer Zeit, als die Europäische Union schon
große Schwierigkeiten hatte, in einem Referendum mit
einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln ganz klar für
die Europäische Union ausgesprochen. Der Botschafter
selbst hat gesagt, dass sich vielleicht die Euphorie hin
zum Realismus gewandelt habe. Aber ich glaube, es ist
keine schlechte Grundvoraussetzung, wenn man sich
trotz der schwierigen Zeiten klar zu Europa bekennt.

Darauf und darüber freuen wir uns. Wir freuen uns
auf Kroatien, wir freuen uns auf einen deutschen und auf
einen europäischen Freund. Herzlich willkommen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724019000

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich Ih-
nen mitteilen, dass zahlreiche Erklärungen nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vorliegen, die zu Protokoll ge-
nommen werden.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ver-
trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Repu-
blik Kroatien zur Europäischen Union. Der Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13444, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/11872 anzunehmen.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich
noch darauf hinweisen, dass wir nun drei namentliche
Abstimmungen durchführen werden. Wir führen jetzt
gleich die namentliche Abstimmung über den Gesetzent-
wurf zu dem Vertrag über den Beitritt Kroatiens durch,
anschließend folgt ohne Debatte die namentliche Ab-
stimmung zum Tagesordnungspunkt 57 c betreffend die
Sammlung von Abfällen in der Rhein- und Binnenschiff-

fahrt und schließlich die namentliche Abstimmung zu
Tagesordnungspunkt 9 über den Bundeswehreinsatz vor
der Küste Somalias.

Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf zum Bei-
tritt Kroatiens ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Ich eröffne die Abstimmung und bitte darum, die Stimm-
karten einzuwerfen.

Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar-
ten eingeworfen? – Das ist offenkundig der Fall. Dann
schließe ich den Wahlgang und bitte, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.

Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-
empfehlungen des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union auf Drucksache 17/13444 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/12182 mit dem Titel
„EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg führen“.
Ich bitte um Handzeichen derjenigen, die dieser Be-
schlussempfehlung zustimmen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen SPD und Grüne bei Enthaltung der Linken.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12821 mit dem
Titel „Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitrittsprozessen
beteiligen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.


(Unterbrechung von 18.13 bis 18.19 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724019100

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt der Repu-
blik Kroatien zur Europäischen Union bekannt:
abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 583,
keine Neinstimmen, 6 Enthaltungen.1) Anlagen 2 und 3





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon

ja: 583
enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund

Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig

Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert

Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann

Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans

Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar

Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke

Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Susanne Kieckbusch
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar

Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe

Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Willi Brase
Marco Bülow
Ulla Burchardt

DIE LINKE

Annette Groth
Heike Hänsel

fraktionsloser
Abgeordneter

Wolfgang Nešković


(Beifall im ganzen Hause)


Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge
des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen
Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13445, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/12769 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Entschuldigung, es ist sehr schwierig, den Über-
blick zu gewinnen, weil ich kaum etwas sehe. – Also
Ablehnung der Grünen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/13520. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und
Grünen und Enthaltung der Linken.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/13521. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der

Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei
Enthaltung von SPD und Linken.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 57 c auf:

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgeset-
zes zu dem Übereinkommen vom 9. September
1996 über die Sammlung, Abgabe und An-
nahme von Abfällen in der Rhein- und Bin-
nenschifffahrt

– Drucksache 17/13030 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13348 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Gustav Herzog

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP vor.

Zur Abstimmung liegen wiederum zahlreiche Erklä-
rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir
zu Protokoll nehmen.1)

Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetz-
entwurfs, über den wir jetzt gleich namentlich abstim-
men werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die
absolute Mehrheit, das sind 311 Stimmen, erforderlich
ist.

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner

1) Anlagen 6 und 7





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13348, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/13030 in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu
liegt der Änderungsantrag der CDU/CSU und der FDP
auf Drucksache 17/13481 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der
CDU/CSU und der FDP? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Gegenstimmen der SPD und der Linken an-
genommen.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen – mit der so-
eben beschlossenen Änderung –, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen gegen
die Stimmen der Linken bei Enthaltung der SPD.

Interfraktionell ist vereinbart, trotz der Annahme ei-
ner Änderung sofort in die dritte Beratung einzutreten.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer
haben ihre Plätze besetzt. Dann können wir mit der na-
mentlichen Abstimmung beginnen. Ich bitte, die Stimm-
karten einzuwerfen.

Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen
ihre Stimmkarten eingeworfen? – Das ist der Fall. Dann
schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Na-
tionen (VN) von 1982 und der Resolutionen
1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008)
vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober
2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851

(2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009)

vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom
23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. No-
vember 2011, 2077 (2012) vom 21. November
2012 und nachfolgender Resolutionen des Si-
cherheitsrates der VN in Verbindung mit der
Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Ra-
tes der Europäischen Union (EU) vom 10. No-
vember 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP

des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem
Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU
vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/
GASP des Rates der EU vom 7. Dezember
2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des
Rates der EU vom 23. März 2012

– Drucksachen 17/13111, 17/13529 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/13534 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Petra Merkel (Berlin)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich die
Kollegen, die der Aussprache nicht folgen wollen, bit-
ten, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen den
Rednern zuhören können.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Stinner von der
FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1724019200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Seitdem wir vor einem Jahr das letzte Mal über das
Atalanta-Mandat gesprochen haben, hat sich in der Re-
gion, über die wir sprechen, erfreulicherweise vieles
zum Positiven geändert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Während im Jahr 2011 noch 32 Schiffe mit 700 Gei-
seln gekapert waren, befinden sich gegenwärtig nur noch
zwei Schiffe mit sage und schreibe 54 Geiseln – das ist
immer noch zu viel – in der Hand der Piraten. Im letzten
Jahr hat es keinen einzigen erfolgreichen Piratenangriff
gegeben. Das ist auch ein Erfolg des Mandates Atalanta.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU Dr. Rainer Stinner Natürlich gibt es auch andere Faktoren – das wissen wir; ich komme darauf noch zu sprechen –; aber es ist auch ein Erfolg des Mandates Atalanta. Als wir hier vor einem Jahr zusammengesessen und dieses Mandat um die Option, auf Land tätig zu werden, erweitert haben, haben die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ein Horrorszenario gezeichnet. Ich möchte Ihnen einige Ihrer damaligen Aussagen vorhalten. Die Kollegin Buchholz der Linken hat gesagt: Die Ausweitung des Atalanta-Mandats ist eine Kriegserklärung gegen die Zivilbevölkerung in Somalia. Der Kollege Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen hat gesagt: Denn ich befürchte, dass wir durch den Einsatz der Bundeswehr an Land bald hier in Deutschland Bilder von sogenannten Kollateralschäden an Menschen, die an der Küste Somalias durch die Bundeswehr verursacht werden, bekommen werden. Herr Arnold hat sich ähnlich negativ geäußert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder kann sich täuschen. Aber wer sich in einer so dramatischen Weise getäuscht hat, der sollte seine Haltung überdenken und heute anders als vor einem Jahr stimmen. Die Lage auf See vor Somalia hat sich verbessert; das hatte ich kurz ausgeführt. Aber auch innerhalb Somalias gibt es Fortschritte. Es gibt langsame Fortschritte bei der Regierungsbildung. Wir wissen, dass auch die jetzige Regierung fragil ist und dass sie keinen Zugriff auf Puntland und Somaliland hat – ganz wichtig –, und deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung dafür gesorgt hat, dass wir einen Teil unserer Entwicklungshilfe unmittelbar nach Somaliland und Puntland bringen können, also dorthin, wo die Leute Hilfe brauchen. Das ist die Devise der Bundesregierung. Ich finde, wir haben allen Anlass, das zu begrüßen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





(A) (C)


(D)(B)


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Unglaublich!)


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Pfui!)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir unterstützen die Vereinten Nationen beim Aufbau
der Gerichtsbarkeit und des Justizwesens in Somaliland
und Puntland. Auch das ist ein ganz wichtiges Element
zur Stabilisierung.

Diese Maßnahmen sind abgewogen. Sie sind sinnvoll.
Sie werden seit einigen Monaten um die EU-Mission
NESTOR ergänzt, die die Region langfristig in die Lage
versetzen soll, selbst gegen Piraterie vorzugehen. Auch
das ist eine sinnvolle Geschichte.

Meine Damen und Herren, wir können also von ei-
nem erfolgreichen Mandat sprechen. Wir können von ei-
nem erfolgreichen Vorgehen sprechen. Wir können von
einem Erfolg einer konzertierten Aktion von militäri-

schen und zivilen Maßnahmen sprechen. Das ist das
Konzept dieser Bundesregierung und der sie tragenden
Koalition seit Anbeginn. Jeder von uns weiß, dass wir al-
lein mit militärischen Mitteln Konflikte nicht auf Dauer
lösen können. Wir wissen aber auch, jedenfalls wir auf
der Seite des Hauses, die die Regierung trägt, dass es
manchmal notwendig ist, auch mit militärischen Mitteln
dafür zu sorgen, dass Frieden und Stabilität überhaupt
erst möglich sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich fordere die Oppositionskollegen auf, diese Binsen-
weisheit bei ihrem Abstimmungsverhalten heute zu re-
alisieren.

Was sehen wir stattdessen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der SPD? Sie verweigern sich der Realität. Sie
haben jahrelang dem Atalanta-Mandat zugestimmt – zu
Recht. Sie haben es das letzte Mal mit den absurden Be-
gründungen, die ich teilweise vorgelesen habe – ich
kann auch alle vorlesen –, abgelehnt. Sie sind durch die
Realität eines Besseren belehrt worden. Was gäbe es
Besseres für Sie, als zu sagen: „Wir haben einen Fehler
gemacht; heute stimmen wir dem zu, genauso wie wir es
in den Jahren zuvor gemacht haben“?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wäre der richtige Weg für eine Partei, die den An-
spruch erhebt, außen- und sicherheitspolitisch Verant-
wortung in Deutschland zu übernehmen. Diesen An-
spruch erheben Sie ja noch – ich nehme es an; ich weiß
es nicht –,


(Dietmar Nietan [SPD]: Noch! Ja! Seien Sie getrost, das ist so!)


vielleicht ja ab heute nicht mehr.

Die Grünen loben in dem Entschließungsantrag den
Erfolg des Mandats bzw. der Bemühungen – das finden
wir sehr gut –, sind dann aber nur bereit, sich heute
kraftvoll zu enthalten.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur heute! Sie wissen auch, warum!)


Auch Ihnen rufe ich zu: Sie haben dem Mandat doch im-
mer zugestimmt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die fühlen sich nur im Wasser wohl!)


Erst beim letzten Mal haben Sie dieses absurde Verhal-
ten an den Tag gelegt. Von daher: Geben Sie sich einen
Ruck!

Ich kenne viele Kollegen, verstehe mich mit vielen
von Ihnen auch persönlich sehr gut; das geht zum Glück
im Deutschen Bundestag.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wunder! Wir sind ja auch nett!)


Aber ich weiß, dass einige von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wirklich Nackenschmerzen haben vom





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)


Kopfschütteln über die Entscheidungen, die Ihre beiden
Fraktionsführungen hier getroffen haben und die Sie
zwingen, heute gegen etwas zu stimmen, was Sie eigent-
lich als sinnvoll erachten.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das! Fraktionszwang!)


Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Auskurieren Ihrer
Nackenschmerzen.


(Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Ströbele, Sie bekommen sicherlich nachher noch
Redezeit von Ihrer Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb möchte ich Ihnen heute keine zusätzliche Rede-
zeit geben. Ich nehme an, Sie werden von Ihrer Fraktion
heute als Redner nominiert. Darauf freue ich mich
schon.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724019300

Herr Kollege Stinner, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ströbele?


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1724019400

Nein, erlaube ich nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das ist ja jedes Mal so – ich habe Herrn Ströbele schon
öfter Redezeit gegeben –: Herr Ströbele ist nicht in der
Lage, sich in seiner Fraktion durchzusetzen und zu errei-
chen, dass seine Fraktion ihm Redezeit gibt. Ich sehe
nicht ein, warum wir als Koalition Herrn Ströbele das
Forum für seine zum Teil sehr absurden Stellungnahmen
geben sollen. Das mache ich nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir können mit Fug und
Recht sagen – das zum Schluss –: Das, was wir hier be-
treiben, ist ein Leuchtturmprojekt europäischer Außen-
und Sicherheitspolitik. Wir sind stolz darauf, hier in
Kombination von zivilen und militärischen Maßnahmen
vorzugehen. Die FDP stimmt diesem Mandat heute zu.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724019500

Zunächst gebe ich Ihnen das von den Schriftführerin-

nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung bekannt – es ging um das Erste Ge-
setz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem
Übereinkommen vom 9. September 1996 über die
Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der
Rhein- und Binnenschifffahrt –: abgegebene Stimmen
587. Mit Ja haben gestimmt 378, mit Nein haben ge-
stimmt 71, Enthaltungen 138. Der Gesetzentwurf hat die
erforderliche Mehrheit erreicht.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon

ja: 378
nein: 71
enthalten: 138

Ja

CDU/CSU

Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt

Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger

Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper

Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schw.)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)


Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel

Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms

Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Susanne Kieckbusch
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Michael Groß
Ewald Schurer

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch

Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionsloser
Abgeordneter

Wolfgang Nešković

Enthalten

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert

Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)


Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt erteile ich zu einer Kurzintervention das Wort
dem Kollegen Christian Ströbele.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er jetzt davon!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehen Sie, Herr Kollege Stinner, so einfach machen
wir es Ihnen nicht.

Ich weise Sie darauf hin – das hätte ich Ihnen auch
schon im Auswärtigen Ausschuss gesagt, wenn wir da-
rüber diskutiert hätten; aber das ist ja diesmal ausgefal-
len –, dass sich natürlich alle freuen, auch ich, dass die
Zahl der Kaperungen von Handelsschiffen durch Piraten
an der Küste vor Somalia und im Indischen Ozean zu-
rückgegangen ist. Der Rückgang ist dramatisch: über
zwei Drittel.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dramatisch positiv!)


Aber die Frage ist: Wird der Rückgang durch die
Kriegsschiffe, die deutsche Fregatte oder die internatio-
nale Armada bewirkt? Ich sage Ihnen: Nein. Sie haben
mich vorhin zitiert. Hätten Sie meine persönliche Erklä-
rung anlässlich der letzten Entscheidung zu diesem
Mandat gelesen, dann wüssten Sie, dass ich immer wie-
der gefordert habe, dass sich die Reeder so verhalten,
wie es die internationalen Seerechtsrichtlinien vorschrei-
ben. Das haben sie aus Kostengründen nicht getan. Diese
sehen nämlich vor, dass sie Schiffe benutzen, die schnel-
ler fahren, und dass sie auch tatsächlich schneller fahren.
Das kostet zwar mehr Sprit und mehr Öl,


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist nicht umweltfreundlich!)


bringt aber ein gewisses Maß an Sicherheit. Es ist immer
wieder gefordert worden, dass die Reeder versuchen,
ihre Reling mit NATO-Draht oder Ähnlichem zu befesti-
gen. Schließlich wird gefordert, dass sie in Konvois fah-
ren.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Schmierseife nicht vergessen!)


All das ist im letzten Jahr viel mehr praktiziert worden.
Außerdem haben inzwischen – das wissen Sie so gut wie
ich – mehr als 70 Prozent der Schiffe zivile Sicherheits-
kräfte an Bord.

Deshalb ist die Anzahl der Überfälle bzw. Kaperun-
gen zurückgegangen. Das ist gut und richtig. Daher
brauchen wir keine Kriegsarmada im Indischen Ozean.
Daher brauchen wir dort auch keine Bundeswehr.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724019600

Zur Erwiderung Rainer Stinner.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1724019700

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie mir durch Ihre

Intervention nochmals die Gelegenheit geben, unseren
intensiven Dialog fortzusetzen, was ich außerordentlich
gerne tue.

Sie haben völlig recht, Herr Ströbele – das habe ich
deutlich gesagt –: Das, was wir erleben, ist das Ergebnis
eines Bündels von verschiedenen Maßnahmen; gar keine
Frage. Ich habe sehr deutlich zum Ausdruck gebracht,
dass die Kombination von militärischer Präsenz und Zi-
vilmaßnahmen zu diesem erfreulichen Ergebnis beige-
tragen hat. Daraus machen wir gar keinen Hehl.

Im Übrigen ist es erstaunlich, Herr Ströbele, dass Sie
sagen, dass die Präsenz von Teams an Bord ein wesentli-
cher Baustein ist. Dafür muss zunächst einmal der recht-
liche Rahmen geschaffen werden. Ich habe bisher nicht
gesehen, dass Sie dem Gesetzentwurf, der dafür sorgt,
dass solche Teams an Bord eingesetzt werden dürfen,
Begeisterung entgegengebracht haben. Das ist ein ge-
wisser Widerspruch.

Ein Letztes, Herr Ströbele. Ihr sogenannter maritimer
Vorschlag, die Schiffe sollten schneller fahren, lässt
mich an folgenden Vergleich denken: Wir könnten es ja
auch nicht akzeptieren, wenn Lkws auf der Strecke von
Berlin nach Köln von Dieben aufgehalten werden. Dann
müssten wir auch sagen, dass wir die Lkws mit Mase-
rati-Motoren ausrüsten, damit sie den Dieben voranfah-
ren können.

Das ist ein bisschen blauäugig, Herr Ströbele. Auf
Ihre Kompetenz, was das operative Abwehren von Pira-
ten angeht, würden wir auch in Zukunft am liebsten ver-
zichten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724019800

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Dietmar Nietan.


(Beifall bei der SPD)



Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1724019900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stinner, ich
werde den Verdacht nicht los, dass Sie sich mit dem Kol-
legen Ströbele abgesprochen haben, damit Sie gegensei-
tig etwas mehr Redezeit bekommen.


(Beifall der Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP] und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das macht der Ströbele auch so! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/ CSU]: Mit Ströbele ist keine Absprache möglich!)


Im Ernst: Sie haben völlig richtig dargestellt: Seitdem
es das Mandat gibt, seit 2008, hat die SPD dem Mandat
immer zugestimmt; im letzten Jahr jedoch nicht. Ich bin
sehr froh, dass Sie unsere Begründungen sehr intensiv
studiert haben; aber Sie haben nicht alle genannt. Eine
Frage, die wir immer wieder gestellt haben, war fol-
gende: Gibt es eine militärische Begründung, den Ein-





Dietmar Nietan


(A) (C)



(D)(B)


satz auf einen bestimmten Streifen an Land auszuweiten,
um sicherzustellen, dass die Bekämpfung von Piraterie
effektiviert wird? Oder ist dies nicht im Sinne der Abwä-
gung der Chancen und Risiken abzulehnen, weil dies mi-
litärisch wahrscheinlich nicht viel Sinn macht, aber die
Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu
Kollateralschäden, also zu Verletzungen in der Zivilbe-
völkerung, kommt? Wenn Sie sich die Situation seit die-
ser Mandatserweiterung anschauen, stellen Sie fest: Es
hat nur einen Einsatz gegeben. Das war, wenn ich mich
richtig erinnere, im Mai 2012. Seitdem hat es keinen
Einsatz mehr gegeben.

Das war eines unserer Argumente. Es ist für die Pira-
ten sehr leicht, auf andere Küstenstreifen oder weiter ins
Landesinnere auszuweichen. Aus diesem Grund haben
wir den militärischen Nutzen der Erweiterung des Man-
dats auf einen Streifen von 2 000 Metern letztlich nicht
gesehen. Was wir aber gesehen haben, ist die Gefahr,
dass es, wenn auch unbeabsichtigt, zu Übergriffen auf
die Zivilbevölkerung kommt. Infolge dieser Abwägung
haben wir das Mandat damals abgelehnt. Wir haben es
nicht abgelehnt, weil wir es grundsätzlich für falsch er-
achten; sonst hätten wir die Jahre zuvor nicht zuge-
stimmt. Da es seit diesem einen Einsatz im Mai 2012
aber keine weiteren Einsätze mehr gegeben hat, gehen
wir davon aus, dass diese Mandatserweiterung nicht
mehr notwendig ist.

Wir haben Ihnen auch angetragen, zu überlegen, ob
man die Abstimmung in zwei Teile aufsplitten kann, da-
mit wir deutlich machen können, dass wir der Bekämp-
fung der Piraterie und dem Mandat grundsätzlich zu-
stimmen. Das ist nicht geschehen. Deshalb sehe ich für
unsere Fraktion keinen Grund, warum wir unser Abstim-
mungsverhalten heute ändern sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Na ja! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Kollege, noch einmal! Die haben es nicht verstanden!)


– Herr Kauder sagt gerade, ich soll es noch mal wieder-
holen, damit mehr klatschen. Ich will die Redezeit aber
nicht über Gebühr ausweiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
einem anderen Punkt kommen, den ich für sehr wichtig
erachte. In der Tat – das hat Kollege Stinner bereits ge-
sagt – ist ein Rückgang der Zahl der Überfälle am Horn
von Afrika zu verzeichnen. Das ist eine positive Ent-
wicklung; das wollen wir in keiner Weise infrage stellen.
Wir müssen aber vielleicht noch einmal überlegen, was
wir insgesamt tun können, um die Piraterie schon in ih-
ren Ursachen weltweit besser zu bekämpfen. Denn wir
stellen fest, dass es an anderen Stellen in der Welt eine
Zunahme der Piraterie gibt. Ich verweise auf Entwick-
lungen an der westafrikanischen Küste und auf Entwick-
lungen im Indischen Ozean, vor Kenia, vor Tansania,
vor dem Jemen und vor dem Oman.

Wir müssen intensiv miteinander darüber reden, was
wir insgesamt tun können, um die Piraterie besser zu be-
kämpfen. Dabei ist es wichtig, nicht nur auf die militäri-

sche Komponente zu schauen, sondern uns zu fragen:
Was können wir in Bezug auf die Entwicklungszusam-
menarbeit, den Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen
und den Aufbau von Polizeistrukturen in den betroffenen
Staaten tun? Wo können wir unser Engagement auswei-
ten, um in den betroffenen Ländern, also in den Ländern,
in denen himmelschreiende Armut und Ungerechtigkeit
herrschen, die Ursachen für Piraterie zu bekämpfen? An
diesem Grundübel müssen wir etwas ändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt natürlich auch für Somalia. Es ist sehr wich-
tig, zu überlegen, was wir tun können, um die Situation
in Somalia zu stabilisieren. Wir müssen überlegen, was
wir gemeinsam mit Partnern tun können, um eine posi-
tive Entwicklung Somalias, weg von einem Failing
State, zu ermöglichen. Wir müssen das Engagement in
zivilen Strukturen, in Fragen der Entwicklungszusam-
menarbeit auch dort verbessern.

Wichtig ist auch – das gehört für mich ebenso zu den
zivilen Komponenten; ich habe das schon erwähnt –, die
Ausbildung der regionalen Küstenwache und der regio-
nalen Polizeistrukturen, zum Beispiel durch die EU-Mis-
sion EUCAP NESTOR, weiter auszubauen und zu stär-
ken. Auf diese Weise können Rechtsstaatlichkeit und
Stabilität in den betroffenen Ländern – dies gilt nicht nur
für Somalia – hergestellt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es eben
schon betont: Meine Fraktion hätte sich gewünscht,
wenn es bei der Abstimmung eine Trennung zwischen
Mandatsverlängerung und Mandatserweiterung gegeben
hätte. Das hätte es uns ermöglicht, unsere differenzierte
Meinung darzustellen. Das ist nicht geschehen. Deshalb
– sosehr es Sie betrübt, Herr Stinner – wird die SPD bei
ihrer Ablehnung des Mandats in dieser Form bleiben.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724020000

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Ingo Gädechens.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1724020100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir
stimmen heute erneut über die Verlängerung eines aus
unserer Sicht sehr erfolgreichen Mandats ab, des Man-
dats der sogenannten Operation Atalanta.

Wie sich sicherlich alle erinnern, gab es im vergange-
nen Jahr eine aus militärischer Sicht, aber auch aus Sicht
der Koalitionsfraktionen notwendige Erweiterung der
sogenannten Rules of Engagement, also der strikt einzu-
haltenden Einsatzregeln. Diese Erweiterung erhitzte vor
allem die Gemüter der Opposition; der Kollege Stinner
wies schon darauf hin. Diese Erweiterung folgte dem
militärischen Wunsch, die eindeutig erkannte Piratenlo-
gistik am Strand bekämpfen zu dürfen. Diese zusätzliche
Maßnahme sollte ermöglichen und hat ermöglicht, das





Ingo Gädechens


(A) (C)



(D)(B)


Geschäftsmodell der somalischen Piraten effektiver zu
bekämpfen, zumindest aber erheblich zu erschweren.
Meine Damen und Herren, allein ein Angriff hatte eine
überaus nachhaltige Wirkung: Für die Piraten geht mit
dem Einsatz nicht nur auf See, sondern bereits von Land
aus ein unkalkulierbares Risiko einher. Ich sage: Gut so!

Die christlich-liberale Koalition hat das Einsatzgebiet
und die Regeln präzise definiert und eindeutig festge-
legt, sodass nur Logistik mit einer Entfernung von maxi-
mal 2 000 Metern zur Küste angegriffen werden darf.
Außerdem ist der Einsatz an der Küste nur aus der Luft
erlaubt. Diese nachvollziehbare, vernünftige Erweite-
rung der Einsatzregeln nutzten die Damen und Herren
der Opposition – auch das haben wir schon gehört –, um
sich mit unrealistischen Szenarien gegen eine Verlänge-
rung der Mission zu stemmen. Man wollte eine Teilung
des Mandats erreichen; aber ich denke, das macht über-
haupt keinen Sinn. Die Operation Atalanta ist ein Man-
dat.

Leider wurde in den Wortbeiträgen der Opposition
noch etwas deutlich, nämlich, wie wenig Vertrauen Sie
in die Führungskräfte der vor Ort handelnden Offiziere
und Unteroffiziere der Bundeswehr haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Von Kollateralschäden an Menschen in Somalia, verur-
sacht durch die Bundeswehr, war seinerzeit die Rede.
Nun, meine Damen und Herren, ich kann Sie sehr beru-
higen: Die von uns durchgesetzte Mandatserweiterung
hat sich bewährt. Es gab kein unkalkulierbares Aben-
teuer oder gar ein Massaker an Zivilisten an den Küsten
von Somalia. Nein, wir können lediglich den Kampf ge-
gen die Piraten seit der Erweiterung des Mandats ge-
meinsam mit unseren Bündnispartnern effektiver und
auch nachhaltiger führen.

Das Mandat sorgt insgesamt dafür, dass humanitäre
Lieferungen über See bei den Menschen vor Ort sicher
ankommen können, und das ist wichtig, insbesondere
vor dem Hintergrund, dass in Somalia allein zwischen
2010 und 2012 mehr als 260 000 Menschen den Hunger-
tod erlitten haben. Dies zeigt, wie notwendig humanitäre
Hilfe und das Engagement im Rahmen der Operation
Atalanta sind.

2012 konnten die Übergriffe der Piraten am Horn von
Afrika vor allem durch den multinationalen Einsatz – im
dortigen Seegebiet sind viele Einheiten vertreten – und
die Präsenz der Soldaten spürbar eingedämmt werden.
Kollege Stinner hat schon die Zahlen genannt, die den
Erfolg untermauern.

Der Kollege Ströbele hat natürlich in einem Punkt
recht – auch das wurde bestätigt –: Wir haben gemein-
sam mit dem Verband Deutscher Reeder, der Bundes-
polizei See, der Deutschen Marine und vielen Fachkräf-
ten Best-Practice-Methoden entwickelt, um das Entern
von Handelsschiffen zu erschweren. Aber hören Sie auf,
eine Erhöhung der Geschwindigkeiten zu fordern! Ein
Frachtschiff fährt auf Marschfahrt mit einer Geschwin-
digkeit von 16 bis 18 Knoten; aber die Skiffs, die von
den Piraten eingesetzt werden, haben eine Geschwindig-
keit von 40 Knoten. Selbst wenn die Handelsschiffe bei

der Geschwindigkeit noch 2 Knoten drauflegen, werden
die Skiffs sie immer erreichen, wenn sie sie erreichen
wollen. Da spreche ich Ihnen jede maritime Kompetenz
ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Er ist eine Landratte!)


Dank dieser erfolgreichen Antipiratenmission konn-
ten über 150 Schiffstransporte des Welternährungspro-
gramms ihre Zielhäfen in Somalia sicher erreichen.
Auch hier wissen viele, welche schwierigen Aufgaben
unsere Marine im Einsatzgebiet bewältigen muss.

Bis vor kurzem lag die deutsche Einheit noch wegen
Nachversorgung und Instandsetzungsarbeiten im Hafen
von Salalah in Oman. Seit neun Tagen, verehrte Frau
Kollegin Roth, operiert die Fregatte „Augsburg“ im See-
gebiet des Golfs von Aden. Alleine die Tatsache, dass
diese Fregatte dort operiert, könnte doch ein Umdenken
in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervorrufen, so-
dass sie sich nicht enthalten, sondern dem Mandat zu-
stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie
wissen alle, dass mein Dank weniger symbolisch ge-
meint ist, sondern von Herzen kommt, wenn ich meinen
Kameradinnen und Kameraden der Marine, sicherlich
auch im Namen vieler hier im Hohen Haus, für ihren
aufopferungsvollen Dienst sehr herzlich danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724020200

Herr Kollege, Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.


Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1724020300

Wir können mit Fug und Recht von einer Erfolgsstory

reden. Wir könnten auch eine Erfolgsstory schreiben.
Dazu müssen wir das Mandat gemeinsam beschließen.
Wir müssen unseren Soldatinnen und Soldaten den Rü-
cken stärken, indem wir hier mit größtmöglicher Mehr-
heit einen Konsens herstellen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1724020400

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Christine Buchholz.


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724020500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke

lehnte die Beteiligung der Bundeswehr an der Antipira-
tenmission Atalanta von Anfang an ab;


(Beifall bei der LINKEN)


denn Atalanta reiht sich in eine immer länger werdende
Kette von Auslandseinsätzen ein.





Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)


Herr de Maizière behauptete unlängst, es gebe keine
Region auf der Welt mehr, wo die Bundeswehr nichts zu
suchen habe. Ich sage Ihnen: Die Bundeswehr hat am
Horn von Afrika nichts zu suchen, genauso wenig wie
am Hindukusch oder in Westafrika.


(Beifall bei der LINKEN)


Der wahre Zweck von Atalanta ist es, die Marine in
einer Art Dauermanöver unter Realbedingungen operie-
ren zu lassen. Deshalb gibt es auch keine ehrliche Bilanz
dieses Einsatzes. Jedes Jahr sagen Sie, dass der Einsatz
weitergeführt werden muss, und Sie wiederholen das,
ganz gleich, ob – wie in den Jahren vor 2012 – die Zahl
der Piratenangriffe ansteigt oder ob sie – wie jetzt – zu-
rückgeht. Es brauchte erst die Intervention des Kollegen
Ströbele, um darauf hinzuweisen, dass es vor allen Din-
gen die Selbstbewaffnung der Reeder war, die seit 2012
die Piraterie vor Somalia zurückgedrängt hat. Um keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Privatisie-
rung der Sicherheit ist keine Lösung. Sie leistet keinerlei
Beitrag zum nachhaltigen Kampf gegen die Ursachen
der Piraterie.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Zulauf zu privaten Sicherheitsfirmen ist eine wei-
tere Schattenseite der Neuausrichtung der Bundeswehr
als Interventionsarmee; denn immer mehr deutsche Sol-
daten mit Erfahrung in Auslandseinsätzen heuern nun
bei Söldnerfirmen an, viele davon illegal. Aber ich sage
Ihnen: Die Angst vor deutschen Kriegsschiffen hat junge
arbeitslose Somalis nicht davor geschützt, in die Hände
von Piratenclans zu gelangen und Handelsschiffe zu at-
tackieren, und sie wird sie auch in Zukunft nicht davon
abhalten. Armut und Elend in Somalia sind die Wurzeln
der Piraterie.


(Beifall bei der LINKEN)


Der eigentliche Skandal ist, dass europäische Firmen
weiterhin vor Somalia die Fischgründe plündern und un-
behelligt Giftmüll verklappen können und so die Le-
bensgrundlagen von Fischern zerstören.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Märchen!)


Dagegen gehen Sie nicht vor. Das nenne ich Heuchelei.


(Beifall bei der LINKEN – Markus Grübel [CDU/CSU]: Das organisierte Verbrechen stärken wir, damit die Reichen reicher werden und die armen Fischer missbrauchen können?)


Atalanta soll noch eine weitere Militärmission absi-
chern, nämlich die seeseitige Versorgung der in Somalia
kämpfenden Truppen von AMISOM. AMISOM ist
nichts anderes als der aus Europa bezahlte Einmarsch
bewaffneter Truppen aus Somalias Nachbarländern Ke-
nia, Burundi und Uganda. Händler in Mogadischu war-
fen den AMISOM-Soldaten vor – so berichtet es der frü-
here ARD-Korrespondent Marc Engelhardt –, den
zentralen Markt in Mogadischu ohne Rücksicht auf zi-
vile Verluste mit schwerer Artillerie beschossen zu ha-
ben. AMISOM ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil
des Problems.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Westen trägt eine Mitschuld an den schlimmen
Zuständen in Somalia. 1993 heizte der Einmarsch von
US-Truppen den Bürgerkrieg in Somalia an. 2006 been-
dete die von den USA und der EU unterstützte Invasion
Äthiopiens eine zwischenzeitliche Stabilisierung in So-
malia. Erst danach sind die Schabab-Milizen stark ge-
worden, erst danach stieg die Zahl der Fälle von Piraterie
massiv an.

Während die Zahl der Piraterieangriffe vor Somalia
jetzt zurückgeht, nehmen Piratenangriffe in anderen Re-
gionen der Welt, zum Beispiel vor der Westküste Afri-
kas, zu. Was ist Ihre Antwort darauf? Sollen die Bundes-
wehrsoldaten nun auch dorthin? Wir sagen: Piraterie
lässt sich auf diese Art und Weise nicht bekämpfen. Die
Ursachen müssen bekämpft werden. Die Militarisierung
der Seewege ist und bleibt ein Irrweg.


(Beifall bei der LINKEN)


Vielleicht noch eine kleine Bemerkung zur Position
der SPD und der Grünen: Wir freuen uns natürlich im-
mer, wenn unser Nein zu Bundeswehreinsätzen Unter-
stützung bekommt.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht von den Sozis! Das gibt es nicht!)


Ihre Begründung ist allerdings nicht konsistent.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724020600

Die Kollegin Katja Keul hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724020700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Zahl der Piratenangriffe und Entführun-
gen am Horn von Afrika ist seit 2011 stark rückläufig.
Wir haben es schon gehört: Im letzten Jahr ist kein einzi-
ges Schiff mehr gekapert worden, und die Zahl der Gei-
seln hat sich von ehemals über 500 auf 77 reduziert.

Zur Stabilisierung der Lage in Somalia haben viele
Entwicklungen beigetragen: die stärkere Verfolgung von
Piraten in den somalischen Regionen und die Eroberung
weiterer Gebiete durch die Truppen der Afrikanischen
Union. Zuletzt wurde die Übergangsphase mit der Wahl
von Präsident, Regierung und Parlament abgeschlossen,
und Deutschland hat erstmalig wieder eine Botschafterin
für Somalia benannt. Die Fortsetzung dieses politischen
Prozesses ist zweifelsohne der Schlüssel zum Frieden in
Somalia.

Aber auch die Mission Atalanta hat zur Bekämpfung
der Piraterie einen wichtigen Beitrag geleistet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Die wichtigste Aufgabe dieser Mission war von Anfang
an die sichere Begleitung der Schiffe des Welternäh-
rungsprogramms.


(Zuruf von der CDU/CSU: Auch richtig!)






Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)


Seit 2008 haben mehr als 170 Schiffe Nahrungsmittel
und andere humanitäre Hilfsgüter unter dem Schutz von
Atalanta nach Somalia gebracht.

Leider mussten wir kürzlich erfahren, dass die große
Hungerkatastrophe im letzten Jahr dennoch fast 260 000
Menschen das Leben gekostet hat. Meine Fraktion ist
daher ganz überwiegend der Meinung, dass die EU-Mis-
sion auf See nach wie vor ein unverzichtbarer Beitrag
zur humanitären Hilfe in der Region ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sowohl der Schutz der Schiffe des Welternährungs-
programms als auch die Verhinderung von Piratenüber-
fällen wurden vom UN-Sicherheitsrat mandatiert und
von der somalischen Übergangsregierung begrüßt. So
weit steht die völkerrechtliche Legitimation dieser Mis-
sion außer Frage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Marineeinsatz auf hoher See und in den Küstenge-
wässern Somalias ist nützlich und sinnvoll, sodass meine
Fraktion dem Mandat bis letztes Jahr ganz überwiegend
zugestimmt hat.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und jetzt?)


Die Ausweitung des Atalanta-Einsatzes auf Gebiete
an Land war allerdings ein untaugliches Mittel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aufgrund des erhöhten Eskalationspotenzials und des
Risikos ziviler Opfer konnte meine Fraktion dieser Man-
datserweiterung im letzten Jahr nicht zustimmen. An
dem Risiko hat sich nichts geändert, deswegen auch
nichts an unserem Abstimmungsverhalten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Untauglichkeit dieser Landoption sieht man schon
daran, dass von ihr nur ein einziges Mal Gebrauch ge-
macht wurde. Seitdem haben alle Atalanta-Teilnehmer-
staaten von Angriffen auf Piraten am Strand abgesehen.
Ziehen Sie also endlich die Konsequenz aus dieser Er-
kenntnis und streichen Sie diesen Teil aus dem Mandat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Legen Sie uns das auf den Einsatz auf See beschränkte
Atalanta-Mandat wieder vor, und Sie bekommen dafür
die breite Unterstützung meiner Fraktion. Bis dahin wer-
den wir uns enthalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss noch ein paar Worte zum sonstigen En-
gagement am Horn von Afrika. Mit der Mission EUCAP
NESTOR soll der Aufbau einer eigenen Küstenwache in
der Region unterstützt werden, was wir durchaus für
sinnvoll halten. Trotz einjähriger Laufzeit kommt diese
Mission wegen fehlender Abkommen und Logistikpro-
blemen nicht recht vom Fleck. Auch das neue Opera-
tionszentrum in Brüssel ist dabei wenig hilfreich. Die

Bundesregierung sollte sich dringend für die Behebung
dieser Defizite in Brüssel einsetzen und nicht erst auf
den Europäischen Rat im Dezember warten.

Immerhin ist es Ihnen nach zwei Jahren endlich ge-
lungen, ein Gesetz zur Regulierung des Einsatzes priva-
ter Sicherheitskräfte auf Handelsschiffen auf den Weg zu
bringen. Anderthalb Jahre haben Sie bis zur Verabschie-
dung des Gesetzes gebraucht und dann ein weiteres hal-
bes Jahr bis zum Erlass der entsprechenden Verordnung.

Die verlorene Zeit haben andere für sich genutzt. Deut-
sche Soldaten haben in ihrer Freizeit Schiffe im Auftrag
privater Sicherheitsdienste begleitet. Es gibt klare Re-
geln, die Bundeswehrangehörigen solche Aktivitäten
verbieten. Diesen Berichten muss das Verteidigungsmi-
nisterium konsequent nachgehen, und nachgewiesene
Verstöße müssen dienstrechtlich geahndet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein solches Auftreten bewaffneter deutscher Bundes-
wehrsoldaten zerstört viel Glaubwürdigkeit und konter-
kariert die positiven Wirkungen, die der Marineeinsatz
zweifelsohne hat. Hier besteht dringender Handlungsbe-
darf.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724020800

Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1724020900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als wir am 1. Dezember 2011 über den Antrag zur Ope-
ration Atalanta gesprochen haben, hatten wir gerade
zehn Tage vorher erlebt, dass die Büros von UNICEF,
WHO und GIZ geschlossen werden mussten und dass
die Schabab-Milizen Krieg geführt haben. Die Situation
war geprägt durch 352 Überfälle, 50 entführte Schiffe,
1 000 Entführte und 4 Millionen zu versorgende Men-
schen. Vor diesem Hintergrund sind Äußerungen, wie sie
heute wieder Frau Buchholz gemacht hat und wie sie in
der Vergangenheit von Herrn van Aken und anderen in
Debatten zu diesem Thema gemacht worden sind, aus
meiner Sicht menschenverachtend. Sie zeigen das Ge-
genteil von dem, was wir eigentlich mit unserer Parla-
mentsarmee erreichen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Krieg ist menschenverachtend!)


Frau Buchholz, man konnte das Sterben in diesen La-
gern sehen. Wer in Dadaab gewesen ist, weiß, dass sich
die Probleme durch die Hungersituation und die klimati-
sche Situation verstärkt haben. Direkt zu dem Zeitpunkt,
als wir damals die Debatte geführt haben, waren 50 000





Hartwig Fischer (Göttingen)



(A) (C)



(D)(B)


Menschen durch den Ausbruch von Cholera bedroht.
Wer heute immer noch nicht begriffen hat,


(Zuruf von der LINKEN)


dass der Einsatz gegen die Piraterie mit dazu geführt hat,
dass wir heute eine vollkommen veränderte Situation ha-
ben, blickt den Realitäten nicht ins Auge.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir haben heute
Morgen bei der Regierungserklärung das Hohelied auf
diese Parlamentsarmee gesungen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir nicht!)


Parlamentsarmee bedeutet auch – auch für Sie – Verant-
wortung. Verantwortung bedeutet, sich zu informieren.
Verantwortung bedeutet, veränderte Situationen und ver-
änderte Lagebilder aufzunehmen. Verantwortung bedeu-
tet aber auch – das sage ich auch an die SPD und die
Grünen –, eigene Fehleinschätzungen zu korrigieren.

Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, auch nach der
Rede von Frau Keul, noch einmal ernsthaft darüber
nachzudenken, ob nicht gerade Prävention ein wichtiger
Bestandteil dieses Programms zur Bekämpfung der Pira-
terie ist. Mit der Möglichkeit des Einsatzes am Strand
sorgen wir dafür, dass Nachschubwege blockiert werden.
Einen einzigen Einsatz hat es gegeben und keinen Ver-
letzten. Aber die Nutzung des Strands bzw. das Anlegen
von Lagern dort hat aufgehört. Von daher sind auch die-
ser Einsatz und das neue Mandat erfolgreich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Da ich nur eine begrenzte Redezeit habe, bitte ich die
Kolleginnen und Kollegen, die nicht in den entsprechen-
den Ausschüssen sind, sich noch einmal den Antrag der
Bundesregierung durchzulesen. Wir haben gestern im
AwZ und im Auswärtigen Ausschuss darüber diskutiert.
Aufgrund der kurzen Redezeit gebe ich die Diskussionen
jetzt im SMS-Stil wieder. Wir haben festgestellt, dass die
Zahl der Angriffe rückläufig ist. Wir setzen nicht eindi-
mensional auf einen militärischen Ansatz, sondern auf ei-
nen vernetzten Ansatz. Wir haben seit Jahren mit der EU
Nothilfemaßnahmen gemacht. Dadurch konnten Zehn-
tausende von Menschen gerettet werden. Die Schiffe tra-
gen entscheidend dazu bei, dass das World Food Pro-
gramme zumindest teilweise umgesetzt werden kann und
eine Versorgung stattfindet.

Politisch unterstützen wir die Somalis gemeinsam mit
zahlreichen anderen Akteuren dabei, ihr Gemeinwesen
und einen wenigstens grundlegend funktionierenden
Staat wiederaufzubauen. Die im letzten Herbst auch mit
Unterstützung der deutschen Max-Planck-Gesellschaft
etablierte neue Übergangsverfassung und das neue Par-
lament sind beachtliche Fortschritte, die sich in diesem
Land zeigen. Die Entwicklung geht in die richtige Rich-
tung.

Dass wir die breite Unterstützung der Institutionen
insgesamt und der somalischen Institutionen haben, ist
– das ist vorhin gesagt worden – bei der Somalia-Konfe-
renz deutlich geworden. Das ist für die Menschen ein
politisches Symbol der Hoffnung, das sich mit der förm-

lichen Akkreditierung von Frau Hellwig-Bötte bei der
Regierung in Mogadischu und mit der Eröffnung der bri-
tischen Botschaft fortsetzt. Der Aufbau staatlicher Struk-
turen ist eine langfristige Aufgabe. Deshalb helfen wir
auch im Bereich der Polizei, deren Bedeutung von Ihnen
abgewertet worden ist. Ohne Polizei kann man aber kei-
nen Rechtsstaat aufbauen. Auch ohne Justiz und Straf-
vollzug kann man keinen Rechtsstaat aufbauen. Das al-
les gehört zu diesem Programm, das vereinbart worden
ist.

Dennoch steht weiterhin der Sicherheitsaspekt im
Vordergrund. Deshalb ist AMISOM für Somalia un-
glaublich wichtig. Wir sollten gerade den afrikanischen
Kräften, die in diesem Land mit Leib und Leben für
Frieden kämpfen, weiter unsere Unterstützung gewäh-
ren.

Wir haben die Ausbildungsmission in Uganda für so-
malische Sicherheitskräfte unterstützt. In Zukunft wer-
den wir diese Ausbildung, wahrscheinlich sogar in So-
malia, entsprechend fortsetzen. Wir haben uns auf einen
vernetzten Ansatz fokussiert, zu dem auch EUCAP
NESTOR gehört. Im Rahmen dieser Mission werden
funktionale und miteinander vernetzte Küstenwachen
aufgebaut; auch das ist eine Aufgabe, in die die Somalis
direkt einbezogen werden. Auch die Zusammenarbeit
mit anderen Akteuren wie Indien, Russland, Korea, Ja-
pan und arabischen Anrainern, die bereit sind, mitzuma-
chen, verläuft gut.

Ich kann Sie nur bitten, über diese Aspekte in Ihren
Fraktionen – vielleicht auch jetzt per Mund-zu-Mund-
Propaganda – noch einmal zu diskutieren. EU und
NATO werden bei dieser Mission von 13 weiteren Staa-
ten unterstützt. Philipp Mißfelder hat noch in der letzten
Debatte gesagt:

Kein Problem,

– dabei geht es nicht nur um Somalia –

das den Kontinent Afrika oder andere Regionen be-
trifft, werden wir rein militärisch lösen;

– das war nie unser Ansatz –

die Probleme werden wir immer nur mit einem Ge-
samtansatz von diplomatischen und entwicklungs-
politischen Initiativen lösen.

Vor diesem Hintergrund möchte ich auf das Thema
Militarisierung zu sprechen kommen. Frau Buchholz
– das sage ich jetzt aber auch an Sie, Frau Roth –, als wir
in Angola waren, ist Deutschland von der angolanischen
Regierung gebeten worden – diese Anfrage stellte An-
gola gemeinsam mit anderen westafrikanischen Staa-
ten –, zwei Patrouillenboote mit 40-Millimeter-Bewaff-
nung zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Situation
auf den Meeren vor der Westküste Afrikas wollte man
diese zwei Patrouillenboote haben, um selbst Verantwor-
tung für die Sicherung der Küsten in dieser Region über-
nehmen zu können. Sie haben diese Anfrage damals im
Morgenmagazin mit der Lieferung von Panzern nach
Saudi-Arabien und Ähnlichem in Verbindung gebracht.
Bedenken Sie bitte, welche Auswirkungen so etwas im





Hartwig Fischer (Göttingen)



(A) (C)



(D)(B)


Hinblick auf die Wahrnehmung von Eigenverantwortung
in diesen Ländern hat.

Ich habe eine letzte Bitte. Weil mich das Sterben in
den Flüchtlingslagern – nicht nur in Somalia, sondern
auch anderswo – umtreibt, habe ich im Jahre 2006 die
Homepage www.30000-kinder-sterben-taeglich.de er-
stellt. Schauen Sie sich diese Seite doch einmal an. Dort
können Sie viele Ansätze sehen, die zeigen, was wir ge-
meinsam bewirken können. Manche Probleme, über die
wir in diesem Parlament diskutieren, wirken im Ver-
gleich zu dem, was diese Kinder durchmachen mussten,
bevor sie starben, wirklich klein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724021000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13529, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 17/13111 anzunehmen.

Mir liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor; wir nehmen sie entsprechend un-
serer Geschäftsordnung zu Protokoll.1)

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Von
mir aus gesehen hinten links fehlt noch ein Schriftführer.
– Das scheint jetzt gelöst zu sein. Ich eröffne die Ab-
stimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich bitte die Kolle-
ginnen und Kollegen, die uns schon verlassen wollen,
doch diejenigen, die noch abstimmen wollen, an die Ur-
nen durchzulassen.

Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hau-
ses anwesend, welches seine Stimme noch nicht abgeben
konnte? – Dann bitte ich, das jetzt zu tun.

Ich frage ein letztes Mal: Fühlt sich noch jemand be-
hindert bei der Stimmabgabe, oder konnte jeder von sei-
nem Recht Gebrauch machen? – Das ist jetzt der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)

Ich bitte diejenigen, die unseren Beratungen jetzt
nicht weiter folgen wollen, weil sie wichtige Vorhaben
haben – ich weiß, im Paul-Löbe-Haus warten über ein-
hundert Stipendiatinnen und Stipendiaten auf Mitglieder
aller Fraktionen –, so zu gehen, dass wir die Abstimmun-

gen fortsetzen können und die Abstimmungsergebnisse
zweifelsfrei feststellen können.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/13545. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Darf ich erfahren, wie die Linken abge-
stimmt haben?


(Zuruf von der CDU/CSU: Gar nicht!)


Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und Nichtteil-
nahme der Fraktion Die Linke abgelehnt. – Die Linke
hat jetzt nachträglich noch das Votum „Ablehnung“ hin-
zugefügt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Effektive Unterstützung und Schutz bei Ge-
walt gegen Frauen gewährleisten

– Drucksache 17/12850 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724021100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bereits am Anfang dieser Wahlperiode haben die Oppo-
sitionsfraktionen verschiedene Anträge zur Finanzierung
von Unterstützungsangeboten für von Gewalt betroffene
Frauen vorgelegt. Die Koalition meinte zwar auch, dass
generell etwas geändert werden müsse, aber man müsse
zuerst den Bericht abwarten.

Letzten Herbst wurde er nach langer Verzögerung
endlich vorgelegt, und auch vom Bundesverband Frau-
enberatungsstellen und Frauennotrufe und von einem
Bündnis der Wohlfahrtsverbände lagen Gutachten vor.

Alle Berichte kommen zu dem Ergebnis, dass das der-
zeitige Unterstützungsangebot überwiegend unterfinan-
ziert ist. Bis heute ist aber leider keine Regelung gefun-
den, die garantiert, dass jeder von Gewalt betroffenen
Frau bundesweit und zeitnah ein niedrigschwelliger Zu-
gang zu Hilfe ermöglicht werden kann.

Dass die Bundesregierung im Anschluss an die Er-
gebnisse wieder nicht handelt, macht mich traurig und
wütend zugleich. Das ist wieder ein guter Bericht, der in
den Regalen des Ministeriums verstaubt.

1) Anlagen 4 und 5
2) Ergebnis Seite 30251 C





Monika Lazar


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Die Ergebnisse dürfen nicht kleingeredet werden,
sondern müssen endlich zu einer Reform der Finanzie-
rung führen. Die Ministerin kann sich nicht immer damit
herausreden, dass sie mit der Freischaltung des Hilfete-
lefons eine wichtige Lücke im Hilfesystem geschlossen
hat.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie heißt die Ministerin noch mal?)


Was ist mit den anderen Lücken, die das Hilfesystem of-
fensichtlich aufzeigt?

Schutzräume und Beratungsstellen vor Ort sind von
zentraler Bedeutung für den nachhaltigen Erfolg des
neuen Angebots. Lokale Strukturen müssen gestärkt
werden, da der Hilfebedarf bei erfolgreicher Umsetzung
des Angebots eines Hilfetelefons steigen wird.

Der Bund darf die Verantwortung nicht länger von
sich weisen und muss sich endlich an der Reform der Fi-
nanzierung beteiligen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


denn Gewalt an Frauen ist kein individuelles, sondern
ein gesellschaftliches Problem. Wir dürfen die Frauen in
dieser Situation nicht alleinlassen.

Die Zuständigkeit für die Finanzierung muss neu fest-
gelegt werden, statt die Neugestaltung durch Blockaden
immer weiter nach hinten zu verschieben. Wir machen
uns nicht nur gegenüber den Verbänden, sondern auch
gegenüber den betroffenen Frauen unglaubwürdig, wenn
wir nicht endlich zur Tat schreiten.

Wir Grünen fordern in unserem neuen Antrag eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die darauf hinwirkt, dass
die Ausgestaltung und Finanzierung bundesweit geregelt
werden. Alle Beteiligten müssen endlich an einen Tisch
und endlich Verantwortung übernehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung muss die Länder bei der Be-
darfsplanung unterstützen. Qualitätsstandards müssen
gemeinsam mit den Einrichtungen geschaffen, Präven-
tions- und Öffentlichkeitsarbeit muss mitgedacht wer-
den. Die Mitarbeiterinnen müssen entsprechend ausge-
stattet und vor allem endlich auch tarifgerecht entlohnt
werden. Bisher unzureichend ausgestattete Bereiche, wie
die Betreuung von Kindern der betroffenen Frauen und
die Arbeit mit Suchtkranken und psychisch Erkrankten,
müssen besser berücksichtigt werden.

In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll geprüft wer-
den, ob eine neue Regelung über eine Entbürokratisie-
rung der Leistungsansprüche nach SGB II oder SGB XII
möglich ist oder ob sie unabhängig von diesen ausgestal-
tet werden muss.

Die Finanzierung über Tagessätze hat insbesondere
bei kurzen Aufenthalten jedenfalls zu Problemen ge-
führt. Nicht alle Frauen haben Anspruch auf Leistung
nach dem SGB und müssen den Tagessatz für den Auf-

enthalt dann selbst aufbringen. Viele dieser betroffenen
Frauen verfügen jedoch über kein eigenes Einkommen.
Hier ist der bürokratische Aufwand zu hoch und verhin-
dert eine sofortige Aufnahme der Frauen ins Frauenhaus.

Weiterhin ist zu prüfen, ob eine Neuregelung in einem
eigenen Leistungsgesetz festgelegt werden sollte. Da-
durch könnte den von Gewalt betroffenen Frauen und
deren Kindern ein Rechtsanspruch auf Leistung ver-
schafft werden. Diese Geldleistung würde dann gemein-
sam von Bund, Ländern und Kommunen getragen wer-
den. Die jeweiligen Anteile müssen miteinander
verhandelt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die rechtlichen und
haushälterischen Hürden stehen vor uns, sie sind aber
mit politischem Willen zu überwinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Yvonne Ploetz [DIE LINKE])


Die neue Regierung wird jedenfalls den Willen aufbrin-
gen und in der nächsten Wahlperiode endlich für Lösun-
gen sorgen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724021200

Die Kollegin Dorothee Bär hat nun für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1724021300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede vierte
Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem
Leben Gewalt durch ihren Partner: Beleidigungen,
Schläge, Demütigungen, Vergewaltigungen, bis hin zu
lebensgefährlichen Verletzungen. Natürlich ist es so,
dass es oft viele Anläufe braucht, bis die Betroffenen be-
reit und in der Lage sind, sich aus der Gewaltsituation zu
lösen. Die Frauen schämen sich, sie trauen sich nicht,
anzusprechen, was mit ihnen passiert. Oft haben sie auch
gar nicht mehr die Kraft, sich Hilfe zu holen.

Um es den Frauen, die oft auch Kinder haben, zu er-
leichtern, diese Unterstützungsangebote auch in An-
spruch zu nehmen, haben wir im März dieses Jahres das
Hilfetelefon für von Gewalt betroffene Frauen freige-
schaltet.

Frau Kollegin Lazar, ich finde es schade, dass Sie sa-
gen, dass das Hilfetelefon nicht das ist, was Sie sich vor-
stellen. Denn es ist natürlich wichtig, eine sehr niedrig-
schwellige Erreichbarkeit zu haben. Es ist wichtig, dass
man kostenlos und natürlich auch anonym und egal, wo
man wohnt, die Möglichkeit hat, sich schnell diese Hilfe
zu holen. Denn am anderen Ende der Leitung sitzen aus-
gebildete Fachkräfte, die Erfahrung mit von Gewalt be-
troffenen Frauen haben. Ganz wichtig ist auch – weil
viele Frauen betroffen sind, die vielleicht der deutschen
Sprache nicht so mächtig sind –, dass sehr zeitnah Dol-





Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)


metscherinnen zugeschaltet werden können. Ich freue
mich sehr, dass wir als Bundesregierung das auf den
Weg gebracht haben.

Das Hilfetelefon hat natürlich eine Lotsenfunktion,
weil es eine Erstinformation bietet, eine Erstberatung
und dann auch an die Unterstützungseinrichtungen vor
Ort weiterleitet, je nachdem, wo die Frauen herkommen.
Für viele Frauen ist nach diesem ersten Schritt der Kon-
taktaufnahme der letzte Ausweg die Flucht aus der eige-
nen Wohnung in ein Frauenhaus. Hier erhalten sie die
notwendige Unterstützung,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht ausreichend!)


Unterkunft, Essen, Soforthilfe und zunächst einmal die
Möglichkeit, sich zu verstecken.

Wir haben momentan in Deutschland 350 Frauenhäu-
ser und 60 Frauenzufluchtswohnungen. Und in diese
Wohnungen – das finde ich eine ganz bemerkenswerte
Zahl – fliehen jedes Jahr zwischen 30 000 und 34 000
misshandelte Frauen mit ihren Kindern. Dennoch finden
leider nicht alle Frauen Platz.

Ich habe in meiner Nachbarschaft in Schweinfurth
auch ein Frauenhaus und bin dort schon mehrfach zu
Gast gewesen. In diesem Frauenhaus in der Nachbar-
schaft gab es im Jahr 2012 die Situation, dass 55 Frauen
wegen Platzmangels abgewiesen werden mussten. Im
Jahr 2011 wurden fast zwei Drittel der Frauen abgewie-
sen. Deswegen stimmt ein Teil des Antrags der Grünen,
wenn sie sagen, dass das Unterstützungsangebot unterfi-
nanziert sei.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Teil! Wir fühlen uns geehrt!)


Deswegen fordern die Grünen hier eine bundesgesetzli-
che Neuregelung. Aber ein Bundesgesetz – das müssten
Sie auch wissen –, mit dem vom Bund die Kosten der
Einrichtung übernommen würden, wäre laut Rechtsgut-
achten verfassungswidrig.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Antrag nicht drin!)


Deshalb muss man ganz ehrlich sagen – so steht es im
Bericht der Bundesregierung zu den Frauenhäusern –,
dass die Verantwortung für die Finanzierung der Frauen-
häuser vorrangig bei den Ländern und den Kommunen
liegt.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ausschließlich!)


An dieser Stelle müssen wir auch ansetzen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie doch tun können!)


Und manche Bundesländer, beispielsweise Bayern, ha-
ben schon eine zusätzliche Unterstützung auf den Weg
gebracht – was ich sehr befürworte. So wurde in Bayern
eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für die Frauen-
häuser um 13 Prozent – –


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir hier im Landtag in Bayern oder im Bundestag?)


– Frau Kollegin Deligöz, vielleicht haben Sie es noch
nicht kapiert, aber wir haben den Föderalismus in unse-
rem Land. Deshalb muss man natürlich ansprechen, wer
dafür zuständig ist. Wir sind hier Bundestagsabgeord-
nete – das nur zur Klarstellung.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so, ich verstehe, deshalb reden wir immer über Bayern! Deutschland besteht nur aus Bayern!)


Also, wir haben in Bayern eine Erhöhung der staatlichen
Zuschüsse um 13 Prozent. Aber diese Erhöhung kommt
in vielen Frauenhäusern oft deswegen nicht an, weil ei-
nige Kommunen diese Erhöhung auf ihre eigenen Zu-
schüsse für die Frauenhäuser angerechnet haben und
diese dann kürzen. Das geht natürlich nicht. Die Kom-
munen müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden.
Das muss man hier ansprechen, weil es nicht angeht,
dass die Mittel, die die Länder an der einen Stelle zusätz-
lich zur Verfügung stellen, an anderer Stelle wieder ge-
kürzt werden.

Deswegen sage ich: Gewalt zu stoppen, zu ächten und
zu vermeiden, muss auf kommunaler Ebene oberste
Priorität haben. Wir haben mit der Freischaltung der
Hotline eine wichtige Lücke geschlossen. Es ist aber
nicht nur wichtig, dass man Gutes tut, man muss auch
darüber sprechen. Deshalb wollen wir parallel zu der
Freischaltung die von uns ergriffenen Maßnahmen bun-
desweit bekannt machen. Dazu haben wir eine bundes-
weite Kampagne gestartet.

Die Botschaft ist: Gewalt ist Unrecht. Es gibt Hilfe. –
Das hat auch präventive Wirkung. Deswegen hoffe ich
sehr, dass am Ende des Jahres 2013 in den meisten Frau-
enarztpraxen, in den Hausarztpraxen und in öffentlichen
Einrichtungen in unserem Land Flyer mit den Rufnum-
mern für Hilfe bei Gewalt ausliegen. In den USA bei-
spielsweise klebt in jeder öffentlichen Toilette ein Auf-
kleber mit der entsprechenden Nummer auf dem
Spiegel, sodass jede Frau, die sich die Hände wäscht,
diese Nummer vor Augen hat. Das führt dazu, dass die
Nummer bekannt wird. Das ist ganz entscheidend. Es
reicht eben nicht aus, gute Kampagnen zu entwickeln,
sondern diese Angebote müssen niederschwellig und für
jeden gut zugänglich sein.

Deswegen fördert die Bundesregierung sehr viele
Modellprojekte und sehr viele Forschungsvorhaben, bei-
spielsweise das Modellprojekt „Medizinische Interven-
tion gegen Gewalt an Frauen“. Nichtsdestoweniger soll-
ten, wie im Bericht auch zur Situation der Frauenhäuser
vorgeschlagen, auf Bundesebene noch weitere Maßnah-
men ergriffen werden.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche wären das denn?)


– Wenn ich darf, kann ich sie alle noch erwähnen.






(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724021400

Ich weiß nicht, wie viele das sind, Kollegin Bär. Ver-

suchen Sie, sie kurz zusammenzufassen.


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1724021500

Ganz kurz. Nachdem danach gefragt wurde, antworte

ich jetzt. Das geht dann nicht von meiner Redezeit ab.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne hier das Modellprojekt zur kommunalen
Bedarfsplanung in Kooperation mit den Ländern, dann
ein Modell zur besseren Versorgung für psychisch
kranke und für suchtkranke Frauen, dann auf gesetzli-
cher Ebene eine Anpassung des Umgangsrechts und eine
Regelung zur praktikableren Kostenerstattung zwischen
öffentlichen Kostenträgern, sodass alle, auch Schülerin-
nen und Studentinnen, Asylbewerberinnen, einen direk-
ten und unbürokratischen Zugang zu allen Hilfen haben.
Auch sollte man einmal das Asylbewerberleistungsge-
setz überprüfen, ob dem Schutzbedarf gewaltbetroffener
Asylbewerberinnen ausreichend Rechnung getragen
wird, und nicht zuletzt sollten auch Hindernisse im Op-
ferentschädigungsgesetz beseitigt werden.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einiges davon hätten Sie schon umsetzen können!)


Es gibt ein großes Maßnahmenpaket. Ich glaube, dass
es sehr wichtig ist, dass wir das gemeinsam machen. Es
sollte nicht so sein, wie hier gerade hereingerufen wurde,

dass alles auf Bundesebene gezogen werden sollte. Ich
sehe es als unseren Anspruch an: Das, was vor Ort gere-
gelt werden kann, soll auch vor Ort geregelt werden.
Deswegen finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen, dass
die Länder und Kommunen ihrem Auftrag gerecht wer-
den.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724021600

Kollegin Bär, machen Sie jetzt bitte einen Punkt.


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1724021700

Vielen Dank. – Wir als Bundesregierung tun auf jeden

Fall alles, um den von Gewalt betroffenen Frauen zu hel-
fen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724021800

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,

gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias“ be-
kannt: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben 310 Kol-
leginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 206
Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 61 haben sich ent-
halten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenom-
men.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 310
nein: 206
enthalten: 61

Ja

CDU/CSU

Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand

Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens

Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier

Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer

Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller

SPD

Dr. Hans-Peter Bartels
Hans-Ulrich Klose

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel

Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Gerhard Drexler
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h.c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr

Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Bernd Scheelen

Marianne Schieder

(Schwandorf)


Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen

Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Hans-Christian Ströbele

fraktionsloser
Abgeordneter

Wolfgang Nešković

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Susanne Kieckbusch
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kolle-
gin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1724021900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

1976 hat das erste deutsche Frauenhaus hier in Berlin er-
öffnet.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Vor 37 Jahren!)


– Wie viele Jahre? 37 Jahre ist das her. Es wurde von ei-
nem Forschungsprogramm begleitet, um zu erkennen,
was in diesem Frauenhaus notwendig ist, wie man es
strukturieren muss, wie es aufgebaut sein muss und wel-
che Qualität es haben muss.

1999 gab es den ersten Aktionsplan der Bundesregie-
rung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit
Christine Bergmann haben wir das Thema aufgegriffen
und umgesetzt.

Seit Frühjahr 2000 gibt es eine Bund-Länder-Arbeits-
gruppe „Häusliche Gewalt“, die die nationale Umset-
zung der Aktionspläne I und II begleitet. Seit 2001 ha-
ben wir eine Frauenhauskoordinierung. Ich erzähle es
Ihnen bewusst, damit auch diejenigen, die in der Zeit
noch nicht dabei waren, wissen, was schon alles gemacht
worden ist.

2002 ist das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten, das
zum Beispiel die Wegweisung des Täters aus der ge-
meinsamen Wohnung ermöglicht. Im September 2007
kam der Aktionsplan II der Bundesregierung zur Be-
kämpfung von Gewalt gegen Frauen. Im November
2008 – das ist auch schon wieder fast fünf Jahre her –
fand die Anhörung des Familienausschusses zur Frauen-
hausfinanzierung statt.

Im Dezember 2009 haben wir darüber eine Debatte
geführt. Das war kurz vor Weihnachten – ich habe noch
einmal meine Rede herausgesucht –; anschließend sind
wir in die Weihnachtsferien gefahren.

2011 hat die Bundesregierung die Istanbul-Konven-
tion gezeichnet. Zwei Jahre später haben wir sie immer
noch nicht ratifiziert. Das steht also noch aus.

Wir hatten nach der Anhörung 2008 festgestellt, dass
wir einen Bericht, vor allem einen verfassungsrechtli-
chen Bericht, darüber brauchen, was getan werden kann
und muss. Der Bericht wurde im August 2012 vorgelegt
und trifft Aussagen zur Situation der Frauenhäuser,
Fachberatungsstellen und anderen Unterstützungsange-
boten für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kin-
der in Deutschland.

Dazu haben wir im Dezember 2012 eine Anhörung
durchgeführt. Im März 2013 haben wir die Vorgaben der
EU umgesetzt und ein Hilfetelefon freigeschaltet.

Mit Blick auf das alles kann ich mit Stolz sagen: Wir
haben in Deutschland ganz viel gemacht. Das ist unbe-
stritten. Ich glaube, das wird kein einziger hier bestrei-
ten.

Aber warum haben wir das gemacht? Nicht etwa, weil
es hier oder sonst wo, zum Beispiel in den Landesparla-
menten, zu viel Elan gibt, sondern weil es vor Ort
Frauen gibt, die sich unermüdlich dafür eingesetzt ha-
ben, dass sich etwas bewegt.

Das Hauptproblem für alle Einrichtungen besteht da-
rin, dass sie nach wie vor nicht wissen, wie sie sich fi-
nanzieren sollen. Sie stützen sich selber auf die ehren-
amtlich dort Arbeitenden. Ich habe es Ihnen schon
mehrmals erzählt: Meine ehrenamtlichen Frauen, die
von 5 Uhr abends bis 9 Uhr morgens und am Wochen-
ende rund um die Uhr den Dienst aufrechterhalten, krie-
gen keinen Cent für diese Arbeit. Sie sind immer abruf-
bereit.

Das geht nur, wenn es Frauen gibt, die dies machen.
Damit muss jetzt irgendwann Schluss sein.

Bei den Anhörungen war klar: Originär ist der Bund
nicht zuständig. Ich würde die Finanzierung der Frauen-
häuser aber zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählen,
und zwar zur sozialen Daseinsvorsorge. Sie gehört auf
die kommunale Ebene und ist Aufgabe der Länder.

Bei den Banken würden wir sagen: Es sind systemre-
levante Einrichtungen. Dann hätten wir über Nacht ein
Gesetz. Wir sind viel bescheidender und würden uns mit
ein paar Milliönle zufrieden geben. Wir wollen gar keine
Milliarden. Ein paar Milliönle würden reichen, um alle
Häuser des Landes abzusichern. Nein, da erkennen wir
nicht die Systemrelevanz.

Ja, ich gebe Ihnen recht, Frau Bär: Der Bund muss
vorrangig nicht zahlen. Aber er hat eine wichtige Auf-
gabe, nämlich alle Länderminister, die dafür zuständig
sind, an einen Tisch zu bringen und die Frage zu klären,
wer für eine Frau aus Schleswig-Holstein, die in Bayern
aufgenommen wird, zahlen muss. Hier müssen wir zu ei-
nem Ausgleich und zu Rechtssicherheit kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganz zu schweigen davon, dass wir auch Frauen aufneh-
men, die nirgendwo Geld herbekommen. Die ganzen
Osteuropäerinnen, die zureisen dürfen oder mit Angebo-
ten hierhergelockt werden – und wenn man sie auf ein-
mal satt hat, versucht man sie loszuwerden, indem man
sie halb totprügelt –, haben kein Geld, um irgendetwas
zu bezahlen. Also werden die Frauen in den Vorständen
und die Mitarbeiterinnen es wieder kostenlos machen,
und wir bemühen uns dann um Spenden.

Die Regierung hat die Aufgabe, alle Länderminister
an einen Tisch zu holen. Dafür gibt es keine Ausrede.
Wir müssen es zum Hauptthema machen, dass ein rei-
ches Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das viel
bewerkstelligt – dafür müssen wir uns nun wirklich nicht
schämen –, endlich eine Finanzierung auf die Beine
stellt, die für alle Bundesländer gilt. Jedes Bundesland
muss die Finanzierung sicherstellen. Dabei reicht die Fi-
nanzierung auf Tagessatzbasis bei weitem nicht aus.
Vielmehr muss den entsprechenden Einrichtungen





Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)


Strukturhilfe gewährt werden. Davon sind wir aber noch
Lichtjahre entfernt.

Wir müssen endlich zur Umsetzung kommen und
– das ist dringend notwendig – die Konvention gegen
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ratifizieren.
Der Kollege aus dem Ausschuss des Europarats – die-
sem gehöre ich ebenfalls an –, der die Kampagne zum
Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt leitet und vor-
wärts bringt, wird uns besuchen – dem Ausschuss liegt
eine entsprechende Anfrage vor – und wird uns dann
noch einmal nahelegen, wirklich etwas zu tun. Ein wei-
terer wichtiger Punkt ist die Sicherstellung der Finanzie-
rung.

Ich hoffe, dass Frauen auch für diese Regierung ein
Thema sind. Dass die Welt aus zwei Geschlechtern be-
steht, wissen wir. Ich habe aber manchmal den Eindruck
– ich glaube, Frau Laurischk stimmt mir zu –, dass wir
ein Geschlecht meistens vergessen. Wir sollten die
Frauen in den Fokus rücken, die am wenigsten dafür
können, dass sie Zufluchtsstätten wie Frauenhäuser auf-
suchen müssen. Wir sollten dafür sorgen, dass sie das
mit Würde tun können, wenn ihnen schon zu Hause die
Würde genommen wird. Wir, die wir uns für den Schutz
von Frauen vor häuslicher Gewalt engagieren, sollten
nicht in jeder Verhandlung mit Bürgermeistern, Oberbür-
germeistern und Landräten betteln müssen. In diesen
Verhandlungen kommt man sich als Vorsitzende eines
Frauenhausvereins fast wie eine Prostituierte vor, wenn
man Geld erbettelt, damit die Finanzierung des Frauen-
hauses für die nächsten zwei Jahre wieder sichergestellt
ist. Nur so können diese Häuser bestehen. Das ist die
Realität.

Wenn die solidarischen Männer, die heute hier sitzen
– dafür bedanke ich mich –, ebenfalls Verantwortung
übernehmen, dann werden sie endlich denjenigen, die
bislang eine zuverlässige Finanzierung der Frauenhäuser
verhindern, sagen: Es reicht! Wenn ihr es in dieser Le-
gislaturperiode nicht mehr hinbekommt, dann müssen
wir es in der nächsten Legislaturperiode schaffen. – Die-
sen Appell richte ich an das ganze Haus. Sonst muss sich
der Bundestag wirklich dafür schämen, dass trotz zahl-
reicher Gutachten und endloser Erkenntnisse nichts von
dem umgesetzt wird, was als richtig erkannt wurde. Das
fände ich schade.

In diesem Sinne wünsche ich diesem Parlament noch
einen wunderschönen Abend, der nach der Tagesord-
nung bis morgen Abend um 18.30 Uhr geht.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724022000

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1724022100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Rupprecht, eigentlich wollte ich meine Rede anders be-
ginnen, aber ich knüpfe an das an, was Sie gerade über

die Mühen gesagt haben, die viele Mitarbeiterinnen, ins-
besondere die ehrenamtlichen, in den Frauenhausverei-
nen haben, wenn es um die Sicherstellung der Finanzie-
rung geht. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als ich
mit meinem Frauenhausverein beim Kämmerer vorge-
sprochen habe. Es war mühsam und alles andere als ein-
fach. Aber wir Frauen sind an diesen Aufgaben auch ge-
wachsen. Mittlerweile hat zumindest der Ortenaukreis
den Mitteleinsatz – wenn auch nicht im Millionenbe-
reich – von 100 000 Euro auf 200 000 Euro verdoppelt.
Das reicht zwar auch noch nicht, aber das ist ein klares
Signal. Es wird registriert, dass wir uns im Bundestag
mit der Situation der Frauenhäuser bundesweit befassen,
und das nicht erst seit gestern. Schon in der letzten Le-
gislaturperiode haben wir über die Finanzierung disku-
tiert.

Die Frage, ob der Bund zuständig ist oder nicht, ist
unter grundgesetzlichen Aspekten problematisch. Die
breite Mehrheit der Gutachter ist der Meinung, das sei
nicht Aufgabe des Bundes, sondern Aufgabe der Länder.
Ich persönlich bin der Meinung, dass das diskussions-
würdig ist. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre si-
cherlich gut; denn egal um welche Gewalttaten es sich
handelt, ob um Schläge, ständige Misshandlung oder
– noch schlimmer – Vergewaltigung, sie werden bundes-
einheitlich als Straftaten angesehen. Daher bin ich der
Meinung, dass es gut wäre, wenn es bundeseinheitlich
flankierende Maßnahmen gäbe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun haben wir eine verfassungsrechtlich schwierige
Lage. Entsprechende Gutachten und Berichte stellen im-
mer wieder fest, dass nicht wir für die Frauenhäuser zu-
ständig sind, sondern die Länder. Die Länder sollen,
können und müssen auch etwas tun. Ich habe die Vermu-
tung, dass die Länder ein Stück weit versuchen, sich ih-
rer Aufgaben und insbesondere ihrer finanziellen Ver-
pflichtungen zu entledigen, indem sie dem Bund die
Verantwortung zuschieben.

Das ist eine schwierige Gemengelage, in deren Rah-
men wir uns als Bundespolitiker und Bundespolitikerin-
nen durchaus dem Thema gewidmet haben, und zwar
mit guten Ergebnissen. Ich nenne zum einen das Gewalt-
schutzgesetz. Ich glaube, dieses Gesetz hat viel verän-
dert. Es führt nämlich zu dem Ergebnis, dass derjenige,
der Gewalt anwendet, also der schlägt, gehen muss. Das
ist gesetzlich klar und leicht umsetzbar, und das geht
mittlerweile auch sehr schnell. Die Familiengerichte zö-
gern gar nicht mehr lange, es wird nicht erst ein langer
Strafprozess abgewartet, sondern es ist klar, dass derje-
nige, der Gewalt angewendet hat, das Feld verlassen
muss.

Das führte dazu, dass sich die Situation in den Frau-
enhäusern mittlerweile geändert hat. Es suchen immer
mehr Migrantinnen dort Zuflucht, weil sie mittlerweile
wissen, dass es dort eine Zuflucht gibt. Sie sind nun aber
eine Gruppe unter den Frauen in Deutschland, die sich
häufig nicht artikulieren kann, weil sie zu wenig Sprach-
kenntnisse und zu wenig Selbstvertrauen hat, um die
angebotenen Hilfen und die Möglichkeiten, die das





Sibylle Laurischk


(A) (C)



(D)(B)


Gewaltschutzgesetz bietet, in Anspruch zu nehmen. Des-
wegen ist die Versorgungssituation der Frauen in den
Frauenhäusern noch schwieriger geworden, als sie ohne-
hin schon war. Die Mitarbeiterinnen leisten eine ganz
schwierige und wichtige Arbeit. An dieser Stelle möchte
ich gerade diesen Frauen für ihre Arbeit danken, die
nicht in der Öffentlichkeit stattfindet, sondern in der ver-
traulichen und geschützten Situation des Frauenhauses.

Wir als Bundesgesetzgeber hätten die Möglichkeit,
durch Änderungen im SGB XII und im Asylbewerber-
leistungsgesetz für diese spezielle Gruppe eine bundes-
einheitliche Lösung zu schaffen. So weit sind wir nicht
gekommen. Das muss man selbstkritisch sagen. Aber
wir haben einen wichtigen Schritt geschafft. Darauf kön-
nen wir als Koalition stolz sein. Wir haben das bundes-
weite Hilfetelefon installiert, das gerade den Migrantin-
nen, gerade den Frauen, die sich nur sehr schwer auf
Deutsch verständigen können, um sich Hilfe zu ver-
schaffen, die Möglichkeit bietet, in ihrer Muttersprache
Gehör zu finden.

Diesen Frauen können in dieser sehr schwierigen
Situation in der vertrauten Sprache erste Hilfsangebote
genannt werden, damit sie der Gewaltsituation entkom-
men können. Das ist in der isolierten Situation, in der sie
häufig leben, besonders schwierig; denn Gewalt gegen
Frauen beruht oft auf strukturellen Gegebenheiten, die
so leicht nicht zu ändern sind. Da reicht ein Willensakt
nicht aus, sondern es müssen flankierende Maßnahmen
in Form von Hilfsangeboten vorhanden sein.

Ich glaube, dass wir mit der Einrichtung dieses Hilfe-
telefons tatsächlich etwas Richtungsweisendes getan ha-
ben. Wir werden eine Evaluation durchführen, wie das
Hilfetelefon angenommen wird. Im Moment jedenfalls
besteht eine große Nachfrage. Wir werden sicherlich vor
dem Hintergrund der Erfahrungen mit diesem Hilfetele-
fon nach weiteren Lösungen suchen. Ich setze darauf,
dass die Diskussion, die von engagierten Frauenpolitike-
rinnen, insbesondere was die Thematik der Frauenhäuser
angeht, weitergeführt wird. Ich glaube, dass sicherlich
auch in der nächsten Legislaturperiode dieses Thema
weiterverfolgt wird, damit es zu einer bundesweiten Fi-
nanzierung von Frauenhäusern kommt. Ich hoffe das
und setze darauf. Wir wissen, in der Politik bleibt immer
noch etwas zu tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724022200

Das Wort hat die Kollegin Yvonne Ploetz für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724022300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Schwere Wege leicht machen!“, das ist der Titel der ak-
tuellen Kampagne der Frauenhäuser. Sie wollen wach-
rütteln, uns alle, Sie alle, sie wollen darauf hinweisen,
wie wichtig eine bedarfsgerechte Finanzierung der Frau-
enhäuser ist. Sie erzählen davon, dass rund 16 000 bis
20 000 Frauen mit noch einmal so vielen Kindern jähr-

lich bei ihnen Zuflucht finden, Frauen, die vor ihren
Ehemännern, vor ihren Vätern, vor ihren Partnern flüch-
ten. Sie werden erniedrigt, beschimpft, isoliert. Sie wer-
den in ihrem Selbstwertgefühl verletzt. Jeder vierten
Frau passiert das in ihrem Leben. Da sind Frauenhäuser
oftmals der einzige Schutz, der einzige Zufluchtsort für
Mütter und für Kinder. Nicht selten fliehen sie in Nacht-
und-Nebel-Aktionen von zu Hause und werden dann
ganz sorgsam aufgenommen, werden beschützt und wer-
den beraten. Man kommt wirklich unweigerlich zu dem
Schluss, dass Frauenhäuser unverzichtbar sind und dass
es eine Tragödie ist, wenn an allen Ecken und Enden
Geld fehlt. Dies ist leider eine politische Tragödie, die
Sie als Regierung endlich beenden müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Schutz können Frauenhäuser nur dann bieten, wenn
Plätze frei sind. 2011 wurden 9 000 Frauen – 9 000
Frauen! – abgewiesen, weil einfach keine Plätze vorrätig
waren. Stellen wir uns kurz vor, wir wären eine Mitar-
beiterin in einem Frauenhaus und müssten eine misshan-
delte Frau abweisen. Das ist die reinste Katastrophe für
diese Frauenhausmitarbeiterin und insbesondere für die
hilfesuchende Frau. Wir sind doch dafür zuständig, dass
beide vor einer solchen Situation bewahrt bleiben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb streiten wir heute wieder dafür, dass wirklich
jeder Frau 24 Stunden täglich, also rund um die Uhr,
Schutz gewährt werden kann und muss, und zwar in al-
len Lebenslagen. Bei meinen Besuchen in saarländi-
schen Frauenhäusern wurde mir immer wieder klarge-
macht, was für Herausforderungen dort eigentlich zu
bewältigen sind. Da geht es darum, dass auch Mütter und
Kinder mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang
haben. Da geht es darum, dass schwangere Frauen Kon-
takt zu Hebammen und zu Ärztinnen haben müssen.
Frauen und Kindern, die kaum Deutsch sprechen, müs-
sen Übersetzerinnen zur Seite gestellt werden, damit sie
sich überhaupt verständlich machen können. Frauen mit
ihren jugendlichen Söhnen müssen Platz finden. Gerade
für traumatisierte Kinder müssen Therapeutinnen und
Therapeuten da sein, damit das Erlebte überhaupt aufge-
arbeitet werden kann.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Hilfe
kostet nun einmal Geld; sie muss finanziert werden. Wir
sind heute, fast 40 Jahre nachdem das erste Frauenhaus
die Türen geöffnet hat, immer noch in der gleichen
Situation: Die Finanzierung der Frauenhäuser hängt vom
Wohlwollen der Politik auf Bundesebene, in den Län-
dern und in den Kommunen ab. Es ist doch kein Ge-
heimnis, dass gerade in Zeiten knapper Kassen der Rot-
stift zuallererst bei sozialen Einrichtungen angesetzt
wird. Aber Sie können sich sicher sein: Finanzierung
nach Kassenlage, gerade bei Gewaltopfern, werden wir
Linke niemals akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN)


In nicht wenigen Fällen wird die Finanzierung – das
haben wir heute schon gehört – direkt an die Frauen über
sogenannte Tagessätze weitergegeben. In diesem Mo-





Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)


ment wäre ein Hotelaufenthalt sicherlich günstiger; aber
dort finden die Frauen den nötigen Schutz einfach nicht.
So müssen sie sich in ihrer sowieso schon sehr schwieri-
gen Lage schlimmstenfalls verschulden. Sie werden hil-
febedürftig gemacht und rutschen eventuell noch in die
Armut. Dass mangelnde Finanzierung den Frauen den
Weg in ein Frauenhaus versperrt, ist wirklich zynisch
und schlichtweg nicht tragbar.

Jeder Frau in Not muss geholfen werden. Das geht
aber nur dann, wenn die Hilfeeinrichtungen selbst nicht
um ihre eigene Existenz kämpfen müssen. In Ihrem eige-
nen Lagebericht beschreiben Sie die Situation vieler
Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern als „Selbstausbeu-
tung“. Am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“
fiel der Satz:

Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kann anderen
nicht den Rücken stärken.

Ja, das ist sehr richtig. Spätestens hier sollten wirklich
alle hellhörig werden und sich um eine bedarfsgerechte,
bundeseinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser be-
mühen. Machen Sie endlich schwere Wege leicht!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724022400

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-

Becker für die Unionsfraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1724022500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Zum Thema Frauenhäuser hat die Bundesregierung
in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal einen sehr in-
struktiven Bericht vorgelegt. Wir hatten dazu außerdem
eine sehr informative Anhörung. Für mich fällt die Bi-
lanz gemischt aus: Zum einen wurde uns sehr glaubhaft
berichtet, was für eine Arbeit geleistet wird und mit wel-
cher Professionalität, mit welchem Engagement das ge-
schieht; das hat schon ermuntert. Auf der anderen Seite
hat betroffen gemacht, dass es nötig ist, diese Arbeit in
diesem Umfang zu leisten. Betroffen haben natürlich
auch die erkennbaren Defizite und Probleme gemacht.
Es wurde uns nämlich sehr glaubhaft aus der Praxis
geschildert, dass nicht allen Frauen eine passende Hilfe
angeboten werden konnte, dass zu viel Zeit damit ver-
tändelt wird, Formulare und Anträge auszufüllen, anstatt
mit den Frauen zu arbeiten. Es wurde auch klar, dass
ohne Ehrenamt und ohne viel Improvisationstalent an
der Stelle das Ganze überhaupt nicht zu leisten wäre, ob-
wohl – das muss man sich klarmachen – dieser Schutz
vor Gewalt ebenso wie die Daseinsvorsorge in einer be-
stimmten Notsituation sicherlich zu den ureigenen staat-
lichen Aufgaben gehört. Es ist eigentlich nur historisch
zu erklären, dass das nicht vollauf in der staatlichen Fi-
nanzierung ist. Man muss sich einmal vorstellen, dass
eine andere Institution im Bereich der Innenpolitik von
Ehrenamtlern unterstützt werden müsste, dass wir in Ge-
fängnissen zum Beispiel Ehrenamtler einsetzen müssten,

um sie überhaupt unterhalten zu können! Der Hand-
lungsbedarf an der Stelle ist also unstreitig.

Die Bundesregierung erkennt ihn an, erkennt ihre
Verantwortung an, nicht nur theoretisch, sondern auch
ganz praktisch. Das hat sich durch den Bericht und durch
die Anhörung gezeigt, aber eben auch durch die Instal-
lierung der Helpline, die in dem Zusammenhang eine
ganz hohe Bedeutung hat, die den Frauen wirklich nied-
rigschwellig hilft, die aber auch die einzelne Einrichtung
ein Stück weit davon entlastet, eine geeignete Einrich-
tung zu finden, wenn sie selbst keinen Platz hat.

Darüber hinaus formuliert der Regierungsbericht
selbst, dass es weiteren Handlungsbedarf gibt. Das ist
ein Punkt, der unstreitig ist – mit und ohne Antrag der
Grünen. Aber wir müssen in der Tat darüber sprechen,
wie es weitergehen kann.

Nun gibt es einiges von dem, was Sie ansprechen, in
der Praxis schon; das dürfen wir nicht vernachlässigen.
Es gibt die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Es gibt die Ebene der
Frauenhauskoordinierung, die vom Bundesministerium
auch gefördert wird. Es gibt die Frauenministerkonfe-
renz, die natürlich auch mit dem Bund kooperiert. Es
gibt den Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt ge-
gen Frauen. Alle diese Strukturen gibt es. Wir müssen
ihnen die richtigen Fragen stellen, um zielführende Er-
gebnisse herauszubekommen.

Sie sprechen in dem Antrag zu Recht an, dass es Pro-
bleme in der Abgrenzung der verschiedenen Rechts-
kreise – SGB II, Asylbewerberleistungsgesetz – gibt.
Wir alle wissen, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur auf
Bezieher von SGB-II-Leistungen zum Beispiel be-
schränkt ist. Es sind also nicht nur Frauen betroffen, die
diesen Rechtskreisen zuzuordnen sind. Das sind Ge-
setze, bei denen man eine ganz andere Notsituation im
Auge hatte. Sie können nicht passgenau sein. Von daher
ist da wirklich etwas nachzuarbeiten. Darum kann sich
durchaus der Bund kümmern.

Sie sprechen weitere Punkte an, natürlich auch die Fi-
nanzierung und die Zuständigkeit. Das waren schon in
der Debatte bisher die wichtigsten Punkte. Ich möchte
drei Bemerkungen zur Finanzierung machen:

Erstens. Das, was da aus der Warte der Frauenhäuser
verlangt wird, ist wirklich nicht zu viel verlangt.


(Beifall der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])


Es geht wirklich nirgendwo darum, dass jemand sich
eine goldene Nase verdient, es geht nicht darum, dass ir-
gendwo Luxus nachgefragt wird, sondern es geht darum,
wirklich eine angemessene, bescheidene und sichere Un-
terkunft für Frauen in einer Notsituation zu bekommen.
Wie gesagt, ohne Ehrenamt und ohne Spenden wäre das
bisher nicht möglich.

Zweite Bemerkung. Es ist schon einiges Geld im Sys-
tem. Wir fangen nicht bei null an. Die Länder bringen
einiges zusammen, die Kommunen bringen einiges zu-
sammen, sei es in der institutionellen Förderung oder
auch in der fallweisen Unterstützung. Wie viel das genau





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


ist, lässt sich schwer sagen, weil es darüber keine genaue
Statistik gibt. Aber allein die Leistungen der Länder
dürften die Größenordnung von 50 Millionen Euro errei-
chen. Hinzu kommt das, was der Bund für die Kosten
der Unterkunft und dergleichen – Stichwort „Asylbewer-
berleistungsgesetz“ – leistet.

Was letztlich gebraucht wird, ist nicht die Welt. Wir
haben die Zahlen. Wir gehen davon aus, dass auf
7 500 Einwohner ein Platz im Frauenhaus gebraucht
wird. Bei dem Verhältnis gäbe es eine wirklich gute Ver-
sorgung. Wenn man das hochrechnet, dann liegt das, was
insgesamt gebraucht wird, in der Größenordnung von
150 Millionen Euro. Vieles davon ist, wie gesagt, schon
im System. Das müsste doch zu schaffen sein.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Könnte man denken!)


Dritte Bemerkung. Denken Sie einmal daran, was al-
lein die Polizeieinsätze samstags in den Fußballstadien
kosten!


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])


Wir reden da von Beträgen in einer Größenordnung von
50 Millionen Euro für ein Sicherheitsbedürfnis – vorwie-
gend der Männer,


(Zustimmung der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])


was ihnen gegönnt sein mag; wir haben nichts dagegen.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Das ist aber nett!)


Wenn man das bedenkt, dürfte die Forderung hier doch
nicht zu viel verlangt sein. Ich appelliere wirklich an
alle, die da mitwirken können: Helfen Sie mit, dass wir
dieses Geld auftreiben! Das müssen wir aber auch auf
die verschiedenen Schultern verteilen. Zuständig sind
zunächst einmal wesentlich die Länder, auch wenn der
Wunsch nach einem Bundesgesetz, durch das alles be-
zahlt wird, verständlich ist. Man sagt: Wir möchten ein
Bundesgesetz, damit dieser Bürokratismus ein Ende hat.
– Das kann ich verstehen. Trotzdem kommen wir an die-
ser Stelle an einigen Realitäten nicht vorbei: Sowohl die
innere Sicherheit als auch die Daseinsvorsorge sind ori-
ginäre Länderaufgaben. Wir können auf das Geld, das
die Länder einbringen, nicht verzichten, genauso wenig
wie auf deren Planungskompetenz vor Ort. Das muss bei
den Ländern bleiben. Trotzdem gibt es für den Bund
auch Spielraum.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724022600

Kollegin Winkelmeier-Becker, ich unterbreche Sie

ungern, gerade in dieser Debatte, aber achten Sie bitte
auf die Zeit und kommen Sie zum Schluss.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1724022700

Ja, ich bin sozusagen beim letzten Satz.

Ich möchte auf das zurückkommen, was Professor
Rixen in der Anhörung als mögliche Option aufgezeigt

hat. Er hat gesagt, der Bund könne bestimmte Standards
und Rahmenbedingungen in einem eigenen Kapitel des
SGB XII festlegen. Das wäre von den Ländern auszu-
führen, sodass dies als gemeinsame Aufgabe unternom-
men werden soll. Lassen Sie uns das einmal vornehmen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724022800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12850 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim
Poß, Ingo Egloff, Burkhard Lischka, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Exorbitante Managergehälter begrenzen

– Drucksache 17/13472 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr. Tobias Lindner, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Mitfinanzierung exorbitanter Gehälter
durch die Allgemeinheit – Steuerliche Abzugs-
fähigkeit eingrenzen

– Drucksache 17/13239 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Joachim Poß für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1724022900

Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Viele Menschen, immer mehr Menschen
verzweifeln an einer gesellschaftlichen Situation, in der
wie selbstverständlich Spitzenmanager rund das 70-Fa-
che des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens
haben. In Einzelfällen, wie wir wissen, ist die Relation
noch weit größer: Da beträgt sie das 200- bis 300-Fache.
Das wissen wir von teilweise prominenten Fällen. Das
ist für einen modernen Sozialstaat eine viel zu große





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


Diskrepanz, die meines Erachtens durch nichts zu legiti-
mieren ist. In einer Zeit, in der der Niedriglohnbereich
und die Prekarisierung zunehmen, ist das ein weiterer
Faktor, der den sozialen Frieden unterminiert. Deshalb
wollen wir, dass der Aufsichtsrat dazu verpflichtet wird,
eine Relation vom Vorstandsgehalt zum Durchschnitts-
einkommen der Arbeitnehmer ihres Unternehmens zu
bestimmen, zu veröffentlichen und eine Obergrenze da-
für festzulegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Außerdem wollen wir die steuerliche Abzugsfähig-
keit von Gehältern und Abfindungen als Betriebsausga-
ben beschränken. Einen ähnlichen Vorschlag haben wir
schon in den Verhandlungen mit der CDU/CSU in der
Großen Koalition gemacht. Dort haben wir das Gesetz
zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung verabschie-
det. Damals hat die CDU/CSU auch schon nicht gerne
mitgemacht. Nach diesem Gesetz, das ein Anfang war,
ist die CDU/CSU bei diesem Thema in einen Tiefschlaf
gefallen. Erst jetzt wieder, nach mehr als drei Jahren,
sind Frau Merkel und Co. aufgewacht. Das gilt auch für
andere Fragen wie Bankenregulierung, Kampf gegen
Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Kurz vor der Bun-
destagswahl wird nach mehr als drei Jahren Ignoranz
und Blockade aufgedreht.


(Beifall bei der SPD)


Das trifft auch für den Vorschlag der schwarz-gelben
Regierung zu, der nicht zielführend ist. Dieser Weg ist
ein Irrweg. Eine klitzekleine Änderung des Aktiengeset-
zes – die Verschiebung der Entscheidung über die Vor-
standsvergütung auf die Hauptversammlung – ist keine
Lösung. Denn damit geht die schwarz-gelbe Koalition
den Weg des ungebremsten Finanzkapitalismus weiter,
anstatt Lösungen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft
zu suchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Richtig!)


Nichts wird dadurch, dass jetzt die Hauptversamm-
lung zu entscheiden hat, besser; denn Vorschläge zur
Struktur kann sie jetzt schon machen. Im Gegenteil:
Nicht nur bei den DAX-Unternehmen dominieren in der
Hauptversammlung Banken, internationale Fonds und
institutionelle Anleger, die oft gar kein Interesse an Ge-
haltsbegrenzungen haben und zu deren Geschäftsmodell
die systematische Erhöhung von Boni gehört. Das ist je-
denfalls die belegte Praxis der Vergangenheit.

Was die Transparenz der Entscheidungen angeht,
wird nichts von vornherein besser werden. Diejenigen
Eigentümer, die die Hauptversammlung dominieren,
werden sich vorher hinter den Kulissen mit ihren Vertre-
tern im Aufsichtsrat über das Vergütungskonzept eini-
gen. Wir werden mehr Kungelei haben als jetzt. Ganz
nebenbei werden die Vertreter der Arbeitnehmer ausge-
schaltet.

Diesen Anschlag auf die bewährte Balance von Kapi-
tal- und Beschäftigungsinteressen werden wir nicht mit-

machen. Es muss bei dem Weg bleiben, den wir im
Jahre 2009 gemeinsam mit der CDU/CSU eingeschlagen
haben. Diesen Weg wollen auch die Regierungskommis-
sion, der BDI und andere gehen: mehr Verantwortung
für den Aufsichtsrat. Ich füge hinzu: Der Aufsichtsrat
muss diese Verantwortung allerdings stärker als in der
Vergangenheit wahrnehmen.

Während die Regierungskommission bei ihren Vor-
schlägen auf Freiwilligkeit setzt, glauben wir nach allen
Erfahrungen, die wir in den letzten eineinhalb Jahrzehn-
ten mit freiwilligen Regelungen gemacht haben, dass wir
an manchen Stellen – das steht in unserem Antrag – Ge-
setzesverschärfungen zwingend benötigen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023000

Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1724023100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der
Managervergütung ist ein wichtiges Thema. Deshalb ist
es gut, dass gehandelt wird. Es ist gut, dass die christ-
lich-liberale Koalition handelt. Wir haben einen Vor-
schlag auf den Tisch gelegt. Wir werden diesen Vor-
schlag noch in dieser Legislaturperiode abschließen.

Unser Vorschlag unterscheidet sich allerdings von
dem Ihren. Er unterscheidet sich darin, dass er auf Stim-
migkeit statt auf Unstimmigkeit setzt. Es handelt sich
um ein durchdachtes und nicht um ein undurchdachtes
Konzept. Es handelt sich um ein Konzept, das auf eine
systematisch richtige Lösung und nicht auf Bevormun-
dung setzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Vorschlag, den Sie heute auf den Tisch legen, ist
unter einer Vielzahl von Aspekten bemerkenswert. Be-
merkenswert ist zunächst einmal die Frage, wie Sie mit
Betriebsausgaben umgehen wollen. Sie wollen die Ab-
setzbarkeit der Vergütung von Vorstands- bzw. Manager-
gehältern als Betriebsausgaben auf einen Betrag von
500 000 Euro beschränken. Viele Gehälter in diesem
Land gelten als Betriebsausgaben. Dazu zählen die Ge-
hälter für Manager, für Künstler, für Fußballstars, für
Fernsehmoderatoren und für viele andere mehr. Es ist
allgemein anerkannt, dass sie abgesetzt werden können.

Die Einzigen, für die diese Regelung künftig nicht
mehr gelten soll, sind nach Ihrem Vorschlag Vorstände
und Manager. Schauen Sie sich einmal folgenden Fall
an: Ein Juror bei Deutschland sucht den Superstar be-
kommt 1,2 Millionen Euro, wohlgemerkt: nicht pro Jahr,
sondern pro Staffel. Nach Ihrem Vorschlag ist in diesem
Fall die Absetzbarkeit als Betriebsausgabe künftig wei-
terhin möglich. Für den Manager soll dies bei einem Ge-
halt von etwa 600 000 Euro nur noch eingeschränkt





Dr. Stephan Harbarth


(A) (C)



(D)(B)


möglich sein. Das sagt viel darüber aus, wo für die deut-
sche Sozialdemokratie Leistungsträger angesiedelt sind
und wo nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wollen Sie eigentlich gestalten oder wollen Sie verhindern? Sie suchen doch nur Ausreden!)


Schauen Sie sich einmal die Gehälter von Fußball-
stars oder von Formel-1-Rennfahrern an. Es ist für mich
besonders überraschend, dass Sie dafür keine Regelung
vorsehen. Denn Formel-1-Rennfahrer machen gleich
zwei Dinge, die aus Sicht der Sozialdemokratie in ho-
hem Maße anstößig sind: Sie verdienen viel Geld, und
obendrein fahren sie schneller als 120. Letzteres ist im
Grunde noch schlimmer als Ersteres.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist ganz offensichtlich: Das, was Sie vorlegen, ist
eine Regelung für irgendwelche Gruppen, bei denen es
im Augenblick einfach opportun und billig ist, auf sie
einzuhauen. Eine andere Regelung sehen Sie für andere
Personen vor, die wesentlich mehr verdienen. Das ist un-
stimmig, unsinnig und obendrein verfassungswidrig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stefan Rebmann [SPD]: Was macht ihr denn da?)


Interessant ist auch, wie einfach Sie es sich bei der
Frage machen: Was ist noch angemessen und was ist ei-
gentlich unangemessen? Sie haben es herausgefunden:
Die Trennlinie liegt offensichtlich bei 500 000 Euro. Die
großen Denker der Antike wie Aristoteles und später
Thomas von Aquin


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Oh! Jetzt wird’s aber toll!)


haben sich lange mit der Frage des angemessenen Prei-
ses befasst, aber hätten sich, glaube ich, viel Arbeit er-
sparen können, wenn sie die Beiträge der Sozialdemo-
kratie zur Erkenntnisgeschichte der Menschheit im Jahr
2013 hätten erahnen können.


(Joachim Poß [SPD]: Wie man so mit einem Thema umgehen kann, zeigt solch eine Ignoranz! Das ist nur peinlich!)


Wir haben einen Vorschlag der Regierung auf dem
Tisch, der vorsieht, die Rolle der Eigentümer zu stärken:
Wir wollen die Rolle der Hauptversammlung stärken,
weil wir der Überzeugung sind, dass die Eigentümer am
besten mit dem Geld umgehen. Hier unterscheidet sich
unser Ansatz von Ihrem. Sie sagen im Ausgangspunkt –
da sind wir noch bei Ihnen –, dass die Aufsichtsräte in
Deutschland in vielen Fällen eine gute Arbeit leisten.
Die Frage ist: Warum sind Sie, wenn Sie das konstatie-
ren, überhaupt für Einschränkungen?

Wenn es Einschränkungen geben soll – das ist jeden-
falls unsere Überzeugung –, dann können diese nicht
vom Gesetzgeber kommen; es ist viel besser, wenn sie
vom Eigentümer kommen, weil er mit dem Geld einer
Gesellschaft vernünftiger umgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie behaupten, Eigentümer in der Hauptversammlung
könnten damit nicht vernünftig umgehen. Erklären Sie
doch einmal, warum ein Eigentümer eines Unterneh-
mens, warum die Aktionäre in einer Hauptversammlung
ein Interesse haben sollten, den Vorständen mehr Geld
zuzuschanzen, als sie eigentlich verdienen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Bekommen! Bekommen! Verdienen ist was anderes!)


Ein solches Interesse der Eigentümer gibt es nicht. Das
Interesse der Eigentümer ist, für die Gehälter eine ange-
messene Gegenleistung zu bekommen. Deshalb werden
wir die Rolle der Hauptversammlungen stärken. Wir
werden die Aufsichtsräte dabei nicht entmachten, weil
uns der Wert der Mitbestimmung zu hoch ist.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Oh!)


Wir werden allerdings ermöglichen, dass die Hauptver-
sammlung den Aufsichtsräten einen äußeren Rahmen für
die Vergütung absteckt.

Im Augenblick ist die Situation folgende: Es ist akti-
enrechtlich unzulässig, dass die Hauptversammlung dem
Aufsichtsrat aus eigenem Antrieb eine Obergrenze für
die Managervergütung vorgibt. Daran wollen Sie mit Ih-
rem Vorschlag offensichtlich nicht rütteln. Wir wollen
daran rütteln und sagen: Die Eigentümer sollen den äu-
ßeren Rahmen vorgeben, innerhalb dieses Rahmens sol-
len die Aufsichtsräte entscheiden; sie machen das gut.
Das wird nach unserer Überzeugung funktionieren.

Wir sind mit diesem Ansatz im Übrigen – anders als
Sie – genau auf der Linie des EU-Aktionsplans „Euro-
päisches Gesellschaftsrecht“, der besagt: Wir brauchen
Veränderungen; wir brauchen eine Stärkung der Rolle
der Aktionäre als Eigentümer der Unternehmen. – Im
EU-Aktionsplan heißt es zu Recht, dass die aktuelle
Rolle der Aktionäre eine der großen Schwächen im Be-
reich der Corporate Governance ist. Das beheben wir,
und zwar durch strukturgerechte Maßnahmen und nicht
durch staatliche Bevormundung und Dirigismus.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023200

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!

Kein Topmanager ist das 300- oder 400-Fache eines
einfachen Angestellten wert …

Das sagte der Präsident des Verbandes Die Familienun-
ternehmer im letzten Jahr. Ich sage: Jawohl, er hat recht.

Auch wenn der Vorstand eines DAX-Unternehmens
im Durchschnitt – so war es im vergangenen Jahr – etwa





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


das 54-Fache seiner Angestellten erhält, ist das viel zu
viel. Das ist eben nicht durch Leistung zu erklären. Die
Durchschnittsvergütung der Vorstände der DAX-Unter-
nehmen lag 2012 bei 5,33 Millionen Euro; das sind
3 Prozent mehr als im Vorjahr. Diese völlig überdrehten
Managergehälter untergraben unser Sozialsystem und
das Leistungsprinzip; das liegt auf der Hand. Es ist über-
fällig, dass wir hier im Haus jetzt endlich ernsthaft und
mit Gestaltungswillen darüber diskutieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Martin Winterkorn verdiente 2012 bei VW 14,5 Mil-
lionen Euro. Dieter Zetsche von Daimler verdiente
8,2 Millionen Euro. 2011 verdiente Peter Löscher bei
Siemens 9,8 Millionen Euro – eine Steigerung im Ver-
gleich zu 2007, innerhalb von vier Jahren, um immerhin
67 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der
Angestellten von Siemens in diesen vier Jahren eine sol-
che Lohnsteigerung zu verzeichnen hatte.

Ich frage mich wirklich, wie Sie einer Kranken-
schwester, die, wenn es hochkommt, jährlich
40 000 Euro brutto verdient, Managergehälter in dieser
Größenordnung erklären wollen; denn durch Leistung
sind sie nicht zu erklären. Sie sind auch nicht durch
Bildung, Qualität der Arbeit oder Verantwortung zu er-
klären.

Ich glaube schon, dass die Menschen aufhorchen,
wenn sie mitbekommen, dass jede Krankenschwester,
jeder Hartz-IV-Empfänger und sogar jedes Kind diese
Managervergütungen letztendlich mitfinanzieren; denn
sie alle zahlen Steuern: Lohnsteuer, Mehrwertsteuer; die
Windeln für ein Baby kosten Geld, auch darauf wird
Mehrwertsteuer erhoben. Die Absetzbarkeit der Mana-
gergehälter von den Betriebsausgaben schmälert unser
Gesamtsteueraufkommen. Deshalb ist die Höhe der Ma-
nagergehälter einfach nicht zu erklären. Sie ist grob un-
gerecht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich kurz einen Blick in die Geschichte
werfen. Das Problem steigender Managergehälter, das in
den letzten Jahr zusätzlich an Fahrt gewonnen hat, gibt
es seit den 70er-Jahren, als die Firma Xerox das Bench-
marking – vergleichende Analyse von Ergebnissen mit
festgelegtem Bezugswert – eingeführt hat. Die Bezüge
richten sich also nicht nach dem Betriebsergebnis, son-
dern die Bezüge werden im Vergleich zu anderen Unter-
nehmen festgelegt. Das heißt, die Vergütung kann sich
immer aufschaukeln: In einem Unternehmen steigen die
Gehälter, dann müssen sie auch im nächsten steigen. Wir
befinden uns in einer tollen Spirale nach oben. Welche
Geschwindigkeit das erhalten hat, haben wir in den letz-
ten zehn Jahren gesehen.

Ihr Kabinettsentwurf zur Begrenzung der Manager-
gehälter ist die pure Augenwischerei. Es wird sich
überhaupt nichts ändern, wenn Sie nur den § 120 des
Aktiengesetzes neu fassen und festlegen, dass die Haupt-
versammlung entscheidet. Ja, Gott, wer sitzt denn in der
Hauptversammlung? Da sind Großaktionäre, Banken
und Fonds mit Stimmrechten,


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Eigentümer! – Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Eigentümer!)


die kleinen Aktionäre sind nur das Nebenprogramm.

Ich zitiere aus einem Artikel von Heribert Prantl aus
der Süddeutschen Zeitung. Es

steht schon in der Bibel: Man kann nicht den Teufel
mit dem Beelzebub austreiben.

Man wird an einer gesetzlichen Begrenzung der
Managergehälter nicht vorbeikommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daran werden wir nicht vorbeikommen, wenn wir etwas
ändern wollen, aber Sie wollen nichts ändern.

Die Abzugsfähigkeit muss begrenzt werden. Wir ha-
ben das bereits im vergangenen Jahr in einem Antrag ge-
fordert. Sie kommen dann immer mit Vertragsfreiheit
und verweisen auf die Eigentümer. Vertragsfreiheit ist
keine Freiheit zur Tollerei, und wir haben im Steuerrecht
durchaus Deckelungen. Es geht hier nicht um eine völ-
lige Streichung, es geht um eine Deckelung. Die Ab-
zugsfähigkeit von Dienstwagen, Geschenken und Bewir-
tung, im Körperschaftsteuerrecht die Abzugsfähigkeit
von Zinsaufwendungen – wir haben überall Deckelun-
gen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den USA. Dort ist
die Abzugsfähigkeit der Managergehälter bei den Be-
triebsausgaben auf 1 Million US-Dollar gedeckelt. Sie
können von Ihrem großen Bruder etwas lernen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen unmittelbar eine Deckelung. Wir müs-
sen eine grundlegende Diskussion führen. Wie Herr Poß
schon sagte: Wir müssen eine Verhältnismäßigkeit her-
stellen zwischen dem, was die Spitzenleute verdienen,
und dem, was ihre Angestellten verdienen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023400

Frau Kollegin Höll.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023500

Auf diesem Weg werden wir garantiert weitermachen.

Das ist ein kleiner Beitrag für mehr Glück in der Gesell-
schaft; denn der Glücksgrad steigt laut soziologischer
Untersuchung, wenn die Einkommensunterschiede nicht
so exorbitant groß sind wie jetzt in der Bundesrepublik.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Joachim Poß [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023600

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Marco

Buschmann das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1724023700

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich greife den Punkt der Leistungsgerechtigkeit,
den Kollegin Höll eben angeführt hat, direkt auf. Leis-
tungsgerechtigkeit bedeutet, dass die Menschen akzep-
tieren, dass unterschiedlich verdient wird, wenn dahinter
eine Leistung steht.

Menschen akzeptieren beispielsweise – ich greife Ihre
Aufzählung auf, Sie haben sehr viele Bezüge und Ein-
kommen dargestellt –, dass Musiker wie Dr. Dre
100 Millionen US-Dollar im letzten Jahr verdient haben.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Diether Dehm!)


Das ist übrigens 1 700-mal so viel, wie ein durchschnitt-
licher Orchestermusiker in Deutschland verdient. Ich
habe noch keinen Aufschrei gehört. Roger Waters von
Pink Floyd hat fast 90 Millionen US-Dollar verdient,
und Elton John hat 80 Millionen US-Dollar verdient, ein
Viel-Viel-Vielfaches dessen, was ein gut ausgebildeter
Orchestermusiker verdient. Auch hier: kein Aufschrei.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie wissen schon, dass es etwas absurd ist, was Sie hier bringen!)


David Beckham hat im letzten Jahr 36 Millionen Euro
verdient, Lionel Messi 35 Millionen und Cristiano Ro-
naldo 30 Millionen. Da gab es ebenfalls keinen Auf-
schrei. Herr Poß, in unserem Heimatverein, Schalke 04,
verdient Klaas-Jan Huntelaar 5 Millionen Euro im Jahr.
Das ist ungefähr 180-mal so viel, wie ein einfacher
Platzwart durchschnittlich in Deutschland verdient.


(Joachim Poß [SPD]: Und? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?)


Ich weiß aber von keinem Entschließungsantrag der SPD
zur Deckelung der Einkommen von Fußballmillionären.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Deshalb verzichten Sie auf solche Regelungen ganz! Das ist doch nur eine Ausrede!)


Die Menschen akzeptieren auch, dass Vorstandsmit-
glieder und Vorstandsvorsitzende von DAX-30-Unter-
nehmen viel Geld verdienen, wenn dahinter eine Leis-
tung steht, insbesondere wenn sie Verantwortung für
Zehntausende von Jobs und einen Umsatz in Milliarden-
höhe tragen. Deshalb ist der Ansatz von SPD und Grü-
nen grundfalsch, mit einer Art gesetzlichem Maxilohn
zu agieren,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist eine klare gesetzliche Regelung!)


quasi eine Sanktion zu verhängen, wenn man eine Ge-
haltsgrenze überschreitet, ohne die Branche oder die
Größe des Unternehmens zu berücksichtigen. Sie wollen
hier im Deutschen Bundestag nicht nur Mindest-,
sondern auch Maxilöhne einführen. Der Deutsche Bun-
destag ist dafür aber der falsche Ort. Das ist Sache der
Tarif- und Vertragsparteien. So läuft das in der sozialen
Marktwirtschaft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit in der Tat
verletzen kann, sind intransparente Vergütungsmodelle
oder hohe Abfindungen trotz objektiver Fehlleistung. Im
Fall Zumwinkel zum Beispiel wurde trotz schlechter
Leistung eine hohe Abfindung gezahlt.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat Steuern hinterzogen! Das ist etwas ganz anderes!)


Deshalb bin ich der Meinung, dass es der richtige Weg
ist, die Verantwortung für die Vorstandsvergütung in die
Hände der Eigentümer zu legen. Wer hat denn das größte
Interesse an einem nachhaltigen Erfolg des Unterneh-
mens?


(Stefan Rebmann [SPD]: Die Arbeitnehmer! Weil sie sonst arbeitslos werden!)


Die Eigentümer. Sie haben das größte Interesse an einem
nachhaltigen Erfolg des Unternehmens, weil dadurch der
Wert ihres Eigentums steigt. Deshalb ist es sinnvoll, die
Verantwortung in die Hände der Eigentümer zu legen
und hier keine politisch festgelegten Maxilöhne zu be-
schließen.

Sie führen Ihre Neidangriffe ausschließlich gegen
Vertreter der Wirtschaft, sagen aber nichts über Künstler
und nichts über Fußballer, bei denen die Gehaltsunter-
schiede – ich habe das aufgezeigt – noch viel, viel exor-
bitanter sind als in den Fällen, die Sie uns hier vorgetra-
gen haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724023800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Dr. Thomas Gambke das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eigentlich war es die Finanz-
krise, die die negative Wirkung der Erfolgsboni zum
Vorschein gebracht und dieses ganze Thema nach oben
gespült hat. Bankmanager haben für Geschäfts-
abschlüsse, die weder der Bank noch den Kunden und
schon gar nicht der Gesellschaft irgendeinen Nutzen ge-
bracht haben, Boni erhalten. Der Mehrwert dieser Ge-
schäftsabschlüsse kam nur ihnen persönlich zugute.


(Marco Buschmann [FDP]: Manager, die nicht im Vorstand waren! Da ändern Ihre Vorschläge gar nichts dran! Das regeln Sie gar nicht! Sie regeln nur Vorstandsmitglieder!)


Diese Boni stehen in keinem Verhältnis zur Leistung des
Einzelnen. Die Geschäftsabschlüsse wurden allein mit
dem Ziel getätigt, das eigene Portemonnaie zu füllen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)






Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


Darüber sind sich alle Fachleute und die Öffentlichkeit
einig: Diese Bonivereinbarungen waren Brandbeschleu-
niger.


(Marco Buschmann [FDP]: Die regeln Sie aber nicht!)


Es ist an der Zeit, dass wir diesem Treiben endlich ein
Ende setzen.


(Marco Buschmann [FDP]: Was Sie mit Ihren Vorschlägen nicht machen!)


– Ich komme dazu, Herr Buschmann.

Das Thema betrifft aber nicht nur den Bankensektor.
In den Debatten ging es auch um die bereits genannten
Manager, um Herrn Winterkorn, der mit 17 Millio-
nen Euro im Jahr ungefähr das 500-Fache eines durch-
schnittlichen Facharbeiterlohnes bekommt,


(Marco Buschmann [FDP]: Philipp Lahm, 16 Millionen Euro im Jahr!)


und Herrn Vasella, den Vorstandsvorsitzenden und Ver-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1724023900

Diese Summen stehen nicht mehr im Verhältnis zur per-
sönlichen Leistung, Herr Buschmann. Damit war der
Handlungsbedarf klar: Das Verhältnis zwischen Vergü-
tung und persönlicher Leistung muss wiederhergestellt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber die Frage ist doch, von wem!)


Wenn wir dieses Thema anpacken, müssen wir aller-
dings zwei Randbedingungen beachten: Erstens darf die
Regulierung eben nicht nur den Vorstand einer Aktien-
gesellschaft betreffen, und zweitens können wir in die
Vertragsfreiheit nicht eingreifen. Das sind enge Grenzen,
in denen wir uns zu bewegen haben.

Es gibt Regierungsvorschläge dazu. Über diese Re-
gierungsvorschläge war ich extrem erstaunt. Ich kann
dazu nur sagen: Ungenügend! So sieht es auch die Fach-
welt. Warum? Der Vorschlag verkennt, dass die Aktio-
näre letztendlich die eigene Rendite im Auge haben,
Herr Buschmann, aber nicht die Belegschaft und schon
gar nicht die Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Erinnern Sie sich an den Mannesmann-Deal? Herr
Esser hatte damals 50 Millionen D-Mark bekommen.
Glauben Sie im Ernst, die Aktionäre hätten dies ge-
stoppt? Nein. Die Verantwortung muss beim Aufsichts-
rat bleiben.


(Marco Buschmann [FDP]: Das ist alles im alten System passiert!)


Es war auch gut so, dass damals der Aufsichtsrat zur Re-
chenschaft gezogen worden ist.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Wir können keine allgemeine gesetzliche Regelung
machen, mit der wir in die Vertragsfreiheit eingreifen.

Insofern liegt die Kommission, die von der Regierung
eingesetzt wurde, mit einer Forderung richtig, nämlich
mit der Forderung nach mehr Transparenz, Transparenz
über das Verhältnis zwischen der Vergütung von Vor-
ständen und Managern – Manager werden dort mit ein-
geschlossen – und dem durchschnittlichen Facharbeiter-
lohn.


(Marco Buschmann [FDP]: Transparenter als Hauptversammlung geht gar nicht!)


Vielleicht eine persönliche Bemerkung. Ich habe
25 Jahre meines Berufslebens in einem Konzern ver-
bracht, in dem das Vorstandsgehalt maximal das Zehnfa-
che des durchschnittlichen Facharbeiterlohnes betragen
durfte. Daraus sind zwei Weltkonzerne entstanden: Carl
Zeiss und Schott. Das sage ich nur für Sie, Herr
Buschmann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Marco Buschmann [FDP]: Sind Sie deshalb jetzt im Deutschen Bundestag?)


Wir haben eine steuerliche Regelung vorgeschlagen,
die für jeden und nicht nur für den Vorstand gilt. Da
kommen wir ins Spiel. Wir verbieten ja gar nicht höhere
Gehälter; das ist absoluter Blödsinn.


(Marco Buschmann [FDP]: Sie sanktionieren es nur!)


Wir wollen aber, dass sie nicht mehr steuerlich absetzbar
sind. Das ist der entscheidende Punkt. Sie können
100 Millionen Euro als Gehalt zahlen, aber dieses Geld
ist nicht mehr steuerlich absetzbar.


(Patrick Döring [FDP]: Es gibt nicht gute und schlechte Betriebsausgaben! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Ihr habt schon jetzt Unterschiede bei den Betriebsausgaben! Gucken Sie mal ins Gesetz!)


Das heißt, wir als Steuerzahler beteiligen uns nicht mehr
an diesen exorbitanten Gehältern, die kein Verhältnis
mehr zur persönlichen Leistung haben. Das sollten Sie
endlich zur Kenntnis nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zu dieser Placebomaßnahme. Ich bin wirklich er-
schüttert, welcher Vorschlag von der Regierung gemacht
wurde. Das ist von den Experten zerrissen worden.


(Marco Buschmann [FDP]: Die Regierungskommission legt doch fast das Gleiche vor!)


Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, eine Art Überauf-
sichtsrat zu schaffen. Die Hauptversammlungen heute
geben eben nicht die Ansicht des Einzelaktionärs wieder.
Sie kennen das Problem, Stichwort „Depotstimmrecht“.
Was Sie da erzählt haben, Herr Buschmann, war von
vorne bis hinten keine Begründung für eine vernünftige
Regelung.

Ich denke, wir von den Grünen haben hier sehr ver-
nünftige Regelungen vorgelegt. Es gibt sehr interessante
Vorschläge von der SPD. Lassen Sie uns das konstruktiv





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


angehen! Denn es muss unser gesellschaftlicher Auftrag
sein, das Missverhältnis zwischen Vergütung und Leis-
tung wieder in Ordnung zu bringen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Marco Buschmann [FDP]: Demnächst kommt das Fußballeinkommensvergütungsgesetz!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724024000

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1724024100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor hier wohlfeile Forderungen zur Vergütung von
Managern aufgestellt werden, sollten wir zunächst das
tun, was gute Juristen gelegentlich tun, nämlich ins
Gesetz schauen. Der Blick ins Gesetz erleichtert bekann-
termaßen die Rechtsfindung. Im Aktiengesetz steht in
§ 87 Abs. 1:

Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Ge-
samtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds …
dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen
Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen


(Joachim Poß [SPD]: Das haben wir alles gemeinsam sogar verschärft! Verändert! Das können wir weiterhin machen, Herr Kollege!)


des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesell-
schaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne
besondere Gründe übersteigen.

Das, was Sie gerade lautstark eingefordert haben, steht
also längst im Gesetz.


(Joachim Poß [SPD]: Das haben wir ja unter Schwierigkeiten gegen Sie durchsetzen kön nen!)


Der Aufsichtsrat hat dafür zu sorgen. Weiter heißt es:

Variable Vergütungsbestandteile sollen … eine
mehrjährige Bemessungsgrundlage haben …

Auch das steht also bereits im Aktiengesetz.


(Joachim Poß [SPD]: War auch unser Vorschlag! – Gegenruf des Abg. Marco Buschmann [FDP]: Seien Sie doch einmal stolz auf das, was Sie geleistet haben!)


– Entschuldigung, Herr Kollege, ich referiere nicht über
Vorschläge, sondern ich referiere über die bereits be-
schlossene Rechtslage.


(Joachim Poß [SPD]: Es soll noch besser werden! Sie haben keine Lernkurve hier im Parlament!)


In Abs. 2 des § 87 ist bereits heute in Form einer Soll-
regelung die Empfehlung für den Aufsichtsrat enthalten,

bei Unbilligkeit, beispielsweise durch eine Verschlechte-
rung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens,
die Vorstandsvergütung selbst nachträglich anzupassen.
Auch das ist Bestandteil der jetzigen Rechtslage. Diese
Regelung ist sachgerecht und klug. Wir haben dies im
Übrigen 2009 in der Großen Koalition gemeinsam be-
schlossen.


(Joachim Poß [SPD]: Das habe ich ja gerade gesagt!)


Das Ziel, das wir damit verfolgt haben, war, die Risiken
von kurzfristig ausgerichteten Managementvergütungs-
systemen zu beseitigen. Das ist auch erreicht worden.
Untersuchungen haben gezeigt, dass es im Anschluss an
diese neue Regelung zu mehr Transparenz gekommen ist
und dass nachhaltiges Wirtschaften in den Unterneh-
mensspitzen größere Beachtung als zuvor gefunden hat.

Sicherlich ist richtig, was Sie hier anführen, dass in
einigen Unternehmen sehr hohe Vorstandsvergütungen
gezahlt werden. Entscheidend ist aber nicht allein die
Höhe der Vergütung, sondern zunächst einmal, dass eine
Vergütung leistungsgerecht ist und dass sie dem jeweili-
gen Unternehmen angemessen ist. Dazu gehört freilich
auch, dass Unternehmen, die Verluste schreiben oder so-
gar staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, bei der Ver-
gütung ihrer Manager maßhalten müssen; auch das ist
eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Wir haben das,
als es im Deutschen Bundestag um die Finanzhilfen
ging, genau so beschlossen.

Schließlich bin ich der Auffassung, dass auch Miss-
management Konsequenzen haben muss. Das ist ein
Punkt, der aus meiner Sicht wichtiger ist als die Höhe
von Vorstandsvergütungen.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie das regeln? Da müssen Sie jetzt mal Butter bei die Fische tun!)


Für mich ist viel unbefriedigender, dass immer wieder
selbst dann hohe Abfindungen gezahlt werden, wenn
Manager ihre Projekte und damit viel Geld in den Sand
gesetzt haben.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was dann? Jetzt bin ich ja mal gespannt!)


Aber auch das ist nicht in erster Linie eine Aufgabe des
Gesetzgebers, sondern eine Aufgabe der Unternehmen,
die solche Vergütungsregelungen treffen.

Im Übrigen reicht es nicht aus, nur auf die Vergütun-
gen der Vorstände abzustellen. Viel wichtiger ist in mei-
nen Augen, dass ein gesundes Unternehmen, das hohe
Gewinne erwirtschaftet, die gesamte Belegschaft am
Unternehmenserfolg teilhaben lässt. Dafür gibt es gute
Beispiele; es gibt große deutsche Unternehmen, in denen
genau das praktiziert wird. Es muss also der Gesamtkon-
zern in den Blick genommen werden. Wer Vorstandsver-
gütungen an internationalen Vorbildern misst, der sollte
bei der Belegschaft den gleichen Maßstab anlegen.





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


Nur, meine Damen und Herren, es stellt sich die
Frage, welche Aufgabe die Politik und der Gesetzgeber
hier haben. Auch Politiker sollten maßhalten, wenn es
um Eingriffe in freie unternehmerische Entscheidungen
geht. Wir können gerne darüber diskutieren, ob wir die
Rechtslage, die wir erst 2009 neu geschaffen haben,
noch verbessern können. Aber dann müssen wir auch die
Mitverantwortung hervorheben, die Sie in Ihrem Antrag
zu Recht der Arbeitnehmerseite beimessen. Sie schrei-
ben – ich zitiere –:

Hierzulande ist der Aufsichtsrat jedoch in mitbe-
stimmten Unternehmen ab einer Größe von 500 Be-
schäftigten auch mit Arbeitnehmervertretern be-
setzt. Es ist in der Sache richtig und trägt zur
Akzeptanz der Entscheidung bei, wenn die Festset-
zung der Bezüge auch von der Arbeitnehmerseite
mit verhandelt und mit verantwortet wird.

Ja, dem kann ich durchaus zustimmen.

Wenn Sie aber nun zu dem Schluss kommen, dass die
Entscheidungen, die in Mitverantwortung und nach Mit-
verhandlung der Arbeitnehmerseite getroffen worden
sind, nicht akzeptiert werden können, dann müssen Sie
sich schon die Frage gefallen lassen, ob mit der Mitver-
antwortung, die den Arbeitnehmern vom Gesetzgeber
zugeschrieben worden ist, auf Arbeitnehmerseite ange-
messen umgegangen worden ist. Auch wenn Gewerk-
schaftsvertreter als Mitglieder von Aufsichtsräten offen-
bar einen Teil ihrer Vergütung an die Gewerkschaften
abführen, ihre Verantwortung können sie damit nicht ab-
legen. Deswegen rate ich Ihnen aufseiten der SPD: Neh-
men Sie bitte auch Ihre außerparlamentarische Verant-
wortung wahr, bevor Sie den ganzen Bundestag mit
unausgegorenen Vorschlägen behelligen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Rebmann [SPD]: Die Aufsichtsratsvergütungen der Gewerkschafter werden nicht an die Gewerkschaften abgeführt, sondern an die Hans-Böckler-Stiftung und damit dann an die Studierenden!)


Die Koalition ist der Auffassung, dass wir die Mitver-
antwortung der Eigentümer der Unternehmen stärken
müssen. Wir sollten die Vorstandsvergütung stärker auf
die Schultern der Anteilseigner legen. Das wird für
Transparenz sorgen und Öffentlichkeit herstellen. Des-
wegen wollen wir, dass die Hauptversammlung zwin-
gend über den Rahmen der Struktur der Vergütung von
Vorständen Beschluss fasst; innerhalb dieses Rahmens
kann der Aufsichtsrat dann Detailregelungen treffen. Es
sind die Eigentümer, egal ob institutionelle Anleger oder
Kleinanleger, die das größte Interesse daran haben, dass
Vorstände in einem angemessenen Verhältnis zum Un-
ternehmenserfolg vergütet werden.

Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, Neid-
debatten zu schüren. Vielmehr müssen wir dafür sorgen,
dass Leistungsbereitschaft gefördert wird; denn davon
hängt der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen ab.
Nicht zuletzt sind auch wir Politiker als diejenigen, die
Steuern einnehmen, auf den wirtschaftlichen Erfolg un-
serer Unternehmen angewiesen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724024200

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Stefan

Rebmann das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1724024300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, es ist richtig und wichtig, dass wir heute die Begren-
zung exorbitant hoher Managergehälter debattieren. In
der Schweiz ist dieses Thema ja nicht nur debattiert wor-
den; dort hat sogar eine Volksbefragung dazu stattgefun-
den.

Für die Gewerkschaften und für die Betriebsräte sind
die Managergehälter verbunden mit der Frage nach der
Übernahme von Verantwortung für den Betrieb, für die
Arbeitnehmerschaft, für die Anteilseigner, für die Aktio-
näre, für die langfristigen Unternehmensziele und für die
Allgemeinheit schon lange ein Thema; denn Betriebsräte
und Arbeitnehmer haben zu oft erfahren müssen, dass
über Verantwortung und über Leistung und Leistungsge-
rechtigkeit zwar gerne geredet wird, aber nicht selten die
Arbeitnehmer mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes die
Folgen einer schlechten Leistung des Managements zu
tragen haben.


(Beifall bei der SPD)


Während so manche Leistungsniete in Nadelstreifen
weiter ein Spitzengehalt kassierte, mussten viele Arbeit-
nehmer zur Bundesagentur für Arbeit gehen und sich ar-
beitslos melden.

Wir haben als SPD – der Kollege Poß hat schon da-
rauf hingewiesen – im Jahr 2009 in der Großen Koalition
mit viel Druck das Gesetz zur Angemessenheit der Vor-
standsvergütung auf den Weg gebracht. Das war ein gu-
ter und wichtiger Schritt. Wir wollten aber schon damals
weit mehr als nur eine Veröffentlichung der Vorstands-
gehälter. Wir, die SPD, die Gewerkschaften und der
Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinen über 6 Millio-
nen Mitgliedern, fordern schon seit langem eine Ver-
besserung der Transparenz, mehr Rechte für die Auf-
sichtsräte, dass die steuerliche Absetzbarkeit von
Vorstandsgehältern, Boni, Abfindungen und Antrittsprä-
mien begrenzt wird und dass die Gehälter von Managern
in einem bestimmten, nachvollziehbaren Verhältnis zum
Durchschnittseinkommen der Belegschaft stehen.


(Beifall bei der SPD)


Nicht in allen Führungsetagen herrschen Gier und
Selbstbedienungsmentalität vor; das muss man fairer-
weise sagen. Aber – und das stimmt leider auch – immer
mehr Menschen können trotz Arbeit von ihrem Gehalt
nicht leben, während es Managergehälter gibt, die mit
der tatsächlich erbrachten Leistung, der Verantwortung
und mit Verdienen im besten Wortsinne rein gar nichts
mehr zu tun haben. Die Managergehälter – darauf ist
heute schon hingewiesen worden – haben sich, insbeson-





Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)


dere im Bankensektor, seit längerem von der allgemei-
nen Gehaltsentwicklung komplett abgekoppelt. Vor
25 Jahren hat ein Vorstand eines DAX-Unternehmens im
Regelfall etwa das 14-Fache des Durchschnittsverdiens-
tes der Arbeitnehmer in seinem Betrieb verdient. Heute
ist es das 70-Fache, in Einzelfällen sogar das 200-, 300-
oder gar 400-Fache. Ich finde, da sind Maß und Mitte
vollkommen verloren gegangen.

Es hat sich leider gezeigt, dass Appelle nichts nützen,
sodass wir Druck machen und die gesetzlichen Regelun-
gen verschärfen müssen. Wir wollen, dass die Aufsichts-
räte eine Höchstgrenze für das Verhältnis von Vorstands-
vergütung und Belegschaftseinkommen beschließen.
Wir wollen, dass ein Maximalverhältnis zwischen
Grundgehalt und Boni festgeschrieben wird. Unsere Vor-
schläge liegen auf dem Tisch.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Unsere auch!)


Sie brauchen nur noch zuzustimmen.

Ich möchte Ihnen eine kleine Entscheidungshilfe
geben: Wenn man die Jahresrente eines Eckrentners in
50-Euro-Scheinen abzählt, kommt ein Geldbündel von
2,8 Zentimetern Höhe heraus.


(Patrick Döring [FDP]: Das kommt auf den Schein an!)


Wenn Sie dasselbe mit dem durchschnittlichen Jahres-
einkommen eines Arbeitnehmers machen, kommt ein
Geldbündel von 6,1 Zentimetern Höhe heraus. Mit der
Antrittsprämie, die Utz Claassen für 74 Tage Dienst be-
kommen hat – 9,2 Millionen Euro –, kommen Sie auf
18,4 Meter.


(Patrick Döring [FDP]: Das war ein mitbestimmter Aufsichtsrat!)


Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass wir eine Rege-
lung brauchen, dem kann ich auch nicht helfen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724024400

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Dr. Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1724024500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kom-

men zu Recht Unmut und Empörung auf, wenn immer
wieder spektakuläre Fälle von schwindelerregend hohen
Managervergütungen durch die Medien gehen, vor allem
bei Unternehmen, die Verluste schreiben und Stellen ab-
bauen, oder von Managern, die mit einem goldenen
Handschlag verabschiedet werden, selbst wenn sie man-
gels Erfolg ausscheiden. Deutscher Rekordhalter ist Ex-
Porsche-Chef Wiedeking, der gehen musste, nachdem
die Übernahme von VW geplatzt war und der Konzern
Milliardenschulden angehäuft hatte. Zum Abschied be-
kam er 5 Millionen Euro. Ein anderes Beispiel ist der

Ex-Chef des Berliner Skandalflughafens BER, der auf
ganzer Linie versagte und jetzt mit rund 1,8 Millionen
Euro abgefunden werden soll. Seltsam ist nur, dass ich
hier keine Empörung der SPD höre.

Es geht heute nicht um die Neid- und Umverteilungs-
debatte der linken Seite dieses Hauses, sondern um die
Frage, wie wir solche Exzesse verhindern und Leistung
und Vergütung wieder in Einklang bringen können, und
darum, was angemessen ist, welchen Wert eine Leistung
für das Unternehmen hat, nicht für die politischen Ent-
scheidungsträger.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der ökonomische Wert muss im Unternehmen diskutiert
werden, die ethische Dimension in der Wirtschaft insge-
samt, und das geschieht gerade. Diese Angemessenheit
kann weder ein Finanzministerium noch das Parlament
beurteilen. Das ist originäre Aufgabe der Eigentümer ei-
nes Unternehmens, der Aktionäre.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Unsere Unternehmen stehen im internationalen Wett-
bewerb, auch bei der Rekrutierung ihres Spitzenperso-
nals. Sie brauchen die fähigsten Köpfe für Deutschland,
um die Zukunft der Unternehmen und die damit verbun-
denen Arbeitsplätze zu sichern. Was ihnen das wert sein
darf, lässt sich nicht politisch an Kennzahlen festma-
chen, wie die SPD in ihrem Antrag fordert, und schon
gar nicht national. Eine gesetzliche Obergrenze ist ge-
nauso falsch wie der Versuch der SPD und der Grünen in
ihrem Antrag, über das Steuerrecht zu steuern. Eine Son-
derregelung für Manager im Steuerrecht wäre verfas-
sungswidrig und auch nicht wirklich ein Beitrag zur
Steuervereinfachung.

Was den Unternehmen ihre Vorstände und Aufsichts-
räte wert sind, ist bisher alleinige Entscheidung der Auf-
sichtsräte. Richtig, manche kriegen den Hals nicht voll.
Vergütung und Leistung scheinen in keinem ausgewoge-
nen Verhältnis zu stehen. Der Aufsichtsrat, der übrigens
paritätisch besetzt ist, spielt in diesen Fällen aber mit, in-
klusive Gewerkschaften, inklusive Arbeitnehmervertre-
tern. Diese Exzesse wollen wir beenden.


(Beifall des Abg. Oliver Luksic [FDP])


Der Staat ist hier gefordert, einen gesetzlichen Rahmen
zu schaffen, weil die bisherigen Kontrollgremien dem
offensichtlich nicht gewachsen sind bzw. in einigen Fäl-
len eigene Interessen dominieren. Richtig ist deshalb der
Ansatz der Koalitionsfraktionen, nicht die Vergütungen
politisch zu regeln, sondern die Befugnis, über die Ver-
gütungen zu entscheiden, denen zu übertragen, die auch
die Verantwortung tragen, nämlich den Eigentümern des
Unternehmens, den Aktionären, und damit der Haupt-
versammlung der Aktiengesellschaft. Folgerichtig wer-
den wir das Problem nicht im Steuerrecht, sondern im
Aktienrecht lösen, und dort gehört es auch hin. Wir wol-
len die Eigentümer stärken und gleichzeitig auch stärker
in die Pflicht nehmen. Sie sollen die vom Aufsichtsrat
vorgeschlagenen Vergütungssysteme künftig bewerten
und beschließen; denn sie stehen in der Verantwortung





Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)


für das Unternehmen. Es geht um ihr ureigenes Inte-
resse, um ihr Geld. Daneben wollen wir die Transparenz
der Hauptversammlung und weg von den Kungelrunden
in abgeschlossenen Räumen; denn so entsteht ein guter
Ordnungsrahmen, um derartige Exzesse künftig zu ver-
meiden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724024600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/13472 und 17/13239 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 17/13239 – das ist der Ta-
gesordnungspunkt 10 b – soll federführend beim Rechts-
ausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs-
gesetzes und anderer Gesetze

– Drucksache 17/12636 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13452 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/13454 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Sven-Christian Kindler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Dr. Peter Ramsauer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Ge-
setzentwurf zu einem Thema, das viele Millionen Men-

schen in unserem Land betrifft. Allein 9 Millionen Men-
schen haben Eintragungen im Verkehrszentralregister in
Flensburg bzw. in der „Verkehrssünderdatei“, wie der
Volksmund sie nennt.

Diese Verkehrssünderdatei ist durch immer weitere
Verkomplizierungen aus den Versuchen heraus, sie ver-
meintlich besser zu machen, Opfer einer Verschlimm-
besserung geworden. Das geht so weit, dass es heute in
Deutschland im Grunde genommen kaum noch jeman-
den gibt, der dieses Punkteregelwerk bis in alle Veräste-
lungen vollkommen und zuverlässig beherrscht. Hinzu
kommt: Wenn Sie Ihren Punktestand abfragen, erhalten
Sie zwar eine Auskunft. Sie können aber nicht sicher
sein, ob das, was Ihnen mitgeteilt wird, auch stimmt. Es
können mehr Punkte sein, es können aber auch weniger
sein. – Dies zusammengenommen war für uns Anlass, zu
sagen: Wir wollen das Ganze durchforsten und auf den
Prüfstand stellen. Wir wollen das System einfacher,
durchschaubarer und vor allem auch gerechter machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vor allen Dingen aber – das ist die Hauptüberschrift –
muss ein solches verbessertes Regelwerk auch der Ver-
besserung der Verkehrssicherheit dienen; denn die Ver-
kehrssicherheit muss immer Maßstab aller Dinge sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut es aber nicht!)


Wir haben es uns wirklich in jeder Hinsicht sehr
schwer gemacht, um die bestmögliche Lösung zu finden.
Wir haben gerungen, auch in vielen guten Gesprächen
mit der Opposition. Deshalb möchte ich mich nicht nur
bei den Koalitionsfraktionen, sondern auch bei den
Oppositionsfraktionen für die sachliche Art des Austau-
sches und des Ringens um gute Lösungen aufs Aller-
herzlichste bedanken. Ich möchte mich auch bei den
Bundesländern, sprich: beim Bundesrat, bedanken, des-
sen Empfehlungen wir nach dem ersten Durchgang wei-
testgehend übernommen haben.

In einem Punkt gibt es eine gewisse Abweichung,
nämlich bei der Frage: Soll auch in Zukunft ein Punkte-
abbau durch Seminare möglich sein? Ursprünglich war
vorgesehen, diese Möglichkeit nicht mehr vorzusehen;
denn die Praktiker, die Fahrlehrer, haben gesagt, die
Punkteabbauseminare würden oft nur abgesessen, von
ihnen gehe kein pädagogischer Effekt aus. Wenn Ver-
kehrssünder nach diesen Seminaren aber genauso fahren
wie bisher, hat ein solches Abbauseminar natürlich kei-
nen Sinn. Also müssen und wollen wir an der Verbesse-
rung dieser Seminare arbeiten.

Die großen Verbände, der ADAC, den man mit über
18 Millionen Mitgliedern weiß Gott zu den repräsentati-
ven Vertretern der Autofahrerinteressen zählen kann,
ebenso wie die anderen Verbände, AvD usw., haben ge-
fordert, dass doch eine Möglichkeit geschaffen werden
sollte, Punkte in einem gewissen Ausmaß abzubauen. Im
Übrigen hat mich auch das Anliegen der Berufskraftfah-
rer überzeugt, die nicht nur 10 000 Kilometer, sondern
100 000 Kilometer und mehr im Jahr fahren. Wir sollten
dieses arbeitnehmerfreundliche Anliegen aufgreifen.





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb halte ich es auch für vertretbar, wenn man bis zu
einem gewissen Punktestand innerhalb von fünf Jahren
einmal zwei Punkte abbauen kann. Nach reiflicher Über-
legung halte ich das für geboten, für richtig und für ar-
beitnehmerfreundlich.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist aber eine 180-Grad-Wendung!)


Gehen wir eine solche Frage doch mit gesundem
Menschenverstand an! Versetzen wir uns in die Lage der
Betroffenen! Es gibt ganz kuriose Fälle, etwa den: Ein
Berufskraftfahrer übernimmt seine Zugmaschine mit
Auflieger und bereitgestellten Containern. Er ist zwar
für die Sicherung der Ladung verantwortlich; aber die
Beladung hat er nicht vorgenommen. Er fährt los, die
Ladung verrutscht, er wird kontrolliert und bekommt ei-
nen Punkt, obwohl er den Auflieger nicht beladen hat. –
Ich bitte deshalb die Länder und auch die Kolleginnen
und Kollegen der Oppositionsfraktionen, dieses Arbeit-
nehmeranliegen, das ohnehin nur in geringem Umfang
zur Geltung kommt, aufzugreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es soll mehr Sicherheit geben, aber auch mehr Klar-
heit. In Zukunft wird der Entzug des Führerscheins nicht
mehr bei 18 Punkten erfolgen, sondern bei maximal acht
Punkten. Es werden nicht mehr bis zu sieben Punkte für
ein einzelnes Delikt vergeben, sondern nur noch bis zu
drei Punkte. Für schwere Vergehen gibt es einen Punkt,
für besonders schwere Vergehen 2 Punkte. Wenn mit
dem besonders schweren Vergehen noch eine Straftat
verbunden ist, beispielsweise später als eine Sekunde
nach dem Umspringen der Ampel bei Rot gefahren und
dann auch noch ein kleiner Unfall verursacht wurde, ver-
bunden mit Fahrerflucht, dann gibt es drei Punkte.

Was die Gerechtigkeit anbelangt: Wir wollen nicht
denjenigen, der einmal eine lässliche Sünde begeht, an
die Kandare nehmen.


(Sören Bartol [SPD]: Eine lässliche Sünde!)


Der Grundsatz der Überlegungen war immer: Der noto-
rische, der unbelehrbare Verkehrsrowdy muss an die
Kandare genommen werden. Derjenige, der eine lässli-
che Sünde begeht, zum Beispiel einmal ohne Umwelt-
plakette in eine Umweltzone fährt, soll in Zukunft kei-
nen Punkt mehr bekommen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


obwohl er natürlich sein Verwarngeld – in diesem Fall
sogar in erheblicher Höhe – zu zahlen hat.

Wir haben auch die Belange des Verkehrsgerichtsta-
ges in Goslar aufgenommen. Der Präsident hat mir ge-
sagt, wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, damit es zu
dieser Reform kommt. Es wäre schlecht, wenn sie schei-
tern würde, wenn es beim alten System bliebe. Deshalb
meine Bitte an alle Beteiligten: Ziehen wir jetzt gemein-
sam an einem Strang, damit wir im Interesse von Millio-
nen von Autofahrern in Deutschland für mehr Fairness
und Ausgewogenheit bei diesen Regelungen sorgen!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724024700

Die Kollegin Kirsten Lühmann hat für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1724024800

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-

nen! 30 Milliarden Euro pro Jahr, 2 Prozent unseres
Bruttoinlandsproduktes, das sind die jährlichen Kosten,
die infolge von Straßenverkehrsunfällen entstehen und
die von uns allen, von der Allgemeinheit, getragen wer-
den müssen. Eine zweite Zahl: Ein Drittel der 3 606 Ver-
kehrsunfälle mit Todesfolge im letzten Jahr wurden
durch aggressive Fahrer verursacht. Das ist erschre-
ckend. Diese Zahlen müssen wir reduzieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie können wir vorbeugen? Zum einen, indem wir die
Fahrenden feststellen, möglichst bevor sie diese Schäden
verursachen, und indem wir ihnen im Extremfall die
Fahrerlaubnis wegnehmen, damit sie keinen Schaden
mehr anrichten können.

Ein Instrument, um diese Raser und Drängler aus der
Masse der verantwortungsbewussten Fahrzeugführenden
herauszufinden, ist seit mehr als 50 Jahren die beste-
hende Flensburger Verkehrssünderdatei. Zurzeit sind
dort gut 9 Millionen Personen registriert. Liebe Kolle-
gen, liebe Kolleginnen, ich werde Sie nicht fragen, ob
Sie dabei sind. Aber es gibt Untersuchungen, die besa-
gen: Wenn Sie dabei wären, wüssten Sie nicht, wie viele
Punkte Sie aktuell haben. Die Regeln sind nämlich zu
unübersichtlich, zu intransparent mit den Verjährungs-
hemmnissen und Überliegefristen. Das ist der wesentli-
che Grund für die Reform des Verkehrszentralregisters.
Daher hat der ehemalige Verkehrsminister Tiefensee
eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge für
eine Reform erarbeitet hat. Ziel ist – so hat Minister
Ramsauer das einmal formuliert –: Das System soll
einfacher werden, gerechter und transparenter. Aber zwi-
schen dem Ergebnis der Tiefensee-Experten und der me-
dienwirksamen Erläuterung der Punkteampel von Minis-
ter Ramsauer, zwischen dem ersten Gesetzentwurf und
dem, was wir heute debattieren,


(Sören Bartol [SPD]: Liegen Welten!)


liegen Welten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sofern diese Reform je einfacher, gerechter und transpa-
renter war, ist sie es jetzt jedenfalls nicht mehr. Der Auto
Club Europa fragte jüngst in der Presse: Macht die
Reform überhaupt noch Sinn? Eine berechtigte Frage,
insbesondere weil das Kernstück der Reform, das Regel-
werk, wofür es wie viele Punkte geben soll, noch gar
nicht debattiert wurde.





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


Wir sollen also heute quasi die Katze im Sack kaufen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, und das, obwohl in der
ersten Lesung der Kollege Storjohann noch vollmundig
verkündet hat: Natürlich werden wir darüber reden;
diese Regierung wird uns auch die entsprechende
Verordnung zur Verfügung stellen, auch wenn sie dafür
formal nicht zuständig ist.


(Patrick Döring [FDP]: Lesen bildet! Denken hilft!)


Dabei stellt sich die Frage: Wen meinen Sie mit „uns“?
Die SPD-Fraktion ist nicht „uns“. Wir haben die Verord-
nung nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Ich nehme
an, die anderen Oppositionsfraktionen auch nicht.

Es gab auch nicht, wie bei solchen Projekten üblich,
ein Berichterstattergespräch, in dem Fachleute der Frak-
tionen einen solchen Katalog hätten besprechen können.
Herr Ramsauer, in einem solchen Gespräch hätte man
die von Ihnen angesprochenen Probleme der Berufs-
kraftfahrenden, die Probleme mit der Ladungssicherung,
locker lösen können, und zwar ohne dafür aufwendige
Ausnahmen in der Reform machen zu müssen.


(Beifall bei der SPD)


Wofür wird es also zukünftig Punkte geben, Herr
Ramsauer? Was ist relevant für die Verkehrssicherheit?
Was muss registriert werden? Was fällt heraus? Transpa-
renz sieht anders aus.

Was ist mit den Argumenten gegen den Punkterabatt?
In der ersten Lesung vor wenigen Wochen hat Minister
Ramsauer zu dem Argument, Vielfahrer sollten entlastet
werden, das er uns eben sehr breit dargelegt hat, noch
gesagt:

Bei allem, was wir hier entscheiden und tun, sollten
wir … immer die Frage der Verkehrssicherheit an
vorderste Stelle rücken … Dabei eine Abgrenzung
vorzunehmen,

– ab wie vielen Kilometern jemand Vielfahrer ist –

ist auch keine ganz einfache Angelegenheit.

Der Kollege Storjohann ergänzte:

Verkehrsunfälle entstehen hauptsächlich durch
rücksichtsloses und zu schnelles Fahren … Deshalb
ist mein Petitum, dass wir keinen Punkteabbau er-
möglichen sollten.

Richtig, meine Herren. Wären Sie doch bei Ihrer Mei-
nung geblieben!


(Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern! – Oliver Luksic [FDP]: Das sehen alle Verkehrssicherheitsverbände anders!)


Jahrelang hat diese Bundesregierung an der Reform
herumgedoktert, geforscht, experimentiert und die Bür-
ger gefragt. Das Ergebnis war immer: Punkteabbau ist
mit der Verkehrssicherheit nicht vereinbar. Punktabbau
dient übrigens auch nicht zur Vereinfachung und trans-
parenten Gestaltung dieses Systems. Deshalb lassen Sie

das doch einfach weg. Damit wäre der Sicherheit we-
sentlich mehr Genüge getan.


(Beifall bei der SPD)


Einen Punkteabbau soll es nach dem Besuch eines
Fahreignungsseminars geben. Das soll nach überein-
stimmender Meinung, ich denke von uns allen, das zur-
zeit geltende unwirksame Seminar ablösen.


(Oliver Luksic [FDP]: Das sehen aber die Verkehrssicherheitsverbände anders!)


Neues zu versuchen, ist sinnvoll. Aber wir haben – dabei
sollten wir ehrlich sein – überhaupt keine Ahnung, ob
das Neue, das wir versuchen, wirklich funktionieren
wird. Es gibt noch nicht einmal klare Regelungen zur
Qualitätssicherung und zur Überwachung der Fahreig-
nungsseminare. Diese Richtlinien bräuchten die Länder,
die nämlich dafür zuständig sind, dringend, um sach-
gerecht handeln zu können. Sie haben einfach nicht ge-
liefert, obwohl Sie mehrfach dazu aufgefordert wurden,
und das bei den zu erwartenden Kosten von 600 bis
800 Euro pro Veranstaltung. Wenn wir die Menschen in
Deutschland zu so teuren Maßnahmen verpflichten,
dann haben sie, denke ich, auch ein Recht darauf, dass
wir untersuchen, ob das das Geld wert ist, das sie ausge-
ben, ob es wirklich wirkungsvoll ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das bedeutet, wir brauchen im Gesetz eine verbindli-
che Pflicht zur Überprüfung. Herr Storjohann, das haben
Sie in der ersten Lesung auch ganz richtig gefordert.
Selbst der ADAC hat in unserer Expertenanhörung zuge-
ben müssen, dass nicht sichergestellt ist, dass diese Se-
minare einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten.


(Oliver Luksic [FDP]: Falsch! Das stimmt nicht! Das hat der ADAC nicht gesagt! Das ist eine falsche Behauptung!)


Sie waren bereit, eine Evaluation abzuwarten.

Zusätzlich stellt sich die Frage: Wer wird sich ein sol-
ches Seminar leisten können? Mit Sicherheit nicht die
Arbeiter im Niedriglohnsektor, die es in der Bundesrepu-
blik, wie wir im Armuts- und Reichtumsbericht erfahren
haben, in immer größerer Zahl gibt. Die Folge wird des-
halb sein: Die Reichen können sich freikaufen. Mit der
Gerechtigkeit Ihrer Reform ist es nicht weit her, Herr
Minister.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE] – Oliver Luksic [FDP]: Quatsch! Die Arbeitnehmer wollen das haben, weil die den Führerschein brauchen! Weit weg vom Thema!)


Dennoch hat sich die Union in der Frage des Punktera-
batts den liberalen Kräften gebeugt. Die FDP betreibt
ihre übliche Klientelpolitik, und die Union hat es noch
nicht einmal geschafft, die verbindliche Überprüfung der
Wirksamkeit der neuen Regeln durchzusetzen. Das gibt
uns wieder einmal einen tiefen Einblick in den Zustand
der Koalition und ist ein weiterer Hinweis, wie wichtig
ein rot-grüner Regierungswechsel im Herbst ist.





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fazit: Der Gesetzentwurf ist unzureichend und wird
deshalb im Bundesrat voraussichtlich angehalten wer-
den.


(Oliver Luksic [FDP]: Da haben Sie nur eine Mehrheit mit der Linkspartei, die Sie weidlich nutzen!)


Es ist vernünftig, wenn der rot-grün dominierte Bundes-
rat dem CSU-geführten Ministerium die Fehler korri-
giert, die die FDP in den ursprünglichen Entwurf hinein-
verhandelt hat. Vielleicht kommt dann noch etwas
Vernünftiges im Sinne der Verkehrssicherheit heraus.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724024900

Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1724025000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Neuregelung des Punktesystems ist ein wichtiges
Anliegen, das eigentlich alle Fraktionen teilen. Das jet-
zige System ist unübersichtlich und intransparent. Des-
wegen wurde die Reform angegangen. Wir sind uns alle
einig, dass es sich hier eigentlich um eine Verbesserung
im Vergleich zum bestehenden System handelt. Kollegin
Lühmann hat nun das Thema Punkteabbau angespro-
chen. Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, dass sich
die Experten in der Anhörung unisono für die Aufnahme
der Möglichkeit des Punkteabbaus ausgesprochen ha-
ben; denn frühe und freiwillige Maßnahmen haben unter
verkehrspsychologischen Aspekten einen positiveren
Einfluss als ein Zwangsseminar.

