Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alleherzlich.
Ich möchte Ihnen, weil dies für die Ausschussbera-tungen wichtig ist, vorab folgende amtliche Mitteilun-gen zur Kenntnis bringen:Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Stel-lungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung derBundesregierung auf der Drucksache 17/13391 zu demEntwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen fürSchwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburtfederführend dem Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend sowie zur Mitberatung dem Innen-ausschuss, dem Rechtsausschuss, dem Finanzausschuss,dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für Arbeit undSoziales, dem Ausschuss für Gesundheit und dem Aus-schuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zuüberweisen.Gleiches gilt für die Stellungnahme des Bundesratesund die Gegenäußerung der Bundesregierung auf derDrucksache 17/13392 zu dem Entwurf eines Gesetzeszur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU, die federfüh-rend dem Innenausschuss und zur Mitberatung demRechtsausschuss, dem Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend und dem Haushaltsausschuss über-wiesen werden sollen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist erfreulicher-weise der Fall. Dann ist das hiermit so beschlossen, undin den Ausschüssen kann so verfahren werden.Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Berufsbildungsbericht 2013.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,Frau Dr. Wanka. Bitte schön.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen undHerren! Wir haben heute im Kabinett den Berufsbil-dungsbericht besprochen und verabschiedet.Die duale Berufsausbildung ist ein Rückgrat der wirt-schaftlichen Entwicklung in Deutschland. Das war ausunserer Sicht schon immer so. Das muss man in diesemKreis nicht näher erläutern. Trotzdem haben wir damitsehr viel Ärger gehabt. Bei allen OECD-Vergleichen istDeutschland angegriffen worden, weil die duale Ausbil-dung nicht entsprechend bewertet wurde. Das hat sichjetzt geändert. Wir haben eine hohe Akzeptanz für dieduale berufliche Ausbildung. Viele Staaten, nicht nur eu-ropäische Staaten, möchten die duale berufliche Ausbil-dung, die in Deutschland so gut funktioniert, entspre-chend anwenden. Verkürzt gesagt: Die duale Ausbildungist ein Exportschlager Deutschlands geworden. EinGrund dafür ist die Arbeitsmarktrelevanz. In Deutsch-land liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 7,6 Prozent. InEuropa insgesamt liegt die Jugendarbeitslosigkeit zwi-schen 23 und 24 Prozent.
In Ländern wie Spanien und Griechenland liegt sie beiüber 50, sogar über 60 Prozent. Wir sind Gott sei Dankin einer ganz anderen Situation.Ich möchte zwei Punkte zum Berufsbildungsberichtnennen. Es wird eine gute Bilanz unseres Ausbildungs-marktes gezogen; er wird insgesamt gut dargestellt.Der erste Punkt. Wir haben eine hohe Zahl an Ab-schlüssen. Demografisch bedingt sind es etwas wenigerjunge Leute als im Vorjahr, etwa 3 Prozent. Insgesamthaben wir aber eine sehr hohe Zahl an Abschlüssen. DerRückgang erfolgt vor allen Dingen zielgemäß dort, wowir ihn haben wollen, und zwar bei den außerbetriebli-chen Ausbildungsstätten. Wir wollen ja mehr betriebli-
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che Ausbildung. Besonders erfreulich ist, dass die Zahlder Altbewerber – das sind die jungen Leute, die schonvor zwei oder drei Jahren versucht haben, einen Ausbil-dungsplatz zu bekommen – sinkt, dass sie reduziertwurde. Und auch der Übergangsbereich, in dem jungeLeute, die noch nicht ausbildungsfähig sind oder nochkeinen Ausbildungsplatz bekommen haben, zusätzlichqualifiziert werden, indem sie Hauptschulabschlüsseoder anderes erwerben können, ist stark verkleinert wor-den. Dieser Übergangsbereich, den es über viele Jahregab und auch jetzt noch gibt, ist sehr teuer und führt zueiner Verlängerung der Zeiten, in denen junge Leutenicht ihrer Eignung entsprechend arbeiten können. Dasist ein großer Erfolg. In diesem Übergangsbereich befin-den sich jetzt über 30 Prozent weniger junge Leute alsim Jahr 2005.Zu dieser Entwicklung haben auch Programme derBundesregierung beigetragen, so zum Beispiel das Pro-gramm „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten biszum Ausbildungsabschluss“, welches ich klasse finde.Im Rahmen dieses Programs werden junge Leute mitFörderungsbedarf bereits ab der 7. Klasse angesprochen,systematisch begleitet und motiviert, ihren Hauptschul-abschluss zu machen. Ihnen wird nicht nur ein geeigne-ter Beruf empfohlen, sie werden auch in der ersten Zeitbegleitet. Die Zahl derer, die keinen Hauptschulab-schluss machen, hat sich übrigens in den letzten Jahrenhalbiert. Fünf Bundesländer haben bereits signalisiert –mit anderen sind wir im Gespräch; man kann ja vieleProjekte probieren –, dass sie das Projekt „Bildungsket-ten“ als ständige Einrichtung in ihrem Land haben wol-len. Das heißt: Ab nächstem Jahr werden diese Projekteeventuell flächendeckend in Deutschland angeboten.Neben der hohen Zahl der Abschlüsse ist der zweitePunkt: Es gibt über 33 000 unbesetzte Ausbildungsstel-len. Dem gegenüber stehen ungefähr 15 000 junge Men-schen, die noch nicht mit einem Ausbildungsplatz ver-sorgt sind. Die Frage ist daher: Wie passen die Wünscheder jungen Leute zu den vorhandenen Ausbildungsplät-zen? An dieser Passfähigkeit wollen und müssen wir ar-beiten. Die Problematik dieser Situation lässt sich erken-nen, wenn man sich ansieht, wo Ausbildungsplätze nichtbesetzt sind. Unbesetzte Ausbildungsplätze finden sichweniger in den großen, sondern eher bei den kleinen undkleinsten Unternehmen. 40 Prozent dieser Unternehmensagen mittlerweile, dass sie nicht oder kaum in der Lagesind, ihre Ausbildungsstellen mit geeigneten Bewerbernzu besetzen. Wir verlagern deswegen unseren Schwer-punkt darauf, den kleinen und kleinsten Unternehmen zuhelfen, und starten im Herbst mit einer Modifikation desProgramms „Jobstarter“, das sich vor allem der Pro-bleme dieser Unternehmen annimmt. Das ist sehr wich-tig, weil es – das können Sie dem Bericht entnehmen –im nächsten Jahr einen Peak geben wird; denn es werdenplötzlich über 17 000 junge Leute mehr für eine Ausbil-dung infrage kommen; danach werden die Zahlen wiederheruntergehen. Wir müssen also das nächste Jahr inten-siv nutzen, damit viele Auszubildende genau in die Be-triebe, die händeringend Auszubildende suchen, gehen.Es ist auch sehr wichtig, dass die Bundesregierungund die Wirtschaft die jungen Leute gemeinsam unter-stützen. Wir fordern aber auch auf, an die Klientel, diefür eine berufliche Ausbildung infrage kommt, heranzu-gehen. Die Studienabbrecher sind eine ganz wichtigeKlientel, um die sich bisher noch niemand systematischgekümmert hat. Damit wollen wir im Herbst beginnen.Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von jungen Leu-ten, die zwar Ausbildungsplätze angeboten bekommen,aber eben nicht aus ihrem Wunschgebiet, sodass sie dannerst einmal ein Praktikum oder etwas anderes machen.Genau diese jungen Leute müssen eine wichtige Ziel-gruppe für die kleinen und kleinsten Betriebe sein.Insgesamt stellt der Bericht eine gute Bilanz dar.Diese gute Bilanz ist eine Bestätigung für den Erfolg dervielen Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Das ist einguter Ausgangspunkt, um zu überlegen, wie man dienoch kritischen Punkte angehen kann.Danke schön.
Mir liegen eine Reihe von Wortmeldungen vor. Ich
gebe zunächst dem Kollegen Brase das Wort.
Frau Ministerin, herzlichen Dank für den Bericht. Die
von Ihnen angesprochenen Daten kann und muss man si-
cherlich bestätigen, auch wenn ein Rückgang um 3 Pro-
zent bei den Ausbildungsverträgen nicht gerade gut ist.
Was uns stutzig macht, ist, dass der Präsident des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Herr
Schweitzer, kürzlich ausführte – ich glaube, es war heute
Morgen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen –,
dass er mit den Aktivitäten der Politik bezüglich des
Übergangsbereichs sehr unzufrieden ist. Er sagte, wir
könnten sofort 100 000 junge Leute aus diesem Bereich,
die sich in schulischen oder in BvB-Maßnahmen befin-
den, direkt in Berufsqualifizierung bzw. -ausbildung
übernehmen. Sie haben das im Ausbildungspakt be-
schrieben. Es steht auch in den Stellungnahmen des
Hauptausschusses beim BIBB, dass der Maßnahmen-
dschungel im Bereich des Übergangs von Schule in Aus-
bildung endlich bereinigt werden muss. Ihre Ausführun-
gen dazu empfinde ich als unbefriedigend.
Meine Frage ist: Welche Maßnahmen wollen Sie er-
greifen, um die Vielfalt von über 100 Maßnahmen von
Bund, Ländern und Kommunen endlich abzubauen, da-
mit wir tatsächlich weiterkommen und den Jugendlichen
eine reale Perspektive, nämlich einen Ausbildungsplatz,
geben können?
Für die weiteren Fragen erlaube ich mir die Anre-gung, dass die Frage nach den einleitenden Bemerkun-gen möglichst vor Ablauf der Minute gestellt wird undnicht kurz danach.
Frau Ministerin, bitte schön.
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Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Sie sagen nicht zu unrecht, dass es eine Vielzahl vonMaßnahmen gibt. Es ist auch unser Anliegen, sie zu kon-zentrieren, damit es nicht so unübersichtlich ist. DieKonzentration sieht so aus: Wir befinden uns in demProzess, die effektiven, besonderen Maßnahmen, wiezum Beispiel „Bildungsketten“, zu verstetigen, sodasssie zu herausragenden Maßnahmen werden. Wir sindauch mit den Kammern und anderen im Gespräch. Dennein Teil der Finanzierung dieser Maßnahmen wird überEU-Mittel gewährleistet. Es ist jetzt sozusagen in derPlanung, wie man für die neue Förderperiode Pro-gramme strickt; es soll jedenfalls weniger Programmegeben und dadurch das Ganze übersichtlicher werden.Wir arbeiten also in diese Richtung und wollen das ge-nau so, wie angedeutet, machen.
Herr Rupprecht.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihr Bericht ist eine
großartige Botschaft an die jungen Menschen in unserem
Lande. In Zeiten – Sie haben es ausgeführt –, in denen in
anderen Ländern Europas 60 Prozent der jungen Men-
schen ohne Arbeit sind, ohne Lehre sind,
wird die Situation der deutschen Jugendlichen immer
besser. Das ist in der Tat eine große Erfolgsgeschichte.
Sie haben aber auch das Thema „Altbewerber“ ange-
sprochen. Sie haben angesprochen, dass die Zahl der
Altbewerber reduziert wurde. Meine Frage an Sie ist
nichtsdestotrotz: Mit welchen Instrumenten wurde diese
Verbesserung auch vonseiten des Bundes bewirkt, und
was ist in den nächsten Jahren für diesen Bereich ge-
plant?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Der Bereich der Altbewerber ist einer, der uns viele
Sorgen gemacht hat und in dem über Jahre hinweg keine
Bewegung erkennbar war. Die Maßnahmen, die ergrif-
fen wurden, waren sehr individuell und zielgerichtet; sie
wurden auf unterschiedlichste Gruppen ausgerichtet.
Zum Beispiel wurden ältere Menschen, sogenannte Se-
niorexperten, für die Beratung, für die Unterstützung
und die Motivation gewonnen; das gehört zum Bereich
der Bildungsketten. Genau in diese Richtung wollen wir
weitergehen.
Der Aussage, dass der Rückgang der Zahl der abge-
schlossenen Ausbildungsverträge um 3 Prozent traurig
ist, halte ich entgegen: Man muss auch die demografi-
sche Entwicklung vor Augen haben: Wenn wir weniger
junge Leute haben, dann spiegelt sich das natürlich auch
in der Zahl der Ausbildungsverträge wider, die abge-
schlossen oder nicht abgeschlossen werden.
Der Weg ist ganz klar: auf dem bisher eingeschlage-
nen Weg weitergehen, mit Maßnahmen, um die Einzel-
nen vor allem zielgerichtet und individuell zu unterstüt-
zen.
Frau Kollegin Hein.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin erwähnt, dass es
zunehmend freie Ausbildungsstellen gibt. Nun weiß ich,
dass es da in den östlichen Bundesländern in der Tat in
den letzten Jahren eine entsprechende Entwicklung ge-
geben hat und andere Verhältnisse als in den westlichen
Bundesländern herrschen. Können Sie vielleicht einmal
quantifizieren, wie sich die Situation bei den freien Aus-
bildungsplätzen in Ost und West gestaltet und wo Sie die
Ursachen für die entsprechende Entwicklung sehen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir hatten in den neuen Bundesländern schon vor
Jahren die Situation, dass sich die Zahl derer, die für ei-
nen Ausbildungsplatz infrage kommen, stark reduziert
hat. Es gibt dort intensive Maßnahmen vieler Betriebe,
auch von Handwerksbetrieben; man geht dort in die
Schulen und versucht, junge Menschen für Ausbildung
zu gewinnen. In den alten Bundesländern hat sich die Si-
tuation erst jetzt hin zu einem Mehr an freien Plätzen
verändert.
In den neuen Bundesländern gibt es auch im Bereich
der außerberuflichen Ausbildung ein sehr großes Inte-
resse. Wir wollen dort eine Stärkung der betrieblichen
Ausbildung hinbekommen.
Der Anteil derer schließlich, die nicht in Ausbildung
sind, ist in den neuen Bundesländern immer noch höher
als in den alten Bundesländern.
Kollege Kamp.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Siehaben dargelegt, dass die Zahl der unversorgten Bewer-ber sehr hoch ist. Wir haben jetzt eigentlich einen Be-werbermarkt und zugleich eine sehr große Lücke. Fürmich stellt sich die Frage: Wie beabsichtigt die Bundes-regierung, die Wirtschaft bei der Fachkräftesicherung zuunterstützen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Dafür gibt es eine Reihe von Maßnahmen, etwa dieProgramme, die auf Passfähigkeit setzen. Es ist immerwieder ein großer Mangel, dass für entsprechende Be-rufe nicht die geeigneten Personen geworben werden,weil im Hinblick auf neue Berufe viel Unkenntnisherrscht. Es gibt entsprechende Programme bei der BA,unter anderem im Rahmen von „Jobstarter“.
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Für mich ist auch ganz wichtig, dass wir eine hoheFlexibilität im Hinblick auf akademische und beruflicheAusbildung schaffen. Das, was wir in den letzten Jahrengemacht haben, nämlich dafür zu sorgen, dass in allenBundesländern Studieren und berufliche Ausbildunggleichermaßen möglich sind, ist gerade für den Mittel-stand sehr wichtig. Denn man gewinnt leichter einen gu-ten Bewerber – der Mittelstand sucht ja gute Bewerber –,wenn der Bewerber weiß: Ich kann jetzt eine Tischler-lehre machen und dann, wenn ich zu der entsprechendenErkenntnis komme oder es will, später ohne Hemm-schwellen an die Hochschule gehen. Das heißt, wir moti-vieren junge Menschen nicht, sofort um jeden Preis zustudieren; vielmehr sollen sie sich überlegen: Was ist fürmich der richtige Weg?Wir stehen im Moment auch vor folgender Situation:Wir haben auf der einen Seite sehr viele Studierende, aufder anderen Seite haben wir aber leider gerade in dentechnischen Disziplinen zu hohe Abbrecherquoten. Esgibt Bemühungen vonseiten einzelner Handwerkskam-mern oder Industrie- und Handelskammern, auf diejeni-gen zuzugehen, die ein Studium abbrechen. Jemand, derfünf Semester Maschinenbau studiert hat und dann ab-brechen muss, weil er durch die Matheprüfung gefallenist, ist durch seine im Studium erworbenen Fähigkeitenfür die duale Ausbildung geeignet. Das heißt, die Leis-tungen, die er im Studium erbracht hat, müssten aner-kannt werden, sodass er in verkürzter Form zum Beispieleinen beruflichen Abschluss machen kann. Wir habenmit dem BIBB versucht, unsere entsprechenden Vorstel-lungen in ein Programm zu gießen. Es wird im Herbststarten. Wir wollen es begleiten, wie auch andere Versu-che, die es bundesweit gibt.
Frau Ministerin! Die Uhr.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja, ich habe nicht hingeguckt; aber Sie haben recht,
Herr Präsident. – Das waren zwei Maßnahmen.
Geradeaus.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Klar, ich sehe es.
Kollege Gehring.
Frau Ministerin, Sie haben das Thema „Warteschlei-
fen“ angesprochen. Hier sehe ich weder Erfolg noch An-
lass zur Entwarnung; denn laut Berufsbildungsbericht
2013 befinden sich weiterhin rund 250 000 Jugendliche
in diesen Warteschleifen. Die damalige Bundesministe-
rin Schavan hat hier im Plenum des Deutschen Bundes-
tages am 17. Januar dieses Jahres angekündigt:
Unser Ziel muss sein, in den nächsten zwei, drei
Jahren ist das Übergangssystem auf null zu bringen,
das heißt, eine wirkliche Korrespondenz zu ge-
währleisten: Schulabschluss und dann Einstieg in
die duale Ausbildung.
Steht die Bundesregierung zu dieser Aussage, das
Übergangssystem in den nächsten zwei bis drei Jahren
auf null zu bringen? Machen Sie sich als Ministerin
diese Aussage zu eigen? Wenn ja, wie wollen Sie sie
umsetzen? Falls nein, warum nicht?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir haben im Übergangssystem riesige Erfolge er-
zielt – ich habe es vorhin erwähnt –: In ihm befinden
sich 35 Prozent weniger als im Jahr 2005; das sind Hun-
derttausende von jungen Menschen.
Gerade Warteschleifen, die im Übergangssystem gedreht
werden, wollen wir abbauen bzw. reduzieren. Da bin ich
mit Annette Schavan ganz einer Meinung. Das Über-
gangssystem ist aber sinnvoll und wird auch noch einige
Zeit interessant bleiben, weil wir so die individuelle För-
derung Einzelner gewährleisten können, damit sie zum
Beispiel ihren Hauptschulabschluss oder Ähnliches
nachholen können.
Das heißt, ich bin gemeinsam mit Annette Schavan
der Meinung, dass wir Warteschleifen, die im Über-
gangssystem gedreht werden, auf null drücken wollen.
Zur individuellen Unterstützung Einzelner brauchen wir
allerdings auch in Zukunft in bescheidenem Maße ein
Übergangssystem.
Kollege Rossmann.
Frau Ministerin, wir singen mit Ihnen gerne das Ho-helied auf die duale Ausbildung. Wir lesen in dem Be-richt mit Schrecken, dass die Quote der Betriebe, dieausbilden, noch einmal gesunken ist, und zwar nun auf21,7 Prozent. Das ist der schlechteste Wert seit 1999 –unter Schwarz-Gelb erreicht! Wie lautet Ihre politischeAntwort auf die Tatsache, dass wir eine höhere Ausbil-dungsbereitschaft bei den Betrieben brauchen? Was wol-len Sie tun: von Verbundausbildung bis hin zu Bran-chenumlagen und Ähnlichem? Was ist Ihre schwarz-gelbe Antwort auf diesen Tiefstand, jedenfalls seit 1999,bei der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Auch wir wollen, dass die Quote der ausbildendenBetriebe steigt. Das haben wir im Nationalen Pakt fürAusbildung auch so festgehalten.
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Wir müssen bei den Betrieben eine Differenzierung inGroßbetriebe und Kleinbetriebe vornehmen. Die mo-mentane Situation ist folgende: Viele der Kleinbetriebesind demotiviert, weil sie über Jahre Ausbildungsplätzeangeboten haben, diese aber nicht besetzen konnten.Jetzt resignieren sie. Deswegen startet im Septembereine Initiative, die dafür sorgen soll, die Motivation spe-ziell dieser Betriebe, Ausbildungsplätze zu schaffen,massiv zu erhöhen. Ihnen sollen Möglichkeiten aufge-zeigt werden, wie sie an gute oder überhaupt an Auszu-bildende kommen. Das wollen wir mit Bildungskettenund anderen Maßnahmen erreichen. Wir wollen also ge-rade Jugendliche mit Förderbedarf und jugendliche Mi-granten zielgerichtet motivieren, in Richtung handwerk-liche Ausbildung oder anderes zu gehen.Wir erwarten, dass auch die Wirtschaft entsprechendreagiert; denn wenn die duale Ausbildung das Rückgratunseres Systems ist, dann ist es wichtig, dass über dieJahre genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung ge-stellt werden.
Kollege Schipanski.
Frau Ministerin, Sie haben Ausführungen zu den Pro-
grammen im Zusammenhang mit Bildungsketten ge-
macht und gesagt, dass Sie auf Prävention statt auf Re-
paratur setzen. Das umfasst die Potenzialanalyse, die
Berufseinstiegsprogramme und die Berufsorientierung.
Welchen Beitrag leisten denn die Bundesländer, um
diese Berufsorientierungsprogramme, die der Bund als
Pilotprojekt aufgelegt hat, bundesweit dauerhaft zu ver-
stetigen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir kooperieren gut mit den Ländern in einer Bund-
Länder-Arbeitsgruppe. Die Bereitschaft der Bundeslän-
der, zum Beispiel von Bayern, Baden-Württemberg und
Hessen, ist vorhanden. Man will dort Bildungsketten fest
etablieren und ist bereit, sich in diesem Bereich zu enga-
gieren. Die Länder haben erkannt, dass dies eine sehr ef-
fektive Maßnahme ist, und sie wollen sich entsprechend
engagieren bzw. für eine Verstetigung sorgen.
Frau Kollegin Alpers.
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass sich der Berg
der Altbewerber kontinuierlich abbaut. Wir wissen, dass
nur zwei Drittel der Ausbildungsinteressierten einen
Ausbildungsplatz erhalten. Das ist die Einmündungs-
quote. Die Angehörigen einer besonderen Gruppe – es
geht um die Menschen mit Migrationshintergrund – er-
halten bei gleichen Abschlüssen aber nur halb so oft eine
Ausbildungsstelle. Wir haben insgesamt über 2 Millio-
nen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufs-
abschluss. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, da-
mit wir diese beiden Knackpunkte endlich, wie schon
lange angekündigt, in den Griff bekommen? Mir geht es
also zum einen um die Menschen mit Migrationshinter-
grund und zum anderen um die Menschen, die schon seit
Jahren ausgeschlossen sind.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir haben für die Menschen zwischen 25 und 35 Jah-
ren, die keinen beruflichen Abschluss haben, ein Pro-
gramm konzipiert. Es sollen 100 000 Ausbildungsplätze
für diese Klientel geschaffen werden. Das zeigt, dass wir
diese Menschen ganz besonders im Blick haben. Durch
dieses speziell entwickelte Programm sollen diese Men-
schen, die vor vielen Jahren keinen Ausbildungsplatz ge-
funden haben – Sie können ja mal ausrechnen, wann
jemand, der jetzt 30 Jahre alt ist, keinen Ausbildungsver-
trag bekommen hat –, nachqualifiziert werden bzw. eine
Ausbildung absolvieren können, wenn sie es denn wol-
len. Dieses Programm startet jetzt.
Die Situation der Absolventen mit Migrationshinter-
grund ist – diesbezüglich haben Sie recht – im Vergleich
zu den deutschen Absolventen schlechter. Die Tendenz
ist aber positiv. Schon im vorletzten Bildungsbericht ha-
ben Bund und Länder analysieren lassen, wie es bei den
jungen Männern und Frauen mit Migrationshintergrund
aussieht. Die Tendenz ist positiv; das heißt, die ergriffe-
nen Maßnahmen beginnen langsam zu wirken. In diesem
Zusammenhang ist aber auch das Engagement der Wirt-
schaft wichtig. Wenn sie sagt, dass 33 000 Ausbildungs-
plätze nicht besetzt werden können, muss sie auch bereit
sein, junge Menschen mit Migrationshintergrund einzu-
stellen. Ich glaube, an dieser Stelle ist auch die Wirt-
schaft gefordert.
Kollege Kaczmarek.
Frau Ministerin, Sie haben gerade das Verhältnis zwi-schen unbesetzten Stellen und unversorgten Bewerbernangesprochen. Ich habe mir stichwortartig notiert: DiePassfähigkeit muss erhöht werden. Ich würde gernenachfragen, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen,um Bewerber und Stellen besser zusammenzubringen.Ich möchte auch nach der hohen Zahl der Ausbil-dungsabbrüche fragen, die damit vielleicht in Zusam-menhang steht. Haben Sie konkrete Maßnahmen ge-plant, um diesbezüglich gegenzusteuern?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Bei der Passfähigkeit geht es nicht in erster Linie bzw.nicht nur um junge Menschen mit speziellem Förderbe-darf – ich sage das, weil man den Fokus häufig auf dieseKlientel richtet –, sondern auch um junge Menschen mitguten Schulabschlüssen, zum Teil sogar sehr gutenSchulabschlüssen. Das große Informationsdefizit bezüg-
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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lich einer Vielzahl der Berufs- und Einsatzmöglichkeitenführt dazu, dass viele Berufe nicht gewählt werden, ob-wohl sie beste Chancen für die Zukunft bieten. Demkann man nur durch ein sehr viel besseres Informations-angebot begegnen. Für dieses Informationsdefizit kannman nicht die Schule verantwortlich machen. Es gehtvielmehr um das Angebot der Jobcenter. Es geht um Po-tenzialanalyse und spezielle Angebote. Das heißt, dieseSituation kann man nur mit einem hohen Kommunika-tionsaufwand verbessern. Das ist nämlich ein schwieri-ges Thema. Viele Eltern und Großeltern kennen vieleBerufe nicht und wissen nicht, welcher Beruf geeignetwäre. Ich könnte ein schönes Beispiel nennen, aber dannschimpft der Präsident.
Nein, nächstes Mal. – Kollege Schummer.
Ich wollte nach dem Beispiel fragen, das Sie gerade
nennen wollten.
Wenn ich nicht wüsste, dass sich der Kollege
Schummer vor etwa 20 Minuten zu Wort gemeldet hat,
könnte man dies natürlich für eine Vereinbarung halten.
