Protokoll:
17235

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 235

  • date_rangeDatum: 19. April 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:17 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/235 wurfs eines Gesetzes zur Förderung der Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 29499 C Inhaltsverzeichnis Sicherstellung des Notdienstes von Apo- theken (Apothekennotdienstsicherstel- lungsgesetz – ANSG) (Drucksache 17/13081) . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr, Bundesminister BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29480 A 29480 B 29482 A 29483 C 29485 B 29487 B 29488 C 29488 D 29501 A 29502 D 29503 D 29505 B 29506 C 29508 A 29510 A 29511 B 29512 A 29513 B Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 235. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. April 2013 I n h a l t : Wahl des Abgeordneten Manuel Höferlin als stellvertretendes Mitglied der Parlamentari- schen Versammlung des Europarates . . . . . Begrüßung des polnischen Botschafters . . . . . Gedenken an den jüdischen Aufstand im War- schauer Ghetto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Förderung der Prävention (Drucksache 17/13080) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Ingo Egloff, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Wirt- schaftskriminalität effektiv bekämpfen (Drucksache 17/13087) . . . . . . . . . . . . . . . . . 29479 A 29479 B 29479 B 29480 A 29491 C 29493 B 29494 D 29495 C 29497 B 29498 A 29499 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . .29490 A 29514 B 29516 A II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung der Aufbe- wahrungsfristen sowie zur Änderung wei- terer steuerlicher Vorschriften (Drucksache 17/13082) . . . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Recht auf ein Guthabenkonto einfüh- ren – Kontopfändungsschutz sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbraucherrecht auf ein kostenloses Girokonto für alle gesetzlich verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbraucherrecht auf Basisgirokonto für jedermann gesetzlich verankern (Drucksachen, 17/7823, 17/8141, 17/7954, 17/9798 Buchstabe b bis d) . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung Deutscher Auslandsschulen (Auslandsschulgesetz – ASchulG) (Drucksache 17/13058) . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Informationsfreiheit weiter entwickeln (Drucksache 17/13097) . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Grundgesetzes (Art. 5 – Infor- mationszugangsgrundrecht) (Drucksachen 17/9724, 17/12490) . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 40: Beratung der Unterrichtung durch den Wehr- beauftragten: Jahresbericht 2012 (54. Be- richt) (Drucksache 17/12050) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 29517 C 29517 D 29519 A 29520 B 29521 C 29522 C 29523 B 29525 B 29525 B 29526 D 29528 A 29528 D 29529 D 29530 D 29531 C 29532 C 29533 B 29533 B 29534 D 29537 A 29538 A 29539 A 29540 A 29541 B 29542 B 29542 B 29542 C 29543 C 29545 B 29547 A 29548 C 29549 A 29550 C 29550 C 29552 B 29553 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 III Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 12: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Visa- freiheit für Inhaber russischer Dienst- pässe – Keine Visumspflicht für Menschen aus dem Westbalkan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hagen Reinhold (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Ehrenberg (FDP) . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fa- milienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes (234. Sitzung, Tagesordnungs- punkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29555 B 29556 C 29557 C 29558 C 29559 D 29559 D 29560 D 29562 B 29563 C 29565 B 29566 B 29567 B 29568 A 29569 B 29570 B 29571 D 29573 A 29574 A 29574 A 29574 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 29479 (A) ) )(B) (C (D 235. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. April 2013 Beginn: 9.01 Uhr
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    (Cgen zu kommen. Konzertierte Aktionen, die die Hand- lungsfreiheit von Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft einschränken, sind dabei aus unserer Sicht nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv. Aber das Thema Visafreiheit beschäftigt uns ja auch – das ist von allen Rednern bisher hier erwähnt worden – in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich der Frage des Umgangs mit den Balkanstaaten. Wir alle ha- ben schon mehrfach gehört – das wissen wir auch –, dass die Staatsangehörigen Serbiens, Montenegros und Maze- doniens seit 2009 visafrei in den EU-Raum einreisen können. Seit Dezember 2010 sind weitere Mitgliedstaa- ten hinzugekommen. Mit der Einführung dieser Visum- freiheit ist bedauerlicherweise auch die Zahl der hier ge- stellten Asylanträge sprunghaft gestiegen. Wenn Sie es als eine Art Winterhilfe bezeichnen, wenn das Asylrecht dazu missbraucht wird, sich in Deutschland illegal aufzuhalten, dann muss ich diese Formulierung genauso zurückweisen wie die bewusst Sie erkennen diese Gefahren des Missbrauchs sehr wohl. Deshalb kann man doch nicht sagen, wir hätten es hier mit einer Situation zu tun, die man einfach durch Igno- rieren beseitigt bekäme. Dass der Bundesinnenminister aufgrund der eingetre- tenen Situation zu Recht prüft, ob in der Visum-Verord- nung die Grundlage für eine Klausel geschaffen werden kann – denn nur darüber wird im Augenblick überhaupt diskutiert –, mit der die Visafreiheit über einen Zeitraum von sechs Monaten ausgesetzt werden kann, ist in die- sem Zusammenhang nur zu begrüßen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Helmut Brandt (CDU/CSU): Jawohl, es wird auch Zeit, dass wir nach Hause kom- men. – Zur Klarstellung zum Schluss: Entgegen dem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 29573 (A) ) )(B) Anlagen Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Weinberg, Harald DIE LINKE 19.04.2013 Klug, Astrid SPD 19.04.2013 Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 19.04.2013 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 (C (D Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 19.04.2013 Barthle, Norbert CDU/CSU 19.04.2013 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 19.04.2013 Bleser, Peter CDU/CSU 19.04.2013 Brand, Michael CDU/CSU 19.04.2013 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 19.04.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 19.04.2013 Ehrmann, Siegmund SPD 19.04.2013 Gabriel, Sigmar SPD 19.04.2013 Glos, Michael CDU/CSU 19.04.2013 Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.04.2013 Grindel, Reinhard CDU/CSU 19.04.2013 Gunkel, Wolfgang SPD 19.04.2013 Hagedorn, Bettina SPD 19.04.2013 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 19.04.2013 Hintze, Peter CDU/CSU 19.04.2013 Kaster, Bernhard CDU/CSU 19.04.2013 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Klimke, Jürgen CDU/CSU 19.04.2013 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Laurischk, Sibylle FDP 19.04.2013 Dr. von der Leyen, Ursula CDU/CSU 19.04.2013 Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Lösekrug-Möller, Gabriele SPD 19.04.2013 von der Marwitz, Hans- Georg CDU/CSU 19.04.2013 Mast, Katja SPD 19.04.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 19.04.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 19.04.2013 Özoğuz, Aydan SPD 19.04.2013 Schäffler, Frank FDP 19.04.2013 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 19.04.2013 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 19.04.2013 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 19.04.2013 Süßmair, Alexander DIE LINKE 19.04.2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.04.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 29574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 (A) ) )(B) (C (D Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes (234. Sitzung, Tagesordnungspunkt 28) Frank Tempel (DIE LINKE): In der Anhörung zu den drei aktuellen Gesetzentwürfen des öffentlichen Dienstrechtes Mitte März haben die Gewerkschaften der Koalition auf den Weg gegeben, dass die Grundüberle- gungen dieser Gesetze durchaus im Interesse der Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Sie sollen die At- traktivität des öffentlichen Dienstes im Wettbewerb um gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stei- gern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erhöhen und den demografischen Problemen der Verwaltungen entgegensteuern. Das Mantra der Koalition, nur Maß- nahmen zu ergreifen, die posten- und personalstellen- neutral sind, verhindert allerdings, dass die Gesetze ihre Wirkung entfalten können. Auch das Gesetz zur Familienpflegezeit und zum fle- xibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes ist so ausgestaltet, dass es ineffizient bleiben wird. Wie ich schon in der ersten Lesung aus- führte, ist das Gesetz eine Übertragung der Regelungen des Familienpflegezeitgesetzes auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes. Das Familienpflegezeitgesetz ist aber von den Beschäftigten nicht angenommen worden, da es offensichtlich nicht attraktiv ist. Warum sollte es gerade bei der Beamtenschaft funktionieren? Beamtin- nen und Beamte insbesondere im einfachen bis Anfang des gehobenen Dienstes wollen oder können nur im Aus- nahmefall die erheblichen finanziellen Risiken der Fami- lienpflegezeit in Kauf nehmen. Inzwischen hat die Koalition einen Änderungsantrag eingebracht, der gegenüber dem Gesetzentwurf in zwei Punkten eine Verbesserung darstellt. Bei einem freiwilligen Hinausschieben des Ruhe- standseintritts sollen Beamtinnen und Beamte Aktiv- statt Versorgungsbezüge erhalten. Mit dem vorgeschla- genen Bleibezuschlag wird erstmals auch für Beamtin- nen und Beamte mit langen Dienstzeiten ein zusätzlicher Anreiz für das Hinausschieben des Ruhestandseintritts geschaffen. Es soll eine Weiterarbeit in Teilzeit ermög- licht werden, ohne dass, im Vergleich zu entsprechenden Ruhestandsbeamtinnen und -beamten, finanzielle Nach- teile entstehen. Für die aktive Dienstleistung über das Ruhestandsein- trittsalter hinaus soll anteilig zur Arbeitszeit eine ge- kürzte Besoldung gewährt werden. Insoweit würde ein Anspruch bestehen, der auch sonstigen Beamtinnen und Beamten in einem aktiven Teilzeitbeamtenverhältnis zu- steht. Dieser Anspruch bliebe allerdings, je nach Teil- zeitquote, hinter dem Anspruch auf Versorgungsbezüge zurück, wie er bei regulärem Ausscheiden entstünde. Im Gesetzesteil zum flexibleren Eintritt in den Ruhe- stand hat die Koalition ebenfalls eine Änderung vorge- schlagen: Sie hat offensichtlich erkannt, dass eine moti- vierte Mitarbeit älterer Beschäftigter angesichts des demografischen Wandels unverzichtbar ist. Dazu passen keine Regelungen aus der Mottenkiste preußischen Be- amtentums, in denen in absolutistischer Weise über die Beamtinnen und Beamten bestimmt wird. Deshalb soll laut Änderungsantrag die Erzwingung der Dienstzeitver- längerung abgeschafft werden. Künftig dürfe die Verlän- gerung nur noch einvernehmlich zwischen Dienstherrn und Beamtinnen und Beamten möglich sein und deshalb nur mit deren Zustimmung erfolgen. Daher sei auch eine einheitliche Steuerung dieser Dienstzeitverlängerung durch die oberste Dienstbehörde nicht mehr erforderlich und könne zugunsten der für das Hinausschieben zustän- digen Behörde entfallen. – Die Streichung dieser Rege- lung ist natürlich zu begrüßen. Trotz der Verbesserungen im Änderungsantrag wer- den wir den Gesetzentwurf ablehnen. Die Familienpfle- gezeit ist in ihrer Ausgestaltung unannehmbar. Und auch der flexible Eintritt in den Ruhestand ist vielleicht als Teillösung zur Abmilderung demografischer Probleme geeignet. Er wird aber die von uns geforderte und unbe- dingt nötige Ausbildungs- und Einstellungsoffensive für den öffentlichen Dienst nicht ersetzen können. Zum Abschluss möchte ich aus meiner heutigen Rede zum Altersgeld zitieren: „Alle drei am heutigen Tag zur Abstimmung stehen- den Gesetze zu Fragen des öffentlichen Dienstrechtes, zum Altersgeld, zur Familienpflegezeit und zur Profes- sorenbesoldung kranken an dem gleichen Problem: Die Gesetzentwürfe ändern das Recht des öffentlichen Dienstes in vielen Details, aber sie folgen keinem durch- dachten Konzept, das für eine Reform zur Modernisie- rung des Dienstrechts – nicht zuletzt angesichts des de- mografischen Wandels – notwendig wäre. Ihnen fehlt eine Vision, und Ihnen fehlt der Mut, über Ihre selbstge- setzte Grenze der Kosten- und Planstellenneutralität hin- wegzuschreiten. Mit Stückwerk kann man sich über die Zeit retten, aber die Probleme holen Sie über kurz oder lang unweigerlich ein.“ Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 908. Sitzung am 22. März 2013 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkom- mens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisa- tion – Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozial- gesetzbuch und anderer Gesetze – Gesetz zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 29575 (A) ) )(B) (C (D Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Entschließung zu fassen: Der Bundesrat stellt unter Heranziehung der Begrün- dung zur Gesetzesvorlage und der Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bun- desrates vom 4. Dezember 2012 – BR-Drucksache 661/12 (Beschluss) – zu § 11 fest, dass a) sogenannte „in-house-Methoden“, soweit zuge- lassene In-vitro-Diagnostika zur Verfügung ste- hen, auch weiterhin für anzeigepflichtige Tierseu- chen sowie melde- oder mitteilungspflichtige Tierkrankheiten unter bestimmten Voraussetzun- gen ohne Zulassung durch das Friedrich-Loeffler- Institut eingesetzt werden können und b) Tierimpfstoffe mit nationaler oder europäischer Zulassung im Falle eines Therapienotstandes auch weiterhin durch den Tierarzt für die von ihm behandelten Tiere in seiner Verantwortung umge- widmet werden dürfen, und bittet die Bundesregierung, zur bundeseinheitli- chen Anwendung Ausführungshinweise im Einver- nehmen mit den Ländern zu erarbeiten. – Drittes Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vor- schriften Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Entschließung zu fassen: 1. Zu Artikel 1 (§ 40 Absatz 1, Absatz 1a LFGB) a) Der Bundesrat weist darauf hin, dass über die Regelungen zur Information der Öffentlich- keit aus Gründen der Gefahrenabwehr gemäß § 40 Absatz 1 des Lebensmittel- und Futter- mittelgesetzbuchs hinaus zwischenzeitlich be- reits geltende bzw. sich in der Diskussion be- findliche Regelungen existieren, welche Ergebnisse der amtlichen Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung für die Verbrauche- rinnen und Verbraucher transparent machen sollen. Diese Regelungen stehen bislang weit- gehend beziehungslos nebeneinander und bie- ten den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht das erforderliche Informationsangebot. Die diversen Transparenzinstrumente werden von der betroffenen Wirtschaft zum Teil nicht akzeptiert und begegnen vor den Gerichten vor allem auf Grund ihrer handwerklichen Mängel teilweise erheblichen rechtlichen Be- denken. b) Der Bundesrat beobachtet mit Sorge, dass in- zwischen eine Reihe von Verwaltungsgerich- ten und Oberverwaltungsgerichten in ihren Eilentscheidungen grundsätzliche Fragen nach der Vereinbarkeit der Transparenzvor- schriften des Lebensmittel- und Futtermittel- gesetzbuches (LFGB) mit dem EU-Recht so- wie nach deren Verfassungsmäßigkeit aufgeworfen und Veröffentlichungen der Be- hörden nach § 40 Absatz 1a LFGB untersagt haben. Hierdurch wird die Möglichkeit für eine rechtskonforme Weiterführung des Voll- zugs durch die Landesbehörden zunehmend infrage gestellt. Der weitere Vollzug ist in ei- nigen Ländern bis zur endgültigen Entschei- dung dieser Fragen faktisch blockiert. c) Der Bundesrat bekräftigt seine in dem Be- schluss vom 1. Februar 2013 zum Entwurf ei- nes Dritten Gesetzes zur Änderung des Le- bensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften an die Bundesre- gierung (BR-Drucksache 789/12 – Beschluss –) vorgebrachte Forderung, insbesondere die dringend notwendige Überarbeitung des § 40 Absatz 1a LFGB in eine gesetzliche Gesamt- konzeption einzubinden. Hierbei sind vor- dringlich die Fragen hinsichtlich – der Doppeluntersuchungen, – der Dauer der Veröffentlichung bzw. der Löschungsfristen, – der „Nulltoleranz“, – der Veröffentlichung bei hinreichendem Verdacht auf eine Straftat, – dem Konkretisierungsgrad bei der Be- zeichnung des Lebensmittels zu klären und der Gesetzestext entsprechend zu überarbeiten. d) Der Bundesrat nimmt die in der Gegenäuße- rung der Bundesregierung zum Beschluss des Bundesrates vom 1. Februar 2013 (BR- Drucksache 789/12 – Beschluss –) dargelegte Dialogbereitschaft zur Kenntnis. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Bundesregierung keinerlei konkrete Änderungen zur Heilung der verwaltungsgerichtlich angemahnten Mängel oder gar grundsätzliche Veränderun- gen der gesetzlichen Vorschriften im Sinne ei- ner Konsolidierung der Transparenzregelun- gen für amtliche Überwachungsergebnisse vorgenommen hat. e) Der Bundesrat begrüßt zwar die Wiederein- führung der bereits bis zum 31. August 2012 geltenden Rechtsgrundlage für Veröffentli- chungen im Täuschungsfall. Die Schaffung dieses isolierten Instruments wird in Anbe- tracht der offenkundigen Anfälligkeit der üb- rigen Transparenzregelungen des LFGB aller- dings als nicht ausreichend erachtet. Insbesondere im Hinblick auf die zu Ende ge- hende Legislaturperiode des Deutschen Bun- destages verzichtet der Bundesrat jedoch auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses, um die damit verbundene – geringfügige – Verbesserung der Transparenz amtlicher Überwachungsergebnisse nicht zu verzögern. f) Der Bundesrat stellt auch vor dem Hinter- grund der aktuellen Geschehnisse im Bereich 29576 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 (A) ) )(B) (C (D der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit fest, dass es hinsichtlich der bestehenden oder in der öffentlichen Diskussion befindlichen Instrumente zur Transparenz der Ergebnisse der amtlichen Lebensmittel- und Futtermittel- überwachung, insbesondere der Regelungen des – § 40 Absatz 1 LFGB, – § 40 Absatz 1a LFGB, – Verbraucherinformationsgesetzes sowie – der geplanten Einführung eines Kontroll- barometers der zeitnahen Erarbeitung einer gesetzlichen Gesamtkonzeption im Sinne eines abge- stimmten und in sich schlüssigen Transpa- renzsystems bedarf. Die Bundesregierung wird daher dringend aufgefordert, bezüglich dieses Themenkomplexes in einen Fachdialog mit den Ländern einzutreten. 2. Zu Artikel 1 Nummer 5 Buchstabe a (§ 42 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 bis 7 – neu – LFGB) Die Bundesregierung wird gebeten, die Ziffer 3 (zu Artikel 1 Nummer 5 Buchstabe a (§ 42 Ab- satz 3 Satz 2 LFGB)) des Beschlusses des Bun- desrates vom 1. Februar 2013 zu Drucksache 789/12 unverändert weiterzuverfolgen. Für den Fall, dass die Bundesregierung unüber- windbare Bedenken hinsichtlich des Datenschut- zes hegt, wird sie gebeten, bei der Neufassung des § 42 Absatz 3 Satz 2 LFGB folgende Punkte zu berücksichtigen: Beim Auftreten eines durch Lebensmittel beding- ten Krankheitsausbruchs ist es erforderlich, dass die betroffenen Behörden aus den Bereichen Ge- sundheits- sowie Lebensmittelüberwachung eng zusammenarbeiten. In Fällen, in denen Verbrau- cherinnen und Verbraucher der Lebensmittelüber- wachung wesentliche Informationen zu (mögli- chen) Ausbruchsgeschehen geben, muss die Möglichkeit bestehen, diese Informationen schnell und effektiv der Gesundheitsüberwa- chung zu übermitteln. Eine Beschränkung auf Kontaktdaten der Betroffenen sowie die Ver- pflichtung auf Einholung einer schriftlichen Ein- willigung der Verbraucherinnen und Verbraucher ist entbehrlich, sie erschwert und verzögert die behördliche Ausbruchsbekämpfung. Begründung: Der Bundesrat hatte am 1. Februar 2013 zur BR- Drucksache 789/12 unter Ziffer 3 (zu Artikel 1 Nummer 5 Buchstabe a (§ 42 Absatz 3 Satz 2)) eine Aufzählung von möglichen Informationen, die den nach § 25 Absatz 1 Infektionsschutzge- setz zuständigen Behörden zu übermitteln sind, beschlossen. Darunter findet sich als Nummer 7 das Auffangkriterium „sowie weiteren gegebe- nenfalls vorliegenden, relevanten Daten“. Der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundesta- ges (BR-Drucksache 151/13 – neu –) zielt darauf ab, die Weiterleitung von Kontaktdaten, die der Endverbraucher der Lebensmittelüberwachung gegeben hat, von einer schriftlichen Einwilligung abhängig zu machen. Eine Möglichkeit, weitere ermittlungsrelevante Daten wie beispielsweise Namen weiterer, möglicherweise betroffener Per- sonen zu kommunizieren, bestünde demnach nicht. Diese Formulierung berücksichtigt nicht ausreichend die Interessen des vorbeugenden Verbraucherschutzes sowie die Erkenntnisse aus bisherigen Ausbruchsgeschehen. 3. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a und Num- mer 2 (§ 17a LFGB) Der Bundesrat weist darauf hin, dass im Rahmen der Versicherungslösung der Schadensausgleich auch im Falle des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gewährleistet sein muss. Begründung: Entgegen häufig im Versicherungswesen anzu- treffendem Leistungsausschluss bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit muss unbeschadet eventuel- ler Rückgriffsrechte der Versicherung auf den Schadensverursacher sichergestellt sein, dass die einzuführende Versicherung in jedem Fall zum Ausgleich der Schäden verpflichtet ist (Analogie zur KFZ-Haftpflichtversicherung). 4. Zu Artikel 1 (§ 24 LFGB) Die Bundesregierung wird gebeten, kurzfristig zu prüfen, inwieweit in das Lebensmittel- und Fut- termittelgesetzbuch, z. B. in § 24, eine Haftungs- regelung integriert werden kann, die Einkom- mensausfälle landwirtschaftlicher Betriebe ausgleicht, die infolge von Futtermittellieferun- gen entstehen, die insbesondere nicht die Anfor- derungen des Artikels 4 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 767/2009 vom 13. Juli 2009 über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln erfüllen. Die Haftung muss insbesondere auch Fälle abdecken, in denen landwirtschaftliche Betriebe aufgrund von Verdachtsfällen gesperrt werden und ihre Produkte deshalb zeitweise nicht vermarkten dür- fen, auch wenn sich der Verdacht schließlich nicht bestätigt. Begründung: Der aktuelle Fall des mit Aflatoxin B1 belasteten Maises aus Serbien wie auch das Dioxingesche- hen aus dem Jahr 2010/2011 zeigen, dass eine sehr große Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe unter Verdacht geraten kann, belastetes Futter verfüttert zu haben. Diese Betriebe dürfen so lange nicht vermarkten, bis durch eine Beprobung die Sicherheit ihrer Produkte einwandfrei festgestellt wurde. Die be- troffenen Tierhalter erleiden durch die Betriebs- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 29577 (A) ) )(B) (C (D sperre in der Regel unverschuldet z.T. erhebliche Einkommensverluste. Zum Schutz dieser Betriebe bedarf es einer um- fassenden Haftungsregelung, die auch für Schä- den aus Verdachtsfällen gilt. Die mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Le- bensmittel- und Futtermittelgesetzbuches be- schlossene Haftungsregelung reicht dafür nicht aus. 5. Zur Verordnung (EG) Nr. 178/2002 Die Bundesregierung wird gebeten, sich auf EU- Ebene dafür einzusetzen, dass eine Information der Öffentlichkeit über erhebliche Verstöße unter- halb der Schwelle von Gesundheitsgefahren in die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäi- schen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Le- bensmittelsicherheit und zur Festlegung von Ver- fahren zur Lebensmittelsicherheit aufgenommen wird. Begründung: Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sieht nach derzeitigem Rechtsstand eine Information der Öf- fentlichkeit alleine bei Gesundheitsgefahren vor. Regelungen zur Information der Öffentlichkeit unterhalb der Schwelle von Gesundheitsgefahren müssen von den einzelnen Mitgliedstaaten getrof- fen werden. Hierdurch ergeben sich unterschied- liche Regelungen in jedem Mitgliedstaat. Die aktuellen Ereignisse zu Täuschungshandlun- gen mit Pferdefleisch in Rindfleischprodukten haben verdeutlicht, dass eine europaweit einheit- liche Vorgabe zur Veröffentlichung notwendig ist. Lebensmittel gleicher Herkunft werden oftmals in mehrere Mitgliedstaaten vertrieben. Für die In- formation des Verbrauchers über Verstöße unter- halb der Schwelle der Gesundheitsgefahr darf es keinen Unterschied machen, in welchem Mit- gliedstaat der Verbraucher das Produkt erwirbt. – Gesetz zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften – Drittes Gesetz zur Änderung des Vorläufigen Ta- bakgesetzes – Erstes Gesetz zur Änderung des Holzhandels- Sicherungs-Gesetzes Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Entschließung zu fassen: Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, um- gehend, bis spätestens zum Ende der Legislaturpe- riode, eine umfassend und abschließend gültige allge- meine Verwaltungsvorschrift zur einheitlichen Ausgestaltung der Überwachungstätigkeit der Länder zu beschließen und diese dem Bundesrat vorzulegen. – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsvorschussge- setzes und anderer Gesetze (Unterhaltsvorschuss- entbürokratisierungsgesetz) – Gesetz zur Vermeidung von Gefahren und Miss- bräuchen im Hochfrequenzhandel (Hochfrequenz- handelsgesetz) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Der Hochfrequenzhandel hat in jüngerer Zeit eine zu- nehmend wichtigere Rolle auf den Finanzmärkten er- langt. Hierbei setzen Marktteilnehmer im elektroni- schen Handel algorithmische Handelsprogramme ein, die Kauf- und Verkaufssignale in extrem kurzen Ab- ständen generieren und dabei nur äußerst kurze Halte- fristen vorsehen. Schätzungen zufolge macht der Hochfrequenzhandel an deutschen Börsen mittler- weile mehr als 40 Prozent des gesamten Handelsvolu- mens aus. Die hieraus entstehenden Risiken können beispiels- weise in starken und irrationalen Kursschwankungen, überlasteten Handelssystemen sowie neuen Miss- brauchsmöglichkeiten bestehen. Die Auswirkungen auf den Finanzmarkt als solchen sind kaum prognosti- zierbar. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Gesetz die Probleme und Risiken des Hochfrequenzhandels er- kennt, wesentliche Konzepte zur Lösung der Pro- bleme aber nicht aufgreift. Dem Bundesrat stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die Intensivie- rung der Diskussion und die Erarbeitung von Lö- sungskonzepten auf der europäischen Ebene aus deut- scher Sicht nicht die vorzugswürdige Strategie dargestellt hätte. Ein wesentlicher Ansatz zur Vermeidung risikobehaf- teter und missbräuchlicher Praktiken im Bereich des Hochfrequenzhandels könnte nach Auffassung des Bundesrates der Ausschluss bestimmter Handelsvari- anten wie Warentermingeschäfte und Staatsanleihen vom Hochfrequenzhandel darstellen. Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass die volkswirt- schaftlich größten Risiken, die aus dem Hochfre- quenzhandel folgen können, wie prozyklisch verstär- kender Handel und sogenannte Flash-Crashs, eingedämmt werden. – Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften – Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewe- gung und die Fortschreibung des Bevölkerungs- standes (Bevölkerungsstatistikgesetz – BevStatG) – Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbetei- ligung und Vereinheitlichung von Planfeststel- lungsverfahren (PlVereinhG) – …Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes 29578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 (A) ) )(B) (C (D Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: 1. Die Informations- und Kommunikationsmöglich- keiten des Internets und digitaler Medien sind faszinierend. Sie bieten insbesondere neue Mög- lichkeiten der demokratischen Öffentlichkeit und Beteiligung. Gleichzeitig stellen sie alle Medien- schaffenden – etablierte Medienhäuser ebenso wie neue Plattformen und Dienstleister – vor die Herausforderung, Geschäftsmodelle zu entwi- ckeln, die diesen neuen medialen Möglichkeiten gerecht werden. Dabei wird es im Hinblick auf die gesellschaftlich notwendige Öffentlichkeit auch in Zukunft darauf ankommen, dass wir qua- litativ hochwertige journalistische Berichterstat- tung weiterhin wirtschaftlich ermöglichen und zugleich gesellschaftlich zugänglich halten. Ur- heber, Verleger und Plattformbetreiber brauchen Spielregeln, die für einen fairen Ausgleich ihrer unterschiedlichen Interessen sorgen können, um digitale Freiheit zu ermöglichen. In diesem Zu- sammenhang sieht der Bundesrat die Notwendig- keit einer Regelung, die klärt, wie und unter wel- chen Bedingungen presseverlegerische Produkte im Netz genutzt werden können. Eine solche Re- gelung ist dann fair, wenn sie einerseits Presse- verlagen die Verfügung über ihre Produkte im Netz sichert und es ihnen ermöglicht, die unauto- risierte Verwendung ihrer Artikel durch Dritte zu unterbinden, wenn sie aber anderseits die Legiti- mität neuer, fairer Geschäftsmodelle der Inhalte- distribution im Netz nicht infrage stellt und die Auffindbarkeit von Inhalten grundsätzlich wahrt. Darüber hinaus darf sie die Durchsetzbarkeit der Rechte der Urheber nicht beschneiden und sollte mit Verbesserungen im Urhebervertragsrecht ab- gestimmt sein. 2. Das vom Deutschen Bundestag beschlossene Ge- setz zu einem Leistungsschutzrecht genügt diesen Anforderungen nicht und läuft den genannten Zielen zuwider. Es ist außerdem handwerklich schlecht gemacht, denn es beinhaltet zahllose un- bestimmte Rechtsbegriffe und schafft dadurch rechtliche Grauzonen, die voraussichtlich erst nach langjährigen gerichtlichen Auseinanderset- zungen geklärt sein werden. Der Bundesrat be- dauert, dass die Bundesregierung es versäumt hat, im Gespräch mit den verschiedenen betroffenen Gruppen und Unternehmen eine Lösung zu erar- beiten, die einen fairen Ausgleich zwischen den Betroffenen vornimmt und dabei der positiven Dynamik neuer digitaler Geschäftsmodelle ebenso gerecht wird wie der Bedeutung des Bei- trags verlegerischer Leistungen zur journalis- tisch-demokratischen Öffentlichkeit. Da es sich bei dem vom Deutschen Bundestag bereits be- schlossenen Gesetz um ein Einspruchsgesetz han- delt, hat der Bundesrat keine Möglichkeit, das Gesetz endgültig aufzuhalten. Der Bundesrat hält den von der Bundesregierung und der Mehrheit des Deutschen Bundestages gewählten Weg, ein Gesetz dieser Tragweite im Eilverfahren ohne ausreichende Beratung zu beschließen und durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen, für falsch. 3. Der Bundesrat hält es für notwendig, unter Einbe- ziehung aller Akteure einen Vorschlag zu entwi- ckeln, der die Möglichkeiten der Presseverleger zur Rechtsdurchsetzung im Hinblick auf bereits bestehende, ggf. abgeleitete, Urheberrechte stärkt, dabei die Interessen der Urheber – hier ins- besondere Journalistinnen und Journalisten – vollständig wahrt und den Grundsatz der Infor- mationsfreiheit gewährleistet. Es geht insbeson- dere darum, die unberechtigte und systematische Verwertung presseverlegerischer Produkte zu un- terbinden und Investitionen in die Herstellung und Veröffentlichung journalistischer Informa- tion zu schützen, ohne dadurch die Auffindbar- keit von Information zu gefährden oder die Ent- wicklung neuer Geschäftsmodelle zu behindern. Eine solche Regelung ist damit Teil der Rahmen- bedingungen der digitalen Medienwirtschaft und braucht daher die Akzeptanz sowohl der Inhalte- produzenten als auch der neuen digitalen Inhalte- verwerter. 4. Eine solche Regelung wird die Unterstützung des Bundesrates finden. Angesichts der wenigen Zeit, die in der aktuellen Legislaturperiode des Deut- schen Bundestages verbleibt, sollte sie nunmehr im Konsens und im Hinblick auf die nächste Le- gislaturperiode gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet werden. Der Bundesrat erwartet, dass eine neue Bundesregierung nach dem 22. Sep- tember dieses Jahres einen Vorschlag zur Novel- lierung des jetzt vom Deutschen Bundestag be- schlossenen und gemessen an den genannten Kriterien unzureichenden Gesetzes vorlegen wird. – Gesetz zur Einführung von Kostenhilfe für Dritt- betroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie zur Ände- rung der Finanzgerichtsordnung Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat begrüßt die zügige Änderung der Fi- nanzgerichtsordnung im Sinne seines Gesetzentwurfs, vgl. BR-Drucksache 40/13 (Beschluss). Gleichzeitig bedauert er jedoch, dass abweichend von diesem Ge- setzentwurf durch den vom Deutschen Bundestag be- schlossenen § 38 Absatz 2a Satz 3 FGO die Neurege- lung auf Verfahren beschränkt wurde, die vor dem 1. Mai 2016 anhängig werden. Diese zeitliche Einschränkung ist sachlich nicht ge- rechtfertigt. Die Neuregelung zielt gerade darauf ab, die derzeitige Verteilung der örtlichen Zuständigkeit der Finanzgerichte in Angelegenheiten des Familien- leistungsausgleichs der Sache nach beizubehalten. Die Praxisbewährung dieser Zuständigkeitsvertei- lung steht daher nicht aus, sondern wird durch die ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 29579 (A) ) )(B) (C (D genwärtigen gerichtlichen Verhältnisse bereits ausrei- chend belegt. Im Interesse eines zügigen Inkrafttretens des Gesetzes sieht der Bundesrat gleichwohl davon ab, aus diesem Grunde den Vermittlungsausschuss anzurufen. Er er- wartet jedoch, dass die Beschränkung der neuen Zu- ständigkeitsregelung auf vor dem 1. Mai 2016 anhän- gige Verfahren zu gegebener Zeit im Sinne einer dauerhaften Beibehaltung der Neuregelung aufgeho- ben wird. – Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren – Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radio- aktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtan- lage Asse II – Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Soldatenge- setzes – Gesetz über konjunkturstatistische Erhebungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen und zur Än- derung von Vorschriften des Zulassungsverfah- rens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen – Gesetz zu dem Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala Lumpur vom 15. Oktober 2010 über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit – Gesetz zu dem Vertrag vom 12. Januar 2012 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammen- arbeit bei der Bekämpfung des grenzüberschrei- tenden Missbrauchs bei Sozialversicherungsleis- tungen und -beiträgen durch Erwerbstätigkeit und bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsu- chende sowie von nicht angemeldeter Erwerbstä- tigkeit und illegaler grenzüberschreitender Leih- arbeit (Deutsch-Niederländischer Vertrag zur Bekämpfung grenzüberschreitender Schwarzar- beit) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Entflechtungsinstrument ins Wett- bewerbsrecht einfügen auf Drucksache 17/3062 zu- rückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und den Verein- ten Nationen und einzelnen, global agierenden, interna- tionalen Organisationen und Institutionen im Rahmen des VN-Systems in den Jahren 2010 und 2011 – Drucksachen 17/10502, 17/10707 Nr. 1.11 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter- parlamentarischen Union 127. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 21. bis 26. Oktober 2012 in Quebec, Kanada – Drucksachen 17/12312, 17/12441 Nr. 1.5 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraft- verkehrsgesetzes und des Fahrpersonalgesetzes – Drucksache 17/1395 – hier: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäuße- rung der Bundesregierung – Drucksachen 17/1903, 17/2061 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über Verkehrsverlagerungen auf das nachge- ordnete Straßennetz in Folge der Einführung der Lkw- Maut – Drucksachen 17/12028, 17/12238 Nr. 1.6 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2011 – Drucksachen 17/12230, 17/12441 Nr. 1.3 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2009 – Drucksachen 17/5170, 17/5820 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2010 – Drucksachen 17/9522, 17/9802 Nr. 1.7 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/790 Nr. 1.29 Ratsdokument 9864/09 Drucksache 17/12449 Nr. A.8 Ratsdokument 5736/13 Drucksache 17/12449 Nr. A.9 Ratsdokument 5899/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.5 Ratsdokument 5855/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.6 Ratsdokument 5960/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.7 Ratsdokument 5985/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.8 Ratsdokument 6012/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.9 Ratsdokument 6013/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.10 Ratsdokument 6014/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.11 Ratsdokument 6015/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.12 Ratsdokument 6017/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.13 Ratsdokument 6019/13 29580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2013 (A) (C) (D)(B) Drucksache 17/12587 Nr. A.14 Ratsdokument 6020/13 Drucksache 17/12587 Nr. A.15 Ratsdokument 6347/13 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/10208 Nr. A.21 Ratsdokument 10032/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.18 Ratsdokument 16425/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.19 Ratsdokument 16498/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.21 Ratsdokument 16547/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.42 Ratsdokument 16571/12 Drucksache 17/12449 Nr. A.11 Ratsdokument 5682/13 235. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 36 Förderung der Prävention TOP 37 Wirtschaftskriminalität ZP 11 Verkürzung von Aufbewahrungsfristen TOP 39 Recht auf ein Girokonto TOP 38 Förderung deutscher Auslandsschulen TOP 41 Informationsfreiheit TOP 40 Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten ZP 12 Aktuelle Stunde zur Visapolitik Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723500000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-
vor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir die
Wahl eines Vertreters der Bundesrepublik Deutsch-
land zur Parlamentarischen Versammlung des Euro-
parates durchführen. Die FDP-Fraktion schlägt vor,
dass für den aus diesem Gremium ausscheidenden Kol-
legen Dr. Stefan Ruppert der Kollege Manuel Höferlin
als stellvertretendes Mitglied benannt wird. Ich gehe da-
von aus, dass Sie damit einverstanden sind. – Das ist of-
fenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Höferlin als
stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Ver-
sammlung gewählt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße heute
Morgen besonders herzlich den polnischen Botschafter,
der auf der Ehrentribüne Platz genommen hat.


(Beifall)


Denn wir gedenken heute in Polen wie in Deutschland
des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto, der vor
70 Jahren, am 19. April 1943, begonnen hat.

Hinter den drei Meter hohen Mauern des hermetisch
abgeriegelten Viertels lebten zu dieser Zeit noch Zehn-
tausende verzweifelte, größtenteils längst entkräftete

geht, dass die ganze Welt wissen soll, wie hoff-
nungslos, schwer und blutig dieser Kampf war.

Diese Worte stammen von Leon Rodal, einem der Kom-
mandanten des Aufstandes.

Die Juden im Warschauer Ghetto wussten, dass sie
keine Chance gegen den übermächtigen Angreifer hat-
ten. Sie wollten aber kämpfen – einen aussichtslosen,
verzweifelten Kampf um die Würde ihres Volkes. „Der
Kampf war ein Zeichen des Protestes gegen die Gleich-
gültigkeit der Welt angesichts des Holocaust und eines
heroischen Widerstandes“, heißt es in einer Entschlie-
ßung des Sejm der Republik Polen zum 70. Jahrestag des
Aufstandes.

Nur spärlich mit Pistolen, Handgranaten, selbst ge-
machten Molotowcocktails und Gewehren bewaffnet,
kämpften die etwa 750 Aufständischen fast vier Wochen
lang gegen mehr als 2 000 schwer bewaffnete Deutsche,
die durch Panzer, Artillerie und Luftwaffe unterstützt
wurden. Am Ende war das Ghetto völlig vernichtet.
Haus für Haus wurde von den Deutschen in Brand ge-
steckt und gesprengt. Die Große Synagoge von War-
schau hatte der fanatische SS-General Jürgen Stroop ei-
genhändig gesprengt. In seinem Bericht liefert er die
präzise Zahl der Opfer: 56 065 Tote.
Menschen. Sie sollten – wie seit 1942 schon rund
300 000 Frauen und Männer, Kinder und Greise – in den
Tod deportiert werden. Im Morgengrauen des jüdischen
Passahfestes zur Erinnerung an den im Buch Mose be-
schriebenen Auszug aus der ägyptischen Sklaverei mar-
schierten SS-Einheiten in das Ghetto ein.

Das Datum für die endgültige Vernichtungsaktion war
sicher nicht zufällig gewählt. Schon der Beschluss über
die Schaffung des Warschauer Ghettos wurde auf zyni-
sche Art am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur,
am 12. Oktober 1940, per Straßenlautsprecher bekannt
gegeben. Auch die großen Deportationen begannen am
Vorabend eines jüdischen Feiertages, am 22. Juli 1942.

Wir werden alle fallen, manche mit der Waffe in der
Hand, andere als vergebliche Opfer. Aber es ist
wichtig, dass das Gedenken um uns nicht verloren

Nur wenigen Aufständischen gelang die Flucht durch
unterirdische Kanäle. Der Aufstand war militärisch ge-
scheitert; er war dennoch nicht vergeblich. Dieser
Kampf wurde in den nachfolgenden Monaten zum Vor-
bild für Juden in anderen Ghettos und Lagern. Und er
steht stellvertretend für den vielfältigen jüdischen Wi-
derstand, den es während des Nationalsozialismus gege-
ben hat.

Denn nicht „wie die Lämmer zur Schlachtbank“ ha-
ben sich die Juden Europas führen lassen – im Ge-
genteil, wo immer sie die Möglichkeit dazu fanden,
haben sich jüdische Männer und Frauen gegen die
Mörder zur Wehr gesetzt.

Das unterstrich der im vergangenen Jahr verstorbene
Historiker Arno Lustiger, selbst KZ-Überlebender und,
wie sich viele von uns erinnern werden, 2005 Redner bei





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) )


)(B)


(C (D der Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus hier im Deutschen Bundestag. Ich möchte Sie bitten, sich für einen Augenblick von den Plätzen zu erheben. Wir verneigen uns heute vor den mutigen Frauen und Männern und allen Opfern des Warschauer Ghettos. Ihr Kampf um die Menschenwürde ist und bleibt ein Vermächtnis für die nachfolgenden Generationen. Vielen Dank. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: a)


(Die Anwesenden erheben sich)

CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Förderung der Prävention

– Drucksache 17/13080 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Förderung der Sicherstellung des

(Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz – ANSG)


– Drucksache 17/13081 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1723500100

Guten Morgen, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Koalition legt Ihnen heute zwei Ge-
setzentwürfe vor, die die Versorgung der Versicherten in
Deutschland verbessern werden.

Das erste Gesetz, das Ihnen vorliegt, ist das Gesetz
zur Förderung der Prävention. Wie viele Jahre haben wir
hier im Deutschen Bundestag im Rahmen der Debatte
über die Gesundheitspolitik überlegt, wie wir ein Prä-
ventionsgesetz gestalten und auf den Weg bringen kön-
nen? Die Koalition hat ihr Versprechen aus dem Koali-

tionsvertrag gehalten und in dieser Legislaturperiode ein
Gesetz zur Stärkung der Prävention vorgelegt, das end-
lich auch in den parlamentarischen Beratungen diskutiert
werden kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Solidarität und Eigenverantwortung gehören für die
christlich-liberale Koalition untrennbar zusammen, weil
wir wissen, dass die Solidargemeinschaft die großen Ri-
siken teilt, weil wir wissen, dass sich die Versicherten
darauf verlassen wollen, dass für die großen Risiken die
Solidargemeinschaft eintritt. Wir wissen aber auch, dass
die Solidargemeinschaft sich darauf verlassen möchte,
dass jeder Einzelne in Eigenverantwortung für seine Ge-
sundheit tut, was der Einzelne in Eigenverantwortung
für seine Gesundheit tun kann. Durch gesunde Ernäh-
rung, durch mehr Bewegung, durch das Beschäftigen mit
der eigenen Gesundheit können wir selbst bestimmte
Krankheitsrisiken minimieren. In einer alternden Bevöl-
kerung, in der die Kosten für Gesundheit eher steigen
werden, ist es umso wichtiger, in die Gesunderhaltung
der Menschen zu investieren, einen Schwerpunkt auf
den Bereich Prävention zu legen. Das genau leistet der
Entwurf eines Präventionsgesetzes für den Bereich des
Gesundheitswesens.

Wir haben viele Maßnahmen vorgeschlagen, wie wir
davon wegkommen können, dass die Krankenkassen ihre
Präventionsmaßnahmen allein nach Marketing- und Ver-
triebsgesichtspunkten ausrichten; denn das ist offenbar
der Fall. Wir wollen, dass die Krankenkassen endlich ver-
pflichtet werden, mehr Gelder für Präventionsmaßnah-
men zur Verfügung zu stellen. Dieser Gesetzentwurf sieht
vor, dass die Ausgaben für die betriebliche Gesundheits-
förderung verdreifacht werden. Dieser Gesetzentwurf
sieht vor, dass auch die Ausgaben der Krankenkassen für
Lebensweltenprogramme, das heißt für Programme in so-
zialen Brennpunkten, für sogenannte Settingmaßnahmen,
mit denen wir Menschen in ihrer Lebenswelt abholen, um
sie für das Thema Prävention zu gewinnen, verdreifacht
werden. Das heißt, wir nehmen bei den Krankenkassen
eine neue Schwerpunktsetzung im Bereich Prävention
vor.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben zwar festgestellt, dass es schon heute viele
Menschen gibt, die sich mit ihrer Gesundheit beschäfti-
gen, wir haben aber auch festgestellt, dass wir diejenigen
Menschen erreichen müssen, die sich bisher noch nicht
mit ihrer Gesundheit beschäftigen. Die Idee, diese Men-
schen über den Betrieb zu erreichen, ist sehr erfolgver-
sprechend. Es gibt Studien, die belegen: 1 Euro, inves-
tiert in betriebliche Gesundheitsförderung, bringt einen
sogenannten Return on Prevention von über 2 Euro. Das
zeigt: Diese Investitionen lohnen sich sowohl für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch für den Be-
trieb. Wir wissen, dass es viele Großunternehmen gibt,
die sehr gute Projekte im Bereich betriebliche Gesund-
heitsförderung anbieten. Aber gerade bei den kleinen
und mittelständischen Betrieben haben wir Nachholbe-
darf. Deswegen ist es richtig, dass mit diesem Gesetzent-
wurf ein klarer Schwerpunkt gelegt wird: Mit diesem





Bundesminister Daniel Bahr


(A) )


)(B)


(C (D Gesetzentwurf wird insbesondere das Ziel verfolgt, kleinen und mittleren Betrieben, in denen die meisten Menschen in Deutschland arbeiten und in denen viele Ausbildungsplätze geschaffen werden, gezielt einen Anreiz zu bieten, um Maßnahmen im Bereich der betrieblichen Prävention zu starten. Zu der Kritik, das sei zu wenig, man müsse hier und dort noch mehr machen – das werden wir gleich vonseiten der Opposition hören –, sage ich: Am Ende werden Sie von Rot-Grün und von den Linken die Frage beantworten müssen, ob Sie diese Maßnahmen für falsch halten; denn nur wenn Sie sie für falsch halten, können Sie sie ablehnen. Diese Maßnahmen, diese Investitionen in Lebensweltenprogramme und betriebliche Gesundheitsförderung, die auch Sie im Kern für richtig halten – das werden Sie nicht bestreiten können –, die brauchen wir. Daher sollten Sie das nicht ablehnen. Wir müssen diese Dinge voranbringen. Gerade die Lebensweltenprogramme sind wichtig. Wir stellen fest, dass immer mehr Kinder in die Schule gehen, ohne zu Hause ein Frühstück bekommen zu haben, dass sie in den Familien offenbar nicht mehr lernen, was gesunde Ernährung ist, dass sich das Freizeitverhalten offenbar verändert hat, dass Bewegung nicht mehr das typische Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen ist. Deswegen müssen wir in die Kitas, in die Grundschulen, in die weiterführenden Schulen und in die Sportvereine gehen, um Kinder und Jugendliche für das Thema Prävention, für gesunde Ernährung, für mehr Bewegung, für ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu begeistern. Wenn wir nicht in Kinder und Jugendliche investieren und nicht frühzeitig durch Lebensweltenprogramme mehr tun zur Förderung der Gesundheit, wird sich das später rächen, weil die Kosten für das Gesundwerden viel höher sind. Deswegen ist dies ein kluger Gesetzentwurf. Wir investieren in Kinder und Jugendliche. Der Gesetzentwurf sieht die Schaffung einer ständigen Präventionskonferenz vor. Als Gesundheitsminister habe ich die Verantwortung für die Gesundheitspolitik. Es wird gesagt – das ist die Kritik –, auch bei den Kommunen und Ländern müsse mehr gemacht werden. Dieser Entwurf eines Präventionsgesetzes ist doch eine Einladung an die Länder, mehr zu tun und sich mit weiteren Projekten zu beteiligen. Es wird ja auch schon viel getan; das wollen wir doch gar nicht in Abrede stellen. Mit der ständigen Präventionskonferenz schaffen wir jetzt aber endlich ein Gremium, in dem sich alle austauschen können, sodass sie abgestimmt agieren und überprüfen können, welche Fortschritte wir machen. Erstmals werden die Gesundheitsziele aus dem Gesundheitsziele.deProzess in ein Gesetz geschrieben und damit verpflichtend für die Krankenversicherungen, damit wir alle wissen, welche Ziele wir erreichen wollen, was wir voranbringen wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir sehen ferner vor, dass die Versicherten durch ei-
nen Check-up die Gelegenheit erhalten, konkrete Prä-

ventionsempfehlungen zu erhalten, damit sie wissen,
was sie besser machen können. Wir sehen vor, dass die
Lücke bei den Grundschulkindern durch eine zusätzliche
Kindervorsorgeuntersuchung, eine zusätzliche U-Unter-
suchung, geschlossen wird. In diesem Bereich haben wir
nämlich eine Lücke. Der Gesetzentwurf schafft die Vo-
raussetzung zur Schließung dieser Lücke.

Dies sind viele gute Maßnahmen, die Sie, glaube ich,
inhaltlich auch gar nicht ablehnen, weil Sie sie für rich-
tig halten. Wir können gerne darüber streiten, was man
in anderen Bereichen noch tun kann; das sollten wir ma-
chen. Aber wir müssen auch diese Maßnahmen, um die
es heute geht, in den verbleibenden Monaten noch auf
den Weg bringen.

Ein zweiter Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der
Versorgung der Menschen insbesondere im ländlichen
Raum. Wir haben mit dem Versorgungsstrukturgesetz,
mit dem sogenannten Landärztegesetz, einen ganz wich-
tigen Beitrag geleistet, dass die Menschen in Deutsch-
land sich weiterhin darauf verlassen können, dass sie ei-
nen Arzt vor Ort haben. Wer den Landarzt nicht nur aus
einer idyllischen Vorabendserie kennen will und auch
noch eine Landapotheke vor Ort haben möchte, der muss
auch einen Beitrag dazu leisten, dass dies finanziell
möglich ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen, dass gerade die Apotheken in der Fläche
viel häufiger einen Notdienst machen müssen, es aber
für sie schwierig ist, das kostendeckend zu machen, weil
diese Apotheken nicht so häufig aufgesucht werden.
Deswegen wollen wir mit dem Apothekennotdienst-
sicherstellungsgesetz für eine Anerkennung dieser Ge-
meinwohlpflicht der Apotheker sorgen. Ja, wir als christ-
lich-liberale Koalition stehen zu der inhabergeführten
Apotheke. Wir wissen, dass der Apotheker Gemein-
wohlpflichten wie Nacht- und Wochenenddienst zu leis-
ten hat. Weil er unabhängig beraten soll, sind wir auch
weiterhin für den Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzver-
botes. Wir wollen die inhabergeführte Apotheke vor Ort
erhalten. Mit diesem Gesetzentwurf leisten wir einen
Beitrag dazu, dass diese Gemeinwohlpflichten auch fi-
nanziell anerkannt werden.

Sie von Rot-Grün wollen das Fremd- und Mehrbesitz-
verbot abschaffen. Das ist die Beschlusslage bei den
Grünen, und das ist die Beschlusslage vom letzten Par-
teitag der SPD.


(Widerspruch bei der SPD – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es, wenn ihr einmal über eure Politik redet und was die mit den Apotheken macht?)


– Wir haben sie ja gar nicht geändert. – Sie wollen Apo-
thekenketten. Sie wollen, dass die Menschen sich nicht
mehr darauf verlassen können, von einem unabhängigen
Apotheker vor Ort versorgt zu werden, der rund um die
Uhr diese Gemeinwohlpflichten erfüllt. Das macht die
Unterschiede zwischen uns deutlich. Wir setzen uns da-
für ein, dass durch die freiberuflich tätigen Apotheker
die gute Versorgung mit Arzneimitteln auch in der Flä-





Bundesminister Daniel Bahr


(A) )


)(B)


(C (D che erhalten bleibt. Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Beitrag dazu. Vielen Dank. Der Kollege Lauterbach erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Diese unwahre, aber auch völlig überflüssige Wahlkampfverbeugung vor den Apothekern in Richtung Fremdund Mehrbesitzverbot hätten Sie sich sparen können. Darum geht es heute nicht, und es war auch noch falsch. Wir sprechen heute über zwei Gesetzentwürfe. Ich fange einmal mit dem Präventionsgesetz an. Dies hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem, was wir gestern bei der Quote gesehen haben. Wir beschließen de facto nichts. Das ist im Prinzip die Verschiebung eines Gesetzes. Denn worum geht es hier? Insgesamt sollen etwa 180 Millionen Euro für die Vorbeugung zur Verfügung gestellt werden. Das sind etwa 12 Cent pro Versichertem pro Monat. Ich bitte Sie: Mit zusätzlichen 12 Cent pro Versichertem pro Monat – das reicht kaum für einen Brief alle paar Monate – werden Sie auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung keinen Einfluss nehmen. Das wissen Sie genauso wie ich. Das Gesetz ist ein Etikettenschwindel, mehr nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723500200
Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1723500300

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Sie werden hier auch unglaubwürdig, wenn man die
beiden Gesetzentwürfe, über die Sie vorgetragen haben,
im Zusammenhang betrachtet. Insgesamt werden für
70 Millionen Versicherte für die Vorbeugung aller Er-
krankungen etwa 180 Millionen Euro in die Hand ge-
nommen, und für die Landapotheker – es gibt etwa
10 000 Landapotheker – werden 100 Millionen Euro in
die Hand genommen. Somit sind Ihnen die 10 000 Apo-
theker ungefähr so viel wert wie die 70 Millionen Versi-
cherten. In Wirklichkeit geht es hier um eine Wahl-
kampfaktion.


(Beifall bei der SPD)


Sie verbeugen sich noch einmal vor dem Apotheker,
dem wir übrigens diese Zuschläge gönnen. Das erwähne
ich, damit wir uns nicht falsch verstehen.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha! – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das ist doch keine Verbeugung! Das ist eine Hilfe für den Nachtdienst, eine Sicherung der Versorgung! – Zurufe von der FDP: Ah!)


Die Landzuschläge sind nicht falsch, aber die Förderung
der Vorbeugemedizin sind Sie schuldig geblieben. Ich
will dies gleich näher erläutern.

Sie schaffen mit der Präventionskonferenz eine wei-
tere Gruppe, die Sie selbst leiten, verbunden mit büro-
kratischem Aufwand; Sie haben darauf hingewiesen.
Man wird sich beim Gesundheitsminister treffen, und
man wird Runde Tische veranstalten. Dies wird eine
weitere große Runde, in deren Rahmen Sie sich vor der
Presse zeigen und die 12 Cent pro Monat verteilen kön-
nen. Machen Sie sich doch nichts vor, dabei wird nichts
herauskommen. Das ist doch nur das, was Sie bisher im-
mer bekämpft haben: eine weitere Runde Bürokratie. In
diesem Fall gehört es zur Wahlkampfhilfe der FDP.


(Zuruf von der FDP: Was haben Sie gemacht?)


Eine regionale und konkrete Gesundheitsförderung,
bei der man Geld in die Hand nimmt und unbürokratisch
vor Ort hilft, funktioniert. Sie funktioniert beispielsweise
in Schweden. Gesundheitsvorsorge muss regional und
konkret sein. Man muss Geld in die Hand nehmen,


(Lars Lindemann [FDP]: Wie viel denn?)


und die Förderung muss unbürokratisch sein. Was Sie
uns hier und heute vorlegen, ist national, es ist abstrakt,
es wird dabei wenig Geld zur Verfügung gestellt
– 12 Cent pro Versichertem pro Monat –, und es ist büro-
kratisch. Von daher: Dieser Gesetzentwurf scheitert aus
meiner Sicht auf der ganzen Linie. Er ist nichts anderes
als ein Etikettenschwindel. Es wird eine neue Vorsorge-
bürokratie geschaffen, die wir nicht brauchen. Stattdes-
sen hätten Sie das beschließen müssen, was anderswo
funktioniert: regionale, konkrete Gesundheitsarbeit mit
den Menschen, die sie benötigen, und zwar in Schulen,
in Kitas und in den Problembereichen, also im Hinblick
auf Drogenabhängige, Menschen, die arbeitslos sind,
und Menschen, die große soziale Probleme haben.
Nichts zur Verbesserung der Gesundheitschancen und
zur Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich
kam in Ihrer Rede vor – das scheint Sie schlicht nicht zu
interessieren –, geschweige denn kommt dazu etwas in
Ihrem Gesetzentwurf vor, meine sehr verehrten Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie lassen aus meiner Sicht erneut die Einkommens-
schwachen, die Benachteiligten im Stich. Ich will das
konkret begründen. In Ihrem Gesetzentwurf ist nichts
vorgesehen, was das Rauchen in den Hauptschulen und
in den Förderschulen, wo wir derzeit die größten Pro-
bleme haben, beseitigen würde. In Ihrem Gesetzentwurf
ist nichts vorgesehen, was in irgendeiner Weise gezielt
arbeitslosen Menschen oder psychisch Kranken zugute-
käme. In Ihrem Gesetzentwurf ist nichts vorgesehen, um
das, was Sie vorhaben, in irgendeiner Weise zu integrie-
ren in Ihre Politik zur Bekämpfung der Armut, so selbige
überhaupt vorhanden ist, oder in Ihre Drogenpolitik. Sie
richten nur eine abstrakte Präventionskonferenz ein, die,
wenn sie sich große Ziele setzt, nicht das erforderliche
Geld hat, um sie zu erreichen, und die, wenn sie sich
kleine Ziele setzt, nicht über die notwendige Ahnung,
die man vor Ort haben muss, verfügt. Damit scheitern





Dr. Karl Lauterbach


(A) )


)(B)


(C (D Sie entweder an Ahnungslosigkeit oder am nicht vorhandenen Geld. Das ist alles, was Sie heute liefern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist nicht gelungen, auch nur eine einzige große
Studie zur Gesundheitsförderung aufzulegen. Es gibt in
Deutschland keine Gesundheitsforschung im Hinblick
auf die Vorbeugemedizin. Sie wissen überhaupt nicht,
was gemacht werden sollte. Sie sind im Blindflug unter-
wegs. Es gibt keine einzige nationale Studie – wie dies
zum Beispiel in den skandinavischen Ländern oder in
Amerika der Fall ist –, in der es konkret um den Gesund-
heitszustand unserer Kinder geht. Die traurige Wahrheit
ist, dass wir über die Gesundheit unserer Kinder zum jet-
zigen Zeitpunkt nicht viel wissen. Eine solche Studie
wäre noch nicht einmal teuer gewesen. Dazu, eine solche
Studie durchführen zu lassen, fehlte Ihnen aber schlicht
die Fantasie oder das Engagement. Da wäre das wenige
Geld besser investiert gewesen als in Kaffee und Kuchen
im Büro des Ministers.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Bla, bla, bla!)


Die Vision, die nötig gewesen wäre, haben Sie nicht.
Sie versprechen, dass Kinder- und Jugendärzte die drin-
gend benötigte bessere Unterstützung endlich bekom-
men. Sie machen aber nichts, um dafür zu sorgen, dass
es in den Problemgebieten mehr Kinder- und Jugend-
ärzte gibt. Von Ihnen gibt es keine einzige Initiative, um
sicherzustellen, dass es in den Brennpunkten demnächst
überhaupt noch Kinderärzte gibt. Was soll denn ein Ge-
setz, in dessen Rahmen man ein paar Cent mehr für nicht
vorhandene Kinder- und Jugendärzte in die Hand nimmt,
damit diese die Prävention verbessern? Wie soll das
funktionieren? Derjenige, der vor Ort nicht arbeitet,
kann davon nicht profitieren. Hätten Sie sich darüber so
viele Gedanken gemacht, wie Sie sie sich offenbar über
die Notfallversorgung der Apotheker auf dem Land ge-
macht haben, hätten Sie also auch Maßnahmen zur Ver-
besserung der Situation der Kinderärzte vorgeschlagen,
dann würde ich sagen: Das ist ein Ansatz, den man ver-
folgen kann. – Aber de facto waren Ihnen die Kinder-
und Jugendärzte diese Mühe nicht wert. Zumindest lässt
Ihr Gesetzentwurf dies nicht erkennen, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren.

Zum Schluss will ich sagen: Man merkt Ihrem Ge-
setzentwurf an, dass in der Präventionspolitik über Jahre
hinweg in diesem Hause wenig passiert ist. Das bekla-
gen Sie. Sie vergessen aber, zu erwähnen, dass es die
FDP und auf Länderebene immer auch die Union waren,
die ein Präventionsgesetz verhindert haben. Jetzt legen
Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, sozusagen
in den Vorwehen der bevorstehenden Bundestagswahl.
Wenn es um diesen Gesetzentwurf geht, muss man die
Umfrageergebnisse der FDP vor Augen haben. Sie ha-
ben sich zur Jagd tragen lassen und wollen nun diesen
lieblosen Gesetzentwurf beschließen, um sagen zu kön-
nen: Wir regieren noch. Wir sind noch da.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Bleiben wir auch!)


Wir machen in der Gesundheitspolitik noch bis zum
Schluss etwas. – Aber dieser Gesetzentwurf ist nichts
anderes als ein Etikettenschwindel. Er enttäuscht die
Menschen. Er lässt diejenigen zurück, die es am nötigs-
ten gehabt hätten, die Einkommensschwachen, die sozial
Schwachen und unsere Kinder. Das ist die Wahrheit zu
diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723500400

Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes

Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1723500500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! In die Gesundheit zu investieren, ist tausendmal
besser, als für die Behandlung von Krankheiten teuer zu
bezahlen. In einem haben Sie recht, Herr Kollege
Lauterbach: Seit vielen Jahren, seit nahezu zehn Jahren
wird über Präventionsmaßnahmen diskutiert.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ihr habt das Gesetz verhindert!)


Aber eines steht fest: Wir haben jetzt ein umfassendes
Konzept vorgelegt. Wir liefern. Das ist ein gutes Kon-
zept, und dies wird erfolgreich sein.

Was heißt Prävention? Prävention – vereinfacht aus-
gesprochen – heißt: gesund essen und möglichst viel be-
wegen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist ein bisschen schmal!)


Wir wollen niemanden gängeln, niemanden in seiner
Freiheit beschneiden oder gar mit finanziellen Nachtei-
len bedrohen. Für welche Art der Lebensführung sich je-
mand entscheidet, ist seine Sache. Aber wir wollen
schon mit Nachdruck Anreize setzen, werben und über-
zeugen, dass sich gesund leben lohnt, einfach weil man
sich besser fühlt und weil es solidarisch ist. Wer aber
Anreize setzen will, der muss Geld in die Hand nehmen.
Nur mit guten Worten geht es nicht.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: 12 Cent!)


Die gesundheitspolitische Debatte der letzten Jahr-
zehnte war maßgeblich geprägt von finanziell knappen
Kassen und roten Zahlen. Das hat sich geändert. Das ha-
ben wir in der christlich-liberalen Koalition verändert.
Jetzt wird nicht darüber diskutiert, wie rote Zahlen be-
seitigt werden können, sondern darüber, wie Über-
schüsse im Fonds und bei einem Teil der gesetzlichen
Krankenkassen richtig angelegt werden können.


(Zuruf von der SPD)


Da sage ich Ihnen: Es gibt nichts besseres, als das Geld
– das sind rund 200 Millionen Euro zusätzlich – in die
Zukunft, in die Gesunderhaltung der Menschen, vor al-
lem der jungen Menschen, der Jugendlichen in Deutsch-
land zu investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Johannes Singhammer


(A) )


)(B)


(C (D Wir setzen klare Schwerpunkte bei den Präventionszielen: Diabetes mellitus, Brustkrebs, depressive Erkrankungen bekämpfen, die Gesundheitskompetenz erhöhen und vor allem bei der Gesundheit der jungen Menschen ansetzen. Denn eines macht uns Sorge: wenn eine wachsende Zahl von jungen Menschen praktisch eine persönliche Karriere startet, die nicht ins Glück führt, sondern die Krankheit bedeutet: durch Bewegungsmangel, durch Übergewicht. Zu nennen sind hoher Blutdruck, die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Schlaganfall, Zuckerkrankheit und möglicherweise zum Schluss die Notwendigkeit einer Organtransplantation. Das alles kann man vermeiden, indem man Überzeugungsarbeit leistet und alles bündelt, was an Exzellenzinitiativen bei uns im Land schon da ist. Deshalb schaffen wir eine ständige Präventionskonferenz. Wir brauchen sie, weil der Bund nicht alle Kompetenzen hat, die notwendig sind, um zu bündeln. Wir wollen all diejenigen, die Verantwortung tragen, und all diejenigen, die Exzellenz einbringen, in dieser Konferenz auf gleicher Augenhöhe zusammenführen. Wir brauchen natürlich die Länder, die Kommunen, die Kassen, die Krankenversicherungen, die Ärzte, die Zahnärzte, die Apotheker, die Patientenorganisationen, die Gewerkschaften, die Arbeitnehmer, die Arbeitgeberverbände, die Sportverbände, das Kurund Bäderwesen. Alle, die da mitmachen, brauchen wir. Diese müssen sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Das ist das Ziel dieser Konferenz. Ich glaube, es kann gelingen, wenn alle mitmachen. Das beginnt damit, dass bereits im Kindergarten Wert auf eine gesunde Ernährung gelegt wird und nicht nur auf Pommes und Hamburger. (Karin Binder [DIE LINKE]: Und wer zahlt dies?)


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Mit 12 Cent?)


Das fällt in die Kompetenz der Kommunen. Deshalb
müssen die Kommunen dabei sein. Wir wollen die
Sportvereine einbinden, damit mehr Kooperation statt-
findet.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Alle vier Jahre in einer Konferenz?)


Wir brauchen eine große öffentliche Aktion; denn wir
brauchen ein Umdenken in den Köpfen, einen Bewusst-
seinswandel. Deshalb haben wir bestimmte Kompeten-
zen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-
rung gebündelt. Wir wollen den finanziellen Rahmen für
viele Bereiche erhöhen. Wir wollen die Qualität von Prä-
ventionsangeboten verbessern. Bei der betrieblichen Ge-
sundheitsförderung machen wir eine kleine Revolution.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Was haben Sie für eine Ahnung von Revolution?)


– Hören Sie genau zu! – Bisher sind die Beiträge der ge-
setzlichen Krankenversicherung in den meisten Fällen

starr. Wir schaffen jetzt die Möglichkeit, den Beitrags-
satz zu verändern, wenn Unternehmensleitung, Betriebs-
rat und Krankenkasse zusammen bestimmte Präven-
tionsziele vereinbaren. Der Beitragssatz wird natürlich
nicht nach oben verändert werden, sondern nach unten,
damit alle einen starken Anreiz haben, mitzumachen.
Diesen Anreiz brauchen wir, und wir schaffen ihn damit.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies erfolgreich sein
wird.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Ihr eigenes Gesetz nicht verstanden!)


Wir wollen auch diejenigen einbinden, die in der Kur
Verantwortung tragen. Ich denke, es ist wichtig, dass der
Einzelne ermuntert wird, etwas für sich zu tun. Dabei
können höhere Anreize zur Teilnahme an Gesundheits-
untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr Hinsken!)


und Anreize zur Inanspruchnahme geeigneter Präven-
tions- und Vorsorgeleistungen helfen. Wir haben ein
fantastisches Kurwesen in Deutschland, das wir nutzen
sollten, um Anreize zu setzen, diese Präventionsmög-
lichkeiten wahrzunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Erwin Lotter [FDP])


Ich bitte alle hier im Deutschen Bundestag, diesen
Gesetzentwurf zügig zu beraten und zu beschließen. Ich
hoffe – und bitte auch darum –, dass dieser Gesetzent-
wurf im Bundesrat nicht auf die lange Bank geschoben
wird. Wir können uns das in Deutschland nicht leisten.
Wenn es uns nicht gelingt, in der Prävention entschei-
dende Fortschritte zu machen, wird uns der große Über-
schuss, den wir jetzt im Gesundheitswesen haben, nicht
dauerhaft nützen; denn es wird eine Explosion der Aus-
gaben auf uns zukommen. Dieses Präventionskonzept ist
geradezu überlebenswichtig, nicht nur für die Finanzen,
sondern vor allem für die Menschen, um die es geht.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie drei Monate vorher noch nicht erkannt!)