Schauen Sie sich die Zahlen und Fakten genau an.
Ausweislich der Studie von Kolbert-Ramm, Seite 68
– so steht es auch in der Begründung zum Gesetzentwurf –,
wird durch die freiwillige Seminarteilnahme die Zahl der
Verkehrsdelikte um 64 Prozent reduziert. Es ist ganz klar
wissenschaftlich-empirisch nachgewiesen, dass diese
Seminare wirken. Deswegen sind der ADAC, der DVR,
die Fahrlehrer, die Psychologen, der Deutsche Anwalt-
verein und der Deutsche Verkehrsgerichtstag, also die
gesamte Szene, für solche Seminare. Nehmen Sie dies
bitte zur Kenntnis. Die Grünen tun es doch auch, liebe
Kollegen von der SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ein großes Problemfeld hat sich – der Minister hat es
zu Recht angesprochen – bei den Berufskraftfahrern und
den Vielfahrern ergeben. Bei Bus- und Taxifahrern ist es
erforderlich, dass ein gewisser Punktestand nicht über-
schritten wird, weil sonst die berufliche Existenz auf
dem Spiel steht. Ich habe gerade in diesen Tagen mit ei-
nem Taxifahrer darüber diskutiert. Er hat mir berichtet,

dass er selber aus Hartz IV herausgekommen ist, dass
Taxifahren seine letzte Chance ist und dass er, wenn er
nicht die Möglichkeit hätte, Punkte abzubauen, seiner
Existenzgrundlage beraubt würde. Der Gesetzentwurf
stellt daher einen ausgewogenen Kompromiss dar. Der
Kollege Kühn hat durchaus anklingen lassen, dass er
sich dem Ganzen anschließen kann.


(Beifall bei der FDP)


Hinzu kommt, dass fast alle Änderungswünsche des
Bundesrates durch die Bundesregierung berücksichtigt
wurden. Diesen Punkt hat Kollegin Lühmann weggelas-
sen. Wir haben anerkannt, dass es durchaus Anpassungs-
bedarf beim Bußgeldkatalog gibt. Wir haben uns einer
Verlängerung der Tilgungsfrist von zwei auf zweieinhalb
Jahre bei den Einpunktverstößen nicht verschlossen. Das
ist eine massive Verschärfung des Systems. Insofern
steht die Verkehrssicherheit klar im Zentrum.

Es ist richtig, dass wir uns im neuen System auf die
verkehrssicherheitsrelevanten Verstöße konzentrieren
und ein neues Fahreignungsseminar einführen, das mit
Sicherheit ein Stück weit zur Prävention beiträgt. Einer
der wesentlichen Kernpunkte zur Vereinfachung des der-
zeitigen Systems ist die Bewertung der Verstöße mit ein,
zwei oder drei Punkten anstelle der bisherigen sieben un-
terschiedlichen Kategorien. Kollegin Lühmann, wenn da
noch Gesprächsbedarf besteht, dann werden alle Fraktio-
nen und auch das Ministerium sehr gern noch einmal
über diesen Punkt diskutieren. Aber Sie müssen aner-
kennen, dass sowohl die festen Tilgungsfristen als auch
der Wegfall der Tilgungshemmung, der sogenannten
Überliegefristen, dafür sorgen, dass dieses System sehr
viel einfacher und besser ist als das jetzige. Deswegen
handelt es sich um eine gute Reform und ein gutes Ge-
setz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Änderungswünsche des Bundesrates wurden ein-
gearbeitet. Deswegen ergibt es keinen Sinn, den Vermitt-
lungsausschuss anzurufen. In der Fachszene sind sich
alle einig, dass der jetzige Kompromiss, den wir gefun-
den haben, eine klare Verbesserung im Vergleich zum
Status quo darstellt. Ich habe schon darauf hingewiesen,
wie groß der Rückhalt in der Szene für die Änderungen
ist, die wir im Ausschuss noch vorgenommen haben.
Das gilt nicht nur für die Änderungen beim Punkteab-
bau, die im Hinblick auf die Verkehrssicherheit sinnvoll
sind – das ist empirisch belegt und wird von allen Ver-
bänden unterstützt –, sondern auch für die Änderungen
des Bundesrates. Deswegen bin ich der festen Überzeu-
gung, dass wir mit der Reform des Verkehrszentralregis-
ters Mobilität nicht nur ermöglichen, sondern auch si-
cherer machen.


(Sören Bartol [SPD]: Was kostet so ein Seminar eigentlich?)


Für uns ist entscheidend, Sicherheit in Einklang mit
Freiheit und Verantwortung zu bringen. Die Punkte-
reform ist ein guter Kompromiss. Es handelt sich um ein
gutes Gesetz und um einen guten Kompromiss mit der
Position des Bundesrates. Deswegen könnten dem ei-





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)


gentlich Sie alle zustimmen, wenn es Ihnen nicht nur um
den Wahlkampf geht, sondern um die Sache.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724025100

Das Wort hat Herbert Behrens für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724025200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich weiß jetzt gar nicht, ob wir über das gleiche Gesetz
hier reden, nachdem ich eben gehört habe, was Herr
Luksic dazu zu sagen hatte. Durchaus kundige Presse-
vertreter sind offenbar samt und sonders Geisterfahrer,
wenn sie schreiben: „Eine Schlappe für Ramsauer“, „die
Reform droht zur Lachnummer zu werden“, „ein Herz
für Verkehrssünder“. So titeln nämlich manche Zeitun-
gen zur Punktereform.


(Patrick Döring [FDP]: Sie lesen die falschen Zeitungen!)


Die Reform sollte mehr Verkehrssicherheit bringen.
Doch von diesem guten Vorsatz ist im Gesetzentwurf nur
noch wenig zu sehen. Es gab viele Anregungen und viel
Zeit für Verbesserungen. Wir reden seit über einem Jahr
über dieses Projekt. Letztes Jahr hat der Deutsche Ver-
kehrsgerichtstag die Reform komplett abgelehnt. Die
Begründung: Sie hilft nicht beim Kampf gegen aggressi-
ves Verhalten auf der Straße. Diese Einschätzung teile
ich noch heute.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Bundesländer kritisierten Anfang des Jahres, das
neue System sei nicht einfacher und transparenter. Auch
das trifft nach wie vor zu. Leider haben Sie es seit einem
Jahr unterlassen, die Anregungen aufzunehmen. Sie ha-
ben jetzt einige Nachbesserungen vorgenommen; das
gebe ich zu. Die sind im vorgelegten Gesetzentwurf vor-
handen, aber sie haben nicht dazu geführt, dass dieses
Gesetz ein gutes Gesetz geworden ist.

Wenn wir mehr Verkehrssicherheit erreichen wollen,
dann brauchen wir mehr als ein Schrauben am Punkte-
system. Wir brauchen Vorschriften, die von allen Ver-
kehrsteilnehmern verstanden und auch akzeptiert wer-
den. Auch Verkehrsteilnehmer müssen lernen dürfen. Sie
müssen wissen, wodurch man sich selbst und andere
Verkehrsteilnehmer gefährdet und welches Verhalten
man an den Tag legen muss, um die Grundregeln der
Straßenverkehrsordnung umzusetzen, die klar und ein-
deutig formuliert sind. Da gibt es kein Vertun. Der § 1
der Straßenverkehrs-Ordnung ist mehr als eindeutig.

Vergehen im Straßenverkehr müssen sanktioniert
werden können. Das ist uns allen klar. Wenn man immer
wieder gegen Regeln verstößt, dann muss man mit
scharfen Konsequenzen rechnen. Auch dazu stehen wir,
das fordern wir. Aber den Verkehrssündern muss man
auch die Chance geben – ich sagte es schon –, ihr Ver-

halten zu verändern, dazuzulernen. Darum haben wir da-
für plädiert, bei den Punkten stärker zu differenzieren.
Diese Möglichkeit lässt das neue Punktemodell nicht zu.
Künftig soll der Führerschein nach acht Punkten entzo-
gen werden. Dass das System dadurch einfacher und
transparenter wird, bezweifle ich. Klar ist nur, dass un-
terschiedlich schwere Verstöße künftig weniger differen-
ziert beurteilt werden können. Das führt dazu, dass mit
einer groben Keule auf Verkehrssünder eingeschlagen
wird.

Es ist in meiner kurzen Redezeit nicht möglich, die
einzelnen Versuche von Nachbesserungen am Gesetzent-
wurf zu bewerten. Ich will hier nur den Punkt der Fahr-
eignungsseminare nennen. Bisher war es möglich, frei-
willig Seminare zu besuchen, um Punkte löschen zu
können. Das wurde schon erwähnt. Insbesondere dieje-
nigen, die aus beruflichen Gründen Tausende Stunden
am Steuer sitzen, sind darauf angewiesen, so handeln zu
können. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie oft unter
Zeitdruck stehen.

Natürlich haben sie darum keinen Freifahrtsschein für
Rowdytum auf der Straße. Das ist klar. Sie haben sich
genauso an die Geschwindigkeitsregelungen und andere
Vorschriften zu halten, um andere nicht zu gefährden.
Sie sollen auch keinen Rabatt bekommen. Aber wir müs-
sen sehen, dass der Verlust des Führerscheins für einen
Berufskraftfahrer dazu führen kann, dass er seine Exis-
tenz verliert. Das Beispiel hatte der Minister selber er-
wähnt.


(Oliver Luksic [FDP]: Aha! Das ist der SPD egal!)


Aber nun wird es sehr teuer, wenn man an einem Se-
minar entweder freiwillig oder verpflichtend teilnimmt.
Die Kosten werden sich vermutlich verdreifachen oder
sogar vervierfachen. Zwischen 600 und 800 Euro sind
im Gespräch. Das kann sich nicht jeder leisten. Wer aber
ein vorgeschriebenes Seminar nicht ableistet, dem wird
der Führerschein entzogen. Wenn wir finanziell schwä-
cher Gestellte bei Verkehrsverstößen nicht systematisch
vom Straßenverkehr ausschließen wollen, müssen wir an
dieser Stelle zu einer anderen Lösung kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kosten sollten der Einkommenssituation der Be-
troffenen angepasst werden können. Dieses Verfahren
kennen wir beispielsweise aus Schweden, wo zumindest
bei den Bußgeldern nach Tagessätzen gerechnet wird.

Schlingerkurs und Verweigerung von Verhaltensände-
rung gefährden nicht nur den Straßenverkehr. Auch im
Gesetzgebungsverfahren müssten sie sanktioniert wer-
den. Dem Verkehrsminister wäre dann aber längst das
Führen eines Ministeriums untersagt worden.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724025300

Stephan Kühn hat das Wort für Bündnis 90/Die Grü-

nen.






(A) (C)



(D)(B)



Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724025400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

4 000 Verkehrstote und Zehntausende Verletzte haben
wir jedes Jahr auf Deutschlands Straßen zu beklagen. Es
besteht für die Politik also dringender Handlungsbedarf.
Doch dieser Verkehrsminister hat außer Appellen und
Plakatkampagnen nichts Substanzielles zur Verbesse-
rung der Verkehrssicherheit in Deutschland auf den Weg
gebracht. Die Reform des Fahreignungsregisters, die so-
genannte Punktereform, über die wir heute reden, ist ein
Nebenschauplatz. Vieles wäre wichtiger gewesen, wurde
aber nicht angepackt. Ein paar Beispiele:

Zur Reform der Fahrlehrerausbildung hat sogar der
Bundesrat Vorarbeit geleistet. Im Ministerium wurde das
entsprechende Papier auf die lange Bank geschoben,
wird also nicht bearbeitet.

Die Fahrschulausbildung zu reformieren, wäre drin-
gend und wichtig, weil gerade die Fahranfänger eine Ri-
sikogruppe sind. Da gibt es viele qualifizierte Vor-
schläge; doch nichts ist angepackt worden.

Für die Fahranfänger gilt beim Alkohol die 0,0-Pro-
mille-Grenze. Das heißt, es darf nicht getrunken werden.
Aber das gilt nicht generell: Wer aus der Anfängerzeit
heraus ist, darf unter Alkohol fahren. Wir finden, bei Al-
kohol wäre die 0,0-Promille-Grenze für alle Verkehrs-
teilnehmer richtig. Auch hier hat der Minister nichts an-
gepackt.


(Gero Storjohann [CDU/CSU]: Auch Fahrradfahrer? – Gegenruf der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl, auch Fahrradfahrer!)


Wir haben keine verbindlichen Sicherheitsaudits bei
Bundesfernstraßen.

Wir haben keine Anreize für eine stärkere Markt-
durchdringung bei Fahrassistenzsystemen sowohl von
Pkws als auch von Lkws.

Es gab keinen Ausbau der Mobilitätserziehung oder
der Unfallforschung.

Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Vor allen
Dingen zeigt sie: Es wird nichts angepackt.

Von der Reform des Verkehrszentralregisters in der
Ursprungsfassung ist nicht viel übrig geblieben. Zum
Glück haben die Experten einen Blick darauf geworfen
und das Ganze unter die Lupe genommen. Der Anfangs-
reformentwurf sah eine geringere Spreizung bei den
Punkten vor. Das hätte dazu geführt, dass Wiederho-
lungstäter eine Art Flatrate für das Rasen gehabt hätten.
Glücklicherweise ist das endlich vom Tisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Andere Probleme bleiben aber. Erst ab 31 km/h Ge-
schwindigkeitsüberschreitung innerorts bzw. 41 km/h
außerorts gibt es im neuen Katalog zwei Punkte. Fahren
mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist Unfallursache
Nummer eins. Wir finden, dass die Geschwindigkeits-
übertretungen angesichts des damit verbundenen Ge-
fährdungspotenzials viel zu nachsichtig bewertet wur-
den. Das muss aus unserer Sicht korrigiert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesprochen wurden heute von verschiedenen Red-
nerinnen und Rednern die Fahreignungsseminare, die
wirksamer als die alten Aufbauseminare sein sollen. Ob
das so kommt, ist offen. Im Gesetz, über das wir heute
entscheiden sollen, sind keine Regelungen zur Qualitäts-
sicherung und zur Evaluierung vorgesehen, von den
Kosten für die Teilnehmenden einmal ganz abgesehen.


(Sören Bartol [SPD]: So ist es!)


So verkorkst, wie die ganze Reform selber ist, ist
auch die Art, wie die Reform kommuniziert wird. Wir
erinnern uns: Auf Flyern, die das Ministerium hat dru-
cken lassen, sieht man einen sogenannten Punkte-Tacho
mit insgesamt 8 Punkten. 0 bis 3 Punkte auf diesem Ta-
cho sind grün dargestellt. 3 Punkte zu haben, heißt, dass
man dreimal mit 60 km/h durch eine Tempo-30-Zone
gefahren ist. Danach wäre man also, auf diesem Flyer
optisch gut dargestellt, noch im sogenannten grünen Be-
reich. Ich finde, Geschwindigkeitsübertretungen in die-
sem Bereich sind kein Kavaliersdelikt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, ändern Sie deshalb endlich auch die grafi-
sche Darstellung und die Kommunikation bezüglich die-
ser Punktereform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724025500

Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der

Kollege Gero Storjohann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Null Punkte vorab!)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1724025600

Null Promille vorab. – Sehr verehrte Frau Präsiden-

tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen
heute über das Fahreignungsregister. Das ist ein neuer
Begriff, den Peter Ramsauer, unser Verkehrsminister,
hier eingeführt hat. Ich habe schon in meiner Rede in der
ersten Beratung gesagt: 2009 sind der Kollege Vogel und
ich in Flensburg gewesen und haben uns das Zentralre-
gister angeguckt. Man hat uns sehr deutlich vor Augen
geführt, dass Handlungsbedarf besteht, dass wir Büro-
kratie abbauen müssen und dass das System sehr
schwerfällig ist. – Heute ist der Tag, wo wir das endgül-
tig auf den Weg bringen. Ich bin froh und stolz, dass wir
das nach vielen Debatten und trotz unterschiedlicher An-
sichten jetzt endlich auf den richtigen Weg führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin dem Mitarbeiter Dr. Albrecht dankbar, der
manches ertragen musste. Wir als Politiker haben immer
wieder etwas hineingeschrieben, was er dann doch wie-
der ändern musste.


(Sören Bartol [SPD]: Das spricht für die Qualität eurer Kollegen!)






Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)


Ich kann auch nachvollziehen, dass die Opposition mit
der Einbindung in den Arbeitsprozess nicht ganz zufrie-
den ist. Das haben wir auch zugestanden. Das machen
wir beim nächsten Mal viel besser; das verspreche ich.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr kriegt kein nächstes Mal!)


Was ich gut finde, ist das, was Sie sehr stark kritisie-
ren, nämlich der Punkte-Tacho. Kommunikativ hat der
Verkehrsminister da wirklich einen Volltreffer gelandet.


(Martin Burkert [SPD]: Kommunikativ ist das ein Treffer, das stimmt!)


Nicht nur die Autofahrer, auch wir als Politiker haben
sofort erkannt: Das ist ein wichtiges Thema. Es ist auch
visuell gut rübergebracht worden. Sie haben in all den
Debatten immer nur die Hochglanzbroschüre kritisiert,


(Sören Bartol [SPD]: Es steht auch alles falsch in der Broschüre! Es steht nichts drin, was jetzt noch im Gesetz ist!)


aber in der Sache kam nie besonders viel rüber.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Schönste ist ja: In der Schlussabstimmung im Aus-
schuss haben Sie sich der Stimme enthalten. Das heißt,
wir haben eine einstimmige Empfehlung, dieses Gesetz
heute so auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Applaus!)


Wir haben also das Ziel erreicht,


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Martin Burkert [SPD]: Das ist ein Scherzkeks! Da muss er selber lachen über den Quatsch, den er erzählt! – Gustav Herzog [SPD]: Fürs Protokoll: Der Kollege lacht!)


mit der Reform des Verkehrszentralregisters neue, klare
und transparente Regeln zu schaffen.


(Sören Bartol [SPD]: Ihr backt aber kleine Brötchen!)


Diese neuen Regelungen werden im Sommer 2014 in
Kraft treten. Bis dahin haben alle Betroffenen Zeit ge-
nug, sich mit den neuen Regelungen vertraut zu machen.


(Florian Pronold [SPD]: Der Minister konnte es auch nicht erklären!)


– Es ist immer schön, wenn der Kollege Pronold da ist.
Dann muss man sehr laut sprechen, damit man hier über-
haupt noch durchdringt.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist keine Frage von Lautstärke! Das ist eine Frage von Intelligenz!)


Bereits gespeicherte Punkte werden in das neue Sys-
tem überführt. Altpunkte werden Verkehrssünder bei der
Neuregelung nicht los. Bestehende Punkte für Ord-
nungswidrigkeiten und Straftaten im Straßenverkehr

werden aus der aktuell 18-stufigen Skala in eine 8-stu-
fige Skala überführt. Vielleicht ist es für einige interes-
sant, wie das genau läuft. Wer jetzt 1 bis 3 Punkte hat,
hat zukünftig 1 Punkt. Wer 4 bis 5 Punkte hat, hat künf-
tig 2 Punkte. So geht das weiter. Wer 14 bis 15 Punkte
hat – keiner hier im Raum –, hat künftig 6 Punkte. Wer
16 bis 17 Punkte hat, hat künftig 7 Punkte. Wer 18 und
mehr Punkte hat, hat künftig 8 Punkte; dann ist der Füh-
rerschein weg.

Es gibt keine Amnestie. Aber Punkte werden künftig
nur noch für Verstöße gegeben, die die Verkehrssicher-
heit gefährden.

Jetzt geht es um das Einfahren in die Umweltzone
ohne die erforderliche Plakette. Es schmerzt einige si-
cherlich sehr, dass das zukünftig nicht mehr mit einem
Punkt geahndet wird. Rückwirkend werden diese Punkte
beim Umrechnen der Einträge sogar gelöscht. Das finde
ich dann auch konsequent.

Das Ergebnis der Anhörung ist, dass der freiwillige
Punkteabbau nach der Reform fortgeführt wird. Es gab
– das wissen Sie – eine sehr intensive Debatte innerhalb
der Koalition, auch mit dem Ministerium. Gerade die
Anhörung der Fachverbände hat gezeigt, dass auch sie
sich zurückgenommen haben. Sie wollten eine Reform,
und das sollte nicht am Punkteabbau scheitern. Jetzt ist
das drin. Wir hoffen, dass dann auch der Bundesrat seine
Zustimmung geben kann.


(Sören Bartol [SPD]: War das auch schon in der ersten Rede drin?)


– Nein, das war nicht in der ersten Rede drin. Ich erin-
nere mich an unseren geschätzten verstorbenen Kollegen
Peter Struck, der sehr zu Recht gesagt hat: Kein Gesetz
geht so aus dem Bundestag raus, wie es eingebracht wor-
den ist; dazwischen sind nämlich die Abgeordneten. Es
ist unser Recht, eine Meinung zu ändern.


(Gustav Herzog [SPD]: In der Hoffnung, dass Gesetze besser werden, nicht schlechter, Herr Storjohann!)


– Wie bitte?


(Gustav Herzog [SPD]: Die Gesetze sollen besser werden im Deutschen Bundestag, nicht schlechter! – Gegenruf des Abg. Oliver Luksic [FDP]: Das ist doch besser geworden!)


– Jawohl! Ich entnehme Ihrer Enthaltung, dass es besser
geworden ist; denn vorher haben Sie nicht angekündigt,
dass Sie sich so verhalten wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Gustav Herzog [SPD]: War nicht zustimmungsfähig!)


Ich möchte gerne noch auf die Kosten des Seminars
zu sprechen kommen. Im Gesetzentwurf – das haben Sie
gesehen – gab es eine Kostenberechnung. Sie tragen im-
mer andere Zahlen vor. Im Gesetzentwurf steht, dass das
Seminar 650 Euro kostet. Das sind 400 Euro mehr als
bei den bisherigen Seminaren zum Absitzen. Das ist viel
Geld.





Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)



(Florian Pronold [SPD]: Das können sich ja viele leisten!)


– Wenn Sie jetzt den Vorwurf machen, Herr Pronold,
dass das zu viel Geld sei, dann empfehle ich Ihnen: Fah-
ren Sie nie nach Dänemark. Wenn Sie fahren, halten Sie
sich bitte an die Verkehrsregeln. Da sind Sie bei einem
Verkehrsverstoß ganz schnell mit 500 Euro dabei.


(Sören Bartol [SPD]: Wer kann sich das Seminar denn leisten?)


Das sind Kosten, die in anderen Ländern selbstverständ-
lich erhoben werden.


(Gustav Herzog [SPD]: Das sind eure Porschefahrer, die sich das leisten können, kein ande rer!)


Ich kenne viele Leute, die trotzdem in diese Länder fah-
ren.

Also: Wir bekommen ein qualitativ hochwertiges Se-
minar. Es wird auch zum Erfolg geführt werden. Die
Evaluierung wird nach fünf Jahren zeigen, ob es richtig
war oder nicht. Dann können wir uns gerne wieder da-
rüber unterhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich emp-
fehle Ihnen: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu und
bleiben Sie nicht bei einer kleinkarierten Enthaltung. Ich
glaube, es ist ein wichtiges Signal aus diesem Bundestag
dafür erforderlich.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724025700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer
Gesetze. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/13452, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12636 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen das bitte durch
Handzeichen bekunden. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak-
tionen. Die Linke war dagegen. SPD und Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. –
Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13452 empfiehlt der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung, eine Entschließung an-
zunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –

Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Enthaltung der Frak-
tion Die Linke. Alle anderen haben dafür gestimmt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung von Informationsfreiheit und Transpa-
renz unter Einschluss von Verbraucher- und
Umweltinformationen – Informationsfreiheits-
und Transparenzgesetz

– Drucksache 17/13467 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu sehe
oder höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so be-
schlossen.

Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Kirsten
Lühmann für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1724025800

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-

nen! Zum kleinen Einmaleins der Diktatur gehört die
Ausschaltung oder die weitgehende Behinderung der Öf-
fentlichkeit bei der Kontrolle politischer Macht. Für uns
in der Demokratie gilt das Gegenteil: Staatliche Macht-
ausübung muss öffentlich kontrollierbar sein. Das ist sie
wiederum nur, wenn staatliches Handeln transparent ist.

Demokraten wollen und müssen wissen können, was
der Staat macht. Deshalb haben wir unter anderem das
Informationsfreiheitsrecht. Das ist gut so. Aber – das ha-
ben uns auch die Experten gesagt – unser Recht hat
Mängel. Das sagt auch der Bundesbeauftragte für Infor-
mationsfreiheit. Das sagen uns die Bürger und Bürgerin-
nen, die Petitionen schreiben. Das sagen uns auch die
Experten bei der Anhörung. Wenn wir Demokratie ernst
nehmen, sollten wir diese Mängel beseitigen. Das tun
wir mit dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorle-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Experten sagen, es gibt Probleme in drei Berei-
chen: Erstens. Das Recht ist zersplittert. Zweitens. Zu





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


viele Anträge auf Informationszugang werden abge-
lehnt. Drittens. Die Behörden veröffentlichen zu wenig
Informationen von sich aus.

Zum ersten Punkt. Allein für die Bundesbehörden
gelten sieben verschiedene Bundesgesetze, die den Zu-
gang zu Informationen regeln. Das ist nicht nur für die
Antragstellenden verwirrend. Es ist auch für die Behör-
den selber nicht einfach, zu regeln, wer zuständig ist.
Wir führen mit unserem Gesetzentwurf drei große Ge-
setze zusammen. Das bringt Vereinfachung. Das bringt
Klarheit.

Zum zweiten Punkt, den Ausnahmen. Immer noch
werden zu viele Anträge auf Informationszugang abge-
lehnt. Das jetzige Recht lässt einerseits große Spiel-
räume für Ausnahmen. Es ist andererseits aber in vielen
Punkten unklar, was wirklich als Ausnahme gedacht war
und was man dort hineininterpretiert hat. Natürlich gibt
es Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die geschützt
werden müssen. Es gibt aber auch ein berechtigtes Inte-
resse der Öffentlichkeit daran, dass gegen Interessen an-
derer, zum Beispiel von Firmen und Einzelpersonen, ab-
gewogen werden muss. Wir schaffen mit unserem
Gesetzentwurf die Möglichkeit und die Rechtsklarheit
dazu.

Zum dritten Punkt. Wir machen in unserem Gesetz-
entwurf klare Vorgaben – für Verträge der Daseinsvor-
sorge, Formulierungshilfen der Bundesregierung an den
Bundestag –, die die Behörden verpflichten, von sich aus
Informationen ins Netz zu stellen und nicht erst zu war-
ten, bis die Bürger und Bürgerinnen das von ihnen ver-
langen.

In ihrer Stellungnahme hat die Bundesregierung lei-
der keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, die Empfeh-
lungen aus Wissenschaft und Praxis aufzunehmen. Die
Vereinheitlichung des Rechtes: abgelehnt. Weniger Aus-
nahmen: abgelehnt. Klare Veröffentlichungspflichten:
abgelehnt. Stattdessen schmückt sich die Bundesregie-
rung mit einem Open-Data-Portal, das seinen Namen
nicht verdient. Das Portal ist nicht mehr als ein Feigen-
blatt, das Ihre Nacktheit nur notdürftig bedeckt. Sie we-
deln andauernd mit diesem Blättchen herum, täuschen
aber nicht darüber hinweg, dass Sie nichts tun wollen,
um die Informationsrechte von Bürgern und Bürgerin-
nen zu verbessern.


(Beifall bei der SPD)


Bei der CDU/CSU erstaunt mich das nicht. Aber bei
der FDP stellt sich mir schon die Frage, was aus der
selbsterklärten Partei der Bürgerrechte geworden ist.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragt man sich! – Patrick Döring [FDP]: Wir sind es noch!)


Haben Sie keinen Bedarf mehr an Transparenz und an
Wissen für selbstbestimmte Bürger und Bürgerinnen,
was eben in der Debatte eindrucksvoll dargelegt wurde?
Ich kann hier nur einmal mehr feststellen, dass vom ehe-
maligen Markenkern der FDP nicht mehr viel übrig ist.


(Gisela Piltz [FDP]: Das ist die Motivation Ihrer Rede: uns einen überzubraten!)


Wir bewegen uns. Wir sind davon überzeugt, dass In-
formationsfreiheitsrechte die demokratischen Beteili-
gungsrechte und die Kontrolle staatlichen Handelns
nicht schwächen, sondern stärken. Hierin liegen Chan-
cen, Vertrauen zurückzugewinnen, das wir verloren ha-
ben.

Der Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, ist ein
Meilenstein in der Entwicklung der Informationsfreiheit.
Im Interesse der Bürger und Bürgerinnen appelliere ich
an Sie von der Koalition: Bewegen Sie sich in dieser
Frage! Emanzipieren Sie sich von Ihrer untätigen Bun-
desregierung! Lassen Sie uns zusammen an einer aufge-
klärteren, an einer transparenteren Gesellschaftsform ar-
beiten! Ich freue mich auf die Beratung.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Und deswegen müssen wir hier sitzen! Stephan, rockst du bitte die Hütte?)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724025900

Der Kollege Stephan Mayer hat jetzt das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1724026000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen, sehr ge-

ehrte Kollegen! Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion,
den wir heute in erster Lesung beraten, zeigt wieder, wie
die SPD Politik betreibt.


(Patrick Döring [FDP]: Betreibt sie überhaupt Politik? – Lars Klingbeil [SPD]: Seriös! Transparent! Für den Menschen!)


Unabhängig von Expertenmeinungen und unabhängig
von den Auffassungen von Sachverständigen wird hier
ungeniert ein Gesetzentwurf vorgelegt, der in der Reali-
tät das Gegenteil dessen bewirken würde, was Sie sich
davon versprechen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, Sie sind wirklich beratungsresistent. Wir haben
uns im Innenausschuss am 24. September 2012 sehr aus-
führlich mit dem Informationsfreiheitsgesetz auseinan-
dergesetzt. Wir haben beim Forschungsinstitut in Speyer
eine umfangreiche Evaluation in Auftrag gegeben. Ins-
gesamt umfasst dieses Gutachten 600 Seiten.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Handlungsempfehlungen sind knackig!)


Auf keiner dieser 600 Seiten steht die klare Handlungs-
empfehlung, dass die verschiedenen Gesetze – Umwelt-
informationsgesetz, Verbraucherinformationsgesetz und
Informationsfreiheitsgesetz – zusammengefasst werden
sollen. Wenn die Schlussfolgerung sein sollte, dass es
notwendig ist, hier eine gemeinsame Kodifizierung vor-
zunehmen, dann hätte doch Herr Professor Ziekow zu
dieser Schlussfolgerung kommen müssen; er ist es aber
nicht. Das Gegenteil ist der Fall: In diesem Gutachten
wird keinesfalls die Notwendigkeit oder die Realisier-
barkeit einer undifferenzierten Zusammenführung der
unterschiedlichen Informations- und Zugangsrechte ge-





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


sehen, die ihrem Wesen nach sehr voneinander abwei-
chen.

Wir haben uns in der genannten Anhörung am
24. September aufgrund Ihrer Fragen, Frau Kollegin
Lühmann, auch damit auseinandergesetzt, ob denn eine
solche Zusammenlegung nach Auffassung der Sachver-
ständigen sinnvoll wäre. Auch hier war das Votum aller
Sachverständigen, unter anderem auch des Sachverstän-
digen, den Sie selbst benannt haben, einmütig: Es wurde
abgelehnt. Es verwundert wirklich, dass sogar der von
der SPD benannte Sachverständige deutlich gemacht
hat, dass er keine Notwendigkeit sieht, die verschiede-
nen Informations- und Zugangsrechte zusammenzule-
gen. Herr Professor Schulz vom Hans-Bredow-Institut
für Medienforschung in Hamburg hat es deutlich zum
Ausdruck gebracht: Selbst er sprach davon, dass eine
Fusion des Informationsfreiheitsgesetzes mit anderen
Gesetzen nicht zwingend sei.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Ja, nicht zwingend, aber möglich!)


Wesentlich konkreter und deutlicher wurden die
Sachverständigen Dr. Partsch, Professor Ziekow sowie
Professor Ibler. Herr Dr. Christoph Partsch führte aus,
dass lediglich eine Zusammenlegung von IFG und UIG
in Betracht kommen könnte; alles andere sei – ich zitiere
wörtlich – „wesentlich aufwendiger bzw. kompetenz-
rechtlich nicht möglich“.

Professor Ziekow empfahl gar ein noch vorsichtigeres
und differenzierteres Vorgehen, und zwar mit den Wor-
ten – auch hier zitiere ich –:

Es ist eine alte Erfahrung: Wenn man das Rad zu
groß macht, dann rollt es schlecht.

Er legte nahe, keine neuen Probleme zu schaffen, die
aufgrund der Rechtsprechung keine praktische Relevanz
besitzen. Er sprach sich sodann zwar für eine Anglei-
chung des IFG an das UIG aus, aber auch für ein Beibe-
halten beider Gesetze.

Noch deutlicher wurde Professor Martin Ibler, der die
Gefahr sah, „Äpfel zu Birnen“ zu machen. Bereits die
Zusammenführung von UIG und IFG sei aus seiner Sicht
zum Scheitern verurteilt, da die Gesetze sehr unter-
schiedliche Zwecke verfolgten. Das UIG, also das Um-
weltinformationsgesetz, entstand aufgrund der Pflicht
zur Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie, so-
dass für die Betroffenen gegebenenfalls die Möglichkeit
besteht, den Weg durch die Instanzen bis zum EuGH zu
gehen. Beim Informationsfreiheitsgesetz, das nicht auf-
grund einer EU-Richtlinie geboren wurde, besteht diese
Möglichkeit nicht.

Das UIG hat auch einen ganz anderen Zweck: Beim
Umweltinformationsgesetz geht es darum, mögliche
Umweltdefizite in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union zu beheben. Das Informationsfreiheitsgesetz hat
einen ganz anderen Zweck. Da geht es möglicherweise
um die Beseitigung vorhandener Demokratiedefizite.
Die Regelungszwecke der beiden Gesetze sind komplett
unterschiedlich, sodass es aus nachvollziehbaren Grün-

den von den Sachverständigen abgelehnt wurde, einer
Zusammenlegung das Wort zu reden.

Wenn ich mir zudem die aktuelle Diskussion über das
von Ihnen über alle Maßen gelobte Hamburgische Trans-
parenzgesetz anschaue, bei dem offensichtlich bald ge-
richtlich geklärt werden muss, wie einzelne Regelungen
grundsätzlich auszulegen sind, habe ich zudem erhebli-
che Zweifel daran, dass die von Ihnen vorgeschlagene
Zusammenführung mehrerer Informationszugangsge-
setze im Ergebnis zu mehr Effizienz und Effektivität in
der Verwaltung führen wird; das Gegenteil dürfte der
Fall sein.

Darüber hinaus möchte ich Ihnen, Frau Kollegin
Lühmann, schon sagen, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf
einen aus meiner Sicht unzulässigen Generalverdacht
gegen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentli-
chen Verwaltung erheben. Wir haben in Deutschland
eine auf allen Ebenen effektive und qualitativ außeror-
dentlich hochwertige Verwaltung, von den Kommunen
über die Länderebene bis zum Bund.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Die kann aber nur so gut sein wie das Gesetz, das sie ausführt! Wenn es kein Gesetz gibt, kann sie auch nichts machen!)


Ich lasse es einfach nicht zu, meine sehr verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen, dass Sie hier einen Pauschalver-
dacht gegenüber der Verwaltung erheben, nach dem
Motto: Die mauern, die geben Akten nicht weiter, die
sind nicht transparent genug.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Weil das Gesetz es nicht zulässt!)


Diesen Vorwurf lasse ich einfach nicht gelten. Wir haben
ein außerordentlich funktionstaugliches Informations-
freiheitsgesetz und eine Verwaltung, die sich daran ent-
sprechend orientiert.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Es ist ein schlechtes Gesetz! Das sagt sogar der Gutachter, den Sie zitiert haben!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
auch der Bund ist in Vorleistung gegangen: Es gibt seit
dem 19. Februar dieses Jahres ein Pilotprojekt, das Open
Data gewährleistet. Mittlerweile, nach heutigem Stand,
sind dort auf freiwilliger Basis 5 788 Datensätze einge-
stellt worden, nicht nur vom Bund, sondern teilweise
auch von den Ländern und den Kommunen. Aus meiner
Sicht kommt die Verwaltung in Deutschland der Oblie-
genheit sehr wohl nach – wohlgemerkt von sich aus,
freiwillig, ohne rechtliche Verpflichtung und gesetzli-
chen Zwang –, nicht nur offene Daten, sondern teilweise
auch Daten, die verschlüsselt sind, entsprechend zu ver-
öffentlichen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir
damit der Verpflichtung Genüge tun, dass in der Verwal-
tung offen und transparent mit Daten umgegangen wird,
sodass die Bürger die Möglichkeiten haben, an die Daten
zu gelangen, auf die sie zurückgreifen wollen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Aber das können sie doch gar nicht!)






Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


Es war ja nicht nur so, dass die Sachverständigen und
die in der Anhörung Anwesenden die Notwendigkeit der
Zusammenlegung der unterschiedlichen Informations-
und Zugangsrechte verneint hätten, sondern selbst die
Open-Government-Expertin und Piratin Anke Dom-
scheit-Berg bemängelt den Verstoß und sagt ausweislich
eines Artikels in der taz von heute, der Entwurf sei ein
für den Wahlkampf geschriebenes Patchworkgesetz und
keine zielgerichtete Umsetzung einer Open-Govern-
ment-Strategie.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die CSU die Piraten zitiert, dann wird es ganz abgründig!)


Ich glaube nicht, dass Frau Domscheit-Berg im Verdacht
steht, uns politisch nahezustehen und uns irgendetwas
Gutes tun zu wollen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wirklich nicht!)


Selbst sie lässt kein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf,
sodass ihm aus meiner Sicht nur eine klare Absage zu er-
teilen ist.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724026100

Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724026200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Es ist eine gute Idee, mehrere Bundesgesetze zu-
sammenzulegen, um allein das zu erreichen, was man
schon im Titel verlangt, nämlich zu mehr Transparenz
und zu mehr Information zu kommen.


(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Sie wollen ein Informationsfreiheits- und Transpa-
renzgesetz schaffen. Das finden wir gut. Dabei soll
gleichzeitig das Informationsfreiheitsgesetz von 2005 re-
formiert und an entscheidenden Stellen verbessert wer-
den. Es soll eine verbindliche Auskunftspflicht geben,
und staatliche Stellen sollen wichtige Informationen für
die Bürgerinnen und Bürger ins Netz stellen. Damit wäre
niemand mehr gezwungen, selbst aufwendig recherchie-
ren zu müssen, um bestimmte Informationen zu bekom-
men. Ich kann mir vielmehr Informationen holen über
den Zustand meiner unmittelbaren oder auch ferneren
Umwelt, ich kann heraussuchen und nachlesen, wie hoch
die Lärmbelästigung an Straßen und Eisenbahntrassen
ist. Die Linke unterstützt deshalb die Initiative der SPD.
Auch das Ziel, Transparenz zu schaffen und so, wie es
heißt, einen Kulturwandel in der Verwaltung herbeizu-
führen, teilt meine Fraktion ausdrücklich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung will es offenbar nicht wahrha-
ben; aber im Bereich Informationsfreiheit und Transpa-
renz liegen wir im internationalen Vergleich weit hinter
den Regelungen anderer europäischer Staaten und auch
der USA. Die Regierung unternimmt nichts, um das zu
ändern. Im Gegenteil: Sie jammert darüber, dass eine
transparente Informationspolitik mit viel Arbeit verbun-
den sei und deshalb nicht geleistet werden könne. Das
führt dazu, dass die Bundesrepublik noch weiter ins Ab-
seits gerät und den Anschluss an internationale Stan-
dards verliert. Das akzeptieren wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])


Manche Regierungs- und Behördenvertreter glauben
offenbar, dass es ausreicht, wenn eine Behörde eine
Website hat. Von selbstständiger, bürgerfreundlicher In-
formationsfreigabe fehlt aber jede Spur. Entweder hat
die Bundesregierung immer noch nicht die Bedeutung
von Transparenz im staatlichen Handeln für die Demo-
kratie erkannt, oder sie geht einfach nur von einem ande-
ren Demokratieverständnis aus; aber das ist ein Demo-
kratieverständnis von gestern oder vorgestern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Verpflichtung der Verwaltungen zu unaufgefor-
derter und selbstständiger Veröffentlichung einer Viel-
zahl von Verwaltungsdaten im Internet, wie es im Ge-
setzentwurf heißt, ist lange überfällig. Wir brauchen ein
Informationsfreiheitsgesetz, das die Bürgerinnen und
Bürger in die Lage versetzt, schnell und selbstständig die
Informationen zu erlangen, die sie für die Gestaltung ih-
res Lebens brauchen oder dafür, um ihre demokratische
Teilhabe an der Gesellschaft zu organisieren.

Leider bleiben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, hinter dem zurück, was an anderer Stelle
schon einmal eingefordert worden ist. Sie haben das
Hamburgische Transparenzgesetz erwähnt. Sie wollten
es als Vorbild nehmen; aber das Hamburgische Transpa-
renzgesetz umfasst eine Reihe von weitergehenden, fort-
schrittlicheren Regelungen als die, die Sie jetzt über-
nommen haben. So finden wir dort zum Beispiel
Informationen über Subventions- und Zuwendungsver-
fahren sowie Daten von Unternehmen, an denen die
Stadt beteiligt ist. Darauf verzichten Sie in Ihrem Ent-
wurf.

Auch fallen Sie hinter das Sondervotum im Bericht
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-
schaft“ zurück, das Sie mit uns, den Grünen und den
Sachverständigen zusammen zum Thema Open Data
und E-Government erarbeitet haben. Über Maschinen-
lesbarkeit der Daten und freien Lizenzen liest man in Ih-
rem Gesetzentwurf leider nichts. Das ist schwach. Haben
Ihre Internetexperten in dieser Frage nicht den Freiraum,
den sie eigentlich brauchen?

Ihnen ist es auch nicht gelungen, die Ausnahmetatbe-
stände auf das tatsächlich notwendige Maß zu reduzie-
ren. Sie fordern sogar, dass das Urheberrecht sowie Be-
triebs- und Geschäftsgeheimnisse Gründe für das





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


Verweigern von Informationen sein können. So kommen
wir doch nicht zu transparentem staatlichen Handeln. Sie
kennen das doch aus der alltäglichen Berichterstattung:
Das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis verhindert regel-
mäßig, dass Bürgerinnen und Bürger Informationen über
öffentlich-privatwirtschaftliche Projekte bekommen.
Vollkommen kostenlos soll dieser Service auch nicht
sein. Das ist, wie gesagt, schwach.

Wie ernst nehmen Sie die Sache mit der Transparenz
eigentlich? Das frage ich mich, da Sie erst vor ein paar
Wochen unseren Antrag „Demokratie durch Transparenz
stärken“ einfach abgelehnt haben. Ich finde das bedauer-
lich. Das ist, glaube ich, der Sache nicht angemessen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724026300

Gisela Piltz hat das Wort.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1724026400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Verehrte Zuschauer!

Ungünstig ist auch, dass es bereichsspezifische Re-
gelungen in anderen Gesetzen und daneben jetzt ein
Informationsfreiheitsgesetz gibt. Das führt nur zu
Unklarheit und Verwirrung. Die Regelung eines
einheitlichen Anspruches auf Information wäre
richtig gewesen.

Das hat unser viel zu früh verstorbener Kollege Max
Stadler am Freitag, den 3. Juni 2005, in der abschließen-
den Lesung des Informationsfreiheitsgesetzes des Bun-
des gesagt. Es wäre schön – so geht es mir jedenfalls –,
wenn Max heute hier sein könnte, um diesen Gedanken
fortzuführen und den von Ihnen vorgelegten Gesetzent-
wurf daran messen könnte. Aber uns bleibt nur, in sei-
nem Sinne und im Gedenken an ihn seine liberale und
bürgerrechtsfreundliche Grundüberzeugung weiterzutra-
gen und fortzuführen. Das werden wir Liberale sicher
tun.

Das Anliegen der SPD ist durchaus richtig; aber
freuen Sie sich nicht zu früh über diese Aussage. Infor-
mationsfreiheit darf kein Stückwerk sein. Informations-
freiheitsregelungen in einem Gesetz zu regeln und hier-
bei auch den Gedanken von Open Data, also der
grundsätzlich proaktiven Veröffentlichung von Daten
aufzunehmen, ist ein richtiger Ansatz. Aus unserer Sicht
ist es auch richtig, dass Orientierungspunkt die größt-
mögliche Transparenz und Offenheit sein muss. Infor-
mationsfreiheit ist aus Sicht der FDP ein Gewinn für die
Demokratie.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutio-
nen braucht Offenheit. Wo der Eindruck entsteht, es
werde in Hinterzimmern gemauschelt, blüht Misstrauen.
Daher ist vor allem der Ansatz von Open Data wichtig
und ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für mehr Trans-
parenz. Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem

Handeln der Verwaltung ist nicht nur zur Kontrolle des
Staates durch den Souverän unabdingbar, sondern auch,
weil damit schon in der Entscheidungsfindung eine
Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann. Das ist si-
cherlich eine gute Idee. Das ist Demokratie.

Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung hier
schon Schritte gegangen ist. Mit der Verabschiedung des
Programms der Bundesregierung „Vernetzte und trans-
parente Verwaltung“ und der Eröffnung des Open-Data-
Portals unter www.govdata.de wurde der Grundstein ge-
legt. Es ist auch gut, dass der Deutsche Bundestag mit
dem Planungsvereinheitlichungsgesetz, das in diesem
Jahr verabschiedet wurde – Sie sagen ja immer, wir täten
nichts –, im Verwaltungsverfahrensgesetz die elektroni-
sche Veröffentlichung von Plänen durch die Verwaltung
vorgeschrieben hat. Jeder kann diese nun einsehen. Die
Verwaltung muss sie ins Internet stellen.

So wichtig Informationsfreiheit auch ist, sie steht im-
mer in Konkurrenz mit anderen Grundrechten wie dem
Datenschutz oder dem Recht am eingerichteten und aus-
geübten Gewerbebetrieb. Hier müssen Lösungen gefun-
den werden, um einen Ausgleich zwischen den betroffe-
nen Grundrechten herzustellen. Nach dem vorliegenden
Gesetzentwurf müsste sich interessanterweise derjenige
rechtfertigen, dessen Daten betroffen sind. Gemäß dem
Vorschlag der SPD dürften personenbezogene Daten erst
einmal herausgegeben werden, und zwar an jedermann,
ohne weitere Voraussetzungen, schlicht aufgrund des In-
formationsanspruchs. Nur eine „erhebliche“ Beeinträch-
tigung soll dem entgegenstehen.

Nach dem geltenden IFG hingegen muss das Informa-
tionsinteresse gegenüber dem schutzwürdigen Interesse
des Betroffenen überwiegen. Nach Ihrem Gesetzentwurf
wäre das umgekehrt. Eigentlich wäre das nicht nur um-
gekehrt, sondern sogar noch viel schlimmer. In der Ein-
leitung zu Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie, dass Sie
sich jeweils am größtmöglichen Transparenzniveau in
den unterschiedlichen Gesetzen orientiert hätten. Offen-
sichtlich bedeutet das aber auch, dass Sie sich eben nicht
am größtmöglichen Datenschutzniveau orientiert haben,
sondern genau am Gegenteil, nämlich am schlechtest-
möglichen Datenschutzniveau.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gewagte Schlussfolgerung!)


Die Formulierung, die Sie aus dem UIG übernommen
haben, war und ist in der Literatur umstritten, weil sie
eine deutliche Herabsetzung des Datenschutzniveaus be-
deutet. Das ist doch einmal interessant. Interessant ist
auch, dass der Kollege Reichenbach, der hier sonst im-
mer für den Datenschutz – vermeintlich – kämpft, Ihnen
so etwas durchgehen lässt. Er ist heute Abend nicht da;
jetzt weiß ich auch, warum.

Zu rot-grünen Zeiten hatten SPD und Grüne noch ver-
sucht, sich herauszureden, indem sie die Änderung am
UIG so rechtfertigten, dass ansonsten Wertungswider-
sprüche zwischen dem Schutz der informationellen
Selbstbestimmung einerseits und dem Schutz des Urhe-
berrechts und der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
andererseits entstehen würden. So stand es damals in Ih-





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


rer Gesetzesbegründung; wenn Sie wissen wollen, wo
genau, kann ich Ihnen auch die Seite nennen.

Jetzt aber haben Sie ersichtlich keine Probleme mehr
mit diesen Wertungswidersprüchen. Denn während per-
sonenbezogene Daten im Grunde genommen keinen
Schutz mehr genießen, gibt es bei Betriebs- und Ge-
schäftsgeheimnissen oder beim Urheberrecht nur die für
den Datenschutz noch zusätzlich geltende Einschrän-
kung, dass die Ablehnung unterbleiben darf, wenn Ein-
willigung vorliegt oder das öffentliche Interesse über-
wiegt. Damit sind diese Rechtsgüter beinahe absolut
geschützt. Ich will – das kann und muss ich ja auch nicht –
Ihnen das gar nicht vorwerfen. Selbstverständlich ist es
richtig, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wie
etwa Rezepturen nicht frei verfügbar gemacht werden
können; denn sonst würden wir der Industriespionage
Tür und Tor öffnen. Beim Überwiegen öffentlicher Inte-
ressen, also sozusagen des Allgemeinwohls, kann davon
abgewichen werden. Das ist richtig und angemessen.
Aber ich werfe Ihnen vor, dass Sie diesen hohen Schutz
bei personenbezogenen Daten nicht gewähren wollen.
Ich finde, so kann man mit dem Datenschutz wirklich
nicht umgehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Man könnte noch eine Menge dazu sagen. Wenn ich
mir ansehe, welche Veröffentlichtungspflichten Sie für
„politische Konzepte“ vorsehen, frage ich mich schon,
was unter politischen Konzepten zu verstehen sein soll.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragt man sich bei der FDP regelmäßig!)


– Ach, Herr von Notz, ich finde, zu dieser späten Stunde
müssen Sie das nicht mehr tun. – Frau Lühmann, ist es
schon ein Konzept, wenn eine Idee in Ihrem Kopf ent-
steht oder wenn Herr von Notz hier etwas sagt? Auch die
Frage der Aufbereitung von Informationen in verständli-
cher Form für Verbraucher ist ein schwieriges Thema.

Ich finde, Ihr Gesetzentwurf, vier Wochen vor Beginn
der Sommerpause eingebracht, ist nicht mehr als ein
Schnellschuss. Er wurde aus Versatzstücken rasch zu-
sammengeschustert. So kann man kein Informations-
recht aus einem Guss schaffen.

Ich komme zum Schluss.


(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)


Sie täuschen Aktionismus vor, der durch nichts gerecht-
fertigt ist. Wir kümmern uns.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724026500

Frau Kollegin.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1724026600

Es waren vier gute Jahre für die Informationsfreiheit.

Mit Ihnen wird es nicht besser.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Die kommen nicht dran!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724026700

Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat das Wort für

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bei den Themen Transparenz und Informations-
freiheit ist es so ähnlich wie bei dem für diese Koalition
und Frau Merkel besonders schwierigen Thema Fami-
lienpolitik. Sie beharren einfach weiterhin auf einem
überholten Gesellschaftsbild.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Tata!)


Die alten Rollenbilder, die zu Absurditäten wie dem Be-
treuungsgeld führen, lauten in der Transparenzpolitik:
Der gütige Staat als Geheimanstalt.


(Patrick Döring [FDP]: Man darf zu allem sprechen!)


Im Grunde klammert sich diese Koalition weiterhin an
den Grundsatz der Amtsverschwiegenheit wie an ihr Fa-
milienbild aus dem 19. Jahrhundert, und zwar gegen die
Rechtslage, gegen alle Empfehlungen der Informations-
freiheitsbeauftragten, gegen die Signale aus Karlsruhe
und gegen die EU-Grundrechtecharta. Dem dahinterste-
henden Staatsbild fehlt einfach die Mehrdimensionalität
des Verständnisses, was den modernen Staat ausmacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das habt ihr! Das macht euch aus! Großartig!)


Vor allem geht Ihr Bild gegen jede Vernunft, Herr
Kollege, meine Damen und Herren von der Koalition.
Erst gestern wurde wieder berichtet, dass 30 Prozent der
Wählerinnen und Wähler keinen Grund sehen, im Sep-
tember zur Wahl zu gehen. Vor diesem Hintergrund
müsste es doch unser aller Ziel sein, endlich diese Frus-
trationen ernst zu nehmen. Niemand, der sich für Politik
interessiert, darf vom politischen Apparat, vor allem
aber von der öffentlichen Verwaltung und Regierung von
Informationen generell abgeschnitten sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD] – Patrick Döring [FDP]: Könnte es sein, dass Sie diesem Apparat angehören?)


Transparenz des Parlaments heißt Öffentlichkeit der
Ausschüsse, der Dokumente, ehrliche Ansagen und
nachprüfbare Politik, Lobbyistenregister


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen diesen Blödsinn aufgeschrieben?)


– Herr Kollege, für Sie besonders schwierig –, Offenle-
gung von Gehältern. Eigentlich müssten wir dazu in die-
ser Legislaturperiode fraktionsübergreifend sehr viel un-
ternommen haben, als Signal an die Bürgerinnen und
Bürger, dass dieses Haus verstanden hat, dass wir uns für
ihre Anliegen und Bedürfnisse einsetzen.





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)



(Zurufe des Abg. Patrick Döring [FDP])


Aber – wie in so vielen Bereichen, Herr Kollege –:
schwarz-gelbe Leere auch beim Thema Informations-
freiheit. Das ist ein echtes Armutszeugnis, meine Damen
und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Schutz der Persönlichkeitsrechte!)


Natürlich sind Transparenz und Informationsfreiheit
kein Allheilmittel. Doch Transparenz von Verwaltungs-
entscheidungen ist eine zentrale Grundvoraussetzung für
Partizipation, aber auch für Vertrauen in das Gemeinwe-
sen und die Rechtmäßigkeit der Abläufe. Wir Grünen
haben zusammen mit einer breiten Basis der Zivilgesell-
schaft und der SPD


(Lachen bei der FDP – Gisela Piltz [FDP]: Die Reihenfolge ist interessant! – Manuel Höferlin [FDP]: Gute Reihenfolge!)


das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gegen här-
teste Widerstände auf den Weg gebracht. Ich sage Ihnen
heute: Wir werden es gemeinsam sachgerecht weiterent-
wickeln.

Dazu zählt mindestens die Ergänzung des Indivi-
dualanspruchs auf Auskunft um proaktive Open-Data-
Verpflichtungen der Behörden. Dazu zählt aber auch die
Beseitigung der vielen im Speyer-Gutachten – Herr Kol-
lege Mayer, Sie haben es angesprochen – bereits aufge-
zeigten Hindernisse für Freiheitsanträge wie zum Bei-
spiel die viel zu pauschalen Ausnahmegründe. Das steht
da x-mal drin; das haben Sie entweder überlesen oder
verschwiegen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Überlesen!)


In der zurückliegenden Sitzungswoche haben wir un-
sere Forderung nach einem Grundrecht auf Informa-
tionsfreiheit, mit dem eine sehr gute Basis auch für den
heute von der SPD präsentierten Gesetzentwurf geschaf-
fen würde, unterstrichen. Zu den lange erhobenen und
gut begründeten Forderungen der Informationsbeauf-
tragten wie auch eines breiten Bündnisses zivilgesell-
schaftlicher Organisationen zählt die Zusammenlegung
der zentralen Gebiete des Umweltinformations- und des
Verbraucherinformationsrechts mit dem IFG. Selbstver-
ständlich, Frau Kollegin Piltz, darf es dabei nicht zu ei-
ner Absenkung der bestehenden Standards kommen,
auch nicht beim Datenschutz; das ist für uns Grüne ein
ganz zentraler Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD])


Zu guter Letzt – Herr Kollege Mayer, das sage ich vor
allen Dingen in Ihre Richtung –: Frau Stamm, immerhin
CSU-Landtagspräsidentin, erklärte heute Morgen im
Deutschlandfunk, –


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie ist Präsidentin des Bayerischen Landtags! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Nicht nur von der CSU!)


– nicht nur von der CSU, genau; aber auch –, dass wir
als Abgeordnete Transparenz, Transparenz und Transpa-
renz in den Mittelpunkt stellen müssen. So reden Sie lei-
der nur, wenn Ihnen das Wasser, wie jetzt in Bayern, bis
zum Hals steht. Weil das aber auch aus Einsicht und
Überzeugung geschehen soll, werden wir das machen,
ab September dieses Jahres.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Ach ja? So wie in Baden-Württemberg, wo ihr nichts macht, obwohl es im Koalitionsvertrag steht?)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724026800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Thomas

Gebhart das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1724026900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist doch selbstverständlich, dass der Staat
eine besondere Pflicht hat, sein Handeln transparent zu
machen. Der Staat ist verpflichtet, seinen Bürgerinnen
und Bürgern Auskunft zu erteilen, beispielsweise in Fra-
gen des Umweltschutzes; darüber kann hier, glaube ich,
kein ernsthafter Dissens bestehen.

Wir haben heute in Deutschland unterschiedliche Ge-
setze, die diesen Informationszugang regeln: bei Um-
weltinformationen das Umweltinformationsgesetz, bei
Lebensmitteln das Verbraucherinformationsgesetz, bei
amtlichen Informationen das Informationsfreiheitsge-
setz. Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD schlägt
nun vor, die drei angesprochenen Gesetze zusammenzu-
fassen. Der Kollege Stephan Mayer hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass diese Debatte nicht neu ist, und er hat
– völlig richtig – auf die Argumente in diesem Zusam-
menhang hingewiesen. Deswegen brauche ich sie an die-
ser Stelle nicht zu wiederholen.

Alles in einer Hand; für die Bürger wäre dies besser
verständlich – so Ihre Idee. Allerdings, meine Damen
und Herren, ist es doch bereits heute so, dass die ange-
fragten Behörden von sich aus entscheiden, nach wel-
chem Gesetz Auskunft erteilt wird. Das heißt, die Wir-
kung auf die Bürgerinnen und Bürger ist durch das
Vorhandensein mehrerer Gesetze nicht grundsätzlich be-
einträchtigt. Zudem weisen die verschiedenen Informa-
tionszugangsgesetze im Detail auch Unterschiede auf,
zum Beispiel bei der Ausgestaltung von Gründen für die
Ablehnung eines Informationsantrags. Eine Zusammen-
legung muss daher – auch in Bezug auf die unmittelbare
Wirkung des Gesetzes lediglich für Bundesbehörden und
nicht nur für die Länderbehörden – sorgfältig geprüft
werden.

Einige Sachverständige haben bei der Evaluation des
Informationsfreiheitsgesetzes ausdrücklich davor ge-
warnt, die Anforderungen des Umweltinformationsge-
setzes auf das Informationsfreiheitsgesetz zu übertragen,





Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(D)(B)


weil der Ursprung der Gesetze und die Motivation für sie
schlicht und ergreifend jeweils andere sind.

Der Hauptvorschlag der SPD, dass die Behörden an-
gehalten werden sollen, Informationen von allgemeinem
Interesse von sich aus einfach und kostenfrei zu veröf-
fentlichen, ist nicht neu. Sowohl das Umweltinforma-
tionsgesetz als auch das Verbraucherinformationsgesetz
kennen solche Regelungen. Die SPD will den Katalog
der aktiven behördlichen Veröffentlichungspflichten er-
weitern. Eine Abschätzung jedoch – das ist ein Manko
Ihres Gesetzesvorschlags –, wie hoch denn der Erfül-
lungsaufwand für die Behörden wäre, leisten Sie nicht.

Speziell zum Bereich des Umweltinformationsgeset-
zes. Aus Umweltsicht ist der von Ihnen vorgeschlagene
Gesetzentwurf auf den ersten Blick zunächst relativ un-
problematisch – es sind nur kleinere Neuerungen –: Sie
haben das Umweltinformationsgesetz im Wesentlichen
übernommen und versuchen, dessen Anforderungen
auch auf andere Gesetze zu übertragen.

Es gibt aber durchaus kritische Punkte. Ich will einen
kritischen Punkt, über den in den Ausschussberatungen
sicherlich zu diskutieren sein wird, konkret ansprechen:
§ 7 Abs. 3, der die Regelungen des Informationsfrei-
heitsgesetzes für Geheimhaltungs- und Vertraulichkeits-
pflichten bei Verschlusssachen auch auf Umweltinfor-
mationen anwendet. Diese Bestimmung, meine Damen
und Herren, ist europarechtlich, aber auch völkerrecht-
lich hochproblematisch, weil bei Umweltinformationen
insofern kein Abwägungsspielraum besteht. Ohne diesen
Bezug zu einer Abwägung dürfte der Text europa- und
völkerrechtlichen Vorgaben kaum genügen. Übrigens
nimmt Ihr Gesetzentwurf auch auf die Århus-Konven-
tion keinen Bezug; auch das ist an dieser Stelle ein Stück
weit bemerkenswert.

Meine Damen und Herren, wir werden Ihren Gesetz-
entwurf in den Ausschüssen mit Sicherheit sehr gründ-
lich beraten und insbesondere die kritischen Punkte in-
tensiv diskutieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724027000

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Lars Klingbeil das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1724027100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Mayer, Sie haben vorhin sie-
ben Minuten geredet. Sie haben kritisiert, was die SPD
in ihren Gesetzentwurf geschrieben hat, Sie haben geme-
ckert,


(Gisela Piltz [FDP]: Das ist unparlamentarisch! Man „meckert“ nicht!)


Sie haben aus der Anhörung zur Evaluierung zitiert; aber
Sie haben eines vergessen: Sie haben vergessen, zu sa-
gen, wofür Sie eigentlich stehen, wofür diese Koalition

eigentlich steht, wenn es um Informationsfreiheit geht
und darum, Transparenz in diesem Land zu verbessern;
das haben Sie zu sagen vergessen. Rot-Grün gibt hier
den Takt vor


(Patrick Döring [FDP]: Man kann auch aus dem Takt tanzen!)


und zeigt, in welche Richtung sich das alles entwickeln
soll. Es ist enttäuschend, das von Schwarz-Gelb an die-
ser Stelle nichts kommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch daran
erinnern, dass Rot-Grün dieses Informationsfreiheitsge-
setz im Jahr 2005 auf den Weg gebracht hat. Wir haben
damals die Türen des Staates aufgestoßen, wir haben ge-
sagt: Wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen
mehr Offenheit in diesem Land, wir wollen, dass staatli-
ches Handeln nachvollziehbarer wird. – Das war damals
progressiv. Rot-Grün hat sich aufgemacht, den Staat zu
modernisieren.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Na ja!)


Seit 2006 ist viel passiert: Wir sehen, dass die Infor-
mationsfreiheitsgesetze, die damals auf den Weg ge-
bracht wurden, Strukturen verändert haben. Wir sehen
aber auch, dass es in der Praxis viel zu häufig noch Hür-
den gibt, an denen die Informationsfreiheit scheitert. Zu-
letzt konnten wir im April in einem Artikel in der Zeit
mit der Überschrift „Achtung! Geschäftsgeheimnis“ le-
sen, dass es noch heute große Unsicherheiten in Behör-
den gibt, dass manchmal der Wille fehlt, aber dass vor
allem eine Gesetzgebung fehlt, die wirklich Informa-
tionsfreiheit ermöglicht. Deswegen müssen wir acht
Jahre nach Verabschiedung des Informationsfreiheitsge-
setzes festhalten: Der Kulturwandel in Politik und Ver-
waltung, wie wir ihn wollten, wie wir ihn uns vorgenom-
men haben, ist an vielen Stellen noch nicht da.
Deswegen ist es Zeit für eine grundlegende Überarbei-
tung.


(Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])


Es ist Zeit für ein Informationsfreiheitsgesetz 2.0, und
das hat die Sozialdemokratie hier heute auf den Tisch
gelegt. Darüber wollen wir reden und abstimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Evaluierung, lieber Kollege Mayer, und auch die
intensive Diskussion in der Enquete-Kommission haben
gezeigt, dass es Handlungsbedarf gibt. Wir sagen, es gibt
ihn in drei Bereichen: Wir wollen die großen Regelungs-
werke zusammenführen – das ist hier häufig diskutiert
worden –, wir wollen vor allem auch eine radikale Ein-
grenzung der Ausnahmetatbestände, und wir sagen, dass
wir im Sinne der Transparenz auch eine proaktive Veröf-
fentlichung von Informationen und Daten einführen wol-
len. – Auskunftsrechte sind gut und wichtig, aber wir
wollen, dass diese auch effektiv genutzt werden können.

Hier geht es dann auch um Open Data. Ich will die
Linke gerne einladen, dass wir im Verfahren noch über





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)


die Maschinenlesbarkeit und all diese Dinge reden. Ich
will aber auch sagen: Wir müssen erkennen, dass Infor-
mationsfreiheit und Open Data ein riesiges Innovations-
potenzial haben und dass wir auf dieses Innovations-
potenzial setzen müssen.

Hier geht es noch einmal um den Kulturwandel der
Behörden. Es muss darum gehen, dass Offenheit
herrscht, dass wir also diese Offenheit des Staates errei-
chen. Das Wissen des Staates muss den Menschen gehö-
ren. Bei Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrech-
ten brauchen wir Ausnahmen, aber ich sage Ihnen:
Transparenz schafft Vertrauen, Transparenz schafft
Nähe, und Transparenz schafft auch Teilhabe. Darum
muss es uns doch gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den USA sehen wir, wie erfolgreich eine Open-
Data-Strategie sein kann und wie erfolgreich Informa-
tionsfreiheit ist. Ich verrate Ihnen aber auch: Dort gibt es
einen Präsidenten Obama, der das Ganze lebt und voran-
treibt. Genau eine solche Person mit einer solchen Ver-
antwortung fehlt in der schwarz-gelben Bundesregie-
rung. Es gibt niemanden in dieser Regierung, der die
Offenheit des Staates vorantreibt.

Sie verweisen auf GovData. Ja, das ist ein tolles Pro-
jekt – das will ich Ihnen auch sagen –, aber wenn die
proaktive Veröffentlichung von Daten nicht die Grund-
voraussetzung ist, dann haben wir hier die falschen Wei-
chen gestellt.

Ich sage Ihnen: Rot-Grün hat damals den Staat mo-
dernisiert. Schwarz-Gelb weigert sich an dieser Stelle,
auf die nächste Stufe der Modernisierung des Staates zu
gehen. Deswegen wird es wieder Rot-Grün sein, die die
nächste Stufe der Modernisierung des Staates nehmen
werden.


(Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Also im Jahre 2098!)


Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt
und freuen uns auf die Diskussion hier im Parlament.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724027200

Ich schließe die Aussprache.

Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 17/13467 an die Ausschüsse
zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung finden. –
Dazu gibt es keine anderen Vorschläge. Dann ist das so
beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

zur Neuordnung der Regulierung im Eisen-
bahnbereich

– Drucksache 17/12726 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13526 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Valerie Wilms

Vorgesehen ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Damit sind Sie einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es geht in diesem
Gesetzentwurf, zu dem wir heute die zweite und dritte
Lesung abhalten, um eine durchaus abstrakt erschei-
nende Materie, wenngleich sie von ganz erheblicher Be-
deutung für das bahnwirtschaftliche Geschehen in
Deutschland ist.

Ich möchte diese Materie zunächst einmal darstellen
und zwei ganz wesentliche Dinge herausstellen, die uns,
glaube ich, auch überfraktionell verbinden:

Erstens. Wir wollen ein Maximum an Wettbewerb im
Schienenverkehr gewährleisten,


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wozu?)


und zwar sowohl im Bereich des Schienenpersonenver-
kehrs – egal ob im Schienenpersonennahverkehr oder im
Schienenpersonenfernverkehr – als auch im Bereich des
Güterverkehrs.


(Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens. Ich habe mich in Bezug auf die DB von Be-
ginn meiner Amtszeit an – vorher natürlich auch schon –
aus tiefer Überzeugung immer für das Prinzip des inte-
grierten Konzerns ausgesprochen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sören Bartol [SPD]: Hört! Hört! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann ich keinen Beifall mehr klatschen!)


– Frau Wilms, können Sie sich nicht anschließen?

Wie gesagt, das ist meine tiefe Überzeugung. Hier ist
nicht die Zeit, vertieft darüber zu diskutieren und das
ordnungspolitisch zu begründen, aber es muss erwähnt
werden, weil es mir wichtig ist. Dieser Weg führt dann
zu dem Eisenbahnregulierungsgesetz, das entgegen vie-
len anderslautenden Darstellungen zeigt, dass man zwei
Dinge zusammenbringen kann: den integrierten Konzern





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)


mit seinen gesamten strategischen und operativen Vorzü-
gen und gleichzeitig ein Maximum an Wettbewerb.

Schon jetzt haben wir ein Maß an Wettbewerb im
Schienenverkehr in Deutschland, von dem sich andere
Länder in der Europäischen Union dicke Scheiben ab-
schneiden können.


(Martin Burkert [SPD]: Frankreich!)


Ich habe heute noch im Ohr, was Guillaume Pepy, als er
vor etwa einem Jahr hier in Berlin eine Rede gehalten
hat, gesagt hat, nämlich dass Deutschland das Land in
der Europäischen Union sei, in dem auf der Schiene bis
heute der meiste Wettbewerb herrsche. Das sagt der fran-
zösische Bahnchef.

Dieser Wettbewerb kann sich sehen lassen. Es gibt
etwa 350 Wettbewerber zur Bahn. Zahlenmäßig klingt
das viel. In Anteilen ausgedrückt bedeutet das im Be-
reich der Fracht, des Güterverkehrs, 26 Prozent und im
Bereich des Personenregionalverkehrs nach Sitzplatz-
angeboten 24 Prozent. Zugegebenermaßen ist im Schie-
nenpersonenfernverkehr noch viel Raum nach oben; da
liegen wir, was den Wettbewerb anbelangt, etwa bei
1 Prozent. Aber wir sind hier auf dem richtigen Weg.

Jetzt müssen wir die Debatte natürlich gerade auf eu-
ropäischer Ebene führen, insbesondere was das Thema
Unbundling betrifft. Verlangt werden von uns – Stich-
wort 4. EU-Eisenbahnpaket – immer stärker eine weiter-
gehende Zerschlagung der Konzernstrukturen, die Zer-
schlagung des integrierten Konzerns und die Trennung
von Netz und Betrieb.

Meine Richtung ist eine andere. Das habe ich gerade
dargestellt.

Das bedingt und verlangt aber natürlich, dass wir auf
der anderen Seite das Maximum an Wettbewerb sicher-
stellen, das heißt ein Maximum in Bezug auf einen
völlig diskriminierungsfreien Zugang der Wettbewerber
zum Eisenbahnnetz und zu den Stationen, einen diskri-
minierungsfreien Zugang zu Dienstleistungen, die von
der DB erbracht werden. Das heißt beispielsweise
– diese Kinkerlitzchen kennen wir ja; das ist aber in
anderen Ländern nicht besser –, wir brauchen – dann
reguliert – einen diskriminierungsfreien Zugang bei-
spielsweise zu Rangierleistungen oder die Zurverfü-
gungstellung von Fahrkartenverkaufsmöglichkeiten im
Bereich von Stationen.


(Martin Burkert [SPD]: Das haben wir doch alles! In Rosenheim! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weit davon entfernt!)


– Ja, es muss aber kodifiziert werden. Deshalb schaffen
wir genau dieses Eisenbahnregulierungsgesetz, mit dem
wir die Befugnisse, Zuständigkeiten und Kompetenzen
der Bundesnetzagentur stärken. Wir zeigen damit, dass
beides möglich ist: ein diskriminierungsfreier Zugang zu
den Märkten für Wettbewerber der DB und die gleich-
zeitige Aufrechterhaltung des integrierten Konzerns. Ich
finde, das ist ein hervorragender zukunftsweisender
Weg.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Zustimmung der FDP zum integrierten Konzern!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724027300

Martin Burkert spricht jetzt für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1724027400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Herr Minister, nach dieser Rede muss man sich in
der Tat fragen, warum Sie dieses Gesetz eingebracht ha-
ben. Ich muss Ihnen vorhalten, auch heute Abend, dass
die Bundesregierung schienenpolitisch nichts zustande
gebracht hat. Sie hat durch die Bahndividende einerseits,
aber auch durch verkehrsbezogene Geldströme – wenn
ich an die Lkw-Maut denke – andererseits dem Ver-
kehrsträger Schiene immer wieder Geld entzogen.

Herr Minister, Sie haben alles versemmelt. Sie haben
Regionalisierungsmittel in die nächste Periode gescho-
ben. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen? –
Verlängert in die nächste Periode. GVFG-Fortführung? –
Nächste Periode. Alles verschoben. Ich sage Ihnen: Wir
werden das in der nächsten Legislaturperiode richten.


(Beifall bei der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da bin ich aber mal gespannt! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich aber erst, wenn ich es sehe, Herr Kollege!)


Wir sind gut aufgestellt. Schauen Sie in unser Wahlpro-
gramm: verkehrspolitisch exzellent.


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Ich sage Ihnen: Heute ist kein guter Tag für den Ver-
kehrsträger Schiene.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein sehr guter Tag!)


Es wird eine einseitige Regulierung für den Schienen-
verkehr in Deutschland durchgepeitscht. Es gibt kein
verkehrsübergreifendes Konzept in Deutschland. Die
Bundesregierung hat es versäumt, einen Bundesmobili-
tätsplan, der alle Verkehrsträger beinhaltet, aufzustellen.
Sie hätten die Chance gehabt, Herr Minister, einen Mas-
terplan für den Verkehrsmarkt aufzustellen. Wenn diese
Regulierung jetzt scharfgeschaltet wird, gibt es einen
weiteren Wettbewerbsnachteil für die Schiene.

Wir werden nach der Beschlussfassung im ersten
Quartal 2015 durch das Europäische Parlament dieses
Gesetz sowieso wieder auf der Tagesordnung haben. Sie
hätten eigentlich deswegen der gestrigen Ankündigung
in der VerkehrsRundschau folgen sollen und den Tages-
ordnungspunkt einfach absetzen müssen.


(Patrick Döring [FDP]: Quatsch!)


Wer die politischen Abläufe hier in Berlin kennt, der
weiß, dass hier der Schwanz mit dem Hund gewedelt
hat. Wie sich das personifiziert darstellt, das überlasse
ich einmal Ihrer Fantasie.





Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)



(Heiterkeit bei der SPD – Oliver Luksic [FDP]: Das stelle ich mir ungern vor!)


Wissen Sie eigentlich, was Sie hier machen? Sie ent-
ziehen unserem Unternehmen, Herr Minister, der DB
Netz AG, mit dieser Regulierung die Geschäftsgrund-
lage.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch hinten und vorne nicht, Kollege Burkert!)


Sie schaffen mit dieser Überregulierung Fehlsteuerun-
gen und Fehlanreize, die am Ende zu einer Leistungsre-
duzierung führen werden. Die EVG hat Ihnen in diesem
Sinne ihre Sorgen zur Tarifautonomie dargestellt, und
der Konzernbetriebsrat der Deutschen Bahn AG hat in
einem Brandbrief an alle Ministerpräsidenten und Partei-
vorsitzenden die Auswirkungen der heutigen Regulie-
rung beschrieben. Das Ergebnis dieser Regulierung wird
nicht nur zu einer drastischen Reduzierung von Infra-
struktur führen, sondern auch dramatische Arbeitsplatz-
verluste zur Folge haben.

Ich frage Sie: Können Sie sich vorstellen, dass Sie zur
Lufthansa gehen und dort Air-Berlin-Flugtickets bekom-
men? Genau das wird mit dieser Regulierung passieren.


(Patrick Döring [FDP]: Quatsch!)


Sie verlangen, dass der Fahrkartenverkauf einseitig
gemacht wird. Ich sage Ihnen: Wir haben heute ein funk-
tionierendes System. Ich nenne ein Beispiel aus Ihrer
Heimat Rosenheim, wo zwei Fahrkartenausgaben von
der Deutschen Bahn und dem Konzern Veolia hervorra-
gend nebeneinander funktionieren.

Sie führen die Verpflichtung für die Erbringung von
Rangierleistungen ein. Herr Ramsauer, Sie loben das.
Sie haben aber vergessen, eine Sicherung für Vorrang-
verkehre einzuführen. Wir sind froh, dass wir im Güter-
verkehr auf der Schiene wieder einen Anteil von 17 Pro-
zent haben. Aber was glauben Sie eigentlich, wie lange
sich das die Firmen mit Termingüterzügen bieten lassen,
wie lange sich das der Kunde gefallen lässt, bis er den
Verkehrsträger wechselt, weil durch diesen Unsinn der
normale Fahrplanablauf durcheinanderkommt? Sie ha-
ben eben keine Ahnung von der Praxis.


(Beifall bei der SPD)


Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wenn es dann im
Übrigen noch zu Gewinnabführungs- und Beherr-
schungsverträgen kommt, dann ist dies die Trennung
durch die Hintertür. Wir wissen, dass Frau Wilms sich
dafür starkmacht.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch sinnvoll!)


Ich sage: Schauen Sie sich in der Welt um. Wir sind viel
herumgekommen, der Kollege Fischer besonders. Ich
glaube, nur wo integrierte Schienensysteme vorhanden
sind, funktioniert der Bahnverkehr.

Wir alle sind der Auffassung, dass wir in diesem Sys-
tem mehr Geld brauchen.


(Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Wer sind denn „alle“?)


– Wir im Ausschuss. – Bei einer Bilanzierung der Gelder
– das wissen die Experten hier – der DB Netz AG wird
dies per se Auswirkungen auf die Trassenpreise haben,
und zwar nach oben. Wenn die Regulierung zu weniger
Geld im System und im DB-Konzern führt, dann muss
man sich einmal anschauen: Was passiert denn dann
beim Rating?


(Patrick Döring [FDP]: Das ist völlig wirres Zeug!)


Ist dann die Kapitalaufnahme zu diesen Zinssätzen noch
möglich?


(Patrick Döring [FDP]: Wirres Zeug!)


– Herr Döring, Sie wissen genau, was passiert, wenn wir
kein Triple-A mehr, sondern nur noch das Double-A
oder ein einfaches A hätten. Dann müssten wir 200 Mil-
lionen bis 400 Millionen Euro mehr Zinsen zahlen, die
wir dringend für diese Infrastruktur brauchen. Es ist, wie
gesagt, unser Unternehmen, und wir werden diese Fehl-
steuerungen am Ende wieder bezahlen müssen.

Wir können gerne zu einer durchdachten Eisenbahn-
regulierung kommen. Es gibt ohne Zweifel gute An-
sätze. Gute Ansätze sind der Ausschluss zivilrechtlicher
Billigkeitskontrollen, die kapitalmarktübliche Verzin-
sung, ein einheitlicher Zinssatz für alle und die Zustän-
digkeit des Oberverwaltungsgerichts bei Rechtsbehel-
fen. Es gibt viele Punkte in dem Gesetzentwurf, die sehr
gut sind.

Wir sollten zu diesem Zeitpunkt auch einmal darüber
nachdenken und beleuchten, wie viel Kompetenz wir in
diesem Parlament der Bundesnetzagentur übertragen
möchten und ob uns dann noch ein Beirat zur Auskunft
ausreicht. Auch darüber sollten wir ernsthaft nachden-
ken. Es lohnt auch, darauf zu blicken und darüber nach-
zudenken, wer die Bundesnetzagentur überwacht, wenn
sie diese Kompetenzen bekommt. Das Parlament sollte
also genau prüfen, welche Rechte es an eine Behörde ab-
gibt.

Zum Schluss darf ich Ihnen noch sagen: Die Zustim-
mung des Bundesrates haben Sie heute noch nicht. Dort
wird es auch keinen Schnellschuss-Jerry-Cotton Döring
geben, der hier mitwurstelt. Sie haben viele Fragen un-
geklärt gelassen. Jetzt freuen wir uns darauf, dass heute
Nacht – wenn auch die Reden zu Protokoll gehen – noch
ein gutes Gesetz auf den Weg kommt. Das ist aber nur
ein schwacher Trost bei dem Desaster.

Ich bin trotzdem froh, dass wir heute Nacht für die
nicht bundeseigenen Eisenbahnen Geld zur Verfügung
stellen, damit die Infrastruktur verbessert werden kann.
Darüber werden wir leider nicht mehr reden können.
Aber dieses Desaster wird hoffentlich im Bundesrat ein
Ende finden.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich nicht!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724027500

Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1724027600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gilt in Ber-
lin der Spruch, dass man, wenn man etwas geheim halten
will, im Plenum nach 18 Uhr vorträgt. Aber ich will die
Gelegenheit nutzen, weil alle hier im Haus und Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribü-
nen, wissen sollen: Es ist beschämend, dass die Sozial-
demokratische Partei Deutschlands acht Minuten ihrer
Redezeit einem knallharten Eisenbahnlobbyisten aus
dem Gewerkschaftsvorstand der Eisenbahngewerkschaft
zur Verfügung stellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Pfui! – Gustav Herzog [SPD]: Jetzt redet ein FDP-Aufsichtsrat! – Iris Gleicke [SPD]: Mövenpick!)


Ich halte es für nachgerade unangemessen, Herr Kol-
lege Burkert, dass Sie mit keinem Wort erwähnen, dass
die von der Sozialdemokratie regierten Bundesländer
und die von der Sozialdemokratie gestellten Verkehrsmi-
nister in den Bundesländern viel mehr Regulierung wol-
len, als wir es in dem Gesetzentwurf vorsehen. Das ge-
hört zu dem Programmbruch in Ihrer Partei dazu.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie sind in der Minderheit. Deshalb ist es doppelt be-
schämend, dass Sie die ganze Redezeit verbraten dürfen.


(Sebastian Körber [FDP]: Das stimmt leider! – Gustav Herzog [SPD]: Jetzt redet der Aufsichtsrat!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
in dieser Wahlperiode die Investitionen in die Schienen-
wege gesteigert, den Lärmschutz erhöht und den Schie-
nenbonus abgeschafft, damit die Bürgerinnen und Bür-
ger an der Schiene ruhiger leben können.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Wie lange haben Sie gebraucht, um den Schienenbonus abzuschaffen? Peinlich!)


– Sehr geehrter Herr Kollege Herzog, der berühmte
Bundesverkehrsminister Stolpe, der Verkehrsminister
Müntefering und „Pfütze“


(Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der SPD: Jerry Cotton!)


haben sich nicht einmal bemüht, den Schienenbonus ab-
zuschaffen. Wir haben es gemacht: die Koalition aus
Union und FDP.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich halte es nachgerade für unverschämt, den Ein-
druck zu erwecken, dass mit diesem Gesetz weniger
Wettbewerb möglich wird. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wir haben als Deutscher Bundestag seit der Priva-

tisierung der Deutschen Bahn immer dafür gesorgt, dass
mit den Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt in die In-
frastruktur die Trassenpreise niedrig bleiben. Jeder weiß,
dass man die Kapitalkosten für die Infrastruktur Schiene
nicht verdienen kann, auch nicht mit Trassenentgelten.

Wir wollen viel Eisenbahnverkehr, und deshalb sor-
gen wir mit staatlichen Zuschüssen in beträchtlicher
Höhe – es sind fast 5 Milliarden Euro – für eine gute Ei-
senbahninfrastruktur.


(Martin Burkert [SPD]: D’accord!)


Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es weder in
Deutschland noch in Europa zulässig sein darf, dass die
bundeseigenen Unternehmen auf einem Wettbewerbs-
markt bei den Trassenpreisen anders behandelt werden
als die nicht bundeseigenen Unternehmen. Wir wollen
mehr Wettbewerb wagen, und das seit 1994 und nicht
erst seit 2013.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es richtig, im Eisenbahnregulierungsge-
setz klarzustellen: Beim Bezug von Bahnstrom, beim
Zugang zu Eisenbahninfrastrukturanlagen, beim Zu-
gang zu Bahnhöfen und bei den Trassenpreisen gilt glei-
ches Recht für alle. Genauso wie bei den Stromnetzen
und den Telekommunikationsnetzen gibt es dafür eine
Behörde. Das ist die Bundesnetzagentur. Sie hat ein mit
Mitgliedern des Deutschen Bundestages besetztes Auf-
sichtsgremium, nämlich den Beirat. Das ist eine Behörde
des Bundes, und sie handelt nach Recht und Gesetz. Es
ist gut, dass wir das, was bei Telekommunikations- und
Stromnetzen gilt, auf die Eisenbahn übertragen. Wir
wollten das.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass sich
mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz nicht alle Pro-
bleme, die wir auf dem Eisenbahnmarkt haben, lösen
lassen. Aber wir werden ein Stück weit mehr Wettbe-
werb und mehr Rechtssicherheit für jene bekommen, die
sich auf diesem Markt bewegen. Wenn ich mir das Kla-
gelied, das der Kollege Burkert zu Beginn seiner Rede
angestimmt hat, durch den Kopf gehen lasse, dann wun-
dere ich mich, dass wir derzeit so viele Personen und so
viele Tonnenkilometer im Schienennetz zu verzeichnen
haben wie noch nie in der Geschichte der DB AG.


(Martin Burkert [SPD]: Ja, wunderbar! Was brauchen wir dann den Sums?)


Der Fernverkehr und der Nahverkehr brummen. Es wer-
den mehr Menschen von der Deutschen Bahn AG, aber
auch von den vielen Wettbewerbsunternehmen befördert
als jemals zuvor. Wir wollen mehr Menschen auf der
Schiene befördern. Aber wir wollen nicht bestimmen, ob
durch bundeseigene Unternehmen oder durch andere
Unternehmen. Das unterscheidet uns von den Sozialde-
mokraten.





Patrick Döring


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An einem Punkt sind wir noch nicht so weit, wie wir
sein wollten. Das betrifft die Frage, ob tatsächlich alle,
die das Netz vermarkten, zuallererst das Interesse haben,
dass das Netz ausgelastet ist. Letztendlich ist die Frage,
wie der Konzern, der dem Bund gehört, organisiert ist,
nicht die Schlüsselfrage. Entscheidend ist vielmehr, dass
wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass durch die
mit Steuergeldern finanzierte öffentliche Infrastruktur so
viel Schienenverkehr wie möglich abgewickelt wird.
Deshalb muss sichergestellt sein, dass derjenige, dem
das Netz gehört, Schienenverkehre nicht verhindert. Es
ist gut, dass die Bundesnetzagentur Zugriff auf die Ver-
gabe von Trassen und die Gestaltung von Trassenpreisen
hat. Denn darum geht es: Viel Verkehr auf der Schiene,
egal durch wen, Hauptsache, Schienenverkehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Letzter Punkt. Die DB AG ist wirtschaftlich erfolg-
reich. Die DB AG gibt es nur, weil der Bund und die
Vorgänger des Bundes seit 175 Jahren Schieneninfra-
struktur geschaffen haben und weil die Bundesrepublik
Deutschland nach der Bildung der Aktiengesellschaft
15 Jahre auf Dividenden verzichtet hat, da es dem Unter-
nehmen nicht gut ging. Das war richtig. Wenn es aber
dem Unternehmen gut geht und der Konzern mit Perso-
nen- und Güterverkehr Geld verdient, dann ist es der An-
spruch des Parlaments und dieser Koalition, dass unser
Kapital verzinst wird und dass ein Teil der Dividende zu-
rückfließt.


(Sören Bartol [SPD]: Bezieht sich das jetzt auf den Parlamentarier oder auf den Aufsichtsrat?)


Ich bin Bundesverkehrsminister Ramsauer dankbar, dass
er dafür gesorgt hat, dass diese Mittel in die Eisenbahn-
infrastruktur zurückfließen, über die wir hier entschei-
den.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724027700

Sabine Leidig hat das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Martin Burkert [SPD]: So, Frau Leidig, auf sie mit Gebrüll!)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724027800

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe, ehrlich gesagt, kein Interesse an einer Kapital-
verzinsung, sondern ein Interesse an einer gut funktio-
nierenden Bahn. Ich benutze sie täglich.


(Zuruf von der FDP: Bla, bla, bla!)


Es interessiert mich überhaupt nicht, wie die Kapitalver-
zinsung in den Staatshaushalt einfließt.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht um Lebensqualität und darum, dass wir eine
Bahn haben, die für die Bürgerinnen und Bürger funktio-
niert.


(Patrick Döring [FDP]: Das haben wir an der Reichsbahn der DDR gesehen, wie das gut funktioniert hat!)


Es gab gestern im Ausschuss eine Expertenanhörung
zu dem Entwurf Ihres Gesetzes, mit dem Sie versuchen,
die Eisenbahn zu regulieren, ohne allerdings das Grund-
problem, auf das wir immer wieder stoßen, anzutasten.
Sie haben die Deutsche Bahn AG wie einen privatwirt-
schaftlichen Konzern aufgestellt,


(Zuruf von der FDP: Genau!)


der seine Geschäftspolitik, wie Sie es gerade schon ge-
sagt haben, an einem möglichst großen Bilanzgewinn
ausrichtet.


(Oliver Luksic [FDP]: Sie wollen nur Verluste! Möglichst hohe Verluste!)


Dazu gehört natürlich, dass man die Nahverkehrsun-
ternehmen und Privatbahnen mit saftigen Trassenpreisen
und Stationsgebühren belasten muss, damit der Gewinn
steigt. Dazu gehört, dass langfristige Investitionen in die
Infrastruktur vernachlässigt werden.


(Zuruf von der FDP: Quatsch!)


Dazu gehört, dass sogenannte Wettbewerber auf der
Schiene benachteiligt werden.


(Zuruf von der FDP: Auch Quatsch!)


Dazu kommt, dass weder die politisch Verantwortlichen
noch die Vertragspartner noch die Aufsichtsbehörden
wie die Bundesnetzagentur oder der Bundesrechnungs-
hof die nötigen Daten und Informationen bekommen,
um dieses Unternehmen wirklich wirkungsvoll kontrol-
lieren zu können. Ganz vieles unterliegt dem Betriebsge-
heimnis. Es gibt keine Transparenz. Das alles ist weit
von dem entfernt, was wir gerade im Rahmen der Infor-
mationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger diskutiert
haben.

Das Gegenstück dazu sind die Schweizerischen Bun-
desbahnen, die auch als Aktiengesellschaft organisiert
sind und wie bei uns zu 100 Prozent in der Hand des
Bundes sind.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Dann wandern Sie doch aus in die Schweiz!)


In der Schweiz sind alle wesentlichen Betriebs- und Pla-
nungsdaten im Internet für alle öffentlich zugänglich, so-
dass die Bürgerinnen und Bürger beobachten können,
was ihr Unternehmen treibt und plant.


(Oliver Luksic [FDP]: Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie so ein Schweiz-Fan sind! Das ist etwas Neues!)


Ich finde, so muss es auch sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Obwohl auch in der Schweiz die Eigenwirtschaftlich-
keit der Bundesbahnen gewährleistet ist, gibt es dort ein





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)


völlig anderes Grundverständnis und eine andere Grund-
ausrichtung des Eisenbahnunternehmens. Erstens. Der
Eigentümer Bund stellt fest, dass eine schwarze Null in
der Bilanz ausreicht,


(Oliver Luksic [FDP]: Da kann man gut investieren, wenn man eine Null hat! Das geht super gut mit einer Null!)


weil damit nämlich volkswirtschaftlich mehr gewonnen
ist, als wenn die Gewinne irgendwo in einer Bilanz kon-
zentriert werden; denn auf der anderen Seite gehen damit
Verluste einher, sei es, dass die Regionalbahnen höhere
Trassenpreise entrichten müssen, sei es, dass die Bahnti-
ckets immer teurer werden und damit die Fahrgäste zur
Kasse gebeten werden oder dass Infrastrukturinstandhal-
tungsmaßnahmen zu Buche schlagen, die lange Zeit ver-
nachlässigt wurden. Das wäre der richtige Schritt auch
bei uns. Die Deutsche Bahn AG muss am Allgemein-
wohl, am volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen ausge-
richtet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde übrigens, dass die Kollegen von der SPD
durchaus einen Schritt weitergehen sollten.


(Patrick Döring [FDP]: Die wollten die Bahn und das Netz privatisieren, nicht wir!)


Ich halte es für halbherzig, zu sagen: Wir wollen die
Deutsche Bahn AG, aber wir wollen gleichzeitig diese
Konzernstruktur und diese Konzernausrichtung beibe-
halten. – Das passt nicht zusammen, Herr Kollege
Burkert. Ich finde, dass ein Unternehmen in öffentlicher
Hand – da sind wir als Linke schon sehr weit vorange-
schritten und haben konkrete Vorschläge entwickelt – an
gesellschaftlichen Zielen ausgerichtet werden muss, für
die Bund und Länder Verantwortung tragen, und zwar
zum Teil im Grundgesetz verankerte Verantwortung.
Wettbewerb ist kein solches Ziel.


(Patrick Döring [FDP]: Natürlich! Wir sind in der sozialen Marktwirtschaft! Schon mal was davon gehört?)


Sie sind nicht verantwortlich für Wettbewerb. Wettbe-
werb an sich nützt gar nichts.


(Patrick Döring [FDP]: Das kann man nur als Sozialist verbreiten!)


Wettbewerb ist überhaupt keine inhaltliche Angelegen-
heit.


(Patrick Döring [FDP]: Staatsmonopolkapitalismus!)


Ein Ziel wäre zum Beispiel – Herr Döring, das würden
Sie verstehen, wenn Sie öfter in der Fläche unterwegs wä-
ren – ein flächendeckendes Fernverkehrsangebot. Es
steht im Grundgesetz, dass der Bund dafür Verantwor-
tung hat.


(Patrick Döring [FDP]: Ein Menschenrecht auf einen ICE! Ein wirres Zeug!)


Ein notwendiges Ziel ist auch, dass Bahnen und
Busse miteinander vertaktet werden, und zwar deutsch-

landweit, damit die Leute zuverlässig an den Bahnhöfen
umsteigen können.


(Patrick Döring [FDP]: Zurück zum Staatsmonopolkapitalismus!)


Die Forderung nach einem integralen Deutschlandtakt
erhebt auch die Bundesarbeitsgemeinschaft des Schie-
nenpersonennahverkehrs. Ich weiß nicht, ob Sie die für
einen sozialistischen Verein halten.


(Patrick Döring [FDP]: Deutschlandtakt ist etwas anderes als ein Menschenrecht auf ICE! Das wissen Sie genau!)


Ich weiß, dass die Länderbahnen dort organisiert sind.
Ein sinnvolles Ziel wäre zum Beispiel auch, dass die
Fahrgäste mit einem Ticket und einem Preissystem durch
das ganze Land kommen.


(Patrick Döring [FDP]: Einheitslöhne, Einheitsrente, Einheitsticket!)


Das wäre tausendmal wichtiger und kundenfreundli-
cher –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724027900

Frau Kollegin.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724028000

– als eine gesetzliche Regulierung, die festschreibt,

dass verschiedene Fahrkartenautomaten an einem Bahn-
steig stehen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724028100

Frau Kollegin.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724028200

Ich komme zum Schluss. – Wir sagen ganz klar: Wir

wollen keine Kontrollbehördenbürokratie, wie Sie es
jetzt hier vorschlagen, sondern wir wollen eine Bahn,


(Patrick Döring [FDP]: Die macht, was sie will!)


die kooperativ und am Gemeinwohl ausgerichtet ist und
in diesem Rahmen eigenwirtschaftlich arbeiten kann.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724028300

Jetzt hat Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen

das Wort.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724028400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine Damen und Herren Besucherinnen und Be-
sucher, Sie sehen hier eine äußerst interessante Debatte,
der Sie entnehmen konnten: Was Kollege Döring gesagt
hat, war zwar hochinteressant, aber leider nicht kongru-
ent mit dem, was der Minister dieser schwarz-gelben





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


Koalition erzählt hat. Das passt irgendwie noch nicht so
ganz zusammen.


(Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Kein Blatt Papier passt dazwischen!)


Dieser Zustand wird im September beendet; dann ist Fei-
erabend.

Worum geht es heute? Im Kern geht es darum, ob ein
Staatskonzern auf Kosten des Nahverkehrs weiter Milli-
ardengewinne erzielen soll. Ich habe nichts gegen Ge-
winne. Ich freue mich auch, dass die Bahn gut aufgestellt
ist. Insofern bin ich an dieser Stelle deckungsgleich mit
dem Kollegen Döring. Ich bin aber überzeugt, dass dies
nicht zulasten eines vernünftigen Nahverkehrs auf der
Schiene gehen darf.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist aber so!)


Der Wettbewerb hat das System Bahn – werte Kollegin
Leidig, da können Sie sich noch sehr echauffieren –
wirklich besser gemacht. Mit dem heutigen Gesetz kön-
nen wir diesen Wettbewerb auch endlich fair machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Tosender Beifall von der FDP!)


Das fehlt nämlich noch.

Wir können nicht zulassen, dass die Nutzung einer
Bahnstation für einen Wettbewerber der DB exorbitant
teuer wird. Dann gibt es diese Wettbewerber mit ihren
guten Angeboten nämlich bald nicht mehr; darüber re-
den wir hier. Deswegen ist die Regulierung für uns
Grüne zwingend notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich halte eine Mehrheit im Bundestag und im Bundes-
rat weiterhin für möglich, auch wenn die Meinungen
jetzt noch sehr weit auseinanderliegen. Die Bundesregie-
rung hat ihre ersten Vorschläge nachgebessert. Auch der
Bundesrat hat sich mit breiter Mehrheit zu diesem Ge-
setz bekannt. Er hat natürlich auch Änderungen vorge-
schlagen, wie es dort so üblich ist. Das müssen wir jetzt
zusammenbringen.

Uns als Abgeordneten muss klar sein, dass wir vor al-
lem eine Gesamtverantwortung tragen. Wir dürfen nicht
nur das Wohl des Bundesunternehmens Deutsche Bahn
im Blick haben. Es ist grundsätzlich in Ordnung, wenn
die Deutsche Bahn ihre Interessen verteidigt. Daher la-
den wir die DB zu Anhörungen in den Ausschuss ein. Es
ist aber eine Unverschämtheit, wenn die DB noch wäh-
rend der Ausschussberatungen bei der Kanzlerin interve-
niert und auf die Absetzung dieses Tagesordnungspunk-
tes von der heutigen Plenarsitzung drängt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das dürfen wir uns als frei gewählte Abgeordnete nicht
bieten lassen. Wir müssen noch einmal deutlich sagen:
Die Deutsche Bahn gehört dem deutschen Staat und
nicht der deutsche Staat der Deutschen Bahn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf
enthält einige sinnvolle Ansätze. Er muss aber deutlich
verbessert werden. In der jetzigen Form hat dieser Ent-
wurf zu viele Mängel. Dem können wir so nicht zustim-
men. Für uns Grüne sind die Ländervorschläge zur Be-
endigung der Gewinnabführung wichtig. Auch die
Möglichkeit zur Abstufung regionaler Schienenstrecken
sehen wir als wichtigen Baustein für einen besseren
Schienenverkehr. Darüber möchten wir reden. Aber viel-
leicht können wir diese Fragen anderweitig lösen.

Es sollte jetzt unser gemeinsames Ziel sein, den Ver-
mittlungsausschuss anzurufen, um dort noch einen Kom-
promiss zu finden. An unserer Bereitschaft soll es nicht
mangeln.

Für die Mehrheit der Experten in der Anhörung war
ein Gesetz wichtiger als kein Gesetz; das haben wir am
Mittwoch deutlich gehört. Es wurde deswegen vorge-
schlagen, sich auf die Punkte zu konzentrieren, die es-
senziell zur Regulierung gehören. Hier könnte man in
den Verhandlungen nämlich ansetzen.

Wir müssen also vor allem über die Transparenz in
der Verrechnung konzerninterner Leistungen und die
Frage der Kapitalverzinsung sprechen. Herr Kollege
Burkert, das ist nämlich der entscheidende Punkt. Da
wird getrickst ohne Ende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Außerdem müssen wir bei der zivilrechtlichen Kon-
trolle, der sogenannten Billigkeitskontrolle, und den
Ausnahmemöglichkeiten für bestimmte Kostenblöcke
Lösungen finden. Damit könnten wir zumindest in die
Regulierung einsteigen.

Ich appelliere an alle hier im Hause und auch im Bun-
desrat, dieses Gesetz nicht zu versenken. Wir haben es
jetzt in der Hand. Schaffen wir noch eine Lösung bis
zum Ende der Wahlperiode!

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724028500

Für die CDU/CSU-Fraktion hat Ulrich Lange jetzt

das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Martin Burkert [SPD]: Schauen wir mal, vielleicht können wir ja mal jetzt klatschen! – Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1724028600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Burkert, Sie dürfen klatschen zu der her-
vorragenden Schienenpolitik, die wir in den letzten vier
Jahren gemacht haben:


(Lachen bei der SPD)


Schienenbonus, Infrastrukturbeschleunigungsprogramm
und heute Eisenbahnregulierung. Ich glaube, das ist ei-
nen Applaus für uns und unseren Bundesminister wert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Ist schon wieder Fasching, oder was?)


– Den Fasching, glaube ich, hat der Kollege Burkert sel-
ber ein bisschen eingeleitet. Lassen Sie uns wieder zum
Ernst der Debatte kommen.

Das ist heute ein großer und richtiger Schritt im Rah-
men der vielen Reformen, die die Bahn seit ihrer Zeit als
Deutsche Bundesbahn in den letzten Jahren und Jahr-
zehnten gemacht hat. Wir setzen mit dem heute vorlie-
genden Gesetzentwurf einen wesentlichen Baustein des
Koalitionsvertrages um; lieber Kollege Döring, unseres
Koalitionsvertrages. Ich war mir gerade nicht so sicher,
ob ich zwischendurch nicht die Anbahnung einer gelb-
grünen Koalition herausgehört habe. Wir sind da aber
recht ruhig: Es wird nicht reichen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind einen großen Schritt weiter. Wir haben den
Spannungsbogen zwischen Wettbewerb und Überregu-
lierung, lieber Kollege Burkert, den Sie im Ausschuss so
sehr beklagt haben, gut bewältigt, auch dank des Einsat-
zes des Ministeriums und unseres Bundesministers, der
in den letzten Tagen und Stunden stark dafür gekämpft
hat, dass wir heute hier stehen. Ich sage in aller Deutlich-
keit: Es war uns Verkehrspolitikern wichtig, dass wir
dieses Gesetz auf den Weg bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was machen wir? Wir regulieren den Zugang zur Ei-
senbahninfrastruktur und die Nutzungsentgelte. Wir stär-
ken aber vor allem die Befugnisse der Bundesnetzagen-
tur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass es
uns damit sehr wohl gelungen ist, einen Einstieg in eine
echte Regulierung zu finden.

Wir regeln – das wurde vorhin schon angesprochen –
den Zugang zur Bahninfrastruktur neu. Die Rangier-
dienstleistungen sind schon angesprochen worden, aber
auch das Zugangsrecht zu den Werksbahnen. Ganz wich-
tig ist – das ist in meinen Augen für viele Servicestatio-
nen eine gute Botschaft heute Abend –: Die Stilllegung
von Serviceeinrichtungen ist zukünftig genehmigungs-
pflichtig.


(Martin Burkert [SPD]: Das ist ein guter Punkt! – Beifall des Abg. Martin Burkert [SPD])


– Das ist ein guter, wichtiger Punkt. Herr Kollege
Burkert, ich habe so sehr auf Ihren Applaus gewartet.


(Martin Burkert [SPD]: Ich habe es ja gewusst! – Sören Bartol [SPD]: Wir können das nachher auch noch mal klarmachen!)


Wir stärken die Bundesnetzagentur in wesentlichen
Punkten: Genehmigung der Entgelte für die Trassen-
rechte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zusam-
mengesessen und versucht, auszuloten, an welchen Stel-
len noch der eine oder andere Bewegungsspielraum be-
steht. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir mit
unserem Änderungsantrag im Ausschuss viele Vor-
schläge des Bundesrates aufgenommen haben, ob das
die Schmalspurbahnen, die Befreiungsmöglichkeit für
Schienenwege, die nicht mit anderen Schienenwegen
vernetzt sind, oder die Förderung der NE-Bahnen be-
trifft. Kollege Burkert, da waren wir uns ganz einig.


(Martin Burkert [SPD]: Jawohl!)


Das ist heute – das haben wir zu Protokoll gegeben –
ein guter Tag für den Schienenverkehr in Deutschland.
Ich nenne die Ausnahmen von der Anreizregulierung für
kleine Eisenbahninfrastrukturunternehmen und viele
Dinge mehr. Wir haben also sehr genau geschaut, an
welchen Stellen wir wie regulieren, wo wir dem Markt
freien Lauf lassen, wo wir aber auch Schutzinteressen
haben. Die SPD-Fraktion verweist jetzt auf den Bundes-
rat: Viele Änderungsvorschläge des Bundesrates sind na-
türlich rein den Länderinteressen geschuldet. Sie sind
stellenweise offensichtlich sachfremd. In vielen Punkten
sind sie so weit regulierend, dass sie sogar die Effektivi-
tät des Gesetzes gefährden. Deshalb kann ich nur an die
Länder appellieren, dieses Gesetz im Bundesrat nicht zu
blockieren; denn wenn man 80 bis 90 Prozent eines Ge-
setzes für gut erachtet, kann man nicht aus irgendwel-
chen Spielchen oder wahltaktischen Überlegungen eine
so wesentliche Reform im Eisenbahnverkehr stoppen.
Das wäre falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen Satz zu den Fahrscheinen sagen; denn hier
wird mit – so muss man fast sagen – unlauteren Worten
gearbeitet. Wir regulieren nicht, wir wollen nur eine
Missbrauchskontrolle, und das ist ein Unterschied. Miss-
brauchskontrolle heißt: Wir wollen einen diskriminie-
rungsfreien Zugang. Es ist im Interesse aller bahnfahren-
den Kunden, dass man sich darauf verlassen kann, sich
auf dem gesamten Schienennetz mit allen Anbietern frei
bewegen zu können. Dafür müssen wir einstehen.

Insgesamt ist es ein gelungener Gesetzentwurf, ein
großer Schritt in die richtige Richtung. Vom Minister
wurde die europäische Komponente angesprochen. Hier
werden wir natürlich immer wieder nachsteuern oder
nachregulieren.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724028700

Herr Kollege.






(A) (C)



(D)(B)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1724028800

Ich kann jetzt nur sagen: Für das ökologische Ver-

kehrsmittel Schiene ist es heute ein guter Tag. Und an
den Bundesrat: Stellt die Weichen in die richtige Rich-
tung!

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724028900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuord-
nung der Regulierung im Eisenbahnbereich. Der
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13526, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 17/12726 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen
das bitte mit Handzeichen deutlich machen. – Die
Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zu-
stimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Opposi-
tionsfraktionen haben dagegen gestimmt.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer ist dafür und erhebt sich
deswegen? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Ent-
haltungen gibt es nicht, nur einzelne, die sitzen bleiben.
Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überprüfung der Namen von Bundeswehrka-
sernen

– Drucksachen 17/11208, 17/11724 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Wolfgang Hellmich
Joachim Spatz
Paul Schäfer (Köln)

Omid Nouripour

Hier ist es vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Das
ist dann so beschlossen.

Der erste Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1724029000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist ein erfreulich bundeswehrstarker Tag im Ple-
num. Zu fast guter Letzt diskutieren wir auch noch einen
Antrag der Fraktion der Grünen und der Fraktion der
Linken, der sich mit der Frage der Benennung von Bun-
deswehrkasernen beschäftigt.

Die CDU/CSU-Fraktion wird diesen Antrag ableh-
nen. Auch der Ausschuss hat empfohlen, diesen Antrag
abzulehnen. Wir sind der Meinung, dass er zum einen in
vielen Punkten überholt ist. Vieles von dem, was in dem
Antrag gefordert wird, wird konkret umgesetzt. Zum
Beispiel wurden uns im Verteidigungsausschuss die
Kurzanalysen des Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr, dem früheren
Militärgeschichtlichen Forschungsamt, zugeleitet. Das
war eine der Forderungen in diesem Papier.

Zum anderen erweckt der Antrag den Eindruck, dass
im Bereich der Beschäftigung mit den Lebensläufen der
Namensgeber für Kasernen der Bundeswehr nichts ge-
schehen sei. Genau das Gegenteil ist der Fall: Es gibt ge-
rade in diesem Jahr eine ganze Reihe von Umbenennun-
gen. Diese sind entweder im Gange oder bereits erfolgt.
Ich möchte nur die Medem-Kaserne in Holzminden, die
General-Hüttner-Kaserne in Hof und die Generaloberst-
von-Fritsch-Kaserne in Pfullendorf nennen. Das sind
drei Beispiele. Weitere werden folgen. Sie wissen: Es
gibt vor Ort, in den Räten und Garnisonen der jeweiligen
Städte, Gespräche darüber, welche Empfehlung in Rich-
tung Verteidigungsministerium abgegeben werden soll.
Es wird dann auch konsequent gehandelt.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zum Thema der
Namen für Einrichtungen der Bundeswehr einiges
Grundsätzliches zu sagen. Man könnte es sich einfach
machen. Ein Stück weit machen wir es uns bei Luftwaf-
fen- und Heereskasernen auch einfach, indem wir uns
von Personennamen gänzlich wegbewegen und uns ein-
fach an regionale Bezeichnungen halten. Bei der Marine
zum Beispiel haben wir ausschließlich Städte- und Län-
dernamen sowie Flussbezeichnungen, also harmlose Be-
griffe. Lediglich der eine oder andere Begriff ist viel-
leicht aus ästhetischen Gründen verbesserungswürdig.
Auf einem Schnellboot „Hyäne“ fahren zu müssen, ist
vielleicht nicht jedermanns Sache. Das ist aber, glaube
ich, kein Thema für eine Historikerkommission, sondern
eher eine Frage des Geschmacks.

Die Tendenz geht dahin, Kasernen, die bisher nach
Soldaten benannt waren, nun nach Regionen zu benen-
nen. Ich glaube aber dennoch, dass wir die Gelegenheit
nicht verpassen sollten, auch in der Bundeswehr an die-
jenigen Soldaten zu erinnern, und zwar an Soldaten aller
Armeen auf deutschem Boden, die in ihrem Dienst die
Herausforderung, Soldat zu sein, in vorbildlicher Weise
gemeistert haben. Solche Beispiele gibt es selbstver-
ständlich. Das wird auch in diesem Hause keiner bestrei-
ten.

Im Traditionserlass von 1982 – das ist eines der letz-
ten zugegebenermaßen guten Werke der sozial-liberalen
Koalition aus dem Jahr 1982 – heißt es:





Jürgen Hardt


(A) (C)



(D)(B)


Kasernen und andere Einrichtungen der Bundes-
wehr können mit Zustimmung des Bundesministers
der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt
werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder
eine herausragende Tat um Freiheit und Recht ver-
dient gemacht haben.

Eine herausragende Tat wäre zum Beispiel die des
Grafen von Stauffenberg, um ein konkretes Beispiel zu
nennen.

Wenn wir uns dazu entschließen, die Kasernen nicht
nach Landschaften, sondern weiterhin nach Personen zu
benennen – ich bin der Meinung, dass wir das tun sollten –,
dann sollten wir den Blick natürlich verstärkt auf die
Bundeswehr richten. Wir haben mittlerweile eine Bun-
deswehrtradition und damit eine Vielzahl vorbildlicher
Soldaten in ihren Reihen, welche als Vorbild für die Na-
mensgebung von Kasernen infrage kommen. Das sind
zum Beispiel Generalinspekteure. Das könnten aber
auch einzelne Soldaten sein, die Herausragendes geleis-
tet haben. Wir verleihen seit einiger Zeit an Soldaten, die
im Auslandseinsatz Besonderes geleistet haben, Medail-
len für Tapferkeit. Sicherlich wäre es eine weitere Wür-
digung, wenn vielleicht der eine oder andere zum Na-
mensgeber der Kaserne würde, in der er gedient hat.

Ich möchte an dieser Stelle zu guter Letzt noch anfü-
gen, dass ich der Meinung bin, dass wir früher oder spä-
ter auch eine Kaserne nach einer Frau benennen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frauen machen in der Bundeswehr mittlerweile einen
Anteil von 9 Prozent aus.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das hat aber jetzt mit Emanzipation nichts zu tun!)


Ich möchte zum Beispiel auf die erste Frau hinweisen
– sie ist vor längerer Zeit aus Altersgründen aus der
Bundeswehr ausgeschieden –, die General wurde, eine
Generalärztin. Warum soll nicht ein Bundeswehrkran-
kenhaus oder ein Sanitätszentrum der Bundeswehr nach
Frau von Weymarn benannt werden? Das ist nur eine
kleine Anregung, um die Fülle der Ideen, die man in die-
sem Bereich, wie ich finde, sinnvollerweise entwickeln
könnte, anzusprechen.

Es sollen also weiterhin Namen von Personen für die
Namensgebung von Bundeswehrkasernen benutzt wer-
den. Die Überprüfung der bestehenden Namensgebun-
gen ist in vollem Gange. Wir tun dies in Konzentration
und in Zusammenarbeit mit den Regionen, mit den be-
troffenen Soldaten sowie mit den Stadträten und Ge-
meinderäten in den Orten, wo sich eine entsprechende
Garnison befindet. Denn wir wollen das in einem mög-
lichst breiten Konsens lösen.

Wir sollten uns beim Finden neuer Namen nicht nur
an schönen Landschaften wie die im Allgäu oder in
Oberfranken orientieren, sondern uns ganz konkret den
Vorbildern der Bundeswehr im 20. und 21. Jahrhundert
zuwenden. Ich glaube, dann werden wir insgesamt zu ei-
nem sehr guten Ergebnis kommen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724029100

Der Kollege Ullrich Meßmer spricht jetzt für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ullrich Meßmer (SPD):
Rede ID: ID1724029200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Hardt, die Diskussion um die Benennung von
Bundeswehrstandorten, auch um die Frage, welche Na-
men oder Landschaften man einbeziehen kann, ist ei-
gentlich sehr spannend. Ich komme gleich auf den Erlass
zurück, den Sie schon zitiert haben.

Wenn man darüber redet, Standorte nach Frauen zu
benennen, sollte man auch über Frauen nachdenken, die
sich in anderen Bereichen verdient gemacht oder sich im
Parlament für Recht und Freiheit eingesetzt haben. Da
würden mir Politikerinnen einfallen, die man nehmen
könnte, weil sie viel geleistet haben. Ich denke zum Bei-
spiel an Rita Süssmuth und Annemarie Renger. Auch
das wäre ein Gedanke, den man bei diesem Thema ins
Gespräch bringen könnte.

Ich finde es gut, dass eine Debatte über die Benen-
nung von Standorten der Bundeswehr geführt wird.
Diese Debatte hat dazu geführt, dass auch unter den Sol-
datinnen und Soldaten eine Diskussion um die Namens-
gebung entbrannt ist. Ich glaube, dass dies eine richtige
Entwicklung ist, entspricht es doch der Leitlinie des Sol-
daten als Bürger in Uniform, die gefasst worden ist.

Natürlich müssen wir feststellen, dass Kasernen ge-
rade in der Phase der Gründung der Bundeswehr oftmals
nach Vorbildern benannt wurden, die sich im rein militä-
rischen oder militärisch-handwerklichen Sinne hervorge-
tan haben. Dabei wurden teilweise – das können wir heute
feststellen – unreflektiert Namen übernommen, die be-
reits bestanden hatten. Wir brauchen an dieser Stelle nicht
den einzelnen Namen nachzugehen; denn die den Abge-
ordneten seit Mitte Januar 2013 als Drucksache vorlie-
gende Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsam-
tes spricht eine deutliche Sprache. In der Studie wird
deutlich, dass sich die Namensgebung tatsächlich häufig
an Werten orientiert hat, die mit dem heutigen von Ihnen,
Herr Kollege Hardt, wiedergegebenen Grundverständnis
und Traditionsverständnis der Bundeswehr nicht mehr
übereinstimmen.

In den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur
Traditionspflege in der Bundeswehr heißt es:

Maßstab … sind das Grundgesetz und die der Bun-
deswehr übertragenen Aufgaben und Pflichten. Das
Grundgesetz ist Antwort auf die deutsche Ge-
schichte.

Weiter heißt es:

Alles militärische Tun muss sich an den Normen
des Rechtsstaats und des Völkerrechts orientieren.





Ullrich Meßmer


(A) (C)



(D)(B)


Vor dem Hintergrund dieser klaren Aussage erscheint
es natürlich besonders problematisch, wenn sich Kaser-
nen nur daran orientieren, wer hinter militärischen Erfol-
gen steht.

Die Fokussierung auf rein militärisches Können, auf
Erfolg und auf die Erfolgreichen steht oftmals in der his-
torischen Kontinuität der Kriegspropaganda zweier von
Deutschland entfachter Weltkriege. Deshalb zeugte das
Ausblenden dieser Zusammenhänge ein Stück weit vom
unkritischen Verhältnis zur deutschen Geschichte, wie es
zum Beispiel im Traditionserlass von 1965 tatsächlich
noch zum Ausdruck kam; das muss man an dieser Stelle
festhalten.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Die heutigen Richtlinien lehnen ein derart unkriti-
sches Verhältnis zur deutschen Geschichte ausdrücklich
ab. Damit ist eigentlich alles gesagt. Aber auch zu der
Frage, welche Taten folgen sollen, sagt dieser Erlass ei-
niges – ich denke, es wird dort deutlich –:

Traditionsbewußtsein zu wecken, ist eine wichtige
Aufgabe der Vorgesetzten.

Herr Kollege Hardt hat dankenswerterweise hier schon
festgestellt:

Kasernen … können mit Zustimmung des Bundes-
ministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten
benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wir-
ken oder eine herausragende Tat um Freiheit und
Recht verdient gemacht haben.

Wenn der oberste Vorgesetzte also der Minister ist,
dann wäre es eigentlich die vornehmste Aufgabe des
Ministers oder des jeweiligen ihn vertretenden Staatsse-
kretärs, dies entsprechend zu erledigen.

Es liegt ein weites Feld vor Ihnen, meine Herren.
Nehmen Sie den Traditionserlass ernst, und fordern Sie
die Soldatinnen und Soldaten in ihren Kasernen auf,
über die Namensgebung zu diskutieren. Damit würden
wir tatsächlich etwas erreichen, was nicht nur dem Bild
des Staatsbürgers in Uniform entspräche, sondern es
würde diesen Traditionserlass, der schon lange gilt, ein
Stück weit mit Leben erfüllen, und zwar in freiheitlich-
demokratischem Sinne.

Diesen Auftrag ernst zu nehmen, macht eigentlich
den vorliegenden Antrag überflüssig. Das ist sicherlich
auch einer der Gründe, warum ihn meine Fraktion trotz
mancher guter, wichtiger – und ich füge hinzu – und
auch sehr richtiger Inhalte ablehnt.

Ich möchte hinzufügen, dass ein Grund für die Dis-
kussion innerhalb unserer Fraktion sicherlich auch der
war, dass unter den Antragstellern auch diejenigen sind,
die die Kasernen eigentlich ganz abschaffen wollen
– warum dann noch über den Namen diskutieren? –, die
aber auch in der Vergangenheit – und zum Teil auch in
der Gegenwart – all denjenigen eine Plattform geboten
haben, die unter anderem alle Soldatinnen und Soldaten
mit Mördern vergleichen. Das lehnen wir aufgrund unse-
res Verständnisses der Bundeswehr völlig ab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Nichtsdestotrotz muss der Traditionserlass ernst ge-
nommen werden. Die Auseinandersetzung mit der Ge-
schichte, auch der militärischen Geschichte, muss in den
Kasernen, in den Regionen, im Kreis der Soldatinnen
und Soldaten – ich sage das sehr deutlich –, aber auch
unter den Menschen im Umfeld der jeweiligen Kasernen
geführt werden, damit die Menschen, die dort leben, die-
sen Prozess akzeptieren.

Es wäre schön, wenn der Minister dies als seine vor-
nehmste Aufgabe begreift und die entsprechenden ge-
schichtlichen Kenntnisse als Grundlage nimmt, um die
Diskussion über Kasernennamen zu forcieren. Ich finde,
das wäre gelebte Tradition, auch Militärtradition im bes-
ten Sinne. Es wäre eine Tradition, die die Menschen mit-
nimmt, die die Soldatinnen und Soldaten sehr ernst
nimmt, aber auch über die Geschichte aufklärt. Wir
könnten damit das Anliegen des Traditionserlasses we-
sentlich nach vorne bringen, aber auch das Anliegen der
Inneren Führung ernst nehmen und entsprechend umset-
zen. Dafür haben wir eine Menge getan.

Wenn uns dies gemeinsam gelingen würde – der An-
trag allein hilft uns da nicht weiter –, dann wäre das ge-
lebte Tradition im besten Sinne. Wir könnten etwas um-
setzen. Das käme nicht nur unseren Soldatinnen und
Soldaten zugute, sondern auch unserem Umgang mit der
eigenen Geschichte und unserem eigenen Leben.

Da ich gerade den Herrn Kollegen Siebert hier sitzen
sehe: Die Kasernen in unserem Umfeld tragen meistens
Namen von Landschaften: Burgwald und Herrenwald.
Aber deshalb können wir trotzdem diese Diskussion füh-
ren.


(Beifall bei der SPD)


In diesem Sinne werden wir uns verhalten.

Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD – Christoph Schnurr [FDP]: Drei SPD-Abgeordnete! Das ist ja etwas!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724029300

Joachim Spatz hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1724029400

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Prä-

sidentin! Werfen Sie einen Blick in die Reihen der an-
tragstellenden Fraktionen.


(Christoph Schnurr [FDP]: Erschütternd!)


– Nein, das ist nicht erschütternd, sondern es gibt die
Wertigkeit wieder, die dieses Thema angesichts der Pro-
bleme, die wir bei der Bundeswehr insgesamt haben,
schlicht und ergreifend haben sollte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ganz genau!)






Joachim Spatz


(A) (C)



(D)(B)


Hier wird eine Daueraufgabe der Bundeswehr thema-
tisiert. Im Zuge des Reformprozesses denkt man über die
Namensgebung von Kasernen nach, und zwar vorrangig
die Soldatinnen und Soldaten und auch die Bevölkerung
vor Ort.

Wir haben, wissenschaftlich begleitet – das wurde
vom Kollegen Hardt schon angesprochen –, einige der
Kasernennamen überdacht. Dieser Prozess ist bereits im
Gange und wird auch Konsequenzen nach sich ziehen.
Das ist überhaupt keine Frage.

Ich will trotzdem generell zu dem Thema, wie man
mit Geschichte umgeht, ein paar Worte sagen. Es wurde
schon gesagt, dass unterschiedliche Erlasse, nämlich aus
den 60er-Jahren und den 80er-Jahren, vorhanden waren.
Daran sieht man, dass es bei der historischen Betrach-
tung eine Entwicklung gibt. Natürlich hatte die Bundes-
wehr in den 60er-Jahren einen anderen Stellenwert und
eine andere gesellschaftliche Einbettung als in den 80er-
Jahren unter der sozial-liberalen Koalition. Hier ist ein
Fortschritt erkennbar. Auch das sollte man ernst nehmen.

Die Bundesregierung, die von FDP und CDU/CSU
getragen wird, setzt dies in eine heute zeitgemäße Politik
um. Natürlich gibt es die Möglichkeit – auch das hat der
Kollege Hardt angedeutet –, auf die Geschichte, auf eine
eigene Bundeswehrgeschichte zurückzugreifen, die es zu
früheren Zeiten naturgemäß so noch nicht gegeben hat,


(Beifall bei der FDP)


erstens wegen der damals noch sehr jungen Bundeswehr
und zweitens, weil zu dem damaligen Zeitpunkt Aus-
landseinsätze der Bundeswehr noch nicht Realität wa-
ren. Diese Auslandseinsätze haben wir seit einiger Zeit.
Gerade in diesen Auslandseinsätzen haben sich Men-
schen als Soldatinnen und Soldaten in einer Weise be-
währt, die Anlass gibt, darüber nachzudenken, ob sie als
Namensgeber infrage kommen. Sie sehen: Das Fort-
schreiten der Geschichte ermöglicht eine andere Be-
trachtungsweise.

Weshalb sage ich das? Ich sage das, weil wir natürlich
– das ist ein ganz normaler Prozess – alte Namensgebun-
gen überdenken. Wenn wir das tun, sollten wir aber nicht
einfach mir nichts, dir nichts den Stab über diejenigen
brechen, die in ihrer Zeit die Namensgebung vorgenom-
men haben. Ich gehe davon aus, dass sie auch damals
nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Eine solche Verharmlosung habe ich selten gehört!)


Deshalb sollten wir das, was in unserer heutigen Zeit
umgesetzt werden kann, mit der notwendigen Sachlich-
keit und Nüchternheit umsetzen.

Ich betone es noch einmal: Wir sind zu jedem Zeit-
punkt zu einer konstruktiven Diskussion bereit. Wir sind
aber nicht dazu bereit, eine Plattform zu liefern, auf der
ein ideologisches Süppchen gekocht werden soll, auf der
letztendlich, zumindest, was die Linke angeht, eine
grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber der Bundes-
wehr durch diese Dinge legitimiert werden soll. Das
wollen wir nicht. Wir wollen den heutigen Stand der
Dinge weiterentwickeln.


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Beziehen Sie sich auf den Antrag, statt ins Blaue hinein zu schwätzen!)


– Wenn Sie sagen: „Bleiben Sie bei dem Antrag“, dann
kann ich nur das wiederholen, was der Kollege Hardt
schon gesagt hat: Wesentliche Forderungen sind schlicht
und ergreifend umgesetzt. Wenn ich nur darauf rekurrie-
ren wollte, wäre meine Rede nach einer Minute zu Ende
gewesen,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte auch nicht geschadet!)


weil dieser Antrag schlicht überflüssig ist. Solche An-
träge sind überflüssig, weil die Aufgabe schon erledigt
wird. Wir brauchen weder die Grünen noch die Links-
partei dafür; die brauchen wir überhaupt nicht.


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Geschichtsklitterung! Das ist eine unverschämte Geschichtsklitterung! Wer hat denn die Anträge gemacht? Von Ihnen kam nichts!)


– Das ist überhaupt keine unverschämte Geschichtsklit-
terung. Herr Kollege, das stimmt überhaupt nicht.


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Das ist wirklich unverschämt!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724029500

Herr Kollege Schäfer, Sie sind ohnehin der nächste

Redner.


Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1724029600

Herr Kollege, es nutzt doch nichts, dass Sie sich hier

so echauffieren. Es ist doch schlicht und ergreifend so,
dass die Prozesse der Namensüberprüfung auch ohne
Ihre Anregung stattfinden. Sie finden bereits statt. Jetzt
können Sie nicht behaupten, der große Antragsteller ge-
wesen zu sein. Dazu kann ich nur sagen: Es gibt einen
Unterschied zwischen Kausalität und Parallelität.

Wenn es in diesem Zusammenhang um die Weiterent-
wicklung geht, sind wir zu jedem sachlichen Kompro-
miss bereit. Wir sind aber nicht bereit, eine Plattform für
eine ideologische Diskussion zu bieten.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724029700

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die

Fraktion Die Linke Kollege Paul Schäfer. Bitte schön,
Kollege Paul Schäfer.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724029800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Leider hat es keine gemeinsame Initiative al-
ler Fraktionen gegeben. Daraufhin haben Sozialdemo-
kraten, Linke und Grüne den vorliegenden Antrag erar-
beitet, den die SPD jetzt nicht mehr mitträgt. Schade!





Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Trotzdem mein eindringlicher Appell: Lassen Sie uns
gemeinsam darauf hinwirken, dass in der Bundeswehr
endgültig – ich betone: endgültig – die falschen Vorbil-
der verschwinden und ein neues Kapitel demokratischer
Traditionspflege beginnt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der Kern des gemeinsamen Antrags von Lin-
ken und Grünen. Bundeswehreinrichtungen sollen nicht
nach Personen benannt werden, die nach ethischen,
rechtsstaatlichen oder demokratischen Kriterien nicht in
besonderer Weise beispielhaft und erinnerungswürdig
sind. Das ist doch nicht zu viel verlangt.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das machen wir doch schon lange! – Gegenruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Es ist seit Jahrzehnten ein Ärgernis, dass Kasernen
nach belasteten Wehrmachtsoffizieren benannt sind. Erst
im letzten Jahr, lieber Kollege, 57 Jahre nach der Auf-
stellung der Bundeswehr, wurde die General-Konrad-
Kaserne in Bad Reichenhall in Hochstaufen-Kaserne
umbenannt. Dieser General Konrad war maßgeblich am
Vernichtungsfeldzug im Osten beteiligt. Er war ein ganz
schlimmer Judenhasser, und er hoffte nach 1945 zum
Beispiel darauf – ich zitiere –, dass aus der weichen
Schale Bundeswehr noch die harten Wehrmachtssolda-
ten des Dritten Reiches hervorkommen würden, die un-
ter Hitler Ruhm und Ehre errungen hätten. Im vergange-
nen Jahr war er noch ein Namenspatron.

Auch andere belastete Wehrmachtsoffiziere, zum Bei-
spiel Kübler, Dietl, Mölders, waren noch bis vor kurzem
Namenspatrone, auch wider den Traditionserlass. Es ist
leider immer noch nicht Vergangenheit. Das zeigen die
Studien des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, die
besagen, dass eine ganze Reihe von noch heute beste-
henden Namensgebungen nicht mit den aktuell gültigen
Traditionsrichtlinien in Einklang zu bringen sind. Leider
wurde der Öffentlichkeit bislang der Zugang zu diesen
Studien verwehrt. Lieber Kollege Spatz, vielleicht soll-
ten Sie das einmal ein bisschen im Blick haben. Meine
Anfrage Anfang 2006 – seit ich im Bundestag bin, habe
ich dieses Thema verfolgt – wurde mit den Worten abge-
lehnt, die Studien seien nur für den internen Gebrauch.
Erst jetzt, sieben Jahre später, wurden sie dem Verteidi-
gungsausschuss in Zusammenfassung vorgelegt. Das ist
der Vorgang.


(Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Wir wollen – das steht in unserem Antrag –, dass alle
diese Kurzstudien öffentlich zugänglich gemacht werden
und dass sie zur Grundlage für öffentliche Debatten an
den Standorten der Kasernen werden. Das ist nicht zu
viel verlangt. Das ist von uns angestoßen worden.


(Joachim Spatz [FDP]: Als ob das die einzigen wissenschaftlichen Quellen sind!)


Im Sinne eines fairen kollegialen Umgangs – an die-
sem sollte auch Ihnen gelegen sein – sollte man dies zu-

mindest anerkennen. Das hätte ich von einem geschätz-
ten Kollegen erwartet.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All das wirft auch die Frage auf, warum das so lange
gedauert hat. Warum gibt es so ein zähes Ringen um das
Traditionsverständnis der Bundeswehr? Die Bundes-
wehr hat das Thema lange vernachlässigt, es verdrängt,
sie hat weggeschaut. Offensichtlich haben wir es bis
heute mit Haltungen, Einstellungen und Leitbildern zu
tun, die durch viele Führungsgenerationen der Bundes-
wehr geprägt und zementiert worden sind. Anders ist es
nicht zu erklären, dass manche falschen Erzählungen un-
ter der Oberfläche – an der Oberfläche gilt die Innere
Führung als Credo der Streitkräfte – bis heute noch exis-
tieren. Eine General-Hüttner-Kaserne veranschaulicht
dieses Problem und passt nicht zu Streitkräften in einer
Demokratie, zu Staatsbürgern in Uniform.


(Beifall bei der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Deshalb muss das jetzt geändert werden. Es reicht
nicht, dass die Bundeswehr im Zuge der aktuellen Ka-
sernenschließungen dazu übergegangen ist, die sensiblen
Namen einfach stillschweigend zu tilgen. Wir wollen die
intensiven Debatten vor Ort, auch mit den Bundeswehr-
angehörigen – das ist richtig –, aber wenn es um so be-
lastete Namen geht, muss auch von der Weisungsbefug-
nis Gebrauch gemacht werden.

Die Innere Führung wurde als Konzept entwickelt,
um sich grundlegend kritisch von der verhängnisvollen
deutschen Militärtradition abzusetzen. Strikte Bindung
an Völkerrecht und Gesetz, Verantwortung des Einzel-
nen statt Kadavergehorsam – das sind Grundelemente
dieses Leitbilds, und das muss im Alltag gelebt werden.
Dazu gehört ein richtiges Traditionsverständnis. Wir
wollen, dass die Innere Führung ohne diese Doppeldeu-
tigkeit und Widersprüche zur Grundlage des Traditions-
verständnisses der Streitkräfte wird.

Sie sagen, dass das alles auf einem guten Wege ist. Ja,
viele Dinge sind in Bewegung geraten. Das ist gut so.
Wir wollen diesen Prozess zu Ende führen. Ich finde, an
dieser Stelle ist es nur angemessen, denjenigen wie
Jakob Knab, die das seit Jahrzehnten zum Thema ge-
macht haben, die es unermüdlich zum Thema gemacht
und verfolgt haben, und auch den antifaschistischen
Gruppen, die es thematisiert haben, damit dieser Schand-
fleck endlich aus der Geschichte der Bundeswehr getilgt
wird, gebührend Dank zu sagen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724029900

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Omid
Nouripour. Bitte schön, Kollege Omid Nouripour.






(A) (C)



(D)(B)



Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724030000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin

über die Tonalität in dieser Diskussion ein wenig irri-
tiert. Wir hatten diese Debatte aufgrund eines Antrages,
den wir Grüne eingebracht hatten – als es diesen Antrag
so noch nicht gab –, ja schon einmal im Ausschuss ge-
führt. Da bestand in der Sache eigentlich Konsens. Des-
halb bin ich ein bisschen verwirrt, warum die Debatte
jetzt in dieser Schärfe, die der Sache nicht angemessen
ist, geführt wird. Ja, der Traditionserlass aus dem Jahre
1982 ist eine sehr gute Grundlage – das ist überhaupt
nicht die Frage; es gab Anpassungen, die richtig waren –,
aber er ist mit dem Traditionserlass aus dem Jahre 1965
nicht zu vergleichen. Er ist auch heute noch gut.

Nichtsdestotrotz möchte ich auf eine Kleine Anfrage
der Linken vom 9. Mai 2011 hinweisen, auf die die Bun-
desregierung eine Antwort gegeben hat, die da lautete:

Die Bundeswehr hat sich spätestens seit der Traditi-
onsdebatte der Jahre 1997/1998 einer kritischen Be-
trachtung offen gestellt und alle Kasernennamen ei-
ner Prüfung unterzogen.

Als diese Antwort gegeben wurde, gab es noch eine
Kaserne, die nach General Konrad benannt war, und es
gab eine Kaserne, die nach General Hüttner benannt war.
Deshalb kann man nicht sagen: Wir haben alle Probleme
längst gelöst. – Die Probleme sind nämlich nicht gelöst.
In unserem Antrag geht es übrigens nicht nur um Kaser-
nennamen, sondern auch um Straßennamen auf Gelän-
den und um die Namen aller möglichen Einrichtungen
der Bundeswehr. Ich weiß ja, dass die Einigkeit im Kern
größer ist, als in dieser Debatte zum Ausdruck kommt.
Ich finde, man sollte dieses Thema nicht ganz so schrill
angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben gehört – das ist jetzt mehrfach gesagt wor-
den –, dass die Studie des damaligen Militärgeschichtli-
chen Forschungsamtes der Bundeswehr besagt, dass es
immer noch 15 Personen gibt, die den Kriterien des Tra-
ditionserlasses nicht gerecht werden. – Herr Fricke, Sie
haben einen wunderschönen Rücken, aber Ihr Gesicht ist
noch viel schöner. Darf ich es auch einmal zu sehen be-
kommen?


(Otto Fricke [FDP]: Ja! – Jürgen Hardt [CDU/ CSU]: Ein schöner Rücken kann auch entzücken!)


– Herzlichen Dank. – Es geht um 15 Namen. Bei 7 Per-
sonen gibt es keine Beweise dafür, dass sie am Vernich-
tungskrieg beteiligt waren – die Kriterien des Traditions-
erlasses erfüllen sie allerdings trotzdem nicht –, bei den
übrigen 8 Personen ist das anders. Deshalb gebe ich dem
Kollegen Schäfer recht: Angesichts mancher Beispiele,
die es gibt, kann man nicht einfach, wie es die Bundes-
wehr bzw. das Ministerium tut, sagen: Wir diskutieren
das ergebnisoffen. – Das ist nicht ergebnisoffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt bestimmte Grade an Verbrechen, bei denen man,
wie bei der Beteiligung am Vernichtungskrieg, keine er-
gebnisoffene Diskussion mehr führen kann.

Ja, wir wollen, dass eine Beteiligung stattfindet: der
Kommunen, der Menschen vor Ort, der Soldatinnen und
Soldaten. Auch deswegen steht in unserem Antrag, dass
die Ergebnisse der Studie veröffentlicht werden sollen.
Wir wollen nämlich, dass eine vertiefte Diskussion statt-
finden kann.

Ich will noch auf einen Namen eingehen, der für mich
persönlich ein Beleg dafür ist, warum diese Debatte
Grenzen hat, die sie nicht haben sollte. Es geht um Ge-
neralfeldmarschall Erwin Rommel. Rommel war, histo-
risch betrachtet, ein großer General. Er hat Unglaubli-
ches geleistet, und er hat unglaubliche militärische
Verdienste; daran ist nicht zu rütteln. Es gibt sehr viele
glaubwürdige Berichte, die belegen, dass er gerade im
Rahmen des Afrika-Feldzuges Dinge anders gemacht hat
als andere Angehörige der Wehrmacht zum Beispiel an
der Ostfront; ja, das ist richtig.

Gleichzeitig ist aber auch klar – wir wissen das –: Es
gibt glasklare Beweise dafür, dass Rommel 1943 in Ita-
lien Befehle gegeben hat, die zu Kriegsverbrechen ge-
führt haben. Diese Diskussion muss man führen dürfen,
und zwar auf einer wissenschaftlich fundierten Grund-
lage, für die wir die Daten der genannten Studie brau-
chen. Auch an dem Bild von Menschen, die aus Grün-
den, die man vielleicht nur psychologisch erklären kann,
nach dem Krieg Säulenheilige geworden sind, muss man
rütteln dürfen, wenn sie so sehr in Kriegsverbrechen in-
volviert waren, wie Erwin Rommel es war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist bekannt, dass die Graf-Stauffenberg-Kaserne in
Sigmaringen demnächst geschlossen wird. Es stellt sich
natürlich die Frage, ob es demnächst eine andere Ka-
serne geben wird, die diesen Namen trägt. Wenn man
sich vor Augen hält, dass es einige Kasernen gibt – wenn
ich es richtig sehe, drei –, die den Namen Erwin
Rommel tragen, dann muss doch die Frage erlaubt sein,
ob darüber nicht eine breite öffentliche Diskussion ge-
führt werden sollte, die wissenschaftlich fundiert ist und
für die wir die öffentliche Zugänglichkeit der Papiere
nun einmal brauchen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724030100

Herr Kollege, behalten Sie die Uhrzeit im Auge?


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724030200

Deshalb kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollzie-

hen, warum eine solch große Aufregung herrscht. Drei
Fraktionen haben über einen Antrag verhandelt, jetzt
wollen ihn nur noch zwei Fraktionen unterstützen. Aber
nach meiner festen Überzeugung ist das, was wir alle ge-
meinsam im Ausschuss verhandelt und miteinander be-
sprochen haben, von dem, was wir beantragen, nicht
sehr weit entfernt.





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724030300

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Nächster und

letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Florian Hahn für die Fraktion von CDU und
CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1724030400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir reden heute über einen von Grünen und
Linken gemeinschaftlich gestellten Antrag zum Thema
„Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen“.

Damit betreiben beide Oppositionsfraktionen einmal
mehr eine eigene, linke Traditionspflege, um sich bei
entsprechenden – zum Teil, wie es ein Kollege der Lin-
ken heute formuliert hat, „abgedrehten“ – Organisatio-
nen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, lieb
Kind zu machen, könnte man leicht vermuten. Schließ-
lich steht die Bundestagswahl vor der Tür, und man will
sich seiner Stammwählerschaft, wie zum Beispiel von
der „Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung“, „syndikalis-
mus“ oder „linksunten“, andienen.

Meine Damen und Herren von den Grünen und den
Linken, Sie wissen ganz genau, dass wir schon lange da-
bei sind, sämtliche Namen von Kasernen und Straßen
auf den Liegenschaften zu prüfen und auch umzubenen-
nen. Die Bundeswehr hat sich spätestens seit der Tradi-
tionsdebatte 1997/1998 einer kritischen Betrachtung von
Namensgebungen geöffnet. Viele aus heutiger Sicht pro-
blematische Kasernennamen wurden bereits aufgegeben.
Das Militärgeschichtliche Forschungsamt leistet dabei
einen wertvollen Beitrag zur Meinungsbildung an den
jeweiligen Standorten.

Traditionspflege ist ein laufender Prozess, der dem
gesellschaftlichen Wandel unterliegt und die Menschen
mitnehmen muss. Ich halte deshalb nichts davon, sämtli-
che Namen in einer Hauruckaktion per Verordnung von
oben zu ändern. Es ist wichtig, dass die Initiative für
eine Umbenennung aus der Truppe kommt und in enger
Abstimmung mit den kommunalen Gremien erfolgt.
Dies hat auch schon in vielen Fällen dazu geführt, dass
eine Umbenennung angeordnet wurde. So wurde gerade
vor kurzem die Kaserne in Holzminden in „Pionierka-
serne am Solling“ umbenannt, und im Juli wird die Ka-
serne in Hof auf „Oberfranken-Kaserne“ getauft.

Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass sich un-
sere Streitkräfte schon vor dem Prozess der Umbenen-
nung am Traditionserlass der Bundeswehr von 1982
orientierten. Natürlich wird die Wehrmacht als Organisa-
tion nicht als traditionsbildend für die Bundeswehr ange-
sehen, doch können nach dem Traditionserlass einzelne
Angehörige der Wehrmacht sehr wohl als Vorbilder an-
erkannt werden. Eine bloße Zugehörigkeit zur Kaiser-
lichen Armee und zur Wehrmacht allein kann kein
Ausschlussgrund sein – oder wollen Sie etwa der Bun-

deswehruniversität in Hamburg und der Kaserne in Al-
tenstadt die Namen Helmut Schmidt bzw. Franz Josef
Strauß nehmen?

Wie wir bereits seit Monaten sehen können, fällt der
Opposition nicht wirklich ein Mittel ein, die äußerst er-
folgreiche schwarz-gelbe Regierungsbilanz zu erschüt-
tern. Das haben wir auch heute Morgen bei der Debatte
zur Bundeswehrreform erlebt: Es war keine echte, sub-
stanzielle Kritik möglich, weil wir trotz der großen He-
rausforderung erfolgreich sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte die Grünen und die Linken daher warnen:
Machen Sie vor lauter Verzweiflung über die große
Beinfreiheit und die für Schwarz-Gelb immer besser
werdende Stimmung nicht den Fehler, auf Kosten der
Streitkräfte Wahlkampf zu machen. Das haben unsere
Soldatinnen und Soldaten nicht verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, dass die Soldaten zwar nicht unbedingt
der Partei Die Linke besonders am Herzen liegen, aber
in jedem Fall dem Kollegen Paul Schäfer, den ich gerade
auch dafür sehr schätze – trotz seiner aus meiner Sicht
politischen Fehlorientierung.


(Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Ich wünsche dir alles Gute für die Zeit nach dem Man-
dat!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724030500

Vielen Dank, Kollege Florian Hahn.

Wir schließen damit die Aussprache und kommen zur
Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu
dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Überprüfung der Namen von
Bundeswehrkasernen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11724, den
Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/11208 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemo-
kraten. Gegenprobe! – Das sind die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? –
Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsver-
fahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte

– Drucksache 17/11268 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)






Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


– Drucksache 17/13535 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Burkhard Lischka
Sonja Steffen
Judith Skudelny
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Es hat sich niemand anders entschlossen. Alle sind damit
einverstanden, sodass wir zur Abstimmung kommen.

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/13535, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11268 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Niemand.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das
sind die drei Oppositionsfraktionen. – Enthaltungen? –
Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola
von Cramon-Taubadel, Wolfgang Wieland,
Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rente für Dopingopfer in der DDR

– Drucksache 17/12393 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss

Es ist die interfraktionelle Vereinbarung getroffen
worden, eine halbe Stunde für die Aussprache vorzuse-
hen. Mit Ausnahme der Frau Kollegin Viola von
Cramon-Taubadel, die nun für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen sprechen wird, haben sich die Kolleginnen
und Kollegen aber entschlossen, ihre Reden zu Protokoll
zu geben. – Bitte schön, Frau Kollegin.


(Otto Fricke [FDP]: Es ist ihr Recht!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir von der grünen Bundestagsfraktion spre-
chen uns mit diesem Antrag für eine monatliche Rente
für Dopingopfer der ehemaligen DDR aus.

Wir wissen seit langem: Dopingmittel wurden in der
DDR jahrelang flächendeckend verabreicht und kamen
in allen olympischen Sportarten zum Einsatz. Die Do-
pingverabreichung erfolgte auch an minderjährige Sport-
lerinnen und Sportler. Die DDR finanzierte mit dem
Staatsplan 14.25 ein umfangreiches und kriminelles Do-
pingforschungssystem mit Medizinern und Wissen-
schaftlern. Trainer in Spitzenpositionen spielten bei der
Dopingverabreichung eine hervorgehobene Rolle. Sport-
lerinnern und Sportler wurden weder über den Einsatz
der Dopingmittel noch über deren Nebenwirkungen auf-
geklärt.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Wird behauptet!)


Das Spitzensportsystem der DDR hat eine schwere
Hypothek hinterlassen; denn es hat eine große Anzahl
von Opfern in Kauf genommen. Die Vorsitzende des Do-
pingopfer-Hilfevereins, Ines Geipel, nennt diese Schat-
tenseite des Sports einen Kollateralschaden aufgrund
von politischer Gier. Es ist keine Übertreibung, wenn
man heute sagt: Das Dopingsystem der DDR ist der
größte bisher bekannte Dopingskandal. – Es sollte uns
eine besondere Mahnung sein, dass dieser Skandal leider
auf deutschem Boden stattgefunden hat.

Seit der Wiedervereinigung ist vieles durch Strafge-
richtsprozesse und wissenschaftliche Forschung sowie
durch Berichte von Opfern und jahrelange Recherche öf-
fentlich geworden. Auch Stasidokumente, die vom Staat
zur Abschottung des Dopingsystems eingesetzt wurden,
haben bei der Aufdeckung eine besondere Rolle gespielt.

Der Sport selbst allerdings hat im Vergleich dazu nur
wenig zur Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit
beigetragen. Bis heute gibt es für Sportorganisationen in
Deutschland, für die belastetes Personal in Führungs-
positionen tätig ist, sogar noch Steuermittel. Ich halte
das für ein extrem schlechtes Signal für die Integrität des
Sports. Unsere Fraktion hat das auch immer wieder an-
gemahnt.


(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die gesundheitliche Situation von vielen Dopingop-
fern ist alarmierend. Anfang 2010 gab es einen weiteren
Todesfall eines anerkannten Dopingopfers, nämlich ei-
ner ehemaligen Leichtathletin. Auch ihr wurden schon
als Minderjähriger Dopingmittel verabreicht. Es gibt
weitere und leider sehr viele dieser schweren Fälle.

Wir sprechen uns daher dafür aus, denjenigen Sport-
lerinnen und Sportlern, denen schon als Kinder, als Min-
derjährigen, Dopingmittel verabreicht wurden und die
heute unter teilweise sehr erheblichen gesundheitlichen
Schäden leiden, eine dauerhafte Rente zu gewähren. Die
Rentenzahlung sollte schnellstmöglich und nicht erst als
zusätzliche Rente bei Erreichen des gesetzlichen Renten-
eintrittsalters einsetzen. Die Höhe der Rente sollte sich
an den gesetzlichen Regelungen für Opfer des SED-Un-
rechts bemessen. Wir denken hier an eine monatliche
Zahlung von mindestens 200 Euro.

Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit parlamen-
tarischer Entscheidungen, denn der Deutsche Bundestag1) Anlage 9





Viola von Cramon-Taubadel


(A) (C)



(D)(B)


hat sich 2002 in einem Antrag selbst auferlegt, die Frage
der Nachfolgeregelung für schwerstgeschädigte Do-
pingopfer der DDR zu prüfen. Ich nenne diese Tatsache
vor allem vor dem Hintergrund, dass es seinerzeit die
CDU/CSU war, die eine weitergehende Hilfe für Do-
pingopfer angeregt hatte. Wir vonseiten der rot-grünen
Regierungskoalition waren damals einen Tick überzeu-
gender mit unseren Vorschlägen, aber die Tatsache, dass
es zum damaligen Zeitpunkt eine große parlamentari-
sche Übereinstimmung für eine erneute Überprüfung
gab, ob es nicht für Schwerstgeschädigte eine Nachfol-
geregelung geben sollte, sollte uns doch jetzt zu denken
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute möchten die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und der FDP davon offenbar nichts mehr
wissen.

Es ist immer das gleiche Spiel: Wenn es in der Sport-
politik ernst wird, komplizierte Themen auftauchen,
dann machen sich die Sportfreunde vom Spielfeld. So ist
es bei der notwendigen Umgestaltung der Spitzensport-
förderung, so ist es im Spannungsverhältnis zwischen
Sportgroßereignissen und Menschenrechten, und so ist
es aktuell auch bei der notwendigen Unterstützung der
Dopingopfer. Liebe Herren und Damen von der Koali-
tion, stellen Sie sich doch bitte einmal vor, welche Wir-
kung es auf die betroffenen Dopingopfer haben muss,
wenn Sie wie bei den letzten Haushaltsverhandlungen
über Nacht zusätzliche Millionen für den Spitzensport
hin- und herschieben, aber für eine Dopingopferrente
keinen einzigen Cent bereitstellen.

Wir werben weiter für unseren Antrag und unterstüt-
zen das Anliegen von Dopingopfern der ehemaligen
DDR.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724030600

Vielen Dank, Frau Kollegin Viola von Cramon. – Die

anderen Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache
17/12393 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 c auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des


(2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG)


– Drucksache 17/11471 (neu)

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichts-
vollzieherkostenrecht

– Drucksache 17/5313 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/13537 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Seif
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Marco Buschmann
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Prozesskosten-
hilfe- und Beratungshilferechts

– Drucksache 17/11472 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Begrenzung der Aufwendungen für die Pro-

(Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz – PKHBegrenzG)


– Drucksache 17/1216 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Beratungshilferechts

– Drucksache 17/2164 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/13538 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Seif
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Marco Buschmann
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

Ich möchte die Herren auf meiner rechten Seite da-
rauf hinweisen, dass ich hier jedes Wort von der Regie-
rungsbank verstehe. Man sollte ein bisschen darauf acht-
geben, dass die Akustik so ist, dass man hier alles
versteht.


(Heiterkeit)


Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mo-
dernisierung des Kostenrechts liegt ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden1) Anlage 8





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


sollen zu Protokoll gegeben werden.1) – Alle sind damit
einverstanden.

Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Modernisierung des Kostenrechts.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13537, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/11471 (neu) in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13546 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Die
sozialdemokratische Fraktion. Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand.
Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Sozialde-
mokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist so-
mit angenommen.

Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 und
kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des
Bundesrates zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Ge-
richtsvollzieherkostenrecht. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13537, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 17/5313 abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das ist niemand. Wer stimmt dage-
gen? – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Ich frage
vorsichtshalber: Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wis-
sen, entfällt nach unserer Geschäftsordnung damit die
weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 18 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Bera-
tungshilferechts. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13538, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 17/11472 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.

Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und
Linksfraktion. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialde-
mokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen.
Enthaltungen? – Die Sozialdemokraten. Der Gesetzent-
wurf ist angenommen.

Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 18 c. Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozess-
kostenhilfe. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13538, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf
Drucksache 17/1216 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Niemand. Wer stimmt dagegen? – Das
sind alle Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Keine.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Wir sind noch im Tagesordnungspunkt 18 c. Abstim-
mung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Än-
derung des Beratungshilferechts. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13538, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 17/2164 abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Das ist niemand. Wer
stimmt dagegen? – Das sind alle Fraktionen des Hauses.
Enthaltungen? – Das ist niemand. Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung abgelehnt. Auch hier entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder-

(Kinderund Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG)


– Drucksache 17/13023 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 17/13531 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Florian Bernschneider
Diana Golze
Katja Dörner1) Anlage 10





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan
Schwartze, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Mit einer eigenständigen Jugendpolitik
Freiräume schaffen, Chancen eröffnen,
Rückhalt geben

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Schneider, Katja Dörner, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eigenständige Jugendpolitik – Selbstbe-
stimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, De-
mokratie und Emanzipation

– Drucksachen 17/12063, 17/11376, 17/12907 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Sönke Rix
Florian Bernschneider
Diana Golze
Ulrich Schneider

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Bericht über die Lebenssituation junger
Menschen und die Leistungen der Kinder- und
Jugendhilfe in Deutschland

– 14. Kinder- und Jugendbericht –

und

Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksache 17/12200 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene
Rupprecht (Tuchenbach), Stefan Schwartze, Willi
Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Chancengleichheit für Kinder und Jugend-
liche ermöglichen – Konsequenzen aus dem
14. Kinder- und Jugendbericht ziehen

– Drucksache 17/13473 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wurde vereinbart, für die Aussprache
eine halbe Stunde vorzusehen. – Alle sind damit einver-
standen.

Ich eröffne die Aussprache. Eine Reihe von Kollegin-
nen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben1) – die Namen liegen mir hier vor –, sodass wir zwei
Rednerinnen und einen Redner haben. Als Erstes spricht
für die Fraktion von CDU/CSU unsere Kollegin
Dorothee Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Dorothee Bär.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1724030700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

gute Nachricht vorweg: Den Kindern und Jugendlichen
in Deutschland geht es gut. Uns liegt eine aktuelle inter-
nationale UNICEF-Vergleichsstudie zur Lage von
Kindern und Jugendlichen vor. Anders als die UNICEF-
Studie von vielen interpretiert wurde, kann man sagen,
dass sich die meisten Kinder und Jugendliche gut fühlen.

84,2 Prozent der Mädchen und Jungen haben in einer
Befindlichkeitsskale von 1 bis 10 einen Positivwert zwi-
schen 6 und 10 angekreuzt. In den anderen Ländern sind
sie nicht sehr viel zufriedener. In Frankreich sind es gut
85 Prozent, in Dänemark 86,1 Prozent und in Norwegen
88 Prozent. Sogar die drittplatzierte Nation im interna-
tionalen Vergleich, Spanien, liegt mit 89,9 Prozent nur
5,7 Prozentpunkte über den Deutschen, was schon sehr
bemerkenswert ist, wenn man sich einmal die aktuelle
Situation von Jugendlichen in Spanien vor Augen führt.

Ich bin der Kollegin Rupprecht dankbar, dass wir die
Möglichkeit haben, heute Abend Redezeit in Anspruch
nehmen zu dürfen.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Jetzt bleib bei der Wahrheit!)