Intuition, verehrter Herr Präsident. – Es war ja ein
wichtiger Erfolg, dass im Qualifikationsrahmen die
Gleichwertigkeit der dualen Ausbildung mit der akade-
mischen Ausbildung festgelegt wurde. Erste Frage: Wel-
che Maßnahmen gibt es denn vonseiten der Bundeslän-
der, um in den Gymnasien die Möglichkeit einer dualen
Ausbildung stärker zu propagieren? Zum Zweiten: Wie
sehen Sie die Übertragung des Prinzips der dualen Aus-
bildung auf das duale Studium?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Zur ersten Frage: Es gibt bereits eine Imagekampagne
mit dem Titel „Berufliche Bildung – praktisch unschlag-
bar“, die unser Haus gemeinsam mit dem Bundeswirt-
schaftsministerium aufgelegt hat und mit der wir für die
duale Ausbildung werben. Die Möglichkeiten, die man
hat, haben sich erhöht, seitdem man auch ohne Abitur
studieren kann, wenn man eine entsprechende berufliche
Qualifikation hat.
Was die einzelnen Bundesländer machen, um jungen
Leuten dies zu ermöglichen, ist sehr unterschiedlich. Du-
ale Studiengänge, bei denen man im Rahmen des Stu-
diums auch einen beruflichen Abschluss erwirbt, habe
ich als Landesministerin immer sehr präferiert. Im Rah-
men des Hochschulpakts hatte sich Annette Schavan
sehr dafür eingesetzt, dass die Anzahl dieser Studien-
gänge erhöht wird. Das liegt im Interesse der Wirtschaft,
und auch einzelne Länderministerien setzen sich dafür
ein. Da wir jetzt beim Hochschulpakt vereinbart haben,
dass zusätzliche Gelder an die Hochschulen gehen, kann
dies auch realisiert werden. Man kann neue Studienan-
gebote mit praktischem Bezug etablieren, weil frisches
Geld in die Hochschulen kommt.
Kollege Brase.
Frau Ministerin, Sie haben davon gesprochen, dassdie Unternehmen teilweise nicht genügend Auszubil-dende finden, um ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.Auf der anderen Seite sind immer noch über 250 000 Ju-gendliche im Übergangsbereich zwischen Schule undAusbildung. Gleichzeitig gibt es Branchen, in denen dieAbbrecherquoten bei den Auszubildenden sehr hochsind. Was will und wird die Bundesregierung in Zusam-menarbeit mit den Partnern machen, damit in diesenBranchen, zum Beispiel im Hotel- und Gaststättenbe-reich und im Sicherungsbereich, die Zahl der Abbrücheverringert wird? Dadurch gäbe es automatisch wiedermehr Stellen, die zu besetzen sind.Nochmals: Herr Schweitzer hat ausgeführt, dass100 000 dieser jungen Leute direkt eine Ausbildung oderbetriebliche Einstiegsqualifizierung beginnen könnten,wenn die Mittel für BvB-Maßnahmen und Berufsfach-schulen gekürzt werden. Was macht die Bundesregie-rung?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Herr Schweitzer kann das gerne so sehen. Die jungenLeute, die im Übergangssystem sind, stehen zur Verfü-gung. Man kann sie ansprechen, die Wirtschaft kann sieansprechen, man kann ihnen Angebote machen. Diesejungen Leute warten darauf und würden sich darüberfreuen.
Ich habe bereits versucht, auszuführen, was wir von-seiten der Bundesregierung machen. Wir wollen zum ei-nen die Vielzahl von Programmen reduzieren. Ich habezum anderen immer wieder auf ein Programm, das be-sonders effektiv ist, hingewiesen; dieses wollen wir flä-chendeckend einführen. Ich denke nämlich, gerade fürbestimmte junge Leute – dabei geht es nicht nur umschulische Qualifikationen, sondern zum Teil auch umWerteinstellungen, um Fleiß, um Pünktlichkeit und an-deres – ist individuelle Unterstützung nötig. Wenn sienicht vom Elternhaus kommt, dann durch Seniorberaterund andere. Das sind die Instrumente, die wir haben.Ganz entscheidend bei der Vermittlung von Haltungenist das Elternhaus. Die jungen Leute müssen eben bereitsein, sich in einer beruflichen Ausbildung an die Regelnzu halten. Man muss auch Forderungen an sie stellenund darf nicht immer nur fragen, welche Hilfspakete esgibt. Im Moment befinden sich die jungen Leute in eineridealen Situation. Es gibt viel mehr unbesetzte Ausbil-dungsplätze als junge Leute. Erinnern Sie sich einmaldaran, wie die Situation zu Ihrer Zeit war. Das sah dieSituation ganz anders aus.
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– Mit „Ihrer Zeit“ meine ich natürlich die Zeit Ihrer Re-gierung. Das andere kann ich nicht beurteilen.Ich sage jungen Leuten, egal ob sie studieren oder et-was anderes machen, immer wieder, dass sie in einer pri-vilegierten Situation sind. Daraus müssen sie etwas ma-chen. Dazu müssen sie den Willen haben. Wenn HerrSchweitzer uns 100 000 aus dem Übergangsbereich ab-nehmen will, damit diese dann nicht mehr in Warte-schleifen sind, dann freuen sich Annette Schavan undich darüber, weil das Ziel dann schneller erreicht wird.
Frau Canel.
Mein Kollege Herr Professor Neumann hatte sich vor
mir gemeldet. Ich bin jetzt etwas irritiert, dass ich zuerst
dran bin.
Den Möglichkeiten des amtierenden Präsidenten sind
fast keine Grenzen gesetzt.
Bitte schön.
Okay. – Wir haben ja ein wunderbares Berufsbil-
dungssystem. Aufgrund der erfolgreichen Arbeit, die Sie
machen, wirkt unser Berufsbildungssystem über die
deutschen Grenzen hinaus. Welchen Einfluss haben wir
europaweit im Hinblick auf unser sehr gutes Berufsbil-
dungssystem?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir werden umworben, und man will die Erfahrun-
gen, die wir mit diesem System gemacht haben, kennen-
lernen. Im Dezember letzten Jahres fand eine Konferenz
statt, auf der vor allen Dingen die europäischen Länder,
die in einer schwierigen Situation sind, etwa Spanien
und Griechenland, dringend um Unterstützung gebeten
haben. Dabei ging es um die Herstellung von Kontakten
in den jeweiligen Ländern, um Überlegungen, ob deut-
sche Firmen dort duale Ausbildung anbieten können,
und um die Frage, wie das mit Blick auf die Kammern,
falls sie dort vorhanden sind, funktionieren kann. All das
geschieht im Moment. Das heißt, aus deutscher Sicht ist
unser Berufsbildungssystem ein Exportschlager. Der Ex-
port dualer Ausbildung soll nicht nur vom BMBF ausge-
hen, sondern auch vom Auswärtigen Amt und am besten
von der ganzen Bundesregierung, weil wir glauben, dass
dies ein wichtiger Schritt auch zur Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit ist.
Es kommt immer darauf an, ein System zu entwickeln,
das zum jeweiligen Land passt. Man kann unser System
nicht eins zu eins exportieren, weil die Ausgangsbedin-
gungen in anderen Ländern ganz andere sind. Es muss da-
rum gehen, die guten Aspekte der dualen Ausbildung in
anderen Ländern zu implementieren. Private deutsche
Bildungsanbieter und Firmen vor Ort haben daran ein In-
teresse. Eine wichtige Klientel sind darüber hinaus die
deutschen Firmen in den entsprechenden Ländern.
Der Kollege Gehring stellt die nächste Frage.
Vielen Dank. – 2008 fand ja der Dresdner Bildungs-
gipfel statt. Dort ist beschlossen worden, die Quote der
unter 30-Jährigen ohne Berufsabschluss bis 2015 auf
8,5 Prozent zu halbieren.
Den Zahlen des letzten Datenreports zufolge haben im-
mer noch 15 Prozent der unter 30-Jährigen keinen Be-
rufsabschluss. Das sind ungefähr 1,44 Millionen junger
Menschen, die damit auch erheblich schlechtere Chan-
cen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Frau von der Leyen hat angekündigt, 100 000 Perso-
nen eine Nachqualifizierung zu ermöglichen, –
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Genau.
– 100 000 der 1,44 Millionen Menschen. Der Presse-mitteilung auf der Internetseite des BMAS ist zu diesemThema nicht allzu viel zu entnehmen. Deshalb wüssteich gerne, ob die Bundesregierung weiterhin das Zielverfolgt, die Quote der unter 30-Jährigen ohne Berufsab-schluss bis 2015 auf 8,5 Prozent zu halbieren, wie siedieses Ziel erreichen will und welche Maßnahmen Sieganz konkret ergreifen werden und wollen, um diesesZiel noch zu erreichen.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Eine gute Basis bildet die eben genannte Zahl unbe-setzter Ausbildungsstellen. Vor einigen Jahren war dasnicht so. Zum damaligen Zeitpunkt konnte man nicht sa-gen: Es gibt viele Stellen. Bewerbt euch! Kümmert euchdarum! Wir geben euch Unterstützung, damit ihr in dieLage versetzt werdet, eine Ausbildungsstelle zu bekom-men. – Das 100 000-Stellen-Programm ist ein Vorhaben,das die Bundesregierung gemeinsam trägt. Ich sage esnoch einmal ganz deutlich: Denjenigen, die jetzt 30 Jahrealt sind, ist vor zwölf, dreizehn Jahren keine Ausbil-dungsmöglichkeit gegeben worden. Es ist nicht einfach,dies zu reparieren. Das erfordert einen hohen Aufwand.
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30068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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(B)
Ich bin sehr froh, dass im Bundesbildungsberichtdeutlich zum Ausdruck kommt, dass die jungen Leute,die jetzt ihren Schulabschluss machen, mit viel höhererWahrscheinlichkeit einen Ausbildungsplatz bekommenund damit bessere Möglichkeit haben. Wir arbeiten sys-tematisch daran, die genannte Quote zu senken. Aber dasist ein schwieriges Vorhaben. Wichtig ist auch, dass die-jenigen, die in Arbeit sind – sie sind ja nicht arbeitslos;sie sind in Arbeit –, eigene Bereitschaft zeigen und sa-gen: Ich will einen Ausbildungsabschluss. – Wir wollensie nicht dazu zwingen.
Kollege Neumann.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben vorhin er-
wähnt, dass über 50 Prozent eines Altersjahrganges ein
Studium aufnehmen; das ist eine gute Sache. Sie haben
auch davon gesprochen, dass Abbrecher für die berufli-
che Bildung geworben werden könnten. Welche Maß-
nahmen – hier kommt der Begriff „Attraktivität“ ins
Spiel – ergreift die Bundesregierung zur Steigerung der
Attraktivität der beruflichen Bildung?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich glaube, dass an dieser Stelle die Imagekampa-
gnen, in deren Rahmen für die berufliche Bildung ge-
worben wird, eine wichtige Rolle spielen. Jeder, der
heute ein Studium beginnt oder abschließt, weiß, dass
dies die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist,
die beste Aussicht auf ein relativ hohes Einkommen bie-
tet etc. Man muss also mit dem, was die berufliche Aus-
bildung bietet, werben. Das tun wir im Rahmen ver-
schiedener Imagekampagnen.
Die heutige Situation ist so, dass sich viele junge
Leute, die ein Studium abbrechen, erfolgreich etwas an-
deres suchen, dass man sich aber nicht systematisch um
sie kümmert. Mir ist wichtig, dass die Betriebe davon er-
fahren, wenn es vor Ort beispielsweise zehn Maschinen-
bauer oder Elektrotechniker gibt, die aber kein Studium
absolvieren wollen. Ihnen muss man dann konkrete An-
gebote machen; um diese jungen Menschen muss man
sich kümmern.
Wir haben auch im Rahmen der Arbeitsgruppen des
Demografiegipfels darüber beraten. Bei diesem Thema
müssen eben alle zusammenarbeiten. Das kann die Bun-
desregierung nicht allein leisten. Da sind die Hochschu-
len gefragt – sie müssen sich kümmern um Studierende,
die die Hochschule verlassen –, da sind die Kammern
gefragt, da ist die Wirtschaft insgesamt gefragt, da
braucht es eine breite Basis.
33 000 unbesetzte Stellen, dieser Druck ist bei der
Wirtschaft angekommen. Deswegen ist die Bereitschaft,
sich auf diese jungen Leute einzurichten, jetzt ausge-
prägter als noch vor einigen Jahren.
Frau Hein.
Frau Ministerin, Sie hatten vorhin die Bildungsketten
erwähnt. In diesem Zusammenhang wollte ich noch ein-
mal nach den Berufseinstiegsbegleitern fragen. Frau
Schavan hat ja immer blumig betont, dass diese Berufs-
einstiegsbegleiter helfen, gute Lösungen zu finden.
Möglicherweise ist das so. Ich wüsste gern: Wie viele
Berufseinstiegsbegleiter sind derzeit tatsächlich unter-
wegs? Wie viele davon sind vollzeitbeschäftigt, und wie
viele sind ehrenamtlich tätig?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Frau Schavan mag das blumig beschrieben haben;
aber sie hat völlig recht: Die Berufseinstiegsbegleiter
sind ganz wichtig, weil sie individuelle Betreuung bie-
ten. Wir wollen, dass diese Berufseinstiegsbegleiter flä-
chendeckend zur Verfügung stehen. Im Moment sind
über 2 000 beschäftigt; wie viele davon in Teilzeit, muss
man schauen. Dazu kommen die Seniorberater, die auch
eine wichtige Funktion haben.
Kollege Rossmann.
Frau Wanka, Sie pflegen in diesem Pingpongspiel ja
eine schnelle Rückhand.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Danke.
Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie die Erfahrun-gen mit den sogenannten Ausbildungsbausteinen vonJobstarter Connect bewerten – es gab ja bis in den Haus-haltsausschuss und den Haushaltsprüfungsausschuss hi-nein viel Kritik daran, was Aufwand und Ertrag dieserKampagne für Bildungsbausteine für die Berufsbildungangeht – und welche Konsequenzen Sie daraus in Bezugauf die künftige Konzeption der Berufsbildungspolitikziehen.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Natürlich fließt alles, was wir analysieren und eva-luieren, in neu zu konzipierende Maßnahmen ein. Dieschnelle Rückhand kann ich an dieser Stelle nicht bieten.Wie die konkrete Evaluation in diesem Punkt aussieht,kann ich im Moment nicht sagen; Sie bekommen dasnachgeliefert.
– Da schauen wir auch drauf.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30069
(C)
(B)
Ich habe noch die beiden Wortmeldungen vom Kolle-
gen Schipanski und von Frau Alpers notiert; ich hoffe,
niemanden übersehen zu haben. Damit wären wir auch
etwa in unserem Zeitrahmen und könnten dann diesen
Teil der Regierungsbefragung abschließen.
Bitte schön, Herr Kollege Schipanski.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, in dieser Woche sind
die Wirtschaftsjunioren im Deutschen Bundestag zu
Gast. Wir hatten gestern eine spannende Diskussion über
Berufsorientierung. Die jungen Unternehmer beklagen
oftmals die mangelnden Kernkompetenzen junger Ab-
solventen in Schreiben, Rechnen, Lesen. Man hat festge-
stellt, dass die Berufsorientierung nicht dazu geeignet
ist, mangelnde Kernkompetenzen von Schülern auszu-
gleichen. Daraus ergibt sich für mich die Frage, ob der
Bundesregierung bekannt ist, wie die Bundesländer – sie
sind letztendlich dafür zuständig – mit diesen mangeln-
den Kernkompetenzen umzugehen beabsichtigen.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Diese Klage ist nicht neu; sie wird schon erhoben, so-
lange ich denken kann. Es mag – das kann man nicht ab-
streiten – individuelle Erfahrungen mit diesem oder je-
nem Bewerber gegeben haben.
Die Wirtschaft hat sich aber immer auch auf die Er-
gebnisse der PISA-Studien berufen, denen zufolge Lese-
kompetenz und Mathematikkompetenz weit unter dem
Durchschnitt lägen. In diesen Bereichen haben die Bun-
desländer Enormes erreicht: Es ist ein großer Erfolg,
dass wir mittlerweile den OECD-Durchschnitt mindes-
tens erreicht haben. Zum Beispiel in Mathematik liegen
wir sogar über dem Durchschnitt. Das heißt, einen hand-
festen Beleg für dieses Klagen kenne ich nicht.
Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Zahl derer,
die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, in
den letzten Jahren fast halbiert wurde. Der Bund weiß
also, dass die Länder an dieser Stelle auch aktiv sind.
Frau Alpers.
Danke. – Frau Wanka, Sie haben vorhin betont, die
duale Ausbildung sei ein Exportschlager. Sie haben den
Schwerpunkt darauf gelegt – so war es auch bei Staatsse-
kretär Fuchtel in Griechenland –, dass entsprechend der
Situation vor Ort das Theorie-Praxis-Verhältnis erhöht
wird.
Nun gibt es tatsächlich aber auch eine große Bewe-
gung, Auszubildende – ich sage das in Gänsefüßchen –
„zu importieren“. Welche Strategie fährt die Bundesre-
gierung hier? Soll mehr direkt vor Ort in den jeweiligen
Ländern mit Perspektiven oder mehr hier ausgebildet
werden? Wie ist das Verhältnis, und wie ist Ihre Strate-
gie?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Beides ist wichtig. Das gilt insgesamt für die Fach-
kräftesicherung und nicht nur bezogen auf die Ausbil-
dung. Man kann die Probleme nicht mit einem Instru-
ment sozusagen erschlagen, sondern wir brauchen hier
auch einen qualifizierten Zuzug aus anderen Ländern.
Gleichzeitig müssen wir uns aber auch um jeden in unse-
rem Land bemühen.
Zum Export der Lehrlingsausbildung möchte ich
noch etwas sagen. Ich habe vorhin die Konferenz er-
wähnt, die im vergangenen Dezember stattgefunden hat.
Diese Konferenz war sozusagen die Initialzündung da-
für, zu sagen: Wir gehen eine europäische Allianz zur
Lehrlingsausbildung ein. – In Kürze – im Sommer –
werden wir in Leipzig die Berufsweltmeisterschaft erle-
ben. Dort wird diese Allianz aus der Taufe gehoben. Das
heißt, das ist ein Miteinander. Dort wird nicht irgendet-
was implantiert, sondern man agiert miteinander.
Ich glaube auch, dass die deutschen Firmen im Aus-
land sehr aktiv sind, die Fachkräfte, die benötigt werden,
dort auszubilden, was ich auch völlig legitim finde.
Deutschland ist Exportweltmeister. 12 Prozent aller tech-
nologieintensiven Produkte kommen aus Deutschland.
Wenn wir diese Produkte verkaufen, dann wollen wir,
dass in den entsprechenden Ländern auch die Kompetenz
für Reparaturen und für die Erneuerung vorhanden ist.
Deswegen ist es wichtig, dort Fachkräfte zu haben.
Ich finde es ebenso eine gute Maßnahme, sie tempo-
rär in Deutschland auszubilden oder nach Deutschland
zu ziehen. Das dient auch den jungen Menschen, unab-
hängig davon, ob sie sich dann entscheiden, in Deutsch-
land zu leben oder in ihr Heimatland zurückzugehen,
weil ihnen das eine berufliche Qualifikation und damit
bessere Lebenschancen bietet.
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Ich darf fragen, ob es andere Fragen zu der heutigen
Kabinettssitzung gibt. – Herr Kollege Krischer.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich habe eine
Frage an die Bundesregierung. In der heutigen Kabi-
nettssitzung sollte eigentlich eine gesetzliche Regelung
zum Thema Fracking beschlossen werden. Wie wir den
Medien entnommen haben, ist dieser Beschluss nicht er-
folgt. Meine Frage lautet, ob das so zutreffend ist.
Daneben habe ich den Medien entnommen, dass Herr
Grosse-Brömer, der der Bundesregierung meines Wis-
sens nicht angehört, hat verlautbaren lassen, dass das
Thema am 29. Mai erneut im Kabinett behandelt werden
soll. Ist das auch der Wunsch der Bundesregierung? Ist
das im Kabinett verabredet worden?
Herr Staatsminister von Klaeden.
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30070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
(C)
(B)
E
Herr Kollege, ich kann den ersten Teil Ihrer Frage be-
stätigen und deswegen zu dem zweiten keine Stellung
nehmen, weil das Thema in der Kabinettssitzung eben
keine Rolle gespielt hat.
Dann darf ich nach dieser ebenso bündigen wie nach-
vollziehbaren Auskunft fragen, ob es unabhängig von
der heutigen Kabinettssitzung Fragen an die Bundesre-
gierung gibt. – Das wundert mich nun wiederum, dass es
die nicht gibt, ich stelle dies fürs Protokoll aber aus-
drücklich fest.
Damit schließe ich die Befragung der Bundesregie-
rung mit Dank an alle Beteiligten ab.
Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 17/13393, 17/13455 –
Ich werde die Fragen in der Ihnen bekannten Reihen-
folge der Ressorts aufrufen, wobei ich schon jetzt insbe-
sondere für diejenigen, die noch aus der gesicherten
Distanz ihrer Büros auf ihren Einsatz warten, darauf hin-
weisen möchte, dass inzwischen viele Fragen zur schrift-
lichen Beantwortung angekündigt worden sind, also mit
einem relativ zügigen Ablauf zu rechnen ist.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin
Volkmer auf:
Wie werden gesundheitliche Schäden entschädigt, die
Testpersonen durch Arzneimittelprüfungen in der ehemaligen
DDR erlitten haben, sollten die Ausführungen in dem Artikel
im Magazin Der Spiegel vom 13. Mai 2013 zutreffen, dass
diese Versuche ohne das Einverständnis der Probanden durch-
geführt wurden?
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatsse-
kretärin im Bundesministerium für Gesundheit Annette
Widmann-Mauz zur Verfügung. – Bitte schön, Frau Kol-
legin.
A
Herr Präsident! Frau Kollegin Volkmer, die Frage, ob
Schadenersatzansprüche von Geschädigten oder von
Hinterbliebenen von Geschädigten, die von der an ihnen
vorgenommenen Arzneimittelerprobung keine Kenntnis
hatten, bestehen, die Frage, gegen wen sie bestehen – also
gegen die verantwortlichen DDR-Einrichtungen und/
oder die Pharmaunternehmen, die nach dem Artikel mit
diesen Stellen Vereinbarungen zur Arzneimittelerpro-
bung trafen –, und die Frage, ob solche Ansprüche noch
nicht verjährt sind, können nur nach genauer Sachver-
haltsermittlung und nur für jeden konkreten Einzelfall be-
antwortet werden.
Aus diesem Grund prüft das Bundesinnenministerium
derzeit eine finanzielle Beteiligung an dem vom Institut
für Geschichte der Medizin der Charité geplanten For-
schungsvorhaben. Hierbei steht aus Sicht des Beauftrag-
ten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer die
Förderung der zeithistorischen Aufarbeitung im Vorder-
grund. Eine finanzielle Beteiligung setzt voraus, dass
sich auch andere Akteure, wie Ärzteverbände oder der
Verband forschender Pharma-Unternehmen, an dem Vor-
haben beteiligen. Die Gespräche hierüber dauern an.
Unabhängig davon stellt sich die Frage der Durch-
setzung von Ansprüchen, soweit die Verantwortung für
die Durchführung der Erprobung bei nicht mehr existie-
renden DDR-Einrichtungen lag. Ebenso hängt die Frage
etwaiger Entschädigungsansprüche von der jeweiligen
Konstellation des Einzelfalls und der damit verbundenen
Anwendbarkeit entsprechender öffentlich-rechtlicher
Vorschriften ab. Bei einer klinischen Prüfung, die bei
Wirksamwerden des Beitritts in dem in Art. 3 des Eini-
gungsvertrags genannten Gebiet durchgeführt wurde,
war gemäß § 120 des Arzneimittelgesetzes eine Versi-
cherung nach § 40 Abs. 1 Nr. 8, nämlich eine Proban-
denversicherung, abzuschließen.
Nachfragen? – Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Es wird ja da-
rum gehen, Vorwürfe zu belegen oder zu entkräften.
Deswegen meine Frage an die Bundesregierung: Was tut
die Bundesregierung, um relevante Akten zu sichern?
A
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung unterstützt
alle Bemühungen, die auf die Aufklärung der gemachten
Vorwürfe gerichtet sind. Ich habe bereits berichtet, dass
das Bundesinnenministerium ein entsprechendes Gut-
achten vorantreiben und auch finanziell unterstützen
will. Wir werden uns auch dafür einsetzen und an alle
Verantwortlichen appellieren, was die Daten- und Ak-
tensicherheit anbelangt, hier keine Fakten zu schaffen.
Wir prüfen derzeit, wie wir dies entsprechend unterstüt-
zen und durchsetzen können.
Zweite Nachfrage?
Dann hat der Kollege Ackermann eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Auch in der DDR gabes ein Arzneimittelgesetz. In diesem DDR-Arzneimittel-gesetz stand, dass bei der Durchführung klinischerPrüfungen der Arzt gegenüber seinen Patienten eineAufklärungspflicht hat. Er muss über Wirkungen undNebenwirkungen aufklären. Dann muss der Patient ein-willigen. Er muss sagen: Jawohl, ich möchte an dieserklinischen Prüfung teilnehmen – oder nicht.Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sie weiß,ob dieses DDR-Gesetz befolgt wurde oder ob vonseitender SED-Führung Druck auf die Ärzte ausgeübt wurde,nicht aufzuklären, und ohne Wissen der Patienten klini-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30071
Jens Ackermann
(C)
(B)
sche Tests durchgeführt wurden, um einfach nur West-devisen abzugreifen.A
Sehr geehrter Herr Kollege Ackermann, auch diese
Frage treibt die Bundesregierung um. Genau deshalb
halten wir es für erforderlich, dass ein Gutachten in Auf-
trag gegeben wird, um derartige Sachverhalte zu klären.
Frau Gleicke.
Schönen Dank. – Frau Staatssekretärin, Frau Kollegin
Volkmer hat nachgefragt, was die Bundesregierung tut,
um Akten zu sichern. Diese könnten bei den Pharma-
unternehmen liegen, aber eben auch in den ehemaligen
DDR-Kliniken. Ich finde, dass der Handlungsbedarf sehr
groß ist. Ich möchte Sie fragen: Was ist denn da vorstell-
bar?
Wir wissen, dass jetzt Patientenakten aus dem Jahr-
gang 1983 geschreddert werden. Wie kann man das ver-
hindern? Bis ein Gutachten erstellt ist, wird wahrschein-
lich sehr viel Zeit ins Land gehen. Es wurde berichtet
– ich gehe einmal davon aus, dass das stimmt –, dass
beispielsweise die Firma Hoechst sogar schriftlich bestä-
tigt hat, dass die Aufklärung nach damaligem DDR-
Recht gar nicht erfolgen musste. Solchen Dingen
müssen wir natürlich zügig nachgehen können, ohne
dass Akten verschwinden. Ich möchte Sie hier um Präzi-
sierung bitten.
A
Wie Sie selbst, Frau Kollegin, schon angesprochen
haben, handelt es sich um unterschiedliche Daten, die
derzeit an unterschiedlichen Stellen vorhanden sind. Sie
haben in diesem Zusammenhang die Krankenhäuser und
die Pharmaunternehmen genannt. Auch im Bundesar-
chiv sind Daten und Akten eingelagert. Wie gesagt, wir
prüfen derzeit sehr intensiv, wie wir dem berechtigten
Interesse, nämlich dass jetzt keine Akten sozusagen ver-
schwinden, nachkommen können. Wir appellieren aber
auch an alle Verantwortlichen, diesem Grundsatz jetzt
Rechnung zu tragen, und wir werden sicherlich auch in
Verantwortung des Bundesgesundheitsministeriums
alles dafür tun, dass die in unserem nachgelagerten
Bereich befindlichen Akten und von dort an das Bundes-
archiv gegebenen Akten zur Verfügung stehen – auch
über die Aufbewahrungsfristen hinaus.