Wir beraten heute noch einen zweiten Gesetzentwurf.
Wer krank geworden ist und ein Arzneimittel braucht,
der braucht dieses Arzneimittel meistens schnell. Er
muss sich auf eine gute Versorgung verlassen können.
Für uns ist es ein Anliegen, dass die Gesundheitsversor-
gung in den städtischen Ballungsräumen und in den
ländlichen Regionen gleichwertig bleibt, ohne Unter-
schiede, ohne Differenzierung. Die Patientenfrequenz ei-
ner Bahnhofsapotheke in München wird sich nachtsüber,
im Notdienst, nur wenig von tagsüber unterscheiden: Da
wird immer eine Menge Nachfrage sein. In ländlichen
Regionen, in dünn besiedelten Gegenden kann es dage-
gen schon vorkommen, dass am Wochenende nur zwei
oder drei Patientenkontakte stattfinden. Das lohnt sich
für den Apotheker nicht. Wir wollen aber die Versor-
gungsstruktur erhalten. Deshalb setzen wir, Herr
Lauterbach, ganz gezielt Geld ein – 120 Millionen Euro –,
um einen Ausgleich zu schaffen. Wir wollen gleiche





Johannes Singhammer


(A) )


)(B)


(C (D Verhältnisse in Stadt und Land. Wer das nicht will, soll das hier laut sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Gleiche Verhältnisse wären schön!)


– Sie brauchen da nicht herumzukritisieren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723500600

Herr Kollege, das ist in einem Parlament allerdings

nicht gänzlich unüblich.

(Heiterkeit)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1723500700

Dann darf ich noch etwas erläutern; vielleicht wird

die Kritik dann noch weiter schrumpfen.
Wir brauchen für die ländlichen Regionen gute Ver-

kehrsverbindungen. Das ist eine Banalität. Auch eine
schnelle Internetverbindung ist von großem Vorteil.
Wenn aber die Gesundheitsversorgung von Ärzten,
Krankenhäusern und Apotheken nicht mehr gewährleis-
tet ist, dann werden alle anderen Infrastrukturmaßnah-
men nichts nutzen; denn die Attraktivität der ländlichen
Regionen wird dann nicht zunehmen.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Ja, der Transrapid!)


Deshalb tun wir das alles, und wir werden noch mehr
tun. Wir werden auch ein Krankenhausfinanzierungsge-
setz vorlegen, das genau diesen Zweck hat, die ländli-
chen Regionen zu stärken. Wir sind die Partei der richti-
gen und gerechten Strukturen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu rufe von der SPD und der LINKEN: Oh!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723500800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Martina Bunge für

die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723500900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute haben wir wieder zwei Gesetzentwürfe auf der Ta-
gesordnung, die überhaupt nichts miteinander zu tun ha-
ben, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung
der Prävention und den Entwurf eines Apothekennot-
dienstsicherstellungsgesetzes. Dieses Zusammenwür-
feln zeigt deutlich: Sie wollen kurz vor der Wahl noch
ein paar Gesetzentwürfe verabschieden, um zu zeigen,
was Sie alles gemacht haben und wie toll Sie hier sind.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Nur damit Sie auch einmal eine längere Redezeit haben! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Es ist schön, dass Sie das auch einsehen!)


Wenn man aber dahinterschaut, dann stellt man fest:
Das sind keine guten Gesetzentwürfe. Hier geht es um
schicke Verpackungen, um für den künftigen Wahlkampf
etwas ins Schaufenster legen zu können.


(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Frau Bunge, das können Sie doch besser!)


Seit Beginn der Legislaturperiode drängen die Oppo-
sitionsfraktionen mit eigenen Vorschlägen darauf, dass
diese Regierung endlich ein Präventionsgesetz vorlegt,
weil das mehr als überfällig ist.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)


Unzählige Engagierte und Enthusiasten vor Ort warten
sehnsüchtig darauf, dass die vielen Aktivitäten zur Ge-
sundheitsförderung und Prävention endlich flächende-
ckend und dauerhaft gesichert werden.


(Lars Lindemann [FDP]: Einfach zustimmen!)


In den letzten Tagen dieser Wahlperiode legen Sie et-
was vor. Doch dieser Gesetzentwurf ist eine Fehlan-
zeige.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Als die CDU/CSU-Fraktion unlängst die Bürgerin-
nen- und Bürgerversicherung kommentierte und dabei
glatt die Ansichten der PKV abkupferte, hat sie dem
Ganzen die Überschrift „Gut ist nur der Name“ gegeben.
Ich bin geneigt, bei Ihnen abzukupfern und zu sagen: Bei
diesem Präventionsgesetz ist der Name gut, aber die
Substanz ist mies.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Was?)


Sie benutzen – das ist ja das Perverse daran –


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Vokabeln der modernen Forschung zur Gesundheitsför-
derung – Lebenswelten, Ressourcenstärkung und Setting –,
verpacken im Detail aber veraltete und verstaubte An-
sätze wie Informationskampagnen oder Verhaltensan-
sätze. Es geht Ihnen darum, den Namen „Präventionsge-
setz“ zu verbrennen. Das Vorgelegte ist in Wahrheit der
Entwurf eines Anti-Präventionsgesetzes.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Sie haben ja einen Verfolgungswahn!)


Mit dieser Einschätzung stehe ich und steht die Links-
fraktion nicht allein. Sie, Herr Präsident, erlauben sicher,
dass ich im Weiteren einige Expertinnen und Experten
zitiere, die mir für diese Debatte ausdrücklich ihre Zu-
stimmung dazu gegeben haben.

Die Deutsche Gesellschaft für Public Health schrieb
zu Ihrer Präventionsstrategie – das gilt nach Auskunft
von Frau Professor Birgit Babitsch, Professor Dr. Nico
Dragano und Dr. Dr. Burkhard Gusy auch für Ihren Ge-
setzentwurf –:


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer sind die Herrschaften? Können Sie die einmal vorstellen?)


Der vorgelegte Referentenentwurf und die Eck-
punkte … lassen … eine nachhaltige Verbesserung





Dr. Martina Bunge


(A) )


)(B)


(C (D der Gesundheit der Bevölkerung und eine Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit nicht erwarten. Dies liegt insbesondere an einer verengten und veralteten, nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Perspektive auf Gesundheitsförderung und Prävention. Ja, Ihre Vorstellungen von Gesundheitsförderung und Prävention sind aus dem letzten, wenn nicht gar aus dem vorletzten Jahrhundert und haben keinen wissenschaftlichen Hintergrund. Es ist überhaupt nicht leicht, ein Beispiel zu nennen bzw. eine besonders schlechte Passage herauszugreifen, weil man nur die Wahl zwischen schlecht und sehr schlecht hat. Das, was Prävention und Gesundheitsförderung eigentlich ausmacht, fehlt schlicht und ergreifend. Ein Präventionsgesetz sollte der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Gesunderhaltung der Menschen dadurch Rechnung tragen, dass auch die Finanzierung breit angelegt ist und nicht nur durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgt. Die Linke fordert, dass sich neben der Unfall-, Rentenund Arbeitslosenversicherung auch der Bund an diesem wichtigen Thema beteiligt, statt hier eine kostenneutrale Schmalspurversion auf den Weg zu bringen. Die Linke fordert deshalb, dass die Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt zum Start jährlich 1 Milliarde Euro in einen Präventionsfonds einzahlt. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!)


(Beifall bei der LINKEN)


– Das klingt sehr viel. Aber wenn Sie einmal bedenken,
dass das ein reichliches halbes Prozent dessen ist, was
die Versicherten über die Beiträge für die Leistungen
aufbringen müssen, die dazu führen, wieder gesund zu
werden, dann ist das, glaube ich, nicht zu viel.

Eines der zentralen Probleme in dieser Gesellschaft
ist doch, dass Menschen, die ärmer sind oder schlechter
gebildet sind, durchschnittlich kränker sind und deutlich
früher sterben. Menschen mit niedrigem Sozialstatus ha-
ben in Deutschland in etwa die Lebenserwartung von
Menschen in Entwicklungsländern. Das kann weder hier
noch dort hingenommen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Regierung tut mit diesem Gesetzentwurf nichts
dagegen, rein gar nichts. Kein Wunder, dass einer der
größten Experten in Deutschland für soziale Ungleich-
heit, Dr. Andreas Mielck, vom Helmholtz-Zentrum in
München, diesen Entwurf wie folgt kommentiert – ich
darf zitieren –:

Glauben Sie im Ernst, dass so den Personen gehol-
fen wird, die am stärksten belastet sind? Können so
die Personen erreicht werden, die geringe Bildung
und/oder niedriges Einkommen haben? Es ist doch
offensichtlich: Dieses Gesetz wird die gesundheitli-
che Ungleichheit eher vergrößern als verkleinern.
Sind Sie so naiv oder handeln Sie wider besseres
Wissen?

Wie der soziale Status die Gesundheit beeinflusst, ist
gut untersucht, ebenso, dass Ihr vielbeschworenes Ge-
sundheitsverhalten nur einen ganz geringen Anteil an der
gesundheitlichen Ungleichheit hat. Dennoch tun Sie
nichts, um sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit
zu verringern, und setzen stattdessen auf Verhaltensprä-
vention bis hin zu Prämien für die Teilnahme an Kursen
zu Verhaltenspräventionsansätzen.

Daher bewertet Professor Ullrich Bauer, Hochschule
Duisburg, Ihren Gesetzentwurf so – ich darf zitieren –:

Dass diese zentralen wissenschaftlichen Erkennt-
nisse hierzulande nicht wahrgenommen werden und
wider besseres Wissen Entscheidungen getroffen
werden, die gesundheitliche Ungleichheiten nur
noch vergrößern und nicht verringern, ist fahrlässig
und in Prozessen der seriösen politischen Entschei-
dungsfindung nicht mehr tolerierbar.

Ich denke, dieser Aussage stimmen wir einmütig zu.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei dieser Bundesregierung werden Ärztinnen und
Ärzte zu den Fachleuten für Prävention. Dazu sagt Pro-
fessor Rolf Rosenbrock, vormaliges Mitglied des Sach-
verständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen und hochangesehener Präventions-
fachmann – ich darf wiederum zitieren –:

Ärzte haben in der Regel weder Einblick in die
Gründe, die Menschen an gesundheitsförderlichem
Verhalten hindern, noch verfügen sie über Interven-
tionsmöglichkeiten, die Gründe zu überwinden.

Professor Raimund Geene, Hochschule Magdeburg-
Stendal, ergänzt:

Präventive Beratung für junge Familien muss in ih-
ren Lebenswelten ansetzen und durch diejenigen,
die sich dort auskennen – z. B. Hebammen in den
Familien, Gesundheitsförderer in den Kitas und
Schulen.

Vernünftige Gesundheitsförderung und Prävention
schauen auf die Gesundheit.

Gesundheit ist in den Worten der Weltgesundheitsor-
ganisation – das wissen Sie alle –

ein Zustand des … körperlichen, geistigen und so-
zialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesen-
heit von Krankheit …

Dieser notwendige Perspektivenwechsel fehlt hier voll-
ständig.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch ein paar Worte zu dem Entwurf eines Gesetzes
zu den Apothekennotdiensten. Die Linke begrüßt, dass
die bessere Finanzierung von Notdiensten endlich ange-
packt wird. Dies leistet einen Beitrag zur Sicherung der
medizinischen Versorgung durch Apotheken vor allem
in den ländlichen Regionen; der Minister hat das bereits
gesagt.





Dr. Martina Bunge


(A) )


)(B)


(C (D – Jubeln Sie nicht zu früh. – Allerdings lassen Sie Teildienste außer Acht, die in vielen Regionen ein lange bewährtes, ausgeklügeltes System der Bereitschaftsdienste je nach Bedarf bilden. Wer hat sich bloß dieses Verfahren, dieses bürokratische, komplizierte Monstrum ausgedacht? Ähnliche Kritik erfahren Sie auch von den Ländern im Bundesrat. Wieso müssen von jedem Medikament 16 Cent mühsam von den Apothekerinnen und Apothekern in einen Topf abgeführt werden, um so 120 Millionen Euro für die bessere Vergütung von Notdiensten zusammenzusammeln? (Jens Spahn [CDU/CSU]: Besseren Vorschlag machen!)


(Zuruf von der FDP: Sehr gut!)


Diese 16 Cent zahlen letztlich sowieso die gesetzlichen
wie die privaten Krankenkassen. Warum können diese
nicht gleich gemeinsam diese Summe Monat für Monat
in den Topf abführen?


(Beifall bei der LINKEN)


Auch in ordnungspolitischer Hinsicht macht es wenig
Sinn, die Notdienstvergütungen quasi an die Medika-
mente zu hängen, die Menschen mit plötzlichen Be-
schwerden brauchen. In die Situation, Medikamente zu
benötigen, kann jede und jeder von uns in jedem Augen-
blick geraten. Warum stellen Sie dann einen Zusammen-
hang mit den Medikamenten her? Nacht- und Wochen-
enddienste sind doch eine öffentliche Daseinsvorsorge
für alle Versicherten. Herr Minister, lassen Sie sich unse-
ren Vorschlag, die Kassen direkt zahlen zu lassen, noch
einmal durch den Kopf gehen! Das ist bürokratieärmer.
Angesichts des Anspruchs Ihrer Partei, Bürokratie abzu-
bauen, stünde Ihnen das gut zu Gesicht.

Insgesamt ist der Gesetzentwurf zu den Apotheken-
notdiensten wenigstens ein Lichtblick, im Gegensatz
zum Entwurf eines Präventionsgesetzes. Dieses Präven-
tionsgesetz werden wir nie und nimmer kritik- und wi-
derstandslos hinnehmen. Das kann ich Ihnen verspre-
chen.


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: In den Untergrund!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723501000

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Klein-Schmeink das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Minister hat gerade mit großen Worten
den Entwurf eines in unseren Augen sehr kleinen Geset-
zes vorgelegt, eines Gesetzes, das eben schon zutreffend
als Etikettenschwindel, sehr durchsichtiges Wahlkampf-
manöver und Armutszeugnis bezeichnet wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Schauen wir uns einmal genau an, was hier passiert. Sie
tun so, als würden Sie heute die Prävention im SGB V

neu erfinden. Das alles ist Quatsch; denn es gibt sie
schon seit vielen Jahren. Wir haben in den letzten zwölf
Jahren mehrfach über die notwendige Weiterentwick-
lung gesprochen. Was machen Sie? Sie stellen kleine
Schräubchen neu, um verschiedensten Gruppen, die für
den Ausgang der Bundestagswahl bedeutsam sein wer-
den, etwas vorzeigen zu können; darum geht es.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Seit 1998 habt ihr nichts vorgelegt! Seit 15 Jahren haben Sie nichts gemacht!)


Wenn Sie es wirklich ernst gemeint hätten und der
Prävention einen neuen Stellenwert hätten geben wollen,
dann hätten Sie nicht drei Jahre lang einen Gesetzent-
wurf angekündigt und ihn erst jetzt, drei Monate vor
Ende der Legislaturperiode, quasi auf den letzten Me-
tern, in den Bundestag eingebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sind weit entfernt von dem, was Sie selber im Ko-
alitionsvertrag festgelegt haben. Sie wollten ohnehin
nicht allzu viel machen, aber Sie wollten zumindest alles
auf den Prüfstand stellen und bündeln. Dann haben Sie
im Laufe des Diskussionsprozesses gesagt, dass Sie eine
Präventionsstrategie erarbeiten wollen. Richtig, das
könnten Sie tun. Sie kündigen sie seit drei Jahren an.
Aber nichts ist passiert. Jetzt kommen Sie mit einem
kleinen Gesetz daher, das mehrere große Webfehler hat.

Der erste Fehler ist: Die Themenkomplexe „Armut
und Gesundheit“ sowie „soziale Benachteiligung bei den
Gesundheitschancen“ bleiben vollständig ausgeklam-
mert.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der FDP sind die Armen selber schuld!)


Dabei wissen wir, dass genau in diesen Bereichen das
größte Potenzial besteht, um mit Prävention und Ge-
sundheitsförderung gegenzusteuern. Das ist der erste
Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweiter Punkt. Sie sind weit von einem Gesamtansatz
entfernt, mit dem Sie die Präventionsmöglichkeiten der
verschiedenen Ressorts, der verschiedenen politischen
Ebenen, der vielen Organisationen der Zivilgesellschaft,
der Ärzteschaft, des Sports und der Vereinigungen, die
sich mit gesunder Ernährung beschäftigen, sowie vieler
anderer mehr zusammenführen können. Sie sind weit da-
von entfernt, mit diesen gemeinsam vor Ort regional ge-
bündelte, vernünftige, zielgruppenbezogene und sehr ge-
nau auf verschiedene Themenstellungen hin orientierte
Programme realisieren zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Genau dieser Ansatz wurde ja schon in der Diskus-
sion um das Kinderschutzgesetz verfolgt. Auch in die-
sem Fall hat sich der Minister erfolgreich geweigert, sei-
nen Anteil, den er als Gesundheitspolitiker zu dieser





Maria Klein-Schmeink


(A) )


)(B)


(C (D Strategie hätte beitragen müssen, einzubringen. Genau das ist damals schon passiert und setzt sich heute fort. Dritter Punkt. Sie machen die BZgA, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, zu dem Dienstleister und Leistungserbringer im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten. Wie kann man eigentlich einen solchen Denkansatz verfolgen, wo es doch darum geht, ganz gezielt vor Ort, in den sozialen Brennpunkten, in den Schulen, in den Kitas, in den Altenheimen, Projekte und Maßnahmen zu verwirklichen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das machen die doch, und zwar erfolgreich!)


Da kann es doch nicht angehen, dass Sie die Hälfte
der Mittel, die Sie dafür vorsehen wollen, der BZgA zu-
weisen und diese dann im Auftrag des Spitzenverbandes
der GKV dort tätig werden soll. Wie sollen wir uns das
vorstellen? Haben Sie keine Ahnung von kommunaler
Selbstverwaltung? Haben Sie keine Ahnung von Länder-
und Bundeszuständigkeit? Haben Sie keine Ahnung, wie
eine Zivilgesellschaft eigentlich funktioniert? Ein voll-
kommen verfehlter Ansatz!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insofern muss man tatsächlich sagen: Sie geben mit
180 Millionen Euro zusätzlich auf der einen Seite zu we-
nig aus, auf der anderen Seite ist es aber gemessen an
dem, was Sie damit politisch umsetzen wollen, eigent-
lich zu viel. Es ist ein verfehlter Gesamtansatz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Martina Bunge [DIE LINKE])


Weiterhin frage ich mich: Wie wollen Sie das denn ei-
gentlich organisieren? Sie haben ja durchaus richtig er-
kannt, dass Sie in den Lebenswelten tätig werden müs-
sen. Nun haben Sie ein Problem: Mit wem wollen Sie
das denn absprechen? Wie wollen Sie sicherstellen, dass
die Landesprogramme, die es bereits im Bereich der Ge-
sundheitsförderung und Gesundheitsprävention gibt,
sich mit Ihren Ansätzen zusammenführen lassen? Wie
wollen Sie denn sicherstellen, dass der große Verbund
„Gesundheitliche Chancengleicheit“ auch tatsächlich
mit einbezogen werden kann?

Es gibt 58 große Organisationen, die seit Jahr und Tag
versuchen, in diesem Bereich gemeinsame, gebündelte
Aktionen durchzuführen. Was ihnen fehlt, ist Nachhal-
tigkeit, ist eine dauerhafte finanzielle Basis, ist die Mög-
lichkeit, alle Akteure, die dort zusammenkommen, zu
diesem Verhalten und vor allen Dingen unsere verschie-
denen Sozialleistungsträger zu gemeinschaftlichen Akti-
onen zu verpflichten. Hierfür hätten Sie einen Ge-
samtansatz finden müssen. Das konnten Sie nicht, weil
der Minister viel zu spät auf den Trichter gekommen ist,
dass man in diesem Bereich endlich tätig werden müsste.
Das ist doch der Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diesen Notstand hat die CDU genauso gesehen. Des-
halb musste sie ja im letzten Jahr mit eigenen Eckpunk-
ten Druck machen, damit überhaupt etwas passierte.
Viele in Ihren Reihen wissen ja auch, dass der jetzige
Ansatz, mit dem lediglich versucht wird, über die Mittel
des SGB V ein klein wenig umzusteuern, verfehlt ist und
so nicht funktionieren kann. Viele von Ihnen wissen das
haargenau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD])


Das hat doch zu diesem großen Dilemma geführt. Sie
wollen im Wahlkampf etwas vorweisen können. Sie wol-
len sagen können: Ja, wir haben beim Thema Prävention
etwas getan. – Aber im Kern machen Sie das Falsche. So
werden wir diesen Gesetzentwurf auf keinen Fall mittra-
gen können. Es ist ein Entwurf, der entweder grundle-
gend überarbeitet werden müsste oder besser in den Pa-
pierkorb geschoben werden sollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723501100

Nächster Redner ist der Kollege Jens Spahn für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1723501200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

einem, Frau Klein-Schmeink, haben Sie recht: Es wurde
über Prävention auch hier im Deutschen Bundestag seit
15 Jahren viel geredet, aber wenig gemacht. Was Sie
doch am meisten wurmt – das wird ja in allen Ihren Re-
den deutlich –, ist, dass wir als christlich-liberale Koali-
tion über Prävention nicht nur reden; vielmehr haben wir
endlich ein Präventionsgesetz vorgelegt. Wir sorgen
ganz konkret für eine verbesserte präventive Gesund-
heitsförderung im deutschen Gesundheitswesen. Das ist
ein wichtiger Schritt nach vorne.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zehn Jahren halten Sie ein Gesetz auf!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723501300

Lieber Kollege Spahn, möchten Sie gleich zu Beginn

Ihrer Rede eine Zwischenfrage beantworten?


Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1723501400

Gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723501500

Bitte schön, Frau Bender.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723501600

Werter Herr Kollege Spahn, Sie haben gesagt, seit

15 Jahren werde in diesem Haus über Prävention nur ge-





Birgitt Bender


(A) )


)(B)


(C (D redet. Darf ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen? Trifft es zu, dass die rot-grüne Regierung ein Präventionsgesetz in diesem Hause vorgelegt hatte, das von Ihnen abgelehnt wurde und das die Länder – die unionsgeführten Länder, wohlgemerkt – nachher aus wahltaktischen Gründen haben scheitern lassen? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1723501700

Das Problem aller bisherigen Ansätze – sie sind im

Übrigen auch in diesen Reden wieder deutlich geworden –
ist, dass die Spannbreite zwischen all den Sonntagsreden
und den tollen Zielen, die man da formuliert, und der
Absicht, den Bund – am liebsten auch Brüssel –, die
Kommunen, die Länder, alle Sozialversicherungsträger,
jede einzelne Stadt, jede kleine Kiezberatungsstelle in
ein Gesetz einzubinden, dazu geführt hat, dass Sie sich
immer, wenn Sie darüber gesprochen haben und wenn
Sie irgendetwas vorgeschlagen haben, an dieser Stelle
völlig verheddert haben. Sie sind im ganzen Gefüge des
Föderalismus untergegangen, weil Sie immer zu viel
wollten.

Wir sagen an dieser Stelle: Wir schaffen eine konkrete
und vernünftige Regelung. Wir setzen beim Sozialge-
setzbuch V, bei der gesetzlichen Krankenversicherung
an. Wir wollen lieber etwas, was am Ende auch funktio-
niert. Wir wollen nicht so überambitioniert starten, wie
Sie es in den früheren Debatten immer getan haben, um
am Ende ganz schlapp zu landen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Was machen wir da genau? Das eine ist eine Verdrei-
fachung der für die Gesundheitsförderung in Deutsch-
land zur Verfügung stehenden Summe. Das ist übrigens
die Summe, die für die Primärprävention, also für die
allgemeine Gesundheitsaufklärung, zur Verfügung steht.
Natürlich betreiben Krankenkassen bei denjenigen, die
Diabetes, Bluthochdruck oder andere Erkrankungen ha-
ben, auch Prävention, damit diese Erkrankungen nicht
fortschreiten. Hier geht es aber vor allem um die grund-
sätzliche allgemeine Gesundheitsförderung in der Bevöl-
kerung.

Natürlich wollen wir die Menschen in ihrem Lebens-
umfeld erreichen, in den Betrieben, in den Kindergärten,
in den Schulen. Gesundheitsförderung soll Thema wer-
den, am besten in der Kantine bei gesundem Essen. Des-
wegen sollen die Krankenkassen mit den Partnern vor
Ort kooperieren. Über Einzelheiten der Gesundheitsför-
derung soll niemand aus Berlin und auch nicht die Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln für
alle in Deutschland entscheiden; vielmehr soll Präven-
tion mit den Kooperationspartnern vor Ort betrieben
werden.

Wir wollen Qualitätsorientierung in der Prävention.
Wir haben heute das Problem, dass wir sehr oft eher
marketinggetriebene Aktionen erleben, bei denen es
etwa darum geht, einen Fitnessgutschein groß zu bewer-
ben. Damit werden am Ende aber nicht diejenigen er-

reicht, die wirklich eine präventive Gesundheitsförde-
rung brauchen, sondern eher diejenigen, die sich sowieso
schon bewegen wollten. Wir müssen weg von diesen in-
dividuellen Marketingansätzen, hin zu konkreten Ansät-
zen in den Betrieben, in den Schulen, in den Kindergär-
ten, um auch diejenigen Menschen zu erreichen, die bis
jetzt vielleicht nicht erreicht wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dazu gehören auch Angebote zu Vorsorge- und Früh-
erkennungsuntersuchungen. Wir haben hier im Deut-
schen Bundestag vor einigen Wochen das Krebsfrüh-
erkennungs- und Krebsregistergesetz beschlossen. Das
gehört für uns zusammen: Vorsorge, Früherkennung.
Wir wollen eine informierte Entscheidung der Bürgerin-
nen und Bürger, ob sie ein solches Angebot zur Vor-
sorge, zur Früherkennung annehmen. Wir wollen sie
nicht gängeln, wir wollen es ihnen nicht vorschreiben;
aber wir wollen sie darüber informieren. Wir wollen,
dass jeder angeschrieben wird. Wir wollen jedem das
Angebot machen, sich gesundheitsbewusst zu verhalten,
Vorsorge zu betreiben, Krankheiten früh zu erkennen.
Wir sind sehr sicher, dass die allermeisten Bürgerinnen
und Bürger mit dieser informierten Entscheidung sehr
gesundheitsbewusst umgehen werden.

Dazu kommen Gesundheitsziele, die wir erstmals
– auch das hat es bis jetzt noch nicht gegeben; auch das
ist ein großer Schritt nach vorne – verbindlich gesetzlich
festschreiben und damit zur Handlungsmaxime machen
werden, auch für die Krankenkassen. Das zielt etwa auf
die Bereiche Diabetes, Bluthochdruck, Brustkrebs und
auf die Frage: Wie bleibt man im Alter gesund? Das ist
angesichts des demografischen Wandels ein wichtiges
Thema. Die Bevölkerung in Deutschland wird kleiner,
und gleichzeitig werden die Menschen älter als früher.
Wir definieren ganz konkrete Gesundheitsziele und
schaffen einen Leitfaden für das Handeln der Kranken-
kassen und aller, die im Gesundheitswesen tätig sind.

Da können Sie von der Opposition sagen, das sei alles
zu wenig, es müsse mehr sein, es müsse größer sein, es
müsse mehr Geld sein. Das ist ja das, was Sie immer
gern tun: bei allem mehr Geld fordern. Was wir machen,
sind konkrete Maßnahmen: mehr Geld für Prävention
ausgeben, den Mindestwert verdreifachen, eine Quali-
tätsorientierung bei dem betreiben, was schon da ist, Ge-
sundheitsziele definieren, eine Stärkung bei den Vor-
sorge- und Früherkennungsuntersuchungen vornehmen.
Sie wissen genauso gut wie wir, dass das die richtigen
Maßnahmen sind. Man kann immer mehr wollen, aber,
ich finde, an dieser Stelle könnte man auch einmal aner-
kennen, dass wir hier konkrete gute Vorschläge machen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das ist Selbsteinbildung!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723501800

Kollege Spahn, eine bestimmte Fraktion möchte

heute Ihre Redezeit gleich mehrfach verlängern.






(A) )


)(B)


(C (D Immer gern. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1723501900

Herr Spahn, Sie haben gerade gesagt, dass Sie die Ak-
tivitäten verdoppeln und ausweiten wollen und dass das
ja nicht falsch sein kann. Das kann man erst einmal so
sehen. Wie erklären Sie dann, dass in den letzten Jahren,
in denen Sie hier die Regierung gestellt haben, das Volu-
men für Prävention massiv rückläufig war? Wir haben
2008 noch 340 Millionen Euro dafür ausgegeben, und
heute liegt das bei 270 Millionen. Wie erklären Sie sich
diesen Rückgang? Womit hat das zu tun? Kann man
nicht auch sagen, dass Sie die Bedeutung der Prävention
in den letzten Jahren deutlich unterschätzt haben?


Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1723502000

Das kann man natürlich nicht sagen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit Nein beantworten und fertig!)


weil wir überall gesagt haben – ich bin noch beim Ant-
worten; bleiben Sie bitte stehen –, wie wichtig Präven-
tion und Gesundheitsförderung sind. Die Mindestsumme
von gut 2 Euro pro Versicherten pro Kasse pro Jahr, die
einmal festgeschrieben worden ist, verdreifachen wir
fast; deswegen verstehe ich Ihre Kritik bezüglich der
Centbeträge nicht. Gerade weil die Tendenz der Kassen
ist, im Zweifel nicht genug in Prävention zu investieren,
sagen wir: Wir schreiben es euch gesetzlich vor. Wir
schreiben euch vor, mindestens 6 Euro pro Versicherten
pro Jahr in Prävention zu investieren. – Wir sagen auch
ganz klar: Ihr sollt es nicht in Marketingansätze und Gut-
scheine investieren, sondern ihr sollt die Menschen in
den Betrieben, in den Kindergärten, in den Schulen er-
reichen. – Genau deswegen machen wir dieses Gesetz.

Insofern war Ihre Frage eine gute Gelegenheit, das
noch einmal ausdrücklich darzustellen, Frau Kollegin
Klein-Schmeink.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist aber nicht beantwortet!)


Das zweite Gesetz, das wir hier heute einbringen, ist
schon angesprochen worden. Darin geht es um den Apo-
thekennotdienst. Wir müssen das in einer Gesamtschau
sehen. Was haben wir mit dem Versorgungsstrukturge-
setz begonnen? Dabei ging es vor allem um die flächen-
deckende Versorgung im ländlichen Raum mit Ärzten
– ein Thema, das viele Menschen in Deutschland – ich
selbst komme aus dem Münsterland; das gilt hier, aber
auch in anderen Regionen – im Moment sehr bewegt.
Sie fragen nämlich: Ist dann, wenn ein Hausarzt aufhört,
noch ein Nachfolger da?

Wir müssen natürlich auch schauen: Wie sieht es in
den anderen Gesundheitsberufen aus? Hier nehmen wir
die Apotheker mit in den Blick, weil im ländlichen
Raum, aber übrigens auch in manchen Stadtteilen in
Berlin oder in München oder anderswo wenige Apothe-

kerschultern den Notdienst tragen müssen, die Apothe-
ker also relativ häufig nachts und am Wochenende mit
dem Notdienst dran sind, häufiger jedenfalls als in der
Stadt allgemein. Das wollen wir finanziell honorieren.

Wir werden im Gesetzgebungsprozess das, was wir
hier eingebracht haben, noch ergänzen, und zwar um Re-
gelungen zur Krankenhausfinanzierung, um auch inso-
fern eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen.
Das heißt, das, was wir mit dem Versorgungsstrukturge-
setz begonnen haben, setzen wir mit den Regelungen zu
den Apothekern, Krankenhäusern und anderen Berei-
chen fort, weil wir eine flächendeckende Versorgung für
die Menschen wollen, nicht nur Spitzenmedizin in den
großen Städten, sondern auch ein breites Angebot im
ländlichen Raum. Dafür ist das vorgelegte Gesetz ein
wichtiger weiterer Schritt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Etwas überrascht, Herr Kollege Lauterbach, bin ich
davon, dass Sie das Gesetz eine Verbeugung vor den
Apothekern nennen.


(Lachen des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


Ich finde, das, was Sie hier betreiben, ist, ehrlich gesagt,
ein Stück weit Hohn. Wir wissen jedenfalls, dass wir
eine flächendeckende Versorgung der Menschen in
Deutschland, eine gute gesundheitliche Versorgung der
Menschen in Deutschland nur mit den Ärzten, nur mit
den Apothekern, nur mit den Pflegekräften, nur mit den-
jenigen hinbekommen, die im Gesundheitswesen tätig
sind, und nicht gegen sie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was Sie hier rhetorisch immer machen: Sie bauen Ge-
gensätze auf zwischen Patienten auf der einen Seite und
Ärzten, Apothekern und anderen, die im Gesundheitswe-
sen tätig sind, auf der anderen Seite. Wir sehen da keine
Gegensätze. Es geht um die Zusammenarbeit. Die Men-
schen vertrauen ja zu Recht ihrem Arzt, ihrem Apothe-
ker, ihrer Hebamme, ihrem Physiotherapeuten, denjeni-
gen, die sie behandeln. Deswegen wollen wir gerade
diese im ländlichen Raum stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Leider vertrauen zunehmend weniger Menschen ihren Ärzten!)


Ich will einmal das in einer Gesamtschau betrachten,
was wir in den letzten dreieinhalb Jahren gesundheitspo-
litisch gemacht haben, und das einordnen, was wir tun.


(Elke Ferner [SPD]: Besser nicht!)


Denn Sie fragen ja: Warum jetzt?

Wir haben zuerst gesagt: Wir wollen in der gesetzli-
chen Krankenversicherung eine solide finanzielle Basis
herstellen. Denn wir sind gestartet mit einem drohenden
großen Defizit, das uns bevorstand. Wir haben es mit
Sparmaßnahmen, mit einer Erhöhung des Beitrags, aber
vor allem durch die gute wirtschaftliche Entwicklung, zu
der auch Politik beigetragen hat, hinbekommen, dass wir
heute eine solide finanzielle Basis in der gesetzlichen





Jens Spahn


(A) )


)(B)


(C (D Krankenversicherung mit Rücklagen haben, wie wir sie seit mindestens 20, 25 Jahren nicht gekannt haben. Dann haben wir gesagt: Nachdem die finanzielle Basis hergestellt ist, wollen wir stärker als bisher die Frage in den Blick nehmen: Wie nehmen die Menschen in Deutschland Versorgung wahr? Wo gibt es in der Versorgung Probleme? Etwa bei der flächendeckenden Versorgung mit Ärzten, mit Apothekern, mit Krankenhäusern. Daran anschließend die Frage: Wie können wir die Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen? Bei Medikamenten, die jemand bekommt, wäre zu fragen: Nutzen die tatsächlich auch etwas, bringen die auch etwas, oder werden hier etwa unnötig hohe Preise gezahlt? Deswegen haben wir mit einem entsprechenden Gesetz auch eine Nutzenbewertung möglich gemacht. Weiter weise ich hin auf die Krankenhaushygiene und viele andere Themen, die wir aufgegriffen haben. Jetzt geht es in einem weiteren Schritt um die Perspektive, die noch über die akute Versorgung hinausgeht. Wir sagen im Präventionsgesetz: Wir legen zum einen die Basis dafür, dass man in Deutschland, wenn man krank wird, darauf vertrauen kann, dass eines der besten Gesundheitswesen der Welt zur Verfügung steht, einen in der Not unterstützt und einem hilft, und wir wollen zum anderen gemeinsam daran arbeiten – hier sind auch die Krankenkassen und diejenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, zu nennen –, Krankheiten möglichst zu vermeiden, damit es erst gar nicht zu Krankheiten kommt. Ich denke da insbesondere an die Volkskrankheiten: Diabetes, Bluthochdruck und viele andere sind schon genannt worden. Die wichtigsten Mittel sind und bleiben ja eine gesunde Ernährung und Bewegung. Es gilt in diesen Bereichen Akzente zu setzen. Auch jeder für sich sollte überlegen: Wie kann ich das in meinem Leben besser gestalten? – Dazu wollen wir anregen. Mir sagte vor einigen Tagen jemand in einer Veranstaltung, er würde drei Mal in der Woche joggen – für seine Krankenkasse. Da habe ich ihm gesagt: Ich hoffe, Sie joggen nicht für Ihre Krankenkasse, sondern weil Sie sich jedes Mal besser fühlen, wenn Sie vom Joggen nach Hause gekommen sind, weil es Ihnen also besser geht, weil es Ihnen guttut und weil es am Ende Ihnen in Ihrem Leben etwas gibt. – Dahin wollen wir kommen: dass Menschen für sich die Entscheidung treffen, sich gesundheitsbewusst zu verhalten. Wir wollen sie nicht gängeln, sondern sie informieren, sie aufklären, sie erreichen. Das ist der Ansatz, den wir fortsetzen werden – auch und gern über den 22. September hinaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber nicht!)


(Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723502100

Angelika Graf ist die nächste Rednerin für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1723502200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte zunächst etwas richtigstellen, Herr Lanfermann
– die Kollegin Klein-Schmeink hat das ja auch schon an-
gesprochen –: Es hat sehr wohl – ich bitte Sie, doch ein-
mal in die Dokumente des Bundestages zu schauen – ei-
nen Gesetzentwurf von Rot-Grün gegeben; der wurde im
Bundesrat unter anderem auch mit Ihrer Mithilfe ge-
stoppt. Und es hat eine zweite Anstrengung vonseiten
der SPD gegeben – die leider in der Großen Koalition
gescheitert ist –, einen Gesetzentwurf vorzulegen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Hört! Hört!)


Also, bitte schön, stellen Sie keine so dreisten Behaup-
tungen auf!


(Beifall bei der SPD – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Es gab aber keinen Gesetzentwurf! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Minister wollte überhaupt kein Gesetz!)


Dieser zweite Gesetzentwurf ist übrigens daran ge-
scheitert, dass unser damaliger Koalitionspartner, Ihr jet-
ziger Koalitionspartner, einen solchen Gesetzentwurf
nicht wollte.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eine Zote!)


Wir haben hier schon jahrelang auf Maßnahmen der
Regierung im Bereich der Prävention gewartet. Ich
denke, das Warten hat sich definitiv nicht gelohnt. Sie
haben erst drei Jahre lang die Vorlage eines Präventions-
gesetzes abgelehnt, Herr Minister – alle Anträge dazu
wurden im Bundestag ebenfalls abgelehnt –, und man
hat drei Jahre lang wolkig über eine Präventionsstrategie
gesprochen. Jetzt, wo die Diskontinuität in Reichweite
ist, wo es zu spät für einen solchen Gesetzentwurf ist, da
legen Sie einen solchen Rohrkrepierer vor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich denke, der Entwurf hat nur einen Zweck – Herr
Lauterbach hat es auch schon angesprochen –: Er ist ein
Feigenblatt für Ihren Wahlkampf. Und, bitte schön, es
liegt nicht an uns, dass die Zeit so knapp ist, sondern es
liegt an Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wie so oft bei Ihnen, gibt es dazu ein nahezu leeres Glas
– das ist schon angesprochen worden – mit einem irre-
führenden Etikett darauf. Das haben diejenigen, die im
Bereich der Prävention arbeiten und dort gut arbeiten
und die erwartet haben, dass die Regierung vernünftig
tätig wird, nicht verdient.

Wir haben Ihnen in unseren Anträgen vor zwei Jahren
aufgeschrieben, was ein vernünftiges Präventionsgesetz
beinhalten muss. Auf zwei Hauptprobleme möchte ich
heute eingehen; es sind übrigens Hauptprobleme, die
alle Oppositionsparteien gleichermaßen so identifiziert





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) )


)(B)


(C (D haben. Der erste Punkt: Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland erreichen nur die bereits Gesundheitsbewussten. Der zweite Punkt: Prävention ist in Deutschland sehr fragmentiert, wenig nachhaltig, nicht aufeinander abgestimmt und häufig ineffektiv. Wir von der SPD haben damals einen sehr konkreten Antrag vorgelegt, abgestimmt mit Praktikern, Experten und Expertinnen. Vor diesem Hintergrund habe ich mir Ihren Gesetzentwurf angesehen. Ich muss Ihnen sagen: Bis auf vereinzelte Vorschläge zur Verbesserung der betrieblichen Prävention ist das Gesetz aus meiner Sicht völlig ungeeignet, die oben angesprochenen Hauptprobleme der Prävention in Deutschland zu beheben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Genau so!)


Der Gesetzentwurf ist Murks, wie auch Ihre Regierungs-
bilanz im Gesundheitsbereich in den letzten Jahren.

Problem eins: Wie erreichen wir Menschen, die bis-
her kaum an Maßnahmen zur Prävention und Gesund-
heitsförderung teilgenommen haben? Der sogenannte
Setting-Ansatz, der die Menschen in ihrem Lebensum-
feld abholt, wird bislang vollkommen unzureichend ver-
folgt.


(Zuruf von der FDP: Lesen Sie einmal Seite 3!)


– Sie können sich darauf verlassen, ich habe den Gesetz-
entwurf gelesen.

Wir wollten mit unserem Antrag diesen Ansatz maß-
geblich stärken, die begrenzten Mittel auf diesen Ansatz
konzentrieren. Und was wollen Sie in Ihrem Gesetzent-
wurf? Sie wollen 1 Euro pro Versicherten in den Bereich
generelles Setting geben. Und die Kassen sollen noch
einmal die Hälfte dieser Mittel der BZgA zur Verfügung
stellen.


(Elke Ferner [SPD]: Aha! Das ist ein Finanzierungsvorschlag!)


Sie belassen es damit dabei, dass der Großteil der Kas-
senausgaben für die Prävention in wenig effektive indi-
viduelle Präventionsmaßnahmen gesteckt wird, obwohl
wir wissen, dass wir damit vor allem diejenigen errei-
chen, die, wie gesagt, sowieso schon etwas tun. Wenn
man diesen Ansatz in Richtung nicht individuelle Prä-
ventionsmaßnahme verfolgen will, geht das nur mithilfe
der Kommunen, der Länder und der Player vor Ort.

Vor diesem Hintergrund würden Sie mit diesem Ge-
setzentwurf wohl ein zweites Problem schaffen. Mit der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben
Sie sich meiner Ansicht nach nicht den besten Akteur im
Bereich des Setting ausgesucht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das sieht aber Herr Lauterbach anders!)


Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
– damit wir uns nicht falsch verstehen – macht eine her-
vorragende Arbeit im Bereich der Aufklärung. Deswe-

gen heißt sie ja auch so. Aber für den Bereich der Le-
benswelten, in der konkreten Arbeit mit bildungs- und
einkommensschwachen Menschen gibt es bessere Ko-
operationspartner. Schauen Sie sich einmal die Stellung-
nahme der Caritas an, die Sie sicher auch bekommen ha-
ben!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Gesetzentwurf wird also nichts daran ändern, dass
diejenigen, die am stärksten von Präventionsmaßnahmen
profitieren könnten, am wenigsten erreicht werden. Ein
Beispiel hierfür ist die alleinerziehende, psychisch labile
arbeitslose Mutter.

Auch das zweite Problem, die Projektitis in der Prä-
vention, wird mit diesem Gesetzentwurf nicht gestoppt.
Kaum ein Programm oder Projekt hat eine längere Lauf-
zeit als 18 Monate. Modellruinen, wohin man sieht. Da-
ran ändert auch Ihr Gesetzentwurf nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer soll denn die Qualität der Präventionsmaßnah-
men systematisch überprüfen und gewährleisten? Wer
sorgt für ein Ineinandergreifen der Programme? Wie soll
Nachhaltigkeit gesichert werden? Auf all diese Fragen
gibt dieser Entwurf definitiv keine Antwort. Die Stän-
dige Präventionskonferenz, die alle vier Jahre einen Be-
richt schreiben soll, wird daran auch nichts ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist keine Überraschung, dass sich die privaten
Krankenversicherungen mit Ihrem Gesetzentwurf weiter
aus dem Staub machen können. Gönnerisch weisen Sie
im Entwurf lediglich darauf hin, dass die PKV die Prä-
vention fördern kann, es aber nicht muss. Ihre Versicher-
ten werden eventuell von den Maßnahmen profitieren.
Die private Kasse wird aber nicht gezwungen, dort ein-
zuzahlen.

Prävention und Gesundheitsförderung sind eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe. Es müssen sich alle,
auch finanziell, an diesem Gesamtprojekt beteiligen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen möchte ich in der letzten Minute kurz den
Blick darauf lenken, was Sie denn eigentlich in den letz-
ten drei Jahren zur Verbesserung der Prävention konkret
gemacht haben. Das kann man am besten am Etat fest-
stellen.

Ich habe mir den Haushalt dazu angeschaut. Sie ha-
ben die Haushaltsmittel im Bereich Prävention für das
Jahr 2011 um 2 Prozent gekürzt und für das Jahr 2012
noch einmal um rund 9 Prozent. Die Mittel für For-
schungs- und Entwicklungsvorhaben zur Bekämpfung
von Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankhei-
ten sind für 2011 um 25 Prozent gekürzt worden. Die
Mittel für nationale Aufklärungsmaßnahmen zu sexuell
übertragbaren Krankheiten kürzte die Koalition für 2012
um knapp 10 Prozent. Der Aktionsplan für Ernährung





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) )


)(B)


(C (D und Bewegung, IN FORM, wurde an das Verbraucherschutzministerium übergeben und dort im Jahre 2013 komplett eingestellt. Im Jahr 2013 sind dann die Haushaltsmittel für Aufklärungsmaßnahmen zu sexuell übertragbaren Krankheiten noch einmal um 10 Prozent gekürzt worden, die Mittel zur Bekämpfung von Drogenund Suchtmittelmissbrauch noch einmal um 4 Prozent. Ich fasse zusammen: Seit Ihrem Amtsantritt im Jahre 2009 sind die Mittel im Bereich der Prävention trotz aufwachsender Mittel im Gesundheitswesen um 10 Prozent gekürzt worden. Das sagt mehr aus als jede generelle Aussage über die Wertigkeit von Prävention in Ihrer Politik. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


(Widerspruch bei der FDP)


Täuschen Sie sich nicht: Die Menschen werden sehr
genau auf das Präventionsgesetz und das, was Sie im Be-
reich der Prävention gemacht haben, schauen. Die Bür-
gerinnen und Bürger und die Wählerinnen und Wähler
sind nicht dumm. Sie sehen, dass Sie die Mittel auf der
einen Seite gekürzt haben, sich aber auf der anderen
Seite jetzt mit einem Feigenblatt in Form des Präven-
tionsgesetzes bedecken wollen. Das wird durchschaut
werden. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der
Wahl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Werden wir haben, danke!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723502300

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Erwin

Lotter das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Erwin Lotter (FDP):
Rede ID: ID1723502400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Werte Kollegen von der So-
zialdemokratie, bevor Sie hier unterstellen, der Minister
würde die Unwahrheit darüber sagen, wie Sie sich zu
den Apotheken positionieren, empfehle ich Ihnen, den
Leitantrag Ihres eigenen Parteivorstandes zur Gesund-
heitspolitik zu lesen, wo es wörtlich heißt:

Den Arzneimittelvertrieb werden wir liberalisieren,
um Preisvorteile von größeren Vertriebsstrukturen
zu erreichen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)


Sie sollten vielleicht auch lesen, wie sich Ihr Kanzler-
kandidat geäußert hat. In einem Brief an die Landesapo-
thekerkammer Rheinland-Pfalz spricht er sich nämlich
ausdrücklich für den Versandhandel aus.

Überhaupt ist ja die Abstimmung über das Präven-
tionsgesetz für die Opposition die Stunde der Wahrheit.
Viele Jahre haben wir miterlebt, wie SPD und Bünd-

nis 90/Die Grünen lautstark ein solches Gesetz gefordert
haben: Das umfangreiche Präventionsangebot, das wir in
Deutschland seit Jahrzehnten entwickelt haben, genüge
nicht. Die Prävention stehe nicht im politischen Fokus.
Die bestehenden Maßnahmen seien unkoordiniert.

Nicht, dass etwa die Sozialdemokraten, die erst mit
den Grünen und dann mit der CDU/CSU elf Jahre lang
an der Regierung waren, tatsächlich etwas unternommen
hätten; es ist vielmehr die schwarz-gelbe Bundesregie-
rung, die nach umfangreichen Vorarbeiten endlich einen
Gesetzentwurf vorlegt, der umfassend und zukunftsge-
richtet ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und was hören wir von SPD und Grünen? Zu wenig,
zu spät, zu bürokratisch. Überhaupt hätten Sie alles bes-
ser gemacht. Ganz offen drohen Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, das Gesetz im Bundesrat
scheitern zu lassen.

Ich möchte Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Das
wäre ein Affront gegen die zahlreichen Verbände, gegen
die Vertreter der medizinischen Berufe, gegen die Kran-
kenkassen und gegen die Bundeszentrale für gesundheit-
liche Aufklärung.


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Und gegen die Menschen!)


– Und gegen die Menschen. – Denn all diese Institutio-
nen haben dazu beigetragen, den aktuellen Gesetzent-
wurf zu schaffen. All diese Institutionen erwarten, dass
nun das lange erwartete Präventionsgesetz endlich ver-
abschiedet wird. Dieses Gesetz, meine Damen und Her-
ren, ist nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern mit
Unterstützung einer Vielzahl von Akteuren aus dem Ge-
sundheitswesen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, leider nicht!)


Ihnen allen schulden wir Politiker, endlich tätig zu wer-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, dass der vorliegende Entwurf wichtig ist,
um das Bewusstsein in der Bevölkerung für gesundheits-
förderndes Verhalten zu stärken. Es sind nicht nur die
Krankenkassen und Ärzte angesprochen, die sich bemü-
hen, auf die Menschen zuzugehen, um bereits im Vorfeld
die Zahl insbesondere chronischer Krankheiten zu sen-
ken. Auch jeder Einzelne selbst ist gefordert, sich Ge-
danken über sein persönliches Verhalten zu machen. Die
entscheidende Frage ist und bleibt: Wie können wir je-
den Einzelnen tatsächlich erreichen? – Es reicht doch
nicht, die Fahrradwege zu verbreitern; ich muss die
Menschen aufs Fahrrad bekommen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr gutes Bild!)






Dr. Erwin Lotter


(A) )


)(B)


(C (D Nach unserer Überzeugung ist es die beste Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger in den gesellschaftlichen Strukturen anzusprechen, wo eine große Resonanz möglich ist: Dazu gehören Schulen, Kommunen, Betriebe, aber auch Sportvereine, Altersund Pflegeheime oder Orte, an denen sich viele Migranten aufhalten. Eine weitere Facette dieser Herangehensweise ist es, die herausgehobene Bedeutung der Familien anzuerkennen, zumal im Bereich der Migranten. Kinder und Jugendliche werden die Notwendigkeit eines gesunden Lebens nicht erkennen, wenn es ihnen in der Familie nicht vorgelebt wird. Aus meiner langjährigen Praxis als Arzt weiß ich um die entscheidende Bedeutung von Vorbildern. Dies gilt vor allem für Kinder, aber nicht nur für sie. Wenn ich als Arbeitnehmer in meinem Betrieb Strukturen vorfinde, die mir sportliche Betätigung ermöglichen und ein hochwertiges Essen in der Kantine anbieten, so kann das für mich auch im privaten Bereich ein Ansporn sein. Wenn ich als älterer Mensch miterlebe, wie andere Senioren ihre Lebensqualität durch Bewegung und gesundes Essen erhöhen, kann das auch für mich eine Ermutigung darstellen. Wenn meine Ärzte und die Ärzte meiner Kinder stets aufs Neue Maßnahmen zur Vorbeugung vorstellen, dann werde ich die Bedeutung der Prävention persönlich ganz anders einschätzen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Dies beginnt bei der Ernährungsberatung und hört bei
Untersuchungen zur Früherkennung nicht auf. Diese
Strategie wird umso effektiver, wenn sie mit Anreizen,
mit Boni verbunden wird, die die präventiven Maßnah-
men ihrem Wesen nach begleiten.

All die relevanten Lebenswelten zu identifizieren und
miteinander zu verzahnen – dies ist die Aufgabe des Prä-
ventionsgesetzes. Natürlich werden wir die Ergebnisse
nicht sofort, in zwei oder drei Jahren, sehen können; die
Reduktion von Krankheiten ist erst nach Jahrzehnten
messbar. Der Gesetzentwurf verfolgt einen langfristigen
Ansatz. Diese Nachhaltigkeit ist Kern und Zielvorstel-
lung liberaler Gesundheitspolitik.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, wir wollen nichts unver-
sucht lassen, um die Menschen vor vermeidbaren Krank-
heiten zu bewahren. Damit werden langfristig auch
Krankheitskosten reduziert – im Interesse der finanziel-
len Stabilisierung des Gesundheitswesens. Hiermit müs-
sen wir jetzt anfangen, nicht erst übermorgen. Ich appel-
liere daher ausdrücklich an die Opposition, dem
Präventionsgesetz zuzustimmen und nicht unnötig Zeit
verstreichen zu lassen – im Interesse der Gesundheit un-
serer Bürger.


(Beifall bei der FDP – Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Sie haben doch die Zeit verstreichen lassen, nicht wir!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war voraus-
sichtlich meine letzte Rede hier an dieser Stelle, weil ich
aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr für den Deut-
schen Bundestag kandidieren werde. Ich möchte mich an
dieser Stelle ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit
mit den gesundheitspolitischen Sprechern aller Fraktio-
nen bedanken.


(Beifall)


Man erlebt als Parlamentarier nicht unbedingt immer
nur Glücksmomente. Aber es gab Momente, in denen
man jenseits der parlamentarischen Rituale und des Auf-
einander-Eindreschens doch bei allen Kollegen das Rin-
gen um die beste Lösung gespürt hat. Es gab auch Mo-
mente, in denen man das Gefühl hatte: Ja, die
menschliche Basis stimmt. Da möchte ich mich – das
wird Sie jetzt vielleicht wundern – stellvertretend für alle
anderen beim Kollegen Lauterbach bedanken, weil ich
ihn trotz der politischen Meinungsverschiedenheiten, die
wir haben, immer als sehr kollegial empfunden habe und
weil er in menschlicher Hinsicht hochanständig war ge-
rade in dem Moment, als ich krank geworden bin. Dafür
herzlichen Dank. Ich wünsche mir und dem nächsten
Deutschen Bundestag, dass dieser menschliche Aspekt
erhalten bleibt.

Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723502500

Lieber Kollege Lotter, ich möchte den Dank, den Sie

gerade insbesondere an Ihre Kolleginnen und Kollegen
aus dem Bereich der Gesundheitspolitik ausgesprochen
haben, im Namen des ganzen Hauses gerne zurückge-
ben. Die allermeisten von uns haben mit großem Res-
pekt registriert, unter welchen erschwerten Bedingungen
Sie Ihr Mandat in den letzten Monaten wahrgenommen
haben. Deswegen gilt Ihnen unser Dank und Respekt mit
allen guten Wünschen für die Zeit nach Ende dieser Le-
gislaturperiode.


(Beifall)


Birgitt Bender erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723502600

Herr Kollege Lotter, ich möchte die Gelegenheit nut-

zen, mich den Worten des Präsidenten anzuschließen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war es dann auch eigentlich!)


Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zeit nach der Ar-
beit im Parlament.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-
rück zur Sache. Der zweite Gesetzentwurf, den wir heute
beraten, heißt „Apothekennotdienstsicherstellungsge-
setz“. Sichergestellt wird da aber gar nichts. Es gibt
120 Millionen Euro mehr für die Apothekerinnen und
Apotheker – das wird sie gewiss freuen, und es sei ihnen
auch gegönnt –, aber die Belastung für die Apotheken
bleibt die gleiche. Die Wege für die Patienten und Pa-





Birgitt Bender


(A) )


)(B)


(C (D tientinnen bleiben genau gleich lang; das heißt, es ändert sich überhaupt gar nichts. Man müsste doch an die Struktur herangehen. Die Notdienstbezirke sind historisch gewachsen. Deswegen ist die Belastung der Apotheker und Apothekerinnen außerordentlich unterschiedlich, und zwar nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen verschiedenen ländlichen Räumen; ich habe mir das für BadenWürttemberg schildern lassen. Dementsprechend sind die Wege für Patientinnen und Patienten unterschiedlich lang. Sie erleben es zum Beispiel, dass es die ärztliche Notfallversorgung am Wochenende in der einen Ecke des Landkreises gibt, dass sie dann aber weit in eine andere Ecke des Landkreises fahren müssen, um die Medikamente zu bekommen. Was wird denn da sichergestellt, wenn die Struktur weiterhin so bleibt? Das ist doch eine Farce. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man müsste sich dafür interessieren, wie die Struktu-
ren verbessert werden könnten, wie man die Notdienst-
bezirke neu zuschneiden kann,


(Daniel Bahr, Bundesminister: Das ist Ländersache!)


wie man die ärztliche Notfallversorgung und den apothe-
kerischen Notdienst besser aufeinander abstimmen kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist Ländersache!)


Das würde Apotheker und Apothekerinnen entlasten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das können Sie in Baden-Württemberg doch machen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer hindert Sie denn daran?)


Es würde für die Patientinnen und Patienten weniger
lange Wege mit sich bringen und damit eine Verbesse-
rung der gesundheitlichen Versorgung bedeuten.

Aber den Minister interessiert das alles leider gar
nicht. Das Einzige, was Sie wollen, ist: Ruhe an der
Apothekerfront vor der Wahl. Ja, Sie werden von der
Apothekerlobby Zuspruch bekommen, aber ich sage Ih-
nen: Die Apotheker und Apothekerinnen an der Basis
werden weiterhin unzufrieden sein, auch wenn sie das
Geld begrüßen. Es ist gut, dass es wenigstens innerhalb
der Apothekerschaft eine neue Diskussion darüber gibt,
welches Leitbild in Zukunft für Apothekerinnen und
Apotheker gelten soll. Ich hoffe, dass da auch diese
Strukturfragen eine wichtige Rolle spielen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In einem Kommentar in der Deutschen Apotheker
Zeitung heißt es, es stehe ein Umbruch bevor hin zu an-
deren Dienstleistungen, der ähnlich tiefgreifend sein
werde wie der Wandel vom Hersteller zum Verkäufer
von Arzneimitteln: Nicht mehr das Arzneimittel, son-
dern die Patienten und Patientinnen sollten im Mittel-
punkt stehen. – Das können wir als Grüne nur unterstüt-
zen.

Mehr Patientenorientierung würde im Übrigen auch
heißen: mehr Zusammenarbeit zwischen den verschiede-
nen Gesundheitsberufen. Ich hoffe sehr, dass sich auch
Ärztinnen und Ärzte solchen Kooperationen – Stichwort
„Medikamentenmanagement“ – öffnen. Wir werden das
unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Anhörung werden wir nicht zuletzt thematisie-
ren, welch hoher bürokratischer Aufwand mit Ihrem an-
geblichen Sicherstellungsgesetz verbunden ist. Überzeu-
gende Reformvorschläge sehen anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723502700

Stefanie Vogelsang ist die nächste Rednerin für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1723502800

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Novem-
ber 2009 findet vor jeder wichtigen Landtagswahl alle
zwei bis drei Monate eine Debatte über das Gesundheits-
wesen in unserer Republik statt, häufig unterlegt mit An-
trägen der Linken, der SPD oder der Grünen, in denen
immer von einer katastrophalen Versorgungssituation
und dem Untergang der Gesundheitsversorgung in der
Bundesrepublik Deutschland die Rede ist.

Am Anfang ging es um die finanzielle Situation der
gesetzlichen Krankenversicherung: Die gesetzliche
Krankenversicherung geht pleite; wir bekommen dieses
und jenes nicht gelöst. Ich erinnere mich an überbor-
dende Debatten, die wir hier geführt haben, und an sehr
massive Anschuldigungen von Ihrer Seite. Die Koalition
hat das Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Kran-
kenkassen, zur Regelung der gesetzlichen Krankenversi-
cherung, das GKV-Finanzierungsgesetz, verabschiedet.
Heute spricht kaum jemand mehr über dieses Thema.

Ein zweiter Bereich, in dem es immer wieder massive
Angriffe gibt: die Pharmaindustrie. Es wird behauptet,
die Pharmaindustrie würde sich das Geld der gesetzli-
chen Krankenkassen in die Tasche stecken, wir hätten
eine überbordende Finanzierung im Pharmabereich, wir
hätten eine viel zu starke Finanzierung in diesem Be-
reich. Wir haben das Arzneimittelmarktneuordnungsge-
setz verabschiedet.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Können Sie mal zum Thema kommen, Frau Kollegin?)


Vor Landtagswahlen haben Sie behauptet, dass wir
die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung nicht
sicherstellen könnten.


(Elke Ferner [SPD]: Wo wir recht haben, haben wir recht!)


Wir haben uns mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz
darum gekümmert. Immer wieder wurde auch behauptet,
dass der Bereich Prävention nicht thematisiert werde.





Stefanie Vogelsang


(A) )


)(B)


(C (D Wenn ich die Leistungen dieser Koalition im Bereich der gesundheitlichen Versorgung der Menschen in den letzten Jahren richtig bewerte, dann war das, was Sie hier geschildert haben, nur Popanz und nicht Realität. Es gab Schwierigkeiten und Probleme. Um diese Probleme hat man sich gekümmert. Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, egal ob jung oder alt, arm oder reich, kräftig oder schwächer, haben den bestmöglichen Zugang zu medizinischer Versorgung. Das ist in kaum einem anderen Land – ich möchte sogar behaupten: in keinem anderen Land – dieser Welt so der Fall. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das will die Opposition nicht wahrhaben!)


Das ist eine ganz enorme Leistung unserer Gesell-
schaft. Ich finde, das ist es wert, deutlich gemacht zu
werden. Das sollte man immer wieder sagen. Selbstver-
ständlich entwickeln sich die Dinge. Selbstverständlich
gibt es an der einen oder anderen Stelle Justierungsbe-
darf. Darum kümmern wir uns intensiv. Im Großen und
Ganzen hat das, was Sie hier vorgetragen haben, aber
nicht gestimmt. Die Menschen empfinden die Situation
im Großen und Ganzen auch so. Die Bürgerinnen und
Bürger wissen das, sie sehen das.

Frau Volkmer, Sie haben in Ihrer Rede formuliert – –


(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Sie hat doch noch gar nicht geredet!)


– Entschuldigung, Sie haben recht. Ich meine Frau
Bunge.


(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Sie kennen aber schon die Unterschiede!)


– Ja. Frau Graf, zu Ihnen komme ich gleich auch noch.
Aber jetzt ist erst einmal Frau Bunge dran. – Frau
Bunge, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass Sie an dem
jetzt vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung
der Prävention nichts gut finden außer der Überschrift.
Ich möchte ganz klar sagen: Ich finde, dass der Inhalt ei-
nen riesengroßen Schritt darstellt. Ich werde gleich auf
die Details eingehen. Das Einzige, was ich persönlich
nicht so gelungen und gut finde, weil ich es langweilig
und bürokratisch finde, ist die Überschrift.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Weil Sie mir nicht glauben, habe ich die Experten zitiert! Vielleicht glauben Sie denen wenigstens!)


– Vielleicht haben Sie Experten zitiert, weil Sie nichts
Eigenes zu sagen hatten. Ich kann das nicht so genau be-
urteilen, Frau Kollegin.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Was haben Sie für einen Mist erzählt bisher!)


Herr Lauterbach hat vorgetragen, dass er es als sehr
schlimm erachtet, dass wir ein nationales Gesetz vorge-
legt haben. Ich glaube, Sie wollten ausdrücken, dass wir
ein zentrales Gesetz formuliert haben.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ein zentralistisches sozusagen!)


Das wäre jedenfalls stimmig mit der Kritik, die Sie for-
muliert haben. Aber genau das ist es ja nicht; das sehen
Sie, wenn Sie in den Gesetzentwurf schauen.

In diesem Gesetzentwurf werden das erste Mal im
Deutschen Bundestag nationale Gesundheitsziele festge-
schrieben. Es ist das erste Mal, dass sich das deutsche
Parlament damit beschäftigt. Dabei geht es nicht um die
Projekte A, B und C einer Kommune. Wir alle wissen,
dass wir eine breite Projektlandschaft haben. Diese Pro-
jektlandschaft wollen wir aber nicht einfach nur vor sich
hinwirken lassen. Vielmehr haben wir gesagt: Wir müs-
sen die Kräfte, die wir in unserer Republik haben, im In-
teresse der Menschen, die in Deutschland leben, bündeln
und auf bestimmte Ziele ausrichten. Deswegen bin ich
sehr froh darüber, dass wir bei dieser nationalen Zielfest-
legung fünf, sechs konkrete Ziele im Gesetzentwurf
benannt haben und im Bereich der gesetzlichen Kran-
kenversicherung einen verpflichtenden Orientierungs-
rahmen formulieren.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Gesundheit ist nicht allein die Abwesenheit von Krankheit!)


Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn sich die pri-
vaten Krankenversicherungen im Rahmen ihrer Arbeit
diesen Zielen bei der Förderung und Finanzierung an-
schließen würden.

Ich glaube, dass wir uns in unserem Land ganz inten-
siv mit diesen Themen beschäftigen und in den Städten,
in den Gemeinden, in den Landkreisen darüber diskutie-
ren müssen. Wir müssen diese Ziele wirklich als natio-
nale Ziele begreifen. In den Schulen oder aber auch in
anderen Bereichen, zum Beispiel in Settings, wo Men-
schen mit einem relativ niedrigen Bildungsstand viel-
leicht eine besonders intensive Versorgung und Aufklä-
rung brauchen, könnten wir – unterstützt durch die
gesetzliche Krankenversicherung oder die Bundeszent-
rale für gesundheitliche Aufklärung – daran arbeiten und
große Fortschritte machen.

Ich denke, dass wir durch die Qualitätssicherung, die
Qualitätsprüfung und durch den Orientierungsrahmen in
der gesetzlichen Krankenversicherung davon abkommen
werden, dass zum Beispiel der Besuch einer Muckibude
für einen 20-jährigen jungen kräftigen Mann bezahlt
wird. Das alles sind schöne Leistungen, und junge kräf-
tige Männer sollten ruhig auch in ein Bodybuilding-Stu-
dio gehen – ich habe überhaupt nichts dagegen –,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was ist das denn für eine Aussage?)


aber es muss ja nicht auf Kosten der gesetzlichen Kran-
kenversicherung geschehen. Deswegen, denke ich, ist es
richtig, dass wir diese Qualitätsprüfung, diese Qualitäts-
sicherung haben. Dadurch wird gewährleistet, dass
durch die gesetzliche Krankenversicherung nur solche
Maßnahmen finanziert werden, die auch den nationalen
Zielen, die wir formuliert haben, entsprechen.