Ich möchte deswegen die Gelegenheit nutzen, um einen
besonderen Aspekt zu erwähnen. Wir reden immer über
den demografischen Faktor. Wir wissen, dass in unserem
Land sehr wenige Kinder auf die Welt kommen. Wir
wissen, dass die Jugendlichen in unserem Land nicht
wahnsinnig an Politik interessiert sind. Übrigens gilt das
nicht nur für Jugendliche. Zahlen vom Vortag zeigen,
dass überhaupt nur 25 Prozent der Deutschen an Politik
interessiert sind, also noch nicht einmal engagiert sind,
sondern nur ein gewisses Interesse haben. Das ist nur je-
der Vierte in unserem Land.

Vielleicht sollten wir die späte Stunde nutzen – es
sind noch sehr viele interessierte Kolleginnen und Kolle-
gen da –, uns zu überlegen, wie wir verhindern können,
dass aus dem demografischen Problem, das wir haben,
ein demokratisches Problem erwächst. Denn wenn sich,
wie gesagt, nur 25 Prozent interessieren, dann bedeutet
das auch in sehr starkem Maße eine sehr niedrige Wahl-
beteiligung, und zwar gerade bei den Jugendlichen und
Erstwählern.

Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Jugendpoli-
tik richtet sich nicht nur nach Bedarfen von Kindern und

1) Anlage 12





Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)


Jugendlichen. Wenn Jugendpolitik gemacht wird, sollte
man immer sehr stark auf Risikolagen achten. Aber viel-
leicht ist keine allgemeine Jugendpolitik für alle Jugend-
lichen in unserem Land möglich.

Deswegen hat die Regierung beschlossen, ressort-
übergreifend eine eigenständige Jugendpolitik zu ma-
chen, damit für die Anforderungen aller Generationen
eine demokratische Gesellschaft gestaltet werden kann.
Deswegen haben wir im Ministerium – der Staatssekre-
tär ist anwesend – im Sinne einer „Allianz für Jugend“
unter Federführung des Jugendministeriums alle wichti-
gen Akteure beteiligt, die eine eigenständige Jugendpoli-
tik ausarbeiten wollen. Wir wollen diese systematische,
ressortübergreifende Jugendpolitik, die im 14. Kinder-
und Jugendbericht angeregt wird, weiter vorantreiben.
Ich bitte alle, daran mitzuwirken und verstärkt als Multi-
plikatoren hinauszugehen und dafür zu sorgen, dass der
Spaß an der Demokratie geweckt wird.

Es reicht meines Erachtens nicht, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, wenn als einziger
Vorschlag kommt, das Wahlalter zu senken. Eine reine
Absenkung des Wahlalters reicht nicht. Denn wer mit 18
keine große Lust hat, wählen zu gehen, hat das auch mit
16 nicht, wenn von denjenigen, die Politik machen, Poli-
tik vermitteln und versuchen wollen, für Demokratie zu
begeistern, nichts herüberkommt. Deswegen muss unser
erklärtes Ziel sein, zu sagen, was das Ganze für jeden
Einzelnen bringt.

Es hat mich schon erschreckt, als ich mich noch ein-
mal mit der Bundestagswahl 2009 befasst habe. Es heißt
immer, die Bundestagswahl ist die Königsdisziplin aller
Wahlen. Vor über 30 Jahren sind noch über 90 Prozent
der Wahlberechtigten in Deutschland zur Bundestags-
wahl gegangen. Bei einer so wichtigen Wahl wie der
Bundestagswahl im Jahr 2009, als das Thema 20 Jahre
Mauerfall in aller Munde war – mein Wahlkreis grenzt
an Thüringen an; nur einen Steinwurf entfernt konnte
man also nicht an einer demokratischen Wahl teilneh-
men –, hatten nur noch 70 Prozent ein Interesse daran,
zur Wahl zu gehen. Dabei hatten wir 2009 auch noch die
Situation, dass erstmals Erstwähler an den Urnen waren,
die beim Fall der Mauer noch gar nicht auf der Welt wa-
ren.

Wir haben jetzt flächendeckend in Deutschland die
Situation, dass bei manchen Kommunalwahlen nur noch
40 Prozent zur Wahl gehen. Bei einer Landratswahl vor
ein paar Wochen standen fünf Kandidaten zur Wahl. Das
heißt, es gab eine echte Auswahl. Es kam auf jede
Stimme an, und dann gingen nur noch 40 Prozent zu die-
ser Wahl. Bei der Stichwahl waren es auch nicht viel
mehr. Manchmal ist es bei Stichwahlen so, dass gerade
noch 20 Prozent meinen, sich für unsere Demokratie in-
teressieren zu müssen.

Deswegen hoffe ich, dass wir es auch in Zukunft
schaffen, nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit
Jugendlichen Politik zu machen und dass wir in unseren
Gemeinderäten, Stadträten und Kreistagen, selbst-
verständlich auch im Landtag, Bundestag und Europa-
parlament nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit
jungen Menschen Politik machen, sprich: auch mit jun-

gen Kolleginnen und Kollegen. Deswegen freue ich
mich, dass ich das heute noch loswerden konnte.

Jetzt freue ich mich noch auf die Reden des Kollegen
Hüppe und der Frau Rupprecht. Dann treffen wir uns
vielleicht noch auf einen Feierabendwein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724030800

Die Kolleginnen und Kollegen haben das aber nicht

als Einladung verstanden. – Nächste Rednerin wie ange-
kündigt Frau Kollegin Marlene Rupprecht. Bitte schön,
liebe Frau Kollegin Marlene Rupprecht für die Fraktion
der Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Grübel [CDU/CSU]: Jetzt wollen wir aber was hören! Das muss sich ja rentiert haben!)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1724030900

Ich finde das liebenswürdig. Ja natürlich, das rentiert

sich bei mir immer, Herr Grübel.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Die Ränge hier oben sind schon gefüllt!)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
knüpfe an das an, was die Kollegin Bär sagte, nämlich
dass sich nur noch 25 Prozent für Politik interessieren.
Wie fördert man das Interesse, wenn man Pädagogik
macht? Indem man ein gutes Vorbild ist. Denn die meis-
ten Kinder und Jugendlichen lernen durch Vorbilder.

Jetzt zeige ich Ihnen, was wir heute so machen. Wenn
ich mir unseren Wochenplan und insbesondere die Ta-
gesordnung vom heutigen Donnerstag anschaue, dann
stelle ich fest: Wir haben heute Morgen um 9 Uhr begon-
nen. Wenn wir zu allen wichtigen Themen durchgehend,
also ohne Pause und auch in der Nacht, reden würden,
dann würden wir morgen, am Freitag, um 18.30 Uhr en-
den. Dann würde die Tagesordnung vom Freitag begin-
nen.

Wenn ich mich nicht verzählt habe, haben wir heute
Nacht 20 Abstimmungen ohne Debatte nach zweiter und
dritter Lesung. Ich sage das nicht, um mit dem Finger
auf irgendjemanden zu zeigen. Vielmehr will ich das
Parlament daran erinnern, dass wir den Bürgerinnen und
Bürgern eigentlich zeigen wollen, dass wir transparent
arbeiten und unsere Entscheidungen sehr ernst nehmen.
Wir als Abgeordnete haben keine großen Möglichkeiten,
über Sachverhalte, die nicht in Fachausschüssen behan-
delt werden, zu reden. Wir können nur in der Fraktion, in
Ausschüssen und im Plenum reden. Wenn aber so viel
auf der Tagesordnung steht, können wir die meisten Ta-
gesordnungspunkte in den Ausschüssen und im Plenum
nur durchwinken.


(Otto Fricke [FDP]: Wieso? Ihr könnt so lange Ausschuss machen, wie ihr wollt! Ihr müsst doch nicht um 13 Uhr Schluss machen!)






Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)


– Natürlich müssen wir um 13 Uhr Schluss machen,
Herr Kollege. Wenn das Plenum am Mittwoch um
13 Uhr beginnt, müssen wir anwesend sein.


(Otto Fricke [FDP]: Aber nein, Frau Kollegin! – Gegenruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aber ja!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724031000

Kein Dialog! Der Ausschussvorsitzende hat einen Zu-

ruf gemacht. – Bitte, Frau Rupprecht, Sie haben das
Wort.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1724031100

Zur Politik gehört auch dazu, zu lernen, sich Zeit für

Gespräche zu nehmen und so für eine Entschleunigung
zu sorgen. Das ist das Beste, das wir machen können, um
das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Politik
zu wecken.

Was wir jetzt machen, ist nichts anderes als ein
Durchpeitschen. Deshalb will ich auf einen Tagesord-
nungspunkt eingehen, dessen Beratung wir für heute
Nacht angesetzt haben. Das ist die Kinder- und Jugend-
politik. Zudem soll der von der Bundesregierung einge-
brachte Entwurf eines Kinder- und Jugendhilfeverwal-
tungsvereinfachungsgesetzes – ein etwas sperriger Name
– in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden.
Ich will auf das Gesetz näher eingehen. Die SPD hat
dem Gesetzentwurf im Ausschuss zugestimmt, weil er
Regelungen enthält, die für die Kinder und Jugendlichen
und deren Leben wichtig sind. So wird unter anderem
der rechtliche Umgang leiblicher Väter mit ihren Kin-
dern geregelt. Des Weiteren wird die Kostenbeteiligung
bei teilstationärer und stationärer Unterbringung neu ge-
regelt; auch diese Regelung ist angenommen. Eine an-
dere wichtige Regelung betrifft immerhin ein paar Tau-
send Pflegeeltern in der Bundesrepublik, die Kinder mit
schweren Behinderungen aufgenommen haben. Es geht
also um Kinder, die weder in der Herkunftsfamilie noch
in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben. Die Gel-
tungsdauer der entsprechenden Eingliederungshilfe, die
wir auf vier Jahre festgelegt hatten, wird nun per Gesetz
verlängert.

Woher sollen die Menschen erfahren, dass das alles
geregelt wird, wenn wir darüber mitten in der Nacht ab-
stimmen? Wenn ich nicht so stur gewesen wäre und da-
rauf bestanden hätte, dass wir darüber reden, würde es
kein Mensch mitbekommen, auch nicht die Kollegen.
Sie könnten noch nicht einmal Auskunft geben.

Des Weiteren liegen uns drei Anträge – zwei von der
SPD und einer von den Grünen – zur Jugendpolitik vor.
Das alles wird einfach en passant behandelt.

Alle paar Jahre muss die Bundesregierung einen Ge-
samtbericht über die Lebenssituation junger Menschen
und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in
Deutschland vorlegen. Der letzte Gesamtbericht mit dem
Titel „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“
wurde 2002 vorgelegt. Der nun vorliegende 14. Kinder-
und Jugendbericht schreibt das fort, was damals begon-
nen wurde, nämlich dass es neben der privaten eine öf-

fentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kin-
dern und Jugendlichen gibt. Diese öffentliche
Verantwortung ist im Wandel begriffen. Das heißt, wir
haben die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen und
Verantwortungen zu übernehmen. Darüber diskutieren
wir heute Nacht aber gar nicht. Wir stellen den Bericht
noch nicht einmal vor. Es ist auch gar nicht machbar, ihn
in einer halben Stunde vorzustellen, geschweige denn
darüber zu diskutieren.

Ich weiß, dass ich Sie damit nerve. Ich würde Ihnen
lieber Ihr Bett gönnen. Dann würden wir auch das Ar-
beitsrecht einhalten.


(Iris Gleicke [SPD]: Marlene, ich sitze seit 16 Stunden hier! Mach!)


– Ja, aber stellt euch vor, jeder würde sein Recht in An-
spruch nehmen, zu den Punkten, für die er zuständig ist,
zu reden und der Öffentlichkeit das Thema vorzustellen.
Es gibt verfassungsrechtliche Grundsätze, die der Trans-
parenz und der Beteiligung, und die nehmen wir nicht
ernst. Deshalb wollte ich heute Abend reden. Das betrifft
nur meinen Teil und den Teil der Kolleginnen und Kolle-
gen, die hier sitzen. Die sozialen Themen fallen meistens
hinten runter.

Aber nehmen Sie doch Ihre eigene Arbeit ernst, oder
gehen Sie nach Hause! Wenn Sie nur ein Abnickverein
sind, haben Sie hier nichts zu suchen.


(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Es tut mir schrecklich leid, dass ich das so deutlich sagen
muss. Wenn sich das neue Parlament ernst nimmt, dann
muss es sich überlegen, ob es Tagesordnungen ansetzt,
die einen Umfang von mehr als 24 Stunden haben und
bei denen mehr als die Hälfte der Tagesordnungspunkte
nur durch Abnicken, Aufstehen und Abstimmungsgym-
nastik erledigt werden. Das halte ich für den eigentlichen
Skandal.

Aber das ist Ihre Entscheidung. Ich bin ein Mitglied
von über 620. In dem Sinne wünsche ich Ihnen trotzdem
eine gute Nacht. Hoffentlich können Sie gut schlafen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724031200

Das war unsere Kollegin Frau Marlene Rupprecht. –

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Otto
Fricke.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1724031300

Frau Kollegin Rupprecht, Sie wissen, dass ich Sie

schätze, vor allen Dingen Ihr Engagement, aber auch –
das will ich ausdrücklich sagen – die bei einem Politiker
notwendige Emotion, die dazu gehört, weil wir eben
nicht nur nach Vernunft handeln und rein nach Paragra-
fen vorgehen.

Ich will aber doch eines klar sagen: Keiner von denen,
die hier sind, sitzt nur deswegen hier, weil er hier sitzen
muss, sondern er sitzt auch deswegen hier, weil er gerne





Otto Fricke


(A) (C)



(D)(B)


Abgeordneter ist. Seien Sie nicht unfair! Hinsichtlich der
Frage, welcher Punkt der Tagesordnung zu welchem
Zeitpunkt besprochen wird,


(Iris Gleicke [SPD]: So ist das!)


müssen wir ehrlicherweise auch sagen: Die Tagesord-
nung wird in Absprache zwischen Opposition und Koali-
tion festgelegt. Das heißt, Ihre eigene Fraktion hätte im-
mer die Möglichkeit, Tagesordnungspunkte an eine
andere Stelle zu setzen. Wenn wir wollen, dass wir als
Parlament entscheiden – das sollte man in einem Parla-
ment auch sagen –, müssen wir akzeptieren, dass be-
stimmte Punkte weiter vorne und andere Punkte weiter
hinten sind. Diese demokratische Entscheidung hat die-
ses Parlament hier gefällt.

Weil der Tag schlichtweg nur 24 Stunden hat und weil
wir uns überlegen müssen, ob wir nur noch hier sein
wollen oder auch in den Wahlkreisen, wäre die Alterna-
tive für uns als Parlament, über weniger Punkte zu ent-
scheiden. Ich will das für meine Fraktion ausdrücklich
festhalten. Deswegen kann ich die Äußerungen, die Sie
hier getroffen haben, nicht teilen; wenn man Ihnen
folgte, würde das dazu führen, dass sich das Parlament
im Endeffekt in die falsche Richtung bewegt und in sei-
nen Entscheidungen reduziert wird. Das will ich nicht,
bei allem Engagement und bei aller Bedeutung des Ta-
gesordnungspunktes, über den wir heute reden und über
den der Kollege Hüppe – da bin ich mir sicher – gleich
viel Wesentliches sagen wird.

Danke.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/ CSU sowie der Abg. Iris Gleicke [SPD])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724031400

Frau Kollegin Marlene Rupprecht, Sie haben nach un-

serer Geschäftsordnung die Möglichkeit, zu antworten.
Bitte schön.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1724031500

Es geht doch darum, ob dieses Parlament ernsthaft ar-

beitet. Überlegen Sie, wie lange Sie heute hier sitzen. Ei-
gentlich müssten Sie bis morgen Abend hier sitzen, um
die Tagesordnung abzuarbeiten. Ich weiß, dass alle Frak-
tionen das abgestimmt haben. Ich habe meine Äußerun-
gen ganz bewusst jetzt gemacht, weil ich denke, dass es
wichtig ist, dass das Parlament sich über eines klar wird:
Wenn das Parlament ein Arbeitsparlament bleiben soll,
dann muss man reden, diskutieren und Beschlüsse fas-
sen. Wenn das nicht mehr der Fall sein soll, dann frage
ich mich, warum wir so viele Abgeordnete brauchen, die
sich Mühe geben, sich intensiv mit der Thematik zu be-
schäftigen; denn letztendlich kommt es dann gar nicht
mehr darauf an.

Ich wollte Ihnen hier nicht sagen, dass Sie faul sind,


(Otto Fricke [FDP]: Das weiß ich!)


sondern ich wollte Sie bitten, darüber nachzudenken, ob
die Arbeitsweise, die sich im Laufe der Jahre – ich ge-
höre jetzt 17 Jahre dem Hause an – eingebürgert hat, an-
gemessen ist. Ist es richtig, in der Nacht 20 zweite und

dritte Lesungen und Abstimmungen über Tagesord-
nungspunkte durchzuführen, die Sie in den Wahlkreisen
zu verantworten haben? Wenn Sie nicht im Fachaus-
schuss sitzen, können Sie doch nicht mehr über die In-
halte entscheiden. Sie hören die Argumente weder im
Ausschuss noch in den Fraktionen oder im Plenum.
Wenn Sie zustimmen, rennen Sie einfach der Mehrheit
hinterher. Das war ein Appell. Ich weiß, Sie nehmen ihn
mir jetzt übel. Ich glaube immer noch an die parlamenta-
rische Demokratie. Vor allem das neugewählte Parla-
ment, dem Sie womöglich angehören werden, muss sich
Arbeitsweisen und Verfahren überlegen, durch die die
Transparenz, also die Öffentlichkeit, die wir herstellen
müssen, aber auch die Beteiligung der Abgeordneten ge-
sichert werden können. Das kann nicht geschehen, wenn
die Tagesordnung so umfangreich ist, dass mehr als
24 Stunden nötig sind, um sie zu bewältigen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724031600

Vielen Dank. – Zunächst möchte ich allen Kollegin-

nen und Kollegen herzlich danken, dass sie bei diesem
Tagesordnungspunkt und auch bei weiteren zu dieser
späten Stunde noch da sind. Es zeigt, dass dieses Thema
von uns allen hier sehr ernst genommen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das liegt am Präsidenten!)


Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, auch in Zukunft
permanent über die Wirkung unserer Arbeitsweise zu re-
den und zu sprechen. Wir sollten weiterhin darüber
nachdenken, was wir zukünftig verbessern können.

Jetzt hat der Kollege Hubert Hüppe das Wort für die
Fraktion von CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1724031700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Auch ich teile die Auffassung von Herrn Fricke,
dass Sie, Frau Rupprecht – wir kennen uns lange genug –,
sehr viel Engagement zeigen. Ich könnte aber auch sa-
gen: Vielleicht überzeugen Sie einmal Ihre eigene Frak-
tion, nicht so viele Anträge zu stellen, die eigentlich nur
noch etwas mit Wahlkampf zu tun haben,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Das hätten Sie gern!)


sondern nur noch solche, die wirklich inhaltlich begrün-
det sind. Dann bräuchten wir nicht um diese Uhrzeit
diese Vorlagen zu beraten.

Ich nutze meine wenigen Minuten Redezeit für ein
Thema, das gerade für den Beauftragten der Bundesre-
gierung für die Belange behinderter Menschen wichtig
ist. Angesichts der vielen Regelungen, die wir zu einem
einzigen Gesetzentwurf zusammengeführt haben, er-
scheint das erst einmal nicht so wichtig; es ist aber für
eine bestimmte Gruppe sehr wichtig – da sind wir uns ei-
nig –, und zwar nicht so sehr für die Pflegefamilien, son-





Hubert Hüppe


(A) (C)



(D)(B)


dern für die Kinder mit Behinderung. Ich beziehe mich
auf § 54 Abs. 3 SGB XII; das sagt wahrscheinlich nicht
jedem sofort etwas.

Unser Problem ist, dass es laut Gesetz leider immer
noch zwei Gruppen von Kindern gibt, nämlich Kinder
mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung. Die ei-
nen gehören nach dem jetzigen Recht in den Bereich der
Jugendhilfe, und die anderen fallen unter die Eingliede-
rungshilfe. Aber eigentlich gehört sich diese Unterschei-
dung nicht; denn Kinder sind erst einmal Kinder, egal ob
sie behindert oder nicht behindert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Es ist so, dass bis 2009 die Eingliederungshilfe für
Kinder mit Behinderung die Unterbringung in Pflegefa-
milien gar nicht vorsah. Ich selbst habe in meinem Wahl-
kreis erlebt, dass ein kleines, fast neugeborenes Kind mit
Behinderung, das von seiner Familie abgelehnt worden
ist, von einem Kinderkrankenhaus in eine Profipflegefa-
milie vermittelt worden ist. Das zuständige Jugendamt
hat alles dafür getan, dieses Kind in einem Heim unter-
zubringen. Der Grund war, dass dieses Jugendamt zwar
die Pflegefamilie hätte bezahlen müssen, nicht aber die
Unterbringung in einem Heim, weil es einem überörtli-
chen Träger der Sozialhilfe untersteht. Es darf nicht wie-
der passieren, dass Kinder aus finanziellen Gründen in
Einrichtungen gebracht werden, in die sie nicht gehören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Insofern ist die Fristverlängerung des § 54 Abs. 3
SGB XII wichtig. Es gibt sie seit 2009. Frau Rupprecht
hat mit für sie gekämpft. Aber auch die CDU/CSU-Frak-
tion hat damals – auch auf meinen Hinweis hin; ich war
damals noch Beauftragter der CDU/CSU-Fraktion für
die Belange von Menschen mit Behinderungen – ein
Fachgespräch zum Thema und Gespräche geführt mit
Pflegeeltern und mit Verbänden, unter anderem mit der
Diakonie Düsseldorf, die auf diesem Gebiet schon sehr
lange aktiv ist und die Schwierigkeiten kannte. Wir ha-
ben eine Lösung gefunden: § 54 Abs. 3 SGB XII ermög-
licht es, diese Kinder im Rahmen der Eingliederungs-
hilfe in Familien unterzubringen. Vorher war es so:
Kinder wurden zwischen Kostenträgern hin und her ge-
schoben. Örtliche Sozialhilfeträger haben sich gewei-
gert. Argument: Es gibt die Betreuung in einer Pflege-
familie nicht nach der Eingliederungshilfe. – Die
Jugendhilfe hat gesagt: Wir zahlen das nicht. Das ist
nicht Jugendhilfe; das ist Eingliederungshilfe. Wir sind
für diese Kinder nicht zuständig.

Wir haben heute noch ein Problem. Es gibt auch die
seelisch behinderten Kinder. Dann entsteht auch noch
Streit darüber: Ist es ein seelisch behindertes Kind oder
ein sogenanntes geistig behindertes Kind? Es verrinnt
wertvolle Zeit, die die Kinder für ihre Entwicklung
bräuchten.

Deswegen haben wir damals eine Regelung einge-
führt. Wir haben sie befristet bis zum Jahr 2013. Wenn
wir jetzt nichts tun würden, würde diese Regelung aus-

laufen, und diese Kinder müssten möglicherweise in
Heimeinrichtungen.

Ich habe mich sehr darüber geärgert – das will ich an
dieser Stelle einmal sagen –, dass ein Wohlfahrtsverband
mich angeschrieben hat, weil ich in einer Presseerklä-
rung geschrieben habe, es gehe darum, zu verhindern,
dass diese Kinder in Heimen untergebracht würden, und
die Pflegefamilie sei die bessere Alternative. Dieser
Wohlfahrtsverband hat gesagt, ich sollte die Heime nicht
in ein schlechtes Licht rücken; die seien doch manchmal
vielleicht sogar besser für die Kinder.

Kinder, ob behindert oder nicht, haben ein Recht auf
Familie. Wenn das in der leiblichen Familie nicht zu ge-
währleisten ist, ist die Pflegefamilie einer Heimeinrich-
tung vorzuziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir nicht,
wie es jetzt im Entwurf heißt, bis zum Ende des Jahres
2018 warten müssen. Wir hatten die Befristung bis 2013
hineingeschrieben, weil wir gehofft hatten, es würde
eine große Lösung geben, sodass die Kinder – das steht
auch im 14. Kinder- und Jugendbericht – nicht mehr da-
nach sortiert werden, ob sie behindert sind oder nicht be-
hindert sind. In diesem Bericht spricht die Bundesregie-
rung sich in ihrer Stellungnahme für eine solche große
Lösung aus.

Jetzt hoffe ich, dass nicht weiter der eine dem anderen
den Schwarzen Peter zuschiebt, dass die Länder, der
Bund und die Kommunen zusammenarbeiten, damit
Kinder eine Chance haben, damit behinderte Kinder die-
selben Rechte haben wie nicht behinderte Kinder. Des-
wegen ist es so wichtig, dass wir die Frist verlängern.
Wir hoffen aber, dass diese Regelung früher abgelöst
wird, nämlich durch eine Lösung, die allen Kindern hilft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724031800

Vielen Dank, Kollege Hubert Hüppe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Ju-
gendhilfe. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/13531, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/13023 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-
fraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer
stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt
dagegen? – Das ist niemand. Enthaltungen? – Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzent-
wurf ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/12907. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf der Drucksache 17/12063 mit dem Titel
„Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume
schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten
und Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/11376 mit dem Titel „Eigenstän-
dige Jugendpolitik – Selbstbestimmt durch Freiheit,
Gerechtigkeit, Demokratie und Emanzipation“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Linksfrak-
tion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkte 20 c und 20 d. Interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 17/12200 und 17/13473 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht.
Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel

(Rosenheim)

der SPD

Rechte intersexueller Menschen stärken

– Drucksache 17/13253 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Jan Korte, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Grundrechte von intersexuellen Menschen
wahren

– Drucksache 17/12859 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Grundrechte von intersexuellen Menschen
wahren

– Drucksache 17/12851 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Alle sind damit einverstanden.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Der Tauber möchte reden!)


– Darf ich Sie bitten, die notwendige Konzentration zu
haben.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/13253, 17/12859 und 17/12851
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset-
zes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau
und weiterer Gesetze

– Drucksache 17/12815 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Kreditan-
stalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze

– Drucksache 17/13061 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/13318 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Kudla
Manfred Zöllmer
Björn Sänger

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Alle sind damit einverstanden, sodass wir gleich zur Ab-
stimmung kommen. Der Finanzausschuss empfiehlt in

1) Anlage 11
2) Anlage 13





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13318,
die genannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP auf Drucksache 17/12815 sowie der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/13061 zusammenzu-
führen und als Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? –
Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen?
– Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel,
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Religionsfreiheit im Iran stärken und Men-
schenrechte der Baha’í wahren

– Drucksache 17/13474 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1724031900

Wir beraten parallel zur aktuellen weltweiten Kam-

pagne der internationalen Bahai-Gemeinde zur Frei-
lassung der seit fünf Jahren inhaftierten sieben Füh-
rungsmitglieder über einen Antrag, in dem sich die
SPD-Fraktion für eine Stärkung der Religionsfreiheit
im Iran und die Wahrung der Menschenrechte der Ba-
hai ausspricht.

Lassen Sie mich zunächst die großen Defizite des
Iran bei der Frage der Religionsfreiheit in einigen
Punkten zusammenfassen, bevor ich auf die nach wie
vor alarmierende Situation der Bahai eingehen werde.
Im Anschluss werde ich verdeutlichen, warum wir
zwar die grundsätzliche Zielrichtung Ihres Antrags un-
terstützen, ihn in dieser Form aber nicht mittragen
können.

Im Weltverfolgungsindex 2013 des christlichen
Hilfswerks Open Doors steht der Iran an achter Stelle
der 50 Staaten, in denen christliche Minderheiten am
stärksten bedrängt und verfolgt werden. Auch in ihrem
aktuellen Bericht hat die United States Commission on
International Religious Freedom, USCIRF, dem ame-
rikanischen Außenministerium empfohlen, den Iran

unter dem International Religious Freedom Act, IRFA,
erneut als Country of Particular Concern, CPC, einzu-
stufen.

Die massive Verschlechterung der Situation der re-
ligiösen Minderheiten begann 2004 mit dem Wahlsieg
konservativer Parteien. Im Juni 2005 folgte auf die
Wahl des konservativen Hardliners Mahmud
Ahmadinedschad zum Präsidenten eine neue Welle der
Verfolgung. Präsident Ahmadinedschad bejubelte sei-
nen Wahlsieg als neue islamische Revolution, die sich
weltweit verbreiten könne, und versprach die Wieder-
herstellung einer „islamischen Regierung“ im Iran.
Seine umstrittene Wiederwahl im Juni 2009 löste lan-
desweite Proteste aus. Bei dem darauffolgenden har-
ten Vorgehen der staatlichen Behörden gegen die De-
mokratiebewegung wurden auch die religiösen
Minderheiten hart getroffen.

Die Religionsfreiheit ist im Iran stark einge-
schränkt, auch wenn nach der iranischen Verfassung
den „anerkannten“ vorislamischen und monotheisti-
schen Gruppen zumindest formal teilweise die gesell-
schaftliche Anerkennung, politische Integration und
die Zuerkennung religiöser Rechte zustehen. Die Mis-
sionierung für ihre Religion ist aber keiner der religiö-
sen Minderheiten gestattet.

Die christliche Minderheit setzt sich aus traditionel-
len, „anerkannten“ und neueren, mitunter stark ver-
folgten Gemeinschaften – wie zum Beispiel protestan-
tischen und evangelikalen Gruppen – zusammen.
Dennoch berichten auch Mitglieder „anerkannter“
Christengemeinschaften von Repressionen und Diskri-
minierung, denen sie aufgrund ihres Glaubens ausge-
setzt sind. Menschen, die vom Islam zu anderen Reli-
gionen wechseln, sind zum Teil sogar von strafrechtli-
cher Verfolgung bedroht, da der Abfall vom Glauben
– die sogenannte Apostasie – im Iran mit der Todes-
strafe geahndet werden kann.

Religiöse Minderheiten unterliegen darüber hinaus
konkreten Beschränkungen im Zivil- und Strafrecht
und werden in der Arbeitswelt und beim Zugang zur
Bildung stark benachteiligt. Strafrechtlich wird zwi-
schen Muslimen und Nichtmuslimen unterschieden.
Selbst Heiratsverbote existieren. So darf ein Nichtmus-
lim keine Muslimin heiraten. Obwohl rechtlich nicht
verankert, gilt die Ehe eines Muslims mit einer Nicht-
muslimin gemeinhin ebenfalls als verboten.

Insgesamt wächst der Druck auf Nichtmuslime, un-
ter anderem auch auf Juden, die zu den ältesten und
größten religiösen Minderheiten des Irans zählen.
Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für
Menschenrechte, IGFM, hat die Anzahl der Mitglieder
der traditionellen religiösen Minderheiten deshalb
kontinuierlich abgenommen. Aber auch iranische
Muslime, die nicht der schiitischen Mehrheitsreligion
angehören – wie Sunniten, Sufis und ähnliche
Gruppen –, werden staatlicherseits und gesellschaft-
lich stark diskriminiert, als Bürger zweiter Klasse be-
handelt und zum Teil verfolgt. Dies gilt zum Beispiel





Ute Granold


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(D)(B)


für die Ausübung ihrer Religion, die Besetzung öffent-
licher Ämter oder im Berufsleben.

Ende 2010 und Anfang 2011 kam es zu Massenver-
haftungen von Christen. Insgesamt wurden über
200 Personen festgenommen. Zu den Verhaftungswel-
len führten öffentliche christenfeindliche Äußerungen
hochrangiger religiöser und politischer Führer. Im
Oktober 2010 hatte der oberste geistliche Führer des
Iran, Ajatollah Ali Chamenei, in einer öffentlichen An-
sprache zum ersten Mal vor der Gefahr durch wach-
sende Hauskirchen im Land gewarnt. Auch Geheim-
dienstminister Heydar Moslehi warnte vor der
Bedrohung durch christliche Hauskirchen und andere
christliche Aktivitäten. Seinen Aussagen zufolge hätten
„seine Agenten“ Hunderte von Untergrundgruppen
entdeckt, unter anderem 200 in der bei Muslimen hei-
ligen Stadt Maschhad. Als Reaktion auf die Festnahme
von Christen kündigte der Provinzgouverneur von Te-
heran, Morteza Tamadon, im Januar 2011 weitere Ver-
haftungen in naher Zukunft an. Er übte besonders Kri-
tik an der christlichen Mission als eine „verdorbene,
abweichlerische Bewegung“ und nannte sie „eine kul-
turelle Invasion des Feindes“. Die protestantische Be-
wegung verglich er mit der Taliban und den Wahhabi-
ten im Islam. Er deutete zudem an, dass neue
Anstrengungen unternommen würden, um das An-
wachsen der hauskirchlichen Bewegung im Iran zu be-
kämpfen. Die öffentliche christenfeindliche Rhetorik
hochrangiger Führer ist auch für die gestiegene Zahl
von Festnahmen von Christen verantwortlich. Zwar
kamen die meisten Festgenommenen später wieder
frei, doch der Druck auf Hausgemeinden von Christen
muslimischer Herkunft bleibt unvermindert hoch. Seit
September 2011 sind mindestens 46 Christen verhaftet
worden. Die Regierung kontrolliert das Internet und
überwacht christliche Internetseiten und Fernseh- und
Radiostationen.

Nicht anerkannte Gruppen haben demgegenüber
keinerlei Rechtsanspruch und Rechtssicherheit. Be-
sondere Missachtung wird der Religionsgemeinschaft
der Bahai entgegengebracht, deren Mitglieder nicht
nur zu den Ungläubigen, sondern zu den „Schmutzi-
gen“ gezählt werden. Entgegen der Auffassung des is-
lamischen Klerus betrachten die Bahai Mohammed
nicht als den letzten Propheten. Gemäß den Lehren ih-
res Glaubens mischen sie sich nicht in die iranische
Politik ein und praktizieren das Prinzip der Gewaltlo-
sigkeit.

Theologisch betrachtet, gelten Bahai im orthodoxen
Islam als Abgefallene. Ihre Religion wurzelt im schiiti-
schen Islam, hat sich aber von ihm gelöst. Daher gel-
ten sie nicht als schützenswerte Minderheit. Ihre Ver-
folgung wird mit Zielen der „nationalen Sicherheit“
begründet und von der Staatsführung instrumentali-
siert, um sich die Unterstützung der Massen zu si-
chern. Menschenrechtsverletzungen an den Bahai sind
daher oftmals staatlich inszeniert und gesteuert.

Seit der islamischen Revolution hat sich auch ihre
Situation im Iran weiter verschlechtert. Bis heute wird

ihnen die Aufnahme in Bildungseinrichtungen verwei-
gert, Angestellten im öffentlichen Dienst wurde ohne
Sozialversicherung und Rente gekündigt, Gehälter und
Ausbildungskosten mussten unter Androhung von Ge-
fängnis zurückgezahlt werden. Bahai-Eigentum wurde
enteignet, Geschäftsverkehr mit Angehörigen der Re-
ligion verboten, Läden und Geschäfte wurden ge-
schlossen, Geschäfts- und Privatkonten gesperrt. Im-
mer wieder kam es zu Pogromen. Alle Bahai werden
seit dem Amtsantritt des Präsidenten Mahmud
Ahmadinedschad systematisch vom Geheimdienst
überwacht. Das im Jahr 1983 erklärte Verbot der Ba-
hai als Organisation wurde in einem am 15. Februar
2009 veröffentlichten Schreiben des Generalstaatsan-
walts Najafabadi bestätigt. Ferner wird den Bahai
häufig Spionage für den Westen vorgeworfen, da ihr
religiöses Zentrum in Haifa im Norden Israels liegt.
Die Bahai-Gemeinde im Iran zählt aufgrund dieses
Verfolgungsdrucks nur noch rund 300 000 bis 350 000
Gläubige.

Die deutsche Bundesregierung und die Europäische
Union haben auch in jüngerer Zeit mehrfach Men-
schenrechtsverletzungen an den Bahai gegenüber Te-
heran mit Demarchen zur Sprache gebracht. Auch das
Europäische Parlament und der Europäische Rat äu-
ßern sich regelmäßig zur Menschenrechtslage der Ba-
hai im Iran. So hat jüngst der Menschenrechtsbeauf-
tragte der Bundesregierung, Markus Löning, vor dem
Hintergrund des bevorstehenden fünften Jahrestages
der Inhaftierung der sieben Führungsmitglieder von
der iranischen Regierung die Aufhebung der Urteile
gefordert. Er betonte, dass die Verfolgung der Bahai
und anderer religiöser Minderheiten gegen das Recht
auf Religionsfreiheit verstoße. Zu dessen Einhaltung
habe sich der Iran mit der Unterzeichnung des Inter-
nationalen Paktes über bürgerliche und politische
Rechte verpflichtet.

Aus demselben Anlass hat auch die Vorsitzende der
Arbeitsgruppe Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unsere Kollegin
Erika Steinbach, den Iran daran erinnert, dass er als
Vertragsstaat des Internationalen Paktes über die bür-
gerlichen und politischen Rechte an die darin enthalte-
nen menschenrechtlichen Verpflichtungen gebunden
ist.

Innerhalb der Unionsbundestagsfraktion haben wir
die kritische Menschenrechtssituation im Iran – und
hier vor allem den Aspekt der Religionsfreiheit – auch
im Stephanuskreis thematisiert, zuletzt im April 2013.
In diesem Kreis haben sich auf meine Initiative hin
mittlerweile 58 Kolleginnen und Kollegen aus der
Unionsfraktion zusammengeschlossen. In Erinnerung
an den ersten christlichen Märtyrer, dem sowohl Ka-
tholiken als auch Protestanten gedenken, hat der Ste-
phanuskreis die Religionsfreiheit ins Zentrum seiner
Arbeit gestellt und widmet sich dabei insbesondere der
Lage verfolgter Christen in aller Welt. Nach unserer
Sitzung im April haben wir mit Blick auf die bevorste-
henden Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 das Fa-

Zu Protokoll gegebene Reden





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


zit gezogen, dass Deutschland gemeinsam mit seinen
Partnern auch bei einem möglichen Wahlsieg eines
vermeintlichen Reformers weiter auf den Iran einwir-
ken muss, um die bedrohliche Situation der religiösen
Minderheiten zu verbessern. In diesem Zusammenhang
erwartet auch die schon von mir erwähnte USCIRF,
dass die iranische Regierung bereits im Vorfeld der
Wahlen ihre Anstrengungen erhöhen wird, jede Form
von Dissens im Keim zu ersticken und die religiösen
Minderheiten zu Sündenböcken zu machen.

In dieser Legislaturperiode hat sich der Deutsche
Bundestag ebenfalls bereits mehrfach mit der Lage der
Religionsfreiheit und der Menschenrechte im Iran be-
fasst. So hat beispielsweise der umfassende Antrag der
Koalitionsfraktionen „Religionsfreiheit weltweit
schützen“, Bundestagsdrucksache 17/2334, unter an-
derem das Recht auf Religionswechsel thematisiert
und in diesem Zusammenhang auf den Iran verwiesen,
wo in einem solchen Fall denjenigen die Todesstrafe
droht, die sich einer anderen Religion als dem Islam
zuwenden. Zusätzlich hat der von den Koalitionsfrak-
tionen vor dem Hintergrund der Eindrücke der Nieder-
schlagung der sogenannten Grünen Revolution initi-
ierte und später interfraktionell geöffnete Antrag
„Menschenrechtslage im Iran verbessern“, Bundes-
tagsdrucksache 17/4011, den auch die SPD-Fraktion
mitgetragen hat, bereits im Jahr 2010 die Diskriminie-
rung der religiösen Minderheiten im Iran ausführlich
thematisiert.

Wie meine Ausführungen gezeigt haben, wird also
bereits auf den unterschiedlichsten politischen Ebenen
intensiv auf eine Verbesserung der Situation der Reli-
gionsfreiheit und der bedrohlichen Lage der Bahai im
Iran hingearbeitet. Diesen Weg werden wir auch in Zu-
kunft konsequent weiter beschreiten.

Der Antrag der SPD geht nach unserer Auffassung
nur unwesentlich über die Forderungen hinaus, die
seitens der Koalitionsfraktionen und der Bundesregie-
rung bereits in der Vergangenheit an den Iran gestellt
wurden und weiterhin gestellt werden. Vor diesem Hin-
tergrund teilen wir zwar die grundsätzliche Zielset-
zung des vorliegenden Antrags, können diesen aber
aus den genannten Gründen nicht mittragen.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1724032000

Im November letzten Jahres besuchte ich im Rah-

men einer Reise der deutsch-iranischen Parlamenta-
riergruppe den Iran. Unsere Reiseabsichten wurden
vorab stark in der Öffentlichkeit diskutiert. Ich bin
froh, dass wir trotz aller Kritik dennoch das Land be-
sucht haben. Der Schwerpunkt unserer Gespräche lag
auf dem Thema Menschenrechte. Ich denke, das ist ein
Bereich, in dem Fortschritte nicht durch Sanktionen
oder einfaches Ignorieren der Regierung erreicht wer-
den, sondern durch kontinuierlichen Dialog, kritische
Nachfragen und das Erkunden der Situation vor Ort.

Die menschrechtliche Lage im Iran ist dramatisch.
Das machte auch Ahmad Shaheed, der derzeitige UN-
Sonderberichterstatter zum Iran, in seinem jüngsten

Bericht im Februar dieses Jahres erneut deutlich. Die
Religionsfreiheit ist durch das Regime besonders ge-
fährdet. Die Situation nichtmuslimischer Religionsge-
meinschaften oder bekennender Atheisten ist prekär.
Vor allem die Glaubensgemeinschaft der Bahai steht
im Fokus der iranischen Regierung. Ihnen wird vorge-
worfen, Spitzel Israels zu sein und Spionage für den
Westen zu betreiben. Seit den umstrittenen Wahlen
2009 hat sich die Menschenrechtslage stetig ver-
schlechtert. 50 Iraner hat die Bundesrepublik Deutsch-
land damals als politische Flüchtlinge mit Flüchtlings-
status aufgenommen, unter ihnen auch einige Bahai.
In ihrem Heimatland wird ihre Glaubensgemeinschaft
systematisch diskriminiert und verfolgt und vom ge-
sellschaftlichen und politischen Leben ausgegrenzt.
Sie müssen um ihr Überleben bangen. Diese Tatsache
deckte der damalige UN-Sonderberichterstatter für
Menschenrechte im Iran, Galindo Pohl, bereits 1993
auf. Seitdem hat sich die Situation weiter verschlim-
mert. Die Unterdrückung der Bahai erfolgt auf mehre-
ren unterschiedlichen Ebenen.

Die iranische Verfassung erkennt die Bahai nicht
als religiöse Minderheit an, weil sie nach dem Islam
entstanden ist. Nur vorislamischen, monotheistischen
Gruppen wie den Christen, Juden und Zoroastriern
werden in Art. 13 der iranischen Verfassung zumindest
teilweise die gesellschaftliche Anerkennung, politische
Integration und die Zuerkennung religiöser Rechte zu-
gestanden. Doch auch die Situation der anerkannten
Gruppen ist kritisch. Grundsätzlich werden religiöse
Minderheiten anders behandelt als Muslime. Christen,
die nicht zu den alteingesessenen ethnischen oder reli-
giösen Minderheiten des Iran gehören, sehen sich oft
mit Verhaftungen, Drohungen seitens hoher Funktions-
träger und Vorwürfen der Apostasie konfrontiert.

Die freie Wahl und die Verbreitung des Glaubens ist
ebenfalls stark eingeschränkt. Staatsreligion ist die
Scharia. Selbst Sunniten haben durchaus Probleme.
Strafrechtliche Verfolgung droht aber denjenigen, die
vom Islam zu einem anderen Glauben konvertieren
wollen oder sich als Atheisten outen. Der Abfall vom
muslimischen Glauben – Apostasie – kann mit der To-
desstrafe belegt werden. Unterscheidungen zwischen
Muslimen und Nichtmuslimen sind alltäglich, ebenso
wie Diskriminierungen im Arbeitsleben und im Bil-
dungssystem. Darüber kann auch der Parlamentssitz
für Juden, orthodoxe Christen und Zoroastrier nicht
hinwegtäuschen.

Das betrifft die Menschen ganz gravierend im All-
tagsleben: Ein Liebespaar aus unterschiedlichen reli-
giösen Bevölkerungsgruppen hat keine Zukunft. Einem
Nichtmuslim ist es gesetzlich verboten, eine muslimi-
sche Frau zu heiraten. Rechtlich ist es zwar nicht ver-
ankert, jedoch als gemeinhin verboten gilt die Ehe ei-
nes Muslims mit einer Nichtmuslimin. Sie muss
gegebenenfalls konvertieren. Missionarische Tätigkei-
ten, selbst von den anerkannten Gemeinschaften, sind
streng verboten. Dies betrifft vor allem Angehörige
evangelikaler Freikirchen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



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Nichtanerkannte Gruppen wie die Bahai sind im
Iran weitgehend rechtlos. Dabei haben sie als pazifis-
tische, aufgeklärte Religion weltweit rund 7 Millionen
Anhänger. Sie sind – wie zum Beispiel hier bei uns in
Deutschland – als Körperschaft des Öffentlichen
Rechts anerkannt. Selbst bei den Vereinten Nationen
haben sie einen beratenden Status. Im Iran wird ihnen
jegliche Anerkennung versagt, und das, obwohl sie mit
300 000 Anhängern die größte religiöse Minderheit
bilden.

Menschenrechtsverletzungen an den Baha‘i sind
oftmals staatlich veranlasst und gesteuert. Im vergan-
gen Jahr war besonders die Provinz Semnan von Fest-
nahmen betroffen, mit dramatischen Folgen für die
Familien. Wenn die Eltern inhaftiert sind, ist niemand
mehr da, der Geld verdienen kann. Sitzen die Eltern
für längere Zeit – oft zwei oder drei Jahre – im Gefäng-
nis, sind meist alle finanziellen Reserven aufge-
braucht. Auch die willkürlichen Schließungen von Ge-
schäften oder das Entziehen von Gewerbescheinen
haben gravierende Folgen für die finanzielle Sicher-
heit und das Überleben der Bahai-Mitglieder. Eine Ar-
beit im öffentlichen Dienst zu finden, ist für sie unmög-
lich. Inoffiziell werden Listen mit Namen von Bahai-
Angehörigen geführt – ihnen werden regelmäßig Stel-
len im öffentlichen Dienst verweigert oder ihnen wird
gekündigt. Der ökonomische Druck ist hoch. Das Be-
rufsverbot geht auch mit dem Verlust von Pensions-
und Rentenansprüchen einher. Hinzu kommt, dass die
iranische Regierung de facto Bahai-Angehörigen die
höhere Schulbildung verweigert und die Baha‘i somit
von vornherein nicht die gleichen Chancen auf dem
Arbeitsmarkt haben. Über das Internet versuchen die
Bahai dennoch, sich weiterzubilden.

In diesen Tagen jährt sich zum fünften Mal die Ver-
haftung des informellen Führungsgremiums der Ba-
hai-Gemeinde. Im Mai 2008 wurde die siebenköpfige
Riege verhaftet. Im August 2010 wurden sie in einem
grob unfairen Gerichtsverfahren der Spionage für Is-
rael und der Propaganda gegen den Islam schuldig ge-
sprochen. Sie wurden zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Angesichts der prekären Situation der religiösen
Minderheiten, besonders der Bahai, und bekennender
Atheisten im Iran fordern wir die Bundesregierung auf,
stärker als bisher aktiv zu werden. Zum Beispiel, in-
dem Gruppenverfolgte der Bahai in Deutschland als
Flüchtlinge aufgenommen werden oder die Religions-
und Weltanschauungsfreiheit in den multi- und bilate-
ralen Gesprächen verstärkt eingebracht wird.


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1724032100

In ihrem Antrag fordert die SPD die Bundesregie-

rung auf, auf internationaler und nationaler Ebene die
Religionsfreiheit im Iran zu stärken und die Menschen-
rechte der Bahai zu wahren. Dazu möchte ich sagen,
dass diese christlich-liberale Bundesregierung wie
keine andere Regierungskoalition zuvor die Men-
schenrechte in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt
hat. Entsprechend haben wir im Koalitionsvertrag zwi-

schen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion
explizit festgeschrieben, dass sich diese Regierungsko-
alition weltweit für Religionsfreiheit einsetzen wird.

Auch haben wir in unserem gemeinsamen Antrag
„Religionsfreiheit weltweit schützen“ die Bundesre-
gierung dazu aufgefordert, sich auf binationaler und
multinationaler Ebene weiterhin mit Nachdruck für die
Religionsfreiheit zu engagieren. In diesem Antrag vom
30. Juni 2010 haben wir im Übrigen dediziert auf die
Situation der Bahai im Iran hingewiesen und deutlich
gemacht, dass sich die Situation der Bahai im Iran
dramatisch verschlechtert hat.

Der Forderung des Deutschen Bundestages, sich
für die Religionsfreiheit einzusetzen, kommt diese
christliche-liberale Bundesregierung mit den unter-
schiedlichsten Mitteln sowie auf allen Ebenen nach.
Mit Nachdruck macht sich die Bundesregierung dabei
für die Rechte der Bahai stark. Lassen Sie mich bitte
zusammenfassen, auf welchen Wegen dies geschieht.

Erst letzte Woche, am 8. Mai 2013, hat der Men-
schenrechtsbeauftragte der Bundesregierung von der
Regierung in Teheran die Freilassung der im Iran in-
haftierten Bahai gefordert. Wie Sie sicher wissen, sitzt
seit fünf Jahren die Führung der iranischen Bahai-Ge-
meinde im Gefängnis. Sie wurde in einem intranspa-
renten Gerichtsverfahren unter Missachtung grundle-
gender rechtsstaatlicher Regeln zu jeweils 20 Jahren
Haft verurteilt.

Gern zitiere ich aus dem Aufruf des Menschen-
rechtsbeauftragten der Bundesregierung: „Ich fordere
die Justiz auf“, sagt Markus Löning, „ die unrechtmä-
ßigen Urteile sofort aufzuheben. Die sieben Bahai und
alle anderen aufgrund ihrer religiösen Gesinnung In-
haftierten müssen unverzüglich freigelassen werden.“

Zu diesem Gerichtsprozess gegen die Führung der
iranischen Bahai-Gemeinde ist außerdem anzumer-
ken, dass sich diese Bundesregierung auch schon vor
der Verurteilung für die Freilassung der seinerzeit an-
geklagten Führung der iranischen Bahai-Gemeinde
eingesetzt hat. So hat der damalige Staatssekretär des
Auswärtigen Amts, Dr. Wolf-Ruthart Born, am 15. Juni
2010 den iranischen Botschafter einbestellt und drin-
gend auf die Einhaltung grundlegender bürgerlicher
Rechte im Verfahren appelliert.

Ebenfalls am 8. Mai 2013 forderte der Menschen-
rechtsbeauftragte der Bundesregierung die iranische
Regierung auf, dass sich der Iran an die von ihm unter-
zeichneten völkerrechtlichen Verträge hält; denn – so
stellt der Menschenrechtsbeauftragte unmissverständ-
lich fest, – „die Verfolgung der Bahai und anderer re-
ligiöser Minderheiten verstößt gegen das Recht auf
Religionsfreiheit. Iran hat sich zu dessen Einhaltung
mit der Unterzeichnung des Internationalen Paktes
über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet.
Daran muss sich der Iran nun auch halten.“

Auch am 14. November 2012 hat der Menschen-
rechtsbeauftragte der Bundesregierung die Verfolgung

Zu Protokoll gegebene Reden





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


von Angehörigen der Bahai im Iran verurteilt. Insbe-
sondere bezog er sich dabei auf die Berichte über die
Verfolgung der Bahai in der iranischen Provinz Sem-
nan.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bunderegie-
rung stellte damals fest, dass Anschläge, Verhaftungen
und gezielte Einschüchterungen von Angehörigen der
Bahai ebensowenig hinnehmbar sind wie die willkürli-
che Schließung von Geschäften und die Exmatrikula-
tion vonseiten iranischen Universitäten. Iran verstoße
damit gegen die fundamentalen Prinzipien der Reli-
gionsfreiheit, zu deren Einhaltung sich Iran unter an-
derem durch die Unterzeichnung des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte ver-
pflichtet hat. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bun-
desregierung appellierte daher an die iranische Füh-
rung, der Verfolgung von Angehörigen der Bahai
umgehend Einhalt zu gebieten und sich an seine völ-
kerrechtlichen Verpflichtungen zu halten.

Diese Bundesregierung ruft den Iran regelmäßig
zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen im Menschen-
rechtsbereich auf, unter anderem – um nur ein paar
Beispiele zu nennen – : am 22. Februar 2012 im Fall
Youssuf Nadarkhani; am 3. März 2012 im Fall Youssuf
Nadarkhani; am 5. März 2012 im Fall Abdolfattah
Soltani; am 11. Mai 2012 bezüglich der Bahai und am
3. Juli 2012 bezüglich religiöser und ethnischer Min-
derheiten.

Letztlich möchte ich auf einen gemeinsamen Antrag
von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grü-
nen verweisen; denn der Deutsche Bundestag hat be-
reits am 1. Dezember 2010 in guter Zusammenarbeit
und in voller Übereinstimmung die Bundesregierung
dazu aufgefordert, „gegenüber dem iranischen Regime
weiterhin im bilateralen und multilateralen Rahmen
nachdrücklich deutlich zu machen, dass der Iran als
Vertragsstaat des Internationalen Paktes über die bür-
gerlichen und politischen Rechte (UN-Zivilpakt) die
darin festgehaltenen menschenrechtlichen Verpflich-
tungen einzuhalten und seinen Bürger essenzielle
Menschenrechte zu gewähren hat“ und dabei vor al-
lem auf die „Nichtdiskriminierung von ethnischen, re-
ligiösen und sexuellen Minderheiten“ verwiesen.

Daher kann ich zusammenfassend sagen, dass der
Antrag der SPD zwar gewiss gut gemeint ist, aber fak-
tisch leerläuft und daher abzulehnen ist. Denn wie die
wenigen Beispiele, die ich angeführt habe, zeigen,
setzt sich diese Bundesregierung für die Religionsfrei-
heit im Iran und die Rechte der Bahai kontinuierlich
und nachhaltig ein.


Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724032200

Leider müssen wir feststellen, dass sich die Lage

der Menschenrechte im Iran in den letzten Jahren nicht
verbessert hat. Die freie Meinungsäußerung, aber
auch die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind
weiterhin stark einschränkt. Menschenrechtsverteidi-
gerinnen und Menschenrechtsverteidiger müssen mit

Überwachung und willkürlichen Verhaftungen rech-
nen. Oppositionelle, engagierte Frauenrechtlerinnen
und Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten
sind häufig Verfolgung ausgesetzt und werden zu dra-
konischen Gefängnisstrafen verurteilt. Des Weiteren
gehört der Iran auch zu den Ländern, die weltweit die
meisten Todesurteile vollstrecken.

Der Iran hat sowohl den Zivilpakt als auch den So-
zialpakt ratifiziert. Deshalb sind diese Verträge für den
Iran völkerrechtlich verpflichtend. Ausdrücklich un-
terstützten wir die Forderung im Antrag der SPD, bei
bilateralen Gesprächen die Einhaltung dieser Pakte
anzumahnen und Verletzungen des Rechtes auf freie
Religionsausübung oder des Rechtes auf Bildung zu
thematisieren.

Die Gesetzgebung und die Rechtsprechung im Iran
diskriminierten zweifellos Angehörige religiöser und
ethnischer Minderheiten. Deshalb ist der Antrag „Re-
ligionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte
der Bahá’í wahren“ grundsätzlich zu begrüßen, da
hierdurch eine Debatte im Bundestag über die Benach-
teiligung von Menschen aufgrund ihrer politischen
und religiösen Überzeugung möglich wird.

Ausdrücklich unterstützt die Fraktion Die Linke die
Forderung, dass alle Menschen ein uneingeschränktes
Recht haben müssen, ihren Glauben frei zu leben und
auszuüben. Dies schließt für uns selbstverständlich
auch das Recht auf negative Religionsfreiheit, also das
Bekenntnis gegen jede Religion, ebenso wie das Recht,
die Religion wechseln zu können, mit ein.

Staaten haben auf der anderen Seite die Pflicht, sich
gegenüber allen Glaubensrichtungen neutral zu ver-
halten. Die Fraktion Die Linke setzt sich seit ihrer
Gründung für eine klare Trennung von Staat und Reli-
gion ein. Auch diese Forderung gilt für uns universal.
Nur wenn ein Staat eine laizistische Grundausrichtung
hat, kann wirkliche Religionsfreiheit, als individuelles
und privates Recht, erreicht werden.

Von einer solchen Entwicklung ist der Iran, wie
auch viele westliche Staaten, leider weit entfernt. Reli-
giöse Minderheiten werden im Iran benachteiligt, häu-
fig auch verfolgt. Gerade auch die Bahá’í werden in
dem Land ihrer Religionsstiftung, dem ehemaligen
Persien und der heutigen Islamischen Republik Iran,
massiv diskriminiert.

Die Geschichte der Bahá’í ist seit ihrer Gründung
auch eine Geschichte von Verfolgung und Unterdrü-
ckung. Die Religionsgemeinschaft der Bahá’í wird
selbst heute noch als Sekte diffamiert, übrigens auch in
nicht wenigen westlichen Staaten. In vielen muslimi-
schen Ländern begegnet ihnen häufig das Vorurteil, sie
seien Apostaten, also vom „wahren Glauben“ Abgefal-
lene. Schon der Religionsstifter Mirza Husain Ali Nuri
musste wegen massiver Anfeindungen im 19. Jahrhun-
dert aus Persien fliehen.

Demokratinnen und Demokraten sind gefordert,
wenn Menschen wegen ihres Glaubens, aber auch we-

Zu Protokoll gegebene Reden





Katrin Werner


(A) (C)



(D)(B)


gen ihres Nichtglaubens diskriminiert werden. Die
Linke verurteilt jeglichen religiösen Fanatismus und
begegnet allen, die vom „einzig wahren Glauben“
sprechen, mit kritischer Distanz.

Fundamentalistische Missionare kennen wir gerade
auch aus dem fundamental-christlichen Umfeld mit al-
len ihren negativen Auswirkungen auf die jeweiligen
Gesellschaften. Deshalb ist es für mich auch wichtig,
dass wir allen Eiferern, egal ob aus dem christlichen,
dem jüdischen, dem hinduistischen, wie aus dem mus-
limischen Glauben, mit aufklärerischer Kritik entge-
gentreten und die Errungenschaft und Bedeutung des
Säkularismus für demokratische Gesellschaften her-
vorheben.

Religiösen Eiferern in christlichen Ländern steht
die Linke genauso skeptisch gegenüber wie religiösen
Eiferern in muslimischen Ländern. Hier darf nicht mit
zweierlei Maß gemessen werden: Es sind zum Teil fun-
damentalistische, christlich-evangelikale Gruppen aus
Europa und den USA, die in Afrika die massive Diskri-
minierung von pluralistischen Lebensstilen, sexuellen
Ausrichtungen, aber auch von anderen Glaubensrich-
tungen betreiben.

Alle Menschen haben ein Menschenrecht, ihren
Glauben frei zu wählen, den Glauben zu wechseln oder
auch eine neue Religionsbewegung zu gründen. Kein
Staat hat das Recht, Menschen deshalb zu diskriminie-
ren, zu kriminalisieren oder zu verfolgen. Gleichzeitig
haben auch die Religionsgesellschaften die Pflicht, an-
deren nicht ihre religiösen Gesetze aufzuzwingen oder
sie gegen ihren Willen an den eigenen Glauben binden
zu wollen.

Heute leben etwa 300 000 Baháí im Iran. Sie sind die
größte nichtmuslimische Minderheit in dem 75-Millio-
nen-Einwohner-Land. Im Gegensatz zu Christen, Ju-
den und Zoroastriern sind sie jedoch keine nach der
iranischen Verfassung anerkannte Gruppe. Hier setzt
der SPD-Antrag an. Mit seiner Forderung, „die ver-
fassungsrechtliche Anerkennung der Baháí als reli-
giöse Minderheit anzumahnen“ geht der Antrag unse-
res Erachtens jedoch zu weit. Gut gemeint heißt aber
nicht automatisch auch gut gemacht. Die Frage, ob re-
ligiöse Minderheiten verfassungsrechtlich anerkannt
werden, sollte nicht durch Einmischung von außen,
sondern in einer souveränen Entscheidung der jeweili-
gen Staaten entschieden werden. Richtiger wäre hier
die Forderung, dass alle Menschen im Iran ihre jewei-
lige religiöse Überzeugung frei leben und ausüben
können.

Auch die Forderung nach „Freilassung aller politi-
schen und aus Gewissensgründen Inhaftierter“ schießt
über das Ziel hinaus. Richtig wäre hier die Forderung
nach Freilassung aller gewaltfreien politischen Gefan-
genen. Wir alle wissen, dass aufgrund der wechselhaf-
ten Geschichte des Iran viele politische Oppositions-
gruppen zum Teil mit massiver Gewalt um ihre Ziele
gekämpft haben. Durch gewaltsame Aktionen gegen
den iranischen Staat wurden in den letzten Jahrzehn-

ten viele Menschen getötet oder verletzt. Deshalb er-
scheint die bedingungslose Freilassung von allen poli-
tischen Gefangenen, auch wenn sie zum Teil schwere
Straftaten begangen haben, zumindest hinterfragbar.
Auch in den Staaten der Europäische Union werden
solche politischen Gefangenen keineswegs bedin-
gungslos freigelassen.

Menschen müssen frei von Diskriminierung und
Verfolgung leben können. Gleichzeitig erwarten wir je-
doch von der deutschen Außenpolitik, dass menschen-
rechtliche Forderungen nicht als Instrument für die
Durchsetzung von geostrategischen oder hegemonia-
len Interessen missbraucht werden. Eine Dämonisie-
rung des Iran als Hort oder Achse des Bösen lehnen
wir entschieden ab. Es muss auch im Fall des Iran ver-
sucht werden, die vorhandenen gravierenden Men-
schenrechtsprobleme mittels Dialog zu lösen. Men-
schenrechte haben eine zivile Logik und lassen sich
nicht mit militärischen Interventionen von außen er-
zwingen.

Es ist Aufgabe der deutschen Außenpolitik, die Men-
schenrechtsverträge in der internationalen Zusammen-
arbeit immer wieder anzumahnen und nicht aufgrund
von wirtschaftlichen oder geopolitischen eigenen Inte-
ressen zu vernachlässigen und zu instrumentalisieren.
Die Menschenrechtsverträge wurden geschaffen, um
präventiv zu wirken und Menschenrechtsverletzungen
zu verhindern.

Wenn jedoch durch die deutsche Außenhandelspoli-
tik und die Waffenlieferungen an despotische Regime
immer mehr die Glaubwürdigkeit deutscher Men-
schenrechtspolitik infrage gestellt wird, werden damit
letztlich die Menschenrechte immer weiter ausgehöhlt.

Für die Fraktion Die Linke setzt deshalb menschen-
rechtspolitische Arbeit gerade auch in der deutschen
Außenhandelspolitik an. Hier erwarten wir politische
Kohärenz. Nur dann sind Forderungen nach Einhal-
tung der universalen Menschenrechte überhaupt glaub-
würdig.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724032300

Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und

Religionsfreiheit; dies Recht schließt die Freiheit ein,
seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, so-
wie die Freiheit, Religion oder Weltanschauung allein
oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder pri-
vat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kult-
handlungen zu bekennen. So steht es in der allgemei-
nen Erklärung der Menschenrechte in Art. 18. Der
Iran hat dies, wie 192 andere Staaten auch, ratifiziert.

Der im Februar 2013 veröffentlichte Bericht des UN-
Sondergesandten für den Iran, Dr. Ahmed Shaheed, über
die Menschenrechtslage im Land zeigt, dass diese
Standards für viele religiöse Minderheiten im Iran
nicht gelten. Nach iranischer Verfassung sind einige
religiöse Minderheiten zwar formell der Staatsreligion
gleichgestellt, de facto werden sie jedoch noch in vie-
lerlei Hinsicht diskriminiert.

Zu Protokoll gegebene Reden





Tom Koenigs


(A) (C)



(D)(B)


Besonders alarmierend ist die Situation der Bahai,
der größten religiösen Minderheit im Iran. Anders als
Juden, Christen oder Zoroastrier werden Angehörige
der Religionsgemeinschaft der Bahai nicht durch die
Verfassung geschützt. Sie gelten als vom Islam Abge-
fallene und sind damit „Staatsfeinde“.

Mit allen Mitteln wird zunächst versucht, sie zum Is-
lam zu bekehren. Religionsfreiheit aber ist auch ein
Schutzrecht für und vor Religion. Bleiben diese „Be-
kehrungsversuche“ erfolglos, muss ein gläubiger
Bahai mit willkürlicher Verhaftung, Vertreibung, Fol-
ter oder gar Hinrichtung rechnen. Oft wird den Bahai
Spionage vorgeworfen. Immer wieder berichten irani-
sche Medien, die Bahai würden eng mit dem Westen
und vor allem mit Israel zusammenarbeiten, um den
Umsturz des iranischen Regimes herbeizuführen. Die
Verbreitung von Vorurteilen und Gerüchten führt zu
Misstrauen gegenüber den circa 300 000 im Iran le-
benden Bahai. Bahai haben keine Möglichkeiten, in
Ministerien zu arbeiten oder gar Regierungsposten zu
bekleiden. Jugendliche werden wegen ihres Glaubens
an Schulen und Universitäten abgewiesen.

Momentan sind laut UN-Bericht 110 Mitglieder der
Bahai-Gemeinde in Haft, weitere 133 warten auf den
Vollzug ihrer Haftstrafe und noch einmal 268 Mitglie-
dern steht der Prozess bevor. Unter diesen 511 Men-
schen befinden sich auch zwei junge Mütter, Taraneh
Torabi und Zohreh Nikayin. Zusammen mit ihren Klein-
kindern wurden Sie zu 20 beziehungsweise 23 Monaten
Haft verurteilt. Die iranischen Gefängnisse sind keine
kinderfreundliche Umgebung, gelinde gesagt.

Mit der Verfolgung von religiösen Minderheiten wie
den Bahai oder auch den neueren christlichen Kirchen
wie zum Beispiel den Baptisten verstößt der Iran syste-
matisch gegen fundamentale Prinzipien der Religions-
freiheit, zu deren Einhaltung sich der Iran 1976 durch
die Unterzeichnung und Ratifizierung des Internatio-
nalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte
nochmals verpflichtet hat.

Von den 169 für den UN-Report befragten Iranern
berichteten 81, von den iranischen Sicherheitskräften
gefoltert worden zu sein. Die Untersuchung der Fälle
bestätigte die Vorwürfe. 76 Prozent der Verhörten wur-
den gefoltert. Davon wurden mehr als die Hälfte Opfer
körperlicher Gewalt. Sie wurden mit Knüppeln, Ka-
beln oder Peitschen geschlagen, bis sie aussagten.
Man setzt die Befragten unter emotionalen Druck.
71 Prozent wurden Opfer seelischer Gewalt. Sie wur-
den gedemütigt, beleidigt und bedroht, bis sie aussag-
ten, um die Qualen zu beenden.

Während meiner Reise in den Iran im Januar 2012
habe ich einen Menschenrechtsdialog zwischen Vertre-
tern unterschiedlicher Institutionen der deutschen Ge-
sellschaft und der Islamischen Republik Iran prinzipiell
begrüßt. Dafür müssen aber bestimmte Bedingungen
erfüllt sein: Erstens darf er Einzelschicksale nicht aus-
blenden. Bei Menschenrechten geht es immer um die
Rechte Einzelner. Zweitens sollte der Menschenrechts-

dialog explizit für die Zivilgesellschaft, NGOs und
Universitäten beider Seiten offen sein. Drittens sollte
Kritik von beiden Seiten offen angesprochen werden
können. Hierzu gehört auch, die Berichte der Vereinten
Nationen und die darin enthaltenen Empfehlungen in
den Dialog einzubeziehen.

Die Bundesregierung übt nur verhalten Kritik an
der Diskriminierung religiöser Minderheiten im Iran,
so 2009 mit Bezug auf den Umgang mit der kommissa-
rischen Führung der Bahai. Den sieben Mitgliedern
der Führung drohte die Todesstrafte wegen „Spionage
für Israel, Beleidigung religiöser Gefühle und Propa-
ganda gegen die Islamische Republik“. Die Bundes-
kanzlerin drückte damals ihre Sorgen gegenüber dem
Geschäftsträger der iranischen Botschaft in Deutsch-
land aus. Ein Anfang, aber leider eben nur ein Anfang.

Ich erwarte von der Bundesregierung, dem Deut-
schen Bundestag, der Zivilgesellschaft in Deutschland,
den NGOs und den internationalen Medien, in ihrer
Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen im
Iran nicht nachzulassen. Als Menschenrechtspolitiker
stehen wir auf der Seite der Schwachen, der Bedroh-
ten, aller Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
Deswegen stehen wir an der Seite der Bahai.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724032400

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/13474 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit ein-
verstanden? – Ja, das ist der Fall. Dann haben wir das
gemeinsam so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Energieeinspa-
rungsgesetzes

– Drucksachen 17/12619, 17/13037 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13527 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Groß

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Alle sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13527,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sachen 17/12619 und 17/13037 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und

1) Anlage 14





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Linksfraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltun-
gen? – Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Sabine Leidig, Dr. Gregor Gysi, Klaus
Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine Schließung des einzigen deutschen
Schienenherstellers TSTG Schienen Technik
in Duisburg – Übernahme des Unternehmens
durch die Deutsche Bahn AG

– Drucksachen 17/9581, 17/12880 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1724032500

Für Deutschland und insbesondere für den Wirt-

schaftsstandort Duisburg wäre es ein Verlust, wenn der
einzige verbliebene Schienenhersteller auf deutschem
Boden, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG
in Duisburg, geschlossen würde. Ich denke, darin sind
wir uns einig. Bedauerlich wäre eine Schließung nicht
nur, weil eine erhebliche Anzahl an Mitarbeitern be-
troffen wäre. Deutschland würde auch großes unter-
nehmerisches Know-how verlieren.

Als Grund für die geplante Schließung führt der
Vorstand der Voestalpine AG an, dass die Produktion
am Standort Duisburg-Bruckhausen nicht mehr renta-
bel sei. In den letzten Jahren hatte die TSTG mit sin-
kender Auslastung zu kämpfen. Sie hatte zuletzt hohe
Verluste eingefahren. Zurückzuführen ist dies offenbar
auf Überkapazitäten im Markt, die zu einer Zuspitzung
der Wettbewerbssituation und zu einem stark sinken-
den Preisniveau führten.

Dass die voestalpine AG beschlossen hat, sich aus
dem Segment der Standardschienenproduktion zurück-
zuziehen, verwundert trotzdem ein wenig. Die DB Netz
AG hatte mit der TSTG noch im Jahr 2011 nach einem
wettbewerblichen Vergabeverfahren einen Rahmen-
vertrag über Schienenlieferungen im Wert von 75 Mil-
lionen Euro abgeschlossen. Der Zuschlag an die
Voestalpine AG konnte erfolgen, nachdem von den Bie-
tern umfassende Sicherungsmaßnahmen gegen künf-
tige Wettbewerbsverstöße zugesichert wurden und

Transparenz hinsichtlich der organisatorischen Kon-
sequenzen aus dem Schienenkartell hergestellt wurde.
Damit hat der DB-Konzern bereits einen erheblichen
Beitrag zur Auslastung des Werkes geleistet.

Natürlich würden wir alle es sehr begrüßen, wenn
es gelingen würde, dieses Werk und selbstverständlich
auch die Arbeitsstellen zu erhalten. Die Konsequenz
daraus kann aber nicht sein, dass wir in die unterneh-
merische Planung der DB AG eingreifen.

Wie Sie wissen müssten, liebe Kolleginnen und Kol-
legen der Linkspartei, ist der Einfluss der Bundesre-
gierung auf die Deutsche Bahn AG beschränkt. Weder
der Bund noch andere Dritte können dem Privatunter-
nehmen Deutsche Bahn AG Vorgaben machen, die in
den unternehmerischen Entscheidungsbereich eingrei-
fen. Das ist auch richtig so – nicht nur aus rechtlichen
Gründen, sondern eigenständige unternehmerische
Entscheidungen entsprechen auch unserem Verständ-
nis von Marktwirtschaft. Folglich kann und wird der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung auch nicht
mehrheitlich dazu auffordern, entsprechenden Einfluss
zu nehmen.

Ein Einstieg bei der TSTG wäre allein zwischen der
Deutschen Bahn AG und der Voestalpine AG zu ver-
handeln. Dies hat unser Bundesverkehrsminister
Dr. Peter Ramsauer Ihnen doch auch schon schriftlich
mitgeteilt. Er hatte Ihren ehemaligen Oberlinken
Klaus Ernst darüber informiert, dass die Beschaffung
von Schienen durch die Eisenbahninfrastrukturunter-
nehmen der Deutschen Bahn AG in eigener Verant-
wortung erfolgt und dass er aus rechtlichen Gründen
hierauf keinen Einfluss nehmen kann. Es ist schon klar,
dass man bei Ihnen kein Vorwissen und schon gar kein
Verständnis von marktwirtschaftlichen Vorgängen er-
warten kann. Aber alleine aufgrund der Information
durch unseren Verkehrsminister hätten Sie doch ver-
stehen müssen, wo der Hammer hängt.

Hinzu kommt, dass wir doch alle – zumindest alle
außer Ihnen – wissen, dass die Produktion von Schie-
nen nicht zum Kerngeschäft des DB-Konzerns gehört.
Und die DB AG beabsichtigt meines Wissens nach
auch nicht, in diesen Markt einzutreten. Für die DB
AG ist eine Übernahme des Werkes in Duisburg daher
auch keine Option.

Die Linken wollen den Bahnkonzern jedoch dazu
zwingen, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG
zu kaufen. Das sieht Ihnen wieder einmal ähnlich.
Auch wenn ich über Ihre Forderung nicht wirklich er-
staunt bin, kann ich mir ein Kopfschütteln über Ihre
Auffassung von Ökonomie nicht verkneifen.

Man muss es sich wirklich einmal auf der Zunge
zergehen lassen: Was unsere Kommunisten von der
Linkspartei wollen, ist, dass ein gesundes Unterneh-
men zur Übernahme eines kranken Unternehmens und
damit zum Erzielen von Verlusten gezwungen werden
soll. Und es kommt noch besser: Die Folge wäre, dass
der Bund als Eigentümer ein Unternehmen finanziert,
das eventuell langfristig subventioniert werden muss,





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


das also vom Steuerzahler am Leben gehalten werden
muss. Da fällt mir nichts mehr ein – weder als Ökonom
noch als Steuerzahler oder als Politiker. Durch diesen
Vorgang wird wieder einmal sehr deutlich, dass die
Linken bis heute nicht in unserer sozialen Marktwirt-
schaft angekommen sind. Und deutlich wird umso
mehr: Es ist gut, dass die christlich-liberale Koalition
regiert!


Bärbel Bas (SPD):
Rede ID: ID1724032600

Lassen Sie mich direkt am Anfang meiner Rede sehr

deutlich sagen: Die TSTG Schienen Technik muss er-
halten bleiben, und Voestalpine muss endlich dem Ver-
kauf des Werkes zu fairen Konditionen zustimmen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Gestern und heute erst haben die TSTG-Beschäftig-
ten ihre Arbeit niedergelegt und mit einer Mahnwache
die Forderung nach einem Verkauf kräftig betont. Ein
weiteres Zeichen für die beeindruckende Solidarität.
Die Belegschaft hält zusammen, aber die Zeit drängt.
Wir müssen gemeinsam verhindern, dass 400 Men-
schen ihren Job bei der TSTG und die Existenzgrund-
lage für ihre Familien verlieren, von den Arbeitsplät-
zen bei Zulieferern und Dienstleistern ganz abgesehen.
Das Ziel für die TSTG kann nur lauten: Verkauf statt
Schließung.

Am 28. Juni 2012 haben wir im Deutschen Bundes-
tag bei der ersten Lesung dieses Antrages schon ein-
mal über die TSTG debattiert. Damals wie heute war
die TSTG das einzige deutsche Schienenwerk. Die Auf-
tragsbücher sind voll. Das Werk arbeitet mit einer Jah-
reskapazität von etwa 280 000 Tonnen Stahl. Die Anla-
gen sind nach Investitionen von rund 70 Millionen
Euro auf höchstem technischem Niveau. Die TSTG
steht für technologisches Know-how, innovative For-
schung und hohe Qualität.

Der größte Wert der TSTG ist aber sicher die Beleg-
schaft. Trotz des Schließungsbeschlusses vom 13. März
2012 und der massiven Zukunftsangst arbeiten die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hochqualitativ, wirt-
schaftlich erfolgreich und mit vollem Einsatz. Seit
März 2012 kämpfen die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer der TSTG zudem in jeder freien Minute zu-
sammen mit der IG Metall und den Menschen meiner
Heimatstadt Duisburg gegen diese Schließungspläne.
Wieder einmal zeigen die Duisburgerinnen und Duis-
burger eine beeindruckende Solidarität, die mich als
Duisburger Abgeordnete wirklich stolz macht. Und
wer so um seinen Arbeitsplatz kämpft wie die TSTG-
Belegschaft, der macht seinen Job auch in Zukunft mit
großem Engagement. Identifikation mit dem Arbeitge-
ber ist eine Ressource, die man gar nicht hoch genug
wertschätzen kann.

Voestalpine will keine defizitäre Konzerntochter
schließen. Das Unternehmen will Produktionskapazi-
täten vom europäischen Markt nehmen, um den Schie-
nenpreis nach oben zu treiben und Fehler des Manage-
ments zu korrigieren. Voestalpine ist schließlich eines
der Unternehmen, die von 2001 bis 2011 illegal Quo-

ten und Preise für Schienenlieferungen an die Bahn
abgesprochen haben. Die 400 Beschäftigten von TSTG
tragen keine Schuld an diesem Kartell, sie sollen aber
jetzt die Lasten tragen. Das ist ein Skandal.

Mein Duisburger SPD-Bundestagskollege Johannes
Pflug hatte im Juni 2012 bei seiner Plenarrede ver-
schiedene Alternativen zur Schließung benannt: die
Prüfung einer Übernahme durch die Bahn, die Umstel-
lung der Produktion auf Strommasten für die Umset-
zung der Energiewende oder auch die Fokussierung
auf die Weiterentwicklung der Produktinnovation
Vignolschiene.

In dieser Debatte hatte die große Mehrheit des Hau-
ses ihre Skepsis zu einem Antrag deutlich gemacht, der
die Bahn mehr oder weniger zur Übernahme verpflich-
ten soll. Wir müssen feststellen, dass die Schienenpro-
duktion kein Kerngeschäft der DB Netz AG ist und die
DB kein Angebot zum Kauf gemacht hat. Deshalb wer-
den wir heute für die Beschlussempfehlung des feder-
führenden Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
sowie der mitberatenden Ausschüsse für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung sowie Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit stimmen. Auch wenn wir nicht den
gleichen Weg gehen wollen, beim Ziel sind sich aber
fast alle Parteien einig.

Die realistischste Lösung ist gleichzeitig die ein-
fachste Lösung: Voestalpine muss den Weg für faire
Verkaufsverhandlungen frei machen und eine Über-
nahme ermöglichen.

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am
19. Februar parteiübergreifend – mit Ausnahme der
FDP – für einen Antrag zum Erhalt der TSTG ge-
stimmt. In diesem Antrag hat der NRW-Landtag nicht
nur die Landesregierung NRW, sondern auch die Bun-
desregierung zur Unterstützung der Beschäftigten der
TSTG aufgefordert. Das muss auch unser Weg hier und
heute im Deutschen Bundestag sein. In den vergange-
nen Monaten haben wir auf diesem Wege ein außerge-
wöhnlich hohes Maß an Geschlossenheit gezeigt. Ab-
geordnete fast aller Fraktionen haben Gespräche zur
Zukunft der TSTG geführt, die Bundesregierung ist in
verschiedenen Briefen aus allen Parteien zum Handeln
aufgefordert worden. Vergangene Woche hat auch der
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ein Zeichen der
Solidarität für die TSTG-Belegschaft gesetzt. Partei-
übergreifende Geschlossenheit ist immer auch ein kla-
res Zeichen für die Wichtigkeit eines Themas.

Eine Schließung der TSTG würde die Bahn und an-
dere deutsche Abnehmer in ein starkes Abhängigkeits-
verhältnis von Schienenherstellern aus dem Ausland
manövrieren. Der Industriestandort und die Exportna-
tion Deutschland sind auf eine stabile, moderne und
flexible Infrastruktur angewiesen. Die TSTG leistet ei-
nen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschafts-
standortes.

Nach allem, was wir wissen, steht mittlerweile min-
destens ein Kaufinteressent für das Werk bereit – ob-
wohl Voestalpine das Werk zum jetzigen Stand nur

Zu Protokoll gegebene Reden





Bärbel Bas


(A) (C)



(D)(B)


unter der Auflage eines dreijährigen Schienenproduk-
tionsverbotes verkaufen würde. Spätestens dieses
Kaufinteresse macht deutlich, dass Voestalpine sicher
kein defizitäres Werk abstoßen will. Warum hätte
Voestalpine sonst auch in Ofen, Walzwerksmotoren
oder Prüftechnik eines Werkes investieren sollen, das
ohnehin verkauft werden muss?

Eine Bundesregierung kann es nicht hinnehmen,
dass der deutsche Steuerzahler für ein kriminelles
Schienenkartell doppelt zur Kasse gebeten wird. Wer
das Motto „Leistung muss sich lohnen“ so stark vor
sich herträgt wie die schwarz-gelbe Bundesregierung,
muss jetzt erst recht eingreifen. Bei der TSTG lohnt
sich die Leistung, weil die Beschäftigten viel leisten.
Die soziale Marktwirtschaft darf nicht ihrer Markt-
wirtschaft beraubt werden.

Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der
TSTG, Kenan Ilhan, hat bei der DGB-Kundgebung am
1. Mai in meiner Heimatstadt Duisburg gesagt: „Bei
der derzeitigen Weichenstellung droht die Stahlindus-
trie …auf dem Abstellgleis der Demontage zu landen. …
Lassen Sie uns jetzt gemeinsam die Weichen stellen für
die Zukunft der TSTG.“

Ich möchte die Bundesregierung eindringlich auf-
fordern, sich zum Gespräch mit den Beteiligten zu tref-
fen und den Druck auf Voestalpine zu erhöhen. Viel
Zeit bleibt uns leider nicht mehr, also stellen wir jetzt
endlich die Weichen für die Zukunft der TSTG.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1724032700

In der Bundesrepublik Deutschland gilt das Prinzip

der sozialen Marktwirtschaft. Daraus folgt, dass hier-
zulande ansässige Unternehmen effizient wirtschaften
müssen. Die Verantwortung für die dazu notwendigen
Entscheidungen liegt bei den Inhabern oder den Füh-
rungsgremien der Unternehmen. Der Staat bleibt au-
ßen vor und mischt sich nicht ein.

Dieses Prinzip gilt ebenso für die Deutsche Bahn
AG – auch wenn sie zu 100 Prozent im Besitz des Bun-
des ist. Denn dieser Umstand macht sie nicht zu einer
Auffanggesellschaft für unrentable Unternehmen. Viel-
mehr hat sie sich der wirtschaftlichen Bewältigung des
Personen- und Güterverkehrs zu widmen. Demzufolge
richtet sich der vorliegende Antrag an den falschen
Adressaten. Denn nur der Vorstand und der Aufsichts-
rat der Bahn AG und nicht der Deutsche Bundestag
entscheiden über mögliche Fusions- oder Kaufent-
scheidungen der Gesellschaft.

Wir bedauern, dass sich der österreichische Mutter-
konzern Voestalpine AG für die Schließung des Duis-
burger Unternehmens TSTG Schienen Technik GmbH
& Co KG entschlossen hat. Das ist eine besonders
traurige Entscheidung vor dem Hintergrund des Um-
strukturierungsprozesses, in dem sich das Ruhrgebiet
befindet; denn dieser ist noch lange nicht abgeschlos-
sen. Daher ist an einem Standort wie Duisburg jede
Firmenschließung und der damit verbundene Arbeits-
platzverlust besonders schmerzlich. Allerdings gibt es

in einer sozialen Marktwirtschaft juristische Regelun-
gen und Institutionen, die in solchen Fällen greifen
und sich um die betroffenen Mitarbeiter kümmern. Die
Argumente der Linken in ihrem Antrag sind aus meiner
Sicht nicht überzeugend. Denn die Aussagen der Un-
ternehmensführung hinsichtlich der Rentabilität und
Auslastung des Duisburger Werkes infrage zu stellen,
ist sehr gewagt. Dass betriebswirtschaftliche Effi-
zienzrechnung das Spezialgebiet der Linken-Fraktion
ist, war bislang jedenfalls nicht aufgefallen. Auch der
im Antrag aufgeführte Verweis, dass das Duisburger
Werk in der Vergangenheit „fast immer gut ausgelastet
war“, ist kein Beleg hierfür. Denn die Aussichten für
die Zukunft sind das, was für Unternehmen entschei-
dend ist. Durch Erfolge der Vergangenheit allein kön-
nen sie nicht am Markt bestehen. Neben dem techni-
schen Stand der Produktionsstätte dürften auch
absehbar unzureichende Chancen, nach einer Moder-
nisierung der Anlagen auf dem Markt bestehen zu kön-
nen, eine Rolle bei der Entscheidung der Muttergesell-
schaft gespielt haben.

Die von der Linken angeführten kartellrechtlichen
Vergehen der Voestalpine AG sind ebenfalls kein
Grund für den Deutschen Bundestag, sich in unterneh-
merische Entscheidungen einzumischen. Fehlverhal-
ten zu sanktionieren, ist in diesem Falle Aufgabe des
Kartellamtes. Die hat es auch wahrgenommen und ge-
gen das Unternehmen ein Bußgeld verhängt.

In den vergangenen Tagen war in der Presse zu le-
sen, dass es nun doch noch einen ernsthaft interessier-
ten Investor für das Duisburger Werk geben soll. Das
ist ein neuer Lichtblick und birgt die Hoffnung, dass in
den Gesprächen und Verhandlungen doch noch ein Er-
halt der Arbeitsplätze am Standort Duisburg realisiert
werden kann. Diese Entwicklung bleibt abzuwarten.

Die FDP-Bundestagsfraktion folgt der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie und lehnt den vorliegenden Antrag ab.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724032800

Am 26. März 2013 schrieb Bundesminister Ronald

Pofalla im Namen der Kanzlerin: „Ich teile Ihre Sor-
gen hinsichtlich der möglichen Werksschließung und
des damit verbundenen Arbeitsplatzabbaus bei der
TSTG. Der Bundesregierung ist an einem starken und
wettbewerbsfähigen Industriestandort gelegen. (…)

Ich würde mich freuen, wenn es in den kommenden Wo-
chen noch gelänge, in konstruktiven Gesprächen für
TSTG eine gute Lösung zu finden.“

Eigentlich könnte man bei solchen Sätzen Beifall
klatschen, sich zurücklehnen und erwartungsfroh dem
entgegensehen, was die Bundesregierung jetzt zu tun
gedenkt, um diesen Worten gerecht zu werden. Denn es
liegt doch im vorliegenden Fall TSTG in der Macht
dieser Bundesregierung, die Werkschließung, die für
Ende 2013 angekündigt ist, zu verhindern, gut 400 Ar-
beitsplätze zu retten und damit dem Ziel eines „starken
und wettbewerbsfähigen Standorts“ Rechnung zu tra-
gen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)


Halten wir doch mal drei Dinge fest: Die TSTG-
Mutter Voestalpine befindet sich in einer äußerst
schwachen Position. Der österreichische Konzern war
zusammen mit ThyssenKrupp Kartellführer und hat die
Bahn in Deutschland, Bundesbahn und Deutsche Bahn
AG, um mindestens 1 Milliarde Euro geschädigt.

Voestalpine will auch nach einer eventuellen Schlie-
ßung von TSTG große Aufträge für Schienen von der
Deutschen Bahn AG erhalten und diesen Schienen-
stahl dann aus Österreich anliefern. Die Bundesregie-
rung als Vertreterin des Bundes, des alleinigen Eigen-
tümers der DB AG, muss da zumindest mitspielen.

Die Bundesregierung könnte und sollte unseres Er-
achtens nach tätig werden, dass dann, wenn es keinen
seriösen Käufer für Voestalpine gibt, die Deutsche
Bahn AG die Duisburger TSTG selbst übernimmt. Da-
mit würde die DB AG ihr vertikales Wachstum fortset-
zen und neben dem Weichenwerk in Witten auch einen
Schienenhersteller im Konzernverbund haben. Das er-
bringt erhebliche Synergiegewinne. Damit würde
auch, wie es jüngst in einer Studie mit dem Titel „Vor-
wärtsstrategie für die TSTG Duisburg“, erstellt von
der Wert-Arbeit GmbH in Duisburg, heißt, „die Be-
triebssicherheit und die Innovation im Netz stabilisiert
werden.

Jetzt höre ich: Die Bundesregierung will nichts tun.
Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion schei-
nen unseren konstruktiven Antrag ablehnen zu wollen.
Wenn die SPD sich enthalten sollte, dann wäre das be-
reits eine Art des Entgegenkommens – oder auch Aus-
druck eines schlechten Gewissens. Darauf komme ich
zurück.

Und was wird stattdessen vorgeschlagen? Nichts,
rein gar nichts! Es ist jetzt diese Bundesregierung, die
sich zurücklehnt und die darauf wartet, dass irgend-
wie „der Markt“ das regelt, beziehungsweise, dass
Voestalpine mit ihrer Marktmacht TSTG zerschlägt.
Und warum will Voestalpine seit mehr als einem Jahr
TSTG um alles in der Welt in den Konkursabgrund sto-
ßen, mehr als 400 Beschäftigte und deren Familien in
die Arbeitslosigkeit schicken oder sie mit Arbeitslosig-
keit und Hartz IV bedrohen – wo doch, und das sagen
ja alle – die TSTG-Produkte Hightech-Qualität haben
und TSTG selbst zumindest auf mittlere Frist rentabel
arbeitet?

Den Hintergrund, um das zu verstehen, bildet das
Kartell „Die Schienenfreunde“. Die Details zu diesem
Kartell wurden nun bereits auf den Wirtschaftsseiten
und in den führenden Zeitungen und Zeitschriften – so
im „Handelsblatt“ und in der „Wirtschaftswoche“ –
ausgebreitet. Hier nur zusammenfassend: Dieses Kar-
tell, dem die 15 maßgeblichen Stahlkonzerne Europas
angehörten, hat der Bahn und vielen Nahverkehrsorga-
nisationen, denen sie mehr als 15 Jahre lang Schienen
zu um 30 bis 50 Prozent überhöhte Preise verkauften,
einen Schaden in Höhe von weit mehr als einer Mil-
liarde Euro zugefügt. Nachdem dieses Kartell aufflog,
brach der Preis für Schienenstahl deutlich ein.

Voestalpine will nun mit der Betriebsschließung in
Duisburg erreichen, dass die Kapazitäten und das An-
gebot sich weiter verknappen und dass der Preis für
Schienenstahl wieder steigt. Und es dürfte sich dann
erneut um einen Stahlpreis handeln, der über den
Marktpreisen liegt. Nunmehr würde er durch die Mo-
nopolposition von Voestalpine künstlich überhöht wer-
den. Das aber heißt: Den Steuerzahlenden in Deutsch-
land würde ein zweites Mal Schaden zugefügt. Nach
dem Milliardenschaden, den das Kartell anrichtete,
würde es erneut einen in die Hunderte Millionen Euro
gehenden Schaden dadurch geben, dass zukünftig Voe-
stalpine Schienenstahl aus Österreich nach Deutsch-
land liefert – erneut zu überhöhten, zu Monopolprei-
sen.

Die Deutsche Bahn AG scheint bei diesem Spiel mit-
zuspielen. Jedenfalls hat sie an Voestalpine bereits
wieder Großaufträge vergeben bzw. solche angekün-
digt – völlig unabhängig davon, wie das Schicksal von
TSTG aussehen wird. Und warum macht die DB AG
das? Sehr viel spricht dafür, dass sie dies tut, weil sie
mit Voestalpine unter einer Decke steckt, weil sie von
dem Kartell „Die Schienenfreunde“ wusste und weil
sie nicht will, dass diese Decke weggezogen und
Transparenz darüber hergestellt wird, wer da die Steu-
erzahlenden um wieviel und warum schädigte.

Wenn ich das sage und wenn das in unserem Antrag
steht, dann ist das keine Räuberpistole, die die Linke
ersonnen hat; das deckt sich inzwischen mit neueren
Erkenntnissen, beispielsweise des „Handelsblattes“.
Dort war am 10. Dezember 2012 zu lesen: „Top-Ma-
nager beider Seiten (Stahlkartell und Bahn) vereinbar-
ten damals ein Koppelgeschäft: Die Bahn akzeptierte
überhöhte Preise – was ihr nicht schadete; denn die In-
vestitionen werden vom Bund getragen. Im Gegenzug
soll ThyssenKrupp Kunde der Bahn-Tochter DB Cargo
geblieben sein. Diese Version bestätigen auch Ex-Füh-
rungskräfte von ThyssenKrupp.“

Gerade angesichts der neuesten Entwicklung
– TSTG soll baldmöglichst in den Konkurs getrieben
werden, die Deutsche Bahn AG will weiter bei Voestal-
pine Großeinkauf machen – fordern wir: Die für diesen
Deal Verantwortlichen bei der DB AG müssen identifi-
ziert werden und aus dem Unternehmen ausscheiden.
Verkehrsminister Ramsauer muss klar machen, inwie-
weit sein Amt – das Kartell wirkte ja bis Mitte 2011! –
von dem Kartell und von der Einbeziehung der DB AG
in das Kartell etwas wusste. Da gibt es ja nur zwei
Möglichkeiten: Entweder war das im Ministerium be-
kannt, oder die Aufsicht über das bundeseigene Unter-
nehmen hat kläglich versagt.

Die SPD verhält sich, wie erwähnt, in Sachen TSTG
eher bedeckt. Das könnte mit ihrem Kanzlerkandidaten
zusammenhängen. Im Protokoll des ThyssenKrupp-
Aufsichtsrats vom 13. Mai 2011, in dem Herr
Steinbrück damals saß, steht das Folgende: „Herr
Steinbrück weist darauf hin, dass es schädlich wäre,
wenn der aktuelle (…) Fall in der Pressekonferenz
nach der Aufsichtsratssitzung thematisiert würde.“

Zu Protokoll gegebene Reden





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)


Mit „der Fall“ war das Kartell „Die Schienen-
freunde“ gemeint. Damals war noch nichts über das
Wirken dieses Kartells in die Öffentlichkeit gedrungen.

Das aber heißt im Klartext: Herr Steinbrück wollte
damals, als er noch nicht Kanzlerkandidat war, lieber
in der Nähe des Thyssen-Konzerns und seiner Interes-
sen stehen als für Öffentlichkeit darüber zu sorgen, wie
die Steuerzahler durch ThyssenKrupp und das Kartell
ausgenommen werden. Das ist nicht allzu verwunder-
lich. Herr Steinbrück wollte als Finanzminister in der
Großen Koalition und im Zeitraum 2005 bis 2008 un-
bedingt die Bahn an die Börse bringen, was dem
Schienenverkehr in Deutschland maximalen Schaden
zugefügt hätte.

Ein Wort noch zu den Hoffnungen der Belegschaft
auf einen Investor. Einen solchen soll es ja geben; ein
Consultant verhandelt ja mit der IG Metall und zumin-
dest indirekt auch mit dem TSTG-Betriebsrat in dieser
Angelegenheit. Allerdings wird kein Name genannt,
wer denn nun konkret Kaufinteresse hat. Wir können
uns da nur zwei Varianten vorstellen.

Entweder es handelt sich um einen fragwürdigen In-
vestor. Jemand, der Kreditgeld oder Hedgefondskapi-
tal einsetzt, oder auch jemand, der im Auftrag von
Voestalpine aktiv ist: Dann dürfte das eher ein kurzle-
biges Investment sein; ein Projekt, mit dem bewusst
oder unbewusst Zeit geschunden wird, mit dem der Wi-
derstand vor Ort in Duisburg kanalisiert und abgebo-
gen wird. Nach drei oder fünf Jahren würde dann die
Schließung des Duisburger Werks eher geräuschlos
vollzogen werden. Oder es handelt sich um einen gro-
ßen Stahlhersteller, also um Tata mit Sitz in London
oder um Arcelormittal, den indischen Stahlkönig mit
großen Engagements in Polen, England, Frankreich,
Belgien und auch Deutschland. Dann könnte es gut
sein, dass es zu einem Technologietransfer kommt und
dass in drei oder fünf Jahren in Osteuropa ein neues
Werk zur Herstellung von Hightech-Schienen entsteht
und erneut der Standort Duisburg gefährdet ist.

Wir haben volles Verständnis, wenn sich die Beleg-
schaft hier an jeden Strohhalm klammert. Allerdings
müssen wir die Öffentlichkeit und die Kolleginnen und
Kollegen bei TSTG vor den beschriebenen Gefahren
warnen.

Klar ist: Eine Übernahme von TSTG durch die
Deutsche Bahn AG wäre die optimale Lösung. Und:
Die Bundesregierung hat die Macht, das zu realisie-
ren.


Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724032900

Über das Problem sind wir uns alle einig. Mit der

TSTG droht dem letzten deutschen Schienenhersteller
die Schließung. Das wäre dramatisch für die Beschäf-
tigten, 460 Menschen verlieren dann ihre Arbeit. Die
Schließung des Werks in Duisburg hätte außerdem
Folgen für die Region. Die Produktion läuft gut und ist
eng mit Zulieferern aus dem Ruhrgebiet verknüpft. Zu-
sammen mit weiterverarbeitenden Betrieben wäre das

Aus für die TSTG ein schwerer Schlag für einen gan-
zen industriellen Cluster in Nordrhein-Westfalen. Auch
der bundeseigene Konzern der Deutschen Bahn würde
die TSTG als Zulieferer für das Weichenwerk in Witten
verlieren. Zudem müsste die Deutsche Bahn einen
neuen Lieferanten für ihre Schienen finden. Bisher
deckt sie über die Hälfte ihres Bedarfs mit Produkten
der TSTG.

Auch die Gründe für die drohende Schließung mit
den beschriebenen Folgen liegen auf der Hand und
werden von keiner Partei hier im Bundestag bestritten.
Ein Schienenkartell hat der Bahn, und damit auch dem
Steuerzahler, jahrelang großen Schaden zugefügt. Jetzt
beschweren sich Firmen, die unmittelbar an den Preis-
absprachen beteiligt waren, über ein Überangebot an
Schienen, das sie selbst zu verantworten haben. Als
Lösung und Bauernopfer soll jetzt die TSTG herhalten.
Der Eigentümer Voestalpine erhofft sich damit wieder
stabilere Preise und die Sicherung der eigenen Stand-
orte. Daher besteht offensichtlich auch kein Interesse
an einem Verkauf.

Doch der Lösungsansatz, den die Linke mit ihrem
Antrag fordert, geht klar am Ziel vorbei. Es macht kei-
nen Sinn, dass die Deutsche Bahn das Werk über-
nimmt. Es gehört nicht zu den Aufgaben der Deutschen
Bahn, Schienen herzustellen. Wenn der Eigentümer ein
Interesse am Verkauf hätte, sähe die Suche nach Inte-
ressenten vielversprechend aus. Aussagen des Be-
triebsrats zufolge gäbe es bereits einen. Dafür müsste
der Bund nicht aktiv werden. Mit einer solch unseriö-
sen Forderung Hoffnung bei den Beschäftigten zu
schüren, ist auch in Wahlkampfzeiten mehr als schä-
big.

Der Eigentümer hat kein Interesse an einem Ver-
kauf, und die Deutsche Bahn kein Interesse an einem
Kauf. An die Kollegen der Linken appelliere ich daher:
Hören Sie auf, sich mit dieser Luftnummer profilieren
zu wollen! Der Bundestag kann nicht auf eine solche
Art und Weise in die Privatwirtschaft eingreifen.

Allerdings muss die Bundesregierung endlich aus
der Defensive kommen. Die Bundesregierung hat sich
in den gemeinsamen Gesprächen der letzten Wochen
viel zu sehr zurückgehalten. Wir teilen die Forderung
der Linken nicht. Doch wir fordern von der Bundesre-
gierung, dass sie den Beschäftigten der TSTG und ih-
rem Anliegen endlich die gebotene Aufmerksamkeit zu-
kommen lässt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724033000

Wir kommen infolgedessen direkt zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12880,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9581
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokra-
ten. Gegenprobe! – Linksfraktion. Enthaltungen? – Bünd-
nis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisa-
tion vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige
Arbeit für Hausangestellte

– Drucksache 17/12951 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 17/13303 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Johann Wadephul

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeitsbedingungen von Hausangestellten
verbessern – ILO-Übereinkommen Nr. 189 ra-
tifizieren

– Drucksachen 17/11370, 17/13303 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Johann Wadephul

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Damit sind alle ein-
verstanden.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1724033100

Ich kann heute nahtlos an meine Rede vom 29. No-

vember 2012 anknüpfen, als wir über den gemeinsa-
men Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen debattiert haben.

Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, hat
auf ihrer 100. Internationalen Arbeitskonferenz am
16. Juni 2011 das ILO-Übereinkommen Nr. 189 über
menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte und die
Empfehlung 201 betreffend menschenwürdige Arbeit
für Hausangestellte angenommen und damit das Pro-
blem der sogenannten Arbeit hinter verschlossenen
Türen aufgegriffen.

Das Übereinkommen bekräftigt die Rechte der
Hausangestellten und soll sie vor Diskriminierung und
Missbrauch schützen. Zu diesem Zweck enthält das
Übereinkommen Regelungen unter anderem zur Ge-
währung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbedin-
gungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszeiten, zur sozia-
len Sicherheit, zur Stärkung des Rechts auf
Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater Ar-
beitsvermittler. Die Empfehlung ergänzt das Überein-

kommen und stellt eine nicht bindende Orientierungs-
hilfe für die Anwendung des Übereinkommens dar.

Die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des
Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung
konstruktiv mitgewirkt und mit dem Kabinettsbe-
schluss des Vertragsgesetzentwurfs am 6. Februar
2013 die Voraussetzungen für eine zügige Ratifikation
des Übereinkommens geschaffen. Der Bundesrat hat
dem Gesetzentwurf am 22. März 2013 einstimmig und
ohne Aussprache zugestimmt. Arbeitgeberverbände
und Gewerkschaften waren bei der Verhandlung des
Übereinkommens beteiligt und unterstützen das Vorha-
ben, das Übereinkommen zu ratifizieren. Und schließ-
lich haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages
den Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und Sozia-
les am 24. April 2013 einstimmig angenommen.

So viel Konsens ist selten. Ich möchte deshalb die
heutigen Beratungen zum Anlass nehmen, mich bei al-
len Beteiligten für die hervorragende Vorarbeit bei
diesem wichtigen Thema zu bedanken. Zwar sind in
Deutschland Ergänzungen der innerstaatlichen gesetz-
lichen Vorschriften nicht erforderlich, um die Anforde-
rungen des Übereinkommens zu erfüllen. Deutschland
hat seit jeher hohe arbeits- und sozialrechtliche Stan-
dards, auch für Hausangestellte. Sie sind Arbeitneh-
mer und unterliegen in gleicher Weise dem Schutz des
deutschen Arbeitsrechts. Daneben sind sie bei Eintritt
von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in der ge-
setzlichen Unfallversicherung abgesichert. In
Deutschland besteht kein zusätzlicher Regelungsbe-
darf. In vielen anderen Ländern dagegen fehlen ver-
bindliche Regelungen für Hausangestellte. Für sie
schafft die Ratifizierung des Übereinkommens eine
deutliche Verbesserung ihrer arbeits- und sozialrecht-
lichen Situation. Mit der heutigen Entscheidung des
Deutschen Bundestages setzt Deutschland ein deutli-
ches Zeichen, der Arbeit von Hausangestellten mehr
Anerkennung zu verschaffen und sie vor Rechtsverlet-
zungen zu schützen. Das macht in erster Linie die Be-
deutung unserer heutigen Entscheidung aus.

Rot-Grün hat in ihrem gemeinsamen Antrag ver-
sucht, das berühmte Haar in der Suppe zu finden. Am
Ende aber erfolglos. Ihre zusätzlichen Forderungen
werden weitgehend im deutschen Recht bereits umge-
setzt. Natürlich darf bei Rot-Grün nicht die Forderung
fehlen, einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe
von 8,50 Euro für Hausangestellte einzuführen. Aller-
dings verpflichtet das ILO-Übereinkommen die Bun-
desrepublik Deutschland nicht zur Einführung eines
allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Das Überein-
kommen begründet lediglich die Verpflichtung, dass im
Falle der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohnes dieser auch für Hausangestellte gelten
muss. Dem Übereinkommen kann ebenso wenig ent-
nommen werden, dass die Bundesregierung einen all-
gemeinverbindlichen Branchenmindestlohn für Haus-
angestellte festsetzen muss. Abgesehen davon, dass es
bislang gar keine Initiative der Sozialpartner gibt, ei-
nen solchen Branchenmindestlohn für den Bereich der





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


Hausangestellten auf der Grundlage des bestehenden
gesetzlichen Instrumentariums zu erlassen. Da sind
Rot-Grün erkennbar die ideologischen Gäule durchge-
gangen. Der Antrag ist fachlich überflüssig und poli-
tisch falsch. Aus diesem Grund haben wir ihn im Aus-
schuss auch abgelehnt.

Mit der Ratifizierung des ILO-Übereinkommens
Nr. 189 setzt der Deutsche Bundestag einmal mehr ein
Beispiel für andere Staaten bei der Umsetzung von
Standards für menschenwürdige Arbeit. Deshalb ist
heute ein guter Tag für die Betroffenen weltweit.


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1724033200

Heute wollen wir über ein Übereinkommen der In-

ternationalen Arbeitsorganisation IAO sprechen, de-
ren Zweck es ist, die Situation von Hausangestellten
weltweit zu verbessern. In vielen Ländern der Erde
werden Menschen in fremden Haushalten beschäftigt,
um dort verschiedene Tätigkeiten rund um Haushalts-
führung, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen
oder ähnliche Dienstleistungen auszuführen. Mit zu-
nehmendem Wohlstand und der steigenden Anzahl von
Familien mit zwei berufstätigen Partnern werden sol-
che haushaltsnahen Dienstleistungen immer stärker
nachgefragt. Gleichzeitig erkennen mehr und mehr
private Arbeitsvermittler diese Branche als neues Ge-
schäftsfeld. Der Wettbewerb um gute Arbeitskräfte,
aber auch um gute Arbeitsplätze weitet sich aus. Dass
dabei nicht immer nur gute oder zumindest akzeptable
Arbeitsbedingungen herrschen, sondern auch miss-
bräuchliche oder mangelhafte Zustände existieren, ist
leider nicht zu leugnen.

So kommt es vor, dass im Rahmen illegaler Beschäf-
tigungsverhältnisse unzureichende bis gar keine so-
ziale Absicherung für die Angestellten getroffen wird.
Im Krankheits- oder Rentenfall beispielsweise erhal-
ten die Betroffenen folglich keine Sozialleistungen. Et-
liche sind in solchen Fällen dann schnell einem Ar-
mutsrisiko ausgesetzt.

Doch selbst in eigentlich regulären Beschäftigungs-
verhältnissen gibt es auch Fälle, in denen die Haus-
angestellten entweder eine sehr niedrige Entlohnung
erhalten, überlange Arbeitszeiten haben oder kaum
Urlaub erhalten.

Aus diesem Grund begrüße ich es außerordentlich,
dass mit dem IAO-Abkommen verbindliche Regelun-
gen für die Gewährleistung fairer und menschenwürdi-
ger Arbeitsbedingungen geschaffen wurden. Diese be-
treffen zum Beispiel den Arbeitsschutz, Arbeitszeiten,
die soziale Sicherheit, das Recht auf Kollektivverhand-
lungen oder die Kontrolle privater Arbeitsvermittler.
Dies sind alles Bereiche, die wir in Deutschland eben-
falls als sehr schützenswert betrachten und wozu wir
infolgedessen seit langer Zeit umfassende Regelungen
getroffen haben; sei es durch entsprechende Arbeitsge-
setze und Rechtsverordnungen, durch Richterrecht
oder sehr weit verzweigt durch tarifvertragliche Nor-
men. Dass unsere Bundesregierung an der Erarbei-
tung des IAO-Übereinkommens und der begleitenden

Empfehlung konstruktiv mitgewirkt hat und den politi-
schen Zielen der Instrumente wohlwollend gegenüber-
steht, demonstriert überdies das große politische Inte-
resse an diesem Thema.

Die Anträge der Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen greifen das IAO-Übereinkommen
zur Stärkung der Rechte der Hausangestellten und zum
Schutz derselben vor Missbrauch und Diskriminierung
auf und stellen nun jedoch zahlreiche Forderungen,
die aus Sicht der Unionsfraktion entbehrlich sind.

So fordern Sie unter anderem die unverzügliche
Einleitung des Ratifizierungsverfahrens des IAO-Ab-
kommens. Hierzu liegt bereits ein Beschluss über einen
entsprechenden Gesetzentwurf des Bundeskabinetts
vor, dem sogar der Bundesrat schon einstimmig zuge-
stimmt hat. Ihr Anliegen ist damit also längst obsolet.

Mit Blick auf das deutsche Recht möchte ich vorweg
folgende grundsätzliche Bemerkung auf Ihre zahlrei-
chen Einzelforderungen machen. Unser Recht erfüllt
alle Vorgaben des IAO-Übereinkommens und setzt
diese bereits wirksam um. Hausangestellte sind Arbeit-
nehmer wie alle anderen Beschäftigten in Deutschland
und haben daher die gleichen Rechte und Pflichten wie
die anderen. Auch können Arbeitsverträge sowohl
mündlich als auch schriftlich in deutscher oder einer
anderen Sprache abgeschlossen werden. Zusätzlicher
Regelungsbedarf im deutschen Arbeitsrecht ist hier
beim besten Willen nicht zu erkennen.

Auf wenige einzelne Punkte möchte ich dennoch
kurz eingehen. Auf Ihrem Wunschzettel findet man er-
neut – wie in so mancher Debatte, die wir in diesem
Hause führen dürfen – das Schlagwort Einführung ei-
nes flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von
8,50 Euro. Eine solche Verpflichtung sieht das IAO-
Abkommen überhaupt nicht vor. Es soll lediglich im
Falle einer Neueinführung eines allgemeinen gesetzli-
chen Mindestlohns dieser auch für Hausangestellte
gelten. Ebenso wenig lässt sich direkt oder indirekt aus
dem Übereinkommen ableiten, dass die Unterzeichner-
staaten einen allgemeinverbindlichen Branchenmin-
destlohn für Hausangestellte festlegen müssen. Dazu
wären auch in Deutschland zunächst die Sozialpartner
gefragt, die sich per Antrag beim Bundesministerium
für Arbeit und Soziales für die Allgemeinverbindlich-
erklärung ihrer bereits abgeschlossenen Tarifverträge
einsetzen müssen.

Ferner schreiben Sie, geringfügig beschäftigte
Hausangestellte müssen wie andere geringfügig Be-
schäftigte rechtlich behandelt werden. Da haben Sie
völlig recht – nur, das erfolgt bereits. Hausangestellte
erfahren sowohl im sogenannten Haushaltsscheck-
Verfahren, mittels dessen eine geringfügige Beschäfti-
gung in einem Privathaushalt angemeldet werden
kann, als auch im Teilzeit- und Befristungsgesetz den-
selben Schutz und dieselbe Sicherheit wie die übrigen
geringfügig Beschäftigten in Deutschland. Die Gleich-
behandlung ist somit auch in diesem Bereich gewähr-
leistet.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)


Ihre Forderung, die Situation von Hausangestellten
in Diplomatenhaushalten zu verbessern, scheint eben-
falls die Realität auszublenden. Es ist nämlich Usus,
dass die Vertreter der diplomatischen und berufs-
konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik
Deutschland Arbeitsverträge mit ihren Hausangestell-
ten abschließen, die selbstverständlich den geltenden
arbeits- und sozialrechtlichen Anforderungen entspre-
chen müssen. Bereits vor der Einreise des Personals
werden diese Verträge auf die Einhaltung dieser Vor-
schriften überprüft. Unregelmäßigkeiten können auf
diese Art und Weise schon im Vorfeld einer Beschäfti-
gung festgestellt und verhindert werden. Darüber
hinaus finden im Rahmen der Verlängerung von Proto-
kollausweisen jährliche Kontrollen statt. Sogar per-
sönliche Gespräche werden mit den Hausangestellten
geführt.

Die Tatsache, dass selbst in einem solch überschau-
baren Anwendungsbereich ein so hervorragendes Netz
an Schutzvorschriften und -maßnahmen besteht, belegt
eindrucksvoll, dass in diesem Bereich kein zusätzlicher
Handlungsbedarf besteht. Das müssten eigentlich
auch Sie, meine verehrten Damen und Herren der
SPD-Fraktion und vonseiten der Grünen, erkennen.
Lassen Sie uns noch die letzten Schritte auf dem Weg
zur Ratifizierung gehen, um auch formal alles Erfor-
derliche getan zu haben. Materiell herrschen bereits
jetzt vorbildliche Zustände hierzulande, die natürlich
auch von den Arbeitgebern so einzuhalten und umzu-
setzen sind.

Wir werden jedenfalls mit der baldigen Ratifizie-
rung des Gesetzes wieder einmal mit gutem Beispiel
vorangehen und für viele andere Länder damit ein Zei-
chen setzen, sich diesem anzuschließen.


Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1724033300

Ich freue mich, dass wir heute über die Ratifizierung

des ILO-Übereinkommens Nr. 189 über die Arbeitsbe-
dingungen von Hausangestellten entscheiden. Wir So-
zialdemokraten hatten in einem gemeinsamen Antrag
mit den Grünen bereits im vergangenen Jahr gefordert,
dass das Übereinkommen in Deutschland so schnell
wie möglich ratifiziert und umgesetzt wird. Es ist gut,
dass die Bundesregierung unserer rot-grünen Forde-
rung nachgekommen ist.

Ich war 2011 auf der ILO-Konferenz in Genf, als
das Übereinkommen dort verabschiedet wurde. Es war
eine große Freude von allen Frauen im Saal, die lange
für ein solches Übereinkommen gekämpft hatten. Wir
müssen uns bewusst sein, welche Bedeutung dieses
Übereinkommen hat und welch ein Erfolg es ist, dass
wir dieses Übereinkommen heute ratifizieren.

Das Übereinkommen ist ein Meilenstein; denn erst-
mals wird Hausarbeit gleichgestellt mit regulärer Er-
werbsarbeit. Wir brauchen auch in Haushalten gute
und faire Arbeitsbedingungen – weltweit, aber auch
hier in Deutschland. Denn es ist nicht so, dass bei uns
alles im grünen Bereich ist. Wir Sozialdemokraten ha-
ben im vergangenen Sommer eine Kleine Anfrage zu

Hausangestellten in Diplomatenhaushalten gestellt. In
unserem Land passiert hier immer wieder Missbrauch;
denn durch die Immunität der Diplomaten gibt es ei-
nige – nicht viele, aber doch ein paar –, die dies aus-
nutzen und den Hausangestellten grundlegende Rechte
verwehren. Es gibt immer wieder Presseberichte über
Frauen, die keinen Lohn erhalten, nicht aus dem Haus
gelassen werden und die keinerlei Freizeit haben. Wir
sollten die heutige Ratifizierung des ILO-Übereinkom-
mens zum Anlass nehmen, hier zu handeln. Beispiels-
weise sollten wir überlegen, die Regelung einzuführen,
dass Hausangestellte bei der Abholung und Verlänge-
rung ihrer Protokollausweise im Auswärtigen Amt
persönlich erscheinen müssen. Zudem brauchen wir
mehrsprachiges und besseres Informationsmaterial,
mit dem Hausangestellte über ihre grundlegenden
Rechte informiert werden.

Die Arbeit von Hausangestellten wird in unserer
Gesellschaft leider oft nicht genug wertgeschätzt.
Dumpinglöhne sind auch in diesem Bereich an der Ta-
gesordnung. Wir Sozialdemokraten setzen uns daher
für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
als Lohnuntergrenze und für einen allgemeinverbindli-
chen Branchenmindestlohn für Hausangestellte ein.
Denn gerade weil die Arbeit der Hausangestellten in
den Privathaushalten oft „unsichtbar“ ist, brauchen
wir eine angemessene Wertschätzung der Arbeit.

Lassen Sie uns die Ratifizierung zum Anlass neh-
men, um über die Situation von Hausangestellten in
Deutschland nachzudenken und um Missbrauch besser
als bisher zu verhindern. Für uns Sozialdemokraten ist
das Übereinkommen mit der heutigen Ratifizierung
nicht abgehakt, sondern die eigentliche Arbeit beginnt
erst. In unserem Antrag zeigen wir auf, in welchen Be-
reichen etwas geschehen muss. Hier müssen wir wei-
terarbeiten. Darum werden wir Sozialdemokraten uns
kümmern und die Bundesregierung an die Verpflich-
tungen, die aus dem Übereinkommen erwachsen, erin-
nern.


Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1724033400

Vor fast genau zwei Jahren hat die Internationale

Arbeitsorganisation, ILO, das Übereinkommen
Nr. 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausange-
stellte verabschiedet. Damit wurden erstmals interna-
tionale Standards für Beschäftigte im informellen Sek-
tor verbindlich vereinbart.

Heute – vier Wochen vor dem Internationalen Tag
der Hausangestellten – legt die Bundesregierung dem
Bundestag dieses ILO-Übereinkommen zur Ratifizie-
rung vor und erfüllt damit die zentrale Forderung der
SPD-Fraktion aus dem gemeinsamen Antrag mit der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bereits im Novem-
ber letzten Jahres hatten die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung aufge-
fordert, das Übereinkommen schnell zu ratifizieren.
Der parlamentarische Druck hatte Erfolg und zeigt,
dass die Bundesregierung und die Koalition die Hand-
lungsnotwendigkeit erkannt haben.

Zu Protokoll gegebene Reden





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)


Die ILO-Konvention zum Schutz von Hausange-
stellten hat ganz große Bedeutung in Schwellen- und
Entwicklungsländern. Dort sind vor allem Mädchen
und Frauen von menschenunwürdigen Arbeitsbedin-
gungen betroffen.

Es ist kein Geheimnis, dass aufgrund des oft engen
persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses sehr häufig
Arbeits- und Menschenrechte von Hausangestellten
verletzt werden. Ich nenne hier nur extrem lange Ar-
beitszeiten ohne Pausen, die Einbehaltung von Lohn
sowie körperlichen und sexuellen Missbrauch. Skla-
venarbeit ist keine Seltenheit.

Eine aktuelle Studie der ILO aus dem Januar 2013
zeigt auf, wie prekär die Lage von Hausangestellten
mitunter ist und wie dringend notwendig die ILO-
Norm ist. Ein paar Fakten dazu: Über 53 Millionen
Menschen auf der Welt arbeiten als Hausangestellte.
83 Prozent davon sind Frauen und junge Mädchen.

Diese Zahlen beruhen auf offiziellen Erhebungen in
117 Ländern – mit der Folge, dass Kinder nicht mitge-
zählt werden, obwohl in diesem Bereich Kinderarbeit
nicht selten ist. Seriöse Schätzungen gehen daher da-
von aus, dass tatsächlich bis zu 100 Millionen oder bis
zu 10 Prozent der arbeitenden Menschen in Entwick-
lungsländern als Hausangestellte arbeiten – vielfach
im informellen Sektor.

30 Prozent aller Hausangestellten sind daher voll-
ständig von der nationalen Arbeitsgesetzgebung aus-
genommen. Das führt unter anderem dazu, dass
45 Prozent dieser Menschen nicht einmal das Anrecht
auf einen freien Tag in der Woche haben. Geregelte Ar-
beitszeiten – Fehlanzeige! Die Menschen schuften na-
hezu rund um die Uhr.

Auch der Zugang zu Systemen der sozialen Siche-
rung ist ihnen in der Regel verschlossen. In Latein-
amerika verfügen beispielsweise rund 75 Prozent aller
Hausangestellten über keinerlei soziale Sicherung.
Durch soziale Sicherungssysteme wie Bolsa Familia in
Brasilien konnten in den letzten Jahren gerade in La-
teinamerika deutliche Verbesserungen erreicht wer-
den.

Und genau hier setzt die Konvention Nr. 189 an.
Künftig sollen Hausangestellte die gleichen sozialen
Rechte haben, die auch für alle anderen Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer gelten – einschließlich
des Mutterschutzes.

Es ist besonders erfreulich, dass mittlerweile sechs
Länder die Konvention ratifiziert haben: Uruguay,
Philippinen, Mauritius, Nicaragua, Bolivien – und als
erstes europäisches Land auch Italien. Damit kann das
Übereinkommen am 5. September 2013 in Kraft treten.

Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nun auf die
Schulter klopfen und anschließend die Hände in den
Schoß legen können. Im Gegenteil: Jetzt muss die Kon-
vention weiter verbreitet und mit Leben erfüllt werden.
Denn nur so kann sichergestellt werden, dass Hausan-

gestellte die gleichen Rechte bekommen wie Beschäf-
tigte im formellen Sektor.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Ab-
schaffung von Kinderarbeit, den Schutz vor Gewalt,
Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel, den
Zugang zur sozialen Sicherung, geregelte Arbeitszei-
ten, Pausenregelungen, faire Entlohnung, die Mög-
lichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, und –
ganz wichtig – um staatliche Kontrollen der Arbeitsbe-
dingungen.

Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 189 bei
uns leisten wir auch ganz konkret einen Beitrag zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage in Entwicklungs-
ländern. Warum? Mehr als 170 Millionen Menschen
aus Entwicklungsländern arbeiten im Ausland. Das
sind beachtliche 6,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung,
darunter auch sehr viele Hausausangestellte. Diese
Migranten leisten einen Entwicklungsbeitrag durch
Einkommensrücküberweisungen, indem sie den Le-
bensunterhalt dort mitfinanzieren. Dazu gehören auch
die Ausbildung ihrer Kinder und die Unterstützung der
Gesundheitsleistungen.

Die Ratifizierung dieser ILO-Norm durch die Bun-
desrepublik Deutschland hat somit unmittelbare Aus-
wirkungen auf die sozio-ökonomischen Verhältnisse in
den Entwicklungsländern und ist zudem ein wichtiges
Signal an die internationale Staatengemeinschaft.

Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf: Set-
zen Sie sich auf internationaler und europäischer
Ebene dafür ein, dass möglichst viele Industrie-,
Schwellen- und Entwicklungsländer die Konvention
ratifizieren und diese in nationales Recht umsetzen.


Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1724033500

Wir alle begrüßen die Ziele des ILO-Übereinkom-

mens zur Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit für
Hausangestellte. Dass wir heute mit dem voraussichtli-
chen Beschluss des Vertragsgesetzes die Voraussetzun-
gen schaffen, die nach Art. 59 des Grundgesetzes für
die Ratifikation des Übereinkommens notwendig sind,
ist ein schöner Anlass für einhellige Freude, die es ja
so in dieser breiten Übereinstimmung jetzt nicht immer
im Plenum des Deutschen Bundestags gibt. Ich danke
allen für die Zustimmung, je breiter ein solches Vorha-
ben vom Parlament getragen wird, desto besser. Die
Ratifikation und damit die völkerrechtlich abschlie-
ßende Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland
ist auch ein wichtiges internationales Zeichen. In vie-
len Ländern fehlen feste Regeln für Hausangestellte,
und wo es sie gibt, werden sie nicht immer beachtet.
Auch hier gilt: Je breiter die Unterstützung ist, je mehr
Länder sich dem Übereinkommen anschließen, desto
besser.

Außerdem ist es erfreulich, dass breite Einigkeit
darüber besteht, dass die Standards in Deutschland
bereits erfüllt sind und wir keinen gesetzlichen Hand-
lungsbedarf haben, weil für Hausangestellte in der
Bundesrepublik, wie generell für alle Angestellten in

Zu Protokoll gegebene Reden





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)


der Bundesrepublik, schon ein hohes arbeitsrechtli-
ches Schutzniveau gilt. Auch ich zitiere hier gerne
noch einmal aus dem Gutachten der Böckler-Stiftung:
„Insgesamt entspricht das deutsche Recht den Min-
destvorgaben der Konvention. Ein Anpassungsbedarf
besteht nicht.“ So, und die Böckler-Stiftung ist ja nicht
gerade als arbeitgebernah verschrien. Eigentlich
schade, dass Sie das Verfahren dann noch einmal nut-
zen, um einige ziemlich sachfremde Aspekte mit he-
reinzunehmen, die viel mit Ihren Wahlprogrammen ge-
mein haben.

Sie fordern neben der Ratifizierung des ILO-Über-
einkommens zum Beispiel auch noch die Bekämpfung
der Schwarzarbeit in Privathaushalten und die Einfüh-
rung eines flächendeckenden politischen Einheitsmin-
destlohns in Höhe von 8,50 Euro. Nun hat ja, wie ge-
sagt, Deutschland die Ratifizierung bereits eingeleitet:
Das entsprechende Gesetz beraten wir gerade ab-
schließend. Und auch Sie hätten einfach anerkennen
können, dass die deutsche Gesetzeslage bereits den
Vorgaben der Konvention entspricht. Sowohl vom Bun-
desrat als auch von den bei den Verhandlungen des
Übereinkommens beteiligten Arbeitgeberverbänden
und Gewerkschaften wird diese Auffassung geteilt.
Jetzt in ihrem Antrag wieder mit Ihrer altbekannten
Forderung nach einem politischen Einheitsmindest-
lohn anzukommen, ist wirklich nicht nötig.

Zum Abschluss möchte ich außerdem meinen hoch,
ach was, höchst geschätzten Kollegen Dr. Heinrich
Leonhard Kolb zitieren, der sich zur ersten Beratung
Ihres Antrags wie folgt eingelassen hat: „In einem
Punkt widersprechen Sie allerdings allen Ihren bishe-
rigen Äußerungen: Sie fordern zwar die Verstärkung
von Anreizen, um bisher schwarz geführte Hausarbeit
zu legalisieren. Auf der anderen Seite verteufeln Sie
aber alle Flexibilisierungselemente auf dem Arbeits-
markt und haben unsere Verbesserungen bei den
Minijobs – das ideale Instrument für Hausangestellte,
die bei verschiedenen Arbeitgebern arbeiten! – strikt
abgelehnt. Denn gerade die Erleichterungen für Haus-
angestellte machen es doch erst attraktiv für einen
Privathaushalt, der jemanden nur für wenige Stunden
in der Woche oder im Monat beschäftigt, ihn bei der
Minijobzentrale anzumelden und Sozialabgaben zu
zahlen. Das sind bereits starke Anreize. Dass diese
Anreize noch mehr kommuniziert werden können – da
stimme ich gerne mit Ihnen überein. Die Beschäftigung
von Schwarzarbeitern ist kein Kavaliersdelikt. Damit
wir Schwarzarbeit legalisieren, müssen Sie Ihr Sperr-
feuer gegen die Minijobs einstellen. Weiter gehende
Anreize brauchen wir nicht.

Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ab-
lehnen.“

Dem ist – aus Ihrer Sicht vielleicht leider, aus mei-
ner Sicht aber wie so oft bei Zitaten von Dr. Heinrich
Leonhard Kolb – wirklich nichts hinzuzufügen. Ich bin
gespannt darauf, ob Sie so fair sind, uns im Wahlkampf
ausdrücklich für unsere Neuregelung der Minijobs zu
loben, mit der wir nicht nur die rentenrechtliche Ab-

sicherung deutlich verbessert haben – gerade für ge-
ringfügig Beschäftigte in Haushalten –, sondern mit
der wir auch effektiv etwas gegen Schwarzarbeit er-
reicht haben, weil die Entgeltgrenze angehoben wurde.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724033600

Fast zwei Jahre nachdem die Vollversammlung der

Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, das Über-
einkommen 189 über menschenwürdige Arbeit für
Hausangestellte verabschiedet hat, hat nun auch die
Bundesregierung die Prüfung zur Ratifizierung des
Übereinkommens abgeschlossen. Mit der heutigen Be-
ratung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung
schaffen wir abschließend die Voraussetzung zur Rati-
fizierung des Abkommens.

Um das klar zu sagen: Das ist allerdings nicht allein
ein Verdienst der Bundesregierung, sondern vor allem
ein Verdienst zahlreicher Initiativen und Verbände, die
sich vehement für eine rasche Ratifizierung des ILO-
Übereinkommens eingesetzt haben. Sie waren es, die
maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Deutsch-
land zu den ersten europäischen Ländern gehört, in
dem die Konvention verbindlich wird.

Das ist auch bitter nötig: Nach der im Januar von
der ILO vorgestellten Studie, die erstmals das Ausmaß
und die Situation von Hausangestellten untersucht hat,
gibt es weltweit mindestens 52 Millionen Hausange-
stellte. Die Studie soll zukünftig die Grundlage dafür
schaffen, wie die Situation für diese Menschen verbes-
sert werden kann.

Allein für Deutschland geht das Statistische Bun-
desamt von rund 712 000 Hausangestellten aus. Aller-
dings dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen: So
geht der Deutsche Gewerkschaftsbund davon aus, dass
rund 2,6 Millionen deutsche Haushalte regelmäßig
Hausangestellte auf Teilzeitbasis beschäftigen. Ein
großer Teil arbeitet schwarz.

Wir müssen feststellen, dass die Strategie zur Lega-
lisierung und zur Einhaltung von Arbeitsrechten haus-
haltsnaher Dienste in Deutschland bisher nicht
sonderlich erfolgreich war. Besonders betroffen sind
Frauen aus Polen und anderen mittel- und osteuropäi-
schen Staaten, die über dubiose Vermittlungsagenturen
angeheuert in der 24-Stunden-Pflege tätig sind und in
häuslicher Gemeinschaft mit ihrem Arbeitgeber leben.
Gerade hier werden arbeitsrechtliche Bestimmungen
massenhaft missachtet. Vor allem Arbeitszeitstandards
werden nicht eingehalten, die Privatsphäre wird nicht
geachtet, oft fehlen Arbeitsverträge oder Löhne wer-
den vorenthalten.

Gleichwohl hat die Bundesregierung eine entschei-
dende Abweichung in ihrem Gesetzentwurf vorgenom-
men: Sie interpretiert das Übereinkommen so, dass die
24-Stunden-Pflege vom ILO-Abkommen nicht erfasst
ist. Damit bleibt der „graue Pflegemarkt“ auch wei-
terhin unreguliert. Die quasi rechtlose Lage der
24-Stunden-Pflegenden wird so zementiert. Die Betrof-
fenen – und hier meine ich nicht nur die Hausange-

Zu Protokoll gegebene Reden





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


stellten, sondern auch die Angehörigen von zu pflegen-
den Menschen, die oftmals mit der Situation völlig
überfordert sind – werden von der Bundesregierung
weiterhin im Stich gelassen. Aus unserer Sicht ein in-
akzeptabler Zustand! Hier haben Sie sich einen
schlanken Fuß gemacht. Gerade für Menschen in der
24-Stunden-Pflege brauchen wir vergleichbare ar-
beitsschutzrechtliche Regelungen, wie sie für alle an-
deren Beschäftigten auch gelten.

Nichtsdestotrotz bietet die Ratifizierung dennoch
Entwicklungsmöglichkeiten gerade für diese Beschäf-
tigtengruppe, die ohne die Gültigkeit des Abkommens
für Deutschland nicht vorhanden wären, ein nicht zu
unterschätzender Fortschritt: Mit der Ratifizierung
gelangt die Praxis des jeweiligen Landes in den Über-
wachungsmechanismus der ILO und erlaubt so den
Sozialpartnern, auf die Bewertung der Rechtslage und
der Praxis Einfluss zu nehmen sowie den Rechtsweg zu
beschreiten.

Das Beispiel des „grauen Pflegemarktes“ zeigt:
Ausbeutung und der Missbrauch der Rechte von Haus-
angestellten ist auch in Deutschland kein Einzelfall.
Hier steckt die Bundesregierung den Kopf in den Sand.
Die Hans-Böckler-Stiftung hat bereits im Mai 2012
festgestellt, dass „nach der Ratifikation noch Schritte
zur vollständigen Verwirklichung der Konventions-
rechte vorgenommen werden müssten“. Wer also
glaubwürdig sein und ein solches Abkommen mit Le-
ben füllen will, muss an der eigenen Haustür anfan-
gen. Das heißt, dass wir auch bei uns vor Ort für faire
und gute Arbeitsbedingungen sorgen müssen.

Insofern bieten der gemeinsame Antrag der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen dafür eine gute
Vorlage, auf der Strecke noch weiter tätig zu werden.
Dies gilt auch für ihre Forderung nach einem gesetzli-
chen Mindestlohn, der, um wenigstens nach 45 Versi-
cherungsjahren einen Rentenanspruch oberhalb der
Grundsicherung zu erwerben, nach unserer Auffas-
sung bei mindestens 10 Euro liegen müsste.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dem Deutschen Bundestag bleiben nur noch wenige
Sitzungswochen, um wichtige Beschlüsse zu fassen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat viel angekün-
digt, aber wenig auf den Weg gebracht. Stattdessen
wurde viel Zeit damit vertan, unwichtige und unsinnige
Dinge zu beschließen – wie das Betreuungsgeld. Vor
diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf, um den es
heute geht, umso mehr zu begrüßen. Denn die Ratifi-
zierung des ILO-Übereinkommens über menschenwür-
dige Arbeit für Hausangestellte ist wichtig und richtig.
Der Gesetzentwurf wird daher unsere volle Zustim-
mung erhalten.

Das Übereinkommen mit der Nummer 189 ist eine
große Errungenschaft. Es wirft ein wenig Licht auf die
oft unsichtbare und unterbezahlte Arbeit der Hausan-
gestellten überall auf der Welt. Den Beschäftigten

– meist sind es Frauen, oft Migrantinnen – werden
endlich Rechte eingeräumt, die sie vor Missbrauch,
Diskriminierung und Ausbeutung schützen. Deswegen
ist es wichtig, dass das Übereinkommen von möglichst
vielen Staaten der Welt unterzeichnet wird. Gerade die
Industrienationen und unter ihnen wiederum in beson-
derem Maße Deutschland könnten und sollten bei
Mindeststandards für ihre Beschäftigten mit gutem
Beispiel vorangehen. Wie so oft gilt: Was wir selbst
nicht bereit sind zu leisten, das können wir schlecht
von anderen verlangen. Deshalb ist es entscheidend,
dass die Bundesrepublik Deutschland soziale und öko-
logische Kriterien ernst nimmt. Deswegen ist es zwin-
gend, dass Texte, die auf internationalen Konferenzen
unterzeichnet wurden, auch möglichst zügig in natio-
nales Recht umgesetzt werden.

Aus diesem Grund hat meine Fraktion gemeinsam
mit der SPD einen Antrag eingebracht, um das ILO-
Übereinkommen zügig zu ratifizieren und die nationale
Gesetzgebung an die Erfordernisse des Abkommens
anzupassen. Über diesen Antrag haben wir Ende
November im Bundestag beraten zu einem Zeitpunkt,
als nur Uruguay, die Philippinen und Mauritius bereits
ratifiziert hatten. Mittlerweile sind Nicaragua und
Bolivien dazugekommen. Von allen entwickelten In-
dustrieländern, von allen EU-Staaten hat bisher nur
Italien das Übereinkommen ratifiziert – im Januar die-
ses Jahres. Es wird Zeit, dass sich diese noch viel zu
kurze Liste um Deutschland verlängert.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der erste
Teil unseres Antrags erfüllt. Da der Bundesrat keine
Einwendungen erhebt, liegt es jetzt am Deutschen
Bundestag, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit
das Übereinkommen formal in Kraft treten kann. Wir
werden zustimmen. Als kritisch sehen wir jedoch die
Einschätzung der Bundesregierung, dass Ergänzungen
der innerstaatlichen gesetzlichen Vorschriften nicht
erforderlich seien. So einfach kann es sich der Gesetz-
geber dann doch nicht machen, wenn er den Inhalt des
ILO-Übereinkommens wirklich ernst nimmt. Denn es
gibt Handlungsbedarf auch in Deutschland, Verbesse-
rungsbedarf für die Situation der rund 250 000 ange-
meldeten Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten, Re-
formbedarf für die geschätzten rund vier Millionen
informell beschäftigten Hausangestellten.

Allein schon diese riesige Spannweite zwischen der
offiziell gemeldeten und der geschätzten tatsächlichen
Zahl von in Deutschland beschäftigten Hausangestell-
ten macht klar: Ein zu eng gefasster Ansatz, der rein
auf die formalen Regelungen schaut, geht an den tat-
sächlichen Schutzbedürfnissen der Betroffenen vorbei.
Die Grauzone und Dunkelziffer sind gerade bei Haus-
angestellten so groß wie in kaum einem anderen Be-
schäftigungsbereich.

Aus gutem Grund haben wir in unserem Antrag
auch eine Aufklärungskampagne über die Rechte der
Beschäftigten vorgeschlagen, die Rücksicht auf die
sprachlichen Barrieren der Hausangestellten mit
Migrationshintergrund nimmt. Es genügt schließlich

Zu Protokoll gegebene Reden





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


nicht, auf bestehende Rechtsnormen zu verweisen,
wenn diese Rechtsnormen zu wenig bekannt sind, zu
wenig umgesetzt und überwacht werden und zu wenig
Beachtung in der Praxis finden.

Auch bei der Frage der Entlohnung genügt es nicht,
auf die bestehende Rechtslage zu verweisen. Es ist und
bleibt ein Mangel, dass es in Deutschland keinen flä-
chendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt und
auch keinen branchenspezifischen Mindestlohn für ge-
werbliche Arbeit innerhalb von privaten Haushalten.
Es ist ein Mangel, dass pflegende Hausangestellte, die
in der Theorie vom Branchen-Mindestlohn für die
Pflege profitieren müssten, diesen in der Praxis meis-
tens nicht durchsetzen können – sofern sie überhaupt
davon wissen. Die ungeregelte Entlohnung ist und
bleibt für uns ein zentraler Kritikpunkt.

Wir kritisieren auch, dass Minijobs sozial schlecht
abgesichert sind, eine arbeitsmarktpolitische Sack-
gasse darstellen und dringend reformiert werden müs-
sen. Das betrifft auch in ganz besonderem Maße Haus-
angestellte, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl in
geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen angestellt
sind.

Alle diese Mängel und Kritikpunkte wird der Ge-
setzgeber angehen müssen. Sie stehen formal der Rati-
fizierung jedoch nicht im Weg. Deswegen stimmen wir
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu und sind
froh über eine rasche Umsetzung des ILO-Überein-
kommens 189. Die Zustimmung in Deutschland ist ein
wichtiges Signal für andere Staaten der Welt und ein
bedeutender Schritt nach vorne. Dieser Erfolg darf
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit dem
vorliegenden Gesetz alleine noch nicht getan ist. Es
sind noch gesetzgeberische Hausaufgaben zum Schutz
für die Hausangestellten zu leisten. Spätestens der
nächste Bundestag wird sich erneut mit diesem The-
menbereich beschäftigen müssen. Anregungen und
Hilfestellungen haben wir mit unserem Antrag gelie-
fert.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724033700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ar-

beit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/13303, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12951
anzunehmen.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Das sind alle Fraktionen
des Hauses. Gegenstimmen? – Es erhebt sich niemand.
Enthaltungen? – Es erhebt sich auch niemand. So ist der
Gesetzentwurf angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26 b. Wir set-
zen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache
17/13303 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des

Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/11370. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfrak-
tionen. Enthaltungen infolgedessen niemand. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung
ohne Lücken

– Drucksachen 17/12389, 17/12906 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1724033800

In Ihrem Antrag „Für eine sozio-kulturelle Exis-

tenzsicherung ohne Lücken“ vertritt die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen die Auffassung, die Regelbe-
darfe im SGB II und SGB XII seien fehlerhaft berech-
net. Der Antrag ist ein Sammelsurium altbekannter
und bereits im Rahmen zahlreicher anderer Anträge
diskutierter Forderungen nach dem Erlass eines Sank-
tionsmoratoriums, der Einführung einer vertikalen
Einkommensanrechnung und einer Abschaffung des
Asylbewerberleistungsgesetzes.

Entgegen Ihrer Auffassung sind die Regelbedarfe
für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene ver-
fassungsgemäß. Sie wurden in einem transparenten
und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie
nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zah-
len und schlüssiger Berechnungsverfahren ermittelt.
Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und
zur Änderung des SGB II und des SGB XII sind wir der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachge-
kommen, eine transparente Berechnung des Regelbe-
darfs bzw. eine nachvollziehbare Begründung zu lie-
fern.

Die Ermittlung von Regelbedarfen dient der Bestim-
mung der Leistungshöhe für die Gewährleistung des
verfassungsrechtlich garantierten menschenwürdigen
Existenzminimums. Bei der hierfür erforderlichen Er-
hebung einer geeigneten Datenbasis, die eine mög-
lichst genaue Bedarfsermittlung zulässt, hat das Bun-
desverfassungsgericht dem Gesetzgeber ausdrücklich
einen Gestaltungsspielraum eingeräumt.

Die Regelbedarfe orientieren sich am Lebensstan-
dard einkommensschwacher Haushalte. Der mate-
rielle Lebensstandard hängt im Wesentlichen vom ver-
fügbaren Nettoeinkommen dieser Haushalte ab und
manifestiert sich in deren Konsumausgaben. Die im





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
erhobenen Verbrauchsausgaben für alle regelbedarfs-
relevanten Güter und Dienste von Haushalten mit
niedrigem Einkommen bilden hierfür die Referenz-
gruppe. Die jährlich erfolgende Fortschreibung der
Regelbedarfe berücksichtigt zudem die Preis- und
Lohnentwicklung.

Der monatliche pauschale Regelbedarf umfasst bei-
spielsweise Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körper-
pflege, Hausrat, Energie, Bedarfe des täglichen Le-
bens sowie Bedarfe für Beziehungen zur Umwelt und
Teilnahme am kulturellen Leben. Über die tatsächliche
Verwendung dieses Pauschalbetrages entscheidet der
Leistungsberechtigte eigenverantwortlich nach seinen
individuellen Bedürfnissen. In seinem Urteil vom
9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht
neben der Auskömmlichkeit der Regelsätze des
SGB XII und SGB II auch die Anwendung der zu-
grunde liegenden Statistik als geeignet und realitäts-
nah bezeichnet.

Auch das von Ihnen geforderte Sanktionsmorato-
rium erachten wir als nicht zielführend. Mit dieser
Forderung verkennen Sie die Grundprinzipien des
Förderns und Forderns im Bereich der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. All denjeni-
gen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst oder durch
Unterstützung Dritter sichern können, wird nach dem
verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsprinzip
ein physisches und soziokulturelles Existenzminimum
garantiert.

Dies bedeutet, dass jedem Leistungsberechtigten
diejenigen materiellen Voraussetzungen zugesichert
werden, die für seine physische Existenz und für ein
Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kultu-
rellen und politischen Leben unerlässlich sind. Der
Staat gewährleistet demnach nicht nur eine bloße Si-
cherung der physischen Existenz in einer Notlage, son-
dern er sichert auch ein soziokulturelles Existenzmini-
mum sowie einen Schutz vor Stigmatisierung und
sozialer Ausgrenzung.

Mit dieser von der Solidargemeinschaft durch Steu-
ern finanzierten Hilfe ist selbstverständlich auch die
Erwartung verbunden, dass jeder erwerbsfähige Leis-
tungsberechtigte alle zumutbaren Maßnahmen zur
Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit aus-
schöpft. Nach dem in § 2 SGB II festgelegten Grundsatz
des Forderns hat sich der erwerbsfähige Hilfebedürf-
tige nicht nur vorrangig und eigeninitiativ um die Be-
endigung seiner Hilfebedürftigkeit zu bemühen, son-
dern auch aktiv und kooperativ an allen Maßnahmen
mitzuwirken, die seine zügige Wiedereingliederung in
den Arbeitsmarkt fördern. Wird diesen bestehenden
Obliegenheiten ohne wichtigen Grund nicht nachge-
kommen, so kann dies gemäß § 31 SGB II Sanktionen in
Form einer Minderung oder des Wegfalls der Leistung
zur Folge haben.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass sich die
überwiegende Mehrheit der Leistungsbezieher äußerst

engagiert zeigt und auch zügig wieder in Beschäf-
tigung kommen möchte. Die von Ihnen ständig kri-
tisierten Sanktionen betrafen im vergangenen Jahr
beispielsweise nur etwa drei Prozent aller Leistungs-
berechtigten. Von den verhängten Sanktionen waren
über zwei Drittel auf Meldeversäumnisse zurückzufüh-
ren – wenn also beispielsweise ein vereinbarter Termin
mit dem Jobcenter nicht eingehalten wurde.

Auch die Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Ein-
kommen vielleicht nur knapp oberhalb der Transfer-
leistungen liegt, finanzieren durch ihre Beiträge diese
Leistungen mit. Und daher ist es doch nur recht und
billig, wenn wir bei der Vergabe dieser durch die Soli-
dargemeinschaft finanzierten Fürsorgeleistung auch
eine gewisse Eigeninitiative und Kooperationsbereit-
schaft verlangen.

Mit Blick auf die gegenwärtige Lage am deutschen
Arbeitsmarkt lässt sich feststellen, dass die Vorausset-
zungen, wieder zügig in Beschäftigung zu gelangen, so
gut sind wie nie zuvor. Wir haben so viele sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigte wie nie zuvor, die
niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und im euro-
paweiten Vergleich mit Abstand die geringste Jugend-
arbeitslosigkeit. Im Zuge des demografischen Wandels
und des gestiegenen Fachkräftebedarfs sind und wer-
den die Chancen auf unserem robusten und stabilen
Arbeitsmarkt auch in Zukunft besser denn je sein, wie-
der rasch den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu fin-
den.

Bei der in Ihrem Antrag weiter geforderten umfas-
senden Öffnung der Sozialleistungen für arbeitsu-
chende Bürger aus anderen EU-Staaten sowie der
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist zu-
nächst einmal festzuhalten, dass alle Menschen, die
aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen
verfolgt werden, ein in Art. 16 a des Grundgesetzes
verankertes Recht auf Asyl haben. Menschen, die unse-
ren Schutz benötigen, können sich darauf verlassen,
dass ihnen auch geholfen wird.

Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt für alle
Asylsuchenden ein menschenwürdiges Dasein sicher
und wird dies auch in Zukunft tun. Entsprechend den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes wird die
Bundesregierung eine verfassungskonforme, ableit-
bare, transparente und realitätsgerechte Neuregelung
erarbeiten. Der notwendige Lebensbedarf einschließ-
lich Unterbringung, erforderliche medizinische Be-
handlungen sowie auch etwaige persönliche Bedürf-
nisse – wie etwa die von Kindern – wird sichergestellt.

Aber, meine Damen und Herren, das verfassungs-
rechtlich verankerte Asylrecht soll weder wirtschaftli-
che noch soziale Unterschiede ausgleichen und hier-
durch die missbräuchliche Inanspruchnahme fördern,
sondern es soll umfassenden Schutz vor Verfolgung
jeglicher Art sichern. Anreize für das Ausnutzen des
deutschen Sozialsystems dürfen hier nicht gesetzt wer-
den.

Zu Protokoll gegebene Reden





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom
18. Juli 2012 das Asylbewerberleistungsgesetz als ei-
genes Konzept verfassungsrechtlich nicht beanstandet
hat.

Wer in unserem Land in eine Notlage geraten ist, die
er aus eigener Kraft nicht bewältigen kann, ist auf die
Hilfe der Gemeinschaft angewiesen und bekommt
diese auch. Niemand wird in unserer Gesellschaft zu-
rück- oder alleingelassen, und jeder soll trotz Notsitu-
ation ein menschenwürdiges Leben führen können.

Diese Hilfe soll nicht nur Armut verhindern, son-
dern dem Empfänger auch eine menschenwürdige Le-
bensführung ermöglichen. Sie soll ihn aber auch in die
Lage versetzen, sein Leben möglichst bald wieder aus
eigener Kraft zu gestalten. Deshalb haben die Rege-
lungen zur Stärkung dieser Selbsthilfe besondere Be-
deutung.

Es gibt weder eine rechtliche Verpflichtung noch ist
es Aufgabe des Staates, auch denjenigen Leistungen
zur Existenzsicherung zu garantieren, die sie infolge
der eigenen Einkommens- und Vermögenssituation
nicht nötig haben.


Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1724033900

Vorweg eine Klarstellung: Anders als es der vorlie-

gende Antrag zu vermitteln versucht, ist eine soziokul-
turelle Teilhabe über die Grundsicherung für Arbeits-
suchende und die Regelsatzberechnung im SGB II wie
auch im SGB XII in Deutschland verfassungskonform
sichergestellt.

Dazu ein Blick zurück: Vor zehn Jahren hatte sich
eine breite Mehrheit dieses Hauses auf eine gemein-
same Formel verständigt – und zwar auf das Prinzip
des Förderns und Forderns. Uns einte die feste Über-
zeugung, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
vor allem auch über den Zugang zum Arbeitsmarkt
hergestellt werden kann bzw. muss. Deshalb hatte der
Bundestag neue Wege beschritten und mit der Zusam-
menlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wie-
der vielen Menschen Zugang zu den Förderinstrumen-
ten des Arbeitsmarktes verschafft. Heute können wir
die Ernte einfahren: auf dem Arbeitsmarkt herrscht
Rekordbeschäftigung, die Arbeitslosenquote ist massiv
zurückgegangen, die Quote der Jugendarbeitslosigkeit
ist so niedrig wie in keinem anderen europäischen
Land. Man muss es einfach immer wieder betonen: Wir
sind arbeitsmarktpolitisch auf einem guten und richti-
gen Weg.

Richtig ist allerdings auch, dass es ein absolut per-
fektes Gesetz angesichts der Komplexität der Materie
nicht geben kann. Das bedeutet auch, dass dort, wo
Probleme zutage treten, korrigierend eingegriffen wer-
den muss. Genau das hat die Koalition in den vergan-
genen drei Jahren immer wieder getan. Ich möchte an
die Regelsatzreform, die Jobcenter-Reform oder an die
Instrumentenreform erinnern. All dies war notwendig,
um das „lebendige System“ der sozialen Sicherung in

Deutschland zu erhalten und nachzubessern. So soll-
ten wir auch weiterhin verfahren. Die von den Grünen
vorgeschlagenen Veränderungen reichen jedoch weit
über den Charakter von Korrekturen hinaus. Sie stel-
len vielmehr das grundlegende Prinzip infrage. Insbe-
sondere in folgenden drei Punkten wird dies deutlich:

Erstens. Sie fordern ein Sanktionsmoratorium. Ein
Sanktionsmoratorium aber widerspricht dem Grund-
satz des Förderns und Forderns. Mehr als 95 Prozent
der Leistungsbezieher halten sich an die Regeln und
sind deshalb folgerichtig nicht von Sanktionen betrof-
fen. Leistungsminderungen wegen einer Pflichtverlet-
zung treten immer nur bei der Person ein, bei der das
Fehlverhalten vorliegt. Auch im Sanktionsfall wird
dieser Person ein menschenwürdiges Existenzmini-
mum über Sachleitungen gesichert. Damit entspricht
die Sanktionspraxis dem grundlegenden Prinzip des
Sozialstaats: eigene Anstrengungen einerseits und
staatliche Fürsorge andererseits.

Zweitens. Sie fordern eine individuelle Einkom-
mensrechnung bei Bedarfsgemeinschaften. Konkret
heißt es, dass Väter oder Mütter, die ein persönlich be-
darfsdeckendes Einkommen erzielen, das nicht aus-
reicht, um die gesamte Familie zu ernähren, aus der
Bedarfsgemeinschaft herauszurechnen sind. Damit
aber würde das Konzept der Bedarfsgemeinschaft ad
absurdum geführt. Das Konzept der Bedarfsgemein-
schaft folgt dem Prinzip der Subsidiarität, wonach
Familien und Lebensgemeinschaften füreinander ein-
stehen. Es ist darauf ausgerichtet, dass allen Mitglie-
dern der Bedarfsgemeinschaft der Zugang zur aktiven
und passiven Arbeitsmarktförderung gewährt und da-
mit eine Chance gegeben wird, aus der Grundsiche-
rung herauszukommen. Ihr Vorschlag käme damit ei-
ner Abkehr vom Prinzip der Bedarfsgemeinschaft
gleich.

Drittens. Sie fordern eine Öffnung der Sozialsys-
teme für arbeitsuchende Unionsbürger. Eine solche
Öffnung würde jedoch dazu führen, den Zuzug in die
Sozialsysteme massiv zu befördern. Damit laufen wir
Gefahr, den Sozialstaat auf Dauer zu überfordern und
ihn in seiner jetzigen Form zu beschädigen. Das kann
niemand wirklich wollen. Daher setzt diese Koalition
auf eine zielgerichtete, qualifizierte Arbeitsmigration.

Die CDU/CSU-Fraktion wird aus den genannten
Gründen den vorliegenden Antrag nicht unterstützen
und folgt der Beschlussempfehlung des Ausschusses
zur Ablehnung.


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1724034000

Wir beraten heute einen Antrag der Grünen, der –

zu Recht – auf bestehende Defizite bei der Sicherung
des menschenwürdigen Existenzminimums hinweist.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
stimmen mit dem Ziel des Antrags überein: Es muss in
Deutschland eine ordentliche Existenzsicherung für
alle Menschen geben! Dafür haben wir uns immer ein-
gesetzt und werden dies auch weiterhin tun.

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben dabei auch Unterstützung von unseren
obersten Richterinnen und Richtern. So besagt das Re-
gelsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom
9. Februar 2010 im Kern: Jeder Mensch in Deutsch-
land hat einen Rechtsanspruch auf ein menschenwür-
diges physisches und soziokulturelles Existenzmini-
mum, das transparent und nachvollziehbar ermittelt
wird.

Und wie wurde dieses Urteil von Schwarz-Gelb um-
gesetzt? Die eigentlich zuständige Sozialministerin
von der Leyen hat verkündet, was Finanzminister
Schäuble vorher berechnet hat. Das ist Existenzmini-
mum nach Kassenlage. Also wurde an den Berechnun-
gen so lange herumgedoktert und Positionen aus dem
Existenzminimum herausgerechnet, bis das Ergebnis
CDU/CSU und FDP gepasst hat. Heraus kamen mini-
male Erhöhungen für Erwachsene und sogar niedri-
gere Sätze für Kinder. Großzügigerweise hat man das
Existenzminimum für Kinder nicht gesenkt. Aber die
jährlichen Anpassungen wurden so lange ausgesetzt,
bis sie ausgeglichen waren. Somit wurde doch gekürzt.
Wir sind überzeugt, dass die neu berechneten Regel-
sätze nicht verfassungsfest sind.