Frau Enkelmann.
Ich würde da gerne nachhaken, weil Appelle offen-
kundig nicht helfen werden. Wie groß ist denn nach
Ihrem Eindruck die Bereitschaft der betroffenen
Pharmaunternehmen, die inzwischen alle aufgelistet
sind, tatsächlich die Unterlagen zur Verfügung zu stel-
len, und welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung,
wenn diese Bereitschaft verweigert wird? Dann gibt es
möglicherweise auch die Chance, diese Akten zum Bei-
spiel durch eine gerichtliche Entscheidung einzuziehen.
A
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe gerade aus-
geführt, dass wir genau diese Fragen im Moment mit
Nachdruck verfolgen und prüfen. Wir werden Sie dann
gegebenenfalls auch sehr zeitnah über das Ergebnis
informieren.
Jetzt rufe ich die zweite dringliche Frage der Kollegin
Volkmer auf:
Welche Auswirkungen ergeben sich für die in dem Artikel
im Magazin Der Spiegel vom 13. Mai 2013 genannten Arz-
Zulassungen der Medikamente auf Studien beruhen, die gegen
die bereits damals gültige Deklaration von Helsinki verstie-
ßen?
A
Frau Kollegin Volkmer, das Arzneimittelgesetz siehtin § 30 gestufte Möglichkeiten der Rücknahme desWiderrufs und der Anordnung des Ruhens einer Zulas-sung vor, wenn nachträglich bekannt wird, dass der Zu-lassungsantrag anfängliche Mängel aufwies. Die Mög-lichkeiten der zuständigen Bundesbehörde reichen voneiner obligatorischen Rücknahme in besonders schwerenFällen – wenn etwa das Arzneimittel nicht nach demjeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Er-kenntnisse ausreichend geprüft worden ist – bis hin zueiner fakultativen Rücknahme oder der Anordnung desRuhens nach Ermessen, wenn in den Zulassungsunter-lagen unrichtige oder unvollständige Angaben gemachtworden sind.Ob ein solcher Fall bei den oben genannten Arznei-mitteln vorliegt, ist derzeit nicht bekannt. Das für die ge-nannten Arzneimittelgruppen fachlich zuständige Bun-desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat zuder Fragestellung ergänzend auf Folgendes hingewiesen:Nach dem Recht der DDR durfte eine klinische Prüfungnur dann vorgenommen werden, wenn der Probanddurch den Arzt ausreichend und über die Bedeutung undden Umfang der Prüfung, den Ablauf der Prüfung undden Ablauf der Untersuchungen sowie über möglicheWirkungen, Nebenwirkungen und Risiken aufgeklärtund mit der Prüfung einverstanden war. Ob und inwie-fern die Aufklärungen durchgeführt und die Einwilligun-gen erteilt wurden, kann vonseiten des BfArM nicht be-urteilt werden, da diese Einwilligungen nicht in denZulassungsunterlagen vorliegen.Im Übrigen macht das BfArM darauf aufmerksam,dass die für den Wirkstoff Levoprotylin beantragtenZulassungen zweimal wegen nicht ausreichend nachge-
Metadaten/Kopzeile:
30072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
(C)
(B)
wiesener Wirksamkeit versagt wurden und keine Zulas-sung für ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff besteht.
Nachfrage.
Wird eine
Prüfung der Medikamente vorgenommen, die in der
DDR getestet worden sind und für die aufgrund der
Tests, die ausschließlich in der DDR vorgenommen wur-
den, die Zulassung erfolgt ist? Denn Sie haben gerade
aufgeführt, was man in einem gestuften Verfahren alles
machen kann.
A
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die entsprechenden eingereichten Zulassungsunter-
lagen, die nach deutschem Zulassungsrecht oder nach
europäischem Recht zu gelten haben, werden natürlich
überprüft. Diesen Zulassungsunterlagen ist aber nicht zu
entnehmen – das habe ich gerade ausgeführt –, ob die
Einwilligung eines Probanden in einer klinischen Studie
schriftlich erfolgt ist oder nicht. Diese Unterlagen liegen
aus datenschutzrechtlichen Gründen beim Prüfer und
stehen damit nicht der entsprechenden Zulassungs-
behörde zur Verfügung.
Ich habe noch eine Frage. 1986 wurden die klinischen
Prüfungen für Zulassungsstudien in der Bundesrepublik
der amtlichen Überwachung unterstellt, und zwar durch
das Bundesgesundheitsamt. Meine Frage ist: Gab es
durch das Bundesgesundheitsamt Beanstandungen zu
klinischen Prüfungen, die in der DDR im Auftrag von
Sponsoren aus der BRD durchgeführt wurden,
oder gab es zumindest Bedenken, die nachweislich auch
artikuliert worden sind?
A
Frau Kollegin Volkmer, diese Frage kann ich Ihnen
heute so nicht beantworten, da mir die entsprechenden
Informationen nicht vorliegen und sich diese erst im
Zuge einer ausführlichen Auswertung ergeben können.
Weitere Zusatzfragen sehe ich nicht. Dann können
wir diesen Komplex abschließen.
Wir kommen nun zu den eingereichten mündlichen
Fragen auf der Drucksache 17/13393, die ich in der vor-
liegenden Reihenfolge aufrufe.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit. Die Kollegin Ursula Heinen-Esser steht
zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler
auf:
Wie will die Bundesregierung mit ihren politischen Zusa-
gen im Bereich des internationalen Klima- und Umweltschut-
zes umgehen, wenn laut Bewirtschaftungsrundschreiben 2013
des Bundesministeriums der Finanzen, BMF, für den interna-
tionalen Titel 687 01 des Energie- und Klimafonds, EKF,
trotz Substitution durch die KfW Bankengruppe fast 100 Mil-
lionen Euro weniger zugewiesen werden als im Wirtschafts-
plan des EKF vorgesehen?
Bitte schön.
Ur
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kol-
legin Frau Dr. Kofler, zu Ihrer Frage: Selbstverständlich
steht die Bundesregierung zu ihren politischen Zusagen
im Bereich der internationalen Klimafinanzierung. Bei
der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen wurde von den
Industriestaaten zugesagt, ab 2020 jährlich 100 Milliar-
den US-Dollar für Klimaschutz zu mobilisieren. Die
Bundesregierung steht zu der Zusage, einen fairen Anteil
beizutragen. Darüber hinaus haben die Industriestaaten
zugesagt, in den Jahren 2010 bis 2012 30 Milliarden US-
Dollar als Fast-Start-Finanzierung zur Verfügung zu stel-
len. Der Anteil der Europäischen Union betrug dabei
7,2 Milliarden Euro, der Anteil Deutschlands 1,26 Mil-
liarden Euro. Die Zusage wurde von Deutschland mit
1,29 Milliarden Euro erfüllt.
Dann hat bei der UN-Klimakonferenz in Doha
Deutschland bekannt gegeben, dass die Bundesregierung
im Jahr 2013 plant, etwa 1,8 Milliarden Euro für die
internationale Klimafinanzierung bereitzustellen. Als öf-
fentliche bzw. aus dem Bundeshaushalt oder aus dem
Wirtschaftsplan des Energie- und Klimafonds stam-
mende Klimafinanzierung plant Deutschland, in diesem
Jahr rund 1,74 Milliarden Euro aus den Einzelplänen
23 und 16 und dem von BMZ und BMU gemeinsam be-
wirtschafteten EKF-Titel 276,2 Millionen Euro bereitzu-
stellen.
Nachfrage.
Es freut mich, wenn Mittel zur Verfügung gestelltwerden. Aber ich möchte noch eine konkrete Nachfragenach dem EKF stellen. Da sind für das Jahr 2013372 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutzeingestellt gewesen. Noch im Oktober letzten Jahres hatdas Finanzministerium im Haushaltsausschuss Doku-mente vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass 94 Prozentdieser Mittel gebunden sind durch internationale Zu-sagen. Wenn nun nur etwa 276 Millionen Euro ausgege-ben werden, dann fehlen rund 100 Millionen Euro. Dannstellen sich folgende Fragen: Erstens. Stimmt die Aus-sage des Finanzministeriums nicht, dass 94 Prozent derMittel durch internationale Zusagen gebunden sind? Wieist diese Aussage zu bewerten?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30073
Dr. Bärbel Kofler
(C)
(B)
Zweitens. Wenn das Finanzministerium den Haus-haltsausschuss nicht angelogen hat – davon gehe ich aus –,dann stellt sich für mich die Frage, wie die Mittel imHinblick auf die Differenz bei internationalen Zusagenaufgebracht werden sollen.Ur
Ich habe gerade ausgeführt, mit welchen Beträgen wir
exakt die internationalen Zusagen einhalten wollen. Wir
werden in zwei Bereichen aufgrund der geringeren
Mittel im EKF nicht aktiv werden können. Das betrifft
zum einen ganz neue Vorhaben – das belastet mich auch
persönlich sehr, weil das eine oder andere Projekt über
meinen Schreibtisch gegangen ist –, in die wir einsteigen
bzw. bei denen wir etwas machen wollten, für die es aber
keinerlei Zusagen gegeben hat.
Zum anderen betrifft das den Green Climate Fund, bei
dem wir uns schon in diesem Jahr finanziell engagieren
wollten. Wir müssen es allerdings nicht, weil die institu-
tionellen Voraussetzungen des Green Climate Fund noch
nicht gegeben sind. Das heißt, es steht noch nicht fest,
welche Geberländer wie viel geben werden, sodass wir
in diesem Jahr noch keine Mittel verausgaben müssen.
Weitere Nachfrage.
Es ist schon bedauerlich, dass Sie an dieser Stelle zum
ersten Mal zugeben, dass die Mittel, die für den Klima-
schutz schon eingeplant waren, so nicht abfließen kön-
nen.
Ur
Das habe ich nicht gesagt, Frau Kollegin.
So kam das aber bei mir an.
Meine Nachfrage ist grundsätzlicher Natur. Wir als
SPD-Fraktion haben zum Thema EKF schon immer eine
andere Haltung als die Bundesregierung gehabt und be-
grüßen sehr, dass Sie die Mittel für den internationalen
Klimaschutz jetzt in die Einzelpläne 23 und 16 zurück-
überführen. Die Frage ist: Was ist mit den anderen
Titeln, die im EKF vorhanden sind? Warum werden
diese Titel nicht in die Einzelpläne zurücküberführt?
Wie werden Sie mit der Unterfinanzierung des EKF um-
gehen?
Ur
Zur Klarstellung des ersten Teils: Ich habe nicht ge-
sagt, dass gegebene Zusagen nicht eingehalten werden,
sondern ich habe gesagt, dass Projekte, die wir vielleicht
gerne gemacht hätten, für die es aber keine Zusagen ge-
geben hat oder Ähnliches, nicht durchgeführt werden
können aufgrund der Tatsache, dass die Mittel zurzeit
noch nicht zur Verfügung stehen. – Das nur zur Klarstel-
lung, auch für das Protokoll.
Der zweite Punkt Ihrer Frage betraf die internationa-
len Mittel. Sie begrüßen – das ist sehr schön –, dass wir
diese Mittel wieder in den Haushalt zurücküberführt ha-
ben. Auch andere Positionen sind Teil des EKF. Ich habe
die Liste mitgebracht; da geht es um Elektromobilität, es
geht um das MAP, das uns als Umweltpolitiker sehr
wichtig ist, und es geht um Forschungsvorhaben im Be-
reich der erneuerbaren Energien. Hier gibt es einen di-
rekten Zusammenhang zwischen den eingenommenen
Mitteln, beispielsweise durch den Emissionshandel, von
dem wir alle hoffen, dass er in Zukunft besser wird, und
dem, wofür wir die Mittel verausgaben wollen.
Kollege Ott.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, ich
muss sagen, dass auch ich einen Lernprozess mitge-
macht habe. Wir als grüne Umweltpolitiker im Verein
mit der NGO-Szene waren generell sehr angetan von
dem Instrument eines Fonds, der unabhängig von gewis-
sen Budgetrestriktionen Klimaschutz voranbringt, muss-
ten uns aber eines Besseren belehren lassen. Ich sage es
ganz offen: Unsere Haushälter hatten recht, dieses In-
strument abzulehnen.
Meine Frage ist deshalb an Sie, ob es ganz allgemein
Überlegungen in der Bundesregierung gibt, wie mit die-
sem Instrument weiter umgegangen werden soll. Auch
wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass Sie nach der
nächsten Wahl weiter die Bundesregierung stellen, stelle
ich doch noch die Frage, ob Sie auch für diese Zeit pla-
nen.
Ur
Erst einmal, Herr Kollege Ott, herzlichen Glück-
wunsch zu Ihrem heutigen Geburtstag, bevor ich auf die
weiteren Planungen zu sprechen komme.
Mir sind keine Planungen bekannt, den EKF wieder
komplett in den Haushalt zurückzuüberführen.
Frau Vogt.
Frau Staatssekretärin, aufgrund Ihrer Ausführungenmöchte ich Ihnen eine Frage stellen. Sie haben davon ge-sprochen, dass Sie Hoffnungen haben, dass der Emis-sionshandel bald wieder in Gang kommt. Ich möchte Siefragen, woher Sie diese Hoffnung nehmen, nachdem die
Metadaten/Kopzeile:
30074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Ute Vogt
(C)
(B)
Koalition doch den Antrag zu diesem Thema heute sehrbrachial von der Tagesordnung gedrängt hat.Ur
Kollegin Vogt, wenn ich richtig darüber informiert
bin – ich bin heute Morgen nicht im Umweltausschuss
gewesen –, wurde der Antrag in der Tat von der Tages-
ordnung abgesetzt, aber doch mit dem Hinweis, erst ein-
mal eine Anhörung zu diesem Thema durchzuführen.
Wir stehen zurzeit nicht unter Zeitdruck, schon heute ei-
nen Antrag verabschieden zu müssen;
denn der Umweltausschuss des Europäischen Parla-
ments wird sich erst im Laufe des Juni mit der Frage neu
befassen. Wir wissen heute noch nicht, welchen Kom-
promissvorschlag es geben und in welche Richtung die-
ser gehen wird. Ich denke, dass wir die europäische Posi-
tionsfindung erst einmal abwarten und diese durch eine
eigene Anhörung begleiten sollten.
Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass ich Sie persön-
lich sehr schätze, aber dass es keinen Zeitdruck geben
würde, ist natürlich ein Witz. Ganz Europa schaut auf
Deutschland, auf die Debatte hier; aber Sie schaffen es
auch nach Jahr und Tag nicht, eine abgestimmte Position
hinzubekommen. Es war in der Tat schon ein besonderes
Schauspiel heute im Ausschuss, als das Thema sozusa-
gen einfach von der Tagesordnung gedrängt wurde. Aber
es wird weiter aktuell sein. Wir haben den Antrag auf die
Tagesordnung des Plenums gesetzt. Sie kommen also
nicht umhin, dort Flagge zu zeigen.
Ich will noch einmal nach der Zukunft fragen. Sie
haben gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, dass es Ände-
rungsvorstellungen gibt, was die Finanzierung des EKF
betrifft. Jetzt haben wir aber gehört: Teile dieser Finan-
zierung werden in den Bundeshaushalt überführt. Ergibt
sich daraus eine veränderte Planung, was die Einnahmen
im Bereich des Emissionshandels angeht? Haben Sie
eine neue Prognose, aus der hervorgeht, wie hoch die
Summe aussehen müsste, damit die Dinge, die nicht über
den Bundeshaushalt finanziert werden, über den EKF fi-
nanziert werden können?
Ur
Herr Kollege Schwabe, wir werden in den nächsten
Wochen und Monaten prüfen müssen, wie die künftigen
Haushaltsansätze auszusehen haben. Wir haben schon
angegeben, wie die Mittelausstattungen, auch die für das
Jahr 2014, aussehen könnten. Alles Weitere wird noch
zu prüfen sein.
Kollege Bülow.
Frau Staatssekretärin, auch ich sehe es so, dass wir in
der Tat in Zeitnot sind. Wenn noch einmal eine Anhö-
rung stattfindet – wir hatten schon eine – und wieder
Sachverständige benannt werden müssen, dann wird das
auf jeden Fall erst in der nächsten Wahlperiode gesche-
hen; bis dahin wird mindestens ein halbes Jahr vergan-
gen sein.
Sie sprachen davon, dass Sie die Hoffnung haben,
dass der Emissionshandel in Schwung kommt. Nun lebt
Politik nicht gerade von Hoffnungen; vielmehr müssen
wir versuchen, wenigstens Erwartungen zu hegen. Ich
frage Sie ganz speziell, aber auch Ihr Haus: Was ist Ihre
Einschätzung – nicht Ihre Hoffnung –, wie sich der
Emissionshandel entwickelt? Ich glaube, sie ist für den
Umgang mit Haushaltsgeldern viel wichtiger.
Ur
Kollege Bülow, ich denke, wir müssen jetzt vor allen
Dingen das Verfahren auf der europäischen Ebene ab-
warten und uns anschauen, wie sich das Europäische
Parlament positionieren wird. Sie wissen, dass wir erst
dann in den Trilog mit der europäischen Ebene über die
Frage, wie es im Emissionshandel weitergeht, einsteigen
können, wenn das Europäische Parlament seine Position
gefunden hat. Da dies noch nicht der Fall ist, weil die er-
forderlichen Darlegungen erst Mitte Juni vorliegen, kann
ich darüber zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen.
Wir halten uns mit Einschätzungen zurück; auch das
sei hier ganz deutlich gesagt. Ich zum Beispiel hätte
nicht damit gerechnet – ich weiß nicht, ob Sie es gewusst
haben –, dass sich 60 Kollegen im Europäischen Parla-
ment bei der Backloading-Entscheidung enthalten, son-
dern ich habe gedacht, es werde zu einer klaren Ent-
scheidung pro Backloading kommen.
Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, im Juni findeeine neue Abstimmung statt. Welche Rolle nimmt dieBundesregierung im Rahmen der Vorbereitung dieserAbstimmung ein? Ist es nicht Aufgabe und gute Tradi-tion, jedenfalls vieler Jahre zuvor, dass wir mit einer ab-gestimmten Position Vorreiter in der EuropäischenUnion sind? In den letzten Jahren war davon nichts zuspüren.Wenn Sie jetzt erst einmal eine Expertenanhörungdurchführen wollen, um vielleicht eine Meinung zu fin-den, wie man den europäischen Prozess begleitet, dannist der Zug im Juni garantiert abgefahren. Also meineFrage: Schweigt die Bundesregierung bis Juni, und über-lässt sie das dem freien Spiel der Kräfte? Welche Rolle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30075
Dr. Matthias Miersch
(C)
(B)
nimmt die Bundesregierung in den nächsten Tagen – dieVorbereitungen laufen – ein?Ur
Ich kann, Herr Dr. Miersch, hier nur für das Bundes-
umweltministerium sprechen,
wie auch Ihnen bekannt ist. Für das Bundesumweltmi-
nisterium kann ich natürlich sagen, dass wir sehr wohl
auch das begleiten, was im Umweltausschuss des Euro-
päischen Parlaments besprochen und diskutiert wird.
Wir persönlich sind allerdings sehr unsicher, ob es im
Umweltausschuss des Europäischen Parlaments tatsäch-
lich zu einem neuen Backloading-Vorschlag kommen
wird oder ob es andere Instrumente geben wird, die dort
diskutiert werden.
Um auf Expertenanhörungen oder Ähnliches im Um-
weltausschuss des Deutschen Bundestages zurückzu-
kommen: Das heißt für uns, dass wir das Ganze, wenn es
veränderte Positionen gibt, gerne auch mit Ihnen bespre-
chen würden.
Kollege Bollmann.
Frau Staatssekretärin, nach den Verhandlungen gab es
unterschiedliche Stellungnahmen. Wirtschaftsminister
Rösler hat sich begeistert von dem Ergebnis gezeigt. Er
hat gesagt: Ein wesentlicher Fortschritt ist erzielt wor-
den. Andererseits hat sich der Umweltminister ent-
täuscht gezeigt und gesagt: Das war sicherlich keine
Sternstunde der Umweltpolitik. Nun steht an der Spitze
der Regierung ja eine Kanzlerin, die die Richtlinienkom-
petenz hat. Gibt es eine Position der Kanzlerin zu diesem
Thema?
Ur
Die Bundeskanzlerin hat auf der Petersberger Konfe-
renz in der vergangenen Woche ihre Position dazu klar-
gelegt, Kollege Bollmann. Wenn der Präsident gestattet,
dann zitiere ich dazu auch gerne aus der Rede der Bun-
deskanzlerin.
Alles, was in dem gegebenen Zeitmaß möglich ist,
wird gestattet.
Ur
Okay. Ich bemühe mich. Es ist ein kurzer Abschnitt. –
Die Kanzlerin hat gesagt:
Ich persönlich sage: Wenn man ein marktwirt-
schaftliches Instrument hat, bei dem die Annahme
über die Wachstumsraten eine wesentliche Rolle
spielt, und die Wachstumsraten alles andere als das
sind, was man angenommen hat, dann kann die
Frage, ob man das noch einmal revidieren muss,
kein Tabu sein. Bei dieser Frage, das sage ich ganz
offen, sind wir in Deutschland nicht entschieden.
Hier bringen unterschiedliche Kräfte ihre Argu-
mente vor …
So ist die Situation zurzeit.
Ich denke, dass wir insgesamt abwägen müssen und
dass wir die Frage des Funktionierens des Emissionshan-
dels – ich komme gleich bei einer Frage des Kollegen
Ott noch einmal darauf zu sprechen – auch in engem Zu-
sammenhang mit dem Thema „Reformen bei den erneu-
erbaren Energien“ betrachten müssen.
Jetzt habe ich noch die Wortmeldungen der Kollegin
Haßelmann und der Kollegin Wolff notiert. Damit hat
auch fast jeder, der hier ist, eine Zusatzfrage gestellt.
Dann ist es auch gut, nicht?
Frau Haßelmann, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident, dafür, dass auch ich die
Gelegenheit zu einer Frage habe. – Frau Heinen-Esser,
Sie haben gerade die Kanzlerin zitiert und die persönli-
che Einschätzung der Kanzlerin dargelegt. Die Frage
meines Kollegen Bollmann war eine ganz andere. Die
bitte ich dann zu beantworten.
Es ging nicht um persönliche Auffassungen der Kanz-
lerin Angela Merkel, sondern es ging darum, ob die
Kanzlerin in dem Streit, den es in der Bundesregierung
zwischen CDU-Ministerium Umwelt und FDP-Minis-
terium Wirtschaft ganz offensichtlich gibt, von ihrer
Richtlinienkompetenz Gebrauch machen wird und wir in
den nächsten drei Sitzungswochen noch mit einem Vor-
schlag der schwarz-gelben Bundesregierung zum Emis-
sionshandel und mit einer deutschen Position dazu rech-
nen können.
Ur
Die Bundeskanzlerin hat eindeutig gesagt, dass es
eine Gesamtlösung geben muss, sowohl beim Emis-
sionshandel als auch bei den erneuerbaren Energien. In
welchem Zeitraum das möglich sein wird, hängt zu ei-
nem Teil auch davon ab, wie sich die Bundesländer ver-
halten.
Frau Wolff.
Metadaten/Kopzeile:
30076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
(C)
(B)
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Frau Heinen-
Esser, ich möchte mich auch auf das beziehen, was Sie
eben aus der Rede der Bundeskanzlerin zitiert haben. Ich
habe das Gefühl, dass die Bundeskanzlerin sehr nahe bei
der SPD und ihren Positionen ist. Ich gehe davon aus,
dass wir, wenn die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin
angesprochen ist, überhaupt keine Anhörung mehr brau-
chen und dass eine Position zum Emissionshandel noch
vor der Sommerpause zu erwarten ist. Ich frage Sie:
Gehe ich recht in der Annahme?
Ur
Kollegin Wolff, es ist schade, dass ich keine Rück-
frage stellen darf; im Ausschuss hätte ich die Möglich-
keit dazu, aber hier leider nicht. Deshalb die Antwort:
Wir wissen noch nicht, wie sich der Umweltausschuss
des Europäischen Parlaments positionieren wird. Was
ist, wenn er – davon gehen wir aus; das ist nicht nur eine
persönliche Einschätzung – den Backloading-Vorschlag
nicht erneut zur Diskussion stellt, sondern einen ganz
anderen Weg geht, den wir hier in den vielen Sitzungen,
die wir im Ausschuss beispielsweise oder auch hier im
Plenum dazu hatten, vielleicht noch gar nicht bespro-
chen haben? Von daher halte ich es schon für durchaus
sinnvoll, dass wir noch einmal eine Anhörung durchfüh-
ren. Ich plädiere auch dafür, dass diese relativ zügig
stattfindet, sodass wir als Deutscher Bundestag den eu-
ropäischen Prozess auch vernünftig begleiten können.
Die Frage 2 der Kollegin Behm wird schriftlich be-
antwortet, sodass wir nun zur Frage 3 des Kollegen Ott
kommen, der in die Planung seines heutigen Geburtsta-
ges die Bundesregierung offenkundig langfristig einbe-
zogen hat:
Zu welchem Emissionsminderungsziel muss die Europäi-
sche Union nach Ansicht der Bundesregierung im Jahr 2030
konkret kommen, nachdem die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel anlässlich ihrer Rede beim diesjährigen Petersberger
für 2030 kommen muss, „weil die Wirtschaft planen, investie-
ren und daher wissen muss, auf welche Rahmenbedingungen
sie sich einzustellen hat“, und was tut die Bundesregierung
konkret, um schnell zu einer Entscheidung in dieser Frage zu
kommen?
Frau Kollegin Heinen-Esser, bitte schön.
Ur
Herr Kollege Dr. Ott, eine umfassende und ambitio-
nierte EU-Klima- und -Energiepolitik ist aus Sicht der
Bundesregierung auch für die Zeit nach 2020 erforder-
lich. Wie in anderen Mitgliedstaaten gibt es auch in der
Bundesregierung noch keine abschließende Festlegung
zu EU-Zielen und -Instrumenten für die Zeit nach 2020.
Bevor wir über einen neuen energie- und klimapoliti-
schen Rahmen für 2030 sprechen, sollten wir, wie von
der Kommission durch den Stakeholder-Prozess und die
Folgenabschätzung beabsichtigt, das bestehende Instru-
mentarium und den Stand der Zielerreichung einer Ana-
lyse unterziehen. Entsprechend dem Energiekonzept
sollen in Deutschland gemäß der Zielformulierung der
Industriestaaten die Treibhausgasemissionen bis 2050
um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden.