Stefanie Vogelsang


(A) )


)(B)


(C (D Ich glaube, lieber Herr Minister, dass Sie uns etwas sehr Gutes vorgelegt haben. Aber es gibt ja nichts, was man nicht noch besser machen kann. Ich freue mich darüber, dass wir diesen Entwurf von Ihnen jetzt in der parlamentarischen Beratung haben. Ich werde noch einmal anregen – man kann es ja versuchen –, dass im Zusammenhang mit den Zielen auch konkrete Gesundheitsbereiche in den Gesetzentwurf geschrieben werden. Vielleicht können wir darüber noch einmal diskutieren. Ich glaube, wir kämen ein Stück weiter, wenn wir zum Beispiel in den Gesetzentwurf schreiben würden: Wir alle verpflichten uns, die Zahl der Diabetes-mellitus-Erkrankungen bis zum Jahr 2020 um 10 Prozent zu senken. Das wäre etwas sehr Konkretes und Fassbares. Alle könnten sich daran ausrichten. Ich glaube, dass man im gesetzgeberischen Verfahren im Deutschen Bundestag noch einmal über die nationalen Ziele diskutieren sollte, könnte, müsste, und dies wird man auch tun. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und bin gespannt, was wir bei der zweiten und dritten Lesung hier vortragen und gemeinsam, lieber Herr Minister, feiern können. Nun ist, wie angekündigt, die Kollegin Marlies Volkmer für die SPD-Fraktion dran. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Lotter, ich spreche im Namen der Kolleginnen und Kollegen unserer Fraktion, wenn ich sage, dass wir Ihnen für die Zusammenarbeit danken, die wir immer als kollegial empfunden haben. Wir würden uns natürlich freuen, wenn wir Sie außerhalb des Parlaments wiedersehen. Wir hoffen, dass Sie noch öfter nach Berlin kommen werden. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Gesundheit und Stabilität! Im Laufe der Debatte ist mir klar geworden, warum wir diese beiden so unterschiedlichen Gesetzentwürfe, den zur Förderung der Prävention und den zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken, gemeinsam unter demselben Tagesordnungspunkt behandeln: weil es über das Präventionsgesetz im Grunde genommen nichts zu sagen gibt; es ist auch nichts gesagt worden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau! Es ist einfach gut!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723502900

(Beifall bei der SPD)

Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1723503000

(Beifall)


Mit Freude habe ich vernommen, wie viel Angst Sie
vor der SPD haben,


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Bitte? Da brauchen Sie keine Sorge zu haben!)


weil die SPD bei den Apothekern viel an Boden gewon-
nen und Sie bei den Apothekern viel an Boden verloren
haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Sorge haben wir nicht, Frau Kollegin!)


Aus diesem Grunde betreiben Sie hier billigste Wahl-
kampfrhetorik.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Schauen Sie in unser Regierungsprogramm! Da steht
kein Wort von Fremdbesitz und Mehrbesitz.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: In dem Programm steht gar nichts! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Sie können wohl nicht lesen, Herr Bahr!)


Jetzt werde ich die Gelegenheit nutzen, unsere Mei-
nung zum Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz dar-
zustellen. Wir haben schon immer gesagt, dass die Fi-
nanzierung des Apothekennotdienstes nicht sachgerecht
und ungerecht ist, weil sie einzig und allein an die Inan-
spruchnahme des Notdienstes gebunden ist. Da liegt es
auf der Hand, dass eine Apotheke in einem struktur-
schwachen Raum schlechter bezahlt wird als eine Apo-
theke in einem Ballungsgebiet. Hier muss es eine Ände-
rung geben. Aber was haben Sie vorgelegt? Es bleibt erst
einmal bei dem Betrag von 2,50 Euro für die Inan-
spruchnahme; an dieser Ungerechtigkeit wird nichts ge-
ändert. Obendrauf kommt nun eine Pauschale. Sie ist
– mit Ihren Worten – „eine Anerkennung für die Leistun-
gen der Apotheker für die Allgemeinheit im Notdienst“.
Ja, das ist doch keine sachgerechte Finanzierung! Das ist
eine kleine Anerkennungsprämie.

Wie bringen Sie das Geld dafür auf? Die 120 Millio-
nen Euro sollen aufgebracht werden durch einen Zu-
schlag auf alle verschreibungspflichtigen Medikamente,
die von der Apotheke abgegeben werden. Es stellen sich
viele Fragen, warum man das so macht. Man kann allge-
mein sagen: Sie haben das gut gemeint. Aber das, was
herausgekommen ist, ist Murks.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das sehen die Apotheker aber anders!)


Das liegt sicherlich auch daran, dass Sie zuerst viel zu
lange gewartet haben. Jetzt, im Wahlkampf, kurz vor To-
resschluss, möchten Sie etwas vorweisen können.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit!)


Um die Fristen einhalten zu können, wird alles übers
Knie gebrochen. Sie haben den Verbänden und dem Na-
tionalen Normenkontrollrat für ihre Stellungnahmen
ganze zwei Tage Zeit eingeräumt. Dass Sie sich selbst
auf diese Weise der Möglichkeit eines unabhängigen
Feedbacks berauben, ist Ihnen doch hoffentlich bewusst.

Wir haben begründete Zweifel, dass der Deutsche
Apothekerverband die richtige Instanz für das Manage-
ment des Fonds ist. Außerdem muss ja mindestens eine
neue Stelle im Bundesgesundheitsministerium geschaf-
fen werden, um diese Arbeit zu überwachen. Auch der
Normenkontrollrat kritisiert den von Ihnen gewählten
Ansatz. Aufwand und Kosten sind zu hoch, und Sie ha-





Dr. Marlies Volkmer


(A) )


)(B)


(C (D ben es versäumt, Alternativen, zum Beispiel ein steuerfinanziertes Zuschussmodell, zu prüfen. Der Apothekennotdienst ist die eine Sache. Die SPD fordert schon seit längerem – wir setzen uns auch weiterhin dafür ein –, dass auch andere Leistungen, die allein von öffentlichen Apotheken erbracht werden, besser vergütet werden müssen. Dabei geht es zum Beispiel um die Abgabe von Betäubungsmitteln und den Aufwand für die Zubereitung von Rezepturen. Das wird viel zu schlecht bezahlt. Auch hier muss es Veränderungen geben. Es muss also nicht nur der Notdienst, sondern es müssen auch viele andere Bereiche unter die Lupe genommen werden, wenn wir wollen – und das wollen wir –, dass auch in strukturschwachen Regionen der Bestand der Apotheken und der Apothekennotdienst gesichert sind. (Beifall bei der SPD – Jens Ackermann [FDP]: Also stimmen Sie zu, ja?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723503100

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dietrich Monstadt (CDU):
Rede ID: ID1723503200

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine Damen und Herren! Wir als Regierungs-
koalition legen heute zwei Gesetzentwürfe vor, die
dringliche Probleme angehen und durch politische Steu-
erung die Lebenswirklichkeit der Menschen aufgreifen
und entscheidend verbessern sollen.

Im Rahmen dieser Debatte wurden schon sehr viele
richtige Dinge angesprochen. Von herausragender Be-
deutung bei der Befassung mit dem Ansatz der Präven-
tion und diesem Präventionsgesetz ist die Vermeidung
chronischer Erkrankungen und für mich persönlich das
Thema Diabetes mellitus. Als selbst Betroffener, als
Typ-2-Diabetiker, verfolge ich die Entwicklung der Zahl
der an Diabetes Erkrankten und der Neuerkrankungen
seit langem mit großer Sorge. Auch die Wissenschaft be-
stätigt Erschreckendes: Tendenz steigend, gerade auch
bei jungen Menschen.

In Deutschland leben circa 7,5 Millionen Menschen,
die an Diabetes erkrankt sind, also circa 10 Prozent der
Bevölkerung, davon 90 Prozent mit dem vermeidbaren
Typ 2. Etwa 3 Millionen wissen noch nicht von ihrer Er-
krankung. Jeder vierte Bewohner in Pflegeheimen hat
Diabetes. Bis 2020 wird eine Verdoppelung der Anzahl
erkrankter Kinder unter fünf Jahren mit Typ-1-Diabetes
erwartet. Die Ursache bei dem häufigen Typ 2 sind fami-
liäre Veranlagung, zu wenig Bewegung, Übergewicht.
Auch Rauchen verdoppelt das Diabetesrisiko.

Nicht nur dass die Menschen unter ihrer Erkrankung
leiden, auch der Kostenfaktor für die sozialen Siche-
rungssysteme ist hoch. Allein im Jahre 2009 verursach-
ten Diabeteserkrankungen Kosten von circa 48 Milliar-
den Euro.

Jeden Tag gibt es rund 100 Neuerkrankungen in
Deutschland. Meine Damen und Herren, ich übertreibe
nicht, wenn ich sage: Auf Deutschland bewegt sich im
Hinblick auf die gesundheitspolitischen Auswirkungen
ein Tsunami zu.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)


Der übergeordnete Ansatz der Prävention gibt hier die
Möglichkeit, gegenzusteuern.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man muss es richtig machen und nicht so wie Sie!)


Die Ursachen von Diabetes und anderen Erkrankungen
sind ebenso wenig krankheitsspezifisch, wie ihre Vor-
beugemaßnahmen es sein dürfen. Zu wenig Sport, Über-
gewicht, Rauchen und falsche Ernährung lösen genauso
Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus, wie sie Diabetes ver-
ursachen.

Was tun wir konkret, um Präventionsansätze im All-
gemeinen wie im Speziellen zu stärken? Wir nehmen
eine zielgerichtete Ausgestaltung der Leistungen der
Krankenkassen zur primären Prävention und Früherken-
nung sowie zum Aufbau gesundheitsfördernder Verhal-
tensweisen vor. Die Reduktion von Diabetes Typ 1 und 2
wird als konkretes Ziel ins Sozialgesetzbuch aufgenom-
men. Beim Bundesministerium für Gesundheit wird eine
ständige Präventionskonferenz eingerichtet. Die Check-
up-35-Untersuchungen werden auf bevölkerungsmedizi-
nisch relevante Krankheiten umgestellt. Wir stärken die
betrieblichen Leistungen zur Gesundheitsförderung. Ins-
gesamt werden 35 Millionen Euro zusätzlich für die Ver-
sorgung der Versicherten zur Verfügung gestellt. Das
kommt gerade jungen Menschen zugute. Wir sind hier
sicher noch nicht am Ziel, aber schon auf einem sehr gu-
ten Weg.

Erlauben Sie mir, als Abgeordneter eines ländlichen
und eher schwach strukturierten Wahlkreises auf ein
weiteres wichtiges Thema dieses Gesetzespaketes einzu-
gehen. Das Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz
halte ich für die Region, die ich vertrete, für ausgespro-
chen wichtig.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)


Ein Apotheker in Deutschland ist generell verpflichtet,
Not- und Nachtdienste wahrzunehmen, um die Versor-
gung der Bevölkerung mit Medikamenten außerhalb nor-
maler Geschäftszeiten zu gewährleisten. Wie viele Not-
und Nachtdienste ein Apotheker übernehmen muss, legt
seine Kammer je nach Bedarf in den Verwaltungsgebie-
ten fest. In meinem Wahlkreis im Westen Mecklenburg-
Vorpommerns ist die Zahl der Apotheken vergleichs-
weise gering. Hier sind deutlich weniger Menschen zu
versorgen. So muss beispielsweise eine Apotheke in Ha-
genow und Wittenburg einmal pro Woche einen 24-Stun-
den-Notdienst anbieten, da es in diesem Verwaltungsge-
biet nur sieben Apotheken gibt, die für den Notdienst zur
Verfügung stehen. In anderen Bereichen Mecklenburg-
Vorpommerns muss gar alle fünf Tage ein 24-Stunden-Not-
dienst durchgeführt werden. Finanzieren kann die Apo-
theke diese Nachtdienste bisher nur aus den 2,50 Euro,





Dietrich Monstadt


(A) )


)(B)


(C (D die ein Kunde zusätzlich zum Abgabepreis zahlen muss, wenn er in der Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr ein Arzneimittel im Notdienst bezieht. Es dürfte jedem einleuchten, dass die Personalund Betriebskosten über eine Gebühr von 2,50 Euro Nachtzuschlag wirtschaftlich nicht abbildbar sind. Die teilweise hohe Häufigkeit der Notund Nachtdienste, die auch am Wochenende anfallen, ist außerdem eine enorme Belastung für Apotheker, Angestellte und deren Familien. Deshalb legt die christlich-liberale Regierungskoalition ein Gesetz vor, um die Apotheken in den ländlichen Regionen zu unterstützen. Die zusätzliche Vergütung von circa 120 Millionen Euro – nicht aus Steuermitteln, sondern über eine Fondslösung – hilft, die Standortnachteile der Apotheken im ländlichen Raum auszugleichen. Herr Dr. Lauterbach, um in Ihrem Bild zu bleiben: Lieber vorbeugen als sich gar nicht bewegen. – Das übergeordnete Ziel der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP ist, die flächendeckende, bedarfsgerechte und wohnortnahe medizinische Versorgung der Bevölkerung weiterhin sicherzustellen, auch in ländlichen Räumen. Diesem Ziel kommen wir heute ein Stück näher. Herr Dr. Lotter, auch meine Fraktion und ich wünschen Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Werdegang. Herzlichen Dank. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der angesprochenen Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/13080 und 17/13081 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Darüber gibt es offenkundig Einvernehmen. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 37: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Ingo Egloff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wirtschaftskriminalität effektiv bekämpfen – Drucksache 17/13087 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Auch hierzu soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine 90-minütige Aussprache stattfinden. – Da ich dazu keinen Widerspruch höre, können wir offenkundig so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion das Wort. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her ren! Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als nicht ausreichend gesehen. Oftmals heißt es: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. – Ich glaube, es ist ein untragbarer Zustand, wenn wir so eine Wahrnehmung, so eine Einschätzung akzeptieren und nicht gegensteuern. Deswegen legen wir heute als SPD-Fraktion einen umfassenden Antrag zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität vor. Warum entsteht der Eindruck: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen? Ich will nur zwei Beispiele nennen: Auf der einen Seite ist da die Kassiererin, der gekündigt wurde, weil sie unberechtigterweise einen Pfandbon eingelöst hat; also klare Konsequenzen für dieses Vorgehen. Auf der anderen Seite hat uns der BGH ganz klar ins Stammbuch geschrieben, dass es in dem Fall, dass sich niedergelassene Ärzte Prämien für die Verschreibung bestimmter Medikamente zahlen lassen, eine Strafbarkeitslücke gibt. Seit diesem Urteil mussten wegen dieser Strafbarkeitslücke immerhin 3 400 Verfahren gegen solche Ärzte eingestellt werden. Das verstärkt den Eindruck: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. Meine Damen und Herren, wir müssen diesem Eindruck engagiert entgegentreten. Nicht nur Korruptionsund Schmiergeldaffären gehören zur Wirtschaftskriminalität, sondern auch die zahlreichen Lebensmittelskandale; ich erinnere nur an die Umetikettierung von Gammelfleisch und die Falschetikettierung von Pferdefleisch. All das läuft unter der Überschrift Wirtschaftskriminalität. Laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik macht die Wirtschaftskriminalität zwar nur 2 Prozent der Kriminalität aus. Durch diese Kriminalität entsteht jedoch ein wirtschaftlicher Schaden von 4 Milliarden Euro. Dieser wirtschaftliche Schaden sollte Anlass genug sein, engagierter gegen Wirtschaftskriminalität vorzugehen. Schlimmer als der wirtschaftliche Schaden ist jedoch der Schaden beim Vertrauen in Wirtschaft, Justiz und Politik. Daher muss Wirtschaftskriminalität entschieden bekämpft werden. Zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgelegt. Diese Maßnahmen betreffen, weil wir einen ganzheitlichen Ansatz wählen, die unterschiedlichsten Bereiche: Rechtspolitik, Innenpolitik, Wirtschaftspolitik, Gesundheitspolitik. Wir wollen überall da eingreifen, wo wir Lücken feststellen und wo wir Möglichkeiten sehen, als Gesetzgeber tätig zu werden. Zunächst einmal geht es um die Frage, wie wir überhaupt von solchen Skandalen wie dem Gammelfleischskandal erfahren. Davon erfahren wir doch nicht etwa, weil irgendeiner der Verantwortlichen sagt: „Oje, Christine Lambrecht )


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723503300

(Beifall bei der SPD)

Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1723503400

(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)





(A) )

(C


(D jetzt bekomme ich aber doch ein schlechtes Gewissen, weil ich den Verbrauchern so etwas zumute und damit auch noch einen Reibach machen möchte“, sondern wir erfahren von solchen Skandalen in der Regel, weil ganz mutige Mitarbeiter irgendwann sagen: „Jetzt reicht es mir aber; so etwas unterstütze ich nicht länger“, und dann damit an die Öffentlichkeit gehen. Durch einen sehr couragierten Lkw-Fahrer haben wir erfahren, dass Gammelfleisch umetikettiert wurde, wodurch es den Verbraucherinnen und Verbrauchern erspart wurde, immerhin 11,5 Tonnen solchen Fleisches zu verzehren. Das hat dieser Mann bewirkt, nicht etwa die Verantwortlichen. Jetzt müssen wir uns überlegen, was mit diesem Mitarbeiter passiert oder auch mit der Mitarbeiterin eines Pflegeheims, die sich über die unzumutbaren Zustände so geärgert hat, dass sie an die Öffentlichkeit gegangen ist, weil sie diese Zustände nicht mehr mittragen wollte. In der Regel erhalten sie dafür keine Zustimmung im Betrieb; denn der Arbeitgeber wird das nicht mit einem lauten Hurra begleiten. Eher erleben sie Mobbing und erhalten gegebenenfalls auch die Kündigung. Deswegen ist es an der Zeit und dringend notwendig, dass wir einen Schutz für die Personen regeln, die auf untragbare Zustände in Unternehmen hinweisen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat lautstark angekündigt, bis
Ende 2012 wolle man einen solchen Schutz auch gesetz-
lich verankern. Whistleblower sollen entsprechend ge-
schützt werden. Was ist passiert? Bisher nichts!

Dieses Untätigsein der Regierung und auch der Koali-
tion hat dazu geführt, dass die Unternehmen mittlerweile
selbst solche Regeln aufstellen. Wir konnten vor zwei Ta-
gen lesen, dass ThyssenKrupp, ein Unternehmen, das
durch Schmiergeldaffären sehr gebeutelt ist, an die eige-
nen Mitarbeiter appelliert, sich vertrauensvoll zu melden,
wenn sie solche Vorgänge erkennen, und ihnen versi-
chert, dass sie mit keinen Konsequenzen rechnen müs-
sen.

Es ist richtig, dass ThyssenKrupp so etwas macht,
auch im eigenen Interesse, um sich dadurch vielleicht
auch von den schwarzen Schafen distanzieren zu kön-
nen; aber das ist der falsche Ansatz. Es kann nicht sein,
dass Mitarbeiter nur in den Unternehmen geschützt sind,
die ihre Mitarbeiter freiwillig zu solchen Hinweisen auf-
fordern, während Mitarbeiter in anderen Unternehmen
mit Konsequenzen zu rechnen haben.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen brauchen wir endlich eine gesetzliche Rege-
lung dafür, dass Hinweisgeber nicht mit Konsequenzen
zu rechnen haben.

Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, der
ebenfalls in diesem Antrag enthalten ist. Es geht um die
Frage, wie wir mit der öffentlichen Auftragsvergabe um-
gehen. Ganz oft erfahren wir nämlich auch hier von
Skandalen.

In irgendeiner Stadt XY wird zum Beispiel ein neues
Hallenbad gebaut – wenn so etwas in Zeiten von knap-
pen Kassen überhaupt noch möglich ist –, oder es wer-
den sonstige Aufträge der öffentlichen Hand vergeben.
Am Ende des Tages stellt sich dann heraus, dass die Un-
ternehmen, an die Aufträge vergeben wurden, entweder
korrupt sind oder schon als Steuerbetrüger oder auch da-
für bekannt sind, dass sie Sozialabgaben nicht abgeführt
haben. Diese Erkenntnisse liegen aber eben nicht der
Kommune vor, die den Auftrag vergeben hat, sondern
sie liegen irgendwo sonst vor. Deswegen brauchen wir
ganz dringend ein Korruptionsregister, in dem all die
Unternehmen, die für solche Vorgänge bereits bekannt
sind, entsprechend aufgeführt werden.

Das wird in vielen Bundesländern schon so gehand-
habt, aber das nützt nichts, wenn sich zum Beispiel eine
Stadt in Hessen erkundigen möchte, ob es in Bezug auf ein
Unternehmen, das bundesweit tätig, aber eben nicht im
örtlichen Register enthalten ist, entsprechende Erkennt-
nisse gibt. Deswegen brauchen wir für jede Kommune
und jeden öffentlichen Auftraggeber endlich ein bundes-
weites Korruptionsregister, damit Klarheit herrscht, wie
mit öffentlichen Geldern umgegangen wird – und zwar
auch im Interesse des Steuerzahlers, der das Ganze hin-
terher ja zu verantworten hat, wenn etwas schiefgeht.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte noch einen dritten Punkt ansprechen. Es
geht um eine Frage, die, wie ich finde, längst hätte be-
antwortet werden können.

Uns liegt ein Urteil des Bundesgerichtshofs vor, in
dem ganz klar geregelt ist, dass die Möglichkeiten der
Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen in Bezug
auf Ärzte, die in Krankenhäusern beschäftigt sind, nicht
auf niedergelassene Ärztinnen und Ärzte anzuwenden
sind. Durch diese Strafbarkeitslücke besteht hier ein
massives Problem. § 299 StGB – Korruptionsstrafbar-
keit – greift hier eben nicht.

Es ist einfach unglaublich, dass es weiterhin möglich
ist, dass niedergelassene Ärzte aufgrund von Prämien,
die sie von den Pharmaunternehmen bekommen, nicht
Medikamente verschreiben, die medizinisch indiziert
sind, sondern Medikamente, die für sie lukrativ sind.
Das ist zum einen ein unverantwortlicher Umgang mit
den Patientinnen und Patienten. Ich verlasse mich doch
als Patient darauf, dass mir der Arzt das Medikament
verschreibt, das für mich am besten ist, und nicht das,
das ihm die höchste Prämie einbringt. Zum anderen aber
wird dadurch auch Schindluder mit den Krankenkassen
getrieben, denn auch da gilt natürlich die Ansage, dass
das Geld für das medizinisch sinnvollste und nicht das
für den Arzt lukrativste Medikament ausgegeben werden
soll. Wir brauchen also ganz dringend die Schließung
dieser Strafbarkeitslücke. Es kann nicht länger angehen,
dass Verfahren eingestellt werden müssen, weil es hier
keine Möglichkeit der Strafverfolgung gibt. Das ist un-
tragbar.


(Beifall bei der SPD)






Christine Lambrecht


(A) )


)(B)


(C (D Wir haben viele Vorschläge in unserem Antrag schon eingebracht. Sie haben, wie so oft, in dem einen oder anderen Bereich, zu den Whistleblowern, zur Schließung der Strafbarkeitslücke, Ankündigungen gemacht; aber bis heute ist nichts passiert. Jetzt hätten Sie die Möglichkeit, die klare Ansage zu machen: Wir legen hier die Hände nicht in den Schoß, sondern bekämpfen Wirtschaftskriminalität ganz konsequent – darin sind wir uns einig –, damit sich der Eindruck „Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen“ nicht weiter verfestigt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Ansgar Heveling. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und nun? Diese Frage habe nicht nur ich mir gestellt, als mir am Dienstag die 23 Seiten des SPD-Antrags auf den Tisch flatterten. Offen gestanden sind wir auch nach dem Beitrag von Kollegin Lambrecht bei der Beantwortung dieser Frage nicht wesentlich weiter gekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Nicht wirklich schlauer!)


(Beifall bei der SPD)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723503500

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1723503600

Handelt es sich bei dem Antrag um einen Beitrag zum
heraufziehenden Wahlkampf oder um eine Fleißarbeit?


(Christine Lambrecht [SPD]: Nein, um die Bekämpfung Ihrer Untätigkeit!)


Ohne Frage sind viele Punkte, die in dem Antrag zusam-
mengetragen worden sind, im Einzelnen sogar durchaus
bedenkenswert.


(Christine Lambrecht [SPD]: Sie sind nicht bedenkenswert, sie sind notwendig!)


Aber so ganz im Klaren darüber, wohin die Reise gehen
soll, ist sich die SPD wohl selbst nicht;


(Burkhard Lischka [SPD]: Sie haben wohl eben nicht zugehört!)


denn man liest durchaus Widersprüchliches.
So zitiert der vorliegende Antrag der SPD eine Studie,

laut der jedes zweite Unternehmen von mindestens ei-
nem Schadensfall in Sachen Wirtschaftskriminalität be-
troffen sei. Das erweckt zunächst den Eindruck, als
wolle man etwas für den Schutz von Unternehmen tun.


(Christine Lambrecht [SPD]: Na klar! Lesen Sie doch den Antrag!)


Dann aber lenkt die SPD den Fokus auf große Unterneh-
men und versucht, dort einseitig den Schwarzen Peter zu
sehen. Mit dem Hinweis auf den Satz: „Die Kleinen
hängt man, die Großen lässt man laufen“, der in dem
Beitrag ständig wiederholt wurde,


(Zuruf von der LINKEN: Das werden Sie noch öfter hören!)


wird reflexartig tief in die Populismuskiste gegriffen.

Was also will die SPD?


(Christine Lambrecht [SPD]: Die Frage ist doch: Was wollen Sie?)


Ich denke, wir sollten das Thema differenzierter sehen.
Auch Unternehmen selbst können Opfer von Wirt-
schaftskriminalität werden, auch große Unternehmen.
Hier sollte man niemanden unter Generalverdacht stel-
len. Natürlich muss Justitia blind sein in dem Sinne, dass
nicht zwischen groß und klein, bedeutend und unbedeu-
tend oder kompliziert und einfach unterschieden wird.
Damit sich die SPD nicht selbst entscheiden muss, wo-
hin es gehen soll, fordert sie kraftvoll von anderen die
Vorlage eines schlüssigen Konzepts.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau!)


Das spricht vielleicht dafür, dass sie ihren Antrag nicht
als solches ansieht. Gerade deshalb lohnt es sich, ge-
nauer hinzusehen und zu fragen: Brauchen wir wirklich
ein weiteres Konzept, oder sind wir nicht schon viel wei-
ter und handlungsfähiger, als es uns die SPD an dieser
Stelle weismachen will?

Ich will mit einem generellen Punkt beginnen. Bei ei-
nem Großteil der in dem Antrag formulierten Punkte
– Steuerstraftaten, Geldwäsche, Sicherstellung und Ein-
ziehung sowie Cybercrime seien stichwortartig genannt –
wird gefordert, sich stärker für europäische Lösungen
einzusetzen oder europäische Regelungen im Strafrecht
stärker als bisher in deutsches Recht zu übernehmen.
Generell verwundert das zunächst ein wenig; denn im
Unterausschuss „Europarecht“ sitzen wir jeden Freitag-
morgen zusammen und beraten vor allem über solche
EU-Richtlinien besonders intensiv, die die Harmonisie-
rung des europäischen Strafrechts zum Gegenstand ha-
ben. Es wird dort in fraktionsübergreifender Einmütig-
keit jeder Schritt einer strafrechtlichen Harmonisierung
kritisch auf Herz und Nieren und seine Notwendigkeit
insbesondere im Hinblick auf die Subsidiarität geprüft.
Alle Fraktionen vertreten dabei die Auffassung, dass die
strafrechtliche Harmonisierung, die im sogenannten
Stockholm-Programm der EU niedergelegt ist, äußerst
sensibel und sehr zurückhaltend zu handhaben ist; denn
das Strafrecht ist und bleibt der Kernbereich staatlicher
Souveränität. Insbesondere das Bundesverfassungsge-
richt hat uns hier eine Reihe von Grenzlinien gesetzt.
Das heißt nicht, dass die Zusammenarbeit nicht ausge-
weitet werden kann; in vielen Fällen geschieht das auch.
Aber es ist zu einfach, in einem Antrag an verschiedenen
Stellen immer nur „Europa, Europa“ zu rufen, vor allem
wenn gleichzeitig im Einzelnen die zurückhaltende Posi-
tionierung gegenüber einer strafrechtlichen Harmonisie-
rung durchaus von allen geteilt wird, so wie es im Unter-
ausschuss „Europarecht“ geschieht.

Ein weiterer Punkt, der ebenfalls angesprochen wer-
den muss, ist die Frage: Brauchen wir ein Unterneh-
mensstrafrecht? Das ist ein Evergreen in der politischen
Diskussion.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz wichtig!)






Ansgar Heveling


(A) )


)(B)


(C (D Ein Beitrag in der Zeitschrift für Rechtspolitik brachte es kürzlich auf den Punkt: Nicht zuletzt wegen der ausgerufenen diversen Finanzund Wirtschaftskrisen ist es derzeit politisch populär, Sanktionen gegen die mächtigen Banken oder auch Unternehmen bzw. deren Entscheidungsträger zu fordern. Außen vor bleibt dann aber die Frage, ob man mit einem reinen Unternehmensstrafrecht wirklich etwas erreichen kann. Immer wieder sehen sich Unternehmen mit strafrechtlichen Ermittlungen konfrontiert. Deswegen aber gleich die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland zu fordern, geht möglicherweise zu weit. Nur weil es gerade politisch attraktiv erscheint, hat es noch nicht eine sachliche Berechtigung; denn das geltende Recht lässt bereits eine hinreichende Bestrafung von Entscheidungsträgern zu, denen Fehlverhalten nachgewiesen werden kann. Durch das Strafrecht werden Auflagen, Geldstrafen oder gar Freiheitsstrafen gegen diese Personen verhängt. Das hängt damit zusammen, dass wir ein Schuldstrafrecht haben, das an das persönliche Fehlverhalten anknüpft. Wenn wir ein Unternehmensstrafrecht einführen wollten, müssten wir die gesamte Dogmatik unseres Strafrechtssystems auf den Kopf stellen bzw. stark überarbeiten. Schauen wir uns einmal Länder an, die ein Unternehmensstrafrecht haben, wie Frankreich und Großbritannien. Es zeigt sich, dass die Verfolgung von Unternehmensstraftaten dort mit einem viel größeren Aufwand verbunden ist, als es bei der persönlichen Inhaftungnahme der Fall ist. Bisher ist nicht der Nachweis erbracht worden, dass damit tatsächlich das Problem effektiver und besser bekämpft werden kann. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht überzeugend!)


Im Antrag werden Punkte aufgeführt, die sich auf den
ersten Blick gut lesen lassen, bei denen sich aber entwe-
der die Frage stellt, was daran neu oder noch nicht aus-
diskutiert ist, oder bei denen festgestellt werden muss,
dass es schon längst angepackt wird.

Thema „Sicherstellung und Einziehung“. Der Vor-
schlag für eine Richtlinie über die Sicherstellung und
Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäi-
schen Union wurde bereits im April 2012 im Bundestag
sowie anschließend im Bundesrat beraten. Es gibt also
auf europäischer Ebene Bestrebungen, diese Frage EU-
einheitlich zu regeln. Das Verfahren läuft aber noch auf
europäischer Ebene. Sobald es abgeschlossen ist, werden
wir selbstverständlich die Richtlinie in nationales Recht
umsetzen. Fazit: Es läuft.

Thema „Reverse Charge im Steuerstrafrecht“. Die
Möglichkeiten des Reverse-Charge-Verfahrens wollen
wir innerhalb des Steuerstrafrechts ausdehnen, weil es
als effizientes Instrumentarium angesehen wird.
Deutschland hat sich in der Vergangenheit an vorderster
Front dafür starkgemacht. Es war die Große Koalition,

die dort sehr aktiv gewesen ist; darauf wird im Antrag
hingewiesen, und das soll auch nicht kleingeredet wer-
den. Wir waren alle zusammen vorneweg. Aber wir sind
in Europa an Grenzen gestoßen und müssen nun zusam-
men mit den Partnern schauen, wie wir in diesem Ver-
fahren weiterkommen. Derzeit befindet sich ein Vor-
schlag der Kommission, im Zuge eines Quick Reaction
Mechanism Reverse-Charge-Verfahren vorzusehen, im
europäischen Gesetzgebungsprozess. Also auch hier
wird etwas getan. Fazit: Es läuft.

Thema „Geldwäsche“. Bereits Ende 2011 haben wir
das Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention
beschlossen. Damit haben wir die dritte EU-Richtlinie
zur Geldwäsche umgesetzt. Es ist also erkennbar, dass
auch auf europäischer Ebene die Geldwäsche einheitlich
besser bekämpft werden soll. Fazit: Es läuft; wir haben
es umgesetzt.

Alle diese Punkte zeigen: Es tut sich etwas. Es bedarf
dieses Antrages überhaupt nicht.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Es sind auch schon alle eingeschlafen!)


Wir haben ein Konzept. Es wird engagiert gegen die
Wirtschaftskriminalität vorgegangen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Genauso engagiert wie Ihre Rede!)


Wir als christlich-liberale Koalition nehmen uns der Pro-
bleme an. Den Antrag der SPD benötigen wir dazu nicht.
Wir werden ihn ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723503700

Für die Fraktion Die Linke erteile ich jetzt dem Kolle-

gen Richard Pitterle das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723503800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Heute geht es um die Bekämpfung
der Wirtschaftskriminalität. Ich frage mich: Warum
steigt sie weiterhin so stark an?


(Jörg van Essen [FDP]: Tut sie ja gar nicht! Sie geht sogar zurück!)


Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Korruption, Geld-
wäsche, Internetkriminalität, Wirtschafts- und Industrie-
spionage sind an der Tagesordnung. Das Geld für Schu-
len, Straßen und Brücken fehlt. Unsere Infrastruktur
wird immer maroder; denn die Kommunen und Bundes-
länder sind klamm. Allein durch die Steuerhinterziehung
verliert Deutschland jährlich Steuereinnahmen in Höhe
von ungefähr 100 Milliarden Euro. Gravierend ist auch
die Internetkriminalität: Viren- und Spionagepro-
gramme, Computerhacking und Phishing, also das Steh-
len von Passwörtern. Jede und jeder kann ein Opfer
werden. Allein die Wirtschaftskriminalität – ohne Be-





Richard Pitterle


(A) )


)(B)


(C (D rücksichtigung der Steuerausfälle – verursacht Schäden bis zu 50 Milliarden Euro jährlich. Wie ist das möglich? Zum einen liegt dies an den technischen Möglichkeiten. Stichworte sind hier die Kommunikationsmöglichkeiten, insbesondere das Internet, und die Globalisierung, die wirtschaftliche Aktivitäten von überall her erlaubt. Zum anderen gibt es auch hausgemachte Ursachen, die die Bundesregierung bekämpfen könnte, wenn sie denn wollte. Es fehlt jedoch am entsprechenden politischen Willen. Ich nenne als Beispiel nur den Personalabbau in den Behörden und Unternehmen. Die Stammbelegschaften werden ausgedünnt, Leiharbeiter eingesetzt, Werkverträge abgeschlossen. Sparen ist die Devise. Da darf man sich nicht wundern, dass die Sicherheit in Unternehmen und Behörden abnimmt. Darauf ist die Bundesregierung auch noch stolz; Hauptsache, die Schuldenbremse ist eingehalten. Wir sagen: Das ist der falsche Weg. Wie sieht es mit den Steuereinnahmen aus? Es fehlen schlicht Betriebsprüferinnen und Betriebsprüfer und Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder. Dadurch ist die Steuerhinterziehung vorprogrammiert. Steuererklärungen insbesondere von reichen Selbstständigen und Unternehmen können nicht ausreichend geprüft werden. Und, Herr Brüderle, wer hat das gemacht? Das haben FDP und CDU/CSU gemacht. (Beifall bei der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Ich bin nicht Herr Brüderle! Mein Name ist van Essen, wenn Sie das vielleicht noch nicht gehört haben sollten! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat’s gemacht? Sie haben’s gemacht!)


(Beifall bei der LINKEN)


– Herr van Essen, ich weiß, dass Sie nicht Herr Brüderle
sind.

Jetzt kommt die Krönung. Statt die Behörden perso-
nell und finanziell so auszustatten, dass sie effektiv ar-
beiten können, verlassen sich einige Bundesländer auf
Deals mit Kriminellen. Das geht sogar so weit, dass den
Datendieben Aufträge erteilt werden, welche Daten aus
Schweizer Banken gestohlen werden sollen. Der Zweck
heiligt aber nicht die Mittel. Wohin das führt, sehen wir
bei den Geheimdiensten, Stichwort „NSU“. Das ist ein
Spiel mit dem Feuer. Die Linke warnt davor.

Einige Bundesländer hingegen handeln inzwischen
richtig. Sie schaffen neue Stellen für Steuerfahnderinnen
und Steuerfahnder und für Betriebsprüferinnen und Be-
triebsprüfer. Die von der Union regierten Bundesländer
wollen dagegen die Stellenzahlen auf dem niedrigen
Niveau halten. Finanzminister Markus Söder von der
CSU musste sich im letzten Monat vom Bayerischen
Obersten Rechnungshof vorhalten lassen, dass jede
fünfte Stelle bei den Betriebsprüfern unbesetzt ist.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Unglaublich!)


Söder möchte, dass sich die Unternehmen nicht zu oft
durch Steuerforderungen gestört fühlen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist typisch für Söder!)


Wir sind der Meinung, dass Bundeskriminalamt, Bun-
despolizei und Zoll anders organisiert und ausgerichtet
werden müssen, wenn sie die Wirtschaftskriminalität ef-
fektiv bekämpfen sollen. Wir brauchen dringend eine
Bundesfinanzpolizei; das fordert die Linke, das fordert
auch die Gewerkschaft der Polizei.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Bundesfinanzpolizei soll zielgerichtet und effektiv
organisierte Geldwäsche, Außenwirtschaftskriminalität,
Subventionsbetrug, organisierten Schmuggel – zum Bei-
spiel von Waffen, geschützten Tieren oder Pflanzen – und
Verstöße beim Verbraucherschutz – zum Beispiel hin-
sichtlich kontaminierter Lebensmittel – bekämpfen.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Stasi! So hört es sich an!)


Meine Damen und Herren, der Antrag der SPD geht
in die richtige Richtung. Die meisten Positionen kann
die Linke im Grunde – ich betone: im Grunde – unter-
stützen. Unterschiede sehen wir in einigen Details, zum
Beispiel bei der Ausweitung des Strafrechts und der Ver-
folgungskompetenzen, der Umkehr der Beweislast bei
Vermögenswerten von Beschuldigten und Verurteilten.
Wir sind entschieden gegen den Einsatz von Geheim-
diensten.


(Beifall bei der LINKEN)


Trotzdem werden wir dem Antrag zustimmen, weil er
die richtigen Themen aufgreift.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723503900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Jörg van Essen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1723504000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

ich mir diesen Antrag der SPD-Fraktion angesehen habe,
habe ich mich gefragt: Was soll er eigentlich?


(Christine Lambrecht [SPD]: Wirtschaftskriminalität bekämpfen!)


– Frau Lambrecht, Sie sagen: „Wirtschaftskriminalität
bekämpfen“. – Ich erwarte aber von einer großen Frak-
tion im Deutschen Bundestag, dass man Klartext redet
und keinen Gesinnungsaufsatz schreibt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Da soll betrachtet werden. Da soll geprüft werden. Da
soll nachgedacht werden. Nein, das ist einfach zu wenig.
Von einer großen Fraktion im Deutschen Bundestag er-
wartet man klare Vorstellungen.


(Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])






Jörg van Essen


(A) )


)(B)


(C (D Genau das ist in Ihrem Antrag nicht enthalten. Das ist die erste Feststellung, die ich treffen möchte. Meine zweite Feststellung: Es wundert mich überhaupt nicht, dass der Vertreter der Linken gerade deutlich gemacht hat, dass er Ihren Überlegungen weitgehend zustimmt. Es ist nämlich genau der Sinn dieses Antrages, die SPD links zu positionieren: (Zurufe von der SPD: Oh! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist doch nicht links!)


Wirtschaft ist nichts, was unser Land voranbringt. Wirt-
schaft vollzieht sich in einem Sumpf von Kriminalität. –
Dabei haben Sie sich selbst verraten, Frau Kollegin
Lambrecht.


(Christine Lambrecht [SPD]: Ui!)


Sie haben den Anteil der Wirtschaftskriminalität mit
2 Prozent beziffert. Richtig ist nicht einmal das; denn im
Jahre 2010 lag dieser Anteil bei 1,7 Prozent, so schrei-
ben Sie es jedenfalls selbst in Ihrem Antrag.


(Christine Lambrecht [SPD]: Und jedes Prozent ist zu viel!)


Im Jahre 2011 ist er aber zurückgegangen, Herr Kollege
Pitterle.


(Christine Lambrecht [SPD]: Und immer noch zu hoch!)


Sie haben von steigender Wirtschaftskriminalität gespro-
chen. Tatsächlich ist dieser Anteil auf 1,3 Prozent zu-
rückgegangen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Das sind ja fast Peanuts!)


Das macht deutlich, dass das Bild, das hier gezeichnet
wird – die Wirtschaft ist von Kriminalität geprägt –, völ-
lig falsch ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was mich als jemanden, der lange Angehöriger der
Staatsanwaltschaft war, auch sehr gewundert hat, ist,
dass Sie den Fortschritt, den wir in der Bekämpfung der
Wirtschaftskriminalität erzielt haben – die Stärkung der
Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften, aber
auch die Stärkung der entsprechenden Spezialkammern
der Landgerichte – überhaupt nicht erwähnen. Viele der
Verfahren, die wir erlebt haben, wären vor 10, 15 oder
20 Jahren noch nicht möglich gewesen, weil sich die
Staatsanwaltschaft mangels Sachwissen daran nicht he-
rangetraut hätte. Ich bin froh, dass sich das geändert hat,
dass jetzt auch Vorstandsvorsitzende, Vorstandsmitglie-
der großer Firmen damit rechnen können, wegen Wirt-
schaftskriminalität verfolgt zu werden.


(Beifall bei der FDP)


Aber eigentlich wundert es mich nicht, dass Sie diesen
Fortschritt nur zurückhaltend ansprechen; denn zur Moti-
vation der dort eingesetzten Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte, Wirtschaftsreferentinnen und Wirtschafts-

referenten gehört auch eine angemessene Bezahlung. Es
ist typisch, dass gerade in Nordrhein-Westfalen die Er-
gebnisse der Lohnrunde im öffentlichen Dienst auf diese
Personen eben nicht übertragen werden.


(Marco Buschmann [FDP]: Hört! Hört!)


Wenn man engagierte Staatsanwältinnen und Staatsan-
wälte, engagierte Wirtschaftsreferentinnen und Wirt-
schaftsreferenten will, dann müssen sie auch entsprechend
entlohnt werden. Es ist auffällig, dass ausschließlich in
rot-grün regierten Ländern eine solche Übertragung auf
den höheren Dienst nicht stattfindet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb wundert es mich überhaupt nicht, dass Sie da-
von so wenig reden.


(Burkhard Lischka [SPD]: Sie haben eine ganz weite Kurve eingelegt!)


Die Wirtschaft funktioniert in unserem Land. Die
schwarz-gelbe Bundesregierung hat für vier gute Jahre
in Deutschland gesorgt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dazu gehört auch, dass die Bundesjustizministerin für
vier gute Jahre in der Rechtspolitik in Deutschland ge-
sorgt hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb sind viele der Dinge, die Sie angesprochen ha-
ben, auf einem guten Weg.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das haben wir schon gehört!)


Zur Frage der Korruption im Gesundheitswesen bei-
spielsweise – Frau Lambrecht hat sie angesprochen –
finden im Augenblick Berichterstattergespräche statt.


(Raju Sharma [DIE LINKE]: Hui!)


Das geht also voran, und ich bin froh, dass es so ist.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das läuft!)


Ich sage ein ganz klares Nein, und zwar auch als lang-
jähriger Angehöriger der Staatsanwaltschaft, zu der Da-
tenhehlerei, die wir im Zusammenhang mit der Schweiz
pflegen. Das kann nicht sein. Strafverfolgung kann nur
rechtmäßig erfolgen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist rechtmäßig!)


Es ist einfach auch die Ehre eines Staatsanwalts, dass sie
nur rechtmäßig erfolgen kann.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut sie auch!)


– Nein, das tut sie nicht, Herr Kollege. – Das, was wir
dort machen, ist aus meiner Sicht eine klare Datenhehle-
rei,


(Burkhard Lischka [SPD]: Aus Ihrer Sicht! Das ist aber eine bemerkenswerte Einstellung!)






Jörg van Essen


(A) )


)(B)


(C (D und deshalb wird es von uns keine Zustimmung dazu geben. Der rechtmäßige Weg ist der, den wir vorgeschlagen haben, nämlich beispielsweise ein Abkommen mit der Schweiz. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das schützt die Steuerhinterzieher!)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir hätten schon Milliardenbeträge in unseren Haushal-
ten, wenn das von SPD und Grünen im Vermittlungsaus-
schuss nicht verhindert worden wäre.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Damit bin ich bei einem zweiten Thema im Zusam-
menhang mit dem Vermittlungsausschuss. Einer der
Punkte, die Sie angesprochen haben, ist die Erhöhung der
Geldbuße bei Verstößen von Unternehmen. In der GWB-
Novelle, die wir im Vermittlungsausschuss hatten, ist eine
Erhöhung von 1 Million Euro auf 10 Millionen Euro vor-
gesehen. Das hätten wir haben können. Gestern sind die
Verhandlungen über die GWB-Novelle in der entspre-
chenden Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses an
Rot-Grün und niemandem sonst gescheitert.

Es ärgert mich, wenn Sie uns hier vorwerfen, dass be-
stimmte Dinge nicht kommen, Sie selbst aber dafür sor-
gen, dass die entsprechende Novellierung, die die gute
Bundesregierung vorgeschlagen hat, nicht stattfindet.


(Stephan Thomae [FDP]: Pure Heuchelei!)


Von daher erwarte ich von Ihnen nicht einen Besin-
nungsaufsatz, sondern eine klare Ansage, was Sie wol-
len, was Sie nicht wollen, wie Sie es ausgestalten wol-
len. Darüber kann man reden. Aber über einen solchen
Besinnungsaufsatz, wie wir ihn vorgelegt bekommen ha-
ben, werden wir – das Gefühl habe ich – nicht zu einem
gemeinsamen Ergebnis kommen, obwohl die eine oder
andere Anregung sicherlich einer vertieften Betrachtung
wert wäre.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723504100

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der

Kollege Jerzy Montag.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723504200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wirtschaftskriminalität ist im Kern Bereicherungskrimi-
nalität rund um die Erzeugung und Verteilung von Gü-
tern und die Erbringung von Dienstleistungen. Sie ist
meist verflochten mit Firmen, mit Unternehmen, mit an-
deren juristischen Personen, und sie umfasst auch alle
Formen der organisierten Steuerhinterziehung. Für die
Wirtschaftskriminalität ist bezeichnend: Einige wenige
Täter schädigen viele Opfer und verursachen hohe Schä-
den. – So steht es jedenfalls im Zweiten Periodischen Si-
cherheitsbericht der Bundesregierung. Man kann es auch
anders sagen: Auf nicht mehr als circa 1,4 Prozent aller

registrierten Straftaten entfällt mehr als die Hälfte des
materiellen Gesamtschadens durch diese Straftaten.


(Burkhard Lischka [SPD]: Genau!)


Dabei sind diese 4 bis 5 Milliarden Euro an jährlichem
Schaden sicherlich nur die Spitze des Eisbergs, weil das
Dunkelfeld im Bereich der Wirtschaftskriminalität weit
überdurchschnittlich groß ist.

Aber nicht nur wegen des hohen materiellen Scha-
dens, sondern auch wegen der mit der Wirtschaftskrimi-
nalität einhergehenden Entsolidarisierung der Gesell-
schaft und der Zersetzung demokratischer Werte und
Strukturen sind wir Grüne jedenfalls überzeugt, dass
Wirtschaftskriminalität sowohl in ihren personalen wie
auch in ihren unternehmerischen Strukturen konsequent
bekämpft werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dabei spielt das Strafrecht eine wichtige Rolle, wenn es
auch nicht das einzige staatliche Mittel ist, um Korrup-
tion zu bekämpfen. Meine Fraktion hat hierzu vielfältige
Vorschläge gemacht, konkrete Gesetzentwürfe vorge-
legt; meine Kollegin Hönlinger wird auf einige noch ein-
gehen.

Die Fleißarbeit der Kolleginnen und Kollegen der
SPD, die eine Zusammenfassung vieler sinnvoller und
nötiger Maßnahmen vorgelegt haben, begrüßen wir aus-
drücklich. Ob es aber, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, Sinn macht, diese schwarz-gelbe Bundes-
regierung aufzufordern, gegen Wirtschaftskriminalität
jetzt, kurz vor der Wahl, vorzugehen,


(Jörg van Essen [FDP]: Sie kennen doch den Wahlausgang! Dann ist das doch naheliegend!)


bezweifele ich. Wir sollten dies nach dem 22. September
zu unserer Aufgabe machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Die vielen positiven Maßnahmen zu würdigen, dafür
fehlt mir die Zeit. Dass mir jedenfalls einige Punkte kri-
tisch erscheinen, will ich aber nicht verschweigen. Dazu
gehören zum Beispiel die Beweislastumkehr


(Jörg van Essen [FDP]: Ja, sehr richtig!)


bei der strafrechtlichen Sicherstellung von Vermögens-
werten, deren strafbare Herkunft unbekannt bleibt, eine
weitere Aufblähung des Geldwäscheparagrafen – schon
jetzt mit zehn Absätzen und 701 Wörtern ein Ungetüm
im Strafgesetzbuch –, die Streichung der rechtsstaatlich
wohl gebotenen Straflosigkeit der Selbstbegünstigung,
besonders aber – das hat mich wirklich gewundert – das
neue Betätigungsfeld für den Bundesnachrichtendienst
und die Verfassungsschutzämter im Bereich der soge-
nannten Konkurrentenausspähung und der Verletzung
von wirtschaftlichen Geheimnissen. Dieser letzte Punkt
– so jedenfalls die Auffassung der Grünen – verbietet
sich geradezu, bevor die Geheimdienste nicht einer Ge-





Jerzy Montag


(A) )


)(B)


(C (D neralreform an Haupt und Gliedern unterzogen worden sind. Einen wirklich zentralen Ansatz im Antrag der SPD will ich näher beleuchten: die Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Sollen juristische Personen, Unternehmen, vertreten durch ihre Organe, also letztlich vertreten durch natürliche Personen, verteidigt von Wahloder Pflichtverteidigern, vor Strafgerichten angeklagt werden können? Wir sagen: Wer schon bei dieser Frage abblockt, wie wir das vonseiten der CDU/CSU gehört haben, und sich hinter dem Schuldprinzip verbarrikadiert, der verkennt die Brisanz dieser Debatte, der verkennt die Entwicklungen in der Europäischen Union und der verkennt die Notwendigkeit, sich bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität neuen Gedanken und neuen Instrumenten zu öffnen. Wir Grünen sagen ganz klar: Wir wollen ein Unternehmensstrafrecht, das über das heutige Ordnungswidrigkeitenrecht hinausgeht. Uns ist bewusst, dass letztlich immer nur Menschen handeln können. Deshalb wird ein Unternehmensstrafrecht kein Schuldrecht im klassischen Sinne, sondern immer ein Recht der strafrechtlich relevanten Zurechnung des Handelns oder Unterlassens von Menschen zur jeweiligen juristischen Person sein können. Selbstverständlich können Unternehmen auch nicht zu Haftstrafen verurteilt werden; aber im Unternehmensstrafrecht ist viel mehr denkbar als nur die Verhängung von Geldstrafen. Auch Betätigungsverbote, zeitlich befristet und sektoriert, sind denkbar. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir doch schon!)


(Zuruf von der FDP: Auch danach!)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Überwachung bestimmter Tätigkeitsfelder und beson-
dere Berichtspflichten dazu sind möglich. Wiedergutma-
chung und ein Täter-Opfer-Ausgleich gehören auch zum
Ahndungskasten von Strafgerichten im Unternehmens-
strafrecht. Wir werden über den Zaun des deutschen
Rechts schauen und sorgfältig studieren müssen, zu wel-
chen Mitteln viele andere Rechtsstaaten greifen, bei de-
nen ein Unternehmensstrafrecht längst eingeführt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU arbeitet
längst an Modellen eines supranationalen Unternehmens-
strafrechts. Die Abwehrreflexe in Deutschland vonseiten
der schwarz-gelben Koalition sind längst auf dem Radar-
schirm der Europäischen Kommission. Deshalb sind wir
gut beraten, uns dieses Themas in der nächsten Legisla-
turperiode beherzt anzunehmen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723504300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Dr. Matthias Heider das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1723504400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

einmal muss man auch eine anerkennende Anmerkung
an dieser Stelle machen: Sie haben mit Ihrem Antrag
eine lange Sammlung denkbarer Änderungen im Straf-
gesetzbuch und in vielen Nebengesetzen vorgelegt. Da-
rin sind durchaus detaillierte Befunde zu Delikten im
Sektor der geschäftsmäßigen Tätigkeit von Unterneh-
men, die eine kriminelle Energie aufweisen, zu finden.
Spätestens bei einem Satz in Ihrer Einleitung bin ich al-
lerdings skeptisch geworden. Ich zitiere:

Vom Staat nicht effektiv verfolgte oder sogar gedul-
dete Wirtschaftskriminalität verletzt das Gerechtig-
keitsgefühl vieler Menschen.

Hätten Sie nicht eigentlich von Handlungen oder ei-
nem vorwerfbaren Verhalten sprechen müssen? Taten,
die unsere Rechtsordnung mit Strafe bedrohen, knüpfen
an Handlungen an. Deshalb wird auch bei Wirtschafts-
straftaten das strafrechtlich vorwerfbare Verhalten einer
natürlichen Person angeklagt. Ermittlungen richten sich
zuvor an das verantwortliche Handeln von Vertretern
oder Personen in einem Unternehmen. In dem gerade zi-
tierten Satz wird einmal eben so der Eindruck erweckt,
der Staat schaut zur Seite, Tausende von Polizisten,
Staatsanwälten und Richtern schauen tatenlos zu, wenn
wirtschaftskriminelle Machenschaften auffällig werden,
und Bürgerinnen und Bürger werden dadurch ungerecht
behandelt. Das ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zur Sache: Der Begriff „Wirtschaftskriminalität“ ist
ein Auffangbecken vieler Straftaten, die wirtschaftliche
Bezüge aufweisen. Wir sprechen von Formen des Dieb-
stahls, des Betrugs, der Untreue, der Korruption, der
Wirtschaftsspionage und der Verletzung geistigen Eigen-
tums. Findet ein Teil dieser Taten im World Wide Web
statt, spricht man auch von Cybercrime. Wirtschaftskri-
minalität als Ganzes verursacht hohe materielle Schä-
den. Nach einer Studie der KPMG aus dem letzten Jahr
reichte die Bezifferung des Schadens aus wirtschaftskri-
minellen Handlungen im Jahr 2011 von 4 Milliarden
Euro bis hin zu 20 Milliarden Euro. Jedes vierte deut-
sche Unternehmen mit mehr als neun Beschäftigten war
in den vergangen zwei Jahren Opfer von Wirtschaftskri-
minalität. Jeder dieser Fälle hat durchschnittlich einen
Schaden von 30 000 Euro verursacht. Dabei stammt die
Hälfte der Täter aus den Unternehmen selbst.

Diese Differenzierung vermisse ich in Ihrem Antrag.
Es gibt zwei große Gruppen von Wirtschaftskriminellen.
Es gibt zum einen Wirtschaftskriminalität, die zum
Nachteil des Staates, seiner Bürger, wenn Sie so wollen,
begangen wird. Auf der anderen Seite wird die Masse an
Straftaten zum Nachteil von Unternehmen und Personen
begangen. Wichtigstes Mittel jedenfalls in Bezug auf
Unternehmen ist die Vermeidung von Wirtschaftskrimi-
nalität, die Prävention. Auf seinen 23 Seiten enthält Ihr
Antrag leider nur sehr wenig über Prävention, aber viel
mehr über Abschreckung und die Erweiterung von
Straftatbeständen, über ein Gesetz für Whistleblower.
Aktionismus in Sachen Cybercrime und Wirtschaftsspio-
nage steht im Vordergrund. So verwundert es nicht wirk-





Dr. Matthias Heider


(A) )


)(B)


(C (D lich, dass in diesem Antrag in Robin-Hood-Manier unzählige Forderungen zusammengekommen sind, die durchgängig eine soziale Ungerechtigkeit suggerieren und dem Staat als solchem vorwirft, Wirtschaftskriminalität zu dulden. Es wäre schön gewesen, wenn in den Antrag nicht einfach alles geschrieben worden wäre, was einem vor einem Wahlkampf einfällt, weil dadurch der Eindruck entsteht, dass Unternehmer, Managerinnen und Manager, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die lediglich eine Ordnungswidrigkeit begangen haben, in Bausch und Bogen mit Kriminellen und Steuerhinterziehern in einen Topf geworfen werden. Auch das ist nicht in Ordnung. Im Kern der Debatte sind wir uns bei einer Reihe von Fragen einig. Wirtschaftskriminalität muss bekämpft werden. Es gibt eine Reihe von diskussionswürdigen Ansätzen in Ihrem Antrag, die wir schon an anderer Stelle besprochen haben, zum Beispiel im Wirtschaftsausschuss das Korruptionsregister. Leider schafft es der Antrag nicht, an vielen Stellen der Versuchung zu widerstehen, unter dem Deckmantel der Ernsthaftigkeit eines sehr wichtigen Themas Wahlkampf zu betreiben. Ich könnte beispielsweise eingehen auf die Solidaritätsadresse an Ihren Kanzlerkandidaten auf der Seite 16. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, auf den fatalen Irrglauben einzugehen, dass der Ankauf illegal erworbener Steuerdaten (Manfred Zöllmer [SPD]: Was ist denn daran illegal?)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


ein angemessenes finanz- und strafpolitisches Instru-
ment zur Verfolgung von Steueransprüchen sei.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist nicht illegal! Ihr Staatssekretär hat im Finanzausschuss erklärt, das sei legitim! Sie müssen sich das einmal anhören!)


Dass Sie, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, kein Problem damit haben, zeigt das
jüngste Beispiel des Ankaufs von Steuer-CDs durch das
Land Rheinland-Pfalz. Eines möchte ich an dieser Stelle
einmal deutlich machen:


(Manfred Zöllmer [SPD]: Fragen Sie doch mal Ihren Staatssekretär Koschyk, wie er das bewertet!)


Das Bundesverfassungsgericht geht, anders als Sie in Ih-
rem Antrag suggerieren, in seinem Beschluss zur Ver-
wertung illegal erworbener Steuerdaten


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist nicht illegal!)


nicht auf die Frage ein, ob illegal erworbene Daten ei-
nem Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren unter-
liegen. Das Gericht macht lediglich deutlich, dass sich
der Anfangsverdacht für eine Wohnungsdurchsuchung
auf diese Daten stützen darf. Das ist der entscheidende

Unterschied. Im Übrigen lässt es offen, inwieweit sich
die Amtsträger bei der Beschaffung der Daten nach in-
nerstaatlichem Recht strafbar gemacht haben. Das ist ein
dezidierter Unterschied.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wollen Sie Steuerhinterzieher schützen? Sagen Sie das doch einmal!)


Warum Sie auf der einen Seite rechtliche Grauzonen
präferieren


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist keine rechtliche Grauzone! Ihr Staatssekretär Koschyk hat gesagt, das sei legitim!)


und davon profitieren wollen, auf der anderen Seite aber
einen völkerrechtlich sauberen Vertrag ablehnen und ihn
im Bundesrat blockieren, das ist mir schleierhaft.


(Burkhard Lischka [SPD]: Schutz von Kriminellen!)


Ich sage Ihnen im Anschluss an das, was der Kollege
van Essen schon gesagt hat: Die Hehlerei mit gestohle-
nen Steuerdaten ist ein mühsamer Weg, um Steuersün-
dern auf die Spur zu kommen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist keine Hehlerei! – Manfred Zöllmer [SPD]: Sie treten als Schutzheiliger der Steuerhinterzieher auf!)


Abschließend vielleicht noch ein Satz zum Gesund-
heitswesen; auch diesen Bereich hatten Sie angespro-
chen. Es ist unumstritten, dass sich die überwältigende
Mehrheit der Ärzte und der Leistungserbringer in
Deutschland korrekt verhält.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Burkhard Lischka [SPD]: Das bestreitet doch kein Mensch!)


Genauso klar ist, dass wir bei einem Fehlverhalten tätig
werden müssen. Der richtige Ansatz ist aber nicht, eine
Berufsgruppe mit Straftatbeständen zu diskreditieren;
der richtige Weg ist, dass wir uns an den einzelnen Stel-
len der Sonderstrafnormen Gedanken machen müssen,
wie wir das dolose Verhalten mit einer Reaktion belegen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Die meisten Menschen sind auch keine Ladendiebe!)


Richtig ist, dass eine Weiterentwicklung auch in der ärzt-
lichen Selbstverwaltung möglich ist. Aber ob es dazu
das Instrument des Strafrechts braucht, das ist die Frage.

Es gibt einige wenige positive Anregungen in Ihrem
Antrag, die wir durchaus aufnehmen und in der Dis-
kussion sowohl im Wirtschaftsausschuss als auch im
Rechtsausschuss weiter behandeln sollten. Ich bin der
Auffassung, dass einige Beratungen sicherlich erforder-
lich sein werden. Aber beanspruchen Sie bitte nicht mit
dem unterschwelligen Wahlkampfgetöse, das Sie mit Ih-
rem Antrag verbreiten, die Aufmerksamkeit für die Ver-
änderung strafrechtlicher Normen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) )


)(B)


(C (D Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Lothar Binding das Wort. Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr van Essen erwartet klare Vorstellungen. Das ist immer ein schöner Satz. Den will ich ein bisschen genauer reflektieren; denn bezogen auf das von Ihnen erwähnte Abkommen bzw. den Ankauf der Steuer-CDs haben wir von der FDP und der CDU oft gehört, es sei verfassungswidrig, die CDs anzukaufen. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht nach meinem Verständnis erklärt, dass der Ankauf verfassungsgemäß ist. Das wurde eben ein bisschen bestritten. Allerdings stütze ich meine Interpretation auf Aussagen im Finanzausschuss. Dort haben sich der Kollege Koschyk und, soweit ich mich erinnere, auch der Minister Schäuble darauf berufen und den Ankauf der CDs begrüßt, mit den notwendigen Konsequenzen. Jetzt wissen wir: Nach dieser Interpretation ist der Ankauf verfassungsgemäß. Nun sagt die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger plötzlich: Dann verbieten wir es halt. – Nun ist die Frage, ob das der richtige Reflex auf diesen Vorgang ist, ob das eine klare Position ist und ob das zu kraftvollem Handeln führt. Ich wiederhole: Ein Minister erklärt unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts den Ankauf für verfassungsgemäß, während sich die Ministerin für ein Verbot ausspricht. Wenn Sie das eine klare Handlungsoption nennen, dann ist mir unklar, was Sie unter „klar“ verstehen. Sie haben noch einen beliebten, ich möchte sagen: Trick angewandt, um ganz bestimmte Überlegungen zu diskreditieren. Sie haben nämlich gesagt, dass wir mit unserem Antrag der Wirtschaft allgemein unterstellten, sie sei von Kriminalität geprägt. Genau das ist aber nicht der Fall. Herr Heider hat das auf die Arbeitnehmer erweitert, als ob wir allen Arbeitnehmern und Unternehmern unterstellen würden, sie seien kriminell. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Erinnern Sie sich einmal, was unter der rot-grünen Koalition hier im Saal für ein Theater war, wenn man das Bankgeheimnis auch nur angesprochen hat. Was war da hier los! Das Bankgeheimnis war ein Heiligtum. Ähnliches gilt für das Wort „Steuerbetrug“: Wenn wir uns um Steuerbetrug kümmerten, hieß es plötzlich, in unseren Augen seien doch alle Steuerbetrüger; die ganze Wirtschaft, alle seien böse. – Nein, das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir von Steuergestaltung, von Geldwäsche, von Schlupflöchern, vom Bankgeheimnis, von Steuerbetrug reden, dann wollen wir immer die Betrüger und die Kriminellen fangen, und zwar zum Schutz der Ehrlichen und der Fairen. Dann wird ein Schuh daraus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723504500

(Beifall bei der SPD)

Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1723504600

(Manfred Zöllmer [SPD]: So ist es!)


(Jörg van Essen [FDP]: Ja!)


(Beifall bei der SPD)


Sie haben noch einmal das Abkommen mit der
Schweiz erwähnt. Wir erwähnen es jeden Tag ungefähr
dreimal. Das will ich jetzt auch machen. Sie haben recht:
Bezogen auf die Vergangenheit geht durch die Ableh-
nung des Abkommens mit der Schweiz Geld verloren,
und zwar aufgrund der Verjährung.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau so ist es!)


Das stimmt; das ist völlig klar. Wer wollte das bestrei-
ten? Aber für die Zukunft hätte das Abkommen eine An-
onymisierung für alle Zeit bedeutet. Sie hätten überhaupt
niemanden mehr erwischt. Sie wollen auch keine Steuer-
CDs kaufen. Auf wen wollen Sie sich dann überhaupt
verlassen, wenn es keinen automatischen Informations-
austausch gibt? Wie hätten Sie denn bei vollständiger
Anonymität jemals zu Steuereinnahmen kommen wol-
len? Jetzt werden Sie natürlich sagen: Wenn ich unter-
stelle, da seien Leute anonym, dann unterstelle ich allen
Menschen, dass sie anonym bleiben wollen. – Nein, ich
unterstelle nur denjenigen, die anonym bleiben wollen,
sie seien anonym. Da stimmt es auch. Gegen sie wollen
wir vorgehen. Das ist eine sehr zielgenaue Überlegung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war zu der Zeit besonders schlimm, mit der
Schweiz über ein Abkommen zu verhandeln. Denn Sie
sind damit im Grunde den USA in den Rücken gefallen,
die ein besseres Abkommen ausgehandelt haben, das
nicht auf bilateralen Überlegungen beruhte, nämlich das
FATCA-Abkommen, den Foreign Account Tax Com-
pliance Act. Wir sind froh, dass inzwischen auch die
Schweiz eine neue Stufe der Erkenntnis erlangt hat und
jetzt selber sagt: Der Weg der bilateralen Abkommen
war ein Irrweg. – Die Schweiz verlässt diesen Pfad. In-
sofern konterkariert jetzt sogar die Schweizer Regierung
das Anliegen Ihres Abkommens, das Sie hier immer
noch rückwärtsgewandt verteidigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will darauf hinweisen, wie nah einem manchmal
Probleme kommen können. Ich kann überhaupt nicht ab-
schätzen, welche rechtliche Bedeutung das hat. Mich in-
teressiert natürlich schon, wie die Koalition bestimmte
Vorgänge reflektiert, zum Beispiel, wenn ein Mitglied
des Finanzausschusses einen Praktikanten hat, über den
dann in der Zeitung steht, er heiße Bushido und habe
Kontakte zur Mafia, es gehe um Fragen rund um Kor-
ruption und Geldwäsche. So nah können einem die Pro-
bleme kommen. Da meine ich auch nicht alle und jeden,
sondern nur die, die unmittelbar davon betroffen sind.