Leider haben die Bundesregierung sowie CDU/CSU
und FDP bei den Verhandlungen unsere und die von
der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken igno-
riert. Im Vermittlungsverfahren haben wir in anderen
Bereichen wichtige Fortschritte erreicht, sodass wir in
der Gesamtabwägung letztendlich zähneknirschend
zugestimmt haben. Wir konnten durchsetzen, dass rund
500 000 Kinder von Wohngeld- und Kinderzuschlags-
Empfängern und -Empfängerinnen auch ein Recht auf
das Bildungs- und Teilhabepaket haben. Für unsere
klammen Städte und Gemeinden haben wir Sozialde-
mokratinnen und Sozialdemokraten eine Entlastung
um etwa 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich erreicht, da
der Bund die Finanzierung der Kosten der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schritt-
weise und ab 2014 vollständig übernimmt. Außerdem
konnten wir für die Leiharbeit, die Aus- und Weiterbil-
dungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungen
Branchenmindestlöhne aushandeln.

Mittlerweile hat das Berliner Sozialgericht unsere
Kritik bestätigt, dass die Regelsätze nach einem fehler-
haften, noch dazu willkürlichen Verfahren ermittelt
wurden. Das Bundesverfassungsgericht muss das nun
erneut überprüfen. Auch bei der inhaltlichen Kritik
gibt uns das Berliner Sozialgericht recht: Für vernünf-
tige, bedarfs- und realitätsgerechte Regelsätze dürfen
vom Berechnungsmodell nach der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe nicht im Nachhinein willkürlich
Verbrauchspositionen abgezogen werden. Außerdem
müssen bei der Berechnung, wie früher, die unteren
20 Prozent der Haushalte zugrunde gelegt werden und
nicht, wie jetzt aus reinem Spardiktat und ohne syste-
matische Begründung, nur die untersten 15 Prozent.
Auch die Menschen, die in verdeckter Armut leben,
weil sie ihre Sozialleistungsansprüche nicht geltend
machen, und diejenigen, die aufstockende Sozialleis-

tungen erhalten, müssen aus der Referenzgruppe he-
rausgerechnet werden. Sonst führt dies zu unzulässi-
gen Zirkelschlüssen.

Wir fordern die zuständige Arbeitsministerin von
der Leyen auf, einen Runden Tisch einzuberufen, um
ein Konzept zu entwickeln, wie die Regelbedarfe ermit-
telt werden. Daran sollen Verbände, Expertinnen und
Experten und alle im Bundestag vertretenen Parteien
beteiligt werden.

Auf diese vielen Missstände bei der Existenzsiche-
rung und auch auf die Verfassungswidrigkeit der Leis-
tungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber ha-
ben wir die Bundesregierung in der Vergangenheit
bereits unzählige Male hingewiesen. Passiert ist
nichts! Dabei war die Folgewirkung des Regelsatzur-
teils vom 9. Februar 2010 auf das Asylbewerberleis-
tungsgesetz allen klar: Flüchtlinge erhielten teilweise
nur gut die Hälfte des Sozialhilfeniveaus, und diese
Leistungen wurden seit 1993 nicht angepasst. Das hat
mit einem menschenwürdigen Existenzminimum nichts
zu tun! Selbst Sie, meine Damen und Herren der Regie-
rungsfraktionen, haben die Verfassungswidrigkeit ein-
geräumt. Gehandelt haben Sie nicht. Sie missachten
dabei nicht nur das Bundesverfassungsgericht, son-
dern auch die Rechte der über 150 000 Asylbewerbe-
rinnen und Asylbewerber in Deutschland.

Auch auf den zweiten Bugschuss der Verfassungs-
richter hat Schwarz-Gelb nicht reagiert: Im Juli letz-
ten Jahres legten die Karlsruher Richterinnen und
Richter ihr vernichtendes Urteil über die derzeitige
Existenzsicherung von Asylbewerbern in Deutschland
auf den Tisch. Sie forderten eine unverzügliche Neure-
gelung des Asylbewerberleistungsgesetzes und haben
die sofortige Heraufsetzung der Regelsätze angeord-
net. Doch immer noch stehen die niedrigen, verfas-
sungswidrigen Regelleistungen im Gesetz. Allein die
Bundesländer haben den offenen Verfassungsbruch
verhindert: Sie haben sich als Zwischenlösung ohne
bundesgesetzliche Regelung auf einheitliche neue
Sätze verständigt. Sie, meine Damen und Herren von
Schwarz-Gelb, haben hingegen nichts getan und ha-
ben damit die Länder voll im Regen stehen lassen.

Bis heute treten Sie, meine Damen und Herren von
CDU/CDU und FDP, unser Grundgesetz mit Füßen
und haben keine Neuregelung vorgelegt. Vor der Wahl
wird von Ihnen auch nichts mehr kommen. Sie nehmen
die Verfassungswidrigkeit einfach in Kauf. Ein beschä-
mendes Armutszeugnis für Schwarz-Gelb!

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
haben auch hierzu einen umfassenden Reformantrag
vorgelegt, der die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts erfüllt und das Asylbewerberleistungsgesetz auf
verfassungsfeste Füße stellt. Wir wollen auch das dis-
kriminierende und teure Sachleistungsprinzip abschaf-
fen, die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge ver-
bessern und ihren Arbeitsmarktzugang erleichtern.

CDU/CSU und FDP wollen dagegen nicht einmal
Flüchtlingskinder in das Bildungs- und Teilhabepaket

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


einbeziehen. Wir hatten dies immer wieder – auch
durch einen Antrag – gefordert, um wenigstens diese
himmelschreiende Ungerechtigkeit für etwa 40 000 der
ärmsten Kinder in unserem Land zu beenden.

Sie, meine Damen und Herren aus den Regierungs-
fraktionen, müssten sich endlich um das Kernproblem
kümmern: Sie dürfen arme Kinder nicht ausgrenzen
und müssen Kinder in Familien – egal ob und wie die
Eltern zusammenleben – unterstützen. Das Ehegatten-
splitting und der Familienlastenausgleich müssen
dringend reformiert werden.

Stattdessen will Schwarz-Gelb ein bildungs-, integ-
rations- und gleichstellungspolitisch völlig verfehltes
Betreuungsgeld für diejenigen einführen, die ihre Kin-
der nicht in Kitas bringen. Das schadet den Kindern
und den Eltern. Denn durch fehlende Kinderbetreu-
ungsmöglichkeiten und die mangelnde Vereinbarkeit
von Kindern und Beruf haben vor allem die rund
1,6 Millionen alleinerziehenden Frauen schlechte Per-
spektiven auf dem Arbeitsmarkt. Dort müssen wir an-
setzen! Leider hat die Bundesregierung nichts für eine
vernünftige Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur ge-
tan.

Unter Rot-Grün haben wir dagegen in den Ausbau
der Ganztagsschulen investiert. In der Großen Koali-
tion haben wir den Ausbau der Kindertagesbetreuung
und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen
Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr ab dem
1. August 2013 durchgesetzt.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-
ten ist es ein wichtiges politisches Ziel, Kitas und Ta-
gespflege auszubauen und qualitativ weiterzuentwi-
ckeln. Deshalb haben wir weitere Bundesmittel für den
Kitaausbau und einen höheren jährlichen Betriebskos-
tenzuschuss durchgesetzt. Aber es sind noch mehr Mit-
tel nötig. Deshalb werden wir das bildungsfeindliche
Betreuungsgeld abschaffen und die bis zu 2 Milliarden
Euro, die es jährlich kosten würde, komplett in die Ki-
tas investieren.

Damit Länder und Kommunen eine gute Infrastruk-
tur für gebührenfreie Bildungsangebote von der Kita
bis zur Uni schaffen können, benötigen sie natürlich
weitere Finanzmittel. Die SPD hat mit dem „Nationa-
len Pakt für Bildung und Entschuldung“ als einzige
Partei einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, die Bil-
dungsfinanzierung von Bund und Ländern auszuwei-
ten: Wir wollen für Bildung zusätzlich 20 Milliarden
Euro im Jahr bereitstellen, je 10 Milliarden Euro vom
Bund und von den Ländern. Finanziert werden soll das
aus Einsparungen, dem Abbau von überflüssigen Sub-
ventionen, der Wiedereinführung der Vermögensteuer
und einer Reform der Erbschaftsteuer zugunsten der
Länder. Nur gemeinsam wird es gelingen, Ganztags-
schulen und Kitas in Deutschland auszubauen und sie
besser auszustatten – Bund und Land müssen Hand in
Hand arbeiten.

Wir setzen auf den Ausbau der Bildungsinfrastruk-
tur. Wir wollen Kitas und Horte flächen- und bedarfs-

deckend ausbauen und Schulen zu Ganztagsschulen
umgestalten – mit Betreuungs-, Freizeit- und Lernför-
derangeboten und Schulsozialarbeitern sowie gesun-
der Essensverpflegung –, damit alle Kinder diskrimi-
nierungsfrei und bürokratiearm davon profitieren
können.

Bis dahin müssen wir aber dafür sorgen, dass die
Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets ohne
ausufernde und teure Bürokratie auch bei den rund
2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kindern und Ju-
gendlichen ankommen. Denn es ist ausdrücklich Teil
ihres soziokulturellen Existenzminimums.

Das Bildungspaket war ein Schritt in die richtige
Richtung. Es muss aber – wie die Erfahrung gezeigt
hat – dringend verbessert werden: So müssen der Teil-
habebetrag von 10 Euro monatlich und das Schulbe-
darfspaket mit dem Regelsatz ausgezahlt werden. Der
Zugang zur Lernförderung, die möglichst direkt an den
Schulen angeboten werden soll, muss vereinfacht und
die Essenskosten müssen unbürokratisch durch den
Bund finanziert werden. Lediglich Einmal- und Härte-
fallleistungen und schwer pauschalierbare Kosten sol-
len weiterhin auf einfachen Antrag gewährt werden.

Wenn man über Existenzsicherung spricht, muss
man auch immer über Strategien zur Vermeidung von
Armut diskutieren. Dazu gehören neben guter und kos-
tenfreier Bildung für alle vor allem faire Arbeitsbedin-
gungen und ein einheitlicher flächendeckender gesetz-
licher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro
Stunde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen, wir teilen vieles in Ihrem Antrag und
stimmen dem Anliegen einer Existenzsicherung ohne
Lücken zu. Wie ich aufgezeigt habe, ist hier die
Bundesregierung in der Bringschuld. Allerdings unter-
scheiden wir uns teilweise in den konkreten Umset-
zungsvorstellungen. Deshalb werden wir uns enthal-
ten.


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1724034100

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen suggeriert

eine Verfassungswidrigkeit der Regelsätze des Arbeits-
losengeldes II, die bisher kein Gericht so geteilt hat.
Vielmehr hat das Bundessozialgericht am 12. Juli 2012
die von der christlich-liberalen Regierungskoalition
berechneten und beschlossenen Regelsätze für verfas-
sungsgemäß erklärt.

In dem Urteil des Bundessozialgerichts heißt es, die
Bundesregierung habe bei der Neuberechnung „nicht
gegen das Grundrecht auf Menschenwürde versto-
ßen“. Daher finde ich es ein starkes Stück und auch
unredlich, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nen in ihrem Antrag etwas anderes unterstellen.

Wir haben sowohl den Regelbedarf für Erwachsene,
als auch erstmalig eigenständige Kinderregelsätze auf
Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstich-
probe berechnet. Noch unter Rot-Grün war es so, dass
im Regelsatz von Kleinkindern zum Beispiel Ausgaben

Zu Protokoll gegebene Reden





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


für Zigaretten und Alkohol enthalten waren, aber kein
Geld für Windeln.

Diese von der damaligen rot-grünen Bundesregie-
rung vorgenommene Festlegung des Regelsatzes
wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungs-
widrig beurteilt, und nicht etwa die Festlegung des Re-
gelsatzes, die diese Regierungskoalition vorgenommen
hat.

Unsere Regelsatzbemessung hat Wertungen vorge-
nommen. Zum Beispiel dahingehend, dass Internet-
dienstleistungen erstmals Bestandteil des Regelsatzes
sind. Und wir haben uns bewusst entschieden, einen
höheren Anteil für den öffentlichen Personennahver-
kehr zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite haben
wir aber auch die Wertungsentscheidungen getroffen,
dass Alkohol und Tabak nicht Bestandteil des Existenz-
minimums sind. Schon Rot-Grün hatte sich dagegen
entschieden, zum Beispiel Pauschalreisen oder
Glücksspiel in den Regelsatz aufzunehmen.

Solange es keine gegenteilige Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts gibt, sind die Regelsätze
verfassungsgemäß. Sie können die Urteile anderer Ge-
richte, insbesondere des Bundessozialgerichts, hier
nicht so einfach ignorieren.

Sie sprechen zudem die Regelbedarfsstufe 3 an.
Hier wird diese Bundesregierung im Juli einen Bericht
vorlegen, aus dem wir dann auch Schlüsse für die wei-
tere Praxis ziehen werden. Daher wäre eine Abschaf-
fung der Regelbedarfsstufe 3, wie Sie sie fordern, jetzt
falsch.

Auch Ihre Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket ist
nichts Neues. Vor drei Wochen haben wir die neuen
Zahlen zur Inanspruchnahme vorgelegt bekommen,
und danach muss man das Resümee ziehen, dass die
anfänglichen Startschwierigkeiten, gerade durch die
gute Vernetzungsarbeit des Bundesministeriums für Ar-
beit und Soziales, mittlerweile behoben sind. Wenn
73 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder und Ju-
gendlichen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepa-
kets erhalten haben, dann ist das eine sehr erfreuliche
Nachricht.

Klar ist auch, dass wir weitere Anstrengungen un-
ternehmen werden, damit noch mehr anspruchsbe-
rechtigte Kinder und Jugendliche die Leistungen ein-
fordern werden.

An dieser Stelle möchte ich aber auch klarmachen,
dass es eine hundertprozentige Inanspruchnahme nie
geben kann, da Babys und Kleinstkinder keine Leistun-
gen zu Bildung und Teilhabe nutzen können.

Ihr Vorschlag, das Bildungs- und Teilhabepaket
rückabzuwickeln und die Mittel stattdessen als Investi-
tionen in die Bildungs- und Teilhabeinfrastruktur ein-
zusetzen, greift zu kurz. Denn wer kann garantieren,
dass die betroffenen Kinder die neuen Angebote an-
nehmen? Wenn sie dies nicht machen, kämen wir dem
Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nur unzurei-
chend nach. Deswegen kann Ihr Vorschlag maximal

eine Ergänzung zum Bildungspaket sein, er kann es
aber nie ersetzen.

Ganz grundsätzlich ist es Aufgabe der Politik, die
Voraussetzungen zu schaffen, damit so wenig Menschen
wie möglich auf staatliche Unterstützung angewiesen
sind und vielmehr ihr Auskommen selbst erwirtschaften
können. Um dies zu erreichen, hat diese christlich-libe-
rale Regierungskoalition auf eine wachstumsorien-
tierte Wirtschafts- und Finanzpolitik gesetzt. So konn-
ten wir die Zahl der Langzeitarbeitslosen in dieser
Legislaturperiode um 250 000 senken.

Noch wichtiger finde ich, dass wir die Zahl der Kin-
der, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II be-
ziehen, um über 130 000 senken konnten.

Wir haben mit unserer Politik den Menschen neue
Perspektiven gegeben, und dies werden wir so auch
fortsetzen.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724034200

Von einer Sicherung des menschenwürdigen Exis-

tenzminimums in Deutschland kann wahrlich keine
Rede sein. Die Leistungen der Grundsicherung sind
von der Bundesregierung bewusst kleingerechnet wor-
den. Es ist und bleibt zutreffend: Hartz IV ist Armut per
Gesetz. Leidtragende der Kleinrechnung des Existenz-
minimums sind Kinder und Jugendliche und erwerbs-
fähige Hartz-IV-Beziehende. Leidtragend sind aber
auch alle Erwerbstätigen, weil ihr steuerfreies Exis-
tenzminimum zu gering ausfällt, und schließlich auch
grundsicherungsberechtige, erwerbsunfähige und äl-
tere Menschen. An der Aufzählung sehen Sie: Fast alle
Menschen in Deutschland leiden unter dem kleinge-
rechneten Existenzminimum. Die Linke hat hier eine
klare Position: Eine Anhebung der Grundsicherungs-
leistung auf 500 Euro ist ein zwingender und notwen-
diger erster Schritt, um Armut und Ausgrenzung zu
vermeiden.

Einig sind sich die Fraktionen von Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke darin, dass darüber hinaus Lü-
cken in der Existenzsicherung bestehen. Beispiels-
weise führt die sogenannte Bedarfsgemeinschaft dazu,
dass leistungsberechtigte Personen keine Leistungen
bekommen, weil sie mit anderen Menschen zusammen-
leben. Dies trifft besonders Kinder und Frauen, insbe-
sondere dann, wenn Kinder ihrerseits keinen Rechts-
anspruch auf Unterhaltsleistungen haben, sondern
vom Gutdünken neuer Lebenspartnerinnen oder Le-
benspartner abhängig sind. So entstehen existenzbe-
drohende Sicherungslücken. Leistungsansprüche sind
daher zu individualisieren und die Eigenständigkeit
von Männern und Frauen zu fördern. Ebenfalls einig
sind wir uns in Bezug auf die Abschaffung der Regel-
bedarfsstufe 3 bei Menschen mit Behinderung über
25 Jahre. Ihre Schlechterstellung auf 80 Prozent des
Regelsatzes ist durch nichts zu rechtfertigen. Einen
entsprechenden Handlungsauftrag an die Bundesre-
gierung durch den Vermittlungsausschuss hat die Bun-
desregierung schlicht nicht umgesetzt.

Zu Protokoll gegebene Reden





Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)


Durch das Sanktionssystem bei Hartz IV wird poli-
tisch ganz bewusst anerkannt leistungsberechtigten
Personen zumindest ein Teil des Existenzminimums
entzogen. Bei jungen Menschen wird bei kleinen Ver-
stößen gegen Auflagen der Jobcenter die komplette
Regelleistung für drei Monate gestrichen. So lässt sich
das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzmi-
nimum nicht realisieren.

Besonders besorgniserregend finden wir auch, dass
Menschen aufgefordert werden, eine günstigere Woh-
nung zu beziehen, auch wenn es nachweislich keinen
Wohnraum im geforderten Preissegment gibt. Hier
werden Arbeitsuchende für die falsche Wohnungs-
marktpolitik derer bestraft, die in Regierungsverant-
wortung sind. Wir fordern für diese Fälle die Über-
nahme der gesamten Wohnkosten.

Die Linke ist auch wesentlich konsequenter in ihren
Forderungen als die Grünen. Ich sagen Ihnen: Entwe-
der wir legen uns auf ein verfassungsrechtliches Exis-
tenzminimum in diesem Staat fest oder eben nicht.
Sanktionen jeglicher Art führen nämlich dazu, dass
ebendieses Existenzminimum regelmäßig unterschrit-
ten wird. Wenn die Stromkosten steigen, müssen die
Regelsätze entsprechend nach oben korrigiert werden.
Stromabschaltungen sind keine Lösung, sondern men-
schenverachtend.

Die Diskriminierung von ausländischen Staatsan-
gehörigen und Arbeitsuchenden, denen bisher jegli-
cher Leistungsanspruch verwehrt wird, lehnen wir
ebenfalls ab. Wir fordern, auch sie als gleichwertige
Menschen zu betrachten und auch ihnen die Existenz-
sicherung zuzusprechen.

Wir Linken stimmen dem Antrag der Grünen zu, ob-
wohl ihre Verbesserungsstrategien oberflächlich sind.
Menschenverachtende Methoden zu „prüfen“, „einzu-
schränken“ oder „transparenter zu machen“, hat noch
niemanden satt gemacht. Besonders deutlich wird das
Lavieren der Grünen bei der Frage der Sanktionen.
Sanktionen führen nun mal zu einer Unterschreitung
des menschenwürdigen Existenzminimums. Wenn das
so ist, dann hilft nur die komplette Abschaffung jegli-
cher Sanktionen. Hier gibt es keine Kompromisse! Der
Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen
ist unantastbar“, muss ohne Einschränkungen auch
für alle Langzeiterwerbslosen gelten.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724034300

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu

achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatli-
chen Gewalt.“ Dieser höchste Grundsatz unserer Ver-
fassung ist Verbot und Gebot zugleich: Er verbietet
jede Verletzung der Würde und gebietet zugleich, dass
alles staatliche Handeln auf den unbedingten Schutz
der Würde hinwirken muss. Soweit der Anspruch. Ein
Blick in die Praxis – genauer gesagt: in die Lebenspra-
xis der Menschen, die Grundsicherung für Arbeitssu-
chende, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbe-
werberleistungsgesetz erhalten – macht deutlich: Hier
hat das Achtungsgebot der Würde deutliche Lücken.

Die Mindestsicherung, die das SGB II, das SGB XII
und auch das Asylbewerberleistungsgesetz vorsehen,
gewährleistet kein vollständiges soziokulturelles Exis-
tenzminimum und ermöglicht nicht lückenlos das men-
schenwürdige Dasein.

Die Mängelliste ist lang: So wurden die Regelsätze
für Erwachsene und Kinder künstlich heruntergerech-
net, sodass die Bedarfe nicht voll gedeckt werden kön-
nen. Die Abhängigkeit von Personen wird durch die
gemeinsame Veranlagung in Bedarfsgemeinschaften
verstärkt. Bei den Kosten für Unterkunft und Heizung
werden oftmals trotz angespannter Wohnungsmärkte
nicht zu realisierende Forderungen zur Senkung der
Mietkosten gestellt. Einige Jobcenter übernehmen
Mietkautionen nur, wenn diese aus dem Regelsatz zu-
rückgezahlt werden. Umzugskosten werden ebenfalls
häufig nicht oder nur teilweise übernommen. Beides
verringert in unzulässiger Weise das soziokulturelle
Existenzminimum. Steigende Strom- und Heizkosten
bringen immer mehr Haushalte in Zahlungsschwierig-
keiten. Für nicht wenige enden sie mit Stromsperren,
sodass keine Grundversorgung für Heizen, Kochen,
Waschen, Duschen oder Beleuchtung gesichert ist. Pro
Monat sind 150 000 Leistungsempfänger von Sanktio-
nen betroffen. Und Menschen mit Behinderung wird
wegen der aktuellen Regelung der Mehrbedarfserstat-
tung die Zahlung der Mehrbedarfe verwehrt. Diese
Auswahl soll für den Moment genügen; weitere Berei-
che sind in unserem Antrag – Bundestagsdrucksache
17/12906 – zusammengetragen.

Lassen Sie mich auf die zwei wichtigsten Punkte des
Grünen-Antrags eingehen: Die Tatsache, dass die
Bundesregierung den Regelsatz künstlich kleingerech-
net hat, bleibt ein fortwährender Skandal. Vor allem
Kinder sind davon betroffen. So sieht der Kinderregel-
satz eine monatliche Pauschale von 68 Cent für den
Kauf eines Fahrrads vor. Die Anschaffung eines neuen
Kinderfahrrades wäre demnach erst nach einer An-
sparzeit von 15 Jahren möglich. Und selbst für ein ge-
brauchtes Fahrrad müsste man die 68 Cent mit der
Geburt des Kindes zurücklegen, damit das Kind zum
fünften Geburtstag ein Fahrrad geschenkt bekommen
kann. Die Unsinnigkeit der Pauschale in dieser Höhe
muss ich hier nicht eigens betonen. Leider zieht sich
die Ignoranz gegenüber den konkreten Bedarfen und
den Gegebenheiten der Praxis wie ein roter Faden
durch die sogenannte Sozialpolitik der Bundesregie-
rung.

Vor drei Wochen haben wir hier zum wiederholten
Mal über den Reformbedarf des Bildungs- und Teilha-
bepakets gesprochen. Und ich muss mich schon wun-
dern: Die Einzige, die gebetsmühlenartig darauf be-
harrt, dass das Bildungs- und Teilhabepaket ein Erfolg
sei und die Leistungen bei den Kindern ankommen, ist
Frau von der Leyen. Wenn 10 Prozent der anspruchs-
berechtigten Kinder die monatliche Teilhabepauschale
in Anspruch nehmen, heißt das im Gegenzug: 90 Pro-
zent tun das nicht. Neun von zehn Kindern verhilft die
monatliche Pauschale nicht zu mehr Teilhabe. Die ver-

Zu Protokoll gegebene Reden





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


fassungsrechtlich gebotenen 10 Euro monatlich flie-
ßen zukünftig größtenteils zurück an den Bund. Wür-
den sie in den Kinderregelsatz integriert – so wie wir
Grünen das fordern –, dann könnte dieses Geld auch
außerhalb von Vereinen Kindern von Eltern im
SGB-II-Bezug Teilhabe ermöglichen. Dann könnten sie
mit ins Freibad oder auch ins Kino gehen. Für einige
hier mag das belanglos klingen, aber genau das sind
die alltäglichen Situationen, in denen Kinder die mate-
rielle Bedürftigkeit ihrer Eltern besonders schmerzlich
zu spüren bekommen.

Zweitens: Ebenso wichtig wie eine Anhebung des
Regelsatzes ist perspektivisch die Abschaffung der Be-
darfsgemeinschaften. Durch sie geraten oft nicht nur
die Leistungsbezieher selbst, sondern auch deren Part-
ner und Partnerinnen in den Hilfebezug. Nur ein Bei-
spiel: Eine Frau lebt mit ihren beiden minderjährigen
Kindern aus einer früheren Partnerschaft zusammen.
Der leibliche Vater der Kinder ist nicht leistungsfähig
und zahlt deshalb keinen Kindesunterhalt. Die Frau
erhält Unterhaltsvorschuss, der auf das Arbeitslosen-
geld II angerechnet wird. Zieht die Frau nun mit einem
neuen Lebensgefährten zusammen, so wird dieser nach
dem Sozialrecht für die Kinder „unterhaltspflichtig“
und der Unterhaltsvorschuss entfällt. Reicht das Ein-
kommen des Mannes nicht aus, um die Familie zu ver-
sorgen – etwa weil er Schulden hat –, gerät er selbst in
eine Bedürftigkeit. Die Konstruktion der Bedarfsge-
meinschaft drängt erwerbstätige Partner und Partner-
rinnen von Hartz-IV-Empfängern in eine künstliche
Abhängigkeit von Sozialleistungen, und zwar auch
dann, wenn diese ihren eigenen Lebensunterhalt be-
streiten können.

Ich hatte meine Rede aus einem bestimmten Grund
mit Art. 1 des Grundgesetzes eröffnet: Wenn es um die
Konkretisierung des soziokulturellen Existenzmini-
mums durch den Gesetzgeber geht, dann muss klar
sein, dass die Würde derjenigen Menschen, die auf Un-
terstützung der Solidargemeinschaft angewiesen sind,
der Maßstab sein muss.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724034400

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/12906, den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12389
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! –
Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltun-
gen? – Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Übertragung der Zuständigkeiten der
Länder im Bereich der Beschädigten- und
Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten

Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den
Bund

– Drucksache 17/12956 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 17/13255 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Robert Hochbaum
Lars Klingbeil
Burkhardt Müller-Sönksen
Harald Koch
Agnes Brugger

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/13275 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Tobias Lindner

In der Tagesordnung war bereits ausgewiesen, dass
die Reden zu Protokoll genommen werden, sodass wir
dies auch so beschlossen haben.


Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1724034500

Uns Parlamentariern obliegt die Verantwortung für

die Soldatinnen und Soldaten unserer Parlamentsar-
mee. Die bestmögliche Versorgung, die Unterstützung
und auch der Schutz derjenigen Bundeswehrangehöri-
gen, die während ihres Wehrdienstes in Deutschland
oder im Auslandseinsatz eine gesundheitliche Schädi-
gung erleiden mussten, gehören deshalb zu unseren
bedeutendsten Aufgaben. Daher freut es mich heute
besonders, dass wir mit der Verabschiedung des vor-
liegenden Gesetzentwurfs diese Aufgabe erfolgreich
umsetzen und für die Betroffenen in Zukunft eine „Ver-
sorgung aus einer Hand“ ermöglichen.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt, über den
wir uns heute freuen können. Der Gesetzentwurf ist
fraktionsübergreifend auf Zustimmung gestoßen und
wurde ohne Änderungen angenommen. Die breite Zu-
stimmung ist ein positives Signal für unsere Soldatin-
nen und Soldaten. Eine Ausnahme stellt leider die
Fraktion Die Linke dar, worauf ich später aber noch
eingehen möchte.

Nach der bisher geltenden Regelung wird die Ver-
sorgung von Wehrdienstbeschädigten sowie ihrer Hin-
terbliebenen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.
Während eines bestehenden Wehrdienstverhältnisses
liegt die Zuständigkeit derzeit bei der Bundeswehrver-
waltung. Nachdem ein Betroffener seinen Wehrdienst
beendet hat, fällt die Zuständigkeit an die Behörden
der Länder. Diese Teilung bedeutet für die Soldatinnen
und Soldaten aber nicht nur, dass ihr Ansprechpartner
wechselt, sondern es kommt hierdurch oftmals zu ver-





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)


längerten Bearbeitungszeiten und zu Schnittstellen-
problemen. Diese negativen Folgen der geteilten Zu-
ständigkeit wurden in der Vergangenheit immer wieder
von den Betroffenen kritisiert.

Der nun vorliegende Gesetzentwurf folgt einer Emp-
fehlung der Strukturkommission der Bundeswehr sowie
des Bundesrechnungshofes und beinhaltet das Ziel,
über eine „Versorgung aus einer Hand“ beschleunigte
Bearbeitungszeiten und vereinfachte Strukturen zu er-
reichen. Die Übertragung wird ab dem 1. Januar 2015
in zwei Schritten vollzogen. Zuerst soll die Zuständig-
keit für die Renten- und Heilbehandlungsleistungen
zum 1. Januar 2015 auf den Bund übertragen werden.
Als zweiter Schritt folgt dann zum 1. Januar 2016 die
Übertragung der Zuständigkeit für die Fürsorgeleis-
tungen an Versorgungsberechtigte nach dem Soldaten-
versorgungsgesetz auf die Bundeswehrverwaltung.
Die Entscheidung für eine schrittweise Änderung des
Verfahrens ab 2015 wurde vor dem Hintergrund der
Neuausrichtung der Bundeswehr und den daraus re-
sultierenden tiefgreifenden strukturellen Veränderun-
gen getroffen.

Einige Worte möchte ich, wie ja bereits angekün-
digt, noch zur Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke
verlieren. Die Kolleginnen und Kollegen der Links-
fraktion betonten im parlamentarischen Verfahren
zwar, dass sie den Gesetzentwurf grundsätzlich für zu-
stimmungswürdig halten würden und sie ebenfalls der
Überzeugung seien, dass wehrdienstbeschädigte Sol-
datinnen und Soldaten schneller und effektiver ver-
sorgt werden sollten. Anderseits sei ihnen eine Zustim-
mung aber nicht möglich, da sie die Neuausrichtung
der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz ablehnen
würden. So weit ist das ja nicht überraschend; denn
diese Begründung der Linken ist keinesfalls neu, son-
dern uns allen bereits bekannt.

Dass die Linksfraktion aber gleichzeitig den Vor-
wurf äußert, dass es bedauerlich sei, dass die Übertra-
gung der Zuständigkeit zu viel Zeit in Anspruch neh-
men würde und schneller erfolgen sollte, kann ich vor
diesem Hintergrund nur als paradox bezeichnen. Die
Linke stimmt dem Gesetzentwurf – und somit der Ver-
besserung der Versorgung der betroffenen Soldaten –
nicht zu, aber kritisiert gleichzeitig, dass die verbes-
serte Situation mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
nicht schnell genug eintreten würde. Dieses Verhalten
kann ich nicht nachvollziehen, da eine Enthaltung mei-
nes Wissens nach zu keinem Zeitpunkt zu einer Verbes-
serung führen kann.

Aber es sollte heute im Vordergrund stehen, dass wir
mit dem Gesetz zur Übertragung der Zuständigkeiten
der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinter-
bliebenenversorgung auf den Bund einen weiteren
wichtigen Schritt tun, um das Verfahren für die Betrof-
fen zu vereinfachen sowie die Versorgung insgesamt zu
verbessern. Für Ihre Zustimmung zu dieser Verbesse-
rung für unsere Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, möchte ich mich bedanken.


Robert Hochbaum (CDU):
Rede ID: ID1724034600

Gegenwärtig wird die Zuständigkeit für Versorgung

von Soldatinnen und Soldaten, die während ihrer
Dienstzeit eine gesundheitliche Schädigung erlitten
haben, von gleichgestellten Zivilpersonen sowie Hin-
terbliebenen noch zwischen Bund und Ländern aufge-
teilt. Dies wollen wir nun mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf ändern und im Sinne der Betroffenen
vereinfachen. In abschließender Lesung wird deshalb
heute der Gesetzentwurf zur Übertragung der Zustän-
digkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten-
und Hinterbliebenenversorgung nach dem dritten Teil
des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund bera-
ten. Damit ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Neu-
ordnung der Versorgung von wehrdienstbeschädigten
Soldatinnen und Soldaten gelegt. Die Regierungsko-
alition hatte sich zu Beginn der Wahlperiode darauf
verständigt und setzt dies folgerichtig um.

Ziel des Gesetzes ist es nun, eine Versorgung aus ei-
ner Hand zu schaffen. Für die Betroffenen ist dies ein
entscheidendes Kriterium, da bürokratischer Aufwand
eine zusätzliche Belastung für die körperliche und psy-
chische Gesundheit darstellt. Mit dem Gesetz werden
nun Schnittstellenprobleme reduziert und lange Bear-
beitungszeiten beseitigt. Auch wird den Betroffenen die
Orientierung erleichtet, da sie künftig nur noch die
Bundeswehrverwaltung und keine weitere Länderbe-
hörde mehr als Ansprechpartner haben.

Die Übertragung erfolgt in zwei Schritten. Dies ist
sinnvoll, weil sich die Bundeswehr gegenwärtig in ei-
nem tiefgreifenden Umstrukturierungsprozess befindet
und schlichtweg ausreichend Zeit notwendig ist, um
entsprechende organisatorische Vorbereitungen zu
treffen. Nichts wäre für die Versorgungsberechtigten
schlimmer, als wenn überstürzt gehandelt und nicht
zielführend gearbeitet werden würde. Daher wird
zunächst per 1. Januar 2015 die Zuständigkeit für Ren-
tenleistungen in der Beschädigten- und Hinterbliebe-
nenversorgung sowie für Heil- und Krankenbehand-
lung auf den Bund übertragen. Zum 1. Januar 2016
erfolgt dann die Übernahme der Zuständigkeit für die
Leistungen der Kriegsopferfürsorge.

Erlauben Sie mir, an dieser Stelle noch anzuführen,
dass bis auf die Fraktion Die Linke der Gesetzentwurf
fraktionsübergreifend Zuspruch erfahren hat und auch
die Sozialverbände die Inhalte unterstützen. Das zeigt,
dass allen – bis auf unsere Kollegen der Linken – an
einer Vereinfachung, Entbürokratisierung und an einer
Versorgung aus einer Hand, die den Betroffenen zugu-
tekommt, gelegen ist. Für die vertrauensvolle Zusam-
menarbeit herzlichen Dank.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir
schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in Aus-
landseinsätze. Wir tun dies nicht aus Selbstzweck, son-
dern damit Terrorismus und kriegerische Gefahr nicht
unser Land erreichen und dort, wo sie entstehen, be-
kämpft werden. Wir stehen für die Sicherheit unserer
Bürgerinnen und Bürger. Aus diesem Grund muss es
unsere innere Überzeugung, unsere Pflicht sein, dieje-

Zu Protokoll gegebene Reden





Robert Hochbaum


(A) (C)



(D)(B)


nigen Männer und Frauen zu unterstützen, die sich für
unsere Werte einsetzen, unsere Sicherheit gewährleis-
ten und ihr Leben riskieren. Ich spreche allen Soldatin-
nen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeitern, die im In-
land oder im Auslandseinsatz Dienst für unser Land
tun, meinen herzlichen Dank aus.


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1724034700

Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetz-

entwurfs versuchen wir, unserer Verantwortung als
Parlamentarier gerecht zu werden. Wir haben eine
Parlamentsarmee. Das ist gut so. Es bedeutet aber
auch, dass wir eine hohe Verantwortung haben. Hier
im Deutschen Bundestag entscheiden wir über die
Auslandseinsätze der Bundeswehr. Von hier aus schi-
cken wir unsere Soldatinnen und Soldaten in die
Brennpunkte der Welt. Verletzung und Tod sind Teil ih-
rer Einsatzrealität. Diese traurige Erfahrung mussten
wir leider erst kürzlich wieder machen.

Die Versorgung der verletzten Soldatinnen und Sol-
daten sowie die Sorge für die Hinterbliebenen sind bis-
her nicht gut gelöst. Die bisherige Aufteilung von Ver-
antwortung zwischen Bund und Ländern ist nicht
nachvollziehbar. Während der Dienstzeit werden die
Soldatinnen und Soldaten über das Soldatengesetz von
der Bundeswehrverwaltung betreut. Nach dem Aus-
scheiden aus der Truppe sind die Landesbehörden im
Rahmen des Bundesversorgungsgesetzes zuständig.
Dies führt regelmäßig zu Problemen beim Übergang
und danach. Durch die unterschiedlichen Verfahrens-
weisen und Informationsstände bei den Versorgungs-
ämtern der Länder kommt es immer wieder zu länge-
ren Verfahren, unnötiger Bürokratie und einem
erhöhten Aufwand für die Betroffenen. Mit der Verab-
schiedung dieses Gesetzes ändern wir das. Die Auf-
gabe der Versorgung von Verletzten und Hinterbliebe-
nen wird komplett auf den Bund übertragen. Wir
schaffen eine Anlaufstelle. Auch wenn die rechtliche
Umsetzung noch etwas dauern wird, beschließen wir
heute die Versorgung aus einer Hand. Dies ist ein
positives Signal an die Truppe und ein Zeichen der
Vernunft.

Die Umstellung wird Zeit in Anspruch nehmen; auf-
grund der unterschiedlichen Verfahrensweisen in den
Ländern ist sie recht komplex. Sie zeigt jedoch, dass
wir der Realität einer Armee im Einsatz Rechnung tra-
gen. Manche Entwicklung im Zusammenhang mit den
Auslandseinsätzen war für uns nicht abzusehen. Des-
wegen reagieren wir. Voraussichtlich wird das Gesetz
im Wesentlichen 2015 umgesetzt sein, Teile aber auch
erst 2016.

Es ist gut, dass wir diese Regelung heute ändern
und dass wir dies fraktionsübergreifend tun. Bereits
bei der Verabschiedung des Einsatzversorgungs-Ver-
besserungsgesetzes und bei den Anstrengungen, die
Kommunikation aus dem Einsatz zu verbessern, haben
wir gezeigt, dass wir als Parlament in der Lage sind,
über die Parteigrenzen hinweg etwas für unsere Solda-

tinnen und Soldaten zu tun. Auch bei PTBS sind wir vo-
rangekommen, haben aber noch viel Strecke vor uns.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich beim
Deutschen BundeswehrVerband bedanken. Sie haben
das Thema der Beschädigten- und Hinterbliebenenver-
sorgung vor einigen Jahren auf die Agenda gesetzt und
stetig bearbeitet. Auch der Sozialverband Deutschland
hat es immer wieder thematisiert. Und letztendlich wa-
ren es auch die Betroffenen selbst, die immer wieder
auf die Politik zugegangen sind. Dass wir heute dieses
Gesetz verabschieden können, ist auch ein Verdienst all
dieser Akteure. Herzlichen Dank dafür!

Mit unserer Zustimmung heute ändern wir die Zu-
ständigkeiten bei der Beschädigten- und Hinterbliebe-
nenversorgung und lösen damit ein undurchsichtiges
System ab. Wir passen die Gegebenheiten an die Rea-
litäten einer Armee im Einsatz an und ermöglichen da-
mit eine Versorgung aus einer Hand.


Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):
Rede ID: ID1724034800

Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf gehen

wir einen großen Schritt in Richtung verlässliche Ver-
sorgung der Soldaten und ihrer Hinterbliebenen. Un-
sere Botschaft ist klar: Wer während des Dienstes bei
der Bundeswehr gesundheitliche Schäden erleiden
muss, soll sich – und im Ernstfall auch die Hinterblie-
benen – verlässlich versorgt wissen.

Bisher war für die aktiven Soldatinnen und Soldaten
die Bundeswehrverwaltung zuständig. Nach dem Aus-
scheiden aus dem Dienst übernahmen diese Aufgabe
die Versorgungsämter der Länder. Der Wechsel der Zu-
ständigkeit wurde von vielen Soldatinnen und Soldaten
und ihren Angehörigen zu Recht kritisiert. Sie fühlten
sich gefangen in einem bürokratischen Dschungel aus
neuen Formularen und neuen Ansprechpartnern. Noch
schwerer als der Kampf mit der Bürokratie wog aber
ein anderes Gefühl. In zahlreichen persönlichen Ge-
sprächen berichteten mir die Soldaten von ihrem Ein-
druck, dass der frühere Arbeitgeber Bundeswehr sich
leise aus der Verpflichtung und Verantwortung stehlen
wolle. Auch diesem Eindruck wollen wir mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf entgegentreten. Wir wollen
bürokratische und willkürlich empfundene Verwal-
tungsstrukturen entwirren und eine Versorgung aus ei-
ner Hand gewährleisten.

Diese Neuordnung der Zuständigkeit ist also nicht
nur ein Abbau von Bürokratie, sondern setzt ein deut-
liches Signal an die Soldatinnen und Soldaten und ihre
Hinterbliebenen, dass wir sie und ihre Anliegen ernst
nehmen.

Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns zu
Beginn der Legislaturperiode das Ziel gesetzt, die Sol-
datenversorgung so einfach wie möglich zu gestalten.
Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr attraktiv wird
als Arbeitgeber, dann müssen sich die Soldatinnen und
Soldaten dauerhaft sicher sein können, dass für sie und
ihre Angehörigen gesorgt ist. Anerkennung für die
Leistungen der Soldatinnen und Soldaten muss auch

Zu Protokoll gegebene Reden





Burkhardt Müller-Sönksen


(A) (C)



(D)(B)


im Umgang der Verwaltungen mit ihnen zum Ausdruck
kommen.

Wir haben auch deshalb mit dem Einsatzversor-
gungsverbesserungsgesetz das Soldatenversorgungs-
gesetz neu gefasst. Endlich werden traumatisierte Sol-
datinnen und Soldaten nicht länger schlechtergestellt
als ihre Kameraden mit körperlichen Schädigungen.
Wir haben die Einmalentschädigung von 80 000 Euro
auf 150 000 Euro angehoben und ebenso Erhöhungen
für Witwen, Eltern und Großeltern erreicht.

Verdoppeln konnten wir die Ausgleichszahlungen
für Soldaten auf Zeit, Reservisten sowie für freiwillig
länger dienende Grundwehrdienstleistende.

Und wir haben die Einführung einer Glaubhaftma-
chung bei einem Antrag auf Wehrdienstbeschädigung,
WDB, erreicht; somit liegt die Beweislast nun endlich
nicht mehr beim Antragsteller.

Wir haben die Härtefall-Stiftung ins Leben gerufen,
damit niemand durch das Raster der Absicherung fällt.
Ich denke dabei vor allem an die Soldatinnen und Sol-
daten, bei denen sich die Verfahren auf Anerkennung
einer Wehrdienstbeschädigung über Monate, manch-
mal Jahre hinziehen und die hierdurch in finanzielle
Bedrängnis geraten.

Neben den konkreten Verbesserungen in der Versor-
gung wollen wir aber auch mehr öffentliche Anerken-
nung für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten
und ihrer Angehörigen erreichen. In unserer Arbeits-
gruppe „Würdiges Gedenken“ des Verteidigungsaus-
schusses haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie
wir Anerkennung und Gedenken einen passenden Rah-
men geben können. Wir brauchen keine Symbolpolitik,
sondern mehr ehrliche und aufrichtige Anerkennung
für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten, die nur
aufgrund unserer Beschlüsse hier im Bundestag in ge-
fährliche Einsätze geschickt werden.

Ich freue mich, dass unser interfraktioneller Vor-
schlag der Einrichtung eines Gedenkortes für die ge-
fallenen Soldaten der Bundeswehr in direkter Nähe
zum Bundestag immer mehr Zuspruch findet. Dieses
wurde auch von Angehörigen von gefallenen Soldaten,
mit denen ich am Anfang dieser Woche gesprochen
habe, sehr begrüßt. Eine solche öffentliche Demon-
stration der Solidarität ist ein starkes Zeichen für alle
Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen. Auf
diese Weise würde jedem Abgeordneten seine persönli-
che Verantwortung für die Parlamentsarmee bei den
Entscheidungen über die Auslandseinsätze nochmals
verdeutlicht, wenn sich ein solches Ehrenmal bzw. eine
solche Gedenkstätte in der Nähe befände.

Ebenso wichtig ist mir das Signal an die Öffentlich-
keit. Die Bundeswehr gehört in die Mitte unserer Ge-
sellschaft. Ein Gedenkort an dem meistbesuchten Platz
unseres Landes ist aus meiner Sicht die beste Lösung,
um die gesellschaftliche Integration unserer Streit-
kräfte und der Gefallenen zum Ausdruck zu bringen.


Harald Koch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724034900

Es ist ja schön, mit etwas Positivem anfangen zu

können. Die grobe Stoßrichtung dieses Gesetzentwur-
fes ist meiner Meinung nach absolut richtig. Ziel ist
nämlich, für Beschädigte und Hinterbliebene eine
„Versorgung aus einer Hand“ nach dem Dritten Teil
des Soldatenversorgungsgesetzes zu schaffen. Es geht
also um die Versorgung von Soldatinnen und Soldaten,
die während ihres Wehrdienstes eine gesundheitliche
Schädigung erlitten haben, aber auch um die Versor-
gung von diesen gleichgestellten Zivilpersonen sowie
von ihren Hinterbliebenen.

Im Moment ist die diesbezügliche Zuständigkeit
zwischen Bund und Ländern wie folgt aufgeteilt: Für
die Versorgung während des Wehrdienstverhältnisses
sind Behörden der Bundeswehrverwaltung zuständig.
Nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wird
aber die Versorgung von den zur Durchführung des
Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden der
Länder wahrgenommen. Und zwar im Auftrag des
Bundes.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen diejeni-
gen Aufgaben, die auf dem Gebiet der Beschädigten-
und Hinterbliebenenversorgung im Zuständigkeitsbe-
reich der Länder liegen, ab dem 1. Januar 2015
schrittweise auf den Bund übertragen werden.

In einem ersten Schritt ist zum 1. Januar 2015 vor-
gesehen, dass die Zuständigkeit für Rentenleistungen
in der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung
sowie für Heil- und Krankenbehandlung auf den Bund
übergeht. Die Übernahme der Zuständigkeiten für die
Leistungen der Kriegsopferfürsorge – §§ 25 bis 27 j
Bundesversorgungsgesetz – soll in einem zweiten
Schritt zum 1. Januar 2016 erfolgen.

Mit der Aufgabenkonzentration beim Bund möchte
man eine einheitliche Rechtsanwendung des Soldaten-
versorgungsgesetzes sicherstellen und eine Verkür-
zung der Bearbeitungszeiten erreichen. Den Versor-
gungsberechtigten wird somit gewiss die Orientierung
etwas erleichtert werden, wenn sie zukünftig nur noch
die Bundeswehrverwaltung als Ansprechpartner ha-
ben, unabhängig davon, ob sie sich noch im Wehr-
dienstverhältnis befinden oder ausgeschieden sind.
Betroffene werden eine direkte Ansprechperson in der
für sie zuständigen Stelle haben, was für ein stärkeres
Vertrauensverhältnis sorgen dürfte. Kürzere Wege und
direkter Kontakt sich absolut sinnvoll. Die Vorteile der
Neuregelung liegen zweifellos auf der Hand. Die Linke
forderte stets, dass Soldatinnen und Soldaten schneller
und effektiver versorgt werden müssen.

Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf nicht
blindlings zu. Drei Gründe sind für die Enthaltung der
Linken ausschlaggebend:

Wenn der Bundesregierung die Bedürfnisse der Sol-
datinnen und Soldaten bzw. der Beschädigten und de-
ren Hinterbliebenen wirklich so wichtig sind, wie im-
mer getan wird, kann ich nicht verstehen, dass sich die
vollständige Übertragung der Zuständigkeiten auf den

Zu Protokoll gegebene Reden





Harald Koch


(A) (C)



(D)(B)


Bund noch fast drei Jahre hinziehen sollen. Hier hätte
ein früherer Umsetzungstermin gefunden werden müs-
sen.

Die Bundesregierung schmiert sich zweitens selbst
Honig ums Maul, indem sie hier wieder unentwegt be-
tont, sich generell nur am Wohle der Soldatinnen und
Soldaten zu orientieren. Das sehe ich aber nur in klei-
nen Teilen so.

Zuletzt zeigte dies der Bericht des Wehrbeauftragten
für das Jahr 2012. Herr Königshaus vermittelte zu-
recht ein äußerst kritisches Bild vom Zustand der
Truppe. Die Lasten der Neuausrichtung der Bundes-
wehr werden nämlich viel zu einseitig den Soldatinnen
und Soldaten aufgebürdet. Menschliches fällt dabei
allzu schnell hintenrunter.

Es herrscht eine große Verunsicherung in der Bun-
deswehr. PTBS-Opfer werden beispielsweise oft allein-
gelassen, sobald sie der Bundeswehr den Rücken keh-
ren. Eine gute Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist
weiterhin frommes Wunschdenken. Selbst der Bundes-
verteidigungsminister sagte heute früh im Plenum des
Bundestages: Die Neuausrichtung der Bundeswehr
„verlangt den Mitarbeitern viel ab. All das kostet Kraft
und führt zu Unsicherheit.“ Und diese Aussage ist
noch untertrieben. Die Linke fordert, auch andere
heiße Eisen endlich anzufassen und sich vollumfäng-
lich für das Wohl der Soldatinnen und Soldaten einzu-
setzen.

In diesem Zusammenhang stößt uns drittens übel
auf, dass in dem Gesetzentwurf ganz konkret deutlich
gemacht wird, dass es letztlich doch weniger um die
Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten, sondern
eher um eine Fixierung der Bundeswehr auf eine Ar-
mee im Einsatz, um eine Fixierung auf Auslandsein-
sätze geht.

In der Gesetzesbegründung ist zu lesen, dass die Re-
gelungen „unter Berücksichtigung der Besonderheiten
der Auslandseinsätze der Bundeswehr“ geschaffen
wurden. Noch deutlicher wird der Nationale Normen-
kontrollrat in seiner Stellungnahme. Dort werden
schon die „vermehrten Auslandseinsätze der Bundes-
wehr“ berücksichtigt. Ich kritisiere, dass Sie Ihr Inte-
resse am Wohl der Soldatinnen und Soldaten bzw. der
Beschädigten zum Teil nur vorheucheln und stattdes-
sen alles rücksichtslos der weltweiten Einsatzfähigkeit
der Bundeswehr unterordnen.

Die Linke will keine vermehrten Auslandseinsätze,
sondern zivile Konfliktlösungsstrategien und friedliche
Konfliktbewältigung stärken. Statt Auslandseinsätze zu
forcieren, muss sich die Bundeswehr – auch zum Wohle
der Soldatinnen und Soldaten – auf die Landesvertei-
digung beschränken. Und eines ist ganz wichtig: Der
Mensch muss wieder im Mittelpunkt stehen!


Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724035000

Es geschieht nicht häufig, dass wir einem Gesetz-

entwurf der Bundesregierung zustimmen können. Um
die Versorgung und Betreuung der im Zuge ihres Wehr-

dienstes geschädigten aktiven und ehemaligen Solda-
tinnen und Soldaten zu verbessern, hat dieses Parla-
ment aber bereits im Laufe dieser Legislaturperiode
gemeinsam wesentliche Initiativen verabschiedet.
Ganz gleich, ob wir Abgeordneten einen jeweiligen
konkreten Einsatz befürworten oder ablehnen – es
kann uns nicht egal sein, wie die Bundeswehrangehö-
rigen gegen die Risiken ihres Dienstes ganz besonders
in Einsätzen abgesichert sind.

Vor diesem Hintergrund stimmen wir auch dem vor-
liegenden Gesetzentwurf zu, denn er schafft eine wei-
tere Verbesserung im Bereich der Versorgung. Mit die-
sem Gesetz werden die Zuständigkeiten der Länder im
Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenver-
sorgung auf den Bund übertragen. Es geht dabei um
die Versorgung ehemaliger Soldatinnen und Soldaten,
die während ihres Wehrdienstes eine gesundheitliche
Schädigung erlitten haben und dann aus der Bundes-
wehr ausgeschieden sind, um diesen gleichgestellte Zi-
vilpersonen und um die Hinterbliebenen dieser beiden.

Die Länderzuständigkeit in diesem Bereich hat sich
als nicht hinreichend funktional und auch nicht sinn-
voll erwiesen. Sie führt zum einen dazu, dass die Be-
troffenen mit umständlichen Verfahren zu kämpfen ha-
ben. Allzu häufig verläuft der Informationsfluss
zwischen den Behörden nicht völlig reibungslos.
Lange Wartezeit und Frust sind für die Betroffenen da-
bei die Folgen. Andererseits bedeutet die geteilte Zu-
ständigkeit, dass Ausgaben, die infolge der Aufgaben
der Bundeswehr im In- und Ausland entstehen können,
nicht im Verteidigungsetat, sondern im Einzelplan des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geführt
werden. Das ist nicht im Sinne einer Haushaltsklarheit
und Haushaltswahrheit.

Es hat seine Zeit gedauert, bis dieser Schritt ermög-
licht wurde. Dieses Gesetz wird jedoch leider nicht so-
fort umgesetzt werden, sondern erst ab 2015 in zwei
Schritten. Das verlangt den Betroffenen weitere Ge-
duld ab. Die Zeit bis dahin soll und muss genutzt wer-
den, um die notwendigen Strukturen zu schaffen und
die Bearbeiterinnen und Bearbeiter umfassend zu
schulen und vorzubereiten – auch das ist eine unter-
stützenswerte Maßnahme. Schließlich sollen am Ende
zügige und reibungslose Verfahren stehen. Die lange
Umsetzungszeit bedeutet aber auch, dass es nicht zu
weiteren Verzögerungen kommen darf.

Ich möchte heute, fast am Ende dieser Legislaturpe-
riode, aber noch einmal daran erinnern, dass der Weg
zum Beispiel zu den Verbesserungen im Bereich der
Einsatzversorgung oder für die ehemaligen Radarsol-
daten lang und mühselig war. Bei einigen Punkten ha-
ben wir auch noch nicht alle Ziele erreicht. Die Bereit-
schaft, Probleme im Umgang mit der Erkrankung von
Soldatinnen und Soldaten an einer posttraumatischen
Belastungsstörung einzugestehen, Schwächen des Ver-
sorgungs- und Betreuungssystem offenzulegen und Lö-
sungen zu finden, musste der politischen und der mili-
tärischen Führung erst mühsam abgerungen werden.

Zu Protokoll gegebene Reden





Agnes Brugger


(A) (C)



(D)(B)


Diese Bereitschaft darf den heutigen und zukünftigen
Verantwortlichen nicht wieder abhandenkommen.

Bei der Versorgung aktiver und ehemaliger Solda-
tinnen und Soldaten besteht trotz der vielen Verbesse-
rungen der letzten Jahre aber nach wie vor Hand-
lungsbedarf, den wir nicht aus den Augen verlieren
sollten. Das Gesetz ist ein nächster richtiger Schritt in
Richtung Verbesserung. Aber auch mit diesem Gesetz
sind noch nicht alle Mängel beseitigt. Als ein Beispiel
möchte ich in diesem Zusammenhang die bestehenden
Probleme im Bereich der Anerkennung von Wehr-
dienstbeschädigungen von Soldatinnen und Soldaten
ansprechen. Der Bundeswehr fehlen nicht nur behan-
delnde Ärztinnen und Ärzte, sondern auch Versor-
gungsmediziner, die die Gutachten im Anerkennungs-
verfahren erstellen. Die Verfahren ziehen sich unter
anderem durch diesen Personalmangel in eine unzu-
mutbare Länge. Hier besteht nach wie vor großer
Handlungsbedarf.

Wir dürfen nicht nachlassen, den eingeschlagenen
Weg konsequent weiter zu gehen und Probleme bei der
Versorgung und Betreuung der Bundeswehrangehöri-
gen ehrlich offenzulegen und intensiv und rasch nach
Lösungen zu suchen. Im Sinne der gemeinsamen Ver-
antwortung für die Angehörigen der Parlamentsarmee
hoffe ich, dass in diesem Bereich die Bereitschaft zur
fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit auch in Zu-
kunft besteht.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724035100

Wir kommen nun gleich zur Abstimmung. Der Vertei-

digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13255, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12956 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die
Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? –
Niemand. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand.
Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig),
Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des aufenthalts-
und freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennach-
zugs

– Drucksache 17/8921 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Katja
Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufent-
haltsgesetzes (Ehegattennachzug)


– Drucksache 17/1626 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/13313 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Sevim Dağdelen
Memet Kilic

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Europarecht beim Ehegattennachzug umset-
zen

– Drucksachen 17/8610, 17/13313 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Sevim Dağdelen
Memet Kilic

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Ehegattennachzug ohne Sprachhürden ermög-
lichen

– Drucksachen 17/1577, 17/8081 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

In der Tagesordnung haben wir ausgewiesen, dass die
Reden zu Protokoll genommen werden.


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1724035200

Vor geraumer Zeit haben der SPD-Kollege

Dr. Wiefelspütz und ich mit den Leitern aller Goethe-
Institute weltweit – eine Versammlung, bei der sich
Stammwähler der CDU in Grenzen halten – über die
Pflicht diskutiert, vor einem Ehegattennachzug nach
Deutschland einfache Deutschkenntnisse nachweisen
zu müssen. Wir haben zahlreiche Berichte über kon-





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)


krete Erfahrungen der Leiter der Goethe-Institute in
den Sprachkursen bekommen. Sie waren wirklich
durch die Bank entsetzt, als Herr Dr. Wiefelspütz an-
kündigte, eine rot-grüne Bundesregierung werde diese
Regelung wieder abschaffen. Das Urteil dieser Exper-
ten war eindeutig: Das Instrument der verpflichtenden
Deutschkenntnisse ist ein voller Erfolg; die Vorinte-
gration stärkt gerade junge Frauen in ihrem Selbstbe-
wusstsein, bevor sie in ein für sie völlig fremdes Land
kommen. Es ist eine Motivation, in Deutschland sofort
die deutsche Sprache noch besser zu lernen. Die Ver-
treter der Goethe-Institute machten deutlich, dass sie
eben gerade nicht nur Sprachkenntnisse vermitteln,
sondern auch über den Alltag in Deutschland berich-
ten, die Gesetzeslage, Fragen der Gleichstellung von
Mann und Frau und auch über Sitten, Gebräuche und
Werte in unserem Land informieren. Und die Experten
bestätigten, dass selbstverständlich in einer ganzen
Reihe von Fällen auf verschiedensten Wegen Zwangs-
verheiratungen verhindert werden konnten.

Wenn SPD und Grüne dies jetzt alles wieder beseiti-
gen wollen, dann ist das in höchstem Maße frauen-
feindlich, weil sie auf ein wichtiges Instrument im
Kampf gegen Zwangsheirat verzichten, und sie leisten
einen Beitrag für weniger Integration, für eine Zu-
nahme von Parallelgesellschaften. Kurzum: Ihr Weg
ist für das Zusammenleben von Deutschen und Auslän-
dern geradezu gefährlich!

Ich bin es leid, dass hier immer wieder die gleichen,
längst widerlegten Argumente vorgetragen werden. Sie
argumentieren, dass die Frauen hier in Deutschland
doch sowieso Integrationskurse besuchen müssten,
wenn sie Integrationsbedarf haben und nicht über hin-
reichende Sprachkenntnisse verfügen. Einmal davon
abgesehen, dass sich diese Kurse ergänzen, weil das
Ziel bei den Sprachkursen im Ausland A1 und bei den
Integrationskursen in unserem Land B1 ist, kommt es
doch auf einen völlig anderen Punkt an: Wir wissen
nun wirklich seit Jahren, dass gerade die Frauen, die
einen Integrationskurs am nötigsten haben, in unseren
Kursen nicht ankommen, weil sie diese nicht besuchen
dürfen, weil es eben leider gar nicht so wenige Fami-
lienverbände gibt, bei denen es gerade der Wille der
Familienoberhäupter ist, dass diese jungen Frauen
nicht selbstbewusst und selbstbestimmt leben, wozu
ausreichende Sprachkenntnisse gehören. Es ist gerade
von den Familien beabsichtigt, diese Frauen in Abhän-
gigkeiten zu halten. Und SPD und Grüne wissen ganz
genau, dass uns die teilweise ja sehr merkwürdige
Rechtslage in der EU verbietet, Frauen wieder in ihre
Heimat zurückzuführen, die sich beharrlich weigern,
einen Integrationskurs zu besuchen. Das heißt: SPD
und Grüne wissen ganz genau, dass es zwar eine
Pflicht zum Besuch von Integrationskursen gib, dass
wir aber praktisch keine Handhabe besitzen, diese
Pflicht auch durch die Ausländerbehörden durchzuset-
zen. Deshalb ist es einfach wahr: Die Anträge der
Opposition bedeuten weniger und nicht mehr Integra-
tion. Sie zementieren Parallelgesellschaften. Alles das
wollen wir als CDU/CSU nicht!

Was wir mit den verpflichtenden einfachen Deutsch-
kenntnissen vor dem Familiennachzug wollen, ist,
auch ein ganz klares Signal an sowohl die nachziehen-
den Ehegatten als auch die in Deutschland lebenden
Familien zu geben, dass es ohne Deutsch nicht geht,
dass ohne die Beherrschung der deutschen Sprache
eine vernünftige Integration nicht funktionieren wird.
Wenn wir in diesen Tagen gerade neuerliche Hinweise
bekommen, dass die Sprachkompetenz von Kindern
mit Migrationshintergrund nachlässt, weil in den El-
ternhaushalten zu wenig Deutsch gesprochen wird,
dann zeigt das, wie nötig ein derartiges Signal seitens
der Politik ist. Die nachziehenden Ehegatten von heute
sind die hoffentlich verantwortungsbewussten Eltern
von morgen, und sie müssen wissen, dass sie sich an
der Lebensperspektive ihrer Kinder versündigen, wenn
sie diesen nicht möglichst schnell umfassende
Deutschkenntnisse vermitteln, entweder dadurch, dass
von Anfang an im Elternhaus Deutsch gesprochen
wird, oder, dass die Eltern zumindest durch den Besuch
von Krippe und Kindergarten dafür sorgen, dass an
anderer Stelle die Kinder die notwendigen deutschen
Sprachkenntnisse vermittelt bekommen, die ihnen im
Elternhaus nicht vermitteln werden können. Dieses
Verantwortungsbewusstsein verlangen wir von den El-
tern mit Migrationshintergrund, und die verpflichten-
den Deutschkenntnisse beim Familiennachzug sind in-
sofern ein völlig richtiges politisches Signal, dieses
bereits frühzeitig deutlich zu machen.

Genauso alt ist das Argument, es sei für die auslän-
dischen Ehegatten zu beschwerlich, einen Deutschkurs
vor Ort zu besuchen. Auch dieses Argument ist schlicht
falsch. Die Vertreter der Goethe-Institute haben sehr
anschaulich berichtet, dass es mittlerweile bis ins
kleinste Dorf Privatschulen und Privatlehrer gibt. Es
ist durch unsere gesetzliche Regelung geradezu ein
Markt von etwa türkischen oder thailändischen Heim-
kehrern entstanden, die solche Sprachkurse anbieten
und sich davon eine Existenz aufgebaut haben. Diese
Sprachlehrer wurschteln allerdings nicht ungeprüft
vor sich hin, sondern bemühen sich in aller Regel um
Zertifikate von Goethe-Instituten, um als Sprachkurs-
anbieter auch anerkannt zu sein. Die Prüfungen wer-
den dann meist von den Goethe-Instituten vor Ort
selbst oder anderen anerkannten Einrichtungen abge-
nommen.

Wegen des ganz anderen Zusammenhalts im Fami-
lienverband ist es ebenso üblich, dass Sprachkurs-
teilnehmer zu Verwandten in Städte mit Sprachkurs-
angeboten ziehen und sich dort dann einige Wochen
aufhalten. Es gibt darüber hinaus sehr gute Angebote
der Deutschen Welle im Internet. Und schließlich und
endlich wird man wohl sagen dürfen: Wenn ein Ehe-
gatte denn wirklich so abgelegen wohnen sollte, dass
er von allen Angeboten abgeschnitten ist, dann hat er
ja wohl doch irgendeinen Weg gefunden, seinen hier in
Deutschland lebenden Partner zu finden, und dann
wird man wohl erwarten dürfen, dass dieser Le-
benspartner Mittel und Wege der privaten Unterstüt-
zung findet, um für ein Bestehen der Sprachprüfung zu

Zu Protokoll gegebene Reden





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)


sorgen, die im Übrigen nicht ein freies Zitieren der
Bürgschaft verlangt, sondern das Beherrschen eines
Sprachschatzes von maximal 600 Worten. Die Argu-
mente der Opposition sind Scheinargumente, die den
Kern der Sache nicht treffen. Dementsprechend haben
das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwal-
tungsgericht in mehreren Urteilen die Verfassungsmä-
ßigkeit der verpflichtenden Deutschkenntnisse vor dem
Ehegattennachzug bestätigt. Insofern sind ihre Be-
hauptungen, unsere Regelung sei mit unserer Verfas-
sung nicht vereinbar, schlicht und ergreifend falsch.

Ein Sachverhalt, der uns gerade von Ausländerbe-
hörden oder auch Integrationslotsen immer wieder
vorgetragen wird, ist tatsächlich zu verbessern. Es
dauert manchmal zu lange zwischen Bestehen eines
Sprachkurses und Erteilung des Visums zum Zwecke
der Familienzusammenführung. Insofern ist die Sorge
grundsätzlich ernst zu nehmen, dass die nachziehen-
den Ehegatten schon wieder etwas von ihrer Sprach-
kompetenz einbüßen, wenn ein zu großer zeitlicher
Abstand zwischen den Sprachkursen im Ausland und
dem Beginn des Integrationskurses im Inland besteht.
Allerdings muss man auch sagen, dass die Gründe da-
für sich meistens in der Sphäre des Visumantragstel-
lers befinden. Es werden zum Beispiel nicht alle not-
wendigen Dokumente beigebracht oder nicht die
erforderlichen Auskünfte erteilt, gerade auch seitens
des in Deutschland lebenden Ehegatten. Wo die Behör-
den aber enger zusammenarbeiten können, um für ei-
nen besseren Übergang von Sprachkurs im Ausland zu
Integrationskurs im Inland zu sorgen, sollte das selbst-
verständlich geschehen. Diese partiellen technischen
Probleme sind aber längst kein Grund, die ganze Re-
gelung infrage zu stellen.

Ein dickes Ding ist die Kritik der Opposition daran,
dass es eine Bevorzugung für bestimmte Länder wie
die USA, Japan oder Australien gibt, für deren Ehegat-
ten die Regelung über die einfachen Sprachkenntnisse
nicht gilt. Rein theoretisch ist es richtig, dass ein Japa-
ner, der eine Thailänderin heiratet, diese leichter nach
Deutschland nachziehen lassen kann als ein Deut-
scher. Insofern ist das Argument der Inländerdiskrimi-
nierung vordergründig nicht ganz falsch, und ich per-
sönlich bin auch bereit, über die Abschaffung dieser
Regelung nachzudenken.

Tatsächlich gibt es für diese Vorschrift aber einen
sachlichen Hintergrund. Die zwei zentralen Gründe
für die Einführung der verpflichtenden Sprachkennt-
nisse bei ausländischen Ehegatten waren eine Verbes-
serung der Integration und Bekämpfung der Zwangs-
heirat. Beide Gründe haben bei Staaten, für die eine
Ausnahmeregelung gilt, keine Bedeutung. Der Aufent-
halt von Amerikanern oder Japanern in Deutschland
ist fast ausnahmslos geschäftlicher und damit vorüber-
gehender Natur. In den allermeisten Fällen sind die
Ehegatten der englischen, französischen oder spani-
schen Sprache mächtig. In einer globalisierten Welt
kann man also nicht davon reden, dass sie aufgrund
der Sprachkompetenz nicht integrationsfähig wären.

Das Thema Zwangsheirat spielt in diesen Fällen ohne-
hin keine Rolle.

Entscheidend ist aber, dass wir diese Vorschrift ge-
rade auf ausdrücklichen Wunsch der SPD aufgenom-
men haben, weil unser damaliger Koalitionspartner
der nicht ganz abwegigen Meinung war, dass wir uns
beim Kampf um die klugen Köpfe noch schwerer tun
würden, wenn wir deren Frauen jetzt auch noch einfa-
che Sprachkenntnisse abverlangen. Ich stelle also fest:
Die SPD kritisiert heute eine Vorschrift, die sie selbst
als Regierungspartei ins Gesetzblatt gebracht hat.

Umgekehrt haben wir in die Regelung deutsche
Staatsbürger geradezu einbeziehen müssen, weil an-
sonsten wegen des Optionsmodells bei der Staatsbür-
gerschaft diese Maßnahme völlig leer laufen würde.
Was den Familiennachzug zu Bürgern der Europäi-
schen Union angeht, müssen wir europarechtliche
Regelungen beachten. Hier ist die Freizügigkeit wei-
tergehend als unsere integrationspolitischen Überle-
gungen. Gleichwohl bleibt es unser Ziel, gerade ange-
sichts der vielfältigen Probleme mit Bulgaren und
Rumänen, immer mehr EU-Bürger in die Integrations-
kurse zu bekommen. Alles in allem kann man also nicht
ernsthaft von einer Inländerdiskriminierung sprechen.

Insofern bleibt die Frage: Weshalb wollen SPD und
Grüne diese von Experten unterstützte und von Rich-
tern für verfassungskonform erklärte Regelung ab-
schaffen? Die Antwort ist klar und erschreckend zu-
gleich: Sie versuchen, Stimmen bei den Deutsch-
Türken zu sammeln, die gerade nicht integriert in
Deutschland leben wollen. Sie machen aus wahltakti-
schen Überlegungen Zugeständnisse, die auf mehr Pa-
rallelgesellschaften und auf mehr Probleme hinaus-
laufen. Das ist beschämend. Das ist eine
integrationsfeindliche Politik. Das lehnen wir als
CDU/CSU und mit uns die übergroße Mehrheit der
Bevölkerung, einschließlich vieler SPD-Stammwäh-
ler, entschieden ab!


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1724035300

Das heute zu besprechende Thema haben wir hier

an dieser Stelle häufig diskutiert, und die Argumente
für und gegen das Spracherfordernis für nachziehende
Ehegatten vor Einreise sind bekannt.

Ich fasse noch einmal zusammen:
Das Spracherfordernis schränkt das Recht eines

Menschen auf das Leben einer Ehe ein. Dieses Recht
wird durch Art. 6 Grundgesetz geschützt.

Ja, wir wissen, dass sowohl Bundesverfassungs- als
auch Bundesverwaltungsgericht festgestellt haben,
dass die Regelung des Spracherwerbs vor Einreise
nach Deutschland mit dem Grundgesetz und der Fami-
lienzusammenführungsrichtlinie im Einklang stehen.
Wir wissen aber auch, dass es viele Menschen gibt, de-
nen das Zusammenleben auf unbestimmte Zeit durch
das Spracherwerbserfordernis unmöglich gemacht
wird.

Zu Protokoll gegebene Reden





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)


Die Gründe dafür liegen in den häufig großen Ent-
fernungen der Goethe-Institute vom Wohnort oder so-
gar dem Fehlen solcher Institute. Um einen Deutsch-
kurs im Heimatland besuchen zu können, müssen nicht
unerhebliche Geldmittel aufgebracht werden – even-
tuell Anmietung einer Wohnung am Kursort verbunden
mit der Aufgabe der eigenen Erwerbstätigkeit auf-
grund nicht zu bewältigender Entfernungen –, die
nicht jeder hat, auch nicht immer der in Deutschland
lebende Ehepartner.

Diese getrennten Ehepartner erfahren täglich Not.
Dies aufrechtzuerhalten oder abzuschaffen ist eine
politische Entscheidung, die wir eindeutig zugunsten
der Betroffenen treffen: Wir wollen das Spracherfor-
dernis vor Einreise nach Deutschland abschaffen.

Das bedeutet aber nicht, dass wir der Auffassung
sind, Kenntnisse der deutschen Sprache seien für
nachziehende Ehegatten verzichtbar. Im Gegenteil: Sie
sind eine elementare Voraussetzung für gelingende In-
tegration. Mehr noch: Nachziehende Ehegatten sind
durch das Aufenthaltsgesetz verpflichtet, sich unver-
züglich nach der Einreise in Deutschland für einen In-
tegrationskurs anzumelden. Das ist geltendes Recht.

Das Hauptargument für die Einführung des Spra-
cherwerbserfordernisses war die damit angestrebte
Verhinderung von Zwangsehen. Gebildete Menschen,
die die Sprache des Landes sprechen, in das sie
zwangsverheiratet werden, können sich besser aus die-
ser Zwangssituation befreien, so die Vorstellung. Sechs
Jahre nach Einführung dieser Voraussetzung fehlt es
weiterhin an empirischen Belegen darüber, dass die
Zahl der Zwangsehen aufgrund des Spracherwerbser-
fordernisses zurückgegangen wäre. Unnötige Gesetze
aber brauchen wir nicht.

Die Einführung des Spracherwerbserfordernisses
führt zudem zu Inländerdiskriminierung. Der Ehemann
einer in Deutschland visumfrei einreisen dürfenden
Ausländerin kann nach Deutschland zu seiner Ehefrau
ziehen, ohne vorher Deutsch zu können. Der türkische
Ehemann einer in Deutschland lebenden Deutschen
muss Deutsch vor der Einreise können und nachwei-
sen. Aufgrund von EU-Recht muss der zu einem EU-
Bürger nach Deutschland einreisende Ausländer keine
Deutschkenntnisse nachweisen, die brasilianische
Ehefrau eines in Deutschland lebenden Deutschen
aber sehr wohl.

Diese Ungleichbehandlung mag europarechtlich
zulässig sein, aber ist sie auch politisch gewollt? Wir
sagen: Nein, nicht von uns.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir
selbst es waren, die mit großen Bedenken – die unter
anderen auch ich immer wieder zum Ausdruck ge-
bracht habe – das Gesetz in der Großen Koalition mit
auf den Weg gebracht haben, und zwar als sehr
schmerzlichen Kompromiss in dem Sinne, dass die Ver-
schärfungen im Familiennachzug das Opfer waren,
mit dem wir der Union die erstmalige Einführung ei-

ner gesetzlichen Altfall- und Bleiberechtsregelung ab-
gerungen haben.

Fazit: Das Spracherwerbserfordernis vor Einreise
ist aus unserer Sicht ungeeignet, Zwangsehen zu ver-
hindern, und daher überflüssig. Es ist mehrfach diskri-
minierend. Wir wollen es abschaffen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Dass von Personen, die ein Visum zum Zwecke des

Ehegattennachzuges nach Deutschland beantragen,
die Fähigkeit zur Verständigung in deutscher Sprache
„auf einfache Art“ verlangt wird, ist nicht nur zumut-
bar, sondern sogar ganz im Sinne der Zuwanderer. Das
hat noch in der letzten Wahlperiode auch die SPD so
gesehen: Die SPD hat in gemeinsamer Regierungsko-
alition mit der Union den Sprachnachweis für den
Ehegattennachzug eingeführt. Dass sich die SPD jetzt,
ein halbes Jahrzehnt später, davon distanziert, ist wohl
als reine Taktik zu bewerten. Sollte die SPD wieder
einmal regieren, wird sie wohl auch anders reden, als
jetzt in der Opposition.

In der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben hin-
sichtlich des Erwerbs und des Nachweises der erfor-
derlichen Sprachkenntnisse gab es anfänglich Berichte
über eine Anwendungspraxis, die die Antragsteller vor
zusätzliche, in Einzelfällen unzumutbare Hürden
stellte.

Inzwischen hat eine Evaluierung ergeben, dass es
mittlerweile vielfältige Möglichkeiten gibt, Deutsch im
Herkunftsland zu lernen. Auch in dieser Hinsicht kann
man unumwunden feststellen: Die laufende Wahl-
periode mit der christlich-liberalen Regierung waren
vier gute Jahre für Deutschland – und auch für die, die
nach Deutschland kommen wollen.

So hat sich die Anzahl der öffentlichen und privaten
Sprachlernzentren erhöht. Was die Abnahme der not-
wendigen Sprachprüfung vom Niveau „Start 1“ be-
trifft, sind neben den Goethe-Instituten eine Reihe an-
derer prüfungsberechtigter Institutionen wie dem
TELC, einer Tochter des Deutschen Volkshochschul-
Verbands e. V., prüfungsberechtigt. Diese sind insbe-
sondere auf dem Balkan und in der Türkei vertreten,
woher eine hohe Zahl von Personen stammt. Ebenso
wird das österreichische Sprachdiplom anerkannt.

In den wichtigsten Herkunftsländern, zum Beispiel
Türkei, Kosovo und Russische Föderation, gibt es
auch in ländlichen Gebieten Privatschulen und Privat-
lehrer, die Deutsch anbieten. Ferner gibt es kostenlose
Internet-Deutschkurse der Deutschen Welle und wei-
tere Selbstlernkurse.

2009 haben weltweit 65 Prozent der Teilnehmer die
Sprachprüfung bestanden; bei Teilnehmern, die zuvor
einen Sprachkurs des Goethe-Instituts besucht hatten,
lag die Bestehensquote sogar bei 81 Prozent.

Wir wollen dazu weiter die Möglichkeiten verbes-
sern, im Ausland Deutsch zu lernen. Jedem Deutschen

Zu Protokoll gegebene Reden





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


bleibt es ferner unbenommen, seinen ausländischen
Ehepartner persönlich zu unterstützen.

Das Argument, im deutschen Sprachraum sei das
Lernen der deutschen Sprache besser möglich, ist
sachlich unbestritten – geht aber am Thema Ehegat-
tennachzug völlig vorbei: Denn außer dem Visum zum
Ehegattennachzug kennt das deutsche Ausländerrecht
vielfältige Möglichkeiten, um in Deutschland Deutsch
zu lernen. Die mit dem Ehegattennachzug verbundene
dauerhafte Niederlassungserlaubnis wird aber erst er-
teilt, wenn der Ehepartner ein Minimum an Deutsch
gelernt hat.

Ein Problem besteht tatsächlich in der Privilegie-
rung nichtdeutscher EU-Bürger: Unionsbürger müs-
sen keine Sprachkenntnisse vorweisen; auch mögliche
Familienangehörige aus Nicht-EU-Staaten benötigen
beim Familiennachzug zu in Deutschland lebenden
Unionsbürgern keine Sprachkenntnisse.

Vor allem ist hierzu aber anzumerken, dass diese
Privilegierung EU-Staaten sich gegenseitig gewähren,
soweit in anderen EU-Staaten vergleichbare Regelun-
gen bestehen. Jeder Deutsche kann ein entsprechendes
Recht anderswo in der EU wahrnehmen, wie es hierzu-
lande Unionsbürgern möglich ist.

Die FDP bleibt dabei: Zuwanderer sind in Deutsch-
land herzlich willkommen. Sie sind aber auch selbst
klar gefordert. Die deutsche Sprache, die Grund- und
Menschenrechte sowie Demokratie und Rechtsstaat
sind das für alle verbindlich geltende Fundament un-
serer Gesellschaft.

Wir alle sollten bei solchen Fragen ernsthaft das
Wohl der Beteiligten ins Auge fassen. Ohne Deutsch-
kenntnisse ist nun einmal keine volle Teilhabe an den
enormen beruflichen, kulturellen und gesellschaftli-
chen Perspektiven, die Deutschland bietet, möglich.
Ich wundere mich sehr, dass Parteien, die sonst Eman-
zipation und Teilhabe auf ihre Fahnen schreiben, diese
bei Zuwanderern offensichtlich als nebensächlich oder
gar hinderlich ansehen.

Grüne, Linke und Sozialdemokraten wollen, wie sie
mit den vorliegenden Anträgen einmal mehr zeigen,
die Abschaffung der Nachzugsregelung. Damit werden
sie, wie immer mit solchen Anträgen zur Migrations-
politik, die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland
erschweren, indem sie falsche Erwartungen wecken
und statt Engagement nur Anspruchsdenken fördern.
Offenbar wollen die Parteien des Linksblocks, dass
Zuwanderer in Deutschland Ausländer bleiben.

Ich kann nur hoffen, dass sich das bei den Betroffe-
nen langsam herumspricht. Linke, SPD und Grüne
sind nur für die Zuwanderer eine gute Wahl, die hier
nicht wirklich ankommen, nicht wirklich integriert und
akzeptiert sein wollen. Wir Liberalen dagegen möch-
ten eine neue Kultur des Willkommens, wollen Zuwan-
derer wirklich in unser Land aufnehmen, als gleichbe-
rechtigte neue Deutsche mit allen Rechten und
Chancen.

Ein Wort noch zu dem in diesem Zusammenhang
stets gemachten Verweis auf Art. 6 Grundgesetz. Art. 6
GG ist von den Vätern und Müttern des GG nie als
Freibrief für unkontrollierte und bedingungslose Zu-
wanderung nach Deutschland gedacht gewesen. Bis
heute wird er von der Rechtssprechung auch nicht so
interpretiert.

Das BVerwG hat mit Urteil vom 30. März 2010,
1 C 8.09, entschieden, dass die Regelung zum Sprach-
nachweis beim Ehegattennachzug in der geltenden
Form verfassungsgemäß ist und mit europäischem Recht
vereinbar ist. Das Gericht hat ausdrücklich darauf hin-
gewiesen, dass die Regelung auch ohne allgemeine Här-
tefallregelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei und
dass der Erwerb einfacher Deutschkenntnisse im Her-
kunftsland auch nicht deshalb unzumutbar sei, weil die
türkische Klägerin des Ausgangsverfahrens Analpha-
betin ist.

Das Urteil des BVerwG ist durch einen Nichtannah-
mebeschluss des BVerfG vom 25. März 2011, Az. 2 BvR
1413/10, noch einmal bestätigt worden. Ich finde es
befremdlich, dass die SPD mit ihren gegenteiligen
Ausführungen meint, das Verfassungsgericht tadeln zu
müssen.

Die Oppositionsparteien verwenden jeden beliebi-
gen Vorgang aus der Zuwanderungspolitik, um einer
ungesteuerten Zuwanderung das Wort zu reden. Wach-
senden Belastungen für die sozialen Sicherungssys-
teme und ansteigende Ausländerfeindlichkeit nehmen
sie dafür billigend in Kauf.

Wir sollten doch so ehrlich sein, gemeinsam anzuer-
kennen, dass weitgehend abgeschottete Gettos mit
Ehegattenimport aus unseren gesellschaftlichen Wer-
ten fernstehenden Zonen nicht unbedingt zu einem
friedlichen Zusammenleben in Deutschland beitragen
und – vor allem! – die gesellschaftlichen und berufli-
chen Perspektiven der Betroffenen extrem mindern.
Das hat ja auch die SPD in der letzten Wahlperiode so
gesehen, und das sehen ja auch bekannte Sozialdemo-
kraten wie Heinz Buschkowsky so.

Die FDP hat ihre Kritikpunkte an der Ehegatten-
nachzugsregelung nie versteckt, hält das Integrati-
onsziel aber für übergeordnet.

Wenn die Oppositionsparteien endlich einmal nicht
nur mit Anträgen der vorliegenden Art um Migranten-
stimmen buhlen, sondern auch einmal die Anliegen des
friedlichen Zusammenlebens und der Bekämpfung der
Gettobildung ernst nehmen wollten, wären ihre Initia-
tiven ernst zu nehmen.

Wir Liberale gestalten dagegen die Zuwanderungs-
politik mit der Union neu. Statt politischer Nachsicht
mit Integrationsfehlleistungen einerseits und daraus
resultierenden Ressentiments der Bevölkerung gegen
Zuwanderer andererseits wollen wir eine Steuerung
der Zuwanderung nach zusammenhängenden, klaren,
transparenten und gewichteten Kriterien, die die Inte-
grationsziele klar benennt und einfordert.

Zu Protokoll gegebene Reden





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


Wer dauerhaft hier leben und Bürgerrechte ausüben
will, muss Deutscher werden wollen – aber eben auch
die Chance erhalten, als solcher wirklich akzeptiert zu
werden. Gerade zuwanderungs- und integrationspoli-
tisch waren unsere bisherige Regierungsjahre vier
gute Jahre für Deutschland – und das wollen wir fort-
setzen.

Wir wollen eine neue Kultur des Willkommens, die
nicht falsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute
macht, sondern Chancen und Perspektiven eröffnet: für
die, die nicht nur „territorial“ nach Deutschland kom-
men, sondern auch in unserem Land und unserer Ge-
sellschaft wirklich ankommen wollen.

Wir halten es nicht für unzumutbar, Deutsch zu ler-
nen, wir halten Zuwanderer nicht, wie SPD oder Linke,
für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, denen
nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet werden
kann und die auf Generationen hinaus mit dem Unwort
„Migrationshintergrund“ stigmatisiert werden sollen.
Wir meinen, dass hier endlich ein Umdenken erfolgen
muss: Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigen-
den Mitleids und des Verzichts auf Integrationsforde-
rungen muss Deutschland in der Integrationspolitik
endlich positiv denken.

Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für die-
jenigen, die das geschafft haben. Wir halten integrierte
Zuwanderer mit ihren Erfahrungen für eine große Be-
reicherung unserer Gesellschaft. Wir beglückwün-
schen diejenigen, die sich erfolgreich integriert haben.
Sie können stolz auf ihre Leistung sein, und wir sind
dankbar und stolz, dass sie sich für Deutschland ent-
schieden haben.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724035400

Die heutige Debatte über die seit 2007 geltende auf-

enthaltsrechtliche Beschränkung des Ehegattennach-
zugs durch Sprachanforderungen im Ausland ist in
mehrfacher Hinsicht bemerkenswert; denn wir reden
über eine Regelung, von der eigentlich alle Fachleute
– und uneingestanden wohl auch die Bundesregierung –
wissen, dass sie mit EU-Recht unvereinbar ist.

Bemerkenswert ist, dass die SPD in der Zeit der
Großen Koalition selbst hoffte, das Bundesverfas-
sungsgericht möge dieses Gesetz doch wieder kassie-
ren. Die FDP forderte vergangene Wahlperiode vehe-
ment eine allgemeine Härtefallregelung – von ihr ist
dazu nichts mehr zu hören. Und so kann die CDU/CSU
weiter ihre harte Linie durchziehen, den Zuzug sozial
und bildungsbenachteiligter Menschen zu erschweren;
denn das ist der ideologische Kern der erhöhten Sprach-
anforderungen beim Ehegattennachzug.

Das zeigen schon die zahlreichen Ausnahmerege-
lungen für Ausländerinnen und Ausländer aus Indus-
trienationen, nachziehende Ehegatten Hochqualifi-
zierter oder für Drittstaatsangehörige, die in einem
anderen EU-Staat einen langfristigen Aufenthaltssta-
tus haben. Besonders hart getroffen wird hingegen die
Gruppe der türkischen Einwanderer – obwohl recht-

lich mindestens umstritten ist, ob auf sie die erhöhten
Anforderungen an die Erlaubnis zum Ehegattennach-
zug überhaupt angewendet werden darf. Leider hat der
Europäische Gerichtshof hierzu bislang keine Ent-
scheidung treffen können, weil die Bundesregierung
ihm jeweils mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaub-
nis zuvorkam. Die Niederlande mussten eine analoge
Regelung nach einem Urteil des Gerichtshofs bereits
zurücknehmen. Die Bundesregierung weiß also ganz
genau, was sie von einem solchen Urteil zu erwarten
hätte. Dennoch lässt sie Zehntausende Menschen in
jahrelang erzwungener Trennung leiden. Das ist un-
verantwortlich und integrationspolitisch fehlgeleitet.

Denn selbstverständlich ist der Erwerb der deut-
schen Sprache in Deutschland unendlich viel leichter
als im Ausland: Hier gibt es ein flächendeckendes Netz
von Sprachkursen, hier kann das Erlernte im Alltag di-
rekt angewandt werden, hier kann der Partner oder die
Partnerin aktiv helfend zur Seite stehen. Die im
Ausland unter unzumutbaren Bedingungen und in er-
zwungener Trennung mühsam erworbenen Deutsch-
kenntnisse sind hingegen häufig schon wieder ver-
blasst, wenn die Betroffenen nach einem aufwendigen
Visumverfahren dann endlich einreisen durften. Auf
entsprechende Nachfragen meiner Fraktion musste die
Bundesregierung all dies auch einräumen.

Und auch das Argument eines angeblich besseren
Schutzes vor Zwangsverheiratungen ist geradezu lä-
cherlich – von Zwangsverheiratungen Betroffene oder
Bedrohte brauchen ganz andere Hilfen als den Zwang
zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse im Ausland!
Häufig geht es bei Zwangsverheiratungen übrigens um
hier geborene und aufgewachsene Frauen mit perfek-
ten Deutschkenntnissen – schon dies verdeutlicht die
Absurdität der Argumentation. Der Zwang zum Sprach-
erwerb ist selbst dann unverhältnismäßig, wenn man
tatsächlich meint, damit Zwangsheiraten wirksam be-
gegnen zu können. Um angeblich die doch eher selte-
nen Fälle einer Zwangsverheiratung mit noch nicht in
Deutschland Lebenden verhindern zu können, wird der
Ehegattennachzug gleich für alle erschwert, auch
wenn im jeweiligen Einzelfall klar auf der Hand liegt,
dass eine Zwangsverheiratung ausgeschlossen ist. Bis
heute wurde kein Nachweis erbracht, dass auch nur
eine Zwangsverheiratung durch die Regelung verhin-
dert werden konnte. Die Berichte über verhinderte
oder über Jahre verzögerte Ehegattennachzüge hinge-
gen stapeln sich auf den Tischen der Abgeordnetenbü-
ros, an die sich Betroffene in ihrer Verzweiflung wen-
den.

Ich kann es auch nicht mehr hören, dass immer wie-
der auf angeblich glückliche Sprachkursteilnehmerin-
nen in Goethe-Instituten im Ausland hingewiesen wird.
Natürlich kann der Spracherwerb in solchen Kursen
Spaß machen und wird er von den Betroffenen prinzi-
piell als sinnvoll erachtet. Aber die große Mehrheit al-
ler Ehegatten würde trotzdem unendlich viel lieber in
Deutschland die deutsche Sprache erlernen, zusam-
men mit ihren Partnerinnen und Partnern – und nicht

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)


zwangsweise von ihnen getrennt, zumal viele Men-
schen keinen Zugang zu diesen Kursen haben oder
Tausende Kilometer dafür zurücklegen müssen.

Es bleibt dabei, was die Linke schon vor der Verab-
schiedung dieses unsäglichen Gesetzes gesagt hat und
mit den vorliegenden Anträgen nochmals unter-
streicht: Das Menschenrecht auf Familienzusammen-
leben darf nicht unter den Vorbehalt deutscher Sprach-
kenntnisse gestellt und damit indirekt von der sozialen
Herkunft, dem Vermögen, dem Bildungs- und Fami-
lienstand und dem Alter der Betroffenen abhängig ge-
macht werden! Schaffen Sie diese sinnlose und grau-
same Schikane von Menschen, die sich lieben und
zusammen sein wollen, schnellstmöglich ab!


Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724035500

Schon vor meiner Wahl in den Bundestag war es mir

ein wichtiges Anliegen, die Familienzusammenfüh-
rung zu vereinfachen. Als Jurist habe ich diesbezüglich
viele Fälle behandelt. Ich habe miterlebt, wie etliche
Paare über Jahre unzumutbare und unnötige Trennun-
gen ertragen mussten. Dies ist ein großes menschen-
rechtliches Problem. Unmittelbar nach meiner Wahl in
den Bundestag erreichten mich viele Beschwerden we-
gen der restriktiven Einwanderungsregelungen beim
Ehegattennachzug. Die Beschwerden in Form von
Briefen, Anrufen und eingereichten Petitionen nehmen
kein Ende.

Vorab möchte ich mitteilen, dass wir den Initiativen
der SPD und der Linkspartei zustimmen werden. Un-
sere Fraktion hat bereits 2010 einen Gesetzentwurf zur
Erleichterung des Ehegattennachzugs eingereicht.
Damit wollen wir die im Jahr 2007 eingeführten Ver-
schärfungen wieder aufheben. Insbesondere geht es
uns um die Aufhebung des sogenannten Spracherfor-
dernisses für alle nachziehenden Ehegatten. Des Wei-
teren fordern wir die Aufhebung der Lebensunterhalts-
sicherungspflicht beim Nachzug zu Deutschen.

Seit 2007 müssen Personen Deutschkenntnisse auf
dem Sprachniveau A1 nachweisen, bevor sie ein Visum
zum Ehegattennachzug erhalten. Dieser Sprachnach-
weis wurde von der großen Koalition damit begründet,
dass Sprachkurse Zwangsehen verhindern würden

(vergleiche Bundestagsdrucksache 16/7288). Belege

dafür konnte die Regierung bislang nicht vorlegen. Um
Betroffene vor Zwangsverheiratung wirksam zu schüt-
zen, sollte die Bundesregierung lieber für mehr Bil-
dung, Aufklärung und niedrigschwellige Beratungs-
und Schutzangebote sorgen.

Sprachen lernt man am besten dort, wo sie gespro-
chen werden. Der Spracherwerb in Deutschland ist
viel leichter, schneller, günstiger und weniger belas-
tend für die Betroffenen. Grundsätzlich ist die Teil-
nahme an Integrationskursen in Deutschland sogar
seit 2005 verpflichtend und kann mit Mitteln des Ver-
waltungszwangs durchgesetzt werden.

Das Spracherfordernis verstößt nicht nur gegen das
Grundrecht auf familiäres Zusammenleben, sondern

auch gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grund-
gesetz. Denn nicht alle nachziehenden Ehegatten müs-
sen Deutschkenntnisse nachweisen. Ausgenommen von
der Regelung sind etwa die Ehegatten von Unionsbür-
gern sowie die Ehegatten von Hochqualifizierten,
Selbstständigen und in der Forschung Tätigen. Auch
Staatsangehörige aus Ländern, mit denen Deutschland
enge wirtschaftliche Beziehungen pflegt, müssen
Deutschkenntnisse nicht nachweisen. Eine Regelung,
die sich gegen bestimmte, vermeintlich integrationsun-
willige Ausländer richtet, lehnen wir ab.

Im Juni 2011 gab es eine Anhörung des Innenaus-
schusses zu diesem Thema. Die Mehrheit der Sachver-
ständigen vertrat die Meinung, das Spracherfordernis
stünde nicht im Einklang mit dem Grundgesetz und
dem EU-Recht. Darüber hinaus bestätigten alle Sach-
verständigen, dass es keine Belege dafür gibt, dass das
Spracherfordernis seinem Zweck – nämlich der Ver-
hinderung von Zwangsehen – dient.

Die Aufhebung des Spracherfordernisses ist auch
aus europarechtlicher Sicht notwendig. Denn das
Spracherfordernis beim Ehegattennachzug verstößt
gegen die Familienzusammenführungsrichtlinie. Dies
hat die Europäische Kommission in ihrer schriftlichen
Stellungnahme vom Mai 2011 in dem Verfahren vor
dem EuGH in der Rechtssache Imran bezüglich der
dem deutschen Recht vergleichbaren niederländischen
Regelung festgestellt. Die Richtlinie verbiete es den
Mitgliedstaaten, Sprachtests als eine „Bedingung“ zu
verstehen, von der das Recht auf Familienzusammen-
führung selbst abhängig ist, so die Kommission. Bei
türkischen Staatsangehörigen verstößt die Pflicht,
Deutschkenntnisse nachzuweisen, zudem gegen das
Verschlechterungsverbot im Assoziationsrecht EWG/

(vergleiche Urteil des EuGH vom 9. Dezember 2010, Rechtssache C-300/09, Toprak)


Schließlich hat sich die Haltung des Bundesverwal-
tungsgerichts gewandelt. Als Reaktion auf die Stel-
lungnahme der Kommission hat es sich von seiner Ein-
schätzung distanziert, die Sprachanforderungen im
Aufenthaltsgesetz seien zweifelsfrei mit Unionsrecht
vereinbar. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 hat es
ausgeführt, dass die Frage, ob das Erfordernis einfacher
deutscher Sprachkenntnisse mit der Familienzusammen-
führungsrichtlinie vereinbar ist, dem Gerichtshof der
Europäischen Union zur Klärung hätte vorgelegt werden
müssen. Im September 2012 hat das Bundesverwaltungs-
gericht dann entschieden, dass das Spracherfordernis
für Ehegatten von Deutschen grundrechtswidrig ist
und daher nur eingeschränkt gilt.

Wir betrachten die Regelungen zum Spracherwerb
beim Familiennachzug als menschenunwürdig, verfas-
sungswidrig und überflüssig. Außerdem sollte die Bun-
desregierung nicht länger warten, bis das Bundesver-
fassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof uns
aufträgt, die geltenden Regelungen aufzuheben.

Auch die FDP ist der Ansicht, dass die Regelung
problematisch ist, weil sie auf die Staatsangehörigkeit

Zu Protokoll gegebene Reden





Memet Kilic


(A) (C)



(D)(B)


des Stammberechtigten und nicht des nachziehenden
Ehegatten abstellt. Darüber hinaus ist die FDP auch
der Meinung, dass die Regelung unverhältnismäßig
ist, weil der Erwerb von Sprachkenntnissen für die

(aus der Rede zum Antrag der Linken zum Ehegattennachzug, siehe Protokoll vom 20. Mai 2010)


Wir freuen uns sehr, dass auch die SPD nach lan-
gem Hin und Her nun das Spracherfordernis abschaf-
fen will.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724035600

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungs-

punkt 29 a. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13313, den Gesetzentwurf der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/8921 abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Sozialdemo-
kraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dage-
gen? – Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Linksfrak-
tion. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt. Sie wissen, dass damit nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Wir sind
noch bei Tagesordnungspunkt 29 a. Abstimmung über
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

(Ehegattennachzug)

seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13313,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/1626 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Das sind die Linksfraktion und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Fraktion der
Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Wir sind beim Tagesordnungspunkt 29 b. Wir setzen
die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des
Innenausschusses auf Drucksache 17/13313 fort. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 17/8610 mit dem Titel
„Europarecht beim Ehegattennachzug umsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali-
tionsfraktionen. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grünen
und Linksfraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 c. Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Ehegattennachzug ohne Sprachhürden er-
möglichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/8081, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1577 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? –
Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Rechte von internatio-
nal Schutzberechtigten und ausländischen Ar-
beitnehmern

– Drucksache 17/13022 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/13536 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Memet Kilic

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/13540 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Stefanie Vogelsang
Dr. Peter Danckert
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Katja Dörner

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1724035700

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ver-

besserung der Rechte von international Schutzberech-
tigten und ausländischen Arbeitnehmern wurde am
22. April 2013 von Experten bei einer Sachverständi-
genanhörung des Innenausschusses bewertet. Es zeigt
sich, dass die Umsetzung der beiden EU-Richtlinien in
nationales Recht migrationspolitisch sinnvoll ausge-
staltet wurde. Mit der einen EU-Vorgabe wurde der
Anwendungsbereich der sogenannten Daueraufent-
haltsrichtlinie auf Ausländer erweitert, die internatio-
nalen Schutz genießen. Auch sie sollen nun nach fünf
Jahren legalem Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat
ein europäisches Daueraufenthaltsrecht erhalten. Die
zweite Rahmenrichtlinie sieht die Einführung eines
kombinierten Arbeitstitels zum Zweck der Erwerbstä-
tigkeit und eine verfahrensrechtliche Bündelung ange-
strebt.

Der Gesetzentwurf beseitigt daneben auch eine
ganze Reihe von praktischen Unklarheiten und Un-
wägbarkeiten in der ausländerbehördlichen Rechtsan-
wendung und schafft damit Rechtssicherheit.

Es wird allen Familienangehörigen, die im Wege des
Familiennachzugs nach Deutschland kommen, unmit-
telbar nach Einreise und unabhängig von der jeweili-
gen Qualifikation voller Zugang zu jeglicher Erwerbs-
tätigkeit ermöglicht, so zum Beispiel beim Aufenthalt
zum Zweck der Ausbildung oder bei der Zuwanderung





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)


von Hochqualifizierten. Dieser erleichterte Arbeits-
marktzugang bietet künftig die Möglichkeit, sich von
Anfang in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und bietet
einen Anreiz zur Zuwanderung junger gut qualifizierter
Familien.

Als Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion kann ich den Wert der Sprache für die
Integration nicht oft genug betonen. Gute Kenntnisse
der deutschen Sprache sind der Schlüssel für eine ge-
lungene Integration.

Die Kritik an die gestiegenen Anforderungen an die
Kenntnisse der deutschen Sprache für die Erteilung ei-
ner unbefristeten Niederlassungserlaubnis für nachge-
zogene Familienangehörige von Deutschen teile ich
deshalb nicht. Die gestiegenen Anforderungen gefähr-
den in keinem Fall das Familienleben oder den
Aufenthalt des Betroffenen. Selbst wenn ein Familien-
angehöriger aufgrund der Neuregelung keine Nieder-
lassungserlaubnis erhalten sollte, muss er nicht
ausreisen, sondern hat weiterhin eine Aufenthaltser-
laubnis. Für eine Niederlassungserlaubnis ist die For-
derung nach ausreichenden Sprachkenntnissen ge-
rechtfertigt. Es ist eine sinnvolle Motivation der
Betroffenen, die entsprechenden Sprachkenntnisse zu
erwerben. So wird auch die Eigenständigkeit des nach-
ziehenden Ehegatten gestärkt, der ohne ausreichende
Sprachkenntnisse von seinem deutschen Ehegatten ab-
hängig bliebe. Die geplante Regelung ist somit nicht
familienfeindlich, sondern stärkt die Position des hin-
zugezogenen Ehegatten.

Auch die Neuregelung des Kindernachzuges zu nur
einem in Deutschland lebenden Elternteil schützt die
Position der Familie. Dieser Nachzug wird künftig
nicht mehr von dem alleinigen Sorgerecht des Eltern-
teils anhängen. Nun ist der Nachzug eines Kindes
auch bei gemeinsamem Sorgerecht möglich, sofern der
andere Elternteil dem zustimmt. So ist auch eine
Rechtsordnung des Heimatlandes, das kein alleiniges
Sorgerecht kennt, keine Hürde mehr für eine Familien-
zusammenführung.

Eine weitere familienfreundliche Neuregelung sieht
vor, dass auch nach Eintritt der Volljährigkeit eines le-
digen deutschen Kindes die einem Elternteil zur Aus-
übung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaub-
nis zu verlängern ist, solange das Kind mit ihm in
familiärer Lebensgemeinschaft lebt und sich in einer
Ausbildung befindet.

Geplant war eine Klarstellung in § 2 Abs. 3
AufenthG, dass der Bezug von Leistungen für Bildung
und Teilhabe nach § 6 b des Bundeskindergeldgesetzes
nicht als eine für die Regelerteilungsvoraussetzung der
Lebensunterhaltssicherung schädliche Inanspruch-
nahme öffentlicher Mittel gilt. In der Sachverständi-
genanhörung wiesen Sachverständige jedoch darauf
hin, dass sich diese Leistungen schwer genau beziffern
lassen, da sie von der konkreten familiären und schuli-
schen Situation und dem Bedarf der Kinder abhängen.
Auch steht der Bedarf häufig bei der Aufenthaltstitel-

erteilung noch nicht fest. Wegen der geringen Höhe der
Leistungen für Bildung und Teilhabe sind diese für die
Aufenthaltsentscheidung grundsätzlich nie entschei-
dungserheblich. Kindergeld, Kinderzuschlag und
Erziehungsgeld gelten nicht als Inanspruchnahme öf-
fentlicher Mittel und können dem Einkommen hinzuge-
rechnet werden.

Die Forderung der Opposition, auch das Wohngeld
in den § 2 mit aufzunehmen, verkennt zum einen, dass
der Bezug sonstiger öffentlicher Leistungen, so auch
des Wohngeldes, der Annahme einer Lebensunterhalts-
sicherung nicht grundsätzlich entgegensteht. Sie
werden zwar nicht bei der Einkommensermittlung be-
rücksichtigt, sind aber unschädlich, wenn der Lebens-
unterhalt unabhängig von diesen Leistungen gesichert
ist. Desweiteren ist eine Aufnahme in den Katalog der
Leistungen, die nicht als Bezug von öffentlichen Mit-
teln gelten, nicht möglich, da das Wohngeld keinen
ausschließlich fördernden Charakter hat, sondern
auch als existenzsichernde Leistung gewährt werden
kann. Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob das
Wohngeld zur Existenzsicherung beiträgt.

Die zweite Richtlinie, die mit dem Gesetzentwurf
umgesetzt wird, sieht die Einführung eines „kombi-
nierten Aufenthaltstitels für Aufenthaltserlaubnisse
zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ und eine „verfah-
rensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Auf-
enthalts- und Arbeitserlaubnis“ vor. Darüber hinaus
regelt sie bestimmte Gleichbehandlungsrechte, insbe-
sondere im Renten- und Sozialrecht. Der kombinierte
Aufenthaltstitel und die verfahrensrechtliche Bünde-
lung wurden in Deutschland bereits 2005 eingeführt,
sodass Umsetzungsbedarf vor allem im Rentenrecht
besteht.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetz-
entwurf zahlreiche Verbesserungen enthält, die die
Situation der in diesem Land lebenden Schutzberech-
tigten nachhaltig und deutlich verbessern wird.
Gleichzeitig werden qualifizierten Arbeitskräften, die
dringend für die wirtschaftliche Entwicklung ge-
braucht werden, zusätzliche Anreize geboten. Daher
ist dem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1724035800

Dass es diese Bundesregierung und die sie tragen-

den Koalitionsfraktionen tatsächlich schaffen, heute
– vier Tage vor Ablauf der Frist! – Richtlinien des Eu-
ropäischen Parlaments annähernd fristgerecht in na-
tionales Recht umzusetzen, bedarf – weil alles andere
als selbstverständlich – einer positive Erwähnung.

Dass diese Richtlinien und damit jetzt auch das na-
tionale Recht für Personen, die internationalen Schutz
genießen und solche Drittsstaatsangehörige, die hier
längerfristig arbeiten, Verbesserungen im Status und
im Verfahren bieten, mag ebenso positiv angemerkt
werden.

Die Begeisterung der SPD-Fraktion hält sich aber
in Grenzen, weil einige Regelungen des Gesetzent-

Zu Protokoll gegebene Reden





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)


wurfs hart an der Grenze des europarechtlich Zulässi-
gen unnötig restriktiv am bisherigen nationalen deut-
schen Recht entlang ausgestaltet wurden. Ich nenne
nur einige Beispiele:

Erstens. Warum soll der Bezug von Wohngeld, das
der Sicherstellung angemessenen Wohnraums dienen
soll, der Erteilung dauerhafter Aufenthaltserlaubnisse
entgegenstehen?

Zweitens. Warum sollen Leistungen nach dem Bil-
dungs- und Teilhabepaket, die der Erziehung und da-
mit auch der Integration ausländischer Kinder dienen
sollen, zugleich den Daueraufenthalt der Familie er-
schweren?

Drittens. Warum müssen alleinsorgeberechtigte El-
tern erhöhte Nachweisanforderungen erfüllen, wenn
sie ihre Kinder nachziehen lassen wollen?

Viertens. Warum werden die Sprachanforderungen
für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis von
Familienangehörigen heraufgesetzt?

Unter anderem diese Kritikpunkte an dem Gesetz-
entwurf sind es, die uns veranlassen, zu sagen: Dies
hätte man durchaus besser machen können und müs-
sen. Deshalb werden wir in dieser Form dem vorlie-
genden Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, ist

gut. Er stärkt die Rechte von international Schutzbe-
rechtigten. Er zeichnet die Linie der schwarz-gelben
Koalition im Ausländer- und Integrationsbereich fort:
Fordern und Fördern. Er zeigt, dass Schwarz-Gelb
auch im Ausländerrecht die richtigen Akzente setzt.

Nun möchte ich auf einige zentrale Vorschriften ein-
gehen:

Der Kindernachzug wird signifikant erleichtert. Es
ist richtig, dass in Zukunft nicht mehr auf das deutsche
Familienrecht abgestellt wird, sondern auch die Reali-
täten in anderen Staaten berücksichtigt werden. In Zu-
kunft kann das Kind auch bei gemeinsamem Sorge-
recht zu nur einem Elternteil nachziehen, wenn der
andere Elternteil zustimmt.

Endlich wird den ausländischen Familienangehöri-
gen der unbeschränkte Arbeitsmarktzugang einge-
räumt. Aus unserer Sicht muss es selbstverständlich
sein, dass jeder selbst den eigenen Lebensunterhalt be-
streiten darf. Eine Abhängigkeit der Familienangehö-
rigen voneinander oder von staatlichen Leistungen ist
nicht sinnvoll. Das freie, selbstbestimmte Individuum
ist für uns das ideale Menschenbild.

Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes
bin ich auf die Anhebung des Sprachniveaus von A1
auf B1 für die Niederlassungserlaubnis für ausländi-
sche Ehegatten von Deutschen eingegangen. Wir ha-
ben daran bewusst nichts verändert. Die Inländerdis-
kriminierung, die dadurch hervorgerufen werden soll,
muss aus unserer Sicht hingenommen werden: Das Le-

ben ist heute durchsetzt von Entscheidungen auf euro-
päischer Ebene, die zu Ungleichbehandlung mit den
Inländern führen. Das ist gang und gäbe. Auch sind
Deutschkenntnisse für die Integration zentral. Dies
einfach immer wieder infrage zu stellen vonseiten Rot-
Rot-Grün, ist für mich nicht nachvollziehbar.

Zwei weitere Kritikpunkte möchte ich aufgreifen
und richtigstellen:

Wir haben das Bildungs- und Teilhabepaket aus dem
Katalog des § 2 Abs. 3 AufenthG gestrichen. Ich kann
Ihnen versichern, dass das nicht leichtfertig geschehen
ist. Aber die praktische Umsetzung von Normen, auch
wenn sie gut gemeint sind, muss möglich sein. An die-
ser Stelle hat uns die Anhörung sehr zu denken gege-
ben: Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde hat
nachvollziehbar dargestellt, dass die Einbeziehung des
Bildungs- und Teilhabepakets zu unverhältnismäßigem
Bestimmungsaufwand für die Ausländerbehörden füh-
ren würde. Denn jeder Anspruch muss individuell
bestimmt werden. Es gibt keine Pauschalbeträge.
Gleichzeitig befindet man sich bei dieser Leistung im
Bagatellbereich. Daher ist auch in der Begründung des
Änderungsantrags klargestellt worden, dass die Nut-
zung des Bildungs- und Teilhabepakets nie zulasten der
Betroffenen ausgelegt werden darf.

Auch bei § 32 AufenthG unterliegt die Opposition
einem Irrtum: Eine Schlechterstellung von Flüchtlin-
gen ist durch den Gesetzentwurf nicht beabsichtigt und
wird es durch die Gesetzesänderung in der Praxis
nicht geben. Wir erwarten, dass die Härtefallklausel in
§ 32 Abs. 4 großzügig in diesen Fällen angewendet
wird. Das BMI hat auch zugesichert, dieses Normver-
ständnis in den Anwendungshinweisen zu verankern.
So kann eine einheitliche Anwendung in der Praxis si-
chergestellt werden.

Für uns Liberale sind zwei Änderungen von großer
Bedeutung, die beide durch den Bundesrat angeregt
worden sind:

Wir wollen, dass das Sprachniveau in § 4 IntVO an-
gehoben wird von A1 auf B1. Dadurch können Auslän-
der, die Inhaber der Personensorge für ein in Deutsch-
land lebendes minderjähriges Kind sind, über A1
hinaus zu einem Integrationskursbesuch verpflichtet
werden.

Diese Änderung wurde insbesondere von den Grü-
nen stark kritisiert. Ich weise gerne nochmal darauf
hin, dass das ein Vorschlag des Bundesrates ist, in dem

(leider) nicht Schwarz-Gelb eine Mehrheit hat. Wenn

Sie sich also in der Kritik so aus dem Fenster lehnen,
dann sollten Sie sich mit Ihren Ländern vorher bespre-
chen. Die Länder haben insbesondere ins Feld geführt,
dass durch die Änderung die Bildungschancen der be-
troffenen Kinder gestärkt werden könnten.

Auch möchte ich darauf hinweisen, dass in der An-
hörung dieser Punkt positiv bewertet wurde, da es da-
mit zu einer Kostenübernahme kommt. Denken Sie
doch wenigstens an die Betroffenen, wenn es Ihnen

Zu Protokoll gegebene Reden





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


schon egal ist, ob die Bildungschancen von Kindern
erhöht werden.

Wir haben gerne den Vorschlag des Bundesrates zu
§ 18 c AufenthG aufgegriffen. Diesen Aufenthaltstitel
zur Arbeitsplatzsuche haben wir im Rahmen der Blue-
Card-Umsetzung richtigerweise eingeführt: Endlich
können Hochqualifizierte nach Deutschland kommen,
um einen Arbeitsplatz zu suchen. Bis zum Gesetzespa-
ket der christlich-liberalen Koalition zur Blauen Karte
brauchten sie bereits vorab ein Arbeitsplatzangebot;
ein Zustand, der vollkommen an der Realität vorbeige-
gangen ist.

Nun wird die Regelung dadurch komplettiert, dass
ausländische Fachkräfte, die bereits in Deutschland
sind, aber unerwartet ihren Arbeitsplatz verlieren, die-
sen Aufenthaltstitel vom Inland aus beantragen kön-
nen. Sie müssen also nicht erst ausreisen, um eine er-
neute Beantragung zu ermöglichen. Diese Änderung
ist zur Klarstellung für die Ausländerbehörden erfor-
derlich, die sich bisher mit allgemeinen Regelungen
beholfen habe. Und es ist ein wichtiges Signal an die
Fachkräfte: Wir wollen, dass sie bleiben.

Alles in allem kann ich auch anhand dieses Gesetz-
entwurfes feststellen: Die Koalition aus CDU/CSU
und FDP war und ist gut und erfolgreich. Die vergan-
genen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland. Es
wird auch gut für Deutschland sein, wenn diese Koali-
tion fortgesetzt wird.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724035900

Wir beraten heute abschließend einen Gesetzent-

wurf der Bundesregierung, der der Umsetzung von
EU-Richtlinien in deutsches Recht dient. International
Schutzberechtigte, also Asylberechtigte, Flüchtlinge
und subsidiär geschützte Personen, bekommen nun
das Recht, nach fünf Jahren Aufenthalt eine Dauerauf-
enthaltserlaubnis-EU zu erhalten. Sie sind damit in-
nerhalb der EU theoretisch freizügigkeitsberechtigt
und können sich auch in einem anderen EU-Staat nie-
derlassen. Praktisch müssen allerdings weitere Bedin-
gungen erfüllt werden, wie zum Beispiel der Nachweis
eines Arbeitsplatzes, was häufig nicht leicht sein wird.
In Umsetzung einer zweiten Richtlinie gibt es für be-
stimmte Drittstaatsangehörige Verbesserungen bei der
Auszahlung von Rentenansprüchen ins Ausland. Bei
Gelegenheit der Umsetzung dieser Richtlinien werden
noch weitere Änderungen vorgenommen, die wir zum
Teil begrüßen: So sollen Personen, die zu ihren Ehe-
gatten nachgezogen sind, endlich einen unbeschränk-
ten Arbeitsmarktzugang erhalten. Auch beim Nachzug
von Kindern sind Erleichterungen vorgesehen.

Eine weitere ursprünglich geplante Verbesserung
wurde durch die Koalitionsfraktionen in den Beratun-
gen des Innenausschusses wieder zurückgenommen.
Der Gesetzentwurf der Regierung hatte vorgesehen,
dass der Bezug von Leistungen nach dem Bildungs-
und Teilhabepaket zukünftig keine negative Rolle bei
der Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels
mehr spielen soll. Nach den geltenden Regeln müssen

die meisten Ausländerinnen und Ausländer hierfür ei-
nen eigenständigen Lebensunterhalt ohne öffentliche
Mittel nachweisen. Das Aufenthaltsgesetz sieht aller-
dings eine Reihe von Ausnahmen bei bestimmten Leis-
tungen wie dem Kindergeld vor. Dass nun der Bezug
der Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket
doch nicht in die Liste der Ausnahmen aufgenommen
werden soll, halten wir integrationspolitisch für fatal.

Meine Fraktion hat in den Beratungen des Innen-
ausschusses dagegen beantragt, darüber hinaus den
Bezug von Wohngeld in die Liste der Ausnahmen mit
aufzunehmen. Das geht auf Forderungen der Kirchen
und Wohlfahrtsverbände zurück. Wohngeld ist keine
Sozialleistung, die zur Lebensunterhaltssicherung
dient, sondern eine Leistung, die gerade Familien an-
gemessenen Wohnraum sichern soll. Darüber hinaus
dürfen auch Freibeträge im Sozialgesetzbuch, die die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit fördern sollen, nicht
dazu führen, dass die Höhe des im Aufenthaltsrecht
nachzuweisenden Einkommens steigt. Das ist absurd,
aber so ist es derzeit Praxis. Die Koalition hat leider
auch diesen Änderungsantrag abgelehnt. Grundsätz-
lich bleiben wir bei unserer Haltung, dass der Bezug
von Sozialleistungen generell einer Verlängerung oder
Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegenstehen
soll. Denn damit wird eine Bevölkerungsgruppe ge-
troffen, die am Arbeitsmarkt auf vielfältige Art ohnehin
stark benachteiligt ist.

Es gibt noch weitere Gründe, die zu einer Ableh-
nung dieses Gesetzentwurfs durch unsere Fraktion
führen. Anlässlich der Richtlinienumsetzung werden
Verschärfungen vorgenommen, die die falsche Migra-
tions- und Integrationspolitik dieser Koalition fortfüh-
ren. So werden die Sprachhürden bei nachgezogenen
Eheleuten von Deutschen vor der Erteilung einer Nie-
derlassungserlaubnis heraufgesetzt. Damit werden
wieder einmal bildungsbenachteiligte Migrantinnen
und Migranten und ältere Menschen, die Schwierigkei-
ten mit dem Erlernen der deutschen Sprache haben,
benachteiligt.

Mit der Neuregelung des Kindernachzugs, die an
sich begrüßenswert ist, geht leider auch eine vermut-
lich sogar ungewollte Verschärfung für anerkannte
Flüchtlinge einher. Denn auch sie müssen künftig Per-
sonensorgenachweise erbringen, wenn sie ihre Kinder
nachholen wollen. Diese Nachweise sind für Flücht-
linge aber häufig nur sehr schwer oder gar nicht zu er-
bringen. Warum sollte ein Verfolgerstaat seinen Op-
fern helfen, ihre Kinder zu sich zu holen? Hier hätte es
eine gesetzliche Klarstellung oder Ausnahmeregelung
geben müssen, aber auch das hat die Koalition bedau-
erlicherweise abgelehnt.

Ein dritter Punkt wurde in der Sachverständigenan-
hörung angesprochen. Es soll eine neue Befugnis der
Grenzbehörden geschaffen werden, beim Verdacht auf
erschlichene Visa ohne Hinzuziehen der Ausländerbe-
hörde die Einreise zu verweigern. Mehrere Sachver-
ständige haben die Befürchtung vertreten, dass diese
neue Befugnis zu vermehrten Inhaftierungen an der

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)


Grenze führen könnte, weil Personen in Zurückschie-
bungshaft genommen werden. Diese Befürchtung
konnte durch die Bundesregierung nicht ausgeräumt
werden. Hier drohen also Freiheitsentziehungen in un-
bekannter Zahl auf bloßen Verdacht hin. Das können
wir, wie den gesamten Gesetzentwurf, nicht mittragen.


Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724036000

Wir Grünen werden dem Gesetzentwurf von

Schwarz-Gelb zur Umsetzung der sogenannten Rah-
menrichtlinie und der Richtlinie zum Daueraufent-
haltsrecht von International Schutzberechtigten nicht
zustimmen.

Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, dass die
Bundesregierung EU-Richtlinien entlang ihrer Min-
destanforderungen umsetzt, nur um keine Untätigkeits-
klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu riskieren.
Eine menschenorientierte Politik, die einen sicheren
Aufenthaltsstatus und Gleichbehandlung für Einwan-
derer und Einwanderinnen gewährleistet, damit sie
sich frei von Existenzängsten in die Gesellschaft ein-
bringen können, sieht anders aus.

Einen klaren Richtlinienverstoß begeht die Bundes-
regierung bei der von der Rahmenrichtlinie vorgege-
benen Gleichbehandlung bei Familienleistungen. Der
Caritas Verband hat in der Ausschussanhörung aus-
drücklich darauf hingewiesen, dass die Ausschluss-
regelungen für Ausländerinnen und Ausländer im
deutschen Familienleistungsrecht unvereinbar mit der
Rahmenrichtlinie sind und – wie vom Bundesverfas-
sungsgericht festgestellt – gegen das Grundgesetz ver-
stoßen. Dem folgend haben wir mit unserem Ände-
rungsantrag im Innenausschuss gefordert, dass alle
Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis, eine Nieder-
lassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Dauerauf-
enthalt-EU besitzen oder seit mindestens fünf Jahren
geduldet in Deutschland leben, Familienleistungen er-
halten.

Noch gravierender als die problematische Umset-
zung der Richtlinien sind die im Gesetzentwurf enthal-
tenen richtlinienunabhängigen Änderungen. So soll
das Sprachniveau für eine Niederlassungserlaubnis
bei Familienangehörigen von Deutschen von „einfa-
chen Kenntnissen“ – A1 – auf „ausreichende Kennt-
nisse“ – B1 – angehoben werden. Das widerspricht
nachhaltiger Integrationspolitik: Wer mehr gesell-
schaftliche Teilhabe fordert, muss die Aufenthaltsver-
festigung fördern, anstatt sie mit immer neuen Hürden
zu erschweren. Für türkische Staatsangehörige, bei
der die Regelung die größte Anwendung findet, wird
sie wegen des assoziationsrechtlichen Verschlechte-
rungsverbots nach Art. 13 ARB 1/80 nicht gelten.

Der Gesetzentwurf erschwert außerdem ausgerech-
net Kindern von Flüchtlingen den Nachzug. Es ist für
viele Flüchtlinge bereits heute schwierig, die geforder-
ten Abstammungsdokumente vorzulegen. Die Sachver-
ständigen haben in der Ausschussanhörung deutlich
gemacht, dass die zukünftig vorzulegenden Unterlagen
zur Personensorgeberechtigung in der Praxis zu un-

überwindbaren Hürden führen werden. Wir wollen den
entgegengesetzten Weg nehmen. In unserem Antrag
„Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten“
– Bundestagsdrucksache 17/12395 – schlagen wir Ver-
besserungen für Kinder und ihre Familien vor.

Schließlich kritisieren wir, dass die Bundesregie-
rung nicht die sinnvollen Änderungsanträge des Bun-
desrates übernommen hat. Genannt sei nur der
Vorschlag des Bundesrates, die Regelung zur Aufent-
haltserlaubnis nach dem Assoziationsrecht EWG/Tür-
kei an die Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts vom 22. Mai 2012 – Az.: 1 C 6/11 – anzupassen.

Trotz der vielen wichtigen Hinweise der Sachver-
ständigen zum Nachbesserungsbedarf hat es Schwarz-
Gelb geschafft, den Gesetzentwurf durch einen eigenen
Änderungsantrag zu verschlechtern. So wurde die
noch im Gesetzentwurf enthaltene Ergänzung des Ka-
talogs der unschädlichen Leistungen für die Bewer-
tung der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung
um das Bildungs- und Teilhabepaket zurückgenom-
men. Stattdessen hätte die Koalition nach den Ergeb-
nissen der Anhörung zusätzlich das Wohngeld in den
Katalog aufnehmen müssen. Zudem hat Schwarz-Gelb
nachträglich die Teilnahmepflicht an Integrationskur-
sen auf alle Personen erweitert, die Deutschkenntnisse
auf dem Sprachniveau B1 nicht erfüllen. Es ist absurd,
das für die Einbürgerung erforderliche Sprachniveau
auch bei Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis zu ver-
langen.

Insbesondere wegen der Anhebung der Sprachan-
forderungen, der fehlenden Umsetzung der Rahmen-
richtlinie bei den Familienleistungen und der Ver-
schlechterung für die Kinder von Flüchtlingen können
wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Bedauerli-
cherweise hat Schwarz-Gelb unsere entsprechenden
Änderungsanträge nicht übernommen. Mit diesem Ge-
setzentwurf zeigt die Bundesregierung wieder einmal,
wie schwer sie sich damit tut, die Rechte von ausländi-
schen Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724036100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13536, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 17/13022 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? – Sozialdemokraten. Enthaltun-
gen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? –
Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher,
Wolfgang Gunkel, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Verbesserung der Situation
Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylver-
fahrensrecht

– Drucksache 17/9187 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/13315 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es war
in der Tagesordnung so ausgewiesen.


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1724036200

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt die

SPD-Fraktion das Ziel, die Situation unbegleiteter
Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrens-
recht zu verbessern. Unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge haben ein erhöhtes Schutzbedürfnis, dem
wir Rechnung tragen müssen. In diesem Punkt stimme
ich Ihnen zu. Allerdings stellen die hier vorgelegten
Forderungen in meinen Augen keine sachgerechte
Lösung dar oder sind schlichtweg überflüssig. Hierzu
gehört beispielsweise die Forderung der SPD nach ei-
ner Klarstellung im Aufenthalts- und Asylverfahrens-
recht dahin gehend, dass bei der Rechtsanwendung
das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigen-
der Gesichtspunkt sei. Wozu diese Klarstellung, da
eine entsprechende Verpflichtung doch bereits aus der
UN-Kinderrechtskonvention folgt?

Hierzu gehört auch Ihre Forderung, die Verfahrens-
fähigkeit Minderjähriger nach den aufenthalts- und
asylrechtlichen Vorschriften von 16 auf 18 Jahre anzu-
heben und so allen unbegleiteten Minderjährigen ei-
nen gesetzlichen Vertreter zur Seite zu stellen. Natür-
lich ist es richtig, im Asylverfahren nicht nur
Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum
18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand
zur Seite zu stellen. Die künftige Asylverfahrensrichtli-
nie sieht deshalb vor, dass im Asylverfahren bei allen
Minderjährigen ein gesetzlicher Vertreter vorhanden
sein muss. Sie belässt den Mitgliedstaaten aber auch
die Möglichkeit, eine Asylbeantragung durch den
Minderjährigen selbst, also unabhängig von einem ge-
setzlichen Vertreter, vorzusehen. Wir werden im weite-
ren Verfahren prüfen, wie wir diese Richtlinienvorga-
ben umsetzen können. Aber Ihr Vorschlag, der 16- und
17-jährigen unbegleiteten Jugendlichen kein eigenes

Antragsrecht mehr belässt, erscheint mir zu weitge-
hend.

Ihre Forderung, die Unterbringung in einer Aufnah-
meeinrichtung durch eine Inobhutnahme durch das
Jugendamt zu ersetzen, überzeugt mich schon deshalb
nicht, weil die Inobhutnahme unbegleiteter minder-
jähriger Ausländer durch das Jugendamt gemäß § 42
SGB VIII bereits verbindlich vorgeschrieben ist, und
zwar unabhängig von einem gestellten Asylantrag.
Das Jugendamt sorgt dann auch für die Unterbringung
des minderjährigen Ausländers. Dabei muss es sich
um eine für Minderjährige geeignete Wohnform han-
deln. Diese Anforderung sollte meiner Meinung nach
aber auch gelten, wenn es sich um im Familienverband
unterzubringende Kinder und Jugendliche handelt.

Daher erscheint es eher sachgerecht, die Anforde-
rungen an Aufnahmeeinrichtungen und Gemein-
schaftsunterkünfte, in denen Minderjährige unterge-
bracht werden sollen, so zu gestalten, dass sie für
begleitete und unbegleitete Minderjährige kinder- und
jugendgerecht sind. Hier sind die Länder gefragt. Dies
könnte durch eine entsprechende Zertifizierung der
Unterkünfte durch die Landesjugendämter gewährleis-
tet werden. Bisher ist die Anwendung von § 45
SGB VIII für Aufnahmeeinrichtungen und Gemein-
schaftsunterkünfte allerdings aufgrund § 44 Abs. 3 und
§ 53 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz ausgeschlossen.

Die länderübergreifende Umverteilung von unbe-
gleiteten minderjährigen Ausländern im Asylverfahren
findet kaum noch statt, weil hier ein Spannungsver-
hältnis zur Inobhutnahmeregelung besteht. Die sehr
ungleiche Verteilung unbegleiteter minderjähriger
Ausländer über das Bundesgebiet würde durch den
Gesetzesvorschlag aber noch befördert, so dass auch
hier Prüfungsbedarf besteht.

Mit ihrem Antrag möchte die SPD wieder einmal
den Eindruck erwecken, als würden wir unserer Ver-
pflichtung, das Kindeswohl bestmöglichst zu berück-
sichtigen, nur unzureichend nachkommen. Dabei war
es doch die Koalition aus FDP und Union, die in den
letzten drei Jahren gerade im Bereich des Ausländer-
und Asylrechts einige wesentliche Verbesserungen auf
den Weg gebracht hat. Das Bleiberecht für gut inte-
grierte ausländische Jugendliche ist eine enorme Ver-
besserung und bedeutet eine realistische Perspektive
für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund.

Der Zugang für „Flüchtlingskinder“ zu schulischen
und beruflichen Bildungsangeboten wurde erheblich
verbessert. Der Schulbesuch ist mittlerweile in fast
allen Bundesländern auch für geduldete Kinder und
solche, die sich noch im Asylverfahren befinden, obli-
gatorisch. Zudem wurde mit dem sogenannten Zweiten
Richtlinienumsetzungsgesetz § 87 Aufenthaltsgesetz
dahingehend geändert, dass Schulen sowie Bildungs-
und Erziehungseinrichtungen von den Übermittlungs-
pflichten nach § 87 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetz aus-
genommen sind.

Zu Protokoll gegebene Reden





Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)


Deutschland ist weltweit eines der führenden Auf-
nahmeländer von Flüchtlingen. 2012 hatte Deutsch-
land mit 77 500 Asylanträgen die höchste Zahl der
Flüchtlinge innerhalb der EU zu verzeichnen. In Kürze
werden die Verhandlungen für ein verbessertes ge-
meinsames europäisches Asylsystem zum Abschluss
kommen. Ziel ist es, unionsweit höhere einheitliche
Schutzstandards und ein gleiches Schutzniveau zu er-
reichen sowie ein hohes Maß an Solidarität zwischen
den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen. Gleichzeitig
müssen den nationalen Asylbehörden geeignete Instru-
mente bereitgestellt werden, damit sie Asylströme effi-
zient bewältigen und Betrug und Missbrauch effektiv
verhindern können, um so die Integrität und Glaub-
würdigkeit des Asylsystems zu wahren. Deutschland
hat bei den Verhandlungen auf eine maßvolle und aus-
gewogene Änderung der bestehenden Regelungen hin-
gewirkt.

Die Asylverfahrensrichtlinie als Teil des gemeinsa-
men europäischen Asylpakets sieht auch einige Ände-
rungen im Bereich des Verfahrensrechts vor, die die Si-
tuation Minderjähriger betreffen. So sieht die künftige
Asylverfahrensrichtlinie bei unbegleiteten Minderjäh-
rigen besondere Verfahrensgarantien in beschleunig-
ten Verfahren – dazu gehört in Deutschland das Flug-
hafenasylverfahren – vor. Das deutsche Recht
entspricht dem zwar bereits weitgehend. Bei der Richt-
linienumsetzung wird gleichwohl zu prüfen sein, inwie-
weit sich der nochmals erhöhte Aufwand für die
Durchführung dieser Verfahren bei unbegleiteten min-
derjährigen Ausländern noch lohnt, zumal ihnen be-
reits jetzt in aller Regel die Einreise zur Durchführung
der Asylverfahren im Inland gestattet wird. Anderer-
seits warne ich davor, dass ein vollständiger Verzicht
auf die Durchführung des Flughafenasylverfahrens
und ein daraus resultierendes Recht auf Einreise für
alle unbegleiteten Minderjährigen als Pull-Faktor, der
falsche Anreize für einen möglichen Missbrauch des
Asylrechts setzt, wirken könnten. Da ein vollständiger
Verzicht auf die Durchführung des Flughafenasylver-
fahrens für diese Personengruppe kaum mehr rück-
gängig gemacht werden könnte, bietet es sich eher an,
das Flughafenasylverfahren für unbegleitete
Minderjährige grundsätzlich beizubehalten, es aber
– wie bisher – nur in Ausnahmefällen anzuwenden.

Ein Recht auf Einreise allein wegen Minderjährig-
keit wird es aufgrund der damit verbundenen Miss-
brauchsmöglichkeiten mit uns nicht geben.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1724036300

In Vorbereitung auf diese Rede habe ich auf den Sei-

ten des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen ein-
mal nachgelesen, was dort zu der Situation von Kin-
dern in Deutschland allgemein gesagt wird: „Den
meisten Kindern in Deutschland geht es gut. Die Kin-
dersterblichkeit ist eine der niedrigsten weltweit.
Praktisch alle Kinder gehen zur Schule. Viele haben
Lernmöglichkeiten und Freizeitangebote, von denen
ihre Altersgenossen in anderen Ländern nur träu-

men.“ Bis hierhin ein erfreulich positives Bild, so wie
ich es mir für das Land, in dem ich lebe, wünsche.
Dann aber folgt der kurze Satz: „Aber es gibt noch ein
anderes Bild von Kindheit in Deutschland. Besonders
schwierig ist die Situation für Kinder, die als Flücht-
linge in Deutschland leben. Flüchtlinge ohne gesicher-
ten Aufenthaltsstatus haben nur eingeschränkt Zugang
zu ärztlicher Behandlung. … Schon 16-Jährige werden
wie Erwachsene behandelt.“

Die Kinderrechtskonvention gebietet, alle Kinder
gleich zu behandeln, egal ob sie aus einem anderen
Land stammen, eine andere Sprache sprechen, Eltern
haben, die anders denken und an einen anderen Gott
glauben als die meisten von uns, oder keine Eltern
mehr haben. Egal was es zu entscheiden gibt: Das
Recht des Kindes muss an erster und oberster Stelle
stehen. Es muss der Maßstab sein.

Bei uns tritt die Volljährigkeit mit 18 Jahren ein.
Erst dann ist man voll geschäftsfähig. Wir wissen alle,
dass es die Kinderrechtskonvention Ländern möglich
macht, von dieser Regelung abzuweichen und Ausnah-
men zu statuieren. So setzt bislang die Verfahrensfä-
higkeit im deutschen Asylverfahren bereits mit 16 Jah-
ren ein. Der jugendliche Flüchtling wird ausgerechnet
im Asylverfahren, einem Verfahren, das entscheidend
für sein weiteres Leben ist, behandelt wie ein Erwach-
sener; er wird nicht mehr geschützt wie ein Kind.

Wir wollen daher die Einführung der Verfahrensfä-
higkeit für Flüchtlinge schon mit 16 Jahren endgültig
abschaffen. Denn genau wie es die Konvention gebie-
tet, steht für meine Fraktion das Wohl des Kindes an
erster Stelle; es ist die Messlatte, an der wir unsere
Entscheidungen und Handlungen zu orientieren ha-
ben.

Daher können wir auch keinen Argumentationen
folgen, die gelegentlich aus den Reihen der CDU/
CSU-Fraktion zu hören sind, wonach darauf verwie-
sen wird, dass allein die Tatsache, minderjährig zu
sein, kein Recht auf Einwanderung liefern dürfe und
man einem offensichtlichen Missbrauch des Asylrechts
gerade hier deutlich entgegentreten müsse.

Wir wollen eine durchweg am Kindeswohl orien-
tierte Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrations-
politik, die mit Taten zeigt, dass wir es ernst meinen
und es nicht bei bloßer Symbolpolitik belassen. Aus
diesem Grund schlagen wir mit dem vorliegenden Ge-
setz die Anhebung der Verfahrensfähigkeit im Asylver-
fahren auf 18 Jahre vor. Unbegleitete Minderjährige
sollen grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des
Flughafenverfahrens herausgenommen werden.

Entsprechend der Kinderrechtskonvention müssen
Jugendliche und Kinder kindgerecht untergebracht
werden. Zwar ist die Inobhutnahme schon jetzt die ei-
gentlich notwendige Unterbringung von Jugendlichen.
In der Praxis wird dies allerdings immer wieder unter-
laufen, und minderjährige Flüchtlinge werden in asyl-
rechtlichen Aufnahmeeinrichtungen oder Gemein-
schaftsunterkünften untergebracht. Zum Wohle der

Zu Protokoll gegebene Reden





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)


Jugendlichen wollen wir hier eine gesetzliche Klar-
stellung. Ebenso wollen wir die Klarstellung, dass je-
dem minderjährigen Jugendlichen im Asylverfahren
ein Vormund zur Seite zu stellen ist.

Deutschland soll ein Land werden, in dem alle Kin-
der gut leben können. Auch Flüchtlingskinder. Für
diese Kinder bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetz.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Grundsätzlich ist es ein ehrenwertes Anliegen, die

Situation von minderjährigen Flüchtlingen in den
Blick zu nehmen. Auch einzelne Vorschläge des SPD-
Gesetzentwurfs sind aus unserer Sicht durchaus disku-
tabel. Aber warum macht die SPD den Gesetzentwurf
ausgerechnet jetzt? Die SPD hat elf Jahre im Bund
mitregiert und nichts in diesem Bereich geschafft. Aber
in der Opposition will sie allen zeigen, wo es langgeht.
Zudem ist zu sagen, dass vieles bereits von den Län-
dern gemacht werden könnte. Da könnte die SPD sel-
ber viel von dem gestalten, was sie hier im Bundestag
vorträgt – wenn sie es denn ernsthaft wollte. Ob etwa
eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ab-
träglich sein kann, können die Länder sich überlegen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich hier offenbar
nicht mit ihren Landesregierungen abgestimmt. Von
dort würden wohl eher kritische Töne kommen. Inso-
fern ist der Gesetzentwurf eher ein billiger, aber wenig
überzeugender Anbiederungsversuch an die entspre-
chenden Interessengruppen.

Die Autoren des Gesetzentwurfes geben vor, die Si-
tuation Minderjähriger im Aufenthalts- und Auslän-
derrecht verbessern zu wollen. Die Anhörung dazu am
15. April im Innenausschuss hat gezeigt, dass dieses
Ziel verfehlt wird. Der Gesetzentwurf versucht durch
den konkreten Bezug auf das Kindeswohl in bestimm-
ten Regelungen diesem mehr Gewicht zu verleihen.
Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Denn das Kin-
deswohl ist aufgrund der Kinderrechtskonvention im-
mer und in allen Rechtsbereichen vorrangig zu berück-
sichtigen. Die explizite Nennung an bestimmten Stellen
würde nur dazu führen, dass man sich an anderen Stel-
len, wo das Kindeswohl nicht explizit genannt würde,
fragen müsste, ob es dort nicht geschützt werden muss.
Das wollen wir nicht.

Die SPD behauptet, dass die Änderungen wegen der
Rücknahme des Vorbehalts zur Kinderrechtskonven-
tion durch die Bundesregierung erforderlich seien. Al-
lerdings lässt die Konvention, wie bei internationalen
Vereinbarungen üblich, einen großen Umsetzungs-
spielraum; davon konkrete Änderungen im deutschen
Ausländerrecht abzuleiten, ist nicht möglich. Insbe-
sondere wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die
Verfahrensfähigkeit von 16 auf 18 Jahre anzuheben.
Politisch mag das ja wünschenswert sein, aber die
Konvention gebietet es nicht. Stehen Sie doch einfach
dazu, dass Sie bestimmte Dinge für politisch richtig
halten; dafür müssen Sie nicht auf internationale
Übereinkommen verweisen, die das nicht hergeben.

Die Sachverständigen haben überdies darauf hinge-
wiesen, dass der Gesetzentwurf zur Unzeit kommt. Ge-
genwärtig wird das europäische Asylpaket endabge-
stimmt. Dort finden sich viele Regelungen, die gerade
auf diesen Bereich Einfluss haben werden. Der abseh-
bare Abschluss der Verhandlungen sollte abgewartet
werden, um dann alle Änderungen in einem Ände-
rungsverfahren abzuhandeln.

Im Unterschied zu elf Jahren SPD haben die bald
vier Jahre Regierungsbeteiligung der FDP sehr viel
mehr bewirkt – gerade auch im Bereich des humanitä-
ren Ausländerrechts. Gerade im Bereich der Auslän-
der- und Integrationspolitik können wir selbstbewusst
feststellen: Es waren vier gute Jahre für Deutschland.
Wir haben in diesen Jahren geschafft, wo die SPD in
ihrer Regierungszeit versagt hat. Wir haben dafür ge-
sorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinie-
numsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen
Platz im Ausländerrecht erhält.

Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue In-
tegrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir nutzen die
Chancen der Zuwanderung für unser Land besser und
stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer
bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern gehö-
ren zusammen. Wir haben die Residenzpflicht für Ge-
duldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Auf-
nahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu
erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jun-
gen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen
und sich in unserer Gesellschaft weiter zu entwickeln.

Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Per-
spektiven für Menschen, die in unser Land gekommen
sind. Multikultiromantik oder Desintegration durch
Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus
FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen
bestehende Defizite der Integrationspolitik an.

Es gilt, die Möglichkeiten der Zuwanderung für un-
ser Land besser zu nutzen. Mit unseren bisherigen Ge-
setzesintiativen wurden in ausgewogener Weise Maß-
nahmen zur Förderung der Integration und zur
humanitären Besserstellung von Ausländern, die in
Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir
haben erstmals für minderjährige und heranwach-
sende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht
der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundes-
gesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hatte das
nicht zustande gebracht.

Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungs-
steuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als
die SPD in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbe-
teiligung. Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat
wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch
den Opfern von Zwangsverheiratungen eine Perspek-
tive mit einem eigenständiges Wiederkehr- bzw. Rück-
kehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich
zu befreien. Dem dient auch die Verlängerung der An-
tragsfrist für die Aufhebung der Ehe.

Zu Protokoll gegebene Reden





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen,
ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrations-
kursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können
die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Inte-
grationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chan-
cen für Menschen, die nach Deutschland kommen,
auch in Deutschland wirklich anzukommen und sich
eine Existenz aufzubauen.

Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert
tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in
Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven. Wir för-
dern und fordern. So kommt Deutschland – und alle,
die hier leben wollen – voran. Der Schlüssel für gesell-
schaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integra-
tion. Wir stellen die Weichen dafür.

Wünsche der SPD, etwa Zurückweisungen an der
Grenze oder das Flughafenverfahren generell auszu-
schließen, sind von solcher Art, wie sie die SPD selbst
in ihrer Regierungszeit nie auch nur versucht hat. Si-
cherlich ist die SPD einverstanden, dass wir deshalb
solche Vorschläge, denen näherzutreten sie selbst in
Regierungszeiten nicht geneigt war, jedenfalls nicht
wegen ihrer jetzigen Anträge, nicht zu unseren Haupt-
prioritäten bei der Diskussion um besseren Flücht-
lingsschutz machen.

Die FDP bleibt dabei: Unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge müssen ihren Bedürfnissen entsprechend
behandelt werden. Ihre Schutzbedürfnisse sind unbe-
dingt zu beachten. Für uns gehört dazu auch das Recht
auf Bildung. Das Kindeswohl muss im Zentrum stehen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724036400

Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD fordert im

Kern, den Vorrang des Kindeswohls in allem behördli-
chen Handeln gesetzlich zu verankern. Dies ist eine
der zentralen Forderungen aus der UN-Kinderrechts-
konvention, die Deutschland ratifiziert hat. Der Vor-
rang des Kindeswohls soll nach dem Willen der SPD
nun auch ausdrücklich im Aufenthalts- und Asylver-
fahrensgesetz verankert werden. Die „Verfahrensmün-
digkeit“ im Asyl- und Aufenthaltsrecht bereits ab
16 Jahren soll zurückgenommen werden.

Die Verfahrensmündigkeit ab 16 Jahren führt heute
dazu, dass selbst unbegleitete minderjährige Flücht-
linge im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt
werden. Zurückweisungen an den Grenzen sollen bei
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ebenso
verboten sein wie die Durchführung eines Asyl-Flug-
hafenverfahrens oder die Unterbringung in Asyl-Erst-
aufnahmeeinrichtungen. Um die Jugendlichen optimal
zu begleiten, sollen in jedem Fall sofort die Jugendäm-
ter eingeschaltet werden, um sich um Fragen der Un-
terbringung und Betreuung zu kümmern. Das betrifft
auch die Bestellung eines Vormundes, der die Jugend-
lichen dann auch in allen asyl- und aufenthaltsrechtli-
chen Fragen vertreten kann.

Diese Forderungen entsprechen im Wesentlichen
dem, was auch die Linke in zwei Anträgen in dieser
Wahlperiode bereits gefordert hat. Auch die Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen
kritisieren regelmäßig den Umgang mit unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland und for-
dern deutliche Verbesserungen. Der Vorbehalt gegen
die UN-Kinderrechtskonvention, mit dem die Bundes-
republik über Jahre hinweg verhindert hat, dass diese
wichtige Konvention auch für ausländische Kinder in
Deutschland gilt, wurde zwar zurückgenommen. Ge-
ändert hat sich an der prekären Lage der unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jah-
ren aber nichts.

In einer Anhörung des Innenausschusses zu diesem
Gesetzentwurf wurde von den Sachverständigen der
Regierungskoalition die Ansicht vertreten, eine eigene
Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutsch-
land sei überflüssig. Sie erfolge bereits auf dem Um-
weg über die EU, die in der Neufassung der Auf-
nahme- und der Asylverfahrensrichtlinie auch die
UN-Kinderrechtskonvention beachte. Deshalb sei die
Konvention in Deutschland gar nicht mehr eigenstän-
dig umzusetzen, dies geschehe automatisch durch die
EU-Asyl-Richtlinien und die Rechtsprechung des
EuGH.

Diese Argumentation ist dürftig. Nichts hindert ja
den deutschen Gesetzgeber daran, im Vergleich zu den
EU-Asyl-Richtlinien günstigere Regelungen zu be-
schließen. Im Gegenteil: Wenn die Asyl-Richtlinien
nach Ansicht des Bundestages kein ausreichendes
Schutzniveau für minderjährige Flüchtlinge vorsehen,
dann besteht geradezu die Pflicht, günstigere Regelun-
gen zu beschließen. Da nach unseren Kenntnissen kein
anderer EU-Staat solch eine absurde Regelung zur
Asylverfahrensmündigkeit kennt, enthält die Neufas-
sung der EU-Asylverfahrensrichtlinie dazu nach dem
derzeitigen Verhandlungsstand auch nichts. Außerdem
erfolgt die Umsetzung der Richtlinien erst in ein bis
zwei Jahren; die unbegleiteten Minderjährigen sind
aber jetzt in der Bundesrepublik und brauchen Schutz
und Unterstützung.

Wir werden dem Antrag der SPD deshalb zustim-
men.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bündnis 90/Die Grünen haben sich stets für eine
vorbehaltslose Umsetzung der UN-Kinderrechts-
konvention eingesetzt und dies auch in mehreren par-
lamentarischen Initiativen zum Ausdruck gebracht.

Nach der Rücknahme des deutschen Vorbehalts
müssen nun auch die bundesrechtlichen Konsequenzen
durch Gesetzesanpassungen insbesondere im Aufent-
halts- und Asylverfahrensgesetz gezogen werden.

Die Rechtsauffassung des Bundesinnenministe-
riums und des Bundesjustizministeriums, aus der
Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung ergäbe

Zu Protokoll gegebene Reden





Josef Philip Winkler


(A) (C)



(D)(B)



(insbesondere mit Blick auf das Asylund Aufenthaltsrecht)

fern nicht nachzuvollziehen, als dann völlig unver-
ständlich ist, warum die Bundesregierung seit
18 Jahren mit allen Mitteln versucht hat, die Rück-
nahme einer angeblich völlig folgenlosen Vorbehalts-
erklärung zu verhindern.

Denn es trifft nicht zu, dass ausländischen Kindern
schon heute alle sich aus der UN-Kinderrechtskonven-
tion tatsächlich ergebenden Rechte gewährt werden.
Auch wenn einzelne Regelungen der Verwaltungspra-
xis Spielräume bieten, ist der Gesetzgeber trotzdem
selbst gefordert. Andernfalls besteht die Gefahr unein-
heitlicher Standards innerhalb Deutschlands.

Dies gilt insbesondere für die zentrale Frage der
Handlungsfähigkeit von Minderjährigen. Obwohl nach
der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 1) die Kindheit
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres andauert,
werden ausländische Kinder bereits ab dem 16. Le-
bensjahr in allen ausländerrechtlichen Verfahren, ein-
schließlich des Asylverfahrens, wie Erwachsene be-
handelt.

Der SPD-Gesetzentwurf greift diese zentrale Forde-
rung auf, und verankert erfreulicherweise im vorlie-
genden Gesetzentwurf das Prinzip des Kindeswohls als
vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt.

Allerdings gibt es auch Unstimmigkeiten im Gesetz-
entwurf der SPD, die in der Sachverständigenanhö-
rung des Innenausschuss auch deutlich zur Sprache
kamen:

Insbesondere das Kompetenzverhältnis der Auslän-
derbehörden und der Jugendämter sind im Gesetzent-
wurf der SPD in Richtung Ausländerbehörden bzw.
Ordnungspolitik geregelt. Dies spielt zum Beispiel eine
bedeutende Rolle beim Thema „Altersfeststellung“.
Da soll laut SPD das Jugendamt hinzugezogen wer-
den, wenn es „strittige Fälle“ gibt. Im Sinne des Kin-
deswohles wäre aber die umgekehrte Vorgehensweise
sinnvoller, nämlich dass immer das Jugendamt in die-
sen Verfahren der Altersfeststellung die Federführung
hat.

Beim Thema „Flughafenasylverfahren“ schlägt die
SPD vor, unbegleitete Minderjährige von diesem
Schnellverfahren auszunehmen, dass im Flughafen-
transit unter Bedingungen der Kasernierung durch-
geführt wird. Dies begrüßen wir, wenngleich die For-
derung hinter der grünen Initiative zurückbleibt, die
eine vollständige Abschaffung des Flughafenverfah-
rens vorsieht.

Eine Klarstellung sieht der SPD-Gesetzentwurf im
Bereich der Inobhutnahme von minderjährigen Flücht-
lingen vor. So müsste schon heute eine Inobhutnahme
flächendeckend erfolgen – also eine jugendgerechte
Unterbringung statt einer in Gemeinschaftsunterkünf-
ten mit Erwachsenen – ebenso wie die Bestellung eines
Vormundes. Da diese Vorgaben in der Praxis immer

wieder unterlaufen werden, ist eine solche Klarstel-
lung hilfreich.

Andere dringend notwendige Verbesserungen für
Flüchtlingskinder werden allerdings durch den Ge-
setzentwurf der SPD nicht erreicht: Minderjährige
Asylsuchende sollten nicht länger aufgrund der EU-
Zuständigkeitsverordnung Dublin II in Abschiebungs-
haft genommen und in andere EU-Länder zurückge-
schoben werden. Die Rückschiebung von Minderjähri-
gen widerspricht dem Kindeswohl.

Der Gesetzentwurf sieht ebenfalls keine Verbesse-
rung hinsichtlich der strukturellen Benachteiligung
von jungen Flüchtlingen durch das Asylbewerberleis-
tungsgesetz vor. Die durch das benannte Gesetz vollzo-
gene Schlechter-Behandlung steht im Widerspruch zu
Art. 2 der Kinderrechtskonvention, dem Verbot der
Diskriminierung.

Aus den genannten Gründen werden wir uns bei der
Abstimmung enthalten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724036500

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/13315, den Gesetzentwurf der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/9187 abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind Sozialdemokraten und
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitions-
fraktionen. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Bundesförderung der Investitionen in
den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen
nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schie-
nengüterfernverkehrsnetz

– Drucksache 17/13021 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13494 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Stephan Kühn

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/13495 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Sven-Christian Kindler





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1724036600

Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs zur Investi-

tionsförderung in den Ersatz der Schienenwege der öf-
fentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen ließ sich
die Bundesregierung von der Erkenntnis leiten, auf
den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach
Güterfernverkehrsleistungen in Deutschland und Eu-
ropa umweltgerecht zu reagieren, die öffentlichen
nicht bundeseigenen Schienenwege zu stärken und sie
langfristig für den Schienengüterfernverkehr zu er-
tüchtigen und zu sichern. Damit wird ein weiteres
wichtiges verkehrspolitisches Projekt dieser Koalition
auf den Weg gebracht.

Wir haben das Gesetz so einfach wie möglich ge-
staltet. Auf diese Weise sind eine Förderrichtlinie oder
eine Verordnung entbehrlich. Das macht die Umset-
zung wesentlich einfacher. Die Vorschläge der Länder
wurden weitestgehend übernommen.

Ziel des Gesetzes ist die Einbindung einer sicheren
und nutzungsfähigen Schieneninfrastruktur der nicht
bundeseigenen Güterbahnen – mit 4 300 Kilometer be-
trägt der Anteil der NE-Bahnen immerhin circa
11 Prozent des Schienennetzes – in das gesamte Schie-
nengüterverkehrsnetz. Wir schaffen damit einen zu-
sätzlichen infrastrukturellen Baustein, um den bedeut-
samen volkswirtschaftlichen und ökologischen
Schienengüterverkehr zu stärken. Damit werden wir
nicht nur die Leistungsfähigkeit der NE-Bahnen erhö-
hen, sondern einen positiven Effekt im Gesamtschie-
nennetz erreichen.

Das Gesetz regelt, dass die zur Verfügung gestellten
Mittel für das Streckennetz der nicht bundeseigenen
Güterbahnen zweckgebunden verwendet werden sol-
len. Außerdem wird festgelegt, dass die geförderten
Bahnstrecken auch von anderen Schienenverkehren
genutzt werden können. Auch damit stärken wir den
Wettbewerb auf der Schiene.

Zu berücksichtigen ist der Netzgedanke, welcher
voraussetzt, dass die zur Förderung vorgesehenen
Schienenwege der nicht bundeseigenen Eisenbahnen
bestimmte Leistungsparameter aufweisen müssen.
Orientiert hat sich die Bundesregierung dabei sowohl
an den Leistungsparametern, die die Schienenwege
der bundeseigenen Eisenbahnen im Kernschienenwe-
genetz erfüllen, als auch an den Leistungsparametern
der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für den Schie-
nengüterfernverkehr genutzten Schienenwege.