Dies bedeutet in Deutschland einen Entwicklungspfad
von minus 55 Prozent bis zum Jahr 2030.
Bis 2030 soll in Deutschland ein Anteil der erneuer-
baren Energien am Endenergieverbrauch von 30 Prozent
erreicht werden. Auf europäischer Ebene gilt es, die
Zielsetzung des Klimaschutzes, der Sicherung der Wett-
bewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, der Ver-
sorgungssicherheit sowie der Bezahlbarkeit der Energie-
versorgung in Einklang zu bringen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, wenn
man Sie so hört, dann wird klar, auf welchem Gebiet
Deutschland weiterhin Weltmeister ist, nämlich im For-
mulieren von Zielen. Diese hören sich zwar ganz toll an.
Aber die Frage ist, wie die entsprechenden Maßnahmen
zur Erreichung dieser Ziele umgesetzt werden.
In der letzten Woche lag der Anteil von CO2 in der
Atmosphäre das erste Mal bei über 400 ppm – ppm be-
deutet: Teile von 1 Million –; das entspricht 0,04 Prozent.
Wir haben in der Schule noch gelernt, dass der Anteil von
CO2 in der Luft 0,028 Prozent beträgt, was allerdings
schon damals nicht stimmte. Wir müssen heute Werte
verzeichnen, die es seit mindestens 800 000 Jahren nicht
gab. Dieser Zeitraum umfasst zehn Eiszeiten, zehn Zwi-
scheneiszeiten und die entsprechenden Wärmephasen.
Das heißt, wir bewegen uns mit hoher Geschwindigkeit
auf eine Situation zu, die die Menschheit noch nie erlebt
hat.
Finden Sie nicht auch, dass angesichts dieser erschre-
ckenden und dramatischen Zahlen eine Festlegung nun-
mehr auf ein 2030-Ziel, nachdem es anscheinend nicht
möglich ist, für das Jahr 2020 eine Einigung innerhalb
der Bundesregierung zu erreichen, den Anforderungen
nicht gerecht wird?
Ur
Das finde ich nicht, Herr Kollege Ott. Da Sie die Si-tuation in Deutschland und den Stand bei der Treibhaus-gasminderung so schwarzgemalt haben, will ich nochFolgendes sagen: Wir haben bis heute eine Treibhaus-gasminderung von etwa 26 Prozent gegenüber 1990 er-reicht. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr2020 40 Prozent zu erreichen. Dieser große Kraftaktliegt noch vor uns.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30077
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
(C)
(B)
– Lassen Sie mich doch bitte ausreden. – Wir benötigenfür die Erreichung dieses Ziels wahrscheinlich noch ei-nige zusätzliche Maßnahmen. Wir liegen zurzeit für dasJahr 2020 bei einer Treibhausgasminderung von etwa35 Prozent.Wir haben – diese beiden Aspekte darf man nicht ge-trennt betrachten – neben der Treibhausgasminderungnoch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Bei den er-neuerbaren Energien liegen wir oberhalb dessen, was wirin den Zielen formuliert haben, nämlich bei 23 Prozent.Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, werdenwir es schaffen, bis zum Jahr 2020 einen Anteil der er-neuerbaren Energien von fast 38 Prozent zu erreichen.Das würde sich wieder positiv auf die Treibhausgasmin-derung auswirken.
Weitere Zusatzfrage?
Auf jeden Fall. – Um Ihre Aussage nicht so stehen zu
lassen: Die CO2-Emissionen in Deutschland sind 2012
– das wissen auch Sie – das erste Mal seit vielen Jahren
wieder gestiegen, nämlich um 1,6 Prozent. Der Anteil
der Kohle an diesen Emissionen ist um 4 Prozent gestie-
gen. Das liegt vor allen Dingen daran, dass der Emis-
sionshandel darniederliegt und Kohle mittlerweile billi-
ger zu verfeuern ist als das eigentlich klimafreundlichere
Gas.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang die Kanzlerin:
Europa muss zu einem Emissionsziel für 2030
kommen …, weil die Wirtschaft planen, investieren
… muss.
Und weiter:
Die Investitionspläne für 2018/2019/2020 werden
in den Unternehmen schon heute gemacht …
Also ist es doch wichtig, jetzt die Ziele für 2020 zu
beschließen. Sind Sie der Meinung, dass Ihr Minister
von der Bundeskanzlerin gegenüber dem Wirtschafts-
ministerium genügend unterstützt wird?
Ur
Zum ersten Teil Ihrer Frage, was die Zielformulierung
für das Jahr 2030 – und nicht für 2020 – betrifft. Diese
Ziele haben wir formuliert. Wir müssen hier in einen
Prozess eintreten und darüber beraten, was tatsächlich
möglich ist.
Außerdem gibt es einen europäischen Prozess, bei
dem wir natürlich auch sagen müssen: Wie sieht der eu-
ropäische Fahrplan und die Verteilung innerhalb Europas
aus, um bestimmte Treibhausgasminderungsziele zu er-
reichen? Der Bundesumweltminister ist – davon können
Sie ausgehen – sehr stark darin, seine politischen Posi-
tionen durchzusetzen.
Kollege Schwabe.
Fr
Sie haben erstens kein Ziel für 2030. Sie sind
zweitens nicht bereit, das europäische Ziel für 2020 ent-
sprechend zu verschärfen, obwohl alle sagen, das sei
notwendig. Jetzt kommt das Dritte: Sie haben aber ein
nationales Ziel für 2020. Das haben Sie im Koalitions-
vertrag festgelegt. Das haben wir im Deutschen Bundes-
tag miteinander beschlossen.
Jetzt geht es um die Frage, ob Sie dieses Ziel im Rah-
men der internationalen Klimaverhandlungen in Brüssel
notifizieren. Das haben Sie bisher nicht getan. Die Frage
ist: Warum tun Sie das eigentlich nicht angesichts des-
sen, dass Sie auf nationaler Ebene das Ziel einer CO2-
Einsparung von 40 Prozent haben? Warum wird das
nicht verbindlich nach Brüssel gemeldet? Stehen Sie am
Ende gar nicht zu dem, was Sie hier beschlossen haben?
Ur
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Schwabe, ich finde es total nett, dass Sie für
Ihren Kollegen Kelber die Fragestellung übernehmen,
der in dieser Fragestunde nicht anwesend sein kann.
Deswegen trage ich Ihnen die Antwort vor, die ich Kol-
legen Kelber gegeben hätte.
Wir haben uns in der Tat das Ziel gesetzt, die Treib-
hausgasminderung bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent ge-
genüber 1990 zu senken. Eine Meldung dieses Ziels an
die EU-Kommission ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht er-
forderlich.
Für die zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Proto-
kolls haben sich die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu
verpflichtet, nur noch 80 Prozent ihrer Treibhausgasemis-
sionen im Vergleich zu 1990 zu emittieren. Die EU und
ihre Mitgliedstaaten haben erklärt, dass sie ihre Verpflich-
tungen im Sinne von Art. 4 Kioto-Protokoll gemeinsam
erfüllen werden. Dabei können Einzelmitgliedstaaten
eine von den 80 Prozent abweichende Verpflichtung
übernehmen und müssen diese jeweils im Rahmen der
Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Sekretariat
des Kioto-Protokolls beifügen.
Wie die Aufteilung der gemeinsamen Verpflichtung
gemäß Kioto-Protokoll vorgenommen wird, wird die
Bundesregierung zusammen mit den anderen europäi-
schen Mitgliedstaaten entscheiden. Die Europäische
Kommission wird hierzu zeitnah einen ersten Vorschlag
vorlegen. – Das zu Ihrer Kelber-Frage.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Ott auf:Was bedeutet die Aussage der Bundeskanzlerin anlässlich
Metadaten/Kopzeile:
30078 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
(C)
(B)
Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Emissionshandelseine „zusammenhängende“ Lösung anzustreben, konkret, undgibt es diesbezüglich schon Planungen innerhalb der Bundes-regierung?Ur
Kollege Ott, bei einer Reform des Emissionshandels
sind auch die Energie- und Klimapolitik insgesamt und
die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Wirt-
schaft und deren internationale Wettbewerbsfähigkeit zu
berücksichtigen. Der Zeitplan für das Verfahren liegt
weiterhin in den Händen der europäischen Institutionen
– wir sprachen ja vorhin schon bei den anderen Fragen
darüber –, vor allem beim Europäischen Parlament. Dies
gilt auch für die Fortentwicklung und Stärkung des
Emissionshandels.
Ihre Zusatzfrage.
Ich muss noch einmal nachfragen. So wie es sich bei
der Bundeskanzlerin anhört, geht alles nur zusammen.
Die Reform des Emissionshandels hängt zusammen mit
der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Meine Frage: Gibt es diesen Konnex? Gibt es diese
Verbindung? Zweitens. Wenn das so wäre, was soll die
rationale Begründung dafür sein, dies miteinander zu
verknüpfen? Denn – drittens – wenn es keine nationalen
Vorreiter gibt, wird sich auf europäischer Ebene nichts
bewegen. Wir müssen also zusehen, dass wir unseren
Laden zu Hause in Ordnung bringen, um auf europäi-
scher Ebene überhaupt handeln zu können.
Ur
Kollege Ott, Sie sind doch ein echter Energie- und
Klimaexperte. Daher ist Ihnen sicherlich bekannt, wie
sehr Energiepolitik, Emissionshandel und Treibhausgas-
emissionen tatsächlich miteinander verknüpft sind und
zusammenhängen und dass wir das Ganze nicht isoliert
betrachten können. 83 Prozent der Treibhausgasemissio-
nen sind energiebedingt. Das heißt, sie hängen direkt da-
mit zusammen, wie wir Energie erzeugen bzw. verbrau-
chen.
Zu sagen: „Wir kümmern uns nur um eine Baustelle“,
und die anderen Baustellen nicht zu beachten, wäre ein
Fehler. Nicht zu Unrecht gibt es unsere Zieltrias: Wir ha-
ben erstens das Ziel, die Emissionen zu reduzieren. Wir
haben zweitens das Ziel, die Energieeffizienz zu verbes-
sern. Wir haben drittens das Ziel, die erneuerbaren Ener-
gien auszubauen. Weil alle drei Ziele zusammenhängen,
finde ich es absolut richtig, sie alle drei gemeinsam zu
betrachten. Wir müssen uns fragen: Wie machen wir den
Ausbau der erneuerbaren Energien kosteneffizient? Wie
wirkt sich das auf den Emissionshandel aus? Wie muss
der Emissionshandel tatsächlich gestaltet sein?
Weitere Zusatzfrage? – Bitte.
Das hört sich sehr gut an. Tatsache ist jedoch, dass die
Bundesregierung in allen drei Bereichen, die Sie genannt
haben, als Bremser auftritt: bei der Energieeffizienz, bei
der europäischen Effizienzrichtlinie – das ist klar – und
beim Emissionshandel. Der Bundesregierung ist es nicht
möglich, sich auf ein Modell zur Reparatur des Emis-
sionshandels zu einigen. Das gilt auch für die erneuerba-
ren Energien, die Sie gegen die Wand fahren. Wenn Sie
sagen, dass alles zusammenhängt, und dann alles blo-
ckieren, dann haben Sie natürlich etwas Konsistenz her-
gestellt. Tatsächlich ist das aber eine negative Konsis-
tenz; denn Sie kommen nicht weiter.
Meine Frage betrifft den Emissionshandel und das
Backloading. Sie wissen, dass alle zehn FDP-Mitglieder
im Europäischen Parlament gegen das Backloading ge-
stimmt haben. Sie wissen, dass zwei Drittel Ihrer eige-
nen Partei, der CDU, im Europäischen Parlament gegen
das Backloading gestimmt haben. Hätten diese Abgeord-
neten oder auch nur ein Teil davon dafür gestimmt, dann
wäre das durchgegangen und wir hätten jetzt zumindest
die Chance auf eine Reparatur des Emissionshandels.
Meine Frage lautet daher: Was tun Sie auf der europäi-
schen Ebene, um einem erneuten Backloading-Vorstoß
oder einem permanenten „set-aside“ – was natürlich
noch besser wäre – zum Erfolg zu verhelfen?
Die Zeit.
Haben Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament gesprochen? – Danke schön.
Entschuldigung, Herr Präsident.
Ur
Sie haben in Ihrer langen Frage zwei Themen ange-sprochen. Ich möchte gern auf den ersten Punkt zurück-kommen, nämlich auf die Frage, wie es denn weitergehtund was sich fortentwickelt hat. Ich darf Sie an Folgen-des erinnern – Sie haben eben in einer anderen Frageschon gesagt, dass Deutschland hier vorangehen sollte –:Als wir gesagt haben, dass wir steuerliche Vergünstigun-gen bei der Gebäudesanierung schaffen wollen – dieswird dringend benötigt, um im Gebäudebereich zu einerbesseren Energieeffizienz zu kommen –, waren es insbe-sondere die rot-grünen Länder, die das abgelehnt habenund somit verhindert haben, dass wir bei uns in Deutsch-land in puncto Energieeffizienz weiterkommen.Zum zweiten Teil Ihrer Frage, zum Thema Backloa-ding. Ich will jetzt die Wörter „Einschätzungen“ bzw.„persönliche Hoffnungen“ oder wie auch immer nichtnoch einmal gebrauchen. Wir wissen nicht genau, wie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30079
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
(C)
(B)
sich der Umweltausschuss des Europäischen Parlamentspositionieren wird. Wir sind natürlich im Gespräch mitden Kollegen aus dem Europäischen Parlament. Aber bisheute liegt noch kein Kompromissvorschlag vor, den wirmit den Kollegen diskutieren und besprechen können.Aus diesem Grund finde ich die Idee, noch einmal eineAnhörung im Deutschen Bundestag zu diesem Themadurchzuführen – um darauf zurückzukommen –, gut.
Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, es gibt verschiedene Reden und
Initiativen. Sie haben gerade die Kanzlerin zitiert – sie
wurde auch in den Fragen von Herrn Ott zitiert –, die ei-
nen Zusammenhang zwischen dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz und der Reform des Emissionshandels her-
gestellt hat.
Vor einer Woche etwa, also fast zeitgleich, hat Herr
Altmaier, wie man lesen konnte, eine Initiative mit acht
anderen Umweltministern der Europäischen Union ge-
startet. Dazu heißt es in einer dpa-Meldung:
Umweltminister aus neun EU-Staaten pochen auf
einen raschen Neuanlauf für eine Reform des am
Boden liegenden Handels mit Kohlendioxid-Ver-
schmutzungsrechten. … Bis Juli müsse es zwischen
Europaparlament sowie den Staats- und Regie-
rungschefs
– Frau Merkel gehört ja wohl dazu –
eine endgültige Entscheidung geben.
Sehen Sie eigentlich einen Widerspruch zwischen der
Aussage von Herrn Altmaier, dass es bis Juli eine Ent-
scheidung geben müsse, und der Tatsache, dass die
Kanzlerin hier einen Zusammenhang mit dem EEG her-
stellt?
Ur
Kollege Schwabe, ich bin mir jetzt nicht ganz sicher,
von wann das gemeinsame Schreiben ist, ob es nicht vor
der Entscheidung des Europäischen Parlaments verfasst
wurde.
– Das war nur eine Rückfrage, denn das macht schon ei-
nen Unterschied.
– Ja, es gab vorher eine Initiative, um die europäischen
Kollegen ein Stück weit zu motivieren, beim Back-
loading-Vorschlag voranzugehen. Das ist leider nicht ge-
lungen. Bedauerlich finde ich – das habe ich eben schon
gesagt – vor allen Dingen die 60 Enthaltungen, die es im
Europäischen Parlament gegeben hat. Ich hoffe, dass
man die 60 Kolleginnen und Kollegen im weiteren
Prozess überzeugen kann, sich entsprechend zu positio-
nieren.
Eine Gesamtlösung ist notwendig; ich halte das für
den fachlich gebotenen Weg. Denn es gibt hier – ich
habe das eben auf die Frage des Kollegen Ott hin erläu-
tert – einen engen Zusammenhang zwischen dem
Ausbau der erneuerbaren Energien und der Höhe der
Treibhausgasemissionen. Deshalb ist es auf jeden Fall
sinnvoll, eine Gesamtbetrachtung anzustellen.
Ich weise jetzt darauf hin, dass die Fragen 5 und 6 des
Kollegen Kelber schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Becker,
der aber nicht da ist. Damit müssen die Fragen 7 und 8
des Kollegen Becker nicht beantwortet werden. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Der Kollege Schwabe ist aber immer noch da, dessen
Frage 9 ich jetzt aufrufe:
Welche abgestimmte Meinung vertritt die Bundesregie-
rung zum Vorschlag der Europäischen Kommission, Zertifi-
Ur
Kollege Schwabe, wir haben es in der vergangenen
Stunde schon miteinander besprochen: Die Bundesregie-
rung hat bisher keine gemeinsame Haltung zu den
Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Heraus-
nahme von Zertifikaten aus dem europäischen Emis-
sionshandel.
Eine erste Nachfrage.
Ich frage nur noch einmal nach; denn es kommt janichts. –
Der Herr Minister hat sich mehrfach zum Thema Back-loading und zu seiner Sinnhaftigkeit geäußert. Ichnehme einmal an, dass er dies auf einer fundiertenGrundlage getan hat. Der Herr Umweltminister wirdwissen, wie das Backloading funktioniert. Deswegenwill ich Sie noch einmal fragen: Halten Sie es auch vordem Hintergrund, dass der Umweltausschuss bereits imletzten Jahr eine Anhörung zum selben Thema veranstal-tet hat, wirklich für sinnvoll, dass der Umweltausschuss
Metadaten/Kopzeile:
30080 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Frank Schwabe
(C)
(B)
erneut eine Anhörung durchführt und der Bundestagmöglicherweise am Ende aus Zeitmangel nicht mehr zueiner Entscheidung kommen kann, oder würden Sie viel-leicht hier zusichern wollen, dass der Umweltministerdie Informationen des Umweltministeriums einfach andie Koalitionsfraktionen weitergibt, damit wir uns dieAnhörung ersparen können?Ur
Herr Kollege Schwabe, ich denke, dass wir das heute
Vormittag im Umweltausschuss besprochen und auch
mit den Kollegen der Koalitionsfraktionen diskutiert
haben.
Ich bin hier die falsche Ansprechpartnerin, wenn es
darum geht, zu sagen, ob es gut oder schlecht ist, eine
Anhörung durchzuführen. Ich habe Ihnen nur meine per-
sönliche Meinung gesagt, dass ich es vernünftig finde
und es absolut sinnvoll sein kann, im Zusammenhang
mit der Entscheidungsfindung auf der europäischen
Ebene – ich habe jetzt nachgeguckt: am 19. Juni wird es
zu einer neuen Abstimmung im Umweltausschuss des
Europäischen Parlaments kommen – hier im Deutschen
Bundestag eine solche Anhörung durchzuführen, da wir
nach heutigem Stand – auch das habe ich bereits
mehrfach gesagt – noch nicht wissen, ob es überhaupt zu
einem Backloading-Vorschlag kommt oder ob der Um-
weltausschuss des Europäischen Parlaments nicht einen
völlig anderen Vorschlag unterbreitet.
Keine weitere Frage? – Dann rufe ich die Frage – –
Habe ich jemanden übersehen? Muss es sein oder nicht?
– Ja, okay. Bitte, Kollege Ott.
Vielen Dank für das kleine Geburtstagsgeschenk. –
Weil wir jetzt doch wirklich sehr viel über den europäi-
schen Rahmen gesprochen haben und dies wahrschein-
lich auch noch weiter tun werden, würde ich doch gerne
eine Frage zur nationalen Ebene stellen. Denn es gibt die
Möglichkeit, trotz eines taumelnden, funktionsunfähigen
Emissionshandels eine gewisse Funktionsfähigkeit zu
gewährleisten, indem man nämlich einen Mindestpreis
für CO2-Zertifikate formuliert. Ähnliches ist gerade vom
Umweltbundesamt ins Spiel gebracht worden. Auch auf
der europäischen Ebene gibt es Stimmen, die sich dafür
aussprechen. Haben Sie innerhalb der Bundesregierung
über eine entsprechende Steuer oder Abgabe pro Tonne
CO2 diskutiert, und was ist die Haltung des BMU dazu?
Ur
Das UBA hat den Vorschlag gerade erst vor wenigen
Tagen vorgelegt. Natürlich tauschen wir uns auch intern
darüber aus, ob es Sinn machen könnte, auf einen natio-
nalen Alleingang zu setzen. Ich persönlich empfehle, so
etwas nicht zu tun, weil man damit massiv in die Wett-
bewerbsfähigkeit unserer Industrie eingreift.
Es ist sinnvoll, eine Lösung auf europäischer Ebene
zu finden, statt jetzt in einem nationalen Alleingang zu
sagen: Wir legen einen Mindestpreis fest, oder wir füh-
ren noch einmal eine CO2-Steuer ein, oder was auch im-
mer an Vorschlägen kursiert. Davon würde ich abraten.
Ich rufe nun die Frage 10 des Kollegen Frank
Schwabe auf:
Wie wird die Bundesregierung bei der Schaffung eines ge-
setzlichen Rahmens für die unkonventionelle Förderung von
Erdgas den Sachverhalt der Horizontalbohrungen,
somit Bohrungen, die von außerhalb eines Trinkwasserschutz-
gebietes unter ein Trinkwasserschutzgebiet geführt werden,
regeln?
Ur
Wir sind nun beim Thema Fracking. – Kollege
Schwabe, die Bundesregierung plant bei der Schaffung
von gesetzlichen Regelungen für die unkonventionelle
Förderung von Erdgas, Horizontalbohrungen ausdrück-
lich zu verbieten, die von außerhalb eines Wasserschutz-
gebietes in ein Wasserschutzgebiet hineingeführt oder
abgelenkt werden; also: Verbot.
Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
Das ist interessant, Frau Staatssekretärin. Es ist schön,dass Sie die Öffentlichkeit an Ihren Verhandlungen teil-haben lassen. Herr Staatssekretär Otto hatte nämlich inder letzten Fragestunde noch etwas anderes behauptetund eine andere Position für das Wirtschaftsministeriumvertreten; das können Sie im Protokoll nachlesen. Siesind immerhin einen Schritt weiter.Ich möchte Ihnen eine Frage zum Thema Bodenseestellen. Es ist zu lesen, dass dies Diskussionsgegenstandin der Koalition ist. Wie sehen Sie das für das Umwelt-ministerium? Finden Sie, dass alle Gebiete rund um denBodensee, aus denen Wasser in den Bodensee eindringenkann, in Zukunft von Fracking-Maßnahmen ausgenom-men werden sollen? Ja oder Nein?
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(B)
Ur
Die Kollegen der Koalitionsfraktionen im Deutschen
Bundestag haben das Thema Bodensee intensiv disku-
tiert, und sie diskutieren es noch. Sicherlich können Sie
auch die Besorgnis derjenigen teilen, die dort leben,
gegenüber den Auswirkungen von Fracking auf den Bo-
densee, wenn es denn dazu käme. Wir haben gemeinsam
mit dem Wirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf
vorgelegt. Jetzt sind die Kollegen im Bundestag gefragt,
sich ihre Meinung zu diesem Thema zu bilden.
Frau Staatssekretärin, wir haben keine klare, bundes-
einheitliche Rechtslage. Derzeit werden in Gemeinden
deutschlandweit zuhauf Anträge auf Aufsuchung von
Erdgas, auch im Fracking-Verfahren, gestellt, zum
Beispiel im Kreis Recklinghausen bei den Städten Marl,
Haltern am See, Dorsten und Oer-Erkenschwick, und
zwar von Unternehmen wie Dart Energy, Mingas-Power
und anderen. Das ist nicht nur in Nordrhein-Westfalen,
sondern auch in Niedersachsen so.
Ich habe hier einen Artikel aus der Frankfurter All-
gemeinen von vorgestern. Dort sagt der Rotenburger
Kreisrat Lühring – bei uns würde man ihn Dezernent
nennen –, nun lade der Bund die Verantwortung beim
Kreis als der unteren Wasserbehörde ab; denn der Kreis
müsse die Lage nach Recht und Gesetz bewerten.
Wie sehen Sie das? Ist es so, dass durch die Nicht-
tätigkeit des Deutschen Bundestages und der Bundes-
regierung die Kommunen und die Kreise vor einer wirk-
lich schwierigen Situation stehen, da sie nach altem
Recht entscheiden und so möglicherweise Maßnahmen
genehmigen müssen? Bringen Sie die Kommunen nicht
in eine völlig unmögliche Situation, indem Sie nicht
handeln?
Ur
Herr Kollege Schwabe, auch mich treibt dieses
Thema um; denn wenn wir nicht zu einer neuen gesetzli-
chen Regelung kommen, bleibt es in der Tat bei der alten
Regelung. Deshalb favorisiere ich persönlich ein Gesetz
zum Thema Fracking.
Ich habe aber Verständnis, wenn es Kolleginnen und
Kollegen im Deutschen Bundestag gibt, die den einen
oder anderen Punkt noch besonders intensiv diskutieren
möchten, damit das, was Sie vorhin gesagt haben
– Stichwort Bodenseeregion –, auch gesichert ist.
Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, wir reden schon jahrelang über
dieses Thema und bekommen von Schwarz-Gelb immer
signalisiert, dass geplant und diskutiert wird. Landauf,
landab warten die Menschen aber auf eine Regelung,
weil längst Fakten geschaffen werden.
Ich habe eben aufgehorcht, als Sie gesagt haben: Wir
haben etwas vorgelegt; das liegt jetzt im Parlament.
Den Agenturmeldungen ist zu entnehmen, dass das
Thema Fracking auf der ursprünglichen Kabinettstages-
ordnung von heute gestanden haben soll, es aber wieder
heruntergenommen worden sein soll. Können Sie uns
die Pläne der Bundesregierung wenigstens skizzenhaft
beschreiben? Ich gehe nicht davon aus, dass es Pläne
gibt, die 17. Legislaturperiode zu verlängern, sodass wir
nur noch begrenzte Sitzungszeit zur Verfügung haben.
Wie sieht der Beratungsablauf aus? Befasst sich das
Kabinett noch in dieser Legislaturperiode mit einem Ge-
setzentwurf zum Thema Fracking, und, wenn ja, wann?
Ur
Sie wissen, dass die betroffenen Gemeinden und
Kommunen, Bundestagskollegen und Landesregierun-
gen, insbesondere die nordrhein-westfälische Landes-
regierung, immer wieder Vorschläge einbringen, was
verändert werden kann. Das betrifft zum Beispiel – ich
glaube, es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen jetzt
alle Eckpunkte nennen würde, um die es geht – die
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes – das ist Ihnen
bekannt – und vor allen Dingen auch – das ist uns auch
ganz besonders wichtig – die Änderung der UVP-Ver-
ordnung Bergbau. Das sind die beiden großen Bereiche.
Über eine Einbringung kann ich Ihnen zum jetzigen
Zeitpunkt leider nichts sagen.
Kollege Lenkert.