Gemäß der neuerlichen Rhetorik will die Regierung
Steueroasen aktiv bekämpfen. Jetzt ist es aber so: Wenn
Sie die Offshore-Leak-Daten wirklich auswerten woll-
ten, dann müssten Sie eigentlich in der G-8-Runde und
im Zusammenhang mit der EU-Geldwäscherichtlinie





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) )


)(B)


(C (D viel aktiver ein verpflichtendes Onlineregister der Briefkastenfirmen fordern. Davon haben wir aber noch nicht gehört. Es wäre aber wichtig. Dazu gibt es gute Vorschläge vom Tax Justice Network. Es wäre eine gute Sache. Sie reden auch davon, dass Steueroasen ausgetrocknet werden müssen, übersehen aber ganz, dass möglicherweise auch Deutschland in diesem Kontext eine Rolle spielt. Denn wollten wir ausschließen, dass in den weltweiten Netzwerken von Geheimhaltung und Intransparenz nicht auch Deutschland eine große Rolle spielt? Sie wissen, dass die Steuerfreiheit vieler Finanzanlagen internationaler Anleger in Deutschland in Kombination mit den fehlenden Berichtspflichten der Banken gegenüber den Finanzämtern ein großes Problem darstellt, wenn es darum geht, illegale Vorgänge aufzudecken. Wir können sicher nicht garantieren, dass von den von der Weltbank geschätzten 1,6 Billionen US-Dollar Schwarzgeld nicht ein großer Teil in Deutschland zu finden ist. Ich glaube, wir sollten den Blick darauf lenken. Wenn Sie sich überlegen, wie spät wir erst die Gaddafi-Konten gesperrt haben, dann wissen Sie: Man muss über solche Dinge nachdenken. Wenn man auf die anderen zeigt, ist es immer gut, bei sich selbst nachzuschauen. Denn diejenigen, über die wir reden, sind so gut vernetzt, dass auch Deutschland fast automatisch eine unrühmliche Rolle spielt. Wir brauchen also ein Onlineregister für Briefkastenfirmen. Wir sind uns alle einig, dass wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, in welcher Form das gestaltet werden soll. Wir müssen uns überlegen, wie wir einen ernsthaften Informationsaustausch innerhalb der OECD gewährleisten können; denn nicht nur die ehrlichen Konzerne, sondern speziell auch die Gauner sind international organisiert. Ihnen können wir mit nationaler Gesetzgebung natürlich nicht beikommen. Wenn wir dieses Thema behandeln, dann stoßen wir immer auf einen weiteren Argumentationspfad. Das betrifft die Internationalisierung, die Globalisierung und Europa. Wann immer wir einen Vorschlag machen, der ernsthafte Konsequenzen nach sich zu ziehen droht und der möglicherweise den Gaunern sehr nahe kommt, dann wird hier argumentiert: Das geht nur, wenn man eine Lösung auf internationaler Ebene hat, das geht nur global, das geht nur in Europa. – Ich glaube, dass damit eine bestimmte Entscheidungsschwäche kaschiert werden soll. Wenn wir wissen, was wir wollen, wenn wir wissen, was für die Welt gut ist, dann können wir, denke ich, in Deutschland damit anfangen. Das wäre ein wichtiger erster Schritt. Wir sind in vielen Fällen beispielgebend, und so könnten wir dafür sorgen, dass unser gutes Modell auch international fortgesetzt wird. Aber auf diesem guten Pfad sind Sie noch nicht. Ich finde, Sie könnten in Ihren Entscheidungen etwas mutiger sein, um auch auf internationaler Ebene etwas durchzusetzen. Das wirft auch ein Schlaglicht auf die Schwäche unserer Außenpolitik; denn das, worüber ich spreche, muss außenpolitisch vorbereitet werden. Können Sie mir sagen, wer in dieser Regierung außenpolitisch vorbereitet, was man finanzpolitisch erreichen will? Ich kann da nichts erkennen. Das wäre aber ein ganz wichtiger Pfeiler für die internationale Finanzpolitik. Lassen Sie mich ein, zwei Beispiele nennen, die belegen, wie schwer Sie sich tun. Trotz langer Diskussion haben wir immer noch die Cash-GmbH, obwohl wir – das ganze Haus – derartige erbschaftsteuerliche Gestaltungen vermeiden wollen. Trotzdem haben Sie das Verfahren erst einmal verzögert, dann zusammengefaltet. Jetzt kommt es zu einem weiteren Gesetzgebungsverfahren. Hier liegt die Schwierigkeit, die Sie haben. Ich will noch einen Schritt weitergehen: Sie haben die RETT-Blocker-Strukturen in Ihrem neuen Gesetzgebungsverfahren noch gar nicht aufgegriffen. Sie merken: Sie helfen denjenigen, die Steuergestaltung betreiben wollen, immer wieder bei ihren Problemen. Helfen Sie doch lieber demjenigen, der seine Steuern ehrlich und fair bezahlt. Für Gauner muss das Gegenteil gelten. Wer solche Steuergestaltungen im eigenen Land erkennt, der muss eilig und entschieden handeln. Auch die CDU hat das eigentlich erkannt. In einem Flugblatt schreibt sie: „Die CDU handelt, die SPD redet nur“. Darüber steht etwas ganz Interessantes, nämlich: „Strafen für Steuersünder“. Wie harmlos das doch klingt. Steuerhinterziehung ist aber keine Sünde. Ein Kollege sagte zu mir: Wenn eine Partei das C im Namen führt, dann müsste sie eigentlich wissen, dass das eine Straftat ist. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)


Da besteht schon ein Unterschied. Man sollte sich gut
überlegen, was man schreibt.

Jetzt steht hier: „Rot-Grün hat seine Regierungszeit
nicht für eigene Initiativen genutzt“. Das kann sein. Es
ist natürlich zehn Jahre her, dass Rot-Grün regiert hat,
und man muss sagen: Das war eine andere Zeit und im-
mer begleitet von dem, was ich vorhin sagte, dass näm-
lich Sie gegen eine Verbesserung der Kriminalitätsbe-
kämpfung waren.


(Jörg van Essen [FDP]: Aber Sie hatten doch die Mehrheit!)


– Wir haben eine Mehrheit im Bundesrat gehabt? Wenn
Sie das einmal prüfen, merken Sie, dass Ihre Aussage
falsch ist. Außerdem schreiben Sie: Die Braunschweiger
Erklärung ist reiner Populismus. Dabei ist es umgekehrt.

Ich glaube, Sie haben Angst vor Peer Steinbrück, weil
er nämlich anpackt. Er redet nicht nur Klartext, sondern
Sie müssen auch damit rechnen, dass er tut, was er sagt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb reagieren Sie so empfindlich auf seine Vor-
schläge. Ich freue mich sehr darauf, ihn eines Tages in
einer Regierung zu sehen, was möglicherweise schon
bald eintreten wird.

Alles Gute.


(Beifall bei der SPD)







(A) )


)(B)


(C (D Jetzt hat das Wort der Kollege Marco Buschmann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723504700


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1723504800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Verbraucher und der ehrbare Kaufmann müssen vor
schwarzen Schafen geschützt werden. Das ist hier Kon-
sens. Wir als schwarz-gelbe Regierung tun auch etwas.
Erst gestern haben wir hier im Hause ein breites Maß-
nahmenbündel gegen unseriöse Geschäftspraktiken auf
unterschiedlichen Ebenen des Rechts beschlossen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht beschlossen!)


Aber zum Schutz der Verbraucher und des ehrbaren
Kaufmanns vor schwarzen Schafen gehört natürlich
auch das Strafrecht.

Der Kollege Montag hat den Antrag der SPD vorhin
mit dem etwas zweifelhaften Titel einer „Fleißarbeit“
geadelt. Fakt ist, dass die Fleißarbeit insbesondere im
Abschreiben bestand, weil fast alle diese Maßnahmen
seit der Justizministerkonferenz vom 9. November 2011
bekannt sind. Dort ist dieses Maßnahmenbündel nicht
beschlossen worden, weil es eine ganze Reihe sachlicher
Bedenken dagegen gab. Sie wissen, der Deutsche An-
waltverein hat dieses Paket gerügt, weil es den Eindruck
erweckt, dass man allein mit der Androhung höherer
Strafen zu einer besseren Bekämpfung der Wirtschafts-
kriminalität kommt. Fakt ist – alle Kriminologen bestäti-
gen uns das –: Nicht der Strafrahmen ist das Entschei-
dende, sondern die Aufklärungsquote.


(Beifall bei der FDP)


Die Aufklärungsquote – das hat das Bundeslagebild
Wirtschaftskriminalität der JuMiKo bestätigt – ist im
Bereich der Wirtschaftskriminalität besser als in den üb-
rigen Kriminalitätsbereichen. Das heißt, das Bild, das
versucht wird zu zeichnen, man täte hier nichts, man
könne Wirtschaftskriminalität betreiben, ohne sich Sor-
gen vor Strafverfolgung zu machen, ist falsch. Das
Ganze ist allein dem Umstand geschuldet – das hat der
Kollege van Essen hier schon herausgearbeitet –, dass
kurz vor Ende der Legislaturperiode versucht wird,
Stimmung zu machen, und zwar gegen die Fakten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Die absolute Krönung dieses Unterfangens findet sich
in dem einzigen originellen Teil des SPD-Antrags, dem
Vorwort. Dort hat sie nicht abgeschrieben, aber da wird
tatsächlich die These aufgestellt – Sie müssen das einmal
lesen –, am Unterrichtsausfall in Deutschland sei die
fehlende, wenig konsequente Verfolgung von Wirt-
schaftskriminalität schuld. Meine Damen und Herren,
schuld am Unterrichtsausfall ist, dass die rot-grüne Re-
gierung in Rheinland-Pfalz 2 000 Lehrerstellen gestri-
chen hat, dass in Schleswig-Holstein 3 700 Lehrerstellen
gestrichen wurden, dass in Baden-Württemberg 12 000

Lehrerstellen gestrichen wurden und in Nordrhein-West-
falen 25 Millionen Euro aus dem Etat für die Vertre-
tungslehrer gestrichen wurden. Das ist der Grund, wa-
rum wir Unterrichtsausfall haben. Sie zeichnen hier ein
Zerrbild.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt möchte ich zu dem Maßnahmenbündel kommen.
Es gibt viele Punkte, über die zu diskutieren sich lohnen
würde. Viele Bedenken, die der Kollege Jerzy Montag
hier vorgetragen hat, teile ich, insbesondere hinsichtlich
des Einsatzes der Geheimdienste. In einem Punkt bin ich
aber ganz anderer Meinung, Herr Montag. Das möchte
ich hier beleuchten. Es geht um das Unternehmensstraf-
recht. Hier wird der Eindruck erweckt, wir hätten in
Deutschland keine Sanktionsmöglichkeiten gegen das
Unternehmen, die juristische Person, den Verband. Das
ist aber schlichtweg falsch. Wir nennen das in Deutsch-
land zwar nicht Strafrecht – wir haben das Ordnungs-
widrigkeitenrecht –, aber mit den §§ 30 und 130 des
Ordnungswidrigkeitengesetzes stehen uns scharfe Sank-
tionsmöglichkeiten zur Verfügung. Ihrem Wesen nach
unterscheiden sie sich gar nicht von dem, was andere
Rechtsordnungen machen. In der Schweiz, die in diesem
Zusammenhang immer genannt wird, steht die Rechts-
folge in der Tat im Strafgesetzbuch – deswegen sagt man
immer, sie hätte ein Unternehmensstrafrecht –, tatsäch-
lich ist die Rechtsfolge dort aber eine Geldbuße. Das ist
das Gleiche wie in Deutschland. Wir haben sogar schär-
fere Mechanismen: Die Schweizer beispielsweise betrei-
ben die Abschöpfung des aus dem kriminellen Tun Er-
langten nur bis zu einer Obergrenze von 5 Millionen
Franken. In Deutschland können wir unbegrenzt ab-
schöpfen. Es ist schlichtweg falsch, wenn behauptet
wird, wir hätten in Deutschland keine Sanktionen oder
nur schwächere Sanktionen als in anderen Rechtsord-
nungen. Das muss man bitte schön einmal zur Kenntnis
nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723504900

Herr Kollege Buschmann, das löst eine Frage des

Kollegen Montag aus.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1723505000

Ich glaube, dass ich diese Frage schon vorweggenom-

men habe und in meinen weiteren Ausführungen noch
beantworten werde.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723505100

Also lassen Sie die Frage nicht zu?


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1723505200

Das war damit konkludent zum Ausdruck gebracht.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Superschlau! Toll!)






Marco Buschmann


(A) )


)(B)


(C (D Herr Kollege Montag, jetzt könnten Sie ja sagen, wir brauchten noch andere Arten von Sanktionen, wir brauchten zum Beispiel die Unternehmensliquidation wie in den USA. Es gibt Leute, die das die „Todesstrafe für Unternehmen“ nennen und sie auch für Deutschland fordern. Was hat das denn mit dem Gedanken die Großen lässt man laufen, und die Kleinen hängt man zu tun? Das ist das Gegenteil davon. Die Liquidation als Rechtsfolge im Unternehmensstrafrecht führt doch zu Folgendem: Vorstände und mittleres Management sind korrupt, verstoßen gegen das Recht, am Ende wird das Unternehmen aufgelöst, und die Arbeitnehmer stehen auf der Straße. Das kann doch keine vernünftige Rechtsfolge sein. Das ist doch gerade der Inbegriff dessen, gegen das die SPD vorzugehen vorgibt, nämlich dass die Kleinen am Ende unter dem leiden, was oben möglicherweise falsch gemacht worden ist. Auch deshalb haben wir hier keinen Anpassungsbedarf. Jetzt hat Herr Montag wieder den Wunsch, eine Frage zu stellen. Ja, okay. Die Zeit wird angehalten. Danke schön, Herr Kollege Buschmann. – Sie haben geglaubt, meine Frage zu antizipieren, deswegen habe ich Ihnen weiter gelauscht und darauf gewartet, was daraus werden würde, aber Sie haben danebengegriffen. Weil Sie danebengegriffen haben, erlaube ich mir, Ihnen jetzt meine Frage zu stellen. Niemand bezweifelt, dass wir in Deutschland ein Ordnungswidrigkeitenrecht haben. Niemand bezweifelt, dass mit den §§ 30 und 130 Ordnungswidrigkeitengesetz natürlich auch Möglichkeiten bestehen, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen. Ich selber habe in meiner Rede von einer Ausweitung des Rechts der Ordnungswidrigkeiten gesprochen. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, hier auch Ausführungen dazu zu machen und zu bestätigen, dass es, obwohl das Ordnungswidrigkeitenrecht im weiteren Sinne bei uns unter das Dach des Strafrechts fällt, doch eklatante Unterschiede gibt. Ein Unterschied – dieser ist ganz wichtig – ist: Im Ordnungswidrigkeitenrecht gibt es den Legalitätsgrundsatz nicht, sondern nur den Opportunitätsgrundsatz. Es ist ein riesiger Unterschied, ob es lediglich opportun ist, gegen ein Unternehmen vorzugehen, oder ob die Verfolgungsorgane verpflichtet sind, es zu tun. Beim Ordnungswidrigkeitenrecht werden das Erkenntnisverfahren und die Ahndung von einer Behörde durchgeführt, und nur auf Einspruch oder Widerspruch entscheidet dann ein Gericht, während wir beim Strafrecht ein unabhängiges Gericht haben, das über eine Ahndung entscheidet. Es gibt also entscheidende strukturelle Unterschiede zwischen dem Ordnungswidrigkeitenrecht und dem Strafrecht. Deswegen ist es sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, unser materielles Unternehmensstrafrecht auszuweiten. Herr Kollege Montag, ich bedanke mich für diese Zwischenfrage, weil sie mir die notwendige Zeit einräumt, meinen letzten Punkt noch zu erläutern, warum es sinnvoll ist, zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht zu unterscheiden. Sie haben vorhin etwas flapsig gesagt, wir würden uns hinter dem Schuldprinzip verschanzen. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723505300
Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1723505400
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723505500
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723505600
Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1723505700

Das Schuldprinzip ist – anders als es zum Beispiel die
Kollegen der SPD auf Seite 13 ihres Antrags beschrei-
ben – nicht nur ein strafrechtsdogmatischer Lehrsatz.


(Lachen des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, das schreiben die tatsächlich.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das weiß ich!)


Sie sagen, das sei von der Verfassung nicht gedeckt. – In
Wahrheit ist der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“
seit dem 20. Band der amtlichen Sammlung der Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts Teil des
Rechtsstaatsprinzips, Ausfluss des Gedankens der mate-
riellen Gerechtigkeit. Wenn dieser Grundsatz nicht ein-
gehalten wird, dann ist der betroffene Bürger in seinem
Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 verletzt.


(Beifall des Abg. Jörg van Essen [FDP])


So geht der Antragsteller hier mit Grundrechtssubstanz
um.

Deshalb ist das, Herr Montag, nicht etwas, hinter dem
wir uns verschanzen. Es handelt sich um einen struktu-
rellen Unterschied: Im Strafrecht geht es um personale
Schuld und im Ordnungswidrigkeitenrecht um Struktu-
ren, die sozusagen auch einen Unwertgehalt, einen Un-
rechtsgehalt produzieren. Dass wir auf diese Strukturen
mit eigenen Behörden, mit eigenen Instrumenten reagie-
ren, ist nicht Willkür und auch kein Versuch, hier irgend-
jemanden oder irgendwelche Strukturen zu decken, son-
dern direkt Ausfluss unseres Verfassungsrechts, und dies
sollten wir achten und wahren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723505800

Jetzt konnten wir bei einer anspruchsvollen straf-

rechtsjuristischen Seminardiskussion anwesend sein. Für
einen schlichten Ökonomen war das spannend. Vielen
Dank.


(Heiterkeit)






Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) )


)(B)


(C (D Der nächste Redner ist der Kollege Raju Sharma von der Fraktion Die Linke. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Sorge, ich werde Sie hier nicht überfordern. – Im SPDAntrag wird ein schwerwiegendes Problem angesprochen. Durch Finanzund Wirtschaftskriminalität entstehen für die Wirtschaft und den Staat jährlich finanzielle Schäden in Milliardenhöhe. Je nach Erfassungskriterien und Berechnungsgrundlagen sprechen manche von 4 Milliarden Euro, andere von 50 Milliarden Euro. Leidtragende sind nicht nur die Unternehmen, sondern vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger. Wirtschaftskriminalität und Korruption verhindern Einnahmen für die öffentlichen Haushalte und schaden somit direkt unserer sozialen Infrastruktur. Die traurige Konsequenz ist, dass im sozialen Bereich oder auch bei Kulturund Bildungsangeboten gekürzt wird. Deshalb ist es gut, dass dieses Thema heute aufgeworfen wird, und es ist gut, dass dieser Antrag vorliegt. Da müssen wir tatsächlich etwas machen. Nun hat die SPD den Bogen möglicher Maßnahmen zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität weit gespannt: von Verbesserungen im Strafrecht und Maßnahmen zur Erhöhung der Verfahrenseffizienz bis hin zu Strategien zur Bekämpfung von Cybercrime oder Wirtschaftsspionage. Wir begrüßen es, dass die SPD hier Initiative zeigt. Dem Kernproblem im Zusammenhang mit der Erhellung des Dunkelfelds wird man mit diesem Antrag und seinen Maßnahmen jedoch nicht beikommen können. Meine Vorredner haben schon viel gesagt. Deshalb will ich mich hier nur auf drei konkrete Aspekte beschränken: Erstens. Was Whistleblower betrifft, sind wir uns mit der SPD anscheinend einig. Die Linke hat dazu bereits im Jahr 2011 einen Antrag in den Bundestag eingebracht. In diesem Antrag ging es vor allem darum, die Whistleblower vom Ruch des Denunziantentums zu befreien. Denn wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter illegale Praktiken ihrer Unternehmen bemerken und den Mut haben, diese aufzudecken, dann verdient das Anerkennung und Respekt. Niemand, kein Staat und kein privater Unternehmer, hat das Recht, Loyalität einzufordern, wenn er sich selbst strafbar macht und sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Es ist schön, dass sich die SPD in ihrem Antrag dazu bekennt. Allerdings stellt sich dann auch die Frage: Warum konnten Sie unserem Antrag damals nicht zustim men? So sieht das tatsächlich wie ein billiges Wahlkampfmanöver aus. Sei es drum; das ist jetzt vergossene Milch. Aber ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Die Linke wird Sie bis zum 22. September dieses Jahres und darüber hinaus an Ihren jetzt vorliegenden Antrag erinnern und auch daran messen. Zweitens. Wir unterstützen ausdrücklich die Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Finanzbehörden. Ich habe in meiner Zeit beim Landesrechnungshof in SchleswigHolstein im Rahmen einer Querschnittsprüfung die unterschiedliche Praxis der Behörden untersucht. Das Ergebnis war eindeutig: Überall dort, wo sich Polizei, Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden intensiv abgestimmt haben, sich über Ermittlungsstrategien verständigt haben und am besten sogar in denselben Räumlichkeiten zusammengearbeitet haben, wurden bessere Ergebnisse bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität erzielt. Einige Länder haben diese Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt. Deswegen ist es richtig, dass die SPD dies in ihrem Antrag als vorbildlich darstellt. Dieselben Überlegungen gelten aber nicht nur für die Landesebene; sie gelten auch für die Bundesebene. Auch hier brauchen wir ressortübergreifende Konzepte zur Vorbeugung, Ermittlung und Strafverfolgung im Hinblick auf Wirtschaftskriminalität. Wir haben in der Vergangenheit oft genug erleben müssen, dass die aktuellen Instrumente zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität beim BKA, bei der Bundespolizei und beim Zoll der Entwicklung und den jetzigen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sind. Genau das ist der Grund, warum die Linke die Schaffung einer Bundesfinanzpolizei vorgeschlagen hat. Ich fordere Sie alle auf: Gehen Sie diesen Weg mit uns gemeinsam, und unterstützen Sie unseren Antrag! Drittens. Eine engere Zusammenarbeit der Behörden ist nicht alles. Wenn wir wirklich Waffengleichheit mit den Wirtschaftskriminellen herstellen wollen, dann müssen wir Polizei, Staatsanwaltschaft und Finanzbehörden nicht nur organisatorisch, sondern auch personell und technisch besser ausstatten. Jeder Euro, den Sie hier investieren, ist gut angelegt und zahlt sich mehrfach wieder aus. Dazu gehört auch ein Umdenken. Es gibt Landesfürsten, die beispielsweise eine schlechte Ausstattung der Steuerfahndung als Standortvorteil ansehen. In Hessen eskalierte das bis hin zu dem bekannten Fall der Ausschaltung einer hochkompetenten Steuerfahndungsgruppe unter fadenscheinigen Vorwänden. Ich bin sicher, in den Hochhäusern der Banken wird man sich damals vor Lachen die Bäuche gehalten haben. Ich wünschte Raju Sharma )


(Beifall bei der LINKEN)

Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723505900

(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)





(A) )

(C


(D mir, in den Reihen der Union würde man Wirtschaftskriminelle eher ins Visier nehmen als harmlose Kiffer, Sprayer oder Schwarzfahrer. Auch da ist ein Umdenken nötig. Zu guter Letzt noch ein Wort in eigener Sache. Wenn wir hier im Bundestag über Korruptionsbekämpfung diskutieren, müssen wir auch vor unserer eigenen Haustür kehren. Noch immer ist die Abgeordnetenbestechung in Deutschland nicht strafbar, und noch immer kann deshalb die UN-Konvention gegen Korruption in Deutschland nicht ratifiziert werden. Ich weiß, dass Sie von der Koalition davon nichts mehr hören wollen; aber Sie müssen damit leben, bis Sie endlich Ihre Blockadehaltung aufgeben. Bis dahin wird die Linke Ihnen das bei jeder passenden Gelegenheit immer wieder aufs Butterbrot schmieren. Nachdem Sie die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen – wir hatten drei davon – abgelehnt haben, liegt nun ein gemeinsamer Gesetzentwurf von Abgeordneten von CDU, SPD, Grünen und Linken vor. (Jörg van Essen [FDP]: Eines CDU-Abgeordneten!)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist ein Gesetzentwurf, der einen Kompromiss darstellt
und der von unabhängigen Organisationen wie Transpa-
rency International unterstützt wird. Ich bitte Sie alle,
auch Sie von der FDP und der CDU/CSU: Geben Sie
sich endlich einen Ruck! Es ist erbärmlich, dass wir in
Deutschland immer noch darüber reden, ob wir die Ab-
geordnetenbestechung unter Strafe stellen. Es wird
höchste Zeit, dass wir darüber reden, wie wir sie unter
Strafe stellen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723506000

Für Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin

Ingrid Hönlinger das Wort.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723506100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

wenigen Jahren hat der Korruptionsskandal bei Siemens
das Unternehmen nachhaltig erschüttert. Andere Unter-
nehmen, die in diesem Zusammenhang genannt werden,
sind: MAN, Ferrostaal, Daimler, Infineon, EADS, Thys-
senkrupp und Rheinmetall. Das beschreibt die FAZ unter
dem prägnanten Titel „Bestechende Großunternehmen“.

Korruption ist fast immer ein Element von Wirtschafts-
kriminalität. Korruption begünstigt sie. Korruption kos-
tet den deutschen Staat und den deutschen Steuerzahler
Geld, sehr viel Geld. Wissenschaftliche Schätzungen ge-
hen von einem Schaden von 250 Milliarden Euro jähr-
lich aus. Noch viel schlimmer ist, dass Korruption das
Vertrauen der Bevölkerung in Wirtschaft und Staat in-
frage stellt. Das zeigt: Hier besteht großer Handlungsbe-
darf. Wirtschaftskriminalität ist kein Kavaliersdelikt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte Ihnen heute drei Punkte nennen, die aus
meiner Sicht zentral sind. Immer wieder gibt es einzelne
Menschen, mutige Insider, die ihr Wissen nach außen
tragen und Korruptionsskandale aufdecken. Diese Men-
schen müssen wir ermutigen, rechtswidriges Handeln
anzuzeigen. Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima,
das es diesen Mitarbeitern ermöglicht, Fehler offen an-
zusprechen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie
nicht den Makel des Verpfeifens oder des Petzens tragen.
Diese Menschen verdienen den Respekt unseres Staates
und der Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE])


Wir müssen eine sichere rechtliche Grundlage für den
Schutz von Whistleblowern schaffen. Wir müssen sie
vor Mobbing und Kündigung schützen. Das zeigt das
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte im Fall von Brigitte Heinisch sehr deutlich. Wir
Grüne haben in dieser Wahlperiode ebenso wie die bei-
den anderen Oppositionsfraktionen Initiativen zum
Schutz von Whistleblowern in den Bundestag einge-
bracht. Nun stehen wir am Ende dieser Legislaturpe-
riode, und diese Bundesregierung bleibt weiter untätig.

Die Bundesregierung hält sich auch nicht an ihre ei-
genen politischen Zusagen. Bereits im Herbst 2010 ha-
ben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungs-
bank, in dem Antikorruptions-Aktionsplan der G-20-
Staaten vollmundig erklärt, Sie würden bis Ende 2012
Regeln zum Whistleblower-Schutz erlassen und umsetzen.
Was haben Sie bisher getan? – Nichts. Damit werden
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, unglaubwürdig – national und auch international
gegenüber unseren Partnerländern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können noch ein weiteres Instrument schaffen,
um Wirtschaftskriminalität effektiv zu bekämpfen. Las-
sen Sie uns endlich über die Einführung eines bundes-
weiten Korruptionsregisters nachdenken. Hintergrund ist
folgender: Länder und Gemeinden vergeben jährlich
Aufträge im Wert von mehreren Hundert Milliarden
Euro an private Unternehmen. Sie müssen auf ein bun-
desweites Register zugreifen können, um festzustellen,
ob ein Unternehmen, das sich um einen Auftrag bewirbt,
bereits in Korruptionsfälle verwickelt war oder nicht.
Die Bundesländer haben damit auf Landesebene gute Er-
fahrungen gemacht. Diese Korruptionsregister schaden
auch nicht den Unternehmen. Ganz im Gegenteil! Sie
helfen den Unternehmen, weil sie nämlich die integeren
Unternehmen vor den schwarzen Schafen schützen, und
sie ermöglichen fairen Wettbewerb. Mit Korruptions-
registern tragen wir dazu bei, dass die ehrlichen Unter-
nehmen einen Vorteil haben und bei einer öffentlichen
Auftragsvergabe nicht die Verlierer sind. Es wird
höchste Zeit, dass wir hier im Bund endlich einheitliche
Regeln treffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Ingrid Hönlinger


(A) )


)(B)


(C (D Es gibt noch ein drittes Thema, auf das ich zum Schluss eingehen möchte – Kollege Sharma hat es bereits genannt –, nämlich das Thema „UN-Konvention gegen Korruption“. Es gibt auf dieser Welt 165 Staaten, die diese Konvention unterzeichnet und ratifiziert haben. Sogar Myanmar und Swasiland gehören zu diesen 165 Staaten. (Zuruf von der FDP: Liegen ganz hinten im Korruptionsindex!)


Führende Vertreter aus der Wirtschaft, liebe FDP, for-
dern die Bundesregierung auf, endlich zu handeln, weil
hier die Glaubwürdigkeit Deutschlands international auf
dem Spiel steht. Die Bundesregierung ist dafür verant-
wortlich, dass wir weiter auf einer Stufe stehen mit Län-
dern wie dem Sudan, Somalia, Tschad, Syrien oder
Nordkorea.


(Jörg van Essen [FDP]: Sie haben Japan vergessen!)


Sie reklamieren nach außen Wirtschaftskompetenz für
sich, Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben
Koalition; doch bei der Bekämpfung von Wirtschaftskri-
minalität gibt es bei Ihnen noch erhebliche Defizite.

Wir Grünen haben hier die besseren Konzepte: Wir
fordern den Schutz von Whistleblowern, wir fordern die
Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters,
und wir fordern eine Ausweitung der strafrechtlichen
Regelung für den Tatbestand der Abgeordnetenbeste-
chung,


(Jörg van Essen [FDP]: Ihr Gesetzentwurf ist doch krachend durchgefallen!)


damit wir die UN-Konvention gegen Korruption endlich
ratifizieren können. Erst eine rot-grüne Koalition wird
die Kraft haben, sich eindeutig gegen Korruption zu
positionieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723506200

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Geis für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1723506300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Im Antrag der SPD ist eine ganze Reihe von ge-
setzlichen Änderungen und neuen Sanktionsmöglichkei-
ten vorgesehen, die wir in dieser Legislaturperiode mit
Sicherheit nicht mehr durchdiskutieren können, ge-
schweige denn, dass wir zu einer weitergehenden Bera-
tung dieses Antrags kommen können. Da entsteht schon
ein bisschen der Eindruck, dass es hier weniger um die
Sache und mehr um Wahlkampf geht. Mich wundert
auch, dass von der SPD so wenige Vertreter hier sind. Es
sind, wenn ich richtig zählen kann, nur drei Personen an-
wesend. Das ist zu wenig für die Diskussion eines An-
trags, der von der SPD gestellt worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Bis vier zählen ist schwer!)


– Entschuldigung, ich nehme das zurück: Es sind vier
Kolleginnen und Kollegen der SPD anwesend. Ich kann
nur bis drei zählen.


(Jörg van Essen [FDP]: Wir Juristen haben mit Zahlen immer Schwierigkeiten!)


Aber lassen Sie mich etwas zur Sache sagen: Sie ma-
chen Vorschläge zur Vermögensabschöpfung. Ich halte
die Vermögensabschöpfung in der Tat für ein exzellentes
Instrument. Wir kennen die Vermögensabschöpfung aus
der Diskussion über die Bekämpfung der organisierten
Kriminalität. Auch zur Bekämpfung von Wirtschaftskri-
minalität, zum Beispiel von Geldwäsche, ist die Vermö-
gensabschöpfung ein exzellentes Mittel. Dieses Mittel
ist jedoch nur wirksam, wenn es länderübergreifend ge-
handhabt wird. Nicht nur in der organisierten Kriminali-
tät, auch in der Wirtschaftskriminalität sind die Akteure
länderübergreifend tätig. Deswegen wird dieses Thema
auch auf der europäischen Ebene diskutiert. Es scheint
sich eine Einigung abzuzeichnen. Deswegen bin ich der
Meinung, dass wir dieses Thema hier nicht gesondert
diskutieren sollten, sondern erst einmal diese Einigung
abwarten sollten. Eventuell kommt eine Richtlinie he-
raus, die wir dann umsetzen werden. Warten wir so
lange!

Es werden der Schutz von Whistleblowern und die
Einrichtung eines bundesweiten Korruptionsregisters ge-
fordert. Diese Diskussionen haben wir hier doch schon
geführt, sie sind doch längst abgeschlossen.


(Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt noch keine rechtliche Regelung dafür!)


Darüber ist hier schon abgestimmt worden, und der ent-
sprechende Gesetzentwurf ist, wie Herr van Essen eben
richtig dazwischengerufen hat, krachend durchgefallen.
Warum sollen wir denn neu über alte Vorschläge debat-
tieren? Lassen wir das! Dennoch will ich durchaus zuge-
ben, dass hier Ansätze sind, über die nachzudenken und
zu diskutieren sich lohnt.

Eine zentrale Forderung oder überhaupt der Kern des
Antrages – so habe ich ihn jedenfalls verstanden – dreht
sich darum, ob man zusätzlich zum Ordnungswidrigkei-
tenrecht nun ein Unternehmensstrafrecht einführt. Das
würde bedeuten, dass man also nicht nur im Verwal-
tungsrecht entsprechende Vorschriften vorsieht, sondern
auch im Strafrecht. Das hat Herr Buschmann schon gut
dargestellt; deswegen will ich das nicht ausführlich wie-
derholen.

Ich will an dieser Stelle nur kurz meine Auffassung
kundtun: Ein Unternehmen kann sich nach unserem
Rechtsverständnis nicht strafbar machen. Es gilt der alt-
römische Grundsatz: Societas delinquere non potest –
eine Gemeinschaft kann sich nicht strafbar verhalten.
Strafbar verhalten können sich immer nur Personen: der
Prokurist, der Abteilungsleiter, der Geschäftsführer, das
Mitglied des Vorstands, das Mitglied des Aufsichtsrats.





Norbert Geis


(A) )


)(B)


(C (D Das Unternehmen selbst, die juristische Person, kann aber nicht selbstständig handeln. Handeln können immer nur Personen. Weil man der juristischen Person keine Schuld zuweisen kann, kann sie sich auch nicht strafbar machen. Ich bin schon der Meinung, dass wir an dem Prinzip festhalten müssen, dass nur bestraft werden kann, wer sich schuldig gemacht hat, und schuldig kann sich nur eine Person machen, ein Individuum. Es gibt keine Kollektivschuld. Die Auffassung, dass es sie gibt, haben wir doch in anderen Diskussionsbereichen immer und immer wieder zurückgewiesen, und wir wollen daran festhalten. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung; das ist richtig. Es gibt eine Verantwortung für unsere Geschichte. Es gibt eine Verantwortung für die Zeit von 1933 bis 1945, die das deutsche Volk zu tragen hat, aber es gibt keine Kollektivschuld. Daran möchte ich doch schon festhalten. Lassen wir deswegen den Gedanken weg, dass wir jetzt ein Unternehmensstrafrecht einführen wollen. Ich weiß – da haben Sie recht –, in anderen europäischen Ländern gibt es ein solches Unternehmensstrafrecht. In Ihrem Antrag – ich habe das zusammengezählt – haben Sie zehn Länder aufgeführt, darunter England und Frankreich, also bedeutende Staaten innerhalb Europas. Das heißt aber doch nicht, dass der Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität in diesen Ländern besser läuft als bei uns. Wir haben andere Möglichkeiten, zum Beispiel durch das – das ist von Herrn van Essen gesagt worden – Ordnungswidrigkeitenrecht. Es gibt die §§ 30 und 130 Ordnungswidrigkeitengesetz. § 30 bezieht sich auf die handelnde Person selbst, während es bei § 130 um die Aufsichtspflichtverletzung geht. Wenn also eine untergeordnete Person eine Maßnahme trifft, die beispielsweise umweltgefährdend ist, dann ist auch die aufsichtshabende Person mit heranzuziehen. Wir haben jetzt vorgesehen, die Geldbuße nach § 30 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz bei einer vorsätzlichen Straftat von 1 Million Euro auf 10 Millionen Euro und bei einer fahrlässigen Straftat von 500 000 Euro auf 5 Millionen Euro zu erhöhen. Das Gleiche sollten wir im Übrigen auch in Bezug auf § 130 Ordnungswidrigkeitengesetz vorsehen, was von uns aber noch nicht aufgegriffen wurde. Das ist eine wirkungsvolle Maßnahme, die Sie allerdings blockieren. Das muss man deutlich sagen und ist auch schon gesagt worden. Sie wird im Vermittlungsausschuss jetzt schon zum dritten Mal blockiert. Es ist nicht ganz korrekt, wie Sie sich hier verhalten. Sie verlangen von der Bundesregierung Maßnahmen gegen Wirtschaftskriminalität, blockieren aber gleichzeitig eine wichtige Maßnahme, die die Bundesregierung schon im Oktober 2012 im Bundestag hat verabschieden lassen. Das geht so nicht; das ist nicht redlich. Ich will Ihnen aber auch einmal zwei Beispiele dafür nennen, wie so etwas wirken kann – hinzu kommt nämlich die Vermögensabschöpfung –: Aufgrund eines Bußgeldes verbunden mit einer Vermögensabschöpfung hat Siemens immerhin 350 Millionen Euro zahlen müssen, und MAN hat zweimal 75 Millionen Euro zahlen müssen. Das ist nicht wenig. Das heißt, hier sind Möglichkeiten geboten, die andere Länder nicht haben. Im angloamerikanischen Raum ist das Verwaltungsrecht nicht mit unserem vergleichbar. Dort werden Straftatbestände festgestellt, die wir mit dem Verwaltungsrecht bekämpfen, wobei hier sehr viel differenzierter, sehr viel einschneidender und sehr viel effektiver vorgegangen werden kann als beispielsweise in England, in den USA oder in Frankreich. Unser Verwaltungsrecht bietet uns sehr viel größere Reaktionsmöglichkeiten in Bezug auf die Wirtschaftskriminalität. Es wird kein Bußgeld gegen ein Unternehmen erlassen, ohne dass es gleichzeitig zu einer Vermögensabschöpfung kommt. Die Strafe beinhaltet also immer ein Bußgeld plus Vermögensabschöpfung. Das ist schon ein gewaltiger Eingriff. Aber es gibt auch in anderen Bereichen wirkungsvolle Vorschriften: Ich nenne zunächst die Gewerbeordnung. Nach § 35 Gewerbeordnung gibt es die Möglichkeit, ein Gewerbe zu untersagen. Es gibt das BundesImmissionsschutzgesetz. Die Genehmigung beispielsweise zum Betrieb eines Kraftwerks, in dem Strom erzeugt wird, kann entzogen und das Werk kann geschlossen werden, wenn dort nicht Biomasse, sondern irgendwelche anderen brennbaren Stoffe verbrannt werden. Diese Maßnahme ist möglich. Auch im Bereich Kreditwesen haben wir die Möglichkeit, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Daneben gibt es die sogenannte Mehrerlösabführung im Wirtschaftsstrafgesetz. Man könnte vielleicht noch über weitere Maßnahmen nachdenken. Aber innerhalb des Verwaltungsrechtes haben wir sehr viele Möglichkeiten, einzugreifen. Diese Möglichkeiten brauchen wir, und diese sollten wir auch nicht verstecken. Wir sollten den Unternehmen deutlich machen, dass von diesen Maßnahmen des Verwaltungsrechts häufig Gebrauch gemacht wird. Es ergehen oft genug entsprechende Bescheide an die Unternehmen. Wir werden diesen Antrag, wie ich schon gesagt habe, wohl nicht nach eingehender Beratung hier verabschieden können. Aber er bietet doch – das will ich Ihnen sagen, auch wenn nur sehr wenige Kolleginnen und Kollegen von der SPD da sind; inzwischen sind es nur noch drei – die Möglichkeit, (Iris Gleicke [SPD]: Ich bin etwas breiter! Ich zähle für zwei! – Heiterkeit)


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


darüber nachzudenken. Ich hoffe, dass wir zu vernünfti-
gen Ergebnissen kommen, wenn auch nicht in Form ei-





Norbert Geis


(A) )


)(B)


(C (D nes solch umfänglichen Antrags, wie er hier vorgelegt worden ist. Ich danke Ihnen. Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Mathias Middelberg von der CDU/CSU-Fraktion. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her ren! Es ist schon betont worden, dass in diesem Antrag der Sozialdemokraten, die sich hier im Plenum leider immer weiter verflüssigen, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Verflüssigen? – Iris Gleicke [SPD]: Ich löse mich doch nicht auf!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723506400

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1723506500

durchaus Sinnvolles vorhanden ist und auch solches, an
das man anknüpfen kann.

Wenn man sich den Antrag allerdings aufmerksam
ansieht, stellt man fest, dass er eine ganze Menge an Wi-
dersprüchen enthält. So fordern Sie in Ihrem Antrag bei-
spielsweise ein bundesweit gleichmäßiges Vorgehen der
Finanzbehörden gegen Steuerhinterziehung. Diese Ein-
schätzung teilen wir uneingeschränkt. Jetzt kam in der
Diskussion um die Steueroasen der Vorschlag – unter an-
derem von unserem Staatssekretär Kampeter –, ein ein-
heitliches Steuer-FBI ins Leben zu rufen, also eine Art
Bundespolizei für die Bekämpfung der Steuerhinterzie-
hung. Das wurde von den SPD-Länderchefs sogleich ab-
gelehnt.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Das Interessante daran ist, dass die sozialdemokrati-
schen Länderchefs damit auch ihrem Kanzlerkandidaten
widersprochen haben; denn Peer Steinbrück hat in sei-
nem Acht-Punkte-Plan Anfang dieses Monats gefordert,
eine bundesweite Steuerfahndung einzuführen. – Da
müssen wir uns ganz generell fragen: Wie verlässlich
sind in Zukunft die Klartextaussagen von Peer
Steinbrück, der offensichtlich in Ihren eigenen Reihen
nur noch wenig Beinfreiheit zur Verfügung hat?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der nächste Punkt, auf den ich gerne eingehen
möchte, ist das Thema Ankauf von Steuer-CDs. Ich habe
damit grundsätzlich gar keine Probleme und teile in die-
sem Fall die Einschätzung des Kollegen Binding. Aber
ich sage doch: Der Ankauf dieser CDs – das muss man
festhalten – beschert uns in der Regel nur Einzelerfolge
aufgrund von Einzelmaßnahmen. Es geht nicht um eine
rechtsstaatlich fundierte, wie der Kollege van Essen das
zu Recht bemerkt hat, Ermittlungsmaßnahme, die syste-
matische Erfolge und eine wirkliche Austrocknung die-
ses Sumpfes Steuerhinterziehung ermöglicht. Darüber
müssen wir uns doch einig sein. Eine gescheitere Maß-
nahme wäre die Unterzeichnung des Steuerabkommens

mit der Schweiz gewesen, was aber ohne Ihre Zustim-
mung nicht möglich war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht schon wieder!)


Herr Kühl aus Rheinland-Pfalz rennt herum und sagt:
Ich habe diese tolle Steuer-CD erworben. Sie bringt mir
später 500 Millionen Euro ein. – Der Kollege Walter-
Borjans aus Nordrhein-Westfalen war überhaupt nicht in
der Lage, auf Anfrage der CDU-Opposition darüber
Auskunft zu geben, wie viel denn der bisherige Ankauf
von Steuer-CDs erbracht habe. Also: Was kommt dabei
nachher wirklich an Erträgen heraus? Darüber haben wir
bisher überhaupt keine verifizierten Zahlen vorliegen.
Die Zahl von 500 Millionen Euro steht im Raum. Ob wir
diese Summe jemals sehen werden, ist reine Spekula-
tion. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss man die Ef-
fizienz dieser Maßnahme hinterfragen.

Ich gehe noch einmal auf das Thema Schweiz ein. Ich
mache das, weil hier eben nicht zutreffende Behauptun-
gen verbreitet wurden. Es wird immer gesagt, die USA
hätten mit ihrem Musterabkommen mit der Schweiz,
dem FATCA-Abkommen, viel mehr erreicht. Die USA
haben mit diesem Abkommen für die Vergangenheit gar
nichts geregelt. Es bleibt also ungeklärt, wer früher ein-
mal in der Schweiz Geld angelegt hat; da bekommen die
USA keinen Cent. Das ist die Wahrheit. Bei unserem
Steuerabkommen dagegen würden nicht nur die Zinser-
träge aus der Vergangenheit, sondern auch das gesamte
Kapital der Anleger pauschal nachversteuert werden,
und zwar mit einem Zinssatz von 21 bis 41 Prozent. Im
Schnitt müssten die Steuerzahler ungefähr 26,5 Prozent
nachzahlen, und zwar nicht nur auf die dort anfallenden
Zinserträge, sondern auf das gesamte schwarze Kapital,
das dort angelegt ist. Das vergessen viele, insbesondere
allzu gerne in Ihren Reihen, Kollege Binding.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir hätten damit einige Milliarden an zusätzlichen Ein-
nahmen zur Verfügung gehabt. Auf diese müssen wir
jetzt bedauerlicherweise verzichten. Insoweit ist Ihre
Kritik, an dieser oder jener Stelle stehe nicht genügend
Geld zur Verfügung, nicht viel wert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eben wurde gesagt, wir hinkten der Entwicklung im
internationalen Kontext, wenn es um die Bekämpfung
von Steuerhinterziehung gehe, etwas hinterher. Das ge-
naue Gegenteil ist der Fall. Wir sind natürlich im inter-
nationalen Kontext auf die Zusammenarbeit mit anderen
Ländern angewiesen. Bisher wurden Doppelbesteue-
rungsabkommen, also Verträge zwischen Deutschland
und den jeweiligen Partnerländern, abgeschlossen. Dass
Sie damit ein Problem haben, verwundert mich; denn
bisher haben Sie allen Doppelbesteuerungsabkommen,
die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat,
zugestimmt, und zwar uneingeschränkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir nicht!)






Dr. Mathias Middelberg


(A) )


)(B)


(C (D Ich könnte in diesem Zusammenhang noch mehrere Initiativen nennen. FATCA ist eben genannt worden. Deutschland ist mit einem Musterabkommen mit den USA führend. Wir haben als treibende Kraft dafür gesorgt, dass die G 5, die fünf großen europäischen Staaten, nun dieses Musterabkommen als Maßstab für den automatischen Informationsaustausch untereinander festlegen. Ähnliches gilt für die Revision der EU-Zinsrichtlinie. Hier geht es um den automatischen Informationsaustausch, diesmal auf Ebene der EU. Auch hier ist Deutschland führend. Wir haben dafür gesorgt, dass diese Richtlinie nun auf Lebensversicherungen, strukturierte Finanzprodukte, die berühmt-berüchtigten Trusts, private Stiftungen und alle Arten von Investmentfonds ausgedehnt wird. In Zukunft wollen wir nicht nur Zinserträge, sondern auch Dividenden und Veräußerungsgewinne erfassen. Die ersten Erfolge können Sie bereits sehen. Luxemburg hat eingelenkt und seine Blockadehaltung in diesem Punkt aufgegeben. Es wird im Rahmen der EU-Zinsrichtlinie ab 2015 am internationalen Informationsaustausch teilnehmen. Ich könnte noch auf die BEPS-Initiative eingehen, die in Zukunft den zunehmenden Steuerabfluss durch den Internethandel – beispielsweise bei Amazon und Google – verhindern wird. Hier ist unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble an erster Stelle zu nennen. Deutschland ist federführend und leitet eine der drei Arbeitsgruppen, die die Details für ein entsprechendes Abkommen in diesem Bereich erarbeiten. Wir werden im Juni dieses Jahres einen Aktionsplan auf G-20und OECD-Ebene vorlegen. Es gibt hier also konkrete Schritte, und Deutschland ist führend, wenn es um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung auf internationaler Ebene geht. Da Sie unsere Maßnahmen kritisieren und behaupten, wir seien nicht vorne dabei, wenn es um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung gehe, möchte ich Sie daran erinnern, dass bis 2009 der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hieß. Ich kann mich nicht erinnern, dass Herr Steinbrück als Finanzminister in den eben genannten Punkten – ich habe bereits FATCA und die EU-Zinsrichtlinie angeführt; die Regelungen betreffend die Selbstanzeigepflicht bei Steuerhinterziehung haben wir verschärft – irgendetwas Brauchbares umgesetzt hätte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Lesen Sie es doch einfach mal nach!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage Ihnen ganz deutlich: Unsere Steuerpolitik
kann sich sehen lassen. Wir kommen mit der Kavallerie
gerade auf internationaler Ebene nicht so gut voran, ins-
besondere dann nicht, wenn sie wie bei Steinbrück auf
toten Pferden unterwegs ist. Wir bleiben unserem Stil
treu, verhandeln nachhaltig und setzen auf Diplomatie,
Transparenz und Konsequenz.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723506600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/13087 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 11 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verkürzung der Aufbewahrungs-
fristen sowie zur Änderung weiterer steuerli-
cher Vorschriften

– Drucksache 17/13082 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.

Dann eröffne ich auch schon die Aussprache und er-
teile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Olav
Gutting für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1723506700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Warum bringen wir heute einen Gesetzentwurf ein, des-
sen wesentliche Inhalte wir bereits vor sechs Monaten
hier in diesem Hause beschlossen haben?


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Warum?)


Die Antwort ist einfach: Seit Monaten nutzt die rot-
grüne Opposition im Bundestag ihre Mehrheit im Bun-
desrat als Blockadeinstrument.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach nicht der Fall, Herr Gutting! Das wissen Sie!)


Seit Monaten geht es der Opposition und der Mehrheit
im Bundesrat nur noch um Machtpolitik und nicht mehr
um Sachpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ob beim Abbau der kalten Progression, womit wir
gerade die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit
mittleren Einkommen entlasten wollten, ob bei der steu-
erlichen Absetzbarkeit der energetischen Sanierungsleis-





Olav Gutting


(A) )


)(B)


(C (D tungen: überall Blockade. Das vorhin angesprochene Schweizer Steuerabkommen wurde ebenfalls im Bundesrat blockiert – leider. Denn für Bund, Länder und Kommunen ist damit, bezogen auf die Vergangenheit, sehr viel Geld unwiederbringlich verloren gegangen, und für die Zukunft – das muss man noch einmal betonen – hätten wir damit für die in der Schweiz angelegten Vermögen die gleiche Besteuerung wie in Deutschland durchgesetzt. (Manfred Zöllmer [SPD]: Ja, und die Steuerhinterzieher geschützt!)


(Manfred Zöllmer [SPD]: Zum Glück!)


Auch das Jahressteuergesetz 2013, das ja wichtige
Entlastungsregeln für die Bürgerinnen und Bürger, für
die Unternehmen und für die Verwaltung beinhaltete, ha-
ben Sie im Bundesrat gegen die Wand gefahren. Nach
diesem Crash stehen wir jetzt wieder hier und versuchen,
die Teile des auseinandergeflogenen Gesetzes wieder zu-
sammenzusetzen und zusammenzubasteln.

Wir haben hier vor wenigen Wochen mit dem Amts-
hilferichtlinie-Umsetzungsgesetz schon Maßnahmen aus
diesem gescheiterten Jahressteuergesetz beschlossen und
auf den Weg gebracht. Jetzt sollen, wie von uns verspro-
chen und vorhergesagt, weitere Maßnahmen folgen, da-
runter auch eine Änderung bei der Erbschaftsteuer. In
diesem Haus herrscht ja wohl Konsens darüber, dass der
Missbrauch, den es bei den sogenannten Cash-Gesell-
schaften gibt, nicht tolerierbar ist. Ich habe an dieser
Stelle vor wenigen Wochen gesagt, dass wir zeitnah ei-
nen Vorschlag auf den Tisch legen werden, wie wir die-
sen Missbrauch im Zusammenhang mit Cash-Gesell-
schaften verhindern. Das haben wir versprochen, und
heute liefern wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wie versprochen unternehmen wir einen nächsten
Versuch, um rechtliche Betreuer wie auch die Leistun-
gen von Bühnenregisseuren und -choreografen von der
Umsatzsteuer zu befreien. Wir hatten das schon einmal
hier beschlossen. Das Gleiche gilt für den besonderen
Gewerbesteuerzerlegungsmaßstab bei der Photovoltaik.
Aber ich fürchte, dass auch dieser Gesetzentwurf – ob-
wohl das etwas ist, was Sie selbst fordern – im Bundes-
rat von der rot-rot-grünen Mehrheit aufgehalten werden
wird.

Sie werden dies dann den Menschen erklären müssen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das wird ihnen kaum gelingen!)


Sie werden erklären müssen, warum Sie sich gegen die
Verkürzung der Aufbewahrungsfristen wenden, warum
Sie unseren Mittelstand und die Industrie in Deutschland
nicht von zusätzlichen Bürokratiekosten in Höhe von
2,5 Milliarden Euro entlasten.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen damit Rechtsunsicherheit!)


Sie fallen damit – das ist ganz interessant – auch Ihrem
Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück in den Rücken; denn
er hat vor wenigen Wochen bei einer Mittelstandsveran-
staltung gefordert, unnötige, für den Mittelstand kosten-
intensive Regelungen abzuschaffen. Dabei hat er explizit
auch die Aufbewahrungsfristen angesprochen. Heute
hätten Sie die Möglichkeit, Ihren Kanzlerkandidaten hier
zu unterstützen. Sie werden diesen Gesetzentwurf aber,
wie Sie schon angekündigt haben, wahrscheinlich ableh-
nen und auch im Bundesrat blockieren.

Sie werden auch erklären müssen, warum Sie diesen
Gesetzentwurf, mit dem wir eine längere Geltungsdauer
der Freibeträge im Lohnsteuerabzugsverfahren einfüh-
ren wollen, aufhalten. Sie werden das auch gegenüber
der Verwaltung erklären müssen. Das, was geplant ist,
wäre nicht nur eine Erleichterung für die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, sondern es
wäre auch eine Verfahrensvereinfachung für die Finanz-
verwaltung.

Die rot-grün regierten Bundesländer müssen sich jetzt
ihrer Verantwortung stellen, und sie müssen diese Blo-
ckade aufgeben. Hören Sie auf, wichtige Maßnahmen,
die wir hier im Bundestag beschließen, immer wieder
ausschließlich mit dem Blick auf die Bundestagswahl im
September zu blockieren und zu verhindern. Glauben
Sie, dass diejenigen, die zivilen Freiwilligendienst leis-
ten, Verständnis dafür haben, dass Rot-Grün die Steuer-
befreiung ihres Taschengeldes verhindert? Glauben Sie,
dass die von Ihnen im Bundesrat aufgehaltenen Steuer-
befreiungsvorschriften für freiwillig Wehrdienstleis-
tende und Reservisten bei diesen auf Verständnis stößt?
Die Menschen interessieren sich doch nicht für diese
taktischen Spielchen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie sie doch, Herr Gutting!)


Die Menschen wollen, dass gehandelt wird.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ganz genau! Die Chance kriegen Sie jetzt!)


Sie haben diese Regelungen verdient. Sie könnten längst
Gesetz sein. Wir haben sie hier bereits vor sechs Mona-
ten beschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann nur sagen – das ist eine Bitte an Sie und auch
ein Appell an das Verantwortungsbewusstsein von Rot-
Grün –: Hören Sie mit dieser Blockadepolitik im Bun-
desrat auf.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Vermittlungsergebnis im Deutschen Bundestag abgelehnt! Es gab ein Verhandlungsergebnis! – Manfred Zöllmer [SPD]: Wer blockiert denn? Sie blockieren doch!)


Alles andere ist unredlich. Es schadet unserem Land. Es
schadet den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land.
Seien Sie kooperativ. Arbeiten Sie mit bei diesen wichti-
gen Regelungen, die den Menschen in unserem Land
helfen und sie voranbringen.

Herzlichen Dank.





Olav Gutting


(A) )


)(B)


(C (D Jetzt hat für die SPD-Fraktion das Wort der Kollege Lothar Binding. Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch etwas zum Kollegen Middelberg sagen, der, fast vorwurfsvoll, festgestellt hat, die SPD-Fraktion stimme den Doppelbesteuerungsabkommen immer zu. Das stimmt: Wir haben mehr als 90, also fast allen, Doppelbesteuerungsabkommen zugestimmt. Denn wir haben das für einen richtigen Schritt gehalten. Aber allein mit diesen Abkommen erreichen wir nicht unser Ziel. Es gab auf der langen Strecke der DBA-Entwicklung in den letzten 15 Jahren einen Fortschritt, der jetzt neue Schritte erforderlich macht. Die neuen Schritte in Richtung automatischer Informationsaustausch sind Sie noch nicht gegangen. Deshalb haben wir schon oft angeregt, bei der OECD ein neues Musterabkommen zu erwirken, wodurch der berühmte Art. 26 OECD-Musterabkommen in genau diese Richtung geändert wird. Insofern ist es sinnvoll, richtigen Schritten zuzustimmen, auch wenn man möglicherweise nicht alle Ziele erreicht. Sie haben noch etwas, wie ich finde, Richtiges zu den Steuer-CD-Ankäufen gesagt: dass die Höhe der zu erwartenden Beträge spekulativ ist. Das stimmt. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist eine andere Debatte!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723506800

(Beifall bei der SPD)

Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1723506900

– Ich weiß, welcher Tagesordnungspunkt an der Reihe
ist. Keine Panik! – Allerdings haben Sie behauptet, dass
10 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen könnten,
wenn das von Ihnen bevorzugte Abkommen mit der
Schweiz geschlossen worden wäre. Frage: Wie haben
Sie das berechnet? Liegt dem nicht viel mehr Spekula-
tion zugrunde? Als Herr Koschyk im Ausschuss diesen
Betrag nannte, habe ich ihn in einem Zwischenruf ge-
fragt: Würden Sie das unterschreiben? Darauf hat er klu-
gerweise keine Antwort gegeben. Das ist klar; denn die
Höhe dieses Betrages lässt sich nicht berechnen, sondern
ist Spekulation. In der Zukunft könnte das ein großes
Problem sein.

Zum eigentlichen Thema. Wir sind natürlich für die
Umsatzsteuerbefreiung für rechtliche Betreuer, für Büh-
nenregisseure und –choreografen, für die Steuerbefreiung
des – da merkt man auch, wie kleinmütig man manchmal
sein kann – Taschengeldes für diejenigen, die zivilen
Freiwilligendienst leisten. Wir sind für die längere Gel-
tungsdauer eines Freibetrags im Lohnsteuerabzugsver-
fahren. Wir sind für die neuen Regeln für freiwillig Wehr-
dienstleistende. Das sind alles gute Maßnahmen.

Der Kollege Gutting hat gefragt: Warum diskutieren
wir darüber eigentlich erst heute? Er hat dann gesagt:
Das ist im Bundesrat alles blockiert worden. – Nein,

Olav; das ist eine Selbstblockade der Regierungskoali-
tion.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie kommt das zustande? Die Sache ist ganz einfach:
Es passiert immer wieder, dass Dinge, die im Koalitions-
vertrag dieser Regierung stehen, im Bundestag plötzlich
abgelehnt werden. Gestern wurde hier sogar ein CDU-
Parteitagsbeschluss eingebracht und von den CDU-Kol-
legen einstimmig abgelehnt. Was das für eine Politik ist,
bei der man gewissermaßen hier antäuscht und dort da-
gegen stimmt? Ist doch klar: Bei diesem Widerspruch
gibt es Probleme.

So war das hier auch. Es gab ein zu 99 Prozent abge-
stimmtes Jahressteuergesetz. Es gab in diesem Gesetz ei-
nen einzigen strittigen Punkt, nämlich die steuerliche
Gleichstellung von Lebenspartnerschaften. Dazu steht
etwas in Ihrem Koalitionsvertrag. Indem Sie sogar gegen
Ihren Koalitionsvertrag verstoßen, haben Sie die anderen
99 Prozent des Gesetzes zu Fall gebracht. Deshalb gibt
es hier keine Blockade durch den Bundesrat, sondern
eine Selbstblockade dieser Koalition.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Da kann sich die SPD nicht rausreden!)


Dass dies alles relativ chaotisch abläuft, kann jeder
nachvollziehen; denn man kann einfach nicht erklären,
dass man gegen sich selbst stimmt. Sie benutzen die Op-
position nur, um zu begründen, warum Sie gegen sich
selbst stimmen müssen. Das ist eine relativ komplizierte
Angelegenheit.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Da kommt die SPD nicht raus!)


Im Vermittlungsergebnis zum Jahressteuergesetz wa-
ren gute Regeln enthalten. Jetzt frage ich mich: Warum
sind diese guten Regeln, auf die wir uns schon verstän-
digt hatten, in dem heute vorliegenden Entwurf nicht
mehr enthalten?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Einkommensteuer geht es um Goldfinger-Mo-
delle. Das ist jetzt gut geregelt; da gibt es keine Kritik.

Bei der Erbschaftsteuer muss man ein bisschen ge-
nauer nachschauen. Was die Gestaltung über Cash-
GmbHs angeht, waren wir uns einig. Mit dem heute vor-
liegenden Entwurf schaffen Sie erneut ein Schlupfloch.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ganz genau! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja!)


Warum? Warum dieser Rückschritt? Wir hatten heute
schon eine Diskussion über Steuerkriminalität und
Schlupflöcher. Jetzt gehen Sie schon wieder in diese
Richtung, und das ist natürlich schlecht.

Zu den Real-Estate-Transfer-Tax-Blockern, den
RETT-Blockern, zur Steuergestaltung bei Grundstücks-
käufen. Letztlich fehlt dieser Bereich jetzt ganz. Oder





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) )


)(B)


(C (D habe ich da etwas überlesen? Wenn Sie mir zeigen, wo das steht, nehme ich die Aussage zurück. – Ich sage: Es fehlt im Gesetz. Warum fehlt es? Eben hieß es noch, der Bundesrat blockiere etwas. Hier blockiert keiner! Hier lässt die Regierungskoalition einfach wichtige Dinge aus, verzichtet auf gute Regelungen, weil sie intern vielleicht doch ein bisschen dagegen ist. Da wird es natürlich schwierig. Wenn man ein bisschen dagegen ist, aber so tun will, als ob man dafür ist, dann gibt es Widersprüche, und das führt zu Selbstblockaden der eben beschriebenen Form. Die Anti-Missbrauchs-Regelungen, über die wir gesprochen haben, finden sich zum Teil – ich habe das erwähnt – im Zusammenhang mit der Cash-GmbH wieder. Jetzt will ich einen Punkt ganz genau vortragen, damit Sie möglicherweise einen Änderungsantrag formulieren können: Ein vom Steuerpflichtigen über fünf Jahre im Unternehmen gehaltenes hohes Barvermögen gilt als unschädliches Verwaltungsvermögen, unabhängig von seiner betrieblichen Erforderlichkeit. Wird dagegen im letzten Jahr vor dem Besteuerungszeitpunkt ein hohes und betrieblich erforderliches Vermögen eingelegt, gilt der den Durchschnittswert übersteigende Betrag als schädliches Verwaltungsvermögen. Die Abgrenzung des schädlichen Verwaltungsvermögens anhand des durchschnittlichen Vermögens der letzten Jahre geht somit an den betrieblichen Erfordernissen vorbei. Jetzt frage ich Sie, ob Sie dieses Abgrenzungsproblem nicht doch aus dem Gesetz entfernen und die alte Fassung nehmen können; denn für die alte Fassung, denke ich, bekommen Sie hier eine Mehrheit. Ich will sogar ein bisschen forsch sagen: Wenn Sie zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zurückfinden, dann bekommen Sie unsere Zustimmung. Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei der SPD)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723507000


Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1723507100

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren! Kollege Binding, Sie haben ge-
rade im Wesentlichen vorgetragen, was in diesem Gesetz
nicht steht, von dem Sie aber meinen, dass es im Gesetz
stehen müsste. Man sollte vielleicht eher einmal darüber
diskutieren, welche Änderungen die Koalitionsfraktio-
nen in diesem Gesetzentwurf vorlegen und welche posi-
tiven Auswirkungen diese Änderungen haben,


(Manfred Zöllmer [SPD]: Sie wollen doch nur ablenken!)


sodass wir in diesem Hause am Ende gemeinsam einen
positiven Beschluss, eine gute Steuergesetzgebung für
die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, fassen.

Wir werden zum Beispiel die Gewerbesteuerzerlegung
bei Windkraftanlagen neu regeln. Das ist ein wichtiger
Punkt; ich denke, insbesondere auch für die Grünenfrak-
tion. Ich kann Sie nur auffordern, dem zuzustimmen, und
zwar nicht aus irgendwelchen Gründen. Sie sollten for-
mulieren, dass es eine wirklich gute Regelung ist, und
sich nicht hinter vorgeschobenen Argumenten verste-
cken. Sie sollten nicht wegen irgendwelcher fehlenden
Regelungen eine Ablehnung konstruieren.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nicht wegen irgendwelcher Regelungen, sondern wegen der Steuerschlupflöcher!)


Wenn wir die freiwillig Wehrdienstleistenden entlas-
ten, sie bei ihrem Dienst an der Gesellschaft, bei ihrem
Dienst für dieses Land unterstützen, wenn wir diejeni-
gen, die zivilen Freiwilligendienst leisten, entlasten


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da haben wir Ja gesagt!)


und sie bei ihrem Dienst an der Gesellschaft unterstüt-
zen, dann müssen doch auch Sie das positiv aufnehmen
und müssen dem doch zustimmen können.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das tun wir doch! Haben Sie nicht zugehört?)


Also insofern: Lehnen Sie dieses Gesetz nicht ab, son-
dern machen Sie mit uns eine gute Steuerpolitik!


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist doch ein schlechtes Gesetz! Sie schaffen ja neue Steuerschlupflöcher!)


Letztendlich muss man sich ja fragen: Was haben Ihnen
denn diejenigen, die freiwillig Wehrdienst oder einen zi-
vilen Dienst leisten, getan, dass Sie Verbesserungen in
diesem Bereich immer wieder mit vorgeschobenen
Gründen ablehnen?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nehmen Sie doch den alten Entwurf!)


Die Umsatzsteuerfreiheit für Betreuer ist ein ganz we-
sentlicher Punkt in einer Gesellschaft,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Habe ich auch erwähnt! Natürlich!)


in der immer mehr Betreuungsleistungen nötig werden.
Das ist eine wichtige steuerpolitische Entscheidung.
Stimmen Sie dem zu!


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wir haben dem zugestimmt, Herr Volk! Sie haben nicht zugestimmt! Sie haben mit Nein gestimmt! – Manfred Zöllmer [SPD]: Stimmen Sie doch mal zu!)


Wenn wir mit diesem Gesetz den Mittelstand durch
die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen von Bürokra-
tie entlasten, was zu einer Entlastung in der Größenord-
nung von 2,5 Milliarden Euro führt – übrigens ausdrück-
lich begrüßt vom Nationalen Normenkontrollrat –, dann
müssen Sie dem doch auch zustimmen können. Denn
auch dort muss man sich fragen: Was haben Ihnen denn





Dr. Daniel Volk


(A) )


)(B)


(C (D die mittelständischen Unternehmer getan, dass Sie auch dieses ablehnen wollen? (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen damit Rechtsunsicherheit!)


Also insofern: Sie können diesem Gesetz mit gutem Ge-
wissen, aus gutem Grund zustimmen.

Sie können diesem Gesetz insbesondere vor dem Hin-
tergrund zustimmen, dass wir ein weiteres Steuer-
schlupfloch schließen werden, nämlich mit der Regelung
zu den sogenannten Cash-GmbH, womit wir eine miss-
bräuchliche Steuergestaltung verhindern bzw. vermeiden
wollen, und zwar im Interesse einer gerechten Besteue-
rung aller Steuerpflichtigen. Der Sinn ist ja, dass wir hier
Steuerschlupflöcher schließen wollen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie gerade nicht! – Manfred Zöllmer [SPD]: Sie eröffnen doch wieder neue Steuerschlupflöcher!)


Auch da können Sie zustimmen, auch da können Sie ein
positives Votum abgeben. Aber bitte lassen Sie es, sich
hinter vorgeschobenen Argumenten zu verstecken.

Wissen Sie, das Entscheidende an der Sache ist ja,
dass all diese Regelungen schon einmal auf dem Tisch
waren, nämlich vor ungefähr einem halben Jahr hier im
Bundestag.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sie abgelehnt, Herr Volk!)


Auch da haben Sie Ihre Zustimmung verweigert.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Sie haben das abgelehnt! Das wissen Sie doch!)


Im Bundesrat haben auch Ihre Parteifreunde aus den
Landesregierungen, die rot-grün regierten Länder, diese
Regelungen abgelehnt.

Sie können jetzt noch einmal die Chance ergreifen,
diesem Kurs einer vernünftigen Steuerpolitik, einer
Steuerpolitik aus einem Guss zuzustimmen, um auf der
einen Seite diejenigen, bei denen wir Entlastungen vor-
nehmen müssen, auch wirklich zu entlasten und auf der
anderen Seite durch das Schließen von Steuerschlupflö-
chern eine gerechte Besteuerung aller Steuerpflichtigen
zu gewährleisten. Dem können Sie zustimmen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Warum sind denn diese Schlupflöcher ganz neu im Gesetz? Darüber reden Sie gar nicht!)