Positiv hervorheben möchte ich an dieser Stelle,
dass im Zuge der parlamentarischen Beratung einige
dieser Leistungsparameter verändert und praxistaug-
licher gestaltet wurden. Es wurde dabei berücksichtigt,
dass es sich bei den NE-Infrastrukturen mehrheitlich
um Nebenstrecken mit niedrigen Belastungskennwer-
ten handelt. Deshalb wurde die Regelgeschwindigkeit
auf 30 Stundenkilometer gesenkt, um zu vermeiden,

dass von vornherein zu viele NE-Infrastrukturbetrei-
ber ausgeschlossen werden. Ebenso ging es mit der
durchgängig zulässigen Radsatzlast, die von 22,5 Ton-
nen auf 20 Tonnen gesenkt wurde. Auch das Fahrzeug-
gewicht wurde je Längeneinheit von 8 Tonnen auf
6,4 Tonnen pro Meter herabgesetzt.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir mit die-
sem Gesetzentwurf ein neues Fördergebiet beschrei-
ten, das bislang in erster Linie den Ländern und den
Kommunen vorbehalten ist. Deshalb ist es sinnvoll und
richtig, dass das Eisenbahn-Bundesamt als ausgewie-
sene Fachbehörde für die Bewilligung der Anträge zu-
ständig ist und die Zuwendungsbescheide erstellt.

Mit diesem Gesetz wird der Verkehrsträger Schiene
wesentlich gestärkt. Es wird dazu führen, dass die vor-
handenen Schienenwege der öffentlichen nicht bun-
deseigenen Eisenbahnen sinnvoll und dauerhaft das
bestehende Netz der Eisenbahninfrastrukturunterneh-
men des Bundes durch die Sicherstellung von Redun-
danzen ergänzen, die Beförderung über den gesamten
Transportweg sicherstellen und dabei helfen, den Stan-
dardschienengüterfernverkehr in Deutschland zu ver-
bessern.

Die NE-Bahnen werden in ein schlüssiges Gesamt-
konzept unseres Schienennetzes eingebunden. Profi-
teure sind nicht nur die Umwelt aufgrund des vermehr-
ten umweltfreundlichen Einsatzes der Bahn, sondern
auch unsere Wirtschaft, die in Zukunft auf ein verbes-
sertes und vergrößertes Schienennetz zurückgreifen
kann.


Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1724036700

Am Ende der Legislatur beginnt die Regierungsko-

alition ihre selbstgesteckten Ziele im Koalitionsvertrag
umzusetzen, und damit meine ich nicht Geschenke an
Hoteliers oder Ähnliches. Das soll heute aber nicht
das Thema sein, sondern es geht um grundsätzliche
Bestandteile unserer Volkswirtschaft, nämlich die In-
frastruktur. Der Ausbau und Erhalt des Schienennetzes
ist dabei wesentlicher Bestandteil. Nur so können die
einzelnen Verkehrsträger ideal miteinander verknüpft,
ein nachhaltiges Angebot im Personen-und Güterver-
kehr geschaffen und die Umwelt geschont werden.
Denn eines müssen wir uns deutlich vor Augen führen:
Nur wenn der Verkehrsträger Schiene gestärkt wird,
kann der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich reduziert
und ein umweltfreundlicher Personen- und Güterver-
kehr realisiert werden. Schienenpolitik in Deutschland
hat einen volkswirtschaftlichen Auftrag und muss nach
betriebswirtschaftlichen Kriterien bemessen werden.
Aus diesem Grund muss auch die Förderung von nicht-
bundeseigener Infrastruktur in das Gesamtkonzept des
Schienennetzes mit eingebunden werden. Der Grund-
stein ist nun mit der 2. und 3. Lesung zum „Gesetz über
die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz
der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseige-
nen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“
gelegt.

Zu Protokoll gegebene Reden





Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)


Wie bereits bei der 1. Lesung bin ich nahezu ver-
sucht, die Bundesregierung für den Gesetzentwurf zu
loben. Jedoch kann ich es nicht nachvollziehen, warum
die durch das Gesetz bereitgestellten 25 Millionen
Euro an anderer Stelle der Schiene wieder entzogen
werden. Es müssen vielmehr nicht bundeseigene Stre-
cken als Teil einer Netzstrategie mit eingebunden wer-
den. Als SPD-Bundestagsfraktion ist für uns daher der
Erhalt und Ausbau nicht bundeseigener Bahnstrecken,
die in einer Gesamtnetzplanung eine relevante Rolle
spielen werden, wesentlich. Wir sehen hier den Bund in
einer Finanzierungspflicht. Das heißt konkret: Bereit-
stellung von zusätzlichen Mitteln statt Umschichtung.

Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Nicht bun-
deseigene Infrastrukturunternehmen bewirtschaften
heute nach Aussagen des VDV mehr als 10 Prozent der
deutschen Schienenwege. Allein im Freistaat Bayern
werden sieben Strecken für den Schienengüterverkehr
von nicht bundeseigenen Eisenbahnen betrieben, zwei
weitere sind in Planung.

Neben der Kritik, die an der Bahn- und Schienenin-
frastrukturpolitik der Bundesregierung anzubringen
ist, will ich den parlamentarischen Diskussionsprozess
im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beim „Gesetz
über die Bundesförderung der Investitionen in den
Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bun-
deseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernver-
kehrsnetz“ ausdrücklich lobend erwähnen. Die Regie-
rungskoalition und die Bundesregierung haben sich
sehr offen für Anregungen und Kritikpunkte gezeigt.

So konnte der Begriff des Schienengüterfernver-
kehrs im § 1 Abs. 3 durch eine Stellungnahme der Bun-
desregierung im Gesetzgebungsprozess klar definiert
werden. Abgeleitet ist der Begriff nach der Definition
vom Schienenpersonennahverkehr gemäß § 2 Abs. 5
Satz 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Konkreti-
siert wurde nun, dass damit nicht die Schienenwegein-
frastruktur gemeint ist, sondern die Distanz, die durch
die Eisenbahn zurückgelegt wird. Das heißt es wird die
Gesamtbeförderungsweite zugrunde gelegt.

Auch konnte in § 1 Abs. 4 Nr. 1 die Angabe von
„40 Kilometern pro Stunde“ auf „30 Kilometer pro
Stunde“ abgesenkt werden. Antragsteller für eine För-
derung von Schienenwegen im Bereich der öffentli-
chen nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schie-
nengüterfernverkehr, bei denen aufgrund von
notwendigen Investitionen in die Schieneninstandhal-
tung Langsamfahrabschnitte bestehen und daher nur
eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 30 Kilo-
metern pro Stunde erreicht werden kann, werden nun
nicht ausgeschlossen.

Ebenfalls positiv anzuführen ist, dass durch die For-
mulierung in § 1 Abs. 4 Nr. 4 „in dem letzten Jahr von
Antragsstellung“ die Möglichkeiten für eine Förde-
rung für die Infrastrukturbetreiber weiter geöffnet
worden sind.

Die Abfassung des § 1 Satz 3 umfasst nun Service-
einrichtungen nach § 2 Abs. 3 c Nr. 4 bis 6 und 8 des

Allgemeinen Eisenbahngesetzes, womit Rangierbahn-
höfe, Zugbildungseinrichtungen, Abstellgleise und Hä-
fen mit von der Förderfähigkeit eingeschlossen sind.

Gleisanlagen der See- und Binnenhäfen sowie der
Großteil der übrigen Serviceeinrichtungen machen
rund 1 800 Kilometer Gleiskilometer aus. Hinzu kom-
men noch die rund 4 000 Kilometer für weitere nicht
bundeseigene Schieneninfrastruktur. Somit sprechen
wir von rund 5 800 Kilometern Schienenkilometern,
die unter bestimmten Voraussetzungen förderfähig
sind.

Wie bereits zu Beginn erwähnt, muss die nicht bun-
deseigene Infrastruktur in das gesamte Schienennetz
mit eingebunden werden. Die SPD-Bundestagsfraktion
stimmt dem Gesetzentwurf und dem vorliegenden Än-
derungsantrag zu, verweist aber deutlich auf den nöti-
gen Bedarf einer Fortschreibung und Anstieg der Mit-
tel für den Bereich der nicht bundeseigenen
öffentlichen Eisenbahnen. Gemeinsam wollen wir eine
starke, international konkurrenzfähige und vor allem
für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie unsere
Volkswirtschaft erstklassige Schieneninfrastruktur.
Denn eines darf in dieser Debatte auch nie vergessen
werden: Eine gut funktionierende und flächendeckende
Schieneninfrastruktur generiert Arbeitsplätze – sei es
durch Angebote im Personen- und Schienengüterver-
kehr oder sei es bei den Infrastrukturunternehmen
selbst.


Werner Simmling (FDP):
Rede ID: ID1724036800

Mittels dieses Gesetzes wird ein weiterer Beitrag re-

alisiert, der die Verlagerung von Güterfernverkehrs-
leistungen von der Straße auf die Schiene ermöglicht.
Die finanzielle Förderung der Schienenwege öffentli-
cher nicht bundeseigener Eisenbahnen durch Bundes-
mittel wird mit dem Gesetz über die Bundesförderung
der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der
öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im
Schienengüterfernverkehr auf rechtlich solide Beine
gestellt.

Durch die Umsetzung dieses Vorhabens aus dem
Koalitionsvertrag gelingt es, Redundanzen und zusätz-
liche Kapazitäten für den anwachsenden Schienengü-
terfernverkehr zu schaffen und dabei den Güterverkehr
gleichzeitig umweltschonend auf der Schiene zu ge-
stalten.

Der Verkehrsträger Schiene wird in seiner Bedeu-
tung weiter gestärkt. Die öffentlichen nicht bundesei-
genen Eisenbahnen können jetzt in das Schienengüter-
verkehrsnetz eingebunden werden.

Hierbei haben wir die Besonderheiten dieser Eisen-
bahnen im Laufe der parlamentarischen Beratungen
bei der Definition der Voraussetzungen für die finan-
zielle Förderung ihres Schienennetzes berücksichtigt.
Das gilt beispielsweise im technischen Bereich in Be-
zug auf Radsatzlast und Schienengeschwindigkeit der
Güterzüge ebenso wie für die Tatsache, dass die Schie-

Zu Protokoll gegebene Reden





Werner Simmling


(A) (C)



(D)(B)


nennetze dieser Bahnen nicht nur vom Güterverkehr
genutzt werden.

Dieses Gesetz trägt damit dazu bei, dass das Schie-
nennetz der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisen-
bahnen das gesamte Schienennetz mittels Lücken-
schlüssen und zusätzlichen Erweiterungen sinnvoll
ergänzt.

Mit diesem Gesetz werden die Grundlagen für ein
sicheres und modernes Schienennetz für den Güter-
fernverkehr verbessert. Da damit insgesamt die infra-
strukturellen Voraussetzungen für den Wettbewerb im
europäischen Schienenfernverkehr optimiert werden
und ein weiterer Beitrag zur Ertüchtigung des deutsch-
landweiten Schienennetzes geleistet wird, stimmt die
FDP-Fraktion diesem Gesetzentwurf zu.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724036900

Im Bundeshaushalt 2013 wurden Mittel in Höhe von

25 Millionen Euro eingestellt, um Investitionen in die
öffentlichen, nicht in Bundeseigentum befindlichen
Schienenwege zu ermöglichen. Für solche Investitio-
nen, die bisher nicht möglich waren – der Bund konnte
nur in bundeseigene Schienenwege investieren –, wer-
den jetzt die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Die
Fraktion die Linke begrüßt dies; ich habe das bereits
in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung dieses
Gesetzentwurfs deutlich gemacht. Vor dem Hinter-
grund der Stellungnahme des Bundesrates vom
22. März 2013 und der Gegenäußerung der Bundesre-
gierung und der bisher erkennbaren Positionierungen
der anderen Parteien scheint dieses Gesetz damit be-
schlossen zu werden. Das ist zunächst auch gut so. Tat-
sächlich gibt es in Deutschland nicht nur 33 505 Kilo-
meter Bahnnetz der DB AG bzw. von DB Netz – und
damit in Bundeseigentum befindlich –, sondern auch
viele kleinere, überwiegend öffentliche Bahnen mit ei-
genen Netzen, die zusammengenommen so klein nicht
sind: Mit immerhin 4 300 Kilometern machen sie gut
11 Prozent des gesamten Schienennetzes aus. Die Ver-
kehrsleistung, die diese Bahnen erbringen, hat in den
letzten Jahren erfreulicherweise stark zugenommen.

Wir alle wissen: Es muss mehr Verkehr von der
Straße und aus der Luft auf die Schiene verlagert wer-
den, und dafür muss unser Bahnnetz an vielen Stellen
ausgebaut werden. Gerade die nicht bundeseigenen
Bahnen könnten wichtige zusätzliche Trassen bieten.
Daher ist es aus Sicht der Bundestagsfraktion Die
Linke überfällig, diesen Bahnen ebenfalls Mittel für
Ersatzinvestitionen in ihre Infrastruktur zur Verfügung
zu stellen. Diese Gelder können dabei helfen, Bahnka-
pazität auszubauen und damit mehr Güter- und teil-
weise auch mehr Personenverkehr abzuwickeln.

Dies kann aus unserer Sicht aber nur ein kleiner
Schritt beim Ausbau der Bahn für einen zukünftig
wachsenden Bahnverkehr sein: An vielen Stellen im
deutschen Bahnnetz gibt es schon jetzt erhebliche Eng-
pässe. Diese führen dazu, dass die Verlagerung von
Verkehr auf die Schiene überhaupt nicht in dem Maße
möglich ist, wie wir uns dies wünschen würden. Zu die-

sen Kapazitätsengpässen haben beispielsweise Stre-
ckenstilllegungen und der Abbau von Überholgleisen
beigetragen, die ganz besonders im Hinblick auf den
geplanten Bahnbörsengang vorangetrieben worden
sind. Hier müssen also viele Fehler aus der Vergan-
genheit wiedergutgemacht werden.

Der hier zu beschließende Gesetzentwurf ist nur ein
Schritt in die richtige Richtung. Die Länge des Schie-
nennetzes reduziert sich weiter von Jahr zu Jahr. Kon-
kret in Zahlen: Die Betriebslänge des bundeseigenen
Schienennetzes lag 1994 bei 40 385 Kilometern; 2010
waren es noch 33 723 Kilometer. Selbst 2011 waren es
rund 340 Kilometer weniger als im Vorjahr, nämlich
33 378 Kilometer. Auch wird die bundeseigene Schie-
neninfrastruktur von Jahr zu Jahr älter – und damit
anfälliger. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ge-
setzentwurf hinsichtlich Investitionen im NE-Schienen-
netz einigermaßen unzureichend und die Begründung,
man wolle das Schienennetz ausbauen, wie pure Au-
genwischerei.

Auch bitte ich, das Augenmerk auf das Folgende zu
richten: Oft sind es eher kleine Maßnahmen wie ein zu-
sätzliches Überholgleis oder ein neues Stellwerk, die
im Bahnbetrieb tatsächlich einen großen Nutzen ent-
falten könnten, die aber nur schleppend umgesetzt
werden. Oder es könnten stillgelegte Strecken mit ei-
nem vertretbaren Aufwand reaktiviert werden, und Un-
ternehmen könnten ihre Gleisanschlüsse zurückerhal-
ten, die die DB AG ihnen in den letzten Jahren radikal
gekappt hat. Auch hierfür konkrete Zahlen: Es gab
1994 noch 11 742 Privatgleisanschlüsse; 2010 waren
es nur noch 8 029. Das heißt: Es gab hier einen Abbau
von 31 Prozent.

Statt solche kleinen Investitionen zu tätigen und
große Sünden der Vergangenheit mit eher wenig Geld
wiedergutzumachen, werden immer wieder milliarden-
teure Neubaustrecken geplant und gebaut, die oft einen
sehr zweifelhaften Nutzen haben. Ich erinnere nur an
die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm oder die Neu-
baustrecke durch den Thüringer Wald. Diese Schnell-
strecken dienen nur einem kleinen Teil der Reisenden
und sind für den Güterverkehr meist sogar komplett
nutzlos, auch wenn in den Nutzen-Kosten-Berechnun-
gen immer wieder angenommen wird, dass diese Stre-
cken auch vom Güterverkehr genutzt würden, was
dann jedoch nicht geschieht. Andere, viel wichtigere
Ausbauprojekte wie die Rheinschiene kommen statt-
dessen nur langsam voran, obwohl sie tatsächlich die
Netzkapazitäten an entscheidenden Punkten erhöhen
und nicht zuletzt auch Entlastungen für die Anwohne-
rinnen und Anwohner schaffen würden.

Außerdem muss auch der Rückzug der Bahn aus
dem Güterverkehr auf kurzen und mittleren Entfernun-
gen – unter 300 Kilometer – und aus dem Einzelwa-
genverkehr rückgängig gemacht werden. Mit der Fo-
kussierung der DB AG auf Ganzzüge über große
Entfernungen überlässt die Bahn ganze Transportseg-
mente dem Straßengüterverkehr. Stattdessen muss das
Gegenteil passieren: Die Bahn muss auch auf kurzen

Zu Protokoll gegebene Reden





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)


Entfernungen und für kleinere Einheiten wieder ein at-
traktives Angebot bieten. Nur so kann deutlich mehr
Verkehr auf die Schiene kommen.

In diesem Sinne sollten wir durchaus mehr Geld in
die Schieneninfrastruktur investieren – sowohl in die
NE-Bahnen als auch in das bundeseigene Netz. Diese
Investitionen müssen aber sinnvoll sein und sich nicht
nur an der Maxime „schneller, höher, weiter“ orien-
tieren. Außerdem muss der Lärmschutz für die An-
wohnerinnen und Anwohner dabei eine zentrale Rolle
spielen. Wenn wir unseren Verkehr klima- und sozial-
verträglich umgestalten wollen, dann brauchen wir
mehr Bahn und weniger Straße und insbesondere we-
niger Flugverkehr. Dafür müssen wir jetzt die richti-
gen Investitionsentscheidungen treffen, und die stär-
kere Förderung der NE-Bahnen ist dazu immerhin ein
erster Schritt, dem weitere folgen sollten.

Was ich bei diesem Gesetz im Besonderen und bei
der Verkehrspolitik im Allgemeinen komplett vermisse:
Es gibt keinen Generalplan, keine weitsichtige Ge-
samtperspektive. Und wenn es eine solche gibt, dann
sieht die eher fatal und wie folgt aus: Man überlässt
die Verkehrsentwicklung dem globalisierten Markt und
man investiert hinterher: Man baut neue Straßen, neue
Häfen, neue Start- und Landepisten und dann viel-
leicht auch ein paar neue Schienenstrecken.

Bereits der erste Satz in der Gesetzvorlage findet
nicht meine Zustimmung. Dort heißt es:

„Die Schaffung eines europäischen Raums lässt die
Verkehrsleistungen in allen Teilen Deutschlands er-
heblich ansteigen.“

Das ist erstens nicht in vollem Umfang richtig. Im-
merhin sanken die Verkehrsleistungen im gesamten
Güterverkehr im vergangenen Jahr 2012, obgleich es
Wirtschaftswachstum gab. Vor allem aber handelt es
sich dann, wenn es ein solches allgemeines Wachstum
gab, nicht um einen positiv zu wertenden Prozess. So
hat sich ja der Straßenverkehr per Lkw in den letzten
15 Jahren fast verdoppelt, und auch der Schienengü-
terverkehr ist deutlich gestiegen, obgleich der Lebens-
standard nicht mehr stieg und vielfach sogar fiel.
Diese Art Wachstum sehe ich ausgesprochen kritisch.
Hier gibt es eine ständig steigende Transportintensität.
In einer Ware von ein und derselben Qualität stecken
immer mehr Transportkilometer, und zwar solche, die
per Lkw, auf der Schiene und per Luftfracht erbracht
werden. Das Binnenschiff klammere ich mal aus; lei-
der geht hier seit geraumer Zeit sogar die absolute
Verkehrsleistung zurück. Diese Art Wachstum, das vor
allem mit einer aus dem Ruder laufenden Globalisie-
rung zu tun hat, ist abzulehnen. Es basiert auf absurd
gesteigerter internationaler Arbeitsteilung, und es ist
gepaart mit der Zerstörung regionaler Wirtschafts-
strukturen.

Insofern fordert die Fraktion Die Linke: Investitio-
nen in die Schiene – ja. Verlagerung auf die Schiene –
ja. Aber nicht die Verlagerung eines Teils des Wachs-
tums. Sondern die reale Verlagerung eines höchstens

gleichbleibenden Güterverkehrs und perspektivisch ei-
nes wieder reduzierten Güterverkehrs auf Schiene und
Binnenschiffe.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724037000

Ich hatte bereits in meiner ersten Rede gesagt, dass

wir Grünen das Gesetz grundsätzlich begrüßen. An
meiner Einschätzung hat sich im Laufe der Beratung
nichts geändert, aber ich möchte gern die mir wichti-
gen Punkte noch einmal nennen.

Mit dem Gesetz erkennt die Bundesregierung die
sich wandelnden Verhältnisse im Schienengüterver-
kehr endlich an: In den letzten 15 Jahren haben sich
Wettbewerber der Deutschen Bahn ein Viertel des
Marktes erobert und tragen wesentlich zur Verlage-
rung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene
bei. Deswegen ist es konsequent, diese wichtigen
Akteure des Gütertransports beim Bau und Erhalt ih-
rer Infrastruktur zu unterstützen. Die vorgesehenen
25 Millionen Euro müssten aber nach unserer Auffas-
sung – daran hat sich nichts geändert – verdoppelt
werden.

Das Gesetz wurde im Laufe der Beratung verbes-
sert. Hatte es zu Beginn im November 2012 noch ei-
nige Ungenauigkeiten gegeben, konnten diese nach
Stellungnahmen der Verbände und nach der Beratung
im Bundesrat verbessert werden. Damit wurde der
Kreis der nutznießenden Unternehmen ausgeweitet.
Wir müssen jetzt sehen, wie die Mittel von den nicht
bundeseigenen Bahnen genutzt werden. Wichtig bleibt
dabei, dass sich die Nutzung der Gleise und Anlagen in
ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügt. Bei der Mittel-
vergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht ein-
fach nur der Erste das Geld bekommt und losbauen
darf. Wir brauchen sinnvolle Kriterien, nach denen die
Mittel vergeben werden. Es muss darauf ankommen,
wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzielen
kann.

Es ist weiterhin mehr als fraglich, ob das diese Bun-
desregierung leisten kann oder leisten will. Dazu wäre
ein Bundesmobilitätsplan notwendig, der Investitionen
in die Zukunft des Verkehrs zusammen betrachtet und
Wert darauf legt, wie sich unterschiedliche Verkehrs-
träger gegenseitig sinnvoll ergänzen. Dazu wäre es
zum Beispiel notwendig, alle Verkehrsinvestitionen
kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wir müssten einmal
neutral bewerten lassen, wie die unterschiedlichen
Förderungen und Investitionen im Verkehrshaushalt
aufeinander abgestimmt sind. Wir müssten prüfen, wie
sie sich ergänzen, überschneiden oder auch widerspre-
chen. Ich vermute, dass das sehr aufschlussreich sein
könnte und wir mit klarerem Blick erkennen können,
wie wir unsere Mittel viel zielgenauer einsetzen könn-
ten.

Im heutigen System werden zum Beispiel viele Stra-
ßen oder Schienenstrecken mit fragwürdigem Nutzen
nach wie vor bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel
zu oft dorthin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleve-
ren Bürgermeistern, Landräten und Bundestagsabge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


ordneten am stärksten ist. Die laufenden Meldungen
der Länder zum neuen Bundesverkehrswegeplan zei-
gen uns, dass wir gerade wieder in die völlig falsche
Richtung laufen. Bayern hat schon wieder eine
Wunschliste mit 398 Projekten vorgelegt. Der BUND
hat gerade ausgerechnet, dass die Umsetzung mit den
heutigen Mitteln rund 160 Jahre dauern würde. Auch
wenn die hier zu beschließenden Mittel für nicht bun-
deseigene Bahnen grundsätzlich gut sind, hat unser
Gesamtsystem noch immer zahlreiche Defizite. Wir
müssen uns deswegen unter anderem vornehmen, die
Wirkung dieses Gesetzes nach einer gewissen Laufzeit
zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen vor-
nehmen.

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1724037100


Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Bun-
desförderung der Investitionen in den Ersatz der
Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen
Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz brin-
gen wir ein weiteres verkehrspolitisches Projekt auf
den Weg. Die Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers
Schiene im Güterfernverkehr wird weiter gestärkt und
somit ein Beitrag für einen starken Wirtschaftsstandort
Deutschland geleistet. Mit dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung wird der rechtliche Rahmen geschaf-
fen, um die Förderung von Investitionen in den Ersatz
der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseige-
nen Eisenbahnen durch den Bund zu ermöglichen.

Bislang fördert der Bund die Schienenwege auf der
Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes,
welches 1993 in Kraft trat. Das Bundesschienenwe-
geausbaugesetz wurde beschlossen, um im Rahmen
der Bahnreform die Grundlage für die Finanzierung
von Investitionen zum Ausbau des Schienennetzes zu
legen. Es galt damals, den Anforderungen des Ver-
kehrswachstums infolge des Zusammenwachsens der
beiden Teile Deutschlands und der fortschreitenden In-
tegration Europas im Westen durch die Vollendung des
Binnenmarktes der Europäischen Gemeinschaften und
der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa zu begeg-
nen. Seitdem sind 20 Jahre vergangen, und die Nach-
frage nach Güterverkehrsleistungen steigt; und wir
wissen, eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist
eine wesentliche Voraussetzung für einen starken Wirt-
schaftsstandort Deutschland und zugleich auch für die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationa-
len Vergleich. Das gilt ganz besonders auch für den
Verkehrsträger Schiene.

Wir brauchen in Deutschland und in Europa den
Verkehrsträger Schiene und ein Eisenbahnsystem, das
seine Leistungsfähigkeit weiter steigert. Denn wenn es
um die Bewältigung der stetig steigenden Nachfrage
nach Güterverkehrsleistungen und um unsere gesetz-
ten Umweltziele geht, ist die Eisenbahn als besonders
umweltfreundliches Verkehrsmittel unverzichtbar. Sie
muss in die Lage versetzt werden, eine führende Rolle
bei der Bewältigung der ständig wachsenden Nach-

frage nach Güterverkehrsleistungen zu übernehmen.
Daher bedürfen die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und
Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene eines
besonderen Augenmerks. Das Bundesschienenwe-
geausbaugesetz begrenzt die Förderung auf die Schie-
nenwege der bundeseigenen Eisenbahnen. Um die
Leistungsfähigkeit des Schienengüterfernverkehrs zu
steigern, müssen auch die öffentlichen nicht bundesei-
genen Schienenwege gestärkt und in das Schienengü-
terfernverkehrsnetz eingebunden werden.

Dieses Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter
Lesung verabschieden, zählt sicherlich zu den wichti-
gen Gesetzgebungsvorhaben im Verkehrssektor in die-
ser Legislaturperiode. Wir setzen mit diesem Gesetz-
entwurf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag um, die
rechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung
nicht bundeseigener Eisenbahninfrastruktur für die
Einbindung in das Schienengüterfernverkehrsnetz zu
schaffen. Damit beschreitet die Bundesregierung ein
neues Fördergebiet, das bislang in erster Linie den
Ländern und den Kommunen vorbehalten war.

Der Bund verschafft sich durch eine sinnvolle und
dauerhafte Ergänzung des bestehenden Netzes der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes mit
vorhandenen Schienenwegen der öffentlichen nicht
bundeseigenen Eisenbahnen die Möglichkeit, Redun-
danzen für den Schienengüterfernverkehr zu schaffen
und den Verkehrsnutzen der Schieneninfrastruktur der
Eisenbahnen des Bundes zu verstärken. Die Ergän-
zung und die Schließung von Infrastrukturlücken im
Schienennetz dient der Sicherstellung der Beförderung
über den gesamten Transportweg und der wesentli-
chen Steigerung der Gesamtkapazität für den Güter-
transport auf dem Verkehrsträger Schiene.

Mit diesem Gesetz reagieren wir umweltgerecht auf
den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach
Güterfernverkehrsleistungen und ermöglichen die Ver-
lagerung von Transporten von der Straße auf die
Schiene. Wir wissen, dem Schienengüterfernverkehr ist
nur mit leistungsfähigen Schienenwegen gedient. Da-
her müssen die Schienenwege der nicht bundeseigenen
Eisenbahnen, die zur Förderung anstehen, bestimmte
Leistungsparameter aufweisen. Orientiert hat sich die
Bundesregierung bei der Bestimmung der Förderkrite-
rien sowohl an den Leistungsparametern, die die
Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen im Kern-
schienenwegenetz erfüllen, als auch an den Leistungs-
parametern der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für
den Schienengüterfernverkehr genutzten Schienen-
wege.

Der Gesetzentwurf greift bei der Förderung auf das
bewährte Zuwendungsrecht des Bundes zurück. Das
heißt, die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind ge-
halten, Anträge zu stellen, um Zuwendungen des Bun-
des zu erlangen. Bewilligungsbehörde ist das Eisen-
bahn-Bundesamt, das die Anträge prüft und die
Zuwendungsbescheide erstellt. Das Gesetz ist die För-
dergrundlage; es wird weder eine Förderrichtlinie noch
eine Verordnung unterlegt. Dem Zuwendungsempfän-

Zu Protokoll gegebene Reden





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)


ger werden nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse ge-
währt. Um das Eigeninteresse der Zuwendungsempfän-
ger zu stärken, finanziert der Bund anteilig 50 Prozent
der jeweiligen per Zuwendungsbescheid genehmigten
Investitionssumme. Auch für die zuwendungsfähigen
Planungskosten ist die Anteilsförderung in Höhe von
50 Prozent vorgesehen; soweit die gesamten Planungs-
kosten 13 Prozent der Gesamtinvestitionssumme nicht
übersteigen.

Mit diesem Gesetz entsteht für den Bund eine neue
Aufgabe, die er mit zusätzlichem Personal bewältigen
muss. Die angestrebte Förderung der Investitionen
kann nur erreicht werden, wenn das für die Durchfüh-
rung benötigte Personal in ausreichender Zahl be-
reitgestellt wird. Vorgesehen ist daher, das notwendige
zusätzliche Personal über Gebührenerhebung zu fi-
nanzieren. Auch hier lässt sich die Bundesregierung
von dem Ziel leiten, effiziente Strukturen zu schaffen
und nur dort die freiwillige Förderung des Bundes ein-
zusetzen, wo Eigeninitiative und der Wille zum eigenen
Mitteleinsatz vorhanden sind.

Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser weitrei-
chende Gesetzentwurf eine breite Mehrheit des Hauses
bekommen würde, und danke allen, die zum Gelingen
beigetragen haben.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724037200

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-

kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/13494, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13021 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Das sind alle Frak-
tionen des Hauses. Gegenstimmen? – Niemand. Enthal-
tungen? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Nie-
mand. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Durch Humanarzneimittel bedingte Umwelt-
belastung reduzieren

– Drucksachen 17/11897, 17/12873 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Horst Meierhofer

Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

In der Tagesordnung war ausgewiesen, dass die Re-
den zu Protokoll genommen werden.


Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1724037300

Die Wasserqualität in Deutschland erfüllt den

höchsten Standard, sowohl beim Trinkwasser als auch
beim Abwasser. Hier gibt es also keinen Grund zur
Dramatisierung wie im vorliegenden Antrag der Lin-
ken. Hinzu kommt, dass wir noch zu wenig darüber
wissen, wie sich Arzneimittel auf die Umwelt auswir-
ken. Wir brauchen mehr Daten und Fakten. Es gibt
also noch viel Forschungsbedarf in diesem Sektor. Ver-
gessen dürfen wir aber auch nicht, dass vor 20 Jahren
der technische Fortschritt für die Wasseranalyse, wie
wir sie heute haben, noch nicht existiert hat, und wir
heute viel bessere Analyseergebnisse erzielen: Dies ist
ein Fortschritt und eine Entwicklung in die richtige
Richtung. Nur deshalb können wir heute über Spuren-
stoffe sprechen, die wir vor etlichen Jahren noch nicht
einmal messen konnten.

Natürlich wird der Medikamentenbedarf auch in
Zukunft durch den demografischen Wandel in Deutsch-
land stetig steigen, aber man könnte beispielsweise zur
Verringerung von Medikamentenüberschüssen durch-
aus eine stärkere Anpassung der Dosierungsmenge auf
den Bedarf des menschlichen Körpers vornehmen.

Für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist der
Schutz der Umwelt vor Risiken ausgehend von Arznei-
mitteleinträgen ein wichtiges Thema, denn Arzneimit-
tel sind biologisch aktive Stoffe, die gefährlich für
Mensch und Umwelt sein können. Hier hat der Gesetz-
geber sowohl auf deutscher als auch auf europäischer
Ebene klare Regelungen und Vorschriften zur Zulas-
sung von Arzneimitteln zum besseren Schutz der Um-
welt eingeführt. Bei jeder Zulassung von Arzneimitteln
werden deren Umweltauswirkungen analysiert und ab-
geschätzt. Auch sind die zuständigen Behörden von
Bund und Ländern bemüht, eine bessere und aktuelle
Datengrundlage hinsichtlich der Umweltbelastungen
mit Arzneistoffen zu bekommen.

Im vorliegenden Antrag der Linken wird die Bun-
desregierung aufgefordert, sich innerhalb der Euro-
päischen Union dafür einzusetzen, dass im Nachgang
jedes zentralen Zulassungsverfahrens von Arzneimit-
teln ein umfassendes Umweltmonitoring für die Her-
steller von Medikamenten verpflichtend ist.

Auch wollen die Linken das Arzneimittelgesetz so
ändern, dass für Arzneimittel, deren Zulassung vor
Einführung der Umweltbewertung erfolgt ist, nach-
träglich eine herstellerfinanzierte Bewertung des Um-
weltrisikos vorgenommen wird.

Schließlich wollen sie, dass die Pharmaindustrie
ein Rücknahmesystem für Altarzneimittel einführt und
finanziert. Alle Apotheken sollen eine Rücknahmever-
pflichtung für haushaltsübliche Arzneimittel erhalten,
und alle Menschen in Deutschland sollen dazu gesetz-





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


lich verpflichtet werden, eine sachgemäße Entsorgung
von Altarzneimitteln vorzunehmen. Das geforderte
Rücknahmesystem ist im Verhältnis zum erzielbaren
Nutzen sehr aufwendig, und es gibt bisher keine Belege
dafür, dass die bisherige Entsorgung normaler Arznei-
mittel über den Haushaltsmüll nicht hinreichend si-
cher für die Umwelt ist. Allerdings entsorgen zu viele
Menschen nicht benötigte Medikamente in der Toilette.
Hier ist mehr Aufklärung notwendig, auch über die
Apotheken, da der richtige Entsorgungsweg über den
Restmüll zur Verbrennung ist. Rücknahmesysteme er-
geben nur dann Sinn, wenn die zurückgegebenen Stoffe
auch recycelt werden. Das ist bei den Medikamenten
gerade nicht der Fall. Deshalb ist dieser Vorschlag der
Linken schlichtweg sachlich ungeeignet.

Für besondere Arzneimittel, wie Therapien mit ra-
dioaktiven Stoffen oder Antikrebsmittel, gelten ohnehin
spezielle Vorschriften, dafür hat der Gesetzgeber hin-
reichend gesorgt.

Alle vorgeschlagenen Maßnahmen des vorliegen-
den Antrages schießen über das Ziel hinaus und haben
den falschen Ansatz. Sie sind zu illusorisch und da-
durch unverhältnismäßig. Selbst bei Pflanzenschutz-
mitteln gibt es keine so weitreichenden Verpflichtun-
gen.

Bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für
Umwelt im vergangenen März zu diesem Thema hatten
wir ausführlich die Gelegenheit, uns ein aktuelles Bild
über die Situation zu machen. Der Experte aus dem
Umweltbundesamt hatte betont, dass Humanarznei-
mittel in Gewässern schädlich für die Umwelt sind. Es
wurde aber auch deutlich, dass die deutschen Gewäs-
ser nicht flächendeckend belastet sind. Hier macht der
Antrag der Linken alles schlimmer, als es tatsächlich
ist.

Von den rund 8 000 Tonnen an Arzneimitteln mit ih-
ren circa 3 000 Wirkstoffen, die jährlich in Deutsch-
land verkauft werden, ist etwa die Hälfte „potenziell
umweltschädigend“, so das UBA weiter. Kläranlagen
können zwar einiges herausfiltern, jedoch nicht alle
Rückstände entfernen. Hier muss aus unserer Sicht
gelten: Die Reduzierung oder Vermeidung des Arznei-
mitteleinsatzes ist nachhaltiger als eine Optimierung
der Kläranlagen. Neue Techniken der Abwasserentsor-
gung in Abwasseranlagen, wie etwa die Membranfilt-
ration, die Oxidation und die Adsorption an Aktiv-
kohle, werden als Pilotprojekt derzeit getestet. Aber
auch hier kann man die Rückstände nicht völlig elimi-
nieren und der Energieverbrauch würde um ein Drittel
steigen. Hier muss auf der Grundlage des Verursa-
cher- und Vorsorgeprinzips an der Quelle der Belas-
tung angesetzt werden, statt eine aufwendige Aufrüs-
tung im Wasser- oder Klärwerk vorzunehmen. Das
reduziert die Kosten und schont die Umwelt.

Krankenhäuser sind durch die Ausscheidungen von
Menschen in medikamentöser Behandlung ein Haupt-
verursacher für den Eintrag von Arzneimittelrückstän-
den und multiresistenten Keimen in die Kanalisation.

Durch beispielsweise eine dezentrale Entsorgung und
Behandlung von Krankenhausabwasser könnten nega-
tive Einflüsse in die Umwelt reduziert werden. Aber
2 bis 3 Prozent der Rückstände bleiben immer übrig.
Hier sollte man früher ansetzen und bereits bei der
Produktion und im Umgang mit Medikamenten eine
Freisetzung in die Umwelt verhindern. Eine verstärkte
Entwicklung von abbaubaren Medikamenten könnte
einen Beitrag zum Gewässerschutz leisten.

Die im vorliegenden Antrag gestellten Forderungen
geben keine richtigen Antworten auf die Komplexität
des Problems. Die Linke tut so, als hätte sie als einzige
das Problem erkannt. Aber auch schon in der Vergan-
genheit war das Thema „Belastung von Gewässern
durch Arzneimittel-Einträge“ Gegenstand der insge-
samt sechsjährigen Beratungen einer Ad-hoc-Arbeits-
gruppe der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für
Chemikaliensicherheit. Damals wurde ein von den
Ländern finanziertes Messprogramm durchgeführt. Si-
cherlich sollte ein solches Programm wiederholt wer-
den, auch um zu überprüfen, ob sich die damals ge-
messene Gewässerbelastung im Gegensatz zu heute
verändert hat. Die Bundesregierung und die Bundes-
länder haben die richtigen Schritte eingeleitet. Des-
halb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1724037400

Anthropogene – also vom Menschen gemachte –

Spurenstoffe werden vermehrt im Wasser gefunden. Zu
diesen gehören auch Arzneimittel, die mittlerweile flä-
chendeckend in geringen Mengen in den Oberflächen-
gewässern nachgewiesen werden können. Manche die-
ser Stoffe können in der Umwelt schädlich wirken. Die
Linken fordern in ihrem Antrag deshalb, diese Um-
weltbelastung durch Arzneimittel zu reduzieren. Die
Beratung im Ausschuss hat gezeigt, dass dies ein Ziel
ist, das alle Fraktionen teilen. Ich finde das gut und
wichtig.

Wir haben in einem öffentlichen Fachgespräch mit
dem Umweltbundesamt und dem der Emschergenos-
senschaft/Lippeverband im Ausschuss darüber disku-
tiert, welche Probleme die Arzneimittel in den Gewäs-
sern verursachen, was für Handlungsoptionen es gibt
und wo noch Forschungsbedarf besteht. Die gute Bot-
schaft aus dem Fachgespräch ist: Die Konzentration
an Arzneimitteln im Trinkwasser ist so gering, dass
keine Gefährdung des Menschen zu befürchten ist.

Allerdings entbindet dies uns nicht davon, den Ein-
trag von Arzneimitteln in die Gewässer zu vermindern.
Das Umweltbundesamt hat dazu Vorschläge gemacht.
Letztendlich schlägt das UBA eine Minimierungsstra-
tegie vor, die von einem umfassenden Umweltmonito-
ring begleitet wird. Das ist ein vernünftiges Konzept.

Was kann also getan werden? Wir können: Umwelt-
qualitätsnormen für wichtige Wirkstoffe festlegen und
rechtlich verankern; ein Umweltmonitoring etablieren,
um die Auswirkungen von Arzneimitteln zu beobach-
ten; langfristig die Wirkstoffe bewerten, die potenziell
umweltschädlich sind und in relevanten Mengen fest-

Zu Protokoll gegebene Reden





Waltraud Wolff (Wolmirstedt)



(A) (C)



(D)(B)


gestellt werden; eine vierte Reinigungsstufe bei
Krankenhäusern oder bei den größten 4 Prozent der
Kläranlagen prüfen; Ärzte und Apotheker über die
Umweltwirkungen von Arzneimitteln informieren und
ein Klassifikationssystem schaffen; eine Informations-
kampagne starten, um die Bevölkerung über die rich-
tige Entsorgung von Arzneimitteln zu informieren; ein-
heitliche Entsorgungswege für Arzneimittel schaffen.

Diese Ansatzpunkte sind sinnvoll. Wir wollen, dass
weniger Arzneimittel in die Gewässer gelangen. Was
wir aber nicht wollen, ist, die Gesundheit der Men-
schen aufs Spiel zu setzen oder die Therapiefreiheit der
Ärzte einzuschränken. Mit den verschiedenen Hand-
lungsoptionen können wir die Einträge minimieren
und gleichzeitig die Interessen der Patientinnen und
Patienten berücksichtigen.

Wir brauchen Informationen für die Ärzte: In
Schweden gibt es eine Klassifikation der Umweltrele-
vanz von Arzneimitteln. Damit kann die Umweltwir-
kung in die Auswahl der Medikation einfließen, ohne
die Therapiefreiheit einzuschränken.

Wir brauchen auch Informationen für die Patienten:
Es muss klar sein: Altmedikamente gehören in den
Restmüll, sie gehören nicht ins Klo gespült. In den
Müllverbrennungsanlagen werden die arzneilichen
Wirkstoffe so zerstört, dass kein Eintrag in die Umwelt
mehr erfolgen kann. Das ist der richtige Weg!

Wir müssen offene Fragen klären: Eine Umweltbe-
wertung ist mittlerweile für neu zuzulassende Arznei-
mittel vorgesehen. Dies ist ein wichtiger Schritt. Küm-
mern müssen wir uns um die Medikamente, die noch
ohne Umweltbewertung zugelassen wurden. Eine
Kombination aus Umweltmonitoring und Bewertung
der Wirkstoffe mit Umweltrelevanz scheint mir ange-
messen.

Wir müssen offene Fragen bei der „vierten Reini-
gungsstufe“ klären. Die bisherigen praktischen Erfah-
rungen zeigen, dass ein Teil der Stoffe aus dem Wasser
herausgefiltert werden kann. Allerdings sind die Kos-
ten dafür hoch. 30 Prozent zusätzliche Kosten sind
bei kommunalen Kläranlagen kaum zu finanzieren.
Gleichzeitig steigt der Energiebedarf der Kläranlagen
deutlich. Und: Es entstehen Abbauprodukte, deren
Wirkungen auch noch nicht geklärt sind.

Wir waren uns im Ausschuss alle einig: Mit der Um-
weltbewertung von neuen Arzneimitteln ist ein wichti-
ger Schritt gemacht worden. Es geht darum – und das
mahnt die Linke in ihrem Antrag zu Recht an –, weiter
zu gehen. Das bedeutet für mich: Wir brauchen ein
Umweltmonitoring, und wir brauchen eine umsetzbare
und finanzierbare Minimierungsstrategie, die auch
den Interessen der Patienten und Patientinnen gerecht
wird. Das müssen wir anpacken.

Eine nachträgliche Umweltbewertung für alle be-
reits zugelassenen Medikamente schießt aber über das
Ziel hinaus. Deswegen tragen wir diesen Teil nicht mit

und werden uns aber wegen der weitgehenden Über-
einstimmung der Stimme enthalten.


Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1724037500

Mit ihrem Antrag „Durch Humanarzneimittel be-

dingte Umweltbelastung reduzieren“ spricht die Linke
ein Problem an, mit dem sich die Koalition und die
Bundesregierung schon seit einiger Zeit beschäftigen.

Pro Jahr werden rund 38 000 Tonnen Arzneimittel
in deutschen Apotheken verkauft. Die demografische
Entwicklung in Deutschland wird die Menge noch er-
höhen, da eine ältere Gesellschaft mehr Medikamente
verbraucht als eine junge.

Damit die Wirkstoffe von Medikamenten dort im
Körper ankommen, wo sie gebraucht werden, sind sie
meist so entwickelt, dass sie sich nicht schon im Ma-
gen-Darm-Trakt zersetzen. Dazu kommt, dass sich die
Medikamente nicht im Körper anreichern sollen. Das
geht nur, wenn die Stoffe wasserlöslich sind und vom
Körper wieder ausgeschieden werden. Damit gelangen
sie zum Teil unverändert ins Wasser.

Aber auch durch eine unsachgemäße Entsorgung
von Altarzneimitteln über Toiletten oder die Spüle
kommt es zu einer Anreicherung potenziell umweltrele-
vanter Arzneimittelwirkstoffe in den Gewässern und
der Umwelt.

Das hat dazu geführt, dass wir in Europa auf Bestre-
ben der Bundesregierung Hormone, zum Beispiel aus
der Anti-Babypille, oder auch Wirkstoffe wie Diclofenac
als prioritäre Stoffe stärker beobachten und entspre-
chende Maßnahmen wie zusätzliche Reinigungsstufen
in besonders betroffenen Gebieten durchführen lassen.

In Ihrem Antrag setzen Sie sich aber nicht mit unse-
ren Maßnahmen auseinander, sondern stellen zwei
Forderungen auf: Einerseits wollen Sie die Hersteller
von Medikamenten im Nachgang jedes zentralen
Zulassungsverfahrens von Arzneimitteln zu einem
ständigen umfassenden Umweltmonitoring verpflich-
ten. Andererseits soll ein obligatorisches Medikamen-
tenrücknahmesystem für Apotheken eingeführt wer-
den.

Durch ein umfassendes Umweltmonitoring hoffen
Sie, die Gewässer besser schützen zu können. Auch ich
halte eine Senkung der Gewässerbelastung durch Arz-
neimittel für notwendig. Ich glaube aber nicht, dass
Ihr Vorschlag der Sache gerecht wird.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinfor-
schung führt derzeit 91 482 zugelassene Arzneimittel
auf. Darunter sind Arzneimittel und Wirkstoffe, die in
großer Menge abgesetzt werden, und solche, die nur in
sehr geringen Stückzahlen und ausschließlich in
Krankenhäusern eingesetzt werden. Das potenzielle
Umweltrisiko neuer Arzneimittel wird auf der Grund-
lage der Richtlinie 2001/83/EG im Rahmen des Zulas-
sungsverfahrens geprüft. Vom ersten Versuch bis zur
Zulassung eines Arzneimittels durch das Bundesinsti-
tut für Arzneimittel und Medizinprodukte dauert es

Zu Protokoll gegebene Reden





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)


viele Jahre. Sie fordern darüber hinaus, dass auch eine
Überwachung der Auswirkungen einer jeden Substanz
stattfindet.

Die dafür erforderlichen Laborkapazitäten und
Kosten sind riesig. Für zahlreiche Wirkstoffe gibt es
noch keine Messverfahren. Wie gehen Sie dann damit
um? Sollen diese Wirkstoffe von der Überprüfung aus-
genommen werden? Angenommen, Sie hätten für jeden
erdenklichen Wirkstoff eine belastbare Aussage über
die Konzentration in den verschiedenen Gewässern.
Dann wollen Sie einen Auftrag an das Umweltbundes-
amt erteilen, inwieweit stärkere Auflagen für die An-
wendung von Arzneimitteln zu einer Verbesserung der
Wasserqualität führen. Und dann? Wenn es sich näm-
lich um ein nutzbringendes Medikament handelt, dann
hilft Ihnen die Aussage, dass es wassergefährdend ist,
nicht weiter. Sollte etwa ein wassergefährdendes, aber
hochwirksames Krebsmedikament nicht erlaubt wer-
den? Sie müssten dann zwischen Gesundheit und Um-
welt abwägen. Denn das kann das Umweltbundesamt
mit Sicherheit nicht.

Der Vorschlag der Linken ist ein bürokratisches
Monstrum, das uns unserem gemeinsamen Ziel, einem
verbesserten Gewässerschutz, nicht näher bringen
wird. Ich halte es für zielführender, einen umweltbe-
wussten Umgang mit Medikamenten zu fördern. Doch
auch hier entscheidet sich die Linke für einen wenig
durchdachten Ansatz.

Sie wollen ein obligatorisches Medikamentenrück-
nahmesystem für Apotheken einführen, wie das vor
2009 der Fall war. Wie Sie sicherlich wissen, machen
die Apotheken mit den Medikamenten nichts anderes
als das, was passiert, wenn man sie über den Hausmüll
entsorgt. Sie werden verbrannt. Diejenigen, die bereits
jetzt ihre Medikamente ordnungsgemäß im Hausmüll
entsorgen, können sie damit vielleicht erreichen. Ich
bezweifle allerdings stark, dass sich die meisten ande-
ren die Mühe machen werden, ihre alten Arzneimittel
zu den Apotheken zu bringen.

Auch dem Umweltbundesamt liegen keine Zahlen
vor, dass der Anteil an Medikamenten, die vor 2009 in
der Toilette landeten, geringer war, als er es heute ist.
Ihr Vorschlag trägt nicht dazu bei, die Menschen da-
rüber zu informieren, dass eine Entsorgung über den
Hausmüll die richtige ist.

Ich halte es für sinnvoller, die Verbraucher und
Ärzte besser zu sensibilisieren. Ich bin dafür, auf dem
Beipackzettel auf die richtige Entsorgung hinzuwei-
sen: die Restmülltonne. Umfragen zeigen außerdem,
dass sich viele Haushalte wünschen würden, dass der
Arzt oder Apotheker sie über die angemessene Entsor-
gung aufklärt. Auch das wäre eine relativ einfache und
gangbare Möglichkeit.

Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, wie wir
neue, aber umweltkritische Wirkstoffe verbieten kön-
nen, sondern unser Augenmerk auf die Wirkstoffe rich-
ten, von denen wir wissen, dass sie besonders proble-
matisch sind. Ein umweltbewussterer Umgang mit

Medikamenten, beispielsweise durch ein Ampelsystem
wie in Schweden, könnte die Situation verbessern. An-
hand der Ampel weiß ein Arzt, wann er ein besonders
umweltgefährdendes Medikament verschreibt, und
kann gegebenenfalls auf ein alternatives, weniger um-
weltgefährdendes Produkt ausweichen. Auch kleinere
Packungsgrößen könnten dem Grundproblem, dass am
Ende immer ein Teil des Packungsinhalts übrig bleibt,
von vornherein vorbeugen.

Ihren Vorschlag, eine obligatorische Rücknahme-
pflicht für Apotheken und ein verpflichtendes Umwelt-
monitoring für alle Arzneimittelwirkstoffe einzuführen,
halte ich für gut gemeint, aber schlecht durchdacht.
Ein verbesserter Gewässerschutz ist so nicht zu errei-
chen.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724037600

In der ersten Beratung zu unserem Antrag am

17. Januar bestand die einzige Übereinstimmung da-
rin, dass Wasser unser wichtigstes Lebensmittel dar-
stellt. Klasse – aber außer Reden nichts gewesen. Im
Gegenteil: Aus dem Lager der Regierungskoalition
erfolgen Angriffe auf unsere Wasserqualität, sei es ak-
tuell durch die Wasserprivatisierung mittels EU-Kon-
zessionsrichtlinie, die unsere Wasserqualität auf Lon-
doner Niveau und Londoner Wasserpreise mit trübem,
gechlortem und nichttrinkbarem Leitungswasser ab-
fallen lassen wird, oder mit der Umsetzung der EU-Bio-
zid-Verordnung, wo Sachverstand im Internet erworben
und abgeprüft wird – ohne Grund. Wie Wasserschutz
bei einer Prüfung nach copy and paste sichergestellt
wird, bleibt schleierhaft. Zusätzliche Schadstoffe im
Wasser sind da hingegen sicher. Beide Beispiele führen
zu zusätzlichen Belastungen von Grund- und Oberflä-
chengewässern mit anthropogenen, also menschenver-
ursachten Spurenstoffen im Wasser.

Auch der Fakt, dass bei der Novelle der Verpa-
ckungsverordnung die verpflichtende Annahme von
Altmedikamenten in Apotheken aufgehoben wurde,
verursacht durch die jetzt vermehrte „Entsorgung über
Abwasser“ zusätzliche, unnötige Belastungen unserer
Gewässer.

Dass unsere Gewässer Hilfe brauchen, ist unbestrit-
ten, aber wo setzt man an? Bei den Verursachern, an
den Quellen, oder am Ende, bei der Kläranlage?

Die Vorschläge meiner Fraktion zeigen Wege, wie
an den Quellen die Menge an Arzneirückständen in
Gewässern verringert werden kann und wie den schö-
nen Worten der Kolleginnen und Kollegen endlich gute
Taten beigestellt werden können.

Im Bundestag fordern wir gesetzliche Vorgaben für
Pharmahersteller, damit unnötige Nebenwirkungen
der notwendigen Medikamente für die Umwelt zukünf-
tig beseitigt werden. Wir fordern Forschungen zu We-
gen und Verbleib und Wirkungen der Arzneimittelrück-
stände. Wir fordern, dass die Pharmaunternehmen
verpflichtet werden, ein einheitliches Apotheken-Rück-
nahmesystem für Altmedikamente einzurichten und zu





Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)


finanzieren. Außerdem soll auf jeder Medikamenten-
packung und auf den Beipackzetteln der Entsorgungs-
weg erkennbar sein.

In Landtagen brachte die Linke die Forderung ein,
dass die Hotspots für Medikamenteneinträge, wie zum
Beispiel Krankenhäuser und Pflegeheime, extra Klär-
wege zur Reduzierung von Arzneimittellresten nutzen
sollen, statt sie einfach in kommunale Klärwerke ein-
zuleiten.

Trotz ihrer in erster Lesung geäußerten Zweifel an
unseren Vorschlägen danke ich den Kolleginnen und
Kollegen, dass wir gemeinsam im Umweltausschuss
ein Fachgespräch zum Thema Arzneimittelbelastun-
gen im Abwasser durchführten. Die Auswertung eines
EU -Großversuches zu Arzneirückständen, mit durch-
geführt vom Emscher-Lippe-Genossenschaftsver-
band, dem größten Abwasserentsorger der Bundesre-
publik, bestätigte unseren Ansatz, an der Quelle zu
handeln.

Zweiundsiebzig Substanzen aus Arzneien im Ver-
such wurden getestet – 57 Prozent der Gesamtbelas-
tungen kamen aus Krankenhäusern. Mit einer geziel-
ten Reinigung der Krankenhausabwässer, wie in den
Landtagen von uns gefordert, wäre viel erreicht, leider
lehnten CDU, FDP und SPD dies bisher ab. Warum ei-
gentlich?

Emscher-Lippe wie auch die Abwasserentsorger im
Ausland testeten verschiedene Abwasserreinigungs-
verfahren. Das Ergebnis ist ernüchternd. Keines der
Verfahren konnte alle 72 Substanzen beseitigen und
beim Ozonieren, einem der Verfahren, entstanden neue
Substanzen, deren Wirkungen auf die Umwelt unbe-
kannt sind. 30 Prozent mehr Energieverbrauch in den
Kläranlagen, Filterreste, Betriebskostensteigerung
von mehr als 20 Prozent. All dies waren Nebenwirkun-
gen der zusätzlichen Reinigungsstufen.

30 Prozent mehr Stromverbrauch würde bei einer
Ausstattung aller 10 000 Kläranlagen Deutschlands
mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe einen Mehrbe-
darf von 0,7 Milliarden Kilowattstunden im Jahr be-
deuten, das ist der jährliche Stromverbrauch von über
150 000 Haushalten. Aber ein Verfahren reicht nicht
für alle Substanzen – für alle Verfahren bräuchte man
noch mehr Energie, und die Kosten für Abwasser wür-
den explodieren.

So lautet das Fazit des Vortrags – jetzt zitiere ich
noch, was der Genossenschaftsverband Emscher-
Lippe vorschlug, damit Medikamentenrückstände in
Gewässern optimal minimiert werden können –: Ein-
führung einer Gewässerampel für bestehende Medika-
mente und gegebenenfalls eine Änderung der gesetzli-
chen Rahmenbedingungen für Medikamente, Ausbau
und Optimierung der Rücknahmesysteme für Medika-
mente, Entwicklung von abbaubaren Medikamenten,
Anpassung der Dosierung an den Bedarf des mensch-
lichen Körpers, Veränderung der Verschreibungsprak-
tiken und der Beratung in Apotheken, Informationen
zum Umgang mit Arzneimitteln und Minimierung der

Einträge an der Quelle, sprich an den Krankenhäusern
All diese Vorschläge sind in unserem Konzept enthal-
ten.

Eine vierte Reinigungsstufe zu fordern, ist einfach
und erfordert keinen Mut, aber Bürgerinnen und Bür-
ger müssen dafür hart zahlen und der stark erhöhte
Energieverbrauch konterkariert Energieeffizienzziele,
deren Umsetzung wir für den Klimaschutz brauchen.

Die vierte Reinigungsstufe als Allheilmittel steigert
jedoch die Umsätze in der Bauwirtschaft für neue
Kläranlagen, und die Pharmalobby braucht sich trotz
fetter Gewinne nicht um Umweltschutz zu scheren.
Geht man den von Emscher-Lippe und uns vorgeschla-
genen Weg, sind gleiche Ergebnisse für die Umwelt,
günstig für Bürgerinnen und Bürger, bei geringen Be-
lastungen der Verursacher, der Pharmaindustrie, und
keinen Zusatzumsätzen der Baubranche erreichbar –
aber man muss sich mit der Bau- und Pharmalobby
auseinandersetzen. Die Linke hat diesen Mut. Sie
auch?

Stimmen Sie unserem Antrag und damit dem Um-
weltschutz zu und folgen Sie in den Bundesländern un-
seren Vorschlägen zu Krankenhausabwässern.

Falls den Kolleginnen und Kollegen von CDU und
FDP das aus ideologischen Gründen unmöglich ist –
copy and paste ist erlaubt. Die Linke wird das Plagiat
gern akzeptieren. Seien Sie mutig, umwelt- und bürger-
freundlich, und lassen Sie ihren blumigen Worten zum
Schutz des Lebensmittels Wasser vernünftige Taten fol-
gen.


Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724037700

Wir diskutieren heute abschließend den Antrag der

Fraktion Die Linke zum Problem der Entsorgung von
Arzneimitteln.

Wir haben derzeit ein äußerst unbefriedigendes Ent-
sorgungssystem von Altmedikamenten, nämlich gar
keins. Nur wenige Apotheken nehmen – in der Regel
auf eigene Kosten – überhaupt noch abgelaufene oder
nicht mehr benötigte Arzneimittel an. Apotheken sind
nicht mehr verpflichtet, solche Arzneimittel anzuneh-
men. Das ist die Folge der 2009 erfolgten Änderung
der Verpackungsverordnung. Im Rahmen eines vom
Bundesforschungsministerium in der Zeit vom 1. Okto-
ber 2005 bis zum 31. Mai 2008 finanzierten Projektes
mit dem Titel „Strategien zum Umgang mit Arznei-
mittelwirkstoffen im Trinkwasser“ wurde seinerzeit
festgestellt, dass bis dahin immerhin ein Drittel der
repräsentativ befragten Bürgerinnen und Bürger ihre
Altarznei immer in den Apotheken abgeben. Nur ein
Drittel der Befragten antworteten damals, dass sie
dies nie täten. Das letzte Drittel blieb unklar.

Vonseiten des Bundesministeriums für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit wird ein Rücklauf von
nur 5 Prozent behauptet, und Verbraucherinnen und
Verbraucher werden auf die geltende Hausmüllversor-
gung verwiesen. Das Umweltministerium sieht es als
unproblematisch an, Arzneimittel über den normalen

Zu Protokoll gegebene Reden





Dorothea Steiner


(A) (C)



(D)(B)


Hausmüll zu entsorgen, wie wir Grüne in einer Ant-
wort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion vom
Juni 2011 erfuhren. Das kann nicht der Weisheit letzter
Schluss sein, wenn man bedenkt, dass dadurch in vie-
len Haushalten auch Kleinkinder ungewollt Zugang zu
Arzneimittelresten bekommen können.

Das Umweltbundesamt fordert auf seiner Website
dazu auf, Medikamentenreste keinesfalls über den Aus-
guss oder das Klo zu entsorgen. Das ist natürlich rich-
tig. Vor allem flüssige Arzneien landen viel zu häufig
über die Toilette in den Kläranlagen. Aber auch mo-
derne Kläranlagen sind technisch nicht dazu in der
Lage, Wirkstoffe rückstandsfrei abzubauen. Ich nenne
als Beispiel nur Diclofenac. Solche und ähnliche Arz-
neimittelrückstände belasten in der Folge die Gewäs-
ser. Wir finden die belastenden Stoffe in den Meeren
oder auch in unserem durch Filter gewonnenen Trink-
wasser. Sie können hormonelle Veränderungen bei Fi-
schen bewirken und andere Organismen schädigen.

Wir brauchen wieder ein flächendeckendes Rück-
nahmesystem für Arzneimittel; den Menschen muss die
Möglichkeit gegeben werden, ihre Altarznei in jedem
Fall einer fachgerechten und sicheren Entsorgung zu-
zuführen. Eine Pflicht zur Abgabe in Apotheken, ana-
log zu den Regelungen in § 11 des Batteriegesetzes,
wie es in dem Antrag der Linken formuliert ist, halten
wir jedoch für nicht zwingend.

Der Antrag der Fraktion der Linken greift einige
tatsächlich bestehende und sich weiter verschärfende
Probleme auf. Er liefert aus unserer Sicht allerdings
leider keine hinreichenden Lösungen um derer Herr zu
werden, sodass meine Fraktion sich heute dazu enthal-
ten wird.

Anlässlich dieses Antrages ist es mir auch wichtig,
darauf hinzuweisen, dass Medikamente grundsätzlich
auch über andere Wege als die Humanarzneimittelent-
sorgung in die Gewässer und übrigens auch in die Bö-
den gelangen. Ausscheidungen von Mensch und Tier,
als Dünger auf die Felder gebrachte Gülle und Klär-
schlämme, enthalten neben Nährstoffen auch schädli-
che Substanzen wie Schwermetalle und Arzneimittel-
rückstände. Hier ist die Schaffung eines konsequenten
fachrechtsübergreifenden Vorsorgekonzeptes ange-
zeigt, welches durch Einbezug des Arzneimittelrechts,
Wasserrechts, Immissionsschutzrechts, Abfallrechts
und weiterer benachbarter Rechtsbereiche und Verord-
nungen strenge Grenzwerte für Stoffeinträge aller Art
in Wasser und Böden definiert. Auch das Chemikalien-
recht muss dieses Problem berücksichtigen; denn nicht
nur über Altarzneien, auch über Produkte des alltägli-
chen Gebrauchs ergeben sich zum Beispiel durch Ab-
und Auswaschungen massive Belastungen von Gewäs-
sern und Böden. Wir haben es hier mit langlebigen or-
ganischen Chemikalien, wie zum Beispiel bekannten
Perfluorierten Tensiden, PFT, zu tun, deren lange be-
strittene negative Auswirkungen auf verschiedene Or-
ganismen inzwischen nachgewiesen wurden.

Das Ziel muss also ein umfassender vorsorgender
Gewässer- und auch Bodenschutz sein. Wir Grüne for-
dern in diesem Zusammenhang weiterhin auch ein sys-
tematisches bundesländerübergreifendes Arzneimittel-
monitoring. Dieses alles geht in der Summe über den
Antrag der Linken noch deutlich hinaus.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724037800

Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12873, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11897 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Gegenprobe! – Linksfraktion. Enthal-
tungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Treibhausgas-
Emissionshandelsgesetzes
– Drucksache 17/13025 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/13398 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Bärbel Höhn

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1724037900

Der europäische Emissionshandel muss eine wich-

tige Säule der Klimapolitik in der Europäischen Union
bleiben. Daher gilt es, die entsprechenden Rahmenset-
zungen für einen sicheren und zuverlässigen Zertifika-
tehandel in Deutschland zu erhalten und anzupassen.

Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, TEHG,
über das wir heute in zweiter und dritter Lesung ver-
handeln, bildet in Deutschland diese gesetzliche
Grundlage für den Handel mit Berechtigungen zur
Emission von Treibhausgasen in einem gemeinschafts-
weiten Emissionshandelssystem. Es schafft die rechtli-
che Voraussetzung, die 1997 im Kioto-Protokoll für die
Mitgliedstaaten vereinbarten Verpflichtungen zur Re-
duzierung von Treibhausgasen einzuhalten.

In den ersten beiden Handelsperioden des EU-
Emissionshandelssystems konnten die Mitgliedstaaten
weitgehend selbst entscheiden, wie sie die erforderli-
che Prüfung von Emissionsberichten und Zuteilungs-
anträgen durch Sachverständige regeln. Im Zuge der
Harmonisierung der Regeln für den EU-Emissions-





Andreas Jung (Konstanz)



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(D)(B)


handel hat die EU-Kommission auf Basis des Art. 15
der Emissionshandels-Richtlinie nun die EU-Verord-
nung Nr. 600/2012 über die Prüfung von Treibhausgas-
emissionsberichten und Tonnenkilometerberichten so-
wie die Akkreditierung von Prüfstellen beschlossen.
Danach dürfen ab der 2013 beginnenden dritten Han-
delsperiode des EU-Emissionshandelssystems grund-
sätzlich nur noch Prüfstellen tätig sein, die von der na-
tionalen Akkreditierungsstelle des Mitgliedstaates
akkreditiert sind.

Auf Drängen der Bundesrepublik Deutschland er-
halten die Mitgliedstaaten jedoch ebenfalls die Mög-
lichkeit, auch Einzelsachverständige als Prüfstellen zu-
zulassen, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass
die Prüfung durch Einzelsachverständige im Vergleich
zur Tätigkeit akkreditierter Prüfstellen gleichwertig ist.
Das bislang in Deutschland praktizierte System der
Prüfung durch sogenannte sachverständige Stellen ge-
nügt den Anforderungen der EU-Verifizierungsverord-
nung weder auf der Ebene der Anforderungen an die
Zulassungsstelle noch hinsichtlich der Voraussetzun-
gen für die Zertifizierung selbst. Auch enthält das bis-
her geltende Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz,
TEHG, bislang keine ausreichende Grundlage, um von
der Optionsmöglichkeit zur Einrichtung einer Zulas-
sungsstelle Gebrauch machen zu können.

Zur Umsetzung der Verordnung sind daher Anpas-
sungen des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes
erforderlich gewesen, die den Wettbewerb zwischen
den Sachverständigen stärken und die Auswahl von
geeigneten Prüfern verbreitern sollen. Hiervon profi-
tieren unterm Strich alle Seiten.

Um den sachverständigen Stellen in Deutschland,
die bislang als Einzelsachverständige tätig waren und
die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine
Akkreditierung von Prüfstellen nicht erfüllen, eine
Weiterbetätigung als zertifizierte Prüfstellen zu ermög-
lichen, werden mit der Gesetzesänderung die Vorausset-
zungen für die Zertifizierung von Prüfstellen geschaffen.
Die entsprechenden Vorschriften zur Implementierung
eines Zertifizierungsverfahrens für natürliche Perso-
nen sollen durch eine Rechtsverordnung geregelt wer-
den, für die das TEHG um eine neue Verordnungser-
mächtigung ergänzt wird.

Neben dieser Erweiterung des Rechtsrahmens für
die Tätigkeit der Sachverständigen im Emissionshan-
del enthält der Gesetzentwurf noch einzelne, zumeist
klarstellende Änderungen, um den Erfahrungen aus
dem bisherigen Vollzug des TEHG Rechnung zu tra-
gen.

Zu diesen Regelungen für einen verbesserten Geset-
zesvollzug hat der Bundesrat Änderungen gefordert.
Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ände-
rungsantrag greift ein Anliegen des Bundesrates auf,
indem eine der vorgesehenen Änderungen aus dem Ge-
setzentwurf herausgenommen wird. Dabei handelt es
sich um die von den Ländern am stärksten kritisierte
Regelung für eine verstärkte Kooperation zwischen

den Landesbehörden und der Deutschen Emissions-
handelsstelle, DEHSt. Diese Änderung ist ein Entge-
genkommen an die Länder, deren Zustimmung zu dem
Gesetzentwurf erforderlich ist.

Ich hoffe daher, dass der Bundesrat seine Zustim-
mung geben wird, damit wir mit einer zügigen Verab-
schiedung des Treibhausgas-Emissionshandelsgeset-
zes die Rahmenbedingungen für den nationalen
Zertifikatehandel auf sichere und zuverlässige Beine
stellen können.

Damit wird die formale Grundlage für den Emis-
sionshandel für die kommenden Jahre geschaffen.
Diese Grundlage gilt es jedoch auch auszufüllen. Und
hierfür wird es auf die materiellen Regelungen ankom-
men. In der jetzigen Ausnahmesituation ist als Ultima
Ratio ein Eingriff im Sinne des diskutierten Backloa-
dings unumgänglich. Zudem brauchen wir eine grund-
legende strukturelle Reform des Emissionshandelssys-
tems und eine Erhöhung des europäischen Klimaziels
auf eine Reduktion von 30 Prozent bis 2020 gegenüber
1990. Dann wird der Emissionshandel seine Aufgabe
als marktwirtschaftliches Klimaschutzinstrument wirk-
sam erfüllen können.


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1724038000

In der aktuellen Stunde heute haben wir über den

Emissionshandel geredet und somit natürlich auch
über die destruktive Rolle der deutschen Bundesregie-
rung. Die Bundesregierung trägt eine Hauptverant-
wortung dafür, dass der Emissionshandel zurzeit keine
Wirkung entfaltet. Es ist merkwürdig, im jetzigen Ta-
gesordnungspunkt über technische Details der dritten
Handelsperiode zu reden, da das komplette System da-
hinsiecht und wir eigentlich über die dringend notwen-
dige Reform des Emissionshandels reden müssten.

Aber hier geht es darum, die Vorgaben der EU um-
zusetzen, genauer gesagt soll die EU-Akkreditierungs-
und Verifizierungsverordnung umgesetzt werden. Im
Zuge der Harmonisierung der Regeln für den EU-
Emissionshandel hat die EU-Kommission auf Basis
des Art. 15 der Emissionshandels-Richtlinie eine EU-
Verordnung zur Akkreditierung und Verifizierung be-
schlossen. Dies hat zur Folge, dass ab der dritten Han-
delsperiode des EU-Emissionshandelssystems, die be-
kanntermaßen Anfang dieses Jahres begonnen hat,
grundsätzlich nur noch Prüfstellen tätig sein dürfen,
die von der nationalen Akkreditierungsstelle des Mit-
gliedstaates akkreditiert sind. Daneben eröffnet die
EU-Verifizierungsverordnung den Mitgliedstaaten die
Möglichkeit, auch Einzelsachverständige als Prüfstel-
len zuzulassen, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen,
dass die Prüfung durch Einzelsachverständige mit der
Prüfung akkreditierter Prüfstellen gleichwertig ist. Im
Unterschied dazu konnten die Mitgliedstaaten in den
ersten beiden Handelsperioden des EU-Emissionshan-
delssystems weitgehend selbst entscheiden, wie sie die
erforderliche Prüfung von Emissionsberichten und Zu-
teilungsanträgen durch Sachverständige regeln. Die
EU-Akkreditierungs- und Verifizierungsverordnung re-

Zu Protokoll gegebene Reden





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)


gelt detailliert und in allen Mitgliedstaaten verbind-
lich, wie die Prüfung von Emissionsberichten zu erfol-
gen hat, welche Voraussetzungen dazu befugte
Prüfstellen erfüllen müssen, dass Prüfstellen künftig
durch die nationalen Akkreditierungsstellen akkredi-
tiert werden müssen, wie das Akkreditierungsverfahren
abläuft, welche Anforderungen die nationalen Akkre-
ditierungsstellen erfüllen müssen, wie die Prüfstellen
durch die Akkreditierungsstellen beaufsichtigt werden,
welche Informationen zwischen Akkreditierungsstellen
und Emissionshandelsbehörden ausgetauscht werden.
Als Prüfstellen sind aber nach dem Willen der Verord-
nung nur „juristische Personen“ oder „sonstige juris-
tische Einheiten“ akkreditierungsfähig.

Will ein Mitgliedstaat es ausnahmsweise auch na-
türlichen Personen ermöglichen, als Prüfstellen aktiv
zu sein bzw. zu bleiben, muss er eine nationale Zertifi-
zierungsbehörde einrichten und Regelungen treffen,
die sicherstellen, dass die Zertifizierung von natürli-
chen Personen als Prüfstellen die gleichen Anforde-
rungen erfüllt wie das Akkreditierungsverfahren. Das
bislang in Deutschland praktizierte System der Prü-
fung durch sogenannte sachverständige Stellen genügt
den Anforderungen der EU-Verifizierungsverordnung
nicht. Das betrifft sowohl die Voraussetzungen für die
Zertifizierung als auch die Anforderungen an die Zu-
lassungsstelle. Auch enthält das Treibhausgas-Emissi-
onshandelsgesetz bislang keine ausreichende Grund-
lage, um von der Optionsmöglichkeit zur Einrichtung
einer Zulassungsstelle Gebrauch machen zu können.
Eine Änderung des TEHG ist notwendig, um die neuen
Vorschriften der Akkreditierung und Verifizierung um-
zusetzen. Wichtig ist dabei auch, dass Voraussetzungen
für die Zertifizierung von Prüfstellen geschaffen wer-
den. Das ist für die sachverständigen Stellen wichtig,
die bislang als Einzelsachverständige tätig waren und
die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine
Akkreditierung von Prüfstellen nicht erfüllen. Damit
sie als zertifizierte Prüfstellen weiter arbeiten können,
ist diese Gesetzesänderung notwendig. Die entspre-
chenden Vorschriften zur Implementierung eines Zerti-
fizierungsverfahrens für natürliche Personen sollen
durch eine Rechtsverordnung geregelt werden, für die
das TEHG um eine neue Verordnungsermächtigung er-
gänzt wird. Soweit zur TEHG-Novelle.

Nun möchte ich doch noch von den technischen zu
den politischen Fragen kommen. Und hier hat
Schwarz-Gelb gestern im Umweltausschuss einen
Bock geschossen. In einem für den Umweltausschuss
einmaligen Vorgang hat die Regierungsmehrheit einen
Antrag der SPD zum europäischen Emissionshandel
von der Tagesordnung abgesetzt. Dort sollte die Koali-
tion gezwungen werden, in einer Abstimmung zum so-
genannten Backloading Farbe zu bekennen. Dazu ist
sie aber seit Monaten und Jahren nicht in der Lage. Es
wurde nicht nur der Antrag zum Backloading abge-
setzt, es soll nun nach dem Willen der Regierungsfrak-
tionen im Juni eine Anhörung zum Thema Backloading
geben. Als wären nicht schon längst alle Argumente
ausgetauscht. Diese Anhörung dient nicht dazu, wei-

tere Erkenntnisse zu sammeln, sondern sie soll verhin-
dern, dass vor der Anhörung eine Abstimmung zum
Backloading stattfindet. Dieses Vorgehen offenbart in
schonungsloser Weise die klimapolitische Handlungs-
unfähigkeit Deutschlands auf europäischer Bühne. Die
Bundeskanzlerin trägt mit ihrer „Methode Merkel“
dafür als ehemalige „Klimakanzlerin“ auch ganz per-
sönliche Verantwortung. Jetzt versucht die Koalition
mit allen Tricks der Geschäftsordnung, das Ende der
Legislaturperiode zu erreichen. Nach einem Jahr als
Umweltminister stellen wir fest, dass Herr Altmaier
krachend gescheitert ist. Das liegt nicht nur an der
FDP, sondern auch an Teilen seiner eigenen Bundes-
tagsfraktion, aber auch an der Entscheidungsunwillig-
keit von Kanzlerin Merkel.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1724038100

Die vorgeschlagene Änderung des Treibhausgas-

Emissionshandelsgesetzes schafft die Grundlage
dafür, dass in Deutschland zukünftig auch Einzelsach-
verständige im Bereich des Emissionshandels tätig
werden können. Deutschland hatte sich auf EU-Ebene
dafür eingesetzt, dass den Mitgliedstaaten eine
entsprechende Option eröffnet wird. Neben dieser Er-
weiterung des Rechtsrahmens für die Tätigkeit der
Sachverständigen im Emissionshandel enthält der Ge-
setzentwurf noch einzelne, zumeist klarstellende Ände-
rungen, um den Erfahrungen aus dem bisherigen Voll-
zug des TEHG Rechnung zu tragen.

Den Bundesländern sind wir dahin gehend entge-
gengekommen, dass wir die von ihnen kritisierte Rege-
lung für eine verstärkte Kooperation zwischen den
Landesbehörden und der Deutschen Emissionshan-
delsstelle aus dem Gesetzentwurf herausgenommen
haben. Die vorgesehene Erweiterung der Sachverstän-
digenzulassung soll noch in diesem Jahr umgesetzt
werden.

Interessanter im Zusammenhang mit dem Emis-
sionshandel ist allerdings, wie mit dem Preisverfall der
CO2-Zertifikate umgegangen werden soll. Um es vor-
weg zu sagen: Der Emissionshandel funktioniert. Er
hält zu möglichst geringen Kosten die Klimaschutz-
ziele genau ein. Dennoch: Dadurch, dass die Preise
zurzeit in einem Bereich zwischen 3 und 4 Euro pro
Tonne CO2 pendeln, fehlt ein langfristiger Anreiz, in
neue CO2-arme und nachhaltige Technologien zu in-
vestieren. Diese Anreize benötigen wir aber, wenn die
EU nach 2020 das Emissionsziel absenkt, um auf dem
Klimaschutzpfad bis 2050 voranzukommen.

Zur Stabilisierung des CO2-Preises fordern die Op-
positionsfraktionen, einen Anteil der in dieser Han-
delsperiode neu auszugebenden Zertifikate entweder
stillzulegen oder zurückzuhalten. Letzteres hat auch
die Europäische Kommission unter dem Stichwort
Backloading vorgeschlagen, ist damit allerdings im
Europäischen Parlament gescheitert.

Mit diesem Vorschlag würde man jedoch das Pferd
von hinten aufzäumen: Sinn und Zweck des Emissions-

Zu Protokoll gegebene Reden





Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)


handels ist nämlich nicht ein Mindestpreis für CO2-
Emissionen, sondern die Einhaltung des Cap, das
heißt, der EU-weit gedeckelten Gesamtmenge an CO2,
die von emissionshandelspflichtigen Anlagen ausge-
stoßen wird. Und das gelingt. Schraubt man willkür-
lich an der Zertifikatmenge, um einen bestimmten
Preis anzupeilen, führt man das System ad absurdum.
Zudem basiert das Vertrauen der Wirtschaftsakteure in
das System auf stabilen Rahmenbedingungen. Eine
willkürliche Änderung dieser Rahmenbedingungen
würde das Emissionshandelssystem mehr gefährden
als der aktuell sehr niedrige Preis.

Ein systematischerer Ansatz wäre es, das Klimaziel
anzuheben. Die Bundesregierung hat in der Nationa-
len Nachhaltigkeitsstrategie eine europaweite Anhe-
bung des Klimaziels auf 30 Prozent bis 2020 befürwor-
tet, wenn Deutschland sein nationales 40-Prozent-Ziel
nicht erhöhen muss und alle EU-Staaten einen ange-
messenen Beitrag leisten. Diesen Ansatz sollte man
nach dem Scheitern der Backloading-Pläne im Euro-
päischen Parlament jetzt noch einmal forcieren. Klar
ist aber auch: Beide Voraussetzungen müssen erfüllt
sein. Zusatzbelastungen der deutschen Industrie über
die ambitionierten deutschen Ziele hinaus sind nicht
sinnvoll, ebenso wenig Lösungen, die zu Wettbewerbs-
verzerrungen in Europa führen.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724038200

Diese Gesetzesänderung ist so ein Fall, wo wir

grundsätzlich eher leidenschaftslos sind, zum einen,
weil das Ganze eine technische Anpassung von Begrif-
fen und Zuständigkeiten an das EU-Recht ist, zum an-
dern, weil das Emissionshandelssystem gründlich ge-
gen die Wand gefahren wurde. Deshalb stehen für uns
ganz andere Probleme im Raum als die technische Ver-
waltung des vor sich hin siechenden Handelssystems.
Kurz: Das EU-Emissionshandelssystem, ETS, ist so
gut wie tot und die Bundesregierung blockiert seine
Reform.

Darum werden wir jetzt mehr Kraft verwenden, Al-
ternativen zu suchen, als uns weiter am komplizierten
Rechtsgeflecht im ETS abzuarbeiten.

Doch zunächst noch ein Wort zum vorliegenden Ge-
setzentwurf. In dem wird unter anderem Bezug auf die
Kompensationsmöglichkeiten für indirekte emissions-
handelsbedingte Strompreiserhöhungen genommen.
Darum lehnen wir ihn ab. Diese Kompensation für die
energieintensive Produktion ist schließlich ein kleiner
Teil dessen, was den Emissionshandel unwirksam
macht. Unzählige Ausnahmeregeln, Überzuteilungen
und Schlupflöcher haben seine ökologische Integrität
zerstört, dafür aber Extraprofite für Unternehmen or-
ganisiert.

An der Installierung dieser Maschinerie hat seiner-
zeit bis 2005 Rot-Grün genauso kräftig mitgewirkt wie
später Schwarz-Rot. Die Wirkung dieses Geschenkpa-
kets an die Wirtschaft haben wir heute auszubaden.

Im Falle der Strompreiskompensationen sollen nun
auch Unternehmen veritable Zuschüsse erhalten, die
mit ihren Produkten überhaupt nicht oder nur wenig
im internationalen Wettbewerb stehen. Gleiches pas-
sierte ja bereits bei der kostenlosen Zuteilung an In-
dustrieanlagen im Rahmen der Carbon-Leakage-Zu-
teilungsregeln. Diese insbesondere vom deutschen
Wirtschaftsministerium in Brüssel durchgesetzten Sub-
ventionen im Zusammenhang mit dem ETS-System
sind nur ein Mosaikstein des Lobbyismus gegen eine
vernünftige Klimaschutzpolitik.

Gerade gestern hat die Deutsche Emissionshandels-
stelle einen Hintergrundbericht zum Emissionshandel
der abgelaufenen Handelsperiode 2008 bis 2012 ver-
öffentlicht. Die Bilanz ist ernüchternd. Im letzten Jahr
sind die Emissionen zum Vorjahr um 2,4 Millionen
Tonnen gestiegen. In den Anlagen bestand 2012 den-
noch insgesamt ein Zuteilungsüberschuss von 145 Mil-
lionen Emissionsberechtigungen. Damit ist die Menge
an Zertifikaten gemeint, die überzählig sind, zieht man
jene ab, die in Höhe der tatsächlichen Emissionen ab-
zuliefern waren. Dieser Überschuss macht unter dem
Strich einen Marktwert von rund 570 Millionen Euro
aus. Die meisten Unternehmen haben also auch im
letzten Jahr am Emissionshandel kräftig verdient.

Doch woher kommt das Überangebot? Emissions-
berechtigungen über 140 Millionen Tonnen, also rech-
nerisch fast die gesamte Menge des genannten Über-
schusses, stammen aus Auslandsprojekten. Bei denen
ist jedoch vielfach fraglich, ob sie tatsächlich zusätzli-
chen Klimaschutz liefern, wie viele Studien ergeben
haben. Über die gesamte Handelsperiode gerechnet
sind über 300 Millionen solcher billiger Projektgut-
schriften aus dem Clean Development Mechanism,
CDM, der Joint Implementation, JI, verwendet wor-
den. Wenn aber viele davon faul sind, bläht sich das
Cap – die Emissionsobergrenze – mit heißer Luft auf.
Und diese Treibhausgasblase durfte laut Richtlinie in
die laufende Handelsperiode 2013 bis 2020 übernom-
men werden.

Die genannten 300 Millionen Projektgutschriften
entsprechen übrigens ungefähr dem gesamten deut-
schen Überschuss, der in den letzten fünf Jahren auf-
gelaufen ist. Das ist quasi der deutsche Beitrag dafür,
dass in Europa gegenwärtig ein Überschuss an Zertifi-
katen über insgesamt rund 1,7 Milliarden bis 2 Mil-
liarden Tonnen CO2 besteht. Diese Flut drückt die
CO2-Preise nunmehr unter vier Euro in den Keller.
Eine Lenkungswirkung des Emissionshandels in die
Wirtschaft hinein kann man vergessen. Das aufge-
blähte Cap repräsentiert für die Zukunft die Gefahr ei-
nes enorm wachsenden Treibhausgasausstoßes.

Wenn man berücksichtigt, dass in der zweiten Han-
delsperiode in Deutschland gerade einmal 20 Millio-
nen Tonnen CO2 im ETS-Bereich eingespart wurden

(2012 gegenüber 2008), demgegenüber aber allein

von der Bundesrepublik überschüssige Emissionsbe-
rechtigungen über 302 Millionen Tonnen CO2 in die
jetzige dritte Handelsperiode übertragen wurden – die

Zu Protokoll gegebene Reden





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)


zusätzlich aufs festgelegte Emissionsbudget 2013 bis
2020 oben drauf kommen –, dann kann man das Aus-
maß des Desasters erahnen.

In unserem Antrag „Kohleausstiegsgesetz nach

(Bundestagsdrucksache 17/12064)

rer Ansicht nach zu tun ist. Als erster Schritt zu tief-
greifenden ETS-Strukturreformen hätte der Vorschlag
der EU-Kommission unterstützt werden müssen, zu-
nächst 900 Millionen Zertifikate von den neuen Ver-
steigerungen in der EU fernzuhalten. Dieses so ge-
nannte Backloading hätte es wiederum ermöglicht,
spätestens ab 2016 das ETS mit neuen Spielregeln lau-
fen zu lassen. Stichworte dieser leider zeitraubenden
Reform der Emissionshandelsrichtlinie wären: end-
gültige Stilllegung der gesamten Überschussmenge,
strengere Minderungsziele und ein gänzliches Verbot
der Anrechnung von Auslandsgutschriften.

Dieses Szenario ist aber von der Bundesregierung
nicht gewollt. Bereits das Backloading wurde von
Union und FDP blockiert. Darum ist es Zeit, umzu-
steuern: Die Linke fordert ein Kohleausstiegsgesetz,
das Restlaufzeiten für Kohlekraftwerke festlegt und
spätestens 2040 den letzten Meiler vom Netz nimmt.
Zudem muss der Neubau von Kohlekraftwerken und
der Neuaufschluss von Tagebauen verboten werden.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724038300

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, wo die Priori-

täten dieser Bundesregierung liegen. Für den Klima-
schutz tun Sie nichts. Aber im Verteilen von Subventio-
nen an die energieintensive Industrie, da sind Sie groß.
Mit dieser klimaschädlichen Klientelpolitik muss am
22. September Schluss sein!

350 Millionen Euro an Subventionen wollen Sie an
die Industrie verteilen, als Ausgleich für vermeintlich
durch den Emissionshandel gestiegene Strompreise.
Aber die Strompreise sind gar nicht gestiegen. Sie sind
im letzten Jahr gefallen. Und sie fallen dieses Jahr
weiter. Der Strom kostet heute an der Börse 20 Prozent
weniger als letztes Jahr. Aber solche Fakten können
CDU, CSU und FDP in ihrem Subventionseifer offen-
bar nicht bremsen.

Ein Grund für den Preiseinbruch an der Börse ist,
dass der Emissionshandel, das zentrale Instrument der
europäischen Klimaschutzpolitik, nicht funktioniert.
Genau gesagt: Er liegt am Boden. Luftverschmutzer
müssen statt angemessener 20 Euro heute nur noch
3 Euro zahlen für jede Tonne CO2, die sie in die Luft
blasen. Da gibt es keine Anreize, sich klimaschonend
zu verhalten oder in Klimaschutztechnologien zu in-
vestieren.

Doch was macht die Bundesregierung? Hilft sie mit,
den Emissionshandel, um den es im vorliegenden Ge-
setz ja geht, zu reparieren? Nein, sie rührt keinen Fin-
ger. Im Gegenteil: Den Versuch der EU, dem Emis-
sionshandel wieder auf die Beine zu helfen, haben
ausgerechnet die deutschen Abgeordneten von CDU,

CSU und FDP im Europaparlament gestoppt – mit Un-
terstützung von Wirtschaftsminister Rösler und still-
schweigendem Einverständnis der Bundeskanzlerin.

Diese Bundesregierung macht den Klimaschutz ka-
putt und überhäuft die Industrie mit Subventionen, die
sie nicht braucht. Die Zeche zahlen die Umwelt und
die Verbraucher. Darauf kann es im Herbst nur eine
Antwort geben: abwählen!


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724038400

Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13398, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/13025 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Gegenprobe! – Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt
dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung (EU)

Nr. 259/2012

– Drucksache 17/13024 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/13399 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Lutz Knopek
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1724038500

Phosphate werden hauptsächlich in der Landwirt-

schaft als Pflanzendünger verwendet. In Oberflächen-
gewässern stellen sie eine Gefahr für Mensch und Um-
welt dar und müssen deshalb auf ein Minimum
reduziert werden. Bisher liegt der Anteil von Phosphat
aus Maschinengeschirrspülmitteln in Haushaltsab-
wässern in Deutschland bei circa 10 Prozent. Der
Hauptanteil von Phosphaten im Abwasser stammt aus





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


den menschlichen Ausscheidungen und aus Düngern
in der landwirtschaftlichen Nutzung. Dank des hohen
Anschlussgrades an dreistufige Kläranlagen werden in
Deutschland etwa 90 Prozent des Phosphats aus den
Haushaltsabwässern entfernt.

Ganz besonders lobenswert ist, dass deutsche Haus-
haltswaschmittelhersteller bereits schon seit Mitte der
80er Jahre freiwillig auf Phosphate verzichten. Damit
ist Deutschland Vorreiter in Sachen Umweltschutz.

Bisher hatte jeder EU-Staat seine eigene Regelung
in Bezug auf den Gehalt von Phosphaten in Wasch-
und Reinigungsmitteln. Das Europäische Parlament,
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der
Ministerrat haben sich dann aber im Dezember 2011
auf eine Änderung der Gesetzgebung für Wasch- und
Reinigungsmittel, die sogenannte europäische Deter-
genzienverordnung, geeinigt.

Kernbotschaft der neuen Phosphatverordnung ist
die Begrenzung des Phosphatgehalts, die zunächst ab
2013 für Textilwaschmittel gelten wird. Zu einem spä-
teren Zeitpunkt wird diese Begrenzung auch auf Ma-
schinengeschirrspülmittel ausgeweitet werden. EU-
weit wird für Haushaltswaschmittel ab dem Jahr 2013
nur noch die sehr geringe Menge von 0,5 Gramm pro
Waschladung an Phosphor erlaubt sein. Damit wird es
europaweit bald so gut wie kein Phosphat mehr als In-
haltsstoff in Waschmitteln geben. Auch für Maschinen-
geschirrspülmittel wird ab dem Jahr 2017 nur noch
0,3 Gramm Phosphor als Höchstwert pro Spülgang
festgelegt. Somit gilt dann auch hier: so gut wie kein
Phosphat mehr in Maschinengeschirrspülmitteln. Die
Hersteller werden europaweit neue Produkte mit Phos-
phatersatzstoffen auf den Markt bringen müssen, die
unschädlich für Mensch und Umwelt sind. Es existie-
ren bereits solche Waschmittel, sie müssen nur noch
überall erhältlich sein und müssen sich noch europa-
weit durchsetzen.

Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die EU-
Phosphatverordnung hinsichtlich ihrer materiellen
Vorschriften keiner Umsetzung in nationales Recht.
Für eine wirksame Durchführung der Vorschriften ist
in Deutschland jedoch die Schaffung von Sanktions-
vorschriften notwendig. Bei der heutigen Lesung des
Gesetzes zur Durchführung der sogenannten Phos-
phatverordnung geht es also um die rechtlichen
Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der Ver-
ordnung (EU) Nr. 259/2012 in Deutschland. Der Ge-
setzentwurf sieht die Schaffung von Sanktionsvor-
schriften im Wasch- und Reinigungsmittelgesetz vor,
die der Ahndung von Verstößen gegen die EU-Verord-
nung dienen. Darüber hinaus werden bestehende An-
ordnungsbefugnisse der Landesbehörden erweitert so-
wie Anordnungsbefugnisse des Umweltbundesamtes
im Rahmen der Durchführung von EU-Schutzklausel-
verfahren effektiver ausgestaltet. Die Vollstreckung
derartiger Notfallanordnungen des Umweltbundesam-
tes wird den Ländern übertragen.

Der Bundesrat hatte am 22. März 2013 zu dem Ge-
setzentwurf lediglich eine Änderung beschlossen, die
ein Detail der Vollstreckungsregelung für die UBA-An-
ordnungen betrifft. Die Bundesregierung hat dieser
Änderung in ihrer am 10. April 2013 im Bundeskabi-
nett beschlossenen Gegenäußerung zugestimmt. Dies
übernehmen wir als Koalitionsfraktionen mit unserem
Änderungsantrag, dem die Ausschüsse bereits zuge-
stimmt haben.

Der vorliegende Gesetzentwurf hat bei seinem Ent-
stehen keine Konfliktpunkte aufgeworfen. Damit steht
dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am
7. Juni 2013 im Bundesrat nichts im Wege, und so kön-
nen wir mit einer Verkündung noch vor der Sommer-
pause rechnen.

Mit diesem Gesetz werden wir einen Beitrag zur Re-
duzierung der Phosphatzufuhr in allen europäischen
Gewässern und damit zum Schutz der Binnengewässer
und des Meeres gewährleisten. Dadurch kommen wir
auch dem einheitlichen Binnenmarkt in diesem Be-
reich ein Stück näher, und vor allem einem besseren
europaweiten Schutz unserer Gewässer und Meere.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1724038600

Letztes Jahr wurden auf EU-Ebene harmonisierte

Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und
anderen Phosphorverbindungen in Wasch- und Ge-
schirrspülmitteln eingeführt. Die Bundesregierung hat
zur Umsetzung dieser seit 2012 bestehenden EU-Phos-
phatverordnung (EU) Nr. 259/2012 ein Begleitgesetz
in den Bundestag eingebracht, über das wir heute in
zweiter und dritter Lesung abstimmen. Die EU-Verord-
nung selbst bedarf keiner Umsetzung in nationales
Recht. Erforderlich ist aber hierzulande eine Ände-
rung des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes, um die
rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der
EU-Verordnung zu schaffen, mit der der Phosphatein-
trag in europäischen Gewässern gesenkt werden soll.
Mit dem heute zu beratenden Gesetz sollen sowohl
Sanktionsvorschriften beim Verstoß gegen die EU-
Phosphatverordnung als auch die Befugnisse der zu-
ständigen Behörden geregelt werden. Mit einer ent-
sprechenden Bußgeldvorschrift soll eine wirksame
Durchsetzung der neuen EU-Phosphatbegrenzungs-
regelungen in Deutschland gewährleistet werden.

Wir begrüßen diese Neureglung. Denn noch vor ei-
nigen Jahren waren Phosphate fester Bestandteil unse-
rer Waschmittel und haben so die Gewässer stark be-
lastet. Wer kennt sie nicht, die Schaumkronen auf den
Flüssen und Bächen: ein Resultat der Salze der Phos-
phatsäure, sprich: Phosphat. Diese Phosphate tragen
zur Überdüngung der Gewässer bei und verstärken da-
durch das Algenwachstum, was wiederum zur Folge
hat, dass gerade im Sommer ein Sauerstoffmangel in
Gewässern entsteht. Dies ist für die Fische zum Teil le-
bensbedrohlich.

Viele Hersteller und Vertreiber von Wasch- und Rei-
nigungsmitteln in Deutschland haben schon in den
letzten Jahrzehnten zu phosphatfreien Produkten ge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)


wechselt. Denn inzwischen sind umweltschonendere
Alternativstoffe verfügbar, die die Funktion der Phos-
phate übernehmen und eine wirksame Reinigung ge-
währleisten. Dieses Engagement der heimischen Un-
ternehmen begrüßen wir ausdrücklich. Und dass
diesen Vorreitern jetzt gesetzliche Regelungen für eine
europaweite Begrenzung von Phosphaten folgen, zeigt,
dass Deutschland in manchen Bereichen immer noch
seinem Anspruch als Umweltvorkämpfer gerecht wird.
Daher stimmen wir auch dem vorliegenden Gesetzent-
wurf der Bundesregierung zu. Wir würden uns aber
sehr wünschen, dass auch in den anderen wichtigen
Fragen der Umweltpolitik die Bundesregierung wieder
Vorbild würde.

Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeu-
tet die Neureglung ganz konkret, dass ab dem 30. Juni
2013 keine Waschmittel, die für sie bestimmt sind, mit
einem Gesamtphosphorgehalt von 0,5 Gramm oder
mehr in der empfohlenen Menge pro Standardwaschla-
dung mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Das be-
trifft Vollwaschmittel für normal verschmutze Wäsche
und Feinwaschmittel für leicht verschmutzte Wäsche.
Ab dem 1. Januar 2017 geht es noch weiter: Dann darf
es auch keine Maschinengeschirrspülmittel für Ver-
braucher mehr geben, die einen Gesamtphosphorge-
halt von 0,3 Gramm oder mehr pro Standarddosierung
aufweisen. Die neuen Grenzwerte führen in der Praxis
dazu, dass Phosphate aus den Produkten europaweit
verschwinden werden. Dies trägt nicht nur zur Verbes-
serung der Gewässerqualität bei, sondern hilft auch
den Klärwerken, teure Phosphatfällungsmittel einzu-
sparen.

Europarechtliche Vorgaben sind die eine Seite der
Medaille beim Thema Umweltschutz, konkrete Tipps
und Aufklärung für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher sind die andere Seite. Daher freue ich mich,
dass es vor einer Woche, am 10. Mai, zum zehnten Mal

(Abschen“ gab, der auch ein offizielles Projekt der Weltdekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist. Initiiert wurde der Aktionstag unter anderem vom Industrieverband Körperpflegeund Waschmittel, der zu diesem Anlass Akteure aus Verbraucherverbänden, Behörden, Umweltorganisationen und Forschungsinstituten mobilisierte. Ob beim Infostand der Landfrauen in der Oberpfalz oder auf Waschfesten in Ravensburg, rund um den 10. Mai bemühten sich überall in Deutschland Menschen, den Verbrauchern das nachhaltige Waschen näherzubringen. Gerade beim Waschen und Spülen wird eine Menge Energie, Chemie und Wasser verbraucht. Daher muss Ziel sein, noch mehr Verbraucher für den bewussten täglichen Umgang mit den wertvollen Ressourcen zu gewinnen. Das schont auch den eigenen Geldbeutel; denn steigende Energiepreise reißen große Löcher in das private Budget. Wer bewusst und schonend mit der Energie beim Waschen und Spülen umgeht, gewinnt immer: Sein Beitrag für die Allgemeinheit hilft gleichzeitig, privat Geld zu sparen. Im Alltag nützt es schon, ein paar einfache Regeln zu beherzigen. Dazu gehören zum Beispiel die Energiesparprogramme bei Geschirrspülern und Waschmaschinen oder der Einsatz von niedrigen Temperaturen und einer geringeren Dosierung. Die Umsetzung dieser praktischen Tipps beim nachhaltigen Waschen, Abwaschen und Reinigen leistet in Kombination mit dem Gesetz, das wir heute gemeinsam beschließen, einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Qualität unserer Flüsse, Seen und küstennahen Gewässer in der gesamten EU. Um den Phosphatgehalt in den Gewässern zu sen ken, wurde 1980 in Deutschland die Phosphathöchstmengenverordnung erlassen. Die Hersteller von Waschmitteln wurden dadurch verpflichtet, die zulässige Phosphathöchstmenge in Waschund Reinigungsmitteln 1981 um 25 Prozent und 1984 um insgesamt 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1980 zu reduzieren. Die Phosphathöchstmengenverordnung betrifft allerdings nur phosphathaltige Waschmittel, die zur Reinigung von Textilien im Haushalt oder in Wäschereien bestimmt sind. 1986 war etwa die Hälfte aller Waschmittel phosphatfrei und 1987 bereits zwei Drittel. Heute sind praktisch nur noch phosphatfreie Waschmittel auf dem Markt. Aufgrund des Einsatzes phosphatfreier Haushaltswaschmittel ist der Phosphatverbrauch in Deutschland bis 1993 auf lediglich 4 000 Tonnen pro Jahr im Haushaltsbereich gesunken. Auf europäischer Ebene wurden 2012 mit der „Verordnung in Bezug auf die Verwendung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in für den Verbraucher bestimmten Waschmitteln und Maschinengeschirrspülmitteln“ harmonisierte Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in Waschund Geschirrspülmitteln eingeführt. Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die EU-Phosphatverordnung hinsichtlich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung in nationales Recht. Erforderlich ist jedoch die Aufnahme einer entsprechenden Bußgeldvorschrift ins Waschund Reinigungsmittelgesetz, um eine wirksame Durchsetzung der neuen EU-Phosphorbegrenzungsregelungen in Deutschland zu gewährleisten. Mit diesem Gesetz, das in der Sache völlig unstreitig ist, werden die dazu notwendigen Anpassungen im Waschund Reinigungsmittelgesetz vorgenommen. Deutschland kommt damit seinen europäischen Verpflichtungen nach. Mehr ist für den Deutschen Bundestag nicht zu tun. Wir befassen uns hier mit dem Entwurf eines Geset zes zur Durchführung der sogenannten PhosphatVerordnung der Europäischen Union. Inhaltlich wer Zu Protokoll gegebene Reden Ralph Lenkert den mit diesem Entwurf die Möglichkeiten der Landesbehörden zur Durchsetzung der Phosphat-Verordnung konkretisiert. Schauen wir uns also die diesem Entwurf zugrunde liegende Phosphat-Verordnung einmal genauer an. Mit der Verordnung werden EU-weit harmonisierte Vorschriften für die Begrenzung von Phosphaten und anderen Phosphorverbindungen in Waschund Geschirrspülmaschinen eingeführt. Ab dem 30. Juni dieses Jahres dürfen für Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmte Waschmittel nicht mehr in Verkehr gebracht werden, wenn sie einen Gesamtphosphorgehalt von 0,5 Gramm oder mehr in der empfohlenen Menge für eine normale Waschmaschinenfüllung aufweisen. Fast vier Jahre später, ab Januar 2017, soll auch für die für Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmten Geschirrspülmaschinen eine Begrenzung eingeführt werden: Hier gilt dann ein Wert von 0,3 Gramm Gesamtphosphorgehalt pro Standarddosierung. Das Problem bei den Phosphaten ist, dass sie mit dem Abwasser wieder in den Kreislauf gelangen. Große Mengen an Phosphaten führen in Gewässern zu einem Überangebot an Nährstoffen und damit zu massivem Algenwachstum und einer Minderung des Sauerstoffgehaltes – die Fische sterben, das Gewässer kippt um. Waschund Reinigungsmittel sind in Europa generell eine der Hauptquellen für die Belastung mit Phosphaten. Die Begrenzung des Phosphatgehaltes in der Verordnung ist daher ein wichtiger Schritt für den Schutz unserer Gewässer. Dadurch werden vor allem auch die bisher in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich gehandhabten Höchstmengen angeglichen. In Deutschland ist aufgrund der Phosphathöchstmengenverordnung aus dem Jahre 1980 der Phosphateintrag in die Gewässer aus Waschmitteln jedoch ohnehin relativ gering. Problematischer verhält es sich da mit Geschirrspülmaschinen – leider soll für diese der Begrenzungswert von 0,3 Gramm Gesamtphosphorgehalt pro Standarddosierung erst ab 2017 gelten. Warum nicht früher? In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken: 70 Prozent der Phosphateinträge in Gewässern stammen aus diffusen Quellen. Der größte Teil der Phosphatbelastung stammt aus der Landwirtschaft, so zum Beispiel in der Ostsee. Hier besteht ein wesentlich größerer Handlungsbedarf. Zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die Erweiterung der entsprechenden Bußgeldvorschrift bei Verstößen gegen die neuen Phosphorbegrenzungsregelungen ist zu begrüßen. Die Phosphat-Verordnung muss jedoch auch tatsächlich durchgesetzt werden können, und dazu sind Kontrollen und für diese genügend Kapazitäten sicherzustellen. Durch diese Richtlinie wird die Belastung von häuslichen Abwässern mit Phosphor vermutlich unter die Hälfte des jetzigen Zustandes sinken. Deshalb sollte wissenschaftlich untersucht werden, ob bei vorhandenem guten chemischen Gewässerzustand weiter am Zubau phosphateliminierender Kläranlagen festgehalten werden muss oder ob Energieverbrauch, Ausfällmittel und Ressourcenbedarf dieses Ausbaues in Summe nicht negativer auf die Umwelt wirken. Es ist wichtig, dass neben dieser Richtlinie, gerade bei den diffusen Eintragsquellen für Phosphor weitere Bemühungen erfolgen, um Phosphateinträge weiter zu verringern. – Gewässerschutz hilft uns allen. Waschund Reinigungsmittel sind eine Hauptquelle für die Belastung von Gewässern mit Phosphaten. Phosphat und Phosphorverbindungen in natürlichen Gewässern führen zu einem Nährstoffüberangebot, das ein massives Algenwachstum und eine Minderung des Sauerstoffgehaltes zur Folge hat. Phosphate haben zudem die unangenehme Eigenschaft, dass sie Verbindungen mit Schwermetallen eingehen. Diese Eigenschaft macht ihre Verwendung in Waschund Maschinengeschirrspülmitteln zusätzlich problematisch, da sie abgelagerte Schwermetalle in Gewässern mobilisieren. Auf den Einsatz von Phosphaten in Waschmitteln wird von den Herstellern inzwischen weitgehend verzichtet, da sie in der Vergangenheit rasch zur Überdüngung und schließlich zum Umkippen von Gewässern geführt haben. In Waschmitteln sind sie kaum noch zu finden, in Geschirrspülmitteln und sonstigen Reinigungsmitteln leider noch häufiger. Eigentlich benötigt die EU-Phosphatverordnung aus dem letzten Jahr, die die Verwendung von Phosphat und Phosphorverbindungen einschränkt, keine Umsetzung in nationales Recht, da sie unmittelbare Geltung in allen Mitgliedstaaten hat, auch in Deutschland. Die Bundesregierung legt hier eine Anpassung des Waschund Reinigungsmittelgesetzes vor, um Sanktionen bei Verstößen gegen die EU-Phosphatverordnung festzulegen und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden zu klären. Mit dem Gesetzesvorschlag der Regierung soll also ein wirksamer Vollzug der EU-Verordnung sichergestellt werden, um den Phosphateintrag in europäischen Gewässern weiter abzusenken. Klar ist: Wo EU-Regelungen zum Schutz der Umwelt direkt gelten, ist die Regierung verantwortlich für den Vollzug dieser Regelungen, damit sich alle Hersteller an die Vorgaben halten. Das kann mit der Gesetzesänderung erreicht werden, indem die Voraussetzungen für die Durchsetzung der EU-Grenzwerte festgelegt werden. Der verminderte Eintrag von Phosphaten in die Umwelt schützt die Böden, Gewässer und senkt Kosten in den Kläranlagen, die diese Stoffe ansonsten aufwendig eliminieren müssen. Wir stimmen dem Vorschlag der Bundesregierung zu. Er ist sinnvoll für einen besseren Vollzug der EU-Phosphatverordnung. Zu Protokoll gegebene Reden Dorothea Steiner Dass bei Verstößen gegen die EU-Grenzwerte wirksame Sanktionen eingeführt werden müssen, ist für uns selbstverständlich. Auch die Zusammenarbeit der Bundesund Landesbehörden muss klar geregelt sein, damit sich keine Schlupflöcher bilden. Deshalb unterstützen wir die hier vorgenommenen Gesetzesanpassungen an das neue EU-Recht. Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13399, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13024 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/ Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und Organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika – Sicherheitsabkommen unter dem Primat der Menschenrechte gestalten – Drucksachen 17/13237, 17/13533 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Heike Hänsel Thilo Hoppe Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Mexiko ist Deutschlands wichtigster Partner in der Region Zentralamerika. Es ist Zentrum einer Region, die in unsere Außenund Handelspolitik meines Erachtens stärker eingebunden werden muss. In meiner Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe befasse ich mich intensiv mit den Entwicklungen vor Ort. Der heutigen Aussprache liegt der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika zugrunde. Ich möchte an dieser Stelle zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritte in Mexiko zu unterstreichen und meine Anerkennung für die erbrachten Reformen und Erfolge zum Ausdruck zu bringen. Dennoch sehen wir in den Koalitionsfraktionen auch Defizite, um deren Lösung es in der Zukunft gehen muss; hierzu zählt ohne Frage die Drogenproblematik und die in diesem Zusammenhang korrelierende Gewaltsituation. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert, dass in Mexiko und anderen Staaten Zentralamerikas staatliche Institutionen mit organisierter Kriminalität durchsetzt seien. Aus diesem Blickwinkel heraus werden eine Gefährdung der Demokratien und die Untergrabung des Vertrauens der Bevölkerung in staatliche Strukturen in den betroffenen Ländern angenommen. Fakt ist: Die zentralamerikanischen Staaten gehen gegen die organisierte Kriminalität vor, sie stellen sich also gegen die Unterwanderung der Gesellschaft durch die organisierte Kriminalität, beispielsweise mit weitreichenden Maßnahmen gegen den Drogenund Menschenhandel. Hier muss die Kooperation der Behörden in Zentralamerika sicherlich verbessert werden, aber den Tenor des Antrags, die Bekämpfung der Drogenkartelle bewirke eine „Militarisierung auf Druck der USA“, teile ich nicht. Im Folgenden nimmt der Antrag Bezug auf das Abkommen zur „Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich“ zwischen Deutschland und Mexiko. Hier sehen die Antragsteller ebenso wenig die Fortschritte in den Bereichen der „Zusammenarbeit bei der Bekämpfung, Verhütung und Aufklärung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftund Schleuserkriminalität, des Menschenhandels sowie des Terrorismus“, sondern sie kritisieren ein zu striktes Vorgehen der Staaten gegen diese Strukturen. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, insbesondere der Drogenkartelle in Mexiko, hat in den vergangen Jahren viele unschuldige Opfer gefordert. Schätzungen gehen von bis zu 70 000 Getöteten aus. Das ist ein Blutzoll unvorstellbaren Ausmaßes und eine Entwicklung, die wir als CDU/CSU-Fraktion als sehr bedrohlich empfinden und einstufen. Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass auch unter dem neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto die Opferzahlen noch nicht gesunken sind. Für eine in die Tiefe gehende Bewertung ist es deshalb noch zu früh. Die Ausweitung der Kriminalitätsbekämpfung unter Präsident Calderón ab dem Jahr 2007 hatte in der Tat zu einem Anstieg der Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte Jürgen Klimke geführt. Ich möchte an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass unser Partner Mexiko alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergriffen hat und ergreift, um solchen Vorwürfen nachzugehen. Alle Beschwerden wurden vonseiten der Streitkräfte untersucht. Das Oberste Gericht Mexikos hat zudem in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige in Zukunft vor ordentlichen Gerichten verhandelt werden und nicht mehr vor einer Militärgerichtsbarkeit. Die Einbindung der Streitkräfte in die Bekämpfung des Drogenhandels muss eine zeitlich begrenzte Maßnahme bleiben. Zudem hat Anfang dieses Jahres Präsident Nieto ein neues Opferschutzgesetz unterzeichnet. Das Gesetz wird die Rechte der Opfer von Straftaten und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere im Hinblick auf Hilfe, Schutz, Pflege, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, weiter verbessern. Ich begrüße die Ankündigung von Präsident Nieto, die Zahl der Opfer im Kampf gegen die Drogenkartelle einzudämmen und einen stärkeren Fokus auf Prävention, die Einhaltung der Menschenrechte sowie eine verbesserte Koordination der lokalen, regionalen und nationalen Polizeikräfte zu legen. Allerdings steht, wie schon angemahnt, die Umsetzung dieses Wahlversprechens aus. Eines der größten Probleme Mexikos ist derzeit die hohe Zahl von illegalen Waffen im Land. Etwa 80 Prozent dieser illegalen Waffen stammen aus den USA und werden in Zusammenhang mit der Drogenkriminalität ins Land gebracht. Primäres Ziel muss es sein, den Zustrom illegaler Waffen nach Mexiko zu stoppen. In der Gesamtbetrachtung muss ich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als unausgewogen kritisieren: Es werden darin viele Kritikpunkte aufgezählt, ergriffene Maßnahmen aber systematisch verschwiegen, obwohl diese aus meiner Sicht sehr wohl in die richtige Richtung führen. Sie betreiben Entwicklungszusammenarbeit mit ideologischer Brille. So kritisieren Sie die Drogenbekämpfungspolitik von Präsident Calderón als einseitig, setzen aber Hoffnungen in die Politik des neuen Präsidenten, der die Fortführung der politischen Agenda seines Amtsvorgängers in der Drogenpolitik angekündigt hat. Um die Drogenproblematik in Mexiko in den Griff zu bekommen, stellen sich die Grünen hin und fordern die Bundesregierung auf, „Reformansätze zur Entkriminalisierung und Regulierung von Drogen“ einzuleiten. In Forderung 19 Ihres Antrages fordern Sie eine Politik, „die Entkriminalisierung von Drogenbauern und -konsumenten fördert und Initiativen zu staatlicher Regulierung als Alternative zum prohibitiven Ansatz und den Umbau zu einer alternativen Drogenpolitik meinen Sie damit? Eine Politik nach dem Motto: „Kokain für alle, und auf einen Schlag sind wir die gesamte Problematik los“? Insbesondere diese Forde rungen machen es für die Koalitionsfraktionen unmöglich, Ihrem Antrag zu folgen. Sie verharmlosen die Folgen von Drogenmissbrauch. Die Problematik des Drogenanbaus und -handels sowie des Missbrauchs weltweit ist trotz gestiegener Prävention und Bekämpfung immer noch ein großes Problem. Aber nicht nur in Europa ist der Konsum von Drogen verbreitet, auch in den Schwellenländern sind Zuwachsraten unter den Konsumenten zu beobachten. Ich sehe deshalb drei Hauptelemente, gegen die im Rahmen einer umfassenden und internationalen Drogenpolitik weiterhin vorgegangen werden muss: illegaler Anbau und Produktion von Drogen, illegaler Drogenhandel und Drogenschmuggel, Drogenkonsum, -missbrauch und -abhängigkeit. Eine umfassende und wirkungsvolle Strategie zur Eindämmung der internationalen Drogenproblematik lässt sich nur durch internationale Abstimmungsprozesse umsetzen. Ebenfalls nicht tragbar ist Ihre Forderung, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf die Bereiche Recht und Justiz, Menschenrechte, Polizeireform, Kleinwaffenkontrolle, Korruptionsbekämpfung sowie Reform des Sicherheitssektors auszuweiten, zumindest soweit sich diese Forderungen auf Mexiko beziehen. Die deutsch-mexikanische Entwicklungszusammenarbeit wurde 2004 einer Überprüfung unterzogen und dabei der gestiegenen finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes angepasst. So unterstützt Deutschland keine Maßnahmen mehr, die Mexiko angesichts seiner steigenden Wirtschaftskraft in Eigenleistung erbringen kann. Dem deutschen Steuerzahler – dessen Geld Sie hier einsetzen möchten – wäre diese Maßnahme nicht plausibel zu erklären. Es hat aber auch etwas von Gängelung. Denn damit wird der Anschein erweckt, dass wir den Mexikanern in diesem Bereich Nachhilfe erteilen müssten. Davor sollten wir uns hüten. Es ist vielmehr unsere Politik, die Kooperationssektoren der Entwicklungszusammenarbeit in Absprache mit den Partnern festzulegen. Der Blick in die Region zeigt: In Guatemala existiert bereits ein Arbeitsschwerpunkt „Demokratische Regierungsführung/Gerechtigkeit“. Auch mit Honduras und Guatemala bestehen bereits heute Kooperationsschwerpunkte im Bereich Bildung; und in El Salvador fokussieren wir die Zusammenarbeit in ein regionales Projekt zur Jugendgewaltprävention. Es bleibt also festzuhalten: Mexiko entwickelt sich insgesamt positiv. Die Drogenund Gewaltproblematik ist weiterhin ein Entwicklungshemmnis. Wir sollten Mexiko auf seinem schwierigen Weg unterstützen und nicht eine Politik des erhobenen Zeigefingers betreiben. Ursache und Wirkung in der Gewaltspirale sollten nicht verwechselt werden und dazu führen, dass wir die Sicherheitskräfte Mexikos an den Pranger stellen. Zu Protokoll gegebene Reden Uns liegt heute der Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für eine Neuorientierung im Umgang mit Gewalt und Organisierter Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika – Sicherheitsabkommen unter dem Primat der Menschenrechte gestalten“ zur Abstimmung vor. Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen an die Bundesregierung, sämtliche Verhandlungsschritte des Sicherheitsabkommens mit Mexiko ausführlich und transparent dem Deutschen Bundestag offenzulegen. Wir erachten es für richtig, dass zwischenstaatliche Abkommen, die Sicherheitszusammenarbeit sowie Ausbildungsund Ausstattungshilfe für Polizei und Militär zum Gegenstand haben, an bestimmte formale Anforderungen geknüpft sind, die einheitlich und bindend festzulegen sind. Es ist tragisch, dass ein Land wie Mexiko trotz positiver wirtschaftlicher Entwicklung im letzten Jahrzehnt nun durch die organisierte Kriminalität brutal zurückgeworfen wird. Die bisher eingesetzten repressiven Mittel haben die Drogenmafia nicht wirkungsvoll bekämpfen können. Deshalb ist es richtig, dass wir mehr präventive Ansätze brauchen. Nur mit flankierenden sozialpolitischen Maßnahmen kann der organisierten Kriminalität begegnet werden. Gleichzeitig müssen Polizei und Militär sich an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit halten. Nur wenn die Polizei nicht mehr als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung gesehen wird, kann die Kriminalität erfolgreich bekämpft werden. Daher ist es besonders wichtig, dass die Ausbildungsunterstützung klaren formalen Anforderungen entspricht, deren Einhaltung kontinuierlich kontrolliert wird. Die Forderung nach einem regelmäßigen Bericht über diese Maßnahmen an das deutsche Parlament inklusive eines Überblicks der politischen und rechtsstaatlichen Lage in den jeweiligen Regionen in Mexiko bewerte ich als einen sehr notwendigen und zielführenden Vorstoß der Antragsteller. Rechtsstaatlichkeit muss die wesentliche Voraussetzung für sämtliche sicherheitspolitischen und polizeilichen Maßnahmen sein. Ich appelliere auch hier an die Bundesregierung, eine kontinuierliche, strenge Überwachung des Vertragspartners durchzuführen. Wesentlich entscheidend für die Frage, ob repressive Maßnahmen Erfolge erzielen oder nicht, ist darüber hinaus, dass sie von gut ausgebildeten Polizeimitarbeitern durchgeführt werden und nicht vom Militär, wie es derzeit in Mexiko leider der Fall ist. Repressives Vorgehen bedarf glaubhafter und starker Sicherheitsstrukturen. Wie eingangs erwähnt, reichen repressive Maßnahmen jedoch keineswegs aus. Ich teile voll und ganz die Auffassung des mexikanischen Botschafters, die er mir in einem Schreiben von dieser Woche mitteilte, dass eine erfolgreiche Bekämpfung von Gewalt und Verbrechen nur möglich ist, wenn sie mit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung einhergeht. Der neue mexikani sche Präsident Enrique Peña Nieto setzt auf diese Strategie in seinem neuen sicherheitspolitischen Plan für das Land. Einen Beitrag hierfür kann – wie in dem Antrag gefordert – ein menschenrechtsbasierter und entwicklungsorientierter Ansatz im Umgang mit organisierter Kriminalität leisten, der mehr Mittel für soziale Sicherungs-, Bildungsund Beschäftigungsprogramme, insbesondere für Jugendliche, bereitstellt. Daraus können positive Effekte für die wirtschaftliche Situation, vor allem von Jugendlichen, resultieren. Sie werden weniger wahrscheinlich durch das organisierte Verbrechen angezogen. Die Förderung von Bildung und Beschäftigung stellt daher nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion eine sinnvolle Präventionsmaßnahme dar. Allerdings wird ein entwicklungspolitischer Beitrag das Problem der Mafia in Zentralamerika und Mexiko mit ihren 70 000 Toten niemals alleine lösen können. Hierzu bedarf es insbesondere auch Anstrengungen im Bereich Waffenund Menschenhandel sowie Geldwäsche. In diesem Kontext ist für uns auch die Forderung nach einer stärkeren Einbindung der Parlamentarier sowie nach mehr Transparenz der laufenden Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und Mexiko wesentlich. Ebenso tragen die Industrieländer und Deutschland eine wesentliche Mitschuld an den Problemen, weil wir mit den Drogenkonsumenten in unseren Ländern die Nachfrage erst schaffen. Gleichzeitig wird durch die Kriminalisierung des Drogenanbaus, -handels und -konsums die Voraussetzung dafür geschaffen, dass weltweit Milliarden Euro und Dollar in die organisierte Kriminalität fließen. Deshalb ist ein Umdenken in der Drogenpolitik notwendig. Wir schlagen vor, zu Beginn der nächsten Legislaturperiode eine Anhörung dazu zu veranstalten und eine sachliche Debatte mit Abwägung sämtlicher Argumente zu führen. Im Rahmen dieser Debatte kann die Frage, wie in Zukunft mit der Legalität von Drogen umgegangen werden soll, erörtert werden. Der Drogenkrieg auf dem mittelamerikanischen Isthmus ist mittlerweile zum größten und gefährlichsten Problem der zentralamerikanischen Länder und Mexikos avanciert. Die Drogenkartelle stellen mit ihrer Macht die ohnehin schon fragile Staatlichkeit dieser Länder komplett infrage, indem sie jedes Vakuum füllen, das die Staaten dieser Region durch Armut, Korruption oder Unvermögen bilden. Nicht umsonst gilt das Länderdreieck Guatemala–Honduras– El Salvador seit 2011 mit den meisten Toten als die gefährlichste Region der Welt – noch vor dem Irak oder Afghanistan. Auch in Mexiko, das unter einer besonderen Brutalität des Drogenkrieges leidet, fielen im vergangenen Jahr mehr als 70 000 Menschen der Gewalt zum Opfer, mehr als 26 000 wurden durch den Drogenkrieg aus Zu Protokoll gegebene Reden Hans-Werner Ehrenberg ihren Dörfern vertrieben. Ein katastrophaler Zustand, der uns nicht kaltlassen kann. Seit Anfang dieses Jahrzehnts bemühen sich die USA zusammen mit den Ländern dieser Region, das Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Seit 2008 hat man im Rahmen der Mérida-Initiative mit mehr als 1,6 Milliarden Dollar die militärische und polizeiliche Infrastruktur sowie den Ausbau von Grenzkontrollen finanziert und diese durch Programme zur Stärkung des Rechtsstaates bis auf die Gemeindeebene ergänzt. Die Bundesregierung orientiert sich mit ihrem Sicherheitsabkommen, das mit Mexiko kurz vor dem Abschluss steht und um das es hier heute geht, genau daran. Und das ist auch gut so. In der Analyse der Situation sind wir uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, glaube ich, einig: Die Drogenkriminalität ist eines der größten und gefährlichsten Problemkomplexe, der diese Region heimsucht und stellt eine akute Gefahr für die Staatlichkeit der Länder in dieser Region dar. Und dass etwas getan werden muss, darüber herrscht, glaube ich, auch kein Zweifel. Allerdings kommen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, wieder einmal zu einem völlig falschen Schluss: Sie verlangen in Ihrem Antrag unter anderem, die Polizei und das Militär im Drogenkrieg nicht weiter zu unterstützen. Eine völlig irrige und hochgefährliche Forderung, die im Übrigen auch diametral zu den Wünschen unserer Partnerregierungen in der Region verläuft. Ich möchte Ihnen auch gerne sagen, warum. Sie sprechen im Kampf gegen die Drogen von einer Militarisierung und fordern ein Waffenembargo gegen die zentralamerikanischen Länder. Können Sie sich die Konsequenzen eines Waffenembargos in dieser Region vorstellen? Offensichtlich nicht, sonst würden Sie nicht solche leichtsinnigen Forderungen stellen. Sollte die Bundesregierung davon abrücken, die Polizei und Justiz weiter zu unterstützen, würde der Vorsprung der Drogenkartelle gegenüber den ohnehin angeschlagenen Staatsapparaten uneinholbar – dies käme einer Freigabe der Drogen und völligen Kriminalisierung der Gesellschaft gleich. Das Problem in dieser Region liegt doch nicht in der vermeintlichen Militarisierung der Gesellschaft oder gar in der Unterstützung der lokalen Polizei und des Militärs. Man kann doch nicht ernsthaft eine einseitige Abrüstung fordern, wohl wissend, dass die Gegenseite dies nicht mitmacht, dass sie dadurch einen uneinholbaren Vorsprung in diesem Drogenkrieg erlangt. Sie beabsichtigen durch Ihre Kapitulation im Kampf gegen die Drogen deren Legalisierung durch das Hintertürchen. Das nenne ich heimtückisch, gefährlich und gewiss nicht im Sinn der Menschen in Mexiko und Zentralamerika. Das Problem liegt ganz woanders. Wir müssen selbstverständlich dem Wunsch der Staaten in der Re gion folgen und sie weiter im Kampf gegen die Drogen unterstützen. Wir müssen aber auch versuchen, langfristig die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf der Angebotsund auf der Nachfrageseite zu verändern. Wir werden diesen Krieg niemals gewinnen, wenn es unter unseren Jugendlichen in der EU und in Deutschland weiter als chic gilt, Kokain zu konsumieren. Wir werden diesen Krieg niemals gewinnen, wenn es in Zentralamerika für viele Menschen attraktiv oder gar alternativlos ist, ihren Lebensunterhalt mit dem Drogenschmuggel zu bestreiten. Hier müssen wir ansetzen, und ich denke, da ist das Sicherheitsabkommen mit Mexiko ein guter Schritt in die richtige Richtung und ein Puzzlestein im Gesamtbild unserer Unterstützung für diese Region. Ich brauche an dieser Stelle wohl auch niemandem zu erläutern, dass hier eine funktionierende und effektive Entwicklungszusammenarbeit den größten Beitrag leisten kann. Ich bitte Sie weiterhin um die Unterstützung der Länder in der lateinamerikanischen Region im Kampf gegen die Drogen. Ich bitte Sie aber auch, diesen Kampf nicht durch undurchdachte Alternativen zu gefährden. Damit würden Sie den ohnehin mehr als brüchigen Frieden in Gefahr bringen und nicht wiedergutzumachende Fehler begehen. Ich denke, in einer Sache sind wir uns weitgehend einig: Die Menschenrechtslage in Mexiko ist äußerst kritisch und hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert. Die Berichte mexikanischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen sind besorgniserregend und decken sich in weiten Strecken auch mit den Darstellungen der Bundesregierung. Wir wissen von Folter, die von Menschenrechtsorganisationen als „systematische, allgemeine und straffreie Praxis“ beschrieben wird. Das Land leidet unter einer hohen Mordrate, Gewaltexzessen, extralegalen Tötungen und Verschwindenlassen. Gleichzeitig herrscht eine fast komplette Straflosigkeit für diese Verbrechen. Korruption ist weit verbreitet, und die soziale Spaltung hat sich vergrößert. In den meisten mittelamerikanischen Ländern sieht die Lage nicht viel besser aus. In dieser Situation verhandelt die Bundesregierung ein Sicherheitsabkommen mit Mexiko. Es ist allgemein bekannt, dass Teile des Militärs und viele Polizeieinheiten in Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Wer aber sollen die Kooperationspartner für ein solches Abkommen sein? Es sind eben jene Behörden, die maßgeblich mitverantwortlich für die gefährliche Situation von Menschenrechtsverteidigern sind – sei es durch Passivität oder aktive Verfolgung. Ich denke, man sitzt einem Irrglauben auf, wenn man in dieser Situation in den staatlichen Akteuren verlässliche Partner für Kooperationen im Sicherheitsbereich sieht. Zu Protokoll gegebene Reden Andrej Hunko Zwar betont die Bundesregierung immer wieder die Wichtigkeit von Menschenrechtsklauseln in Abkommen wie diesem, aber sie muss selbst eingestehen, dass diese in der Regel nur Makulatur sind. Eine Evaluierung biete sich im Rahmen von Verhandlungen über Nachfolgeabkommen oder die Verlängerung bestehender Abkommen an, sagt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage – Drucksache 17/7301. Im Klartext: Die Lage im betroffenen Land ist Ihnen bei Abschluss des Vertrags nicht relevant. Vor diesem Hintergrund scheint es mir zunächst unterstützenswert, dass der Antrag der Grünen eine klarere und geregelte Evaluierung laufender Abkommen fordert. Dies wäre ein richtiger Schritt in Richtung zu mehr Transparenz und Überprüfbarkeit. Das Hauptproblem wird dadurch jedoch nicht angegangen. Die Vorstellung, durch Sicherheitsabkommen den Zustand der Polizeien zu verändern, scheint mir illusorisch, und ich bin der Meinung, dass keine deutschen Polizisten in Regionen geschickt werden dürfen, in denen eine so desaströse Lage herrscht wie derzeit in Mexiko. Und das bedeutet, dass es keine derartigen Abkommen mit Staaten geben darf, deren Regierungen nicht grundlegende Rechte ihrer Bevölkerung garantieren und deren Sicherheitsapparate Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind. Dabei stimme ich auch mit den Organisationen überein, die sich in der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko zusammengeschlossen haben, darunter Amnesty International Deutschland, Brot für die Welt und Misereor, um nur einige zu nennen. In einem im Januar 2012 veröffentlichten Positionspapier haben sie der Bundesregierung unmissverständlich dazu geraten, das Sicherheitsabkommen mit Mexiko abzulehnen. Zuvor müsse in Mexiko ein „Politikwandel in Sachen Menschenrechte“ eintreten. Die Bundesregierung scheint jedoch das Pferd von hinten aufzäumen zu wollen: Durch die Kooperation will sie Einfluss nehmen, ohne im Voraus Bedingungen zu stellen. Leider gilt dasselbe für den Antrag der Grünen. Ich bin überzeugt, dass dies zu einem PR-Effekt für die mexikanische Regierung führen wird, sich an der Situation dort aber wenig ändern wird. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht verstehen kann, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das konkrete Abkommen der Bundesregierung mit Mexiko in ihren Forderungen völlig ignorieren. Abschließend möchte ich auf einen weiteren Punkt eingehen, der meiner Meinung nach zu kurz greift. Angesichts der Lage in Mexiko haben die illegalen Lieferungen von Sturmgewehren durch Heckler & Koch zu Recht zu breiter Empörung geführt. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Im behandelten Antrag fordern Sie eine vorübergehende Aussetzung von Waffenlieferungen nach Mexiko. Waffenlieferungen werden aber keine Probleme lösen, weder in Mexiko noch sonst wo. Deshalb sehen wir ein lediglich vorübergehendes Aussetzen der Waffenverkäufe als nicht weitgehend genug an. Wir stehen für einen generellen Stopp der Rüstungsexporte. Unser Antrag umfasst zwei wesentliche Forderun gen: Erstens möchten wir, dass die Verhandlung bilateraler Sicherheitsabkommen – wie das Abkommen, welches die Bundesregierung derzeit mit Mexiko verhandelt – transparent geschieht. Das Parlament muss informiert werden. Nur dann können wir unserer Aufgabe der Kontrolle nachkommen und uns vergewissern, dass beim Kampf gegen Organisierte Kriminalität die Menschenrechte, Prävention, Recht und bürgernahe Polizeiarbeit im Vordergrund stehen. Wir haben mehrmals bei der Bundesregierung nachgefragt, aber bisher keine befriedigende Antwort über den Stand der Verhandlungen und die Inhalte des Abkommens bekommen. Für diese grundlegende Forderung nach Beteiligung bitten wir also um ihre Zustimmung. Zweitens fordern wir eine Neuorientierung im Umgang mit der Gewalt, der Unsicherheit und der Organisierten Kriminalität in Mexiko und Zentralamerika. Bei meiner letzten Reise in die Region stand ich wie schon zuvor einer Situation gegenüber, die mich hilflos und nachdenklich zurück ließ. In Honduras ist es bis auf wenige Ausnahmefälle unmöglich, als Außenstehender noch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Damit meine ich, Partner in den Institutionen der Regierung zu finden, bei denen man sich sicher sein kann, dass sie nicht in kriminelle Aktivitäten verwickelt, korrupt oder vom Organisierten Verbrechen bedroht sind und demnach handeln. Das gleiche gilt für den Justizapparat. Die Möglichkeit, Menschenrechtsverbrechen nach unseren Vorstellungen zu ahnden, existiert nicht. Die Hinrichtung des Sohnes der Universitätsdirektorin, die wir auf dieser Reise kennenlernen konnten, ist bis heute nicht aufgeklärt. Wahrscheinlich wurden ihr Sohn und sein Freund mit einer Waffe der Polizei ermordet. Die anhaltende Ermordung von Kleinbauern und -bäuerinnen, die im Südosten des Landes um ihr Recht auf ein Stück Land kämpfen, wird ebenfalls nicht geahndet. Hinter ihnen stehen wirtschaftliche Partikularinteressen. Dieses sind nur zwei von vielen, vielen Fällen. Der Staat kann oder will seine wichtigste Aufgabe nicht mehr erfüllen: die Ausübung des Gewaltmonopols und der Rechtsprechung. Er überlässt das Wohl seiner Bürger und ihre Sicherheit den wirtschaftlichen Eliten und der Organisierten Kriminalität. Die Situation in den Nachbarländern stellt sich ähnlich dar, auch wenn es historisch gewachsene Unterschiede gibt. Aber auch in El Salvador und Guatemala liegen die Mordraten weit über dem weltweiten Durchschnitt, und rund 98 Prozent der Täter kommen ungestraft davon. Honduras war 2011 mit 92 Morden pro 100 000 Einwohner das Land mit der höchsten Mordrate weltweit, gefolgt von El Salvador mit 69 Morden. Guatemala verzeichnete 39 Morde pro 100 000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland Zu Protokoll gegebene Reden Thilo Hoppe liegt diese Ziffer bei 0,9, in Afghanistan bei 2,4 und sogar Südafrika mit 32 Morden liegt auf der Skala noch darunter. Mexiko war bis vor kurzem der Konflikt mit den meisten Todesopfern weltweit. Heute wird die Situation in Mexiko in seiner Dramatik allein von Syrien übertroffen. In Mexiko sind 60 000 Soldaten im Einsatz für die innere Sicherheit. Seit 2006 kam es durch die Ausweitung des Kriegs gegen die Kartelle zu einer Gewalteskalation, die mehr als 70 000 Todesopfer und rund 30 000 Verschwundene forderte. Die meisten Toten sind junge Männer. Doch besonders die Gewalt gegen Frauen hat unbeschreiblich grausame Formen angenommen. Der Fall der nördlichen Grenzstadt Mexikos „Ciudad Juárez“ erlangte traurige Berühmtheit aufgrund der endemischen Gewalt gegen Frauen, den sogenannten „Feminiziden“. Unter dem Strich wird eines deutlich: Der repressive Ansatz, der sogenannte Krieg gegen Drogen und Kriminalität, hat sich als gescheitert erwiesen. Statt Erfolgen ist vielmehr der beschriebene Anstieg von Gewalt festzustellen. So kann es also nicht weitergehen. Es braucht einen Paradigmenwechsel. Natürlich wissen auch wir Grüne, dass es keine einfachen Lösungen für diesen Konflikt gibt. Aber wir glauben, dass wir aufgefordert sind, diejenigen in der Region zu unterstützen, die eine friedlichere und sicherere Lebenswelt anstreben. Wir müssen dazu beitragen, dass der Rechtsstaat wieder funktionsfähig und die Polizei zu einem vertrauenswürdigen Partner wird. Solange das Militär auf den Straßen ist, werden die Menschenrechtsverletzungen weitergehen. Wir dürfen nicht mehr hilflos wegschauen und weiter mit Partnern kooperieren, deren Institutionen von Korruption zerfressen sind. Deutschland darf kein Sicherheitsabkommen mit Mexiko abschließen, ohne garantieren zu können, dass die Unterstützung in die richtigen Hände gelangt. Mit unserem Antrag machen wir erste konkrete Vorschläge. Diese betreffen auch die Hausaufgaben, die die europäischen Staaten und die USA dringend erledigen müssen: die Bekämpfung von Geldwäsche in unseren Banken und die Kontrolle und Eingrenzung unserer Waffenexporte in die Region. Auch unsere Einwanderungsund Handelspolitik gehören auf den Prüfstand. Wir müssen unseren Teil beitragen, sonst haben die Regierungen in der Region keine Chance. Gleichzeitig fordern wir mehr Mittel für soziale Sicherungs-, Bildungsund Beschäftigungsprogramme, insbesondere für Jugendliche. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit muss darauf und auf die Bereiche Recht und Justiz konzentriert werden. Der Schutz der Menschenrechte, die Erneuerung und Stärkung der Polizei, Kleinwaffenkontrolle und Kampf gegen Korruption müssen in dieser Situation vor Programmen der Fiskaldezentralisierung oder des Umweltmanagements Vorrang haben. Die positiven Erfahrungen der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala, CICIG, muss evaluiert und regional etabliert werden. Die erfolgreiche Kommission erhielt noch viel zu wenig Rückhalt in der UNO und von den einzelnen Staaten, die seine Finanzierung bereitstellten. Bestrebungen anderer mittelamerikanischer Länder, die darauf abzielen, dort ähnliche UN-Missionen zur Bekämpfung der Straflosigkeit zu installieren, müssen aktiv aufgegriffen werden. Die zivilen Konfliktbearbeitungsmechanismen in der Entwicklungsund Menschenrechtszusammenarbeit mit Mexiko und Zentralamerika können weiter ausgebaut werden. Wir bitten um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag und dazu, diese wichtigen Themen nicht wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir kommen nun gleich zur Abstimmung. Der Aus schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13533, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13237 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Gegenprobe! – Bündnis 90/die Grünen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze – Drucksache 17/13026 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Drucksache 17/13351 Berichterstattung: Abg. Kirsten Lühmann Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Heute schließen wir die Umsetzung der Richtlinie zum elektronischen Halterdatenaustausch zwischen EU-Mitgliedstaaten bei bestimmten Verkehrsverstößen mit im EU-Ausland zugelassenen Fahrzeugen in nationales Recht ab. Damit wird der grenzüberschreitende Austausch von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte, der sogenannten Cross Border Exchange, CBE, erleichtert. Konkret geht es um folgende Bereiche: Regelung des von der Richtlinie geforderten Informationsschreibens im Rahmen des Bußgeldverfahrens, Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung an den Betroffenen, Regelung der Auskunftserteilung an die Daniela Ludwig Behörden der Mitgliedstaaten bei Vorliegen der Voraussetzungen der Richtlinie und Festlegung der im Einzelnen zu übermittelnden Daten und Verankerung des Kraftfahrt-Bundesamtes, KBA, als nationale Kontaktstelle im KBA-Gesetz. Diesem, in erster Linie Datenaustausch, geht der sogenannte „Knöllchenbeschluss“, genauer der EURahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, voraus. Durch ihn wurde zunächst allgemein Rechtssicherheit für eine europaweite Vollstreckung von Geldbußen im Ausland geschaffen. Jeder, der schon einmal im europäischen Ausland mit dem Auto unterwegs war, weiß, dass es mitunter schwierig ist, die lokalen Verkehrsregeln ausreichend zu kennen und zu beachten, und schon manch einer bekam im besten Fall nach dem schönen Urlaub ein Knöllchen hinterhergeschickt. Schon 2011 hat das Kraftfahrt-Bundesamtes in seinem Jahresbericht festgestellt, dass im Jahr 2011 rund 162 Millionen Auskünfte aus dem Zentralen Fahrzeugregister, ZFZR, über Fahrzeugund Halterdaten an Polizei-, Bußgeld-, Zulassungsbehörden und andere berechtigte Stellen erteilt wurden. In erster Linie dienen diese Auskünfte der Zulassung von Fahrzeugen und der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und -straftaten. Damit können zum Beispiel Fahrzeughalter ermittelt und ihre Verstöße entsprechend geahndet werden. Außerdem werden im ZFZR für einen Zeitraum von sieben Jahren außer Betrieb gesetzte Fahrzeuge und solche mit Versicherungskennzeichen gespeichert, um bei Bedarf auch hierzu Auskünfte erteilen zu können. Das Straßenverkehrsgesetz lässt also schon heute Auskünfte von Halterund Fahrzeugdaten bei im Ausland begangenen Verkehrsverstößen zu. Und einige europäische Länder, darunter auch Deutschland, haben mit bilateralen Vereinbarungen diesen Datenaustausch untereinander geregelt. Das wird nun vereinheitlicht und bringt Transparenz sowie verbraucherfreundliche Nutzungsmöglichkeiten mit sich. Wenn wir ein EU-weit angewendetes System haben, das automatisiert, standardisiert, zuverlässig und schnell arbeitet, bringt das für alle Beteiligten Vorteile und vor allem Rechtssicherheit. Schon seit geraumer Zeit konnte beobachtet werden, dass eine verstärkte Nutzung von Onlineabrufen aus dem ZFZR stattfindet. Dies soll nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiter vorangetrieben und erleichtert werden. Neue Zeiten erfordern neue Maßnahmen. Weil auch das Zulassungswesen immer stärker für internetbasierte Vorgänge geöffnet werden soll, müssen wir dafür sorgen, dass die benötigten Daten sicher und zentral gespeichert und verwaltet werden. Das soll im Kraftfahrt-Bundesamt geschehen. Dort soll dann bald den Nutzern eine einheitliche und einfache Anwendung zur Verfügung stehen, die auf dem neuesten Stand der Technik ist. Von dort soll dann auch der Datenaustausch bei bestimmten Delikten stattfinden. Es ist auch klar, dass diese Daten dann natürlich Grundlage für eine Strafverfolgung sein können. Das Kraftfahrt-Bundesamt sieht für die Praxis vor, dass das europäische Ausland dem KBA in Zukunft Anfragen zu Fahrzeugen mit deutschem Kennzeichen elektronisch übermitteln kann, deren Halterdaten dann im KBA festgestellt werden können. Die Halterdaten stellt das KBA dem Auskunft suchenden Mitgliedstaat zur Verfügung, der dann wiederum dem betreffenden Fahrzeughalter ein Informationsbzw. Anhörungsschreiben übermittelt. Bei uns in Deutschland ist es ja so, dass nicht automatisch der Halter, sondern der Fahrer eines Fahrzeuges, das zum Beispiel geblitzt wurde oder in einen Unfall verwickelt worden ist, zur Verantwortung gezogen werden soll. In anderen europäischen Ländern wird aber durchaus der Halter zur Verantwortung gezogen. Daher gelten auch weiterhin die jeweils nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Die zunächst von Kritikern befürchtete Vereinheitlichung hinsichtlich der Art der Verstöße oder des Strafmaßes findet also definitiv nicht statt. Bis zum 7. November 2013 hätten wir noch Zeit gehabt, um die eingangs genannte EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Wir liegen also gut im Rennen und können heute über einen gut überdachten und ausgewogenen Gesetzentwurf abstimmen. „Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ver gehens für einen auswärtigen Fahrer dreimal so hoch ist wie für einen einheimischen. Viele scheinen immer noch zu denken, dass die Regeln für sie nicht mehr gelten, wenn sie im Ausland sind. Meine Nachricht ist, dass sie gelten und dass wir sie jetzt anwenden werden.“ Das sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas zum innereuropäischen Halterdatenaustauch. Ich teile seine Auffassung: Eine grenzüberschreitende Verfolgung hat abschreckende Wirkung. Manche Autofahrer setzen bekanntlich auf das Prinzip Hoffnung, wenn sie im Ausland einen Verkehrsverstoß begehen. Sie warten erst mal ab, ob ein Bußgeldbescheid den Weg über die bürokratischen Grenzen innerhalb Europas schafft. Um schwere Verstöße tatsächlich ahnden zu können, muss der Datenaustausch in der EU besser werden. Mit diesem Gesetzentwurf bringt Deutschland jetzt die nationale Umsetzung in Gang. Die Luft für Verkehrssünder wird bald dünner. Dem vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zum elektronischen Halterdatenaustausch wird die CDU/CSU-Fraktion aus diesem Grund ihre Zustimmung geben. Damit wird die Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über Verkehrsdelikte ermöglicht. Geregelt wird im Zu Protokoll gegebene Reden Gero Storjohann Fünften Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze der elektronische Halterdatenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei Verkehrsverstößen, die die Straßenverkehrssicherheit gefährden. Die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern, ist zentrales Ziel der Umsetzung der entsprechenden Richtlinie in nationales Recht. Konkret bedeutet das eine Regelung eines Informationsschreibens im Rahmen des Bußgeldverfahrens und die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung an die Betroffenen. Zusätzlich wird die Auskunftserteilung an die Behörden der EU-Mitgliedstaaten geregelt. Das Kraftfahrt-Bundesamt wird als nationale Kontaktstelle im KBA-Gesetz verankert. Dort werden ausländische Behörden Daten elektronisch abfragen können. Im Einzelnen sind dies Kennzeichen und Marke des Wagens sowie Name, Adresse und Geburtsdatum des Halters. Mit diesen Auskünften können sie dann ein Informationsschreiben an den Autobesitzer schicken, das den Verstoß samt der näheren Umstände nennt und die Geldbuße einfordert. Verfasst sein darf dieser Brief nicht einfach in Landessprache. Vorgeschrieben ist die Sprache des Zulassungsdokuments des Kraftfahrzeugs – also bei Fahrzeughaltern in Deutschland ein Brief auf Deutsch. Ins Visier genommen werden insgesamt acht Delikte, bei denen es um Sicherheit im Straßenverkehr geht. Es geht um Tempoverstöße, Fahren ohne Gurt oder Schutzhelm, das Überfahren roter Ampeln sowie Alkohol, Drogen und das Nutzen eines Mobiltelefons am Steuer. Falsches Parken gehört nicht dazu. Der Datenaustausch wird dafür sorgen, dass die seit 2010 im Prinzip möglichen sogenannten EU-Knöllchen mehr Gewicht bekommen. Es tauchte die Frage auf, ob der Halter oder der Fahrer des betroffenen Fahrzeugs belangt wird. Die Regelung ist klar und deutlich in diesem Punkt: Nach dem Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ ist der Halter nicht für Taten anderer zu bestrafen. Nur der Fahrer, der die Verkehrsverstöße im Ausland tatsächlich begangen hat, wird zur Rechenschaft gezogen. Die Experten des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gehen bei der Beurteilung, wie viele Delikte hierzulande auf das Konto von EU-Ausländern gehen, davon aus, dass sie für etwa 20 Prozent der Tempoverstöße verantwortlich sind. Das wäre etwa zehnmal mehr als bisher geahndet wird; denn noch werden Delikte nur in einigen Staaten weiterverfolgt. Das vorliegende Gesetz treibt die europäische Inte gration ein Stück weit voran und leistet einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf Europas Straßen. Ein wesentliches Problem im grenzüberschreitenden Straßenverkehr wird gelöst, und das begrüße ich. Denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf – einer Umsetzung europäischer Vorgaben – wird der Austausch von Informationen zu Verkehrsdelikten über die Grenzen hinweg erleichtert. Eine rundum gelungene Sache aus Sicht der Verkehrssicherheit. Als Polizistin weiß ich, dass es in der Vergangenheit nicht einfach bis unmöglich war, Rotlichtsünder zum Beispiel aus Dänemark, Frankreich oder Italien zur Rechenschaft zu ziehen. So kenne ich einen Fall, bei dem ein britischer Autofahrer durch Missachten einer roten Ampel fast einen Unfall verursacht hätte. Der Betroffene, der dem rasenden Auto noch gerade ausweichen und damit einen schlimmen Unfall verhüten konnte, ging zur Polizei, um den Fall und das Kennzeichen zu melden. Doch den Beamten waren die Hände gebunden, denn der Fahrer war in seine britische Heimat zurückgekehrt; die Behörden dort verweigerten die Herausgabe von Daten und der Verkehrsrowdy kam ungeschoren davon. Eine erste verbesserte rechtliche Grundlage für die EU-weite Vollstreckung von Bußgeldern haben wir im Jahr 2010 geschaffen. Ab einer Grenze von 70 Euro können seitdem Geldsanktionen aus anderen EU-Ländern in Deutschland vollstreckt werden und umgekehrt. Die Möglichkeit der EU-weiten Ermittlung von Betroffenen – was ja die Voraussetzung für die Ahnung von Verkehrsverstößen ist – wird mit dem vorliegenden Entwurf endlich erweitert. Bislang verweigerten viele Länder eine umfassende Zusammenarbeit. Statt wie bisher lediglich mit Österreich und den Niederlanden im Rahmen bilateraler Abkommen den Austausch von Halterdaten zu ermöglichen, können wir Ermittlungen bei bestimmten Ordnungswidrigkeiten nun EU-weit auch über Landesgrenzen hinweg durchführen. Bei acht besonders verkehrsgefährdenden Vergehen können die Länder relevante Daten zu den Haltern abfragen. Dazu gehören unter anderem Rotlichtverstöße, Trunkenheit im Straßenverkehr wie auch Geschwindigkeitsübertretungen, alles Handlungen, bei denen klar ist, dass sie nicht zu den Bagatelldelikten gehören und aufgrund ihres Gefährdungspotenzials auch geahndet werden müssen. Wichtig und richtig ist, dass die Betroffenen ein Informationsschreiben bekommen. Mit diesem werden sie über das Verfahren an sich in Kenntnis gesetzt und über die ihm oder ihr zustehenden Möglichkeiten, die behördliche Entscheidung anzufechten. Auch die Datenweitergabe ist gut geregelt: Art und Umfang der Informationen über Fahrzeug und Halter sind genau festgelegt – der Schutz der Daten wird so gewährleistet. Für die Behörden in Europa stellen wir Rechtssicherheit her. In Deutschland wird das Kraftfahrt-Bundesamt als die nationale Kontaktstelle installiert. Bei der Debatte dazu ist in Deutschland die Befürchtung aufgetreten, dass über das Einfallstor Europa die Halterhaftung bei uns eingeführt wird, also Zu Protokoll gegebene Reden Kirsten Lühmann die Möglichkeit, falls die Fahrzeugführenden nicht ermittelt werden können, das Bußgeld für die Regelüberschreitung einfach den Fahrzeughaltenden aufzuerlegen. Dies ist in Deutschland bisher nur bei Parkverstößen möglich. Und dabei wird es auch bleiben! Wir werden den rechtlichen Grundsatz in Deutschland wahren. Persönlich haftbar ist der Fahrende, da er den Verstoß begangen hat. Insofern wird das KBA als zuständige Behörde die Daten deutscher Halter auch nur zur Fahrerermittlung weitergeben. Zusammenfassend: Wir begrüßen den vorliegenden Gesetzentwurf und freuen uns, dieses wichtige Vorhaben voranbringen zu können – für die Sicherheit auf Europas Straßen. Nicht zuletzt begrüßen wir einen positiven Nebeneffekt – nämlich den, dass sich die Gebühreneinnahme voraussichtlich positiv entwickeln wird durch das verstärkte Heranziehen ausländischer Betroffener. Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze. Ziel unseres Gesetzentwurfs ist die innerstaatliche Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2011/82/EU zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Delikte. Danach wird der europaweite Halterdatenaustausch bei Verkehrsdelikten geregelt. Die Entwicklung der Verkehrssicherheit in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Von über 22 000 Toten in der alten Bundesrepublik im Jahr 1972 auf letztes Jahr 3 606 Tote. Weiterhin ist jeder Tote einer zu viel. Dennoch zeigen diese Zahlen die positive Entwicklung. Auf die großen Erfolge der Verkehrssicherheitsarbeit der letzten Jahrzehnte können wir stolz sein, wir dürfen uns aber nicht auf ihnen ausruhen. Denn es sterben noch immer jeden Tag knapp zehn Menschen auf deutschen Straßen. Im Schnitt starben täglich knapp 80 Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen der Europäischen Union. Deswegen hat sich die christlich-liberale Koalition zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Das können wir nur erreichen, wenn wir bei den Faktoren Mensch, Infrastruktur und Technik gemeinsam ansetzen. Aber auch die konsequente Ahndung von in der Union begangenen Straßenverkehrsdelikten trägt zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit bei. Wir wollen es ermöglichen, dass die dafür erforderlichen Daten vom informationstechnischen System des Kraftfahrt-Bundesamtes zentral erfasst und an die Behörden und Stellen der jeweiligen Länder weitergeleitet werden. Die Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit ist auch ein vorrangiges Ziel der Verkehrspolitik der Eu ropäischen Union. Zur Erreichung des Ziels, die Zahl der jährlichen Verkehrstoten auf den Straßen Europas in den kommenden Jahren um die Hälfte zu verringern, hat die Kommission in den Leitlinien zur Straßenverkehrssicherheit 2011 bis 2020 strategische Teilziele festgelegt. Neben verbesserten Sicherheitsmaßnahmen für Lkw und Pkw, sichere Verkehrswege oder die Entwicklung intelligenter Fahrzeuge forderte die Kommission auch eine bessere Durchsetzung der Vorschriften. Zu diesem Zweck sollte laut Kommission ein effizientes System für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch bei bestimmten, die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikten nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats eingerichtet werden, welches dem jeweiligen Mitgliedstaat Zugang zu den Fahrzeugzulassungsdaten gewährt. Ein effizienterer grenzüberschreitender Austausch von Fahrzeugzulassungsdaten, der die Identifizierung von Personen, die eines die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikts verdächtig sind, wird die Abschreckungswirkung erhöhen und zu einem vorsichtigeren Verhalten der Fahrer von Fahrzeugen beitragen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Deliktsmitgliedstaat zugelassen sind, und somit tödlichen Verkehrsunfällen vorbeugen. Es ist das erklärte Ziel der Koalition, die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen, damit immer weniger Menschen im Verkehr zu Schaden kommen. Dazu müssen in erster Linie bestehende Regeln durchgesetzt und weitere technische Verbesserungen bei Fahrzeugen und Infrastruktur erreicht werden. Die konsequente Ahndung von in der Union begangenen Straßenverkehrsdelikten durch den grenzüberschreitenden Informationsaustausch ist ein wichtiger Schritt. Besonders erfreulich ist auch die Zustimmung der Oppositionsfraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Gesetzentwurf. Die Linke begrüßt es, dass mit der EU-Richtlinie und diesem Gesetz die EU-weite Verfolgung von Verkehrsverstößen verbessert wird. Dennoch werden wir uns zu diesem Gesetz nur enthalten, und zwar weil die Bundesregierung den Datenschutz mal wieder nicht ausreichend beachtet hat. Ich möchte an dieser Stelle kurz die Risiken ansprechen, die durch das Gesetz drohen werden. Erstens: Laut diesem Gesetz soll es ein sogenanntes automatisiertes Abrufverfahren durch die Finanzbehörden geben. Es scheint Mode zu werden, dass diverse Behörde in – wie es offiziell heißt – Einzelfällen automatisiert abrufen dürfen, wenn es durch den Zweck gebilligt wird. Die Folge ist aber meistens die massenhafte Abfrage und das hier auch noch präventiv. So werden die Finanzbehörden auch gleich zu Ermittlungsbehörden, wenn sie irgendeinen Verdacht haben. Das darf nicht sein. Zu Protokoll gegebene Reden Thomas Lutze Zweitens: Die Regelung, dass die Daten ausschließlich zu dem sehr eingeschränkten Zweck der Fahrerermittlung verwendet werden dürfen, steht so gar nicht im Gesetz. Sie taucht nur in den Erläuterungen auf und da wiederum nur mit einem Verweis auf eine Erklärung im Verkehrsministerrat zur Diskussion der Richtlinie selbst. Es ist übrigens bei EU-Umsetzungen auch in anderen Bereichen üblich geworden, auf diese Art von Protokollerklärungen zurückzugreifen, wenn es zu kompliziert ist, aus unterschiedlichen Rechtssystemen einheitliche Konsequenzen zu ziehen. Deren Einhaltung kann aber kaum jemand überprüfen. Dasselbe gilt für die Voraussetzung der Datenübermittlung an sich. Auch das ist praktisch kaum zu überprüfen. Bei der Umsetzung der europäischen Richtlinien darf der Datenschutz nicht vernachlässigt werden. Das bedeutet auch die Pflicht, den Umgang mit Daten klar zu bestimmen und zu begrenzen. Da der vorliegende Gesetzentwurf das nicht leistet, können wir nicht zustimmen. Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bun desregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, mit dem die Richtlinie 2011/82 der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt werden soll. Ziel der Richtlinie und des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, Verkehrsverstöße innerhalb von Europa über nationale Grenzen hinweg besser ahnden zu können und damit die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern. Das ist für Deutschland als Haupttransitland von besonderer Bedeutung; denn bisher konnten zahlreiche Verkehrsverstöße von ausländischen Kraftfahrerinnen und Kraftfahrern nur festgestellt und dokumentiert werden, waren aber in großem Umfang nicht verfolgbar. Genauso wie umgekehrt deutsche Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen ungestraft blieben, die beispielsweise in Italien oder Frankreich mit überhöhten Geschwindigkeiten geblitzt wurden oder bei Rot über eine Ampel fuhren. In vielen Fällen bekamen sie keine Ordnungsstrafe, da die vorhandenen bilateralen Vereinbarungen zur Zustellung und Vollstreckung von Bußgeldbescheiden aus anderen EU-Staaten wenig praxistauglich sind. Eine Ausnahme bildet dafür lediglich das Übereinkommen zwischen Deutschland und Österreich. Ferner regelt der Gesetzentwurf, dass künftig neben dem Kraftfahrt-Bundesamt als zuständiger nationaler Behörde in Einzelfällen auch die Finanzbehörden bei Auffälligkeiten im Bereich der Umsatzsteuer auf Daten des Fahrzeugregisters zugreifen können, um Umsatzsteuerhinterziehungen im Bereich des Fahrzeughandels schneller und wirksamer begegnen zu können. Wir begrüßen, dass mit der vorliegenden Änderung des Straßenverkehrsgesetzes die rechtlichen Rahmen bedingungen geschaffen werden, um den zuständigen Behörden einen besseren Informationsaustausch über verkehrssicherheitsrelevante Delikte innerhalb von Europa zu ermöglichen. Das gemeinsame europäische Onlineinformationssystem EUCARIS, mit dessen Hilfe die EU-Mitgliedstaaten auf den Gebieten der Kriminalitätsund Terrorbekämpfung bereits erfolgreich zusammenarbeiten, bietet die technische Basis dafür. Es ist gut und wichtig für die Verkehrssicherheit in ganz Europa, dass gerade jene Verstöße, die am häufigsten Ursache für schwere und tödliche Verkehrsunfälle sind, endlich grenzüberschreitend verfolgt und bestraft werden. Das sind, neben zu hohen Geschwindigkeiten und Rotlichtverstößen, Fahrten unter Alkoholbzw. Drogeneinfluss. Zu begrüßen ist auch, dass für die betroffenen Verkehrssünder Transparenz herstellt wird. So regelt das Gesetz, dass sie über das Auskunftsverfahren informiert werden müssen und Informationen darüber abrufen können, welche ihrer personenbezogenen Daten ins Ausland übermittelt wurden. Problematisch bleibt aus unserer Sicht allerdings, dass im Unterschied zu vielen EU-Staaten in Deutschland die Halterhaftung nicht greift. Das heißt, während beispielsweise in den Niederlanden im Zweifelsfall auch die Halter für den festgestellten Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen werden können, gilt dies in Deutschland nur für die schuldigen Fahrer und Fahrerinnen. Dies hat berechtigte verfassungsrechtliche Gründe, führt aber in der Praxis dazu, dass ausgerechnet zahlreiche schwere Verstöße wie das Fahren mit zu hohen Geschwindigkeiten ungesühnt bleiben, weil die Fahrer beispielsweise auf dem Blitzerfoto nicht eindeutig feststellbar sind. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsministerium empfiehlt in dieser Frage daher schon seit längerem eine Überprüfung der rechtlichen Möglichkeiten. Denn gäbe es in Deutschland zumindest eine Übertragung von Teilen der Bußgeldkosten auf den Fahrzeughalter, wäre die Aufklärungsquote mit Sicherheit deutlich höher. Hier hat die Bundesregierung bei der aktuellen Änderung des Straßenverkehrsgesetzes mal wieder eine Chance verpasst. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13351 Drucksache 17/13026 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Vizepräsident Eduard Oswald Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/ Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Michael Hartmann Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Einheitlichen Datenschutz in Europa auf hohem Niveau weiter vorantreiben – Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit mit Augenmaß umsetzen – Drucksache 17/13251 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Der Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen ist ein zentraler und positiver Bestandteil des europäischen Einigungsprozesses. Verbunden damit sind aber auch neue und sich ständig ändernde Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden in Europa. Eine effektive Zusammenarbeit zwischen den europäischen Polizeiund Strafverfolgungsbehörden macht dabei auch einen zunehmenden Datenaustausch erforderlich. Daher ist ein möglichst einheitliches und hohes Datenschutzniveau in Europa notwendig, wobei im Bereich von Polizei und Justiz die Hoheit der Mitgliedstaaten für den Datenschutz bei innerstaatlichen prozessualen und polizeirechtlichen Maßnahmen gewahrt bleiben muss. Der Rahmenbeschluss des Rates – 2008/977/Jl – vom 27. November 2008 hat erstmals europäische Mindeststandards für den grenzüberschreitenden Austausch im Rahmen der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit definiert. Bevor diese Minimalstandards in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden konnten, hat die EU-Kommission mit dem Entwurf der Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr den bisher eingeschrittenen Weg verlassen und verfolgt nun offensichtlich eine weitgehende Harmonisierung der vorhandenen Regelungen in den Mitgliedstaaten. Dies wird sowohl durch den Umfang des Richtlinienentwurfs als auch durch den beabsichtigten Anwendungsbereich der Richtlinie bestätigt. Schließlich sollen sich die neuen Regelungen gemäß Art. 2 des Richtlinienentwurfs auch auf den innerstaatlichen Datenaustausch erstrecken. Der Bundesrat hat dies in seiner Stellungnahme vom 30. März 2012 aus meiner Sicht zu Recht kritisiert. Neben dem Erfordernis einer Ausweitung des Anwendungsbereichs hat er auch zutreffend die Frage der Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Union in dieser für die Sicherheit der Mitgliedstaaten so sensiblen Rechtsmaterie, in Zweifel gezogen. Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, dass der europäische Gesetzgeber nun auch noch den behördeninternen bzw. länderübergreifenden Datenaustausch regeln will. Dies würde im Ergebnis nicht nur zu einem enormen Umsetzungsund Anpassungsbedarf bei den staatlichen Einrichtungen führen, sondern wäre auch für die Betroffenen teilweise ein erheblicher Nachteil zu der bisher geltenden Rechtslage. Schließlich kennen die nationalen Polizeigesetze sowie die Strafprozessordnung bereits jetzt eine Vielzahl von unterschiedlichen Auskunftsund Einsichtsrechten, die einen umfassenden Datenschutz des Betroffenen in den unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen berücksichtigen. Vor allem berücksichtigen diese Regelungen auch, dass es trotz eines höchstmöglichen Grundrechtsschutzes nicht zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen des polizeilichen Ermittlungsund Strafverfahrens kommt. Die von der EU-Kommission in den Art. 23 und 24 des Richtlinienentwurfs geplanten Dokumentationsund Informationspflichten berücksichtigen dies offensichtlich nicht. Im Ergebnis stellen diese Pflichten sogar noch Verschärfungen gegenüber den bereits im Entwurf der Datenschutzgrundverordnung kritisierten Dokumentationsund Informationspflichten dar. Auch die in Art. 28 und 29 des Richtlinienentwurfs vorgesehenen Pflichten zur Meldung von Datenschutzverletzungen schießen deutlich über das Ziel hinaus. Stephan Mayer Die Pflicht, ausnahmslos alle Verletzungen an die Aufsichtsbehörde zu melden, wird zu einem enormen Verwaltungsund Bürokratieaufwand führen. Von „Augenmaß“ kann daher aus meiner Sicht keine Rede mehr sein; vielmehr von Übermaß – und das ist bekanntlich verboten. Letztlich würden solche übermäßigen Dokumentations-, Informationsund Meldepflichten nur zu höheren Kosten für die Verwaltung und keinesfalls zu mehr Datenschutz für den Betroffenen führen. Hier fehlt es eindeutig an einem risikobasierten Ansatz, der berücksichtigt, welche Folgen mit der konkreten Verletzung einhergehen können, und der zugleich legitime polizeiliche Geheimhaltungsinteressen in Einzelfällen berücksichtigt. Ein weiterer Kritikpunkt ist aus meiner Sicht das in Art. 12 des Richtlinienvorschlags geregelte Auskunftsrecht. Dieses geht deutlich über die in den Polizeigesetzen der Länder bestehenden Regelungen hinaus. Ein rechtsstaatlicher Bedarf hierfür ist jedoch nicht erkennbar. Im Gegenteil, in der Fassung des Richtlinienentwurfs würde das Auskunftsrecht sogar in einen unmittelbaren Konflikt mit dem Recht auf Akteneinsicht nach § 147 StPO geraten. Eine vergleichbare Konstellation ergibt sich für die in Art. 11 vorgesehenen Benachrichtigungspflichten. § 101 Abs. 4 StPO enthält hierzu bereits eine spezielle Regelung für Ermittlungsverfahren. Zwischen Art. 11 des Richtlinienentwurfs und § 101 Abs. 4 StPO besteht aber ebenfalls keine Deckungsgleichheit. Hinzu kommt, dass die vorgesehene Regelung in Art. 11 auch noch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widersprechen würde. Dieses hat in mehreren Entscheidungen dargelegt, warum Drittbetroffene bei bestimmten Ermittlungsmaßnahmen gegebenenfalls nicht zu benachrichtigen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurden und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung haben. Eine solche Differenzierung lässt der Richtlinienentwurf jedoch gerade nicht zu. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts würde hinfällig. Ich habe auch Zweifel, ob der Richtlinienentwurf dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern gerecht wird. So differenzieren wir in unseren Gesetzen zwischen strafmündigen und strafunmündigen Kindern und Jugendlichen. Je nach Alter bestehen besondere Regelungen etwa zu Löschungsfristen in polizeilichen Dateien. Der Entwurf der EU-Richtlinie ermöglicht solche Differenzierungen nicht. Gemäß Art. 3 Abs. 13 des Richtlinienentwurfs sind Kinder schlicht alle Personen unter 18 Jahren. Dementsprechend wäre in Zukunft eine altersgerechte Differenzierung nicht mehr möglich. Die von mir genannten Beispiele verdeutlichen, dass der Entwurf der Richtlinie nicht nur zahlreiche grundlegende Fragen des Datenschutzrechts anders bewertet, als dies der Bund und die Länder bisher gemacht haben, sondern dass er auch einige erhebliche handwerkliche Mängel hat, die noch einer Nachbesserung bedürfen. Dagegen hilft jedoch nicht das von der SPD-Fraktion eingeforderte „Augenmaß“. Schließlich bleiben die vorgenannten Punkte in ihrem Antrag schlicht unerwähnt. Ein weiterer Mangel des Richtlinienentwurfs besteht im Übrigen darin, dass die Institutionen der EU von dem angestrebten höheren Datenschutzniveau ausgenommen sind. Die in Art. 2 Abs. 3 lit. b des Richtlinienentwurfs vorgesehene Ausnahme für Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union mag regelungstechnisch nachvollziehbar sein, da es auch bisher schon Sonderregelungen für die vorgenannten Einrichtungen und Institutionen gibt. Angesichts des von der EU-Kommission selbst ins Feld geführten Anspruchs, einen „europäischen Datenschutzrahmen für das 21. Jahrhundert“ zu schaffen, stellt die Ausnahme eher ein Armutszeugnis dar. Für Datenübermittlungen oder gemeinsame Informationssysteme innerhalb der Europäischen Union sollten die neuen Regelungen daher in Zukunft ebenfalls anwendbar sein. Die bisher vorgesehene Ausnahme sollte daher noch gestrichen werden. Weitere Mängel stammen offensichtlich von der nahezu identischen Übernahme einiger Regelungen aus dem zeitgleich veröffentlichten Entwurf für eine Datenschutzgrundverordnung. So ist für mich nicht nachvollziehbar, warum es gerade in einem Bereich, der in besonderer Weise die subjektiven Rechte des Einzelnen berührt, eines Verbandsklagerechtes bedarf. Dieses stellt einen vollständigen Wertungswiderspruch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung als höchstpersönlichem Recht dar und ist somit ein weiterer Fremdkörper in dem beabsichtigten Rechtsrahmen. Die EU-Richtlinie enthält zudem – ebenso wie der Entwurf für die Datenschutzgrundverordnung – zahlreiche delegierte Rechtsakte und Durchführungsermächtigungen für die EU-Kommission. Diese gilt es zu reduzieren. Schließlich soll Wesentliches unmittelbar selbst im Rechtsakt geregelt sein. Die Bundesregierung hat bisher im Rahmen der Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe bereits an vielen Stellen Bedenken vorgetragen und auf mögliche negative Folgen der beabsichtigten Regelungen hingewiesen. Mit dieser Position war sie keinesfalls allein. Im Gegenteil, viele andere Mitgliedstaaten teilen die Bedenken und möglichen negativen Auswirkungen für die Ermittlungsbehörden bei ihrer täglichen Arbeit. Sie sehen auch, dass viele Regelungen nicht zwingend zu einem verbesserten grundrechtlichen Schutz der Bürge Zu Protokoll gegebene Reden Stephan Mayer rinnen und Bürger führen werden. Es bedarf daher – aus meiner Sicht – erheblicher grundsätzlicher Änderungen an der EU-Richtlinie und nicht nur kosmetischer Korrekturen, wie sie von der SPD-Fraktion gefordert werden. Ich bin zuversichtlich, dass diese in den bevorstehenden Verhandlungen im Europäischen Parlament und auf Ratsebene gelingen können. Hierfür bedarf es des heute debattierten Antrags nicht. Anfang dieses Jahres stellte die Europäische Kom mission den Entwurf einer Datenschutzreform vor. Dieser aus zwei Teilen bestehende Entwurf, nämlich der sogenannten Datenschutz-Grundverordnung sowie einer Richtlinie über die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit, soll – so wünscht sich dies die Europäische Kommission – als Gesamtpaket verabschiedet werden. Momentan wird in Brüssel heftig verhandelt, und auch die öffentliche Debatte ist seit längerem heftig zugange; vorrangig allerdings über die Grundverordnung, weniger über die Richtlinie. Diese Fokussierung der öffentlichen, aber auch der parlamentarischen Debatten halten wir Sozialdemokraten für zu kurz gegriffen. Die Richtlinie gilt zwar nicht wie die Verordnung unmittelbar für die Mitgliedstaaten und bedarf der Umsetzung in nationale Gesetze. Aber die Frage, welche Vorgaben und Grenzen die Richtline setzt und welche Spielräume sie für den nationalen Gesetzgeber lässt, hat weitreichende Folgen für die Arbeit von Polizei, Justiz und Strafverfolgung sowie den Schutz der Bürgerrechte in Deutschland. Die Kommission will mit ihrem Richtlinienentwurf EU-weit geltende einheitliche Schutzstandards zur Datenverarbeitung bei der Verfolgung und Verhütung von Straftaten schaffen und zugleich die Zusammenarbeit der Polizeiund Justizbehörden verbessern. Dieses Ziel ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings greift der Richtlinienentwurf – der ja den bisher die Zusammenarbeit regelnden JI-Rahmenbeschluss 2008/977 ersetzen soll – darüber hinaus. Aus der Logik des Regelungsansatzes der Richtlinie sind einheitliche Schutzstandards in der Zusammenarbeit nur zu erreichen, wenn sich die Vorgaben und damit der Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf die innerstaatliche Verarbeitung von Daten durch Polizeiund Justizbehörden erstreckt. Damit begibt sich die Richtlinie in das Feld des für den Innenbereich der Mitgliedstaaten geltenden Subsidiaritätsgrundsatzes. Entsprechend ist umstritten, ob die EU über diese Datenverarbeitung die Gesetzgebungskompetenz überhaupt besitzt. Genau aus diesem Grunde hat der Bundesrat in seiner Verantwortung für die Länderpolizeien eine Subsidiaritätsrüge eingelegt. Aber auch wenn man die europäische Regelungskompetenz bejaht, wird man im Zuge der – so tituliert es die Kommission – Vollharmonisierung fragen müs sen, warum die EU dann bitteschön nicht gleich ganz konkret regelt, welche Datenverarbeitungen aufgrund welcher Befugnisse erlaubt sind. Anstatt dies zu tun, wird uns ein weichgespülter Richtlinienvorschlag vorgelegt, der mehr Fragen offen lässt, als er löst. Das Ziel ist sicherlich erstrebenswert, doch mangelt es hier an der Umsetzung – insbesondere vor dem Hintergrund des Datenschutzes und der Betroffenenrechte. Genau diese Fragen haben die SPD zu einem entsprechenden Antrag bewegt, mit dem sie der Bundesregierung parlamentarische „Leitplanken“ für ihre Positionierung und Verhandlungen im Rat und der Ratsarbeitsgruppe mitgeben will. Wir wollen die parlamentarische Diskussion über den Richtlinienentwurf, und wir wollen, dass das Parlament konkret benennt, welche Regelungen der Richtlinie entsprechend geändert, ergänzt oder gar gestrichen werden müssen, damit ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Polizeiund Justizarbeit und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen in Deutschland gewahrt bleiben kann. Die Richtlinie, die die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr zum Gegenstand hat, nennt sich zwar auch „Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen“. Wenn man aber ins Detail geht und genau liest, stellt man fest, dass den Polizeiund Justizbehörden in den Mitgliedstaaten mit dieser Richtlinie breite Zuständigkeiten eingeräumt werden sollen. Allerdings können die Mitgliedstaaten nach dem Entwurf selbst festlegen, ob und welche Sanktionen bei Verstößen erfolgen. Hier dürften sich dann auch erhebliche Unterschiede in den Mitgliedstaaten auftun. Die Güterabwägung zwischen Sicherheit und dem Schutz vor unzulässiger Einschränkung der Persönlichkeitsrechte ist in den einzelnen Mitgliedsländern sehr unterschiedlich, und die aktuelle Entwicklung in einigen Mitgliedstaaten mahnt uns, an ebendieser Stelle besonders wachsam zu sein. Ich befürchte, dass das Ziel einer Harmonisierung sowie eines effektiven Datenschutzes auf diesem Wege gerade nicht erreicht werden kann. Ich will einige weitere Punkte in der Richtlinie nennen, die der Verbesserung bzw. Änderung bedürfen, und die wir mit unserem Antrag aufgreifen: So sieht der Richtlinienentwurf zwar Informationsund Auskunftsrechte der Betroffenen vor – was grundsätzlich zu begrüßen ist. Diese Betroffenenrechte werden aber wieder durch sehr weitreichende Ausnahmen eingeschränkt, sodass fraglich ist, ob hier – insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH und der Grundrechtecharta – noch ein ausrei Zu Protokoll gegebene Reden Gerold Reichenbach chender Grundrechtsbzw. Datenschutz gewährleistet werden kann. Auch eine Harmonisierung des Grundrechtsschutzes für die Bürgerinnen und Bürger im Strafverfahren kann aus deutscher Sicht nicht auf das niedrigste gemeinsame Niveau in der Europäischen Union abgesenkt werden. Im Gegenteil: Durch Mindeststandards sollte für die Mitgliedstaaten ein möglichst hohes Datenschutzniveau festgeschrieben werden, das aber auch weitere Spielräume nach oben lässt, um jeweils national höhere Standards weiter zu ermöglichen, wie dies bei uns in vielen Spezialgesetzen der Fall ist. Dies können wir bisher so im Richtlinienentwurf nicht erkennen. Wir fordern, dass die Kommission die polizeilichen Tätigkeiten genau beschreibt, um unterschiedliche Auffassungen über dieselbe polizeiliche Tätigkeit zu vermeiden. Genauso sehen wir dort Nachbesserungsbedarf, wo der Richtlinienentwurf vom „Bereich der nationalen Sicherheit“ spricht. Dieser Bereich wird innerhalb der Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich definiert. Damit keine unterschiedliche Auslegung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten erfolgt, bedarf es einer klaren Beschreibung und Eingrenzung. Insgesamt müssen die im Richtlinienentwurf enthaltenen Anforderungen an das mitgliedstaatliche Recht überarbeitet und mit strengen Vorgaben versehen werden. Dies muss insbesondere hinsichtlich detaillierter Vorgaben für Inhalte von Normen, hinsichtlich der Datenverarbeitungen bei Kriminalbehörden sowie hinsichtlich prozeduraler Vorkehrungen für Zugriffe von Kriminalbehörden auf Datenbestände, die nicht zu kriminalbehördlichen Zwecken angelegt wurden, erfolgen. Dazu bedarf es konkreter Regelungen zu umfassenden Verwendungsverboten für eine rechtswidrige Datenverarbeitung. Hier darf es im Zuge der gewollten Harmonisierung keinen unterschiedlichen Schutz in den einzelnen Mitgliedstaaten geben. Darüber hinaus dürfen durch die Richtlinie nicht nationale Grenzen des Datenaustausches zwischen Nachrichtendiensten und Polizei im europäischen Datenaustausch aufgeweicht werden – wie beispielsweise das Trennungsgebot in Deutschland, das erst kürzlich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts erneut aufgegriffen wurde. Eine entsprechende Regelung, die dies klarstellt, sollte deshalb aufgenommen werden. Wir sind schon aufgrund unserer Geschichte dazu verpflichtet, dies klarstellend zu fordern. Die SPD-Fraktion sieht es ebenfalls als sehr problematisch an, dass nach der Richtlinie eine Datenübermittlung an Drittstaaten nahezu uneingeschränkt ermöglicht werden soll. Es kann und darf nicht sein, dass sich die Mitgliedstaaten innerhalb Europas ein hohes Datenschutzniveau gegenseitig auferlegen, aber die Datenübermittlung an Drittstaaten, auch an jene, bei denen die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien oder eines akzeptablen Datenschutzes nicht überprüft wer den kann bzw. gar infrage steht, ohne große Hürden zugelassen wird. Wir fordern deshalb eine Konkretisierung der Regelungen dahin gehend, dass klare materiell-rechtliche Anforderungen an die datenschutzrechtlichen Regelungen in den Drittländern, in die übermittelt wird, gestellt werden. Ebenso sollten – gerade vor dem Hintergrund eines Gesamtpakets aus Datenschutz-Grundverordnung und Richtlinie – auch gute Ansätze aus der Verordnung übernommen werden, wie zum Beispiel eine Folgenabschätzung. Am Ende müssen wir insgesamt beim Erlass dieser Richtlinie darauf achten, dass Regelungen, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, die Betroffenenrechte – insbesondere den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung – einzuschränken, endgültig gestrichen werden. Dies sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Wir Sozialdemokraten wollen, dass der Datenaustausch bei der Verfolgung und Verhütung von Straftaten in Europa vorangebracht wird. Wir wollen eine Richtlinie, die dies auf einem hohen Datenschutzniveau sicherstellt und den Mitgliedsländern Spielräume lässt, höhere eigene nationale Anforderungen zu erhalten oder zu setzen. Ich glaube, dass wir mit unserem Antrag eine gute Grundlage dazu legen können, und freue mich auf eine positive Debatte. „Venire contra factum proprium“ nennt man im Zi vilrecht widersprüchliches Verhalten, mithin einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Ein Paradebeispiel für widersprüchliches Verhalten liefert die SPD-Fraktion ab. Eine Fraktion, die sich für den größtmöglichen Datenschutzverstoß stark macht, nämlich für die Vorratsdatenspeicherung, will jetzt den Eindruck erwecken, ihr seien die Datenschutzvorschriften, die die EU für Polizei und Justiz aufstellen will, zu lasch. Landläufig drückt man das dann auch weniger lateinisch vornehm aus und spricht davon, dass einer die Leute hinter die Fichte führen will. Es ist schon ziemlich frech, was Sie hier abliefern. Da beklagen Sie die Möglichkeiten zur Zweckänderung von Daten. Ausgerechnet Sie! Im BKA-Gesetz haben Sie sogar verankert, dass Daten, die aus der Gefahrenabwehr im Wege der Online-Durchsuchung – bei der Sie ja auch nicht gerade zur Speerspitze der Datenschützer gehören – gewonnen wurden, zur Strafverfolgung umgewidmet werden dürfen. Da weinen Sie Krokodilstränen wegen der Übermittlung von Daten an Drittstaaten. Dem Vertrag von Prüm haben Sie ohne mit der Wimper zu zucken zugestimmt. Der Übermittlung von Fluggastdaten an die USA haben Sie in Ihrer Regierungszeit ohne auch nur nennenswerte datenschutzrechtliche Sicherungen zugestimmt. Sicherheitsabkommen mit Ländern wie Vietnam oder auch eine 1 : 1 -Übertragung der Prüm-Vor Zu Protokoll gegebene Reden Gisela Piltz lage auf ein Sicherheitsabkommen mit den USA haben Sie hier im Hause mit Zähnen und Klauen verteidigt, nachdem Ihre eigene Regierung dem zugestimmt hatte. Nicht einmal einem besonderen Schutz von Daten zur Gewerkschaftszugehörigkeit in einem nationalen Begleitgesetz – wie damals von der FDP-Fraktion vorgeschlagen – haben Sie zugestimmt. Da geben Sie sich betroffen, wenn Daten von Personen ohne deren Wissen gespeichert werden, die selbst gar nicht Verdächtige wegen einer Straftat sind. In der jüngst für verfassungswidrig erklärten Antiterrordatei haben Sie damals eine uferlose Speicherung von Kontaktpersonen gesetzlich vorgeschrieben – ohne Benachrichtigung, ja selbst mit höchst eingeschränkten Auskunftsrechten. Ihr Antrag ist von vorne bis hinten Heuchelei. Wenn Sie in den Bundesländern, in denen Sie für die Polizeigesetze verantwortlich sind, auch nur die Hälfte Ihrer hier aufgestellten Forderungen umsetzen würden, dann gäbe es nicht neuerdings zum Beispiel in Rheinland-Pfalz die heimliche Onlinedurchsuchung. Natürlich gibt es viele Kritikpunkte, die man berechtigterweise zur EU-Datenschutz-Richtlinie vortragen kann. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Erstreckung auf die innerstaatliche Datenverarbeitung, die der Bundesrat zum Anlass genommen hat, Subsidiaritätsrüge zu erheben. Angesichts der innerhalb der EU notwendigen Zusammenarbeit auch bei der Bekämpfung und Verfolgung von Straftaten ist ein Datenaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten unvermeidbar. Die FDPFraktion hat dabei immer betont, dass ein Ausbau der Datenübermittlung auf der anderen Seite einen Gleichlauf bei der Harmonisierung von Datenschutzbestimmungen in den Mitgliedstaaten erfordert. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass ein einheitliches und hohes Datenschutzniveau in ganz Europa gilt, wenn die Polizei der unterschiedlichen Mitgliedstaaten mit personenbezogenen Daten umgeht. In dem Richtlinienentwurf finden sich an vielen Stellen lose Enden. Es werden Legaldefinitionen vorgelegt, an deren einzelne Punkte sich dann aber im Weiteren keine Schlussfolgerungen knüpfen. Differenzierungen werden angelegt, aber nachher nicht berücksichtigt. Das findet sich richtigerweise auch im vorliegenden Antrag, beispielsweise im Bezug auf Daten von Kindern. Auch wenn es der SPD nicht ansteht, sich hier zu beklagen, in der Sache ist es richtig: Die Zweckänderung bei Daten muss an strikte Vorgaben geknüpft sein. Der viel zu weit gehende Vorschlag der Richtlinie hebelt den für den Rechtsstaat zentralen Grundsatz aus, dass nur Daten erhoben werden dürfen, wo auch eine Rechtsgrundlage besteht. Wenn aber die Daten da sind, dann könnten sie nach diesem Richtlinienentwurf in sehr weitem Umfang für andere Zwecke genutzt werden. Auch lässt der Schutz besonders sensibler Daten zu wünschen übrig, schon innerhalb der EU, erst recht aber bei einer Übermittlung an Drittstaaten. Nicht nachvollziehbar ist, dass die EU-Institutionen selbst nicht dahin gehend einbezogen werden, dass auch sie einen entsprechenden Datenschutz gewährleisten und beachten müssen. Auch für die EU-Verträge mit anderen Staaten ergeben sich keine Konsequenzen. Umso unverständlicher ist dann, dass die EU sich hier anmaßen will, die außenpolitische Souveränität der Mitgliedstaaten dadurch zu untergraben, dass deren bilaterale völkerrechtliche Verträge gegebenenfalls gekündigt und überarbeitet werden müssen, um an die Richtlinie angepasst zu werden. Wie schon beim Verordnungsentwurf zum Datenschutz in der EU finden sich auch im Richtlinienentwurf zahllose Ermächtigungsgrundlagen für delegierte Rechtsakte. Erst recht in dem höchst sensiblen Bereich der Datenerhebung im Bereich von Polizei und Justiz ist das natürlich mit dem Wesentlichkeitsprinzip unvereinbar. Die Bundesjustizministerin setzt sich in der Ratsarbeitsgruppe bereits dafür ein, dass gerade im Bereich, in dem Datenerhebung mit grundrechtsintensiven Eingriffsbefugnissen verbunden ist, ein hohes Datenschutzniveau in der gesamten EU Einzug hält. Darin hat sie die volle Unterstützung der FDP-Fraktion. Unter dem Titel „Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr“ wurde ein Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Verarbeitung personenbezogener Daten vorgelegt, der besser in der Schublade geblieben wäre. Vermutlich liegt derjenige nicht ganz daneben, der vermutet, dass die Richtlinie im Windschatten der ursprünglich mehrheitlich positiv begrüßten Datenschutz-Grundverordnung durchgeschmuggelt werden sollte – Huckepack sozusagen. Nun wäre der Versuch eigentlich ja zu begrüßen, eine Europäisierung der Datenschutzstandards bei der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit zu erreichen – allein schon, um den sich rasant entwickelnden Datenverkehr zwischen den Strafverfolgungsbehörden, mit ihren Kooperationsund Koordinationseinrichtungen und zentralisierten Datenbanken, einigermaßen rechtssicher zu gestalten. Davon sind wir jedoch meilenweit entfernt, und diesem Anspruch wird die Richtlinie überhaupt nicht gerecht: Darin geht es nämlich eher um die beiden letzten Wörter im Titel der Richtlinie, nämlich sicherzustellen, dass dem freien Datenverkehr von Sicherheitsbehörden Vorfahrt vor dem Datenschutz eingeräumt wird. Gerade im Interesse einer Harmonisierung auf hohem Datenschutzniveau muss die Kritik Zu Protokoll gegebene Reden Jan Korte an dieser Richtlinie deshalb besonders scharf ausfallen. Die Sachverständigen der Anhörung am 22. Oktober letzten Jahres haben fast einhellig aufs Deutlichste die Gefahren benannt, die diese Richtlinie für den Umgang mit teilweise hochsensiblen Daten mit sich bringen würde – zumindest wenn sie ohne bedeutende Änderungen umgesetzt werden würde. Die gravierendsten Probleme, die auf der Anhörung deutlich herausgearbeitet wurden, sind erstens die viel zu weit und unklar beschriebenen Zweckbindungsgrundsätze. So hat der Sachverständige Professor Dr. Hartmut Aden beispielsweise die Kennzeichnung der Daten nach Herkunft und die Zweckbestimmung als unerlässlich bezeichnet: nicht nur für Datenschutz und Datensicherheit, sondern auch für die Qualitätssicherung der polizeilichen Datenbestände. Die Erfahrung zeigt, dass immer wieder erst Datenbanken zu allen möglichen Zwecken eingerichtet werden: im Rahmen internationaler Abkommen zum Beispiel. Im zweiten Schritt werden dann die Rechtsgrundlagen oder Verordnungen vorgelegt, die den Sicherheitsbehörden den Zugriff auf diese privat oder kommerziell geführten Datenspeicher eröffnen, also von Banken, Transportunternehmen, Versicherungen und so weiter. Und selbst im Rahmen der Strafverfolgung gibt es eine ganze Reihe qualitativ unterschiedlicher Zwecke, zu denen Daten erhoben werden können. Rechtssicherheit braucht engste Zweckbindung und Herkunftskennung. Zweitens ist auch der Grundsatz der Erforderlichkeit alles andere als eng gefasst. Das Prinzip der Datensparsamkeit, als Hauptsäule des Datenschutzes, ist nicht einmal als Aufgabe formuliert worden. Und drittens das Problem der Weitergabe an Dritte und Drittstaaten oder internationale Organisationen. Die Ausnahmeregelungen der Richtlinie zu Übermittlungsvorschriften sind so weit gefasst, dass sie praktisch eine umfassende Übermittlung zulassen. Der Sachverständige Dr. Gerrit Hornung hat in seiner Stellungnahme unter anderem die Regelungen zur Datenübermittlung an Drittstaaten als „rechtsstaatlich geradezu schädlich“ bezeichnet. Der Entwurf ließe den Eindruck entstehen, er „enthalte Sicherungsmechanismen, die de facto nicht bestehen“. Genauso wie bei der Datenschutz-Grundverordnung sind auch bei der Richtlinie die Ermächtigungsbefugnisse, die sich die Kommission selbst zugeschrieben hat, viel zu zahlreich und weitgehend, so zum Beispiel, wenn sie im Alleingang festlegen kann, was ein „angemessenes Datenschutzniveau in Drittstaaten“ ist. Die Liste der im Rahmen der Anhörung vorgebrachten berechtigten Kritik an diesem Entwurf ließe sich beliebig weiter fortsetzen. Das alles ist in keinster Weise hinnehmbar. Die SPD hat sich mit ihrem Antrag redlich Mühe gegeben, die Verbesserungsvorschläge aus der Sachverständigenanhörung aufzulisten und als Verhandlungsauftrag an die Bundesregierung zur weiteren Bearbeitung der Richtlinie weiterzureichen. Alle Mühe war vergebens – selbst die lange Liste der Stellungnahme hat nicht alle angesprochenen Mängel aufgreifen können. Mal davon abgesehen: Selbst wenn alle von der SPD vorgeschlagenen Änderungen umgesetzt würden, würde dies an dem falschen Grundprinzip der Richtlinie, dass der Datenschutz um die Bedürfnisse der Sicherheitsbehörden lediglich herumgestrickt wird, nämlich nichts ändern. Damit der Schutz persönlicher Daten in der Richtlinie nicht bloß ein reiner Euphemismus bleibt, müsste die Zielformulierung mindestens klarstellen, dass es sich um eine Mindestharmonisierung handelt, von der die Mitgliedstaaten zugunsten eines höheren Schutzniveaus abweichen können. So wie es jetzt aussieht, wird es genau andersherum laufen: Ein Run auf das niedrigste Niveau in Europa könnte die Folge sein. Wenn die Stellungnahme des Deutschen Bundestages alle Probleme der Richtlinie benennen und dafür Lösungen formulieren würde, hätte diese nicht den Charakter einer Verbesserung oder, wie es in der Stellungnahme formuliert ist, einer „grundlegenden Überarbeitung“, sondern es wäre eine regelrechte Neuformulierung der Richtlinie. Deshalb wäre hier eine Stellungnahme, die die vorliegende Richtlinie ablehnt und eine komplette Neuvorlage unter Berücksichtigung der wesentlichen Kritikpunkte verlangt, der solidere Weg. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Lutz Knopek (FDP):
Rede ID: ID1724038700
Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724038800




