Protokoll:
17225

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 225

  • date_rangeDatum: 28. Februar 2013

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:41 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/225 zigen Wohnungswirtschaft entwickeln Inhaltsverzeichnis BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . (Drucksache 17/12481) . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Wohnungs- und Immo- bilienwirtschaft in Deutschland (Drucksache 17/11200) . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig machen – Für ein sozial gerechtes und klimafreundliches Miet- recht (Drucksachen 17/7983, 17/12472) . . . . . . 27895 C 27896 D 27899 D 27901 A 27902 A 27904 A 27905 C 27906 C 27907 D 27909 C 27910 C 27916 D 27917 A 27917 A Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 225. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Gabriele Hiller-Ohm . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 23 und 41 d Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhan- del (Hochfrequenzhandelsgesetz) (Drucksachen 17/11631, 17/11874, 17/12536) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt (Drucksache 17/12485) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktion der SPD: Bezahlbare Mieten in Deutschland (Drucksache 17/12486) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnungsnot be- kämpfen – Sozialen Wohnungsbau neu starten und zum Kern einer gemeinnüt- 27893 A 27893 B 27894 D 27894 D 27895 B 27916 D 27916 D Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27911 B 27912 C 27914 B 27917 B 27919 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Euro- päischen Union und ihren Mitgliedstaa- ten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (Drucksache 17/12354) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits (Drucksache 17/12355) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über Intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr und deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (Intelli- gente Verkehrssysteme Gesetz – IVSG) (Drucksache 17/12371) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Meeresforschung stärken – Potentiale ausschöpfen und Innovationen fördern (Drucksache 17/9745) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Freier Zugang zu öf- fentlich finanzierten Forschungsergeb- nissen (Drucksache 17/12300) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Franz Thönnes, Dr. Rolf Mützenich, Christoph Strässer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umfassende Modernisierung und Respektierung der Menschenrechte in Aserbaidschan unabdingbar machen (Drucksache 17/12467) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 42: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Kos- tenhilfe für Drittbetroffene in Verfah- ren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR-Kostenhil- fegesetz – EGMRKHG) (Drucksachen 17/11211, 17/12535) . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über konjunkturstatisti- sche Erhebungen in bestimmten Dienst- leistungsbereichen (Dienstleistungskon- junkturstatistikgesetz – DLKonjStatG) (Drucksachen 17/12014, 17/12510) . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala Lumpur vom 15. Oktober 2010 über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicher- heit (Drucksachen 17/12337, 17/12528) . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes (Drucksachen 17/12338, 17/12530) . . . . . e)–m) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 537, 538, 539, 540, 541, 542, 543, 544 und 545 zu Petitionen (Drucksachen 17/12401, 17/12402, 17/12403, 17/12404, 17/12405, 17/12406, 17/12407, 17/12408, 17/12409) . . . . . . . . 27921 A 27921 C 27922 B 27923 B 27925 A 27926 C 27928 B 27930 A 27932 A 27932 D 27934 C 27935 A 27936 B 27937 B 27938 D 27940 A 27940 A 27940 B 27940 B 27940 C 27940 C 27940 D 27941 A 27941 B 27941 D 27942 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 III Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Ein- hundertzweiundsechzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste – Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz – (Drucksachen 17/12001, 17/12114 Nr. 2.1, 17/12448) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Fortentwicklung des Melde- wesens (MeldFortG) (Drucksachen 17/7746, 17/10158, 17/10768, 17/12463) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Ge- schäftsanforderungen für Überweisun- gen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) (Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395, 17/11938 17/12464) . . . . . . . . c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Ur- teils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Drucksachen 17/11314, 17/11717, 17/11718, 17/11940, 17/11950, 17/12465) Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Position der Bundesregierung zur Einführung eines gesetzlichen Mindest- lohns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der EU-geführten militärischen Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Er- suchens der Regierung von Mali so- wie der Beschlüsse 2013/34/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012) und 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/12367, 17/12520) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12521) . . . . . . . . . . . . b) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationa- len Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung (AFISMA) auf Grundlage der Reso- lution 2085 (2012) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/12368, 17/12522) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12523) . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 27942 D 27943 A 27943 B 27943 B 27943 C 27943 C 27944 D 27945 D 27946 D 27948 A 27949 C 27950 C 27951 D 27953 B 27954 C 27955 C 27957 B 27958 C 27958 D 27958 D 27959 A 27959 B 27960 A 27961 B 27962 D 27964 B 27965 B 27966 A 27967 C 27968 A 27968 C 27969 D 27970 C IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Holzhandels-Siche- rungs-Gesetzes (Drucksachen 17/12033, 17/12400 Buchstabe a) Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes (Drucksache 17/12462) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Privatisierung der Wasserversor- gung durch die Hintertür (Drucksache 17/12394) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenhei- ten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung ver- hindern (Drucksache 17/12482) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Martin Schwanholz, Manfred Nink, Wolfgang Tiefensee, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzessions- vergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleistungs- konzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Drucksache 17/12519) . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Schwanholz (SPD) . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Nink (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Be- schleunigung der Rückholung radioak- tiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II (Drucksachen 17/11822, 17/12537) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II (Drucksachen 17/12298, 17/12537) . . . . . 27971 C 27974 C, 27976 D 27971 D 27972 A 27979 C 27972 B 27972 C 27984 B 27972 C 27972 D 27972 D 27973 A 27981 B 27983 D 27984 A 27984 B 27985 C 27985 D 27986 D 27987 D 27988 D 27989 D 27990 C, D 27993 C, 27995 B 27991 C 27991 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 V Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Raju Sharma, Jan Korte, Petra Pau, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staats- leistungen an Religionsgesellschaften (Staatsleistungsablösegesetz – StAblG) (Drucksache 17/8791) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie so- wie zur Änderung steuerlicher Vor- schriften (Amtshilferichtlinie-Umset- zungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) (Drucksachen 17/12375, 17/12532) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12533) . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk Becker, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Die Energiewende – Kosten für Verbrau- cherinnen, Verbraucher und Unterneh- men (Drucksachen 17/10366, 17/12246) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die euro- päische Energieeffizienzrichtlinie wirkungsvoll ausgestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Die Energiewende braucht Energieeffi- zienz – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Energie sparen, Kosten sen- ken, Klima schützen – Für eine am- bitionierte Effizienzstrategie der deutschen und europäischen Ener- gieversorgung (Drucksachen 17/8159, 17/8457, 17/7462, 17/10106) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 27991 D 27998 A 27999 A 27999 C 28000 C 28001 C 28003 A 28004 A 28005 B 28005 C 28006 D 28007 C 28008 C 28009 C 28010 B 28011 D 28012 A 28012 A 28013 D 28015 B 28017 A 28017 D 28018 C 28019 C 28021 A 28021 B 28021 C 28023 A 28024 A 28024 D 28025 D 28027 A 28027 D 28028 C 28029 C 28031 A 28031 C 28031 D 28033 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Ände- rung des Arzneimittelgesetzes (Drucksachen 17/11293, 17/11873, 17/12526) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ein effizientes Tierarzneimittelge- setz schaffen und die Antibiotikagaben in der Nutztierhaltung wirkungsvoll re- duzieren (Drucksachen 17/12385, 17/12526) . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Syste- matischen Antibiotikamissbrauch be- kämpfen – Tierhaltung umbauen (Drucksachen 17/9068, 17/10662) . . . . . . Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Ro- senheim), Petra Crone, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Kon- vention fördern (Drucksache 17/12399) . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tierge- sundheitsgesetz – TierGesG) (Drucksachen 17/12032, 17/12478) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Notfonds für tier- haltende Betriebe einrichten (Drucksachen 17/9580, 17/10663) . . . . . . Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Stüber, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neue Flusspolitik – Ein „Nationales Rahmenkonzept für naturnahe Flusslandschaften“ – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Sabine Stüber, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umfassendes Elbekonzept erstellen (Drucksachen 17/9192, 17/9160, 17/11063) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitä- terin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (Drucksachen 17/11689, 17/12524) . . . . . . . . 