Dementsprechend kann ich Sie nur auffordern: Geben
Sie die Blockadehaltung auf. Machen Sie eine Steuer-
politik für die Bürgerinnen und Bürger,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber nicht mit Ihnen!)


für die Steuerpflichtigen in diesem Land. Folgen Sie un-
serer vernünftigen Finanzpolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Also brauchen wir doch eine neue Regierung!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723507200

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Dr. Barbara Höll.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723507300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gute Steuerpolitik und FDP, das schließt sich
schon per se aus. Also, diese Grundlage gibt es leider
nicht.

Ich habe in Vorbereitung der heutigen Rede gedacht:
Wo ist die gute alte Zeit hin?


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Welche gute alte Zeit, Frau Kollegin?)


Früher hießen Jahressteuergesetze auch wirklich Jahres-
steuergesetz. Da gab es jährlich ein Jahressteuergesetz,
und in das wurde alles hineingepackt, was anzupassen
ist, was notwendig ist. Das wurde diskutiert – auch im
Bundesrat, eventuell im Vermittlungsausschuss – und
verabschiedet.

Diesmal ist es so: Es gab ein Jahressteuergesetz 2013.
Herr Kollege Binding sagte es schon: Aus dem Koali-
tionsvertrag wurde die steuerliche Gleichstellung der
Eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe – dies
wäre eine Umsetzung Ihrer Positionierung im Koali-
tionsvertrag – aufgenommen. Deswegen haben Sie alles
platzen lassen. Ich habe im Ausschuss nachgefragt: Herr
Staatssekretär Koschyk, wie ist es, kommt ein neues Jah-
ressteuergesetz? – Nein.

Dann kommt ein Gesetz zur Verkürzung der Aufbe-
wahrungsfristen sowie zur Änderung weiterer steuerli-
cher Vorschriften. Das ist aber nicht der erste Versuch.
Es gab in der Zwischenzeit schon ein Amtshilferichtli-
nie-Umsetzungsgesetz. Das alles sind kleine Jahressteu-
ergesetze 2013.

Also, es findet sich niemand mehr zurecht. Das Amts-
hilferichtlinie-Umsetzungsgesetz liegt derzeit im Ver-
mittlungsausschuss. Es herrscht ein riesiges Hin und
Her. Den heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen Sie
ganz schnell durch den Bundestag bringen. Wir haben
uns natürlich die Mühe gemacht, das alles richtig zu be-
werten; mein Kollege Binding war sich nicht sicher, ob
er etwas übersehen hat. Interessant ist, dass die Diskus-
sion über das Jahressteuergesetz 2013 im Vermittlungs-
ausschuss eigentlich erfolgreich war.


(Manfred Zöllmer [SPD]: So ist es!)


Es wurden Kompromisse gefunden. Diese Kompromisse
wurden getragen von der CDU/CSU, der FDP, der SPD,
den Linken und den Grünen. Diese haben Sie abgelehnt.

Nun könnte man den einen Punkt, den Sie nicht haben
wollten, der aber im Koalitionsvertrag steht, herauslas-
sen. Aber die anderen könnte man so verabschieden.
Nein! Im Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz steht
wiederum nur ein Teil davon. Auch im heute vorliegen-
den Gesetzentwurf steht nur ein Teil. Man versteht nicht,
was. Ich habe mir das einmal farblich gekennzeichnet.
Hier finde ich vier völlig neue Vorschläge, die wir ganz





Dr. Barbara Höll


(A) )


)(B)


(C (D schnell bewerten müssen. Das ist alles andere als eine seriöse Steuerpolitik. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben schon im Vermittlungsausschuss gesagt,
dass wir natürlich bei den Fragen in Bezug auf die Büh-
nenchoreografen und Bühnenregisseure übereinstim-
men. Auch hinsichtlich der Kindergeldregelung bei Aus-
landseinsätzen besteht kein Problem.

Aber warum kommen Sie jetzt wieder mit dem
Thema der Verkürzung von Aufbewahrungsfristen? Dies
ist doch durchsichtig. Es geht Ihnen dabei nur darum,
Herrn Steinbrück vorzuführen. Ob es Ihnen gelingt oder
nicht, wird man sehen. Das Thema der Verkürzung von
Aufbewahrungsfristen wurde im Ausschuss länger dis-
kutiert. Ich habe immer wieder nachgefragt, warum Sie
die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen wollen. Es
kommt von Ihnen immer wieder das Argument des Bü-
rokratieabbaus. Es geht doch nicht allein um Bürokratie-
abbau. Das ist doch Quatsch.


(Manfred Zöllmer [SPD]: So ist es!)


Das meiste wird doch heute elektronisch gespeichert. Ob
Sie die Unterlagen zehn Jahre oder sieben Jahre elektro-
nisch speichern, ist kein Unterschied. Der Computer
bleibt der gleiche; vielleicht brauchen Sie 3 oder 20 CDs
mehr. Diese nehmen nicht sehr viel Platz in Anspruch.

Es stellt sich aber die Frage: Was geht verloren, wenn
die Aufbewahrungsfrist verkürzt wird? Die Prüfmög-
lichkeit verkürzt sich um drei Jahre. Wenn wir in den
nächsten Jahren mit Steuerausfällen und Mindereinnah-
men von bis zu 3 Milliarden Euro – das ergibt sich aus
Ihrem Finanztableau – rechnen müssen, dann nehmen
Sie bewusst, sehenden Auges, in Kauf, dass aufgrund
der fehlenden Prüfmöglichkeiten Steuervermeidung oder
ungerechte Steuerzahlung die Folge sein können.

Mich ärgert besonders – das bezieht sich auch auf die
Debatte zur Wirtschaftskriminalität –: Warum nehmen
Sie hier nicht, wie es im ursprünglichen Jahressteuerge-
setz 2013 der Fall war, die Regelungen zu Familienstif-
tungen und Trusts auf? Die fallen einfach weg, und zwar
ohne jegliche Begründung. Bei diesem Gesetzentwurf,
den Sie vorlegen, zeigt sich der Unterschied zwischen
Worten – Bekämpfung von Steuerumgehung und Steuer-
hinterziehung – und Taten.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723507400

Jetzt hat das Wort die Kollegin Lisa Paus für die Frak-

tion Die Linke – Entschuldigung, für Bündnis 90/Die
Grünen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das spielt sowieso keine Rolle!)



Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723507500

Gerade noch die Kurve gekriegt, Herr Präsident. – Herr

Präsident! Meine Damen und Herren! Am 12. Dezember
hatten wir ein hundertprozentiges Vermittlungsergeb-
nis – ohne die Gleichstellungsfrage. Nur um von dem
Koalitionsstreit um die steuerliche Gleichstellung von
Lebenspartnerschaften, die tatsächlich im Koalitionsver-
trag verankert war – darauf wurde schon hingewiesen –,
abzulenken, machen Sie mit der heutigen Vorlage wieder
zwei thematische Fässer auf und legen einen Gesetzent-
wurf mit Positionen vor, die bereits von Ihren eigenen
schwarz-gelben Landesregierungen beim letzten Durch-
lauf im Bundesrat abgelehnt worden sind.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Hört! Hört!)


Nur um ein Signal an die eigene Klientel zu senden, ner-
ven Sie uns hier. Ich sage dazu nur: Jeder macht sich so
lächerlich, wie er selber kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Erstes Fass: Aufbewahrungsfristen. Die Aufbewah-
rungsfristen wollen Sie wieder von zehn auf acht und
später auf sieben Jahre verkürzen. Dadurch entgehen
dem Fiskus jährlich Mehrergebnisse aus Betriebs- und
Außenprüfungen in der Größenordnung von mehreren
Millionen Euro. Das ist auch in der Anhörung, die wir
dazu im Deutschen Bundestag durchgeführt haben, deut-
lich geworden.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Warum will Herr Steinbrück das?)


Außerdem leisten Sie der Verfolgung von Steuerstraf-
taten einen Bärendienst. Wenn Gesetzeslage ist, dass
Steuerhinterziehung erst nach zehn Jahren verjährt, die
Unterlagen aber nur sieben Jahre aufbewahrt werden
müssen, dann offenbart das Ihr Verhältnis zum Rechts-
staat in Fragen der Steuerhinterziehung. Was soll denn
der Steuerfahnder im neunten Jahr machen? Welche Un-
terlagen soll er denn prüfen, wenn sie geschreddert sind,
meine Damen und Herren von der Koalition?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das zweite Fass sind die Cash-GmbH. Sie legen hier
einen Änderungsvorschlag vor, der die Cash-GmbH wie-
der verfassungskonform machen soll. Cash-GmbH sind
Gesellschaften, deren einziger Zweck es ist, Steuervor-
teile zu sichern. Der Bundesfinanzhof hat Ihnen die gel-
tende Regelung um die Ohren gehauen. Deswegen
braucht es eine Änderung. Bisher gab es einen Konsens
dahin gehend, dass dies tatsächlich ein Problem ist und
dass alle gemeinsam dieses Steuerschlupfloch schließen
wollen. Entsprechend hat man sich auf einen Vorschlag
im Vermittlungsausschuss geeinigt. Sie machen hier
wieder ein Fass auf. Wenn man sich Ihre Regelung an-
schaut, dann stellt man fest: Sie wollen das Steuer-
schlupfloch gar nicht schließen, sondern Sie wollen es
weit auflassen, Sie wollen es nur gesetzeskonform ma-
chen. Kommen Sie zu der alten Regelung zurück!





Lisa Paus


(A) )


)(B)


(C (D (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Also bitte! Das ist jetzt sehr dick aufgetragen! – Weiterer Zuruf von der FDP: Unverschämtheit!)


Was haben Sie vor? Wenn es im Unternehmensver-
bund irgendwo mehr als 20 Arbeitskräfte gibt, dann
kann noch so viel Privatvermögen umgeschichtet wer-
den, aber eine Cash-GmbH wäre es nach Ihrer Formulie-
rung nicht mehr.

Aber das reicht Ihnen noch nicht einmal aus. Sie set-
zen noch eins drauf, und zwar richtig. Sie wollen auch
noch Finanzdienstleistungsinstitute von der Regelung
ausnehmen. Ich verstehe das nicht. Das kann doch nicht
wirklich Ihr Ernst sein. Finanzdienstleistungen sind glas-
klar nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen. Jetzt
muss der Cash-GmbH nur noch der Hauptzweck Finanz-
dienstleistung angepinnt werden – das wäre noch nicht
einmal gelogen –, und schon fällt deren Vermögen aus
der Besteuerung heraus, wenigstens zu 50 Prozent. Mit
Ihrer Regelung schaffen Sie neue Umgehungswege. Da
ist das nächste BFH-Urteil vorprogrammiert. Ihre Rege-
lung retten Sie höchstens bis zur Bundestagswahl, aber
definitiv keinen Tag darüber hinaus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Deswegen fordere ich Sie noch einmal auf: Kehren
Sie zu dem Ergebnis, auf das man sich im Vermittlungs-
ausschuss zu 100 Prozent geeinigt hat, zurück. Dann,
Herr Gutting, wird es auch von uns hier und im Bundes-
rat eine Zustimmung dazu geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723507600

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich erneut dem Kollegen Dr. Mathias Middelberg
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1723507700

Herr Präsident, herzlichen Dank. – Meine Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Ich will mir ganz kurz erlau-
ben, auf den Kollegen Binding und das schöne Schwei-
zer Steuerabkommen einzugehen. Ich will gerne noch
einmal erklären, wie man auf eine Schätzung von
10 Milliarden Euro kommen kann; man kann den Betrag
natürlich nicht exakt berechnen. 2 Milliarden Euro wä-
ren ohnehin von den Schweizer Banken garantiert gewe-
sen. Die wären in jedem Fall geflossen; auf die haben
wir jetzt definitiv verzichtet.

Wir hätten in jedem Fall mehr erlangt. Selbst wenn
wir durch den Ankauf aller möglichen Steuer-CDs alle
Steuersünder in der Schweiz hätten identifizieren und
nachträglich besteuern können, wäre diese Besteuerung
immer nur auf die Zinserträge fällig gewesen. Bei unse-
rer Regelung und laut unserem Steuerabkommen wäre
immer das gesamte Kapital, also das ganze Geld, das die

Leute in die Schweiz geschafft haben, besteuert worden,
der gesamte Haufen, nicht nur die Erträge daraus, die
über die Jahre erzielt worden wären.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie wissen aber nicht, wie groß der Haufen war!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, natürlich,
denklogisch – das ist für den Grundschüler, der in der
ersten Klasse Mathematik hat, einfach auszurechnen –
erlangt man dabei deutlich höhere Steuererträge, als
wenn man nur die Zinsen besteuert. – Das vorweg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Und die Leute bleiben anonym!)


Nachdem wir die Dinge so weit berichtigt hätten,
würde ich gerne zu dem heute vorliegenden Gesetzent-
wurf etwas sagen. Zum Thema Cash-GmbH ist das Zu-
treffende vom Kollegen Volk ausgeführt worden. Ich
würde gerne auf das Thema Aufbewahrungsfristen ein-
gehen. Die Kollegin Höll hat eben gesagt, es gehe uns
hier nur darum, den Kanzlerkandidaten der SPD vorzu-
führen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das macht er schon selbst! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das macht der selbst!)


– Das macht er selbst; das ist völlig richtig. – Aber an die-
sem Punkt bin ich einmal ganz präzise. Ich finde, dass sich
die Widersprüchlichkeiten summieren. Herr Steinbrück
sagt das eine, die SPD sagt etwas anderes; Herr
Steinbrück sagt etwas, die SPD rudert zurück. Ich habe
das eben anhand der bundesweiten Steuerfahndung er-
klärt: Steinbrück will die bundesweite Steuerfahndung.
Wir sind einverstanden und sagen zu, das zu machen;
aber eure Länder sagen: Nein, das machen wir doch
nicht. Es geht nicht darum, ihn vorzuführen. Man stellt
sich bei alldem die Frage – darum geht es –: Inwieweit
ist Steinbrück, inwieweit sind die Aussagen dieses Man-
nes überhaupt noch glaubwürdig? –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist die entscheidende Frage. Die Wähler wollen
doch im September wissen, wen sie wählen können, und
wollen im Vorfeld verlässliche Aussagen erhalten. Es
kann nicht so sein wie 2005, als ihr Wahlkampf gegen
die „Merkel-Steuer“ gemacht habt. Ihr habt polemisiert
und gesagt, es sei ganz furchtbar, wenn die „Merkel-
Steuer“, also eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Pro-
zentpunkte komme. Nachher, als ihr mitregiert habt, kam
es dann zu einer Erhöhung um 3 Prozentpunkte. Sagen
wir es doch ganz offen: Ihr habt die Leute getäuscht; das
war nicht sauber.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vorsicht! Das ist gut für Populismus, aber nicht die ganze Wahrheit! – Weiterer Zuruf von der SPD: Ihr wart doch auch in der Regierung!)


– Der Unterschied ist: Wir haben vorher gesagt, was wir
machen wollen; ihr habt genau das Gegenteil gesagt,
habt damit eine Wahlentscheidung für euch erreicht und





Dr. Mathias Middelberg


(A) )


)(B)


(C (D habt euch nachher umentschieden. Solch ein Verhalten ist nicht korrekt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ihr brecht eure eigene Koalitionsvereinbarung!)


Jetzt kommen wir zu den Aufbewahrungsfristen und
schauen einmal ganz genau hin. Am 4. März hat euer
Kanzlerkandidat Peer Steinbrück


(Iris Gleicke [SPD]: Ich möchte von Ihnen nicht geduzt werden!)


in den Siegener Thesen für den Mittelstand, also für die
kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dafür sind wir auch!)


verkündet:

Ich will, dass unnötige, für den Mittelstand kosten-
trächtige Regelungen abgeschafft werden …


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wollen wir auch! Genau! Das stimmt!)


Das hat Steinbrück gesagt. Dann nennt er ausdrücklich
die „Verkürzung der Aufbewahrungspflichten für Rech-
nungen und Belege“.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wollen wir nicht!)


– Aha! – Exakt das ist Gegenstand unseres Gesetzent-
wurfs.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war aber vor der Programmdebatte! Das war eine Diskussion!)


Sie haben uns eben beredt erklärt, warum das alles
furchtbar ist und zu Missbrauch führe. Sie sagten, es
würde die Steuerhinterziehung erleichtern.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ist auch so!)


Der Gesetzentwurf setzt aber die Forderung von Peer
Steinbrück, dem Kanzlerkandidaten der SPD, um; genau
das legen wir euch jetzt hier vor. Wir sagen: Das ist
heute die Stunde der Wahrheit für Peer Steinbrück und
die SPD.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ihr brecht den Koalitionsvertrag, und bei uns ist ein Debattenbeitrag schon Gesetz, oder was?)


Ihr müsst euch heute dazu bekennen. Was gilt denn jetzt:
die Aussagen des Kanzlerkandidaten zur „Fußfessel“
oder die Aussagen, die die SPD von Woche zu Woche
mal so oder mal wieder anders trifft? – Hier geht es um
Glaubwürdigkeit.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Und eure Koalitionsvereinbarung, was ist das?)


Ich sage es ganz nett und freundlich: Euch kann am
22. September einfach keiner wählen, weil man gar nicht
weiß, was am Ende herauskommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das sagen wir! – Manfred Zöllmer [SPD]: Gut, dass wir das bei Ihnen wissen!)


Steinbrück wollte keine Vermögensteuer, weil er genau
wusste, dass der unternehmerische Mittelstand und die
kleinen Unternehmen die Vermögensteuer in schlechten
Jahren aus der Substanz zahlen müssten. Ich sage es ein-
mal ganz deutlich: Es geht da nicht nur um reiche, faule
Säcke, die irgendwo auf Mallorca im Cayenne – oder
was weiß ich – herumfahren. Das ist das Bild, das immer
erzeugt wird, wenn von der Vermögensteuer die Rede
ist. Da hätte ich gar nichts dagegen: Wenn die mehr be-
zahlen würden, wäre das in Ordnung. Aber man kann bei
der Vermögensteuer gar nicht zwischen betrieblichem
und privatem Vermögen differenzieren. Das bekommt
man gar nicht hin; da machen das Bundesverfassungsge-
richt und der Bundesfinanzhof nicht mit. Man bekommt
eine solche Differenzierung nicht hin.

Euer eigener Ministerpräsident von Baden-Württem-
berg, Herr Kretschmann, und sein Finanzminister, Herr
Schmid, weisen darauf hin, dass eine solche Unterschei-
dung gar nicht möglich ist. Ihr suggeriert den Leuten, da
käme etwas; aber das ist gar nicht zu schaffen. Es ist
Schwachsinn hoch zehn. Die Leute werden wieder ge-
täuscht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Vermögensabgabe ist es zu schaffen!)


Steinbrück war klug genug, vorher zu sagen, dass die
Einführung einer solchen Vermögensteuer nicht möglich
ist. Aber ihr verkauft den Leuten jetzt diesen Popanz, da-
mit sie euch wählen. Nach der Wahl sagt ihr dann: Das
ist jetzt aber ganz schwer umzusetzen; jetzt machen wir
es doch anders und erhöhen einfach pauschal die Steu-
ern.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gab es etwa noch nie eine Vermögensteuer, weil das alles unmöglich ist?)


Was ihr macht, ist ein Katastrophenprogramm: Wir
würden eine riesige Steuererhöhungsorgie erleben, die
alle Steuerarten betrifft. Wahrscheinlich würde doch
noch eine neue Vermögensteuer eingeführt.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Jetzt doch?)


Dann hätten wir die gleichen Verhältnisse wie in Frank-
reich: Da gibt es schon hohe Steuersätze, da gibt es eine
Vermögensteuer. In Europa gibt es die Vermögensteuer
nur in Spanien und Frankreich.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In den USA gibt es eine Vermögensteuer!)


Das sind die beiden Länder, die in Europa leider am Bo-
den liegen. Die Franzosen fahren im Moment wirtschaft-
lich vor die Wand. Sie haben mit dem Steuerrecht, das
ihr erreichen wollt,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist doch völlig unvergleichbar! Das ist jetzt nicht seriös!)






Dr. Mathias Middelberg


(A) )


)(B)


(C (D heute eine zweimal so hohe Arbeitslosenquote und eine dreimal so hohe Jugendarbeitslosigkeit wie wir. Das ist nicht unser Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das hat alles der Peer Steinbrück gemacht, oder was? Das war wirklich ziemlich viel Quatsch!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723507800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/13082 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktion der SPD

Recht auf ein Guthabenkonto einführen –
Kontopfändungsschutz sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Verbraucherrecht auf ein kostenloses Giro-
konto für alle gesetzlich verankern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbraucherrecht auf Basisgirokonto für
jedermann gesetzlich verankern

– Drucksachen, 17/7823, 17/8141, 17/7954,
17/9798 Buchstabe b bis d –

Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Aumer
Dr. Carsten Sieling
Holger Krestel

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ralph Brinkhaus für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1723507900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um

noch einmal die vorausgegangene Debatte und den Bei-
trag von Herrn Kollegen Middelberg aufzugreifen: Es ist
schon erstaunlich, dass die SPD im Wahlkampf durch
die Gegend rennt und sagt „Von Frankreich lernen heißt
siegen lernen“, dabei ist genau das Gegenteil der Fall.

Jetzt geht es um das Girokonto. Das ist in der Tat ein
ernstes Thema. Wir alle wissen, dass man heutzutage das
meiste, was man erledigen muss, nicht mehr bar, sondern
nur noch unbar erledigen kann. Das bedeutet, dass je-
mand, der kein Konto hat, von wesentlichen Teilen des
Lebens ausgeschlossen ist, dass die Teilhabe nicht mög-
lich ist.

Es ist gut und wichtig, dass wir dieses Thema immer
wieder analysieren, dass wir uns damit beschäftigen.
Deswegen hat die Unionsfraktion zusammen mit der
FDP schon im letzten Jahr einen Antrag auf den Weg ge-
bracht, der auch im Bundestag verabschiedet worden ist.
In diesem Antrag wurde die Bundesregierung aufgefor-
dert, sich bei den anstehenden europäischen Verhandlun-
gen, die im Übrigen hoffentlich in den nächsten Wochen
durch einen guten Vorschlag vorangebracht werden, ein-
zusetzen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglich-
keit haben, auf ein Girokonto zuzugreifen, dass sich die
Kosten für dieses Konto in einem angemessenen Rah-
men bewegen und dass, wenn irgendetwas schiefläuft,
ein Schlichtungsverfahren stattfinden kann.

Noch etwas zum Thema Schieflaufen. Wir können
– auch wenn das von der linken Seite hin und wieder ge-
fordert wird – nicht jede Bank verpflichten, jeden Kun-
den anzunehmen. Es gibt auch Fälle, in denen das
schlichtweg nicht geht, in denen es Konflikte gibt. Des-
wegen ist es durchaus legitim, dass eine Bank sagt: Nein,
diesen Kunden kann ich nicht aufnehmen, ich will ihn
nicht haben. Für einen solchen Fall gibt es dann das
Schlichtungsverfahren.

Nach der Verabschiedung des Antrages ist Folgendes
passiert: Die Sparkassen haben sich bereit erklärt, ein
Bürgerkonto einzurichten. Dieses Bürgerkonto soll ge-
nau das, was wir auf europäischer Ebene fordern, umfas-
sen. Dieses Bürgerkonto soll flächendeckend angeboten
werden; Sparkassen sind mit über 420 Instituten bis ins
kleinste Dorf in Deutschland vertreten. Das Bürgerkonto
soll Menschen, die kein oder wenig Einkommen haben,
den Zugang zur Teilhabe sichern. Die Kosten für das
Bürgerkonto sollen sich in einem angemessenen Rah-
men bewegen. Es soll auch einen Schlichtungsmechanis-
mus geben, falls irgendetwas schiefläuft.

Man muss feststellen, dass ein Großteil der Problema-
tik, zumindest hier in Deutschland, damit erst einmal
ausgeräumt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sparkassen sind öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, die
den Auftrag haben, so etwas zu machen; teilweise sind
sie durch Landesgesetze verpflichtet, so etwas zu ma-
chen. Sie haben sich dieser Aufgabe auch über den ge-
setzlichen Rahmen hinaus angenommen. Man kann den
Sparkassen wirklich nur Dank und Lob zollen. Sie haben
sich nicht nur bereit erklärt, das zu tun. Sie haben durch
intensive Zusammenarbeit mit der Presse darauf auf-
merksam gemacht, dass es diese Möglichkeit gibt. Das
ist gut und richtig. Ich würde mir wünschen, dass die an-
deren Säulen der deutschen Kreditwirtschaft den Spar-
kassen an dieser Stelle nachfolgen, weil dadurch eine si-
gnifikante Verbesserung für die Verbraucher in unserem
Land erreicht werden kann.





Ralph Brinkhaus


(A) )


)(B)


(C (D Das Tolle an dieser Sache ist: Das, was wir von der Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag wollten, nämlich dass ein Schlichtungsverfahren gesetzlich auf den Weg gebracht wird, ist gar nicht mehr nötig. Es ist immer besser, wenn die Dinge durch eine freiwillige Selbstverpflichtung geregelt werden, als wenn wir als Gesetzgeber agieren müssen. Bezüglich unserer Forderungen auf europäischer Ebene ist festzustellen: Die Kommission wird in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten. Wir werden auf europäischer Ebene eine Regelung finden. Da die Problematik zum großen Teil gelöst ist, besteht unseres Erachtens keine Notwendigkeit, jetzt im Sinne Ihrer Anträge weiter zu handeln, insbesondere nicht im Sinne des Antrags der Linken, die sogar ein kostenloses Konto für jedermann fordern. Es gibt kein Menschenrecht auf ein Girokonto. Dementsprechend halte ich diese Forderung für recht anspruchsvoll. Man könnte die Debatte an dieser Stelle abschließen. Aber es geht nicht nur um das Girokonto, sondern um den Verbraucherschutz im Allgemeinen. Die Opposition liefert uns immer wieder Steilvorlagen, wenn sie Debatten zum finanziellen Verbraucherschutz fordert. Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen und an dieser Stelle erklären: Keine Bundesregierung hat so viel für den finanziellen Verbraucherschutz getan wie diese Bundesregierung. Diese Bundesregierung hat angefangen mit dem Anlegerschutzund Funktionsverbesserungsgesetz, mit dem die Qualität der Wertpapierberatung durch die Einführung von Produktinformationsblättern verbessert worden ist. Wir haben uns auch mit den offenen Immobilienfonds beschäftigt. Diese Bundesregierung hat die europäische OGAWIV-Richtlinie so umgesetzt, dass es zu einem qualitativ besseren Verbraucherschutz im Investmentbereich gekommen ist. Zum Beispiel wurde ein Key-Investor-Information-Document eingeführt. Diese Bundesregierung hat den Bereich der Finanzanlagevermittler reguliert. Sie hat damit einen bisher grauen Bereich des Kapitalmarktes in die Regulierungszuständigkeit geholt und dafür gesorgt, dass es auch in diesem Bereich eine qualitativ gute, sachkundige Beratung und auch eine Haftung gibt. Diese Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass die Provisionen im Bereich der privaten Krankenversicherungen gedeckelt worden sind. Im Übrigen wurden auch neue Provisionsregeln im Bereich der Lebensversicherungen auf den Weg gebracht. Diese Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass das Verbraucherschutzelement zum ersten Mal überhaupt Thema der Aufsicht wurde. Jetzt gibt es Beiräte und Richtlinien. Diese Bundesregierung hat in den letzten Wochen das AIFM-Umsetzungsgesetz auf den Weg gebracht. Damit machen wir einen riesigen Sprung hinsichtlich der Qualität des Verbraucherschutzes im Bereich der geschlossenen Fonds, aber auch im Bereich der offenen Fonds. Diese Bundesregierung evaluiert momentan die Beratungsprotokolle. Diesbezüglich läuft es noch nicht so gut. Als wir, Schwarz-Rot, das damals eingeführt haben, haben wir gedacht, das würde besser laufen. Das evaluieren wir momentan. Auch diese Regelungen werden wir anpassen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die beste Bundesregierung seit dem Mittelalter! Ist klar!)


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Richtig!)


(Caren Lay [DIE LINKE]: Schön wäre es!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Bundesregierung hat ganz viele kleine Maß-
nahmen auf den Weg gebracht. Ich nenne die Haftungs-
fristen und die Gebühren für die Nutzung von Geldauto-
maten.

Diese Bundesregierung hat vor allen Dingen eines für
den Verbraucherschutz getan: Sie hat mit über 25 Geset-
zen und Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Finanz-
märkte sicher und stabil sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir sind Ihnen sehr, sehr
dankbar, dass Sie uns durch Ihre Anträge immer wieder
eine Vorlage bieten, uns immer wieder die Möglichkeit
geben, auch hier im Plenum darauf hinzuweisen, welch
großartige Arbeit in Bezug auf den sogenannten finan-
ziellen Verbraucherschutz vom Finanzministerium
– Staatssekretär Koschyk ist anwesend – und natürlich
auch von der Verbraucherschutzministerin, Frau Aigner,
erbracht worden ist. Jüngstes Beispiel ist das Gesetz zur
Honoraranlageberatung, das wir in der nächsten Woche
hier im Deutschen Bundestag verabschieden werden.


(Kerstin Tack [SPD]: Oh! Schlechtes Beispiel!)


Ich fasse das Ganze einmal zusammen: Das Giro-
konto ist ein ernstes Thema. Dank der Sparkassen ist das
zunächst einmal abgeräumt. Auf europäischer Ebene
wird das Ganze institutionell verankert. Auch das wird
gut laufen. Zum Verbraucherschutz insgesamt: Keine
Bundesregierung hat eine derart gute Bilanz hinsichtlich
des Verbraucherschutzes vorzuweisen wie diese Bundes-
regierung. Ich kann Ihnen eines versichern: Auch in der
nächsten Legislaturperiode wird der finanzielle Verbrau-
cherschutz eines der Kernelemente unseres politischen
Bemühens sein, um die Finanzmärkte stabiler und siche-
rer zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723508000

Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die

SPD-Fraktion.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1723508100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die





Dr. Carsten Sieling


(A) )


)(B)


(C (D hier gerade angesprochene Bilanz der Bundesregierung im Bereich der Verbraucherpolitik ist leider überhaupt nicht so, wie sie hier dargestellt wurde. Sie haben nicht viel mehr geleistet, als eine ganze Reihe dicker Papierberge auf den Weg zu bringen. Sie haben nicht mehr geleistet, als in vielen Sektoren Verfahren auf den Weg zu bringen, die nicht funktionieren. Ich verweise nur auf die verschiedenen Protokolle. Sie haben die Aufsicht so organisiert, dass die schlimmsten und schwierigsten Bereiche unten durchrutschen können. Ich verweise nur darauf, dass die Gewerbeaufsichtsämter für einen gefährlichen Bereich zuständig sind, für den Bereich der freien Berater. Das war eine Folge des Lobbydrucks. Das ist, was Sie hinbekommen haben. Auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes ist man in dieser Republik nicht so weit gekommen, wie man hätte kommen können. Dafür hat die schwarz-gelbe Regierung die Verantwortung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE] – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Da ist selbst der Applaus in Ihren Reihen dünn!)


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Hier singen Sie nun wieder dasselbe Lied: Sie predi-
gen die Selbstverpflichtung der Branche. Ich will hier
ausdrücklich sagen: Ich begrüße es, dass die Sparkassen
darauf reagiert haben und versuchen, ein erweitertes
freiwilliges Angebot zu unterbreiten. Aber wir alle hier
wissen doch, dass dieser Weg nicht zu einer Lösung füh-
ren wird. Erstens kann es nicht sein, dass sich nur ein
Bereich des Finanzsektors ernsthaft dieses Problems an-
nimmt. Wir müssen den gesamten Finanzsektor heran-
ziehen. Zweitens gibt es Selbstverpflichtungen in diesem
Bereich seit 1995. Seit 18 Jahren ist nichts passiert.
Trotzdem gehen Sie diesen Weg weiter. Das zeigt, dass
Sie nicht wollen, dass etwas passiert, dass die Menschen
Angebote bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


Ich will noch einmal sagen, warum das ein wichtiges
und dringendes Thema ist: In Deutschland haben nach
wie vor etwa 670 000 Bürgerinnen und Bürger keinen
Zugang zu einem Girokonto, weil der Appell an die Frei-
willigkeit nicht gereicht bzw. nichts genützt hat. Das
heißt, man hat keine Möglichkeit, per EC-Karte Geld am
Automaten abzuheben, man hat keine Möglichkeit, ver-
schiedene Geldfunktionen wahrzunehmen oder eine Zei-
tung zu abonnieren; denn dies läuft über Daueraufträge.
Dies gilt vor allem auch für Mietzahlungen. Nein, man
muss ständig zum Bankschalter und Einzelüberweisun-
gen machen, und das kostet Geld. Dies trifft gerade die
Menschen, die nicht genug Geld haben, um sich das er-
lauben zu können. In der Regel kostet es 10 Euro pro
Fall.


(Zurufe von der FDP: Was?)


Das sorgt für tiefgreifende Unsicherheit und Ungerech-
tigkeit, die Sie festschreiben wollen, indem Sie diese
Zweiklassengesellschaft nicht beseitigen.


(Beifall bei der SPD)


Ich will Ihnen übrigens auch den Hinweis nicht erspa-
ren, den uns in den Beratungen bzw. in der Anhörung,
die wir dazu durchgeführt haben, die Bundesagentur für
Arbeit vorgetragen hat. Das Fehlen eines Girokontos be-
deutet eben auch, dass Bürokratiekosten erzeugt werden.
Die Bundesagentur für Arbeit sagt, dass die dadurch ent-
stehenden Gebühren wie Mahngebühren und anderes sie
jährlich etwa 10 Millionen Euro kosten.

Darum schlagen wir vor, nicht auf eine Brüsseler Re-
gelung zu warten – Sie haben ja zugestanden, dass Sie
deshalb noch keine Regelung wollen –, sondern jetzt
hier zu handeln, wie es in anderen Bereichen ja auch ge-
macht wurde. Wir fordern die Bundesregierung auf, end-
lich eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die vorsieht,
dass ein solches Girokonto eingeführt wird; natürlich
würde das eine Verpflichtung für den Sektor bedeuten.
Für den Umgang mit Härtefällen wird man eine entspre-
chende Regelung ins Gesetz aufnehmen können. Das ist
kein Argument gegen eine verbindliche Regelung.

Wir wollen ein solches Gesetz in Deutschland, wie es
schon viele andere Länder in Europa haben. Warum
muss Deutschland immer der Letzte im Geleitzug sein?


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir sind bei vielen Sachen die Ersten! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Manche Bundesländer haben jetzt schon die Regelung!)


Das liegt in der Tat an Schwarz-Gelb. Wir wollen, dass
es in Deutschland an der Stelle Gleichberechtigung und
gleiche Möglichkeiten gibt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Warum führen SPDgeführte Bundesländer so eine Regelung nicht ein?)


– Weil sie das vernünftig gesetzlich auf Bundesebene
machen müssen. Das wissen auch Sie. Sie müssen einen
vernünftigen Rahmen dafür schaffen; das geht nicht mit
Einzelvorgängen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein, in anderen Bundesländern funktioniert das bestens!)


Wir sind übrigens auch entschieden dafür, dass man
das Ganze mit einem Ausbau der Schuldnerberatung und
mit einem Ausbau der Verbraucherberatung begleitet.
Denn auch das brauchen wir in diesem Land.


(Holger Krestel [FDP]: Wer bezahlt das am Ende?)


Das ist konkreter Verbraucherschutz. Wenn Ordnung auf
den Märkten herrscht, führt das auch zu einer Stabilisie-
rung der Finanzmärkte. Das ist etwas anderes als das
Werfen von Nebelkerzen, wie Sie es seit dreieinhalb Jah-
ren im Verbraucherschutz machen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) )


)(B)


(C (D Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Holger Krestel das Wort. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Sieling, bei diesem bunten Strauß von Forderungen, den Sie hier eben ansprachen, müssen Sie dazu sagen, dass an jeder dieser Forderungen ein Preisschild klebt. Sagen Sie den Menschen bitte auch, wer das am Schluss bezahlen muss. Die ganz große Mehrheit der Menschen in diesem Land, die ihren Verpflichtungen regelmäßig nachkommt, muss die kleine Minderheit, die dazu nicht gewillt ist, mitfinanzieren. Ich komme zum Inhalt der Anträge. Nachdem wir uns ja nun schon vor circa einem Jahr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, hat sich eine Menge getan. Das Girokonto ist zur vollen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherlich notwendig, und wem dies verwehrt bleibt, der erleidet durchaus Nachteile. Wir müssen aber auch da nach den Ursachen fragen. Diese Problematik haben die Regierung und die Koalitionsfraktionen erkannt. Wir haben im September 2012 mit Freude zur Kenntnis genommen, dass alle öffentlich-rechtlichen Sparkassen eine bindende Selbstverpflichtung zur Einrichtung eines Bürgerkontos abgegeben haben. Sie umfasst die Zusage, dass die von der Schlichtungsstelle des Deutschen Sparkassenund Giroverbandes getroffenen Entscheidungen stets von den Instituten als verbindlich anerkannt werden. Dieser Beschluss geht sogar über unsere Forderungen hinaus und erfüllt die Forderungen der Bundesregierung aus dem Bericht zum Girokonto für jedermann. Diese Verfahren sind gerade für den Verbraucher bürokratieärmer und viel leichter zugänglich als der Gang über die ordentlichen Gerichte. Übrigens: Sie tun ja immer so, als ob diese Probleme erst in den letzten Jahren entstanden seien. Aber es gibt sie schon viel länger. Die Regelung, die wir jetzt erreicht haben, auch durch unser Handeln, ist etwas, was kein sozialdemokratischer Finanzminister in elf Jahren und keine grüne Verbraucherschutzministerin in vier Jahren geschafft haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kerstin Tack [SPD]: Wir haben dazu doch überhaupt nicht geredet! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Pfändungsschutzkonto!)

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723508200

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1723508300

(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Eine Forderung!)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Aufgrund der bindenden Selbstverpflichtung der
Sparkassen ist hier derzeit kein Handlungsbedarf mehr
erkennbar. Die schon seit 1995 existierende, jedoch nicht
bindende Empfehlung des Verbandes der deutschen Kre-

ditwirtschaft hat zwar Erfolge gezeigt, konnte jedoch nie
die lückenlose Deckung erzielen, die die Sparkasse nun
zweifellos erreichen wird.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist wahr!)


Unter uns allen ist es sicher Konsens, dass sich langfris-
tig auch die privaten Institute stärker an der Kontogrund-
versorgung der Bevölkerung beteiligen müssen.

Ein zentraler Punkt des Antrags der Koalitionsfraktio-
nen vom letzten Jahr war schließlich, dass die Bundesre-
gierung aufgefordert wird, sich bei der Kommission für
eine einheitliche Lösung auf EU-Ebene starkzumachen.
In Zeiten von SEPA mit einem gesamteuropäischen Zah-
lungsraum brauchen wir keine nationalen Alleingänge,
sondern klare und einfache Regelungen über Grenzen
hinweg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb ist die Bundesregierung unserem Antrag ge-
folgt. Die Kommission hat bereits für das Frühjahr die-
ses Jahres eine Richtlinie im Hinblick auf den Zugang zu
einem sogenannten Basiskonto angekündigt. Auch wenn
das Frühjahr erst diese Woche wirklich angekommen ist,
müssten wir Ihre Anträge theoretisch jetzt schon wieder
an die europäischen Vorgaben anpassen, bevor irgend-
welche Regelungen überhaupt in Kraft treten könnten.


(Kerstin Tack [SPD]: Es gibt doch überhaupt keine!)


Deswegen lehnen wir diese ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723508400

Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723508500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Sage und schreibe 30 Millionen EU-Bürger be-
sitzen kein Girokonto. Alleine in Deutschland sind
schätzungsweise 700 000 Menschen ohne ein Konto.
Wir sprechen also beileibe nicht über ein Randphäno-
men, sondern über eine wichtige Frage sozialer Gerech-
tigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Für uns als Linke
ist seit langem klar, dass hier endlich etwas passieren
muss.

Kein Girokonto zu haben, schränkt jeden Menschen
im Alltag stark ein. Weil ich manchmal das Gefühl habe,
dass es noch nicht alle wirklich begriffen haben, möchte
ich Ihnen einige Beispiele nennen: Wer kein Girokonto
hat, der kann eben nicht bequem per Bankeinzug und
Dauerauftrag Miete, Strom- oder Telefonrechnungen be-
zahlen. Mal eben im Supermarkt mit der EC-Karte zu
bezahlen, geht nicht. Und am Geldautomaten Geld abzu-
heben, funktioniert auch nicht. Man kann auch nieman-
dem Geld überweisen.





Caren Lay


(A) )


)(B)


(C (D Welche Menschen sind davon betroffen? – Es sind oftmals diejenigen, die überschuldet sind, die erwerbslos sind oder gleich beides sind, denen die Banken ein Konto verweigern. Kein Girokonto zu haben, wird für sie dann zu einem doppelten Problem. Sie sind dadurch, dass sie keine Kontoverbindung angeben können, benachteiligt, wenn es darum geht, eine Wohnung anzumieten oder eine Arbeit aufzunehmen. Zusätzlich wird es auch noch richtig teuer, denn Bareinund Barauszahlungen lassen sich die Banken mit bis zu 15 Euro pro Überweisung bezahlen. Das heißt, die Banken verdienen an der sozialen Notlage dieser Menschen kräftig mit. Hier dürfen wir nicht länger zusehen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Johanna Voß [DIE LINKE]: Sauerei!)


Genau deswegen setzen wir uns als Linke seit vielen
Jahren für ein kostenloses Girokonto für alle ein. Das
vertreten inzwischen auch die Sozialverbände. Ich freue
mich, dass es mittlerweile Anträge von allen Opposi-
tionsfraktionen, also von Linken, SPD und Grünen, gibt,
die im Kern das gleiche Anliegen, nämlich das Recht auf
ein Girokonto, verfolgen.

Man muss der Ehrlichkeit halber schon sagen – das ist
schon erwähnt worden –, dass auch die rot-grüne Bun-
desregierung hier nichts Wesentliches geändert hat.
Auch SPD-Kollegen haben vor einigen Jahren in Plenar-
debatten noch gesagt: Lasst uns mal auf die freiwilligen
Selbstverpflichtungen setzen. Dann wird es schon ir-
gendwann etwas werden. – Unter Schwarz-Rot wurde es
nicht besser. Auch unter Schwarz-Gelb, wie wir heute
gehört haben, gibt es keine ernsthaften Bestrebungen,
ein Girokonto für alle einzuführen. Alle setzen auf die
Selbstverpflichtung der Banken. Das Ergebnis ist, dass
Hunderttausende immer noch kein Konto haben. Deswe-
gen sagen wir als Linke: Selbstverpflichtungen bringen
es nicht. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Rege-
lung.


(Beifall bei der LINKEN)


Es kann ja sein, dass es bisher kein Recht auf ein Giro-
konto gibt, Herr Brinkhaus, aber wir als Linke wollen es
einführen. Ich finde, das wird höchste Zeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt immer wieder das eine oder andere Argument,
mit dem das Recht auf ein Girokonto abgelehnt wird.
Sehr abenteuerlich fand ich das Argument der FDP, dass
es irgendjemand bezahlen muss. Da sage ich als Bank-
kundin ganz ehrlich: Ich sorge mit meinen Kontofüh-
rungsgebühren lieber dafür, dass arme Menschen ein Gi-
rokonto erhalten, als für die Boni der Bankmanager. Ich
würde mich freuen, wenn Sie das auch endlich so sehen
würden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist marxistische Mottenkiste! – Gegenruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist gesunder Menschenverstand!)


– Das ist keine marxistische Mottenkiste. Ich wiederhole
diesen Zwischenruf, damit es alle hören. Ich finde, es ist
ein Grundrecht, dass jeder Mensch am gesellschaftlichen
Leben teilhaben kann. Dass die FDP dies nicht genauso
sieht, haben jetzt alle hier noch einmal gehört.


(Beifall bei der LINKEN)


Folgendes kann ich ebenfalls nicht akzeptieren: Es ist
schön, dass die Sparkassen jetzt Basiskonten anbieten
werden – das ist gut so –, aber was wir als Linke nicht
akzeptieren, ist, dass es wieder die Aufgabe der öffent-
lich-rechtlichen Banken ist, den armen Kunden ein
Bankkonto anzubieten, und sich die privaten Banken die
besseren Kunden, die zahlungskräftigen Kunden heraus-
suchen. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit wirklich
nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Zuruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, wer heute kein Girokonto
hat, der kann am sozialen Leben nicht teilnehmen. Wir
freuen uns sehr, dass von der EU jetzt endlich eine Initia-
tive kommt. Was ich aber nicht durchgehen lassen kann,
ist, dass Sie sagen: Irgendwie ist es doch ganz schlimm,
aber warten wir doch mal ab, was von der EU kommt. –
Ich finde, man kann sich hier nicht hinter der EU verste-
cken. Man kann auch hier im Deutschen Bundestag end-
lich das Recht auf ein Girokonto einführen. Das wird
höchste Zeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723508600

Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723508700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kontolosigkeit in Deutschland ist ein ernstzunehmendes
Problem; so steht es im mittlerweile sechsten Bericht der
Bundesregierung zur Umsetzung der freiwilligen Selbst-
verpflichtung.


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!)


Da finde ich es schon sehr interessant, dass die Kollegen
Brinkhaus und Krestel mit ihren prophetischen Gaben
vorhergesehen haben wollen, dass eine weitere Selbst-
verpflichtung, nämlich der Sparkassen, das Problem in
absehbarer Zeit lösen wird. Ich finde, diese Argumenta-
tion hat logische Schwächen; aber das müssen Sie unter
sich abklären.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)






Nicole Maisch


(A) )


)(B)


(C (D Im Antrag von Schwarz-Gelb zum Basiskonto stehen gute Analysen. Dort steht zu Recht: Die Führung eines Kontos für die Bürgerinnen und Bürger … ist daher Bindeglied zum Wirtschaftskreislauf und Teil der gewöhnlichen Lebensführung. Diese Analyse stimmt; aber eine Analyse ist in der Politik immer nur so gut wie die Taten, die aus ihr folgen, und da haben wir von Ihnen bisher sehr wenig gesehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Immer noch haben schätzungsweise 670 000 Menschen
in Deutschland kein Konto und können damit ihr sozia-
les Grundrecht auf Teilhabe am Markt nicht umsetzen.
Diese Menschen warten darauf, dass etwas getan wird,
dass sie nicht länger vom bargeldlosen Zahlungsverkehr
ausgeschlossen bleiben und damit von Verträgen wie bei
Telekommunikation, Miete, Strom und anderen Dingen,
überhaupt vom Geschäftsverkehr im Netz. Noch immer
sind sie gezwungen, ihre Bankgeschäfte hart an der
Grenze zur Illegalität abzuwickeln: über Konten von
Freunden oder Verwandten. Scham und peinliche Situa-
tionen bleiben ihnen damit nicht erspart.

Einige Kolleginnen und Kollegen sind schon auf das
Thema Baranweisungen eingegangen. Das ist ein le-
benspraktisches Beispiel, mit dem Sie sich einmal in die
Situation eines Menschen ohne Konto hineinversetzen
können, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und
FDP. Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten für jede
Transaktion von Ihrem Konto aus zwischen 3 und 7 Euro
Gebühren zahlen: wenn Sie den Beitrag zum Fußballver-
ein Ihres Sohnes zahlen, wenn Sie die Miete zahlen,
wenn Sie für den Strom zahlen, wenn Sie fürs Wasser
zahlen, wenn Sie Ihrer Tochter, die auswärts studiert,
50 Euro überweisen – jedes Mal zwischen 3 und 7 Euro
Gebühren. Da bleibt gerade bei armen Menschen am
Ende des Monats nichts übrig.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Wenn die Finanztransaktionsteuer kommt, wird es noch teurer! – Holger Krestel [FDP]: Vielleicht ist der eine oder andere auch ein bisschen selber schuld daran!)


– Herr Krestel, wenn Sie sagen: „Die Leute sind selbst
schuld, sie wollen sich in der Hängematte ausruhen“,
dann sagt das mehr über die FDP aus als über die Men-
schen ohne Konto.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: Das habe ich nicht gesagt! Sie hätten mir mal zuhören sollen, dann würden Sie nicht solchen Unsinn erzählen! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das hat er nicht gesagt! Wenn zitieren, dann bitte richtig zitieren!)


Die Menschen, die kein Konto haben, brauchen die
Hilfe des Gesetzgebers. Ich finde die Wurstigkeit, mit
der Sie dieses Thema hier behandeln, schwer erträglich.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Da kommt wieder der moralische Finger!)


– Wenn Ihnen die Moral nicht sympathisch ist, dann
schauen Sie sich die Zahlen an: Auch die öffentliche
Hand erwartet sich eine Entlastung von Bürokratie und,
wie die Vorredner angesprochen haben, von Kosten in
Höhe von 10 Millionen Euro.

Wir fordern Sie auf: Sparen Sie dem Steuersäckel und
den Betroffenen Ärger und unnötige Ausgaben!


(Holger Krestel [FDP]: Sie belasten den Steuersäckel!)


Schaffen Sie einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto
auf Guthabenbasis! Verstecken Sie sich nicht länger hin-
ter Europa! – Das ist auch in anderen Bereichen nicht
sinnvoll. – Schaffen Sie den Rechtsanspruch, machen
Sie noch etwas Sinnvolles mit dem Rest dieser Legisla-
tur!

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723508800

Das Wort hat die Kollegin Gitta Connemann für die

Unionsfraktion.


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1723508900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer

kennt ihn nicht, den Hauptmann von Köpenick? Ein ar-
beitsloser Schuster befindet sich in einem Teufelskreis:
ohne Arbeit keine Wohnung, und ohne Wohnung keine
Arbeit. – Die Geschichte mit dem Girokonto für jeder-
mann erinnert an diesen Teufelskreis: Die Betroffenen,
die Verbraucher ohne Konto, stecken darin. Sie sind häu-
fig gebrandmarkt durch einen Schufa-Eintrag. Dabei
beginnt der Weg in die Schuldenfalle häufig harmlos:
erster Handyvertrag, Bestellungen im Internet, gegebe-
nenfalls mit einer Kreditkarte, die Schulden häufen sich,
irgendwann wird das Konto geschlossen.

Wir sind uns, glaube ich, alle darin einig, dass eine
Teilnahme am Wirtschaftsleben in Deutschland ohne Gi-
rokonto kaum möglich ist: Lohn, Wasser, Strom, nahezu
alle Geschäfte des Alltags werden über die Bank abge-
wickelt.

Ganz im Ernst: Haben Sie schon einmal versucht,
eine Wasserrechnung bar zu bezahlen, oder mussten je-
den Monat beim Vermieter anklopfen, um einen Geld-
umschlag zu überreichen? Sollten Sie das tun, werden
Sie mehr als schräge Blicke erhalten und müssen mit kri-
tischen Fragen und auch Nachforschungen rechnen. Ich
glaube, in dieser Analyse sind sich alle Fraktionen in
diesem Haus absolut einig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, Herr Krestel nicht!)






Gitta Connemann


(A) )


)(B)


(C (D Kontolosigkeit führt also nicht nur dazu, dass Betroffene in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden, sondern tatsächlich auch zu Ansehensverlust und damit zu sozialer Ausgrenzung. Natürlich ist das für die meisten Bürgerinnen und Bürger in diesem Land kein Thema; denn in diesem Land werden mehr als 94,5 Millionen Girokonten geführt. Aber es gibt eben auch Menschen ohne Girokonto, und zwar unfreiwillig, und diese brauchen unsere Hilfe und unseren Schutz. Dafür haben wir uns als CDU/CSU-Fraktion in den letzten Jahren aktiv eingesetzt; denn wir sind der Überzeugung, dass in Deutschland jeder Bürger und jede Bürgerin ein solches Girokonto haben können muss. Deshalb hatten wir im letzten Juni einen Antrag eingebracht, der gemeinsam mit der FDP-Fraktion hier beschlossen wurde, und zwar mit Erfolg; denn es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Sparkassen reagiert haben und seit Oktober letzten Jahres für jede Privatperson ein Guthabenkonto einrichten, die dies wünscht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


(Holger Krestel [FDP]: Genau!)


Lieber Herr Sieling, ich habe mich nach Ihrer Wort-
meldung an eine Sparkasse gewandt und gefragt, ob gar
keine Daueraufträge eingerichtet werden. – Nein, das ist
falsch. Es werden nach Vereinbarung Daueraufträge ein-
gerichtet, und es werden – hier ist eine gewisse Fehldeu-
tung entstanden – keine anderen Gebühren als von jedem
anderen Bankkunden erhoben.


(Otto Fricke [FDP]: Aha!)


Ich finde, das ist nur gerecht. Bitte überzerren Sie an die-
ser Stelle also nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, es steht uns gut an, den Sparkassen an die-
ser Stelle auch einmal Danke zu sagen; denn sie tun da-
mit etliches für das Gemeinwohl. Ihre Situation ist etwas
anders als die der Privatinstitute; denn es sind öffentlich-
rechtliche Sparkassen, die übrigens auch durch Landes-
gesetze geprägt sind.

Ich frage mich deshalb schon, wie das eigentlich in
Brandenburg oder auch in Nordrhein-Westfalen aussieht,
wo Sie Regierungsverantwortung tragen. Haben Sie
eigentlich dafür gesorgt, dass eine entsprechende Ver-
pflichtung in die Landesgesetze aufgenommen wird? Ich
glaube, nicht. Damit sage ich: Fangen Sie doch auch ein-
mal vor der eigenen Haustür an!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723509000

Kollegin Connemann, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung des Kollegen Sieling?


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1723509100

Ja, natürlich, sehr gerne.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1723509200

Vielen Dank. – Frau Kollegin, Sie haben jetzt, wie

auch andere Rednerinnen und Redner der Koalition, die
Leistung der Sparkassen angesprochen. Meine Frage ist:
Für wie viele der geschätzten 670 000 Menschen ohne
Girokonto ist aufgrund Ihres Vorgehens, für das Sie sich
so loben, ein Girokonto konkret eingerichtet worden?
Wie viele Menschen mehr haben bei den Sparkassen ein
Girokonto bekommen?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch schwer zu schätzen!)


– Da Sie sich hier so loben, werden Sie dazu ja eine Zahl
nennen können.


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1723509300

Ich kann vieles sagen, allerdings bin ich keine Hellse-

herin. Das Bürgerkonto ist am 1. Oktober 2012 einge-
führt worden. Die Sparkassen haben bis dato keine Zah-
len zur Verfügung gestellt; denn auch für die Kunden,
um die es heute geht, gilt das Bankgeheimnis, auf das
Sie sonst übrigens immer sehr viel Wert legen.


(Beifall des Abg. Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU] – Kerstin Tack [SPD]: Wir wollen das nicht namentlich wissen!)


Ich finde, dass hier tatsächlich eine Zweiklassenge-
sellschaft entstehen würde, wenn die Sparkassen ge-
zwungen würden, genau das zur Kenntnis zu geben. Vor
diesem Hintergrund kann ich Ihnen heute keine Zahlen
nennen. Ich bin aber auch nicht so unseriös, das tun zu
wollen.

Noch einmal: Seit dem 1. Oktober 2012 werden diese
Konten eingerichtet. Sie können bei Ihren Sparkassen
vor Ort nachfragen. Ich habe dies getan – auch in Vorbe-
reitung dieser Debatte. Dabei wurde mir gesagt: Bislang
ist niemand abgewiesen worden.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aha!)


Damit entsteht sicherlich ein Dilemma: Wie sieht es
mit Informationen für die Betroffenen aus? Lieber Herr
Sieling, Sie haben die Verbraucher- und Schuldnerbera-
tung zu Recht angesprochen. Das war Ihr entsprechender
Beitrag. Deswegen bekümmert es mich natürlich beson-
ders, dass gerade die Mittel für die Verbraucher- und
Schuldnerberatung in den von Ihnen geführten Ländern
dramatisch zusammengestutzt worden sind.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Märchenerzählerin! – Iris Gleicke [SPD]: Das stimmt nicht! – Kerstin Tack [SPD]: Das ist falsch!)


Wenn Ihnen wirklich daran gelegen wäre, dass die Ver-
braucherinnen und Verbraucher ihre Rechte kennen,
dann würden Sie nicht genau an dieser Stelle kürzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Gitta Connemann


(A) )


)(B)


(C (D Das ist nur Verbraucherschutz auf dem Papier, der aber mit der Realität nichts zu tun hat. Jetzt kommen wir zu Ihren Anträgen, die übrigens über ein Jahr in der Schublade gelegen haben; denn diese Anträge datieren aus dem Jahr 2012. Auf einmal kommt die Forderung: Wir wollen einen nationalen Alleingang machen. – Klar können wir das als Gesetzgeber entscheiden. In der Sache sind wir für ein solches Basiskonto für jedermann. (Caren Lay [DIE LINKE]: Warum machen Sie dann nichts?)


Aber macht ein solcher Alleingang, wie die Opposi-
tion ihn fordert, jetzt Sinn? Nein, denn der akute Hand-
lungsbedarf ist durch das Angebot der Sparkassen ent-
schärft worden. In den kommenden Wochen, nicht in
einigen Jahren, wird die Europäische Kommission dazu
einen Richtlinienvorschlag vorlegen. Die Richtlinie ist
dann automatisch in nationales Recht umzusetzen. Es
bringt wirklich überhaupt nichts, wenn wir jetzt in
Deutschland Regelungen treffen, die vielleicht schon in
einem Jahr wieder hinfällig sind.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Bei der Honorarberatung machen Sie es doch auch so!)


Das ist Aktionismus. Damit nutzen wir den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern in keiner Weise.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Bei dem einen passt es, bei dem anderen nicht! Lächerlich!)


Ihnen nützt jede europäische Regelung, die ihnen die
Möglichkeit eröffnet, ein Konto zu eröffnen, und zwar
zu einem angemessenen Preis. Aber es braucht mehr.
Das beste Recht nützt nämlich niemandem, wenn er
nichts davon weiß. Deswegen brauchen wir auf europäi-
scher Ebene Informationspflichten und Regelungen. Wir
müssen auch über den Zugang zu Schlichtungsverfahren
sprechen. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wis-
sen nach wie vor nicht, dass es ein solches Verfahren
gibt, und zwar kostenlos.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
hängen Sie Ihr Herz nicht an veraltete und überholte An-
träge. Unterstützen Sie uns doch lieber, uns und die Bun-
desregierung, und zwar dabei, Brüssel zu überzeugen.
Dort liegt jetzt der Ball. Entsprechend einem Motto un-
seres Altbundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer, dessen
Todestag heute ist, sage ich Ihnen: „Jede Partei ist für
das Volk da und nicht für sich selbst.“


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723509400

Die Kollegin Kerstin Tack hat nun für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1723509500

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Was sagen wir

den Verbraucherinnen und Verbrauchern? Wir sagen seit
vielen Jahren: Auch wir finden es alle nicht gut, dass es
kein Konto für jedermann gibt. – Aber was ist die Lö-
sung für dieses Problem? Die Antwort ist: Wir sehen
keinen Regelungsbedarf in Deutschland.

Die Bundesregierung sagt dazu, dass sie nicht zustän-
dig ist und nichts regeln will. Sie will nicht aktiv eingrei-
fen, um die Situation der 670 000 Betroffenen zu verbes-
sern; das soll Brüssel regeln. Die Bundesregierung weiß
nicht, ob, aber sie hofft, dass irgendwann in Brüssel eine
Richtlinie dazu auf den Weg gebracht wird, diese will sie
dann ratifizieren. Bis dahin nimmt sie die Lage, die wir
bitterlich beklagen, einfach hin.

Frau Connemann hat mit großer Herzenswärme dar-
gestellt, wie schwierig die Situation der Menschen in
Deutschland ist, die kein Konto haben. Dennoch werden
die Betroffenen mit dem Problem alleingelassen, da die
Angelegenheit in Deutschland nicht geregelt wird. – Ich
finde das skandalös. Ich finde das deshalb skandalös,
weil wir uns doch in der Analyse, das nicht zulassen zu
wollen, einig sind. Dann verstehe ich nicht, wie man hier
sagen kann: Die Lösung dieses Problems schieben wir
auf die europäische Ebene, und irgendwann, wenn wir
dann ratifizieren dürfen – wir wissen gar nicht, in wel-
chem Jahr das ist –, werden wir uns auch in Deutschland
bewegen. – Ich halte das für nicht in Ordnung.


(Beifall bei der SPD)


Ich will es mit den Worten des Soziologen Ulrich
Beck sagen: „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehen-
der Verhaltensstarre“. – Genau so gehen Sie mit einem
Thema um, das für die betroffenen Menschen existen-
ziell ist. Es stellt sich die Frage: Was wollen wir in
Deutschland für die Leute tun? Nur durch unser Handeln
kann sich ihre Situation verändern.


(Otto Fricke [FDP]: Das sind keine Leute, das sind Bürger!)


Es ist gut, wenn die Sparkassen die Einrichtung eines
entsprechenden Kontos anbieten; natürlich. Aber es ist
doch unsere Verantwortung, da politischen Handlungs-
bedarf zu formulieren.

Warum sträuben wir uns, hier zu handeln, wenn wir
uns einig sind, dass wir die Situation der 670 000 Betrof-
fenen so schnell wie möglich verändern wollen? Es gibt
doch keinen Grund mehr, die Sache nicht heute schon zu
regeln: zuerst in Deutschland und dann hoffentlich bald
auch in Europa. Wir freuen uns, wenn es in ganz Europa
einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto gibt. Aber heute
können wir auf nationaler Ebene regeln. Das wollen wir,
und dafür werben wir mit unseren Anträgen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723509600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/9798.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) )


)(B)


(C (D Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7823 mit dem Titel „Recht auf ein Guthabenkonto einführen – Kontopfändungsschutz sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8141 mit dem Titel „Verbraucherrecht auf ein kostenloses Girokonto für alle gesetzlich verankern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7954 mit dem Titel „Verbraucherrecht auf Basisgirokonto für jedermann gesetzlich verankern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung Deutscher Auslandsschulen (Auslandsschulgesetz – ASchulG)


– Drucksache 17/13058 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staats-
ministerin Cornelia Pieper.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1723509700


Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der heutige Tag, an dem die erste Lesung
des Auslandsschulgesetzes stattfindet, ist ein schöner
Tag für die deutschen Auslandsschulen. Für mich ist das
sogar ein historischer Moment; denn es ist lange her,
dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern

eine gesetzliche Regelung für Schulen – in diesem Fall
den Entwurf eines Auslandsschulgesetzes – auf den Weg
gebracht hat. Ich habe mich, ehrlich gesagt, selbst ein
bisschen gewundert, dass es bisher kein politisches An-
liegen einer Bundesregierung oder eines Parlaments ge-
wesen ist, für die deutschen Auslandsschulen ein Gesetz
einschließlich eines Förderanspruchs entsprechend den
Privatschulgesetzen der Länder zu erlassen.

Was habe ich vorgefunden, als die Bundesregierung
2009 ihre Arbeit aufnahm? Ich habe 132 verwirrte und
verunsicherte Auslandsschulen, denen die Mittel gerade
gekürzt worden waren, sowie ein angedachtes Reform-
konzept vorgefunden, das zunächst allein auf Einsparun-
gen setzte. Nach kurzer Zeit zogen sich dann die Bun-
desländer sogar teilweise aus ihrer bis dahin
übernommenen Finanzverantwortung zurück. Plötzlich
sollte der Bund auch noch die Hälfte des Versorgungszu-
schlages der von den Ländern beurlaubten Beamten
übernehmen.

Wir sind uns, glaube ich, einig: Die Deutschen Aus-
landsschulen sind Visitenkarten der deutschen Bildung
und Kultur in der Welt. Sie tragen wesentlich zum Anse-
hen Deutschlands und zur Vermittlung europäischer
Werte bei. Sie sind für uns alle Leuchttürme der interkul-
turellen Begegnung und des friedlichen, demokratischen
Miteinanders.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen freue ich mich, dass wir diesen Gesetzent-
wurf heute gemeinsam beraten können. Für mich ist es
immer wieder schön, zu sehen – das geht Ihnen sicher
nicht anders, wenn Sie die Deutschen Auslandsschulen
besuchen –, mit welchem Eifer, mit welcher Leiden-
schaft nicht nur die Lehrer, sondern eben auch die Schü-
ler an diesen Schulen bei der Sache sind. Investitionen in
die Köpfe dieser jungen Generation, insbesondere auch
in Krisenregionen dieser Welt, sind für mich die beste
Form der Friedenspolitik dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Stärkung der Deutschen Auslandsschulen war mir
ebenso wichtig wie eine Qualitätsoffensive. Ich möchte
dafür auch meinen Mitstreitern im Unterausschuss für
Auswärtige Kulturpolitik und allen Fraktionen, die im-
mer wieder darauf gedrängt haben und mich ermuntert
haben, diesen Gesetzentwurf voranzubringen, danken.

Diese Regierung hat sich darüber hinaus zum Ziel ge-
setzt, das Netz der PASCH-Schulen bis zum Ende des
Jahres 2014 auf 2 000 Schulen auszuweiten. Bis Ende
des Jahres werden es bereits 1 700 Schulen sein. Klar ist:
Qualität und Ausbau sichert man nicht mit dem Rotstift,
sondern durch eine angemessene finanzielle Grundlage.
Dieses Argument ist angekommen. Noch nie hat eine
Bundesregierung so viel in die Deutschen Auslandsschu-
len und das PASCH-Netzwerk investiert. 2012 waren es
238 Millionen Euro, 2013 waren es 244 Millionen Euro.





Staatsministerin Cornelia Pieper


(A) )


)(B)


(C (D Das ist ein Höchststand in der Auswärtigen Kulturpolitik. Wie Sie wissen, hat der Bund die Deutschen Auslandsschulen seit ihrem Bestehen durch die Vermittlung von deutschen Lehrkräften und über die Schulbeihilfe in jeweils unterschiedlicher Höhe gefördert. Diese Förderung erfolgt nach dem Zuwendungsrecht – das sind Leistungen ohne Rechtsanspruch – und ist jedes Jahr erneut vom Haushaltsgesetz abhängig. Schulen sind aber keine kurzfristigen Projekte, über die je nach Haushaltslage entschieden werden sollte. Sie sind Institutionen, in denen entscheidende Weichen für das Leben junger Menschen gestellt werden. Schulen brauchen Planungssicherheit; das ist der Kernpunkt des Gesetzes. Wir wollten Planungssicherheit schaffen. Das Gesetz definiert klare Kriterien, nach denen jede Deutsche Auslandsschule einen gesetzlichen Anspruch auf Förderung erlangen kann. Erstens. Hat eine Schule es geschafft, sich zu etablieren, und gezeigt, dass sie konsequent Schüler zu Abschlüssen führen kann, dann wird ihr die weitere Förderung garantiert. Zweitens. Dadurch, dass der gesetzliche Förderanspruch an die vergebenen Abschlüsse gebunden wird, setzen wir zudem Anreize für die Vermittlung deutscher und deutschsprachig geprägter internationaler Abschlüsse. Diese klaren Kriterien bedeuten natürlich nicht, dass Schulen im Aufbau oder kleine Schulen an wichtigen Standorten, die die Kriterien nicht erfüllen können, zukünftig nicht mehr gefördert werden. Für ihre Bedürfnisse ist das flexible Zuwendungsrecht weiterhin das richtige Instrument. Mein Ziel ist es aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Ihnen gemeinsam zukünftig möglichst vielen Schulen diesen gesetzlichen Rechtsanspruch zu ermöglichen. Die bisherige Förderung erfolgte als Fehlbedarfsfinanzierung. Das heißt: Geht es einer Schule wirtschaftlich gut, so wird ihre Förderung reduziert. Das klingt im ersten Augenblick nicht falsch. Es bedeutet aber am Ende, dass gutes Wirtschaften an den Auslandsschulen nicht belohnt wird. Das kann aber nicht richtig sein. Deshalb fördern die Bundesländer ihre freien Schulen nach Schülerzahl bzw. Unterrichtsbedarf und nicht nach Fehlbedarf. In Zukunft soll daher die finanzielle Förderung der Schulen anhand des Unterrichtsbedarfs für die angestrebten Abschlüsse berechnet werden. Für einen bestimmten Umfang an Unterrichtsaufwand bekommt eine Schule künftig unabhängig von ihren Eigenmitteln einen festen Förderbetrag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch das Reformkonzept geben wir den Deutschen Auslandsschulen, die ohnehin den größeren Teil ihres Budgets selbst erwirtschaften müssen, mehr Autonomie. Das heißt, sie haben ein Budget, über das sie selbst verfügen können, und sie können darüber hinaus selbst Lehrkräfte einstellen. Für die Deutschen Auslandsschulen bedeutet die neue För derstruktur Planungssicherheit und neue Planungsmöglichkeiten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich
noch einmal allen danksagen, die mitgearbeitet haben.
Ich möchte anfangen bei den Fördervereinen, bei den El-
ternvereinen, die die Träger der Schulen sind. Das sind
verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger, die unsere
Deutschen Auslandsschulen unterstützen. Mein Dank
gilt aber auch dem Weltverband Deutscher Auslands-
schulen für seine konstruktiv-kritische Haltung bei der
Vorbereitung des Gesetzentwurfs und des Reformkon-
zeptes. Mein Dank geht an die Zentralstelle für Deutsche
Auslandsschulen, an die Vertreterinnen und Vertreter der
Länder, des BLASchA, des Bund-Länder-Ausschusses
für Schulische Arbeit im Ausland, und natürlich auch an
Sie für Ihr Interesse an der Beratung.