(A) (C)


(D)(B)

Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724038900




(A) (C)


(D)(B)

Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724039000
Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1724039100




(A) (C)


(D)(B)





(A) (C)


(D)(B)

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1724039200
Hans-Werner Ehrenberg (FDP):
Rede ID: ID1724039300




(A) (C)


(D)(B)

Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724039400




(A) (C)


(D)(B)

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724039500




(A) (C)


(D)(B)

Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724039600

(15. Ausschuss)

Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1724039700




(A) (C)


(D)(B)

Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1724039800




(A) (C)


(D)(B)

Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1724039900




(A) (C)


(D)(B)

Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1724040000
Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724040100




(A) (C)


(D)(B)

Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724040200
Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724040300

(neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf





(A) (C)


(D)(B)


(KOM[2012] 10 endg.; Ratsdok. 5833/12)

Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1724040400




(A) (C)


(D)(B)





(A) (C)


(D)(B)

Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1724040500




(A) (C)


(D)(B)

Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1724040600




(A) (C)


(D)(B)

Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724040700




(A) (C)


(D)(B)


Es ist gut, dass wir auf der Grundlage des SPD-An-
trags heute noch einmal zur EU-Datenschutzreform
diskutieren, weil es alle Bürgerinnen und Bürger be-
trifft, auch wenn die erforderliche Aufmerksamkeit da-
für – trotz aller Skandale – noch immer nicht voraus-
gesetzt werden kann. Es ist auch gut, dass wir heute
noch einmal einen besonderen Fokus auf den Daten-
schutz bei der vielfältigen Zusammenarbeit von Poli-
zei- und Strafverfolgungsbehörden innerhalb der EU
legen.

Denn diese notwendige Zusammenarbeit zur Verhü-
tung und Bekämpfung von Straftaten in der EU bedarf
dringend einer datenschutzrechtlichen Einhegung
durch starke Datenschutzregelungen auf EU-Ebene.
Der „Traum“ zahlreicher EU-Innenminister von einer
unbegrenzten Verfügbarkeit der Daten aller Polizei-
und Strafverfolgungsbehörden der 27 Mitgliedstaaten
wird ein Alptraum für die Menschen und ein Ausver-
kauf der Grundrechte über die europäische Hintertür,
wenn es nicht gelingt, ein starkes EU-Datenschutz-
recht auch für den Bereich des Polizei- und Strafrechts
zu schaffen.

Es war auch das Ergebnis einer Sachverständigen-
anhörung des Innenausschusses, die wir zum überflüs-
sigen und schädlichen, aber nun leider mit Regie-
rungsmehrheit angenommenen Gesetzentwurf zur
Umsetzung des uralten EU-Rahmenbeschlusses na-
mens „Schwedische Initiative“ durchgeführt haben.
Da kamen am Ende auch die von der Koalition vorge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


schlagenen Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass
wir ein massives verfassungsrechtliches Problem ha-
ben, wenn wir, wie der Rahmenbeschluss es fordert,
unsere Polizei- und Strafverfolgungsbehörden dazu
verpflichten, ihre Daten mit den Behörden anderer
EU-Staaten auszutauschen, ohne zu wissen, wie diese
Daten dort geschützt sind. Das ist aber genau der
Punkt: Es gibt nicht nur keinen für alle EU-Staaten
gültigen Datenschutzstandard im Bereich des Polizei-
und Strafrechts. Die Behörden, die die Daten unter-
einander austauschen, haben noch nicht einmal Infor-
mationen darüber, was mit den Daten passiert, die sie
weiterleiten, und sie haben auch keine Ahnung, wie
„sauber“ oder „schmutzig“ die Daten erhoben wur-
den, die ihnen von anderen übermittelt werden.

Aber diese Schwedische Initiative ist nur ein Detail,
nur ein Ausschnitt, nur eine kleine Ranke im Wild-
wuchs von EU-Instrumenten im Sicherheitsbereich,
aufgrund derer in der EU personenbezogene Daten
zum Zweck der Verhütung und Verfolgung von Strafta-
ten ausgetauscht werden. Das ist ein Dickicht, vor dem
die von der Datenspeicherung Betroffenen, und im De-
tail selbst Experten, häufig kapitulieren. Ein Dickicht,
in dem die einfachsten Dinge oft unklar bleiben: Wel-
che Datenschutzregelung gilt? Wie sind die Betroffe-
nen geschützt? Der Rechtsschutz ist unter diesen Um-
ständen völlig unzureichend und bleibt oft Illusion.

Da gibt es informationsverarbeitende Agenturen
und Einrichtungen der EU wie Europol, Eurojust, Olaf
und Frontex. Da gibt es Informationssysteme wie zum
Beispiel das Schengen-Informationssystem, SIS, das
Visa-Informationssystem, VIS, das Zollinformations-
system, ZIS, und Eurodac, da gibt es die schon ge-
nannte Schwedische Initiative und den Prüm-Be-
schluss, die zum Datenaustausch verpflichten. Und
dann gibt es noch Verpflichtungen zur Speicherung
von Daten auf Vorrat, etwa von Telekommunikations-
verbindungsdaten oder der nach der geplanten Flug-
gastdatenrichtlinie. Alle diese Elemente sind irgend-
wie untereinander verknüpft.

Das ist nur ein grober Überblick über das EU-Recht
im Sicherheitsbereich, das zur Verarbeitung personen-
bezogener Daten verpflichtet. Um hier dem Daten-
schutz zur Geltung zu verhelfen, brauchen wir eine
starke EU-Datenschutzrichtlinie im Bereich des Poli-
zei- und Strafrechts, die auch für die innenstaatliche
Datenverarbeitung gilt. Denn wenn die Daten über die
Grenzen fließen – und das steht außer Frage und ist
gewollt –, dann helfen Datenschutzstandards nichts,
die an der Grenze haltmachen.

Natürlich, das ist ein Dilemma: Einerseits ist es un-
sere Aufgabe, die starken Vorgaben des Grundgesetzes
und des Bundesverfassungsgerichts nach Europa zu
tragen. Andererseits verpflichtet uns die Verfassung
aber auch dazu, die Menschen davor zu schützen, dass
ihre Grundrechte durch die europäische Sicherheitszu-
sammenarbeit verletzt werden. Also müssen wir bin-
dende EU-Datenschutzstandards verhandeln und vo-
raussichtlich gewisse Kompromisse eingehen, die

unsere grundgesetzlichen Standards nicht beeinträch-
tigen dürfen.

Das ist eine gewaltige und extrem schwierige Ge-
staltungsaufgabe, der wir uns stellen müssen, um den
Grundrechten im europäischen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts zur Geltung zu verhelfen.
Den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Par-
lament, die die EU-Datenschutzreform verhandeln,
gilt mein großer Respekt.

Ich denke, dass es wegen des bereits fortgeschritte-
nen Standes der Verhandlungen nicht sinnvoll ist, hier
und heute über die Details des ursprünglichen Richtli-
nienvorschlages der Europäischen Kommission zu dis-
kutieren. Deshalb gehe ich auf die einzelnen Punkte
des Antrags der SPD heute im Detail nicht ein. Ich
fürchte, der durchaus bereits kritikwürdige Entwurf
der Europäischen Kommission ist infolge der bisheri-
gen Verhandlungen noch problematischer geworden.

Wichtig ist aber, dass auch vom Deutschen Bundes-
tag klare Signale und Positionen für die Verhandlung
dieser Richtlinie an die gesetzgebenden EU-Organe
gehen. Da hätte ich mir an der einen oder anderen
Stelle des SPD-Antrags eine deutlichere Linie ge-
wünscht.

Die grünen Linien und Ziele sind klar: Erstens ein
klares „Ja“ zu Europa und damit ein klares „Ja“ zu ei-
nem verbindlichen EU-Datenschutzrecht im Bereich
des Polizei- und Strafrechts, das auch für die inner-
staatliche Datenverarbeitung gilt; wir brauchen ein
verbindliches Recht ohne Regelungslücken und Öff-
nungsklauseln, die die Absenkung des Schutzstandards
ins Bodenlose in das Belieben der Mitgliedstaaten stel-
len. Zweitens das klare Ziel eines hohen Datenschutz-
standards, der unsere verfassungsrechtlichen Stan-
dards nicht unterläuft. Drittens der Verbleib der
Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die durch die EU
festgelegten Schutzstandards nach oben zu überschrei-
ten. Viertens bleibt es nicht nachvollziehbar, weshalb
nicht zeitgleich ein Vorschlag für die abgestimmte
Fortentwicklung des Datenschutzrechts bei Europol
und Eurojust vorgelegt wurde. Fünftens sind die Über-
mittlungsbefugnisse in Drittstaaten völlig inakzeptabel
und in ihrer rückwärtsgewandten Zielrichtung grund-
sätzlich abzulehnen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724040800

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/13251 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Alle sind damit
einverstanden. Dann haben wir gemeinsam die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung (EU)

Nr. 528/2012

– Drucksache 17/12955 –





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/13400 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Lutz Knopek
Sabine Stüber
Dorothea Steiner

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/13413 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Beckmeyer
Stephan Thomae
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausge-
wiesen, zu Protokoll genommen.


Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1724040900

Das europäische Chemikalienrecht wurde in den

letzten Jahren schrittweise unter wesentlicher inhaltli-
cher Erweiterung von national umsetzungsbedürfti-
gem EU-Richtlinienrecht in unmittelbar geltendes EU-
Verordnungsrecht überführt.

Die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Rates und
des Parlamentes vom 22. Mai 2012 über die Bereitstel-
lung auf dem Markt und die Verwendung von Biozid-
produkten (Biozid-Verordnung) ist der letzte größere
Schritt dieses Umbauprozesses. Die Verordnung löst
die auf der Richtlinie 98/8/EG beruhenden bisherigen
Vorschriften zur Zulassung von Biozidprodukten durch
eine inhaltlich in einigen Aspekten weitergehende und
verfahrensmäßig stärker EU-zentralisierte Unionsver-
ordnungsregelung ab.

Als unmittelbar geltendes EU-Recht bedarf die Bio-
zid-Verordnung keiner Umsetzung in nationales Recht.
Erforderlich ist jedoch eine Anpassung des nationalen
Rechts, mit der die Rahmenbedingungen für eine effek-
tive Anwendung der Verordnung in Deutschland ge-
schaffen werden.

Mit dem Entwurf der „Biozid-Verordnung“ können
wir heute also einen wichtigen Beitrag zum Umwelt-
schutz in die Wege leiten. Schädliche Stoffe, die in Bio-
zidprodukten enthalten sind, stellen nicht nur für die
Umwelt, sondern auch für die Gesundheit von Mensch
und Tier eine potenzielle Gefahr dar. Sie haben aber
auch einen Nutzen; denn sie dienen dazu, Schädlinge
zu töten oder abzuwehren. Sie lähmen beispielsweise
das Nervensystem oder die Vermehrungsfähigkeit von
Schadorganismen. Das macht sie gleichzeitig auch po-
tenziell gefährlich für Mensch und Umwelt. Grund-
sätzlich darf ein Biozidpräparat nach Art. 19 der Ver-
ordnung nur dann zugelassen werden, wenn es keine

unannehmbaren Wirkungen auf die Gesundheit oder
auf die Umwelt hat.

Durch die Umsetzung der Verordnung auch in natio-
nales Recht schaffen wir hier mehr Sicherheit für
Mensch und Umwelt und klare, einheitliche Regelun-
gen.

Die im Mai 2012 verabschiedete Verordnung soll
am 1. September 2013 für alle Mitgliedstaaten der EU
als unmittelbares Recht in Kraft treten und so die bis-
her geltende Biozidrichtlinie (RL 98/8/EG) ablösen.
Ziel der Verordnung ist es, europaweit das Inverkehr-
bringen und die Verwendung von Biozidprodukten zu
regeln. Betroffen ist dabei eine breite Auswahl von
Stoffen, wie etwa Desinfektionsmittel, Holzschutzmittel
oder auch Mittel zur Bekämpfung von Schadnagern.

Kern des Gesetzentwurfs ist die Neufassung des Ab-
schnitts IIa des Chemikaliengesetzes. Künftig soll er
nun die Vorschriften zur Zuweisung von Zuständigkei-
ten auf Bundesebene, zur Zusammenarbeit der betei-
ligten Bundesoberbehörden und zur Aufteilung der
Aufgaben zwischen Bund und Ländern enthalten, die
für eine effiziente Durchführung der Biozid-Verord-
nung in Deutschland nötig sind. Die Behördenstruktu-
ren des bisherigen Rechts werden dabei so weit wie
möglich übernommen.

Dabei geht es insbesondere um die Zuweisung von
Zuständigkeiten auf Bundesebene, die Zusammenar-
beit der beteiligten Bundesoberbehörden und die Auf-
teilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern.
Grundgedanke ist hierbei die Herstellung einer mög-
lichst weitgehenden organisatorischen und vollzugs-
rechtlichen Kontinuität mit dem bisherigen Recht.
Ferner sieht der Gesetzentwurf im Hinblick auf die
neue Biozid-Verordnung Streichungen und Anpassun-
gen zahlreicher Einzelvorschriften vor, die durch die
Biozid-Verordnung überholt oder überflüssig gewor-
den sind. Ebenso sind in der neuen Verordnung Nano-
materialien und behandelte Waren mit eingeschlossen.
Gerade Nanomaterialien, die in der letzten Zeit häufig
Gegenstand von Debatten und Anhörungen waren,
müssen künftig entsprechend gekennzeichnet werden.

Auch die Handhabung bereits heute kennzeich-
nungspflichtiger Stoffe wird besser geregelt. So dürfen
Biozidprodukte nur noch Wirkstoffe enthalten, die
auch nach EU-Recht für den entsprechenden Zweck
genehmigt worden sind. So müssen also auch Biozide
entsprechend benannt werden. Dabei gelten aber auch
Ausnahmen. So sind Lebens- und Futtermittel, die als
Mückenschutzmittel oder Lockmittel verwendet
werden, von der Regelung nicht betroffen. Auch für
Produkte, die als Verarbeitungshilfsstoffe verwendet
werden, gilt eine Ausnahme.

Um eine transparente Verwendung von bioziden
Wirkstoffen zu gewährleisten, müssen solche für die
nachfolgende Verwendung in Produkten genehmigt
und in eine Unionsliste genehmigter Wirkstoffe aufge-
nommen werden. Diese wird regelmäßig aktualisiert
und soll öffentlich verfügbar sein. Kriterien, die die





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


Genehmigung von Wirkstoffen mit bestimmten Eigen-
schaften von Vorneherein ausschließen, sind in
Art. 5 (1) der Verordnung klar definiert.

Durch diese Kriterien bietet die Verordnung umfas-
senden Schutz vor besonders schädlichen Stoffen, die
als krebserregend, mutagen und reproduktionstoxisch
eingestuft werden, CMR. Ebenso verboten sind Stoffe,

(schwer abbaubar, bioakkumulierend, giftig)

rend) gelten oder endokrin schädigende Eigenschaften
aufweisen.

Ausnahmen von diesen Voraussetzungen sind in die-
sen Fällen nur unter bestimmten Voraussetzungen
möglich und nur für einen Zeitraum von fünf Jahren
gültig. Für solche Ausnahmen muss im Sinne der Ge-
fahrenabwehr für die Gesellschaft jedoch immer abge-
wogen werden, ob nicht eine ungiftigere Alternative
verfügbar ist.

Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften sollen in Zu-
kunft gegen einen weniger bedenklichen Wirkstoff aus-
getauscht werden. Sollte also ein zugelassenes Produkt
für die gleiche Verwendung existieren, dessen Gesamt-
risiko geringer bewertet wird, kann die Bereitstellung
auf dem Markt und die Verwendung eines bestimmten
Biozidprodukts verboten werden. Zugleich muss si-
chergestellt werden, dass wir notwendige Biozidpro-
dukte jederzeit verfügbar haben. Niemand hätte Ver-
ständnis, wenn es wegen überzogener Anforderungen
zum Beispiel zu einer Rattenplage käme. Das unter-
streichen wir nochmal mit unserem Entschließungsan-
trag.

Eine weitere Neuerung, die die Verordnung einführt,
ist auch das vereinfachte Zulassungsverfahren: Bio-
zidprodukte, die keine bedenklichen Stoffe enthalten,
werden in Zukunft durch vereinfachte Verfahren zuge-
lassen.

Um die bürokratischen Hürden zu verringern und
grenzübergreifende Zulassungen zu vereinfachen, gibt
es durch die neue Biozid-Verordnung die Möglichkeit,
bei der ECHA, Europäische Chemikalienagentur, eine
unionsweit gültige Zulassung zu beantragen. So muss
ein Biozid nicht mehr von einem Mitgliedstaat zugelas-
sen werden und diese Zulassung dann im Rahmen der
gegenseitigen Anerkennung auf andere Mitgliedstaa-
ten ausgeweitet werden. Das neue Zulassungsverfah-
ren wird ab Inkrafttreten der Verordnung bis 2020
schrittweise eingeführt, wobei einige Mittel grundsätz-
lich von der Unionszulassung ausgenommen sind.

Die neue EU-Verordnung ist dauerhaft ein Fort-
schritt im Schutz von Natur und Umwelt vor möglichen
Risiken von Biozidprodukten. Mit dem Gesetz, das wir
heute beschließen, sichern wir eine schlanke Umset-
zung im deutschen Umweltrecht.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1724041000

Vor genau einem Jahr, im Mai 2012, wurde die neue

EU-Verordnung Nr. 528/2012 des Europäischen Parla-

ments und des Rates über die Bereitstellung auf dem
Markt und die Verwendung von Biozidprodukten ver-
abschiedet. Was sich hinter diesem sperrigen Begriff
verbirgt, ist die neue Biozid-Verordnung, die ab dem
1. September 2013 angewendet werden muss. Sie führt
inhaltlich die Grundgedanken der bis dato geltenden
Biozid-Richtlinie fort und beinhaltet Vorschriften zu
Zulassung, Kennzeichnung und Verwendung von Bio-
zid-Produkten. Im Bundestag stimmen wir heute über
zweierlei ab: einen Gesetzentwurf zu dieser Biozid-
Verordnung, den wir unterstützen und dem wir daher
zustimmen, und eine Entschließung der Regierungs-
fraktionen zum Rattengift, die wir ablehnen.

Worum geht es bei der neuen Biozid-Verordnung?
Biozidprodukte sind Stoffe oder Gemische zur Bekämp-
fung von Schadorganismen wie zum Beispiel Holzschutz-
mittel, Desinfektionsmittel, Insektenbekämpfungsmittel
oder auch Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren im
nichtlandwirtschaftlichen Bereich. Für diese Produkte
müssen über das allgemeine Chemikalienrecht hinaus-
gehende Vorschriften gelten, die das besondere Ge-
fährdungspotenzial für Mensch und Umwelt berück-
sichtigen, das diese Produkte haben können.

Wir stehen also vor der Verantwortung, eine Neu-
regelung umzusetzen, die den Umwelt- und Verbrau-
cherschutz stärken soll, gleichzeitig aber auch die In-
teressen der betroffenen Wirtschaft berücksichtigt in
Hinsicht auf eine Straffung und weiter gehende Zentra-
lisierung der Verfahren und Entscheidungen.

Eigentlich ist die Biozid-Verordnung unmittelbar
geltendes Unionsrecht und braucht daher keine mate-
rielle Umsetzung in nationales Recht. Es müssen aber
die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen für ei-
nen effektiven Vollzug der Biozid-Verordnung in
Deutschland geschaffen werden. Das betrifft insbeson-
dere die Regelung der Zuständigkeiten und Befugnisse
der beteiligten Behörden. Dies soll mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf der Bundesregierung geschehen,
der im Wesentlichen eine Anpassung des Chemikalien-
gesetzes vorsieht. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf
grundsätzlich zu.

Zu den wesentlichen Neuerungen, die ab September
gelten und die wir begrüßen, zählen unter anderem
diese drei Beispiele, die eine echte Verbesserung für
Bürger und Wirtschaftsunternehmen sind:

Erstens. Die Einführung von Ausschlusskriterien
bei der Genehmigung von Wirkstoffen. Dementspre-
chend sind jetzt Wirkstoffe, die krebserzeugend, erb-
gutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind
oder das Hormonsystem stören – abgesehen von eng
begrenzten Ausnahmen –, nicht genehmigungsfähig.

Zweitens. Die Einführung eines Verfahrens zur
Unionszulassung bei der Europäischen Chemikalien-
agentur, ECHA, das einem Antragsteller die Möglich-
keit bietet, für Biozidprodukte bestimmter Produkt-
arten eine Zulassung zu erhalten, die in allen EU-
Mitgliedstaaten gilt.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)


Drittens. Neue Regelungen für Waren, die mit Bio-
zidprodukten behandelt wurden, das sind zum Beispiel
antibakteriell ausgerüstete Strümpfe oder Matratzen
mit einem Antimilbenstoff. Diese Biozidprodukte dür-
fen nur Wirkstoffe enthalten, die nach EU-Recht für
den entsprechenden Zweck genehmigt worden sind.
Die Etiketten dieser behandelten Waren müssen eine
entsprechende Kennzeichnung aufweisen. Das ist eine
Verbesserung für alle Verbraucher in Europa.

Damit werden drei Ziele verfolgt, die wir Sozial-
demokraten immer in Einklang bringen wollen: Fort-
schritte für die menschliche Gesundheit, Fortschritte
beim Verbraucherschutz und Erleichterungen für die
Hersteller, die in Europa handeln wollen. Und darum
geht es auch im Kern: Die neue Biozid-Verordnung soll
den freien Verkehr von Biozidprodukten innerhalb der
Europäischen Union verbessern, zur Harmonisierung
des europäischen Binnenmarktes beitragen und
gleichzeitig ein hohes Niveau beim Umwelt-, Verbrau-
cher- und Arbeitsschutz gewährleisten. Im Bereich der
nachhaltigen Entwicklung begrüßen wir insbesondere,
dass die neue Verordnung auch eine vergleichende Be-
wertung von Biozidprodukten vorsieht. Dahinter steht
der Gedanke, eine effizientere Suche nach Alternativen
zu bedenklichen Biozidprodukten zu ermöglichen und
damit den Wegfall besonders bedenklicher Biozid-
produkte zu beschleunigen. Wir haben immer wieder
gefordert, das Prinzip der Substitution zu stärken, und
sind der Auffassung, dass es unser aller Ziel sein muss,
gefährliche Chemikalien durch ungefährliche Alterna-
tiven zu ersetzen.

Auch dem Bericht des Haushaltsausschusses stim-
men wir zu, da wir den Gesetzentwurf für vereinbar
halten mit der Haushaltslage des Bundes. Durch den
Gesetzentwurf entstehen für die Wirtschaft – über die
sich unmittelbar aus der EU-Verordnung ergebenden
Belastungen hinaus – keine Kosten. Auch für die Bür-
gerinnen und Bürger sind keine Auswirkungen auf das
Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisni-
veau, zu erwarten.

Dem Bund entstehen Vollzugskosten im Hinblick auf
die Durchführung der Aufgaben nach der Biozid-
Verordnung, für deren Wahrnehmung hoch qualifizier-
tes Personal, insbesondere aus den naturwissenschaft-
lichen Bereichen der Chemie und Biologie, benötigt
wird.

Und damit sind wir beim Thema. Denn der Umgang
mit Bioziden ist nichts für Laien. Aber genau das will
die Regierungskoalition jetzt durch die Hintertür ein-
führen. Dazu muss man aber nicht nur den Gesetzent-
wurf genau lesen, sondern auch die heute ebenfalls zur
Abstimmung stehende Beschlussempfehlung des
Umweltausschusses, die nicht nur empfiehlt, den
Gesetzentwurf anzunehmen, sondern auch eine Ent-
schließung, die den Umgang mit Rattengift regelt. Im
Kleingedruckten heißt es dort, dass die Bundesregie-
rung aufgefordert werden soll, „hinzuwirken, dass der
Sachkundenachweis für die Anwendung von blutgerin-
nungshemmenden Rodentiziden auch von Privatan-

wendern möglichst unbürokratisch und mit vertret-
barem wirtschaftlichem Aufwand erbracht werden
kann“.

Das ist nichts anderes als ein Einfallstor, damit Pri-
vatpersonen praktisch ungehindert mit den als sehr
giftig und giftig eingestuften Rodentiziden umgehen
können und gegebenenfalls mit einer Online-Schulung
möglichst „unbürokratisch und wirtschaftlich“ sich
eine Alibisachkunde besorgen. Auf der Homepage des
Umweltbundesamtes kann sich jeder Verbraucher und
jede Verbraucherin gut informieren, was es mit den
Rodentiziden auf sich hat. Wir lernen dabei Folgen-
des: „Rodentizide werden zur Bekämpfung von Nage-
tieren eingesetzt. Aufgrund ihrer Zweckbestimmung,
Säugetiere zu töten, ist ihre Anwendung hinsichtlich
ihrer Wirkung auf Mensch und Umwelt nicht uneinge-
schränkt unbedenklich. Fehlanwendungen stellen ver-
meidbare Gesundheitsrisiken dar und können außer-
dem zu einer verstärkten Resistenzbildung gegenüber
Wirkstoffen bei den Zielorganismen führen. Für eine
erfolgreiche Bekämpfung ist ein hohes Maß an Erfah-
rung und Fachwissen erforderlich. Aus diesem Grund
ist es sinnvoll, dass Betroffene das Gesundheitsamt
oder einen professionellen Schädlingsbekämpfer ein-
schalten, sobald sie wahrnehmen, dass sie nicht in der
Lage sind, den Schädlingsbefall eigenständig zu til-
gen. Eine Bekämpfung wird dann mit professionellen
Schädlingsbekämpfungsmitteln nach dem neuesten
Stand der Technik durchgeführt. Die Anwendung die-
ser Produkte erfolgt in den verschiedensten Bereichen,
wie zum Beispiel im Innen- und im Außenbereich von
Tierhaltungen und menschlichen Ansiedlungen, in Ka-
nalisationsanlagen sowie in bewohnten und unbe-
wohnten Gebäuden.“

Wie mir Experten bestätigten, wurde im Vollzug fast
Jahrzehnte gekämpft, um diese gefährlichen Stoffe
nicht mehr in private Hände kommen zu lassen. Und
das ist unserer Meinung auch gut so. Denn in der Ver-
gangenheit konnte im Handel das gefährliche Ratten-
gift von jedermann gekauft werden, auch ohne genaues
Wissen, wie mit diesem Gift qualifiziert umzugehen ist.
Das Problem ist: Das Gift lässt die Nager innerlich
verbluten und tötet zeitverzögert. Die Giftrückstände
in den Kadavern werden nicht abgebaut. Dadurch pas-
siert es, dass Haustiere, andere Raubtiere oder Greif-
vögel die toten Ratten fressen und dann selber veren-
den. Bei Anwendung von fachlich nicht befähigten
Personen kann das Gift schnell in die Nahrungskette
gelangen. Daher lehnen wir die Pläne der Regierungs-
fraktionen ab, die die Anwendung von Rattengift durch
Privatleute wieder einführen will. Genau darauf zielt
der Entschließungsantrag laut Punkt b der Beschluss-
empfehlung des federführenden Umweltausschusses
nämlich ab.

Damit Biozidprodukte keine unannehmbaren Ne-
benwirkungen für Mensch und Umwelt haben, aber
dennoch wirksam sind, gibt es seit rund 15 Jahren ein
europäisches Zulassungsverfahren. In Deutschland
sind zahlreiche Behörden und Institute mit dem Inver-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)


kehrbringen und Verwenden der Biozidprodukte be-
schäftigt. Dazu gehören die Bundesanstalt für Arbeits-
schutz und Arbeitsmedizin mit der Bundesstelle für
Chemikalien, das Bundesinstitut für Risikobewertung
zur Bewertung gesundheitlicher Risiken und Verbrau-
cherschutz, das Umweltbundesamt zur Bewertung der
Umweltverträglichkeit, das Robert-Koch-Institut zur
Bewertung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln
für den medizinischen Bereich, das Julius-Kühn-
Institut zur Bewertung der Wirksamkeit von Nagerbe-
kämpfungsmitteln und Vorratsschutzmitteln und die
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.

Die hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter dieser Einrichtungen arbeiten für viele Bürger
oft im Verborgenen. Daher möchte ich zum Schluss
meiner Rede ausdrücklich den Fachleuten danken, die
durch ihre tägliche Arbeit ganz konkret zum Schutz von
Mensch und Umwelt im Alltag beitragen.


Dr. Lutz Knopek (FDP):
Rede ID: ID1724041100

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden auf

nationaler Ebene die Grundlagen für die Durchfüh-
rung der EU-Biozid-Verordnung geschaffen. Diese
Verordnung ist bereits am 17. Juli 2012 in Kraft getre-
ten und gilt ab dem 1. September 2013. Sie löst die bis-
herige EU-Biozid-Produkte-Richtlinie ab, die auch
schon bislang für ein europaweit harmonisiertes Zu-
lassungsverfahren sorgt. Als unmittelbar geltendes
EU-Recht bedarf die EU-Biozid-Verordnung hinsicht-
lich ihrer materiellen Vorschriften keiner Umsetzung
in nationales Recht. Jedoch bedarf es auf nationaler
Ebene einer klaren gesetzlichen Zuweisung der Zu-
ständigkeiten und Kompetenzen, die durch deutsche
Behörden zur Durchführung der Biozid-Verordnung
wahrgenommen werden.

Wie auch bislang schon ist das Zulassungsverfahren
für Biozidprodukte zweigeteilt. Auf europäischer
Ebene werden die Wirkstoffe zugelassen und auf natio-
naler Ebene die eigentlichen Produkte, die nur von der
EU bereits zugelassene Wirkstoffe enthalten dürfen.
Zusätzlich, und das ist neu, können Produkte bestimm-
ter Produktkategorien zukünftig auch auf europäischer
Ebene zugelassenen werden. Für die Zulassung auf
nationaler Ebene zeichnet, wie bislang auch, die Bun-
desstelle für Chemikalien verantwortlich, die eine Ri-
sikobewertung im Einvernehmen mit den zuständigen
Bundesoberbehörden vornimmt.

Das vorliegende Durchführungsgesetz dürfte wei-
testgehend unstreitig sein und findet auch die Zustim-
mung meiner Fraktion. Kritisch sehen wir jedoch zwei
Punkte des Biozidzulassungsverfahrens, die ich kurz
ansprechen möchte.

Der erste Punkt betrifft die Verordnung selbst. Ge-
mäß Art. 5 der Biozid-Verordnung dürfen Wirkstoffe,
die bestimmte Ausschlusskriterien erfüllen, nur in Aus-
nahmefällen in Biozidprodukten verwendet werden.
Diese Ausschlusskriterien finden zwar unter bestimm-
ten Voraussetzungen keine Anwendung, jedoch erfüllt
es meine Fraktion mit großer Sorge, dass der bewährte

risikobasierte Ansatz des Stoffrechtes hier verlassen
wird. Die sichere Verwendung eines Stoffes auf Basis
einer wissenschaftlichen Risikobewertung steht zu-
künftig nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr reicht be-
reits das Vorliegen bestimmter inhärenter Stoffeigen-
schaften aus, um einen Stoff von der Zulassung
auszuschließen. Es besteht die Gefahr, dass dadurch
Wirkstoffe und Produkte, die für einen ausreichenden
Gesundheitsschutz notwendig sind, vom Markt ver-
schwinden und Investitionen in neue, innovative Pro-
dukte unterbleiben.

Der zweite Punkt betrifft die bisherige Vollzugspra-
xis unter der Biozid-Produkte-Richtlinie in Deutsch-
land. Das Umweltbundesamt hat im Februar 2012 ein
Positionspapier zur Verwendung von Antikoagulan-
zien in Rodentiziden veröffentlicht, in dem es mitteilt,
zukünftig keine derartigen Rattenbekämpfungsmittel
mehr für die Verwendung durch Privatanwender zuzu-
lassen. Da das UBA Einvernehmensbehörde im Rah-
men des nationalen Biozidzulassungsverfahrens ist,
hat die für die Zulassung zuständige Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin diese Maßnahmen
als verbindlich übernommen. Entsprechende Auflagen
sind ersten Herstellern, deren Produkte das Zulas-
sungsverfahren gerade durchlaufen haben, bereits in
den Zulassungsbescheiden gemacht worden. Begrün-
det wird die UBA/BAuA-Entscheidung mit möglichen
Resistenzbildungen beim Einsatz von Rodentiziden so-
wie der Gefahr möglicher Sekundärvergiftungen von
Nichtzielorganismen.

Diese Argumente halten einer näheren Betrachtung
durch Fachleute jedoch nicht stand. Und in der Tat ha-
ben andere europäische Mitgliedstaaten keine solche
Beschränkung vorgenommen. Im Vereinigten König-
reich beispielsweise sind Rattengifte auch weiterhin
frei für Privatanwender zugänglich. Auch die Europäi-
sche Kommission hält ein generelles Verbot von Rat-
tengiften für nicht angemessen. Die zu befürchtenden
Konsequenzen aus diesem Verbot sind gravierend: Bei
den kommensalen Nagetieren handelt es sich um hy-
gienisch und wirtschaftlich außerordentlich wichtige
Schädlinge. Nach offiziellen Angaben sind rund
700 000 landwirtschaftliche Betriebe mit Vieh- und/
oder Lagerhaltung, 11 200 Kommunen und 40,3 Mil-
lionen Haushalte gefährdet. Bekämpfung in der ge-
samten Fläche ist notwendig. Eine Ausgrenzung von
Privatanwendern würde zu einer erheblichen Ausdeh-
nung von Überlebensräumen und Befallsherden führen,
mit allen Konsequenzen für den Gesundheitsschutz.
Wegen der entstehenden Kosten würden professionelle
Schädlingsbekämpfer erst sehr spät beauftragt, mögli-
cherweise erst nach Bekämpfungsversuchen mit ille-
galen und tierschutzrechtlich nicht zulässigen Mitteln.

Ich erneuere deshalb an dieser Stelle meine Forde-
rung an Bundesumweltminister Peter Altmaier, dieses
fachlich nicht begründete Verbot zurückzunehmen. Al-
ternativ und das ist Gegenstand des Entschließungsan-
trages, den die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit
diesem Gesetz verabschieden, sollen die Möglichkei-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Lutz Knopek


(A) (C)



(D)(B)


ten, für Privatanwender einen Sachkundenachweis
zum Einsatz von Rodentiziden zu erwerben, erweitert
und das dazu notwendige Verfahren vereinfacht wer-
den.

Mit diesen kritischen Anmerkungen stimmt meine
Fraktion dem Gesetzentwurf zu. Eine Glanzstunde der
Umweltpolitik ist dies heute für den Bundesumweltmi-
nister jedoch nicht.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724041200

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umset-

zung der EU-Biozid-Verordnung. Er enthält dement-
sprechend hauptsächlich Verwaltungsvorschriften und
regelt unter anderem die Zuständigkeiten und Befug-
nisse der jeweiligen Behörden.

Inhaltlich ist an der längst in Kraft getretenen Bio-
zid-Verordnung nicht mehr zu rütteln – sie gilt unmit-
telbar in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Dennoch muss der Entwurf eines reinen Durchfüh-
rungsgesetzes, den wir hier heute debattieren, zum An-
lass genommen werden, um den Umgang mit Bioziden
noch einmal sehr genau unter die Lupe zu nehmen.

Biozide sind Wirkstoffe in Schädlingsbekämpfungs-
mitteln wie zum Beispiel Desinfektionsmittel, Ratten-
gift oder Holzschutzmittel. Deren Einsatz ist häufig un-
vermeidbar. Dennoch muss der Einsatz von Bioziden
mit größter Vorsicht erfolgen, da erhebliche Gefahren
für die Umwelt und die menschliche Gesundheit dro-
hen. Rattengift zum Beispiel kann Menschen töten. In-
sektengifte können die Fortpflanzungsfähigkeit von
Frauen und Männern schädigen und Anti-Pilzmittel
können Erkrankungen der Atemwege oder gar Krebs
auslösen. Das Bienensterben nimmt bedrohliche Aus-
maße an, weil Pestizide, so nennt man Biozide in der
Landwirtschaft, flächendeckend nach dem Motto „je
mehr, desto besser“ eingesetzt wurden. Wer will, sieht,
es ist höchste Achtsamkeit im Umgang mit Bioziden
geboten, und deren Einsatz ist auf ein Minimum zu re-
duzieren.

Umso mehr verwundert der im Zusammenhang mit
dem Gesetzentwurf ergangene Entschließungsantrag
der Koalitionsfraktionen: Sie wollen die rechtlichen
Vorgaben für die Schädlingsbekämpfung so gestalten,
dass diese auch durch private Anwender nach wie vor
uneingeschränkt flächendeckend eingesetzt werden
können. Für den Einsatz von blutgerinnungshemmen-
den chemischen Nagetierbekämpfungsmitteln, soge-
nannten Rodentiziden, soll ein Sachkundenachweis ge-
nügen, den der Anwender in einer Onlineschulung,
also per Internet, erbringen können soll.

Ich nenne das grobe Fahrlässigkeit! Die Damen
und Herren von der Koalition können doch nicht allen
Ernstes erlauben, dass ein im Internet erbrachter
Sachkundenachweis dazu befähigt, angemessen mit
giftigen Chemikalien umzugehen, die auch vom Um-
weltbundesamt äußerst kritisch betrachtet werden, da
sie zwar in der Schädlingsbekämpfung nützlich sind,
für andere Tiere und die Umwelt insgesamt jedoch

hohe Risiken bergen. Der Umgang mit solchen gefähr-
lichen Stoffen sollte im Gegenteil nicht uneinge-
schränkt flächendeckend möglich sein, schon gar nicht
per sogenanntem Online-Sachkundenachweis! Eine
strenge Reglementierung der Zulassung von Bioziden
und der Einsatz von gut geschultem Personal sind not-
wendig, um die teils erheblichen Gefahren für Mensch
und Umwelt kontrollieren zu können. Diesen Ent-
schließungsantrag lehnen wir ab.

Zurück zur Biozid-Verordnung: Nach wie vor gibt es
hier einiges zu bemängeln. Nicht umsonst haben
Umweltverbände die Biozid-Verordnung als vertane
Chance bezeichnet. Es gibt zwar einige Verbesserun-
gen hinsichtlich des Umwelt- und Verbraucherschut-
zes. Nichtsdestotrotz klaffen auch noch etliche
Regelungslücken, zum Beispiel hinsichtlich der
Verwendungsphase von Bioziden oder im Bereich des
Informationsaustausches.

Inhaltlich ändert der vorliegende Gesetzentwurf
nichts an der Biozid-Verordnung. Bitte nehmen Sie ihn
trotzdem zum Anlass, darüber nachzudenken, welchen
Umgang wir mit Bioziden pflegen wollen. Wollen wir
eine möglichst marktfreundliche Regelung, die den
Einsatz von Bioziden in großem Umfang und flächen-
deckend erlaubt, ohne Rücksicht auf Kollateralschä-
den bei Mensch und Natur, oder wollen wir vor allem
unsere Gesundheit und unsere Umwelt vor hochgifti-
gen Chemikalien schützen? – Für Letzteres streitet die
Linke.


Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724041300

Biozide sind Biogifte. Mit denen darf es keinen

leichtfertigen Umgang geben. Sie belasten die Umwelt,
wenn chemische Inhaltsstoffe in Gewässer und Böden
gelangen, und gefährden auch unsere Wildtiere. Denn
es wurde festgestellt, dass oft nicht nur Nager durch
die Wirkstoffe getötet werden, sondern auch Raubtiere
wie Eulen, Mäusebussarde, Steinadler, Füchse und
Iltisse betroffen sind. Außerdem sind sie gesundheits-
gefährdend, wenn bei unsachgemäßem Gebrauch zum
Beispiel kleine Kinder mit Bioziden in Berührung kom-
men, diese im schlimmsten Fall sogar in den Mund
nehmen. Dies gilt es zu vermeiden.

Ein effektiver Vollzug der EU-Biozid-Verordnung
mit geklärten Zuständigkeiten stärkt sowohl den Um-
welt- und den Gesundheitsschutz bei der Verwendung
von Bioziden. Es wird verhindert, dass Biozide in die
Umwelt gelangen und Böden oder Gewässer beein-
trächtigen. Es ist auch wichtig, dass nur solche Orga-
nismen getötet werden, die beabsichtigt sind.

Die EU-Biozid-Verordnung regelt die Zulassung,
Kennzeichnung und Verwendung von Biozid-Produk-
ten. Das nun vorliegende Gesetz macht diese Regelun-
gen vollziehbar. Unter anderem legt es die Straf-
vorschriften fest, wenn gegen die EU-Verordnung
verstoßen wird. Daher halten wir ein solches Gesetz
auch für dringend notwendig. Den Entschließungsan-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dorothea Steiner


(A) (C)



(D)(B)


trag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP müssen
wir allerdings ablehnen.

Aus unserer Sicht sollen mit dem zusätzlich zum
Gesetz eingebrachten Entschließungsantrag der Ko-
alition bestehende EU-Regelungen abgeschwächt
werden, um den Interessen der Hersteller von Ratten-
giften entgegenzukommen – diese bangen um ihre
Absatzzahlen bei chemischen Nagetierbekämpfungs-
mitteln. Der Entschließungsantrag, der aus der Feder
der FDP zu stammen scheint, fordert einen vereinfach-
ten Zugang zu Nagetierbekämpfungsmitteln für Privat-
anwender. Dies ist vollkommen kontraproduktiv. Nur
Expertinnen und Experten mit Sachkundenachweis
dürfen Biozide anwenden, aus gutem Grund. Eine un-
sachgemäße Verwendung von Rattengift kann dazu
führen, dass Ratten unnötig lange leiden, bevor sie
verenden, und dass auch andere Tiere in Mitleiden-
schaft gezogen werden. Außerdem droht die Gefahr,
dass die Gesundheit von Kindern gefährdet wird, wenn
sie versehentlich mit Rattengiften in Berührung kom-
men. Privatpersonen sollten entweder mechanische
Fallen verwenden oder entsprechende Expertinnen
oder Experten beauftragen, die einen professionellen
Einsatz von Bioziden sicherstellen und das erforderli-
che fachliche Wissen hierfür mitbringen. Denn dieses
professionelle Fachwissen, das ja auch aus kontinuier-
licher Fortbildung stammt, bietet die größtmögliche
Sicherheit. Dies ist bereits in der EU-Biozid-Verord-
nung genau so festgelegt. Biozide dürfen nicht mehr
wie früher im Einzelhandel abgegeben werden, son-
dern nur noch im Fachhandel. Die Anwendung darf
nur von sachkundigen Personen durchgeführt werden,
die einen entsprechenden Sachkundenachweis besit-
zen. Und dies ist auch richtig so. Die Entschließung
der schwarz-gelben Koalition ist mehr als Begleitmu-
sik, sie soll die Festlegungen im EU-Recht wieder auf-
weichen. Das können wir nur ablehnen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724041400

Wir können also gleich zur Abstimmung kommen.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/13400, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12955 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koali-
tionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und die Sozial-
demokraten. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion.
Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Linksfrak-
tion. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist
angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13400 empfiehlt der Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Die
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Niemand.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten René
Röspel, Karin Roth (Esslingen), Dr. Ernst
Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Millennium-Entwicklungsziele ernst neh-
men – Infektionserkrankungen wirksam
durch eine nationale und europäische För-
derung von Product Development Partner-
ships bekämpfen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Niema
Movassat, Dr. Petra Sitte, Kathrin Vogler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Forschungsförderung zur Bekämpfung ver-
nachlässigter Krankheiten ausbauen – Zu-
gang zu Medikamenten für arme Regionen
ermöglichen

– Drucksachen 17/8183, 17/7372, 17/13463 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
René Röspel
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Petra Sitte
Krista Sager

Die Reden werden alle zu Protokoll genommen.


Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1724041500

Manche Dinge erledigt die Zeit. Dieses Schicksal

erleidet auch der vorliegende Antrag der SPD-Bun-
destagsfraktion, der zur Thematik der Bekämpfung von
vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankun-
gen durch sogenannte Produktentwicklungspartner-
schaften – kurz PDP –, im Jahr 2011 unter der Bundes-
tagsdrucksache 17/8183 initiiert wurde.

Mittlerweile, wir haben Mai 2013, wurde die erst-
malige Ausschreibung zur Förderung von PDP durch
das Bundesministerium für Bildung und Forschung,
BMBF, schon lange erfolgreich abgeschlossen. Drei
PDP, Drugs for Neglected Diseases, DNDi, die Euro-
pean Vaccine Initiative, EVI, und die Foundation for
Innovative New Diagnostics, FIND, werden seit Ende
2011 gefördert. Die Rückmeldungen aus den Organi-
sationen rund um das Ausschreibungsverfahren und
die aktuelle Förderrunde sind ausnahmslos positiv.
Damit ist die Forderung der SPD nach einer schnellen





Anette Hübinger


(A) (C)



(D)(B)


Umsetzung der nationalen Förderausschreibung für
PDP obsolet.

Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Forde-
rungspunkt des Antrages. Noch bevor die erste Förder-
runde angelaufen, geschweige denn evaluiert ist, for-
derten Sie, liebe Kollegen der SPD, 100 Millionen Euro
zur Förderung von PDP in den nächsten vier Jahren.
„Kompliment“ – ein glatter Schnellschuss! In diese Ka-
tegorie passt auch der Vorschlag der Linken, die im
schon hinlänglich debattierten Antrag – Bundestags-
drucksache 17/7372 – illusorische 500 Millionen Euro
jährlich für klinische Forschung mit dem Schwerpunkt
vernachlässigte Krankheiten fordern. Strategie sieht in
meinen Augen anders aus. Zum Glück handelte hier das
Ministerium verantwortungsbewusst und ging das
Thema überlegt an.

Dazu muss man wissen, dass das BMBF erst seit
dieser Wahlperiode für dieses Thema allein zuständig
ist und die Förderung von PDP in dieser Form absolu-
tes Neuland im Förderkatalog des Ministeriums ist.
Die christlich-liberale Koalition begrüßt es, dass die
Thematik nun fest im Aufgabenbereich des BMBF ver-
ortet ist und unterstützt seit Anfang an die Vorgehens-
weise des Ministeriums, die erste Förderperiode ge-
zielt und mit Augenmaß anzugehen.

In anderen Reden zum Thema habe ich es schon an-
gesprochen, dass die PDP-Förderung für die deutsche
Förderkultur einen komplett neuen Weg darstellt. Des-
halb ist das Finanzvolumen in Höhe von 22 Millionen
Euro für die erste vierjährige Förderperiode ein Auf-
schlag, der sich sehen lassen kann. Gerade in Relation
zum Gesamtbudget der Gesundheitsforschung wird
dies deutlich.

Klar ist aber auch, dass dies nicht das Ende der
Fahnenstange sein muss bzw. sein kann. Eine positive
Evaluation der ersten Förderperiode hat in meinen
Augen zwingend eine Anschlussförderung mit höherer
Finanzmittelausstattung zur Folge. Der Kenntnisstand
jetzt ist: Es spricht nichts gegen eine zweite Förder-
runde. Eine Evaluation der ersten Erfahrungen gebie-
tet allerdings der gesunde Menschenverstand. Wir för-
dern nicht der Förderung selbst willen, sondern um
Ergebnisse zum Wohle vieler Millionen Menschen
rund um den Globus zu generieren.

Im 2012 verabschiedeten Antrag der christlich-libe-
ralen Koalition mit dem Titel „Forschung und Pro-
duktentwicklung für vernachlässigte und armutsasso-
ziierte Erkrankungen stärken“ (17/10082) haben wir
uns klar zu dieser Frage positioniert. Sollte die erste
Förderrunde positiv evaluiert werden, wird es eine
zweite Runde geben, und diese wird mit mehr Finanz-
mitteln ausgestattet werden. Auf dieses Versprechen
können sich alle Produktentwicklungspartnerschaften
verlassen. Wir bauen keine unerreichbaren Traum-
schlösser, sondern wir stehen zu unseren realistischen
Zusagen.

Diese potenzielle Ausweitung des aktuellen Förder-
programms zieht noch einen anderen wichtigen Punkt

nach sich. Aktuell konzentriert sich die Förderung des
BMBF auf die Erreichung der Millenniums-Entwick-
lungsziele 4, Verringerung der Kindersterblichkeit und
MDG 5, Verringerung der Müttersterblichkeit und
schließt in dieser Hinsicht die Förderung um Maßnah-
men gegen die zwei großen „Killer“ HIV/Aids und Tu-
berkulose aus. Diesen Ausschluss gilt es im Rahmen
einer noch besser ausgestatteten Nachfolgeförderung
zu überdenken.

Gern wird bei der Finanzierung der PDP zur Erfor-
schung vernachlässigter Krankheiten unter den Tep-
pich gekehrt, was das BMBF daneben noch alles leis-
tete. Alle Maßnahmen zusammengerechnet, investieren
wir schon jetzt circa 80 Millionen Euro jährlich in die
Bekämpfung von vernachlässigten und armutsasso-
ziierten Erkrankungen. Eine Maßnahme allein wird
auch hier nicht die Probleme auf der Welt lösen. Viel-
mehr ist ein Mix aus vielen Instrumenten gefragt, und
diesen Weg gehen wir.

Zudem wissen wir im Ministerium mit dem Parla-
mentarischen Staatssekretär Dr. Helge Braun einen
Mitstreiter an unserer Seite, der dem Thema sehr hohe
Aufmerksamkeit schenkt. Er tritt national, auf europäi-
scher Ebene und auch im internationalen Kontext für
noch mehr Engagement bei der Bekämpfung von ver-
nachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen
ein. Dieses Engagement hat schon in den Verhandlun-
gen zum 8. Forschungsrahmenprogramm „Horizon
2020“ Früchte getragen.

Auch unserer Fraktion war es ein großes Anliegen,
dass die Bekämpfung von vernachlässigten und ar-
mutsassoziierten Erkrankungen ihren Niederschlag
im zukünftigen EU-Forschungsprogramm findet. Ei-
nen entsprechenden Handlungsauftrag haben wir in
Form einer klaren Forderung in unserem Antrag an
die Bundesregierung gerichtet. In den Verhandlungen
konnte erreicht werden, dass nun im ersten Abschnitt
„Health, Demographic Change and Well-Being“ zu
Part III (Societal Challenges) des Entwurfs des spezi-
fischen Programms zu Horizon 2020 in der Version der
zypriotischen Ratspräsidentschaft vom 30. November
2012 ein entsprechender Abschnitt zu finden ist.

Die dargestellten Beispiele zeigen deutlich, dass
sich in dieser Legislaturperiode im Bereich der Be-
kämpfung von vernachlässigten und armutsassoziier-
ten Erkrankungen eine Menge getan hat. Die christ-
lich-liberale Koalition zieht in diesen Fragen mit dem
BMBF an einem Strang, damit das Thema in den
nächsten Jahren weiter an Fahrt gewinnt.

Dieses Ziel sollte Anspruch aller hier im Deutschen
Bundestag vertretenen Fraktionen sein, aber auch mit
der Einsicht einhergehen, dass unrealistische finan-
zielle Versprechungen uns sachlich nicht voranbrin-
gen. Wenn wir es in der nächsten Legislaturperiode
schaffen, die finanziellen Mittel zur PDP-Förderung
zu verdoppeln, wäre dies ein Erfolg und eine nicht zu
unterschätzende Kraftanstrengung.

Zu Protokoll gegebene Reden





Anette Hübinger


(A) (C)



(D)(B)


Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir aber noch
eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen, da
viele Menschen und viele unserer Kollegen noch nicht
viel über dieses Thema wissen. Einerseits ist es unsere
humanitäre Pflicht, den Millionen weltweit betroffenen
Menschen zu helfen und andererseits sollte es in unse-
rem ureigensten Interesse liegen, neues Wissen in die-
sem Bereich zu generieren. Dies müssen wir immer
wieder kommunizieren.

Lange ist es nämlich noch nicht her, dass auf Ma-
deira der größte Ausbruch von Dengue-Fieber in Eu-
ropa seit 1927 zu verzeichnen war. Genauer gesagt,
stammt diese Meldung aus der zweiten Jahreshälfte
2012. Dazu passt die Meldung aus dem gleichen Zeit-
raum des Vorjahres, wonach sich Malaria in Grie-
chenland ausbreitet.

Diese Fälle betreffen zwar noch nicht Deutschland
direkt, befinden sich aber in direkter Nachbarschaft,
und auch in Deutschland wurden schon Exemplare der
Asiatischen Tigermücke gesichtet, die für unsere Brei-
ten seltene Krankheitserreger übertragen kann. Ein
Thema also, was infolge des Klimawandels zukünftig
auch für uns an Brisanz gewinnen kann. Dies bestä-
tigte mir auch gestern ein Wissenschaftler vom
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Nach sei-
ner Aussage stimmen in Deutschland schon jetzt die
Rahmenbedingungen für einen größeren Ausbruch des
West-Nil-Virus oder des Dengue-Fiebers. Ignorieren
können wir diese Problematik also auch im eigenen In-
teresse nicht.

Die Bekämpfung von vernachlässigten und armutsas-
soziierten Erkrankungen ist und bleibt also ein Dauer-
brenner. Die christlich-liberale Koalition stellt sich ge-
meinsam mit der Bundesregierung dieser Verantwortung
und wird auch zukünftig dafür sorgen, dass Deutschland
sein Engagement in diesem Bereich weiter stärken
wird.


Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1724041600

Das Verhalten der Bundesregierung bei der Be-

kämpfung von vernachlässigten Krankheiten und zur
Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele bis
2015 steht exemplarisch für das gesamte Regierungs-
handeln von Schwarz-Gelb: zu spät, zu wenig, oder
gar nichts!

Die Zeit bis zum Ende der von uns selbst gesetzten
Frist zur Erreichung der Millenniumsziele verstreicht
unaufhörlich. Noch immer sterben täglich Kinder und
Erwachsene an Krankheiten, die einfach zu behandeln
wären oder für die es zumindest beste Aussichten gibt,
schnell ein wirksames Medikament zu finden.

Insofern ist die derzeitige Legislaturperiode, die
glücklicherweise bald abläuft, verlorene Zeit für die
Menschen. Zunächst versuchte ein neoliberaler Minis-
ter, der ein Ministerium übernommen hat, das er ab-
schaffen wollte, das wirksamste Instrument zur Be-
kämpfung der schlimmsten Krankheiten, den Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und

Malaria, lahmzulegen – warum? Darüber kann nur
spekuliert werden. Letztlich musste Minister Niebel
aufgrund der Proteste klein beigeben. Die anderen
Ressorts versäumen, wichtige Initiativen wie die Pro-
duktentwicklungspartnerschaften für die Entwicklung
von Medikamenten und Behandlungen voranzubrin-
gen. Auch hier gilt: zu wenig, zu langsam.

Die Regierung, allen voran die Kanzlerin, beteuert
immer wieder ihren Willen, internationale Zusagen
wie die Millenniumsziele einzuhalten. Nur leider fol-
gen den schönen Worten niemals Taten.

Ja, es gibt Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung
der Millenniumsziele – trotz der jetzigen Bundesregie-
rung, nicht wegen ihr. Mit einer Förderung der soge-
nannten Produktentwicklungspartnerschaften hätten
weit größere Erfolge erzielt werden können. Der Vor-
teil der PDP liegt auf der Hand: Effizienz, Geschwin-
digkeit und der Wille, die Ergebnisse den Ärmsten in
den Entwicklungsländern zugutekommen zu lassen.

Die Pharmaindustrie erzählt uns laufend, dass die
Entwicklung eines Medikamentes circa 1 Milliarde
Euro kostet. PDP können dies für rund ein Drittel –
immer noch kein Kleingeld. Und was sind dann die von
der Regierung zugesagten 5 Millionen Euro pro Jahr
im Vergleich zu den Kosten für ein einziges Medika-
ment?

Wohl gemerkt: Es gab Ausnahmen in dieser Regie-
rung, die aber an ihren Kabinettskollegen gescheitert
sind. Der Parlamentarische Staatsekretär Dr. Braun
vom Bildungs- und Forschungsministerium hat sich
mit viel Engagement dieser Sache verschrieben. Er be-
sitzt den Weitblick, um über Deutschland hinauszuden-
ken und entsprechende Initiativen auf europäischer
Ebene voranzutreiben. Einig war man sich über alle
Parteigrenzen hinweg, dass eine Ausweitung des Pro-
gramms „Horizont 2020“ notwendig ist, gerade auch
im Hinblick auf eine Forschungsförderung für ver-
nachlässigte Krankheiten – und dann kommt der Fi-
nanzminister mit dem Rasenmäher und kürzt, gemein-
sam mit der Kanzlerin, das EU-Budget dramatisch.
Kohärenz und Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft se-
hen anders aus.

Viele wichtige Initiativen, die die Gesundheit der
Menschen zum Ziel haben, leiden oder versanden un-
ter diesem Nichthandeln. TBVI beispielsweise, eine
Initiative zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Tu-
berkulose, hätte ein europäisches Leuchtturmprojekt
werden können, ganz im Sinne der Wachstumsstrategie
„Europa 2020“. Leider fehlte die Unterstützung, so-
dass es auch hier wieder so aussieht, als würde Spit-
zenforschung auf andere Kontinente abwandern oder
über private Stiftungen finanziert, die dann wiederum
ihre speziellen Interessen verankern.

Wenn wir also jetzt die „Performance“ der Regie-
rung resümieren, müssen wir bedauernd feststellen,
dass die Zukunftsfragen verspielt und die notwendigen
Zukunftsinvestitionen versäumt wurden. Wenn dieses
Versagen schon bei den offensichtlichen und oft disku-

Zu Protokoll gegebene Reden





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)


tierten Problemen so evident ist, können wir uns leb-
haft vorstellen, wie es zum Beispiel bei Krankheiten
wie dem verstärkt aufkommenden Denguefieber
– 300 bis 400 Millionen Neuinfektionen pro Jahr mit
weiter steigender Tendenz besonders in den Millionen-
städten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas – oder bei
der Verhinderung von Todesfällen durch Schlangen-
bisse aussieht.

Der Klimawandel wird dazu führen, dass viele
Krankheiten des Südens uns alsbald erreichen. Die
multiresistente Tuberkulose ist schon lange in Europa
angekommen. Es fehlen jedoch die Medikamente dazu.
Wie lange noch?

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, Sie hätten die Chance gehabt, viel für die Men-
schen zu erreichen, spätestens nach der Vorlage unse-
res Antrags. Die Chance haben Sie verpasst. Es wird
Zeit für eine neue Regierung.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1724041700

Einigkeit gibt es in diesem Hause zwischen den

Fraktionen ja selten. Das ist in Anbetracht der Kom-
plexität vieler der hier besprochenen Probleme auch
kein Wunder. Erfreulich und der Sache hilfreich ist es
aber immer dann, wenn ein Grundkonsens zwischen
den Fraktionen besteht. Ja, beim Thema Bekämpfung
von armutsbedingten Infektionskrankheiten – auch
„vernachlässigte Krankheiten“ genannt – herrscht un-
ter uns Abgeordneten die einhellige Meinung, dass
Deutschland seinen Teil leisten soll. Das ist sehr er-
freulich. Auch bei einem der Instrumente sind wir uns
einig. Alle Fraktionen unterstützen das Product-Deve-
lopment-Partnership-Modell, PDP. Diese einhellige
Meinung besteht nicht nur bei den Entwicklungspoliti-
kerinnen und -politikern, wo man das vielleicht eher
erwarten würde, sondern zum Beispiel auch in meinem
Ausschuss, dem Forschungsausschuss. Also alles Kon-
sens, könnte man meinen. Aber dann dürften die bei-
den hier vorliegenden Anträge zum Themen PDP ja
nicht von Teilen des Parlaments abgelehnt werden, wie
wir es heute wohl leider erleben werden. Denn trotz
des Grundkonsenses streiten sich die Expertinnen und
Experten der Fraktionen bei den Details durchaus.

Im Kern geht es bei PDPs darum, dass Vertreter der
Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, des Staates und
der Industrie zusammen daran arbeiten, Medizinpro-
dukte zu entwickeln, die auch für die Menschen in den
Entwicklungsländern erschwinglich sind. Die Bundes-
regierung hat dankenswerterweise 2012 ein eigenes
Budget zur Förderung der PDPs in den Haushalt auf-
genommen. Unter der Großen Koalition hatte die SPD
durch Budgeterhöhungen im Bereich der vernachläs-
sigten Krankheiten dafür bereits den Weg geebnet. In
Anbetracht der enormen Herausforderungen und Be-
lastungen, welche die Infektionskrankheiten bereits
heute für viele Entwicklungsländer bedeuten, ist die
aktuelle Budgetsumme von circa 20 Millionen Euro für
vier Jahre für PDP im Haushalt des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung, BMBF, aber mehr

als bescheiden. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von CDU/CSU und FDP, wissen schon, dass zur Ent-
wicklung nur eines Medikamentes im Durchschnitt
Kosten von bis zu einer halben Milliarde Euro fällig
werden können? Auch wenn PDPs Medikamente güns-
tiger als die Industrie entwickeln, so sind 5 Millionen
Euro pro Jahr einfach viel zu wenig. Wir Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten setzen uns in unserem
Antrag deshalb für ein Budget von 100 Millionen Euro
für vier Jahre ein. Auch das ist im Angesicht der vor
uns liegenden Aufgaben noch immer eine überschau-
bare Zahl. Aber sie ist doch realitätsnäher als Ihr Bud-
get.

Neben der Budgetanhebung fordern wir in unserem
Antrag unter anderem auch, dass die Bundesregierung
Konzepte vorlegt, wie die Karrierechancen von Nach-
wuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern er-
höht werden können. Denn es gibt viele junge Men-
schen, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den
Dienst einer guten Sache, wie der Entwicklung von be-
zahlbaren Medikamenten, stellen wollen. Aber dafür
benötigen sie Strukturen und Unterstützung. Die
schwarz-gelbe Bundesregierung sieht diesen Bereich
aber leider nicht als prioritär an. Schade, so werden
viele junge Menschen mittelfristig ihr Engagement in
diesem Bereich wohl bald wieder einstellen müssen.

Neben dem Antrag der SPD stimmen wir heute auch
über einen Antrag der Linken ab. In meiner Rede vom
1. Dezember 2011 bin ich bereits im Detail auf diesen
Antrag eingegangen und habe erklärt, warum wir die-
sen nicht mittragen können. Die meisten Forderungen
sind einfach unrealistisch. Das liegt aber wohl daran,
dass die Linke sowieso nicht davon ausgeht, diese ir-
gendwann als Teil einer Bundesregierung umsetzen zu
müssen; diese Einschätzung teile ich. Die Linke will
zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler sowie die Industrie dazu verpflichten, Produkte für
die Gesundheitsbedürfnisse in Entwicklungsländern
herzustellen. Ein hehres Ziel, aber wie soll das umge-
setzt werden? In der DDR hätten man das wohl von
oben befehlen können – wahrscheinlich trotzdem ohne
das gewünschte Ziel zu erreichen –, aber in der Bun-
desrepublik kann der Staat Wissenschaft und Industrie
zum Glück nicht einfach so Dinge vorschreiben.

Genauso weltfremd ist die Forderung, dass die for-
schenden Arzneimittelhersteller alle ihre geistigen Ei-
gentumsrechte an den Wirkstoffen in einen Patentpool
abgeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
gut gemeinte, aber weltfremde Forderungen werden
am Ende den Menschen nicht helfen, sondern allein
die Umsetzungen von realistischen Ansätzen. Davon
sind Sie noch weit entfernt.

Auch wenn wir zwischen den Fraktionen bei der
Umsetzung durchaus unterschiedliche Auffassungen
haben, so lassen Sie uns alle doch trotzdem auch wei-
terhin gemeinsam für eine Verbesserung der Lebens-
umstände von Menschen in Entwicklungsländern ar-
beiten, zum Beispiel durch die weitere Förderung von
PDP.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Rede ID: ID1724041800

Wir sprechen heute über zwei gut gemeinte Anträge

der Opposition zu einem wichtigen Thema. In beiden
Anträgen geht es darum, die Millenniumsentwick-
lungsziele im Auge zu behalten und sich ihnen anzunä-
hern, hier speziell in Bezug auf die Eindämmung der
sogenannten vernachlässigten Krankheiten in den
Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Krank-
heiten sind teilweise behandelbar und wären in vielen
Fällen vermeidbar, wenn, ja, wenn die Lebensum-
stände der betroffenen Menschen andere wären.

Es gibt manche Übereinstimmung mit der Politik
der Bundesregierung: Unser Ziel und auch das der
SPD ist es, Forschungs- und Versorgungslücken zu
schließen. Ein probates Instrumentarium dafür sind
zum Beispiel die Produktentwicklungspartnerschaften,
PDPs. In diesen Verbünden kooperieren Vertreter aus
Wissenschaft und Wirtschaft, von Nichtregierungsor-
ganisationen, NGOs, und von staatlichen Stellen. Da-
bei geht es um die Bereitstellung von erschwinglichen
Produkten, mit denen die medizinische Versorgung in
Schwellen- und Entwicklungsländern verbessert wer-
den kann.

Die Bundesregierung unterstützt derzeit drei Ver-
bünde, nämlich Drugs for Neglected Diseases, DNDi,
Foundation for Innovative New Diagnostics, FIND,
und European Vaccine Initiative, EVI. Diese drei Ver-
bünde kämpfen gegen die Schlafkrankheit, gegen vis-
zerale Leishmaniose, gegen Chagas, Wurmkrankhei-
ten und Malaria. Die Bundesregierung hat dafür
20 Millionen Euro bereitgestellt. Wenn dieser neue
Weg erfolgreich ist, werden in absehbarer Zeit Medi-
kamente und Impfstoffe für die Betroffenen nicht nur
zur Verfügung stehen, sondern auch erreichbar und zu-
gänglich sein. Das wäre ein großer Schritt in die rich-
tige Richtung.

Die SPD meint nun, das sei viel zu wenig, und for-
dert stattdessen einen Betrag von 100 Millionen Euro.
Aber die SPD ist ja auch in der Opposition und muss
nicht sagen, woher das Geld kommen soll. Außerdem
kritisiert die SPD, es habe zu lange gedauert, bis diese
neuen Wege im Kampf gegen vernachlässigte Krank-
heiten beschritten worden seien. Das kommt mir ein
bisschen so vor wie die Sache mit dem Glas, das man
– je nach Standpunkt – als halb leer oder als halb voll
bezeichnen kann. Wenn Sie meinen, dass 20 Millionen
Euro nicht reichen, haben Sie sicher recht. Aber wir
haben leider nicht die Möglichkeit, alles zu finanzie-
ren, was erforderlich und wünschenswert wäre. Dass
die Bundesregierung in diesen Zeiten dennoch so viel
Geld lockermacht, um kranken Menschen in armen
Ländern zu helfen, verdient Anerkennung. Ich jeden-
falls freue mich über das, was wir in dieser Sache er-
reicht haben.

Der Antrag der Linken hat eine etwas andere Stoß-
richtung. Es stimmt, dass die Armen dieser Welt nur
über geringe Kaufkraft verfügen und deshalb für die
Pharmaindustrie keinen besonders interessanten Markt
darstellen. Die Linke meint, da müssten Zwangsmaß-

nahmen ergriffen werden. Arzneimittelhersteller und
Forschungsinstitute sollen zur Freigabe von Patent-
rechten genötigt werden. Außerdem fordert die Linke
zusätzliche Auflagen und Abgaben für Pharmaunter-
nehmen. Ob man mit solchen Maßnahmen die For-
schung für die Armen der Welt beflügeln kann, wage
ich zu bezweifeln. Mit solchen Maßnahmen kann man
dem Wirtschaftsstandort richtig schaden. Aber davon
haben die Kranken in den Schwellen- und Entwick-
lungsländern nichts. Wie solche Maßnahmen den
Kranken dort Zugang zu Medikamenten verschaffen
sollen, bleibt das Geheimnis der Linken.

Wir Liberalen sind da pragmatisch. Wir sind der
Meinung: Wenn die Pharmaindustrie sich auf Medika-
mente konzentriert, mit denen sich Gewinne erzielen
lassen, ist das nicht irgendwie verwerflich, sondern
marktwirtschaftlich erfolgreiches Handeln. Wenn wir
Politiker erreichen wollen, dass auch vernachlässigte
Krankheiten erforscht und Behandlungen ermöglicht
werden, wo keine Gewinne zu erwarten sind, dann
müssen wir Anreize schaffen. Das BMBF schafft sol-
che Anreize, indem es die Entwicklung von Produkten
zur Prävention, Diagnose und Behandlung von ver-
nachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten
fördert. Das ist der richtige Weg, den die Koalitions-
fraktionen gerne unterstützen. Die Anträge von SPD
und Linken lehnen wir ab.


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724041900

Alle Menschen weltweit müssen ungeachtet ihrer

Kaufkraft Zugang zu lebensnotwendigen Gesundheits-
produkten haben. Es wäre die zentrale Aufgabe der
Pharmahersteller, auch für Krankheiten, die nur in ar-
men Ländern vorkommen, ein adäquates Angebot an
Medikamenten zu entwickeln. Doch das geschieht in
der Realität leider gerade nicht.

Weltweit haben noch heute, im 21. Jahrhundert,
etwa 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu wich-
tigen Medikamenten und Gesundheitsdienstleistungen.
Wer nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, für
den existiert das Menschenrecht auf Gesundheit nur
auf dem Papier.

Das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und
Nachfrage versagt nirgendwo so kläglich wie bei der
Bereitstellung lebensrettender Medizin für die Ärmsten
dieser Welt. Aus Profitinteresse konzentriert die Phar-
maindustrie ihre Wirkstoffforschung vor allem auf
Krankheiten, bei denen ein fertiges Medikament in den
Industrieländern großen Absatz verspricht. Menschen
in den Ländern des Südens haben zwar einen lebens-
notwendigen Bedarf, aufgrund geringer Einkommen
stellt dieser Bedarf allerdings keinen wirtschaftlichen
Anreiz dar und wird viel zu wenig bedient. Nur 10 Pro-
zent der globalen Forschungsausgaben beziehen sich
auf Krankheiten, die zu 90 Prozent zur globalen
Krankheitslast beitragen.

Dieses Missverhältnis und seine fatalen Folgen für
die Gesundheitssituation in Entwicklungsländern sind
völlig grotesk, denn: pharmazeutische Firmen geben

Zu Protokoll gegebene Reden





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)


mehr als doppelt so viel für Marketing aus wie für For-
schung! Die Pharmaindustrie betreibt lieber Wirkstoff-
forschung für Wellnessmedikamente, die später große
Gewinne in den Industrieländern versprechen, anstatt
den lebensnotwendigen Bedarf in den Entwicklungs-
ländern zu decken.

Ein bedeutender Teil der Pharmaentwicklungen in
Industrieländern kommt aus öffentlich finanzierter
Grundlagenforschung. Sie orientiert sich leider unter
dem zunehmenden Druck zur Eigenfinanzierung im-
mer mehr an profitträchtigen Bereichen, also an
Krankheiten, die vor allem in reichen Ländern auftre-
ten. Pharmafirmen greifen die Ergebnisse aus öffent-
lich finanzierter Grundlagenforschung häufig auf,
führen die klinischen Tests durch und patentieren und
vermarkten schließlich das fertige Produkt. For-
schungsinstitute bzw. sogenannte Patentverwertungs-
agenturen patentieren entsprechende öffentlich
finanzierte Forschungsergebnisse, um diese gewinn-
bringend vermarkten zu können.

Die Möglichkeit einer kostengünstigen Nutzung
durch nichtprofitorientierte Forschungskonsortien
oder aber auch direkt für die Entwicklung und Herstel-
lung von Produkten für arme Länder ist derzeit nicht
explizit vorgesehen; und das, obwohl die öffentliche
Hand durch die finanzielle Förderung hier direkte Ein-
fluss- und Gestaltungsmöglichkeiten hat.

Geistige Eigentumsrechte erzeugen gerade in der
Pharmaindustrie eine Monopolstellung, die letztlich zu
hohen und für arme Menschen nicht bezahlbaren Prei-
sen führt. Sie behindern außerdem weitergehende For-
schung und Produktentwicklung durch Dritte. So wer-
den Innovationsprozesse aufgehalten und Produkte
künstlich teuer gehalten. Die Versorgung der Betroffe-
nen muss aber unbedingt im Mittelpunkt der Bemühun-
gen stehen!

Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte
geistiger Eigentumsrechte – TRIPS – der Welthandels-
organisation, WTO, setzt weltweit Mindeststandards
für den Schutz geistiger Eigentumsrechte. Es erlaubt
Entwicklungsländern zugleich, bestimmte Maßnahmen
zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen.
Internationale Konzerne versuchen jedoch immer wie-
der durch Klagen, solche Schutzmaßnahmen zu ver-
hindern.

Die EU-Kommission versucht sogar, in Handelsver-
trägen etwa mit Indien oder dem Mercado Común del
Sur – MERCOSUR – sogenannte TRIPS-plus-Bestim-
mungen durchzusetzen, die noch restriktiver sind als
das TRIPS-Abkommen selbst. Diese Politik versucht,
die Gewinne der Pharmaindustrie abzusichern, ob-
wohl sie negative Folgen für die Arzneimittelversor-
gung in armen Ländern hat. Die schwarz-gelbe Bun-
desregierung treibt diese Politik zugunsten der
Pharmaindustrie in Brüssel aktiv voran. Sie dient der
Pharmalobby, die zu den mächtigsten im Lande ge-
hört – und damit nicht dem Wohl der Menschen. Das
Freihandelsabkommen der EU mit Indien, dem größ-

ten Generikahersteller weltweit, steht kurz vor dem
Abschluss. Dazu erklärte Oxfam kürzlich sehr treffend:
„Im Zuge verschiedener kürzlich getroffener Entschei-
dungen in Indien, die positiv für die Versorgung mit
Medikamenten sind, versucht die EU jetzt umso eifri-
ger, Indien als ‚Apotheke der Armen‘ zu verhindern
und sicherzustellen, dass die Profite von Pharmaunter-
nehmen erhalten bleiben.“

Die Linke hat im Bundestag die gesetzlich bindende
Einrichtung eines Fonds gefordert, der eine Abgabe
auf die jährlichen auf Ärzte bezogenen Marketingaus-
gaben von Pharmafirmen in Höhe von 5 Prozent vor-
sieht und dessen Einnahmen exklusiv in die Forschung
an vernachlässigten und armutsassoziierten Krankhei-
ten fließen sollen. In Italien existiert dieses Modell be-
reits. Selbst dieser Forderung nach einer kleinen Ein-
schränkung der Interessen der Pharmaindustrie ist
keine der anderen Bundestagsfraktionen gefolgt. Die
Linke ist die einzige Partei, die die unausweichlichen
Konflikte mit der Pharmaindustrie und ihrer mächti-
gen Lobby nicht scheut. Open-Access-Lösungen, also
der kostenlose Zugang zu wissenschaftlicher Literatur
bzw. Daten, gehört die Zukunft. Das Menschenrecht
auf Gesundheit – das Leben unzähliger Menschen –
muss Vorrang haben vor der Gier einiger Weniger, mit-
hilfe der Pharmaindustrie ihren Reichtum immer wei-
ter zu vergrößern.

Produktentwicklungspartnerschaften bündeln öf-
fentliche und private Kräfte, um Forschung und Ent-
wicklung voranzutreiben. Der vorliegende SPD-An-
trag fordert richtigerweise, diese deutlich zu stärken,
und kritisiert die Bundesregierung zu Recht für ihren
halbherzigen Umgang mit diesem Instrument. Auf zen-
trale Probleme wie das bestehende Patentsystem geht
er leider nicht ein. Die Linksfraktion stimmt deshalb
mit Enthaltung.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724042000

Es ist ein Skandal, dass in der heutigen Zeit welt-

weit 1,7 Milliarden Menschen keinen Zugang zu le-
bensnotwendigen Medikamenten haben. Dies ist auch
eine grobe Missachtung des Menschenrechts auf Ge-
sundheit mit schwerwiegenden Folgen für die Men-
schen und ganze Gesellschaften. Insbesondere die so
genannten vernachlässigten und armutsbedingten Tro-
penkrankheiten aber auch Aids, Tuberkulose und
Malaria fordern täglich 35 000 Todesopfer. Diese
Krankheiten können schwere körperliche Beeinträchti-
gungen und Behinderungen hervorrufen und beein-
trächtigen das Leben von über 1 Milliarde Menschen.
Viele dieser Krankheiten sind behandelbar oder wären
sogar vermeidbar. Besonders hier zeigt sich wie eng
Armut und Krankheit zusammenhängen. Die meisten
Erkrankungen in Entwicklungs- und Schwellenländern
sind nämlich armutsbedingt. Aber auch umgekehrt
gilt: Krankheiten fördern und verursachen Armut, sind
deshalb ein bedeutendes Entwicklungshemmnis und
konterkarieren die Ziele der Entwicklungszusammen-
arbeit.

Zu Protokoll gegebene Reden





Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)


Neben funktionierenden öffentlichen und solidari-
schen Gesundheitssystemen gilt es vor allem, die For-
schungs- und auch die Versorgungslücke zu schließen,
um den Zugang zu Medikamenten zu verwirklichen.
Vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten be-
treffen insbesondere Menschen in Entwicklungs- und
Schwellenländern mit geringer Kaufkraft und bieten
bisher kaum wirtschaftliche Anreize für pharmazeuti-
sche Unternehmen, Produkte gegen diese Krankheiten
zu entwickeln.

Wir müssen daher auch darüber diskutieren, wie
viel Innovationskraft das derzeitige Patentsystem tat-
sächlich noch hat und welche Impulse hierdurch ge-
setzt werden. Ein neues Medikament beinhaltet mittler-
weile bis zu 100 Patente. Man spricht hier auch von
einem „Patent-Dickicht“. Dieses Dickicht kann ganze
Forschungsgebiete blockieren. Darüber hinaus zielten
weniger als 2 Prozent der neuentwickelten pharmazeu-
tischen Wirksubstanzen zwischen 1975 und 2004 auf
vernachlässigte Krankheiten einschließlich Malaria
und Tuberkulose ab. Und immer noch gilt, dass sich
nur 10 Prozent der Forschung mit 90 Prozent der welt-
weiten Gesundheitsprobleme befassen. Da stellt sich
also ganz massiv die Frage, ob hier die richtigen An-
reize gesetzt werden. Deshalb müssen wir auch da-
rüber reden, ob und wie man Forschungskosten vom
Medikamentenpreis entkoppeln kann. In diesem Zu-
sammenhang muss die Pharmaindustrie auch endlich
ihre Kostenrechnungen für diese Produkte nachvoll-
ziehbar offenlegen. Worüber wir aber nicht verhandeln
können, ist das Menschenrecht auf Gesundheit.

Im Kampf gegen die vernachlässigten und armuts-
bedingten Krankheiten können Produktentwicklungs-
partnerschaften ein wichtiges Instrument sein. Des-
halb unterstützen wir auch den Antrag der SPD-
Fraktion, der ebenso wie unser grüner Antrag, eine
deutliche Aufstockung der Mittel in diesem Bereich
fordert.

Die Anträge der Opposition dokumentieren auch,
dass die Koalition hier versagt hat. Denn ohne kon-
krete Forderungen zur Bereitstellung von zusätzlichen
Haushaltsmitteln lässt sich der Kampf gegen vernach-
lässigte und armutsbedingte Krankheiten nicht gewin-
nen. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit in der Ent-
wicklungspolitik lassen sich nicht mit bloßen
Lippenbekenntnissen schaffen. Aber nicht nur die vie-
len leeren Versprechungen der Bundesregierung ver-
hindern weitreichende Fortschritte, sondern auch die
fehlende Politikkohärenz. Die Handels- und Entwick-
lungspolitik müssen endlich in Einklang gebracht wer-
den! In den letzten vier Jahren spielte die Bundesre-
gierung eine eher unrühmliche Rolle in den Verhand-
lungen zu Freihandelsabkommen und setzte auf eine
Verschärfung der geistigen Eigentumsrechte statt auf
das Menschenrecht auf Gesundheit. Menschenrechte
sind aber nicht verhandelbar!


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724042100

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung

und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/
13463. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8183. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Linksfrak-
tion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/7372. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die SPD und
Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Linksfraktion.
Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
und anderer Gesetze

– Drucksache 17/12856 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/13496 –

Berichterstattung:
AbgeordneterThomas Lutze

Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausge-
wiesen, zu Protokoll genommen.


Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1724042200

Europa wächst immer mehr zusammen, die europäi-

sche Integration schreitet voran. Erst heute Nachmit-
tag haben wir hier im Deutschen Bundestag dem Bei-
tritt Kroatiens zur Europäischen Union zugestimmt.
Am 1. Juli dieses Jahres wird es so weit sein. Dann
wird Kroatien der 28. Mitgliedstaat der EU. Für an-
dere junge Mitgliedstaaten wie Bulgarien und Rumä-
nien laufen Übergangsbestimmungen aus. So sind mit
Wirkung vom 1. Januar 2012 sämtliche Beschränkun-
gen für Kabotageverkehre aus diesen Ländern inner-
halb Deutschlands weggefallen. All diese Änderungen
veranlassen uns als Gesetzgeber, unser nationales
Recht anzupassen.

Das vorliegende Gesetz, das wir heute voraussicht-
lich mit einer breiten Mehrheit, die auch den Großteil
der Opposition einschließt, verabschieden, ist eines
von mittlerweile vielen Beispielen, die zeigen, wie
stark der Einfluss Europas auf die nationale Gesetzge-
bung und damit auch auf unsere Arbeit hier im Deut-
schen Bundestag gewachsen ist. Da die einzelnen Re-
gelungen, die mit dem vorliegenden Gesetz geändert
werden, im Wesentlichen technischer bzw. redaktionel-
ler Natur sind, möchte ich gern die Gelegenheit nut-
zen, im Vorfeld darauf hinzuweisen, wie wichtig es in-
zwischen für uns als Abgeordnete des Deutschen
Bundestages ist, sich mit Europa und den europäi-





Karl Holmeier


(A) (C)



(D)(B)


schen Gesetzgebungsprozessen zu beschäftigen. Die
vereinzelt immer wieder zu vernehmenden Klagen da-
rüber, was uns denn nun schon wieder von Brüssel aus
vorgeschrieben wurde, sind nämlich in den meisten
Fällen das Eingeständnis des eigenen Scheiterns.

Sie sind die Folge dessen, dass man selbst nicht
rechtzeitig aktiv geworden ist. Der Deutsche Bundes-
tag hat besonders nach dem Vertrag von Lissabon eine
eigene Verantwortung bei der Mitgestaltung europäi-
scher Rechtsvorschriften. Er muss diese Verantwor-
tung aber auch beherzt wahrnehmen. Natürlich heißt
das auch, das man sich ein wenig an andere Spielre-
geln gewöhnen muss. In einem Europa mit demnächst
28 Mitgliedstaaten hat Deutschland kein Vetorecht.
Wenn wir unsere Positionen also durchsetzen möchten,
heißt das, wir müssen uns auch frühzeitig innerhalb
Europas Mehrheiten suchen. Meine Erfahrung ist da-
rüber hinaus auch, dass es sich lohnt, sehr früh auf die
EU-Kommission zuzugehen und ihr mitzuteilen, wie
die Auffassung des Deutschen Bundestages zu be-
stimmten Vorhaben ist. Hier, denke ich, sind wir inzwi-
schen auf einem guten Weg. Ich sehe aber an einigen
Stellen immer noch Verbesserungspotenzial.

Was das vorliegende Gesetz angeht, so tragen wir
mit der Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes zum
einen der Tatsache Rechnung, dass seit dem 1. Januar
2013 keine Möglichkeit mehr besteht, Kabotage-
verkehre aus Bulgarien und Rumänien innerhalb
Deutschlands zu verbieten. Die bisherige Beschrän-
kung im Güterkraftverkehrsgesetz ist daher aufzuhe-
ben. Dafür wird zum anderen mit Blick auf den Beitritt
Kroatiens zum 1. Juli diese Jahres die hierfür notwen-
dige Kabotagebeschränkung in das Gesetz aufgenom-
men.

Ferner setzen wir mit der Änderung des Fahrperso-
nalgesetzes eine völkerrechtliche Verpflichtung aus
dem Europäischen Übereinkommen über die Arbeit des
im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahr-
personals, AETR, um. Damit können künftig Ordnungs-
widrigkeiten im Anwendungsbereich des AETR in
Deutschland auch dann geahndet werden, wenn sie im
Ausland begangen wurden.

Im Binnenschifffahrtsaufgabengesetz schaffen wir
eine Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Ad-
ressdaten aus der Binnenschiffsbestandsdatei an das
Bundesamt für Güterverkehr. Bislang fehlt diese Mög-
lichkeit. Da das BAG die Daten zum Zwecke seiner
Aufgabenerfüllung jedoch braucht, insbesondere für
die Marktbeobachtung, ist eine entsprechende Ände-
rung notwendig.

Infolge der Umsetzung der 3. EU-Führerschein-
richtlinie erfolgen im Fahrlehrergesetz Ergänzungen
hinsichtlich der Lehrberechtigung für Fahrlehrer.

Im Straßenverkehrsgesetz werden die Löschfristen
für Daten in den örtlichen Fahrerlaubnisregistern an-
gepasst. Weiterhin wird die verkehrsrechtliche Einord-
nung von Elektrofahrrädern klargestellt. Sie sind hier-
nach dann nicht als Kraftfahrzeug anzusehen, wenn sie

mit Muskelkraft und elektrischem Hilfsantrieb von
höchstens 0,25 Kilowatt fortbewegt werden, wobei der
elektrische Antrieb ab einer Geschwindigkeit von
25 Kilometer pro Stunde abschalten muss. Schließlich
ändern wir das Berufskraftfahrer-Qualifikations-Ge-
setz und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass bei
Erwerb der Grundqualifikation keine Fahrerlaubnis
mehr vorliegen muss. Auch hier reagieren wir auf euro-
parechtliche Anforderungen. Sie sehen: Europa ist all-
gegenwärtig. Damit schließt sich auch wieder der Kreis
zu dem, was ich eingangs gesagt hatte: Die europäi-
sche Integration schreitet voran. Und es ist unsere Auf-
gabe als Deutscher Bundestag, hier am Ball zu bleiben
und die europäische Gesetzgebung aktiv mitzugestal-
ten.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1724042300

Auch wenn sich die Legislaturperiode dem Ende zu-

neigt, muss nicht zwangsläufig zu jedem Gesetzesvor-
haben ein politischer Dissens entstehen. Das zeigt der
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraft-
verkehrsgesetzes und anderer Gesetze, über den wir
heute in zweiter und dritter Lesung abschließend bera-
ten. Im März hat der Bundesrat dem von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurf bereits grundsätzlich
zugestimmt und nur einige geringfügige Änderungen
und Ergänzungen vorgeschlagen. Diese Wünsche ha-
ben wir seitens der Koalitionsfraktionen mit einem ent-
sprechenden Änderungsantrag übernommen. Zudem
haben wir selbst auch noch weitere Anpassungen emp-
fohlen. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung fand der Gesetzent-
wurf in der so geänderten Form ebenfalls breite Zu-
stimmung. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen haben
sich der Stimme enthalten. Insofern empfiehlt der zu-
ständige Fachausschuss also nahezu einstimmig, die
Gesetzesänderungen zu beschließen. Diese Einmütig-
keit ist nicht verwunderlich. Denn in der Sache geht es
im Wesentlichen um redaktionelle Anpassungen und
Klarstellungen, die aufgrund geänderter Rahmenbe-
dingungen erforderlich sind. Vor allem im Bereich des
Güterkraftverkehrs sind an unterschiedlichen Stellen
geringfügige Gesetzesänderungen vorzunehmen. Die
aus meiner Sicht wichtigsten Punkte möchte ich gerne
kurz darstellen.

Als Erstes sei die Anpassung der Kabotagebestim-
mungen genannt. So sind zwischenzeitlich die Kabota-
gebeschränkungen für Bulgarien und Rumänien infolge
des EU-Beitritts der beiden Länder weggefallen. Auch
für Kroatien werden diese Beschränkungen in Kürze
entbehrlich, da auch dieses Land der EU beitritt. Die-
ser Umstand macht Änderungen im Güterkraftver-
kehrsgesetz erforderlich.

Der zweite Punkt ist die Schaffung einer Rechts-
grundlage für die Nutzung von Daten aus der Werkver-
kehrsdatei. Das Bundesamt für Güterverkehr hat im
Rahmen seiner Aufgaben unter anderem Vorsorgepla-
nungen für Krisensituationen durchzuführen, um bei-
spielsweise im Falle einer Naturkatastrophe Engpässe

Zu Protokoll gegebene Reden





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)


an Transportkapazitäten zu vermeiden. Dazu soll das
Bundesamt künftig nun auch auf die Daten aus der bei
ihm bereits geführten Werkverkehrsdatei zugreifen dür-
fen, in der sämtliche Unternehmen aufgelistet sind, die
Werkverkehr betreiben.

Das Dritte ist die Änderung des Fahrpersonalgeset-
zes. Hier geht es um die Umsetzung völkerrechtlicher
Verpflichtungen aus dem Europäischen Übereinkom-
men über die Arbeit des im internationalen Straßen-
verkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR-Abkom-
men. Durch die Neuregelung soll das bisher gültige
Prinzip der Territorialität durchbrochen werden. Wie
vom AETR-Abkommen vorgesehen, können dann auch
Verstöße gegen das Abkommen in Deutschland geahn-
det werden, selbst wenn diese außerhalb des Landes
begangen worden sind.

Des Weiteren ist eine Änderung des Binnenschiff-
fahrtsaufgabengesetzes vorgesehen. Dort soll eine
Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Adressda-
ten aus der Binnenschiffsbestandsdatei an das Bundes-
amt für Güterverkehr geschaffen werden. Ziel ist es,
die Marktbeobachtung effektiver zu gestalten. Denn
das Bundesamt führt regelmäßig Marktgespräche mit
Unternehmen und Vertretern des Verkehrsgewerbes
und auch schriftliche Umfragen durch, um etwa die ak-
tuelle Situation in der Binnenschifffahrt besser beur-
teilen zu können. Die Teilnahme an den Gesprächen
und Umfragen erfolgt zwar auf freiwilliger Basis, setzt
aber voraus, dass dem Bundesamt der potenzielle Teil-
nehmerkreis bekannt ist und angesprochen werden
kann.

Fünftens möchte ich die Änderung des Fahrlehrer-
gesetzes erwähnen. Dabei geht es allerdings lediglich
um redaktionelle Anpassungen und Folgeänderungen,
die sich aus der sogenannten dritten EU-Führer-
scheinrichtlinie und der Änderung der Fahrerlaubnis-
Verordnung ergeben. Im Rahmen dessen wurden näm-
lich die Fahrerlaubnisklassen teils neu definiert, au-
ßerdem wurde die Geschwindigkeitsbeschränkung der
Klasse L von 32 auf nunmehr 40 Kilometer pro Stunde
angehoben. Vor diesem Hintergrund muss nun auch
das Fahrlehrergesetz entsprechend angepasst werden.

Ein weiterer Punkt ist die Ergänzung der Kraftfahr-
zeugdefinition im Straßenverkehrsgesetz. Konkret geht
es um die Einstufung von Elektrofahrrädern, die sich
zunehmend größerer Beliebtheit erfreuen. Auch ich
selbst bin begeisterter Nutzer eines solchen Rades.
Aber angesichts des breiten Spektrums verschiedener
Modelle gibt es teilweise Rechtsunsicherheiten. Die
Nutzer fragen sich, wie diese Fahrzeuge verkehrs-
rechtlich einzustufen sind und ob daraus bestimmte
Konsequenzen für sie folgen, etwa im Hinblick auf
Fahrerlaubnis, Verhalten oder Zulassung. Doch da
wollen wir nun Klarheit schaffen. Wir greifen die Vor-
schläge der Bund-Länder-Fachausschüsse und des
Verkehrsgerichtstages auf und machen die notwendi-
gen Klarstellungen im nationalen Recht. Damit ist
klar, dass Elektrofahrräder keine Kraftfahrzeuge sind,
wenn der Hilfsantrieb über maximal 0,25 Kilowatt

verfügt und beim Erreichen der Geschwindigkeit von
25 Kilometer pro Stunde automatisch aussetzt. Auch
eine Anfahrhilfe ist zulässig, die das Fahrrad ohne
gleichzeitiges Treten des Fahrers auf eine Geschwin-
digkeit von bis zu 6 Kilometer pro Stunde per Elektro-
motor beschleunigt.

Als Letztes will ich noch die Anpassung des Berufs-
kraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes nennen. In diesem
Zusammenhang schaffen wir die Voraussetzung dafür,
dass bei Erwerb der Grundqualifikation keine Fahrer-
laubnis mehr vorliegen muss. Bislang besteht noch ein
Widerspruch zwischen Berufskraftfahrer-Qualifika-
tions-Verordnung und Fahrerlaubnis-Verordnung, den
die Bundesregierung auflösen wird. Durch die seit dem
19. Januar 2013 geltende Fassung ist das Mindestalter
für den Erwerb bestimmter Fahrerlaubnisklassen ab-
gesenkt, sofern eine Grundqualifikation vorliegt. Vo-
raussetzung für den Erwerb der Grundqualifikation ist
laut Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung je-
doch wiederum das Vorliegen der Fahrerlaubnis. Die-
sen Widerspruch wird die Bundesregierung durch eine
entsprechende Änderung der Berufskraftfahrer-Quali-
fikations-Verordnung beseitigen, damit die Grundqua-
lifikation auch ohne Vorliegen einer Fahrerlaubnis er-
folgen kann. Der Deutsche Bundestag sollte daher im
Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz nun klarstel-
len, dass bei Erwerb der Grundqualifikation aber die
Begleitung durch einen Fahrlehrer erfolgen muss.

All dies sind sinnvolle und notwendige Anpassun-
gen. Daher freue ich mich auf Ihre breite Zustimmung
zu unserem Gesetzentwurf.


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1724042400

Eine Klarstellung zu Beginn: Die SPD-Fraktion

wird dem vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen. Aber
in einem Punkt entlarvt er die Untätigkeit der Bundes-
regierung, die bisweilen an Arbeitsverweigerung
grenzt.

Die redaktionellen Änderungen und Anpassungen
in den einzelnen Gesetzen, die die Bundesregierung
mit dem vorliegenden Entwurf vornimmt, sind sinnvoll.
Ja, sie sind notwendig.

Geändert werden, allgemein betrachtet, Kleinigkei-
ten, die aus juristischer Sicht jedoch wichtig sind: so
unter anderem im Güterkraftverkehrsgesetz, im Fahr-
personalgesetz und auch im Straßenverkehrsgesetz.

Im Letzteren wird übrigens Klarheit über die ver-
kehrsrechtliche Einstufung von Elektrofahrrädern ge-
schaffen. Endlich. Denn angesichts der zunehmenden
Beliebtheit dieser Räder und der unterschiedlich moto-
risierten Varianten der Drahtesel waren klare Vor-
schriften hier dringend nötig geworden. Diese Ände-
rung geht damit auf das Ergebnis des 50. Deutschen
Verkehrsgerichtstages Anfang 2012 zurück, an dem ich
mitarbeiten durfte.

Aber nun kommen wir zum Knackpunkt, der sich in
Form eines Änderungsantrages der Koalitionsfraktio-
nen zum Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz dar-

Zu Protokoll gegebene Reden





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


stellt. Nochmals: In der aktuellen Situation ist dieser
Antrag sinnvoll, löst er doch ein Problem, das die Bun-
desländer bei der Umsetzung desoben genannten Ge-
setzes haben. Nur wäre das Problem gar nicht entstan-
den, wenn diese Regierung ihre Hausaufgaben
gemacht hätte.

Aber Schritt für Schritt, Worum geht es? Das Be-
rufskraftfahrerqualifikationsgesetz aus dem Jahr 2006
verlangt unter anderem von allen Berufskraftfahren-
den, dass sie sich jährlich sieben Stunden weiterbil-
den. Uberprüft wird dies alle fünf Jahre bei der Verlän-
gerung ihrer Fahrerlaubnis. Weisen sie dort die
erforderlichen 35 Stunden Seminare nach, gibt es ei-
nen Eintrag auf dem Führerschein: Die Schlüsselzahl
95 zeigt bei jeder Kontrolle die Einhaltung der Vor-
schrift an.

Bei seiner Umsetzung in die Praxis – das Gesetz be-
trifft 805 000 Berufskraftfahrende in Deutschland –
sind erhebliche Probleme aufgetreten. Diese wurden
bereits 2011 durch den Bund-Länder-Arbeitskreis er-
kannt und benannt. Seit dieser Zeit kennt also die Bun-
desregierung den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet.
Dies dokumentiert sie auch in der Beantwortung einer
Kleinen Anfrage vom Januar dieses Jahres.

Was bemängeln die Länder als die Überwachungs-
behörden, die Fahrschulen als die Ausführenden und
die betroffenen Speditionen und ihre Mitarbeitenden?

Das Gros der Lkw-Fahrenden ist bei kleinen Ver-
kehrs- und Logistikunternehmen angestellt, denn diese
prägen mit einem Anteil von 75 Prozent die Branche.
Diese kleineren Betriebe suchen, angesichts des allge-
meinen und internationalen Kostendrucks, nach günsti-
gen, ja billigen Wegen, um die gesetzlichen Auflagen zu
erfüllen. Ergebnis: Die Fahrenden müssen die Kosten
für ihre Weiterbildung von einem oftmals geringen Ge-
halt selber tragen und für die Schulungszeiten ihren
Jahresurlaub opfern. In vielen Fällen kommt es daher
zum schwunghaften Handel mit Teilnahmebescheini-
gungen, ohne dass eine Seminarteilnahme stattgefun-
den hat. Oder die Betriebe wählen für ihr Personal den
günstigsten Anbieter für die Schulung, die zum Teil auf-
grund fehlender Qualitätskriterien inhaltsleere Veran-
staltungen zu Dumpingpreisen anbieten.

Beiden Problemen wäre mit klaren Vorschriften zu
begegnen: So gibt es für die Inhalte der Seminare
keine Kriterien. Zurzeit existiert zwar ein Katalog mit
drei Kenntnisbereichen und diversen Unterthemen wie
spritsparendes Fahren oder Ladungssicherung. Aber
es ist nirgends festgelegt, wie viele der Themen in dem
Fünfjahreszeitraum besprochen werden müssen. Theo-
retisch ist die Qualifikationsauflage auch erfüllt, wenn
sich der Kraftfahrer 35 Stunden über das Thema
„Schaltstelle Fahrer: Dienstleister, Imageträger,
Profi“ unterhält.

Auch ist die Zulassung und Überwachung der Schu-
lungseinrichtungen nicht einheitlich geregelt. Quali-
tätskriterien für die Qualifikation der Lehrenden feh-
len.

Hier hat die Bundesregierung versagt. Sie hat den
Ländern und auch den Seminaranbietenden keinerlei
Standards vorgegeben, die einerseits die Kontrolle er-
möglichen, aber auch andererseits für Wettbewerbs-
gleichheit sorgen. Die Fahrschule, die ein gutes und
somit auch preislich im höheren Bereich liegendes An-
gebot macht, hat das Nachsehen gegenüber minder-
wertigen Billiganbietern. So fehlen den Ländern auch
Regeln zur Überwachung und zur Kontrolle der Wei-
terbildung Fahrlehrender.

Insofern handelt es sich bei dem vorgelegten Ände-
rungsantrag um eine vernünftige Maßnahme. Er ent-
lastet die Länder. Denn der Änderungsantrag sieht
vor: Die Nachweispflicht der Lehrenden, dass sie an
einer Weiterbildung – für die es ja zurzeit auch keiner-
lei Regeln gibt – teilgenommen haben, soll gestrichen
werden. Künftig sollen die Ausbildungsstätten eine
fortlaufende Weiterbildung des Lehrpersonals nur
noch gewährleisten. Diese Änderung ist richtig. Vor-
läufig.

Aber um das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz
zu dem zu machen, wozu es gedacht ist – einer Hilfe-
stellung für Brummi-Fahrende, ein Instrument zur
Steigerung der Verkehrssicherheit und eine Weiterent-
wicklung sowohl im Umweltschutz als auch bei der
Wirtschaftlichkeit –: Da fehlen die erwähnten Regeln
und Verordnungen.

Der Bundesregierung ist all dies nach eigenen An-
gaben bekannt. Im Verkehrsausschuss am Mittwoch
dieser Woche musste sie jedoch zugeben, dass die not-
wendigen Änderungen der Gesetze in dieser Wahlpe-
riode nicht mehr verabschiedet werden. Möglicher-
weise wird es jedoch noch zu Regelungen auf dem
Verordnungswege kommen.

Das ist nur ein weiteres Beispiel für die Stillstands-
politik, die für diese Regierung und insbesondere für
den Ankündigungsminister Ramsauer nichts Neues ist.

Freuen wir uns auf eine neue Wahlperiode mit einer
neuen rot-grünen Bundesregierung, die auch dieses
Problem endlich einer Lösung zuführen wird.


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1724042500

Die christlich-liberale Koalition regiert Deutsch-

land seit vier Jahren. Und es sind bisher vier gute
Jahre gewesen – auch und besonders in der Verkehrs-
politik. Bereits im Koalitionsvertrag hatten wir uns auf
eine Vielzahl an Vorhaben und Maßnahmen verstän-
digt, die in Deutschland nicht zuletzt einer nachhalti-
geren, stetigeren und effizienteren Finanzierung unse-
rer Infrastruktur dienen sollen.

Hierzu gehören unter anderem neue Kriterien zur
Priorisierung von Investitionsprojekten, eine neue
Grundkonzeption für den kommenden Bundesver-
kehrswegeplan, die Weiterentwicklung der VIFG, der
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH,
die Verbesserung der Modelle für die Beteiligung Pri-
vater im Rahmen von ÖPP, die Beschleunigung und
Vereinfachung des Planungsrechts sowie Kapazitäts-

Zu Protokoll gegebene Reden





Patrick Döring


(A) (C)



(D)(B)


verbesserungen durch Verkehrssteuerungs- und Ma-
nagementsysteme, um nur ein paar wenige Projekte zu
nennen. Und mit derselben Zielstrebigkeit haben wir in
den vergangenen Monaten die Novellierung des Gü-
terverkehrsrechts vorangetrieben, über welches wir
heute debattieren.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze wol-
len wir als christlich-liberale Koalition eine Vielzahl
an Regelungen und Vorschriften anpassen, klarstellen
und präzisieren: angefangen beim Güterkraftverkehrs-
gesetz über das Fahrpersonalgesetz bis hin zum Be-
rufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz. Lassen Sie mich
an dieser Stelle daher nur die wesentlichen Änderun-
gen umreißen.

Bei Gefahrgut- und Tachografenkontrollen kam es
zwischen Lastkraftwagenfahrern einerseits und Beam-
ten des BAG andererseits in der Vergangenheit immer
wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Dieses hat nun ein
Ende. In Zukunft muss der Lkw-Fahrer dem BAG-Be-
amten Zutritt zum Fahrzeug gestatten, da die Sicher-
heit der anderen Verkehrsteilnehmer für uns im Zweifel
Vorrang hat. Damit verbunden haben wir zudem neu
geregelt, dass die Ladungsbegleitpapiere nicht mehr
zwangsläufig in ausgedruckter Form vorliegen müs-
sen, sondern bei einer Kontrolle beispielsweise auch
auf einem Smartphone oder Notebook präsentiert wer-
den können. Allerdings muss der Lastkraftwagenfahrer
sicherstellen, dass die zuständigen Beamten die Doku-
mente jederzeit ohne technische Hilfsmittel einsehen
können. Es reicht also nicht, bloß eine CD mit den not-
wendigen Papieren mit sich zu führen, wenn diese
nicht auch abgespielt werden kann.

Im Vorgriff auf den Beitritt der Republik Kroatien
zur Europäischen Union am 1. Juli dieses Jahres, den
ich, am Rande bemerkt, sehr begrüße, wird im Güter-
kraftverkehrsgesetz bereits die notwendige Kabotage-
beschränkung verankert. Die bereits ausgelaufenen
Kabotagebeschränkungen für Rumänien und Bulga-
rien werden hingegen gestrichen. Ein weiterer europa-
rechtlicher Punkt betrifft die Ahndung von Auslandsta-
ten, wozu Deutschland sich gemäß des Europäischen
Übereinkommens über die Arbeit des im internationa-
len Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals, AETR,
verpflichtet hat. Hierfür schaffen wir mit dem uns vor-
liegenden Gesetzentwurf die entsprechende Rechts-
grundlage.

Abschließend sei erwähnt, dass wir auch mit wider-
sprüchlichen Regelungen zur Berufskraftfahrerqualifi-
kation und zum Fahrerlaubniserwerb aufgeräumt ha-
ben. Auch wenn diese Regelungen auf den ersten Blick
nur als redaktionelle Anpassungen oder Klarstellun-
gen erscheinen, so werden sie im Alltag vieles einfa-
cher und verständlicher machen.


Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724042600

Die Linksfraktion beabsichtigt, diesem Gesetz zuzu-

stimmen. Politisch umstritten ist es ja nicht. Der
Gesetzentwurf beinhaltet zwar eine Vielzahl von Neu-

regelungen, die aber EU-rechtliche Erfordernisse um-
setzen. Vielmehr sind unserer Auffassung nach die Än-
derungen, die er vorsieht, fachlich auch sinnvoll.

Nichtsdestotrotz möchte ich auf ein Problem hin-
weisen, und zwar die Kabotageregelung. Für Kroatien
wird nun eine Kabotagebeschränkung eingeführt. Das
dürfte sich angesichts der Größe des Landes auf den
angestrebten Schutz deutscher Spediteure allerdings
kaum auswirken, zumal mit Rumänien und Bulgarien
zwei Länder aus dieser Regelung fielen, deren Lohn-
niveau noch niedriger ist. Dass sich dies zwangsläufig
auch auf die Lohnentwicklung in Deutschland aus-
wirkt, macht uns Sorgen. Die Linke wünscht sich, dass
es in Europa keinen Wettbewerb mehr um die niedrigs-
ten Lohn- und Sozialstandards gibt, sondern diese auf
einem hohen Niveau für alle festgeschrieben werden.
Nur so lässt sich Lohndumping europaweit wirksam
bekämpfen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724042700

Wir Grüne begrüßen das Gesetz grundsätzlich. Mit

dem Gesetz erkennt die Bundesregierung die sich wan-
delnden Verhältnisse im Schienengüterverkehr endlich
an: In den letzten 15 Jahren haben sich Wettbewerber
der Deutschen Bahn ein Viertel des Marktes erobert
und tragen wesentlich zur Verlagerung des Güterver-
kehrs von der Straße auf die Schiene bei. Deswegen ist
es konsequent, diese wichtigen Akteure des Güter-
transports beim Bau und Erhalt ihrer Infrastruktur zu
unterstützen. Die vorgesehenen 25 Millionen Euro
müssten nach unserer Auffassung aber verdoppelt wer-
den.

Das Gesetz wurde im Laufe der Beratung verbes-
sert. Hatte es zu Beginn im November 2012 noch ei-
nige Ungenauigkeiten, konnten diese nach Stellung-
nahmen der Verbände und nach der Beratung im
Bundesrat verbessert werden. Damit wurde der Kreis
der nutznießenden Unternehmen ausgeweitet. Wir
müssen jetzt sehen, wie die Mittel von den nichtbun-
deseigenen Bahnen genutzt werden. Wichtig bleibt da-
bei, dass sich die Nutzung der Gleise und Anlagen in
ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügt. Bei der Mittel-
vergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht ein-
fach nur der Erste das Geld bekommt und losbauen
darf. Wir brauchen vernünftige Kriterien, nach denen
die Mittel vergeben werden. Es muss darauf ankom-
men, wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzie-
len kann.

Ich bin skeptisch, ob das diese Bundesregierung
leisten kann. Dazu wäre ein Bundesmobilitätsplan not-
wendig, der Investitionen in die Zukunft des Verkehrs
zusammen betrachtet und Wert darauf legt, wie sich
unterschiedliche Verkehrsträger gegenseitig sinnvoll
ergänzen.

Im heutigen System werden zu viele Straßen oder
Schienenstrecken mit fragwürdigem Nutzen nach wie
vor bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel zu oft dort-
hin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleveren Bürger-
meistern, Landräten und Bundestagsabgeordneten am

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


stärksten ist. Wir müssen uns deswegen vornehmen,
die Wirkung dieses Gesetzes nach einer gewissen Lauf-
zeit zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen
vornehmen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724042800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13496, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12856
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die
Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und die
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthal-
tungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthal-
tungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, noch et-
was durchzuhalten. Das Bündel ist noch relativ groß.


(Otto Fricke [FDP]: Das macht doch Spaß! Ist doch nett! – Iris Gleicke [SPD]: Ist nur eine Übungsfrage!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 sowie Zusatz-
punkt 5 auf:

40 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Transparenz und öffentliche Kontrolle im Pro-
zess der Organspende herstellen

– Drucksache 17/12225 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Organspende in Deutschland transparent or-
ganisieren

– Drucksache 17/11308 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Wir haben in der Tagesordnung bereits ausgewiesen,
dass die Reden zu Protokoll genommen werden. Das ist
auch so vereinbart.


Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1724042900

Wir debattieren heute über den Antrag der Fraktion

Die Linke „Transparenz und öffentliche Kontrolle im
Prozess der Organspende herstellen“.

In dem vorliegenden Antrag fordert die Fraktion Die
Linke weitreichende Änderungen im Transplantations-
geschehen, da kleinere Nachjustierungen nicht ausrei-
chen würden. Eine Überprüfung der rechtlichen und
organisatorischen Strukturen der Organtransplanta-
tion und -vergabe auf Transparenz und demokratische
Legitimierung würde grundlegende Änderungen unab-
dingbar machen. Dieses werde notwendig, obwohl die
Ergebnisse aus dem Spitzengespräch im Sommer 2012
zu den Manipulationsvorwürfen der Universitätsklini-
ken Göttingen und Regensburg in die richtige Richtung
gingen.

Der Schwerpunkt der Forderungen der Linken liegt
auf einer Ausweitung der Kontrollen sowie auf mehr
Transparenz über das Organspende- und Transplanta-
tionsgeschehen. Darüber hinaus sollen Register so-
wohl für das Transplantationsgeschehen als auch für
Fehlverhalten bei Transplantationen eingerichtet wer-
den.

Hierzu möchte ich Folgendes klarstellen: Im Be-
reich der Änderungen des Transplantationsgesetzes
wurde 2012 eine EU-Richtlinie umgesetzt und beglei-
tend ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag, ini-
tiiert durch alle Fraktionsvorsitzenden des Deutschen
Bundestages, verabschiedet. Als erste Missstände im
Bereich der Transplantationsmedizin im Sommer
2012 bekannt wurden, wurde wiederum durch alle
Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages
der Auftrag an die Gesundheitspolitiker aller Fraktio-
nen gegeben, sich im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit
den Vorkommnissen zu befassen und zu klären, ob auf-
grund der Vorkommnisse gesetzgeberischer Hand-
lungsbedarf bestehe. Diese Arbeitsgruppe tagt seit Ok-
tober 2012. Die Fraktion Die Linke ist regelmäßig bei
diesen Sitzungen vertreten. Alle in den Anträgen ge-
nannten Forderungen wurden bereits im Rahmen die-
ser Sitzungen erörtert und diskutiert. Die abschlie-
ßende Sitzung hat am 20. März 2013 stattgefunden. Im
Anschluss an diese Sitzung wurde die Fraktion Die
Linke aufgefordert, ihren Antrag noch nicht in den
Deutschen Bundestag einzubringen, um den Weg für
einen gemeinsamen Bericht der Arbeitsgruppe offen zu
halten.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat zwi-
schenzeitlich einen Entwurf für einen Entschließungs-
antrag ausgearbeitet, der in der kommenden Sitzungs-
woche mit allen Fraktionen erörtert werden soll.

Information und Aufklärung müssen bei der Organ-
spende zukünftig stärker ins Blickfeld genommen wer-
den.





Stefanie Vogelsang


(A) (C)



(D)(B)


Jeder von uns kann von heute auf morgen durch ei-
nen Unfall oder eine Krankheit in die Situation gera-
ten, auf ein fremdes Organ angewiesen zu sein. Daher
muss noch offensiver für die Organspende geworben
werden. Deutschland bleibt bei der Organspendebe-
reitschaft nach wie vor hinter seinen Möglichkeiten zu-
rück. Die Bevölkerung muss intensiver aufgeklärt und
motiviert werden. Die Zahlen sind bekannt: 12 000 Pa-
tienten warten derzeit auf ein Organ, viele sterben, be-
vor der rettende Anruf zur Operation kommt. Auch ha-
ben nur 25 Prozent der Deutschen einen ausgefüllten
Organspendeausweis in ihrer Brieftasche, damit ihnen
nach dem Hirntod Organe entnommen werden können.
Bei einer Umfrage der Universität Mainz äußern sich
jedoch 90 Prozent positiv zur Organspende, 77 Pro-
zent würden der Organentnahme bei nahen Angehöri-
gen zustimmen.

Die Erhöhung der Spendebereitschaft in Deutsch-
land ist sehr wichtig, denn der Erfolg der Organ-
spende hängt auch von der Spendebereitschaft ab. Ein
Grund dafür ist sicherlich, dass man sich mit dem Tod
eigentlich nicht auseinandersetzen möchte, aber auch,
dass man Angst hat, die behandelnden Ärzte kümmern
sich nicht mehr ausreichend oder dass man sich zu ei-
nem bestimmten Zeitpunkt nicht entscheiden kann oder
will.

Information und Aufklärung der Bevölkerung müs-
sen daher massiv verbessert werden. Voraussetzung
dafür ist zunächst ein transparentes und gerechtes
Transplantationssystem.

Der Gesetzgeber hat 1997 bei Erlass des Transplan-
tationsgesetzes bereits die Grundsätze dafür gelegt. Mit
dem Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes
wurde im vergangenen Jahr die Kontrollinstrumenta-
rien gestärkt und die Grundlage für mehr Transparenz
geschaffen. Eine unabhängige Prüfungs- und Überwa-
chungskommission wurde gesetzlich verankert, ihre
Ermittlungsbefugnisse würden gestärkt und Vertreter
staatlicher Stellen in die Kommission berufen. Trans-
plantationszentren, Entnahmekrankenhäuser sowie die
Koodinierungsstelle und Vermittlungsstelle sind ge-
genüber der Prüfungs- und Überwachungskommission
zur Mitwirkung an Prüfungen verpflichtet. Die
Aufsichtspflichten des Spitzenverbandes Bund der
Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der
Deutschen Krankenhausgesellschaft sind erhöht und
gesetzlich klar geregelt worden. Richtig und wichtig
war es auch, die erweiterte Zustimmungslösung beizu-
behalten. Forderungen nach einer Einführung der so-
genannten Widerspruchslösung lehne ich ab, denn was
in einem Land wie zum Beispiel Spanien gut funktio-
nieren kann, muss in Deutschland noch lange nicht
funktionieren.

Seit im Sommer des vergangenen Jahres Manipula-
tionen in einem Transplantationszentrum ans Licht ka-
men, sind die Organspendezahlen erschreckend einge-
brochen. Alle verantwortlichen Akteure müssen
deshalb die Konsequenzen aus diesen Vorgängen zie-
hen. Unmittelbar nach Bekanntgabe den Manipulatio-

nen hat Minister Bahr mit allen Beteiligten einen Ka-
talog von Sofortmaßnahmen vereinbart wie die
Intensivierung der Kontrollen und Stärkung der Kon-
trollgremien sowie eine Erhöhung der Transparenz bei
der Wartelistenführung und der staatlichen Kontrolle
der Organspende.

Wir setzen weiterhin auf Aufklärung und Sensibili-
sierung. Denjenigen, die auf ein Organ warten, spre-
chen wir unsere Solidarität aus.


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1724043000

Im Gesundheitswesen werden Entscheidungen nach

verschiedenen Gesichtspunkten getroffen. Die Ent-
scheidung für oder auch gegen eine Organspende ist
dabei immer eine persönliche Entscheidung. Jeder
Mensch sollte daher – auch mit Rücksicht auf seine
Angehörigen – eine Position zu diesem nicht ganz ein-
fachen Thema finden. Diesem Anliegen haben wir mit
der Einführung der erweiterten Zustimmungslösung
im Mai letztes Jahr Rechnung getragen. Ich hätte mir
allerdings die Verpflichtung zu einer Entscheidung, ob
nun für oder gegen eine Spende, gewünscht. Ich hätte
es nicht bei der Freiwilligkeit für eine Entscheidung
belassen wie in der gesetzlichen Regelung zur Zustim-
mungslösung. Dieser Gesetzentwurf, die gesetzliche
Regelung zur verbesserten Absicherung der Lebend-
spender und auch ein Entschließungsantrag zur weite-
ren Arbeit der Deutschen Stiftung Organspende, der
DSO, waren die Ergebnisse einer fraktionsübergrei-
fenden Runde. Unser gemeinsames Ziel war es, das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das System
der Organspende wiederherzustellen, das durch die
Kritik an der Geschäftsführung der DSO geschädigt
worden war.

Doch im Juli 2012 begann eine Entwicklung, die
wir heute als Organspendeskandal bezeichnen. Es
stellte sich heraus, dass in den Universitätsklinken in
Göttingen, Regensburg, München Rechts der Isar und
Leipzig Patientendaten manipuliert wurden, um für ei-
nige Betroffene bessere Plätze auf den Wartelisten für
ein Organ zu bekommen. In der aufgeheizten Stim-
mung ging in der Öffentlichkeit manches durcheinan-
der. Die Vorfälle in Göttingen und anderswo betrafen
bekanntlich Fragen der Organverteilung, für die die
Deutsche Stiftung Organspende gar nicht zuständig
ist. Trotzdem: Auch berechtigte Vorwürfe, die etwa die
Verwendung von Stiftungsgeldern betreffen, oder Pro-
bleme bei der inneren Organisation und Zusammenar-
beit innerhalb der DSO dienen nicht dazu, Vertrauen
in unser Organspendesystem zu vergrößern. Daher
tagte die fraktionsübergreifende Runde, die bisher
gute Lösungen im Konsens erreicht hatte, auch nach
der Verabschiedung des Gesetzes weiter. Auch Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
der Linken, waren vertreten. Wir haben gemeinsam mit
der Selbstverwaltung, Experten von Transplantations-
zentren, der DSO, Eurotransplant und Juristen weitere
Schritte diskutiert, die den gesamten Prozess der
Organspende transparenter und weniger anfällig für

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Marlies Volkmer


(A) (C)



(D)(B)


Manipulationen machen sollen. Denn wir waren uns
einig, dass sich nur durch Transparenz, Kontrolle und
klare, nachvollziehbare Regelungen das Vertrauen in
den Organspendeprozess wiederherstellen lässt.