Frau Staatssekretärin, Ihnen ist sicherlich bekannt,
dass Mineralwasserbrunnen oftmals nicht in einem
Trinkwasserschutzgebiet liegen. Wie planen Sie, sicher-
zustellen, dass Einzugsgebiete von Mineralwasserbrun-
nen zukünftig vor Fracking geschützt sind?
Ur
Wir haben ein generelles Verbot der Tiefbohrung so-
wie der untertägigen Ablagerungen in Wasserschutz-
und Heilwasserschutzgebieten geplant.
Kollegin Vogt.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie uns Einblicke inden derzeit stattfindenden Meinungsfindungsprozess inden Koalitionsfraktionen gegeben haben, will ich eine
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30082 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Ute Vogt
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(B)
Nachfrage in Bezug auf den Bodensee stellen. Der Bo-densee ist ja nicht nur als See für diejenigen spannend,die in der Region leben und ihn nutzen, sondern er istvor allem auch ein großes Trinkwasserreservoir fürweite Teile des Landes Baden-Württemberg. Da dieKoalition sich noch im Meinungsfindungsprozess befin-det, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung und ins-besondere das Bundesumweltministerium für sich schonsagen können, dass sie ein generelles Verbot vonFracking-Bohrungen im Bereich dieser Trinkwasserres-source für denkbar halten.Ur
Ja, ich halte das für denkbar.
Kollegin Flachsbarth.
Frau Staatssekretärin, eben wurde der Vertreter einer
niedersächsischen Kommune genannt, der besorgt sei,
dass die Bundesregierung die betroffenen Kommunen
alleine lassen würde. Könnten Sie mir bestätigen, dass in
den letzten 20 bis 30 Jahren in Niedersachsen circa
20 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs gefördert
wurden, und zwar unter Einhaltung rechtlicher Rahmen-
bedingungen? Wir müssen aber an der derzeitigen ge-
setzlichen Situation dringend arbeiten; das ist auch mein
unbedingtes Verständnis als Umweltpolitikerin.
Könnten Sie mir ferner bestätigen, dass zumindest
Vertreterinnen und Vertreter der Regierungsfraktionen in
sehr engem Kontakt mit Ihrem Haus und dem Bundes-
wirtschaftsministerium stehen, um eine tatsächliche
Verbesserung der derzeitigen rechtlichen Situation her-
beizuführen, insbesondere in Bezug auf den Umwelt-
schutz, den Wasserschutz und den Bodenschutz?
Ur
Kollegin Flachsbarth, das kann ich bestätigen. Das ist
das zentrale Anliegen, weshalb wir hier zu neuen gesetz-
lichen Regelungen kommen sollten, weshalb Verände-
rungen notwendig sind. Wenn die Hürde Bundestag ge-
nommen ist, wird die Hürde Bundesrat zu nehmen sein.
Dort wird die Unterstützung der rot-grünen Länder not-
wendig sein, um einen entsprechenden Gesetzentwurf
durchzubringen.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Bollmann auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die
zunehmende Meeresverschmutzung, insbesondere durch
Plastikmüll, wie vom Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, anlässlich der
Berliner „Internationalen Konferenz zur Verhinderung von
Meeresmüll in europäischen Meeren“ angekündigt, konkret
bekämpfen?
Ur
Aus Sicht der Bundesregierung, Kollege Bollmann,
ist eine geordnete Abfallwirtschaft von der sicheren Er-
fassung über die hochwertige Verwertung bis hin zur
umweltgerechten Beseitigung das zentrale Element zur
Reduzierung der Meeresverschmutzung vom Lande aus.
In Deutschland haben wir auf diesem Gebiet viel erreicht
und damit auch die Verschmutzung der Meere durch Ab-
fälle vom Lande aus weitestgehend minimiert.
Die Bundesregierung hält alle Aktionsebenen – natio-
nal, regional, EU-weit und global – sowie alle Aktivitä-
ten – Regierungshandeln, NGO-Aktivitäten, Maßnah-
men des privaten Sektors – für gleichermaßen
bedeutsam. Nur durch vertikale und horizontale Integra-
tion aller Aktivitäten kann eine erfolgreiche Bekämp-
fung des Problems Meeresmüll erfolgen. Die Bundesre-
gierung wird daher weiterhin auf nationaler,
europäischer und internationaler Ebene zur Förderung
der Kreislaufwirtschaft und zur Stärkung des Kunst-
stoffrecyclings beitragen.
In Bezug auf die Umsetzung der Meeresstrategie-
Rahmenrichtlinie der EU wird sich die Bundesregierung
weiterhin durch aktive Mitarbeit bei den Facharbeiten,
unter anderem durch einen Kovorsitz in einer einschlägi-
gen technischen Facharbeitsgruppe, engagieren. Das En-
gagement auf regionaler Ebene im Rahmen der regiona-
len Meeresschutzkooperation, insbesondere mit Blick
auf die nun zu erarbeitenden regionalen Aktionspläne,
ist für uns eines der Herzstücke einer erfolgreichen Bot-
tom-up-Politik zur Verhinderung der Meeresvermüllung
weltweit. Auch hier wird die Bundesregierung ihr Enga-
gement fortsetzen.
Auf nationaler Ebene wird Bundesumweltminister
Altmaier einen Runden Tisch „Meeresmüll“ einberufen,
der regionale Lösungen für unsere Küsten erarbeitet. Am
geplanten Runden Tisch, der möglichst noch in diesem
Sommer stattfinden soll, sollen nach Ansicht der Bun-
desregierung unter anderem Inselbürgermeister, Vertre-
ter der Tourismusindustrie, der Fischerei, der Schifffahrt,
der Hafenbetreiber und der Umweltverbände teilneh-
men. Die Fragestellung lautet: Was kann konkret vor Ort
gemacht werden?
Nachfragen?
Es gab ja im Vorfeld dieser Konferenz aus den Reihender Opposition den einen oder anderen Vorschlag zuPlastiktüten und zu anderem. Für diese Vorschlägezeigte sich die Bundesregierung nicht besonders emp-fänglich. Deshalb meine Frage: Herr Altmaier hat aufder Konferenz gesagt, dass er dies nun bekämpfen will.Wie stellt er sich das konkret vor?
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(B)
Ur
Wir haben hinsichtlich der Plastiktragetaschen gesagt,
dass der deutsche Beitrag dazu nicht mehr sehr gestei-
gert werden kann. Das wissen Sie, Kollege Bollmann;
Sie beschäftigen sich ja schon lange mit diesem Thema.
Plastiktragetaschen machen bei uns weniger als 1 Pro-
zent des gesamten Kunststoffverbrauchs aus. Im Lebens-
mittelhandel beispielsweise muss man Plastiktrageta-
schen kostenpflichtig erwerben. Wir haben das Thema
Plastiktragetaschen in Deutschland also sehr gut gelöst.
Bundesumweltminister Altmaier – das habe ich hier
gerade vorgetragen – plant jetzt einen Runden Tisch zum
Thema Meeresmüll, bei dem potenzielle Verursacher
und unmittelbar Betroffene aus wesentlichen Bereichen,
in denen wir national Einfluss nehmen können, mit an
Bord sind.
Weitere Zusatzfragen? – Nein.
Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Bollmann
auf:
Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die
leichte Austauschbarkeit von Batterien und Akkumulatoren
für die Verbraucherinnen und Verbraucher garantieren?
Ur
Augenblick, ich hatte jetzt mit Nachfragen gerechnet.
Man muss hier immer mit Überraschungen rechnen,
Frau Staatssekretärin.
Ur
Danke, Herr Präsident, dessen war ich mir so nicht
bewusst. – Jetzt geht es um Batterien und Akkumulato-
ren. Auf nationaler Ebene, Kollege Bollmann, sind der-
zeit keine Maßnahmen im Hinblick auf die Gewährleis-
tung einer leichten Austauschbarkeit von Batterien und
Akkumulatoren aus Elektro- und Elektronikgeräten ge-
plant; denn Anforderungen an das Produktdesign sind
aus binnenmarktrechtlichen Gründen nur EU-weit mög-
lich und sinnvoll. Die EG-Ökodesign-Richtlinie bietet
hierfür eine geeignete Rechtsgrundlage. Die Bundesre-
gierung hat sich im Konsultationsprozess zum neuen Ar-
beitsprogramm der Ökodesign-Richtlinie dafür einge-
setzt, dass die Entnehmbarkeit von Batterien und
Akkumulatoren als produktgruppenübergreifende An-
forderung untersucht wird und die Vor- und Nachteile ei-
ner entsprechenden Regelung geprüft und abgewogen
werden. Die EU-Kommission kam dieser Forderung bis-
lang nicht nach.
Im Februar 2013 wurden für Computer und Note-
books jedoch Ökodesign-Anforderungen beschlossen,
die bezüglich der Akkumulatoren zumindest verbindli-
che Verbraucherinformationen einführen werden. Dem-
nach muss ab Mitte 2014 bei neu in Verkehr gebrachten
Notebooks auch auf der Verpackung deutlich kenntlich
gemacht werden, falls der Akkumulator des Geräts vom
Verbraucher nicht ausgetauscht werden kann. Darüber
hinaus müssen die technische Dokumentation und frei
zugängliche Internetseiten Auskunft über die minimale
Anzahl der Ladezyklen des Akkumulators geben.
Die Frage der Entnehmbarkeit von Batterien ist zu-
dem Gegenstand der aktuellen Beratungen in Brüssel zur
Änderung der Batterierichtlinie. Die Batterierichtlinie
macht in ihrem Art. 11 Vorgaben für die problemlose
Entnehmbarkeit von Batterien, schreibt jedoch nicht vor,
für wen diese leicht entnehmbar sein müssen. Der Be-
richterstatter beim Europäischen Parlament hat zuletzt
einen Kompromiss vorgeschlagen, nach dem eine Ent-
nehmbarkeit durch den Endnutzer oder durch vom Her-
steller unabhängiges Fachpersonal möglich sein muss.
Zudem sollen den Produkten Anleitungen beigefügt wer-
den, wie die Verbraucher oder die unabhängigen Fach-
leute die Batterien oder Akkumulatoren sicher entneh-
men können. Diese Kompromissvorschläge sind
Grundlage für die weiteren Verhandlungen mit der Euro-
päischen Union.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort, Frau
Staatssekretärin. – Nur eine Zusatzfrage: Heute Abend
um kurz vor 23 Uhr werden wir im ZDF wieder einen
Film zu diesem Themenbereich sehen können, und man
wird wieder nicht nur die Frage stellen, inwieweit es tat-
sächlich zutrifft, dass in Gebrauchsgegenstände ganz be-
wusst Dinge eingebaut werden, die zulasten der Haltbar-
keit gehen, sondern auch, inwieweit es zutrifft, dass
Gebrauchsgegenstände bewusst so konstruiert werden,
dass eine Austauschbarkeit überhaupt nicht möglich ist.
Sollte nachweisbar sein, dass dies bewusst so gehand-
habt wird, gedenken Sie dann irgendwelche Schritte da-
gegen zu unternehmen?
Ur
Es ist ja so, dass eine Fraktion des Deutschen Bundes-
tages eine recht spannende Studie zu diesem Thema ver-
öffentlicht hat. Ihre Ergebnisse belegen die These, dass
manche Geräte so konstruiert werden, dass ihre Haltbar-
keit eine bestimmte Dauer nicht übersteigt. Wir nehmen
dieses Thema sehr ernst und setzen uns immer wieder,
auch im Rahmen der aktuellen Verhandlungen zur Öko-
design-Richtlinie, für eine Verbesserung der Reparatur-
fähigkeit ein. Ich hoffe, dass wir im Rahmen der aktuel-
len Beratungen zu einem Erfolg kommen werden.
Kollege Lenkert.
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30084 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
(C)
(B)
Frau Staatssekretärin, eine andere Fraktion des Deut-
schen Bundestages hat den Antrag eingebracht, die
Nutzbarkeit von Batterien und Akkumulatoren zu ver-
längern und die Austauschbarkeit zu regeln, nämlich
meine Fraktion. Ich stelle Ihnen die Frage: Wieso versu-
chen Sie nicht, den von uns vorgeschlagenen Weg zu ge-
hen und über die Abfallwirtschaft eine nationale Lösung
zu finden? Die Bundesrepublik ist einer der größten
Märkte in der Europäischen Union. Wenn die Bundesre-
publik im Rahmen der Erfassung des Sondermülls – Bat-
terien würde ich im Prinzip hier einstufen – die Vorgabe
machen würde, sicherzustellen, dass Sondermüll ge-
trennt und sauber erfasst werden muss, dann hätten wir
die gesetzliche Möglichkeit, diesen Missstand zu beseiti-
gen. Ich frage Sie, warum die Bundesregierung diesen
Weg nicht geht.
Ur
Die Bundesregierung wird erst einmal eine neue Da-
tengrundlage schaffen. Das Umweltbundesamt hat ein
entsprechendes Forschungsvorhaben ausgeschrieben, in
dessen Rahmen das Thema „Haltbarkeit von Produkten“
erforscht werden soll.
Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Sylvia Kotting-
Uhl werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 15 der Kollegin Vogt auf:
Treffen Berichte in den Medien, so zum Beispiel in der ta-
geszeitung vom 30. März 2013 zu, wonach sich die Inbetrieb-
nahme des Endlagers Schacht Konrad von 2019 auf mindes-
tens 2021 verzögert, und welche Gründe sind hierfür
verantwortlich?
Ur
Kollegin Ute Vogt, ja, das stimmt. Aufgrund neuer
Befunde eines Berichts der Deutschen Gesellschaft zum
Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe zur Sta-
tik des Mauerwerks im Schacht Konrad 1 zeichnet sich
ein erheblicher Sanierungsbedarf ab. Im Schacht
Konrad 1 sind aus Gründen der Herstellung der Standsi-
cherheit zusätzliche Maßnahmen zur Sanierung des
Mauerwerks erforderlich, da sonst der Nachweis einer
ausreichenden Statik des Mauerwerks nicht geführt wer-
den könne. Der sich abzeichnende Sanierungsbedarf
lässt nach derzeitigem Kenntnisstand den Abschluss der
Errichtung des Endlagers nicht vor dem Jahr 2021 er-
warten.
Bitte schön.
Gibt es aufseiten des Bundesumweltministeriums
Ideen, wie man das Ganze beschleunigen kann? Das Vo-
lumen für den Abfall, der dort gelagert werden soll, wird
ja schon früher gebraucht.
Ur
Wie man das beschleunigt, können wir als Bundes-
umweltministerium nicht vorgeben; wir sind keine Tech-
niker oder Ingenieure. Wir wissen das Vorhaben beim
Bundesamt für Strahlenschutz in sehr guten Händen.
Dass jetzt Sanierungsbedarf aufgetaucht ist, ist sehr un-
glücklich. Es wird alles darangesetzt, dass die erforderli-
chen Baumaßnahmen so schnell wie möglich durchge-
führt werden. Es ist ja genauso in unserem Interesse,
dass Schacht Konrad möglichst schnell fertiggestellt
wird.
Haben Sie schon einen Überblick oder eine Schät-
zung, was die erforderliche Sanierung an zusätzlichen
Kosten verursachen wird?
Ur
Frau Vogt, genau diese Frage habe ich auch gestellt in
Vorbereitung auf die heutige Fragestunde. – Wir können
noch nicht sagen, in welchem Rahmen sich die Kosten
bewegen werden. Wir sind zurzeit dabei, die finanziellen
Auswirkungen zu prüfen. Ich bin gern bereit, Ihnen das,
sobald die Zahlen vorliegen, schriftlich zukommen zu
lassen oder im Ausschuss noch einmal einen gesonder-
ten Bericht dazu abzugeben.
Kollege Lenkert.
Frau Staatssekretärin, ich habe eben etwas überrascht
vernommen, dass schon bevor Schacht Konrad über-
haupt in Betrieb geht, Sanierungsmaßnahmen notwendig
geworden sind. Jetzt soll Schacht Konrad ja für mehrere
Zehntausend, Hunderttausend Jahre Standsicherheit für
die eingelagerten radioaktiven Abfälle gewährleisten.
Wenn jetzt schon nach wenigen Jahren Sanierungsmaß-
nahmen erforderlich werden, woher nehmen Sie dann
die Sicherheit, dass nach Abschluss der Sanierungsmaß-
nahmen die Standsicherheit für diese unvorstellbar lan-
gen Zeiträume gewährleistet werden kann?
Ur
Kollege Lenkert, ich denke, es ist gut, dass wir nichtnach Inbetriebnahme des Endlagers, sondern schon zumjetzigen Zeitpunkt ermessen können, wo es in SchachtKonrad Nachbesserungsbedarf gibt. So müssen wir jetztalle nötigen Standsicherungsmaßnahmen, beispielsweisefür die Schachtförderanlage Süd in Schacht Konrad 1durch Verfüllung der Mauerwerksfugen, durchführen.
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(B)
Ich rufe die Frage 16 auf:
Welche Auswirkungen hat eine weitere Verzögerung der
Inbetriebnahme auf den Rückbau der stillgelegten Atomkraft-
werke und die Lagerung des Atommülls in den Zwischenla-
gern, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um
eine rechtzeitige Inbetriebnahme zu gewährleisten?
Ur
Kollegin Vogt, auch die Bundesregierung sieht einen
faktischen Zusammenhang zwischen der Inbetriebnahme
des Endlagers Schacht Konrad und den jeweiligen Fort-
schritten beim Abbau stillgelegter Kernkraftwerke. Al-
lerdings ist die Erteilung einer Genehmigung zur Stillle-
gung oder zum Abbau eines Kernkraftwerks oder von
Kernkraftwerksteilen nicht von der Annahmebereit-
schaft eines Endlagers abhängig. Es ist Aufgabe der Be-
treiber, sicherzustellen, dass die im Zusammenhang mit
dem Abbau anfallenden radioaktiven Abfälle bis zur Ab-
gabe an das Endlager gegebenenfalls in einem Zwi-
schenlager sicher aufbewahrt werden. Die Prüfungen
und Bewertungen zum Sachverhalt in Schacht Konrad
und zu den terminlichen und finanziellen Auswirkungen
werden bis Ende 2013 abgeschlossen sein.
Dann stimmt die Bundesregierung der Annahme zu,
dass es dadurch wahrscheinlich zu einer Verlängerung
der Genehmigungen für den Betrieb der Zwischenlager
kommen muss oder gegebenenfalls zur Eröffnung eines
weiteren, neuen Zwischenlagers?
Ur
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sa-
gen. Ich verweise noch einmal auf etwa Ende des Jahres.
Bis dahin werden wir genau überblicken, welche zeitli-
chen Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von
Schacht Konrad zu erwarten sind.
Dann möchte ich fragen, ob die Bundesregierung be-
reit ist, dem Umweltausschuss in der nächsten Sitzung
einen ausführlichen Bericht dazu vorzulegen?
Ur
Die Bundesregierung ist gerne dazu bereit.
Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, mit der Asse, die sich in räum-
licher Nähe zu Schacht Konrad befindet, haben wir ein
zweites Bergwerk. Wir sehen, dass es in der Asse ein
Riesenproblem gibt. Jetzt berichten Sie bzw. die Medien
wieder über Probleme mit Schacht Konrad, der ja durch-
aus ein rechtskräftig genehmigtes Endlager darstellt. Hat
die Bundesregierung augenblicklich Anhaltspunkte da-
für, dass an der Geeignetheit von ehemaligen Bergwer-
ken zur Endlagerung von radioaktiven Stoffen grund-
sätzlich gezweifelt werden muss?
Ur
Wir haben es hier mit zwei völlig unterschiedlichen
Sachverhalten zu tun.
Bei der Asse besteht das Hauptproblem darin, dass
durch das Salz Wasser einläuft. Damit ist nicht nur die
Standfestigkeit gefährdet, sondern das führt darüber hi-
naus dazu, dass Fässer korrodieren und sich die Flüssig-
keiten bzw. Inhalte gegebenenfalls verteilen können.
Bei Schacht Konrad besteht aktuell, wenn ich das
richtig sehe, Sanierungsbedarf beim Mauerwerk. Das
heißt, wir müssen dort Verfüllungsmaßnahmen durch-
führen, und es geht hier auch um eine Schachtförder-
anlage.
Das sind also ganz unterschiedliche Themen.
Nichtsdestotrotz werden wir das in dieser Woche
noch diskutieren. Wenn das Standortauswahlgesetz hier
in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, werden
noch einmal alle Möglichkeiten, wo radioaktive Abfälle
gelagert werden können, zu diskutieren sein.
Es gibt keine weitere Nachfrage.Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs desBundesministeriums für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit.Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung.Die Fragen 17 und 18 der Kollegin MarianneSchieder, die Fragen 19 und 20 des Kollegen WilliBrase, die Fragen 21 und 22 des Kollegen René Röspel,die Fragen 23 und 24 des Kollegen Swen Schulz, die Fra-gen 25 und 26 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmannund die Fragen 27 und 28 des Kollegen Michael Gerdeswerden schriftlich beantwortet.Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bun-deskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.Die Frage 29 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wirdschriftlich beantwortet.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Technologie.Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-sekretär Hans-Joachim Otto zur Verfügung.Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Oliver Krischerwerden schriftlich beantwortet.
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30086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Ralph Lenkert auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Europäi-schen Kommission vorgesehene Erhebung von Sonderzöllenbei der Einfuhr von Solarmodulen aus China?Herr Staatssekretär, bitte.H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Lenkert,
wie Sie wissen, stammt die Entscheidung der EU-Kom-
mission, in einem vorläufigen Verfahren Sonderzölle ge-
gen China zu verhängen, erst vom 7. Mai 2013. Deswe-
gen analysiert die Bundesregierung im Moment noch die
damit zusammenhängenden Rechtsfragen. Insbesondere
wird geprüft, ob die Entscheidung im Einklang mit der
WTO, der Welthandelsorganisation, und EU-rechtlichen
Vorgaben steht.
Das Verfahren, vorläufige Antidumpingzölle zu ver-
hängen, ist sehr stark juristisch bzw. rechtlich normiert.
Deswegen müssen wir darauf achten, dass alle Vorschrif-
ten eingehalten sind.
Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass die EU-Mitglied-
staaten gemeinsam mit der EU-Kommission in Brüssel
den Vorschlag der Kommission gerade heute im Bera-
tenden Antidumpingausschuss eingehend erörtert haben.
Die Ergebnisse kenne ich noch nicht, weil die Beratung,
wie gesagt, erst heute stattfand.
Im Lichte der Erkenntnisse aus dieser Sitzung und der
Diskussion wird dann das federführend zuständige Bun-
desministerium für Wirtschaft und Technologie zusam-
men mit den übrigen Bundesressorts eine abschließende
Beurteilung des Vorschlages der EU-Kommission her-
beiführen. Diese ist bis Ende Mai dieses Jahres der EU-
Kommission zu übermitteln.
Dabei möchte ich noch einmal besonders hervorhe-
ben, dass die EU-Kommission die Einführung von vor-
läufigen Maßnahmen beschlossen hat, was allein in der
Zuständigkeit der EU-Kommission liegt. Das heißt, der
Ministerrat und insbesondere natürlich auch die deutsche
Bundesregierung sind an diesem Verfahren nur beratend
beteiligt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
die EU-Kommission wird einen vorläufigen Strafzoll ja
nicht ohne Grund verhängt haben. Ich unterstelle jetzt
einmal, dass die Annahmen der EU-Kommission richtig
sind und dass das Vorgehen mit den Regeln der Welthan-
delsorganisation übereinstimmt. Wie wäre in diesem
Falle die Einstellung der Bundesregierung im Hinblick
auf eine dauerhafte Einrichtung dieser Strafzölle?
H
Die Bundesregierung, insbesondere vertreten durch
die Bundeskanzlerin, die sich in dieser Frage über einen
langen Zeitraum schon mehrfach geäußert hat, und auch
der Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler haben im-
mer gesagt, dass wir versuchen sollten, mit der chinesi-
schen Regierung eine einvernehmliche Regelung zu er-
reichen. Wir sind hier durchaus zuversichtlich, dass dies
gelingt, selbst wenn es jetzt zu einer vorläufigen Erhe-
bung von Antidumpingzöllen kommen sollte. Eine ein-
vernehmliche Regelung mit der chinesischen Regierung
sollte dergestalt aussehen, dass die chinesische Regie-
rung eine Selbstverpflichtung anbietet. Dieses Angebot
kann dann von der EU-Kommission gegebenenfalls an-
genommen werden. Das ist das Verfahren, vor dem wir
stehen.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege Ralph Lenkert.
Herr Staatssekretär, in den letzten anderthalb Jahren
sind mehrere Tausend Arbeitsplätze in der Solarmodul-
herstellung weggefallen, sei es in Frankfurt an der Oder,
sei es im Raum Bitterfeld, sei es bei mir im Wahlkreis in
Jena. Schon damals wurde von Solarfachverbänden die
Dumpingpolitik der chinesischen Regierung und Her-
steller stark angegriffen. Es war also genügend Zeit für
eine bilaterale Abstimmung und Beseitigung des Pro-
blems.
Meine Frage an Sie also: Welche Maßnahmen haben
Sie im Vorfeld des Tätigwerdens der EU unternommen,
um dieses Dumping zu unterbinden?
H
Herr Kollege Lenkert, ich kann Ihnen versichern
– das können Sie im Übrigen auch Presseberichten ent-
nehmen –, dass die Bundesregierung in den vergangenen
Jahren bei vielfältigen Gelegenheiten mit der chinesi-
schen Regierung über die Situation der Solarindustrie
und die Vorwürfe von Subventionen gesprochen hat und
darauf gedrungen hat, dass hier eine einvernehmliche
Regelung herbeigeführt wird.
Ich möchte Ihnen aber auch gleichzeitig sagen, dass
das Verfahren, vor dem wir jetzt stehen, nicht auf Antrag
der Bundesregierung in Kraft gesetzt wird, vielmehr ha-
ben sich deutsche Solarindustrieunternehmen an die EU-
Kommission gewandt. Das Ganze ist in der Verantwor-
tung der EU-Kommission. Eine wie auch immer geartete
Zuständigkeit der Bundesregierung für ein Antidum-
pingverfahren besteht nicht. Das bitte ich Sie zu beach-
ten, weil wir hier in einem rechtsförmlichen Verfahren
sehr genau darauf achten müssen, wer wofür zuständig
ist.
Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen RalphLenkert:Welche Auswirkungen für die deutsche und europäischeSolarbranche erwartet die Bundesregierung durch die von derEuropäischen Kommission vorgesehene Erhebung von Son-derzöllen bei der Einfuhr von Solarmodulen aus China?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30087
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
Bitte schön zur Beantwortung: Herr Parlamentari-scher Staatssekretär Hans-Joachim Otto.H
Lieber Herr Kollege Lenkert, die Auswirkungen,
positiver oder vielleicht auch negativer Art, auf die So-
larbranche sind Gegenstand der jetzt vorzunehmenden
Gesamtanalyse des Vorschlags der EU-Kommission
durch die Bundesregierung. Hier gibt es noch keine ab-
schließende Stellungnahme, sie ist im Laufe der nächs-
ten Tage von der Bundesregierung zu erwarten.