In einer Zeit, in der sich diese Bundesregierung inten-
siv um einen strukturell ausgeglichenen Haushalt be-
müht, zeigt die Schaffung eines gesetzlichen Förderan-
spruchs für Deutsche Auslandsschulen, dass Bildung für
diese Regierung höchste Priorität hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen – last, but not least – noch einmal herzlichen
Dank an das Bundesfinanzministerium in personam
Steffen Kampeter. Es hat uns geholfen, den Streit mit
den Ländern über die Versorgungsrückstellungen für die
vermittelten Lehrkräfte zu lösen. Wir, der Bund, werden
jetzt den hälftigen Versorgungszuschlag übernehmen.
Meine Damen und Herren, ich kann mir die Spitze nicht
verkneifen: Wenn Bund und Länder in der Bildung ko-
operieren, kommt immer etwas Gutes dabei heraus. Das
sollten wir uns auch in Zukunft zum Ziel machen.

Als Allerletztes will ich noch sagen: Als altgediente
Parlamentarierin bin ich mir bewusst, dass, wie es Peter
Struck schon gesagt hat, kein Gesetz aus dem Deutschen
Bundestag so herauskommt, wie es hineingegangen ist.
Ich freue mich auf die konstruktive Diskussion mit Ih-
nen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und habe lediglich
noch den Wunsch, dass wir diesen Gesetzentwurf in die-
ser Legislaturperiode verabschieden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723509800

Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner

für die SPD-Fraktion.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1723509900

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Gerade die Debatte in dieser
Woche hat gezeigt, dass die Notwendigkeit globaler Zu-
sammenarbeit über nationale und kulturelle Grenzen
hinweg für uns heute dringender denn je ist. Das ist kei-
neswegs nur aus wirtschaftlichen Gründen so. Auch
politisch ist es von eminenter Bedeutung, das Deutsch-





Angelika Krüger-Leißner


(A) )


)(B)


(C (D landbild in der Welt zu stärken und dazu beizutragen, dass es keinen Schaden nimmt. Die Krise der Europäischen Union führt uns vor Augen, wie anfällig die Meinungsbildung unserer europäischen Nachbarvölker ist. Noch vor wenigen Jahren gab es für die Deutschen hohe Beliebtheitswerte. Inzwischen sind sie massiv eingebrochen. Das ist festzustellen, wenn wir nach Südeuropa schauen. Ich denke, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage: Im Falle einer Krisenverschärfung läge darin eine Gefahr für ein einiges und friedliches Europa. Die deutsche Außenpolitik insgesamt sieht sich gerade in diesen Zeiten vor die große Herausforderung gestellt, dagegenzusteuern und Vertrauen zurückzugewinnen. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass die Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland ein Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik ist. Seit Jahrzehnten arbeiten die deutschen Mittlerorganisationen in aller Welt mit großem Erfolg daran, ein positives Bild von Deutschland in der Welt zu vermitteln. Neben dem Goethe-Institut, dem DAAD und weiteren Institutionen sind es vor allem die Deutschen Auslandsschulen, die hier eine ganz hervorragende Arbeit leisten. Das sind die 140 anerkannten Auslandsschulen mit ihren unterschiedlichen Abschlüssen und die 870 ausländischen Schulen, die das deutsche Sprachdiplom als Abschluss anbieten. Im globalen Maßstab knüpfen sie Netze internationaler Zusammenarbeit über alle kulturellen Grenzen hinweg, und sie leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für eine friedliche Zukunft in unserer Welt. Zugleich schaffen sie die Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Gastländern, die beiden Seiten nützt und die Staaten und Gesellschaften über Kontinente hinweg einander näherbringt. Die Deutschen Auslandsschulen vermitteln gerade den jungen Menschen der Gastländer deutsche Sprache und Kultur und schaffen somit nachhaltige Bindungen zu Deutschland, die auch erkennbar in die Gesellschaft der Gastländer hineinwirken. Zugleich erwerben Kinder von Deutschen, die im Ausland tätig sind, an diesen Schulen nicht nur einen deutschen Schulabschluss; vielmehr erwerben sie in der Begegnung mit den Jugendlichen der Gastländer auch ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz. Das ist genau die Qualität, die in unserer Welt immer stärker gefragt ist, im Ökonomischen genauso wie im Politischen. Interkulturelle Kompetenz erwerben natürlich genauso die einheimischen Schüler, die sich an unseren Auslandsschulen ausbilden lassen. Viele von ihnen lassen sich für die deutsche Kultur begeistern und finden nach ihrem Schulabschluss den Weg an die deutschen Universitäten. Sie entscheiden sich, wenn wir großes Glück haben, auch dafür, ihre berufliche Laufbahn bei uns aufzunehmen. Ich brauche, glaube ich, nicht breit auszuführen, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung in unserer Gesellschaft auf diese in jeder Hinsicht hochqualifizierten jungen Menschen angewiesen sind. Das sind genau die Fachkräfte, an denen es uns in naher Zukunft stark mangeln wird. Um diese Menschen für uns zu gewinnen, müssen wir allerdings noch stärker an einer ausgeprägten Willkommenskultur in unserem Land arbeiten. Dazu brauchen wir auch einen Mentalitätswandel. Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können unmittelbar nachvollziehen, wie wertvoll das deutsche Auslandsschulwesen für die deutsche Außenpolitik ist. Es ist das älteste Instrument der Auswärtigen Kulturpolitik und zugleich ihr stärkster Pfeiler. Wir sollten alles dafür tun, diesen Mittler deutscher Sprache und Kultur in der Welt zu stärken. Mehr denn je sind wir auf seine Arbeit angewiesen. Das hat sich wohl auch die Bundesregierung gedacht, als sie sich vor drei Jahren das Ziel steckte, endlich Planungsund Finanzierungssicherheit für die deutschen Schulen im Ausland zu schaffen. Genau drei Jahre ist es her, dass uns die Vorlage eines Gesetzes für die Auslandsschulen versprochen wurde. Damals war sogar noch die Rede von einem Auslandsschulfinanzierungsgesetz, später dann von einem Auslandsschulwesengesetz. Wir haben das von Anfang an begrüßt, Frau Staatsministerin, und haben gesagt: Wir unterstützen das. Was uns nun vorliegt, ist ein ganz mageres und dürftiges Ergebnis. Viel zu lange hat es gedauert. Ich denke nur an das Gezerre mit den Ländern um den Versorgungszuschlag. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)


Ich begrüße es nun ausdrücklich, dass wir endlich auf ei-
nem guten Weg sind, dazu eine vernünftige Verwal-
tungsvereinbarung in der nächsten Woche unter Dach
und Fach zu bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann ist endlich Klarheit in dieser Frage. Wir haben aber
auch immer gesagt: Am Versorgungszuschlag darf die-
ses Gesetz nicht scheitern.

Große Erwartungen waren mit der Ankündigung die-
ses Gesetzes geweckt worden. Umso größer ist bei allen
Beteiligten die Enttäuschung, zuallererst bei den Schu-
len selbst, aber auch bei den Mitgliedern des Unteraus-
schusses.

Der erste Entwurf, den wir im Frühjahr letzten Jahres
gesehen haben, hatte noch die Intention der Kolleginnen
und Kollegen getroffen. Darin war erstens die gesetzli-
che Finanzierung für alle Auslandsschulen vorgesehen,
und zweitens waren auch die Sprachdiplomschulen ein-
bezogen. Bezeichnenderweise war dieser Entwurf mit
„Auslandsschulwesengesetz“ überschrieben. Jetzt ist es
ein Auslandsschulgesetz, und es ist ein Rumpfgesetz.

Da sind die 870 Schulen ausgeschlossen, die das
Deutsche Sprachdiplom anbieten. Sie sind noch nicht
einmal erwähnt. Das Deutsche Sprachdiplom ist ein Ab-
schluss, dessen Bedeutung künftig weiter zunehmen





Angelika Krüger-Leißner


(A) )


)(B)


(C (D wird. Darum gehören aus unserer Sicht die DSD-Schulen ins Gesetz. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es soll bei der freiwilligen Förderung bleiben. Daran
wollen wir nichts ändern. Wir müssen davon ausgehen:
Was nicht im Auslandsschulgesetz vorkommt, ist ein-
fach zur Disposition gestellt. – Wir dürfen uns nichts
vormachen: Im nächsten Jahr, wenn die Schuldenbremse
zu wirken beginnt, wird es ein böses Erwachen geben.
Wir dürfen die DSD-Schulen nicht aufs Spiel setzen;
denn das Deutsche Sprachdiplom ist ein von der Kultus-
ministerkonferenz geschaffener Abschluss und basiert
auf einem umfassenden Unterricht. Das kann man nicht
ersetzen durch irgendwelche Sprachprüfungen oder
Kurse. Hier geht es um Qualität und Nachhaltigkeit von
Bildungsabschlüssen.

Fakt ist, dass wir uns alle – alle Fraktionen – im Un-
terausschuss dafür eingesetzt haben, dass die DSD-
Schulen im Gesetz bleiben. Der Bundesrat fordert es und
auch die GEW. Auch der WDA, der ja eigentlich in einer
gewissen Finanzierungskonkurrenz zu den DSD-Schu-
len steht, befürwortet die Berücksichtigung dieses Ab-
schlusses im Gesetz.

Wenn wir unseren Blick jetzt einmal auf die 140 Aus-
landsschulen richten, dann müssen wir leider feststellen,
dass gemäß den Kennziffern und Kriterien leider nicht
alle 140 anerkannten Auslandsschulen die gesetzlich ga-
rantierte Förderung erhalten sollen, sondern nur 45. Nur
diese 45 sind im Gesetz enthalten. Und die anderen? Die
anderen wären weiterhin angewiesen auf die Kassenlage
des Bundes.


(Zuruf von der FDP: Nein, das stimmt nicht!)


So, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht das einfach
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


Planungssicherheit und Finanzierungssicherheit sehen
doch anders aus.

Die Förderfähigkeit soll an 20 gleiche Abschlüsse in
einem Jahr gebunden werden, und das können eben nur
45 Schulen vorweisen. Denn die Zahl der Abschlüsse
hängt ja mit dem Standort und den äußeren Bedingungen
zusammen. Ich will Beispiele nennen: Man kann doch
nicht so eine große Schule wie die Deutsche Schule in
Schanghai oder die Deutsche Schule Alexander von
Humboldt in Lima mit 1 400 Schülern nach den gleichen
Maßstäben bewerten wie etwa die Deutsche Schule in
Changchun in China mit 66 Schülern oder die Deutsche
Schule Tripolis mit 49 Schülern.

Alle Standorte sind wichtig.

Ich will kurz hinzufügen, dass in Teheran eine beson-
dere Situation vorliegt. Die Schule in Teheran wäre,
wenn wir das Gesetz so beschließen würden, heraus. Sie
hatte im letzten Jahr 13 Abschlüsse, und in diesem Jahr

werden es wahrscheinlich auch nur vier sein. Damit
würde sie natürlich nicht die Kriterien des Gesetzes er-
füllen. Wir sehen gerade an diesem Schulstandort, wel-
che Fehler und welchen Mangel dieses Gesetz hat. Wir
dürfen das nicht zulassen. Deutsche Außenpolitik sieht
einfach anders aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann übrigens auch alle Haushälter beruhigen.
Die gesetzliche Förderzusage für alle anerkannten Aus-
landsschulen ist haushaltsneutral. Darüber ist sich auch
der WDA im Klaren. Es wird nicht mehr Geld geben.

Jetzt – das hat, glaube ich, Frau Staatsministerin in ih-
ren letzten Worten anklingen lassen – ist das Parlament
gefordert, für die notwendigen Nachbesserungen zu sor-
gen, damit das Gesetz seinen Namen auch verdient. Wir,
alle Fraktionen im Unterausschuss, haben in den letzten
drei Jahren einen Großteil unserer Arbeit den Deutschen
Auslandsschulen gewidmet. Viele von uns waren vor
Ort, haben sich die Schulstandorte angeschaut, haben
Gespräche geführt, und die Ergebnisse sind in unsere
Beratungen eingeflossen. Vor allen Dingen dem Vorsit-
zenden, der ja auch noch zu Wort kommt, gebührt hier
großer Dank für sein besonderes Engagement.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


Unsere gemeinsame Position – ich wiederhole nur,
was wir letztens beraten haben – ist zum einen, die För-
derfähigkeit für alle anerkannten Auslandsschulen gelten
zu lassen, und zum anderen, die DSD-Schulen im Gesetz
zu verankern. Das ist für mich das Allerwichtigste. Dann
erfüllen wir, glaube ich, auch das, was wir versprochen
haben, nämlich mit diesem Gesetz Planungssicherheit zu
geben.

Wir haben vereinbart, dass wir einen Änderungsan-
trag gemeinsam erarbeiten. Ich hoffe, dass alle ent-
schlossen dabei bleiben und für die notwendigen Nach-
besserungen kämpfen. Dieses Gesetz wäre, wenn es so
bliebe und verabschiedet würde, noch nicht einmal ein
erster Schritt. Wir würden Schulen erster und zweiter
Klasse schaffen,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


und das wollen wir nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als Letztes will ich nur noch die Zusage – –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723510000

Das geht eigentlich nicht mehr, Kollegin Krüger-

Leißner. Sie haben es ja gesagt: Sie haben noch Bera-
tungsbedarf und haben auch die Chance, in den Aus-
schüssen darüber zu reden. Vertagen Sie das bitte.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1723510100

Aber ich sage: Wir stehen zu unserem Wort.





Angelika Krüger-Leißner


(A) )


)(B)


(C (D (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wir auch!)


Das war das Einzige, was ich noch sagen wollte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723510200

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Gauweiler für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1723510300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es wäre ganz wichtig gewesen, was Frau
Krüger-Leißner noch sagen wollte. Ich spreche für sie.


(Heiterkeit)


Wir haben uns schon überlegt, wie wir der Bundesregie-
rung gemeinsam über die Hürden helfen können.

Meine Vorrednerin hat einen ganz wichtigen Punkt
angesprochen, nämlich dass in Zeiten, in denen es mit
der Beliebtheit Deutschlands nicht ganz so gut bestellt
ist – als Beispiel nenne ich die Debatten im Mittelmeer-
raum –, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine
zusätzliche Bedeutung bekommt. Es ist an dieser Stelle
gut, darauf hinzuweisen, dass Griechenland, das oft als
Beispiel genannt wird, zurzeit den größten Anstieg an
Deutschkursen weltweit zu verzeichnen hat. Eine unse-
rer erfolgreichsten deutschen Schulen im Ausland ist das
Gymnasium in Thessaloniki. Ganz nebenbei darf man
auch darauf hinweisen, dass das erste Goethe-Institut,
das nach dem Krieg eröffnet worden ist, auf Einladung
der griechischen Regierung in Athen eröffnet worden ist,
wofür wir alle sehr dankbar sind.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


In dem Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik“ bemühen wir uns um eine substanzielle
und auf die Kraft des Arguments gegründete Willensbil-
dung. Auch beim heutigen Gesetzentwurf gibt es den al-
ten Streit – wie immer bei Regierung und Opposition –:
Ist das Glas halb voll oder halb leer? Zumindest ist es
gut, dass wir schon einmal ein Glas auf dem Tisch ha-
ben. Darüber sollten wir uns einig sein. Insofern ver-
dienen die Bundesregierung und Frau Pieper unsere An-
erkennung, dass nach all den Schwierigkeiten dieses
gesetzliche Gefäß auf dem Tisch steht. Das Parlament
hat die Aufgabe, es zu füllen. Es ist gut, dass es den Ge-
setzentwurf gibt. Der Gesetzentwurf, Frau Staatsministe-
rin Pieper, geht letztlich zurück auf eine Entschließung
des Bundestages vom 30. Mai 2008. Dort haben wir die
Grundprinzipien formuliert. Herr Kampeter, der hier im
Saal sitzt, hat gemeinsam mit der Kollegin Monika
Griefahn, an die ich ebenfalls in Dankbarkeit denke, gro-
ßen Anteil daran, dass die Grundzüge dieser Entschlie-

ßung festgelegt werden konnten, die der Bundestag dann
einstimmig angenommen hat. Das sollte hier schon Er-
wähnung finden.

Die Koalition hat danach die Forderung nach einem
Auslandsschulgesetz ausdrücklich in die Koalitionsver-
einbarung aufgenommen. Der diesbezügliche Teil der
Koalitionsvereinbarung ist klar und gut formuliert, näm-
lich von mir.


(Heiterkeit)


Das sei nur nebenbei erwähnt. – Der zuständige Unter-
ausschuss hat am 5. April 2011 die Bundesregierung
noch einmal gebeten, diesen Gesetzentwurf vorzulegen.

Es ist gut, dass wir nun zum ersten Mal einen Rechts-
rahmen haben, in dem sich die Deutschen Auslandsschu-
len – wenn wir die Sprachdiplomschulen mitzählen, han-
delt es sich um fast 400 000 Schülerinnen und Schüler –
in Zukunft bewegen können.

Natürlich gibt es Dinge, die wir noch ergänzen müs-
sen. Nach dem jetzigen Entwurf erhalten nicht alle klas-
sischen Auslandsschulen die Garantie der Sicherheit,
was wir aber wollen. Es soll für sie alle ein Leistungsan-
spruch bestehen. Es fehlt – wir werden das gemeinsam
ergänzen; mit dem Kollegen Leibrecht habe ich schon
Formulierungsvorschläge ausgearbeitet – die Einbezie-
hung der PASCH-Sprachdiplomschulen. Diese müssen
einbezogen sein. Ferner müssen wir eine Regelung über
die Aufgabenwahrnehmung treffen. Hierbei sollten wir
die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen wesentlich
berücksichtigen. Ich bin froh, dass die Bundesregierung
heute bei der Einbringung des Gesetzes die Arbeit der
Zentralstelle, die seit 50 Jahren das deutsche Auslands-
schulwesen prägt, gewürdigt hat. Ich denke, dass dies ei-
ner gesetzlichen Erwähnung wert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sind insofern an einem positiven Wendepunkt.
Wir stehen, schon wegen der Verzahnung des Bundes
mit den Ländern, vor der Aufgabe, dieses Gesetz entwe-
der scheitern zu lassen oder gemeinsam durchzubringen.
Ich bin aufgrund der guten Zusammenarbeit in unserem
Gremium ziemlich überzeugt, dass wir Letzteres schaf-
fen werden.

Ich habe ein bisschen in den Archiven gekramt.
Deutschland hatte zwischen 1870 und 1914 900 Aus-
landsschulen. Heute sind wir, wenn wir die Sprach-
diplomschulen dazu zählen, bei etwas über 1 000. Das
ist gut, aber die Zahl ist auch nicht so, dass wir deswe-
gen gleich ohnmächtig werden müssten. Das Bessere ist
der Feind des Guten. Wir können hier noch einiges zule-
gen, lieber Deutscher Bundestag, liebe Regierung und
liebe Regierungen der Länder.

Die Schule der Nation ist die Schule; sie ist auch das
Ansehen der Nation, und wir können damit die beste Re-
klame machen.

Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)







(A) )


)(B)


(C (D Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Dr. Jochimsen das Wort. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU])

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723510400


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723510500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Bemerkung vorweg: Immer wenn ich in den ver-
gangenen Jahren eine Deutsche Auslandsschule besucht
habe, sei es als Journalistin oder als Parlamentarierin,
war ich tief beeindruckt vom Engagement der Lehrer,
Schüler und auch der Eltern für ihre Schule – Frau
Staatsministerin hat das vorhin auch erwähnt – und be-
sonders von der pädagogischen Atmosphäre in diesen
Schulen. Ich habe dabei gelernt, dass diese Schulen für
Kinder und Jugendliche in der Fremde eine besondere
Bedeutung haben, sie ihr oft nicht einfaches Heranwach-
sen positiv unterstützen und schützen, auch die Bezie-
hung zu ihrer Heimat übrigens. Schüler in Schanghai ha-
ben das einmal so ausgedrückt: Deutschland, das sind
die Großeltern und die Schule hier.

Dass es um so etwas Kostbares wie Kindheit und Ju-
gend geht, wenn wir heute das Gesetz über die Förde-
rung der Auslandsschulen diskutieren, sollten wir beden-
ken, und wir sollten das auch in den Mittelpunkt unserer
Überlegungen stellen, nicht nur unser Image nach außen
und wirtschaftliche Standortfaktoren in aller Welt.

Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden, Lernbe-
gierigen in einer internationalen Welt, Begegnungen mit
Gleichaltrigen anderer Kulturen und Traditionen Su-
chenden soll dieses Gesetz dienen, ihren Lehrerinnen
und Lehrern und – nicht zu vergessen – den Kindern und
Jugendlichen aus den Gastländern ebenfalls, die sich auf
deutsche Kultur und auch auf Begegnung mit Gleich-
altrigen anderer Herkunft einlassen. Das bitte ich zu be-
denken.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU])


Insofern: Ja, es ist gut, dass dieser Gesetzentwurf der
Regierung jetzt endlich vorliegt. Der Unterausschuss
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ hat seit Jah-
ren fraktionsübergreifend – die Linke war stets dabei –
darauf gedrungen, dass die Deutschen Auslandsschulen
gesetzlich abgesichert werden und nicht länger mit der
auf ein Jahr begrenzten Förderung nach Zuwendungs-
recht arbeiten müssen.

Aber was erleben wir nun, in dem Moment, in dem
das schon so lange als dringend notwendig erachtete Ge-
setz vorliegt? Von 141 bisher geförderten Auslandsschu-
len soll nur ein Drittel gesetzlich abgesichert werden.
Für alle anderen soll es so weitergehen wie bisher. Nur
die großen Schulen mit 20 Abiturabsolventen pro Jahr
oder mehr fallen unter das neue Gesetz. Gut für sie, aber
ganz und gar schlecht, weil das nun auch für die große
Mehrheit der anderen gesetzlich festgeschrieben wird.

Man kann es eigentlich kaum glauben, Frau Staatsmi-
nisterin, aber in dieser großen Gruppe der vom Gesetz
ausgeschlossenen befinden sich traditionsreiche deut-
sche Schulen wie zum Beispiel die Schule in Neu-Delhi,
tapfere Neugründungen im früheren Ostblock wie die
Schule in Bratislava und tapfere Einrichtungen, mehr-
fach erwähnt, die gegen Unwägbarkeiten jahrzehntelan-
ger Diktatur angehen wie die Schule in Teheran.

Die Schule in Neu-Delhi gibt es seit 1961. 2007 er-
hielt sie die Genehmigung zur Einrichtung einer Ober-
stufe. 2012 haben sieben Schüler das Abitur bestanden.
Diese Zahl aber reicht nicht für die gesetzliche Absiche-
rung. Deshalb müssen 180 Kinder und Jugendliche so-
wie 22 Lehrer weiter wurschteln wie bisher.

Die Schule in Bratislava: eine neue Schule, gegründet
2005, die einzige deutsche Schule in der Slowakei, eine
Begegnungsschule, auf der sowohl deutsche wie auch
einheimische Abschlüsse abgelegt werden können, über
200 Kinder und Jugendliche, 26 Lehrer. Der Ausbau er-
folgt schrittweise; ab 2015/16 soll es einen vollständigen
Gymnasialzug geben. Bis die Schule in Bratislava den
Kriterien des vorliegenden Gesetzes genügt, wird es
Jahre dauern. Wollen wir diesem Unsinn wirklich zu-
stimmen?


(Zurufe von der LINKEN und der SPD: Nein!)


Das waren nur zwei Beispiele von ungefähr 100. Ich
finde, wenn man schon nach jahrelangen Forderungen
endlich ein Gesetz macht, dann muss es doch einen Nut-
zen haben und nicht wenige Privilegierte und viele Leid-
tragende schaffen. Was ist dann der Nutzen dieses Geset-
zes?


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Johanna Voß [DIE LINKE]: Gar keiner!)


Wie gesagt: Es geht überall gleichermaßen um Kin-
der, Jugendliche, Heranwachsende und ihre Bildungs-
chancen, ihre Lernverhältnisse, die gerade in der Fremde
die Lebensverhältnisse stark prägen. Wird das Gesetz in
der jetzigen Fassung umgesetzt, konterkariert es sein an-
gegebenes, laut gepriesenes Ziel, den deutschen Schulen
im Ausland endlich eine bessere Finanzierungs- und Pla-
nungssicherheit zu verschaffen. Ein Auslandsschulge-
setz muss für alle bisher geförderten und anerkannten
Schulen gleichermaßen gelten.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU])


Nur dann wird es seinem Namen und seiner Zielsetzung
gerecht. Insofern war der hoffnungsvollste Satz in Ihrer

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1723510600
Sie haben uns
mehr oder weniger versprochen: So wie wir das Gesetz
heute beraten, wird es hoffentlich am Ende nicht aus-
sehen.

Ich danke.





Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) )


)(B)


(C (D (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723510700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Claudia Roth das Wort.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hau’ mal rein!)


Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ja, ganz ruhig. Ich bin ganz moderat. – Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es
schon öfter erlebt, dass die Auslandsschulen wunderbare
Brücken in die Welt sind, sprachlich, kulturell und auch
wirtschaftlich. Wir wollen Kindern dort die Möglichkeit
geben, Deutsch zu lernen, aber auch eine offene, tole-
rante, integrative Bildungskultur zu entdecken und De-
mokratie im Dialog der Schule praktisch zu erleben.
Deswegen begrüßen wir es sehr, dass das Auslands-
schulwesen nun endlich auf eine gesetzliche Grundlage
gestellt werden soll. Denn eine solche Grundlage schafft
Vertrauen und Sicherheit für eine nachhaltige Arbeit an
den Schulen, die oft über gemeinnützige Trägervereine
organisiert sind – verbunden mit den entsprechenden
Haftungsrisiken für die jeweiligen Vereinsvorstände.

Im Laufe der Beratungen hat die Regierung den Ent-
wurf leider immer wieder abgespeckt. Zwischenzeitlich
war es sogar fraglich, ob wir es in dieser Legislaturpe-
riode überhaupt schaffen, das Gesetz auf den Weg zu
bringen. Die vorliegende Fassung hat gravierende Män-
gel; meine Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf
hingewiesen. Deswegen werben wir, die Mitglieder des
Unterausschusses, gemeinsam – über alle Fraktionen
hinweg – für deutliche Nachbesserungen. Denn es reicht
nun wirklich nicht aus – Luc hat es gerade angespro-
chen –, wenn überhaupt nur ein knappes Drittel der bis-
her geförderten 141 Schulen von der vorgesehenen ge-
setzlichen Regelung erfasst wird


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU])


und die anderen Schulen auf der alten, unverbindliche-
ren Grundlage weiterarbeiten müssen, vor allem, weil sie
die vorgesehene Mindestzahl bei den Abschlüssen nicht
erreichen. Wir haben es doch erlebt – wir waren mit dem
Ausschuss dort –, was das für die Schule in Teheran,
eine Schule mit so engagierten Lehrern und einem wun-
derbaren Direktor, bedeuten würde. Diese Schule ist für
viele, für Lehrer, Kinder und Eltern, eine Art Insel für
Demokratie, für Menschenrechte, eine Insel der Hoff-
nung auf eine bessere, eine andere Zukunft. Das müssen
wir fördern. Wir dürfen das nicht ausschließen, indem
wir hierarchisieren, sodass die Schule in Teheran zu ei-
ner zweiten Klasse gehören würde, nur weil sie noch
nicht genügend Abschlüsse verzeichnen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ein zweites Beispiel. Rund um Ostern war ich in Erbil
in Irakisch-Kurdistan. Es handelt sich um eine Schule im
Aufbau, die mit unglaublicher Begeisterung von den
Lehrerinnen und Lehrern, von Eltern und nicht zuletzt
von den Schülerinnen und Schülern angenommen wird.
Ich habe mit Mädchen aus Mönchengladbach und aus
Kassel gesprochen, für die diese Schule, auf der sie
Deutsch sprechen und lernen können, ein Stück weit
eine Verbindung in ihre Auch-Heimat Deutschland ist.
Auch solche Schulen brauchen dringend eine klare und
nachhaltige Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass die PASCH-Schulen, ein sehr erfolgreiches Pro-
jekt, das 1 500 Schulen mit Deutschangeboten weltweit
vernetzt, überhaupt nicht vorkommen, das ist nicht nach-
zuvollziehen. Das ist ein wirklicher Makel. Bitte helfen
Sie alle mit – vor allem die Bundesregierung! –, dass
diese Lücken und diese Mängel im Gesetz überwunden
werden.

Ich will aber darauf hinweisen – Frau Pieper hat sich
ja echt eingesetzt –, dass es schon ein Problem war, was
die Länder in dieser ganzen Zeit getrieben haben. Wenn
sie ihre Kompetenzen für Kultur und Bildung betonen,
hinterher aber die Beiträge für die Versorgungszulagen
der Lehrkräfte einseitig kürzen, dann ist das ein Trauer-
spiel. Ich sage das an die Adresse aller Länder, ich
nehme keines aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gut ist, dass jetzt ein Modus Vivendi gefunden wer-
den konnte und der Bund einspringt; denn sonst wäre die
Lage für die Pädagogen und Pädagoginnen, die mit gro-
ßer Empathie ihre Arbeit machen, absolut demotivie-
rend.

Mit Verlaub, lieber Peter Gauweiler, ein bisschen
skurril finde ich es schon, wenn die bayerische Staats-
kanzlei dem Gesetzentwurf eifrigst hinterherprotokol-
liert, dass – ich zitiere –:

der Bund … auch in Zukunft die im Rahmen der
deutschen Auslandsschularbeit notwendigen Kos-
ten für die erforderlichen Reisen der Beauftragten
der Kulturministerkonferenz der Länder überneh-
men

wird. Ich wünsche den Vertretern der Länder eine gute
Auslandsreise.


(Heiterkeit des Abg. Harald Leibrecht [FDP])


Ein letztes großes Anliegen will ich noch ansprechen,
das für uns wirklich sehr wichtig ist: die Stipendien für
talentierte Kinder aus Familien, die die Schulgelder
nicht aufbringen können. Wir sollten darauf achten, dass
das deutsche System, nämlich dass bei uns der Zugang
zu den Schulen eben nicht nur für die Geldeliten möglich
ist, stärker gefördert wird und dass eine größere soziale





Claudia Roth (Augsburg)



(A) )


)(B)


(C (D Offenheit in die Gastländer hineingetragen wird. Diese gute Tradition sollte beibehalten werden. Ich hätte mir schon gewünscht, dass mehr Mittel aus dem groß angekündigten 12-Milliarden-Sonderprogramm für Bildung der Bundesregierung in diesen Bereich geflossen wären. Die hat man aber für anderes, zum Beispiel für das Stopfen von Haushaltslöchern, genutzt. Das ist eine verpasste Chance für mehr soziale Inklusion im Auslandsschulwesen, die wir dringend brauchen. Hier unterscheidet sich die deutsche Kultur tatsächlich deutlich positiv von den anderen. Vielen herzlichen Dank. Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


(Beifall im ganzen Hause)

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723510800


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1723510900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jeder von uns ist im Ausland oder bei Besuchen aus-
ländischer Delegationen, mit denen wir hier in Berlin
sprechen, auf Politikerkolleginnen oder -kollegen aus
anderen Ländern gestoßen, die uns im Verlauf des Ge-
spräches stolz berichten, dass sie auf einer Deutschen
Auslandsschule gewesen sind.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, stimmt!)


Gerade in diesen Gesprächen kann man förmlich mit
Händen greifen, wie aus dieser Erinnerung an den Schul-
besuch eine besondere Verbundenheit mit Deutschland
geworden ist.

Man muss sich einmal anschauen, wer alles auf einer
Deutschen Auslandschule war – es gibt entsprechende
Übersichten –: Das ist beispielsweise die frühere griechi-
sche Außenministerin Dora Bakojannis, Patricia Expinosa
Cantellano, die ehemalige mexikanische Außenministe-
rin, oder Tarek Kamel, der ehemalige ägyptische Minis-
ter für Kommunikation und Informationstechnologie.

Ich wollte auf diesen Aspekt Deutscher Auslands-
schulen eingehen, weil dadurch deutlich wird, dass die
Menschen, die auf diese Schulen gehen, später in ihren
Ländern zur Elite gehören, jedenfalls in vielen Fällen,
und sich ihre Verbundenheit mit Deutschland, die sie
durch den Besuch dieser Schulen in ihrer Kindheit er-
fahren haben, weiter auswirkt, weil sie sich auch später,
wenn sie eine Funktion in der Wirtschaft, der Wissen-
schaft oder der Politik ihres Landes innehaben, mit
Deutschland besonders verbunden fühlen. In der Zeit der
Globalisierung zählen genau diese persönlichen interna-
tionalen Netzwerke. Sie zählen in der Wirtschaft, in der
Wissenschaft und auch in der Politik. Deshalb gibt es
kaum etwas Besseres oder Nachhaltigeres, um die Stel-
lung Deutschlands in der Welt, unseren Einfluss in den
Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, hier ins-

besondere in der Außenpolitik, zu stärken, als in das
deutsche Auslandsschulwesen zu investieren.

Aus diesem Grunde ist ein Gesetz, mit dem das deut-
sche Auslandsschulwesen auf eine rechtliche Grundlage
gestellt wird, sicherlich eine gute Sache. Dass der Ge-
setzentwurf verbessert werden soll, haben die Fachleute
hier vorgetragen. Ich hoffe, dass wir zuversichtlich sein
können, dass der Unterausschuss „Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik“ dazu gemeinsame Vorschläge un-
terbreiten wird.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich beim Unter-
ausschuss für die geleistete Arbeit bedanken. Selbstver-
ständlich bedanke ich mich auch bei Ihnen, Frau Staats-
ministerin, als Vertreterin der Bundesregierung. Ich will
auch nicht unerwähnt lassen, dass in den schwierigen
Verhandlungsgesprächen mit den Ländern – wir haben
einiges darüber gehört – Kanzleramtsminister Pofalla
eine wichtige Rolle gespielt hat, um die Kühe vom Eis
zu bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Leibrecht [FDP])


Steffen Kampeter, ich glaube, auch ohne die Hilfe des
Finanzministeriums beim Geradeziehen und Querschrei-
ben wäre es nicht gegangen. Deshalb freuen wir uns
heute, dass wir so weit sind.

80 000 Schüler besuchen 141 Deutsche Auslands-
schulen. 60 000 davon sind nicht deutsche Schüler. Sie
kommen entweder aus den Partnerländern oder aus
Drittländern. Ich beziehe mich dabei allein auf die Schu-
len, die von diesem Gesetz erfasst werden.

Ich möchte mich auch bei den Lehrerinnen und Leh-
rern bedanken – das sind etwa 2 000 –, die sich in einem
solchen Auslandseinsatz befinden. Das ist für manche
nicht einfach. Die Länder sind auch nicht gleichermaßen
attraktiv, um das einmal deutlich zu sagen. Die Lehrerin-
nen und Lehrer sind diejenigen, die das Ganze mit Leben
erfüllen. Leider wird nicht immer – das habe ich in Ge-
sprächen mit manchen, die aus dem Ausland zurückge-
kommen und in den Schuldienst in Deutschland zurück-
gekehrt sind, erfahren – das, was sie in der Zwischenzeit
gemacht haben, so anerkannt, wie ich mir das wünschen
würde. Ich glaube, wir müssen in den Gesprächen mit
den Ländern deutlich machen, dass der Einsatz als Leh-
rer oder Lehrerin an einer Deutschen Auslandsschule
nicht karriereschädlich sein darf. Im Gegenteil: Man
sollte sich darüber freuen, dass jemand diese Aufgabe
wahrgenommen hat und internationale Erfahrung an die
heimische Schule mitbringt, vielleicht auch Schulkon-
takte. An dieser Stelle liegt, glaube ich, noch manches
im Argen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will zum Schluss noch auf einen Punkt hinweisen.
Ich glaube aufgrund meiner Reisetätigkeit, dass wir in
diesem Bereich so etwas Ähnliches brauchen wie das
Gesetz, über das wir heute diskutieren. Dabei geht es um
die deutschen Universitäten im Ausland. In Oman, in





Ruprecht Polenz


(A) )


)(B)


(C (D Amman, in Kairo und in Vietnam, wo ich gerade war, haben wir Universitäten, die sich „Deutsche Universität“ nennen. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass das ganz unterschiedliche Konstrukte mit ganz unterschiedlichen Trägerschaften, Einflussmöglichkeiten usw. sind; aber bei allen steht auf dem Türschild „Deutsche Universität“. In Kasachstan – dort habe ich mir das noch nicht angeschaut – soll das auch so sein. Ich weiß von deutschen Professoren, die dort tätig sind, dass das Markenlabel „Deutsche Universität“ dort schon ziemlich angekratzt ist, einfach weil die Finanzierung und vieles andere nicht stimmen. Meine Empfehlung und Bitte an den nächsten Bundestag ist, dass man sich das einmal anschaut und sich fragt, ob man nicht Grundsätze vorgeben will, die erfüllt sein müssen, damit sich eine Hochschule „Deutsche Universität XY“ nennen kann. Wir müssen dann eben auch den Rahmen abstecken, in dem die notwendigen Kooperationen mit Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland mit allem, was dazugehört, organisiert werden. Mit dem Auslandsschulgesetz machen wir jedenfalls einen wichtigen Schritt. Ich hoffe, dass es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723511000

Abschließend hat ebenfalls für die Unionsfraktion der

Kollege Dr. Thomas Feist das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1723511100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es
muss noch einmal gesagt werden: Obwohl wir als Parla-
ment Druck gemacht haben und obwohl die Staatsminis-
terin von Anfang an gesagt hat, dass wir hier ein Gesetz
brauchen, lagen viele Schwierigkeiten im Weg. Diese
sind jetzt weitgehend ausgeräumt. Das ist wirklich toll.
Frau Staatsministerin, da haben Sie etwas Tolles auf den
Weg gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzent-
wurf. Der Name macht schon deutlich, worum es geht.
Im parlamentarischen Verfahren werden wir uns natür-
lich genau den Fragen widmen, die jetzt noch zu klären
sind. Sicher ist es für die Auslandsschulen nicht befriedi-
gend, wenn nur ein Drittel von ihnen momentan in den
Geltungsbereich des Gesetzes fällt. Deswegen empfehle
ich für unsere parlamentarischen Beratungen, darüber
nachzudenken, wo wir die Auslandsschulen wirklich als
Mittel unserer auswärtigen Bildungspolitik, also als aus-
wärtige Politik mit verstehen. Denn es macht natürlich
einen Unterschied, ob wir mit großen Schulen an be-
stimmten Standorten präsent sind, oder ob wir sagen:
Gerade in Krisengebieten müssen wir Bildungsangebote
Deutschlands vorhalten. Darüber müssen wir noch bera-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In 71 Ländern sind wir mit den Deutschen Auslands-
schulen präsent. Es ist von Ihnen, Kollege Polenz, schon
angesprochen worden: 60 000 von den 80 000 Schüle-
rinnen und Schülern kommen nicht aus Deutschland. Ich
denke, das ist eine Besonderheit der Deutschen Aus-
landsschulen. Denn dort können wir unterhalb der diplo-
matischen Ebene, die normalerweise Kinder und Ju-
gendliche überhaupt nicht in angemessener Weise in den
Blick nimmt, junge Botschafter einer deutschen Bil-
dungs- und Kulturrepublik in den Ländern ausbilden. Ich
denke, das müssen wir noch verstärken.

Ich freue mich ganz besonders, dass heute zwei leib-
haftige Vertreter hier anwesend sind. Auf der Tribüne
– so ist mir gesagt worden – sitzen zwei junge Damen
aus Kolumbien, die dort an der Deutschen Auslands-
schule lernen. Sie sind genau die Hoffnungsträger, die
wir in späteren Netzwerken brauchen. Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, den die Red-
ner vor mir noch nicht angesprochen haben, nämlich
dass wir an den Deutschen Auslandsschulen selbstver-
ständlich neben den allgemeinbildenden Abschlüssen
auch berufsbildende Abschlüsse vergeben, dass wir teil-
weise auch die Funktion von Berufsschulen überneh-
men. Diese Aufwertung einer dualen Bildung, wie wir
sie hier in Deutschland kennen, ist ein ganz wichtiges
Segment, das es auszubauen gilt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


Deswegen bin ich froh, dass ich mit meinem Kollegen
Schummer, aber natürlich auch mit anderen Kollegen
aus der Koalition momentan an einem Antrag arbeite, in
dem wir genau dieses Potenzial der Deutschen Aus-
landsschulen aufgreifen, um duale Bildung genau dort-
hin zu exportieren, wo es eine hohe Jugendarbeitslosig-
keit gibt und wo wir mit unseren Bildungsangeboten
eine echte Alternative bieten können.

Ich möchte noch einmal den Fokus zurück aufs Inland
legen. Ich bin nicht so oft im Ausland unterwegs, aber
man kann sich ja auch mit Menschen in seinem Wahl-
kreis unterhalten. In Leipzig habe ich mich mit Leuten
unterhalten, die als Pädagogen an Deutschen Auslands-
schulen waren. Sie haben mir von dem Problem berich-
tet, dass dies in der späteren Karriere ein Nachteil ist. Ich
habe dann mit den Vertretern der Bildungsagentur da-
rüber gesprochen, warum das so ist. Das hängt damit zu-
sammen, dass oftmals im Inland der falsche Eindruck
entsteht, dass die Deutschen Auslandsschulen eine Art
Eliteschulen sind, die mit Deutschland überhaupt nichts
zu tun haben. Das ist natürlich völliger Quatsch. Wir
müssen genau diese interkulturellen Kompetenzen, die
die Lehrer mitbringen, wenn sie aus dem Ausland nach
Deutschland zurückkehren, aufgreifen und verstärken,
und wir müssen im Inland deutlich machen, wie wichtig





Dr. Thomas Feist


(A) )


)(B)


(C (D die Deutschen Auslandsschulen auch und gerade für die deutsche Bildung sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend möchte ich den Lehrerinnen und Leh-
rern an den Deutschen Auslandsschulen danken. Es ist
schon angesprochen worden: Es gibt Länder, in die man
als Lehrer gern geht. Es gibt aber auch Länder, für die
das nicht unbedingt gilt. Indem die Lehrerinnen und
Lehrer an den Deutschen Auslandsschulen Deutschland
oftmals für eine lange Zeit im Ausland vertreten, prägen
sie ganz wesentlich auch das Bild unserer Außenpolitik
im Ausland. Das ist ihr Verdienst. Vielen Dank an dieser
Stelle!


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723511200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/13058 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Informationsfreiheit weiter entwickeln

– Drucksache 17/13097 –

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck

(Köln), Memet Kilic, weiteren Abgeordneten und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-

(Art. 5 – Informationszugangsgrundrecht)


– Drucksache 17/9724 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/12490 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting)

Kirsten Lühmann
Gisela Piltz
Jan Korte
Dr. Konstantin von Notz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir legen
heute nochmals einen Antrag vor, die Informationsfrei-
heit endlich entschlossen weiterzuentwickeln. Informa-
tionsfreiheit und Transparenz waren und sind ein zentra-
les demokratiepolitisches Anliegen meiner Fraktion. Bei
der Informationsfreiheit geht es uns darum, ein Recht
der Bürgerinnen und Bürger auf Zugang zu Informatio-
nen festzusetzen, vor allem gegenüber der Verwaltung,
zum Beispiel den Ministerien.

Hier gibt es großen Handlungsbedarf. Das haben
jüngst die Diskussionen über das Abendessen von Herrn
Ackermann im Bundeskanzleramt,


(Heiterkeit der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


die wichtige Debatte um die Nichtoffenlegung der Me-
daillenvorgaben für Olympia 2012 und die Verwendung
der öffentlichen Mittel in diesem Bereich noch einmal
ganz deutlich gezeigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])


Auch das bestätigt: Informationsfreiheit ist Vorausset-
zung für die notwendige Transparenz in einer modernen
Demokratie. Transparenz aber ist kein Selbstzweck, kein
Allheilmittel; vielmehr ist die Nachvollziehbarkeit und
Verständlichkeit von politischen Entscheidungen und
Verwaltungshandeln die Grundlage einer modernen de-
mokratischen Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie ist Voraussetzung für Partizipation und Mitbestim-
mung, für das Suchen und Finden ausgewogener Ent-
scheidungen nach einem offenen Diskurs. Transparenz
ist die Vorbeugung gegen Korruption und Misswirtschaft
mit öffentlichen Mitteln. Sie ist Voraussetzung für öf-
fentliche Kontrolle durch Politik und Zivilgesellschaft.
Letztlich erhöht die Transparenz auch die Legitimation
und die Akzeptanz von politischen Entscheidungen. Das
ist eine gute Sache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD] – Zuruf der Abg. Gisela Piltz [FDP])


All das gewährleistet mehr Transparenz. Deswegen ist
ihre Stärkung ein Gebot der Stunde, Kollegin Piltz.

Gleichzeitig ist uns völlig klar, dass natürlich – Ach-
tung, dieser Punkt wird Ihnen gefallen – berechtigte In-
teressen der Öffentlichkeit, zum Beispiel die Sicherheit
und die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, oder Priva-
ter, zum Beispiel der Datenschutz und die Wahrung von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, geschützt werden
müssen. Aber Geheimhaltung muss die Ausnahme sein.
Dafür bedarf es einer wirklichen Abwägung der Interes-





Dr. Konstantin von Notz


(A) )


)(B)


(C (D sen, die nicht ausschließlich, wie heute praktisch immer der Fall, zulasten der Informationsfreiheit ausfallen darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])


Deswegen, Herr Kollege Sensburg, brauchen wir eine
Reform der Informationsfreiheit in Deutschland.

Andere Länder, auch die EU selbst, sind weiter; sie
haben bereits ein Grundrecht auf Informationszugang.
Wir haben hier Nachholbedarf, meine Damen und Her-
ren, und das trotz des Erfolgs auf Bundesebene, dass es
2006 zur Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes
kam – als Ergebnis jahrelanger, beständiger grüner
Überzeugungsarbeit und sehr guter rot-grüner Regie-
rungsarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD] – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen wir klatschen!)


– Geben Sie sich einen Ruck und klatschen Sie! Ich habe
praktisch die SPD gelobt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem gibt es noch immer keinen Paradigmen-
wechsel in der Verwaltung. Transparenz als Grundlage
für Partizipation wird viel zu häufig überwiegend als Be-
drohung wahrgenommen. Hier müssen wir alle gemein-
sam mehr Überzeugungsarbeit leisten, aber das allein
reicht eben nicht. Interessierte kritische Bürger sind
keine Last, sie sind ein Glücksfall für unsere Demokra-
tie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen appelliere ich an Sie alle, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Lassen Sie uns jetzt gemeinsam handeln.

Wir haben ja auch an anderer Stelle schon Kompro-
misse gefunden. Zur Informationsfreiheit haben wir in
Speyer gemeinsam einen Bericht in Auftrag gegeben.
Das Ergebnis ist ein 500 Seiten starker Bericht. Auf
15 Seiten stehen sehr konkrete Handlungsempfehlungen,
zum Beispiel die Einführung einer Abwägungsklausel
zur Stärkung des Informationsanspruchs, die Ausgestal-
tung des Rechtsweges, Open Data und die Stärkung der
Rolle des Bundesbeauftragten für die Informationsfrei-
heit, um nur einige Punkte zu nennen. Die Reaktion da-
rauf war bislang – leider keine. Schwarz-Gelb schweigt
erschrocken, verdrängt und sitzt aus. Sie haben in Sa-
chen Informationsfreiheit und Transparenz, einem der
drängendsten Themen bei der Modernisierung unserer
Demokratie, nichts unternommen. Das lang angekün-
digte Open-Data-Portal der Bundesregierung ist ein
Flop. Es bietet nur Zugang zu Informationen, die vorher
bereits anderswo öffentlich waren. Die Daten sind man-
gels offener Lizenzen nicht kommerziell nutzbar. Und es
ist derzeit – hoffe ich – wegen technischer Mängel nicht
erreichbar.

Es lässt sich nicht vertuschen: Schwarz-Gelb hat in
puncto Informationsfreiheit und Transparenz komplett
versagt. Open Data, Open Government, Transparenz,

Mitbestimmung scheinen von dieser Bundesregierung
leider nicht erwünscht. Aber wir müssen jetzt ernst ma-
chen, Informationsfreiheit weiterentwickeln, ein Grund-
recht schaffen. Denn nur damit können wir die Informa-
tionsrechte wirklich stärken.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723511300

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1723511400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir beschäftigen uns
heute zum wiederholten Male mit einem Lieblingskind
der Grünen, mit der Informationsfreiheit. Schon im letz-
ten Jahr haben wir uns in der ersten Lesung ausgiebig
mit dem Gesetzentwurf der Grünen zur Schaffung eines
Informationszugangsgrundrechts beschäftigt. Zwischen-
zeitlich gab es am 24. September des letzten Jahres die
Sachverständigenanhörung. Ich bitte Sie, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, noch einmal
nachzulesen, was die Sachverständigen aller Fraktionen
ausgeführt haben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir!)


Die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen ist
nämlich der Auffassung, dass es keines Informationszu-
gangsgrundrechts in Deutschland bedarf, dass die bishe-
rigen einfachgesetzlichen Regelungen vollkommen aus-
reichen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Da waren wir offenbar in unterschiedlichen Veranstaltungen!)


Es gibt ein bestehendes, wirksames, einfachgesetzli-
ches Informationsfreiheitsgesetz, das die Verwaltung
und die Rechtsprechung natürlich in vollem Umfang
bindet. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen. Schon
durch das heutige Informationsfreiheitsgesetz aus dem
Jahre 2006 ist sowohl die Rechtsprechung als auch die
gesamte Verwaltung gebunden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bitte auch zur Kenntnis zu nehmen, dass durch
eine sehr ausdifferenzierte und mittlerweile sehr um-
fangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichtes anerkannt wird, dass es ein grundsätzliches
Interesse der Allgemeinheit an Transparenz und Infor-
mationen gibt, zuletzt bestätigt durch ein Urteil aus dem
Jahre 2010. Bereits im Jahr 2001 hat das Bundesverfas-
sungsgericht erstmals festgelegt, dass der Zugang zu In-
formationen ein wesentlicher Bestandteil unseres Demo-
kratieprinzips ist. Neben dieser Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bedarf es also keiner Ände-
rung des Grundgesetzes durch die Aufnahme eines
neuen Informationszugangsgrundrechts.





Stephan Mayer (Altötting)



(A) )


)(B)


(C (D Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein sehr wesentlicher rechtspolitischer Fehler liegt aus meiner Sicht dergestalt in Ihrem Gesetzentwurf, dass, wenn wir dieses Informationszugangsgrundrecht schaffen würden, wir natürlich die Gesetzgebungskompetenz der Länder aushöhlen würden. Es gibt ja viele Länder, die bereits ein Informationsfreiheitsgesetz haben. Manche Länder haben noch keines. Wenn wir als Bund jetzt ein generelles Informationszugangsgrundrecht schaffen würden, dann würden wir natürlich in elementarer Weise in die Gesetzgebungskompetenz der Länder eingreifen. (Zuruf von der FDP: Jetzt weiß ich auch, warum Sie das tun!)


Auch aus dieser Erwägung heraus wäre es falsch, Ihrem
Gesetzentwurf zuzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe mich natürlich auch mit Ihrem Antrag be-
schäftigt, der die Weiterentwicklung der Informations-
freiheit zum Inhalt hat. Zunächst war ich sehr hoffnungs-
voll. Ich habe gedacht, der Lernprozess bei Ihnen hat
eingesetzt, weil Sie ja durchaus etwas selbstkritisch
schreiben: „Transparenz ist kein Selbstzweck und kein
Allheilmittel.“


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir schon immer gesagt!)


Ich wurde aber – das muss ich offen sagen – sehr schnell
desillusioniert: Als ich weiterlas, musste ich erkennen,
dass das nur ein kleiner Fortschritt war. Im weiteren Ver-
lauf des Antrags sind Sie nämlich sehr schnell wieder in
das bekannte Rollenverhalten zurückgefallen und haben
– meines Erachtens holzschnittartig – festgestellt, dass
die gestiegene Zahl von Informationsersuchen gegen-
über vielen Bundesministerien und anderen auskunfts-
pflichtigen Bundeseinrichtungen ein Indiz dafür sei, dass
das Informationsfreiheitsgesetz einer Erweiterung be-
dürfe.

Sie haben den Evaluierungsbericht der Deutschen
Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer aus
dem letzten Jahr erwähnt, lieber Herr Kollege von Notz.
Dieser umfangreiche Evaluierungsbericht zeigt sehr
schön, dass man die Dinge etwas differenzierter betrach-
ten muss: Wenn man sich anschaut, von wem und aus
welchen Gründen Auskunftsersuchen gestellt werden,
kommt man nämlich zu dem Ergebnis, dass der Großteil
der Antragsteller Partikularinteressen verfolgt, dass es
eben nicht die Breite der Bürgerschaft ist, die diese An-
träge stellt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn?)


Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich möchte Parti-
kularinteressen beileibe nicht diskreditieren. Nur, wenn
man sich das genau ansieht, stellt man fest: Die Aus-
kunftsersuchen an Bundesministerien und andere Behör-
den stammen von einer kleinen Anzahl von meistens
Anwälten und Journalisten, aber nicht von der Breite der
Bürgerschaft.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Gesetzeslage nicht ausreicht! – Kirsten Lühmann [SPD]: Durch die jetzigen Regelungen steigt doch kein Mensch durch!)


Schade finde ich auch, dass Sie in Ihrem Antrag nicht
darauf eingegangen sind, dass man der Deutschen Uni-
versität für Verwaltungswissenschaften Speyer zufolge
bei allen Erwägungen, den Auskunftsanspruch des Infor-
mationsfreiheitsgesetzes zu erweitern, berücksichtigen
muss, dass dadurch in der Verwaltung erhebliche Res-
sourcen gebunden werden. Diesen Auskunftsersuchen
zu entsprechen, ist kostenintensiv; dafür werden zusätz-
liche Mitarbeiter benötigt. Es wäre insgesamt ein sehr
ressourcenintensives Unterfangen, den Auskunftsan-
spruch des Informationsfreiheitsgesetzes auch noch aus-
zuweiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss
auch sehen: Die Entwicklung ist, seit das Informations-
freiheitsgesetz im Jahr 2006 verabschiedet wurde, in den
Behörden, aber auch in den Unternehmen nicht stehen
geblieben. Viele Behörden haben seitdem eigene Infor-
mationsbeauftragte benannt, die Bürgerinnen und Bür-
gern, die berechtigte Auskunftsbegehren an sie richten,
jederzeit zur Verfügung stehen.

Auch viele Unternehmen haben sich hier in den letz-
ten Jahren deutlich weiterentwickelt. Vor diesem Hinter-
grund sehe ich keine Notwendigkeit, Ihrem Antrag zu
folgen, die Ausnahmevorschrift in § 6 des Informations-
freiheitsgesetzes – den Schutz von Betriebs- und Ge-
schäftsgeheimnissen – einzuschränken. Sie behaupten,
dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse absolut ge-
schützt seien. Das ist nicht so, lieber Herr Kollege von
Notz. Es gibt hier eine ausdifferenzierte Rechtspre-
chung, darunter ein lesenswertes Urteil aus dem Jahre
2009. In diesem Urteil ist das Bundesverwaltungsgericht
ganz klar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Un-
ternehmer nachweisen muss, dass er ein berechtigtes
Interesse daran hat, dass ein Betriebs- oder Geschäfts-
geheimnis nicht weitergegeben wird. Die Abwägungs-
klausel, die Sie fordern, ist vollkommen überflüssig,
weil eine solche Abwägung bereits stattfindet und, wie
gesagt, eine sehr differenzierte Rechtsprechung existiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu 99 Prozent geht diese Abwägung zugunsten der Unternehmen aus!)


Ich möchte, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen, weil dieses Thema im Antrag der Grünen an-
gesprochen wird, noch etwas zum Thema Open Data sa-
gen. Offene Daten sind unstreitig ein sehr kostbares Gut,
und in offenen Daten – das möchte ich in aller Deutlich-
keit sagen – steckt natürlich ein erhebliches Potenzial
zur Weiterentwicklung von Forschung und Wissen-
schaft, aber auch zur Ankurbelung der Wirtschaft. Des-
wegen gibt es in vielen Ländern schon entsprechende
Portale und Plattformen. Es gibt – das ist erwähnt wor-
den – seit dem 19. Februar dieses Jahres „GovData –
Das Datenportal für Deutschland“. In Ihrem Antrag,





Stephan Mayer (Altötting)



(A) )


)(B)


(C (D Herr von Notz, waren Sie mit diesem Datenportal noch etwas gnädiger; da haben Sie es zumindest noch als einen guten Anfang bezeichnet. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nicht mehr erreichbar! Das ist schlecht!)


Jetzt haben Sie es als Flop bezeichnet. Dieses Datenpor-
tal ist seit Februar dieses Jahres online, die Daten sind
einsehbar. Bis heute sind schon über 4 000 Datensätze
eingestellt worden. Es wird auch entsprechend weiter-
entwickelt. Ich finde es schade, dass Sie, nur zwei Mo-
nate nachdem dieses Datenportal online gegangen ist,
rufen: Das war ein Flop, wir brauchen eine Gesetzesän-
derung!


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir debattieren das ja noch einmal!)


Haben Sie doch ein bisschen Geduld! Es gibt überhaupt
keine Notwendigkeit, an das Informationsfreiheitsge-
setz Hand anzulegen. Dieses Gesetz hat sich wirklich be-
währt. Ich glaube, man sollte die weitere Entwicklung
jetzt ganz gelassen abwarten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Gisela Piltz [FDP])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723511500

Die Kollegin Kirsten Lühmann hat nun für die SPD-

Fraktion das Wort.


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1723511600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Wir Abgeordnete haben vor einigen Wo-
chen einen Brief von ProSiebenSat.1 bekommen, in dem
eine Reportage über den Bundestag angekündigt wurde.
Sie lief im Rahmen der Sendung Abenteuer Leben
Spezial: Geheimnisse Exklusiv.

Ein Bericht über den Alltag des Deutschen Bundes-
tages wird also als exklusive Enthüllungsstory angekün-
digt. Das hat mich schon ein bisschen erstaunt; denn das,
was ich in meinem Arbeitsalltag, in den Gesprächen mit
den Bürgerinnen und Bürgern, erlebe, wird dem, was
ProSiebenSat.1 hier hochstilisiert, nicht gerecht.

Es liegt natürlich nahe, dass dieser reißerische Titel
einfach nur Zuschauende anlocken sollte; aber meine
Befürchtung ist, dass dahinter auch eine Wahrnehmung
steckt, die ziemlich verbreitet ist, nämlich die Wahrneh-
mung, dass der Staat, die Politik und die Verwaltung ei-
gentlich eine Art Blackbox ist,


(Iris Gleicke [SPD]: Ja!)


bei der man überhaupt nicht weiß, was darin vor sich
geht und was man möglicherweise nicht zu hören be-
kommt.

Diese Wahrnehmung ist aus meiner und, ich denke,
auch aus unserer Sicht nicht richtig, aber sie ist erklär-
bar, und zwar durch das bestehende Amtsgeheimnis. Un-

sere darauf beruhende Verschwiegenheitspflicht ist jahr-
hundertealt und rührt noch aus einem ganz anderen
Verständnis von Staat her. Es ist mit strengen Strafen be-
droht, dagegen zu verstoßen. Ein Bewusstseinswandel
ist hier unheimlich schwer, aber er ist notwendig.


(Beifall bei der SPD)


Die SPD hat vor sieben Jahren das Informationsfrei-
heitsgesetz initiiert und zusammen mit den Grünen, Herr
von Notz, in der rot-grünen Regierung verwirklichen
können.


(Gisela Piltz [FDP]: Nur ohne uns!)


Das war ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben kürzlich aber einen Bericht auf Zeit Online
gelesen. In diesem Bericht wird dargelegt, wie Behörden
intern Anträge auf Akteneinsicht diskutieren. Wenn man
das gelesen hat, dann konnte man den Eindruck bekom-
men: Im Vordergrund steht dabei, wie solche Anträge
abgelehnt werden können – ob man sich auf einen zu ho-
hen Aufwand beruft, welche Ausnahmegründe am effek-
tivsten sind –, und es scheint so, als gäbe es regelrechte
Anleitungen dafür, wie das problemlos erfolgen kann.
Wenn das so ist, dann müssen wir das entschieden ableh-
nen.


(Beifall bei der SPD)


Schauen Sie sich die Zahlen vom letzten Jahr an: Es
sind über 6 000 Anträge auf Information gestellt worden.
Weniger als die Hälfte davon wurde positiv beschieden.
Hier beschleicht einen natürlich die Annahme, dass an
diesem Artikel vielleicht ein bisschen Wahrheit sein
könnte.

Das heißt, wir brauchen eine neue Kultur der Offen-
heit. Zu dieser neuen Kultur der Offenheit gehört nicht
nur, dass die Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern
grundsätzlich als gerechtfertigt und sinnvoll anzusehen
sind, sondern auch, dass die Behörde von sich aus mehr
Informationen an die Öffentlichkeit gibt, und das nach
klaren Regeln.

Ich denke, Beispiel dafür kann die neue Hamburger
Regelung sein, wonach grundsätzlich alle Akten von den
Behörden im Internet zu veröffentlichen sind. Das ist ein
sehr guter Ansatz, mit dem dort sehr große Erfolge er-
zielt werden.

Wir haben nun sieben Jahre Erfahrung mit dem Infor-
mationsfreiheitsgesetz. Die Evaluation ist mehrfach an-
gesprochen worden. Das Ergebnis war klar. Es lautet aus
unserer Sicht nicht, Kollege Mayer, dass nichts geändert
werden muss, sondern im Gegenteil: Das Ergebnis die-
ser Evaluation war, dass wir das Informationsfreiheits-
recht weiterentwickeln müssen, und zwar vor allen Din-
gen in drei Bereichen:

Der erste Punkt ist die Vereinheitlichung des Rechtes.
Es gibt zurzeit diverse Einzelgesetze. Ich will nur ein
paar nennen: Informationsfreiheitsgesetz, Verbraucher-





Kirsten Lühmann


(A) )


)(B)


(C (D informationsgesetz, Umweltinformationsgesetz. Wenn Sie als Bürger oder Bürgerin Interesse daran haben, eine Information zu bekommen, dann müssen Sie erst einmal herausfinden, nach welchem Gesetz Sie Ihren Antrag stellen müssen. Dafür brauchen Sie im Prinzip schon einen Juristen oder eine Juristin. Das kann so nicht weitergehen; das müssen wir dringend ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt ist die Überarbeitung von Ausnah-
metatbeständen. Auch hier, Kollege Mayer, widerspre-
che ich Ihnen vehement. Noch viel zu viele Anträge auf
Informationszugang werden abgelehnt, teilweise, wie
die Expertenanhörung ergeben hat, aufgrund von Un-
klarheiten im Gesetz.

Es ist für mich nicht befriedigend, wenn Sie hier meh-
rere Urteile zitieren. Das bedeutet nämlich, dass die An-
träge auf Informationszugang zunächst einmal abgelehnt
wurden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wenn der Bürger bzw. die Bürgerin die Möglichkeit
hatte, vor Gericht zu ziehen, dann konnte es sein, dass
ihm bzw. ihr das legitime Recht zugesprochen wurde
und der Verwaltung gesagt wurde, dass sie nicht richtig
gehandelt hat. Aber all die, die diese Möglichkeit nicht
haben, müssen mit der Ablehnung zufrieden sein und
kommen nicht zu ihrem legitimen Recht. Das müssen
wir ändern. Hier muss es ganz klare Regeln geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Regeln brauchen wir auch für die Beschäftigten
in den Verwaltungen. Ich kann sie verstehen; bei dieser
unklaren Rechtslage würde wahrscheinlich auch ich lie-
ber auf Nummer sicher gehen und sagen: Ehe ich etwas
herausgebe, was ich nicht herausgeben darf, und hinter-
her Probleme bekomme, verweigere ich lieber erst ein-
mal die Herausgabe und warte darauf, was ein Gericht
dazu sagt. – Aber ist das denn unser Verständnis von ei-
ner offenen Verwaltung und von offener Politik? Unser
Verständnis ist das nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Als dritten Punkt hat die Evaluation ergeben, dass die
Behörden von sich aus mehr Akten ins Internet stellen
sollten. Der Vorteil davon liegt auf der Hand: Alle Ak-
ten, die öffentlich einsehbar sind, müssen nicht mehr per
Antrag und mit hohem Aufwand von den Beschäftigten
zusammengesucht werden; dieser Aufwand erübrigt
sich. Man geht ins Internet und zieht sich heraus, was
man braucht. Das vereinfacht das ganze Verfahren.

Die Bundesregierung lässt in ihrer Stellungnahme lei-
der keinerlei Bereitschaft erkennen, die Empfehlungen
aus Wissenschaft und Praxis aufzunehmen. Sie prakti-
ziert die übliche Vogel-Strauß-Politik und handelt wie-
der einmal gegen die Interessen der Bürger und Bürge-
rinnen.

Die Stellungnahme der Bundesregierung beinhaltet
mehrere Punkte. So wird behauptet – Herr Mayer, Sie
haben das eben angesprochen –, dass es gar nicht die
Bürger sind, die den Zugang zu Informationen wollen.
Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an! 43 Prozent
aller Anfragen kommen von Bürgern und Bürgerinnen,
ganz privat. Sie haben vielleicht Partikularinteressen;
das sei ihnen zugestanden. Aber sie sind die größte Ein-
zelgruppe von Anfragenden. Gut, es gibt sicherlich noch
andere Gruppen, die einen Zugang zu Informationen
wollen. Mir ist es aber völlig egal, ob es ein Bürger, ein
Journalist oder ein Politiker ist – leider müssen auch wir
uns teilweise auf das Informationsfreiheitsgesetz beru-
fen, weil wir ansonsten keine Auskunft von der Regie-
rung bekommen –;


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


sie alle haben ein legitimes Recht auf Zugang zu Infor-
mationen. Das können sie im Moment nicht wahrneh-
men, und dem müssen wir Rechnung tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen auch über den Arbeitsaufwand, den ich
sehe, reden. Natürlich dürfen Beschäftigte im öffentli-
chen Dienst diese Aufgabe nicht on top machen, also
quasi nebenbei. Die Frage, die ich mir stelle, ist aber:
Was ist uns echte Transparenz wert? Wir beklagen in
diesem Haus permanent die Demokratieferne, den Um-
stand, dass sich die Menschen nicht mehr für uns interes-
sieren. Aber wenn wir wirklich die Möglichkeit haben,
Nähe und Akzeptanz herzustellen, dann kommen Sie mit
dem Kostenargument, ohne die Vorschläge, die wir ma-
chen, wie man das Ganze vereinfachen kann, zu prüfen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Das ist unlauter; das ist nicht unsere Vorstellung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir nehmen im Gegensatz zur Regierung von Frau
Merkel die Empfehlungen der Experten ernst. Wir wol-
len sie umsetzen, allerdings, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen, nicht durch eine Änderung des
Grundgesetzes. Wir haben eigene Vorstellungen. Wir
werden einen Entwurf für ein neues Informationsfrei-
heitsgesetz vorlegen. Wenn er angenommen wird, kann
sich die Erkenntnis durchsetzen, dass die Beschäftigten
in den Ämtern die Akten für die Bürger und Bürgerinnen
nur verwalten und sie nicht vor der Öffentlichkeit schüt-
zen müssen.