Bei den Datenmanipulationen im Transplantations-
skandal wurden beispielsweise Dialysen vorgetäuscht
und medizinische Werte gefälscht. Durch die Kontroll-
möglichkeit und Dokumentation der Daten in einer
entsprechenden Qualitätssicherungsmaßnahme und
Transplantationskonferenzen wären diese Datenmani-
pulationen aufgefallen. Diese Regelungen sind jetzt
gesetzlich vorgeschrieben.

Ich halte es für unvermeidlich, dass wir darüber
hinaus die Zahl der Transplantationszentren in
Deutschland überdenken müssen. 49 Transplantations-
zentren „konkurrieren“ heute um Patienten und Or-
gane – mit allen negativen Nebenwirkungen, die eine
solche Konkurrenz hat. Es ist unvermeidlich, dass wir
nicht nur zur Stärkung der Qualität, sondern auch zur
Vermeidung von Kontrolldefiziten die Zahl der Zentren
reduzieren müssen.

Die Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-
tion sprechen einen weiteren richtigen Punkt an: Es
gibt Fehlanreize im Krankenhausbereich, die wir be-
seitigen müssen. Diese Missstände betreffen nicht al-
leine den Bereich der Transplantationsmedizin. Nach
wie vor werden in den Verträgen der Chefärztinnen
und -ärzte finanzielle Anreize gesetzt, die Fallzahlen
zu erhöhen. Zielvereinbarungen dürfen sich aus Sicht
der SPD ausschließlich auf die Qualität der Behand-
lung beziehen. Ausschlaggebend für die Vergütung
darf nicht die Zahl der Operationen sein, sondern bei-
spielsweise, ob die Patienten weniger Komplikationen
nach der Operation haben. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Regierungsfraktionen, da reichen
die kleinen Änderungen, die Sie ans Krebsplanumset-
zungs- und -registergesetz geheftet haben, bei weitem
nicht aus. Die SPD setzt sich nach wie vor für ein Ver-
bot dieser Art von Vereinbarungen ein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
und der Linken, Ihre Anträge zielen nicht darauf, das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das System
der Organspende wiederherzustellen. Sie zeichnen ein
nachweisbar falsches Bild der Situation. Das hat zum
Teil damit zu tun, dass Ihre Anträge veraltet sind. Ein
Großteil Ihrer Forderungen ist inzwischen erfüllt. So
wurden beispielsweise die Offenlegung der Prüfbe-
richte der Überwachungskommission, die Ausweitung
der Kontrollen der Transplantationszentren und die
Einführung interdisziplinärer Transplantationskonfe-
renzen bereits umgesetzt. Wenn es Ihnen wirklich um
Verbesserungen gehen würde, hätten Sie sich wenigs-
tens die Mühe gemacht, neue Anträge zu verfassen.

Andere Teile sind Forderungen, von denen Sie ge-
nau wissen, dass diese keine Mehrheit im Bundestag
finden. Sie verabschieden sich von einer fraktions-
übergreifenden Lösung und setzen auf einen populisti-
schen Alleingang. Das einzige, was Sie damit errei-

chen sind weniger Organspenden. Sie fordern in Ihren
jeweiligen Anträgen die komplette Umwandlung der
DSO in eine staatliche Behörde. Ich gebe zu, es ist in
der Tat ungewöhnlich, dass bei uns in Deutschland die
Organisation der Organentnahme und des Transports
in den Händen einer privaten Stiftung liegt. Aber was
genau wollen Sie denn an der Koordinierungsstelle
verbessern, das nur durch eine staatliche Behörde ge-
leistet werden kann? Möchten Sie gerne, dass die An-
gehörigengespräche von Beamten geführt werden?
Die Einrichtung einer neuen Koordinierungsstelle löst
keines der aktuellen Probleme. Sie als Fachleute wis-
sen es so gut wie ich: Die Manipulationen der Daten
fanden nicht in einer profitorientierten Privatklinik
statt, sondern an staatlichen Universitätskliniken.

Die geplante Ausrichtung des Stiftungsrates der
DSO, die der neue hauptamtliche DSO-Vorstand
Dr. Rainer Hess auf den Weg gebracht hat, stellt einen
guten Kompromiss zwischen staatlicher Aufsicht und
funktionierender Selbstverwaltung dar. Zukünftig ver-
fügen neben der Bundesärztekammer, der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, dem GKV-Spitzenverband
und der Deutschen Transplantationsgesellschaft Ver-
treter des Bundesministeriums für Gesundheit und der
Gesundheitsministerkonferenz der Länder über Stimm-
rechte. Dadurch hat auch die Politik einen maßgebli-
chen Einfluss auf die Arbeit der DSO. Auch die
Patientinnen und Patienten erhalten bessere Beteili-
gungsrechte. Sie werden durch zwei zusätzliche Mit-
glieder, Transplantierte oder Angehörige vertreten, die
zwar kein Stimmrecht, aber ein Antragsrecht haben.

Die Bundesländer sind aber auch aufgefordert, ih-
ren Überwachungspflichten gegenüber den Transplan-
tationszentren und deren Leitungen ausnahmslos
nachzukommen. Das wurde durch die Länderbehörden
in der Vergangenheit versäumt. Alle müssen an ihrem
Platz dafür arbeiten, das verloren gegangene Ver-
trauen zurückzugewinnen und die Bereitschaft zur Or-
ganspende zu stärken.


Gabriele Molitor (FDP):
Rede ID: ID1724043100

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir mit einer

breiten Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg
das Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung ver-
abschiedet. Wir wollten mehr Menschen mit der Frage,
ob sie nach ihrem Tod Organspender sein wollen, kon-
frontieren. Sich mit dem Thema auseinanderzusetzen
und eine Entscheidung zu fällen, war unser Ziel ge-
nauso wie das, durch eine breit angelegte gesellschaft-
liche Debatte die Chancen für Schwerkranke auf ein
Spenderorgan zu erhöhen.

Durch die im letzten Jahr aufgedeckten Manipula-
tionen an Transplantationszentren ist Vertrauen verlo-
ren gegangen, und die Spenderzahlen sind erst einmal
stark zurückgegangen.

Wir haben letztes Jahr aber auch das Gesetz zur Än-
derung des Transplantationsgesetzes verabschiedet, in
dem die Kontrollinstrumentarien gestärkt und die
Grundlage für mehr Transparenz geschaffen wurde. So

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Molitor


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wurden beispielsweise Kontrollen intensiviert, inter-
disziplinäre Transplantationskonferenzen nach dem
Mehr-Augen-Prinzip eingerichtet oder auch die
Rechtsaufsicht verstärkt. Die aufgedeckten Manipula-
tionsfälle stammen alle aus der Zeit, bevor diese Maß-
nahmen beschlossen wurden.

Seit Bekanntwerden der Vorwürfe war es unser
oberstes Ziel, das verloren gegangene Vertrauen durch
eine lückenlose Aufklärung der Verfehlungen sowie
Konsequenzen gegenüber den Verantwortlichen und
verstärkte Kontrolle zurückzugewinnen. So hat der
Bundesminister für Gesundheit direkt nach dem Be-
kanntwerden der Manipulationen einen Katalog von
Sofortmaßnahmen erstellt, die inzwischen umgesetzt
wurden: zum Beispiel regelmäßige, unangekündigte
Überprüfungen aller Transplantationszentren, die Ver-
stärkung der Prüfungskommission durch eine Taskforce
oder die Einrichtung einer unabhängigen Vertrauens-
stelle zur Meldung von Auffälligkeiten.

Zudem haben wir uns im letzten Jahr regelmäßig
mit Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit
sowie zahlreichen Experten getroffen, um den Prüfpro-
zess zu begleiten und der Frage nachzugehen, ob und –
wenn ja – welche weiteren Maßnahmen zur Verhinde-
rung zukünftiger Manipulationen erarbeitet werden
müssten. Alle Fraktionen wurden beteiligt, was dem
Wunsch der Fraktionsvorsitzenden nach einem ge-
meinsamen Weg entsprach. Deshalb wundere ich mich,
dass wir heute zwei Anträge vorliegen haben, obwohl
die Arbeitsgruppe aktuell dabei ist, sich auf gemein-
same Maßnahmen zu verständigen.

Ihre Forderungen zeigen dabei Ihre grenzenlose
Staatshörigkeit: Obwohl die Manipulationen von ein-
zelnen Ärzte begangen wurden und nicht durch die
Selbstverwaltung verursacht wurden, ist Ihr Ziel eine
staatliche Koordinierungsstelle. Die Manipulationen
wurden durch die Selbstverwaltung aufgedeckt. Des-
halb war es der richtige Schritt von Gesundheitsminis-
ter Daniel Bahr, die Prüfungskommissionen zu stär-
ken, anstatt wie Sie es fordern, sie durch eine neu zu
schaffende Behörde zu ersetzen.

Wir haben im letzten Jahr viele wichtige Maßnah-
men erarbeitet und umgesetzt, die gerade dabei sind,
zu greifen. CDU/CSU, FDP und SPD haben mit ihrem
Verhalten in dieser Frage deutlich gemacht, dass ein
gemeinsames politisches Vorgehen der Politik auch
dem Zweck dienen soll, durch Gemeinsamkeit verlore-
nes Vertrauen zurückzugewinnen.

Zudem wird es nach Abschluss der Beratungen im
Bundesministerium für Gesundheit noch einen weite-
ren Maßnahmenkatalog geben. Damit sind wir auf
dem richtigen Weg, das Transplantationswesen in
Deutschland gegen Manipulationsversuche zu stärken.
Zudem wird demnächst eine Kampagne der Bundes-
zentrale für gesundheitliche Aufklärung anlaufen, die
die Bevölkerung mit Informationen versorgen wird,
und dadurch mithilft, verloren gegangenes Vertrauen
wieder aufzubauen. Denn das muss unser oberstes Ziel

sein, damit die rund 12 000 Menschen, die auf ein le-
bensrettendes Organ warten, eine Chance bekommen.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724043200

Vor genau einem Jahr hat sich der Bundestag zum

letzten Mal ausführlich mit Organtransplantation be-
schäftigt. Damals ging es vor allem um die sogenannte
Entscheidungslösung, mit der mehr Organspenderin-
nen und -spender gewonnen werden sollten. Gleich-
zeitig wurde noch ein Gesetz zur Organisation des
Transplantationswesens, das TPG-Änderungsgesetz,
beschlossen – gegen die Stimmen der Linken.

Kaum hatte der Bundespräsident diese Gesetze un-
terschrieben – die Tinte war noch nicht ganz trocken –,
als im Juli 2012 die erste „Bombe“ mit dem Göttinger
Transplantationsskandal platzte. Dort hatten Medizi-
ner Krankenakten manipuliert, um schneller an Or-
gane für Transplantationen zu kommen. Später wurden
weitere ähnliche Vorfälle aus Regensburg, Hamburg
und Leipzig aufgedeckt.

Dabei war schon im Frühjahr 2012 klar geworden,
dass es bei Organtransplantationen oft nicht so sauber
zugeht, wie es die Bürgerinnen und Bürger mit Recht
erwarten. Die Linke hatte schon damals mit einem An-
trag mehr Transparenz, Kontrolle und Legitimierung
der mit Organtransplantationen beauftragten Organi-
sationen gefordert. Damals war es die DSO, die Deut-
sche Stiftung Organtransplantation, die mit zweifelhaf-
tem Geschäftsgebaren von sich reden machte.

Aber die Mehrheit des Bundestages ging davon aus,
es wäre für das Vertrauen der Bevölkerung und für die
Spendenbereitschaft besser, die Missstände unter den
Teppich zu kehren. Noch bis Sommer letzten Jahres
meinten einige gar, nicht Schummeleien und Manipu-
lationen bei der Organzuteilung und bei der Koordi-
nierung des Transplantationsgeschehens wären der
wahre Skandal, sondern Medienberichte über diese
Machenschaften. Aber ihre Taktik ist leider geschei-
tert. Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist
massiv zurückgegangen, und wenn wir weiter nichts
tun, dann können wir das verlorene Vertrauen eben
nicht zurückgewinnen und dann warten noch mehr
Menschen vergeblich auf ein Spenderorgan.

Deswegen hätte ich mir sehr gewünscht, dass wir
heute – nach einem Jahr – mit einem Gesetzentwurf
gemeinsam die Missstände beheben und so das Ver-
trauen der Bevölkerung in die Organspende wieder-
herstellen. Aber die Regierungsfraktionen und auch
die SPD haben auf Zeit gespielt und so verhindert,
dass noch in dieser Wahlperiode gesetzliche Verände-
rungen stattfinden können. So wird es bei den unzu-
reichenden Reförmchen bleiben, die das Bundesge-
sundheitsministerium zusammen mit der Bundesärz-
tekammer, der Krankenhausgesellschaft und der DSO
beim Krisengipfel vom 27. August letzten Jahres ver-
einbart hat.

Das Sechsaugenprinzip, etwas häufigere Prüfungen
der Zentren oder eine Verbesserung der Dokumenta-

Zu Protokoll gegebene Reden





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)


tion sind ja nicht verkehrt. Wir meinen jedoch, das
reicht hinten und vorn nicht. Darum haben wir das,
was bei Ihrem Krisengipfel vereinbart wurde, geprüft,
sinnvolle Elemente in unseren Antrag übernommen
und sie um weitergehende Forderungen ergänzt.

Das betrifft zum Beispiel die Ärzte, die Patientenda-
ten manipulieren: Diese gehen nach heutiger Rechts-
lage straffrei aus, wenn sie erklären, sie hätten nur im
Interesse ihrer Patienten gehandelt, und wenn nicht im
Einzelfall bewiesen werden kann, welche ganz kon-
krete Patientin in einem anderen Krankenhaus durch
die Schummeleien in Göttingen um ein Spenderorgan
betrogen wurde und eventuell dadurch sogar verstor-
ben ist. Die Linke meint: Hier müssen im Arbeits-, Be-
rufs- und Standesrecht wirksame Sanktionen ermög-
licht werden. Bonuszahlungen und andere Anreize zur
Mengenausweitung gehören in diesem hochsensiblen
Bereich gesetzlich verboten.

Außerdem fordern wir, dass neben einem Transplan-
tationsregister für Patienten auch die Ärzte, die auffäl-
lig geworden sind, registriert werden. Sonst reicht in
unserem Bundesstaat eventuell der Umzug von Re-
gensburg nach Göttingen, um einem schwarzen Schaf
wieder ein weißes Fell zu verpassen.

Die Kontrollen der Transplantationszentren müssen
noch engmaschiger und effizienter gestaltet werden.
Nicht zuletzt müssen die Aufgaben der Bundesärzte-
kammer und der DSO neu überdacht werden: Dürfen
Koordinierung, Durchführung und Richtlinienkompe-
tenz der Organtransplantation wirklich an einen Ver-
ein und an eine private Stiftung delegiert werden?
Nach dem immensen Vertrauensverlust muss die Über-
führung der Koordinierungsstelle in eine Körperschaft
öffentlichen Rechts oder in eine Behörde ernsthaft er-
wogen werden.

Wir müssen über die Missstände im Transplanta-
tionssystem offen diskutieren und um wirksame
Lösungen ringen, denn nur dann können wir den
Menschen guten Gewissens garantieren: Als Or-
ganspender und als Organempfänger könnt ihr
euch in unserem Gesundheitswesen darauf verlas-
sen, dass es gerecht zugeht! Deswegen bitte ich Sie
darum, unseren Antrag und den von Bündnis 90/
Die Grünen ernsthaft zu prüfen und damit eine
neue Kultur der Transparenz und des Vertrauens zu
ermöglichen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im letzten Jahr wurden im deutschen Transplanta-
tionswesen schwere Missstände bekannt. Wartelisten
wurden manipuliert, sodass einige Patienten auf Kos-
ten anderer bevorzugt wurden, indem sie zum Beispiel
kränker gemacht wurden, als sie waren.

Schon zuvor hatte es massive Kritik am Führungs-
stil und an der aggressiven Lobbyarbeit der Deutschen
Stiftung Organtransplantation, DSO, gegeben, deren

Aufgabe eigentlich darin besteht, die Organspende in
Deutschland voranzubringen.

Diese Missstände und Skandale haben sicher dazu
beigetragen, dass die Spendenbereitschaft drastisch
gesunken ist, im Jahr 2012 um 12,8 Prozent auf den
niedrigsten Stand seit 2002. Zwischen Januar und
März 2013 gab es sogar 18 Prozent weniger Organ-
spender als im Vorjahreszeitraum.

Wer Organe spenden will, muss sich absolut sicher
sein, dass dabei auch alles mit rechten Dingen zugeht.
Die Vorstellung, dass die eigenen Organe Objekte von
Manipulationen werden, ist grauenhaft. Man möchte
auf keinen Fall zum Opfer werden und entscheidet sich
im Zweifelsfall gegen eine Organspende, räumt den
ehemals ausgefüllten Spendenausweis in die hinterste
Schubladenecke oder vernichtet ihn sogar. Darum ist
es folgerichtig, dass die Spendenbereitschaft sinkt, so-
bald die Zustände undurchschaubar werden. Nicht fol-
gerichtig ist, dass eine Reaktion der Bundesregierung
auf die Skandale ausblieb.

Das Transplantationswesen kann nur funktionieren,
wenn die Menschen ihm vertrauen. Vertrauen aber gibt
es nur mit Transparenz und Kontrolle. Statt für mehr
Transparenz und Kontrolle zu sorgen, täuscht Daniel
Bahr mit ein paar kleinen Nachbesserungen Aktivität
vor. Er hat zwar regelmäßig Vertreter aller Fraktionen
ins Gesundheitsministerium eingeladen, und es wäre
sehr schön gewesen, gerade bei diesem Thema eine ge-
meinsame Lösung zu finden. Doch leider verweigern
sich die Koalitionsfraktionen gegen jeden Eingriff in
die Strukturen des Transplantationssystems. Offenbar
haben sie Angst, sich mit den mächtigen Akteuren im
Transplantationswesen anzulegen.

Stattdessen feiern sie kleinste Nachbesserungen wie
die Aufnahme zweier zusätzlicher Vertreter von Bund
und Ländern in den Stiftungsrat der DSO als staatliche
Kontrolle; dabei sitzen nach wie vor nur vier – von ins-
gesamt zwölf – Vertreter aus Bund und Ländern im
Stiftungsrat. Die können locker überstimmt werden.
Unter staatlicher Kontrolle stellen wir uns etwas ande-
res vor.

Solche Nachbesserungen nutzen gar nichts. Das ge-
samte System ist eine Fehlkonstruktion und muss auf
den Prüfstand. Wir wissen, wo die Schwachstellen und
Anfälligkeiten liegen:

Es fehlt eine staatliche Koordination und Aufsicht.
Und die Kontrolleure sind nicht unabhängig, sondern
eng mit der Transplantationsszene verbandelt. So sit-
zen zum Beispiel die medizinischen Vorstände von
DSO und Eurotransplant in den Kommissionen, die sie
kontrollieren sollen. Rechtsverstöße, wie sie bei der
Manipulation von Wartelisten vorliegen, können kaum
geahndet werden, da ein Straftatbestand dafür fehlt. Es
herrscht keine Vergleichbarkeit bei Organvergaben,
die auf Ausnahmeregelungen basieren. Außerdem gibt
es, zumindest in einigen Regionen Deutschlands, zu
viele Transplantationszentren, die in Konkurrenz zuei-

Zu Protokoll gegebene Reden





Elisabeth Scharfenberg


(A) (C)



(D)(B)


nander treten, also besonders viel transplantieren
müssen, um ihre Existenzberechtigung zu beweisen.

Wir wollen die Strukturen ändern und fordern da-
rum eine staatliche Stelle zur Koordinierung der
Organtransplantation, die auch die Kontrolle der am
Transplantationswesen beteiligten Einrichtungen
übernehmen soll. Sobald der Verdacht eines Rechts-
verstoßes vorliegt, muss die Staatsanwaltschaft einge-
schaltet werden.

Um eventuelle Unregelmäßigkeiten bei der Organ-
vermittlung nach Ausnahmeregeln schneller erkennen
zu können, wollen wir ein nationales, öffentliches
Transplantationsregister – selbstverständlich unter
Beachtung des Datenschutzes. Und wir wollen die
Zahl der Transplantationszentren verringern, um
Fehlanreize, die zu Steigerungen der Transplantatio-
nen um jeden Preis führen können, abzubauen.

Nur mit transparenten und nachvollziehbaren Struk-
turen, eindeutigen Zuständigkeiten und einer unab-
hängigen Kontrolle können wir das Vertrauen in unser
Transplantationssystem zurückgewinnen. Die Men-
schen wollen wissen, was passiert, und sie wollen auch
wissen, dass Verstöße geahndet werden.

Dann könnte auch die Bereitschaft zur Organ-
spende wieder steigen. Das würde ganz besonders
denjenigen schwer kranken Patienten zugutekommen,
die auf ein Organ warten und jetzt zusehen müssen,
wie ihre Chancen sinken.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724043300

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen

auf den Drucksachen 17/12225 und 17/11308 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Alle sind damit einverstanden. Dann haben wir
gemeinsam die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 43:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 3. April 2012 zwischen der Bundesre-
publik Deutschland und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steu-
erstrafsachen durch Informationsaustausch

– Drucksache 17/12958 –

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und Grenada über
den Informationsaustausch in Steuersachen

– Drucksache 17/12959 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/13345 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding (Heidelberg)


Die Reden werden zu Protokoll genommen.


Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1724043400

Dem Deutschen Bundestag liegen heute zwei Geset-

zesentwürfe zur Ratifikation von überarbeiten Abkom-
men über die Unterstützung und gegenseitigen Infor-
mationsaustausch der Cookinseln und Grenada mit
der Bundesrepublik Deutschland vor.

Grundsätzlich dienen Abkommen zum Austausch
von Informationen in Steuersachen dazu, Informatio-
nen über Steuerpflichtige zu erlangen und mögliche
unversteuerte Vermögen und Einkommen zu ermitteln.
Sie sind ein wesentlicher Baustein bei der Bekämpfung
der nationalen Steuerhinterziehung und machen es
dem Steuerschuldner schwerer, Vermögen und Einnah-
men unentdeckt im Ausland zu deponieren.

Mit den Cookinseln und Grenada wird nach dem
heutigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens
die Zusammenarbeit in Steuersachen nach OECD-
Standard getan. Sowohl die Cookinseln als auch Gre-
nada haben den OECD-Standard zu Transparenz und
effektivem Informationsaustausch für Besteuerungs-
zwecke vollumfänglich anerkannt und sich bereit er-
klärt, ihn in Abkommen mit OECD-Mitgliedstaaten
umzusetzen.

Die beiden Informationsaustauschabkommen wur-
den am 3. April 2012 mit den Cookinseln bzw. am
3. Februar 2011 mit Grenada unterzeichnet. Sie ver-
pflichten jede Vertragspartei, der anderen Vertrags-
partei auf Ersuchen alle für ein Besteuerungsverfah-
ren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen
Informationen zu erteilen. Die Abkommen enthalten
alle Kernelemente des OECD-Standards, wie er sich
aus dem Musterabkommen für den Auskunftsaustausch

(2002) ergibt. Beide Abkommen regeln die gegensei-

tige behördliche Unterstützung in Steuersachen und
Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch auf
Ersuchen im Einzelfall.

Grenada und die Cookinseln haben sich jeweils ge-
genüber der OECD zur Akzeptanz der Grundsätze zu
Transparenz und effektivem Informationsaustausch
verpflichtet. Mit der Unterzeichnung der Abkommen
sind beide Länder dieser Verpflichtung auch im
Verhältnis zu Deutschland nachgekommen. Mit den
vorliegenden Entwürfen für Vertragsgesetze werden
die Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden
Körperschaften erlangen, die für die Ratifikation er-
forderlich ist.

Die beiden Abkommen sind uneingeschränkt zu un-
terstützen. Sie sind wichtiger Bestandteil der Strategie
der Koalition, Steueroasen auszutrocknen und Steuer-
hinterziehung zu bekämpfen. Die heute vorliegenden
Abkommen sind ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung
der Steuerhinterziehung und zur Eindämmung eines
schädlichen Steuerwettbewerbs allgemein.





Manfred Kolbe


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Die christlich-liberale Koalition hat in der laufen-
den Legislaturperiode 36 solcher Abkommen un-
terzeichnet und auf den Weg gebracht. In der vorheri-
gen Legislaturperiode unter Bundesfinanzminister
Steinbrück (SPD) waren es nur 6.

Perspektivisch arbeitet Bundesfinanzminister
Schäuble daran, einen weitergehenden Standard
durchzusetzen: den automatischen Informationsaus-
tausch in Steuersachen. Hier setzt die deutsche Bun-
desregierung zunächst auf Bemühungen im europäi-
schen Verbund zur Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie.
Wir wollen diesen Weg weitergehen, damit eine
effektive Bekämpfung der Steuerhinterziehung auch
weiterhin gewährleistet ist. Wir setzen auf bilaterale
Abkommen und Zusammenarbeit mit unseren Partnern
weltweit.

Die heute vorliegenden Abkommen sind ein Beitrag
zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und zur Ein-
dämmung eines schädlichen Steuerwettbewerbs allge-
mein. Sie dienen weiterhin der Verbesserung der wirt-
schaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland
und den jeweiligen Vertragspartnern.

Zusammenfassend kann ich feststellen, dass die
Verhandlungsvertreter der Bundesrepublik sehr gute
Ergebnisse und Regelungen im Sinne der effektiven
Bekämpfung der Steuerhinterziehung ausgehandelt
haben.

Heute stimmen wir nun über weitere Steuerinforma-
tionsaustauschabkommen ab und tun damit wirklich
etwas Direktes gegen Steuerhinterziehung. Die
Unionsfraktion begrüßt die vorliegenden Gesetzesent-
würfe und wird ihnen aus den von mir erläuterten
Gründen zustimmen.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1724043500

Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung zwei

Regierungsentwürfe der Bundesregierung, die beide
ein Ziel haben: die Erleichterung der Aufklärung
grenzüberschreitender Sachverhalte in Steuer- und
Steuerstrafsachen, bei denen es erforderlich ist, dass
ein Land von einem anderen Amts- und Rechtshilfe er-
hält. Dazu bedarf es einer völkerrechtlichen Vereinba-
rung, um auf dieser Grundlage durch die nationale Be-
hörde ein Amtshilfeersuchen stellen zu können.

In Tax Information Exchange Agreements – oder
TIEAs, wie sie international genannt werden – haben
sich sowohl die Cookinseln als auch Grenada in bila-
teralen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik
Deutschland zu Transparenz und einem effektiven In-
formationsaustausch, entsprechend dem Standard der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung – OECD –, verpflichtet sowie dazu, diese
Ziele auch umzusetzen.

Solche Abkommen, ähnlich den DBA – Doppel-
besteuerungsabkommen –, sind seit vielen Jahren
Standard. Schon während der Regierungsphase mit
rot-grüner Regierungskoalition haben wir, die SPD-
Fraktion, aber auch die Grünen, darauf gedrungen,

den OECD-Standard weiterzuentwickeln. Schon da-
mals war klar, dass über kurz oder lang der automati-
sche Informationsaustausch unverzichtbar sein würde.
Davon wäre grundsätzlich das Bankgeheimnis berührt
und eine neue Kultur in grenzüberschreitenden Steuer-
fragen etabliert. Zuvorderst die FDP, aber auch viele
CDU-Kollegen haben sich mit Händen und Füßen ge-
gen solche Vorschläge gewehrt. Das Allerprivateste,
das Bankgeheimnis aufzugeben – ein Graus für all die
ehrlichen Steuerzahler mit ihren Konten in der
Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein oder wo auch im-
mer. Bisher haben wir auch den Abkommen, die nun
die schwarz-gelbe Regierung auf gleicher Grundlage
verhandelt hat, zugestimmt. Geduldig warteten wir da-
rauf, dass die Regierung in der OECD für ein neues
Musterabkommen mit automatischem Informations-
austausch kämpft.

Seit einiger Zeit nun – Sie lesen das auch auf der
Website des BMF und in der Presse – verpassen sich
der Finanzminister, CDU- und FDP-Fraktion mit ih-
ren Marketingabteilungen ein neues Image, ein neues
Bild. Der Finanzminister und seine Regierungskoali-
tion – gestern noch die Gralshüter der Geheimniskrä-
merei in der Bankenwelt – simulieren die Speerspitze
von Transparenz, Informationsaustausch und Steuer-
ehrlichkeit – wenngleich sie gleichzeitig ein bilatera-
les Abkommen mit der Schweiz vereinbaren, das eine
ganz andere Sprache spricht, die Sprache von Anony-
misierung, von Sonderbehandlung steuerlicher Straf-
taten etc. etc.

Nachdem ich diesen Sachverhalt auch für die heute
zu beschließende Tax Information Exchange Agree-
ments mit Grenada und den Cookinseln im Finanzaus-
schuss und in der ersten Lesung ansprach und für den
neuen Geist der Regierung in diesen Abkommen eine
Vermisstenanzeige aufgab, wurden wir plötzlich dafür
beschimpft, dass wir ja bisher stets den Abkommen auf
Grundlage der alten Standards zugestimmt hätten.

Diesen Vorgang nehmen wir natürlich sehr ernst,
werden diesmal nicht Zustimmen und fordern deshalb
die Regierung auf, die Abkommen neu zu verhandeln –
auf Grundlage ihrer eigenen Maßstäbe, gemäß ihrem
eigenen Marketing. Auf diese Weise wollen wir die Re-
gierung dabei unterstützen, Reden und Handeln in
Übereinstimmung zu bringen. Damit würden wir der
CDU – und uns – auch ersparen, uns dafür zu be-
schimpfen, dass wir gelegentlich mit ihr gemeinsam
abstimmen.

Vorgesehen ist ein OECD-konformes Verfahren bei
der Kooperation beider Länder in Steuerfragen. Dabei
haben sich die Cookinseln bereits im März 2002 ge-
genüber der OECD verpflichtet und sind dem mit der
Unterzeichnung des Abkommens mit Deutschland im
April 2012 nachgekommen, und Grenada verpflichtete
sich gegenüber der OECD im Februar 2002 und unter-
zeichnete das Abkommen mit Deutschland bereits im
Februar 2011, auf altem Standard – hier gibt es also
noch Aufgaben zur Nachverhandlung für den Finanz-
minister.

Zu Protokoll gegebene Reden





Lothar Binding (Heidelberg)



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(D)(B)


Was uns hier vorliegt, sind die Vertragsgesetze, die
für die Ratifikation der Zustimmung des Deutschen
Bundestages bedürfen. Dabei will ich offen sagen: Vie-
les an den Abkommen ist gut, deshalb haben wir in
ähnlichen Fällen in der Vergangenheit auch zuge-
stimmt.

Diese Art der zwischenstaatlichen Amtshilfe durch
den Austausch von Informationen ist sinnvoll, wenn
die Finanzbehörden eines Landes grenzüberschrei-
tende Sachverhalte nicht angemessen aufklären kön-
nen, weil sie bei ihren Ermittlungen auf das eigene
Staatsgebiet beschränkt sind und Beteiligte oder
Dritte, die im Ausland ansässig sind, an sich nicht zur
Aufklärung herangezogen werden können. Wie schwie-
rig die Aufklärung in diesen Fällen ist, wurde noch
einmal durch die Berichterstattung, insbesondere der
letzten Monate, deutlich. Dabei geht es nicht immer
zulasten des Steuerpflichtigen. Eine umfassende Sach-
verhaltsaufklärung kann auch zu einer Entlastung des
Steuerpflichtigen beitragen, ein allgemeines Ziel der
BDA – doppelte Besteuerung vermeiden –, aber auch
doppelte Nichtbesteuerung.

Wir müssen uns jedoch die Frage stellen, ob wir die-
ses Ziel – Sachverhalte effizient und umfassend aufklä-
ren zu können – auf diese Weise und mit diesen beiden
Abkommen und Gesetzentwürfen erreichen können.
Gemessen an den neuen Ansprüchen der Bundesregie-
rung ist die Antwort: nein.

Die Frage, die sich uns bei diesen beiden Abkom-
men stellt, ist die nach dem Zweck. Für uns ist dies
ganz klar die Erreichung einer höchstmöglichen Steu-
ergerechtigkeit und die faire Gleichbehandlung aller
Steuerpflichtigen in Steuerfragen. Um aber sicherstel-
len zu können, dass sich niemand seinen Verpflichtun-
gen entziehen kann, nur weil er über die entsprechen-
den Mittel, Möglichkeiten und Verbindungen verfügt,
muss ein Steuerpflichtiger, der grenzüberschreitend
aktiv wird, genauso behandelt werden können wie ein
Steuerpflichtiger im Inland.

Um dies angemessen beurteilen zu können, ist ein
hohes Maß an Transparenz erforderlich. Nur dann
kann ein Sachverhalt so aufgeklärt werden, wie es im
Inland möglich ist, wo die Möglichkeit besteht, dass
sich – nicht nur – Behörden untereinander verständi-
gen und die Informationen, die sie benötigen, austau-
schen – alles in einem rechtmäßigen Rahmen und auf
der Grundlage von Vorschriften und Richtlinien.

Dies hat für uns einen einfachen, aber sehr überzeu-
genden Hintergrund. Denn wir haben uns nicht nur des
Themas Steuergerechtigkeit, sondern auch des
Kampfes gegen Steuerbetrug angenommen, der in ei-
nem nicht unerheblichen Maße gerade das Tagesge-
schehen, aber auch die politische Debatte bestimmt.
Dabei möchte ich betonen, dass Steuerhinterziehung
keine Sünde ist – wie die CDU in einem Flugblatt
meint –, sondern eine Straftat, die nur durch ein effek-
tives und zielgerichtetes Vorgehen aufgedeckt werden
kann.

Tatsächlich liegt die Lösung für eine wirksame Be-
kämpfung der Steuervermeidung, aber auch der Steu-
erhinterziehung nicht im nationalen Steuerrecht. Sie
liegt darin, zu verhindern, dass Steuerpflichtige, die
ihrer Pflicht nicht nachkommen wollen, in anderen
Ländern Anreize vorfinden, die ihnen die entsprechen-
den Möglichkeiten und Vorteile geben. Deshalb sind
schwarze und graue Listen notwendig, Melderegister
von Unternehmen, die Töchter in Steueroasen haben
etc. Aber so ernst meint die Koalition ihre eigenen
Marketingaussagen auch wieder nicht – oder vielleicht
doch? Ich bin gespannt, ob Sie Ihre Regierung zum
Nachverhandeln schicken oder alles einfach absegnen.

Darum lehnen wir, wie eben erläutert, in diesem
Fall und erstmalig zwei solcher Abkommen ab. Dabei
ist uns bewusst, dass es nicht nur einer weitgehenden
Vereinheitlichung des europäischen Steuerrechtes,
sondern auch noch einer ganzen Fülle internationaler
Abkommen bedarf, um Steueroasen trockenzulegen
und das Maß an Steuergerechtigkeit zu erhöhen.

Dabei gibt es sehr verschiedene Ebenen, auf denen
Verhandlungs- oder Diskussionsbedarf besteht: die in-
ternationale Ebene im Hinblick auf die internationalen
Mindeststandards, die bilaterale Ebene bei der Aus-
handlung von Abkommen und die Ebene, auf der es um
die Wahl der Mittel geht.

Dabei liegt ein nicht unerhebliches Problem darin,
dass Länder, die solch ein Abkommen unterzeichnen,
von der sogenannten grauen Liste der Steuerparadiese
der OECD heruntergenommen werden. Auf diesen
grauen Listen finden Sie die Länder, die angegeben ha-
ben, den OECD-Standard umsetzen zu wollen, dem
aber bislang nur ungenügend nachgekommen sind. In
den schwarzen Listen befanden sich die Länder, die
eine Kooperation verweigern. Diese schwarze Liste
musste bereits kurz nach ihrer Erstellung überarbeitet
und bereinigt werden, nicht weil man sich bei der Er-
stellung geirrt hatte oder die Situation falsch einge-
schätzt hatte, sondern weil sich die entsprechenden
Länder dann doch kooperativ zeigten.

Ohne unterstellen zu wollen, dass dies die Intention
einer Unterzeichnung von Informationsaustausch-
abkommen durch die entsprechenden Länder ist, kann
man dennoch nicht ausschließen, dass die Streichung
von der grauen Liste eine Rolle spielt oder gespielt hat
und Steueroasen und Offshorezentren für Abkommen
nach dem TIEA-Modell geöffnet hat.

Auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums
können wir zudem nachlesen, dass es sich bei den Ab-
kommen mit den Cookinseln und Grenada zum Steuer-
informationsaustausch um einen wichtigen Beitrag zur
Steuergerechtigkeit handelt. Dies ist es tatsächlich: ein
Beitrag – nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen
nun aber darüber hinaus, weil das BMF andernfalls
seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.

Dies entspricht letztlich auch den Lehren, die wir
aus den Erfahrungen im Zusammenhang mit dem
deutsch-schweizerischen Steuerabkommen ziehen soll-

Zu Protokoll gegebene Reden





Lothar Binding (Heidelberg)



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ten. Die Schweizer Regierung war bestrebt, das dor-
tige Bankgeheimnis zu schützen und die Arbeit ihrer
Banken zu erleichtern, und Deutschland wäre ihnen an
dem Punkt bei den Steueransprüchen, aber auch bei
der Strafverfolgung sogar entgegengekommen. Die
Folge war, dass – auch wenn nur ein Fall davon stell-
vertretend für andere prominent in den Medien behan-
delt wurde – viele auf das Zustandekommen des
ursprünglichen Steuerabkommens setzten und die
Steuerhinterziehung anonym bereinigen wollten. Nur
durch das Scheitern im Bundesrat konnte verhindert
werden, dass sie sich ihrer Verantwortlichkeit entzie-
hen konnten und eine Selbstanzeige auch wirklich ein
Ermittlungsverfahren nach sich zieht.

Aus diesen Erfahrungen sollten wir gelernt haben
und ein Abkommen immer auch mit den notwendigen
Instrumenten versehen. So streben wir nach wie vor ei-
nen automatischen Informationsaustausch an, und
zwar für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen
und natürlichen Personen. Dies haben wir auch immer
wieder klargemacht und mahnen dies seit Jahren an.
Wenn Sie in die Beschlussempfehlungen und Berichte
aus dem Finanzausschuss schauen, werden Sie leicht
erkennen können, dass wir wiederholt erklärt haben,
dass wir zwar grundsätzlich einer Umsetzung auf der
Grundlage des OECD-Musterabkommens zustimmen,
aber darauf hinweisen, dass die Bundesregierung sich
im Rahmen der Verhandlungen in der OECD für die
Aufnahme des automatischen Informationsaustauschs
einsetzt. Damit kann gut auch bilateral begonnen wer-
den. Bislang ist es jedoch so, dass Auskunftsersuchen
über relevante Sachfragen proaktiv gestellt werden
müssen. Damit lässt sich natürlich nicht ausschließen,
dass sich im Zweifel eine Behörde, deren Mitarbeiter
darin nicht geschult sind, von solchen Ersuchen und
ihren Verfahrensvorgaben durchaus auch abschrecken
lässt.

Zudem wollen wir im Verhältnis zu der Freistel-
lungsmethode stärker zur Anwendung der Anrech-
nungsmethode. Dabei werden die ausländischen Ein-
künfte bzw. Vermögensteile bei der Ermittlung der
inländischen Steuerbemessungsgrundlage und des
Steuersatzes berücksichtigt, wobei auf die inländische
Steuer die im Ausland gezahlten Steuern angerechnet
werden. Auch dies setzt jedoch einen umfassenden In-
formationsaustausch voraus, was „auf Anfrage“ nur
schwer durchzuführen ist.

Dieses Verfahren wird in beiden Abkommen mit sei-
nen Anforderungen in Art. 5 genauer beschrieben, und
man kann ahnen, wie kompliziert sich ein Auskunftser-
suchen in der Praxis darstellen kann. Gleichzeitig
zeigt sich jedoch auch, wie unterschiedlich dann doch
das Ergebnis bei Abkommen auf der Grundlage einer
Mustervereinbarung sein kann, wenn der Vertrags-
partner geschickt zu verhandeln weiß. Wo die Muster-
vereinbarung in Art. 5 Abs. 6 OECD-MA mit 60 und
90 Tagen klare zeitliche Grenzen für die Bearbeitungs-
frist setzen wollte, geht das Abkommen mit den
Cookinseln in seinem Art. 5 Abs. 7 weit darüber hinaus

und spricht von einem „Bemühen nach besten Kräf-
ten“, dem Vertragsstaat „innerhalb der kürzesten ver-
tretbaren“ Frist die erbetenen Informationen zu über-
mitteln. Dies steht in einem sehr deutlichen
Widerspruch zu der Mustervereinbarung der OECD
und gibt einem Auskunftsersuchen einen sehr weiten
zeitlichen Rahmen.

Insgesamt wäre ohnehin mehr Klarheit wünschens-
wert, auch was die Möglichkeiten zur Ablehnung eines
Auskunftsersuchens angeht, die ebenso zahlreich wie
interpretationsbedürftig in Art. 7 beider Abkommen
niedergelegt sind.

Uns sind deshalb Abkommen wie diese – mit Blick
auf die Entwicklungen in den letzten Monaten – inzwi-
schen zu wenig. Dabei fehlt es nicht nur an einem stär-
keren Engagement der Bundesregierung mit Blick auf
weitergehende Standards insbesondere im Rahmen der
G20-Gespräche zur internationalen Besteuerungspoli-
tik, sondern auch an einem deutlich erkennbaren Wil-
len zur Aufklärung bereits bekannter Sachverhalte. So-
weit die Bundesregierung meint, sie habe mit Erfolg
klare Erwartungen formuliert, frage ich doch, woran
ich diesen Erfolg erkennen kann – am Verhandlungser-
gebnis zu den heute befassten Abkommen jedenfalls
nicht.

Wir stimmen diesen beiden Entwürfen aus den ge-
nannten Gründen nicht zu, schlagen aber vor, die ih-
nen zugrunde liegenden Abkommen nachzuverhan-
deln, um ihnen die Zielrichtung zu geben, die
vorgeblich damit angestrebt wird.

Erst damit käme die Regierungskoalition ihrer Ver-
antwortung nach, damit deutlich würde, dass wir weit
über die Mindeststandards hinausgehen müssen, um
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung wirksam be-
kämpfen zu können.

Mit Blick auf die Kanzlerin gelingt eine gute Zusam-
menfassung: Während die CDU/CSU/FDP eine
„marktkonforme Demokratie“ wollen, will die SPD ei-
nen „demokratiekonformen Markt.“


Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1724043600

Wir haben uns ja schon in der letzten Woche aus-

führlich damit beschäftigt, was die Bundesregierung
alles unternimmt, um internationaler Steuervermei-
dung und -hinterziehung von Unternehmen und Privat-
personen zuvorzukommen, und wie erfolgreich sie
hierbei ist. In dieser Legislaturperiode wurde mehr ge-
gen Steuerflucht und für internationale Steuergerech-
tigkeit getan als je zuvor in der Bundesrepublik.

Die Karibikinsel Grenada und die Cookinseln im
Pazifik gehörten bis vor kurzem noch zu den letzten
Staaten auf der Welt, die sich gegen eine umfängliche
Kooperation im Kampf gegen Steuerhinterziehung ge-
sperrt hatten. Mit den nun beschlossenen Verträgen,
welche an die OECD-Standards für den steuerlichen
Informationsaustausch angelehnt sind und alle Kern-
elemente enthalten, verpflichten die Vertragspartner
sich, alle erforderlichen Informationen für ein Besteu-

Zu Protokoll gegebene Reden





Holger Krestel


(A) (C)



(D)(B)


erungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren zu er-
teilen.

Dass wir diese Steuerabkommen nun in so zuverläs-
siger Regelmäßigkeit auch mit Staaten abschließen
können, die vorher als reine Steueroasen bekannt
waren, ist keine Selbstverständlichkeit und wäre vor
wenigen Jahren nur schwer vorstellbar gewesen. Es ist
der Lohn für eine zielstrebige internationale Zusam-
menarbeit, die über Jahre hinweg konzentriert verfolgt
wurde. Auf internationaler Ebene sind Alleingänge
fast ausnahmslos zum Scheitern verurteilt, aber durch
eine langfristige und gute Koordination der internatio-
nalen Gemeinschaft und der OECD konnte den betrof-
fenen Staaten die Perspektivlosigkeit ihrer Abschot-
tungsstrategie vermittelt werden.

Das Netz wird immer feinmaschiger, und es wird im-
mer schwieriger, sein Geld zu verstecken. Wir werden
uns auf diesen Erfolgen jedoch nicht ausruhen. Es ist
ohne Frage noch viel zu tun, bis auch die letzten Win-
kel des Weltfinanzsystems restlos ausgeleuchtet sind.
Insbesondere bei den Möglichkeiten zur Steuervermei-
dung internationaler Großunternehmen, welche ganz
legal und vor unseren Augen immer noch die Gewinne
in ihren Bilanzen von Land zu Land schleusen können,
muss weiter durchgegriffen werden, auch wenn hier
schon einige vielversprechende Initiativen gestartet
wurden.

Ich bitte Sie daher, unsere Anstrengungen für Steu-
ergerechtigkeit zu unterstützen und diese beiden Ab-
kommen zu beschließen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724043700

Die aktuelle Debatte um die Offshore Leaks zeigt

eindeutig, wie wichtig ein vernünftiger Informations-
austausch zwischen den Ländern ist, am besten wäre
selbstverständlich ein automatischer; denn er ist das
effektivste Mittel bei der Bekämpfung internationaler
Steuerhinterziehung.

Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um
Steuerinformationsaustausch-Abkommen, zum einen
mit den Cookinseln, zum anderen mit Grenada. Tax
Justice Network ordnet die Cookinseln und Grenada
als Steueroasen ein, aufgrund geringer Finanzströme
allerdings als nicht bedeutsame. Maßgeblich für die
Einordnung als Steueroase sind vor allem das Fehlen
steuerrelevanter Informationen, wie zum Beispiel feh-
lende Unternehmensregister. Die Abkommen orientie-
ren sich weitgehend am geltenden OECD-Standard für
TIEAs, Tax Information Exchange Agreements, von
2002, das heißt unter anderem auch, dass als Informa-
tionsstandard lediglich auf Auskunft auf Ersuchen ab-
gestellt wird.

Wir honorieren jedoch, dass die Bundesregierung
Informationsaustauschabkommen abschließen will.
Dies sei zumindest ein Versuch, auf dem Weg zu einem
automatischen Informationsaustausch ein Stück weiter
voranzukommen. Es sei allerdings enttäuschend, dass
überhaupt keine Garantie gegeben sei, dass, wenn ein

Finanzamt eine Frage stelle, es auch eine aussagekräf-
tige Antwort aus Grenada oder von den Cookinseln er-
halten werde. Es wäre wichtig, bereits vor Abschluss
eines Abkommens zu wissen, ob in diesen Ländern auf
Basis der Verhandlungen begonnen werde, zum Bei-
spiel ein Unternehmensregister einzurichten oder an-
dere Vorkehrungen für einen effektiven Informations-
austausch zu treffen. Man könne nicht erst ein halbes
Jahr nach Inkrafttreten anfangen zu überprüfen, ob
entsprechende Voraussetzungen überhaupt bestünden.

Die Abkommen enthalten unter anderem die theore-
tische Möglichkeit einer verbesserten Informations-
weitergabe durch die Cookinseln und Grenada.
Deswegen und da es keine Doppelbesteuerungsab-
kommen sind, sind sie zumindest nicht schädlich. An-
gesichts der Enthüllungen durch Offshore Leaks muss
aber die Wirksamkeit derartiger Abkommen hinter-
fragt werden. Problematisch ist insbesondere die unzu-
reichende Erfassung von Unternehmen durch die
Cookinseln und Grenada. Problematisch im Falle Gre-
nada ist insbesondere, dass die Steuerbehörden von
Grenada über viele Informationen gar nicht verfügen,
da sie dort nicht systematisch erfasst werden.

Die Abkommen sind insgesamt nicht hinreichend
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, aber sie
stellen einen kleinen Fortschritt dar; daher werden wir
uns bei beiden Gesetzentwürfen enthalten.

Letztlich brauchen wir einen automatischen Infor-
mationsaustausch in Steuerangelegenheiten; nur so
kann internationale Steuerhinterziehung eingedämmt
werden. Dieser muss international Standard werden.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Den Mitgliedsländern der Europäischen Union ge-
hen jedes Jahr 1 000 Milliarden Euro durch Steuerhin-
terziehung, Steuergestaltung und Schattenwirtschaft
verloren. Auf Deutschland entfallen dabei rund
150 Milliarden Euro Steuerausfälle. Dies wird auch
ermöglicht durch den Verbund einiger Länder mit
weltweit lokalisierten Steueroasen – wie Grenada und
den Cookinseln.

Wir stimmen heute über zwei Steuerinformations-
austauschabkommen mit diesen beiden Inseln ab. Wir
Grüne begrüßen es grundsätzlich, dass sich Gebiete,
die bislang als Steuerrückzugsorte bekannt waren, zu
einer stärkeren Zusammenarbeit verpflichten. Dies hat
aber wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass die Gebiete
mindestens zwölf OECD-Abkommen geschlossen ha-
ben müssen, um von der „Grauen Liste der Steuer-
oasen“ der OECD gestrichen zu werden.

Für eine effektive Bekämpfung der Steuerflucht
reicht das OECD-Musterabkommen allerdings nicht
aus: Denn nur in einem konkreten Verdachtsfall wird
ein Informationsgesuch an den Vertragsstaat über-
sandt, und nach entsprechender Prüfung durch die Be-
hörden des Landes soll Auskunft über den konkreten
Fall gegeben werden. Es ist jedoch sehr schwierig, ge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


nug Indizien für Steuerhinterziehung zu sammeln, be-
vor die Behörden des anderen Landes Auskunft geben.
Amtshilfegesuche ohne konkrete Anhaltspunkte sind
nicht möglich. Diese sogenannten „Fishing Expedi-
tions“ sind jedoch unabdingbar, um aggressive Steuer-
gestaltung und Steuerhinterziehung wirksam bekämp-
fen zu können. Noch weiter weg sind wir mit den
vorliegenden Abkommen von einem automatischen In-
formationsaustausch, wie er in Europa jetzt mit der er-
weiterten Zinsrichtlinie umgesetzt werden soll. Der
automatische Informationsaustausch ist das wirkungs-
volle Werkzeug, mit dem Steuerhinterziehung verhin-
dert werden und ein Wettbewerb ohne steuerliche Ver-
zerrung realisiert werden kann.

Auch ist es wichtig, dass man im Rahmen eines In-
formationsaustauschabkommens nicht nur die Mög-
lichkeit hat, eine entsprechende Anfrage zu stellen,
sondern es geht auch darum, Steuerflüchtlinge zu be-
nennen, die sich unter dem Dach eines solchen Abkom-
mens bisher trefflich verstecken können. Dabei spre-
che ich von Trusts oder Briefkastenfirmen. Erste
Auswertungen der Offshore-Leaks-Daten haben das
Problem von Briefkastenfirmen auf den Cookinseln er-
neut deutlich gemacht.

Ich plädiere daher für einen Strategiewechsel in der
deutschen Abkommenspolitik: Man sollte nur dann Be-
reitschaft signalisieren, ein Informationsabkommen
abzuschließen, wenn zumindest sogenannte Fishing
Expeditions zugelassen werden und ein automatischer
Informationsaustausch mittelfristig umgesetzt wird. So
kann Druck auf diese Staaten ausgeübt werden.
Luxemburg und auch die Schweiz haben einen Para-
digmenwechsel angezeigt: Beide Staaten haben reali-
siert, dass sie nur dann noch ihre Position als attrakti-
ver Finanzplatz halten können, wenn sie sich den
Transparenzregeln eines automatischen Informations-
austausches öffnen. Und wir haben gesehen: Nur mit
dem Druck der Staatengemeinschaft außerhalb lassen
sich die Steueroasen isolieren. Der von der Bundes-
regierung eingeschlagene Weg wird dagegen noch
viele Jahre brauchen, bis er überhaupt Erfolg zeigen
kann.

Wir haben uns in der Vergangenheit bei der Abstim-
mung über die Informationsaustauschabkommen in
der Regel enthalten. Diesmal werden wir beide Gesetz-
entwürfe ablehnen, da wir aufgrund der veränderten
weltweiten Debatte um mehr Transparenz ein Poten-
zial für die schnellere Umsetzung eines effektiven In-
formationsaustausches sehen und die vorliegenden
Gesetzesentwürfe dieses Potenzial nicht ausschöpfen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724043800

Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstim-

mung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/13345, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12958 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt
dagegen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13345 empfiehlt der Finanzausschuss,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/12959 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Sozialde-
mokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? –
Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Export von Überwachungs- und Zensurtech-
nologie an autoritäre Staaten verhindern – De-
mokratischen Protest unterstützen

– Drucksache 17/13489 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Alle sind damit einverstanden.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13489 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir das ge-
meinsam so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 45 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Funktionen der Betreuungsbehörde

– Drucksache 17/13419 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

Die Reden werden zu Protokoll gegeben. Wir haben
dies auch schon in der Tagesordnung ausgewiesen.

1) Anlage 15






(A) (C)



(D)(B)



Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1724043900

Wir beraten heute in erster Lesung über den Gesetz-

entwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Funk-
tionen der Betreuungsbehörde.

Zuletzt haben wir uns parlamentarisch am 1. März
mit der Reform des Betreuungsrechts befasst. Damals
hatte ich bereits einen ersten Überblick über die Vor-
geschichte und die wesentlichen Punkte des heute be-
ratenen Gesetzentwurfes der Bundesregierung gege-
ben. Darauf will ich nun heute aufbauen.

Zunächst will ich noch einmal betonen, dass das
deutsche Betreuungsrecht von 1992 als eines der mo-
dernsten Rechtsinstrumente dieser Art in Europa gilt:
Anstelle von Bevormundung ist die Anerkennung be-
treuter Menschen als gleichberechtigte und selbstbe-
stimmte Mitglieder unserer Gesellschaft getreten.

Unser Betreuungsrecht entspricht damit bereits
grundsätzlich den Anforderungen der VN-Behinder-
tenrechtskonvention: Es ermöglicht eine nach Aufga-
benkreisen maßgeschneiderte Vertretung des Betreuten
in dem jeweils erforderlichen Umfang, ohne die Ge-
schäftsfähigkeit des Betreuten aufzuheben. Damit kann
gerade die Betreuung dazu beitragen, dem Betreuten
ein möglichst selbstbestimmtes Leben nach seinen
Wünschen und Vorstellungen zu bieten. Gleichzeitig
bietet das Betreuungsrecht einen Rahmen, um Men-
schen in besonders gefährdeten Situationen zu schüt-
zen. Aus diesen beiden Zielsetzungen resultiert ein
ständiges Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestim-
mung und Fürsorge, das für das Betreuungsrecht be-
stimmend ist.

Bei einem Blick auf die Entwicklung der Fallzahlen
ist festzustellen, dass auch nach dem Inkrafttreten des
Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes im Juli
2005 die Zahl der rechtlichen Betreuungen – tenden-
ziell abflachend – bundesweit weiter gestiegen ist: von
1,2 Millionen Ende 2005 auf 1,3 Millionen Ende 2011.

Jede Betreuung hat einen mehr oder weniger star-
ken Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzel-
nen zur Folge. Das oberste Ziel jeder Weiterentwick-
lung des Betreuungswesens muss folglich sein,
Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht – wie auch
von der VN-Behindertenrechtskonvention vorgegeben
– auf das Notwendigste zu beschränken und andere
Möglichkeiten der Unterstützung und Assistenz aufzu-
zeigen und zu vermitteln. Das bedeutet, dass ein Be-
treuer nur dann bestellt werden darf, wenn eine Be-
treuung auch wirklich erforderlich ist. Das Ziel muss
also eine Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes
sein, um der steigenden Zahl der Betreuungen zu be-
gegnen. Dies trägt auch den Herausforderungen der
demografischen Entwicklung und einer steigenden
Zahl von Menschen mit Assistenzbedarf Rechnung.
Die Bestellung eines rechtlichen Betreuers ist dann
nicht erforderlich und nicht zulässig, wenn die Angele-
genheiten des Volljährigen ebenso gut durch andere
Hilfen besorgt werden können. Hierzu zählen insbe-

sondere auch sozialrechtliche Unterstützungsange-
bote.

Die Debatte um die Zukunft des Betreuungsrechts
muss demzufolge interdisziplinär geführt werden. Dies
hat die Bundesregierung getan, wie die Genese des
vorliegenden Gesetzentwurfes zeigt.

Dem bereits angesprochenen 2. Betreuungsrechts-
änderungsgesetz von 2005 waren damals langwierige
Beratungen vorausgegangen. Das Gesetz verpflichtet
die Bundesregierung zur zeitnahen Evaluation. Das
Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik
e.V., ISG, hat diese Evaluation zwischen 2005 und
2009 im Auftrag des BMJ durchgeführt. Dabei wurde
auch untersucht, ob mit der derzeitigen Regelung eine
den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Be-
treuung der Betroffenen gewährleistet ist.

Auf der Basis des 2009 vorgelegten Evaluationsbe-
richtes hat im September 2009 eine durch das BMJ
eingerichtete interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeits-
gruppe „Betreuungsrecht“ ihre Arbeit aufgenommen.
Teilnehmer waren Vertreter der Landesjustizverwal-
tungen von Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpom-
mern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie
der Landessozialministerien von Hessen, Brandenburg
und Bremen. Außerdem waren eine Reihe von Rich-
tern, Rechtpflegern, Vertreter von Betreuungsbehörden
und Betreuungsvereinen sowie der Deutsche Land-
kreistag eingebunden.

Die Aufgaben dieser interdisziplinären Arbeits-
gruppe bestanden darin, die Ergebnisse der ISG-Eva-
luation zu analysieren und Möglichkeiten zur Umset-
zung zu erarbeiten. Darüber hinaus sollten die
Beschlüsse der Justizministerkonferenzen von 2005
und 2009 zur Strukturreform des Betreuungsrechts und
Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Bund-
Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungskosten“ vom Mai
2009 umgesetzt und mögliche Verbesserungen im Hin-
blick auf die VN-Behindertenrechtskonvention heraus-
gearbeitet werden.

Die interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Betreuungsrecht“ hat am 20. Oktober 2011 ihren Ab-
schlussbericht vorgelegt. Darin empfiehlt sie die Bei-
behaltung des derzeitigen Systems der rechtlichen Be-
treuung und sieht gesetzgeberischen Handlungsbedarf
im Rahmen des bisherigen Betreuungs- und Verfah-
rensrechts.

In ihrer Herbstkonferenz 2011 haben die Justizmi-
nisterinnen und -minister über den Abschlussbericht
beraten und das BMJ gebeten, einen entsprechenden
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Vorschläge der in-
terdisziplinären Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht
zu erarbeiten, soweit diese gesetzliche Änderungen im
Bundesrecht betreffen.

Die interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe
hatte in ihrem Abschlussbericht darüber hinaus wei-
tere Vorschläge für untergesetzliche Maßnahmen an-
geregt, die alle Bereiche betreffen: Betreuungsge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


richte, Betreuungsbehörden und Betreuungsvereine.
Die Vorschläge der AG für gesetzliche und unterge-
setzliche Maßnahmen im Betreuungswesen bilden ein
in sich geschlossenes Konzept, das möglichst komplett
umgesetzt werden sollte, um die Eingriffe in das
Selbstbestimmungsrecht zu reduzieren und das Aufzei-
gen und die Vermittlung anderer Möglichkeiten der
Unterstützung und Assistenz zu verbessern.

Vor diesem Hintergrund ist der heute beratene Ge-
setzentwurf ein weiterer Schritt hin zu einer noch bes-
seren Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes. Mit
den hier getroffenen Regelungen soll darauf hinge-
wirkt werden, dass andere Maßnahmen, die eine Be-
treuung vermeiden können, in Zukunft besser genutzt
werden. So soll die Bestellung eines Berufsbetreuers
auf die Menschen beschränkt werden, die einen kom-
plexen bzw. hohen rechtlichen Assistenzbedarf haben.
In diesem Zusammenhang werden sogenannte vorgela-
gerte Systeme wie etwa Betreuungsverfügungen, Bera-
tungsangebote oder die Bestellung einer ehrenamtli-
chen Betreuung gestärkt.

Heute werden rund zwei Drittel der Betreuungen
ehrenamtlich geführt. Trotzdem steigt die Zahl der be-
ruflichen Betreuungen sowohl relativ als auch absolut
seit Jahren an. Die Bestellung eines Berufsbetreuers
darf nur Ultima Ratio in einem System der Hilfsange-
bote sein und nicht mehr und mehr zur Regel werden.

Die Betreuungsbehörde ist Dreh- und Angelpunkt
an der Schnittstelle zwischen Betreuungsrecht und So-
zialrecht. Das Ziel des Gesetzentwurfes ist die Stär-
kung der bestehenden Funktionen der Betreuungsbe-
hörde durch Änderungen im Verfahrensrecht, FamFG,
und im Betreuungsbehördengesetz: Die Aufgaben der
Behörde, die im Vorfeld eines betreuungsgerichtlichen
Verfahrens stehen, werden konkretisiert. Ferner wer-
den qualifizierte Kriterien für den Bericht der Betreu-
ungsbehörde an das Gericht gesetzlich verankert.
Durch Information und Beratung im Hinblick auf mög-
liche Betreuungsfälle können frühzeitig andere Hilfen
aufgezeigt und so betreuungsgerichtliche Verfahren
unter Umständen vermieden werden.

Der geänderte § 4 des Betreuungsbehördengesetzes
regelt zukünftig, dass die Betreuungsbehörde Betrof-
fene beraten und in Zusammenarbeit mit den zuständi-
gen Sozialleistungsträgern auf andere Hilfen – sprich
ohne Bestellung eines Betreuers – hinwirken kann,
wenn sozialrechtliche Hilfen und Assistenzen in Be-
tracht kommen.

Außerdem wird eine Kooperationspflicht zwischen
der Betreuungsbehörde und den zuständigen Trägern
sozialer Hilfen in das Betreuungsbehördengesetz ein-
gefügt und die Aufgaben der Betreuungsbehörde er-
weitert. Mit der steigenden Zahl der Vorsorgevoll-
machten müssen die Aufgaben der Behörde zur
Beratung und Hilfestellung für Bevollmächtigte im
Vorsorgefall ergänzt werden und demzufolge die Be-
hörden auch mit entsprechenden Fachkräften ausge-
stattet werden.

Mit der steigenden Zahl von Vorsorgevollmachten
nimmt auch die Bedeutung der Beratung und Hilfestel-
lung für Bevollmächtigte bei ihrer Aufgabenwahrneh-
mung im Vorsorgefall zu. Die vorhandenen Informati-
onsmaterialien und Handreichungen sind zwar eine
erste Hilfe, sie können jedoch die persönliche Bera-
tung und Betreuung der Bevollmächtigten bei der
Wahrnehmung der Aufgaben nicht ersetzen. Anknüp-
fend an die Änderung des § 4 durch das Zweite Betreu-
ungsrechtsänderungsgesetz, mit der die Beratung und
Unterstützung des Bevollmächtigten ergänzt wurde,
erfolgt nun eine entsprechende Änderung von § 5. Die
Anleitungspflicht der Betreuungsbehörde soll neben
dem Betreuer nun auch den Bevollmächtigten erfas-
sen. Anders als beim Betreuer verfügt die Behörde
nicht über die Anschriften von Bevollmächtigen und
kann diese daher nicht initiativ zu Fortbildungen ein-
laden. Eine ausdrückliche Nennung in § 5 macht je-
doch deutlich, dass – soweit der Bevollmächtigte die
Unterstützung der Behörde wünscht – auch er in seine
Aufgabenwahrnehmung eingeführt und fortgebildet
werden soll.

Im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit, FamFG, wird die obligatorische Anhörung der
Betreuungsbehörde in jedem Verfahren vor der Bestel-
lung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwil-
ligungsvorbehaltes eingeführt. So wird sichergestellt,
dass alle Hilfen unterhalb der Schwelle der rechtlichen
Betreuung ausgeschöpft werden.

Durch die Änderung des § 280 Abs. 2 FamFG soll
darüber hinaus das Sachverständigengutachten mit
dem Bericht der Betreuungsbehörde verknüpft werden.
Der ärztliche Sachverständige soll bei seiner gutach-
terlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen der
Krankheit des Betroffenen auch auf dessen soziale Si-
tuation eingehen und hierzu nach Möglichkeit den Be-
richt der Behörde in den Erkenntnisprozess einbezie-
hen. Es wird davon abgesehen, eine feste zeitliche
Reihenfolge für den Bericht der Behörde und das me-
dizinische Gutachten vorzugeben, um dem Richter eine
flexible Handhabung des Verfahrens im Einzelfall zu
ermöglichen. Die entsprechende Formulierung legt
aber fest, dass nur ein dem Sachverständigen rechtzei-
tig vorgelegter Bericht zu berücksichtigen ist.

Die Vorschriften zur Erweiterung, Aufhebung und
Einschränkung sowie zur Verlängerung einer Betreu-
ung oder eines Einwilligungsvorbehalts verweisen bis-
her uneingeschränkt auf § 279 FamFG. Da in diesen
Fällen vor einer Entscheidung keine obligatorische
Anhörung erfolgen soll, wird eine entsprechende Er-

(Änderung der §§ 293 bis 295 FamFG)

rigen Regelungsgehalt zu erhalten. Anders als bei der
erstmaligen Bestellung eines Betreuers oder der An-
ordnung eines Einwilligungsvorbehalts liegen dem
Gericht in diesen Verfahren bereits Informationen zu
dem Betroffenen vor. Oft enthalten die Berichte der Be-
treuungsbehörde im Rahmen der Erstbestellung zudem

Zu Protokoll gegebene Reden





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


prognostische Aussagen. Der Einschätzung der Be-
treuungsbehörde kann jedoch auch in diesen Verfahren
eine wichtige Funktion bei der Sachverhaltsaufklä-
rung zukommen. Sofern beispielsweise Anhaltspunkte
für eine mögliche Aufhebung der Betreuung oder für
einen möglichen Betreuerwechsel bestehen, sollte das
Gericht daher eine Stellungnahme der Betreuungsbe-
hörde anfordern.

Lassen Sie mich abschließend noch auf eine Ände-
rung des BGB hinweisen, die die Bundesregierung im
Rahmen dieses Gesetzentwurfes vorschlägt: In der
Praxis stellt es zum Teil ein Problem dar, dass der eh-
renamtliche Betreuer nach seiner Gewinnung sowie
der Bevollmächtigte nicht längerfristig beraten wer-
den und eine „Kundenbindung“ nicht gelingt. § 1908 f
Abs. 1 Nr. 2 BGB wird daher um eine Formulierung er-
gänzt, wonach die gewonnenen ehrenamtlichen Be-
treuer sowie Bevollmächtigten bei der Wahrnehmung
ihrer Aufgaben unterstützt werden. Die Pflicht zur Un-
terstützung soll neben der Pflicht zur Anleitung und
Beratung bestehen. Mit der Ergänzung soll der Ge-
danke des Rückhalts für den ehrenamtlichen Betreuer
im Verein stärker betont werden. Ziel ist es, eine lang-
fristige Einbindung der ehrenamtlichen Betreuer und
der Bevollmächtigten in das Netzwerk eines Betreu-
ungsvereins zu erreichen. Die Parallelität der Bera-
tungsangebote – Gericht, Behörde, Verein – hat sich in
der Praxis nicht als Nachteil erwiesen. Betreuer und
Bevollmächtigte haben so die Möglichkeiten, zwischen
den Angeboten zu wählen.

Wir sind uns darin einig, dass die beschriebenen de-
mografischen und gesellschaftlichen Herausforderun-
gen sowie auch die Vorgaben aus der VN-Behinderten-
rechtskonvention eine ständige Weiterentwicklung des
Betreuungsrechts notwendig machen.

Meine Ausführungen haben gezeigt, dass die uni-
onsgeführte Bundesregierung mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf zur Stärkung der Funktion der Betreu-
ungsbehörden entschlossen ist, sich dieser Aufgabe zu-
stellen.


Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1724044000

Im März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonven-

tion in Kraft getreten. Seitdem diskutieren wir immer
wieder, ob unsere gesetzlichen Grundlagen diesen
Standards gerecht werden. Ich denke, zumindest die
Oppositionsfraktionen sind sich darin einig, dass es an
einigen wesentlichen Stellen Nachbesserungsbedarf
gibt. Dies ist vor allem auch vor dem Hintergrund der
immer steigenden Zahl rechtlicher Betreuungen zu se-
hen. Das Bundesjustizministerium spricht in einer
Pressemitteilung davon, dass sich die Zahl der rechtli-
chen Betreuungen in den letzten 20 Jahren insgesamt
verdreifacht hat.

Wir sprechen hier von Menschen, die Unterstützung
brauchen, die ihren Alltag nicht mehr bewältigen und
keine eigenständigen Entscheidungen treffen können.
Die Bedürfnisse dieser Menschen sind je nach Schick-
sal völlig unterschiedlich. Eines haben diese Betroffe-

nen aber alle gemeinsam: Es wird in ihr Selbstbestim-
mungsrecht eingegriffen. Das Betreuungsrecht ist
daher ein sehr sensibler und vor allem auch schwieri-
ger Bereich. Mit dem Zweiten Betreuungsrechtsände-
rungsgesetz wurde daher 2005 eine Evaluation in Auf-
trag gegeben, die seit Sommer 2009 vorliegt. Im
Oktober 2011 hat eine interdisziplinäre Bund-Länder-
Arbeitsgruppe ihren Abschlussbericht vorgelegt, die
sich mit der Weiterentwicklung des Betreuungsrechts
beschäftigt hat.

Mit dem nun vom Bundesjustizministerium vorge-
legten Gesetzentwurf sollen die Vorschläge dieser Ar-
beitsgruppe, die gesetzliche Änderungen im Bundes-
recht betreffen, umgesetzt werden.

Die Betreuungsbehörde soll als Schnittstelle zu so-
zialen Hilfen und Assistenzen gestärkt werden. Um
dies zu erreichen, sind folgende gesetzliche Änderun-
gen vorgesehen: Zur Feststellung eines Sachverhalts
im betreuungsrechtlichen Verfahren soll künftig vor
Bestellung eines Betreuers oder vor Anordnung eines
Einwilligungsvorbehalts die Anhörung der Betreu-
ungsbehörde verpflichtend vorgesehen werden. Für
den Bericht der Betreuungsbehörde werden qualifi-
zierte Kriterien festgelegt. Die Aufgaben der Betreu-
ungsbehörde werden gesetzlich konkretisiert. Die
Wahrnehmung durch Fachkräfte wird gesetzlich ver-
ankert.

Laut Bundesjustizministerium soll der Entwurf da-
mit ein erster Schritt zu einer weiterzuführenden Dis-
kussion über notwendige Veränderungen im Betreu-
ungsrecht sein, die durch eine geplante Evaluation
dieses Gesetzes begleitet werden soll. Man sollte mei-
nen, dass wir nach den bereits erfolgten Evaluationen
und Arbeitsgruppensitzungen schon ein Stück weiter
sein sollten. Aber auf viele Fragen des Betreuungs-
rechts gibt der vorliegende Gesetzentwurf keine Ant-
wort.

Wir werden sehen, wie die Bewertung der Sachver-
ständigen bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsaus-
schuss Anfang Juni ausfallen wird. Ich bin mir ziem-
lich sicher, dass die meisten Sachverständigen
erheblich mehr Änderungsbedarf im Bereich des Be-
treuungsrechtes sehen werden, sowohl in Bezug auf
den Einklang des Betreuungsrechts mit der UN-Behin-
dertenrechtskonvention als auch in Bezug auf den Um-
gang mit den immer weiter steigenden Kosten in die-
sem Bereich.

Es bestehen viele weitere Unklarheiten und Lücken
im aktuellen Betreuungsrecht. Ich möchte an dieser
Stelle erneut auf das Wahlrecht von Menschen mit Be-
hinderungen hinweisen.

Statt der Zersplitterung sozialer Hilfen brauchen
wir mehr Transparenz und Praktikabilität in den So-
zialen Gesetzbüchern. Die Zuordnungen sozialer Leis-
tungen muss vereinfacht werden.

Des Weiteren ist es notwendig, effektive Hilfen zur
Vermeidung einer rechtlichen Betreuung bereitzustel-

Zu Protokoll gegebene Reden





Sonja Steffen


(A) (C)



(D)(B)


len. Der derzeit vielerorts praktizierte Abbau sozialer
Dienste aufgrund leerer öffentlicher Haushalte ist hier
absolut kontraproduktiv. Rechtliche Betreuung sollte
eine letzte Möglichkeit sein. Betroffenen Menschen
muss schon vor der Anordnung einer Betreuung besser
geholfen werden.

Die Tätigkeit der ehrenamtlichen Betreuer und der
Berufsbetreuer ist von hoher gesellschaftlicher Bedeu-
tung. Die Vergütung in diesem Bereich muss den Auf-
gaben entsprechend angemessen sein. Wir müssen da-
her zum Beispiel überprüfen, ob die Stundensätze der
Berufsbetreuer derzeit noch angemessen sind.

Unser gemeinsames Ziel muss es sein, eine qualita-
tiv hochwertige Betreuung, die den individuellen Be-
dürfnissen der Betroffenen angepasst ist, sicherzustel-
len – für jetzt und für die Zukunft.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724044100

Mit dem Gesetz sollen die Betreuungsbehörde ge-

stärkt und insbesondere darauf geachtet werden, im
Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
UN-Behindertenrechtskonvention, entsprechende Ver-
besserungen einzuführen.

Im Wesentlichen betrifft dies Änderungen im
FamFG und Betreuungsbehördengesetz. Es soll er-
reicht werden, die Betreuungsbehörde sowohl im ge-
richtlichen Verfahren als auch schon vor diesem ge-
richtlichen Verfahren zu stärken mit der Zielsetzung,
möglichst wenig oder weniger umfangreiche Betreuun-
gen anzuordnen und damit auch das Recht des Einzel-
nen auf Selbstbestimmung weitestgehend zu stärken.

So soll insbesondere im FamFG künftig das Gericht
in jedem Fall vor der Bestellung eines Betreuers oder
der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die zu-
ständige Behörde anhören – und nicht nur für den Fall
des Verlangens durch den Betroffenen selbst.

Auch werden konkrete Kriterien genannt, welche
bei der Anhörung durch das Gericht insbesondere zu
beachten sind. Hier wird dem Schutz des Betroffenen
verstärkt Rechnung getragen, gerade im Hinblick auf
die Erforderlichkeit und die eventuell erforderliche
Betreuerauswahl.

Gleiches soll auch entsprechend bei § 293 FamFG
gelten, der die Aufgabenbereiche des Betreuers regelt.
Im Falle einer Erweiterung der Betreuung ist jedoch
die Betreuungsbehörde nur anzuhören, wenn es der
Betroffene verlangt oder es der Sachaufklärung dient.
Hier wird im Grunde der alte Status quo wieder herge-
stellt, da ursprünglich nur auf Antrag des Betroffenen
bei der Erst-Bestellung angehört werden sollte und
dies bei der Erweiterung entsprechend galt. Diese Ent-
sprechung würde nun eine zwingende Anhörung nach
sich ziehen, was durch die Änderung wieder korrigiert
wird.

Gleiches gilt für den Bereich der Aufhebung oder
Einschränkung der Betreuung oder des Einwilligungs-

vorbehalts – § 294 FamFG. Auch hier soll der Status
quo bestehen bleiben, genau wie bei der Verlängerung
der Betreuung. Ziel ist also, möglichst wenig Betreu-
ungen oder Betreuungen mit geringerem Umfang an-
zuordnen. Die weiteren gesetzlichen Regelungen blei-
ben in ihrem Wesensgehalt unberührt.

Positiv zu sehen sind die angestrebten Änderungen
im Betreuungsbehördengesetz, wonach die Betreu-
ungsbehörde künftig nicht nur für Betreuer ein Ange-
bot zur Einführung in ihre Aufgaben und Fortbildung
bereitstellt, sondern dies auch auf die Bevollmächtig-
ten ausgeweitet wird.

Angesichts von Vorsorgevollmachtserklärungen ist
die Zahl der Vorsorgebevollmächtigten in letzter Zeit
gestiegen und dürfte auch weiter ansteigen. Daher soll
mit den Neuregelungen sichergestellt werden, dass
auch diesem Personenkreis die Möglichkeit eröffnet
wird, in die Aufgaben einer Betreuung eingeführt und
oder entsprechend fortgebildet zu werden.

Der Gesetzentwurf setzt damit ein positives Signal,
die Häufigkeit von Betreuungen im Hinblick auf die
tatsächliche Erforderlichkeit zu reduzieren.

Selbstbestimmtes Leben sollte höchste Priorität ge-
nießen. Von daher ist die verpflichtende Anhörung der
Betreuungsbehörde diesbezüglich ausgesprochen sinn-
voll.

Zu den Kosten und dem Erfüllungsaufwand gibt der
Gesetzentwurf allerdings nichts her, da keine validen
Daten vorliegen, welche eine Berechnung oder Hoch-
rechnung rechtfertigen könnten. Es bleibt festzustellen,
dass möglicherweise die Kosten für die originäre Be-
treuung sowohl für den Betroffenen als auch die Kom-
munen geringer ausfallen können. Betreuungskosten
sind vom Betroffenen zu tragen, es sei denn, er ist nicht
leistungsfähig. In diesem Fall wäre der Staat Kosten-
schuldner.

Bei einer Reduzierung der Zahl von Betreuungen
und auch Verstärkung der Gewinnung von ehrenamtli-
chen Betreuern und besserer Schulung von Bevoll-
mächtigten können die Kosten für die Kommunen sin-
ken. Inwieweit dies jedoch vom Erfüllungsaufwand
wieder kompensiert wird, kann keiner sagen, zumal die
Betreuungsbehörden länderspezifisch unterschiedlich
aufgestellt und eingerichtet worden sind.

In der Begründung zum Gesetzentwurf geht die
Bundesregierung selbst davon aus, dass nicht überall
sowohl sachlich als auch personell gut ausgestattete
Betreuungsbehörden vorhanden sind. Inwieweit hier
auf die Länder Kosten und in welcher Höhe zukom-
men, kann nicht quantifiziert werden. Vielleicht bringt
die bereits terminierte Sachverständigenanhörung
dazu und zu Kleinigkeiten des Gesetzentwurfs noch
Klarheit.

Aber selbst wenn nicht eine sogenannte Win-Win-Si-
tuation, wie sie der Nationale Normenkontrollrat be-
schreibt, entstehen sollte, gilt doch nach wie vor, dass
ein selbstbestimmtes Leben oberste Priorität hat und

Zu Protokoll gegebene Reden





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


nur in Ausnahmefällen und dann mit geringstnötigem
Umfang entsprechend eingegriffen werden sollte.

Für die Linke steht der Mensch im Vordergrund.
Menschenrechte dürfen nicht unter Finanzierungsvor-
behalt stehen. Von daher gehe ich guten Mutes in die
anstehenden Beratungen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724044200

Wir diskutieren hier einen Gesetzentwurf, der nur

enttäuschen kann. Er nimmt für sich in Anspruch, die
Selbstbestimmung von Menschen zu stärken, die auf
rechtliche Assistenz angewiesen sind. Tatsächlich ist
dieser Gesetzentwurf nicht mehr als ein Tropfen auf
den heißen Stein. Ein paar kosmetische Änderungen
bei den Betreuungsbehörden reichen nicht aus, wenn
wir die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen
ernsthaft stärken möchten.

Wir stehen in der Pflicht, die Vorgaben der UN-Be-
hindertenrechtskonvention umzusetzen. Zweifellos ist
es eine große Herausforderung, rechtliche Regelungen
und ihre Umsetzung so zu gestalten, dass alle Men-
schen ihr Menschenrecht auf „Gleiche Anerkennung
vor dem Recht“, Art. 12, das Menschenrecht auf „Zu-
gang zur Justiz“, Art. 13, sowie das Menschenrecht
auf „Freiheit und Sicherheit der Person“, Art. 14,
auch wahrnehmen können. Ich verlange keine Wunder,
natürlich ist dies nicht in einem einzigen Gesetzge-
bungsverfahren zu erreichen. Aber das ist in meinen
Augen der Hintergrund, vor dem wir diesen Gesetzent-
wurf bewerten müssen.

Das sehe ich nicht alleine so: Auch der Gesetzent-
wurf argumentiert im „Lichte des Übereinkommens
der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen
mit Behinderung“. Gerade in diesem Licht ist deutlich
sichtbar, dass die Stärkung der Betreuungsbehörden
nur einen kleinen Beitrag zur Förderung der Selbstbe-
stimmung der Betroffenen leisten kann. Und dies kann
sie ohnehin nur, wenn sie finanziell entsprechend un-
terfüttert ist. Ich höre schon jetzt von den Betreuungs-
behörden, dass sie am Limit arbeiten. Wie sollen sie
eine noch größere Arbeitsbelastung stemmen? Wie sol-
len sie ihre Arbeit darüber hinaus an den Anforderun-
gen der Konvention ausrichten? Wenn wir uns schon
auf die Stärkung der Behörden beschränken – und ich
halte das nicht für ausreichend – dann müssen wir
mindestens sicherstellen, dass in den Behörden ent-
sprechend Personal aufgestockt wird und Schulungen
der Beschäftigten durchgeführt werden. An dieser
Stelle sind die Länder gefragt, und ich lese im Gesetz-
entwurf, dass die Umsetzung des Gesetzes für die Län-
der im Ergebnis zu einer Entlastung führen soll. Aber
natürlich fallen „ … bei einer erfolgenden angemesse-
nen Ausstattung der Betreuungsbehörden nicht genau
bezifferbare Kosten für die öffentlichen Haushalte der
Länder an.“ Und weiterhin ist zu lesen, es sei doch
nicht abschätzbar, in welchem Umfang Entlastungen
entstehen. Ehrlich gesagt, auf dieser Grundlage fällt
es mir recht schwer, zu glauben, dass es zu einer Ver-
besserung kommen wird.

Wir werden uns im Rahmen einer öffentlichen Anhö-
rung noch ausführlicher mit dem Gesetzentwurf befas-
sen. Ich möchte hier daher nur kurz einige Aspekte
skizzieren, die ich für absolut notwendig halte, wenn
wir tatsächlich die Selbstbestimmungsrechte derjeni-
gen stärken möchten, die auf diese Form der Unter-
stützung angewiesen sind.

Es ist richtig, Betreuungen zu vermeiden, wenn an-
dere Formen der Unterstützung bedarfsgerecht sind.
Die Selbstbestimmung allein durch Vermeidung von
Betreuung zu stärken, ist aber nicht ausreichend. Dazu
sind auch materielle und verfahrensrechtliche Leis-
tungsverbesserungen im Sozialrecht nötig. Wir müssen
die Zusammenarbeit von Betreuungsvereinen und -be-
hörden untereinander und mit den Sozialleistungsträ-
gern verbessern. Nur so kann herausgearbeitet wer-
den, welche Form der Unterstützung und Assistenz die
individuell passendste ist. Darüber hinaus müssen die
Betreuungsvereine gestärkt werden. Die Unterstützung
und Qualifizierung ehrenamtlicher Betreuerinnen und
Betreuer ist nur möglich, wenn dazu die entsprechen-
den Mittel zur Verfügung stehen.

Nicht immer ist eine ehrenamtliche Betreuung mög-
lich oder sinnvoll. Rechtliche Assistenz bzw. Betreuung
ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Menschen mit einem
hohen Unterstützungs- und Assistenzbedarf brauchen
in einem besonderen Maße eine professionelle Betreu-
ung. Je qualifizierter die Betreuerinnen und Betreuer,
desto weniger werden gegenüber den Betreuten grund-
rechtsrelevante Eingriffe und stellvertretende Hand-
lungen vorgenommen. Aus diesem Grund ist es sinn-
voll, gesetzlich Eignungskriterien für berufliche
Betreuung festzuschreiben. Diese Professionalisierung
sollte sich auch in einem neuen Vergütungsbemes-
sungssystem widerspiegeln.

Was ich hier skizziere, ist nicht neu. Es gibt dazu
zahlreiche Stellungnahmen, Studien und Arbeitsgrup-
penergebnisse. Ich habe es bereits in meiner Rede zu
unserer Großen Anfrage und dem Entschließungsan-
trag gesagt: Wir müssen eine Debatte über die Quali-
tät rechtlicher Assistenz bzw. Betreuung führen, und
wir brauchen eine Debatte über das Zusammenspiel
sozialer und rechtlicher Leistungen. Dieser Gesetzent-
wurf ist zu kurz gesprungen. Er ist enttäuschend für all
diejenigen, die sich in den letzten 20 Jahren im Sinne
der Stärkung der Selbstbestimmung behinderter Men-
schen für die Verbesserung des Betreuungsrechts ein-
gesetzt haben. Es ist enttäuschend für diejenigen, die
in Betreuungsvereinen und -behörden für dieses Ziel
arbeiten. Und selbstverständlich ist es enttäuschend
für diejenigen, um deren Selbstbestimmungsrechte es
hier geht.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:

Das Betreuungsrecht sichert die Selbstbestimmung
von Menschen, die Unterstützung benötigen, um ihre
Angelegenheiten zu regeln. Die Zahl der Betreuten be-
trägt mittlerweile etwa 1,3 Millionen. In den allermeis-

Zu Protokoll gegebene Reden





Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


(A) (C)



(D)(B)


ten Fällen sind die Betreuer mit großem Engagement
und zum Wohle der Betroffenen tätig. Das möchte ich
angesichts der aktuellen Berichterstattungen hier
nochmals betonen: Betreuung ist vielmals willkom-
mene Hilfe. Aber sie ist auch ein Eingriff in die Selbst-
bestimmung, der deshalb engen gesetzlichen Grenzen
und der gerichtlichen Aufsicht unterliegt. Daher ist es
auch wichtig, im Betreuungsrecht immer wieder die
Frage zu stellen, wie es weiterentwickelt und verbes-
sert werden kann. Der Deutsche Bundestag hat sich
erst jüngst mit der Regelung der betreuungsrechtlichen
Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme be-
fasst und eine gute Regelung gefunden, die allen Betei-
ligten mehr Rechtssicherheit gibt.

Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es nun um
die grundlegende Frage, wie die richtige Unterstüt-
zung für einen Menschen mit Hilfebedarf aufgezeigt
werden kann, um Betreuungen – soweit möglich – zu
vermeiden. Das gibt uns auch die VN-Behinderten-
rechtskonvention auf, um das Selbstbestimmungsrecht
behinderter Menschen zu stärken.

Der vorliegende Regelungsvorschlag geht auf die
Arbeit einer interdisziplinär besetzten Arbeitsgruppe
unter dem Vorsitz des Bundesjustizministeriums zu-
rück. Diese Arbeitsgruppe hat im Rahmen ihrer zwei-
jährigen Arbeit Vorschläge unterbreitet, wie das Be-
treuungsrecht weiterentwickelt und verbessert werden
kann.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Vor-
schläge der Arbeitsgruppe – soweit sie Änderungen im
Bundesrecht betreffen – umgesetzt werden. Im Kern
geht es um die Stärkung des Erforderlichkeitsgrund-
satzes. Ein Betreuer darf nur dann bestellt werden,
wenn dies erforderlich ist. Die Prüfung des gesetzli-
chen Vorrangs anderer Hilfen setzt aber voraus, dass
das vor Ort vorhandene Hilfesystem bekannt ist und
den Betroffenen andere Hilfen und Unterstützungen
aufgezeigt werden können. Diese Kenntnisse sind bei
den Betreuungsbehörden vorhanden. Sie werden je-
doch derzeit leider nur in sehr unterschiedlichem Aus-
maß nutzbar gemacht und sind abhängig von der per-
sonellen Ausstattung der Behörde vor Ort.
Verschiedene regionale Projekte haben jedoch gezeigt,
dass sich ein erhöhter Einsatz sozialer Arbeit in den
Betreuungsbehörden lohnt. Das gilt sowohl für die Be-
troffenen, die dann ohne eine rechtliche Betreuung die
notwendige Unterstützung erhalten, als auch für die
Justizkasse, die bei Mittellosigkeit des Betroffenen die
Kosten einer Betreuung trägt.

Im Mittelpunkt der Regelungsvorschläge steht da-
her die Betreuungsbehörde, die mit ihrem Fachwissen
über soziale Hilfen andere Wege als den einer rechtli-
chen Betreuung aufzeigen oder in geeigneten Fällen
ehrenamtliche Betreuer vorschlagen kann. Ihr kommt
an der Schnittstelle zwischen Sozialrecht und Betreu-
ungsrecht eine Filterfunktion zu. Der Gesetzentwurf
enthält den Vorschlag, durch Änderungen im Verfah-
rensrecht und im Betreuungsbehördengesetz die Funk-
tionen der Betreuungsbehörde zu stärken.

Bereits vor einem etwaigen gerichtlichen Betreu-
ungsverfahren soll die Betreuungsbehörde in Zusam-
menarbeit mit den zuständigen Sozialleistungsträgern
die betroffenen Bürgerinnen und Bürger über soziale
Hilfen und andere Assistenzen informieren, die eine
Betreuung vermeiden können. Zum anderen soll der
Sachverstand der Betreuungsbehörde in das gerichtli-
che Verfahren besser eingebunden werden.

Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf folgende Re-
gelungen vor:

Erstens. Zur Feststellung des Sachverhalts im be-
treuungsgerichtlichen Verfahren soll die Anhörung der
Betreuungsbehörde verpflichtend vorgesehen werden.

Zweitens. Damit der Bericht der Betreuungsbehörde
gewissen Standards genügt, sollen für ihn qualifizierte
Kriterien gesetzlich festgelegt werden.

Drittens. Die Aufgaben der Betreuungsbehörde sol-
len im Betreuungsbehördengesetz konkreter als bisher
beschrieben werden; dabei liegt der Fokus auf der Be-
ratung, welche anderen Hilfen möglich sind.

Viertens. Schließlich soll gesetzlich verankert wer-
den, dass die Betreuungsbehörden ihre Aufgaben
durch Fachkräfte wahrnehmen.

Der Erfolg dieser Neuregelungen wird von der
praktischen Umsetzung vor Ort abhängen, also einer
angemessenen Ausstattung der Betreuungsbehörden.
Dafür soll ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung ge-
stellt werden.

Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht vergessen
werden: Der Abschlussbericht der interdisziplinären
Arbeitsgruppe enthält eine Reihe von Vorschlägen für
untergesetzliche Maßnahmen. Die Vorschläge für ge-
setzliche und untergesetzliche Maßnahmen bilden ein
zusammengehörendes Konzept, das zur Erzielung von
Verbesserungen in seiner Gesamtheit umzusetzen ist.
Untergesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung sind
in allen Bereichen – bei den Betreuungsgerichten, den
Betreuungsbehörden und Betreuungsvereinen – mög-
lich.

Der Entwurf ist damit ein erster Schritt zu einer
weiter zu führenden Diskussion über notwendige Ver-
änderungen im Betreuungsrecht, die durch eine ge-
plante Evaluation dieses Gesetzes begleitet werden
soll.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724044300

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/13419 an den Rechtsausschuss
vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel,





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Deutschen Innovationsfonds einrichten – Gra-
vierende Förderlücke im deutschen Innova-
tionssystem endlich schließen

– Drucksachen 17/11826, 17/13464 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Philipp Murmann
René Röspel
Dr. Martin Neumann (Lausitz)

Dr. Petra Sitte
Krista Sager

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1724044400

Man sieht sich immer zweimal im Leben. – So er-

ging es mir, als ich Ihren Antrag las, liebe Kollegen der
SPD; denn einen ähnlichen Antrag haben Sie schon
2010 gestellt, als wir die erfolgreiche Fördermaß-
nahme „Validierung des Innovationspotenzials wis-
senschaftlicher Forschung – VIP“ eingeführt haben.
Schon damals hatten wir Ihren Antrag mit großer
Mehrheit abgelehnt. Aber offensichtlich, nun kurz vor
Ende der Wahlperiode, haben Sie Ihren alten Antrag
noch einmal herausgekramt, ihn etwas umformuliert
und hoffen anscheinend, wir merken nicht, dass Ihnen
hier nichts Neues einfällt.

Liebe Kollegen der SPD, gehen Ihnen schon jetzt
die Ideen aus? In Ihrem Antrag fordern Sie die Been-
dung unseres erfolgreichen Validierungsprogramms
und fordern stattdessen die Einrichtung eines Innova-
tionsfonds. Mir scheint, hier geht es nicht um die
Sache; hier geht es einfach darum, eine neue Struktur
und neue Gremien zu schaffen, die keiner braucht.
Haben Sie sich denn schon einmal mit dem Begriff
„Validierung“ genauer auseinandergesetzt? Was ge-
nau versteht man darunter? Viele von uns haben eine
wissenschaftliche Ausbildung absolviert, und jeder
von uns hat dort das kleine Einmaleins der wissen-
schaftlichen Gütekriterien erlernt: erstens Objektivi-
tät, Reliabilität und drittens Validität. Vereinfacht aus-
gedrückt heißt das, dass erstens Forschungsergebnisse
unabhängig von der Einflussnahme des Forschers
sind, zweitens eine Messmethode zuverlässig ist, also
eine erneute Messung unter denselben Bedingungen
und mit denselben Methoden zu denselben Ergebnis-
sen kommt, und drittens die Untersuchung das erfasst,
was sie erfassen soll, bzw. das misst, was sie messen
soll. Letzteres Kriterium, die Validität, ist das wich-
tigste Kriterium, da es die Gültigkeit von Ursache-
Wirkungs-Zusammenhängen bezeichnet. Wenn wir
also von Validierung sprechen, sprechen wir vom
Nachweis der Reproduzierbarkeit eines Forschungser-
gebnisses.

Bei der Validierung hier geht es aber um viel mehr.
Es geht um Machbarkeitsuntersuchungen, um Analy-
sen zum Anwendungspotenzial, um die technische Wei-

terentwicklung mit Blick auf Produkt- und Prozessan-
forderungen. Für viele Forscherinnen und Forscher ist
die Phase der Validierung von grundlegender Bedeu-
tung. Hier entscheidet sich, ob herausragende Ideen
und Innovationen allein in Laboren, auf Schreibti-
schen oder in Werkstätten ihr Dasein fristen oder aber
den Sprung in die „Freiheit“ bzw. auf den „Markt“
schaffen. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler an Hochschulen von Bund und Ländern ist das eine
Zeit, in der sie strategische Unterstützung brauchen.
Unser Programm VIP gibt diese Unterstützung und
schließt gezielt und passgenau die Lücke zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft.

Ohne Forschung gibt es kein neues Wissen. Ohne
Forschung gibt es auch keinen Fortschritt. Die Grund-
lagenforschung bildet quasi die „Stammzelle“ dieses
neuen Wissens, aus der sich dann auch neue Produkte
generieren können. Unsere Grundlagenforschung bil-
det die Basis für bahnbrechende Anwendungen. Diese
sehr früh zu erkennen, ist jedoch schwierig und bedarf
besonderer Anstrengungen. Die nützlichen Anwen-
dungsmöglichkeiten der Forschungsergebnisse früh-
zeitig zu erkennen, ist für unsere Wirtschaft von exis-
tenzieller Bedeutung.

Wofür dient uns die Forschung, wenn wir die daraus
gewonnenen Ergebnisse nicht anwenden können? Ge-
nau darin liegt der Schlüssel. Denn wir alle wissen:
Innovationen sind der Motor für Wachstum und Wohl-
stand, und wir in Deutschland verfügen über hervorra-
gende Voraussetzungen dafür. Um das zu erreichen,
muss man zwischen zwei sehr unterschiedlichen
Betrachtungsweisen differenzieren: der Betrachtungs-
weise der Forscher und der der Unternehmer, zwei un-
terschiedliche Kulturen. Dem Forscher ist vor allem
an seiner Forschung gelegen. Er forscht, stellt Hypo-
thesen auf, führt Experimente durch. In seinen Augen
ist er erfolgreich, wenn er seine Ergebnisse veröffent-
lichen kann, zum Beispiel in einer renommierten
Zeitschrift, und die Anerkennung seiner Fachgenossen
bekommt. Aber „research for library“ allein, das wol-
len wir nicht.

Die Unternehmer dagegen stellen sich die Frage,
welche Produkte oder Verfahren sich aus der For-
schung ergeben können. Es bedarf folglich einem spe-
ziellen Betrachtungswinkels auf die Forschungsergeb-
nisse, und diesen Betrachtungswinkel auf die
Forschung haben wir mit unserer Fördermaßnahme
zur Validierung unterstützt. Wir wollen Forscher und
Unternehmer verbinden, und die Ergebnisse zeigen:
Das gelingt uns auch, das gelingt uns sogar gut.

Ich kann als Unternehmer nur bestätigen: Wir brau-
chen Forschergeist und Unternehmertun. Und genau
darauf zielt unser VIP-Programm.

Erst heute Morgen war die Fördermaßnahme VIP
Thema bei einer Veranstaltung der Helmholtz-
Gemeinschaft. Der Vertreter des Deutschen Zentrums
für Luft- und Raumfahrt hat sinngemäß Folgendes an-
gemerkt: Einerseits müssen Forscher die Industrie von





Dr. Philipp Murmann


(A) (C)



(D)(B)


ihrem Produkt, von ihrer Forschung überzeugen. Es ist
schwierig für sie, die Erwartungen der Industrie über
die Reife des Produkts zu erfüllen. Aber auch die
Industrie muss sich gegenüber dem Know-how der
Forscher öffnen und darf nicht nur die daraus resultie-
renden Patente begehren. Er sagte aber auch, dass die
Fördermaßnahme VIP genau an diesem Punkt ansetzt
und eine Lücke schließt, die bis 2010 offen war. VIP
hilft den Forschern dabei, ihre Produkte attraktiver für
die Wirtschaft zu machen, und oft bildet sich aus
diesem Projekt sogar eine Unternehmensgründung
heraus.

Unternehmensgründungen sind das Herz der deut-
schen Wirtschaft. Sie sind gerade für die Standhaftig-
keit unserer Wirtschaft in den jüngsten Krisenjahren
ein positives Beispiel. In neuen Unternehmen werden
innovative Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle
entwickelt und umgesetzt. Damit leisten sie einen
wichtigen Beitrag zum notwendigen strukturellen Wan-
del in Deutschland.

Leider haben einige von Ihnen in der Opposition
dies noch nicht erkannt. Sie verharren in ihren alten
Denkmodellen, der Staat müsse auch dieses richten
und regulieren.

Die Anwendung des Wissens in der praktischen Welt
des Lebens ist wichtig. Es geht um neue Produkte, um
neue Verfahren und um neue Arbeitsplätze – und zwar
solche mit Wissensvorsprung. Jedes Jahr werden in
neuen Unternehmen 500 000 Arbeitsplätze geschaffen.
500 000! Und: In Deutschland arbeiten heute mehr als
eine halbe Million Menschen im Bereich „Forschung
und Entwicklung“. Der Ausbau von Forschung und
Entwicklung wird immer mehr zu einem entscheiden-
den Faktor für den nachhaltigen Erfolg unserer Unter-
nehmen und damit auch zu einem entscheidenden Fak-
tor für regionale Entwicklungen. Doch angesichts der
globalen Herausforderungen muss Deutschland noch
stärker als bisher Innovationen hervorbringen und die
Leitmärkte prägen. Wir haben das erkannt und gehan-
delt: 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und For-
schung in dieser Legislaturperiode. Wir haben hier
klare Prioritäten gesetzt.

Lieber Herr Röspel: In Ihrer Rede vom 1. Juli 2010
zu jenem ähnlichen Antrag haben Sie Folgendes ge-
sagt: „Wir glauben, dass das von Ihnen vorgeschla-
gene Instrument versanden wird, da es keinen großen
Unterschied zur üblichen Projektförderung darstellt,
die vernünftigerweise seit Jahren durchgeführt wird.
Es wird nicht dazu führen, dass mehr Forschungspro-
jekte in kommerzialisierbare Produkte umgesetzt wer-
den. Folgen Sie unserem Weg. Er enthält weniger Bü-
rokratie, und er zeigt den Forschern eine vernünftige
Perspektive auf.“ Zum Glück für uns alle kann ich Ih-
nen mitteilen, dass vielmehr die Prognose von Herrn
Röspel versandet ist. Die Fördermaßnahme VIP ist er-
folgreich. Derzeit sind 70 VIP-Vorhaben mit einem Vo-
lumen von rund 96 Millionen Euro bewilligt worden.
Weitere 40 Vorhaben befinden sich gerade in der Be-
willingungsvorbereitung. Mit ihnen steigt das Investi-

tionsvolumen um weitere 46,2 Millionen Euro. Und
diese Woche findet sogar noch eine weitere Sitzung der
Gutachter statt, um noch mehr Projekte zu unterstüt-
zen, die noch bis Ende dieses Jahres gestattet werden
sollen.

Wenn Sie sich die Liste der Projekte anschauen, sind
viele spannende Themen dabei wie zum Beispiel die
Entwicklung eines neuen Wirkprinzips für Herzinsuffi-
zienz aus dem Bereich der Gesundheitsforschung oder
IKARUS, eine Infrarottechnologie zur Analyse von Ro-
torblättern und Hochseebedingungen, oder ein „Ge-
ruchsradar“ zur Lokalisierung und Quantifizierung
diffuser Quellen von Gerüchen. Mithilfe von VIP wer-
den innovative Forschungsergebnisse frühzeitig auf
ihre wirtschaftliche Nutzbarkeit hin validiert und wei-
terentwickelt. Es stellt den Wissenschaftlern das feh-
lende Know-how und die notwendigen Ressourcen be-
reit, erhöht die Chancen, dass Unternehmer später in
die neu erforschten Produkte investieren.

Also, lieber Herr Röspel: Warum etwas ändern,
wenn es gut läuft?

In Ihrem Antrag fordern Sie die Auflösung der För-
dermaßnahme VIP und die Einführung eines „Innova-
tionsfonds“ in Stiftungsform. Diesen Fonds wollen Sie
ab 2014 mit Mitteln in Höhe von 100 Millionen Euro
speisen und diese in den darauffolgenden Jahren noch
erhöhen. Was aber hier wieder einmal typisch SPD ist:
Sie unterbreiten einen Vorschlag ohne Refinanzie-
rungsvorschläge.

Sie sagen ja selbst, dass nur von einer geringen
Refinanzierung der Stiftung über Lizenzanteile auszu-
gehen ist. Liebe SPD-Fraktion, bei der Finanzierung
von Ideen hapert es mal wieder bei Ihnen. Oder darf es
noch eine kleine Steuererhöhung sein? Aber nicht nur
das. Sie würden mit Ihrem Vorschlag einen Keil in die
Säule der Projektförderung treiben. Wie wäre es denn,
wenn wir für jede einzelne Initiative einen unabhängi-
gen Fonds einrichten würden? Und ich erinnere Sie
gerne wieder an Ihre Worte von 2010, lieber Kollege
Röspel. Nicht weniger Bürokratie enthält Ihr „Innova-
tionsfonds“. Nein, ganz im Gegenteil, er führt auch
noch zu einem unnötig erhöhten koordinierenden und
administrativen Aufwand. Mit dem Fonds schaffen Sie
Doppelstrukturen, erhöhen den Verwaltungsaufwand
und erschweren eine flexible Handhabung und be-
darfsorientierte Steuerung der Validierungsförderung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müs-
sen die Erkenntnisse der Wissensgesellschaft besser
nutzen, damit wirtschaftliches Wachstum und Arbeits-
plätze nachhaltig gesichert werden. Wir brauchen
neue Produkte und Anwendungen. Dafür bietet beson-
ders die Vernetzung von Forschung und Anwendung
viel Potenzial.

Und genau hier haben wir mit unserer Fördermaß-
nahme „Validierung des Innovationspotenzials wis-
senschaftlicher Forschung – VIP“ bereits in 2010 an-
gesetzt. Sie ist ein wichtiges Instrument, um unsere
erfolgversprechenden Forschungsergebnisse weiter-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Philipp Murmann


(A) (C)



(D)(B)


zuverfolgen, damit diese nicht für eine potenzielle
Verwertung verloren gehen. Wir werden diesen erfolg-
reichen Weg weitergehen. Daher, lieber Kollege
Röspel, müssen wir Ihren Antrag ablehnen, erneut.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1724044500

Als Forschungspolitikerinnen und Forschungspoli-

tiker haben wir es täglich vor Augen: Deutsche Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten Tag für
Tag Herausragendes. Ob in der Mikrosystemtechnik,
in der Biotechnologie oder in den Sozialwissenschaf-
ten, deutsche Forschung ist weltweit anerkannt, inter-
national vernetzt und nicht selten führend im jeweili-
gen Themengebiet. Eine unserer Stärken ist die
Grundlagenforschung. Hierbei wird Wissen unabhän-
gig von möglichen gesellschaftlichen oder wirtschaft-
lichen Anwendungen erforscht und kreiert. Es geht
also allein um den Wissensdrang der beteiligten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Als Staat
unterstützen wir dies zum Beispiel durch die Grund-
finanzierung der Hochschulen, durch Fördermittel der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG, oder die
Gelder für die Wissenschaftsorganisationen wie die
Max-Planck-Gesellschaft. Doch auch im Grundlagen-
bereich existieren viele Erkenntnisse mit einem hohen
Anwendungspotenzial. Eine strukturierte und ehrliche
Prüfung der Verwertbarkeit erfolgt aber leider noch
immer viel zu selten.

Innovationsexpertinnen und -experten sowie Vertre-
terinnen und Vertreter aus der Wirtschaft weisen uns
deshalb immer wieder darauf hin, dass aufgrund des
Fehlens von Finanzierungsmöglichkeiten und -struktu-
ren die großen Fortschritte aus der Forschung an
Hochschulen und der außeruniversitären Forschung
viel zu selten ihren Weg in eine kommerzielle Anwen-
dung finden. Es brauche deshalb neue Instrumente, um
nach einer erfolgreichen Projektförderung im Rahmen
von DFG oder Bundesministerium für Bildung und
Forschung, BMBF, die gewonnenen Erkenntnisse in
kommerziell verwertbare Produkte und Dienstleistun-
gen weiterzuentwickeln.

Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
wollen diesem Problem der Innovationslücke dauer-
haft begegnen und haben mithilfe von Expertinnen und
Experten ein Konzept entwickelt, welches wir in Form
des vorliegenden Antrages konkretisiert haben. Wir
setzen uns daher für die Einrichtung eines „Deutschen
Innovationsfonds“ ein. Dieser soll als Stiftung mit ei-
ner starken finanziellen Grundausstattung durch den
Bund langfristig eigenständig organisatorische und in-
haltliche Unterstützung von Forscherinnen und
Forschern im Rahmen von Validierungsprojekten ge-
ben und eine Finanzierung von Validierungsprojekten
sowie eine Koordination mit Unternehmen und Risiko-
kapitalgebern anbieten. Durch gezielte Maßnahmen
sollen Forscherinnen und Forscher so in die Lage ver-
setzt werden, Innovations- und industrielle Verwer-
tungspotenziale ihrer Erkenntnisse besser zu identifi-
zieren.

Die Aussprache im Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgeabschätzung hat jedoch eines
deutlich gezeigt: Die Regierungsfraktionen haben kein
Interesse daran, sachlich über strukturelle Verbesse-
rungen der Innovationsfähigkeit Deutschlands nach-
zudenken oder verstehen das Kernproblem nicht.
Lieber loben CDU/CSU und FDP das VIP-Programm
des BMBF. Dabei ist dieses Programm nicht mehr als
eine Anschlussfinanzierung für Projekte, die nicht
mehr im Rahmen anderer Projektförderungen geför-
dert werden können. Insofern ist es grundsätzlich kein
schlechtes Programm, aber es erreicht eben nicht das
gesteckte Ziel und kann dies von seinem Aufbau her
auch gar nicht. Die guten Abflüsse des Programms
sind somit kein Zeichen dafür, dass die Innovationslü-
cke geschlossen wird, sondern nur, dass hier eine zu-
sätzliche, gut ausgestattete Projektförderung gern
nachgefragt wird.

Wenn das VIP-Projekt ein wirklich so einschlagen-
der Erfolg für die Schließung der Innovationslücke
wäre, warum hat dann die Max-Planck-Gesellschaft
ihr Instrument für diesen Bereich, die Max-Planck-
Innovation GmbH, noch nicht wegen Arbeitsmangel
eingestellt bzw. und noch viel wichtiger, warum hat die
Helmholtz-Gemeinschaft kurz nach der Ankündigung
des VIP-Förderprogramms ein eigenes Instrument
vorgestellt, den Helmholtz-Validierungsfonds? Wenn
es so gut stehen würde um den Wissenstransfer, wie es
das BMBF und die Regierungsfraktionen unisono er-
klären, dann wären diese Einrichtungen der außeruni-
versitären Forschungsorganisationen doch eigentlich
überflüssig.

Es ist traurig, dass das BMBF offenkundig so stark
in der klassischen Fördermethodik erstarrt ist, dass
Vorschläge, wie es uns besser gelingt, Innovationen
aus der Grundlagenforschung in die kommerzielle Ver-
wertung zu bringen, ohne inhaltliche Auseinanderset-
zung im Fachausschuss des Bundestages abgelehnt
werden. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, hätte es gut getan, sich vielmehr eine eigene
Meinung von unserem Instrument zu machen und dem
BMBF nicht überall nach dem Mund zu reden. Denn
wirkliche Innovationen im Bereich des Wissensstrans-
fers kann man unter dieser Führung von diesem Hause
nicht erwarten. Schade!

Vonseiten der Grünen wurde ihre im Ausschuss an-
gekündigte Enthaltung gegenüber unserem Antrag mit
der nach ihrer Sicht vergleichsweise hohen Anschubs-
finanzierung für den Innovationsfonds in Höhe von
100 Millionen Euro im Jahr 2014 begründet. Solche
Summen kritisch zu hinterfragen, ist natürlich richtig.
Wir halten es dennoch für sinnvoll einen Fonds in Stif-
tungsform, der dauerhaft eine Veränderung im Innova-
tionsgeschehen in Deutschland herbeiführen soll, auch
ausreichend auszustatten, zumal die VIP-Projektförde-
rung des Bundes sich schon in dieser Größenordnung
bewegt.

Wir brauchen kluge Ideen und mutige Schritte, um
die Innovationsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Der

Zu Protokoll gegebene Reden





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


Ideenreichtum der Regierungsfraktion beschränkt sich
auf eine „Tonnagementalität“: mehr Geld im BMBF-
Etat gleich mehr Innovationen. Diese Rechnung wird
nicht aufgehen, und die Reformarmut unter CDU/CSU
und FDP wird uns schmerzhaft in den nächsten zehn
Jahren vor Augen geführt werden. Mit der Ablehnung
unseres Antrages durch die Koalitionsfraktionen wird
eine weitere Chance verpasst, die Förderungslücke im
deutschen Wissenschaftssystems endlich zu schließen.


Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1724044600

Der Antrag „Deutschen Innovationsfonds einrich-

ten – Gravierende Förderlücke im deutschen Innova-
tionssystem endlich schließen“ der Fraktion der SPD
widmet sich zweifelsohne einem wichtigen Punkt in der
Technologie- und Innovationsförderung. Die so-
genannte Validierungsforschung als ein – wie es im
Antrag der SPD genannt wird – „unabhängiger
‚Stresstest‘ zur Überprüfung des Realisierungs- und
Wertschöpfungspotenzials einer Idee bzw. einer wis-
senschaftlichen Innovation“ schließt die Lücke zwi-
schen Grundlagenforschung und der anwendungs-
orientierten Forschung und Entwicklung. Jedoch
wissen wir, dass der Transfer wissenschaftlicher Er-
gebnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwen-
dung nicht automatisch erfolgt. Damit Forschungser-
gebnisse in marktreife Produkte und Dienstleistungen
überführt werden können, bedarf es einer umfassenden
Förderung. Nicht nur im finanziellen Sinne muss ge-
fördert werden, sondern insbesondere durch eine un-
terstützende Beratung, durch eine Analyse des wirt-
schaftlichen Potenzials.

Diese christlich-liberale Koalition hat bereits 2010
ein Programm initiiert, um diese Lücke zu schließen.
Ich erinnere an das von dieser Koalition aufgelegte
Validierungsprogramm „Validierung des Innovations-
potenzials wissenschaftlicher Forschung, VIP“. Es ist
eben nicht so, dass eine gravierende Förderlücke be-
steht, wie die SPD im Antrag glauben machen möchte.
Auch bestehen keine „Defizite in den Strukturen zum
Transfer“, wie im Antrag argumentiert wird. Selbst-
verständlich sind diese Formulierung wie der gesamte
Antrag der SPD nur ein letzter Versuch, um beim
Thema Validierungsforschung noch einen Pflock ein-
zuschlagen, indem ein alternativer Vorschlag konstru-
iert und unterbreitet wird. Die SPD möchte nicht als
Letzter durchs Ziel gehen und sich vorhalten lassen,
zum Thema Validierungsforschung keinen eigenen
Vorschlag auf den Tisch gelegt zu haben. Deshalb
bringt die SPD hier einen an Inhalt stark ausgedünn-
ten Antrag vor, der nichts Neues, nichts anderes als
Vorschlag unterbreitet als das, was schon längst be-
steht.

Mit dem Validierungsprogramm VIP ist diese christ-
lich-liberale Koalition den Empfehlungen der Exper-
tenkommission für Forschung und Innovation ganz
klar gefolgt. Wir fördern aktuell 70 VIP-Vorhaben mit
rund 96 Millionen Euro. Weitere 40 VIP-Vorhaben mit
einem Volumen von rund 46 Millionen Euro sind zu-

dem in der Bewilligungsvorbereitung. Die SPD fordert
die Bundesregierung auf, einen Fonds mit einem Volu-
men von 100 Millionen Euro einzurichten. Der Ver-
gleich der Fördersummen zeigt: Wir sind alleine schon
in diesem Punkt viel weiter.

Grundsätzlich muss am Antrag der SPD vor allem
aber die vorgeschlagene Fondslösung bemängelt wer-
den. Der Fonds soll in Stiftungsform extern und unab-
hängig eingerichtet werden. Jedoch ist ein solcher
Fonds aber nur dann sinnvoll, wenn er durch Rück-
flüsse refinanziert wird. Die SPD aber schreibt in ih-
rem Antrag, dass sie von einer „geringen Refinanzie-
rung der Stiftung über Lizenzanteile“ ausgeht.
Demnach würde der Fonds weiterhin nur von Zustif-
tungen leben können. Inwieweit damit eine Unabhän-
gigkeit und Kontinuität gewährleistet wird, bleibt
bislang als Frage offen. Ebenso ist kritisch zu hinter-
fragen, inwieweit die Wirtschaft in dieser frühen Phase
Zustiftungen leisten wird. Im schlimmsten Fall wird
der Bund den Fonds durch eine weitere Finanzierung
am Leben halten müssen, und das für eine vermeintli-
che Lösung, die unnötig ist und dadurch nur Unsicher-
heit schafft.

Das Validierungsprogramm VIP ist bislang sehr er-
folgreich angelaufen. Es hat als Instrument einen
Bedarf angesprochen, das zeigen die Zahlen an geför-
derten VIP-Vorhaben. Aktuell wird das Validierungs-
programm durch eine laufende Evaluation in seiner
positiven Wirkung bestätigt. Der Vorschlag der SPD,
dieses Instrument nun auslaufen zu lassen und durch
einen Fonds abzulösen, weil es eine „im System der
klassischen Projektförderung verhaftete Fördermaß-
nahme“ ist, scheint wenig überzeugend. Im gesamten
Antrag wird kein stichhaltiges Argument vorgebracht.
Damit kann die FDP dem Antrag in keinster Weise fol-
gen. Wir lehnen den Antrag ab.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724044700

Die SPD beantragt die Einrichtung einer Stiftung,

deren Aufgabe die Suche nach und die Umsetzung von
wirtschaftlich verwertbaren Forschungsergebnissen
insbesondere aus der Projektförderung werden soll.
Diese soll mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden.
Die Stiftung soll eigenständig und unabhängig von den
Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern so-
wie der Politik arbeiten, um ausschließlich die Chan-
cen einer kommerziellen Umsetzung neuer Ideen in
den Vordergrund zu rücken. Die Stiftung soll sich vom
bereits laufenden Programm zur Validierungsfor-
schung VIP des BMBF durch eine unabhängige Be-
wertung durch professionelle Berater absetzen und das
besagte Programm des BMBF im Gegenzug eingestellt
werden.

Grundsätzlich können wir die im Antrag beschrie-
bene Umsetzungslücke von der Forschung in die An-
wendung bestätigen. Die Frage ist jedoch, ob die ge-
stellte Analyse der Ursachen dieser Lücke stimmig ist.
Wir haben es zunächst offenbar mit einem spezifisch
deutschen Problem zu tun, das in einer eher konserva-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


tiven, profitstarken und wenig risikofreudigen In-
dustrielandschaft besteht. Wagniskapitalmärkte sind
hierzulande vorhanden, aber setzen zu wenig auf
Hightechbereiche bzw. forschungsintensive Innovatio-
nen. Daran ändern auch Transferagenturen und
Validierung zunächst wenig. Trotzdem zeigen die
Transfergesellschaften etwa der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen wie Max Planck Innovation
GmbH oder der Helmholtz Validierungsfonds, dass
solche Einrichtungen sinnvolle, wenn auch im Verhält-
nis zur Größe und zum Budget der Forschungsorgani-
sationen eher geringe Effekte für den Ideentransfer in
die Wirtschaft bringen können. Die Validierungsfor-
schung könnte in diesem Zusammenhang ein Instrument
sein, um das technologiespezifische Förderportfolio der
Bundesministerien insbesondere des Forschungs- und
des Wirtschaftsministeriums zielgerichteter auf die
Umsetzung hin zu orientieren.

Bedenken haben wir wegen der Stiftungskonstruk-
tion. Das Ziel, der Expertise eine gewisse Unabhän-
gigkeit zu verschaffen, erkennen wir an. Stiftungen
sind jedoch stark von vielen Faktoren wie etwa dem
Kapitalmarkt und der Expertise der Vermögensverwal-
tung abhängig. Bei Missmanagement ist schnell der
Staat in der Verantwortung, etwaige Verluste auszu-
gleichen. Zudem sprechen wir uns gegen eine Kreditfä-
higkeit einer solchen Stiftung aus.

Alles in allem ist der im Antrag geforderte Validie-
rungsfonds eine sinnvolle Idee, die aus unserer Sicht
noch weiterentwickelt werden muss.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724044800

In ihrem Jahresgutachten 2009 hat die Experten-

kommission Forschung und Innovation sich schwer-
punktmäßig mit dem Wissens- und Technologietransfer
zwischen öffentlich finanzierten Forschungseinrich-
tungen und der Wirtschaft beschäftigt. Dabei identifi-
zierte sie eine Lücke im deutschen Innovationssystem.
Nicht alle Forschungsergebnisse und Entwicklungen
aus dem Wissenschaftsbereich, die prinzipiell zu
Innovationen führen könnten, werden tatsächlich zu
Innovationen. Das liegt daran, dass bei manchen Er-
findungen und Forschungsergebnissen nicht unmittel-
bar ersichtlich ist, ob sie sich für eine kommerzielle
Verwertung eignen oder nicht. Vielmehr muss ihr
Potenzial für eine kommerzielle Nutzung in einem Zwi-
schenschritt von Experten überprüft werden, bevor das
weitere Vorgehen entschieden werden kann.

Diese Prüfung kann mitunter sehr aufwändig sein,
in finanzieller wie in zeitlicher Hinsicht, und erfordert
zudem spezielle Expertise, über die marktnahe Exper-
ten aus Wissenschaft und Wirtschaft verfügen, oft aber
nicht die Forscherinnen und Forscher selber. Ob sich
der Aufwand lohnt, ist naturgemäß höchst ungewiss.
Privates Risikokapital lässt sich daher für diese Auf-
gabe nur schwer mobilisieren. Erst recht können es
sich viele kleine und mittlere Unternehmen nicht leis-
ten, ohne entsprechende Expertise solch prinzipiell

hohe Risiken einzugehen. Genauso wenig erreicht die
klassische Projektförderung gerade jene Vorhaben, de-
ren Potenzial höchst ungewiss ist. Die Folge ist, dass
ein relevanter Teil der im öffentlichen Bereich gene-
rierten neuen Erkenntnisse nicht optimal genutzt wer-
den kann.

Die Expertenkommission Forschung und Innova-
tion der Bundesregierung empfahl daher noch vor Be-
ginn dieser Legislaturperiode, eine echte Validie-
rungsprüfung für unsichere Projekte in das Spektrum
der Fördermöglichkeiten für den Wissens- und Techno-
logietransfer einzubeziehen.

Leider hat die Bundesregierung diese Anregung mit
dem Alibi-Programm „Validierung des Innovations-
potenzials wissenschaftlicher Forschung“ dann nur
halbherzig aufgegriffen. Dieses Programm entpuppt
sich aber inzwischen als eine Variante der klassischen
Projektförderung, bei dem die Bewilligung danach
läuft, welche Projekte am aussichtsreichsten sind, und
bei dem die Antragsteller selbst für den nötigen markt-
nahen Sachverstand sorgen müssen. Selbstverständ-
lich trifft das Programm auf Zustimmung bei den
Antragstellern – aber die diagnostizierte Förderlücke
schließt es gerade nicht.

Die SPD stellt nun zum zweiten Mal den Antrag,
sich bei der Förderung der Validierungsforschung auf
Vorhaben zu konzentrieren, deren kommerzielles Po-
tenzial tatsächlich höchst ungewiss ist. Als Instrument
wird ein Fonds in Stiftungsform vorgeschlagen, aus
dem Validierungsprojekte finanziert werden sollen, der
die Forscherinnen und Forscher unterstützt und die
Expertise marktnaher Experten mit einbringt. Wir un-
terstützen den Vorschlag, ein solches Instrument aus-
zuprobieren.

Über die Ausgestaltung im Detail sollte aber erst
noch einmal beraten werden, am besten unter Einbe-
ziehung entsprechender Experten. Besonders die For-
derung, dieses Vorhabens ab 2014 mit 100 Millionen
Euro auszustatten, möchten wir hier nicht leichtfertig
durchwinken. Gerade weil es sich bei den zu unterstüt-
zenden Projekten um besonders risikobehaftete Vorha-
ben handeln wird, können wir nicht von einer Refinan-
zierung ausgehen, sondern eine Aufzehrung des
Kapitals wäre auch im Bereich des Möglichen. Das
heißt, dass die öffentliche Refinanzierung des Fonds
dauerhaft gesichert werden müsste. Deshalb werden
wir uns bei der Abstimmung enthalten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724044900

Wir kommen infolgedessen gleich zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/13464, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/11826 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten.
Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfrak-
tion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 47:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Verfahrensrechte von Be-
schuldigten im Strafverfahren

– Drucksache 17/12578 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/13528 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Burkhard Lischka
Jörg van Essen
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag

Die Reden werden zu Protokoll genommen. Wir ha-
ben das auch in der Tagesordnung so ausgewiesen.


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1724045000

Am 14. März 2013 wurde in erster Lesung der Ge-

setzentwurf der Bundesregierung zur Beteiligung von
Beschuldigten im Strafverfahren beraten. Im Nach-
gang zur ersten Lesung gab es noch intensive parla-
mentarische Beratungen. Hierbei stellten sich noch ei-
nige offene Fragen. All diese Fragen konnten aber
mittels Ergänzung der Gesetzesbegründung und durch
den vorliegenden Änderungsantrag zur vollen Zufrie-
denheit gelöst werden. Diesen klugen Änderungen ist
auch der Umstand geschuldet, dass wir dieses Verfah-
ren nun mit Stimmen der SPD-Fraktion und der Koali-
tion verabschieden können.

Zu dem Gesetz und den einzelnen Änderungen sind
folgende Anmerkungen zu machen. Mit dem nun vor-
liegenden Gesetz werden die europarechtlichen Vorga-
ben aus der Richtline 2010/64/EU und der Richtline
2012/13/EU in das nationale Recht umgesetzt.

In den Bereichen, in denen durch die europäischen
Vorgaben Anpassungsbedarf bestand, wurden die not-
wendigen Veränderungen vorgenommen. Dabei war
der Umsetzungsbedarf aufgrund bereits bestehender
Regelungen sowohl im Bereich der Übersetzungs- und
Dolmetscherleistungen als auch im Bereich der Infor-
mations- und Belehrungsrechte des Beschuldigten ge-
ring. Deutschland verfügt im Bereich des Strafverfah-
rens bereits über ein hohes Schutzniveau, welches
durch die europäischen Vorgaben nur einige Konkreti-
sierungen erfährt, so etwa hinsichtlich des Rechts auf
Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Straf-
verfahren. Dabei konzentriert der vorliegende Gesetz-
entwurf die notwendigen Anpassungen in § 187 GVG.

Bereits aus Art. 6 Abs. 3 EMRK Buchstabe e EMRK
ergibt sich der grundlegende Anspruch einer beschul-
digten oder verurteilten Person auf unentgeltliche
Übersetzungs- oder Dolmetscherleistungen während
des gesamten Strafverfahrens. Schon nach bisheriger

Rechtslage und Praxis wurde diesem grundlegenden
Anspruch Rechnung getragen.

Der Gesetzentwurf schlägt daher in § 187 Abs. 1
Satz 1 GVG-E lediglich eine geringfügige sprachliche
Anpassung der derzeit geltenden Regelung vor und er-
gänzt einen neuen § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG-E. Die Richt-
linie 2012/13/ EU sieht in Art. 3 Abs.1 Buchstabe d eine
Belehrungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmet-
scherleistungen vor. Diese Vorgabe wird im neuen Satz
2 normiert.

In § 187 Abs. 2 GVG-E wird der Anspruch auf
Übersetzung inhaltlich ausgestaltet. Dieser Anspruch
auf Übersetzung dient der Umsetzung von Art. 3 der
Richtlinie 2010/64/EU. In der Regel ist nach dem
Gesetzentwurf eine schriftliche Übersetzung von
freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Ankla-
geschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen
Urteilen erforderlich. Eine lediglich auszugsweise
Übersetzung reicht nach § 187 Abs. 2 Satz 2 GVG-E
aber dann aus, wenn schon dadurch die Verteidigungs-
rechte der beschuldigten Person ausreichend gewahrt
werden. Ein vollständiges Absehen von der schriftli-
chen Übersetzung soll schließlich nach Maßgabe der
Sätze 4 und 5 möglich sein.

Im Rahmen der Beratungen hatte Kollege Montag
die Ausgestaltung dieses Regel-Ausnahmeverhältnis-
ses angemahnt und behauptet, der Umsetzungsentwurf
der Bundesregierung gehe am Geist der Richtline vor-
bei. Dabei ergab die fachliche Bewertung seitens des
Bundesjustizministeriums, dass der weite Ausnahme-
tatbestand in § 187 Abs. 2 Satz 4 und Satz 5 GVG-E,
der auch mit Blick auf die Akzeptanz der Neuregelung
in den Ländern vorgeschlagen wurde, systematisch
dem Vorbild der Richtlinie nachgebildet und auch im
Wortlaut eng an die Richtline angelehnt wurde. Eben-
falls steht die Ausgestaltung des Regel-Ausnahmever-
hältnisses auch im Einklang mit den von der Recht-
sprechung entwickelten Kriterien.

Gemäß § 187 Abs. 3 GVG-E kann die beschuldigte
Person auf die Übersetzung verzichten, wenn sie zuvor
belehrt wurde. Belehrung und Verzicht sind zu doku-
mentieren. Mit dieser Regelung wird Art. 3 Abs. 8 der
Richtlinie 2010/64/ EU umgesetzt.

§ 187 Abs. 4 GVG-E entspricht dem bisher gelten-
den § 187 Abs. 2 GVG.

Auch § 189 GVG wird geringfügig geändert. Es
wird ein neuer Absatz 4 angefügt. Dieser dient der
Umsetzung des Art. 5 der Richtline 2010/64/EU. Im
neuen Absatz 4 wird festgelegt, dass der Dolmetscher
oder Übersetzer ,,über Umstände, die ihm bei seiner
Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit
wahren“ muss. Diese Ergänzung ist notwendig, da die
Verpflichtung aller herangezogenen Dolmetscher zur
Verschwiegenheit nach aktueller Rechtslage nicht ein-
heitlich normiert ist. Der Bundesrat hatte den Standort
dieser Regelung infrage gestellt und eine Verortung
der gesetzlichen Regelung in § 187 GVG vorgeschla-





Dr. Patrick Sensburg


(A) (C)



(D)(B)


gen. Damit würde eine Geltung lediglich im Strafver-
fahren bestehen.

In der Begründung zur Beschlussempfehlung heißt
es dazu, dass im Interesse der Verfahrensbeteiligten
die Neuregelung zur Verschwiegenheit der Dolmet-
scher nicht nur auf das Strafverfahren zu begrenzen ist,
sondern für alle Verfahren der ordentlichen Gerichts-
barkeit gelten soll.

Hinsichtlich des Rechts auf Belehrung und Unter-
richtung im Strafverfahren wurden nur punktuell Er-
weiterungen der Vorschriften der StPO vorgenommen.

So findet sich in § 37 Abs. 3 StPO-E nun die Rege-
lung, dass in den Fällen des § 187 Abs. 1 und Abs. 2
GVG-E ,,das Urteil zusammen mit der Übersetzung“
zuzustellen ist.

§ 114 b Abs. 2 Satz 2 StPO-E legt fest: ,,Ein Be-
schuldigter, der der deutschen Sprache nicht hinrei-
chend mächtig ist oder der hör- oder sprachbehindert
ist, ist in einer verständlichen Sprache darauf hinzu-
weisen, dass er nach Maßgabe des § 187 Abs. 1 bis 3
des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte
Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines
Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann.“
Durch diese Regelung wird die in Art. 3 Abs. 1 Buch-
stabe d der Richtline 2012/13/EU vorgesehene Beleh-
rungspflicht hinsichtlich des Rechts auf Dolmetscher-
leistungen umgesetzt.

Weiterhin wird in der Beschlussempfehlung der Re-
gierungskoalition der Vorschlag des Bundesrates un-
terstützt, eine Verweisung in § 114 b Abs. 2 Satz 1
Nummer 4a StPO auf § 141 Absatz 1 und 3 der Straf-
prozessordnung aufzunehmen. Dieser Verweis soll
klarstellen, dass sich die Belehrungspflicht auch auf
das in § 141 StPO geregelte Verfahren der Bestellung
des Pflichtverteidigers erstreckt. Es soll mit der Neu-
regelung jedoch keine Änderung bezüglich der Aus-
legung und Anwendung des § 141 Abs. 3 StPO einher-
gehen.

§ 136 Abs. 1 Satz 3 StPO-E schließlich ergänzt die
bisherige Rechtslage um den Zusatz ,,und unter den
Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 die Bestellung
eines Verteidigers beanspruchen“. Art. 3 Abs. 1 Buch-
stabe b der Richtline 2012/13/EU schreibt eine Beleh-
rung des Beschuldigten über einen möglichen An-
spruch auf unentgeltliche Rechtsberatung vor. Ein
solcher Hinweis erfolgte nach geltender Rechtslage
grundsätzlich nicht. Daher war eine entsprechende
Ergänzung notwendig.

Die Beschlussempfehlung der Regierungskoalition
sieht ebenfalls einen Verweis in § 136 Abs. 1 StPO-E
auf § 141 Abs. 1 und 3 StPO vor. Dieser soll klarstel-
len, dass sich die Belehrungspflicht auch auf das in
§ 141 StPO geregelte Verfahren bei der Bestellung des
Pflichtverteidigers erstreckt. Insoweit wird bereits in
der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass mit
der Neuregelung keine Änderung bezüglich der Ausle-

gung und Anwendung des § 141 Abs. 3 StPO einherge-
hen soll.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem ent-
sprechenden Änderungsantrag werden die beiden
Richtlinien effektiv in das nationale Recht umgesetzt.
Dabei wird ein guter Ausgleich zwischen den europäi-
schen Verpflichtungen einerseits und nationalen An-
forderungen des Strafverfahrensrechts andererseits
geschaffen. Das Gesetz ist damit ein weiterer Erfolg
der christlich-liberalen Koalition.


Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1724045100

Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bun-

desregierung zur Stärkung der Verfahrensrechte von
Beschuldigten im Strafverfahren. Der Gesetzentwurf
dient der Umsetzung zweier Richtlinien im Bereich des
Strafverfahrens, einmal über das Recht auf Dolmetsch-
leistungen und Übersetzungen und zum anderen über
das Recht auf Belehrung und Unterrichtung.

Ein notwendiges Gesetz, ein gutes Gesetz, und dank
umfänglicher und guter Vorarbeiten früherer SPD-
Justizministerinnen zur Verbesserung der Verfahrens-
rechte von Beschuldigten in Strafverfahren eben auch
ein überschaubarer Gesetzentwurf, waren doch nur
noch punktuelle Nachbesserungen erforderlich.

So regelt der Gesetzentwurf die Verpflichtung zur
Übersetzung verfahrenswichtiger Dokumente, in der
Regel freiheitsentziehende Anordnungen sowie von
Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräfti-
gen Urteilen. Er statuiert die Verschwiegenheitsver-
pflichtung der Dolmetscher und die Pflicht des Rich-
ters, darauf hinzuweisen. Zukünftig soll der Anspruch
auf Dolmetschleistungen nicht auf die richterliche Ver-
nehmung begrenzt sein, sondern auch bei Vernehmun-
gen durch Staatsanwaltschaft und Polizei bestehen.
Auch darüber ist der Beschuldigte zukünftig zu beleh-
ren.

Schlussendlich soll der Beschuldigte zukünftig
bereits bei der Festnahme über das Recht auf Dol-
metschleistungen, die mögliche Beantragung eines
Pflichtverteidigers und über Auskunfts- und Aktenein-
sichtsrechte belehrt werden.

Wir werden dem Entwurf der Bundesregierung mit
den von der Koalition angestrebten Änderungen zu-
stimmen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1724045200

Mit der heutigen zweiten und dritten Beratung des

Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Be-
schuldigten im Strafverfahren gewährleisten wir die
Umsetzung der ersten beiden EU-Richtlinien zur
Schaffung europäischer Mindeststandards für Be-
schuldigte. Damit zeigt die Koalition, dass sie ihr Ziel
der Regelung einheitlicher EU-weiter Mindestverfah-
rensrechte nicht aus den Augen verloren und die weni-
gen in unserem Recht erforderlichen Anpassungen zur
Stärkung der Beschuldigtenrechte zeitgerecht vorge-
nommen hat.

Zu Protokoll gegebene Reden





Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)


Schwerpunkt bei der Umsetzung der Richtlinie über
das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzun-
gen ist die Regelung einer ausdrücklichen gesetzlichen
Pflicht zur schriftlichen Übersetzung verfahrenswich-
tiger Dokumente, insbesondere von Strafurteilen. Er-
fasst ist nach der Neuregelung das schriftliche Urteil
einschließlich der Urteilsgründe, nicht aber die bereits
im Rahmen der Verkündung des Urteils dargelegten
Ausführungen des Gerichts oder gar lediglich die Ur-
teilsformel. Angeführt im Gesetzentwurf werden bei-
spielhaft weitere wichtige Dokumente wie der Strafbe-
fehl oder die Anklageschrift. Dadurch entspricht der
Gesetzentwurf der Leitlinie der Richtlinie, die darin
besteht, dass alle wichtigen zur Verteidigung notwen-
digen Dokumente grundsätzlich schriftlich übersetzt
werden.

Darüber hinaus wird durch den Gesetzentwurf auch
die weitere Richtlinie, welche die Belehrungs- und Un-
terrichtungsrechte des Beschuldigten betrifft, umge-
setzt. Hervorzuheben ist dabei die nun vorgesehene
Belehrung über das Recht auf Dolmetscherleistungen.
Das Gericht ist nun verpflichtet, Beschuldigte oder
Verurteilte, die der deutschen Sprache nicht hinrei-
chend mächtig oder hör- oder sprachbehindert sind,
auf dieses Recht hinzuweisen. Dies gilt auch für den
Fall der Festnahme.

Die in dem Änderungsantrag der Koalition aufge-
nommenen Änderungsvorschläge des Rechtsausschus-
ses führen zu einer Klarstellung und Vereinfachung des
Gesetzentwurfs. Durch die ergänzende Vorschrift des
§ 189 Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz wird klarge-
stellt, dass die als Dolmetscher oder Übersetzer he-
rangezogenen Personen in jedem Fall Verschwiegen-
heit über die Umstände wahren sollen, von denen sie
bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Kenntnis erlangen.
Durch die eingeführte Belehrungspflicht des Gerichts
in § 189 Abs. 4 Satz 2 wird die Einhaltung dieses Be-
schuldigtenrechts wesentlich gestärkt.

Des Weiteren stellt der Änderungsantrag ausdrück-
lich fest, dass mit der Neuregelung keine Änderungen
bezüglich der Auslegung und Anwendung der Vor-
schriften über die Bestellung eines Pflichtverteidigers
einhergehen.

Der Gesetzentwurf entspricht in seiner jetzigen Fas-
sung den Leitlinien der EU-Richtlinien und stellt einen
verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem staatli-
chen Verfolgungsinteresse einerseits und dem Schutz
des Beschuldigten andererseits dar. Ich bitte Sie aus
diesem Grund um Ihre Zustimmung.


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724045300

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umset-

zung europäischen Rechts. Dabei geht es zum einen um
das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzun-
gen im Strafverfahren und zum anderen um das Recht
auf Belehrungen und Unterrichtungen in Strafverfah-
ren.

Vom Grundsatz her begrüßen wir, dass Mindeststan-
dards für die gesamte Europäische Union festgelegt
werden. Aber es gilt auch hier: Die Linke will die
höchstmöglichen Standards. Wir wollen für Europa
und seine Einwohnerinnen und Einwohner nicht nur
kleine Verbesserungen, sondern das Beste.

Die Linke begrüßt, dass die Rechte des Beschuldig-
ten im Hinblick auf Belehrungspflichten, Dolmetsch-
und Übersetzungsleistungen erweitert wurden. Auch
die Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie im Be-
reich der förmlichen Belehrungen und der Frage der
Akteneinsicht finden wir begrüßenswert. Mit beiden
Regelungen wird ein Verfahren auf Augenhöhe ermög-
licht. Gleiches gilt für die weiteren Verbesserungen bei
der Herstellung von Mindeststandards für die Verfah-
rensrechte der Beschuldigten. Allerdings erfolgt das zu
spät, nämlich nach bereits umgesetzten Rechtsakten
zur Anerkennung von – nach hiesigen Maßstäben nicht
rechtsstaatlich zustande gekommenen – ausländischen
Haftbefehlen und anderen Verfolgungsmaßnahmen.

Die Verschwiegenheitspflicht für Dolmetscher ist
angemessen und sinnvoll. In den Fällen, um die es hier
geht, kommt ihnen eine sehr besondere Rolle zu, da sie
faktisch als Mittler zwischen den verschiedenen Ver-
fahrensbeteiligten wirken. Gerade für die Beschuldig-
ten müssen sie eine Vertrauensstellung innehaben.

Ich habe bereits in der ersten Lesung des Gesetzent-
wurfes darauf verwiesen, dass es ein Problem mit dem
§ 187 Gerichtsverfassungsgesetz gibt. Wie auch in der
europäischen Richtlinie vorgesehen, gibt es die Not-
wendigkeit, Urteilsbegründungen vollständig zu über-
setzen. Es ist mir unverständlich, warum dies nun nicht
umgesetzt werden soll, und die Begründung im Gesetz-
entwurf der Bundesregierung überzeugt mich da auch
nicht. Demnach wäre das in der derzeitigen Gerichts-
praxis nicht leistbar. Mag sein, aber dann muss man
eben diese Praxis ändern. Es kann ja nicht sein, dass
ich als Verfahrensbeteiligter ein Urteil und seine Be-
gründung nur in Bruchstücken bekomme. Gerade für
die Auseinandersetzung der Beschuldigten und insbe-
sondere bei freiheitsentziehenden Anordnungen ist es
doch wichtig, dass sie die Begründung des Gerichtes
auch verstehen. Dies gilt ebenso für ihre Verteidiger.
Sie brauchen eine Übersetzung, und zwar im Ganzen.

Es kann auch nicht sein, dass irgendwer festlegt,
welche Passagen eines Urteils übersetzt werden, weil
sie für die Verteidigung von Belang wären – und wel-
che nicht. Das kann einzig die Verteidigung selbst ent-
scheiden. Das gehört zu den Grundsätzen eines fairen
Verfahrens, und das wird hier nicht gewährleistet!

Eine Übersetzung der gesamten Urteilsbegründung
ist auch notwendig für die Resozialisierung im Hei-
matland: Für die Mitarbeiter der Justiz im Heimatland
ist es unerlässlich, alle Motive, die zum Urteil führten,
zu kennen. Oftmals gehen Resozialisierungsmaßnah-
men doch gerade von solchen Sachverhalten aus, die
im Gerichtsverfahren angeführt wurden und zu einem
Urteil führten.

Zu Protokoll gegebene Reden





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)


Unverständlich und entgegen der EU-Richtlinien
bleibt auch, dass bei verteidigten Beschuldigten eine
mündliche Übersetzung oder gar mündliche Zusam-
menfassung der Unterlagen in der Regel ausreichen
soll und bei rechtskräftigen Entscheidungen sogar
komplett auf eine Übersetzung verzichtet wird.

Sie sehen, wir haben dem Gesetzentwurf viel Positi-
ves abgewinnen können, aber wir bleiben auch bei un-
serer Kritik an einzelnen Regelungen. Deshalb werden
wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzent-
wurf enthalten.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724045400

Das Stockholmer Programm als Strategiepapier

und der Aktionsplan zum Stockholmer Programm von
2010 haben die Prioritäten der Europäischen Union
für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts im Zeitraum 2010 bis 2014 festgelegt. Ziel war
es, den Weg frei zu machen für eine demokratisch bes-
ser legitimierte und an gemeinsamen Grundsätzen
orientierte Innen- und Justizpolitik der Europäischen
Union.

Schon in der Umsetzung dieser Ziele auf EU-Ebene
ist der große Wurf hinsichtlich einer effektiven rechtli-
chen Absicherung der Verfahrensrechte jedoch ge-
scheitert. So hat es zu einer umfassenden Richtlinie zur
Stärkung der Verfahrensrechte auf europäischer Ebene
leider nicht gereicht. Stattdessen hat die Europäische
Kommission im November 2009 einen „Fahrplan zur
Stärkung der Rechte von Verdächtigen oder Beschul-
digten im Strafverfahren“ vorgelegt. Von sechs Maß-
nahmen dieses Fahrplans sind Mitte 2013 bisher
Richtlinien zu lediglich zwei Maßnahmen verabschie-
det worden, die Richtlinie über das Recht auf Dolmet-
scherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren
und die Richtlinie über das Recht auf Belehrung und
Unterrichtung in Strafverfahren. Die Richtlinie über
das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und
das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme be-
findet sich noch im europäischen parlamentarischen
Verfahren. Andere Maßnahmen wie die besonderen
Garantien für schutzbedürftige Beschuldigte, ein
Grünbuch für die Untersuchungshaft und insbeson-
dere gemeinsame Mindeststandards für die Prozess-
kostenhilfe stehen noch aus.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die
Vorgaben der Richtlinien bezüglich der Dolmetscher-
leistungen und Übersetzungen sowie der Belehrungen
in Strafverfahren umsetzen soll, begnügt sich mit – so
heißt es in der Begründung – punktuellen Änderungen
des deutschen Rechts, da die Rechtstellung von Be-
schuldigten in Deutschland bereits de lege lata im We-
sentlichen den Richtlinienvorgaben entspricht. Und
eben an diesem Punkt zeigt sich das Problem: Die
schwarz-gelbe Koalition hat ein ebenso fragwürdiges
wie problematisches Verständnis davon, welchen In-
halt der Begriff des „Wesentlichen“ hat.

So geht die Richtlinie 2010/64/EU, welche das
Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen

in Strafverfahren regelt, von folgender Regelung aus:
Schriftlich zu übersetzen sind alle Unterlagen, die we-
sentlich sind, um zu gewährleisten, dass sie imstande
sind, ein faires Verfahren zu gewährleisten – Art. 3
Abs. 1 der Richtlinie 2010/64/EU –, auf jeden Fall
aber jegliche Anordnungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Ur-
teil – Art. 3 Abs. 2, RL 2010/64/EU – mit Ausnahme
rechtskräftiger Urteile Art. 1 Abs. 2, RL 2010/64/EU.
Ausnahmsweise kann auf eine mündliche Übersetzung
oder eine mündliche Zusammenfassung der wesentli-
chen Unterlagen zurückgegriffen werden, wenn dies
einem fairen Verfahren nicht entgegensteht.

Die Koalition hat in der Umsetzung dieser Vorga-
ben daraus Folgendes gemacht: Die schriftliche Über-
setzung freiheitsentziehender Anordnungen sowie von
Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräfti-
gen Urteilen wird eben nicht, wie es die Richtlinie er-
fordert, ausnahmslos, sondern nur „in der Regel“ zu-
gestanden, und auch bei diesen nur „in der Regel“ zu
übersetzenden Dokumente, wird die nur auszugsweise
Übersetzung als ausreichend angesehen, wenn hier-
durch die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden.
Aber wer entscheidet dies? Schließlich wird sogar le-
diglich die mündliche Übersetzung als ausreichend
angesehen, und dies soll wiederum „in der Regel“
dann der Fall sein, wenn der Beschuldigte einen Ver-
teidiger hat. In der Zusammenschau schmelzen die
Rechte aus Art. 3 der Richtlinie 2010/64/EU in sich zu-
sammen, und faktisch wird das Regel-Ausnahme-Ver-
hältnis zu einem Ausnahme-Regel-Verhältnis.

Die schwarz-gelbe Koalition hat sich leider nicht
darauf eingelassen, an diesem Punkt noch Korrekturen
an ihrem Gesetzentwurf vorzunehmen. Schwarz-Gelb
nimmt bewusst in Kauf, dass der Gesetzentwurf am
Geist der Richtlinie vorbeigeht. Dies ist besonders für
die FDP, die Beschuldigtenrechte im Munde führt, ein
Armutszeugnis. Die Intention dahinter lässt sich leicht
durchschauen: Mehr Übersetzungen kosten den Staat
mehr Geld. Solche Discount-Verfahrensrechte darf
sich Deutschland und Europa aber nicht erlauben. Wir
Grüne wollen keine europäische Justizpolitik auf dem
kleinsten Nenner und nur nach Kassenlage, sondern in
Deutschland und Europa hohe Standards, Rechts-
schutz und Rechtsstaatlichkeit.

Die Union wie die FDP verkennen wieder einmal,
dass auf dem Gebiet der Schaffung einer europäischen
Rechtsstaatlichkeit mehr getan werden muss als das
unbedingt Notwendige. Eine solche Politik lehnen wir
Grünen ab.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724045500

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/13528, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12578 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die So-





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


zialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die
Grünen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Wer
stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltun-
gen? – Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenom-
men.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Bologna-Reform – Positive Entwicklungen
stützen, Fehler korrigieren und Verbesserun-
gen durchsetzen

Drucksache 17/13475 –

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Alle sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13475. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Das ist die Fraktion der Sozialde-
mokraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grü-
nen und Linksfraktion. Der Antrag ist abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 49 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetzes
– Drucksache 17/13469 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1724045600

Wir beraten heute in erster Lesung einen atypischen

Gesetzentwurf. Es ist ein gemeinsamer Entwurf der
Koalitionsfraktionen und der Oppositionsfraktion
SPD. Es ist ein gutes Zeichen, dass es nach wie vor Ge-
genstände in der Politik gibt, über die man sich auch
über Parteigrenzen hinweg verständigen kann.

Der Gesetzentwurf geht zurück auf einen gemeinsa-
men Antrag der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
der SPD aus dieser Wahlperiode mit dem schönen Titel
„Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken“ –
Bundestagsdrucksache 17/11001. Hierin waren auch

Passagen zu den Bundesgerichten und zum Bundesver-
fassungsgericht enthalten. Danach sollten „insbeson-
dere die Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte
des Bundes, die unmittelbaren Körperschaften, Anstal-
ten und Stiftungen zur Abgabe ihrer Unterlagen nach
spätestens 30 Jahren gesetzlich verpflichtet werden“.

Bei Entscheidungen zu Akten des Bundesverfas-
sungsgerichts sollte der bedeutenden Stellung dieses
Gerichts und seiner Richter im Hinblick auf For-
schungserleichterung besonderes Gewicht beigemes-
sen werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kom-
men wir diesem Verlangen nach.

Wir haben uns dafür entschieden, eine eigenstän-
dige gesetzliche Regelung für die Einsichtnahme in die
Akten des Bundesverfassungsgerichts im Bundes-
verfassungsgerichtsgesetz zu schaffen, um der hohen
Bedeutung des Gerichts gerecht zu werden. Eine Rege-
lung im Bundesarchivgesetz hätte dies nicht vermocht.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit wegweisen-
den Entscheidungen die Verfassungswirklichkeit und
das Verfassungsverständnis im Deutschland der Nach-
kriegszeit geprägt. Die Ergebnisse einer öffentlichen
Anhörung am 29. Februar 2012 vor dem Innenaus-
schuss des Deutschen Bundestages haben gezeigt, dass
die Aufarbeitung der Geschichte des Bundesverfas-
sungsgerichts und seiner Entscheidungen für das
Verständnis und die Einordnung seiner Bedeutung für
die Entwicklung einer stabilen Demokratie in der
Bundesrepublik Deutschland entscheidend ist. Zur
Untersuchung und Einordnung der Rolle des Bundes-
verfassungsgerichts im Aufbau der bundesdeutschen
Demokratie ist ein Rückgriff auf seine Entscheidungen
und sonstige Unterlagen unerlässlich. Die Bedingun-
gen für Wissenschaft und Forschung sollen durch er-
leichterten Aktenzugang verbessert werden.

Auch der Ständige Ausschuss des Deutschen
Rechtshistorikertages hat sich 2010 in einer Resolu-
tion für eine Verbesserung des Zugangs zu den Unter-
lagen des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen.
Für die Forschung besonders bedeutend sind dabei die
Entscheidungsvorschläge – Voten – und -entwürfe. Die
vorgenommenen Ergänzungen des Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetzes schaffen die Rahmenbedingun-
gen für die Einsichtnahme in diese Unterlagen.

Eine eigenständige Regelung im Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetz ist aber nicht nur der Stellung des
Bundesverfassungsgerichts als eines der obersten Ver-
fassungsorgane geschuldet. Auch die Schutzwürdigkeit
des Beratungsgeheimnisses legt eine solche eigenstän-
dige Regelung nahe.

Zentrale Vorschrift ist der neue § 35 b Abs. 5 des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Er stellt in seinem
Satz 1 generell klar, dass für die Einsicht in die Akten
des Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundes-
archiv oder durch das Bundesarchiv als Zwischen-
archivgut aufbewahrt werden, nach Ablauf von 30 Jah-
ren nach Abschluss des Verfahrens die Regelungen des1) Anlage 16





Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)


Bundesarchivgesetzes gelten. Diese Frist von 30 Jah-
ren ist an § 5 des Bundesarchivgesetzes angelehnt.

Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift darf Archivgut
des Bundes aus einer mehr als 30 Jahre zurückliegen-
den Zeit auf Antrag grundsätzlich von jedermann
genutzt werden. Dieser Zugang wird durch die neue
Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nun-
mehr explizit für die Akten und sonstigen Dokumente
des Bundesverfassungsgerichts eröffnet. Die Ansprü-
che aus § 5 des Bundesarchivgesetzes bleiben daneben
bestehen.

Eine Sonderregelung trifft Satz 2 für Entwürfe von
Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, Arbeiten zu
ihrer Vorbereitung und Dokumente, die Abstimmungen
betreffen. Insoweit wird eine Einsichtnahme erst nach
Ablauf von 60 Jahren nach Abschluss des jeweiligen
Verfahrens vorgesehen. Die Schutzfrist von 60 Jahren
trägt dem hohen Rang des Beratungsgeheimnisses in-
nerhalb des jeweiligen Spruchkörpers Rechnung. Sie
lehnt sich zugleich an die Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 1
in Verbindung mit § 2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 des Bundesar-
chivgesetzes an.

Nach diesen Vorschriften darf Archivgut, das Vor-
schriften der Abgabenordnung, des Ersten Buches So-
zialgesetzbuch, des Gesetzes über die Deutsche Bun-
desbank, des Gesetzes über das Kreditwesen sowie
anderen Rechtsvorschriften des Bundes über Geheim-
haltung unterliegt, erst ab 60 Jahre nach Entstehen ge-
nutzt werden. Dem Beratungsgeheimnis beim Bundes-
verfassungsgericht wird damit die gleiche
Schutzwürdigkeit zuerkannt wie insbesondere dem
Steuer-, Sozial- und Bankgeheimnis.

Schließlich ist noch eine Regelung vorgesehen, die
im Interesse der Arbeitsfähigkeit des Bundesverfas-
sungsgerichts dessen jederzeitigen und vorrangigen
Rückgriff auf das beim Bundesarchiv aufbewahrte und
abgegebene Schriftgut vorsieht. § 35 b Abs. 6 Bundes-
verfassungsgerichtsgesetz trifft für die Akten zu Kam-
merentscheidungen, die nicht zur Veröffentlichung be-
stimmt sind, eine Sonderregelung. Diese
Entscheidungen haben grundsätzlich keine tragende
Bedeutung für die rechtshistorische Entwicklung der
Bundesrepublik Deutschland. Deshalb können die sie
betreffenden Akten und Unterlagen mit Einverständnis
des Bundesarchivs nach Ablauf von 30 Jahren seit Ab-
schluss des Verfahrens vernichtet werden.

Zum Schluss noch etwas sehr Positives: Unsere be-
absichtigte Regelung verursacht keine weiteren Kosten
bei Bund und Ländern. Die erforderlichen Ressourcen
für die Einsichtnahme in Akten müssen nämlich schon
jetzt beim Bundesarchiv und beim Bundesverfassungs-
gericht nach dem Bundesarchivgesetz vorgehalten
werden. Ich hoffe auf gute und schnelle Beratung, da-
mit das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode in
Kraft treten kann.


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1724045700

Mit der Initiative der Fraktionen CDU/CSU, FDP

und der Fraktion der SPD „Wissenschafts- und For-
schungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen ver-
bessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wich-
tigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die
NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unter-
stützen“ wollen wir gute wissenschaftliche Rahmenbe-
dingungen für die zeitgeschichtliche Forschung in
Deutschland schaffen.