Wir müssen dabei – das will ich jetzt schon sagen –
die Interessen der Europäischen Union und auch die In-
teressen der unterschiedlichen Beteiligten in die Abwä-
gung einbeziehen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass
wir natürlich auch darauf zu achten haben, dass es nicht
zu einer handelspolitischen Verschärfung, einer Eskala-
tion der Beziehungen mit China kommt, weil China ein
extrem wichtiger Handelspartner für die Europäische
Union ist. Wir legen deshalb größten Wert darauf, mög-
lichst im Einvernehmen mit der chinesischen Regierung
zu einer Regelung zu kommen. Es kann also hier nicht
nur darum gehen, eine Rechtsposition knallhart durchzu-
ziehen und zu exekutieren. Es geht vielmehr darum – die
Bundesregierung hat ihr Interesse immer wieder deutlich
gemacht –, dass man sich zu einer einvernehmlichen Lö-
sung mit der chinesischen Seite durchringt.
Jetzt Ihre erste Nachfrage.
He
Ich hätte auch nicht erwartet, dass
die Bundesregierung sich für Arbeitsplätze in der Solar-
modulfertigung in der Bundesrepublik einsetzt. Deswe-
gen mussten die Hersteller letzten Endes selbst aktiv
werden. Eine andere Wahl blieb ihnen nicht. Es wäre
besser gewesen, wir hätten Wirtschaftspolitik gemacht.
Aber jetzt zu der von Ihnen angesprochenen Verhand-
lung mit China: Ich war in China zu der Zeit des großen
Streits um die Lehrbücher, als es hieß, die chinesisch-ja-
panischen Beziehungen würden am Boden liegen. Zum
damaligen Zeitpunkt war ich vor Ort. Es gab Tumulte
auf den Straßen. Ich kann Ihnen versichern: Die Chine-
sen haben den Auftrag trotzdem an die japanische Firma
vergeben, weil sie einfach nach Marktlage entscheiden.
Wenn die Bundesregierung mit gerechten, ausgewo-
genen Forderungen an die chinesische Seite herantritt,
dann sind die Chinesen nach meinen Erfahrungen bereit,
darüber zu reden und zu verhandeln, sofern sie sich nicht
benachteiligt fühlen. Eine Benachteiligung kann ich in
dem Fall nicht erkennen.
Ich frage Sie also: Wann haben Sie konkret mit den
Chinesen über welche Punkte gesprochen, um die Be-
nachteiligung der europäischen Solarindustrie abzu-
bauen?
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Kollege Lenkert, um das klarzustellen:
Den Vorwurf, den Sie eben ganz nebenbei erhoben ha-
ben, die Bundesregierung kümmere sich nicht um die
Arbeitsplätze in der Solarbranche, weise ich wegen Un-
sinnigkeit zurück. Das ist natürlich nicht der Fall. Die
Bundesregierung kümmert sich darum, dass wir so viele
Arbeitsplätze wie möglich auch in der Solarindus-
triebranche erhalten. Das gilt namentlich auch für den
Bundeswirtschaftsminister.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir haben bei allen
deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen immer
wieder zur Sprache gebracht, dass die Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen zwischen China und Deutschland
von großem Vertrauen, von Transparenz und Fairness
geprägt sein müssen. Wir haben das von dem Gesichts-
punkt des Schutzes geistigen Eigentums beispielsweise
bis zu Finanzierungsfragen und Dumpingfragen bei je-
dem der Gipfeltreffen, die es ja zwischen der Bundes-
kanzlerin und der chinesischen Regierung wie auch zwi-
schen dem Wirtschaftsminister und der chinesischen
Regierung regelmäßig gibt, immer wieder angesprochen.
Um Ihren Optimismus zu befeuern: Die chinesische
Seite hat durchaus die Möglichkeit, sich den Argumen-
ten der deutschen Bundesregierung, aber auch der EU-
Kommission anzuschließen und diesen Handelsstreit
beizulegen. Wir gehen auch davon aus, um das ganz klar
zu sagen, dass wir innerhalb der sechs Monate bis zur
Verhängung von endgültigen Maßnahmen noch zu einer
Regelung mit der chinesischen Seite kommen werden.
Ihren Optimismus teilen wir. Aber das Verfahren
muss so ablaufen, wie es jetzt begonnen wurde.
Unsere Geschäftsordnung sieht vor, dass Sie eine
weitere Nachfrage stellen können. Bitte schön, Kollege
Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, es
gibt inzwischen Erfahrungen der Vereinigten Staaten, die
in einem ähnlichen Verfahren schon seit geraumer Zeit
den Missbrauch von Maßnahmen in der Volksrepublik
China zur Förderung ihrer Industrie bekämpfen. Planen
Sie, diese Erfahrungen in Ihre Bewertung der Antidum-
pingzölle gegenüber der EU-Kommission aufzunehmen?
H
Selbstverständlich, Herr Kollege Lenkert, befassenwir uns auch mit den Erfahrungen, die die VereinigtenStaaten mit den Antidumpingzöllen machen. Aber ichwill betonen: Wir sind jetzt in dem Verfahren zur Ein-führung vorläufiger Antidumpingzölle. Zuständig dafürist die EU-Kommission. Deswegen hätten Sie vielleichtbesser fragen sollen: Hat die EU-Kommission das aucheinbezogen? Ich kann Ihnen darauf nur antworten, dassich auch dabei fest davon ausgehe, dass die EU-Kom-
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30088 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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mission vor Einleitung dieser Maßnahmen die Entwick-lung in den USA sehr genau betrachtet hat.Die Bundesregierung ist dennoch zuversichtlich, dasswir anders als die Vereinigten Staaten in Gesprächen mitder chinesischen Regierung doch noch einen Weg findenwerden, um eine Eskalation dieses Konfliktes zu vermei-den.
Vielen Dank. – Die Fragen 34 und 35 der Kollegin
Katja Keul werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär-
tigen Amts. Die Frage 36 des Kollegen Tom Koenigs,
die Fragen 37 und 38 der Kollegin Sevim Dağdelen so-
wie die Fragen 39 und 40 des Kollegen Dr. Rolf
Mützenich werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie begründet die Bundesregierung, dass bei dem Einstel-
lungsverfahren des Bundesministeriums des Innern aus dem
Herbst 2012 für 24 Volljuristen im Bezug auf die Auswahl der
zu Bewerbungsgesprächen eingeladenen und letztlich ausge-
wählten Bewerberinnen und Bewerber von der durch das
Bundesverwaltungsamt erstellten Liste abgewichen wurde
desregierung den dabei überproportional hohen Anteil von
Kandidatinnen und Kandidaten, die politisch der CDU und
CSU nahestehen – durch Parteimitgliedschaft oder Stipendien
der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Beck, meine Antwort lautet: Die in der
Presse und auch von der Opposition über das letzte Juris-
tenauswahlverfahren des Bundesinnenministeriums ge-
troffenen Behauptungen sind falsch. So gab es keine
Rangliste des Bundesverwaltungsamts, von der durch
das BMI hätte abgewichen werden können. Die Auswahl
der Bewerber erfolgte streng nach Eignung, Befähigung
und fachlicher Leistung. Ob die Bewerber einer Partei
angehören oder nahestehen, wurde weder abgefragt,
noch wurden entsprechende Daten erhoben, und spielte
schon deshalb im Auswahlverfahren keine Rolle.
Das BMI bedauert insbesondere im Hinblick auf die
ausgewählten und eingestellten Personen, dass es zu
einer derart unzutreffenden Presseberichterstattung ge-
kommen ist. Auch das Arbeitsgericht Berlin hat das Ju-
ristenauswahlverfahren in keiner Weise beanstandet. Das
Auswahlverfahren zur Einstellung von Juristen in das
BMI wurde im Februar 2013 abgeschlossen. Personalrat
und Gleichstellungsbeauftragte waren umfassend in das
Verfahren eingebunden, mit der Auswahl der Bewerber
einverstanden und haben allen Einstellungen zuge-
stimmt.
Das Auswahlverfahren verlief in einem seit vielen
Jahren bewährten strukturierten Auswahlprozess. Es
wird unter umfassender Beteiligung der Interessenver-
tretung durchgeführt und regelmäßig evaluiert. Mit die-
sem Verfahren werden seit Jahren hervorragende junge
Juristen eingestellt, die erfolgreich im Bundesinnen-
ministerium tätig sind.
Der Kollege Volker Beck hat eine Nachfrage, bitte
schön.
Lassen Sie mich kurz vorausschicken, dass die Nach-
fragen zu dem Verfahren kein Unwerturteil über die Be-
fähigung der eingestellten Bewerber beinhalten. Da will
ich niemandem zu nahe treten. Ich kenne die Leute gar
nicht.
Das Bundesinnenministerium hat durch seine Staats-
sekretärin Cornelia Rogall-Grothe am 8. Mai ein Rund-
schreiben geschickt, das weitgehend dem Sprechzettel
entspricht, den Sie gerade vorgetragen haben. Auch in
diesem Schreiben heißt es: Das Arbeitsgericht Berlin hat
das Verfahren in keiner Weise beanstandet. – Das wider-
spricht allerdings in grober Weise der Presseberichter-
stattung. So ist in dem in meiner Ausgangsfrage zitierten
Artikel aus der Welt zu lesen, dass das BMI vom Arbeits-
gericht wegen dieses Verfahrens verurteilt worden sei.
Außerdem deckt sich Ihre Aussage, es handele sich um
ein seit vielen Jahren bewährtes strukturiertes Auswahl-
verfahren, nicht mit der Aussage in diesem Artikel, dass
das Ranking des Bundesverwaltungsamts in Nachtarbeit
umgestellt worden sei.
Was war denn nun der Anlass der Hausmitteilung, in
der einfach pauschal den Vorwürfen widersprochen
wird, ohne zu belegen, wie dieses Verfahren ablief? Sie
müssen mir den Sprechzettel, der bereits veröffentlicht
wurde, nicht noch einmal vorlesen.
D
Nein, das mache ich nicht.
Ich möchte gerne wissen, wie die Vorgänge tatsäch-
lich waren, wenn sie anders waren als im Artikel be-
schrieben, und ob Sie vom Arbeitsgericht wegen des
Verfahrens verurteilt wurden oder ob Sie gegenüber dem
Kläger obsiegt haben.
D
Herr Kollege Beck, was die ausgewählten Personenbetrifft, so ist es natürlich fatal, wenn das Verfahren, daszu ihrer Auswahl geführt hat, nachträglich in Zweifel ge-zogen wird und man parteipolitische Präferenzen unter-stellt. Ich kann Ihnen nachher die tatsächlichen Zahlennennen, aus denen die erklärten parteipolitischen Präfe-renzen hervorgehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30089
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
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Zum Verfahren: Frau Rogall-Grothe hat mit ihremSchreiben auf die Presseberichterstattung und die Äuße-rung der Behindertenbeauftragten auf einer Beleg-schaftsversammlung reagiert.Der Streit, der vor dem Arbeitsgericht stattgefundenhat, war ein Streit zwischen der Behindertenbeauftragtenund der Personalvertretung, weil die Behindertenbeauf-tragte der Meinung war, dass die Personalvertretung ihreZustimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hättegeben dürfen, weil sie als Behindertenbeauftragte einenachträgliche Beanstandung hatte. Es war die Frage, obdas verfahrensmäßig richtig war. Das Arbeitsgericht hat,ohne die gegenwärtige Entscheidung infrage zu stellen,der Behindertenbeauftragten für zukünftige Entschei-dungen in Verfahren ein nachträgliches Einspruchsrechteingeräumt.Das betrifft aber von der Sache her nicht die Qualitätder Personalauswahl. Auf diese Feststellung muss ichgroßen Wert legen. Das begründet in keiner Weise denVorwurf, hier seien parteipolitische Präferenzen gesetztworden.Obwohl die rote Lampe aufleuchtet, möchte ich,wenn es der Herr Präsident gestattet, sagen, was dienachträgliche Erhebung ergeben hat, weil manche derVorwürfe dadurch vielleicht gegenstandslos werden. Vonden 24 zur Einstellung vorgesehenen Bewerbern – wiegesagt, es wurde keine parteipolitische Zugehörigkeitabgefragt – hat lediglich ein Bewerber seine CDU-Mit-gliedschaft angegeben, zwei Bewerber haben Angabenüber ihre Mitgliedschaft in der Jungen Union gemacht.Der in der Presse erfolgte Hinweis auf fünf Bewerber be-trifft fünf Personen, die Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung gewesen sind, von denen einer, übri-gens vor der Pressekampagne, ein anderes Angebot an-genommen hat.Im Übrigen setzt die Förderung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung – das wissen Sie; das gilt analog auchfür andere politische Stiftungen – gerade keine CDU-Mitgliedschaft voraus. Wenn ich richtig informiert bin,hat auch der Kollege Lauterbach ein Stipendium derKonrad-Adenauer-Stiftung gehabt.
– Nein. – Ich halte die Äußerungen in dem Artikel, aufden Sie sich beziehen, für grob irreführend. Es ist mirein wichtiges Anliegen, diese Darstellung zurückzuwei-sen. Ich kann nur bedauern, dass ein einzelner Journalistder Welt sich hier offenbar aufgrund einer sehr mangel-haften Recherche zu einer Darstellung hinreißen ließ, diein keiner Weise zutrifft.
Der Kollege Volker Beck nutzt die Möglichkeit einer
weiteren Nachfrage.
Ganz so einsam scheint dieser Mensch nicht zu sein;
denn seitdem ich erklärt habe, dass ich Sie diese Woche
befragen will, erreichen mich aus dem Umfeld Ihres
Hauses zahlreiche Behauptungen; ich will hier klären,
welche davon stimmen. Es wird behauptet, es habe Ein-
stellungen einer erheblichen Zahl von Personen gege-
ben, die ein CDU-Parteibuch oder eine Nähe zu dieser
Partei gehabt hätten. Das Verfahren sei entsprechend
korrigiert worden.
Andere behaupten, es gebe eine auffällig hohe Zahl
von Kandidaten, die in katholischen Organisationen
seien und aus dem Erzbistum Köln stammten, was ich
als Kölner grundsätzlich begrüße. Es könnte, so die Be-
hauptungen, einen Zusammenhang mit Herrn Paul-
Johannes Fietz geben, der Abteilungsleiter in Ihrem
Hause ist, über theologische Fragen veröffentlicht und
zufälligerweise auch aus dieser Gegend stammt.
Ich stelle meine Frage in Kenntnis von zwei Urteilen,
die mir zu anderen Verfahren im Zusammenhang mit
Herrn Fietz vorliegen – eines stammt vom Februar 2013,
eines vom November 2012 – und bei denen das Bundes-
innenministerium jeweils erstinstanzlich vor dem Ar-
beitsgericht Berlin unterlegen ist. Die Begründungen der
Urteile sind wirklich lesenswert. Es werden dem Innen-
ministerium nämlich abenteuerliche Verfahren und
rechtswidrige Begründungen bei den Ausleseverfahren
vorgeworfen.
Es heißt, offenbar verfahre der Leiter der Zentral-
abteilung, Herr Fietz, nach einem ganz eigenen Perso-
nalmanagement. Das sei zumindest der Eindruck, den
man bekomme. Er selbst sei ehemaliger Mitarbeiter der
Unionsfraktion und beabsichtige wohl, nur noch Juristen
und Informatiker einzustellen, die zumindest kulturell,
nicht unbedingt vom Parteibuch her, eine möglichst
große Nähe zur Union hätten. In internen Auswahlver-
fahren aktuell Tarifbeschäftigte des BMI gegen Beamte,
die aus anderen Behörden ans BMI abgeordnet worden
seien, gegeneinander antreten zu lassen, sei die übliche
Praxis. Wer gewinne, dürfe bleiben, wer verliere, müsse
gehen.
Um solche Fälle, in denen Leute gehen sollten, geht
es in den zwei arbeitsgerichtlichen Verfahren. Ziel ist es
offenbar, dass viele altgediente und unangenehme Mit-
arbeiter nicht zum Zuge kommen.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie viele Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Unionsparteibuch
und ohne Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung
mussten aufgrund dieser Verfahren in den letzten Jahren
gehen? Wie viele der dadurch frei gewordenen Posten
wurden mit Menschen besetzt, die ein Unionsparteibuch
haben, von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert
wurden oder ehemalige Mitarbeiter der Unionsfraktion
sind?
D
Herr Kollege Beck, ich erlaube mir die Gegenfrage,ob Sie tatsächlich auf diesem Niveau mit mir hier disku-tieren wollen.
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30090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
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Aber ich fühle mich verpflichtet, Ihre Frage zu beant-worten.Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass Konfes-sionszugehörigkeit überhaupt nicht abgefragt wird undinsofern gar nicht Gegenstand des Auswahlverfahrenssein kann.
Was nun den Rundumschlag betrifft, den Sie aus demSchriftstück, aus dem Sie hier zitiert haben, ableiten, sokann ich nur sagen, dass der Inhalt dieses Schriftstücksin einem ziemlichen Kontrast zu dem sonstigen Einstel-lungsverfahren und auch zu dem Umstand steht, dass dieEinstellungen in Übereinstimmung mit dem gewähltenPersonalrat vorgenommen wurden.Was das konkrete Einstellungsverfahren betrifft– diese Zahlen sollen noch einmal klar benannt wer-den –: Es gab 573 Bewerbungen. Davon waren 479 for-mal geeignet. 80 Bewerber sind nach einem Auswahl-verfahren, dessen Kriterien ich Ihnen gerne nenne, wennes Ihr Wunsch ist, in die nähere Auswahl durch dasAssessment-Center mit entsprechenden ausführlichenEinstellungsgesprächen gekommen. 24 dieser Bewerberwurden ausgewählt. Ich habe Ihnen bereits gesagt, wiesich die erklärte Parteizugehörigkeit unter diesen24 Kandidaten aufteilt.Wenn von 24 ausgewählten Kandidaten einer erklär-termaßen ein CDU-Parteibuch hat, 2 sagen, dass sie derJungen Union angehören, und 5 Stipendiaten derKonrad-Adenauer Stiftung sind – übrigens wurden wei-tere fünf durch die Studienstiftung des deutschen Volkesgefördert –, dann weiß ich nicht, ob Sie tatsächlich dieBehauptung aufrechterhalten sollten, hier werde Partei-buchpolitik gemacht. Ich muss Ihnen diese Frage einfachauch als Gegenfrage stellen.
Der Kollege Volker Beck – er ist Mitglied des Ältes-
tenrates – kennt die Geschäftsordnung mindestens so gut
wie der amtierende Präsident. Ich weiß, dass die Beant-
wortung einer solchen Frage auch in anderen Fällen
nicht zugelassen würde. Wir beenden nun die Behand-
lung dieser Frage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fragen 42 bis
62 – das sind alle weiteren Fragen aus diesem Geschäfts-
bereich wie auch aus den Geschäftsbereichen des Bun-
desministeriums der Justiz, des Bundesministeriums der
Finanzen, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-
les, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz, des Bundesministeriums
der Verteidigung, des Bundesministeriums für Gesund-
heit und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung – werden schriftlich beantwortet.
Mit Blick auf die Uhr und nach Rücksprache mit den
Geschäftsführern der Fraktionen unterbrechen wir bis
15.35 Uhr die Sitzung. Danach beginnt die Aktuelle
Stunde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Pläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN für ein allgemeines „Tempolimit 120“ auf
Autobahnen
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Gero
Storjohann. Bitte schön, Kollege Gero Storjohann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsind hier zusammengekommen wegen Presseäußerun-gen, die uns sehr erstaunt haben.
Herr Gabriel, Vorsitzender der SPD, hat am 8. Mai eineBeschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobah-nen auf 120 Stundenkilometer begrüßt. Er hat gesagt:Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll,weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit dieZahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt.
Diese Aussage hat nicht lange Bestand gehabt – je-denfalls nicht innerhalb der SPD. Der SPD-Fraktions-vorsitzende Steinmeier erklärte gegenüber der NeuenWestfälischen:Tempolimits sind kein Selbstzweck. Auf Autobah-nen sehe ich im Hinblick auf den Stand und dieQualität des Autobahnausbaus keine Notwendigkeitfür ein generelles Tempolimit.Hier haben wir zwei Aussagen – die innerhalb einesTages gemacht wurden –, die uns doch verwundern. BeiGabriel wundert uns das natürlich nicht; denn schon2007 hat er als Umweltminister etwas Ähnliches gefor-dert. Nur hat er sich damals nicht für Tempo 120, son-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30091
Gero Storjohann
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dern für Tempo 130 ausgesprochen. Wir wollen heutegerne näher beleuchten, was davon denn nun richtig ist.
Im Jahre 2007 hat die SPD einen Parteitagsbeschlussgefasst, in dem sie sich auf Tempo 130 festgelegt hat. ImGegensatz zu den Linken oder auch zu den Grünen hatdie SPD im Bundestag aber keine eigenen Anträge dazugestellt. Auch in ihrem Wahlprogramm hat sie sich bis-her nicht auf eine allgemeine Tempobeschränkung fest-legen können.
– Sehen Sie! Ich lese alles.
Wir werden ja gleich von Ihnen, Herr Kahrs, hören, wiedas weitergehen soll.Nun gibt es ja auch Fachpolitiker. Fachpolitiker inSchleswig-Holstein ist der Verkehrsminister Meyer. Ergibt dafür keine Rückendeckung und sagt, in Schleswig-Holstein gilt schon heute auf mehr als einem Drittel allerAutobahnkilometer faktisch ein Tempolimit aufgrundvon Baustellen oder aufgrund von Geschwindigkeitsbe-schränkungen, die wegen der Verkehrslage erforderlichsind.
Was ist die Position des ADAC? Herr Becker – er istein Vizepräsident des ADAC und kommt ebenfalls ausSchleswig-Holstein – sagt, dass die Zahl der Getötetenauf Autobahnen bezogen auf die gefahrenen Kilometerhierzulande niedriger sei als in Österreich, wo Tempo130 gelte.
Die Autobahnen seien die sichersten Straßen in Deutsch-land.Das ist die Ausgangssituation. Wir freuen uns natür-lich, nachher von Herrn Kahrs und weiteren Rednern derSPD zu hören, was die SPD wirklich will. Der Bürgerkönnte ja auf die Idee kommen, sich mit dem Programmder SPD zur Bundestagswahl zu beschäftigen.
Wir als CDU/CSU – das wissen Sie aus vielen Debat-ten hier im Hause; diese Debatten sind nicht neu – leh-nen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab.
Ich weise darauf hin, dass bereits 40 Prozent aller Auto-bahnabschnitte dauerhaft oder zeitweilig mit Geschwin-digkeitsbegrenzungen versehen sind, nämlich da, wo esSinn macht.
Es macht Sinn an Baustellen und gefährlichen Stellen.Sicherheit ist das A und O im Straßenverkehr.
Jeder Verkehrstote, jeder Verkehrsverletzte ist einer zuviel. Deswegen haben wir eine aktive Verkehrssicher-heitsarbeit auch unter dieser Bundesregierung auf denWeg gebracht. Es geht hier nicht nur um das Tempolimit,wenn man Verkehrssicherheit erreichen will; sondern da-bei geht es auch um Fahrzeugsicherheit. Es geht um dieBeschaffenheit von Straßen und die Verbesserung vonInfrastruktur. Und auch das Wetter spielt bei der Ver-kehrssicherheit eine entscheidende Rolle.
Wir haben die Winterreifenpflicht auf den Weg gebracht.Auch das trägt zur Verkehrssicherheit bei.Wir plädieren für intelligente Streckenbeeinflus-sungsanlagen bei Unfallschwerpunkten. Wir bemühenuns ferner, die Aufklärungsarbeit zu verbessern. Sinn-voll ist es, wenn der Bürger einsieht, dass er seine Ge-schwindigkeit den Gegebenheiten anpassen muss. Dasfördern wir mit unserer Politik.Die CDU/CSU setzt sich mit aller Kraft dafür ein,dass die Verkehrssicherheit in Deutschland ein Haupt-thema bleibt. Dazu gehören der Umbau von Unfall-schwerpunkten, die Bereitstellung sicherer Infrastruktursowie gute Rahmenbedingungen für intelligente Fahr-zeugtechnik. Das ist das A und O.
Zum Abschluss möchte ich betonen, dass wir die Re-form des Zentralregisters auf den Weg gebracht haben.Die neuen Regelungen konzentrieren sich ausdrücklichauf Verkehrssünder, die wiederholt und rücksichtslos dieVerkehrssicherheit gefährden. Das ist der richtige An-satz, um den Verkehrssündern das Handwerk zu legenund sie letzten Endes zu vernünftigen Verkehrsteilneh-mern zu machen, die ihre Geschwindigkeit der jeweili-gen Situation anpassen. Damit erhöhen wir entscheidenddie Verkehrssicherheit auf Deutschlands Straßen.
Vielen Dank, Kollege Gero Storjohann. – NächsterRedner für die Fraktion der SPD ist unser KollegeFlorian Pronold. Bitte schön, Kollege Florian Pronold.
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30092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
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Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter
Herr Präsident! Ich kann mir vorstellen, mit welcher
Vorfreude die zukünftigen Oppositionsfraktionen dieses
Thema aufgesetzt haben,
weil es immer schön ist, über vermeintliche Widersprü-
che eine Aktuelle Stunde anzusetzen. Das Tempolimit ist
ein Thema, das viele zu Tränen rührt. Auch ich kann zi-
tieren. Ich weiß nicht, ob die liebe Union weiß, wie die
Bundeskanzlerin zum Tempolimit steht. Das ist eine sehr
spannende Frage. Ich habe Ihnen zwei Buchausschnitte
mitgebracht: von Gerd Langguth Angela Merkel und
Angela Merkel – Mein Weg mit Originalzitaten.
Ich hoffe, dass Sie es gründlich gelesen haben. Dort
steht, dass die Bundeskanzlerin im Jahre 1995 als dama-
lige Umweltministerin im Zusammenhang mit der Som-
mersmogverordnung für ein Tempolimit war.
Dann – jetzt wird es besonders lustig – wurde sie im Ka-
binett von Helmut Kohl und anderen gebremst. Sie brach
– das kann man nachlesen – darüber sogar in Tränen aus.
Sie ist eine menschliche Umweltministerin, die sogar in
Tränen ausbricht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie
haben damals die Umweltministerin als Vaterlands-
verräterin bezeichnet. Auch dies ist in der von Angela
Merkel autorisierten Biografie nachzulesen, und zwar
auf Seite 98.
Und das, weil sie für ein Tempolimit eingetreten ist. Sie
stellen sich hierher und wollen mit uns eine Debatte über
diese Frage machen. Wo ist denn Frau Merkel? Wo ist
denn Herr Ramsauer? Ich möchte über diesen Wider-
spruch diskutieren, den die Frau Kanzlerin und der Herr
Verkehrsminister zum Thema Tempolimit haben.
Ist es da vielleicht genauso wie beim Thema Pkw-
Maut? Herr Ramsauer lügt die Menschen an, indem er
behauptet, es gebe eine Pkw-Maut nur für Ausländer.