Danke sehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723511700

Das Wort hat nun Gisela Piltz für die FDP-Fraktion.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) )


)(B)


(C (D (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1723511800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Teilnehmer der heutigen Sitzung, die Sie nicht
in die Röhre schauen, sondern Teil der Blackbox sind,
wie die Kolleginnen und Kollegen der Opposition gesagt
haben. Herzlich willkommen im Bundestag, in unserem
transparenten Haus! Wir freuen uns sehr über Ihr Inte-
resse.

Passend zur heutigen Debatte schrieb die Zeit gestern:
„Behörden tun sich mit Informationsfreiheit schwer“.
Auf der Internetseite der Zeit werden dann gleich
142 Seiten interner Vermerke der Bundesregierung ver-
öffentlicht. Es handelt sich um Besprechungsvermerke
zwischen den Ressorts, in denen die unterschiedlichsten
Fragen zum Informationsfreiheitsgesetz behandelt wer-
den.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wikileaks!)


Ob es der Informationsfreiheit dient, wenn solche Ver-
merke an die Öffentlichkeit gelangen, ist fraglich. Ich
glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass wir dann
möglicherweise solche Vermerke nicht geschrieben oder
sie anders behandelt hätten. Aber dass man das zum An-
lass nimmt, darauf hinzuweisen, dass die Behörden mit
der Informationsfreiheit nicht umgehen können, halte
ich für übertrieben.

Dass Informationsfreit dem demokratischen Prinzip
dient, stellte schon der ehemalige liberale Justizminister
Professor Dr. Schmidt-Jortzig fest. Frau Kollegin
Lühmann, nur zur Erinnerung: Wenn die Liberalen da-
mals nicht dafür gesorgt hätten, dass das Informations-
freiheitsgesetz den Bundesrat passiert, gäbe es dieses
Gesetz heute gar nicht. Ich weiß, dass Sie das gerne ver-
gessen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie vergessen es halt nicht!)


Ich wollte Sie nur noch einmal daran erinnern.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Gut, dass wir uns hier treffen!)


– Dass wir uns hier treffen, ist immer gut. Da haben Sie
völlig recht, Herr Kollege.

Es kommt immer darauf an, die gesetzliche Entwick-
lung zu beobachten und festzustellen, was richtig und
was falsch läuft. Dass es manchmal einer Nachjustierung
bedarf, ist keine Frage. Aber es kommt immer darauf an,
was man verändern will. Der Gesetzentwurf der Grünen,
über den wir im Mai letzten Jahres zum ersten Mal dis-
kutiert haben, ist aus unserer Sicht heute nicht anders zu
bewerten als damals. In der Gesetzesbegründung zum
IFG hieß es 2004:

Der Bund erlässt erstmals ein Gesetz zum allgemei-
nen Zugang zu amtlichen Informationen des Bun-
des.

Bekanntermaßen lautet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grund-
gesetzes:

Jeder hat das Recht, … sich aus allgemein zugäng-
lichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Ganz offensichtlich haben Sie damals gedacht, dass das
im Einklang mit dem Grundgesetz stünde, und wollten
keine entsprechende Änderung vornehmen. Ich glaube
nicht, dass Ihr Gesetz etwas an den Problemen, die wir
haben, ändern würde, weder rechtlich noch politisch.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Glaubensfrage, Frau Piltz!)


Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das, was Sie
hier machen, aus meiner Sicht absolut populistisch ist.


(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das von der Steuersenkungspartei!)


Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, dass bei den Bür-
gerinnen und Bürgern „berechtigte Wut“ entstehe,
„wenn einmal gewählte Volksvertreter über ihren Kopf
hinweg intransparente Entscheidungen treffen“. Das för-
dert Ressentiments, und zwar unberechtigte Ressenti-
ments, und hat nichts mit unserer Arbeit im Deutschen
Bundestag zu tun. Wenn Sie so arbeiten, ist das Ihr Pro-
blem. Wir tun es nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss Sie ernsthaft fragen, welches Selbstver-
ständnis Sie als Parlamentarier haben. Das, was Sie sa-
gen, ist nicht haltbar. Das sind bloße Behauptungen, die
weder dem Haus noch unserem Ansehen helfen. Viel-
leicht noch als kleine Nachhilfe für die Kolleginnen und
Kollegen von Rot-Grün: Das Informationsfreiheitsgesetz
betrifft ausdrücklich die Exekutive und ihre Handlungen
und nicht unsere Arbeit als Parlamentarier. So gesehen
sind all die von Ihnen genannten Beispiele aus dem Par-
lament daneben. Wir arbeiten transparent und beraten
hier öffentlich. Alle Ihre Vergleiche betreffend das Parla-
ment, die Abgeordneten und das Informationsfreiheits-
gesetz zeigen, dass Sie es nicht verstanden haben. Ich
bin froh, dass wir öffentlich tagen, damit es jeder ver-
steht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Kollege von Notz, Sie warten jetzt sicherlich da-
rauf, welche intransparenten Entscheidungen aus der rot-
grünen Regierungszeit ich Ihnen vorwerfen werde.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf freue ich mich schon seit Wochen, Frau Piltz!)


Es ist viel schlimmer.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist Ihnen keine eingefallen!)






Gisela Piltz


(A) )


)(B)


(C (D – Nein, es ist noch viel schlimmer. – Sie müssen nur auf das grün-rot regierte Baden-Württemberg schauen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt trage ich da auch noch Verantwortung! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das billig!)


Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ein Blick auf die
grün-rote Wirklichkeit: Im Koalitionsvertrag für Baden-
Württemberg von 2011 wurde die sofortige Schaffung
eines Informationsfreiheitsgesetzes versprochen. Jetzt
bin ich dummerweise Juristin und weiß deshalb: „So-
fort“ heißt „ohne schuldhaftes Zögern“. Was hat sich
nach zwei Jahren getan? – Nichts! Das ist interessant.
Seit zwei Jahren fehlt jede Spur von einer Initiative der
Grünen. Auf Anfragen nach Information zum Stand des
Gesetzgebungsverfahrens war, wie Lars Sobiraj auf
www.gulli.com schreibt, aus dem zuständigen Ressort in
der Landesregierung zu erfahren – das ist besonders
hübsch –: „Haben Sie bitte Verständnis, dass wir Ihnen
über Einzelheiten vorab keine Auskünfte erteilen“. Will-
kommen in der Wirklichkeit, liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Das ist der Unterschied: Sie reden darüber, wir
tun es.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es gibt einen Gesetzentwurf der baden-württembergi-
schen FDP-Landtagsfraktion. Dem können Sie zustim-
men.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Träumen Sie weiter, Frau Piltz!)


Wenn Sie das machen, Herr Kollege von Notz, können
wir hier im Haus gerne wieder über Ihre Haltung zum In-
formationsfreiheitsgesetz sprechen.

Mein Vorredner von der Union hat bereits viel zu den
übrigen inhaltlichen Punkten gesagt. Darauf beziehe ich
mich vollumfänglich; das ist an einem Freitagnachmittag
auch einmal schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich danke Ihnen und freue mich auf die Initiative der
Grünen in Baden-Württemberg. Ich bin gespannt, ob sie
da ihre Versprechungen in die Wirklichkeit umsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was da an Verbitterung mitschwingt! Wahnsinn! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Machtverlust tut doch weh! Auch zwei Jahre danach noch!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723511900

Das Wort hat nun Petra Pau für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723512000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kennen Sie Herrn Schaar?


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Der hat den Antrag der Grünen geschrieben! Fast wörtlich!)


Landläufig wird er als Datenschutzbeauftragter bezeich-
net. Korrekt heißt es aber: Bundesbeauftragter für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit – zu Recht;
denn Datenschutz und Informationsfreiheit sind Zwil-
linge, wenn es um Bürgerrechte und Demokratie, um
souveräne Bürgerinnen und Bürger geht. Der Daten-
schutz soll verhindern, dass Bürgerinnen und Bürger glä-
sern und damit beherrschbar werden. Die Informations-
freiheit soll garantieren, dass Bürgerinnen und Bürger
mündig selbst entscheiden können. Kurz gesagt: Der
Staat soll über Bürgerinnen und Bürger möglichst wenig
wissen. Bürgerinnen und Bürger sollen über den Staat
möglichst viel wissen. Es geht also um ein Kernthema
der demokratischen Gesellschaft. Damit rennen Sie bei
der Linken offene Türen ein.


(Beifall bei der LINKEN)


Das geltende Informationsfreiheitsgesetz wurde 2005
beschlossen. Deutschland war damit im internationalen
Vergleich spät, sehr spät dran. Die Initiative ging von
den damals regierenden Parteien SPD und Bündnis 90/
Die Grünen aus. Ich habe das als Linke begrüßt. Zu-
gleich wies ich seinerzeit auf ein rot-grünes Dilemma
hin. Ich sagte nämlich: Machen Sie das Gesetz trotz Ih-
res Bundesinnenministers Schily, dann kann es gut wer-
den. Machen Sie es mit Otto Schily, dann wird es
schlecht. – Es wurde mit ihm gemacht. Übrigens erntete
ich damals von der SPD den Zwischenruf: Warten Sie
doch erst einmal die Praxis ab! – Das habe ich, und siehe
da: Die Praxis gab und gibt mir recht, ebenso wie übri-
gens alle Experten, auf die sich Bündnis 90/Die Grünen
heute berufen.

Die beiden Hauptmängel des Informationsfreiheitsge-
setzes schlagen durch: Erstens. Es gibt zu viele Ausnah-
men, nach denen Behörden keine Auskunft erteilen müs-
sen und Bürgerinnen und Bürger mithin unmündig
halten können. Zweitens. Auskunftsrechte werden mit
hohen Gebühren belastet. Die einen können sich das
leisten und die anderen nicht. So entstehen Bürgerrechte
erster und zweiter Klasse. Als Linke sage ich: Beide De-
fizite müssen endlich behoben werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Längst kommt eine dritte Herausforderung hinzu. Das
Internet bietet uns vordem nie gekannte Möglichkeiten
für die Informationsfreiheit. Dem wurde weder das Ge-
setz von 2005 gerecht, noch wird es die Praxis heute.
Dieses Manko gilt übrigens wieder für beide Seiten der
Medaille: für Datenschutz und Informationsfreiheit. We-
der das Recht auf Datenschutz noch die Informations-
freiheit sind hierzulande im Internetzeitalter angekom-
men; sie sind antiquiert.

Überhaupt muss die Demokratie im 21. Jahrhundert
neu fundiert werden. Wir sollten uns endlich gemeinsam





Petra Pau


(A) )


)(B)


(C (D dieser Herkulesaufgabe annehmen. Allerdings glaube ich nicht, dass ein simpler Verweis im Grundgesetz etwas bewirkt. Deshalb wird die Linke diesem Antrag nicht zustimmen. Gleichwohl brauchen wir ein modernes Gesetz. Deshalb wird die Linke den Sachauftrag für mehr Informationsfreiheit mit Ja bekräftigen. Ich danke Ihnen. Das Wort hat nun Patrick Sensburg für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal eine neue Meinung von der CDU/CSU!)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723512100


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1723512200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Der Kollege von Notz fordert eine
neue Meinung von unserer Fraktion. Ich glaube, dass un-
sere Meinung nicht neu sein muss. Entscheidend ist viel-
mehr, dass wir auf der Basis des Grundgesetzes agieren,
und das fehlt mir bei Ihrem Gesetzentwurf zur Auswei-
tung des Art. 5 des Grundgesetzes und bei Ihrem Antrag
zur Überarbeitung des Informationsfreiheitsgesetzes.

Wenn man sich Ihre letzten Vorlagen anschaut, dann
muss man schon sagen, dass Sie sich hier als Partei der
Bürger- und Informationsrechte aufführen wollen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind wir!)


Dann müssen Sie aber auch einmal inhaltlich nachlegen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!)


Die hohe Geschwindigkeit, mit der Sie Vorlagen einbrin-
gen, wird mitnichten von inhaltlicher Substanz begleitet.
Das war schon der Fall, als Sie den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Art. 5 des Grundgesetzes einge-
bracht haben. Damals haben wir an dieser Stelle darüber
diskutiert, ob es einer Ergänzung im Grundgesetz be-
darf; denn dort ist das Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung bereits verankert. Aus der Zusammenschau
von Art. 5, dem Recht auf Demokratie und den Normie-
rungen zum Rechtsstaat gibt es Ansprüche, die der Bür-
ger geltend machen kann.

Darüber hinaus haben wir etwas ganz Starkes, das die
Kollegin Pau gerade zu Recht angesprochen hat: das In-
formationsfreiheitsgesetz, und zwar auf Bundesebene
und auf Landesebene, leider mit Ausnahme bestimmter
Bundesländer. Vor diesem Hintergrund ist Ihre Forde-
rung nach Überarbeitung von Art. 5 des Grundgesetzes
reine Schaufensterpolitik. Ich habe Ihnen damals schon
gesagt: Formulieren Sie doch einmal einen aus Ihrer
Sicht tauglichen Art. 5! Sie machen das zu Recht nicht.
Sie stellen einen Forderungskatalog auf; aber es gelingt
Ihnen nicht, eine eigene Formulierung zu finden. Daran

zeigt sich: Sie fordern, um sich gut zu verkaufen; aber
inhaltlich kommt nichts.


(Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU])


Viel sinniger wäre das, was die Kollegin Lühmann
eben angesprochen hat, nämlich einmal zu schauen, wie
viele Gesetze wir eigentlich haben, in denen Informa-
tionsrechte für Bürger verborgen sind und die die Bürger
stets daraufhin durchsuchen müssen, ob sie nun einen In-
formationsanspruch haben oder nicht. Frau Kollegin
Lühmann, wir haben das einmal in Nordrhein-Westfalen
zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung unter Innenminister
Wolf untersucht und festgestellt, dass es dort 50 solcher
Gesetze gibt. Wir wollten die verschiedenen Informa-
tionsrechte in einem allgemeinen Informationsfreiheits-
gesetz bündeln. Dann kam der Regierungswechsel. Was
aber macht der neue Innenminister Jäger? Er legt diese
Pläne ad acta und sagt: Das brauchen wir nicht; das ma-
chen wir nicht. – Gehen Sie doch einmal auf Ihre Partei-
freunde in den Bundesländern zu, und bringen Sie die
Reformierung in Bezug auf die weitverstreuten Informa-
tionsrechte, wie wir es uns gewünscht haben, voran. Das
wäre eine weise Entwicklung. Die entsprechende Unter-
suchung haben übrigens zwei Kollegen und ich für die
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung gemacht. Ich
kann Ihnen die Unterlagen dazu gerne geben.

Wenn man sich Ihren heute vorliegenden Antrag ein-
mal intensiv anschaut, dann stellt man fest: Sie drehen
alles, was mit Datenschutz und Freiheitsrechten verbun-
den ist, um. Das ist schon der zweite sehr weise Punkt
der Kollegin Pau.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sagt häufiger gute Sachen!)


– Es kommt nicht oft vor, dass ich die Linke loben kann;
aber das, was Frau Pau sagte, war gut. Da kann man
auch einmal über seinen Schatten springen. – Die Kom-
bination von Datenschutz und Freiheitsrechten, die Ab-
wägung von Grundrechten, von im Grundgesetz veran-
kerten Rechten ist genau das, worauf das öffentliche
Recht basiert, und genau das, was sich in §§ 3 bis 6 des
Informationsfreiheitsgesetzes wiederfindet. Schauen Sie
einmal in § 5 des Informationsfreiheitsgesetzes!


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gucke vor allen Dingen in die Praxis, und da läuft es oft ins Leere!)


Sie wollen die Abwägung abschaffen. Sie sagen, den
Teil des Datenschutzes soll es gar nicht mehr geben. Im
öffentlichen Recht haben wir es aber immer – das ver-
kennen Sie anscheinend, weil Sie der Außenwelt gerne
eine bestimmte Nachricht übermitteln wollen – mit einer
Abwägung von Gütern zu tun.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch alles gesagt, Herr Sensburg!)


Der Union und mir ist besonders wichtig, dass wir auf
der einen Seite den Schutz personenbezogener Daten ha-
ben und auf der anderen Seite die Freiheitsrechte.





Dr. Patrick Sensburg


(A) )


)(B)


(C (D Ich stelle mit Grauen fest, dass Sie in Ihrem Antrag fordern, dass Daten von Bürgern demnächst auf Internetportalen frei zur Verfügung stehen sollen, etwa wenn es um den Anschlussund Benutzungszwang, wenn es um Abfallbeseitigung oder Bauanträge geht. Wenn es darum geht, all das demnächst im Internet veröffentlicht zu sehen, dann kann ich nur hoffen, dass es eine Bundesregierung gibt, die Datenschutz und Informationsrechte weise abwägt und nicht nur eine Seite sieht wie Sie in Ihrem Antrag. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht die Bundesregierung muss abwägen! Die Gerichte!)


Lieber Konstantin von Notz, ich glaube, dass Sie es
gut meinen. Ich glaube aber auch, dass Sie selbst ge-
merkt haben, dass Sie mit Bündnis 90/Die Grünen nicht
im Stande waren, zu formulieren, was Sie wollen. Sonst
hätten Sie sicher mehrere Paragrafen in einem Gesetz-
entwurf zur Änderung des Informationsfreiheitsgesetzes
formuliert. Sie haben wieder nur einen Antrag formuliert
mit dem, was Sie sich gerne wünschen. Das lässt sich
nicht unterlegen. Es spricht im Grunde schon genau das
aus dem Informationsfreiheitsgesetz, was Sie einfordern.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Formalismus!)


Von daher hoffe ich, dass Ihr Antrag nicht weiterverfolgt
wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Mayer II!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723512300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13097
mit dem Titel „Informationsfreiheit weiter entwickeln“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD abgelehnt.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Grundgeset-
zes (Artikel 5 – Informationszugangsgrundrecht). Der In-
nenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12490, den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9724
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der SPD gegen die Stimmen der Grünen bei
Enthaltung der Linken abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 40 auf:

Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbe-
auftragten

Jahresbericht 2012 (54. Bericht)


– Drucksache 17/12050 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbe-
auftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus.

Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deut-
schen Bundestages:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Ich bin dem Deutschen Bundestag
sehr dankbar, dass er meinen Jahresbericht in diesem
Jahr so zeitnah berät, sogar noch bei Tageslicht an einem
Freitag. Diese Aktualität ist wichtig, weil es nicht zuletzt
um die Aufarbeitung von Missständen, Mängeln und ge-
legentlich auch Defiziten geht. Davon handelt auch die-
ser Bericht.

Ich musste in den letzten beiden Jahren von einer tief-
greifenden Verunsicherung und einer hohen Belastung
der Soldatinnen und Soldaten berichten. Leider kann ich
insoweit noch keine Besserung feststellen. Ich bin in der
Beurteilung, glaube ich, einig mit dem BundeswehrVer-
band, der hier durch seinen Vorsitzenden, Oberst Kirsch,
vertreten ist. Die Einsatzbelastungen sind weiterhin sehr
hoch, und es ist noch keine wirksame Abhilfe in Sicht.

Immerhin kann man eines feststellen: Ausrüstung und
Ausstattung im Auslandseinsatz, insbesondere in Afgha-
nistan, sind nun auf einem zufriedenstellenden Stand.
Wir merken das auch, wenn wir die Zahlen betrachten,
den Rückgang der Opferzahlen und den Rückgang auch
der Zahl der Verwundungen.

Für viele Soldatinnen und Soldaten konkretisieren
sich jetzt die individuellen Auswirkungen der Neuaus-
richtung der Bundeswehr. Sie wissen nun, ob und, wenn
ja, wie sehr sie und ihre Familien davon jeweils selbst
betroffen sind. Die Betroffenheit – das können wir fest-
stellen – ist groß. Das belegt nicht zuletzt der Anstieg
der Zahl der in den ersten Monaten des Jahres 2013 ein-
gegangenen Eingaben. Versetzungen, Umzüge und ent-
täuschte Laufbahnerwartungen trüben vielerorts die
Stimmung an den Standorten.

Aber das ist es nicht allein. Auch die konkrete Umset-
zung der Reform schlägt oftmals weitere – vermeid-
bare – Wunden. Wenn beispielsweise Soldaten im Ein-
satz an einem Freitagnachmittag angerufen werden,
ihnen mitgeteilt wird, was ihr Dienstherr mit ihnen vor-
hat, und ihnen eine Stellungnahme bis zum Montag ab-
gefordert wird, dann hebt das natürlich nicht die Stim-
mung. Zu Recht sind die Betroffenen darüber verärgert;
denn natürlich müssen auch sie, obgleich fern der Hei-
mat, die Möglichkeit haben, solche Entscheidungen, die





Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus


(A) )


)(B)


(C (D tiefgreifende Wirkungen für sie selbst und für ihre Familien haben, seriös mit den Angehörigen zu besprechen. Das, meine Damen und Herren, ist kein Vorwurf an die Personalführer. Wer in Zeiten solch fundamentaler Umbrüche im Personalgefüge der Streitkräfte 650 Soldaten und mehr führen muss – das müssen die Personalführer –, der kann solche Zumutungen nicht immer vermeiden; ich weiß das. Es ist eben ein strukturelles Problem, das durch angemessene Personalverstärkung schnellstmöglich behoben werden muss. Dies verschärft zugleich eines der brennendsten Grundprobleme der Bundeswehr: die noch immer völlig unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Dienst, die den Soldatinnen und Soldaten zu Recht immer wichtiger wird. Die Vereinbarkeit ist auch einer der Schlüssel für die Attraktivität des Dienstes und damit für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wird die Bundeswehr durchaus zwingen, die Belastungen durch Pendelei – über 70 Prozent aller Soldatinnen und Soldaten müssen pendeln –, Kommandierungen und vor allem auch durch die Auslandseinsätze auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Darauf sind die Strukturen der Bundeswehr aber noch lange nicht ausgerichtet. So muss der Dienstherr Rahmenbedingungen schaffen, die es den Soldatinnen und Soldaten auch tatsächlich ermöglichen, und zwar, ohne dass sie ein schlechtes Gewissen gegenüber den Kameradinnen und Kameraden haben müssen, die dann die Arbeit für sie mitmachen oder einmal mehr in den Einsatz gehen müssen, auch Rechte wie Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Dazu muss der Dienstherr Vertretungsreserven bereithalten, wie übrigens jeder andere Arbeitgeber auch. Davon ist nur nichts zu sehen. Ich würde mich im Übrigen auch sehr freuen, wenn ich noch in meiner Amtszeit – das wäre bis 2015 – den ersten bundeswehreigenen Kindergarten außerhalb des Ministeriums besuchen könnte und nicht immer nur von Grundsteinlegungen höre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich kann in diesem Bereich faktisch noch keine wirkli-
chen Fortschritte erkennen.

Meine Damen und Herren, mehr denn je ziehen Sol-
datinnen und Soldaten auch in Zweifel, dass die Bundes-
wehr durch die Neuausrichtung wirklich leistungsstärker
und effizienter werde. Sie registrieren vielmehr, dass die
Ressourcen in den Mangelverwendungen weiter ver-
knappt werden; ich nenne Spezialpioniere, ABCisten
und andere. Die zeitliche Belastung der Soldatinnen und
Soldaten durch die Auslandseinsätze liegt weiterhin
deutlich über dem angestrebten Rhythmus von vier Mo-
naten Einsatz und 20 Monaten einsatzfreier Zeit – jeden-
falls in der Regel. Die Soldatinnen und Soldaten sehen,
dass erfahrene, motivierte und gut ausgebildete Soldatin-
nen und Soldaten, die gern bei der Bundeswehr bleiben
möchten, die Bundeswehr verlassen müssen, und das,
obwohl es erhebliche Unterbesetzungen gerade bei den
Mannschaften gibt. Die Nachwuchslage hat in einzelnen

Bereichen kritische Grenzen erreicht. Es fehlt an Mann-
schaften, insbesondere in der Marine. – Diese Probleme
werden von Tag zu Tag brisanter. Wenn nicht schnell
und wirksam gegengesteuert wird, dann haben wir ein
dauerhaftes Problem. Der Bericht, den ich hier natürlich
nicht vollständig vortragen kann, macht dies anhand
konkreter Beispiele deutlich.

Der Bericht räumt auch in diesem Jahr den Themen
Betreuung und Versorgung breiten Raum ein. Ohne
Frage hat sich die Versorgung der Soldatinnen und Sol-
daten im Einsatz und ihrer Familien im Falle von
Verwundung und Tod mit dem Einsatz-Weiterverwen-
dungsgesetz, dem Einsatzversorgungs- und dem Einsatz-
versorgungs-Verbesserungsgesetz deutlich verbessert.
Das ist etwas, wofür ich dem Deutschen Bundestag sehr
dankbar bin. Ich weiß, wie sehr insbesondere die Solda-
tinnen und Soldaten, aber auch die Berufsverbände es
begrüßen, dass das Parlament, dass die Abgeordneten
hier initiativ geworden und weit über das hinausgegan-
gen sind, was der Dienstherr ursprünglich vorhatte.

Ungeachtet dessen besteht die Diskrepanz zwischen
dem Anspruch auf Weiterverwendung und der Zahlung
einer Entschädigung im Falle einer Verwundung fort.
Darauf hatte der Abgeordnete Hellmich bereits in der
Beratung des vorangegangenen Jahresberichtes nach-
drücklich hingewiesen, und zwar zu Recht. Während das
Einsatz-Weiterverwendungsgesetz auch die Einsätze auf
dem Balkan in den 90er-Jahren erfasst, gilt die Einmal-
entschädigung erst für Fälle, die sich seit dem 1. Dezem-
ber 2002 ereignet haben. Es liegt jetzt in der Hand des
Gesetzgebers, diese Lücke zu schließen. Der Minister
sollte, wie von mir bereits angeregt, einen entsprechen-
den Gesetzentwurf vorlegen.

Auf erhebliche Probleme stößt im Zuge der Ver-
schlankung der Strukturen auch die Beurteilungspraxis.
Abgesehen von dem noch immer ungelösten Problem
der Vergleichsgruppen, zeichnet sich durch die Neu-
strukturierung ab, dass zukünftig ein Kommandeur für
die Beurteilung von mehreren Hundert Soldatinnen und
Soldaten zuständig wird, ohne dass er diese alle persön-
lich kennt, ja, überhaupt kennen kann. Das wird im Falle
einer gerichtlichen Überprüfung sicherlich keinen Be-
stand haben. Höchstrichterlich beanstandet wurde schon
die jahrgangsmäßige Betrachtung der Laufbahnentschei-
dungen.

Die Entscheidung des Bundesministeriums der Ver-
teidigung, deshalb die Auswahlkonferenzen in diesem
Jahr auszusetzen, ist verständlich, befördert aber die Un-
ruhe in der Truppe weiter.

Meine Damen und Herren, der Dienst in den Streit-
kräften war im vergangenen Jahr einmal mehr von den
Einsätzen geprägt. Das hat in dem Bericht, aber auch in
meiner kontinuierlichen Berichterstattung an den Vertei-
digungsausschuss Niederschlag gefunden. Dies stieß auf
hoher politischer und militärischer Ebene auf Kritik. Da-
von lasse ich mich aber nicht beeindrucken.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Rechte der Soldatinnen
und Soldaten und die Prinzipien der Inneren Führung





Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus


(A) )


)(B)


(C (D gelten auch im Auslandseinsatz und enden nicht an unseren Außengrenzen. Daher werde ich auch weiterhin, wenn dazu Anlass besteht oder wenn ich durch Sie, meine Auftraggeber, hierzu beauftragt werde, dem Verteidigungsausschuss über meine Erkenntnisse zur Situation in den Einsatzgebieten berichten. Es gehört dabei zu meinen originären Aufgaben, mich nicht allein mit den Schokoladenseiten zufriedenzugeben. Dass dies manchen nervt, wie man lesen konnte, ist wohl nicht zu vermeiden. Aber das sollte niemanden, erst recht niemanden im Umfeld des Ministers, zu dem Versuch veranlassen, mit leichtfertigen oder gar bewusst falschen Darstellungen einen Keil zwischen den Wehrbeauftragten und die Soldatinnen und Soldaten oder das Parlament zu treiben. Lassen Sie mich damit schließen, allerdings nicht, ohne Ihnen, dem Deutschen Bundestag, insbesondere den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, für Ihre Unterstützung meiner Arbeit zu danken. In diesen Dank schließe ich die Partner meines Amtes im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung ein. Ganz besonders danke ich natürlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Amtes für ihren Einsatz und ihr Engagement im Rahmen der Bewältigung meiner Aufgaben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich meinerseits im Namen des ganzen Hauses dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die Vorlage des Jahresberichtes sehr herzlich danken und für die weitere Arbeit alles Gute wünschen. Das Wort hat jetzt Bundesminister Thomas de Maizière. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, dem Dank an Sie und Ihre Mitarbeiter für das große Engagement, die Kraft und die Entschlossenheit, mit der Sie sich für die Bundeswehr und die Soldaten einsetzen, schließe ich mich an. Ihr Bericht nennt Mängel, aber verschweigt auch die Verbesserungen nicht. Sie haben die Verbesserung der Ausrüstung, insbesondere in Afghanistan, erwähnt. Schon Ihre Vorgänger, aber auch Sie selbst und Ihre Mitarbeiter haben stets darauf hingewiesen. Dass es dort besser geworden ist, ist auch ein Verdienst des Wehrbeauftragten. Sie haben in Ihrem Bericht – ich habe jetzt nicht die Gelegenheit, alle Themen zu diskutieren – aus meiner Sicht drei Punkte in besonderer Weise in den Mittelpunkt gestellt: die innere und soziale Lage der Streitkräfte im Zusammenhang mit der Neuausrichtung, die Soldaten im Auslandseinsatz und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Deswegen will ich zu diesen drei Punkten kurz etwas sagen. Zunächst zur inneren und sozialen Lage. Natürlich ist sie geprägt von dem Wandel, den die Neuausrichtung unverkennbar und unabänderlich mit sich bringt. Die Unsicherheit von Betroffenen ist nachvollziehbar. Sie ändert aber nichts an den grundsätzlich guten Bedingungen, die Bundeswehrsoldaten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr bei uns vorfinden, und auch nichts an der Richtung der Neuausrichtung. Sie ist richtig. Sie schreiben: Erwartungen, dass die Bundeswehr durch die Neuausrichtung leistungsstärker und effizienter wird, bestätigten sich im Berichtsjahr nicht … Diese Aussage ist sicher richtig; denn wir sind mitten in der Neuausrichtung. Das Ergebnis der Neuausrichtung soll sein, dass die Bundeswehr leistungsstärker und effizienter ist, für den Prozess bis dahin kann dies noch nicht gelten. Ein Wort zur Unterbesetzung. Dies ist ein wichtiger Punkt, den ich auch oft höre. Der Generalinspekteur sagt so schön, wir stehen in zu großen Schuhen. Das heißt, die Fehlbesetzung ergibt sich auch daraus, dass wir in alten Strukturen mit weniger Menschen arbeiten. Die Antwort kann aber nicht sein, die jetzigen Strukturen zu befüllen, sondern die Antwort kann nur sein, schnell zu neuen Strukturen zu kommen. Wir werden im Deutschen Bundestag noch in dieser Legislaturperiode, etwa bei der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD oder auch an anderer Stelle, darüber ausführlicher diskutieren. Ein Wort zum Auslandseinsatz. Ich bin selbst viel vor Ort, wie auch Sie. Natürlich kann in der Phase eines Aufbaus eines Einsatzes nicht alles so rund laufen wie dann, wenn man schon länger da ist. Da gibt es Verbesserungsbedarf, und viele Mängel sind abzustellen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen uns. Sie haben in einem Interview mit Radio Andernach vor zwei Wochen gesagt: Bei Verpflegung und Kommunikation muss es unser Anspruch sein, im Ausland inländische Bedingungen zu schaffen. – Nun mag es diesen Anspruch geben. Ich sage Ihnen nur realistischerweise: Das wird nicht immer gehen. In Mali, im Sudan, in der Türkei und anderswo ist das nicht immer möglich. Für die Soldatinnen und Soldaten und für uns ist eines ganz klar: Die Auftragserfüllung steht immer an erster Stelle. Ziel muss es aus meiner Sicht deshalb sein, akzeptable Bedingungen für unsere Soldatinnen und Soldaten zu schaffen. Die Besonderheiten des jeweiligen Einsatzes dürfen nicht aus dem Auge verloren werden. Wir können nicht in der ganzen Welt inländische Bedingungen schaffen. Das geht nun einmal nicht. Ihnen liegt genau wie mir der Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten nach dem Einsatz am Herzen. Das spielt in Ihrem Bericht eine große Rolle. Ich will darauf ganz kurz eingehen. Der Generalinspekteur hat am 31. Oktober 2012 das Rahmenkonzept „Erhalt und Steigerung der psychischen Fitness von Soldatinnen und Soldaten“ erlassen. Damit stellen wir die Betreuung der Bundesminister Dr. Thomas de Maizière )


(Beifall im ganzen Hause)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723512400

(Beifall im ganzen Hause)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





(A) )

(C


(D Einsatzrückkehrer auf eine solide Basis. Ich lasse mir quartalsweise von der Umsetzung berichten. Durch eine Vielzahl aufeinander abgestimmter und sich ergänzender Maßnahmen wollen wir Erkrankungen verhindern oder diese rechtzeitig erkennen, um entsprechende Hilfsangebote erarbeiten zu können. Ja, da gab es Verbesserungsbedarf. Wir sind auf dem Weg, gemeinsam Mängel abzustellen. Zum Schluss noch ein Wort zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Ja, auch hier gibt es einen immensen Verbesserungsbedarf in vielerlei Hinsicht. Das ist auch mehr als der Ausbau der Kinderbetreuung. Dazu gehört die Gewährleistung möglichst heimatnaher Verwendung, dazu gehören flexible Einsatzzeiten, Teilzeitregelungen, dazu gehört – das haben wir jetzt gemacht – die Schaffung einer besonderen Beauftragten für die Vereinbarkeit von Familie und Dienst als Ansprechpartner, und dazu gehört vor allem kluges Handeln vor Ort. Wir investieren 10,5 Millionen Euro in den Bau von eigenen Kindertagesstätten. Das ist richtig, allerdings wollen und können wir nicht überall eigene Kindertagesstätten organisieren. Wichtig ist, dass wir Betreuung vor Ort organisieren. (Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Richtig!)


Das können Belegplätze sein, das können andere origi-
nelle Lösungen sein, die oft viel familiengerechter sind
als der Bau eigener Kindertagesstätten. Ich kann Sie aber
beruhigen, wenn Ihre Amtszeit bis 2015 geht. In der ers-
ten Jahreshälfte 2014 sollen auf dem Campus in Neubi-
berg die ersten Kinder einziehen. Vielleicht können wir
es hinbekommen, dass wir gemeinsam diesen Kindergar-
ten eröffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will zum Schluss sagen, weil immer viel über das
Verhältnis des Wehrbeauftragten und seiner Mitarbeiter
zum Ministerium und dessen Mitarbeitern geschrieben
und gemutmaßt wird: Es ist ganz klar, der Wehrbeauf-
tragte beschäftigt sich insbesondere mit Mängeln. Das
ist seine gesetzliche Aufgabe. Der Minister und seine
Mitarbeiter beschäftigen sich auch mit Mängeln, aber
nicht nur mit Mängeln. Wir sehen auch die Stärken, wir
sehen Entwicklungen, und wir wollen die Bundeswehr
als solche auch schützen. Eines eint uns aber: Egal wie
man auf die Dinge schaut, wir arbeiten sicher mit unter-
schiedlicher Methode, in unterschiedlicher Weise und in
unterschiedlicher Art beide daran, dass es den Soldatin-
nen und Soldaten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern und der Bundeswehr im Ganzen so gut geht, dass sie
ihren Auftrag erfüllt, dass sie in unserer Gesellschaft
verankert ist und dass die Arbeits- und Lebensbedingun-
gen so sind, dass die Soldaten gerne Soldaten sind und
bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723512500

Das Wort hat Karin Evers-Meyer für die SPD-Frak-

tion.


Karin Evers-Meyer (SPD):
Rede ID: ID1723512600

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesverteidi-

gungsminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver-
ehrter Herr Wehrbeauftragter, Ende Januar haben Sie Ih-
ren Jahresbericht 2012 vorgelegt. Ich danke Ihnen und
Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Ar-
beit und – das muss man sagen – für die erneut schnelle
Vorlage des Berichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die Tagesschau ist der Wehrbeauftragte „eine Mi-
schung aus Kummerkasten und Seismograph für die
Stimmung in der Truppe“. Für mich sind Sie dazu noch
ein geschätzter Kollege mit einem Stab von engagierten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Wertschätzung
hier in der Debatte über den Bericht des Wehrbeauftrag-
ten scheint die Bundesregierung noch nicht ganz erreicht
zu haben. Denn einen ungünstigeren Zeitpunkt als den
Freitagnachmittag gibt es dafür wohl kaum.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Das liegt doch am Parlament, nicht an der Regierung!)


Wahrscheinlich hätten die Kollegen von CDU/CSU und
FDP die Debatte am liebsten auf den 1. Mai verschoben,
um der sehr berechtigten Kritik in diesem Bericht aus
dem Weg zu gehen. Wir von der SPD-Bundestagsfrak-
tion hätten es jedenfalls sehr begrüßt, wenn für die De-
batte über den Bericht eine prominentere Zeit angesetzt
worden wäre;


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn viele Kollegen sind schon auf dem Weg in die
Wahlkreise, um die Veranstaltungen heute Abend recht-
zeitig zu erreichen.

Es sind nicht nur wir hier im Bundestag, die sich die
Feststellungen dieses Berichtes genau anhören sollten.
Es gibt auch viele Soldatinnen und Soldaten, die unsere
Debatte mit Interesse verfolgen. Es wäre meines Erach-
tens eine angemessene Geste, dafür einen Platz in der
Primetime zu suchen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das müssen Sie Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer sagen!)


Dass wir uns nun also hier am Freitagnachmittag treffen,
ist gleichzeitig Ursache und Symptom der zurzeit
schlechten Stimmung in der Truppe.

Ich wundere mich nicht darüber, dass im Bericht des
Wehrbeauftragten festgestellt wird, dass sich die Solda-
ten und Soldatinnen bei den Veränderungen durch die
Neuausrichtung der Bundeswehr nur unzureichend mit-
genommen fühlen. Viele haben das Gefühl, dass über
ihre Köpfe hinweg entschieden wird und sie bei Verän-





Karin Evers-Meyer


(A) )


)(B)


(C (D derungen und Neuerungen unzureichend eingebunden werden. Das führt zwangsläufig zur Verunsicherung. Das bestätigt auch der vorliegende Bericht; wir haben es auch gerade gehört. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Gott sei Dank sind im vergangenen Jahr kein deutscher Soldat und keine Soldatin gefallen. Auch die Anzahl und Schwere von Verwundungen haben erheblich abgenommen. Das ist gut; aber es entbindet uns nicht von unserer Verantwortung. Der Soldatenberuf ist gefährlich, manchmal sogar lebensgefährlich. Allen Soldatinnen und Soldaten danke ich für ihren Einsatz und ihre Bereitschaft, für Frieden und Sicherheit ein großes Risiko auf sich zu nehmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben wirklich eine großartige Bundeswehr, wir ha-
ben großartige Männer und Frauen in der Truppe, die auf
der ganzen Welt für ihr Können und ihre Verlässlichkeit
geschätzt werden. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit und
den Einsatz.

Meine verehrten Damen und Herren, in dieses Bild
passt es natürlich nicht, dass einige wenige dieses Anse-
hen mit ihrem Verhalten schädigen. Wir akzeptieren
nicht, dass es in der Truppe unter der Überschrift „Alte
Schule“ offensichtlich immer wieder zu verbalen Ent-
gleisungen kommt, die zum Teil von den Vorgesetzten
geduldet werden. Die Bundeswehr ist kein Ort für eine
imaginäre Heldenromantik. Die Bundeswehr ist eine of-
fene, moderne, transparente Truppe, in der Respekt, To-
leranz und gegenseitige Achtung den Stoff für die Ge-
schichten liefern sollten, nichts anderes. Erniedrigungen
und Beleidigungen haben da keinen Platz. Solche Dinge
schaden dem Ansehen der Soldatinnen und Soldaten,
aber auch dem Ruf unseres Landes.

Die kritischen Hinweise des Wehrbeauftragten richten
sich zu Recht nicht allein an die Truppe selbst; auch der
Bundesverteidigungsminister gerät erneut direkt in die
Kritik. Seine Standortentscheidungen treffen in weiten
Teilen der Truppe auf Unverständnis. Es wird eine nach-
vollziehbare Begründung vermisst. Wir von der SPD-
Bundestagsfraktion teilen dieses Unverständnis. Es ist
dringend notwendig, den Dialog mit den Soldatinnen
und Soldaten zu vertiefen; das erfahren wir in jedem Ge-
spräch vor Ort. Das persönliche Wort ist immer noch das
Beste. Solange Sie das nicht tun, werden Ihre zumindest
teilweise durchaus ehrenhaften Bemühungen nicht
fruchten.

Das gilt übrigens auch für die Frage der ungebrems-
ten Entwicklung bei der Einsatzbelastung unserer Solda-
tinnen und Soldaten. Meine sehr geehrten Damen und
Herren, wenn Sie schon Anträge der SPD nicht zur
Kenntnis nehmen oder verstehen, dann sollten Sie we-
nigstens die Ausführungen dazu im Bericht des Wehrbe-
auftragten mit der gebotenen Sorgfalt lesen; denn die
Belastungskurve darf nicht weiter steigen, wir haben
hier schon überreizt. Wir haben bei zahllosen Gelegen-
heiten auf die Belastungen der Truppe hingewiesen und

gefordert, in diesem Bereich Abhilfe zu schaffen. Tun
Sie etwas, und tun Sie bitte auch endlich etwas für die
bessere Vereinbarkeit von Soldatenberuf und Familie!
Dass es nun 2014 an einem Ort etwas geben soll, darüber
kann man sich kaum noch freuen. Über Wilhelmshaven
reden wir, glaube ich, schon seit sechs Jahren, und es ist
immer noch nichts erfolgt. In diesem Bereich fordern
wir weiterhin mehr Anstrengungen.

Es ist mir in diesem Zusammenhang wichtig, dem
Wehrbeauftragten für die Klarheit in seinen Ausführun-
gen ausdrücklich zu danken. Liebe Kolleginnen von der
CDU, nehmen Sie sich daran ein Beispiel und sorgen Sie
in Ihren eigenen Reihen für Klarheit! Gerade auf den
hinteren Plätzen schien mir in den letzten Wochen etwas
Unklarheit zu herrschen. Deswegen formuliere ich es
heute noch einmal und so, dass es hoffentlich alle Abge-
ordnete der Union – vom Süden Deutschlands bis Fries-
land – verstehen: Hören Sie auf, den Soldaten Lügen zu
erzählen und sie für den Wahlkampf zu instrumentalisie-
ren! Hören Sie vor allen Dingen auf, zu behaupten, die
SPD wolle die deutsche Marine abschaffen! Das Gegen-
teil ist der Fall, und das wissen Sie auch.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!)


Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserer Marine.


(Beifall bei der SPD – Burkhardt MüllerSönksen [FDP]: Die Überlegungen des Kanzlerkandidaten der SPD! Ach so!)


Das muss hier einmal gesagt werden; denn Sie sagen das
völlig ungeschützt.

Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserer Marine.
Wir wollen, dass sie innerhalb Europas eine starke Rolle
in Bezug auf Sicherheit und Verteidigung einnimmt.
Eine Abschaffung der deutschen Marine ist das Hirnge-
spinst aus Ihren Reihen, verehrte Damen und Herren von
der CDU.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Das gibt es auch mit uns nicht!)


Solche Lügen sind unverantwortlich und verunsichern
die Soldaten noch mehr als die Unwägbarkeiten der
Bundeswehrreform. Das musste ich hier einmal deutlich
aussprechen, weil mir das aus Ihren Reihen und aus inte-
ressierten Marinekreisen immer wieder erzählt wird.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Karin!)


Man sollte sich überlegen, ob es nicht besser wäre, wenn
wir vernünftiger zusammenarbeiten und die Bundeswehr
aus dem Wahlkampf herauslassen.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Jetzt sollte sich Ihr Kanzlerkandidat einmal beruhigen!)


– Herr Müller-Sönksen, beruhigen Sie sich! Ich fahre
jetzt mit harmloseren Themen fort. Es geht um Frauen in
der Bundeswehr.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist mal ein gutes Thema!)






Karin Evers-Meyer


(A) )


)(B)


(C (D Zum Ende des Jahres 2012 dienten knapp 18 500 Frauen in der Bundeswehr. Das ist eine Quote von 9,65 Prozent. (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist zu wenig!)


Die im Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr vorgegebene Quote wird we-
der im Sanitätsdienst noch in den übrigen Laufbahnen
erreicht. Ich finde, das ist ein vernichtendes Urteil.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist zu wenig! Stimmt!)


Noch eins: Der von der Bundesregierung geplante
Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatinnen-und-Sol-
daten-Gleichstellungsgesetzes berücksichtigt in keiner
Weise die grundlegend geänderten Organisations- und
Personalstrukturen der Bundeswehr. Gleichstellungsbe-
auftragte werden nach dem Bundesgleichstellungsgesetz
in Dienststellen ab 100 Beschäftigten gewählt. Die mili-
tärischen Gleichstellungsbeauftragten sollen nun auf der
Ebene der Division oder vergleichbar gewählt werden.
Sie sind somit für bis zu 18 000 Soldatinnen und Solda-
ten zuständig. Damit ist eine angemessene Ausübung
des Amtes und die Vertretung der Interessen der Wahlbe-
rechtigten schon allein wegen der hohen Anzahl der zu
betreuenden Fälle gar nicht möglich. Dieser Ansatz kann
nicht zu einer wirksamen Gleichstellung führen. Wie wir
hören, ist das Kind noch nicht ganz in den Brunnen ge-
fallen, aber – so sagen wir in Norddeutschland – es ist
mit dem Eimer in der Hand auf dem Weg dahin.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Oh, wie originell! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sagt aber nicht jeder in Norddeutschland!)


Die Bilanz, die der Wehrbeauftragte vorgelegt hat,
sieht nicht so gut aus: Es fehlen Tausende Stellen im Sa-
nitätsdienst, es wird eine mangelnde Durchhaltefähigkeit
der Truppe beklagt, wir haben einen dramatischen Nach-
wuchsmangel zu verzeichnen, eine unzulängliche Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf, eine Truppe, die sich
nicht mitgenommen und unzureichend eingebunden
fühlt, und dazu noch einen Anstieg von Rechtsextremis-
mus in der Armee. Wäre der Bericht des Wehrbeauftrag-
ten ein Zeugnis für die Bundesregierung, dann wäre die
Versetzung im Herbst gefährdet.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christoph Schnurr [FDP]: Nein!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723512700

Das Wort hat nun Christoph Schnurr für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christoph Schnurr (FDP):
Rede ID: ID1723512800

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Gleich zu Beginn möchte ich Ihnen, Herr

Königshaus, für Ihre Arbeit, aber auch Ihren Mitarbei-
tern ganz herzlich für diesen Bericht danken.

Wir beraten heute den 54. Jahresbericht des Wehrbe-
auftragten. In diesem sehr umfassenden Bericht werden
gleich mehrere Themenfelder aufgegriffen: die Aus-
landseinsätze, die einsatzvorbereitende Ausbildung, die
persönliche Ausstattung und Ausrüstung ebenso wie die
Vereinbarkeit von Familie und Dienst, um nur ein paar
Themen zu nennen. Besonders erfreulich ist, dass dieje-
nigen Passagen im Bericht besonders gerne gelesen wer-
den, in denen Sie, Herr Wehrbeauftragter, von einer
deutlichen Verbesserung sprechen. Sie erkennen die ste-
tig verbesserte Einsatzvorausbildung ebenso an wie Ver-
besserungen bei der persönlichen Ausstattung und Aus-
rüstung. Wir als FDP-Fraktion können uns Ihrem Urteil
nur anschließen.


(Beifall bei der FDP)


In der jüngsten Vergangenheit hat sich wieder einmal
erwiesen, dass die Bundeswehr eine Armee im Einsatz
ist. Auf der einen Seite hat die Übergabe der Verantwor-
tung in Afghanistan begonnen, auf der anderen Seite ha-
ben wir neue Auslandseinsätze wie in Mali und in der
Türkei mandatiert. Die Einsatzszenarien bleiben also
vielfältig. Deshalb sind wir Parlamentarier mehr denn je
in der Pflicht, unsere Soldatinnen und Soldaten für ihre
äußerst schwierigen Aufgaben bestmöglich auszustatten.

Außenminister Dr. Westerwelle und Verteidigungsmi-
nister de Maizière haben gestern ihre Überlegungen zu
einem deutschen Engagement in Afghanistan nach 2014
vorgestellt. Es ist absolut richtig, dass die internationale
Gemeinschaft auch nach 2014 durch Ausbildung und
Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte einen
Beitrag leisten wird. Es ist auch begrüßenswert, dass die
Bundesregierung hierzu erste Eckpunkte für eine deut-
sche Beteiligung vorgelegt hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegen-
heit nutzen, auf die dringend benötigten Light Utility
Helicopter zu verweisen. Wir müssen sicherstellen, dass
wir, wenn notwendig, unsere Soldatinnen und Soldaten,
aber auch zivile Entwicklungshelfer binnen kürzester
Zeit retten und befreien können.

Unsere Soldatinnen und Soldaten sind durch die Aus-
landseinsätze stark beansprucht. Hinzu kommen Lehr-
gänge und Übungen in Deutschland. Die langen Abwe-
senheitszeiten der Soldaten von ihren Familien sind
schlichtweg belastend und dienen nicht gerade einer bes-
seren Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Wie im Be-
richt erkenntlich, ist die Zahl der Eingaben, in denen
eine mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Dienst
beanstandet wird, erneut angestiegen. Hier besteht wei-
terer Handlungsbedarf. Die Einrichtung von Eltern-
Kind-Zimmern sowie die Belegrechte zur Kinderbetreu-
ung sind sicherlich ein guter Anfang. Ebenso begrüßens-
wert ist die Tatsache, dass Soldaten bei Aus- und Fortbil-
dungsmaßnahmen die Kosten für eine Kinderbetreuung
erstattet bekommen. Dennoch muss es uns gelingen,
auch an Bundeswehrstandorten Kinderbetreuungsplätze
einzurichten.





Christoph Schnurr


(A) )


)(B)


(C (D Der vorliegende Bericht beschäftigt sich natürlich auch mit der Personallage. In Spezialverwendungen, aber auch im Sanitätsdienst gibt es nach wie vor erhebliche Engpässe. Die Problematik wurde erkannt, und Maßnahmen zur Personalgewinnung befinden sich in der Umsetzung. Es liegt auf der Hand, dass diese Herausforderungen nicht quasi über Nacht gelöst werden. Auch hier werden wir die Entwicklung genau betrachten. In den letzten Wochen wurde einem Zwischenbericht des Wehrbeauftragten viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ich habe nicht vor, an dieser Stelle jeden einzelnen Aspekt des Berichts bzw. der medialen Berichterstattung aufzugreifen. Festhalten möchte ich an dieser Stelle jedoch, dass wir im Deutschen Bundestag der Bitte unserer türkischen Freunde selbstverständlich nachgekommen sind und den deutschen Beitrag zur integrierten Luftverteidigung mandatiert haben. Dass zu Beginn des Auslandseinsatzes diverse Probleme entstanden sind und es in diesem konkreten Fall zu unglücklichen Situationen kam, ist uns bekannt. Ich möchte jedoch festhalten, dass diese Herausforderungen zu meistern sind und meines Wissens auch bereits bewältigt wurden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir unterstützen unsere türkischen Verbündeten im
Rahmen von Active Fence, und die Türkei ist uns eine
enorme Hilfe beim geordneten Abzug unseres Materials
aus dem Afghanistan-Einsatz. Deutschland ist und bleibt
ein verlässlicher Partner in der NATO. Daher werden wir
auch die Mission Active Fence erfolgreich zu Ende füh-
ren.

Auch in der 18. Wahlperiode wird diese Regierungs-
koalition weiterhin alles daransetzen, dass die Bundes-
wehr ein attraktiver Arbeitgeber bleibt und so ausgestat-
tet wird, dass sie die Aufgaben bestmöglich erfüllen
kann.

Ich möchte die Gelegenheit heute nutzen, um mich
bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen für
die gute Zusammenarbeit herzlich zu bedanken. Wir ha-
ben in dieser Wahlperiode einiges für die Bundeswehr
tun können. Beispielhaft seien hier nur die Neuausrich-
tung, die Aussetzung der Wehrpflicht, das Einsatz-Wei-
terverwendungsgesetz wie auch das Einsatzversorgungs-
Verbesserungsgesetz genannt.

Zum Schluss möchte ich unseren Soldatinnen und
Soldaten und ihren Familien, den Reservisten und den
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundes-
wehr meine Anerkennung aussprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723512900

Das Wort hat nun Harald Koch für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Koch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723513000

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrter Herr Königshaus! „Zwei Seelen woh-
nen, ach! in meiner Brust“, dies kam mir in den Sinn, als
ich den Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten las.
Zum einen möchte ich Herrn Königshaus und seinen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Bericht herz-
lich danken, vor allem dafür, dass in dem Bericht Miss-
stände und Baustellen in der Bundeswehr aufgezeigt
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Dies zu tun, ist die zentrale Funktion des Wehrbeauftrag-
ten.

Die Linke stimmt überein in der Kritik an der Art und
Weise, wie den Soldatinnen und Soldaten sowie den Zi-
vilbeschäftigten die Lasten der Neuausrichtung der Bun-
deswehr aufgebürdet werden. In der Tat, manche Pro-
bleme stinken zum Himmel. Ich will nur drei
herausgreifen.

PTBS-Fälle wurden auch 2012 weiter unter den Tep-
pich gekehrt. Statistiken werden nur widerwilligst be-
richtigt. Die Opfer der Auslandseinsätze werden allein-
gelassen, sobald sie der Bundeswehr den Rücken kehren.
Bei der Prävention psychischer Erkrankungen klafft eine
große Lücke. Von der Bundeswehr in Auftrag gegebene
Forschungen zu PTBS lassen sehr zu wünschen übrig
bzw. liefern schlichtweg falsche Ergebnisse.

Soldaten, die in den Ruhestand gehen oder aufgrund
ihres Dienstes bei der Bundeswehr eine Schädigung er-
litten haben, werden auseinanderdividiert. PTBS-Opfer
von vor 2002 erhalten null Komma null null Euro Ent-
schädigung. Bundeswehrsoldaten mit Dienstzeiten aus
der DDR sind weiter schlechter gestellt als ihre Westka-
meraden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.


(Beifall bei der LINKEN)


Schließlich: Rechtsradikale Vorfälle werden bagatelli-
siert und nicht entschlossen genug bekämpft. Die Zahl
der sogenannten besonderen Vorfälle mit rechtsradika-
lem Hintergrund steigt wieder an. Auch Sie selbst, Herr
Königshaus, wiegeln ab. Angesichts unserer Geschichte
wäre hier eine gehörige Portion mehr Aufmerksamkeit
gefragt.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Bericht zeigt insgesamt deutlich, dass die Neu-
ausrichtung der Bundeswehr für die Soldatinnen und
Soldaten sowie für deren Familien Unsicherheit und Be-
lastungen gebracht hat. Es reicht nicht aus, wenn die Da-
men und Herren von der Regierungsbank den Bericht
brav zur Kenntnis nehmen und seinen Inhalt weiter igno-
rieren. Viele Baustellen sind schon seit Jahren bekannt;
auch ich habe schon öfter auf diese hingewiesen. Es
muss nun endlich entschieden zum Wohle der Soldatin-
nen und Soldaten gehandelt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber viele der Probleme sind eben ein Resultat Ihres
generellen Kurses in der Verteidigungspolitik und damit
hausgemacht. Hier muss ich nun zum anderen auch an





Harald Koch


(A) )


)(B)


(C (D Ihnen, Herr Königshaus, Kritik üben. Wenn Sie schon politische Äußerungen abgeben, warum ziehen Sie dann nicht zwingende Schlussfolgerungen aus all den Kritikpunkten? Die Bundesregierung ist blind für die Sorgen und Nöte der Soldatinnen und Soldaten, (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Quatsch!)


weil alles rücksichtslos der weltweiten Einsatzfähigkeit
der Bundeswehr untergeordnet werden soll.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Gegenteil: Sie beschwören ja geradezu neue Pro-
bleme und Unsicherheitsfaktoren herbei. Zum Beispiel
halte ich es für mehr als unglücklich, wenn Sie sich,
Herr Königshaus, im Zuge der Neuausrichtung der Bun-
deswehr zu Beschaffungsmaßnahmen äußern. Mehr will
ich jetzt dazu nicht sagen.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Das ist auch besser so!)


Glauben Sie mir, beim An-Land-Ziehen von Aufträgen
ist die Rüstungslobby gewiss nicht auf Ihre Hilfe ange-
wiesen.

Kurzum: Der Wehrbeauftragte sollte sich auf seine
Kernaufgaben besinnen, und die Bundesregierung sollte
endlich entsprechend den Bedürfnissen der Soldaten
handeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür brauchen wir eine Neuausrichtung der deutschen
Sicherheitspolitik, die die Bundeswehr wieder auf ihren
grundgesetzlichen Auftrag zurückführt: die Landesver-
teidigung.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch deshalb haben wir, die Linke im Bundestag, nun
schon den 8. Runden Tisch der Friedensbewegung orga-
nisiert, der gerade in diesem Augenblick drüben im Ja-
kob-Kaiser-Haus stattfindet. Deshalb möchte ich auch
meine Fraktionskolleginnen und -kollegen aus dem Ver-
teidigungsausschuss entschuldigen.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Ach, so ist das! Deshalb ist keiner da! – Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Aha! Was ist denn wichtiger?)


Die Linke sagt Nein zum Krieg und zur Aufrüstung
der Bundeswehr hin zu einer Armee im Einsatz. Es sind
mehr zivile Ausbildungs- und Arbeitsplätze nötig. Wir
lehnen Auslandseinsätze ab und fordern ein Verbot von
Waffenexporten. Wir sind die einzige Friedenspartei hier
im Deutschen Bundestag.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Toll!)


Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723513100

Das Wort hat nun Omid Nouripour für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723513200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Wehrbeauftragter, es ist eine gute Tradition – ich will sie
auch dieses Mal nicht missen –, nicht nur Ihnen persön-
lich und Ihrem Stab für die gute Arbeit in den letzten
zwölf Monaten zu danken, sondern auch uns allen dazu
zu gratulieren, dass wir diese Institution haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Der Wehrbeauftragte ist eine Institution, die wirklich
einmalig ist und um die uns viele Parlamentarier auf der
Welt zu Recht beneiden können.


(Beifall des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])


Ich möchte kurz etwas zu den drei Themen sagen, die
gerade vom Herrn Minister genannt worden sind.

Beginnen möchte ich mit dem Thema Familie. Ja, Sie
haben völlig zu Recht gesagt: Das Thema „Vereinbarkeit
von Familie und Beruf“ ist sehr wichtig. Es geht darum,
dafür zu sorgen, dass die Bundeswehr auch nach Ab-
schaffung der Wehrpflicht genug Menschen aus der
Breite der Gesellschaft gewinnen kann. Das ist ein At-
traktivitätsthema. Aber das ist auch ein Fürsorgethema.

Herr Kollege Schnurr, Ihnen kann ich leider nicht bei-
pflichten. Ich habe mir sehr viele Eltern-Kind-Arbeits-
zimmer angeschaut. Ihre Einrichtung ist kein Schritt in
die richtige Richtung. Sie können nicht davon ausgehen,
dass ein Kind betreut ist, wenn es hinter Ihnen in der
Ecke des Zimmers, in dem Sie arbeiten wollen, spielt.
Das ist kein Ersatz für Kinderbetreuung. Das ist ein Pla-
cebo. Ich bin dankbar, Herr Minister, dass Sie die Ein-
richtung von Eltern-Kind-Arbeitszimmern dieses Mal
nicht als einen Schritt in die richtige Richtung bezeich-
net haben und dass Sie nicht gesagt haben, dies sei eine
große Errungenschaft. Ich habe noch keine Kaserne ge-
sehen, in der diese Arbeitszimmer von Leuten, die Kin-
der haben, tatsächlich genutzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet viel
mehr. Das Stichwort „Pendlerarmee“ ist schon genannt
worden. Natürlich müssen wir die Familien im Blick ha-
ben. Ja, auch die Lebenspartner brauchen so manche Un-
terstützung; da ist noch sehr viel zu tun. Ich befürchte,
dass dieses Thema auch im nächsten Bericht des Wehr-
beauftragten einen Schwerpunkt darstellen wird.

Was die Einsätze angeht, will ich nur auf einen einzi-
gen Punkt hinaus: Die Belastung ist völlig zu Recht an-
gesprochen worden. Es ist bekannt, dass es glasklare
Studienergebnisse zum Thema „Posttraumatische Belas-
tungsstörungen“ gibt, die belegen, dass die Anfälligkeit
für diese Krankheit mit zunehmender Dauer eines Ein-
satzes steigt, dass es aber auch einen Zusammenhang mit
verkürzten Regenerationszeiten gibt. Wenn man anpeilt,
dass die Regenerationszeit zwischen zwei Einsätzen
20 Monate dauert, aber die Hälfte der Soldatinnen und
Soldaten diese 20 Monate Regenerationszeit nicht be-





Omid Nouripour


(A) )


)(B)


(C (D kommt, dann ist das schlicht unverantwortlich und indiskutabel. Da kann man nur sagen: Hier ist nicht richtig geplant worden. Hier muss deutlich mehr geschehen. – Auf das Thema Einsätze legen wir daher zu Recht einen besonderen Fokus. Ich will noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Es ist immer wieder davon die Rede, dass im Zusammenhang mit der Reform der Bundeswehr eine große Verunsicherung in der Truppe herrscht. Auch wenn ich diese Reform gar nicht als solche bezeichnen würde, glaube ich, dass die bestehende Verunsicherung tiefer gehende Gründe hat. Es geht schlicht und ergreifend um die Spezifika des Soldatenberufes. Es gibt nicht viele Berufe, in denen die Lebensgefahr so groß ist. Es gibt auch nicht viele Berufe, in denen Gehorsam eine solch große Rolle spielt. Aber Soldatinnen und Soldaten haben, gerade im 21. Jahrhundert, natürlich auch das Recht, als Arbeitnehmer angesehen zu werden. Sie haben daher Arbeitnehmerrechte. Ich bin mir nicht sicher, dass das auch von der Spitze des Hauses so gesehen wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Herr Minister, ich will nicht alle Zitate, die genannt
wurden, wiederholen – Ihre Aussage bezüglich der Gier
hat übrigens ebenfalls zu dieser Verunsicherung beige-
tragen –, sondern aus Ihrem Diskussionspapier zur Vete-
ranenpolitik zitieren. Dort schreiben Sie:

In Deutschland sind die Sozialleistungen für aktive
wie für ehemalige Bundeswehrangehörige, ein-
schließlich ihrer medizinischen Betreuung, bereits
auf hohem Niveau gewährleistet.

Es gibt 1 500 Anträge im Jahr zur Begutachtung der
PTBS und zwei Gutachter. Angesichts dessen kann man
eine solche Aussage nicht treffen, wie Sie es getan ha-
ben. Das zeugt von einem Bild der Bundeswehr aus dem
Jahre 1965, als es hieß: Der Soldat ist ein Indianer, und
ein Indianer kennt keinen Schmerz. – Darum geht es
aber nicht. Wir haben heutzutage eine andere Truppe,
und wir müssen auch ein anderes Bild von den Soldatin-
nen und Soldaten haben. Das sind Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Ich sehe nicht, dass deren Rechte hier
berücksichtigt werden.

Ich erkenne auch nicht, dass grundsätzliche Probleme
angegangen werden. Ein Viertel aller IT-Spezialisten
fehlt; 4 000 Stellen sind unbesetzt. Wenn man nachfragt,
wie man den Mangel beseitigen will, dann lautet die
Antwort: Dann müssen wir halt die Sollstärke verklei-
nern. – Beim Sanitätsdienst ist es auch im Inland so, dass
Sanitätseinheiten eigentlich nur noch pendeln, weil die
Zahl dieser Einheiten nicht mehr ausreicht, auch wenn
sich bereits vieles in dem Bereich gebessert hat.

Der Bericht des Wehrbeauftragten ist sehr wichtig
und muss hier diskutiert werden. Aber es gibt einige Fix-
punkte, bei denen man das Gefühl bekommt, hier grüßt
täglich das Murmeltier; denn wir diskutieren seit Jahren
immer dasselbe. Das Murmeltier ist in dem Fall der
Wehrbeauftragte. Das ist für alle, für ihn wahrscheinlich
am allermeisten, frustrierend. Aber ich kann Hoffnung

machen: Wenn wir den nächsten Bericht diskutieren, ist
das alles besser.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723513300

Letzte Rednerin zu diesem Debattenpunkt ist Anita

Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1723513400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr

Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na-
mens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich Ihnen und al-
len Mitarbeitern danken, die an der Erstellung des Jah-
resberichts 2012 beteiligt waren.

Erneut waren zahlreiche Eingaben von Soldaten zu
überprüfen und für den Bericht zu berücksichtigen. Er-
freulicherweise ist deren Zahl im Vergleich zum jeweili-
gen Vorjahr zum dritten Mal in Folge gesunken, und das,
obwohl Zeiten des Umbruchs wie die jetzige Struktur-
reform zu immer mehr Eingaben geführt haben. Doch
letztlich wissen unsere Soldaten recht gut, dass etwa in
Auslandseinsätzen auch mit schwierigen Bedingungen
zu rechnen ist, die der Dienstherr nur bedingt beeinflus-
sen kann. Sie nehmen diese Herausforderungen auf pro-
fessionelle Art an.

So waren die betroffenen Soldaten selbst nicht glück-
lich über die jüngste öffentliche Aufregung um den Tür-
kei-Einsatz. Da sollten wir uns bemühen, eine Wieder-
holung zu vermeiden. Dieser Einsatz ist natürlich nicht
vergleichbar mit dem Einsatz in Afghanistan, wenn auch
bündnispolitisch wichtig und keinesfalls frei von poten-
ziellen Gefahren.

Mit dem bevorstehenden Ende von ISAF verringert
sich zudem nach über einem Jahrzehnt auf absehbare
Weise unser militärisches Engagement am Hindukusch.
Nach 2014 werden wir dort voraussichtlich nur noch
höchstens 800 Soldaten haben, die vor allem Ausbildung
und Beratung fortführen werden.

Gerade der Afghanistan-Einsatz hat zu wesentlichen
Verbesserungen in Ausstattung, Ausbildung und Für-
sorge für die Soldaten geführt. Ich erinnere an das
Thema der geschützten Fahrzeuge, das wir hier auf
Grundlage der Berichte des Wehrbeauftragten oft dis-
kutiert haben. Mittlerweile ist diese Lücke weitgehend
geschlossen. Wir beschaffen aber auch weiterhin Fahr-
zeuge, um den einsatzbedingten Verschleiß auszuglei-
chen. Bereits in der kommenden Woche werden die
Fachausschüsse über eine weitere Tranche entscheiden.
Denn weitere Einsätze werden kommen, wie die gerade
angelaufenen Missionen in Mali zeigen. In Zukunft soll-
ten unsere Soldaten von vornherein mit dem bestmögli-
chen Schutz ausgestattet sein.