Dazu bedarf es einer Änderung des Bundesarchiv-
gesetzes im Hinblick auf die Abgabevorschriften, und
es bedarf Einzelgesetze über die Bundesgerichte. Ins-
besondere geht es um die Akteneinsicht beim Bundes-
verfassungsgericht. Im Gespräch mit Vertretern des
Bundesarchives und Richtern am Bundesverfassungs-
gericht wurde zunächst in einem ersten Schritt die Än-
derung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes präfe-
riert.

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes regelt die Mög-
lichkeit der Akteneinsicht. Es soll mit der vorgeschla-
genen Änderung die Einsichtnahme in Akten und Ent-
scheidungsvorschläge des Bundesverfassungsgerichts
zu Forschungszwecken erleichtert werden. Wir wollen
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine eigenstän-
dige Regelung für die Einsichtnahme in die Akten des
Bundesverfassungsgerichts, die beim Bundesarchiv
aufbewahrt werden, schaffen.

Die Praxis der Aktenabgabe an das Bundesarchiv
und der Aktenzugang sollen nachvollziehbaren, allge-
meingültigen Regeln unterliegen. Das Bundesverfas-
sungsgericht darf demnach nicht ohne Weiteres Akten
und Archivgut vernichten. Es wird die Einsichtnahme
in die Akten des Bundesverfassungsgerichts, die beim
Bundesarchiv oder durch das Bundesarchiv als Zwi-
schenarchivgut aufbewahrt werden und für die nach
Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des Verfahrens die
archivgesetzlichen Regelungen gelten, gesetzlich gere-
gelt.

Für Entscheidungsvorschläge und -entwürfe wird
die Einsichtnahme nach Ablauf von 60 Jahren nach
Abschluss des Verfahrens vorgesehen, um dem hohen
Rang des Beratungsgeheimnisses und dessen Schutz-
würdigkeit Rechnung zu tragen.

Des Weiteren wird für die Akten zu Kammerent-
scheidungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt
sind, eine Sonderregelung geschaffen. Diese Entschei-
dungen haben aber keine tragende Bedeutung für die
rechtshistorische Entwicklung der Bundesrepublik
Deutschland. Deshalb können die sie betreffenden Ak-
ten und Unterlagen mit Einverständnis des Bundesar-
chivs nach Ablauf von 30 Jahren seit Abschluss des
Verfahrens vernichtet werden.

Eine weitere Sonderregelung soll für die Akten zu
den in das Allgemeine Register des Bundesverfas-
sungsgerichts eingetragenen Vorgängen gelten. Da sie
keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Edgar Franke


(A) (C)



(D)(B)


haben, können die in diesen Verfahren angelegten Ak-
ten mit Einverständnis des Bundesarchivs bereits fünf
Jahre nach der letzten die Sache betreffenden Verfü-
gung vernichtet werden.

Die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen hängt
auch vom Umgang mit der eigenen Vergangenheit und
damit den eigenen Akten ab. Wir erhoffen daher, dass
die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
eine Signalwirkung entfaltet und andere Bundesge-
richte dem guten Beispiel folgen.

Lassen Sie uns die Forschung stärken, damit ihr
möglichst umfängliche Informationen über die Entste-
hung von Entscheidungen und Vorgängen zukommen.
Die vorgenommenen Ergänzungen des Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetzes schaffen die notwendigen Rah-
menbedingungen hierfür.


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1724045800

Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben

sich im Verlauf dieser Wahlperiode intensiv mit der
Frage auseinandergesetzt, wie die Untersuchung von
personellen und institutionellen Kontinuitäten und
Brüchen in deutschen Ministerien und Behörden der
frühen Nachkriegszeit weiter vorangebracht werden
kann. Wir haben dazu im Ausschuss für Kultur und
Medien im Februar 2012 eine öffentliche Anhörung
mit Sachverständigen durchgeführt.

In der Folge hat die Koalition gemeinsam mit der
SPD-Fraktion einen Antrag – Bundestagsdrucksache
17/11001 – verabschiedet, der sich klar für eine Ver-
besserung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit
bei der NS-Aufarbeitung von Behörden, Ministerien
und Gerichten positioniert. Es ist Teil der Wissen-
schaftsfreiheit, eigene Fragen und Forschungsgegen-
stände zu entwickeln, es ist aber auch Teil der Wissen-
schaftsfreiheit, möglichst ungehinderten Zugang zu
Akten zu bekommen.

Der Ansatz der Grünen, eine durch eine staatliche
Kommission gesteuerte Auftragsforschung flächende-
ckend für alle obersten Bundesbehörden, -gerichte und
Ministerien zu initiieren, ist falsch. Angesichts der
Geschichte Deutschlands sollte jeder Eindruck der
Vermittlung eines Geschichtsbildes „von oben“ ver-
mieden werden.

Am Anfang aller Forschung steht zweifellos der
freie Zugang der Wissenschaft zu historischen Akten
und Unterlagen von betroffenen Behörden, Gerichten
und Ministerien. So werden die Akten, die von der His-
torikerkommission im Bundesministerium der Justiz
eingesehen werden, anschließend in das Bundesarchiv
überführt und für die allgemeine wissenschaftliche
Nutzung zugänglich gemacht. Für den Potsdamer His-
toriker und das Mitglied der Unabhängigen Wissen-
schaftlichen Kommission beim BMJ Manfred Görte-
maker ist „das eigentliche Ziel der Kommission“,
durch verbesserten Quellenzugang die bisher mangel-
hafte Informationsbasis für Forschungen über das

BMJ zu verbessern und dadurch manche Lücken im öf-
fentlichen Diskurs schließen zu helfen.

Aus den Beratungen der Bundestagsfraktionen in
dieser Wahlperiode ist für mich als Freien Demokra-
ten, aber auch als Rechtshistoriker am Max-Planck-
Institut für europäische Rechtsgeschichte, der sich
selbst lange mit Aufarbeitungsfragen beschäftigt hat,
deutlich geworden: Ein freier Aktenzugang sollte nicht
nur staatlich berufenen Historikerkommissionen ge-
währt werden. Zweifellos bringen Kommissionen, bei-
spielsweise die im BMJ, aber auch Kommissionen in
anderen Institutionen die Aufklärung, wie in der Nach-
kriegszeit neu gegründete Ministerien und Behörden
mit der NS-Vergangenheit umgegangen sind, ver-
dienstvoll voran. Wünschenswert ist aber, dass diese
Möglichkeit allen Wissenschaftlern und Forschern,
Doktoranden wie etablierten Professoren gleicherma-
ßen offensteht. Das Bundesarchivgesetz bietet hierfür
die nötigen Instrumentarien. Gemäß unserem Ent-
schließungsantrag haben wir uns dafür eingesetzt,
eine Novellierung des Bundesarchivgesetzes bereits in
dieser Wahlperiode zu realisieren und für Verfassungs-
organe, Behörden und Gerichte des Bundes die Abga-
befristen für Unterlagen an das Bundesarchiv ver-
pflichtend durchzusetzen. Leider haben wir dabei nicht
immer Unterstützung erfahren. Das große Projekt der
Novellierung des Bundesarchivgesetzes wird mehr Zeit
benötigen und sich bis in die nächste Wahlperiode fort-
setzen.

Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-
verfassungsgerichtsgesetzes sorgen wir in Teilumset-
zung des gemeinsamen Antrags von Koalition und
SPD bereits jetzt für mehr Forschungsfreiheit. Das
Bundesverfassungsgericht hat mit seinen wegweisen-
den Entscheidungen in der Nachkriegszeit wie zum
Beispiel dem Lüth-Urteil von 1958, dem KPD-Verbots-
Urteil von 1956 und der Durchsetzung eines effektiven
Grundrechtsschutzes ganz allgemein das Verfassungs-
verständnis der jungen Bundesrepublik entscheidend
geprägt. Eine umfassende und differenzierte Aufarbei-
tung seiner Geschichte seit seiner Gründung 1951
kann zum Verständnis der Festigung der bundesdeut-
schen Demokratie in der Nachkriegszeit entscheidend
beitragen und wird von Experten wie dem Frankfurter
Rechtshistoriker Michael Stolleis als großes For-

(siehe Ausschuss für Kultur und Medien, Protokoll Nr. 17/59)


Forschungsbedarf besteht heute neben der Frage
nach institutionellen und personellen Kontinuitäten,
von denen das Bundesverfassungsgericht nahezu frei
war, insbesondere im Hinblick darauf, zu verstehen,
wie in der Bundesrepublik Deutschland bei allen Be-
lastungen in Verwaltung, Justiz, Politik und Wirtschaft
der Aufbau eines stabilen, freiheitlich-demokratischen
Rechtsstaats gelingen konnte. Der Ständige Ausschuss
des Deutschen Rechtshistorikertages hat in einer
Resolution von 2010 transparentere Regeln für den
Zugang zu Akten des Bundesverfassungsgerichts ge-
fordert: nach dem Vorbild der bundesarchivgesetz-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)


lichen Fristen von 30, maximal 60 Jahren für dem Be-
ratungsgeheimnis unterliegende Unterlagen wie Voten
und Entscheidungsentwürfe.

Da Institutionen, darunter auch das Bundesverfas-
sungsgericht, ihre Unterlagen nicht zwingend gemäß
den oben genannten Regelungen an das Bundesarchiv
abgeben müssen, sondern im Zwischenarchiv, einer
Serviceeinrichtung des Bundesarchivs, dauerhaft
lagern können, ist die Akteneinsicht auch nach den
Fristen von 30 bzw. 60 Jahren trotz des Bundesarchiv-
gesetzes vielfach nicht möglich.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erreichen wir,
dass erstmals nicht nur Archivgut des Bundesarchivs,
sondern auch Akten im Zwischenarchiv nach den bun-
desarchivgesetzlichen Regelungen und nach den
Fristen von 30 bzw. 60 Jahren einsehbar werden. Der
herausragenden Stellung des Bundesverfassungs-
gerichts sowie der besonderen Bedeutung seines Bera-
tungsgeheimnisses wird dadurch Rechnung getragen,
dass diese Regelung nicht allein im Bundesarchiv-
gesetz getroffen wird, sondern unmittelbar in das
Bundesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen wird.
Auch in der Fachöffentlichkeit wird diese Verbesse-
rung des Forschungszugangs für Zustimmung sorgen.

Bei den Verhandlungen über die bestmögliche
Lösung für das Bundesverfassungsgericht haben wir
das Gespräch mit dem Gericht gesucht, um zu zeigen,
dass wir an der Aufarbeitung seiner Geschichte ein er-
hebliches Interesse haben. Das ist der notwendige
Dialog zwischen obersten Verfassungsorganen und
kein Dekret von hiesiger Seite. Ich danke insbesondere
dem Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof und Bundes-
verfassungsrichter Wilhelm Schluckebier.

Ich freue mich, dass die SPD diesen Schritt zu mehr
Forschungsfreiheit mit uns gemeinsam geht. Wir zei-
gen, dass dies ein gemeinsames Anliegen ist. Die Er-
forschung der Geschichte der frühen Bundesrepublik
ist unser gemeinsames Interesse. Um die Vorausset-
zungen für eine umfassende Reform der Akteneinsicht
für alle Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte
des Bundes durch eine umfassende Novellierung des
Bundesarchivgesetzes in der nächsten Wahlperiode zu
verbessern, leistet der vorliegende Gesetzentwurf zur
Stärkung der Forschungsfreiheit entscheidende Vorar-
beiten. Ich wünsche mir, dass die anderen Fraktionen
sich im Laufe der parlamentarischen Beratungen des
Gesetzentwurfs dazu entschließen, ihm ebenfalls zuzu-
stimmen.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724045900

Als im Dezember 2010 die Linke einen Antrag

„Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des
Bundesverfassungsgerichtes stärken“ – Bundestags-
drucksache 17/4037 – in den Bundestag einbrachte,
betonte ich in meiner damaligen Rede, dass für eine
Demokratie Wissen keine Gefahr darstellt, sondern im
Gegenteil Transparenz und Offenheit konstitutiv für

den demokratischen und sozialen Rechtsstaat sind.
Transparenz stärkt die demokratischen Beteiligungs-
rechte der Bürgerinnen und Bürger und erschwert
Manipulationen und Korruption. Die Linke forderte
daher, die Akteneinsichts- und -auskunftsrechte Dritter
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nach Vorbild des
Bundesarchivgesetzes zu konkretisieren, einen effekti-
ven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Versagung
der Akteneinsicht oder -auskunft einzuführen sowie die
Sperrfristen im Bundesarchivgesetz auf 20 Jahre zu
verkürzen.

Dadurch, dass alle vergangenen Bundesregierun-
gen im Sicherheitsbereich regelmäßig und bewusst
Gesetze auf den Weg gebracht haben, die an die
Grenzen unserer Verfassung stoßen und sie oftmals
überschreiten, wurde das Bundesverfassungsgericht,
BVerfG, vermehrt zum Raum politischer Auseinander-
setzungen. Für meine Fraktion gibt es gerade deshalb
keinen Grund, die Beweggründe des Verfassungs-
gerichts jahrzehntelang im Geheimen zu halten, weder
bei aktuellen Auseinandersetzungen noch bei lange
vergangenen Entscheidungen.

Dies sah die Mehrheit des Hauses leider anders.
Die Koalitionsfraktionen waren sich einig, dass wir
vollkommen untragbare Forderungen aufgestellt hät-
ten. Folgerichtig lehnten Sie unseren Antrag, bei Ent-
haltung der SPD, die einmal mehr herumlavierte und
sich nicht zwischen Transparenz und Herrschaftswis-
sen entscheiden konnte, ab.

Dass Sie nun heute einen Gesetzentwurf vorlegen,
der in dieselbe Richtung wie unser Antrag geht, ist
schon bemerkenswert. Es zeigt, dass die Linke wirkt,
auch wenn Sie das natürlich niemals zugeben würden.
Aber ich bin sehr auf die Begründungen für Ihren
Sinneswandel, den ich selbstverständlich begrüße, ge-
spannt.

Als unser Antrag im März 2012 zuletzt debattiert
wurde, hat uns der Kollege Grosse-Brömer für die
Unionsfraktion mit markigen Worten und einem tiefen
Griff in die Kalte-Kriegs-Kiste eine Kehrtwende vor-
geworfen. Richtig. Meine Partei hat bereits vor über
zwanzig Jahren eine entscheidende Lehre aus der Ge-
schichte gezogen: nie wieder Sozialismus ohne demo-
kratischen Rechtsstaat. Die Linke steht deshalb für
Transparenz und die Abschaffung unkontrollierbarer
Geheimdienste. Die aus vordemokratischen Zeiten
stammende Politik der Intransparenz, die einzig dem
Machterhalt einer Minderheit dient, muss überwunden
werden.

Dieser Gesetzentwurf spiegelt also vielmehr eine
rasante, aber unvollendete Kehrtwende der Union
wider, welche, auch wenn sie spät kommt und auf hal-
bem Weg stehen bleibt, wie gesagt, zu begrüßen ist.
Denn obwohl Kollege Grosse-Brömer das Thema der
Einsicht in Bundesverfassungsgerichtsakten vor einem
Jahr noch als völlig abseitig bezeichnete und keinerlei
Handlungsbedarf erblicken konnte – ich zitiere ihn
hier einmal: „Gänzlich verfehlt sind deshalb die mit

Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


Ihrem Antrag verbundenen Forderungen. Die Forde-
rung nach Unterordnung der Verfassungsgerichts-
akten in das allgemeine Bundesarchivwesen verkennt
die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichts
als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan.“ –,
wird in Ihrem Gesetzentwurf jetzt richtigerweise einge-
räumt, dass es einer Reform der Rahmenbedingungen
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz bezüglich der
Einsichtnahme in die Akten des Gerichts bedarf.

Während wir davon überzeugt sind, dass die beste-
henden Sperrfristen von 30 Jahren und mehr für die
Einsicht in Vorgänge der öffentlichen Gewalt nicht
mehr zeitgemäß sind und generell verkürzt werden
müssen, wollen Sie nur die Sonderstellung des BVerfG
gegenüber dem Bundesarchiv, die jeglicher gesetzli-
chen Grundlage entbehrt, beschneiden. Das ist aus
unserer Sicht zu wenig. Und leider haben Sie nicht den
Mut aufgebracht, einen anderen Punkt unseres An-
trags ebenfalls zu übernehmen:

Wissenschaft und Presse stoßen regelmäßig und
nicht nur bei politisch besonders brisanten Entschei-
dungen auf erhebliche und kaum überwindbare Wider-
stände, wenn sie Akten des BVerfG teilweise oder voll-
ständig einsehen wollen. Deshalb hatte meine
Fraktion – analog zu den Forderungen des Deutschen
Rechtshistorikertages in Münster – gefordert, den
Rechtsschutz im Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu
verbessern.


(AZ AR 909/09)

Rechtsbehelf gegeben, da es sich „um rechtsprechende
Tätigkeit“ handele.

Es ist mehr als fraglich, ob die von Ihnen vorgeleg-
ten neuen Regelungen daran etwas ändern. Zwar ver-
weisen die neuen Vorschriften auf die „archivgesetz-
lichen Regelungen“. Da diese prinzipiell sowieso
gelten, wenn das BVerfG mal dem Auftrag des BArchG
nachkommen würde, kann diese Verweisung also nur
so aufgefasst werden, wie es auch im Gesetzentwurf
angedacht ist, dass die Akten, die das BVerfG nur
„zwischenlagert“, erst danach einzusehen sind. Es
bleibt offen, ob das Bundesarchiv der Antragsgegner
ist oder weiterhin das BVerfG. Und dann, wenn Letzte-
res gilt, bleibt eben weiterhin die Frage des Rechtswe-
ges gegen Entscheidungen des BVerfG stehen. Da der
vorliegende Gesetzentwurf von CDU/CSU, FDP und
SPD keine Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht, bleibt
diese Frage ungelöst, obwohl die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts Karlsruhe nicht das letzte Wort
sein kann. Denn die Entscheidung über die Gewäh-
rung von Akteneinsicht und -auskunft durch das
BVerfG ist offensichtlich nicht spruchrichterliche
Tätigkeit, sondern materiell-rechtlich der vollziehen-
den Gewalt zuzurechnen, mithin muss die Rechtsweg-
garantie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewähr-
leistet werden.

Ihr Gesetzentwurf geht also nicht weit genug, aber
immerhin in die richtige Richtung. Wie beim Weit-

sprung sollten Sie auch hier nicht versuchen, auf hal-
ber Strecke stehen zu bleiben.

Und es wäre überaus wünschenswert, wenn Sie sich
auch in anderen Bereichen der Innen- und Rechtspoli-
tik endlich einmal von Konzepten und Positionen der
Linken inspirieren ließen. Das täte diesem Land
verdammt gut. Ich verspreche Ihnen auch, dass Sie
keine Angst davor zu haben brauchen, von uns wegen
Urheberrechtsverletzungen belangt zu werden. Nur zu,
trauen Sie sich.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Der Zugang zu Akten und Archiven ist eine wesent-
liche Grundlage der historischen Forschung. Einen
möglichst guten und angemessen schnellen Zugang zu
gewährleisten, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Das gilt
auch für die Akten des Bundesverfassungsgerichts.

Die Forschung zur Arbeit des Bundesverfassungs-
gericht hat ein besonderes rechts- und demokratie-
geschichtliches Interesse, auch und gerade weil das
Gericht sich im Laufe seiner Geschichte ein hohes
Ansehen erarbeitet hat und zu einer tragenden und
weithin respektierten Säule des demokratischen
Rechtsstaates geworden ist. Das näher zu erforschen
und nachzuvollziehen, ist aus meiner Sicht äußerst
lohnend, auch ein Akt der demokratischen Selbstverge-
wisserung.

Der deutsche Rechtshistorikertag 2010 kritisierte,
dass das Bundesverfassungsgericht seine Akten erst
nach 90 Jahren für die Forschung freigeben will. Mich
verwundert es ehrlich gesagt, dass ein Gericht mit ei-
ner so großen Bedeutung und Reputation eine so lange
Geheimhaltungspflicht für sich reklamiert, was dann
ja auch eine Sonderregelung gegenüber den sonst üb-
lichen 30 bzw. 60 Jahren wäre.

Wir halten die Kritik der Rechtshistoriker für ver-
ständlich und schließen uns ihr an. In unserer Zeit mit
ihren stark beschleunigten Abläufen ist nach 90 Jahren
nur noch mit einem deutlich abnehmenden For-
schungsinteresse zu rechnen. Diese viel zu lange Zeit-
spanne behindert eine lebendige geschichtswissen-
schaftliche Debatte, an der wir alle doch ein Interesse
haben.

Was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, so
sollten wir im Weiteren klären, wie wir mit den darin
genannten Fristen umgehen. Auch die 60 Jahre
Geheimhaltungsfrist für Entscheidungsvorschläge und
-entwürfe sind noch ein sehr langer Zeitraum. Und
auch die vorgeschlagenen Regelungen zur Aktenver-
nichtung sind zu überprüfen. Wir sollten hier ein Fach-
gespräch oder eine Expertenanhörung durchführen,
vor allem auch mit den Fachhistorikern, die auf die-
sem Gebiet arbeiten.

Insgesamt müssen wir immer wieder über Geheim-
haltungsfristen und bürokratische Schwierigkeiten
beim Zugang zu unseren Archiven nachdenken. Wenn
die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kultu-

Zu Protokoll gegebene Reden





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)


rellen Abläufe sich so sehr beschleunigen, wie sie es
gegenwärtig tun, und wenn auch die Erwartungen an
Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entschei-
dungen deutlich zunehmen, dann können auch die
Fristen und Modalitäten, die gegenwärtig Usus sind,
nicht für immer in Stein gemeißelt sein.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724046000

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-

fes auf Drucksache 17/13469 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das
gemeinsam so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 46 sowie Zu-
satzpunkt 8 auf:

46 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Petermann, Ralph Lenkert, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Zukunft der Solarindustrie sichern

– Drucksache 17/13242 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Josef Fell, Bärbel Höhn, Dr. Tobias Lindner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Energiewende sichern – Solarwirtschaft stär-
ken

– Drucksache 17/9742 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Die Reden werden zu Protokoll genommen, wie in
der Tagesordnung ausgewiesen.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1724046100

„Die Photovoltaik-Industrie in Deutschland ist

Technologieführer und wird diese Position im globalen
Maßstab mit wettbewerbsfähigen Kosten behaupten.“
So sah noch im November 2010 die Vision der Photo-
voltaikindustrie in der PV-Roadmap für 2020 aus.

Leider ist das Gegenteil eingetreten. Während in
den vergangenen Jahren die deutsche Industrie in vie-
len Bereichen deutlich gewachsen ist, ist die deutsche
Solarindustrie zwar hochsubventioniert worden, aber
trotzdem massiv in der Krise. Sie ist entgegen ihrer ei-
genen Prognose weit davon entfernt, zur tragenden
Säule der deutschen Industrie zu werden. Vielmehr ist
die Solarindustrie ein Beispiel dafür geworden, wie
Subventionen zu Gift werden können.

Die Negativschlagzeilen über die deutsche Solarin-
dustrie, die Hersteller der Solarzellen- und -module,
nehmen kein Ende. Werksschließungen waren in den
vergangenen Monaten an der Tagesordnung. Die An-
zahl der Betriebe ist um ein Drittel gesunken. Egal ob
Q-Cells, Bosch Solar oder Schott Solar, all diese Un-
ternehmen mussten Werke in Deutschland schließen
mit Konsequenzen für Tausende Arbeitnehmer. Die
deutsche Solarzellen- und Modulfertigung hat kaum
noch 6 000 Beschäftigte. Und auch Branchengrößen
wie Solarworld sitzen auf Riesenverlusten, und Hun-
derte Mitarbeiter müssen um ihre Existenz bangen.

Die negativen Schlagzeilen stehen in deutlichem
Kontrast zu den über 100 Milliarden Euro Förderung,
die der Stromkunde in den kommenden Jahren mit sei-
ner Stromrechnung zahlt. Keine Technologie wurde so
hoch gefördert wie die Photovoltaik. Und trotzdem
oder gerade deswegen: Die deutschen Module sind
weder wettbewerbsfähig noch technisch überlegen.

Aber nicht nur die deutsche Subventionspolitik ist
zum Totengräber der heimischen Solarindustrie gewor-
den, sondern auch die chinesische Subventionspolitik.
So wurden insbesondere in China mit staatlichen Sub-
ventionen massiv Solarproduktionskapazitäten aufge-
baut. Das hat dazu geführt, dass weltweit das Angebot
an Modulen deutlich schneller gewachsen ist als die
Nachfrage. Heute liegt das Weltmarktvolumen bei
rund 30 000 Megawatt, demgegenüber steht eine welt-
weite Produktionskapazität von etwa 60 000 Mega-
watt. Das hat zu einem deutlichen Preisverfall geführt.

Die Folgen sind, dass ein ruinöser Wettbewerb ge-
führt wird, dessen Ende wir leider noch nicht erreicht
haben. Davon ist nicht nur die deutsche, sondern mitt-
lerweile auch die chinesische Solarindustrie betroffen.
Auch hier gibt es erste Insolvenzen. Die Produktions-
überkapazitäten sind so hoch, dass Deutschland al-
leine die Solarindustrie nicht retten kann, weder mit
höheren Fördersätzen noch mit neuen Zubaurekorden.

Es ist falsch, wenn die Linken und Grünen in ihren
Anträgen schreiben, dass wir durch die Förderkürzun-
gen mutwillig Arbeitsplätze vernichtet haben. Wir hät-
ten zwar ohne diese Kürzungen die Solarindustrie
künstlich einige Jahre länger am Leben halten können,
die Verbraucher hingegen hätten einen nicht zu recht-
fertigenden Preis dafür gezahlt. Denn schon heute
zahlt jeder Verbraucher rund 2,2 Cent pro Kilowatt-
stunde für die Solarförderung. Damit fließen gut
40 Prozent der EEG-Förderung in die Solarenergie,
die aber nur etwa 5 Prozent an der Gesamtstromerzeu-
gung ausmacht. Hätten wir die Förderung für Solar-
strom in den vergangenen vier Jahren nicht deutlich
um 70 Prozent, von 43 auf 16 Cent pro Kilowattstunde,
reduziert, müssten die Verbraucher heute deutlich
mehr zahlen.

Die Kürzungen haben in keinster Weise den Zubau-
boom der Solaranlagen gebremst. Im Gegenteil, wir
haben immer neue Rekordwerte erreicht. So haben wir
in den vergangenen Jahren mehr als das Doppelte





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


unseres Zielkorridors erreicht, nämlich in 2010
7 400 Megawatt, in 2011 7 500 Megawatt und in 2012
7 600 Megawatt. Leider hat von diesem Zubau nicht
die heimische, sondern vor allem die chinesische So-
larindustrie profitiert.

Nur mit mehr Forschung und Innovation hat die So-
larindustrie in Deutschland Zukunft. Hier wurde zu
wenig getan. Die Ausgaben für Forschung und Ent-
wicklung lagen jahrelang unter 3 Prozent. Das ist
deutlich unter dem Niveau anderer Industriezweige,
wie zum Beispiel der Elektroindustrie mit einem Anteil
von rund 7 Prozent.

Auch hier haben wir massiv die Branche unterstützt.
So stellt das Bundesumweltministerium rund 40 Mil-
lionen Euro jährlich für die Solarforschung zur Verfü-
gung. Hinzu kommen weitere 100 Millionen Euro, die
für die „Innovationsallianz Photovoltaik“ zur Verfü-
gung gestellt werden. Und auch im Bereich der Solar-
speicher sind wir mit dem neu aufgelegten Speicher-
förderprogamm einen wichtigen Schritt hin zu neuen,
innovativen Technologien gegangen.

Ich möchte die heutigen Debatten nutzen, um auf
das von der Europäischen Kommission angestoßene
Anti-Dumping-Verfahren einzugehen. Auch hier wird
ein gefährlicher Irrweg beschritten. Protektionismus
und Zölle werden die Solarindustrie in Europa und ins-
besondere in Deutschland nicht retten. Im Gegenteil:
Strafzölle gegen chinesische Hersteller würden in gro-
ßer Zahl Arbeitsplätze hierzulande vernichten. Laut ei-
ner Studie von Prognos könnten je nach Höhe der
Strafzölle innerhalb von drei Jahren allein in Deutsch-
land bis über 80 000 Jobs wegfallen. Grund dafür ist,
dass durch die Zölle die Preise für Solarmodule stei-
gen werden und die Nachfrage einbricht.

Zwar würden europäische Solarhersteller von den
Strafzöllen profitieren. Die dadurch entstehenden Ar-
beitsplätze entsprächen aber gerade einem Fünftel der
an anderer Stelle verlorenen Arbeitsplätze. Denn
selbst bei Verwendung chinesischer Module findet der
Großteil, circa 70 Prozent, der Wertschöpfung einer in
der EU installierten PV-Anlage in der EU statt.
Schutzzölle würden also vielleicht die deutsche Solar-
zellen- und Modulfertigung retten, den Rest und den
Großteil der Solarwertschöpfung hingegen in Gefahr
bringen. Dieses Instrument sollte also mit Vorsicht ge-
nutzt werden.

Ich bin überzeugt davon, dass die Solarbranche in
Deutschland eine Zukunft hat, auch wenn der Schwer-
punkt nicht in der Solarzellen- und Modulfertigung lie-
gen wird. Der deutsche Maschinenbau, Wechselrich-
terhersteller, Projektierer und Siliziumproduzenten
werden auch in Zukunft ihre weltweit führende Rolle
verteidigen und ausbauen. Dazu sollten wir in
Deutschland auch weiter für verlässliche Rahmenbe-
dingungen sorgen, statt immer neue Subventionen und
Zölle zu fordern.


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1724046200

Ich bin den Kollegen von den Grünen und der Lin-

ken sehr dankbar für diese Anträge. Sie bieten die her-
vorragende Gelegenheit, mit einigen Mythen um die
deutsche Solarbranche aufzuräumen, die sich auch im
vorliegenden Antrag reichlich finden.

Die Mythen zur Solarbranche in Deutschland
lassen sich auf zwei Aussagen zuspitzen: Erstens. Die
Anpassung der Förderung nach dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz, EEG, für Photovoltaik (PV)-Anlagen
in dieser Legislaturperiode ist schuld an den aktuellen
Problemen der Branche. Zweitens. Die Chinesen sind
sowieso an allem schuld.

Widmen wir uns dem ersten Mythos. Im Antrag der
Linken wird er auch deutlich geäußert: Die permanen-
ten Attacken der Bundesregierung gegen die Förde-
rung erneuerbarer Energien haben massiv zur Krise
der hiesigen Solarindustrie beigetragen, da sie immer
wieder die Planungs- und Investitionssicherheit in-
frage stellte. Mutwillig hat die Bundesregierung so
Zehntausende Arbeitsplätze in der Produktion von
Photovoltaikzellen und -modulen gefährdet. – Diese
Aussage hat zwei fehlerhafte Grundannahmen. Es wird
erstens davon ausgegangen, dass die EEG-Vergütung
den PV-Produzenten unmittelbar zugutekommt, und
zweitens, dass die Installation der PV-Anlagen in den
letzten Jahren rückläufig war. Beides ist falsch. Die
großen Profiteure der EEG-Förderung sind die Betrei-
ber der EEG-Anlage, nicht die Handwerker oder
Hersteller. Über 20 Jahre, also während des gesamten
Vergütungszeitraums nach dem EEG, verblieben fast
90 Prozent der Erlöse beim Betreiber der PV-Anlagen.
Und diese Zahl habe ich mir nicht ausgedacht, die
kommt auch nicht von der bösen Energielobby. Dies
kann alles in einer Studie vom Institut für ökologische
Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2010 mit dem Titel
„Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare
Energien“ im Auftrag der Agentur für Erneuerbare
Energien, AEE, nachgelesen werden.

Auch die Installationszahlen der letzten Jahre sind
rekordverdächtig. Die Zahlen des Bundesverbandes
der Solarwirtschaft zur installierten Leistung belegen
es: 2009: 3 800 MW, 2010: 7 400 MW, 2011: 7 500
MW und 2012: 7 600 MW. Die Nachfrage nach PV-
Anlagen war also überdurchschnittlich hoch. Und in
diesem Zusammenhang ist der Satz aus dem Antrag
der Grünen eben schlicht falsch, wonach „Der Ausbau
der Solarstromerzeugung […] in den letzten Jahren
ohne nennenswerte zusätzliche Belastung der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher erreicht [wurde].“ Fast
10 Milliarden Euro werden 2013 an Eigentümer von
PV-Anlagen ausgezahlt. Das sind mehr als 50 Prozent
der gesamten EEG-Vergütung, während die PV bis zu
25 Prozent der Elektrizitätsmenge des EEG-Systems
beiträgt. Die Korrekturen der an der PV-Vergütung in
den letzten Jahren waren richtig.

Ich denke, der erste Mythos ist damit widerlegt. Die
Anpassung der PV-Sätze im EEG an die Marktpreise
der PV-Anlagen waren im Sinne der deutschen Strom-

Zu Protokoll gegebene Reden





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


kunden, dennoch gab es ständige Rekordzuwächse bei
den installierten Anlagen.

Den zweiten Mythos, „die Chinesen sind schuld“,
formuliert der Antrag zurückhaltender. Stattdessen
liest man von „weltweiten Überkapazitäten in der
Photovoltaikindustrie“. Aber in den Zeitungen wird
stets von chinesischen Herstellern geschrieben. Bei
oberflächlicher Betrachtung könnte dieser Vorwurf zu-
treffen. Im Jahr 2008 waren circa 60 Prozent der in
Deutschland installierten PV-Anlagen aus deutscher
Fertigung, chinesische Hersteller kamen auf 21 Pro-
zent. Im ersten Halbjahr 2011 war der deutsche Anteil
bei 15 Prozent, und der chinesische lag bei 60 Prozent.
Der reflexhafte Vorwurf in Richtung China lautet:
Dumping! Es mag sein, dass die Hersteller in China
massive Unterstützung von der Regierung erhalten.
Aber das allein erklärt den Rückgang des Marktanteils
deutscher Hersteller nicht. Die deutschen PV-Herstel-
ler haben sich auf den Erfolgen der Vergangenheit mit
zweistelligen Eigenkapitalrenditen aufgrund der durch
üppige EEG-Förderung ausgelösten Nachfrage ausge-
ruht. Statt in Forschung und Entwicklung, FuE, sowie
Automatisierung zu investieren, wurden Börsengänge
organisiert, Fußballvereine gesponsert und Dividen-
den ausgeschüttet. Manch namhafte Branchengröße
hat sich von diesen Erlösen ein Schloss am Rhein ge-
kauft anstatt Forscher und Wissenschaftler anzustel-
len. Die FuE-Quote bei deutschen PV-Herstellern liegt
bei 2,5 Prozent des Umsatzes. Zum Vergleich: Im ver-
arbeitenden Gewerbe liegt die FuE-Quote bei 5 Pro-
zent, in der Elektroindustrie bei 7 Prozent und bei den
Automobilherstellern bei 6 Prozent. Die deutschen
Hersteller haben zu lang auf personalintensive Mas-
senherstellung gesetzt, statt neue Produkte und Ferti-
gungsprozesse zu entwickeln. Und Massenproduktion
zu günstigeren Preisen beherrschen andere Länder
einfach besser als wir. Ich empfehle dazu einen Artikel
in der Zeitschrift „Neue Energie“, dem Zentralorgan
der erneuerbaren Energien, aus dem Mai 2012 mit
dem Titel „Bitterer Traum“.

Im Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis der
Linken ist immer der Staat für alles verantwortlich. In
diesem Antrag stehen die Grünen den Linken in nichts
nach. Da sind sie durchaus konsequent und fordern
weitere Unterstützungs- und Förderprogramme. Aber,
meine Damen und Herren der Linken, das dies in der
Marktwirtschaft eben nicht immer der Fall ist, dürfte
sich nach über 20 Jahren auch bei Ihnen rumgespro-
chen haben. Schlechte unternehmerische Entscheidun-
gen werden folglich nicht thematisiert. Neue Förder-
programme oder Strafzölle werden der Branche auch
nicht helfen.

Die Koalition hat bereits im Sommer 2010 das Pro-
gramm „Innovationsallianz Photovoltaik“ gegründet.
Bis 2014 stehen 100 Millionen Euro zur Verfügung.
Forschung und Entwicklung sind der einzig sinnvolle
Weg für die PV-Branche. In meinem Dresdner Wahl-
kreis wird zum Beispiel an organischen PV-Modulen
geforscht. Diese Zellen sind extrem biegsam, dünn und

effizient. Das sind Lösungen, die künftig zu Wohlstand
und Wertschöpfung beitragen werden.

Ein weiteres Werkzeug haben wir Politiker in der
Hand. Es ist das EEG-Förderregime. Ich denke, es ist
Konsens in diesem Haus, dass das EEG in der heuti-
gen Form so nicht fortgesetzt werden kann. Nur wollen
offensichtlich verschiedene Parteien vor der Bundes-
tagswahl nicht davon reden, um ihren Wählern nicht
die Wahrheit sagen zu müssen. Der nächste Bundestag
wird hier eine andere Ausgestaltung finden müssen.
Wir sollten die nächste, grundlegende EEG-Novelle
für Anreize zur Innovationsförderung nutzen und etwa
bestimmte Wirkungsgrade der Anlagen als Vorausset-
zung für eine Förderung definieren. Das hilft innovati-
ven Produkten eher als die Vollkaskovergütung oder
Protektionismus.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und stelle die
angesprochenen Artikel oder Studien sehr gern zur
Verfügung.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1724046300

Die Unternehmen der deutschen Solarbranche ha-

ben in den letzten drei Jahren einen dramatischen
Wandel erfahren. Die Zahl der Arbeitsplätze ist von
einstmals 130 000 auf unter 100 000 gefallen. Q-Cells,
First Solar, Solon und SMA Solar sind nur die promi-
nentesten Unternehmen, die entweder beispiellose
Auftragsrückgänge zu verzeichnen hatten oder sogar
den Weg in die Insolvenz antreten mussten. Besonders
für ostdeutsche Regionen, in denen viele Teile der Pro-
duktionsstätten angesiedelt sind beziehungsweise wa-
ren, ist dies ein schmerzhafter Prozess.

Die Ursachen für diese Entwicklungen sind vielfäl-
tig. So wurden in den letzten Jahren weltweit große
Überkapazitäten in der Photovoltaikindustrie aufge-
baut, die einen wesentlichen Anteil an den Problemen
der deutschen Unternehmen haben. Immer wieder
wurden unter anderen von der Linksfraktion, die auch
den heute diskutierten Antrag eingebracht hat, die
Kürzungen bei den EEG-Vergütungen für Solarstrom
für den Wandel in der deutschen Solarbranche allein
verantwortlich gemacht. Doch dieses Argument greift
zu kurz. Denn eine Anpassung der Vergütungszahlun-
gen an die stetig sinkenden Modulpreise und tatsächli-
chen Stromgestehungskosten war zwingend geboten,
um den Anlagenbetreibern nicht länger zweistellige
Renditen auf Kosten der Stromkunden zu garantieren.
Allerdings hätte ein weniger chaotischer Absenkungs-
prozess mit langfristig festgelegten Degressionsschrit-
ten der Branche bessere Reaktionsmöglichkeiten gebo-
ten. Gleichzeitig hat die chinesische Regierung ihre
Solarindustrie mit staatlichen Zuschüssen und zins-
günstigen Krediten unterstützt, was es den dortigen
Unternehmen ermöglichte, Module zu vergleichsweise
sehr niedrigen Preisen anzubieten. Diese Entwicklun-
gen in China, aber auch eigene Versäumnisse der deut-
schen Unternehmen, wie zum Beispiel der zu schnelle
Aufbau von Erzeugungskapazitäten und zu geringe

Zu Protokoll gegebene Reden





Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)


Forschungsinvestitionen, führten dann zum Verlust der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen.

Letzte Woche hat die Europäische Union im Rah-
men eines Antidumpingverfahrens zu chinesischen So-
larmodulen die Einführung von Strafzöllen ab Anfang
Juni für sechs Monate und in Höhe von durchschnitt-
lich 46 Prozent beschlossen. Weitere Zölle hat die EU-
Kommission China angedroht. Dieses Vorgehen birgt
jede Menge Risiken für die europäische und besonders
für die deutsche Wirtschaft, denn es besteht die Gefahr
des sich gegenseitig Hochschaukelns. Und diese Ge-
fahr scheint sich nun zu realisieren. Im Gegenzug zu
den europäischen Strafzöllen hat die chinesische Re-
gierung ein Antidumpingverfahren zu Importen von le-
gierten Stahlrohen unter anderem aus der EU eingelei-
tet. Im Ergebnis des Verfahrens könnten chinesische
Zölle den Import deutscher und europäischer Stahlpro-
dukte erschweren oder gar verhindern. Dies zeigt: Ein
Handelsstreit mit der großen Volkswirtschaft China
hat Auswirkungen weit über den Sektor der Photovol-
taik hinaus und kann nicht im deutschen Interesse lie-
gen. Zwar ist für das Antidumpingverfahren die euro-
päische Kommission allein zuständig, jedoch darf die
Bundesregierung nicht einfach nur zusehen. Zum einen
muss eine deutsche Bundesregierung, die die Interes-
sen der deutschen Wirtschaft im Blick hat, darauf hin-
wirken, dass etwas Dampf aus dem Kessel genommen
wird und in bilateralen Gesprächen mit der chinesi-
schen Regierung eine Lösung für das Problem suchen.
Zum anderen sind im Streit um Subventionen für die
chinesische Solarindustrie alle Institutionen der WTO
und deren Streitbeilegungsmechanismen auszureizen.
Denn ein Kompromiss, der sowohl der europäischen
als auch der chinesischen Solarindustrie Entwick-
lungsperspektiven bietet, ist für beide Seiten eine bes-
sere Option als die Einführung von Strafzöllen.

Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Ausbau der
Photovoltaikanlagen in Deutschland durch die aus den
Strafzöllen resultierenden höheren Preise gebremst
wird. Dies sollte energiepolitisch nicht gewollt sein
und hat außerdem auch negative Auswirkungen auf
die vielen mittelständischen Installationsbetriebe in
Deutschland.

Unabhängig von der Lösung dieses europäisch-chi-
nesischen Streites müssen Politik und Solarindustrie
mehr für die Forschung und Entwicklung im Solarsek-
tor tun. Denn nur über eine vergleichsweise bessere
Qualität, zum Beispiel in Form höherer Effizienz be-
ziehungsweise eines besseren Wirkungsgrades und
nicht über Dumping-Preise, kann die deutsche Solar-
industrie wieder auf die Beine kommen. Zudem könn-
ten sich die Unternehmen durch das Angebot kombi-
nierter Lösungen neue Kundengruppen erschließen.
Ich denke hierbei an Systemlösungen aus Modulen und
Speichern für den Einsatz in Wohnhäusern oder auch
Quartieren.

Darüber hinaus müssen wir aus den Erfahrungen
der vergangenen Jahre lernen, um eine Wiederholung
in anderen Sektoren zu verhindern. Natürlich ist es ein

großer Unterschied, ob ein deutscher Handwerker ein
chinesisches Solarmodul auf einem Dach installiert
oder hier ein Park mit in China gefertigten Windener-
gieanlagen entstehen soll. Dennoch müssen wir die
Entwicklungen auch in anderen Sektoren genau be-
obachten und gleichzeitig den deutschen Unternehmen
Rahmenbedingungen bieten, die Forschung und Ent-
wicklung von modernen Erzeugungsanlagen mit im-
mer vielfältigeren Anforderungen ermöglichen. Wir
sind hier aktuell auf einem guten Weg, zum Beispiel bei
Technologien zur System- und Netzintegration des
Windstroms, aber um den Vorsprung zu halten, bedarf
es weiterer Anstrengungen.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1724046400

Ginge es nach den zwei Anträgen von der Linken

und von den Grünen hätte die Solarindustrie in
Deutschland auch in Zukunft um jeden Preis eine gesi-
cherte Existenz, eine gesicherte Existenz unter der
Käseglocke der Staatswirtschaft aus EEG und Finanz-
spritzen, eine gesicherte Existenz, die keine Notwen-
digkeit aufkommen lässt, dass sich diese Unternehmen
neu aufstellen oder mehr anstrengen – zum Beispiel in
Form von Forschung und Entwicklung, es sei denn,
der Staat bezahlt dafür.

Die Forderungen nach finanzieller Unterstützung
für FuE ist keine Neuigkeit. Von den Versäumnissen
der Unternehmer und Unternehmen aber spricht nie-
mand. Jenen nämlich war es wichtiger, ihre Aktionäre
zu beglücken, erst recht jene Firmenbosse, die recht-
zeitig wussten, wann die Party zu Ende sein würde.
Jetzt, nachdem alle ausbezahlt wurden, nach For-
schungsgeldern vom Staat zu schreien, finde ich
schlichtweg dreist – nicht nur aufgrund meines klaren
ordnungspolitischen Kompasses, sondern auch aus ei-
nem anderen Grund.

Ich bitte Sie nämlich, eines zu beachten: Die Photo-
voltaikindustrie ist keine Infant Industry mehr. Viel-
mehr ist die Technologie in ihrer Entwicklung weitest-
gehend ausgereizt. Natürlich lassen sich noch
einzelne, aber nur wenige Prozentpunkte bei der Effi-
zienz herauskitzeln. Aber im Grunde ist eine Solarzelle
kein Hightech-Produkt mehr. Und eben das ist auch
der Grund, weshalb die Unternehmen und Händler ak-
tuell so hohe Volumina in ihren Lägern haben. Eine
Solarzelle ist vielmehr billige Massenware, die in Fab-
riken außerhalb Deutschlands und meist in Fernost am
Fließband produziert wird.

Während sich die einen über die verwässerten
Marktpreise freuen, geht es den Kollegen von Grünen
und Linken – ganz im Gegensatz zu ihrer Argumenta-
tion in der Öffentlichkeit – nicht primär um den Klima-
schutz. Dann nämlich wäre es vollkommen egal, woher
die Module, deren Anteil an den Systemkosten kontinu-
ierlich sinkt, kommen. Es geht alleine darum, mit fa-
denscheinigen Argumenten ihre Klientel zu bedienen
und staatsdirigistisch zu bestimmen, was und wie viel
in den kommenden fünf Jahren in Deutschland produ-
ziert werden muss.

Zu Protokoll gegebene Reden





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)


Einen bestimmten Punkt aus dem Antrag der Linken
möchte ich zum Abschluss noch aufgreifen: Unver-
ständlich ist mir, dass sich die Linke plötzlich für den
Erhalt der gesamten Wertschöpfungskette zur Modul-
produktion einsetzt und dass sie dies sogar noch zur
Voraussetzung des Gelingens der Energiewende in
Deutschland macht. Ich frage mich, weshalb das nicht
auch für die Stromproduktion aus Gas gelten soll.
Nein! Da bezahlen wir lieber weiter die teuren Gaslie-
ferungen aus Russland – und verzichten in Deutsch-
land auf die Erdgasproduktion, die – und da vertraue
ich unseren erstklassigen deutschen Ingenieuren – in
Deutschland unter höchsten Umweltauflagen erfolgt.


Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1724046500

Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz aus heiterem

Himmel: Am 22. März 2013 verkündete der Bosch-
Konzern seinen Abschied aus der gesamten Solar-
sparte. Anfang 2014 sollen nach den Plänen der Kon-
zernleitung bei Bosch Solar Energy im Gewerbegebiet
Erfurter Kreuz nahe Arnstadt die Lichter ausgehen.
Wenn sich kein Käufer findet, sind die meisten der
1 850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Arnstadt
überflüssig. Außerdem stehen über 1 000 weitere Ar-
beitsplätze bei den vielen hochspezialisierten Bosch-
Zulieferbetrieben auf dem Spiel. Nach der mit der
deutschen Einheit einsetzenden Deindustrialisierung,
der über 50 Prozent der Arbeitsplätze zum Opfer fielen
und die Massenarbeitslosigkeit in der Region zur
Folge hatte, droht nun nach zaghafter Erholung ein er-
neuter Kollaps. Es gilt, diesen Kollaps durch verant-
wortungsbewusste Politik abzuwenden.

Diese verantwortungsvolle Politik ist aber leider
nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die planlosen Einschnitte
im Erneuerbare-Energien-Gesetz haben zu einem Ster-
ben der großen Solarbetriebe im Osten der Republik
geführt und erreichen mit dem absehbaren Ende des
letzten großen Players, der Bosch Solar Energy, ihren
vorläufigen Höhepunkt. Schwarz-Gelb hat die Markt-
keule rausgeholt und lässt die Solarindustrie am aus-
gestreckten Arm verhungern.

Wir werden uns mit dieser Entscheidung der Regie-
rungskoalition nicht abfinden. Die Linke kämpft um
den Erhalt jedes Arbeitsplatzes, und sie kämpft für eine
Rettung der einheimischen Solarindustrie als Stand-
ortfaktor, auch im Industriegebiet Erfurter Kreuz, und
als wichtigen, nicht wegzudenkenden Baustein des
Ausstieges aus der Atomenergie und der Energie-
wende. Mit meinem Kollegen Ralph Lenkert habe ich
darum einen Gruppenantrag initiiert und von der Bun-
desregierung ein „Solarrettungsprogramm“ eingefor-
dert.

Statt Rettungsschirme für Banken und Kredithaie ist
ein Rettungsschirm für eine zukunftsträchtige Indus-
trie, die Tausenden Menschen und ihren Familien eine
Existenzgrundlage bietet, notwendig. Zur Unterstüt-
zung dieses Gruppenantrages habe ich die Thüringer
Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen eingeladen:
Mitmachen? Fehlanzeige! Weder ein Mitglied der SPD

noch eines der Grünen und auch nicht die Mitglieder
der CDU/CSU- sowie FDP-Bundestagsfraktion woll-
ten sich beteiligen und sich für eine Unterstützung
durch die Bundesregierung starkmachen. Das ist vor
allem für die Menschen, deren Arbeitsplätze akut ge-
fährdet sind, eine herbe Enttäuschung.

Natürlich geht es darum, die Regionen in Ost-
deutschland zu retten, in denen die Ansiedelung der
Produktionsstätten der Photovoltaikbranche den Men-
schen wieder Hoffnung für die Zukunft gab. Genau
diese Menschen mussten vor zwanzig Jahren schon
einmal dem vollständigen Zusammenbruch ihrer örtli-
chen Industrie tatenlos zusehen. Sie haben schmerzlich
erfahren, was es heißt, arbeitslos und auf Sozialleis-
tungen angewiesen zu sein. Sie wissen, was es heißt,
keine Zukunftsperspektive zu haben. Zehntausende ha-
ben daraufhin diese Regionen verlassen. Die Photo-
voltaikindustrie stellte dort einen industriepolitischen
Neuanfang dar. Ein abermaliger Niedergang eines
ganzen Industriezweiges und eine damit einherge-
hende zweite Deindustriealisierungwelle wäre für die
Menschen vor Ort eine Katstrophe und würde nicht
nur die Erwerbsgrundlage Tausender Familien, son-
dern auch das Vertrauen in die Politik nachhaltig zer-
stören.

Dass Sie sich, verehrte Kollegen und Kolleginnen
von Union, FDP, Grünen und SPD nicht an einem par-
teiübergreifenden Gruppenantrag beteiligen wollen,
mögen die erneut vom Schicksal Gebeutelten, um ihre
Hoffnungen und die Zukunftsaussichten gebrachten
Menschen speziell in der Region Arnstadt-Erfurter
Kreuz bewerten.

Wir lassen uns von Ihrem Desinteresse nicht entmu-
tigen und stellen nun diesen Antrag zur Diskussion.
Wir geben Ihnen hiermit erneut eine Chance, zu zei-
gen, dass Ihnen das Schicksal der Solarindustrie und
der Menschen, die dort Lohn und Brot finden, etwas
bedeutet. Es ist nun an Ihnen, warum Sie jeder Ban-
kenrettung und jeder vermeintlichen Euro-Rettung zu-
stimmen, sich aber der Rettung der Erwerbsgrundlage
für Tausende Familien, insbesondere im Freistaat Thü-
ringen, verweigern. In meinen Augen stellen Sie sich
damit ein Armutszeugnis aus.

Das Argument, die deutsche Solarindustrie sei am
Weltmarkt aufgrund der hohen Lohnkosten in Deutsch-
land nicht konkurrenzfähig, ist unakzeptabel. Die deut-
sche Solarindustrie hat sehr viel Geld in die For-
schung und Entwicklung gesteckt, viele innovative
Produkte sind daraus hervorgegangen, die Effizienz
wurde erheblich gesteigert. Nun kommt es darauf an,
die gegenwärtige Durststrecke durchzustehen. Wenn
Deutschland zu früh aufgibt, werden andere Wettbe-
werber frohlocken. So ist das im modernen Kapitalis-
mus. Es ist vornehmliche Aufgabe von Industriepolitik,
die Markteinführung einer neuen Technologie durch
verlässliche, ordnungspolitische Rahmenbedingungen
zu gewährleisten und der hiesigen Solarindustrie über
eine Durststecke zu helfen, die die Bundesregierung

Zu Protokoll gegebene Reden





Jens Petermann


(A) (C)



(D)(B)


durch ihre Fehlentscheidungen mit zu verantworten
hat.

Wir begrüßen darum auch, dass die EU-Kommis-
sion ab 5. Juni 2013 Anti-Dumping-Zölle auf Solarpa-
neele aus China vorerst für sechs Monate einführen
wird. Mit Zustimmung der Mitgliedstaaten besteht die
Möglichkeit der Verlängerung um fünf Jahre. Das
würde zunächst erst einmal eine faire Wettbewerbssi-
tuation herstellen und ist ein kleiner Lichtblick für die
Erholung der einheimischen Solarindustrie. Denn die
fernöstlichen Mitbewerber haben mittlerweile in Eu-
ropa einen Marktanteil von 85 Prozent erarbeitet. Die
importierten Module sind um 30 Prozent billiger als
einheimische Produkte. Die Volksrepublik China för-
dert die Dumpingpreise ihrer Solarhersteller mit Mil-
liardenbeträgen. Die Bundesregierung dagegen lässt
ihre Hochtechnologieindustrie vor die Wand fahren,
ohne einen Finger krumm zu machen. Von fairem Wett-
bewerb kann man da nicht mehr sprechen. Wenn glei-
che Wettbewerbsbedingungen hergestellt sind, hat un-
sere Solarindustrie eine Chance. Davon bin ich fest
überzeugt.

Deshalb fordern wir mit unserem Antrag die Bun-
desregierung auf, unserer Solarindustrie durch fol-
gende Maßnahmen eine Chance zu geben:

Erstens. Ein kurzfristiges Unterstützungsprogramm
mit zinsgünstigen Krediten aufzulegen;

Zweitens. Ein Förderprogramm für kommunale In-
vestitionen in erneuerbare Energien auf den Weg zu
bringen;

Drittens. Die Forschung und Entwicklung von Spei-
cherlösungen im Bereich Photovoltaik zu fördern;

Viertens. Bei der Europäischen Union für ein Inves-
titionsprogramm für autarke Stromerzeugung aus er-
neuerbaren Energien und Speicherlösungen auf be-
wohnten Inseln einzutreten;

Fünftens. Leasing- und Finanzierungsmodelle zur
mobilen Spezialanwendung von Photovoltaikanlagen
zu entwickeln.

Weiteren Ideen sind keine Grenzen gesetzt, wir war-
ten auf Ihre Vorschläge.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU,
der SPD, der Grünen und der FDP, wir haben von Ih-
nen bis heute nichts außer Lippenbekenntnissen zur
Lösung des Problems vernommen. Die Menschen er-
warten mehr. Sie haben nichts vorgelegt. Sie haben
sich wahrscheinlich nicht einmal Gedanken gemacht.
Wachen Sie endlich auf. Es ist noch nicht zu spät, sich
für die Rettung der Arbeitsplätze in der Solarindustrie
in Ostdeutschland einzusetzen. Das geht ganz einfach:
Springen Sie über Ihren ideologischen Schatten und
stimmen Sie unserem Antrag zu! Die Menschen vor Ort
werden es Ihnen danken.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724046600

Vor gut einem Jahr hat der damalige Umweltminis-

ter Röttgen aus meiner Rede zitiert, die ich zur EEG-
Novelle vor drei Jahren gehalten hatte. Ich hätte vor
Insolvenzen und Arbeitsplatzverlusten in der Solarin-
dustrie gewarnt, die dann nicht gekommen seien.

Inzwischen ist der von der Bundesregierung ange-
richtete Schaden für alle offensichtlich. Wir hören von
50 000 Arbeitsplätzen, die in den letzten zwei Jahren
verloren gegangen sind. Und eine Insolvenzhiobs-
botschaft folgt auf die andere. So hat sich nach einer
Meldung von heute der Umsatz von SMA im letzten
Jahr halbiert. Ja, natürlich hat das nicht nur mit der
verfehlten Solarpolitik von Schwarz-Gelb zu tun, son-
dern auch mit der wachsenden Konkurrenz aus China.
Die chinesische Regierung hat aber im Gegensatz zu
Schwarz-Gelb klar erkannt, dass die Photovoltaik ei-
ner der wichtigsten und größten Exportmärkte der na-
hen Zukunft sein wird und unterstützt daher strate-
gisch den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Und was macht die Bundesregierung? Was machen
die Minister Rösler und Altmaier? Sie legen die Hände
in den Schoss und schauen der deutschen Solarindust-
rie beim Sterben zu.

Stehen Banken durch eigenes Missmanagement am
Abgrund, werden sie auf Kosten des Steuerzahlers ge-
rettet. Haben die deutschen Automobilkonzerne eine
Absatzkrise, wird eine Abwrackprämie beschlossen.
Aber wann, meine Damen und Herren von der Bundes-
regierung, machen sie endlich etwas für die Solar-
wirtschaft? Bis heute gibt es keine Initiative aus dem
Wirtschaftsministerium für eine strategische Industrie-
politik für die Solarwirtschaft.

Die Inaktivität der Bundesregierung ist ein Grund,
warum deutsche Modulhersteller mit dem fatalen Anti-
Dumpingverfahren bei der Europäischen Union versu-
chen, sich selbst zu helfen, ein Weg, der die Situation
der Solarindustrie nur noch viel schlimmer macht. So
bringen wenige Solarfirmen um Solarworld gegen den
Willen von über 500 anderen Solarfirmen nun die
ganze Branche noch näher an den Abgrund.

Die von der EU-Kommission beschlossenen Straf-
zölle haben bereits vor dem Anordnen der Zölle zu ei-
ner Verteuerung von Photovoltaikmodulen geführt. Als
Folge daraus kommt aktuell der Ausbau der Photovol-
taik weitgehend zum Erliegen. Denn die aus den Straf-
zöllen resultierenden höheren Modulpreise machen bei
den heutigen Vergütungssätzen für Solarstrom in den
meisten EU-Ländern und auch in Deutschland eine
wirtschaftliche Investition in die Solarstromproduktion
in vielen Segmenten nicht mehr möglich.

Darüber hinaus werden laut einer Prognos-Studie
Zehntausende weitere Arbeitsplätze in der Zulieferin-
dustrie, bei den Solarteuren und den Anlagenbauern
verloren gehen und diese Entwicklung ist schon voll im
Gange. Aber auch den deutschen Modulherstellern
werden die Strafzölle nicht helfen, weil gerade die
hochpreisigen Module aus deutscher Produktion in ei-

Zu Protokoll gegebene Reden





Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)


nem Umfeld mit niedrigen Einspeisevergütungen kaum
eine Chance haben. Außerdem müssen wir einen zu-
sätzlichen Arbeitsplatzverlust in den Branchen erwar-
ten, in denen China im Gegenzug Zölle erheben
könnte.

Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Ver-
hindern Sie diese Strafzölle und entwickeln Sie endlich
eine aktive Industriepolitik für die Solarwirtschaft!
Und die EU-Kommission fordern wir auf, die vorsorg-
lich ausgesprochenen Strafzölle sofort zurückzuziehen.

Wir brauchen einen nationalen Solargipfel, auf dem
wir folgende Punkte angehen müssen. Die deutsche
Solarindustrie braucht Bankkredite, mit denen Investi-
tionen in Innovationen und die Erneuerung von
Produktionsanlagen und Maschinenparks finanziert
werden. Dazu bedarf es einer Absicherung durch
staatliche Bürgschaften, zum Beispiel durch die KfW-
Bankengruppe oder die Bürgschaftsbanken.

Wir brauchen eine wesentlich stärkere Forschungs-
offensive, eine Forschung, um die hohe Solarkompe-
tenz in Deutschland zu halten. Die Gegenfinanzierung
könnte aus Mitteln der wirtschaftlich wie energiepoli-
tisch völlig erfolglosen Kernfusion erfolgen.

Insbesondere müssen Bundesregierung und EU-
Kommission mit der chinesischen Regierung, aber
auch mit Indien, den USA unter anderen, unverzüglich
und auf höchster Ebene Gespräche über die Schaffung
fairer Wettbewerbsbedingungen, gegenseitig freier
Marktzugänge in der weltweiten Solarbranche und die
Einhaltung der WTO-Regeln führen.

Dass die Bundesregierung keine wirksame Solarin-
dustriepolitik angegangen hat und sie immer noch ver-
weigert sowie nur halbherzig gegen die Strafzölle vor-
geht, lässt Schlimmes vermuten: Insgeheim freuen sich
Wirtschaftsminister Rösler und der Wirtschaftsflügel
der Union über den Niedergang der Solarwirtschaft,
haben sie ihn doch immer gefordert. Aber dies ist nicht
nur fahrlässig für Klimaschutz und Energiewende, das
ist fahrlässig für die Exportnation Deutschland insge-
samt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724046700

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen

auf den Drucksachen 17/13242 und 17/9742 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind alle damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann haben wir das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 48 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Netzneutralität gesetzlich festschreiben

– Drucksache 17/13466 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss

Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

Wie schon in der Tagesordnung ausgewiesen, werden
die Reden zu Protokoll genommen.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1724046800

Es wäre schön gewesen, wenn sich die Kollegen der

Linken bei der Debatte um die Netzneutralität wenigs-
tens ein Mal neutral verhalten hätten. Dass die tiefroten
Genossinnen und Genossen am liebsten alles „endlich
gesetzlich festschreiben“ würden – flächendeckende
Mindestlöhne, die Höhe der Managergehälter oder
den Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkom-
men –, ist höchstwahrscheinlich aus alten SED-Zeiten
genetisch vererbt.

Aber wie bei so vielem nicht nur in der Politik, muss
man sich die Sache auch in der Debatte um das Thema
Netzneutralität schon etwas genauer anschauen: Da
gibt es die eine Seite, die – wie Sie – Netzneutralität um
jeden Preis ins Bundesgesetzblatt schreiben will, ohne
die Entwicklung der Datennachfrage und des Netzaus-
baus sehen zu wollen. Und da sind auf der anderen
Seite die Netzbetreiber, die möglichst ohne Regulie-
rung oder gar gesetzliche Regelung bleiben wollen
und darin gar eine Gefahr für künftige Netzinvestitio-
nen sehen. Beide Entweder-oder-Positionen sind mit
Vorsicht zu genießen.

Natürlich ist es zunächst einmal – ordnungspoli-
tisch gesehen – eine freie unternehmerische Entschei-
dung, wie ein Telekommunikationsanbieter seine Tarif-
struktur gestaltet. Durchaus nachvollziehbar ist es für
mich, wenn ein Netzbetreiber seine Tarife vor dem
Hintergrund der in den letzten Jahren explosionsartig
angestiegenen Datenvolumina in den nicht endlos zur
Verfügung stehenden Netzen erhöht. Ob das in der
Konsequenz gut ist für Internetnutzer, für die Wirt-
schaft, ist eine andere Frage. Doch dazu später mehr.
Aussagen wie „Das freie und offene Internet wird den
Profitinteressen großer Internetprovider geopfert“
sollten jedenfalls nicht so unüberlegt dahergeschwätzt
werden, wie Sie das in Ihrem Antrag tun, werte Kolle-
gen der Linksfraktion.

Mit dem Aufbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen,
VDSL-, DOCSIS-3.0- und Glasfasernetze, also den
„next generation networks“, ist die Nachfrage nach
hochvolumigen Datenströmen in den letzten Jahren er-
freulicherweise stark gestiegen. In den Städten stehen
heute, Stand: 30. April 2013, bundesweit 100 Prozent
aller Haushalte mindestens 1 Megabyte pro Sekunde
zur Verfügung, 99,4 Prozent aller Haushalte mindes-
tens 2 Megabyte pro Sekunde, 96,8 Prozent wenigstens
6 Megabyte pro Sekunde, 90 Prozent haben in den
Städten mindestens 16 Megabyte pro Sekunde und
ganze 77,3 Prozent dort schon 50 und mehr Megabyte
pro Sekunde. Die ländlichen Regionen hinken der Ent-
wicklung leider noch etwas hinterher: 95,8 Prozent al-
ler Haushalte auf dem Land verfügen über mindestens
1 Megabyte pro Sekunde, 90,2 Prozent über mindes-
tens 2 Megabyte pro Sekunde, wenigstens 6 Megabyte





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


pro Sekunde bekommen 73,8 Prozent der ländlichen
Haushalte, mindestens 16 Megabyte pro Sekunde ha-
ben 42,3 Prozent der Haushalte in den kleinen Ge-
meinden und Dörfern. 50 Megabyte pro Sekunde be-
kommen in den ländlichen Regionen jedoch leider nur
10,2 Prozent der dortigen Haushalte. Mit der Novelle
des Telekommunikationsgesetzes im vergangenen Jahr
und mit unserer Breitbandstrategie haben wir wichtige
Maßnahmen dahin gehend auf den Weg gebracht, dass
2018 flächendeckend, also auch in den außerstädti-
schen Gegenden, möglichst 50 Megabyte pro Sekunde
zur Verfügung stehen. Mit diesen Netzen der nächsten
Generation schaffen wir die Voraussetzungen für die
Anwendungen von morgen: Nicht nur die Verschickung
von E-Mails und das Öffnen von Webseiten, sondern
auch für Echtzeitanwendungen wie Voice over IP,
IPTV, Web-TV, Onlinespiele, aber auch Videokonferen-
zen oder Telemedizinanwendungen. Das ist die Ent-
wicklung, die wir brauchen, um unsere Lebensqualität
an heutige Bedürfnisse anzupassen, aber auch, um
wirtschaftlich im internationalen Wettbewerb bestehen
zu können.

Wenn nun die Deutsche Telekom ankündigt, ab 2016
das Datenvolumen bei ihren Internetkunden deckeln zu
wollen, und zwar für Tarife mit Geschwindigkeiten bis
zu 16 Megabyte pro Sekunde auf maximal 75 Gigabyte
und bei Tarifen mit Geschwindigkeiten bis zu 50 Mega-
byte pro Sekunde auf maximal 200 Gigabyte, so mögen
diese Datenvolumina aus heutiger Sicht noch relativ
hoch bemessen scheinen. Aber die rasant sich ent-
wickelnde Welt der Daten bleibt ja nicht stehen. Die
Telekom selbst prognostiziert in ihrer „Medieninfor-
mation“ vom 22. April, dass sich das Datenvolumen
im Netz bis 2016 vervierfachen werde. Dann sollen

(eine Zahl mit 20 Nullen)

eine nur vorsichtige Schätzung.

Die Gefahr, die mit einer solchen Datenbremse ver-
bunden ist – egal ob bei der Telekom, bei 1 & 1 oder
etwa bei Kabel Deutschland, die eine Drosselung
schon im Sommer 2012 angekündigt hatten –, ist mei-
nes Erachtens die, dass bei einem Preisaufschlag
– und seien es nur 10 bis 20 Euro, wie die Telekom ihn
nehmen will – die Bereitschaft, dafür zu zahlen, bei
vielen weniger zahlungskräftigen Privatkunden nicht
mehr da ist. Das könnte den Ausbau bremsen. Ich ge-
höre nicht zu den marktoptimistischen Wettbewerbs-
theoretikern, die in einem Preisaufschlag im Sinne ei-
ner Durchleitungsgebühr für Nutzer überproportional
intensiven Datentransfervolumens mehr Wettbewerb
im Netz prognostizieren; im Gegenteil: Das noch Jahre
und Jahrzehnte kontinuierlich ansteigende Daten-
transferaufkommen muss vielmehr Anreiz für Wirt-
schaft und Politik sein, mehr Geld in die Netze zu in-
vestieren, damit die Netze mit Angebot und Nachfrage
auf Datenseite mithalten können. Wir dürfen jetzt nicht
die Hände in den Schoß legen und sagen: So, jetzt ha-
ben wir das Netz erst einmal ausgebaut, damit müsst
ihr zurechtkommen. Dann kann das Best-Effort-Prin-
zip, also das Prinzip, dass jedes Datenpaket mit der

gleichen Priorität behandelt und schnellstmöglich so-
wie in bestmöglicher Qualität weitergeleitet wird,
nicht mehr funktionieren, weil die Netze bald verstopft
sind.

Und da sind wir beim Thema Netzneutralität: Na-
türlich wollen auch wir von der Koalition grundsätz-
lich, dass „IP-Datenpakete im Internet gleichberech-
tigt und diskriminierungsfrei behandelt werden“, wie
auch die Linksfraktion in ihrem Antrag es fordert. Aber
wir müssen auch etwas dafür tun, nämlich die Netze
weiter ausbauen. Sonst sind die Netzbetreiber natür-
lich dazu gezwungen, Preisklassen abhängig von Da-
tenvolumina einzuführen. Aber damit würgen wir die
Entwicklung bei den Datenanwendungen ab, Stichwort
IPTV und andere.

Wie Sie wissen, haben wir im Rahmen der TKG-No-
velle 2012 einen neuen § 41 a ins TKG aufgenommen.
Wohlweislich haben wir da mit Blick auf die derzeiti-
gen strittigen Diskussionen in Politik, unter Juristen
und in der Netzgemeinde – auch auf europäischer
Ebene – noch keine direkten gesetzlichen Vorgaben ge-
macht. Mit Ausnahme der Niederlande hat bisher kein
EU-Mitgliedstaat und auch nicht die – oftmals vorei-
lige – EU irgendwelche Vorgaben zur Netzneutralität
erlassen. Das Thema ist sehr komplex und bedarf wei-
terer Auseinandersetzung. Ich verweise hier nur auf
den Bericht der Bundestags-Enquete-Kommission „In-
ternet und digitale Gesellschaft“ auf Bundestags-
drucksache 17/8536, der ja auch nicht ohne abwei-
chende Meinungen zustande gekommen ist und der die
unterschiedlichen Ansätze deutlich wiedergibt. Auch das
Bundeswirtschaftsministerium befördert das Thema
kontinuierlich, etwa mit Veranstaltungsreihen zum
Thema.

Mit dem neuen § 41 a TKG haben wir eine Rahmen-
regelung zur Netzneutralität geschaffen, nach der die
Bundesregierung ermächtigt ist, in einer Rechtsver-
ordnung – wohlweislich mit Zustimmung von Bundes-
tag und Bundesrat – „gegenüber Unternehmen, die Te-
lekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen
Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Daten-
übermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang
zu Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine
willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine
ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung
des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern“. Der
Gesetzestext ist ausdrücklich fokussiert auf das Vorge-
hen gegen eine willkürliche Verschlechterung von
Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder
Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen. Da-
rum geht es, nicht um den Sozialismus in den Netzen.
Außerdem haben wir in § 41 a Abs. 2 Nummer 2 TKG
festgelegt, dass die Telekommunikationsanbieter in ih-
ren Verträgen auf „alle Einschränkungen im Hinblick
auf den Zugang und die Nutzung von Diensten und An-
wendungen hinzuweisen“ haben. Diese Informations-
verpflichtungen können nach § 45 n Abs. 4 Nummer 3
TKG durch eine Rechtsverordnung der Bundesnetz-
agentur nochmals konkretisiert und erweitert werden.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Damit haben wir auch dem Gebot der Transparenz Ge-
nüge getan.

Im Übrigen vermengen Sie, werte Kollegen der
Linksfraktion, die Debatte um die Netzneutralität im
eigentlichen Sinne mit der zu Recht umstrittenen
Frage, ob das Telekom-eigene Fernseh- und Rund-
funkangebot „Entertain“ aus dem dem Kunden maxi-
mal zustehenden Datenvolumen herausgerechnet wer-
den darf. Die Telekom argumentiert damit, dass die
Kunden für „Entertain“ ja extra bezahlen müssten und
dass es sich hier um ein Fernsehangebot mit einer me-
dienspezifischen Regulierung durch die Landesme-
dienanstalten handele, also nicht um eine IP-basierte
Internetanwendung. Die Gegenseite sieht mit der He-
rausnahme von „Entertain“ aus dem zur Verfügung
stehenden Datenvolumen eine Bevorzugung eigener
Dienste und damit eine unzulässige Diskriminierung
von Wettbewerbern, die ebenfalls Fernseh- und Rund-
funkdienste anbieten. Darüber muss man in der Tat re-
den. Die Bundesnetzagentur wird diesen Telekom-Plan
juristisch genauestens unter die Lupe nehmen und
wenn notwendig einschreiten.

An dieser Stelle sei auch mal gesagt, dass die Öf-
fentlichkeitsarbeit der Deutschen Telekom hier nicht
gerade ein Lehrstück für gelungene Kommunikation
war. Pläne, Datenmengen und Zeiträume nur scheib-
chenweise herauszurücken, macht mich jedenfalls erst
einmal eher skeptisch, was denn da eventuell noch al-
les kommt. Erst vor ein paar Tagen etwa ist durchgesi-
ckert, dass es doch noch eine „echte“ Flatrate für
einen Preisaufschlag geben soll. Davon war in der bis-
herigen Debatte nicht die Rede. Ein so marktstarkes
Unternehmen kann so nicht Politik- und Öffentlich-
keitsarbeit betreiben.

Aber wieder zur Sache: Wir müssen sachlich debat-
tieren über die Frage einer eventuellen Bevorzugung
eigener Dienste und über die Frage, ob wir Best Effort
erhalten können oder nicht, wenn wir den Netzausbau
nicht mit allen Kräften forcieren. Wir dürfen nicht so-
zialutopische Krokodilstränen vergießen, wie die Lin-
ken es in ihrem Antrag wieder tun, wenn sie schreiben:
„Der Weg zu einem Zwei-Klassen-Internet wird weiter
geebnet. In der ersten Klasse können Besserverdie-
nende alle gewünschten Dienste nutzen. In der zweiten
Klasse gibt es für Einkommensschwache und für deren
Kinder nur noch das, was Internetprovider für wenig
Geld anzubieten haben. Damit wird ganz nebenbei und
zum wiederholten Male der Zugang zu Wissen und
Teilhabe abhängig vom Geldbeutel gemacht. Das freie
und offene Internet wird den Profitinteressen großer
Internet-Provider geopfert.“

Das ist ja mal wieder neosozialistische Propaganda
erster Güte! Wir dürfen doch nicht bei einem solchen
zukunftsweisenden Thema eine solche Neiddebatte
aufmachen und damit die – nicht nur digitale – Gesell-
schaft spalten! Was wir tun müssen, ist, alle Kräfte
dazu zu verwenden, den Breitbandausbau vor allem in
der Fläche voranzutreiben. Nur mit einer erstklassigen
Breitbandinfrastruktur in den Städten und auf dem

Land können wir Deutschland international in der ers-
ten digitalen Liga behaupten. Nur „Breitband für
alle!“ zu rufen, ohne sich um den Netzausbau zu küm-
mern, ist einfach zu wenig. Das hat schon in vielerlei
Hinsicht in der DDR nicht funktioniert, wie sich die
Damen und Herren Genossinnen und Genossen erin-
nern sollten.


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1724046900

Der Grund für die heutige Debatte im Parlament

sind die von der Deutschen Telekom angekündigten
neuen Tarife. Das Unternehmen hatte zwischenzeitlich
laut darüber nachgedacht, künftig keinen Flatrate-
Tarif für das Internet mehr anzubieten und innerhalb
der neuen Tarifstruktur sogenannte Managed Services
zu privilegieren. Diese Ankündigung hat für eine teil-
weise heftige öffentliche Reaktion gesorgt und das mit-
unter zu Recht.

Der Hauptstreitpunkt war in diesem Zusammen-
hang die Frage, ob die Deutsche Telekom mit ihren
Tarifen gegen das Prinzip der Netzneutralität verstößt.
In der Tat sind hier Zweifel angebracht. Darum hat die
Bundesnetzagentur entsprechende Auskünfte des Un-
ternehmens verlangt, um eine Bewertung vorzuneh-
men. Die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde
wacht über die Einhaltung der Netzneutralität in
Deutschland. Wir haben sie dazu befähigt. Parallel
dazu hat das Bundeskartellamt angekündigt, die neuen
Vorhaben der Telekom wettbewerbsrechtlich zu prüfen.
Sie sehen also, dass bereits reagiert wird.

Die christlich-liberale Koalition hat darüber hinaus
das Prinzip der Netzneutralität längst gesetzlich ver-
ankert.

Im TKG heißt es im § 41 a Netzneutralität „(1) Die
Bundesregierung wird ermächtigt, in einer Rechtsver-
ordnung mit Zustimmung des Bundestages und des
Bundesrates gegenüber Unternehmen, die Telekommu-
nikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen Anforde-
rungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermitt-
lung und den diskriminierungsfreien Zugang zu
Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine will-
kürliche Verschlechterung von Diensten und eine un-
gerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des
Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern; sie be-
rücksichtigt hierbei die europäischen Vorgaben sowie
die Ziele und Grundsätze des § 2.“

Sie sehen also: Während Sie Anträge schreiben, ha-
ben wir bereits die gesetzlichen Grundlagen geschaf-
fen, um Netzneutralität in Deutschland durchzusetzen;
denn wenigstens in diesem Punkt sind wir uns einig:
Die Netzneutralität ist ein hohes Gut. Wie bereits in
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Ge-
sellschaft“ festgehalten, ist für uns die gleichberech-
tigte und diskriminierungsfreie Weiterleitung von Da-
tenpaketen eine wesentliche Grundkomponente des
freien Internets.

Vor diesem Hintergrund sollten wir einen kritischen
Blick auf die Pläne der Telekom werfen. Die erste An-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)


kündigung, keinen Flatrate-Tarif mehr anbieten zu
wollen, kann man als unternehmerisch nicht klug be-
zeichnen; denn nach wie vor gibt es Wettbewerber, die
genau das tun und damit unter Umständen neue Kun-
den generieren können. Eine unternehmerische Bewer-
tung können wir treffen, aber sie berührt uns als Ge-
setzgeber zunächst einmal nicht, wenn es allein um
eine Abkehr vom Modell der Flatrate-Tarife gehen
würde.

Darum ist es wichtig, festzuhalten: Netzneutralität
bedeutet nicht Flatrate für alle und das möglichst
günstig.

Ich persönlich halte die Ankündigung der Telekom
dennoch für nicht klug; denn sie wird allein durch die
Art und Weise der Kommunikation eventuell Kunden
verlieren. Ob es demnächst wieder einen Markt in
Deutschland für an ein Volumen gebundene Tarife
gibt, wird man darüber hinaus abwarten müssen. Auch
können wir als Politik kommentieren, entscheiden wird
das allein der Verbraucher und damit der Markt.

Prinzipiell steht also einem an ein Datenvolumen
gekoppeltes Tarifmodell nichts im Wege, wenn dadurch
nicht die Netzneutralität verletzt wird.

Ich sehe daher mit einer gewissen Sorge, dass ein
wesentlicher Teil der Debatte am Kern des Problems
vorbei geführt wird. Nicht ein Tarifmodell, das ab dem
Erreichen eines bestimmten Datenvolumens die Ge-
schwindigkeit drosselt, damit der Kunde neues Daten-
volumen zukaufen muss, ist das Problem. Entschei-
dend ist ein ganz anderer Punkt.

Sehr kritisch muss man nämlich die Ankündigung
der Telekom sehen, bestimmte Dienste von einer An-
rechnung auf das im Paket verkaufte Datenvolumen
auszunehmen. Hier erfolgt im Zweifel die Diskriminie-
rung von Diensten Dritter quasi per Ansage, und das
wäre in der Tat ein glasklarer Verstoß gegen die
Netzneutralität. Die Telekom argumentierte zunächst,
dass sogenannte Managed Services von einer entspre-
chenden Bewertung ausgenommen werden müssten.
Auch hier ist unsere Haltung – und auch die der Bun-
desnetzagentur – mehr als klar: Eine Diskriminierung
innerhalb von Diensteklassen, also beispielsweise die
Bevorzugung eines Video-on-demand-Angebotes in
Abgrenzung zu anderen Angeboten, ist im Sinne der
Netzneutralität nicht zulässig.

Wir wollen, dass die Nutzer auch künftig frei ent-
scheiden können, welche Dienste sie im Netz nutzen,
und dass diese Entscheidung nicht „geleitet“ wird
durch eine Koppelung von Netzzugang und dem Ange-
bot bestimmter Dienste. Dass die Telekom oder ein an-
derer beliebiger Infrastrukturanbieter das zur Verfü-
gung gestellte Datenvolumen auf bestimmte Dienste
anrechnet und auf andere nicht – ob das für den Be-
reich Musikstreaming, Video on Demand oder andere
Services gilt –, darf es auch künftig nicht geben. Dazu
braucht es aber derzeit keine neuen Gesetze, sondern
die zuständige Aufsicht und die Regulierungsbehörden
müssen handeln.

Die Telekom hat längst erkannt, dass sie mit ihrer
„Idee“ vor den Regulierungsbehörden in dieser Form
nicht wird bestehen können. Darum hat das Unterneh-
men angekündigt, dass es auch künftig eine Flatrate
geben wird – allerdings teurer. Ob es dem Unterneh-
men gelingt, parallel dazu andere Tarifmodelle zu eta-
blieren, wird sich weisen. Auch diese müssen zudem
den oben formulierten Ansprüchen gerecht werden.

Darum bleibt es dabei: Wir haben die Netzneutrali-
tät im TKG verankert. Die Aufsichtsbehörden wie das
Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur haben
die Deutsche Telekom aufgefordert, ihre Pläne vorzu-
legen, und dem Unternehmen einen umfassenden Fra-
genkatalog vorgelegt. Auf die Beurteilung darf man
gespannt sein. Sollte sich die Bundesnetzagentur nicht
in der Lage sehen, der Telekom entsprechende Regu-
lierungsvorgaben zu machen, wovon allerdings auszu-
gehen ist, dann wird die Bundesregierung die ihr im
TKG eröffneten Möglichkeiten nutzen, um Netzneutra-
lität in Deutschland auch für die Zukunft sicherzustel-
len.


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1724047000

Aus aktuellem Anlass ist das Thema Netzneutralität

wieder in den besonderen Fokus der Öffentlichkeit ge-
rückt.

Die SPD Bundestagsfraktion hat hierzu bereits vor
gut zwei Jahren im Rahmen der Diskussion um eine
Novellierung des Telekommunikationsgesetzes einen
umfassenden Antrag in den Bundestag eingebracht.
Darin haben wir die Aufnahme wirksamer Gesetzesre-
gelungen zur nachhaltigen Sicherung der Netzneutra-
lität gefordert und konkrete Vorschläge vorgelegt.

Leider weigert sich die schwarz-gelbe Regierungs-
koalition bis heute, über lediglich abstrakte Ermächti-
gungen hinaus konkretere gesetzliche Vorgaben zur
Sicherung der Netzneutralität vorzunehmen. Die ak-
tuelle Debatte beweist, wie falsch es war, die Novellie-
rung des TKG nicht dafür zu nutzen, klare Rahmen-
bedingungen für die Unternehmen zu definieren,
konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Bundesnetz-
agentur zu formulieren und somit Rechtssicherheit für
alle Beteiligten zu schaffen.

Warum ist uns Netzneutralität so wichtig? Der Cha-
rakter des Internets als freies und offenes Medium
muss bewahrt und gestärkt werden. Auf Grundlage der
Netzneutralität hat sich das Internet als Innovations-
magnet für die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklung erwiesen. Durch den gleichberechtigten
Datentransport bestehen optimale Teilhabebedingun-
gen und geringe Marktzugangsbarrieren. Neue An-
wendungen können kostengünstig im Netz eingestellt
und von den Nutzern frei abgerufen werden. Deshalb
wollen wir das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich
absichern.

Der zitierte Antrag der SPD-Bundestagsfraktion
enthält hierzu eine Vielzahl konkreter Bestimmungen.
So soll Netzneutralität als eines der Regulierungsziele

Zu Protokoll gegebene Reden





Martin Dörmann


(A) (C)



(D)(B)


im Telekommunikationsgesetz verankert und dort defi-
niert werden. Kern der Netzneutralität ist auch weiter-
hin der Gleichbehandlungsgrundsatz, weshalb ein
ausdrückliches Diskriminierungsverbot für den Daten-
transport erforderlich ist. Das „any to any“-Prinzip
soll festgeschrieben werden, wonach jeder grundsätz-
lich Zugang zu jedem Inhalt im Internet haben und In-
halte selbst anbieten kann.

Netzwerkmanagement soll weiterhin möglich sein,
um die Funktionsfähigkeit der Netze zu sichern und
dafür zu sorgen, dass zeitkritische Dienste auch in
Überlastungssituationen in der erforderlichen Quali-
tät bei den Endkunden ankommen. Allerdings darf dies
keineswegs zur Verdrängung des heute bekannten
„Best-effort-Internet“ führen, das vielmehr weiter
ausgebaut werden muss.

Nach unseren Vorstellungen soll die Bundes-
netzagentur ausdrücklich beauftragt werden, die Ein-
haltung der Netzneutralität und eine ausreichende
Best-effort-Qualität im Internet zu sichern. Sie soll
angemessene Mindestqualitätsstandards für die
Durchleitung von Datenpaketen festlegen können und
einen jährlichen Bericht zum Stand der Netzneutralität
erstellen. Bei Verstößen gegen Netzneutralität wollen
wir Kunden ein Sonderkündigungsrecht einräumen.
Gleiches soll gelten, wenn vertraglich zugesicherte
Mindestgeschwindigkeiten nicht eingehalten werden.

Die Regierungskoalition hat sich leider stets einer
konkreten gesetzlichen Regelung zu diesen Punkten
verschlossen und stattdessen im Rahmen der TKG-
Novelle in letzter Minute den § 41 a TKG aufgenom-
men. Darin wird die Bundesregierung zur Festlegung
einer Rechtsverordnung ermächtigt, um die willkürli-
che Verschlechterung von Diensten und eine unge-
rechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des
Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. Zugleich
wurde die Bundesnetzagentur ermächtigt, in einer
technischen Richtlinie Einzelheiten über die Mindest-
anforderungen an die Dienstequalität durch Verfügung
festzulegen.

Leider wurde aber bislang von beiden Ermächti-
gungen kein Gebrauch gemacht. Dabei hätte dies ge-
rade im Hinblick auf die Diskussionen sowohl bei der
TKG-Novelle als auch in der Enquete-Kommission für
Internet und digitale Gesellschaft nahe gelegen. Dies
belegt einmal mehr, dass die Bundesregierung zum
Thema Netzneutralität gerne symbolische Reden hält,
aber wenn es konkret werden soll, durch Untätigkeit
glänzt. Dies ist wahrlich kein angemessener Umgang
mit einem solch wichtigen Anliegen.

Auch im Zusammenhang mit der aktuellen Diskus-
sion um neue Volumentarife für Neukunden im Fest-
netzbereich der Deutschen Telekom gibt sich Bundes-
wirtschaftsminister Rösler gerne als Verfechter der
Netzneutralität. Es ist zu erwarten, dass dies am Ende
aber bloße Worthülsen bleiben. Es sind nur noch
wenige Sitzungswochen bis zum Ende der Legislatur-

periode. Nicht einmal ein Entwurf für eine Rechtsver-
ordnung zur Absicherung der Netzneutralität liegt vor.

Eine von uns immer geforderte gesetzliche Absiche-
rung der Netzneutralität mit konkreten gesetzlichen
Vorgaben hätte einen notwendigen Befugnisrahmen
für die Bundesnetzagentur beschrieben und zugleich
Leitplanken für die TK-Unternehmen gesetzt, an denen
sie sich hätten orientieren können. Möglicherweise
wäre uns dann die aktuelle Debatte erspart geblieben.

Was den gerade diskutierten Fall Telekom angeht,
erwarten wir, dass die Bundesnetzagentur nun sorg-
fältig prüft, inwieweit durch die neue Tarifstruktur
eine Diskriminierung oder ein Zurückdrängen des
Best-effort-Internet verbunden sein könnte.

Auch unabhängig vom Ergebnis dieser Prüfung
sollte nun unverzüglich von den beschriebenen Er-
mächtigungen in § 41 a TKG Gebrauch gemacht wer-
den. Der beste Weg, um Netzneutralität nachhaltig zu
sichern, bleibt allerdings eine klare gesetzliche Rege-
lung hierzu. Wir begrüßen es deshalb sehr, dass die
rot-grüne Koalition im Land NRW eine entsprechende
Bundesratsinitiative angekündigt hat. Was den heute
diskutierten Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke
betrifft, so ist er uns zu knapp und an einigen Stellen zu
unpräzise, auch wenn der Beschlusstext einige Krite-
rien enthält, die wir teilen können.

Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich auch weiter-
hin für eine umfassende gesetzliche Regelung zur Absi-
cherung der Netzneutralität einsetzen. Eine neue rot-
grüne Bundesregierung wird nach dem 22. September
das umsetzen, was die schwarz-gelbe Regierungskoali-
tion bislang versäumt hat.


Claudia Bögel (FDP):
Rede ID: ID1724047100

Technische Fortschritte und Innovationen sowie

stetig wachsende Nutzerzahlen sorgen dafür, dass das
Internet einen immer größeren Raum in unserem Le-
ben einnimmt. Und genau deshalb sehen wir Liberale
uns in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass jeder
die Potenziale des Internets diskriminierungsfrei nut-
zen kann.

Die Bedeutung und der Erfolg des Internets beru-
hen auf dem Grundsatz der Netzneutralität. Die diskri-
minierungsfreie Übertragung aller Datenströme si-
chert Chancengleichheit und den Wettbewerb.
Darüber hinaus sind die Prinzipien der Netzneutralität
notwendig für die Innovationsfähigkeit des Internets
und die Sicherung der Ansprüche seiner Nutzer. Nicht
zuletzt deshalb ist die wertneutrale Datenübertragung
im Internet ein hohes, schützenswertes Gut.

Mit der Ankündigung der Deutschen Telekom AG,
die Datenübertragungsgeschwindigkeit bei Über-
schreiten eines vorab festgelegten, monatlichen Da-
tenvolumens zu drosseln, ging eine äußerst heftig und
emotional geführte Debatte um die Netzneutralität in
Deutschland einher.

Zu Protokoll gegebene Reden





Claudia Bögel


(A) (C)



(D)(B)


Um die Situation angemessen aufzuklären und prak-
tikable Lösungen zu finden, müssen wir zu einer sach-
lichen Ebene zurückfinden. Dazu tragen populistische
Schnellschüsse, wie der vorliegende Antrag der Frak-
tion Die Linke, leider nicht bei.

Die von der Telekom angekündigten Pläne, die
Datenübertragungsgeschwindigkeit zu drosseln, wenn
innerhalb eines Monats eine bestimmte Datenmenge
überschritten wird, sind zunächst einmal – ganz simpel –
ein Geschäftsmodell. Und selbstverständlich kann in
unserer sozialen Marktwirtschaft jedes Unternehmen
seine eigenen Geschäftsmodelle anbieten; so eben
auch solche Modelle, die Volumenobergrenzen für
Flatrate-Kunden vorsehen.

Wir sind uns bewusst, dass die gesamte Telekommu-
nikationsbranche weiterhin große Investitionen tätigen
muss und dafür mehr Mittel benötigt. Die Ziele der
Breitbandstrategie der Bundesregierung können wir
nur erreichen, wenn die Telekommunikationsunterneh-
men einen Beitrag dazu leisten. Wie sie die dafür benö-
tigten Mittel generieren, bleibt aber erst einmal ihnen
überlassen.

Nichtsdestotrotz kann ich den Unmut vieler Bürge-
rinnen und Bürger verstehen. Aus Verbrauchersicht
sind die Pläne der Deutschen Telekom AG äußerst är-
gerlich. Sie gefährden jedoch zunächst einmal noch
nicht die Netzneutralität, sondern dienen lediglich dem
Ziel der Generierung von mehr Umsatz, frei nach dem
Motto: Derjenige, der das Internet viel nutzt, bezahlt
auch viel. Wir sehen dabei aber auch, dass der Ver-
braucher, vor allem in finanzieller Hinsicht, letztlich
das Nachsehen hat.

Da wir aber dank des im letzten Jahr erfolgreich no-
vellierten Telekommunikationsgesetzes einen funktio-
nierenden Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt
haben, besteht für unsere mündigen Verbraucherinnen
und Verbraucher nach wie vor die Möglichkeit, mit ih-
ren Füßen über die Pläne der Deutschen Telekom AG
abzustimmen. Denn der Wettbewerb hat bewirkt, dass
es viele verschiedene Telekommunikationsanbieter mit
Alternativen – und nach wie vor Flatrate-Angeboten –
gibt.

Unserem Verständnis nach heißt „Netzneutralität“
aber nicht, dass es zwangsläufig Flatrate-Tarife geben
muss, sondern dass alle Datenströme unabhängig von
ihrem Inhalt gleich behandelt werden. Die Drosse-
lungspläne unterlaufen das Prinzip der Netzneutralität
erst dann, wenn die „gedrosselten“ Angebote mit der
vorzügigen Behandlung der eigenen Dienste der Deut-
schen Telekom AG kombiniert werden. Inwieweit das
der Fall sein wird, herrscht – das mag ich Ihnen gerne
zugestehen – durchaus Unklarheit. Auch kartellrecht-
lich müssen noch einige Fragen geklärt werden.

Bei aller Unklarheit, die zum gegenwärtigen Zeit-
punkt vielleicht noch bestehen mag und meines Erach-
tens schnellstmöglich aus der Welt geschafft werden
muss, halte ich es für kontraproduktiv, dass die Oppo-

sition zwischen den Themen „Verteuerung der Inter-
netnutzung“ und „Netzneutralität“ überhaupt nicht
differenziert, sondern in billiger Wahlkampfmanier die
Ängste der Verbraucherinnen und Verbraucher schürt.

Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass sich unser
Bundeswirtschaftsminister Dr. Rösler in einem Schrei-
ben an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Tele-
kom AG, Herrn René Obermann, gewandt und im Zuge
dessen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die
Netzneutralität unter den unternehmerischen Ent-
scheidungen der Deutschen Telekom AG nicht leiden
dürfe.

Besonders für mittelständische Unternehmen steht
die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel, und die aus
der Situation entstehende Unsicherheit schadet dem
Breitbandausbau in Deutschland. Klare Botschaften
und eine eindeutige Positionierung sind deshalb nicht
nur seitens der Politik wichtig. Wir brauchen vor allem
Transparenz für die Endkunden und Zukunfts- bzw.
Planungssicherheit für die Telekommunikationsunter-
nehmen. Daher ist es – das möchte ich an dieser Stelle
noch einmal betonen – jetzt geboten, die Debatte über
das Thema „Netzneutralität“ sachlich zu führen.

Die Bundesnetzagentur sowie das Bundeskartellamt
prüfen den Vorschlag der Deutschen Telekom AG der-
zeit intensiv, vor allem mit Blick auf die Wahrung der
Netzneutralität. Auf Basis der Ergebnisse dieser Prü-
fung müssen wir als Bundesregierung und Koalition
dann über unser weiteres Vorgehen entscheiden.

Sollten die bestehenden gesetzlichen Grundlagen
zur Klärung der Situation nicht ausreichen, versperren
wir uns weiteren gesetzlichen Maßnahmen – als Ul-
tima Ratio – nicht grundsätzlich. Es ist lediglich unser
Bestreben, dass die bestehenden Regelungen ausge-
schöpft werden, bevor wir politisch in den Telekommu-
nikationswettbewerb eingreifen – so viel Freiheit wie
möglich, so wenig Staat wie nötig.

Wir müssen eine sorgfältige Balance zwischen der
gebotenen Freiheit der Weiterentwicklung von Techno-
logie und Strukturen im Netz auf der einen und der Ver-
hinderung von Ungleichgewichten und der Dominanz
einzelner Akteure auf der anderen Seite erreichen.

In diesem Sinne möchte ich meinen Mitbürgerinnen
und Mitbürgern an dieser Stelle noch einmal versi-
chern, dass wir die Lage und das Verhalten im Tele-
kommunikationsmarkt genau beobachten und bei tat-
sächlichen Verstößen gegen die Netzneutralität durch
legislative Mittel regulierend eingreifen werden, wenn
die Handlungsoptionen von Bundesnetzagentur und
Bundeskartellamt ausgeschöpft sind.

Der Grundsatz der Netzneutralität ist als Struktur-
element für das Internet unverzichtbar und sichert
Chancengleichheit für Dienste und Inhalte. Deshalb
lautet unser oberstes Gebot: Die Netzneutralität muss
in jedem Fall gewährleistet bleiben.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Jimmy Schulz (FDP):
Rede ID: ID1724047200

Gegrüßt seien auch diejenigen, die diese Rede jetzt

nur lesen können, da sie zu Protokoll geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich
will es kurz machen: Ich stimme Ihrem Antrag inhalt-
lich zu. Er ist wohlformuliert und beinhaltet nahezu
alle wichtigen Aspekte. Ich würde dies anders begrün-
den, aber auch damit könnte ich leben. Ich würde so-
gar noch weitergehen und das Thema Netzabschluss-
punkt mit in die Betrachtung aufnehmen, Stichwort
Routerzwang.

Das alles würde ich tun, wenn ich ein Gesetz
machen müsste. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist,
benötigen wir ein solches Gesetz heute?

Gerade wenn es um das Internet geht, bin ich immer
ein großer Fan davon gewesen, so wenig wie irgend
möglich zu regeln. Ist doch das Internet gerade deswe-
gen ein so großer Erfolg, weil sich Staaten und Gesetz-
geber hier weitgehend herausgehalten haben. Die
Legende sagt, dass das Internetprotokoll einst entwi-
ckelt wurde, um selbst einen Atomkrieg zu überstehen,
und es hat bis jetzt auch eine ganze Reihe von Regie-
rungen, übereifrigen Parlamentariern, und Innen-
ministern überlebt.

Ich bin gegen Vorratsgesetzgebung.

Warum wird denn im Moment so viel über das
Thema gesprochen?

Erstens. Die Telekom hat angekündigt, ab 2016 Ver-
träge, die nach dem 2. Mai 2013 abgeschlossen wur-
den, von einer Flatrate auf eine Art Volumentarif um-
zustellen. Nun gut, kann sie machen. Ob das
wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht, muss der Markt
entscheiden. Das einzige, was daran zu beanstanden
ist, ist, dass sie diese Tarife der Meinung der FDP
nach nicht mehr Flatrate nennen darf – das ist Etiket-
tenschwindel, das ist digitales Pferdefleisch. Diese Art
von Tarifen ist übrigens nichts Neues, dies war bereits
bei den Glasfaseranschlüssen von Anfang an so.
Ebenso ist das im Mobilbereich ein übliches Tarifmo-
dell.

Das alles hat übrigens mit dem Thema Netzneutra-
lität bis hierher nichts zu tun, wird aber gerne in der
Debatte durcheinandergebracht.

Zweitens. Die Telekom hat angekündigt, bestimmte
Dienste von der oben erwähnten Volumenkappung in
diesen Tarifen auszunehmen. Hier lohnt ein etwas in-
tensiverer Blick in das Kleingedruckte.

Es handelt sich hierbei um die Dienste „T-Enter-
tain“ und „Internet Telefonie“.

Auch innerhalb dieser Dienste lohnt sich ein diffe-
renzierter Blick. Unstrittig ist wohl, dass die Aus-
nahme des eigenen Video-on-Demand-Dienstes von
der Volumenberechnung eine klare Ungleichbehand-
lung gegenüber den Mitbewerbern, wie zum Beispiel
Maxdome, Lovefilm oder Watchever, ist. Hier scheint

mir eine klare Verletzung der Netzneutralität vorzulie-
gen. Gleiches wird nicht gleich behandelt.

In einer weiteren Differenzierung ist jedoch ein be-
stimmter Teil des Streamings von Fernsehsendern zu
betrachten. Hier übernimmt die Telekom nicht ergän-
zend, sondern ersetzend die Grundversorgung mit öf-
fentlichrechtlichen und privaten Fernsehsendern.
Diese müssen in einer definierten Qualität übertragen
werden, unabhängig vom bereits verbrauchten Volu-
men. Hier ist es zumindest fraglich, ob überhaupt eine
Verletzung der Netzneutralität vorliegt oder ob es sich
dabei um die Leistung der Grundversorgung unabhän-
gig von der Übertragungstechnologie handelt, wenn
dieser Teil des Dienstes aus der Volumenberechnung
herausgenommen wird.

Ebenso einer besonderen Betrachtung sind sicher-
lich die Internet-Telefonie-Dienste zu unterziehen.
Gerade im Bereich Voice-Over-IP macht eine Priori-
sierung der Pakete Sinn, ohne Selbige würde das Tele-
fonieren über das Internet in vielen Fällen nicht
funktionieren. Das bedeutet, in diesem Bereich wird
regelmäßig schon die Netzneutralität verletzt. Es
scheint aber hier auch teilweise einen Konsens zu ge-
ben, dass man dies nicht nur toleriert, sondern es auch
gewünscht ist.

Dies führt zu der Überlegung, dass es offensichtlich
gute und schlechte Verletzung von Netzneutralität zu
geben scheint. Und blickt man in die Geschichte des
Internets, hat es wohl schon immer solche Verletzun-
gen gegeben. Dies gesetzlich festzuschreiben, müsste
also allgemeingültig auf diesen Umstand eingehen.
Der vorliegende Entwurf scheint mir hier noch unvoll-
ständig.

Nach diesen einführenden Überlegungen kommen
wir zurück zur grundsätzlichen Frage: Brauchen wir
ein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität?

Die Internet-Enquete hat 2011 festgestellt, dass zur-
zeit keine Verletzung der Netzneutralität vorliegt. An
dieser Situation hat sich nun nicht wirklich etwas ge-
ändert. Die Telekom hat lediglich angekündigt, ab
2016 ihre Tarife umzustellen.

Die bisherigen öffentlichen und politischen Re-
aktionen könnten jedoch nahelegen, dass hier das
letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Ebenso ist es ja nicht so, dass man gezwungen wird,
jetzt Kunde der Telekom zu werden. Eine ganze Reihe
von Mitbewerbern bieten Tarife an, die keine solchen
Einschränkungen aufweisen. Wer auf das Netz der
Telekom, der Verbreitung und den Service nicht ver-
zichten will, kann sogar auf die Produkte der 100 Pro-
zent Tochter congstar zurückgreifen. Letztere hat öf-
fentlich erklärt, dass keinerlei Pläne existieren, die
neuen Tarifmodelle der Mutterfirma zu übernehmen.

Wer also einen Vertrag mit der Telekom schon hat,
ist nicht betroffen, wer einen neuen abschließt, hat im
Markt Alternativen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Jimmy Schulz


(A) (C)



(D)(B)


Deswegen haben wir bereits im TKG Maßnahmen
umgesetzt: In § 41 a TKG haben wir mit der letzten
Novelle die Netzneutralität festgeschrieben, aber mit
einem differenzierten System versehen, das flexibel auf
den Markt reagieren kann.

Der Markt hat also die Möglichkeit, die Sache von
selbst zu regeln. Falls hier Probleme auftauchen soll-
ten, kann die Bundesnetzagentur auf Basis von § 41 a
Abs. 2 TKG regulierend eingreifen und „in einer Tech-
nischen Richtlinie Einzelheiten über die Mindestanfor-
derungen an die Dienstqualität durch Verfügung
festlegen“. Auch die Bundesregierung hat die Mög-
lichkeit, auf Basis von § 41 a Abs. 1 TKG einzugreifen,
um „die grundsätzlichen Anforderungen an eine dis-
kriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskri-
minierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendun-
gen festzulegen“.

Ich stelle mich nicht grundsätzlich gegen eine ge-
setzliche Regelung, ich glaube jedoch, dass die vor-
handenen Instrumente ausreichen.

Internetgesetze haben in den seltensten Fällen das
Internet besser gemacht.


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724047300

Wir haben an dieser Stelle schon mehrfach über das

Thema Netzneutralität debattiert. Ich möchte daher
nur kurz darauf eingehen, warum die Einhaltung der
Netzneutralität notwendig ist, um das Internet, so wie
wir es kennen, zu erhalten.

„Das Internet bietet enorme Potenziale für die ge-
sellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Seine
Attraktivität und Innovationskraft verdankt es maßgeb-
lich dem offenen und vergleichsweise einfachen Zu-
gang für Nutzer und Anbieter sowie der Übermittlung
von Datenpaketen ohne Diskriminierung unabhängig
von Sender und Empfänger.“ Das stellte die Enquete-
Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im
Konsens fest. Uneinig war sich die Enquete-Kommis-
sion allerdings darüber, wie diese Netzneutralität auch
künftig erhalten bleiben könnte. Vertrauten Union und
FDP noch ganz auf die Kräfte des Marktes, die schon
so oft versagten, forderte die Opposition eine gesetzli-
che Festschreibung der Netzneutralität.

Nur wenige Tage, nachdem der Schlussbericht der
Enquete-Kommission hier diskutiert wurde, muss je-
dem klar geworden sein: Hätten Sie mal auf die Oppo-
sition gehört!

Ende April kündigte die Deutsche Telekom an, ab
Mai 2013 nur noch Tarife mit einem Inklusiv-Datenvo-
lumen anzubieten. Das heißt, die Telekom bietet keine
echten Flatrates mehr an, bei der jede Kundin und je-
der Kunde nach Lust und Laune im Internet surfen
kann. Die Telekom bietet stattdessen die maximale Ge-
schwindigkeit des gebuchten Internetanschlusses nur
noch so lange an, bis ein bestimmtes Kontingent an
Daten erreicht ist. Danach wird die Geschwindigkeit
soweit gedrosselt, dass allerhöchstens noch das nor-
male Surfen und das Abrufen von E-Mails möglich ist.

Datenintensive Dienste wie Streaming- oder Cloud-
Dienste können dann nicht mehr sinnvoll genutzt wer-
den. Wobei das nicht ganz stimmt. Es gibt nämlich
Dienste, die auch nach der Drosselung weiter mit vol-
ler Bandbreite genutzt werden können, und die auch
sonst nicht auf das Datenvolumen angerechnet wer-
den. Die Telekom nennt diese Dienste „Managed Ser-
vices“ und suggeriert damit, dass diese Dienste ir-
gendwie keine normalen netzbasierten Dienste sind.
Was jetzt genau der Unterschied zu anderen Diensten
ist, bleibt nebulös. Das ist auch kein Wunder, ist doch
der einzige Unterschied, dass die Dienste, die nicht ge-
drosselt und nicht auf das Datenvolumen angerechnet
werden, der Telekom gehören oder dafür an die Tele-
kom zahlen. Mit Netzneutralität hat das alles nichts
mehr zu tun, da kann die Telekom behaupten, was sie
will.

Das Unternehmen verteidigt sein Vorgehen damit,
dass ein geringer Prozentteil der Nutzerinnen und
Nutzer für einen großen Datenverbrauch sorgt. Es
könne ja nicht sein, dass diese durch alle anderen Nut-
zerinnen und Nutzer subventioniert würden. Außerdem
würden die geplanten Inklusiv-Datenvolumen auch
nur die Vielnutzerinnen und -nutzer treffen. Für alle
anderen seien die Datenvolumen vollkommen ausrei-
chend. Hier betreibt die Telekom ordentlich Augen-
wischerei. Zum einen sind die Kosten, die durch das
Surfen im Internet für den Anbieter entstehen, absolut
überschaubar. Sie entstehen hauptsächlich durch die
Infrastruktur. Und Kosten für die Infrastruktur fallen
so oder so an, egal ob sie nun viel genutzt wird oder
wenig.

Zum anderen sind die Datenvolumen mitnichten
ausreichend, wenn man das Internet im normalen Um-
fang nutzen möchte. Für die am weitesten verbreiteten
DSL-Anschlüsse mit einer Geschwindigkeit bis 16 Me-
gabyte je Sekunde – oft auch DSL 16000 genannt –
sieht die Telekom eine Volumenbegrenzung von 75 Gi-
gabyte im Monat vor. Das wirkt erst mal viel, ist es
aber nicht. Wenn Sie nämlich anfangen, die heutigen
Möglichkeiten des Internets zu nutzen, kommen Sie
ganz schnell an diese Grenze. Ein Film in hoher Auflö-
sung, den Sie vollkommen legal im Internet kaufen und
herunterladen oder streamen wollen, hat heutzutage
locker die Größe von 6 Gigabyte. Nun wollen Sie im
Monat vielleicht auch mal drei oder vier Filme
schauen, und schon sind 25 Gigabyte verbraucht.
Dann haben Sie vielleicht noch ein Kind, das auch mal
gerne ein Computerspiel spielt. So ein Spiel kann heute
in digitaler Form ebenfalls die Größe von mehreren
Gigabyte erreichen. Dann nutzen Sie vielleicht Cloud-
Dienste, um Fotos und Daten einfach und überall
verfügbar zu halten. Und mit Sicherheit nutzen Sie ein
Betriebssystem, das regelmäßig über das Internet ak-
tualisiert werden muss, um beispielsweise Sicherheits-
lücken zu schließen oder Fehler zu beseitigen. Das
kostet auch wieder Datenvolumen. Bald haben Sie die
Hälfte des Datenvolumens verbraucht, und Sie haben
noch gar nicht viel gemacht, geschweige denn im In-
ternet gesurft oder E-Mails abgerufen. Davon, wie das

Zu Protokoll gegebene Reden





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)


in wenigen Jahren aussehen wird, wenn Streaming-
und Cloud-Dienste viel weiter verbreitet sind, will ich
hier gar nicht erst reden.

Wer die Möglichkeiten des Internets nutzen möchte
und Telekom-Kundin oder -Kunde ist, hat also künftig
gar keine andere Chance, als die sogenannten „Mana-
ged Services“ der Telekom oder von Anbietern, die an
die Telekom zahlen, zu nutzen. Und hier schließt sich
der Kreis, und es offenbart sich, worum es der Telekom
tatsächlich geht: um reine Profitmaximierung.

Die Folge ist ein Zwei-Klassen-Internet. Die einen
bekommen die Basisfunktionen, die anderen, die es
sich leisten können, den vollen Umfang des Internets.
Die Leidtragenden? Das werden Menschen mit gerin-
gem Einkommen, Familien und kleine Anbieter, die es
sich nicht leisten können, sich bei der Telekom eine
Vorzugsbehandlung zu kaufen, sein. Kurz gesagt: Es
wäre das Ende des freien und offenen Internets.

Damit bewahrheitet sich, wovor die Linke bereits
vor über zwei Jahren gewarnt hat. Schon damals habe
ich hier das Szenario beschrieben, dass Netzbetreiber,
die gleichzeitig auch Inhalteanbieter sind, anfangen
würden, ihre eigenen Inhalte schnell und in guter Qua-
lität anzubieten und fremde Inhalte auszubremsen und
zu blockieren. Genutzt haben diese Warnungen nichts,
die Netzneutralität ist noch immer nicht gesetzlich fest-
geschrieben. Der Markt würde das schon regeln, und
wenn der es nicht tut, dann helfen bestimmt böse Briefe
von Minister Rösler. Jetzt haben wir den Salat. Nein,
der Markt regelt überhaupt nichts, und Briefe errei-
chen nichts außer den Papierkorb. Das beweist die Te-
lekom. Und das werden auch andere Internetprovider
beweisen, wenn diese es der Telekom gleichtun wer-
den. Darauf werden wir nicht lange warten müssen.

Wir fordern die Bundesregierung daher auf, end-
lich zu handeln und endlich die Netzneutralität gesetz-
lich zu sichern. Jahrelang haben Sie geschlafen. Wa-
chen Sie endlich auf!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Prinzip der Netzneutralität, die gleichberech-
tigte Übertragung von Daten, war Garant der bisheri-
gen demokratischen Entwicklung des Internets und ist
elementar für dessen Zukunft. Die Frage, wie man die
Netzneutralität sichert, ist eine der Schlüsselfragen
der digitalen Gesellschaftspolitik. Die von uns als grü-
ner Bundestagsfraktion seit langem erhobene Forde-
rung, die Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben,
um so ein „Zwei-Klassen-Internet“, in dem die Daten
desjenigen bevorzugt werden, der mehr zahlen kann,
zu verhindern, muss – das haben die Entwicklungen
der letzten Wochen noch einmal deutlich gezeigt – end-
lich umgesetzt werden.

Anlässlich der anhaltenden Diskussion um die
neuen Datentarife der Telekom und einen damit ein-
hergehenden Verstoß gegen das Prinzip der Netzneu-
tralität wurde offenbar, dass Sie, meine Damen und

Herren von CDU/CSU und FDP, in diesem netz-, aber
eben auch gesellschaftspolitisch hochrelevanten Be-
reich gänzlich gescheitert sind. Ich sage es mit aller
Deutlichkeit: Ihr, nur durch eine völlig falsch verstan-
dene Wirtschaftsnähe zu erklärender Laissez-faire-An-
satz ist in den letzten Wochen krachend gescheitert.
Das hat nun ausgerechnet ein Unternehmen verdeut-
licht, dessen Hauptanteilseigner der Bund ist.

Im Bereich der Netzneutralität stehen sie, meine
Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, wie auch
hinsichtlich zahlreicher anderer netz- und innenpoliti-
scher Kernprojekte dieser Legislatur heute vor einem
Scherbenhaufen. Wer es bislang noch nicht wusste,
dem haben Sie dieser Tage final vor Augen geführt,
dass Sie mit den Herausforderungen des digitalen
Wandels massiv überfordert sind. Es ist ein schwarz-
gelbes Armutszeugnis, dass nun Verbraucherzentralen,
Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur die Haus-
aufgaben machen, die Sie nicht imstande waren abzu-
liefern.

Es ist ja nicht so, als hätte sich dieses Hohe Haus
nicht intensiv mit den Fragestellungen rund um das
Thema Netzneutralität beschäftigt. Im Gegenteil:
Kaum ein Thema hat die lange netzpolitische Agenda,
mit der wir uns gemeinsam in dieser Legislatur be-
schäftigt haben, dermaßen dominiert wie die Frage
der Netzneutralität. Nicht ohne Grund war die Projekt-
gruppe Netzneutralität eine der ersten, die die En-
quete-Kommission „Internet und digitale Gesell-
schaft“ am Anfang der Legislatur eingerichtet hat.

Seit Anfang der Legislatur hat sich deutlich gezeigt:
Die Vorstellungen in diesem Haus über den Stellenwert
der Netzneutralität und ihre Bedeutung für die Zukunft
eines freien und demokratischen Netzes gehen zwi-
schen Koalition und Opposition weit auseinander.
Dies zeichnete sich bereits in der Projektgruppe zur
Netzneutralität der Enquete-Kommission, in der es,
anders als dies in anderen Projektgruppen der Fall
war, große Differenzen zwischen den einzelnen Frak-
tionen gab, ab. Auf gemeinsame Handlungsempfehlun-
gen konnten sich die Mitglieder der Projektgruppe
nicht einigen.

Der Druck, die Netzneutralität abzuschaffen, nimmt
seit Jahren zu. Viele Telekommunikationsfirmen – das
hat eine Studie, die die europäischen Regulierer erst
vor kurzem vorgelegt haben, noch einmal deutlich ge-
macht – verstoßen heute schon gegen das Prinzip eines
freien und offenen Internets und der Netzneutralität.
Die vollständige Blockade und das bewusste Verlang-
samen von Peer-to-Peer-Verkehr (P2P) sowie von In-
ternet-Telefonie via Voice over IP, VoIP, sind heute
schon weit verbreitet, vor allem im Bereich des Mobil-
funks. Um entsprechende Sperrungen vorzunehmen,
greifen die Provider – auch das hat die Studie gerade
noch einmal belegt – auch auf durchaus umstrittene
Techniken wie die „Deep Packet Inspection“, DPI, zu-
rück.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


Die Diskussion um die Wahrung der Netzneutralität
und darüber, ob es einer gesetzlichen Festschreibung
bedarf, wird seit langem, sowohl auf Bundes- wie auf
europäischer Ebene, intensiv geführt. So hatte die für
die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin
Kroes die nun vorgelegte Studie vor mehr als einem
Jahr in Auftrag gegeben und begleitend einen Konsul-
tationsprozess gestartet, um den Bedarf an weiteren –
auch gesetzgeberischen – Handlungen auszuloten.

Als Grüne kämpfen wir seit langem für eine echte
Netzneutralität, sowohl auf deutscher wie auf europäi-
scher Ebene. Die steigende Zahl der Meldungen bei
http://respectmynet.eu hatte schon vor langem gezeigt,
dass sich Probleme hinsichtlich der diskriminierungs-
freien Übertragung von Daten und Inhalten derzeit
vervielfachen. Neben dem Gremium der europäischen
Telekommunikationsregulierer hatte auch die Europäi-
sche Kommission dazu aufgerufen, zur Diskriminie-
rungsfreiheit im Internet Stellung zu beziehen und sich
an der Konsultation zu beteiligen. Wir haben uns an
dem Konsultationsprozess beteiligt und dem General-
direktorat Informationsgesellschaft der Europäischen
Kommission die beiden in dieser Legislatur von mei-
ner Fraktion vorgelegten Initiativen zur Netzneutrali-
tät – Bundestagsdrucksachen 17/3688 und 17/7526 –
zugesandt und auf die aus unserer Sicht zunehmende
Gefährdung der Netzneutralität hingewiesen.

Wir haben es begrüßt, dass sich die Abgeordneten
des Europäischen Parlaments im November 2011 mit
großer Mehrheit in einer Entschließung zur Netzneu-
tralität für die Wahrung dieses grundlegenden Prin-
zips, das den Erfolg des Internets erst ermöglich hat,
ausgesprochen haben. In der Entschließung hatten die
Abgeordneten die Kommission aufgefordert, sich stär-
ker als bisher für die Durchsetzung des Prinzips der
Netzneutralität einzusetzen.

Als grüne Bundestagsfraktion haben wir Sie, meine
Damen und Herren der schwarz-gelben Koalition,
nicht nur in der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“, sondern auch mit unserem An-
trag „Gegen das Zwei-Klassen-Internet – Netzneutra-
lität in Europa dauerhaft gewährleisten”, den wir be-
reits im November 2010 hier vorgelegt haben, schon
vor langer Zeit aufgefordert, sich auch auf europäi-
scher Ebene für eine gesetzliche Regelung zur Fest-
schreibung der Netzneutralität einzusetzen. Im Vorfeld
der Debatte um die Novellierung des Telekommunika-
tionsgesetzes, TKG, hatten wir Übersetzungen der nie-
derländischen, belgischen und französischen Gesetz-
entwürfe anfertigen lassen, um Ihnen zu zeigen, wie
eine mögliche Regulierung aussehen könnte. Wir ha-
ben versucht, Ihnen zu verdeutlichen, dass es hier eben
nicht ausreicht, allein auf die Kräfte des freien Mark-
tes zu vertrauen. Was andere zu erkennen imstande
waren, verstehen Sie bis heute nicht.

Sie haben unsere Warnungen immer in den Wind ge-
schossen und eine gesetzliche Regelung der Netzneu-
tralität stets abgelehnt. Im Zuge der Novelle zum Tele-
kommunikationsgesetz bot sich erneut die Chance für

eine gesetzliche Regelung. Auch diese Chance haben
CDU/CSU und FDP verstreichen lassen. Stattdessen
haben Sie, meine Damen und Herren der Koalition,
eine Regelung vorgelegt, für die Sie – berechtig-
terweise – nur Spott ernteten. Auch damals hatten wir
Ihnen konkrete Vorschläge unterbreitet, wie eine Re-
gelung, die in der Lage ist, die Netzneutralität tatsäch-
lich abzusichern, aussehen könnte, diesmal sogar in
Form eines Gesetzentwurfs. Statt unsere Forderung
aufzunehmen, haben Sie eine absolut halbgare Lösung
vorgelegt. Das rächt sich heute.

Bislang hieß es vonseiten der Bundesregierung im-
mer, dass bisher keine Verstöße gegen das Prinzip der
Netzneutralität festgestellt werden konnten. Die Frage,
warum Sie unbedingt abwarten wollten, bis bei der
Netzneutralität das Kind endgültig in den Brunnen ge-
fallen ist, um erst dann zu handeln, können Sie bis
heute nicht beantworten. Diese Vorgehensweise ist und
bleibt mir schleierhaft, gerade vor dem Hintergrund
Ihrer Argumentation, dass es doch angeblich keine
Verstöße gibt. Fakt ist: Auch in diesem Bereich haben
Sie eine gesetzliche Klarstellung gescheut wie der Teu-
fel das Weihwasser. Dabei hätten Ihnen doch spätes-
tens die Diskussionen, die wir in der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“ geführt
haben, zeigen müssen, dass es in diesem für unsere
moderne Wissens- und Informationsgesellschaft so
elementaren Bereich mit sogenannten Selbstverpflich-
tungen, mit denen Sie im Übrigen auch im Bereich des
Datenschutzes fulminant gescheitert sind, eben nicht
getan ist. Dass ausgerechnet diejenigen, die jahrelang
ganz vorne im Bremserhäuschen saßen, nun versu-
chen, ihr Scheitern durch das Verfassen öffentlicher
Briefe zu kaschieren, ist an Peinlichkeit kaum zu über-
bieten.

Meine Damen und Herren der Koalition, eine ge-
setzliche Regelung zur Netzneutralität – das haben die
Entwicklungen der letzten Wochen und Monate
gezeigt – ist mehr als überfällig. Dadurch, dass Sie sich
trotz mehrfacher Aufforderung vonseiten der Opposi-
tion, aber auch der Zivilgesellschaft bis heute weigern,
Ihr Scheitern einzugestehen, zeigen Sie nur, dass Sie bis
heute nicht verstanden haben, wie wichtig die für un-
sere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft
und die weitere Entwicklung eines freien und offenen
Internets so elementare Netzneutralität ist.

Wir fordern Sie, auch wenn die Zeit bis zum Ende
der Legislatur mittlerweile sehr knapp ist, als Opposi-
tion und Seite an Seite mit über 80 europäischen Ver-
braucher- und Bürgerrechtsorganisationen noch ein-
mal dazu auf, endlich eine gesetzliche Regelung zur
Netzneutralität vorzulegen und so eines, wenn nicht
das grundlegende Prinzip, das den Erfolg des Netzes,
wie wir es heute kennen, erst ermöglicht hat, abzusi-
chern.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724047400

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/13466 an die in der Tagesordnung aufge-





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir das ge-
meinsam so beschlossen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 50 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(20. Ausschuss)

Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten
Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus

– Drucksachen 17/11588, 17/13397 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Gabriele Hiller-Ohm
Jens Ackermann
Dr. Ilja Seifert
Markus Tressel

Wie schon in der Tagesordnung ausgewiesen, werden
die Reden zu Protokoll genommen.


Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1724047500

Heute sprechen wir erneut über den Antrag der

Fraktion Die Linke, der einen „sozialen Tourismus“
fordert.

Die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Touris-
mus ist für uns als Unionsfraktion eine Selbstverständ-
lichkeit. Die Wurzeln dieses Selbstverständnisses rei-
chen zurück bis auf die christliche Soziallehre des
19. Jahrhunderts. Diese ist die Basis der modernen so-
zialen Marktwirtschaft der CDU/CSU. Dies ist ein Be-
kenntnis mit einer langen Tradition. Aus diesem Grund
ist für die CDU/CSU-Fraktion die Teilhabe der gesam-
ten Bevölkerung an der Gesellschaft, also auch der
Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finan-
ziellen Einschränkungen, ein wichtiges Ziel.

Bereits seit 60 Jahren wird der gemeinsame Famili-
enurlaub durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Fa-
milienerholung gefördert. Zielgruppen sind hier
Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Pflegebe-
dürftige. Rund 120 Familienerholungsstätten werden
gefördert und bieten ein umfangreiches Erholungsan-
gebot.

Ich habe gerade erst vor wenigen Wochen eine sol-
che Einrichtung in meinem Wahlkreis besucht, das
Adam-Stegerwald-Haus in Rantum auf Sylt. Dort habe
ich mich davon überzeugen können, mit welchem En-
gagement der Träger der Einrichtung, der aus dem
Kolpingwerk hervorgeht, Leistungen für Menschen ge-
staltet, die sich sonst auf dem freien Markt keinen Ur-
laub leisten könnten. Vergleichbare Angebote gibt es
überall in Deutschland. Auch die ländlichen Räume
bieten qualitativ hochwertigen Urlaub zu günstigen
Preisen.

Auch junge Menschen haben wir bei der Tourismus-
förderung im Blick: Die Deutsche Zentrale für Touris-

mus wird allein in diesem Jahr mit 28 Millionen Euro
durch die Bundesregierung unterstützt. In diesem Jahr
liegt der Schwerpunkt in der Förderung des Kinder-
und Jugendtourismus. Auch dies zeigt die große so-
ziale und entwicklungspsychologische Bedeutung, die
die Bundesregierung dem Tourismus beimisst. Die
Bundesregierung unterstützt jugendspezifische Ein-
richtungen und Jugendbegegnungen in vielfältiger
Form – auch finanziell.

Hinzu kommen Hilfen auf Landes- und Kommunal-
ebene für Familien mit geringem Einkommen. Neben
den aus den öffentlichen Mitteln und von gemeinnützi-
gen Organisationen unterstützten Angeboten gibt es
für diese Zielgruppe in Deutschland eine Vielzahl at-
traktiver und preisgünstiger Quartiere.

Schwerpunkt ist für uns auch das Handlungsfeld
Barrierefreiheit. Gerade vor dem Hintergrund einer
immer älter werdenden Gesellschaft, der Herausforde-
rungen des demografischen Wandels und der Tatsache,
dass in Zukunft immer mehr Touristen fortgeschritte-
nen Alters sein werden, ist dieses Thema eine zentrale
sozialpolitische Aufgabe, der wir uns stellen. Die An-
bieter müssen auf die touristischen Folgen des demo-
grafischen Wandels reagieren, indem sie sich in der
Kommunikation und beim Vertrieb verstärkt auch an
ältere Personen wenden.

Bereits jetzt sind etwa 10 Prozent unserer Bevölke-
rung schwerbehindert. Dieser Anteil wird in den kom-
menden Jahren weiter zunehmen. Zentrale Aufgabe ist
es deshalb, dieser breiten Bevölkerungsgruppe das
Reisen zu erleichtern und deren Mobilität sicherzustel-
len. Vorbilder sind hier die Beneluxstaaten oder die
skandinavischen Länder. Gerade in dieser Wahlpe-
riode hat die Bundesregierung in ihrer Tourismuspoli-
tik einen Schwerpunkt auf diesen Bereich gelegt.

Der Antrag der Linken enthält also Forderungen,
die überflüssig sind, weil wir, die Bundesregierung und
die Koalition, schon längst gehandelt haben. Der An-
trag enthält darüber hinaus Forderungen, die wir
überhaupt nicht mittragen können.

Sie fordern Reisezuschüsse für Hartz-IV-Empfän-
ger. Ihnen selber sollte jedoch bei einem Blick ins So-
zialgesetzbuch klar sein, wie problematisch diese For-
derung ist. Die Regelsätze sind verfassungsrechtlich
sauber berechnet. Dazu gibt es viele Urteile, die das
bestätigen. Immer mehr Leistungen des Staates für
Hartz-IV-Bezieher bereitzustellen, schafft hier nur
neue Ungerechtigkeiten gegenüber denjenigen, die
ihre geringen Einkommen selbst erarbeiten. Nicht jed-
wede soziale Leistung schafft soziale Gerechtigkeit.

Eine weitere Schwäche Ihres Antrags ist, dass Sie
nicht klar zwischen Landes- und Bundeskompetenzen
unterscheiden. Sie fordern eine „Stärkung von Verant-
wortung und Kompetenzen des Bundes für einen sozia-
len Tourismus“. Wenn Sie jedoch einmal in den Geset-
zen nachschlagen würden, dann könnten Sie
nachlesen, dass die Tourismusförderung primär eine
Landeskompetenz ist.





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


Ebenso setzen Sie sich für eine Wiederaufnahme der
Landesförderung für Familienreisen in sechs Bundes-
ländern ein. Natürlich ist es bedauerlich, dass viele
Bundesländer in den letzten Jahren einige Programme
zur Tourismusförderung zurückgefahren haben, aber
diese Kritik müssen Sie an die Bundesländer richten,
nicht an die Bundesregierung.

Der gesamte angesprochene Strauß an Argumenten
lässt keine andere Möglichkeit zu, als Ihren Antrag ab-
zulehnen.


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1724047600

Teilhabe für alle Menschen – auch an Urlaub und

Reisen – ist ein wichtiges Ziel. Darüber sind wir uns
fraktionsübergreifend einig, wie die Beratungen des
Antrages der Linken, aber auch früherer Anträge der
SPD-Fraktion zum barrierefreien Urlaub oder zu Kin-
der- und Jugendreisen gezeigt haben. Leider ist die Ei-
nigkeit zwischen den Fraktionen schnell dahin, wenn
es darum geht, was politisch getan werden muss, um
das Ziel von echter Teilhabe am Tourismus zu errei-
chen.

Die Fraktion Die Linke spricht mit dem Antrag ei-
nige relevante Punkte an, wie Investitionen in preis-
günstige Urlaubs- und Übernachtungsangebote, aber
auch Zuschüsse für Familien, die sich aus der eigenen
Tasche keine Reise leisten könnten. Als SPD-Fraktion
haben wir dies in dieser Wahlperiode bereits mehrfach
gefordert – insbesondere mit Blick auf Reisemöglich-
keiten für Kinder und Jugendliche, die in ihrer persön-
lichen Entwicklung besonders davon profitieren kön-
nen.

Sicher sind einige Punkte, die die Linke mit ihrem
Antrag von der Regierung einfordert, Sache der
Bundesländer, zum Beispiel die Festlegung von Rah-
menbedingungen für Klassenfahrten. Auch die Bezu-
schussung von Urlaubsreisen im Rahmen der Familie-
nerholung wird von den Ländern finanziert – oder
eben auch nicht mehr in mittlerweile sechs der sech-
zehn Bundesländer. Das sind vor allem Länder, in de-
nen Schwarz-Gelb noch regiert oder bis vor Kurzem in
Verantwortung war.

Selbstverständlich aber kann eine verantwortungs-
volle Bundesregierung an die Länder herantreten, da-
mit Bund und Länder Hand in Hand daran arbeiten,
dass alle Menschen in unserem Land am Tourismus
teilhaben können. Es zeigt sich: So vehement, wie die
Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen
in ihren Reden monoton auf die Zuständigkeit der Län-
der hinweisen, so sehr wollen sie damit auch davon
ablenken, dass diese Bundesregierung ihre eigenen
Hausaufgaben nicht gemacht hat.

Erstens. Es muss genügend preiswerte Urlaubsan-
gebote geben. Hier hat die schwarz-gelbe Koalition
die Anbieter im Regen stehen lassen.

Wir haben in Deutschland viele gute Angebote – wie
Jugendherbergen, Familienferienstätten, Naturfreun-
dehäuser oder Einrichtungen kirchlicher Familien-

erholung –, aber viele dieser Unterkünfte leiden unter
einem Renovierungsstau.

Welch ein Hohn ist es doch, dass sich die CDU/
CSU-Fraktion in der Beschlussempfehlung zum Lin-
ken-Antrag damit rühmt, den Bau und die Einrichtung
von Jugendherbergen und Jugend-, Bildungs- und Be-
gegnungsstätten „in erheblichem Umfang“ zu fördern.
Statt mehr Investitionen anzustoßen, haben CDU/CSU
und FDP die Bundesförderung für Jugendherbergen,
Jugendbildungs- und Begegnungsstätten um ein gan-
zes Drittel gekappt. Statt 4,5 Millionen Euro hat die
Regierungskoalition im Haushalt 2013 nur noch 3 Mil-
lionen Euro zur Verfügung gestellt – gegen einen An-
trag der SPD im Haushaltsausschuss, mit dem wir die
Kürzung abwenden wollten. Jetzt brechen in vielen
Häusern leider weitere Mittel für Sanierungen und Er-
weiterungen weg.

Zweitens. Urlaub darf nicht am Geldbeutel schei-
tern. Vor allem jungen Menschen müssen wir ermögli-
chen, zu verreisen und damit ihren Horizont zu erwei-
tern. Deshalb ist es wichtig, zu garantieren, dass der
Staat Familien, die besonders wenig zum Leben haben
und auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe angewie-
sen sind, unterstützt, damit auch diese Kinder und Ju-
gendlichen bei Klassenfahrten dabei sein können.

Dank des erfolgreichen Einsatzes der SPD im Ver-
mittlungsausschuss Anfang 2011 können auch eintä-
gige Schulausflüge finanziert werden. Wir haben da-
rüber hinaus dafür gesorgt, dass vom Bildungs- und
Teilhabepaket auch Kinder aus Familien profitieren,
die Kinderzuschlag und Wohngeld beziehen. Dadurch
übernimmt der Staat die Kosten für Ausflüge und
Klassenfahrten von Schulen und Kitas für rund
500 000 Kinder und Jugendliche mehr. Diese müssen
nun nicht mehr darum bangen, ob sie mit ihrer Klasse
oder Kitagruppe auf Reisen gehen können oder der
Bus ohne sie abfährt. Die monatlichen 10 Euro, die
den Familien ebenfalls zugute kommen, können zum
Beispiel für Ferienfreizeiten angespart werden.

Wichtig ist jetzt, diese Fördermöglichkeiten noch
bekannter zu machen, damit sie alle anspruchsberech-
tigten Familien nutzen.

Auf der Hand liegt aber auch: Würde diese Regie-
rung die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer
weiter aufgehen lassen, hätten viele Menschen gar
nicht die finanziellen Sorgen, die ihnen die Chance
rauben, Urlaub zu machen. Wir brauchen deshalb end-
lich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindest-
lohn. Den fordert die SPD seit Langem. Was CDU und
FDP in den letzten Wochen und Monaten auf ihren
Parteitagen dazu beschlossen haben, sind nur Place-
bos und Beruhigungspillen. Sie taugen nicht dazu,
Niedriglöhne und Armut trotz Arbeit flächendeckend
aus unserem Land zu vertreiben.

Drittens. Reisen für alle ermöglichen, das heißt
auch, gute Rahmenbedingungen für Menschen mit
Handicap zu schaffen. Dazu sagt der Antrag der Lin-
ken trotz des Titels „Reisen für alle“ wenig.

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


Menschen mit Behinderungen finden noch viele
Barrieren vor, die ihnen das Reisen oft beschwerlich
oder gar unmöglich machen. Acht Millionen Men-
schen in Deutschland sind auf Barrierefreiheit ange-
wiesen. In Sachen Barrierefreiheit steckt Deutschland
aber leider noch in den Kinderschuhen.

Im März hat der Tag des barrierefreien Tourismus
auf der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin
gezeigt, welche Hürden nach wie vor bestehen, aber
auch, welche Potenziale eine durchgängig barriere-
freie Reisekette hat, die für alle Menschen komfortabel
ist. Ich habe mich sehr gefreut, dass dieser Tag zum
zweiten Mal auf der ITB stattfinden konnte, vor allem
dank der ausgezeichneten Organisation der Nationa-
len Koordinationsstelle Tourismus für Alle, NatKo,
und der Beteiligung der Deutschen Zentrale für Tou-
rismus.

Als SPD ist es uns in den letzten Haushaltsberatun-
gen gelungen, alle Fraktionen mit unserem Antrag zu
überzeugen, den Barrierefrei-Tag auf der ITB von Bun-
desseite aus finanziell zu unterstützen und damit auf
der weltweit größten Tourismusplattform für barriere-
freien Tourismus zu sensibilisieren und zu werben. Wir
brauchen hier – erst recht eingefordert durch die UN-
Behindertenrechtskonvention – deutlich mehr Anstren-
gungen der Bundesregierung, aber auch der Länder
und Kommunen.

Die SPD hat schon vor knapp zwei Jahren mit dem
umfassenden Antrag „Barrierefreier Tourismus für
alle“ einen entsprechenden Masterplan sowie einen
TÜV für Barrierefreiheit gefordert. Ich hoffe sehr, dass
das aktuell aus dem Bundeshaushalt finanzierte Pro-
jekt des Deutschen Seminars für Tourismus in Koope-
ration mit der NatKo für den nötigen Anschub sorgen
kann.

Bis das Reisen für alle möglich ist, sind noch viele
dicke Bretter zu bohren. Die aktuelle Bundesregierung
hat nicht die Kraft dafür – oder will sie nicht aufbrin-
gen. Das ist noch ein Grund mehr, sie im Herbst abzu-
wählen.


Jens Ackermann (FDP):
Rede ID: ID1724047700

Reisen für alle – eine interessante, aber völlig aus

der Luft gegriffene Forderung aus dem uns hier vorlie-
genden Antrag der Linken. Klingt gut, ist aber totaler
Unsinn.

Teilhabe ist zu Recht eine der besseren Forderungen
aus dem uns vorliegenden Antrag der Linken. Deshalb
haben wir als christlich-liberale Koalition viel für die
Teilhabe aller Menschen in unserem Land getan. In
den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregie-
rung vom Dezember 2008 heißt es deshalb: „Auch
Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finan-
ziellen Einschränkungen sollen reisen können“. Das
war und ist unser erklärtes Ziel. Es stimmt auch, dass
die sich Bundesrepublik grundsätzlich für einen nach-
haltigen sozialen Tourismus im Sinne der UNWTO-
Menschenrechtskonvention einsetzt, die das Recht auf

direkten und persönlichen Zugang zur Entdeckung und
zum Genuss der Ressourcen des Planeten für alle Be-
wohner der Welt gewährleisten soll. Damit ist aber
eher die Reisefreiheit gemeint, eine Reisefreiheit, die
Ihre Vorgängerpartei systematisch eingeschränkt hat.
Fast 40 Jahre lang war es nur unter erschwerten Um-
ständen möglich, überhaupt zu reisen – vom nicht so-
zialistischen Ausland ganz zu schweigen. Auch war es
natürlich nur den getreuen und systemkonformen Bür-
gerinnen und Bürgern vorbehalten, in den Genuss ei-
ner günstigen Reise des FDGB zu kommen. Alle ande-
ren mussten sehen, wo sie bleiben, oder in umgebauten
Garagen zu überhöhten Preisen nächtigen. Diese Zei-
ten sind zum Glück vorbei. Heute gibt es ein breites
touristisches Angebot für fast jeden Geldbeutel.

Natürlich haben in einem freien Land mit mehr als
80 Millionen Einwohnern nicht alle gleich viel im
Geldbeutel, und jeder hat natürlich eine andere Vor-
stellung von Freizeitgestaltung. Aber wir haben in den
vergangenen Jahren mit unserer erfolgreichen Wirt-
schaftspolitik viel getan, damit es den Menschen in un-
serem Land besser geht und mehr Menschen als jemals
zuvor überhaupt die Möglichkeit haben, über Urlaub
nachzudenken.

Im vergangenen Jahr hatte die Bundesrepublik mit
durchschnittlich 2,897 Millionen so wenige Arbeits-
lose wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Die teilweise
verheerende Arbeitsmarktsituation in vergleichbaren
europäischen Ländern zeigt, wie robust der deutsche
Arbeitsmarkt mittlerweile ist. Nur so kann Teilhabe für
alle geschaffen werden. Nur so werden die Rentenkas-
sen aufgefüllt, und nur so haben am Ende alle etwas
davon.

Wir wollen keine Fördermittel oder Geldgeschenke
mit der Gießkanne verteilen. Wir möchten, dass alle
Menschen in unserem Land in Lohn und Brot stehen
und sich damit ihre Freizeit selbst so gestalten, wie sie
es gerne möchten und für richtig halten.

Darüber hinaus fördert der Bund bereits Projekte
der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für
Alle, NatKo, und der Arbeitsgemeinschaft Behinde-
rung und Medien, abm. Besonders möchte ich dabei
gern auf das Projekt „Zukunftsprojekt Kinder- und Ju-
gendtourismus in Deutschland“ hinweisen. Dieses
wurde auf Initiative der christlich-liberalen Bundes-
tagsfraktionen auf Betreiben des Bundeswirtschafts-
ministeriums auf den Weg gebracht.

Aber auch die Länder engagieren sich; Sie unterstüt-
zen geringverdienende Familien bei der Finanzierung
gemeinsamer Ferien zum Beispiel in gemeinnützigen
Familienferienstätten durch Individualzuschüsse. Ich
verweise an dieser Stelle auf Programme meines Hei-
matlandes Sachsen-Anhalt, die Ferien für sozial
schwache Familien anbieten, die nur sehr wenig oder
nichts kosten, und in die auch Hartz-IV-Empfänger
einbezogen werden. Viel vorbildliche Unterstützung
gibt es auch von freien Trägern und den Kirchen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Jens Ackermann


(A) (C)



(D)(B)


Abschließend möchte ich aber auf die größte inhalt-
liche Schwäche des Antrags eingehen. Die Linke for-
dert die „Stärkung von Verantwortung und Kompeten-
zen des Bundes für einen sozialen Tourismus“.
Tourismusförderung ist aber primär eine Kompetenz
der Länder. Hier ist die Bundesregierung klar der fal-
sche Adressat. Die Fraktion der Linken sollte sich zu-
nächst einmal über die Kompetenzaufteilung der Bun-
desrepublik informieren, bevor sie solche Forderungen
stellt.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1724047800

Der Antrag der Fraktion Die Linke „Reisen für

alle – Für einen sozialen Tourismus“ soll heute mit
den Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimment-
haltung von SPD und den Grünen abgelehnt werden.
Warum eigentlich? Ist der Antrag nicht sinnvoll oder
unnötig, oder ist er nur schlecht gemacht? Ich meine:
weder noch.

Der Antrag der Linken für einen sozialen Tourismus
ist sinnvoll, weil dadurch alle Fraktionen im Bundes-
tag und im Tourismusausschuss sowie die Bundesre-
gierung gezwungen wurden, sich mit dem Thema aktiv
auseinanderzusetzen. Ohne die Linke hätte es die De-
batten zum sozialen Tourismus, zur Förderung des
Kinder- und Jugendtourismus sowie zum „barriere-
freien Tourismus“ in diesem Hohen Haus in diesem
Umfang und in dieser Intensität – mit Beteiligung der
Betroffenen und ihrer Organisationen – nicht gegeben.

Der Antrag der Linken für einen sozialen Tourismus
war nötig, weil das Thema – das mussten alle Fraktio-
nen in der Diskussion eingestehen – wichtig ist. Wich-
tig, weil eben nicht alles „in Butter“ ist.

Und der Antrag der Linken ist auch inhaltlich gut.
Dies wird unter anderem an den Verrenkungen und
Ausflüchten anderer Fraktionen bei ihrem Versuch,
ihre Ablehnung oder Stimmenthaltung zu begründen,
deutlich. Lächerlich ist zum Beispiel die Begründung,
der Antrag richte sich mit seinen Forderungen zu sehr
an die Länder und beachte nicht die Kompetenzvertei-
lung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Dazu
heißt es im Antrag der Linken: „Sofern die Bundeslän-
der für die Realisierung einzelner Aufgaben zuständig
sind, soll die Bundesregierung in geeigneter Weise an
diese herantreten.“ Ähnliche Formulierungen finden
sich übrigens massenhaft auch in Anträgen der Koali-
tion wieder.

Unstrittig ist, dass Essen, Trinken, Kleidung, aber
auch Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit zu
den menschlichen Grundbedürfnissen gehören. Gehört
aber auch der Tourismus dazu? Ist die Forderung, al-
len Menschen Reisen zu ermöglichen, nur dummes Ge-
quatsche aus der linken Ecke? Ich meine: nein.

Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es im Art. 24:
„Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und
insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Ar-
beitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“

Und im Globalen Ethikkodex für Tourismus, be-
schlossen auf der Generalversammlung der UNWTO
im Jahr 1999, heißt es im Art. 7 – „Das Recht auf Tou-
rismus“:

„1. Die Aussicht auf den unmittelbaren und persön-
lichen Zugang zur Entdeckung und zum Genuss der
Ressourcen des Planeten ist ein Recht, das allen Be-
wohnern der Welt in gleicher Weise offen steht; die zu-
nehmend extensive Beteiligung am nationalen und
internationalen Tourismus sollte als eine der bestmög-
lichen Formen der Nutzung der ständig zunehmenden
Freizeit angesehen und es sollten ihr keine Hinder-
nisse in den Weg gelegt werden … 4. der Tourismus
von Familien, jungen Menschen und Senioren sowie
Behinderten sollte gefördert und erleichtert werden.“

Dass der Bundesverband der Deutschen Tourismus-
wirtschaft, BTW, erst im Dezember 2012, also 13 Jahre
später, den Global Code of Ethics for Tourism unter-
zeichnete, sei hier nur am Rande erwähnt.

Immerhin, selbst in den Tourismuspolitischen Leitli-

(Bundestagsdrucksache 16/11594)

kenswerten Sätze: „Ziel der Bundesregierung ist die
Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus. Auch
Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finan-
ziellen Einschränkungen sollen reisen können.“

Wie „ernst“ dies gemeint war, erklärte mir bzw. dem
Bundestag der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Hintze, CDU, auf meine Frage vom 6. Oktober 2010 zu
den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregie-

(Bundestagsdrucksache 17/3113, Frage 16)

rangiges Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende
ist nicht in erster Linie die Umsetzung der tourismus-
politischen Leitlinien, sondern die schnellstmögliche
Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in
den Arbeitsmarkt … Bei der Entscheidung … wurde …
die Position ‚Übernachtungen‘ nicht als regelbedarfs-
relevant berücksichtigt. Diese Ausgaben sind dem Be-
reich Urlaub zuzuordnen, der als nicht existenzsi-
chernd anzusehen ist und folglich für den Regelbedarf
nicht zu berücksichtigen ist.“

Dass dies kein Ausrutscher war, zeigt sich auch in
den Aktivitäten und den Ergebnissen der Bundesregie-
rung und der Bundesländer in der Tourismuspolitik.
Unbestritten, es gibt eine Reihe von Aktivitäten, es gibt
Förderungen für den internationalen Jugendaustausch
und Förderungen für Jugendherbergen und Familien-
heimstätten durch den Bund. Aber reichen diese Aktivi-
täten? Reicht es nicht, dass Deutschland Reisewelt-
meister ist und die Tourismuswirtschaft immer neue
Rekorde bei Übernachtungen und Umsätzen vermel-
det?

Ich meine: Nein, es reicht nicht. Der Superlativ
„Reiseweltmeister“ sagt nichts über die soziale Struk-
tur des deutschen Tourismus aus. Seit einigen Jahren
spiegelt sich die Vertiefung der sozialen Spaltung un-
serer Gesellschaft verstärkt auch im Tourismus wider.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Ilja Seifert


(A) (C)



(D)(B)


Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung
kann nicht in den Urlaub fahren. Nach der 28. Deut-
schen Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunfts-
fragen lag die Reiseintensität, also der Anteil der
Bevölkerung ab 14 Jahren, welcher mindestens eine
Urlaubsreise mit einer Dauer von wenigstens fünf Ta-
gen unternommen hat, im Jahr 2011 bei 53 Prozent.
Bereits im Jahr 2010 konnte sich nur noch jeder Fünfte
der Geringverdienenden eine Urlaubsreise leisten.
Nur gut jede zweite Familie verreiste im Jahr 2010 für
mindestens fünf Tage. Seit dem Jahr 1990 ist das ein
Rückgang um 11 Prozent. In 6 von 16 Bundesländern
wurden in den letzten Jahren die finanziellen Mittel zur
Förderung der Familienerholung völlig gestrichen. Im
Jahr 2009 waren Urlaubsreisen für mehr als ein Fünf-
tel, 22 Prozent, der Haushalte, in denen Kinder unter
16 Jahren lebten, finanziell unerschwinglich. Das sind
die Zahlen. Was das im Einzelnen für Familien, ins-
besondere die Kinder und Jugendlichen bedeutet,
spüre ich bei meinen Gesprächen in der Oberlausitz.
Eine wundervolle Urlaubsregion mit interessanten
Kulturstätten und einer abwechslungsreichen Land-
schaft, gleichzeitig aber auch eine Region, die zu den
ärmsten in Deutschland gehört.

Die Schaffung von mehr Reisemöglichkeiten für
Menschen mit geringerem Einkommen, für Menschen
mit Behinderungen sowie Menschen mit Migrations-
hintergrund wäre nicht nur ein bedeutender sozialer
Fortschritt, sondern könnte dazu beitragen, Arbeits-
plätze zu schaffen und die ökonomischen Effekte des
Tourismus weiter zu vergrößern. Diese Orientierung
findet sich auch in einer Reihe von EU-Dokumenten.
So beschloss die Europäische Tourismuskonferenz am
14./15. April 2010 in Madrid: „Die Kommission sollte
Bevölkerungsgruppen mit eingeschränkter Mobilität
und gesellschaftlich und/oder wirtschaftlich Benach-
teiligten den Zugang zu Urlaubsmöglichkeiten erleich-
tern, gleichzeitig eine bessere und langfristigere Nut-
zung der touristischen Infrastruktur, die Durchführung
touristischer Aktivitäten in den jeweiligen Regionen
über einen längeren Zeitraum und die Stärkung des
Gefühls einer Unionsbürgerschaft fördern.“ Zu nen-
nen wäre hier auch noch die von der EU ebenso wie
von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechts-
konvention, insbesondere der Art. 30: Teilhabe am kul-
turellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport.

Deswegen bleibt für die Linke das Thema „Reisen
für alle“, insbesondere für Familien, Kinder und Ju-
gendliche, hier meinen wir Urlaubsreisen und Schul-
fahrten, Seniorinnen und Senioren sowie Menschen
mit Behinderungen, ganz oben auf der tourismuspoliti-
schen Agenda.


Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1724047900

Der Tourismus in Deutschland boomt, aber nicht für

jeden und überall. Dennoch ist Tourismus für viele
Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Be-
dürfnisse nach Erholung, Bildung, Gesundheit, Kultur,
Sport und Naturerleben werden vielfach durch Reisen

realisiert. Reisen ist Teilhabe am sozialen und kulturel-
len Leben und nimmt seit Jahren einen der vorderen
Plätze bei der Freizeitgestaltung von Menschen ein. So
liegt zum Beispiel die Zahl der Familien, die sich keine
Urlaubsreisen mehr leisten können, seit 2009 bei circa
einem Viertel der Bevölkerung. Diese Zahl unter-
streicht, dass unsere Gesellschaft sozial auseinander-
driftet. Das spiegelt sich auch im Tourismus wider.
Trotzdem kann es nicht nur darum gehen, Geld in die
Hand zu nehmen. Vielmehr müssen wir Strategien ent-
wickeln, die den sozialen Tourismus vor allem regional
in vorhandene und zu entwickelnde Wirtschaftsstruktu-
ren integrieren und nachhaltig gestalten. Schließlich
kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, die Billig-
flugreise nach Mallorca zu finanzieren.

Wir Grüne wollen einen Tourismus, der Menschen
ein- und nicht ausschließt. Eine bessere Zusammenar-
beit von Bund, Ländern und Kommunen in Bezug auf
Projekte des sozialen Tourismus ist deshalb auch aus
unserer Sicht wünschenswert. Die Stärkung der Infra-
struktur wie beispielsweise die Steigerung der Attrak-
tivität vorhandener Naherholungszentren durch Aus-
bau oder Sanierung kommt auch Familien mit
niedrigeren Einkommen zugute, die auf diese Nah-
erholungsgebiete angewiesen sind. Dennoch wollen
auch wir den Kinder- und Jugendtourismus allen Ge-
sellschaftsgruppen zugänglich machen. Umwelt- und
Sprachbildung sind ebenso wie kultureller Austausch
wesentliche Aspekte einer nachhaltigen Gesellschaft
und dienen zugleich der Völkerverständigung.

Wir alle wissen: Reisen trägt zu einer positiven Per-
sönlichkeitsentwicklung bei. Für Kinder und Jugendli-
che gilt das besonders. Hier eine Teilhabe aller Kinder
und Jugendlichen zu gewährleisten, muss unser Ziel
sein. Wir können es uns nicht mehr erlauben, ganze ge-
sellschaftliche Gruppen bzw. deren Kinder davon aus-
zuschließen.

Für circa 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche be-
steht die Gefahr, aus sozialen Gründen nicht an Rei-
sen, Klassenfahrten, Freizeiten und anderen Angebo-
ten teilnehmen zu können. Obwohl es für Haushalte
mit besonders niedrigem Einkommen die Möglichkeit
gibt, dass der Staat die Kosten für ein- und mehrtägige
Klassenfahrten übernimmt, nehmen Jugendliche aus
einkommensschwachen Familien mit 70,4 Prozent al-
lerdings deutlich weniger am Tourismus teil. Ebenso
erleben wir in den letzten Jahren einen deutlichen
Rückgang der öffentlich geförderten Kinder- und Ju-
gendreisen. Die soziale Schere öffnet sich weiter. Des-
halb muss sich die öffentliche Hand wieder stärker en-
gagieren, gerade bei den geförderten Kinder- und
Jugenderholungen.

Aber wir brauchen auch faire Urlaubsangebote, wie
sie beispielsweise vom Jugendherbergswerk, von Kir-
chen, Sozialverbänden etc. zur Verfügung gestellt
werden. Hier wurden die Mittel für Jugendherbergen,
Bildungs- und Begegnungsstätten im laufenden Bun-
deshaushalt um die Hälfte auf nur noch 1,5 Millionen
Euro gekürzt. So bleiben notwendige Investitionen in

Zu Protokoll gegebene Reden





Bettina Herlitzius


(A) (C)



(D)(B)


diesem Bereich auf der Strecke. Darüber hinaus wer-
den zentrale Probleme nur angedeutet. Wichtige Fra-
gen nach der Finanzierung, einer besseren Zusammen-
arbeit der Institutionen werden nicht behandelt.

Bündnis 90/Die Grünen setzen sich politisch für ei-
nen nachhaltigen und regionalen Tourismus ein, der
auch faire Löhne für die im Tourismus Beschäftigen
impliziert. Nur wenn wir in unserer Gesellschaft dazu
kommen, dass Menschen für ihre Arbeit, egal in wel-
cher Branche, auch faire Löhne erhalten, wird Men-
schen gleichberechtigte Teilhabe am sozialen und kul-
turellen Leben überhaupt ermöglicht.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1724048000

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Tourismus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/13397, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11588 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koali-

tionsfraktionen. Gegenprobe! – Die Fraktion Die Linke.
Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht
für möglich halten: Nicht nur der Präsident ist erschöpft,
sondern auch die Tagesordnung.

Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages be-
rufe ich auf morgen, Freitag, den 17. Mai 2013, 9 Uhr,
ein.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Nicht morgen! Heute, Herr Präsident!)


– Völlig richtig; ja, natürlich. Das kommt davon, wenn
man am Sprechzettel festhält. Die nächste Sitzung findet
schon in wenigen Stunden statt, um 9 Uhr. Ich freue
mich, Sie alle dann begrüßen zu dürfen.

Die Sitzung ist geschlossen.