Die Bundesregierung sagt in einer Antwort: Das geht
nicht. – Dann sagt die Kanzlerin, in Treue zum ADAC:
Nein, niemals eine Pkw-Maut. – Aber der Herr
Ramsauer ist weiterhin dafür. Wo ist die Einigung? Da-
rüber lassen Sie uns reden! Bei dem Thema ist es ge-
nauso wie beim Thema Tempolimit: Bundeskanzlerin
und Bundesverkehrsminister in geschlossener Vielfalt.
Ich finde es sehr mutig, dass Sie angesichts der klaren
Bekenntnisse Ihrer Kanzlerin für ein Tempolimit be-
haupten, es gebe darüber Klarheit. Ich bin wirklich ge-
spannt, wie Sie das auflösen. Ich würde mich freuen,
wenn Sie Ihre Redner noch austauschen würden. Ich
fände es nämlich wirklich gut, wenn Herr Ramsauer und
Frau Merkel uns hier darüber Auskunft gäben, was denn
nun die Richtlinie der Politik der Bundesregierung ist.
Vielleicht führt das dann auch dazu, dass sich die Regie-
rungsparteien CDU und CSU darüber einig werden, ob
die Kanzlerin eine Vaterlandsverräterin ist, weil sie sich
für das Tempolimit ausspricht, oder nicht. Das würde ich
wirklich gern wissen.
Wenn es schon eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema gibt, dann lassen Sie uns wenigstens über das
reden, was die Menschen bewegt.
Ich sage: Wir sind in der großen Gefahr,
ein De-facto-Tempolimit auf deutschen Autobahnen zu
bekommen. Denn der Bundesverkehrsminister hat es zu-
gelassen, dass im Verkehrsbereich, in dem jedes Jahr
1,5 Milliarden Euro mehr für den Staatshaushalt einge-
nommen werden, so gut wie nichts ausgegeben wird, um
die Infrastruktur instandzusetzen.
Der Schlaglochminister Ramsauer wird de facto für ein
Tempolimit sorgen, weil es, wenn er so weitermacht, auf
den Autobahnen so viele Schlaglöcher geben wird, dass
man gar nicht mehr schneller als 130 fahren kann.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist fürdie Fraktion der FDP unser Kollege Oliver Luksic. Bitteschön, Kollege.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30093
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Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Kollege Pronold,Sie führen hier Schein- und Ablenkungsdebatten. DieHaltung der Koalition ist klar.
Ihre Haltung ist unklar. Ein Tempolimit wird weder dasWeltklima retten noch die Verkehrssicherheit signifikantverbessern.
Das ist ein klares Signal Ihrer Symbol- und Bevormun-dungspolitik, die mit dieser Koalition nicht zu machenist.
Eines ist sicher: Wir beschäftigen uns alle Jahre wie-der mit den Forderungen nach Tempolimits auf Auto-bahnen. Das ist ein bisschen so eine Loch-Ness-Debatteder Verkehrspolitik. Das taucht immer auf und versinktdann wieder schnell. Herr Gabriel hat sich oft mit demEisbären Knut befasst.
Ich glaube, in Zukunft muss man bei ihm eher an Nessiedenken, dem Ungeheuer der deutschen Verkehrspolitik.Lieber Kollege Pronold, wer von Ihnen spricht jetzteigentlich für die SPD? Was ist denn Ihre Haltung?
Das kommt nicht dabei heraus.
Ihr Slogan ist: Das Wir entscheidet. – Bei dieser Frageist das „Wir“ aber diffus. Sie haben 2007 einen Partei-tagsbeschluss in Bezug auf das Tempolimit gefasst:130 Kilometer in der Stunde. Im Wahlprogramm steht esnicht. Herr Gabriel wollte wahrscheinlich wieder an dieSPD-Beschlusslage erinnern. Dafür herzlichen Dank!Leider kennt Herr Gabriel wohl sein eigenes Programmnicht. Darin steht ein Tempolimit von 130. Er will jetzt120, obwohl die Partei für 130 ist. Das hat wohl denKanzlerkandidaten auf 180 gebracht.Die eigene Generalsekretärin, Frau Nahles, sagt dannauch noch in der FAZ, sie komme aus der Eifel, sie fahrenicht nur gern schnell auf dem Nürburgring, sondernauch besonders gern schnell auf der Autobahn.
Herr Steinmeier hat wiederum gesagt – ich zitiere –:Tempolimits sind kein Selbstzweck. – Herr Ude hält dieÄußerungen Ihres Chefs für überflüssig wie einenKropf. Aber Sie, die Verkehrspolitiker, wollen weiterhinein Tempolimit. Das zeigt doch: Gabriel und Steinbrückbremsen sich gegenseitig aus.
Letzten Endes bleibt hängen: Das Ganze ist wie einmunteres Rätselraten. Die Politik der SPD ist wie eineQuizshow: Die einen wollen 130, die anderen 120, wie-der andere gar kein Tempolimit. Wahrscheinlich mussder Wähler raten, was am Schluss herauskommt. Das istkeine seriöse Politik.Sie wollen außerdem, dass Tempo 30 in allen ge-schlossenen Ortschaften vorgeschrieben wird. Das habenSie beschlossen und hier im Deutschen Bundestag bean-tragt. Auch das hat Ihr SPD-Vorsitzender scheinbar ver-schlafen. Dieser Vorschlag wurde vom ADAC und vomStädtetag kassiert. Daraufhin hat Herr Gabriel getwittert,das solle man doch besser den Kommunalpolitikernüberlassen.Wir sehen ganz klar: Wenn Rot-Grün regiert, gibt esnicht nur ein Tempolimit auf Autobahnen,
sondern auch Tempo 30 in allen geschlossenen deut-schen Ortschaften. Das ist der falsche Weg. Das lehntdiese Koalition klar ab.
Der Kollege Storjohann hat es ja klar gesagt: Es gibtheute überall die Möglichkeit, da, wo es notwendig ist,Beschränkungen einzuführen. Deswegen ist ganz klar:Alles ist gut, wenn es der Unfallvermeidung dient. Wirbrauchen keine starren Limits; wir brauchen situations-angepasste Geschwindigkeitsbegrenzungen. Das machtSinn.Sie müssen einfach feststellen – schauen Sie sichwirklich einmal die Unfallzahlen an! –: Das große Pro-blem, das wir in Deutschland haben – da gibt es Bedarf –,liegt bei Unfällen auf Landstraßen. Dort müssen wir beider Erhöhung der Verkehrssicherheit ansetzen, und datun wir einiges; Kollege Storjohann hat darauf hingewie-sen.Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es keinendirekten kausalen Zusammenhang zwischen einem Tem-polimit auf der einen Seite und der Verkehrssicherheitauf der anderen Seite gibt.
Denn sonst gäbe es in Österreich, wo es ein Tempolimitvon 130 gibt, weniger Unfallopfer. Aber die Zahl derVerkehrsopfer im Bereich der Autobahnen ist in Öster-reich im Verhältnis höher als in Deutschland. Alle Zah-len für Deutschland zeigen, dass die wenigen Unfälle auf
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30094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
Oliver Luksic
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Autobahnen meist bei Geschwindigkeiten unter 120 pas-sieren. Insofern gibt es im Hinblick auf die Verkehrssi-cherheit ein paar mehr Erklärungsfaktoren: Es geht umdie Infrastruktur, das Alter von Fahrzeugen, den FaktorMensch und vor allem um den technischen Fortschritt,der dafür gesorgt hat, dass die Unfallzahlen zurückge-hen. Es hat daher relativ wenig Sinn, ein Element einzelnanzuschauen.Die von Ihnen angestoßene Debatte zeigt uns relativeindeutig: Die Genossen – Sie haben auch nichts anderesgesagt – wollen eigentlich ein Tempolimit; das ist IhreBeschlusslage. Sie wollen es zusammen mit den Grüneneinführen.
Das ist wahrscheinlich der Klartext, von dem HerrSteinbrück immer redet, meine lieben Kollegen.
Die Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen isteine Symboldiskussion. Es geht Ihnen um eine Bevor-mundungspolitik. Exakt das Gleiche gilt für das Tempo-limit, das Sie für geschlossene Ortschaften fordern.
Das Fazit der Debatte ist ganz klar: Wenn die SPDnicht einmal beim Tempolimit eine gemeinsame Liniefindet – ich habe immer noch nicht verstanden, was IhreLinie ist –,
wie wollen Sie dann die anderen wichtigen Probleme desLandes angehen?
Sie können nicht regieren; Gabriel und Steinbrück kön-nen es nicht. Ihre Politik bringt die Wähler auf 180.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Luksic. – Jetzt ist der
nächste Redner für die Fraktion Die Linke unser Kollege
Herbert Behrens. Bitte schön, Kollege Herbert Behrens.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerVorsitzende der SPD unterstützt in der Frage einesTempolimits auf Autobahnen das Wahlprogramm derGrünen, aber auch den Entwurf unseres Wahlpro-gramms, das wir noch beschließen werden,
und fordert Tempo 120 auf Autobahnen.
Der Kanzlerkandidat der SPD unterstützt hingegen lie-ber das Wahlprogramm der CDU und sagt: Es darf jetztauf keinen Fall eine Debatte über ein Tempolimit geben. –Es wird wohl auch nicht zu einem Tempolimit kommen.
Das ist natürlich eine Steilvorlage für die Koalition – dasist klar –, und wir hören, wie genüsslich dieser Wider-spruch innerhalb der SPD hier in der Aktuellen Stundezelebriert wird. Aber nach dem Ende dieser Debatte wirddieses Thema vermutlich wieder in der Versenkung ver-schwinden, und das will ich nicht zulassen.
Ich fordere die Regierungsfraktionen und auch dieSPD-Fraktion auf, sich der Frage der Schaffung vonmehr Verkehrssicherheit auf allen Straßen zuzuwenden.Diese Frage gehört auch in den Wahlkampf. Warum?Die Tatsache, dass es auf Deutschlands Straßen vieleVerkehrsopfer gibt, die durch zu schnelles Fahren zuTode kommen oder lebenslang mit den Folgen ihrerVerletzungen leben müssen, zwingt uns dazu, jedenVorschlag zu prüfen, der darauf abzielt, mehr Verkehrs-sicherheit zu erreichen.
Wir müssen endlich mehr für den Schutz der Ver-kehrsteilnehmer tun, unabhängig davon, ob sie im Auto,auf dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Wir brau-chen eine Diskussion und eine richtige Beschlussfassungzur Frage: Wie gehen wir mit den Geschwindigkeitenum? Ich finde es schlimm, wie die Regierungsfraktionen– das hat sich eben in Ihren Redebeiträgen, aber auch inden letzten Tagen in Ihren Pressemitteilungen und State-ments gezeigt – gegen einen Vorschlag polemisieren, derdarauf zielt, die Zahl der Unfalltoten auf deutschenAutobahnen erheblich zu reduzieren.
An dieser Stelle ist Wahlkampfgetöse völlig unange-bracht.Vor allem der angeschlagene Ton muss für die Unfall-opfer und deren Angehörige unerträglich sein. Wenn derFDP-Generalsekretär Patrick Döring
in der Bild am Sonntag behauptet, die Oppositionspar-teien wollten „den Menschen ihr Weltbild aufzwingenund ihnen das Autofahren vermiesen“,
und die entsprechende Programmatik als „Gegenpro-gramm zu einer Republik freier Bürger“ bezeichnet,
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Herbert Behrens
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dann unterschreitet er damit selbst das Niveau der Bild-Zeitung.
Um jetzt Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, dieich sowohl in der Presseberichterstattung als auch teil-weise hier in der Debatte vermisst habe, möchte ichmich an die Fakten halten. Wir reden über ein verkehrs-politisches Relikt, das in anderen Ländern der Welt ei-gentlich schon längst verschwunden und überwundenist. Deutschland ist neben Afghanistan, Bhutan, Haiti,Nepal und Somalia das einzige Land, in dem die Höchst-geschwindigkeit nicht gedeckelt ist. Auch wenn Auto-bahnen im Vergleich zu Landstraßen als sicherer gelten,so müssen wir doch sehen, dass 42 Prozent aller schwe-ren Unfälle auf Autobahnen Geschwindigkeitsunfällesind. Ein Tempolimit wäre ein viel effektiverer Beitragfür mehr Verkehrssicherheit, Herr Storjohann, alsRamsauers vermurkste Punktereform, über die wir mor-gen zu diskutieren haben.
Ein Tempolimit führt zu flüssigerem Verkehr – dasstellen wir als Autofahrerinnen und Autofahrer sicher-lich fest – und weniger Staus, die aufgrund hoher Ge-schwindigkeitsunterschiede entstehen. Durch Rasereientstehen vielfach gefährliche Situationen. Ein Tempo-limit würde Unfälle vermeiden. Faktisch ist es schonheute so, dass auf 98 Prozent aller deutschen StraßenTempolimits gelten – das sagen auch die Verkehrs-verbände –, auf 40 Prozent der bundesdeutschen Auto-bahnen gibt es ebenfalls Geschwindigkeitsbeschränkun-gen; darauf wurde ja schon hingewiesen.In den vergangenen Jahren sind noch weitere Argu-mente hinzugekommen als die der Verkehrssicherheit.Gerade an Autobahntrassen ist die Lärmbelastung fürBürgerinnen und Bürger extrem hoch. Sie fordern Lärm-schutz und Lärmschutzwände, die sie aber nicht bekom-men, weil sie nicht an Neubaustrecken wohnen, sondernan alten Strecken.Auch nicht neu sind die Argumente, die aus Umwelt-schutzgründen für eine Reduzierung der Geschwindig-keit auf Autobahnen sprechen. Die Fachverbände weisendarauf hin, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeitauf 120 Kilometer pro Stunde den CO2-Ausstoß um9 Prozent senken würde; das entspräche ungefähr3,4 Millionen Tonnen CO2, das ist mehr, als der gesamteSchienenverkehr in Deutschland verursacht.Die Debatte über ein generelles Tempolimit ist schonalt, damit hat Herr Steinbrück durchaus recht. Dochbislang ist diese Idee an der Lobbyarbeit der mächtigenAutokonzerne gescheitert. Auch Rot-Grün hat vor ihnengekuscht, obwohl es eine Mehrheit für die Einführungeines Tempolimits gab. Sie haben das Thema umschifftund es gar nicht erst auf die Tagesordnung gesetzt.Alle Argumente liegen auf dem Tisch. Nehmen wirdiese Argumente ernst und knicken nicht gleich wiederein, nur weil uns Gegenwind ins Gesicht pustet. LiebeKolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben denWählerinnen und Wählern auch in dieser Frage noch ei-niges zu erklären. Wenn Sie schon mal beim Erklärensind, dann erklären Sie doch auch die Position der SPDzur Rente erst mit 67! Oder hat der Kanzlerkandidat sei-nen Schattenminister möglicherweise schon korrigiert?
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Stephan Kühn. Bitte schön, Herr Kollege Stephan Kühn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Würden in Deutschland in einem Jahr zwei voll-besetzte Linienflugzeuge mit 400 Personen abstürzen –was hätten wir für eine Debatte über die Sicherheit imLuftverkehr. Wenn aber 400 Menschen ihr Leben aufdeutschen Autobahnen lassen und 28 000 Menschenzum Teil schwer verletzt werden, fällt Schwarz-Gelb nurein, zu sagen, dass wir bereits ein hohes Sicherheits-niveau auf Autobahnen haben. Wir finden: Jeder Ver-kehrstote und jeder Verkehrsverletzte ist einer zu viel.
In diesem Zusammenhang kann ich die Albernheiten indem einen oder anderen Debattenbeitrag nur wenignachvollziehen.Tempo 120 würde die Sicherheit auf deutschen Auto-bahnen deutlich verbessern; denn das Ziel muss sein:Keiner kommt um, alle kommen an. Das ist die Visionvon „Vision Zero“. Diese Philosophie teilt übrigens auchder Wissenschaftliche Beirat des BMVBS, also dieFachleute. Sie haben nämlich gesagt: Deutschlandbraucht ein Tempolimit. – Der Einzige, der das offen-sichtlich nicht wahrhaben will und auf die Meinung desfachlichen Beirats nicht viel gibt, ist der Minister selber.
Alle Fakten sprechen für ein Tempolimit. Es wurdeschon gesagt: Wir sind weltweit fast das einzige Land,auf dessen Autobahnen kein generelles Tempolimit gilt.Nur in Deutschland darf per Gesetz gerast werden. Wirfinden: Damit muss Schluss sein!
Kommen wir zu den Fakten, Herr Kollege Luksic.Die Einführung von Tempo 130, in dem Fall auf derAutobahn A 24 zwischen dem Dreieck Havelland unddem Dreieck Wittstock/Dosse, hat innerhalb von kürzes-ter Zeit zu einer erheblichen Verkehrsverbesserung ge-führt: Halbierung der Unfallzahlen und minus 60 Pro-zent bei Verletzten bzw. Getöteten. Die Fakten belegen
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Stephan Kühn
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klar, dass eine Verbesserung der Verkehrssicherheit mitder Einführung eines Tempolimits einhergeht.Tempolimit reduziert Verkehrslärm. Durch Tempo-limit – das ist schon gesagt worden – können die CO2-Emissionen reduziert werden, aber nicht nur die, sondernauch die Kohlenmonoxid- und Stickstoffbelastung kannbis zu 28 Prozent gemindert werden. Auch das ist einArgument für ein Tempolimit.Auch die Kapazität der Autobahnen spielt eine Rolle.Es gibt an vielen Stellen im Autobahnnetz Staus. DieStrecken sind überlastet. Wir wissen, dass ein generellesTempolimit die Kapazität der Autobahnen erhöht,
weil das Geschwindigkeitsniveau homogener ist. So pas-sen mehr Fahrzeuge auf die Autobahn, und deshalb gehtes flüssiger voran.
Ähnlich ist es bei der Frage der Standards. Es wirdimmer pauschal behauptet, die Krötentunnel und dieWildbrücken würden den Autobahnbau verteuern. AllesUnfug! Grund sind die hohen Standards, die notwendigsind, weil hohe Geschwindigkeiten gefahren werden.
Wenn diese hohen Geschwindigkeiten nicht erlaubt wä-ren, könnten die beim Autobahnbau eingesparten Mittelfür die Verkehrssicherheitsarbeit verwendet werden.Tempo 120 würde auch das Aggressionspotenzial aufAutobahnen reduzieren. Alle kämen entspannter ansZiel. Gerade die älteren Verkehrsteilnehmer sagen zu-nehmend, dass sie sich auf den deutschen Autobahnennicht mehr sicher fühlen. Wer rasen will, kann das tun:auf dem Lausitzring, auf dem Nürburgring oder auf demHockenheimring. Nach meinem Kenntnisstand habenalle drei Rennstrecken wirtschaftliche Probleme; viel-leicht könnte man ihnen damit sogar helfen.
Diese Bundesregierung hat außer Appellen und Wer-bekampagnen nichts getan, um die Unfallursache Num-mer eins, Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit,wirksam zu bekämpfen. Nichts ist passiert! Kein sub-stanzieller Beitrag! Das nationale Verkehrssicherheits-programm ist nichts anderes als ein Papiertiger; denn erleistet in der Praxis keinen Beitrag zu mehr Verkehrs-sicherheit.Da wir in der Debatte gemerkt haben, dass Sie vonder Koalition sachlichen Argumenten nur in begrenztemMaße offen gegenüberstehen,
sage ich Ihnen: Helfen Sie doch wenigstens IhremMinister, der jetzt sogar an der Debatte teilnimmt! MitTempo 120 können alle im Auto entspannt und stressfreiseine CD „Adagio im Auto“ mit Klavierkonzerten vonMozart hören.
Dieses Argument für Tempo 120 müsste bei Ihnen dochtragen. Wir sind uns sicher: Freie Fahrt für Raser wargestern.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion von
CDU und CSU ist unsere Kollegin Frau Daniela
Ludwig. Bitte schön, Frau Kollegin Daniela Ludwig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! HerrPronold, Sie haben auf das Jahr 1995 und Frau Merkelzurückgegriffen. Das kann ich auch. Ich gehe noch einJahr weiter zurück: Herr Schröder, damals noch Minis-terpräsident von Niedersachsen, wurde im Spiegel ge-fragt, was er denn als Autoministerpräsident von einemTempolimit halte.
Er sagte: Ganz schlecht, schädlich für die Autokonjunk-tur. – Sie finden den Aufhänger Ihrer Rede – FrauMerkel/1995 – wahrscheinlich extrem originell. Ich fanddas gähnend langweilig und würde gerne zur Sache re-den;
denn die Sache ist ernst genug und ernst zu nehmen.Herr Kühn hat mir und meinen Kollegen mit einemSatz definitiv aus der Seele gesprochen – damit bin ichbei der Sache und beim Ernst der Sache –: Jeder Ver-kehrstote ist tatsächlich einer zu viel und jeder Verletzteauch. Wir glauben aber im Gegensatz zu Ihnen
– wenn Sie mich ausreden lassen, erkläre ich es Ihnen,Frau Höhn; immer gern –, dass ein generelles Tempoli-mit auf allen Autobahnen, für jeden Autobahnkilometerin dieser Republik nicht zielführend ist. Warum? DieZahlen sind schon genannt worden – ich nenne sie abergerne noch einmal, weil ich glaube, dass sie uns bei derErkenntnisfindung helfen können –: Auf 40 Prozent derdeutschen Autobahnen gibt es bereits ein Tempolimit,weil es aus Lärmschutzgründen notwendig ist oder weiles Sicherheitsgründe dafür gibt. Sie haben Autobahnab-schnitte genannt, auf denen die Zahl der Verkehrstotengesunken ist, nachdem ein Tempolimit eingeführt wurde.Dazu kann man den Straßenverkehrsbehörden nur gratu-
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Daniela Ludwig
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lieren; denn das zeigt, dass sie die richtigen Abschnitteausgewählt haben.
Im Gesetz steht, dass der Autofahrer um eine ange-messene Fahrweise gebeten wird, und zwar so oder so.Auch bei einem Tempolimit muss er sich angemessenverhalten und überlegen, ob er situationsbedingt viel-leicht noch langsamer fahren muss als vorgeschrieben.Auch das verhindert Unfälle.Man muss auch sagen: Dort, wo am meisten Verkehrist, nämlich auf den Autobahnen – ein Verkehrszuwachsvon 31,6 Prozent in den letzten Jahren –, kommen imVergleich weniger Menschen bei Unfällen zu Tode,wenn auch immer noch zu viele; denn am schlimmstenist es auf den Landstraßen.
Auf den Landstraßen haben wir aber schon ein Tempo-limit. Der Grund für die vielen Verkehrsunfälle aufLandstraßen ist nicht, dass dort, wie Sie so schön sagen,gerast wird, sondern zum Beispiel, dass Bäume am Stra-ßenrand stehen.
Eine nasse Fahrbahn, schlechter Asphalt, schlecht ausge-baute Straßen und hügelige bzw. bergige Straßenverläufeführen häufig zu Unfällen, egal wie schnell oder lang-sam man fährt.
– Selbstverständlich. Aber Sie reden doch letztlich amProblem vorbei. Schauen Sie sich die Zahlen an! DieZahlen aus Österreich sind oft genannt worden. Es gibtnoch ein anderes Land mit einem sehr strikten Tempo-limit und mit dennoch vielen Verkehrstoten auf denHighways, nämlich die Vereinigten Staaten. Auch dahilft das generelle Tempolimit nicht, um die Zahl derVerkehrstoten deutlich zu verringern. Also müssen wiruns fragen: Ist ein generelles Tempolimit richtig, ja odernein? Ich sage Ihnen für unsere Koalition: Nein, es istnicht richtig.
Ich will jetzt nicht wieder die Vergangenheit bemühenund sagen, dass Sie es doch längst hätten einführen kön-nen. Wissen Sie, an den Folgen Ihrer fatalen Verkehrs-politik knabbern wir noch heute. Da müssen wir uns nurden teilweise schlechten Zustand der Infrastruktur an-schauen.
Die Situation ist immer noch schwierig. Wir baden im-mer noch die Sünden aus, die uns ein gewisser ostdeut-scher Verkehrsminister leider Gottes hinterlassen hat;wir kümmern uns um seine unerledigte Arbeit.
Das regt mich viel mehr auf als die Debatte, ob HerrSteinbrück für oder gegen was auch immer ist. Das inte-ressiert mich nicht.
Vielmehr ist dies eine gute Gelegenheit, hier noch ein-mal darzustellen, dass Sie für alles Mögliche in Ihrer Re-gierungszeit Geld hatten, nur nicht für die Infrastruktur.
Der große Teil des Landes, insbesondere der westlicheTeil, leidet nach wie vor unter den fürchterlichen Folgendieser Politik. Das ist das Schlimme.
Ich kann nur sagen: Leute wie Sie machen hoffentlichnie mehr Verkehrspolitik und sind hoffentlich nie mehrin der Regierungsverantwortung für dieses Land. Daskann ich wirklich nur hoffen.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
Johannes Kahrs. Bitte schön, Kollege Johannes Kahrs.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Diese Debatte ist von CDU/CSU und FDP an-gemeldet worden, weil sie hier eine Runde billige Pole-mik abladen wollen.
– Selbstverständlich, Herr Kollege. Mir ist das gänzlichfremd. Ich bewege mich vorzugsweise auf der Sach-ebene.
Wenn man also feststellt, warum Sie diese Debatteinitiiert haben, dann merkt man auch, dass Sie etwas ver-bergen wollen. Frau Ludwig, Sie haben sich ja eben ge-konnt aufgeregt. Schauen wir uns einmal die Leistungs-bilanz Ihres Ministers – er ist gerade gekommen – an! In
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Johannes Kahrs
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der Welt, bekanntermaßen kein Kampfblatt der deut-schen Sozialdemokratie, kann man lesen: „Es brennt anallen Ecken und Enden“. Dort steht auch, dass die Präsi-diumsmitglieder des Deutschen Verkehrsforums einenBrandbrief geschrieben und gewarnt haben, „Straßenund Trassen stünden vor dem Kollaps“. In der Welt stehtauch, dass es in Deutschland „erhebliche Defizite“ gibt.Gleichzeitig hat diese Bundesregierung, der Ihr Ministerangehört, ein Eckwertepapier beschlossen, in dem vor-gesehen ist, dass dieser Haushalt jedes Jahr 1 MilliardeEuro weniger bekommt. Das sind die Fakten. Sie strei-chen im Bau- und Verkehrshaushalt. Das hat dieses Ka-binett beschlossen. Ad eins.Ad zwei. Sie stellen sich hierhin, klagen laut und dis-kutieren mit uns über ein Tempolimit 120, weil Sie sel-ber Ihre eigene miserable Politik nicht geregelt bekom-men. Wir haben hier in den letzten Wochen und Monatenlange über die Situation am Nord-Ostsee-Kanal gespro-chen, wo Sie es verbaselt haben, wo Sie das Geld abge-zogen haben, wo Sie es nicht hingekriegt haben.