28034 A 28034 B 28034 C 28034 D 28036 A 28038 A 28038 B 28039 D 28041 A 28042 B 28044 C 28044 D 28046 A 28048 B 28049 B 28050 C 28051 C 28051 C 28051 D 28053 B 28054 C 28055 D 28056 D 28057 D 28059 B 28059 C 28061 A 28061 C 28062 C 28064 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 VII Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon- Taubadel, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusammen- arbeit mit China intensivieren – China- Kompetenzen in Deutschland ausbauen (Drucksache 17/11202) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatenge- setzes (Drucksachen 17/12059, 17/12498) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Ände- rung des Soldatengesetzes (Drucksachen 17/12353, 17/12498) . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlich- keitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) (Drucksachen 17/9666, 17/12525) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Karin Roth (Esslingen), Lothar Binding (Heidelberg), Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte indige- ner Völker stärken – ILO-Konvention 169 ratifizieren (Drucksachen 17/5915, 17/11209) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie ande- rer Vorschriften (Drucksachen 17/11818, 17/12527) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelge- setzbuches sowie anderer Vorschriften (Drucksachen 17/12299, 17/12527) . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Sport- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Struktur der Nationalen Anti Doping Agentur schaf- fen (Drucksachen 17/11320, 17/12237) . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und an- derer Gesetze (Unterhaltsvorschuss- entbürokratisierungsgesetz) (Drucksachen 17/8802, 17/12488) . . . – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Unterhaltsvorschuss- recht (Drucksachen 17/2584, 17/12488) . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Al- leinerziehende entlasten – Unterhalts- vorschuss ausbauen (Drucksachen 17/11142, 17/12488) . . . . . 28064 C 28064 D 28064 D 28065 A 28065 C 28065 D 28065 D 28066 A 28067 A 28068 B 28069 A 28069 D 28070 D 28071 A 28071 D 28073 B 28074 C 28075 B 28076 A 28077 A 28077 B 28077 B VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomatische Ver- handlungslösung für den Konflikt för- dern (Drucksachen 17/11697, 17/12243) . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Syrische Flüchtlinge nicht im Stich las- sen (Drucksache 17/12496) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Joachim Hörster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/12046, 17/12302, 17/12529) Cajus Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Dr. Konstantin von Notz, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des assoziations- rechtlichen Rechtsstatus Staatsangehöri- ger der Türkei im Aufenthalts-, Beschäfti- gungserlaubnis- und Beamtenrecht (Drucksache 17/12193) . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung: Änderung der Geschäfts- ordnung des Deutschen Bundestages hier: Änderung der Geheimschutzord- nung (Anlage 3 der Geschäftsordnung) im Zusammenhang mit geheimhaltungsbe- dürftigen Belangen in parlamentarischen Anfragen (Drucksache 17/12287) . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Fraktion der SPD: UN-Menschen- rechtsrat nutzen und von Sri Lanka Recht- staatlichkeit, Einhaltung der Menschen- rechte und Versöhnungsprozess fordern (Drucksache 17/12466) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28077 C 28078 B 28079 D 28080 D 28081 C 28082 B 28083 C 28083 C 28083 D 28084 C 28086 A 28087 A 28088 A 28089 B 28090 C 28090 C 28092 A 28093 A 28094 A 28095 A 28096 B 28096 C 28098 B 28099 A 28099 C 28101 B 28102 B 28102 C 28103 B 28104 A 28105 B 28106 B 28106 D 28107 A 28108 C 28110 B 28110 D 28111 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 IX Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- kung des Verbraucherschutzes im notariel- len Beurkundungsverfahren (Drucksache 17/12035) . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auskunftspflicht von Bundesbehörden ge- genüber der Presse (Presseauskunftsgesetz) (Drucksache 17/12484) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Drucksache 17/12356) . . . . . . . . . . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr (Drucksache 17/12437) . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Erdel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Geset- zes zur Änderung des Filmförderungsge- setzes (Drucksache 17/12370) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Energetische Quar- tierssanierung sozialgerecht voranbringen (Drucksache 17/11205) . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: a) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen sichern – Korruptives Verhalten effektiv bekämpfen (Drucksache 17/12451) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bestechung und Bestechlich- keit im Gesundheitswesen unter Strafe stellen (Drucksache 17/12213) . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28112 D 28113 A 28114 C 28115 D 28116 D 28117 C 28118 B 28118 C 28118 D 28119 C 28120 B 28121 A 28122 B 28123 C 28124 C 28124 C 28126 A 28126 C 28127 B 28128 B 28129 B 28129 C 28131 A 28132 B 28133 D 28134 D 28135 D 28137 B 28137 C 28138 D 28139 D 28140 C 28141 B 28142 A 28143 A 28143 A 28143 A 28145 B 28146 C 28147 A 28147 D X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Tagesordnungspunkt 35: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gunkel, Heinz-Joachim Barchmann, Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Übermittlung von Fluggastdaten nur nach europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EUZBBG zum Richtlinienvor- schlag KOM(2011) 32 endg. – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten – Richtlinienvor- schlag über die Verwendung von Flug- gastdatensätzen (KOM(2011) 32 endg.; Ratsdok. 