Es bleiben nach wie vor weitere Vorhaben offen, die
es trotz angespannter Haushaltslage unbedingt umzuset-
zen gilt. Ich nenne beispielhaft die Fähigkeit zur Route





Anita Schäfer (Saalstadt)



(A) )


)(B)


(C (D Clearance von Sprengfallen, den Ausbau der Nachtkampffähigkeit, aber auch die Beschaffung eines leichten Unterstützungshubschraubers für die Spezialkräfte. Ich hoffe, dass gerade der letzte Punkt im Gefolge der kürzlichen Einigung mit der Industrie über die Stückzahlen beim Kampfhubschrauber Tiger und dem NH-90 nun auch recht bald abgeschlossen werden kann. Mittlerweile sind sowohl der Tiger als auch der NH-90 in den Einsatz nach Afghanistan verlegt worden und verbessern damit die Fähigkeit und die Sicherheit der deutschen Soldaten dort. Meine Damen und Herren, zuhause bleibt unsere größte Herausforderung die weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht dankenswerterweise noch einmal besonders auf die Pendlerproblematik hingewiesen und hierfür den Begriff der „Pendlerarmee“ gebraucht. Um es klar zu sagen: Wir werden das Problem niemals vollständig lösen können, weil Versetzungen und Einsätze zum Soldatenberuf gehören. Wenn wir die Bundeswehr in der Fläche und in der Gesellschaft präsent halten wollen, können wir sie nicht in wenigen Großstandorten konzentrieren. Aber wir können die Maßnahmen, die wir eingeleitet haben – etwa zur Verbesserung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten –, fortsetzen. An Großstandorten mit entsprechendem Bedarf spricht aus meiner Sicht auch nichts gegen eigene Kindergärten in der Kaserne. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch einmal betonen, dass sich die Vorgesetzten nach meiner Erfahrung in der Regel außerordentlich bemühen, den familiären Belangen ihrer Soldaten gerecht zu werden – ganz im Sinne der 2008 neu gefassten Zentralen Dienstvorschrift Innere Führung. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr. In spezialisierten Truppengattungen mit hoher Einsatzrelevanz muss es allerdings weiterhin besondere Maßnahmen geben. Ein Beispiel dafür ist nach wie vor der Sanitätsdienst. Die in dieser Legislaturperiode umgesetzten Änderungen gerade für Bundeswehrärzte im gesetzlichen, finanziellen und Weiterbildungsbereich haben die dramatischen Personalverluste, die es in den Vorjahren gab, zwar gestoppt; aber noch immer besteht eine deutliche Lücke zum Soll. Derzeit wird überprüft, in welchem Umfang Musterungsärzte aus den aufgelösten Kreiswehrersatzämtern nach entsprechender Weiterbildung möglicherweise die Vakanzen bei Truppenarztposten füllen können. Die Erhöhung der Anzahl der Studienplätze für Humanmedizin ab 2015 wird zu einer Steigerung des jährlichen Zuwachses führen. Hier sind wir also auf einem guten Weg. Meine Damen und Herren, da die öffentliche Berichterstattung anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichtes des Wehrbeauftragten gerne Schreckensbilder malt, möchte ich zum Abschluss feststellen: Die Bundeswehr ist viel besser, als gängige Stereotype es glauben machen wollen. Das gilt auch und gerade für sensible Bereiche, in denen jeder Fall einer zu viel ist. Ja, es gibt sexuelle Belästigung, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundeswehr, und wenn so etwas auftritt, ist energisches Handeln gefordert. Die Bundeswehr ist und bleibt ein Spiegelbild der Gesellschaft, und das spricht für ihre Verankerung in unserem demokratischen Gemeinwesen. Nimmt man alles zusammen, so stellt man fest, dass die Bundeswehr gerade in den angesprochenen kritischen Bereichen besser dasteht als der Durchschnitt der Gesellschaft. Allen Soldaten, die in diesen besten aller bisherigen deutschen Streitkräfte dienen – ob im Inland oder im Ausland –, möchte ich meine Anerkennung und meinen herzlichen Dank dafür aussprechen. Vielen Dank. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12050 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Visafreiheit für Inhaber russischer Dienstpässe – Keine Visumspflicht für Menschen aus dem Westbalkan Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Marieluise Beck GRÜNEN)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723513500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der vergangenen Woche konnte nieman-
dem entgehen, dass das Regime Putin die russische Zi-
vilgesellschaft flächendeckend mit Repressalien über-
zieht. Ausgeführt werden diese Repressionen von
Beamten der russischen Staatsanwaltschaft und der Jus-
tiz sowie von Beamten des Innenministeriums. Im Ge-
päck haben sie immer gleich noch das Staatsfernsehen.
Diese Aktionen zielen ganz offensichtlich auf die Zer-
schlagung der zivilgesellschaftlichen Akteure, die für
ein freies und demokratisches Russland eintreten, wie
wir es alle wollen.

Zeitgleich nun erklären der Außenminister und der
Innenminister der schwarz-gelben Bundesregierung ge-
genüber der EU-Kommission, dass einer Visumsfreiheit
für russische Dienstpassinhaber – also für ebendiese ho-
hen Beamten – nichts mehr im Wege stehen soll. Im
Klartext heißt das: Reisefreiheit für den Repressions-
apparat des russischen Staates, während russische Stu-
dierende, Verwandte und andere sogenannte Normalbür-





Marieluise Beck (Bremen)



(A) )


)(B)


(C (D ger weiterhin vor deutschen Konsulaten anstehen müssen und sich hochnotpeinlichen Befragungen unterziehen müssen. Nicht von ungefähr gehen russische Studierende inzwischen nicht mehr zu deutschen, sondern eher zu estnischen oder finnischen Konsulaten. Wir wollen visumsfreies Reisen. Dies ist – ich betone das – ein starkes Mittel für die innere Demokratisierung insbesondere von Transformationsländern. Es ist auch ein starkes Mittel, um die Begegnung mit offenen Gesellschaften herzustellen, und damit ein wirkungsvolles Mittel für den Widerstand gegen repressive Regimes. Aber was ist nun passiert? Wegen einer absurden Selbstverpflichtung auf ein Gegenseitigkeitsprinzip in Visafragen lässt sich die EU von Russland erpressen. Der Kreml verlangt Visaprivilegien für seinen Repressionsapparat – dazu gehören unter anderem die, die verhandeln, und zwar in eigener Sache – für seine Zustimmung, dass russische Studierende, Geschäftsleute usw. bei uns vielleicht ein Mehrfachvisum bekommen. Sehen Sie, was für eine absurde Idee das ist? Diese Reziprozität, die verlangt wird, bedeutet, dass nicht wir sagen: „Wir halten es für richtig, dass Studierende und Familienangehörige ohne Visum zu uns kommen; wir wollen sie bei uns haben“, sondern dass Regimes, auch autoritäre Regimes, sozusagen den Schlüssel in der Hand halten. Das ist wirklich eine absurde Figur. Wir hätten doch von EU-Seite die Möglichkeit, zu sagen: Unsere Visumspolitik bestimmen wir selbst. Wir wissen, dass Beamte des russischen Staatsapparates tief in Korruption verwickelt sind und dass sie dringend gerne in den Westen reisen wollen, um dort ihre Assets zu pflegen. So finden sich zum Beispiel auf dem Schweizer Konto des Gatten der Steuerbeamtin, die in den Magnitzki-Deal verwickelt war, Millionenbeträge. Es ist bekannt: Diese Steuerbeamtin, die stark in den Tod von Anwalt Magnitzki verwickelt ist, würde mit zu den Dienstpassinhabern gehören. Wie freundlich, dass sie nunmehr die Erlaubnis bekommt, mit ihrem Gatten den Ertrag ihres Tuns im Westen verjubeln zu können. Dieser Deal, der dort angeboten wird, ist ein Sieg des FSB auf der ganzen Linie. Das muss man einfach sagen. Gibt es in diesem Fall Sicherheitsbedenken des Bundesinnenministeriums, mit denen Sie ja gerne eine restriktive Visumspolitik betreiben? Fehlanzeige! Die allerdings haben Sie beim Balkan. Im Jahre 2010 erhielten die Bürgerinnen und Bürger des Westbalkans endlich Visumsfreiheit, die sie als jugoslawische Staatsbürger schon immer gehabt haben. Endlich waren die jungen Menschen nicht mehr eingesperrt und konnten bei uns sehen, wie attraktiv demokratische und offene Gesellschaften sind. Ja, es gab eine Winterwanderung. Ja, das war eine Herausforderung für die Kommunen. Aber statt mit den Kommunen nach Möglichkeiten zu suchen, sie bei der Winterunterbringung zu unterstützen, wird von Innenpolitikern jetzt darüber nachgedacht, wie man die Visaliberalisierung auf EU-Seite wieder einschränken kann, und das wegen einer Erhöhung der Asylbewerberzahlen von 2011 bis 2012 um – ich möchte die Zahlen nennen – 2 800 aus Mazedonien und 1 400 aus Serbien. Das sind minimale Zahlen verglichen mit einer Bevölkerung von 82 Millionen Menschen. Überlegen Sie einmal, was Jordanien und die Türkei im Augenblick für eine Aufgabe mit der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen schultern! Meine Damen und Herren Innenpolitiker, Sie machen mit dieser Art von Regulierung Außenpolitik. Darüber müssen wir hier sprechen. Diese Art von Kleinkariertheit schließt die betroffenen Länder und ihre Bevölkerungen wieder aus und gibt Aufwind für nationalistische Tendenzen, die es in diesen Ländern leider gibt. Dass die Roma sowieso dafür verantwortlich gemacht würden, wenn es zu einer Verschlechterung für die anderen Bürger käme, ist vollkommen klar. Ich fordere Sie deswegen auf: Beenden Sie dieses Chaos! Ziehen Sie die Visumspolitik wirklich an sich, in dem Wissen, dass Sicherheitspolitik nicht über Visumspolitik zu betreiben ist. Die jetzige Visumspraxis gehört in die Amtsstuben des vergangenen oder vorvergangenen Jahrhunderts. Eine moderne Visumspraxis ist auch Teil einer klugen Außenpolitik und führt zu einer Öffnung für Bürgerinnen und Bürger. Wenn dann zum Schluss die Dienstpassinhaber kommen, will ich auch damit zufrieden sein. Schönen Dank. Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder. D Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Aktuellen Stunde, beantragt von den Grünen, werden zwei Themen im Bereich der Visumspolitik miteinander vermengt, die nichts miteinander zu tun haben. Wir sollten uns gerade im Bereich der Visumspolitik vor zu starken Vereinfachungen hüten. Lassen Sie mich deshalb gleich zu Beginn festhalten: Die Haltung der Bundesregierung zur aktuellen Politik der russischen Regierung, gerade im Hinblick auf Menschenrechte sowie auf Presseund Meinungsfreiheit, ist eindeutig. Die Bundeskanzlerin hat erst vor wenigen Tagen im Beisein von Präsident Putin nochmals unterstrichen, dass Deutschland – ich zitiere – „für eine starke zivilgesellschaftliche Entwicklung durch viele Nichtregierungsorganisationen“ in Russland eintritt. Meine Damen und Herren, so klare Worte hätte ich mir von der damaligen rot-grünen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder gewünscht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich auch! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ein Wort der Ehrlichkeit ganz zum Schluss!)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723513600
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1723513700





Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder


(A) )


)(B)


(C (D Ich möchte Ihnen an dieser Stelle Schröders Zitat vom „lupenreinen Demokraten“ und dergleichen ersparen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Bundesregierung größtes Engagement an den Tag legt, wenn es darum geht, die Westbalkanstaaten an Europa heranzuführen, (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


sowohl auf europäischer Ebene als auch im bilateralen
Bereich.

Aber der Reihe nach: Die Europäische Kommission
verhandelt momentan die Weiterentwicklung des 2007
verabschiedeten Visumserleichterungsabkommens mit
Russland. Ziel solcher Abkommen ist es, insbesondere
– ich zitiere aus dem aktuellen Abkommen mit Russland –

zwischenmenschliche Kontakte als wichtige Vo-
raussetzung für einen steten Ausbau der wirtschaft-
lichen, humanitären, kulturellen, wissenschaftli-
chen und sonstigen Beziehungen zu fördern …

Bei aller Diskussion um die Dienstpassinhaber sollten
wir nicht aus den Augen verlieren, dass es bei dieser
Weiterentwicklung des Visumserleichterungsabkom-
mens vor allen Dingen darum geht, das Reisen für Schü-
ler, für Studenten, für Wissenschaftler, für Sportler, für
Journalisten zu erleichtern und vor allem Verwandtenbe-
suche zu ermöglichen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer hindert sie daran?)


Letztendlich geht es um die Stärkung der russischen Zi-
vilgesellschaft. Auf diesem Wege trägt die EU dann zur
weiteren Demokratisierung in Russland bei. Wenn Sie so
wollen, handelt es sich dabei um eine aktuelle Form des
Prinzips „Wandel durch Annäherung“.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da freut sich die SPD wieder!)


Eine Visumsbefreiung für Dienstpassinhaber ist bei
der Weiterentwicklung derartiger EU-Abkommen völlig
üblich. Eine solche Regelung ist auch im Zuge der Ver-
handlungen als Zugeständnis gegenüber Russland
schlichtweg notwendig, um dann im Gegenzug die er-
wünschten Erleichterungen für die Zivilgesellschaft zu
erreichen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum muss uns Russland das denn erlauben?)


– Da haben Sie völlig recht. Gerade in Bezug auf Russ-
land muss man das Für und Wider eines solchen Zuge-
ständnisses sehr genau abwägen. Das tun wir auch.

Die Bundesregierung hat sich deshalb gegenüber der
Kommission für eine deutliche Reduzierung der Privile-
gien für diese Dienstpassinhaber ausgesprochen. Im
Falle von Missbrauch einer solchen Regelung muss ein
Widerruf oder eine Aussetzung möglich sein. Vor dem
Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Russland
stellt sich auch die Frage, ob zum jetzigen Zeitpunkt eine
solche Regelung wirklich angebracht ist. Das wird von

der Kommission im Zuge der Beratungen zu berücksich-
tigen sein.

Nun zu dem zweiten Thema: keine Visumspflicht für
Menschen aus dem Westbalkan. Auch hier sollte man die
Realität sehr genau in den Blick nehmen. Seit 2009 sind
alle Staatsangehörigen aus den Staaten Serbien, Monte-
negro und Mazedonien, die einen biometrischen Pass
besitzen, visumsfrei. Das Gleiche gilt seit 2010 für
Albanien sowie Bosnien und Herzegowina. Die Visums-
freiheit ist für die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder
der greifbarste Vorteil, wenn es um die Annäherung an
Europa geht.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie ist auch ein wichtiger Anreiz, wenn es darum geht,
Reformen in diesen Ländern voranzubringen.

Auf der anderen Seite müssen sich diese Länder na-
türlich an die bestehenden Regelungen halten. Es kann
nicht sein, dass die Gewährung von Visumsfreiheit vor
allem dazu führt, dass massenweise unbegründete Asyl-
anträge in Deutschland oder in anderen EU-Staaten, zum
Beispiel in Frankreich, Schweden und Luxemburg, ge-
stellt werden. Wir alle kennen die Zahlen. Dennoch sei
mir gestattet, sie am Beispiel von Serbien zu nennen. Im
Dezember 2009, also in dem Jahr, als die Visumsfreiheit
geschaffen wurde, gab es lediglich 900 Asylanträge. Im
Jahr 2012 waren es bereits rund 13 000 Erst- und Fol-
geanträge, und das vor dem Hintergrund, dass Serbien
ein Beitrittskandidat ist. Nach Einschätzung der europäi-
schen Grenzschutzagentur Frontex und des Europäi-
schen Asylunterstützungsbüros haben wir in diesem Jahr
mit weiteren Steigerungen zu rechnen.

Mir ist wichtig, zu betonen: Bei alledem liegt die An-
erkennungsquote in Deutschland nahe null. Wenn über-
haupt, gibt es subsidiären Schutz in ganz wenigen Fäl-
len, in denen zum Beispiel eine bestimmte medizinische
Behandlung nur in Deutschland und nicht im Herkunfts-
land durchgeführt werden kann.

Es ist nicht hilfreich, wenn einige SPD-Landesinnen-
minister öffentlich verkünden, dass es über die Winter-
monate ein Bleiberecht für Menschen aus diesen Staaten
gibt. Das führt natürlich zu einer zusätzlichen Sogwir-
kung und setzt Anreize, unser Asylsystem zu missbrau-
chen. Das ist nicht gut. Solche Aussagen sollte man zu-
mindest nicht öffentlich machen.

Die Probleme der Staaten des Westbalkans lassen sich
nicht dadurch lösen, dass wir eine unkontrollierte Migra-
tion in die EU ermöglichen. Unsere Nachbarstaaten auf
dem Westbalkan können sich auf unsere Solidarität und
Unterstützung verlassen. Sie müssen aber auch selbst
ihre Probleme insbesondere in Bezug auf Minderheiten
lösen. Die Lebensbedingungen für diese Menschen müs-
sen sich vor Ort verbessern. Wir können das nicht da-
durch lösen, indem wir es ihnen ermöglichen, Asylan-
träge in Deutschland zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dafür sperren wir die ganze Bevölkerung ein! Das ist doch irrwitzig!)






Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder


(A) )


)(B)


(C (D Um auf mögliche Fehlentwicklungen zu reagieren – das gilt nicht nur in Bezug auf die Staaten des Westbalkan –, sind wir gerade dabei, als Ultima Ratio eine Regelung wieder einzuführen, die es ermöglicht, die Visumsfreiheit für eine gewisse Zeit auszusetzen. Das ist ein deutliches Signal, dass die betreffenden Staaten alles daransetzen müssen, um die Situation der Minderheiten bei sich zu verbessern und so Asylmissbrauch zu begegnen. Deshalb haben wir von Anfang an die Initiative der Niederlande und Frankreichs zur Schaffung eines Aussetzungsmechanismus unterstützt. Wie gesagt, es handelt sich um eine Ultima Ratio, die für alle Länder gilt, gegenüber denen Visumsfreiheit besteht. Man kann natürlich die Augen vor der Realität verschließen. Wer aber den Erfolg eines Europas der Bürgerinnen und Bürger möchte, der sollte die Probleme lösen. Das hat sich die Bundesregierung zur Aufgabe gemacht. Ich möchte Sie bitten, uns dabei zu unterstützen. Wir haben es hier mit sehr sensiblen Themen zu tun. Wir sollten deshalb nicht pauschal unterschiedliche Themen einfach vermengen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Das ist nicht hilfreich bei der Lösung der Probleme. Das Wort hat nun Franz Thönnes für die SPD-Frak tion. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bedauere, dass diese beiden so unterschiedlichen Themen im Rahmen einer Aktuellen Stunde behandelt werden; denn diese kann dem Beratungsbedarf beider Themen nicht gerecht werden. Deshalb gleich zu Anfang: Keine Visapflicht für Menschen aus dem Westbalkan – das ist unsere Position. Denn wir haben mit den europapolitischen Entscheidungen, die getroffen worden sind, den Menschen eine Perspektive im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union gegeben und mit den Annäherungsverabredungen diesen Ländern auch eine Beitrittsperspektive eröffnet. Ich glaube, wir müssen realisieren, vor welchem Hintergrund das Ganze stattfindet und wie stark Deutschland früher betroffen gewesen ist. Im Jahr 1992 betrug die Zahl der Asylbewerber 438 000. Es war eine schwierige Zeit. Im vergangenen Jahr waren es nur noch knapp 77 000 Asylbewerber, also gegenüber 1992 knapp 17 Prozent. Ich will damit nichts beschönigen. Ich will gleichzeitig aber sagen, dass das Ganze nicht dramatisiert werden darf. Es ist sachlich zu diskutieren. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723513800
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1723513900

Es darf auch nicht hektisch reagiert werden, wie das
der Bundesinnenminister teilweise getan hat, indem er
eine Verkürzung der Asylverfahren, eine schnelle Rück-
führung, die Wiedereinführung der Visapflicht und sogar
eine Einschränkung und Reduzierung des Asylbewerber-
leistungsrechts verkündet hat. Das sind nicht die richti-

gen Antworten, die die Probleme lösen. Das ist auch
nicht der Weg zu einem geeinten Europa. Wenn man – so
wie bei der Finanzkrise – Missstände bekämpfen will, ist
es, denke ich, notwendig, auch gemeinsam Armut in Eu-
ropa zu bekämpfen. Auch das soziale Gesicht Europas
muss entwickelt werden. Beim Asylbewerberrecht geht
es dann darum, auch das Einzelfallrecht im Auge zu be-
halten und nicht zu pauschalieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist die Abschaffung der Visafreiheit völlig
falsch. Sie ist genauso falsch wie eine öffentliche Dra-
matisierung, die großen Schaden anrichtet.

Mit der öffentlichen Dramatisierung verhält es sich
bei dem anderen Thema genauso – da sollte man auch
sehr sensibel sein –: Keine Visafreiheit für Inhaber von
russischen Dienstpässen. Der ursprüngliche Titel lautete
ja ganz anders:


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Chaos in der Visapolitik!)


Keine Visafreiheit für den Repressionsapparat.

Russland hat in den letzten Jahren eine bewegte Ent-
wicklung durchgemacht: von der Diktatur, vom Kalten
Krieg, vom kalten Kapitalismus mit ersten demokrati-
schen Schritten, die als solche auf die Menschen anders
gewirkt haben, hin zum blanken Kapitalismus ohne
Schutz und ohne Rechte und schließlich zu einem star-
ken Staat, bei dem wir zunehmend wahrnehmen, dass für
Demokratie nach oben noch viel Spielraum besteht.

Wenn wir darüber diskutieren, wie wirtschaftliche
und gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden, geht es
darum, dies zu berücksichtigen. Deutschland hat ganz
enge Beziehungen zu Russland. 7 000 deutsche Unter-
nehmen sind in Russland tätig. 2 Millionen Menschen in
Russland lernen Deutsch. Es gibt 90 Städtepartnerschaf-
ten. Im Austausch von Wirtschaft, Jugend, Kultur und
Wissenschaft gibt es ein enges Geflecht. Das alles wäre
unter einem durch und durch strukturierten Repressions-
apparat gar nicht möglich.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Also es gibt ihn gar nicht, oder wie?)


Es geht dabei auch um eine Differenzierung im Hinblick
auf die Menschen in diesem Apparat.

Wir haben das Thema nun zum dritten Mal auf der
Tagesordnung. Es ist die dritte Russland-Debatte inner-
halb eines halben Jahres. Schon in der ersten Debatte ha-
ben wir deutlich gemacht, dass uns die Zurückdrängung
von Freiheiten, das Gesetz gegen die Nichtregierungsor-
ganisationen, die Verfolgung von Menschen, die versu-
chen, sich demokratisch zu betätigen, die Einschränkung
der Versammlungs- und der Demonstrationsrechte, die
Gesetze gegen die sexuellen Minderheiten, das intensive
Vorgehen der Sicherheitskräfte in Form von Hausdurch-
suchungen bzw. Verhaftungen derjenigen, die ihre demo-
kratischen Freiheiten wahrnehmen wollen, genauso we-
nig gefallen wie der Ausschluss von Parlamentariern aus





Franz Thönnes


(A) )


)(B)


(C (D dem Parlament oder die Durchsuchungen, die vorhin hier genannt worden sind, ob das nun bei Golos Svobody, Amnesty International, der Konrad-Adenauer-Stiftung oder der Friedrich-Ebert-Stiftung der Fall war. Das alles ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber man wird dem nicht gerecht, wenn die Antwort
jetzt darin gesucht wird, all diejenigen, die im Staats-
dienst sind, unter den gleichen Verdacht zu stellen, und
genauso pauschalisiert wird. Das hilft überhaupt nicht
weiter, insbesondere dann nicht, wenn man sich in die-
sem Haus in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe und in
allen Reden und Anträgen permanent für Visafreiheit
einsetzt und die Bundesregierung kritisiert, weil sie im
Kern mit dem Fuß auf der Bremse steht.

Hier geht es um ein kleines Stück Visaliberalisierung,
einen kleinen Schritt, bei dem wir deutlich sagen sollten:
Lasst ihn uns gehen, und lasst auch hier die Einzelfall-
prüfung zur Anwendung kommen. Wenn klar ist, dass
einige versuchen, sich missbräuchlich oder trotz nachge-
wiesener Straftaten und Repression Zutritt zu verschaf-
fen, dann haben sie keinen Zutritt. Dann muss das zu
spüren sein. Aber wir sollten nicht generalisieren.

Deswegen ist das, was die Bundesregierung jetzt un-
ternimmt, ein Schritt in die richtige Richtung. Er ist aber
völlig unzureichend, weil alles andere, was gesagt wor-
den ist, dazugehört. Wir müssen über Wissenschaft re-
den. Wir müssen über Jugend reden. Wir müssen über
Studenten, über Sport und über Wirtschaft reden. Hier
brauchen wir mehr Freiheiten. Hier brauchen wir mehr
Liberalisierung.

Es ist wichtig, jetzt nicht ein Spiel nach dem Motto zu
betreiben „Wer legt die nächste Sprosse auf der Leiter
höher?“, sodass man sich nachher in Höhen befindet, aus
denen man nicht mehr hinunterkommt und nicht zur De-
eskalation beigetragen kann. Denn sonst wäre Willy
Brandts Ostpolitik mit der Strategie vom Wandel durch
Annäherung nie so erfolgreich gewesen, wie sie es denn
am Ende war.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Fortschritte, die wir zwischen Sankt Petersburg
und Helsinki, zwischen Kaliningrad und Danzig und in
den Häfen an der Ostsee im Rahmen der Visaliberalisie-
rung beobachten können, sind Beispiele dafür, dass es
geht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723514000

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1723514100

Ja. – Russland hat die Europäische Menschenrechts-

konvention unterschrieben. Diese Werte müssen in die
Praxis umgesetzt werden. Daran werden wir Russland
messen. Aber ein gemeinsames Werteverständnis wer-
den wir nur dadurch erreichen, dass wir die Kooperation

auf allen Ebenen vertiefen und im Zusammenhang mit
diesen Werten die Kooperation miteinander lernen.

Das Fazit dieser Debatte kann eigentlich nur sein
– das sage ich ganz klar und deutlich –: bestehende Visa-
freiheit erhalten, Armut in Europa genauso ernsthaft be-
kämpfen wie die Finanzkrise und Schritt für Schritt zu
mehr Visafreiheit in Europa gelangen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723514200

Das Wort hat Hagen Reinhold für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hagen Reinhold (FDP):
Rede ID: ID1723514300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tatsache ist, dass es mehr als zwei Jahrzehnte nach dem
Fall der Berliner Mauer immer noch nicht gelungen ist,
die Visaschranken zwischen dem Schengen-Raum und
den Nachbarstaaten im Osten und Südosten Europas ab-
zubauen.

Wie wichtig gerade in der jetzigen Zeit Fragen von
Visa und Aufenthalt sind, zeigt, dass der Innenausschuss
bereits am Montag bei einer Anhörung über den Status
von Türken in Deutschland und ihre Aufenthaltsrechte
debattiert hat.

Heute sprechen wir über Visaabkommen mit Russ-
land und dem Westbalkan. Anstoß dieser Aktuellen
Stunde sind die aktuellen Verhandlungen der EU mit
Russland über ein erweitertes Visaabkommen, sicherlich
auch die jüngsten Durchsuchungen bei ausländischen
NGOs, darunter auch der Konrad-Adenauer-Stiftung,
durch russische Behörden. Ohne diese Maßnahmen
rechtlich bewerten zu wollen: Das entspricht natürlich
nicht der Art und Weise des Umgangs unter Freunden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie immer macht auch hier der Ton die Musik, und sol-
che Töne gefallen uns ganz und gar nicht.

Andererseits müssen wir ab und an auch den Blick
nach Deutschland richten und uns an die eigene Nase
fassen. Wenn die Bundespolizei, wie der Spiegel aktuell
berichtet, zum Beispiel eine russische Studentin mit,
wohlgemerkt, gültigem Visum in einer unerträglichen
Weise aus einem ICE befördert, da nach den AGBs der
Bahn der russische Ausweis nicht bei Onlinebuchungen
zulässig ist, dann sollte uns das ebenfalls zu denken ge-
ben. Bilder werden nämlich auf beiden Seiten aufgegrif-
fen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie, unsere bürokratische Situation sei gleichermaßen schlecht in beiden Ländern?)






Hagen Reinhold


(A) )


)(B)


(C (D Die Grünen fordern jedenfalls die Verhinderung der Visafreiheit für Inhaber russischer Dienstpässe innerhalb der Europäischen Union und anderseits die Verhinderung der Visumpflicht für den Westbalkan. Ich bin der Meinung, dass wir die unterschiedliche Situation auf dem Westbalkan und in Russland nicht miteinander vermischen und vergleichen sollten. Hier wird aus populistischen Gründen mit zweierlei Maß gemessen. Eine solche undifferenzierte Betrachtungsweise ist pure Schwarz-Weiß-Malerei. Mit dem zwischen der Europäischen Union und Russland derzeit verhandelten neuen Visumerleichterungsabkommen sollen Reisen in den Schengen-Raum für russische Staatsangehörige weiter vereinfacht werden. Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, regelmäßig Studierende, Teilnehmer grenzüberschreitender Kooperationsprogramme, Transitreisende sollen in dieses Abkommen einbezogen werden. Das ist zwar gut, aber nur ein weiterer Schritt in Richtung Visumfreiheit. Wollen Sie wirklich, dass wir auf Visaerleichterungen für russische Jugendgruppen verzichten? Der Ansatz muss daher sein, bei der konkreten Ausgestaltung der Visumfreiheit für Dienstpassinhaber genauer hinzuschauen. Da gibt es durchaus Spielraum. Die Bundesregierung hat sich in Brüssel dafür starkgemacht, dass die EU hier mit Augenmaß vorgeht; denn die Frage, welchen Gruppen von Dienstpassinhabern es möglich sein soll, visumfrei einzureisen, ist in den laufenden Verhandlungen noch im Detail zu klären. Es ist zudem ein ganz normaler Ablauf, dass zunächst Personen mit Dienstausweisen Visumfreiheit bekommen; denn sie sind sozial verankert und die Rückreisewilligkeit ist sehr hoch. Auch wenn die innenpolitische Situation in Russland unbestritten kritisch ist, sollte es doch gerade den Menschen in Russland erleichtert werden, (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


(Beifall bei der FDP)


durch Reisen Erfahrungen mit freien, demokratischen
und marktwirtschaftlichen Gesellschaften wie jenen in
der EU zu machen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie haben das beim Thema Westbalkan erwähnt. Dann
sollten wir das den Russen erst recht zugestehen.


(Beifall bei der FDP)


Wie wollen wir es sonst schaffen, eine starke Zivilgesell-
schaft zu erreichen?

Am stärksten werden von den Neuregelungen des Ab-
kommens daher Vertreter der russischen Zivilgesell-
schaft profitieren, also Staatsangehörige gerade ohne
Dienstpässe. Ein solcher Gedanken- und Kulturaus-
tausch kommt der Zivilbevölkerung, den Studenten oder
auch den NGOs zugute. Das liegt in unserem ureigenen
Interesse und im Interesse der russischen Bürger. Visa-

schranken bremsen den Austausch von Ideen und Wert-
vorstellungen in Europa und bremsen auch Wachstum.

Ein neues Visaerleichterungsabkommen zwischen der
EU und Russland ist zudem aus russischer Sicht als Zwi-
schenschritt auf dem Weg zur Abschaffung der allgemei-
nen Visumpflicht für Reisen in den Schengen-Raum zu
sehen.

Aber auch für unsere Wirtschaftsbeziehungen ist es
sinnvoll, die Einreise für Geschäftsleute zu erleichtern.
Fast die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts wird
durch Exporte von Waren und Dienstleistungen erwirt-
schaftet. Mehr als jede andere Volkswirtschaft in Europa
ist Deutschland deshalb auf internationale Geschäftskon-
takte und auf einen reibungslosen Reiseverkehr angewie-
sen. Das Visaverfahren ist Deutschlands Aushängeschild
im internationalen Standortwettbewerb.


(Beifall bei der FDP – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Studenten kümmert uns das nicht so!)


Als Abgeordneter aus der Küstenregion in Mecklen-
burg-Vorpommern weiß ich, dass dies für unsere Ge-
schäftsleute vor Ort von besonderer Bedeutung ist. Denn
wer mit dem Schiff von Russland nach Deutschland
fährt, fährt am besten über Mecklenburg-Vorpommern.

Dabei ist die Visabürokratie ein erheblicher Zeit- und
Kostenfaktor für deutsche und russische Unternehmen.
Die Visumpflicht behindert Geschäftskontakte und ge-
genseitige Investitionen, erschwert den Austausch von
Fachkräften und verursacht Wettbewerbsnachteile im in-
ternationalen Konkurrenzkampf.

Als Folge der demografischen Entwicklung in
Deutschland wird die Zahl ausländischer Fachkräfte in
den kommenden Jahren gesteigert werden müssen.
Deutschland benötigt daher eine echte Willkommenskul-
tur.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal Ihrem Innenminister!)


Die schnelle Liberalisierung des Visasystems im Hin-
blick auf die östlichen Nachbarstaaten der EU ist dafür
eine Grundvoraussetzung – genau wie auf dem Westbal-
kan.

Tatsache ist jedoch, dass wir ein Problem mit Zuwan-
derern aus dieser Region haben. Aber das ist meiner
Meinung nach zum größten Teil ein deutsches Verwal-
tungsproblem in Bezug auf die Behandlung der Asylan-
träge. Deswegen sollte man noch nicht voreilig die Vi-
sumpflicht wieder einführen;


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Franz Thönnes [SPD] und Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


das wäre eine viel zu harsche Reaktion. Bei der Kosten-
Nutzen-Rechnung überwiegt weiterhin der Nutzen der
Visumfreiheit.

Die Sorge der Grünen, dass die Annäherung junger
Menschen vom Westbalkan an die EU durch eine zeit-
weilige Visumpflicht verhindert werde, ist angesichts





Hagen Reinhold


(A) )


)(B)


(C (D des Beitritts Kroatiens in diesem Sommer jedoch völlig unbegründet. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Andere Länder interessieren nicht, Serbien, Mazedonien?)


Als mögliche Reaktion auf künftige Fälle eines be-
sonders starken Anstiegs der Asylbewerberzahlen disku-
tiert die EU die vorübergehende Suspendierung der Vi-
sumfreiheit – ein Gedanke, über den diskutiert werden
muss. Dabei wird die Bundesregierung in den Verhand-
lungen durchsetzen, dass genau das nur auf Vorschlag
der EU-Kommission möglich ist. Eine dauerhafte Auf-
hebung der Visumfreiheit für Staatsangehörige vom
Westbalkan, egal woher dort, ist deshalb völlig indisku-
tabel.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723514400

Herr Kollege, dies war Ihre erste Rede; Sie sind

Nachrücker. Ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihnen al-
les Gute.


(Beifall)


Das Wort hat jetzt Sevim Dağdelen für die Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723514500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

zu dem einen Thema, dem geplanten EU-Mechanismus
zur Wiedereinführung der Visumpflicht, unter anderem
bei angeblichem Asylmissbrauch. Ich muss darauf hin-
weisen: Die Linke hat schon vor einem Jahr in parlamen-
tarischen Anfragen auf den Skandal aufmerksam ge-
macht, dass die Abschottungspolitik der Europäischen
Union dazu führt, dass die Reisefreiheit von Menschen
aus den Westbalkan-Ländern eingeschränkt wird, insbe-
sondere im Hinblick auf Roma aus Serbien und Mazedo-
nien.

Damals hatte die EU-Kommission gerade ihren ersten
Vorschlag für einen Aussetzungsmechanismus in Bezug
auf die Visafreiheit vorgelegt. Inzwischen ist die politi-
sche Entscheidung auf der EU-Ebene leider längst gefal-
len. Dass heute eine Aktuelle Stunde dazu angesetzt
wurde, zeigt, dass es Ihnen – damit meine ich die CDU/
CSU, aber auch die Grünen – um etwas anderes geht.
Darauf komme ich etwas später noch einmal zu spre-
chen.

Ich muss sagen, dass man an rassistischer Hetze in
diesem Land mittlerweile einiges gewohnt ist. Mein Vor-
redner sprach von einer nötigen Willkommenskultur. Ich
möchte Sie bitten, eine solche Forderung einmal an Ih-
ren Bundesinnenminister Friedrich zu richten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie zum Beispiel im Fall des SPD-Mitglieds Sarrazin
muss erst die UNO diesem Land den Spiegel vorhalten,

was Rassismus ist. Aber das, was wir von Innenminister
Friedrich an Hetze gegen Roma vom Balkan gehört
haben, übertrifft wirklich alles. Roma werden von Ihnen
mit saloppen Sprüchen pauschal als Asyl- und Sozial-
hilfemissbraucher verleumdet. Sie leisten damit in
Deutschland einem Klima Vorschub, in dem ein lebens-
gefährlicher – tatsächlich lebensgefährlicher – Rassis-
mus möglich ist.

Um es ganz deutlich zu sagen: Auch ein Herr Bundes-
minister Friedrich ist ein Fall für den UN-Antirassismus-
Ausschuss.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Bundesinnenminister spannt auch noch das Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge mit einer bislang
beispiellosen Mobilmachung dafür ein, dass Asyl-
suchende aus Serbien und Mazedonien in einem zuletzt
nur siebentägigen Schnellverfahren abgelehnt wurden.
98 Prozent aller Asylablehnungen bei serbischen Flücht-
lingen im letzten Quartal des Jahres 2012 lauteten auf
„offensichtlich unbegründet“, und das trotz der erhebli-
chen Diskriminierung und auch Ausgrenzung von Roma
in Serbien. Das ist Ihnen offensichtlich gleichgültig.

Ich muss mutmaßen: Aber hat die Bundeskanzlerin
Angela Merkel wieder einmal gelogen, als sie im Okto-
ber 2012 bei der Enthüllung des Denkmals für die vom
Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma vorgab,
„wo auch immer und innerhalb welcher Staatsgrenzen
auch immer sie leben“, für die Rechte von Roma und
Sinti kämpfen zu wollen? Einerseits sagt sie das, ande-
rerseits schickt sie im Jahr 2012 ihren Innenminister los,
um gegen nicht einmal 12 000 Roma aus Serbien und
Mazedonien – die Hälfte von ihnen Kinder – zu hetzen.
Da fragt man sich: Warum nur?

Die Antwort kann nur sein: Die Bundesregierung will
ihren Wahlkampf auf dem Rücken der Migrantinnen und
Migranten austragen.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Quatsch!)


Das ist unerträglich. Die Linke ist gegen diese rassisti-
sche Hetze. Ich sage Ihnen, Herr Kollege: Sie werden
damit nicht durchkommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was aber die Fraktion der Grünen angeht, bin ich
nicht minder erschüttert. Ich finde es völlig daneben,
wenn Sie die Visapolitik


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sie sind völlig daneben!)


für außen- und innenpolitische Anliegen instrumentali-
sieren. Sie tun der Visafreiheit einen Bärendienst, wenn
Sie hier lauthals gegen Visaerleichterungen schreien und
brüllen. Was ist das nur für ein Signal, wenn Sie auf der
einen Seite gegen Visaerleichterungen sind und auf der
anderen Seite sagen, Sie sind für die Visafreiheit für die
Menschen aus dem Westbalkan!


(Beifall bei der LINKEN)






Sevim Dağdelen

(A) )


)(B)


(C (D Dabei fabulieren Sie auch noch pauschal von einem Repressionsapparat. Dass man eine Außenpolitik macht, indem sich gegenseitig potenzielle Menschenrechtsverletzer auf eine Einreiseverbotsliste setzen – wie derzeit die USA und Russland –, das kann doch kein Vorbild sein. Ich hoffte eigentlich, dass das auch kein Vorbild für die grüne Partei ist. Sie sollten endlich mit Ihren antirussischen Reflexen aufhören. Wir – um es klarzustellen – sind gegen eine Visaliberalisierung nur für Dienstpassinhaber. Wir fordern Reiseerleichterungen für alle. Ich denke, wir brauchen Visafreiheit für alle, und auf dem Weg dorthin brauchen wir auf jeden Fall Erleichterungen auf allen Ebenen. Deshalb bitte ich Sie, doch Ihre antirussischen Reflexe ad acta zu legen und dabei mitzumachen, Reisefreiheit für wirklich alle Menschen möglich zu machen. Sie sollten die Flüchtlinge nicht für Ihre konfliktverschärfende Außenpolitik instrumentalisieren. Das Wort hat nun Rita Pawelski für die Fraktion der CDU/CSU. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin, nach Ihrem Beitrag frage ich mich wirklich, ob wir im selben Land leben. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ja! Kommen Sie einmal in meinen Wahlkreis! Dann werden Sie sehen, was Ihre Hetzkampagne da anrichtet!)


(Beifall bei der LINKEN)


(Zurufe von der Linken: Genau!)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723514600

(Beifall des Abg. Hagen Reinhold [FDP])

Rita Pawelski (CDU):
Rede ID: ID1723514700

Es ist skandalös, wenn Sie in Ihrem Beitrag von Hetze
usw. sprechen. Es erschüttert mich direkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: So ein rassistisches Klima in diesem Land!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde, wie es
hier schon kritisiert wurde, die beiden Themen dieser
Aktuellen Stunde nicht vermischen, sondern konzen-
triere mich auf den Teil eins.

Frau Beck, Ihre Einschätzung der Lage in Russland
teile ich. Meine Sorgen spiegeln sich in Ihrem Beitrag
wider: die Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschafts-
wahl, die Durchsuchungen bei deutschen Stiftungen, die
unerhört harten Strafen gegenüber der Mädchen-Punk-
band, die Verschärfung des Demonstrationsgesetzes usw.
Da haben Sie sicher recht. Das alles zeigt: Russland kon-
trolliert aktive Bürger, kriminalisiert kritische Engage-

ments und stellt langjährige Partner unter Generalver-
dacht.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was macht Katar?)


Ich bin unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel da-
her sehr dankbar, dass sie auf der Hannover Messe sehr
klare und kritische Worte gegenüber Wladimir Putin ge-
funden hat und eine starke Zivilgesellschaft angemahnt
hat. Ich wäre sehr dankbar, wenn der ehemalige Bundes-
kanzler Gerhard Schröder, der ja ein Männerfreund von
Wladimir Putin ist, auch einmal sehr deutliche Worte
sprechen würde. Aber ich komme aus Hannover und lese
dort in den Zeitungen, wie sich die beiden herzen, wie
sie sich treffen, wie sie ein Bier oder einen Wein trinken.
Dazu gehört auch einmal ein deutliches Wort der Kritik.
Das vermisse ich sehr.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er ist aber kein Grüner!)


Ein kritischer Umgang und Dialog mit Russland ist
dringend notwendig. Wir wollen ein Russland, das durch
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Transparenz ge-
prägt ist. Darauf werden wir weiter intensiv hinwirken.

Aber Russland ist auch und vor allem für die deutsche
Wirtschaft ein sehr wichtiger Partner.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Und SaudiArabien!)


In Russland sind mittlerweile 6 300 deutsche Unterneh-
men mit Tochterfirmen und Repräsentanzen aktiv.
Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner Russ-
lands nach China. Vom Handel mit Russland hängen bei
uns 300 000 Arbeitsplätze ab. Ihre Reden sollten Sie ein-
mal vor den Firmen halten, die einen starken Export
nach Russland haben.

Darum: Statt auf Isolation müssen wir auf Koopera-
tion setzen. Hier spielt die Visafrage grundsätzlich eine
wichtige Rolle. Wir werden weiterhin für Erleichterun-
gen gegenüber Russland eintreten. Es ist deshalb auch
folgerichtig, dass sich Deutschland auf EU-Ebene kom-
promissbereit zeigt. Damit der Ball für den Abschluss
der Verhandlungen endlich wieder ins Rollen kommt,
müssen wir weiter verhandeln; denn ohne eine Zusage
würde es keine weiteren Erleichterungen für Journalis-
ten, Schüler, Studenten, Familien oder Geschäftsleute
geben; das ist klar.

Fest steht, dass Russland nun in der Pflicht ist. Die
Dienstpässe müssen biometrisch sein. Gleichzeitig ist
die Zahl der Personen, für die die Visafreiheit gelten soll,
strikt einzugrenzen. Das sind sehr wichtige Bedingungen
für uns. Gleichzeitig erwarten wir aber auch von Russ-
land Erleichterungen bei der Einreise von EU-Bürgern.
Ich denke hier beispielsweise an den Abbau von Regis-
trierungspflichten.

Meine Damen und Herren, es steht außer Frage, dass
Visaerleichterungen erforderlich sind. Sie helfen – das
wurde schon mehrmals gesagt –, die Zivilgesellschaft zu
stärken. Sie sind gut für die politischen Beziehungen,
und sie verbessern wirtschaftliche Kontakte. Eine Unter-





Rita Pawelski


(A) )


)(B)


(C (D suchung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ergab, dass Visa Investitionen hemmen, Wettbewerbsnachteile verursachen und Kosten hervorrufen. (Franz Thönnes [SPD]: Aber wer regiert denn?)


Ein Beispiel: Deutsche und Russen kosten die gegen-
seitigen Beantragungen von Visa jährlich geschätzte
162 Millionen Euro. Rechnet man die Bürokratiekosten
der Unternehmen, die Verluste durch geplatzte Geschäfte,
verhinderte Investitionen sowie Verwaltungskosten in
den Konsulaten und an den Grenzen hinzu,


(Franz Thönnes [SPD]: Sie haben die Kraft der Regierung! Nur Sie haben sie! Oder haben Sie nicht die Kraft?)


so kommt man ganz schnell auf mehrere Hundert Millio-
nen Euro. Da wundert es nicht, dass 80 Prozent der deut-
schen Unternehmen, die im Ost-Ausschuss organisiert
sind, eine Abschaffung der Visapflicht gegenüber Russ-
land befürworten. 56 Prozent der Unternehmen würden
im Falle vollkommener Visafreiheit mehr investieren.
Mehr Investitionen vor Ort, also in Russland, heißt, dort
neue Arbeitsplätze und neue Ausbildungsplätze zu
schaffen. Das wiederum fördert und stärkt die Zivilge-
sellschaft. Wir alle wollen doch in Russland die Zivilge-
sellschaft stärken.


(Franz Thönnes [SPD]: Dann setzen Sie es doch um! Warum setzen Sie es nicht um?)


Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in der Visa-
frage weiterhin mit kritischer Vernunft und viel Augen-
maß handeln – im Sinne der deutsch-russischen Partner-
schaft, aber vor allem im Sinne der Menschen in
Russland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723514800

Das Wort hat nun Hans-Werner Ehrenberg für die

FDP-Fraktion.


Hans-Werner Ehrenberg (FDP):
Rede ID: ID1723514900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist verschiedentlich angesprochen worden – ich kann
mich dem nur anschließen –: Hier werden unter dem
Oberbegriff „Visapolitik“ zwei völlig unterschiedliche
Situationen miteinander verknüpft. Das wirkt außer-
ordentlich befremdlich, und ich finde, das riecht nach
grünem Populismus.


(Widerspruch des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will deshalb zunächst einmal auf die Situation auf
dem Westbalkan eingehen. Die EU-Innenminister hatten
der Visafreiheit damals unter der Bedingung zuge-
stimmt, dass die neuen Einreisemöglichkeiten nicht für
unbegründete Asylanträge missbraucht würden. Seit ei-
nigen Monaten steht jedoch genau dieser Vorwurf im
Raum. Der Herr Staatssekretär hat vorhin Zahlen dazu

genannt. Ich möchte die einzelnen Anträge hier nicht be-
werten; das steht mir auch gar nicht zu. Ich glaube, das
ist Sache des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge, und dieses Bundesamt macht eine gute Arbeit.

Hier sind wir allerdings auch schon genau bei dem
Punkt, auf den ich aufmerksam machen möchte. Miss-
brauch von Asylanträgen ist zunächst einmal ein deut-
sches Verwaltungsproblem, kein politisches. Wenn nun
die EU-Kommission in Brüssel die Aufhebung der Vi-
sumfreiheit für eine bestimmte Zeit festlegen möchte
oder sollte, dann wird die Bundesregierung alles daran-
setzen – da bin ich mir sicher –, dass dies nur kurzzeitig,
also für eine Übergangszeit, und nur bei Überschreitung
bestimmter, strenger Kriterien der Fall ist.

Eine endgültige und allgemeine Aufhebung der Visa-
freiheit für den Westbalkan wäre eine viel zu harsche
Reaktion, die, nebenbei bemerkt, auch gar nicht den
Kern des Problems trifft; auch das ist hier verschiedent-
lich in der Debatte angesprochen worden. Die Länder
des Westbalkan müssen sich selbst darum kümmern, die
Lebensbedingungen ihrer Bürger zu verbessern, und da-
bei sollten wir sie unterstützen.

Nun zu dem zweiten Thema, das in dieser Aktuellen
Stunde angesprochen wird. Wir von der FDP sehen in
der Visafreiheit einen Hebel für Gedankenaustausch und
kulturellen Dialog.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


Natürlich sehen auch wir die innenpolitische Situation in
Russland sehr kritisch. Frau Merkel ist in diesem Zu-
sammenhang erwähnt worden. Auch unser Bundes-
außenminister Westerwelle hat klare Worte mit Vertre-
tern der russischen Regierung gesprochen, als es zum
Beispiel um unsere Stiftungen ging.

Wer sich aber jedem Dialog verweigert und bei jedem
aufkommenden Problem gleich reflexartig Abstrafung
fordert, der denkt einseitig. Gerade weil wir mit Russ-
land in vielen Dingen nicht einer Meinung sind, weil wir
wissen, dass Russland zum Teil willkürlich handelt,
müssen wir den Austausch fördern und den Dialog inten-
sivieren. Eine Visafreiheit stärkt genau jenen zivilgesell-
schaftlichen Dialog, den wir so dringend mit Russland
benötigen; denn sie käme vor allem der Zivilbevölke-
rung zugute.

Die EU verhandelt jetzt mit Russland über Visa-
erleichterungen – für Jugendgruppen, für NGOs, für die
Zivilgesellschaft. Ich kann Ihnen versichern, dass wir
exzellente, äußerst erfahrene Diplomaten haben, die es
nicht zulassen, dass am Ende des Tages womöglich frag-
würdige Personengruppen von der Ausgestaltung der Vi-
safreiheit für Dienstpassinhaber in Russland profitieren
werden. Wir respektieren unseren Partner Russland; aber
wir werden ihm auch nichts schenken, sondern sehr ge-
nau darauf achten, worauf wir uns hier einlassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von den
Grünen, Ihnen geht es – das muss ich Ihnen leider vor-
werfen – einzig und allein darum, jede Gelegenheit aus-





Hans-Werner Ehrenberg


(A) )


)(B)


(C (D zunutzen, um gegen Russland vorzugehen, weil das Ihre Klientel so von Ihnen verlangt. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist keine Außenpolitik, das ist Populismus in Wahl-
kampfzeiten. Wir von der FDP sind in beiden Fällen für
eine möglichst weitreichende Visapolitik; denn wir sind
der Überzeugung, dass bei einer Kosten-Nutzen-Rech-
nung der Nutzen der Freiheit immer überwiegt.

Schönen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723515000

Das Wort hat nun Memet Kilic für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723515100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege
Ehrenberg, Sie haben einiges von dem, was wir hier dis-
kutiert haben, nicht verstanden. Sie unterstellen uns,
dass wir im Titel der Aktuellen Stunde zwei unterschied-
liche Themen vermischen und in einen Topf werfen, die
nichts miteinander zu tun haben. Sie irren sich. Beim
Westbalkan geht es darum, bereits gewährte Visumfrei-
heiten nicht zurückzunehmen. Bei Russland geht es da-
rum, dass wir den russischen Staatsbürgerinnen und
Staatsbürgern Visumfreiheit einräumen wollen, und da-
rum, wie wir das gestalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der Zusammenhang; das sollten Sie sich merken.

Wir gehen nicht gegen die russischen Bürgerinnen
und Bürger, unsere Freundinnen und Freunde, vor, son-
dern legen den Finger auf die Wunde. Wenn es irgendwo
einen Repressionsapparat gibt, dann ist es die Pflicht von
Bündnis 90/Die Grünen, in aller Welt darauf hinzuwei-
sen. Das tun wir auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was ist denn mit den Golfstaaten? Warum machen Sie nicht einen Antrag zu Saudi-Arabien oder so was?)


– Liebe Frau Kollegin Dağdelen, da Sie sich gerade hier
melden, darf ich erwähnen: Auch Sie haben einiges
durcheinandergebracht. Sie haben uns beschimpft, weil
wir die Visumerleichterungen der Bundesregierung nicht
gutfinden. Gleichzeitig haben Sie selbst diese Visum-
erleichterungen kritisiert. Da müssen Sie sich bitte ent-
scheiden. Sie müssen Ihre Rede noch einmal lesen. Es ist
wirklich widersprüchlich.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Nein, nein! Da bringen Sie irgendetwas durcheinander! Wir sind für Visafreiheit! Sie sind gegen Erleichterungen!)


Ihre Haltung ist ein bisschen komisch. Lesen Sie Ihre
Rede noch einmal. Dann werden Sie merken, dass Sie ei-
niges durcheinandergebracht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Nein, nein! Ich habe nichts durcheinandergebracht! Sie machen falsche Aussagen!)


Als Jurist und Obmann im Petitionsausschuss erfahre
ich viel über die Praxis der Visavergabe. Viele Petitionen
zu Problemen in der Praxis werden eingereicht. Ebenso
landen viele Klagen in den Kanzleien und Gerichten.
Die Unzufriedenheit ist groß und kein Einzelfall. So-
wohl im In- als auch im Ausland beschweren sich sehr
viele Menschen darüber.

Nehmen wir als Beispiel die Visaregeln für Russland,
einem der wichtigsten Handelspartner von Deutschland.
Mit einem so wichtigen Handelspartner bedarf es eines
umfangreichen Reiseverkehrs und eines ausgezeichneten
Austauschs. Nicht nur wirtschaftlichen Austausch, son-
dern auch Austausch zwischen Schulen, Universitäten
und Vereinen sollte es geben. Doch leider scheitern viele
Begegnungen an der Visapflicht und der restriktiven
Vergabepraxis. In der Praxis gibt es viele Hürden: zum
Beispiel der große Umfang an geforderten Unterlagen,
die Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens bei den
Konsulaten, der hohe Zeit- und Kostenaufwand und die
lange Bearbeitungszeit. Allzu oft stellt sich heraus, dass
das ganze Engagement umsonst gewesen ist, weil man
am Ende nur eine Ablehnung erhält.

Die Bundesregierung hat vor einem Monat ein neues
Visaabkommen mit Russland verkündet. Viele haben
eine generelle Visafreiheit für russische Staatsbürger er-
wartet und wurden enttäuscht. Denn die Visafreiheit gilt
nur für Inhaber russischer Dienstpässe. Das sind – sage
und schreibe – etwa 15 000 Staatsbedienstete.


(Franz Thönnes [SPD]: Nichts vereinbart!)


Also erhalten vor allem die Leute Visafreiheit, die für
die Unterdrückung gegenüber der Zivilgesellschaft ver-
antwortlich sind. Möchte man damit genau diese Leute
für Ihre Unterdrückungspolitik in Russland auch gegen-
über ausländischen Stiftungen belohnen, liebe Freundin-
nen und Freunde?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum soll es keine Visafreiheit für die ganze Bevölke-
rung geben? Warum fürchtet man sich so sehr vor visa-
freiem Besuch aus Russland? Liebe Kolleginnen und
Kollegen, das ist ein falsches Signal an die russische Be-
völkerung.

Aufgrund zahlreicher Erfahrungen beurteile ich die
Visapolitik der Bundesregierung als sehr engstirnig und
nicht gerade tolerant. Wenn das Auswärtige Amt die Vi-
sitenkarte unseres Landes in der Welt ist, dann haben wir
zurzeit eine sehr abweisende Visitenkarte. Das muss sich
dringend ändern, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hagen Reinhold [FDP]: Das mit Bedacht und Schritt für Schritt!)


Am schlimmsten an dieser Debatte finde ich die Hal-
tung der Bundesregierung zur Einreise von Serben und
Mazedoniern.





Memet Kilic


(A) )


)(B)


(C (D Ich fasse es nicht, dass das Innenministerium diesen Ländern damit droht, die Visafreiheit für deren Staatsbürger wieder zu entziehen. Die Visumbefreiung war eine der wichtigsten Errungenschaften der vergangenen Jahre für den Westbalkan. Durch das freie Reisen kann die Identifikation mit Europa gestärkt werden und können Ideen von Pluralismus und Demokratie verbreitet werden. Das Innenministerium dagegen möchte sich vor den Roma aus Serbien abschotten. Die Lage der Roma in Serbien ist sehr schlecht. Die Drohung aus Deutschland, Serben die Visafreiheit zu entziehen, entfacht dort einen Hass auf die Roma. Dort werden die Roma als Bedrohung für die Reisefreiheit aller Serben gesehen. Das kann zu fatalen Folgen führen, die man nicht wiedergutmachen kann. Statt die Lebensbedingungen in den Heimatländern der Roma zu verbessern, wird dadurch genau das Gegenteil erreicht. Das ist schäbig, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Franz Thönnes [SPD])


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Nanu!)


In einer solchen Debatte dann auch noch von Asyl-
missbrauch und Asylflut zu sprechen und mit den Zahlen
gnadenlos zu übertreiben, ist wieder einmal typisch für
die Union. Das ist ausländerfeindliche Stimmungsmache
im Wahljahr. Das werden wir nicht tolerieren.

Die Roma müssen in ganz Europa geschützt werden.
Gerade Deutschland hat dabei eine historische Verant-
wortung. Ein Denkmal für die im Nationalsozialismus
ermordeten Roma zu errichten, anschließend aber für
eine ernste Bedrohung für die Roma in Serbien zu sor-
gen, ist ein riesiger Widerspruch und deshalb beschä-
mend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723515200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723515300

Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, den

Menschen aus Serbien und Mazedonien die Visafreiheit
nicht zu entziehen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723515400

Das Wort hat nun Karl-Georg Wellmann für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1723515500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die

Grünen am Montag diese Aktuelle Stunde beantragt ha-
ben, hat ihr Geschäftsführer Volker Beck eine Presse-
erklärung veröffentlicht, die so infam ist, dass ich kurz
darauf eingehen möchte. Herr Beck schreibt: Die Bun-

desregierung würde Menschen gegen die Roma aufsta-
cheln, der Innenminister selbst würde die Fluchtgründe
dieser Menschen schaffen,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unglaublich!)


die Bundesregierung würde Repressionsapparate unter-
stützen. – Das sprengt wirklich jeden Rahmen, selbst im
Wahlkampf, Frau Kollegin Beck.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Unverschämt!)


Besonders die Behauptung, wir würden die deutsche Be-
völkerung gegen die Roma aufstacheln und damit Hetze
gegen Ausländer betreiben, ist bodenlos. Sie verlassen
damit die gemeinsame Basis der Demokraten in diesem
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die haben Sie längst verlassen!)


Herr Beck schreibt noch: Die Visapolitik der Bundes-
regierung „nähert sich ihrem historischen Tiefpunkt an“.
Das Gegenteil ist richtig. Seit Dezember 2010 können
Menschen aus Serbien, Montenegro, Mazedonien, Alba-
nien und Bosnien-Herzegowina visafrei in die EU einrei-
sen. Daran hat die Bundesregierung im Rahmen der EU
aktiv mitgewirkt. Sie haben während Ihrer Regierungs-
zeit nichts dergleichen bewirkt, Frau Beck.

Auch für Osteuropa gilt, dass wir Grenzen überwin-
den müssen, statt neue Barrieren zu errichten. Das heu-
tige Visaregime ist für uns aus vielen Gründen selbst-
schädigend; einige Vorredner haben bereits darauf
hingewiesen. Aber mit Ihrem Gerede, man solle jetzt
wieder Visaeinschränkungen vornehmen, Frau Beck,
spielen Sie denen in die Hände, die die Europäische
Union nach außen abschotten wollen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Davon war überhaupt nicht die Rede! Drehen Sie mir nicht das Wort im Mund herum!)


Das ist rückwärtsgewandt wie vieles, was von den Grü-
nen jetzt kommt.


(Beifall des Abg. Hans-Werner Ehrenberg [FDP])


Die Menschen in West- und vor allem in Osteuropa
wollen eines: Sie wollen Arbeit und Wohlstand. Gerade
in Osteuropa haben sie einen Anspruch darauf, dass es
vorwärtsgeht. Dazu brauchen wir Handel und Wandel,
und das geht eben nicht mit einem strengen Visaregime.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Deswegen haben Sie es in der Hand, es abzuschaffen!)


– Sie sagen: So ist es. Aber Arbeitsplätze werden nicht
in Ihren esoterischen Parteizirkeln geschaffen, Frau
Beck, sondern draußen an der Front.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)






Karl-Georg Wellmann


(A) )


)(B)


(C (D Wir müssen den Unternehmen die Luft zum Atmen geben, damit sie diese Arbeitsplätze in West und vor allem in Ost schaffen können. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich sende Ihnen weiße Strahlen!)


Meine Damen und Herren, Frau Beck, ich habe keine
Angst vor Inhabern von Dienstpässen. Lassen wir sie
doch kommen, und argumentieren wir mit ihnen. Übri-
gens sind viele, die wir beide kennen, dabei, die viel für
ihr Land tun wollen und nach Europa wollen. Die wollen
wir nicht draußen halten.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow! Welche Leidenschaft!)


Es ist und bleibt richtig, dass wir vordemokratische Ge-
sellschaften weder mit einer penetranten Wertepädago-
gik noch durch Sanktionen und Verbote ändern.

Frau Beck, im Umgang mit dem Ausland ist mir bei
Ihnen zu viel Betroffenheitsrhetorik und zu wenig prak-
tische Außenpolitik im Spiel.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Alles esoterisch!)


Marieluise und Volker Beck, was wir wirklich nicht
brauchen, ist Ihre Oberlehrerattitüde, die sich fatal da-
nach anhört: An deutschem Wesen soll die Welt genesen.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus dieser muffigen Ecke sollten Sie möglichst schnell
rauskommen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das kann ich nur bestätigen!)


Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen ein schönes Wo-
chenende.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723515600

Letzter Redner in dieser Debatte und des heutigen Ta-

ges ist Kollege Helmut Brandt für die CDU/CSU-Frak-
tion.


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1723515700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren im Plenum, aber insbesondere auf
den Zuschauerrängen!


(Franz Thönnes [SPD]: Das Volk hat die Mehrheit!)


– „Das Volk hat die Mehrheit“, Herr Thönnes, Sie haben
recht, und das ist auch gut so.

Als Wladimir Putin im März des vergangenen Jahres
erneut zum Präsidenten gewählt wurde, haben sicherlich
viele von uns gehofft, dass er unter Beweis stellt, dass
die Einschätzung des früheren Bundeskanzlers Gerhard
Schröder – Herr Staatssekretär Schröder hat eben darauf
verzichtet, das auszuführen, aber ich kann es Ihnen nicht

ersparen –, er sei ein lupenreiner Demokrat, zutrifft.
Doch statt mehr Nachsicht und Toleranz wurden in kür-
zester Zeit gesetzgeberische und juristische Maßnahmen
ergriffen, die auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bür-
ger abzielen und kritisches Engagement bestrafen. So
weit, denke ich, sind wir alle einer Meinung.

Dennoch verwundert Ihr Antrag auf Begrenzung der
Visafreiheit, Frau Beck;


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! Das ist kein Antrag auf Begrenzung der Visafreiheit!)


denn im Grunde genommen steht er in Widerspruch zu
Ihrem Antrag vom 13. Juni 2012, in dem Sie die Libera-
lisierung der Visapolitik fordern.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Für Bürgerinnen und Bürger zuerst!)


Wenn Sie aber fordern, dass alle visafrei einreisen kön-
nen sollen, dann wären auch die von Ihnen nicht so sehr
Gewünschten mit dabei. Das ist ein Widerspruch in sich.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Das wäre eine andere Sache!)


Bei zwischenstaatlichen Beziehungen – Frau Beck,
das ist Ihnen von mehreren zu Recht gesagt worden;
auch Herrn Thönnes kann ich insofern nur beipflichten –
macht der Ton die Musik. Sie werden wohl nicht bestrei-
ten wollen, dass der Dialog zwischen Russland und der
EU hinsichtlich der weiteren Visapraxis von erheblicher
Bedeutung ist. Da stört schon die sonst nur bei den Lin-
ken gängige Formulierung „Repressionsapparat“. Das ist
kein Ansatz für eine sachliche Auseinandersetzung.

Eine Visafreiheit für Inhaber biometrischer Dienst-
pässe gibt es im Übrigen derzeit nicht; das wissen Sie.
Sie kann und sollte allenfalls nur als Zwischenschritt zu
der auch von Ihnen angestrebten Visumfreiheit ins Auge
gefasst werden. Ein solcher Zwischenschritt wäre aller-
dings nach unserer Auffassung dann nicht kritikwürdig.

Unstreitig sollte im Übrigen auch sein, dass bei den
weiteren Verhandlungen alles unternommen werden soll,
eine Angleichung bei Fragen gemeinsamer Wertvorstel-
lungen und rechtsstaatlicher Standards zu erreichen. Die
jetzigen Repressalien gegen die Konrad-Adenauer-Stif-
tung, gegen die Friedrich-Ebert-Stiftung und andere er-
füllen uns natürlich mit Sorge. Dennoch ist Russland für
Deutschland der wichtigste strategische Partner jenseits
der östlichen Grenzen der EU. Wir sind in vielen Berei-
chen aufeinander angewiesen: beim Klimaschutz, in
Energiefragen, in Fragen der gemeinsamen europäischen
Sicherheit, bei der Abrüstung oder bei der Lösung inter-
nationaler Konflikte wie beispielsweise mit dem Iran.
Teil dieser Partnerschaft mit Russland ist natürlich auch
die Erwartung von Respekt und einer fairen Behandlung
von Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisatio-
nen.

Wir als Koalition sind dafür, den Visadialog mit Russ-
land mit dem Ziel fortzuführen, zu Visumerleichterun-





Helmut Brandt


(A) )


)(B)

(D

von Frau Dağdelen genutzte Formulierung einer „Mobil-
machung“ des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge. Lassen Sie solche Formulierungen doch einfach
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will einmal die wirklichen Zahlen nennen. 2012
gab es immerhin – nur aus Serbien – 12 812 Asylbewer-
ber. Damit wird Ihre Behauptung, Frau Beck, und die Ih-
res Kollegen gleichen Namens Lügen gestraft, dass dies
alles angeblich nicht der Fall sei. Wir gehen vielmehr da-
von aus, dass die Zahl im Jahr 2013 noch weiter anstei-
gen wird.

Vor dem Hintergrund der Bedingungen, die diese
Menschen, die mit dem Wunsch nach einem besseren
Leben hierherkommen, in ihren Heimatländern vorfin-
den, ist der rasche Anstieg natürlich nicht verwunder-
lich. Aber ausgerechnet die sozialdemokratisch geführ-
ten Kommunen in meinem Heimatland Nordrhein-
Westfalen sind es gewesen, die nach Hilfe gerufen ha-
ben.


(Franz Thönnes [SPD]: Nach Hilfe!)


von Ihnen erzeugten Eindruck gibt es derzeit einen sol-
chen Antrag nicht. Das hat im Übrigen aber auch mit
Asylrecht überhaupt nichts zu tun. Die Kritik von Bünd-
nis 90/Die Grünen, dass mit einer solchen Regelung das
Recht auf Asyl diskreditiert würde, überzeugt schon des-
halb nicht, weil die Anerkennungsquote, wie mehrfach
gesagt, gleich null ist.

Sie hätten uns diese Aktuelle Stunde besser erspart.

Schönes Wochenende.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723515800

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 24. April 2013, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
heiteres Wochenende.