Es gibt eine verkorkste Reform der Wasser- und Schiff-fahrtsverwaltung. Wir haben unendlich viele Probleme.Es gibt gesperrte Brücken. Das Einzige, was Ihnen ein-fällt, aber ist, aus diesem Etat Geld herauszunehmen.Frau Ludwig, es gehört eine ganz schöne Portion Unver-schämtheit dazu,
sich hier hinzustellen und uns Vorwürfe zu machen,während Sie diesen Etat um Geld erleichtern.
Sie sollten auf der Sachebene bleiben und den Haushaltlesen und verstehen. Auch Sie, Herr Döring, kommendann weiter; jedenfalls habe ich die Hoffnung.Die Situation in Bezug auf dieses Thema ist doch re-lativ einfach. Frau Merkel war für ein Tempolimit; sie isthier eben zitiert worden. Ob sie es noch ist, weiß mannicht; denn sie äußert sich zu keinem Thema.
Als Umweltministerin war sie jedenfalls dafür und istdann von der CSU als Vaterlandsverräterin beschimpftworden. Ich muss ehrlich sagen: Das ist ein Umgang,den man, wie ich finde, nicht pflegen sollte. Wenn mandie SPD hier vorführen möchte,
muss man doch zumindest aufpassen, dass man in der ei-genen Veranstaltung nicht bloßgestellt wird. Wir könnenhier laufend Ihre eigene Kanzlerin zitieren, die für einTempolimit ist. Das ist doch peinlich für Sie. Es ist un-säglich.
Jetzt kommen wir zu der Frage, wofür wir als Sozial-demokraten sind.
Wir haben einen Kanzlerkandidaten, der klar gesagt hat:Jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Ad eins. Ad zwei hater gesagt: Da, wo man aus Sicherheitsgründen ein Tem-polimit braucht, sind wir dafür. Aber wir sind gegen eingenerelles Tempolimit.
Das ist die klare Ansage unseres Kanzlerkandidaten, undin unserem Wahlprogramm steht nichts anderes.Wenn Sie sich unser Programm ansehen, stellen Siefest, dass einige meiner Vorredner recht haben: Auf dereinen Seite ist es wirklich schwierig, viele rationale Ar-gumente zu finden, warum man schneller als 120 fahrensollte.
Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen dürfen:Es gibt auch keine rationalen Argumente dafür, dass inDeutschland geraucht wird. Es gibt kein rationales Argu-ment dafür, dass in Deutschland Bier und Wein getrun-ken werden. Es gibt kein rationales Argument dafür, dassin Deutschland Schokolade gegessen wird,
außer von mir vielleicht. Ich glaube, man muss zurKenntnis nehmen, dass die Bürger in diesem Land daseine oder andere selbst entscheiden wollen,
und das muss auch möglich sein.
Man muss alles tun, was möglich ist, um die Sicher-heit zu erhöhen. Insofern hat unser Kanzlerkandidat PeerSteinbrück recht.
Wir Sozialdemokraten haben das entsprechend richtig-gestellt. Auch ich zitiere gerne meine GeneralsekretärinAndrea Nahles, die eben von der Noch-Regierungsparteivielfach zitiert worden ist; sie ist eine gute Frau.
Ich sage Ihnen: In der Sache sind die Sozialdemokrateneindeutig und klar.
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Johannes Kahrs
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Jetzt möchte ich auf Folgendes hinweisen: Diese De-batte dient ja einem Zweck. Wir diskutieren doch nichternsthaft im Deutschen Bundestag über dieses Thema,damit sich die Union darüber klar wird, wie der Standder Diskussion innerhalb der SPD ist. Dass es zu solcheinem Thema in einer großen Volkspartei unterschiedli-che Standpunkte gibt, ist doch klar.
– Aber Entschuldigung, das ist doch völlig in Ordnung.
Ich könnte Ihnen reihenweise Themen nennen, zu denenselbst FDP und Union unterschiedliche Meinungen ha-ben.Man muss in der Lage sein, zu differenzieren. Ich per-sönlich habe nicht einmal einen Führerschein, bin alsoim Gegensatz zu Ihnen komplett objektiv; denn ich rasenicht.
Ich bin auch kein Verkehrslobbyist; ich habe, wie gesagt,nicht einmal einen Führerschein. Mein Freund hat einenKäfer, 63er-Baujahr; damit kann man, wenn es hoch-kommt, 120 fahren.Ich denke, man muss in der Lage sein, ein paar Dingein diesem Land nicht zu regeln. Das, glaube ich, habenwir Sozialdemokraten klargemacht. Ich hoffe, Sie ver-stehen das.Glück auf!
Vielen Dank, Kollege Kahrs. – Nächster Redner in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP
unser Kollege Patrick Döring. Bitte schön, Kollege
Patrick Döring.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ak-tuelle Stunden und Debatten dieser Art sind immer sehrlehrreich. Der Kollege Pronold hat sich als Hardcorefander Frau Bundeskanzlerin geoutet. Ich hoffe, all die Bü-cher sind nicht nur gelesen, sondern auch signiert; an-sonsten können Sie das ja morgen nachholen.
Der Kollege musste – das war bestimmt mühsam – bis indas Jahr 1995 zurückgehen, um ein geeignetes Zitat zufinden. Selbst wenn es so stattgefunden hat – und werbin ich, den Autoren zu widersprechen? –: Die FrauBundeskanzlerin unterscheidet sich von Ihrem Kanzler-kandidaten darin, dass sie einen vor 20 Jahren gemach-ten Fehler nicht wiederholt.
Wir haben in dieser Debatte viele bösartige Unterstel-lungen gehört. Das ist immer so, wenn mit dem An-spruch der überheblichen Moralität denjenigen, die fürdifferenzierte Lösungen sind, die glauben, dass die Bür-gerinnen und Bürger mit ihrem Leib und Leben und mitdem Leben anderer besser umgehen als Verordnungen,die sicher sind, dass Landesverkehrsminister an denStellen, an denen es nötig ist, die richtige Regelung tref-fen, und die der festen Überzeugung sind, dass es nichtklug ist, die Menschen zu Tag- und Nachtzeiten, zu de-nen unsere Autobahnen in manchen Gegenden nicht sehrstark befahren sind, mit einem kaum noch verstehbarenVerbot zu belegen, unterstellt wird, sie seien dafür, dassMenschen auf der Autobahn zu Tode kommen.Ich stelle fest: 6 Prozent aller Unfälle mit Personen-schäden passieren auf deutschen Autobahnen, davon we-niger als ein Drittel wegen nicht angepasster Geschwin-digkeit. Jeder davon ist einer zu viel. Aber ich lasse mirvon der Partei des erhobenen Zeigefingers, den Grünen,nicht unterstellen, dass wir das anders sehen als Sie. Wirhaben nur andere Lösungen für das Problem.
Aber das passt ins Muster. Wenn man sich das Pro-gramm dieser Partei anschaut, dann staunt man. Im Pro-gramm von Bündnis 90/Die Grünen lautet das meist be-nutzte Verb „müssen“. 583-mal „müssen“ die Deutschendas tun, was Sie auf Ihren Parteitagen beschlossen ha-ben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das istvielleicht noch eine Hausordnung für eine grüne Besse-rungsanstalt; ein Konzept für eine Republik freier Bür-ger ist das sicher nicht.
Die Sozialdemokraten sind nicht viel besser: 314-mal„müssen“ die Bürgerinnen und Bürger tun, was die So-zialdemokraten in ihrem Programm beschlossen haben.Sie müssen verzichten, zum Beispiel auf die Pendlerpau-schale. Sie müssen höhere Steuern zahlen, zum Beispieleine höhere Mineralölsteuer. All das müssen die Deut-schen zum Wohle der Republik tun.
Sozialdemokraten und Grüne meinen zu wissen, wiedie Menschen leben sollen. Die Politik des erhobenenZeigefingers als Konzept für die nächsten vier Jahre? Dasagen wir: Nein, danke, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Grünen sind wenigstens ehrlich. Sie fordern nichtnur ein Tempolimit auf Autobahnen, sondern gleichauch noch auf allen Bundes- und Landstraßen Tempo 80und innerorts überall Tempo 30, und natürlich sollen dieVoraussetzungen dafür geschaffen werden, in deutschenGroßstädten eine Citymaut zu erheben und alle Lkws,die schwerer sind als 3,5 Tonnen, auf allen Straßen zu
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Patrick Döring
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bemauten. Da die SPD sowieso nicht weiß, was sie will,ist klar: Am Ende wird es so kommen, wie die Grünen eswollen. Die sind wenigstens ehrlich und erklären denMenschen, dass sie sie gängeln wollen – erstaunlicher-weise werden sie dafür auch noch gewählt.
– Darüber können Sie sich freuen.
Ich finde fantastisch, was für ein Weltbild Sie haben.Sie haben ein so konservatives Gesellschaftsbild,
dass es Ihre innere Überzeugung ist, dass der Staat, dassdie Politik alles besser weiß als die Bürger. Meine sehrverehrten Damen und Herren, wir werden die Diskus-sion führen, ob die Menschen wirklich ein Schnäppchen-verbot, ein Sonntagsfahrverbot, ein Motorrollerverbot,ein Glühbirnenverbot, ein Billigfliegerverbot, ein Gen-technikverbot, ein Killerspielverbot, ein Nachtflug-verbot, ein Rauchverbot, ein Heizpilzverbot, ein Fleisch-verbot an Wochentagen in Schulen und Kitas, einSolarienverbot für Jugendliche, ein Alkoholverbot imÖPNV, ein Grillverbot in Parks, ein Werbeverbot fürFahrzeuge mit hohem Benzinverbrauch, ein Alkohol-werbungsverbot, ein Flatrateverbot, ein Verbot vonverkaufsoffenen Sonntagen, ein Verbot von Lichtver-schmutzung, ein Verbot von Tieren in Zirkussen, einVerbot von nicht energieeffizienten Kühlschränken, einVerbot von getrenntgeschlechtlichen Toiletten, ein Ver-bot von Handynutzung in Kulturveranstaltungen, einVerbot von Süßigkeitenwerbung im Umfeld von Kinder-gärten und ein Verbot von Stand-by-Funktionen beiElektrogeräten wollen. All das steht im Programm derGrünen. Wir werden sehen, wie viele Menschen aufdiese Weise erzogen werden wollen.
Aber was will man anderes erwarten von einer Partei derSoziologen und Sozialpädagogen?
Wir stehen für Freiheit und Verantwortung. Deshalbsind wir der Meinung, dass die Regeln, die auf deutschenAutobahnen gelten, ausreichend sind.Vielen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion von CDU und CSU unser Kollege Volkmar
Vogel. Bitte schön, Kollege Volkmar Vogel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Pronold und Herr Kahrs, Sie haben zi-tiert, was die Kanzlerin im Jahr 1995 gesagt hat. Damitzeigen Sie, dass Ihr Vorsitzender und die SPD eigentlichauf dem Stand von 1995 stehen geblieben sind.
Wir hingegen, so auch unsere Vorsitzende, haben unsweiterentwickelt und sehen die Situation heute in einemganz anderen Licht.
Man muss eines deutlich sagen: Mit Tempolimit 120stellen Sie zur Alternative: Mobilität oder Verkehrs-sicherheit. Sie stellen zur Alternative: Mobilität oderÖkologie.
Das ist nicht der Weg, den wir beschreiten wollen. Wirsind der Auffassung, dass beides zusammengehört:Mobilität und Verkehrssicherheit, Mobilität und Öko-logie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute nichtdie erste Debatte, die wir über dieses Thema führen.Man muss eines ganz deutlich sagen: Tempolimit 120auf den deutschen Autobahnen ist ein Angriff auf dieMobilität in unserem Land.
Das wäre der Anfang vom Ende des Individualverkehrs.Der Individualverkehr hat jedoch einen berechtigtenPlatz in unserem System.
Ein Tempolimit 120 ist auch mit der Verkehrssicherheitnicht begründbar – Patrick Döring hat es ausgeführt –:Auf ungefähr 3 Prozent des Straßennetzes fließen über30 Prozent des Verkehrs; dort geschehen aber lediglich6 Prozent der Unfälle. Das ist auch noch sehr viel, vielzu viel.
Darum wollen wir dafür sorgen, dass die Zahl der getö-teten Menschen und die Zahl der verletzten Menschenweiter sinkt.
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Volkmar Vogel
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Wir sind hier auf einem richtigen Weg. Vor drei Jahrenlag die Zahl der Getöteten schon einmal unter 4 000– eine hohe Zahl –, danach ist sie wieder auf über 4 000angestiegen; im vergangenen Jahr ist sie glücklicher-weise aber wieder gesunken und lag bei 3 600. Das istauch noch viel zu viel, zeigt aber, dass wir mit unserenMaßnahmen auf dem richtigen Weg sind.
Wir müssen eine ganzheitliche Betrachtung vorneh-men, Infrastruktur sicher ausbauen, selbstlernende Sys-teme installieren, Technik, die dafür sorgt, dass wenigerMenschen zu Schaden kommen, also Airbags, Sicher-heitsgurte, aber vor allen Dingen auch neue Systeme, in-telligente Fahrassistenzsysteme, die schwere Unfälleverhindern.
Das ist der Weg, den wir gehen, und das ist der richtigeWeg, weil unseres Erachtens wichtig ist, dass die Politikden Bedürfnissen der Menschen folgt und nicht umge-dreht.
Patrick Döring hat das in eindrucksvoller Art und Weisedargelegt, und dazu stehen wir.
Ich weiß auch aus eigener Erfahrung: Die Menschenwollen mobil sein, und sie müssen aufgrund ihrer kon-kreten Lebenssituation mobil sein. Dabei müssen wir siemit politischen Maßnahmen unterstützen. Hier hilftkeine sozialistische Gängelei oder Bevormundung, son-dern nur eines,
nämlich eine Stärkung der effektiven Mobilität durchuns. Deswegen ist unser Ziel die Verbesserung der Infra-struktur. Dazu werden wir in den nächsten Monaten wei-tere Maßnahmen mit Wirkung für die nächsten Jahreeinleiten.
Dafür gibt es auch die Bodewig-Kommission, derenArbeit wir sehr unterstützen. Im Gegensatz zur SPD, diestarre Vorstellungen hat, gehen wir hier ergebnisoffenheran.
Wir werden den technischen Fortschritt gerade im Kfz-Bereich weiter unterstützen, wenn es darum geht, intelli-gente Fahrassistenzsysteme auf den Weg zu bringen,
und wir werden alle Ehrenamtlichen und Hauptamtli-chen unterstützen, die dafür Sorge tragen, die Kraftfah-rer zu informieren und in den Verkehrserziehungspro-grammen entsprechend zu unterweisen, und auf dieseArt und Weise das Verständnis eines freien Bürgers indiesem Land weiter voranbringen.
Aber natürlich werden wir dort, wo es notwendig ist, umMenschen vor Gefahren zu bewahren, und wo es Gefah-renstellen gibt, entsprechende Maßnahmen einleiten, ge-meinsam mit den Kommunen und den Ländern und ent-sprechend der Möglichkeiten, die wir hier im Bundestaghaben.Ich bleibe dabei – damit komme ich zum Anfang mei-ner Rede zurück –:
Für uns sind Verkehrssicherheit auf der einen Seite undzügige Mobilität auf der anderen Seite kein Wider-spruch; beides gehört zusammen, und daran werden wirweiter arbeiten.Vielen Dank. Glück auf!
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in unserer Aktuel-
len Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten un-
sere Kollegin Frau Kirsten Lühmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Lühmann.
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Präsident!Nordrhein-Westfalen: Eine Pkw-Fahrerin fährt an einemStauende auf einen Lkw auf. Hessen: Auf einer Kreu-zung verursacht ein Pkw-Fahrer durch Missachten derVorfahrt einen Unfall; das Auto überschlägt sich. Bay-ern: Ein alkoholisierter Lkw-Fahrer verunfallt an einerBaustellenauffahrt. Niedersachsen: Ein Lkw-Fahrer hatbeim Abbiegen einen neben ihm fahrenden Fahrradfah-rer übersehen und angefahren. – Zwei Sachen habendiese vier Vorfälle gemeinsam. Das Erste ist: Sie sind inden letzten Tagen passiert. Das Zweite ist: Alle Beteilig-ten sind glücklicherweise nur leicht verletzt worden.
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Aus meiner Erfahrung als Polizeibeamtin weiß ich aber,dass nicht alle Menschen bei solchen Vorfällen solchesGlück haben. Im letzten Jahr sind 3 606 Menschen beiVerkehrsunfällen tödlich verunglückt.Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, die EU-Ini-tiative umzusetzen, nach der wir die Zahl dieser Unfällebis zum Jahre 2020 um 40 Prozent senken wollen.Minister Ramsauer hat dazu eine wunderschöne Hoch-glanzbroschüre aufgelegt und verteilt. Die Frage, die wiruns zum Thema Verkehrssicherheit stellen, ist: Was istpassiert? Was hat der Minister in den letzten vier Jahrengemacht – außer den bekannten Ankündigungen in derPresse, dass er gegen die Verrohung von Kampfradlernvorgehen will, dass er für eine Helmpflicht für unwilligeFahrradfahrende ist, dass er für eine Reform der soge-nannten Idiotentests ist,
und der Versicherung, er wolle die Winterreifenpflichtauf Effektivität überprüfen? Das sind wunderschöneThemen für die Verkehrssicherheit.
Aber passiert ist nichts – außer vielleicht, dass Sie denEtat für den Neubau von Fahrradwegen um über 40 Pro-zent gekürzt haben.
Im Rahmen der Verkehrssicherheit ist das einfach einSkandal.
Dabei hätten Sie einfach nur, Herr Ramsauer, wennSie etwas für die Verkehrssicherheit machen wollten, un-sere Debatten aufmerksam verfolgen müssen. Dannwäre Ihnen aufgefallen: Wir könnten sehr viel für Fahr-anfänger zwischen 18 und 24 Jahren tun; denn sie sindbesonders gefährdet. Herr Storjohann, wir beide habenhier in diesem Hause den Vorschlag gemacht, ein Mehr-phasenmodell einzuführen, also junge Menschen, diekeine Möglichkeit haben, ab 17 Jahren begleitet im Autozu fahren, auch nach der Fahrprüfung zu unterstützen.
Unser Antrag wurde abgelehnt. Ihr Antrag wurde ange-nommen; das ist wenigstens etwas. Aber was ist pas-siert? Der Herr Minister hat ihn schlicht ignoriert. Alsdie Verkehrssicherheitsverbände dann gefragt haben,was denn nun in diesem Bereich passiere, haben Sie,Herr Ramsauer, geantwortet: Ich habe einen Bericht an-gefordert; er liegt gerade auf meinem Tisch. – MeineHerren und Damen, ich vermute, da wird dieser Berichtauch noch im Oktober liegen, wenn der neue Ministeroder die neue Ministerin einer rot-grünen Regierung die-ses Büro übernehmen wird. Ich kann Ihnen aber versi-chern: Dann wird dieser Bericht ausgewertet, und dannwerden wir etwas tun.
Alcolocks, Herr Storjohann, ist noch ein Thema imBereich der Verkehrssicherheit, bei dem wir uns einigsind. Jeder zehnte Verkehrsunfalltod wird durch Alko-holmissbrauch verursacht. Andere Länder haben techni-sche Möglichkeiten, um Wiederholungsgefahren zu ver-hindern. Wir beide haben uns für die Einführung vonAlcolocks ausgesprochen. Der Minister hat einen Be-richt angefordert, der – Sie ahnen es – auf seinemSchreibtisch liegt. Die Verkehrssicherheitsverbände, dieden Antrag gestellt haben, zu diesem Thema einen Pilot-versuch durchführen zu dürfen, haben bis heute keineAntwort bekommen. Ich vermute einmal: Auch dieserMangel wird erst im Oktober geheilt werden können.Viel hängt beim Thema Verkehrssicherheit von derQualität von Schulungen ab. Diese Bundesregierung willim Rahmen der Reform des Punktesystems die unwirk-samen Seminare durch wirksame ersetzen. Wir wissenalle: Qualität kostet Geld. Wenn diese neuen Seminare,wie geplant, bis zu 800 Euro kosten werden, dann, denkeich, haben die Menschen in diesem Land ein Anrecht da-rauf, dass überprüft wird, ob sie dieses Geld nicht um-sonst ausgeben, sondern für eine wirksame Maßnahme.Herr Storjohann, Sie haben bei der letzten Debatte zudiesem Thema richtigerweise gesagt: Wir müssen in dasGesetz verpflichtend aufnehmen, dass nach einer gewis-sen Zeit überprüft wird, ob diese Maßnahmen etwasbringen oder nicht. – Was hat Ihr Minister gemacht? Sieahnen es:
Nichts! Das ist unmöglich.
Ich könnte die Beispiele fortführen. Fazit ist: DieserMinister hat in den letzten vier Jahren zum Thema Ver-kehrssicherheit viel angekündigt, aber wenig entschie-den. Wenn das Thema effektiv angegangen werden soll,dann müssen wir das tun, wenn wir in Regierungsverant-wortung sind, und das umsetzen, was die SPD in ihr Re-gierungsprogramm geschrieben hat, nämlich die Ver-kehrssicherheit ernst nehmen und die Probleme, dieschon auf dem Tisch liegen – und zwar auf Ihrem Tisch,Herr Minister –, mit allen Akteuren, den ehrenamtlichenund den hauptamtlichen, endlich angehen. Ich freuemich darauf.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013 30103
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster und letzter
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
von CDU und CSU unser Kollege Thomas Jarzombek.
Bitte schön, Kollege Thomas Jarzombek.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirreden heute über Verkehrssicherheit. Schauen wir unsdie Zahlen an: Auf 1 Milliarde gefahrene Kilometerkommen in Deutschland 3,1 Tote, in Österreich hinge-gen 4,8 Tote und in den USA sogar 5 Tote. Diese Zahlensind immer noch zu hoch; aber sie zeigen offensichtlich,dass die Anzahl der Verkehrstoten nicht mit Geschwin-digkeitslimits korreliert.
Lassen Sie uns einmal darauf schauen, wo beimThema Verkehrssicherheit die Handlungsfelder sind. DieZahl der Verkehrstoten auf der Landstraße ist sieben Malhöher als die Zahl der auf der Autobahn Getöteten; siemacht einen Anteil von 60,9 Prozent aus. Im Bereich derLandstraße müssen wir viel mehr tun als bisher. Worumes geht, ist eine angepasste Geschwindigkeit.
Am gefährlichsten sind die, die auf der Landstraße im-mer das vorgegebene Tempo fahren, egal wie die Ver-kehrsbedingungen sind. Wir brauchen eine angepassteGeschwindigkeit.Was wir auch brauchen, sind Vorbilder und Leute mitVernunft, die den Menschen die richtigen Ideen geben.Ich zitiere aus einem Interview in der Frankfurter Allge-meinen Zeitung:Woher kommt Ihre Freude am schnellen Autofah-ren?Frau Nahles’ Antwort:Ich wohne zehn Kilometer entfernt vom Nürburg-ring. In der ganzen Region gibt es viel Begeisterungfür den Motorsport. Es macht halt unheimlich Spaß,durch die Eifel zu fahren. Weil es so kurvige Stre-cken sind …Meine Damen und Herren, da kommen die Unfalltotenher: durch das Rasen auf den Landstraßen, nicht durchdiejenigen, die auf der Autobahn 150 fahren.
Die Technik wird die Vernunft nie ersetzen können.Aber wir haben hier allerhand erreicht. Wir haben eszum Beispiel seit 2011 geschafft, ein elektronisches Sta-bilitätsprogramm, ESP, verpflichtend einzuführen, wassicherlich gerade auf der Landstraße viele Erfolgebringt.
– Kollege Pronold, dass Sie nicht im Schattenkabinettsind, tut mir leid. Aber wenn Sie eine Rednerplattformbrauchen, dann drücken Sie den Knopf und melden Siesich zu Wort!
Maulen Sie nicht unentwegt herum, und berauben Siemich nicht meiner Redezeit! Also, Ruhe jetzt dahinten!
Angepasste Geschwindigkeit ist also das Thema. Einweiteres Thema ist die Frage, wie viele Unfälle wir ei-gentlich innerorts haben. Sie werden feststellen: 70 Pro-zent der Unfälle geschehen innerorts. Das kann man be-obachten. Ich bin heute Morgen mit dem Fahrrad dieLinienstraße entlanggefahren. Dort sind unglaublichviele Radfahrer zu sehen; man sieht aber auch Autos da-neben. Es gibt viel Konfliktpotenzial.Ich glaube, dass wir gerade beim Thema Sicherheit inden Innenstädten viel mehr tun müssen als bisher. Ichwundere mich, dass die Grünen dort so wenig tun. Neh-men wir zum Beispiel die aktiven Motorhauben. EinigeFahrzeuge haben sie; andere haben sie nicht.Was passiert, wenn wirklich ein Auto mit einem Rad-fahrer kollidiert? Ich glaube, hier können wir noch eineMenge an Sinnvollem tun.Die Frage ist: Gibt es durch ein Tempolimit eigentlichweniger Staus? Der Rheinischen Post hat der sehr re-nommierte Unfallforscher Professor Schreckenberg ge-sagt: „Das ist Unsinn“.
Weiter hat er gesagt – dabei geht es eigentlich um dasBild, das wir vom mündigen Bürger haben –:Im Auto muss der Fahrer wissen, dass ihn auf dennächsten 20 Kilometern zähfließender Verkehr er-wartet. Dann passt er von selbst seine Geschwin-digkeit an und rast nicht mehr mit 180 km/h in denStau hinein.
Deshalb brauchen wir mehr Informationen, mehr Frei-heit und mehr Selbstverantwortung.
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30104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 239. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2013
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Wir müssen nicht jedem Autofahrer alles vorschreiben.Wenn die rot-grüne Mehrheit in Prenzlauer Berg – ichhabe dort meine Zweitwohnung – aus 16 Parkplätzen8 Parkplätze macht und mutwillig einfach die Parkflä-chen wegreduziert, dann ist das Bevormundung. Damitwerden Sie das Rad und die Bahn nicht attraktiver ma-chen.Wir müssen Verkehrsmittel attraktiver machen, stattandere abzuqualifizieren. Das ist der Unterschied zwi-schen Ihnen und uns.
Am Ende möchte ich noch auf den Zeitpunkt dieserganzen Initiative zu sprechen kommen.
Denn es ist eine erstaunliche Koinzidenz, dass genau zudem Zeitpunkt, als die Deutsche Telekom erklärt hat,dass sie ihre Internettarife umstellt, Sigmar Gabriel aufsolche Ideen gekommen ist.
Dabei hat man tatsächlich den Eindruck: Während dieTelekom beschlossen hat, nach 75 Gigabyte ihre Kundenzu drosseln, hat Sigmar Gabriel offensichtlich beschlos-sen, nach 200 Wahlkampftagen die SPD auf 23 Prozentzu drosseln.
Insofern kann ich nur feststellen: Sigmar Gabriel istdie rote Drossel von Peer Steinbrück.Einen schönen Tag noch.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, den 16. Mai 2013,
um 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.