6007/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EUZBBG (Drucksachen 17/6293, 17/5490, 17/12473) Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgre- miums teilgenommen haben (Tagesordnungs- punkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/CSU) zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überwei- sungen und Lastschriften in Euro und zur Än- derung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) (Zusatztagesordnungs- punkt 4 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/CSU) zur Beschlussempfeh- lung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Zusatztagesordnungspunkt 4 c) . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteili- gung an der EU-geführten militärischen Aus- bildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der Regierung von Mali sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbin- dung mit den Resolutionen 2071 (2012) und 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentli- chen Abstimmungen: – Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Entsendung bewaffneter deutscher Streit- kräfte zur Beteiligung an der EU-geführ- ten militärischen Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der Regierung von Mali sowie der Be- schlüsse 2013/34/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbin- dung mit den Resolutionen 2071 (2012) und 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Entsendung bewaffneter deutscher Streit- kräfte zur Unterstützung der Internationa- len Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung (AFISMA) auf Grundlage der Resolution 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28148 C 28148 D 28150 B 28151 A 28152 B 28153 C 28155 C 28157 A 28158 A 28160 A 28160 C 28161 A 28161 B 28161 C 28162 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 XI Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Beate Müller- Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Entsen- dung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Unterstüt- zungsmission in Mali unter afrikanischer Füh- rung (AFISMA) auf Grundlage der Resolu- tion 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 b) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Entsendung bewaffneter deut- scher Streitkräfte zur Unterstützung der Inter- nationalen Unterstützungsmission in Mali un- ter afrikanischer Führung (AFISMA) auf Grundlage der Resolution 2085 (2012) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- ordnungspunkt 5 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Holz- handels-Sicherungs-Gesetzes (Zusatztages- ordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rainer Erdel und Horst Meierhofer (beide FDP): – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Was- serversorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Ab- satz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Was- ser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzes- sionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatzta- gesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Stephan Thomae und Marina Schuster (alle FDP): – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Was- serversorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Ab- satz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Was- ser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzes- sionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatzta- gesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Cajus Caesar und Dr. Norbert Röttgen (alle CDU/CSU): 28163 C 28164 C 28165 B 28166 A 28166 C XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Was- serversorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Ab- satz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Was- ser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzes- sionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatzta- gesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Norbert Barthle, Ernst-Reinhard Beck (Reut- lingen), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, Helmut Brandt, Heike Brehmer, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Dr. Maria Flachsbarth, Alexander Funk, Dr. Thomas Gebhart, Peter Götz, Reinhard Grindel, Michael Grosse-Brömer, Anette Hübinger, Andreas Jung (Konstanz), Hans-Werner Kammer, Steffen Kampeter, Bernhard Kaster, Volkmar Klein, Jens Koeppen, Rüdiger Kruse, Maria Michalk, Michaela Noll, Rita Pawelski, Ulrich Petzold, Sibylle Pfeiffer, Beatrix Philipp, Anita Schäfer (Saalstadt), Nadine Schön (St. Wendel), Karl Schiewerling, Patrick Schnieder, Bernhard Schulte-Drüggelte, Carola Stauche, Erika Steinbach,Volkmar Vogel (Kleinsaara) und Sabine Weiss (Wesel I) (alle CDU(CSU) – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Was- serversorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Ab- satz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Was- ser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzes- sionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatzta- gesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Reinhard Brandl, Herbert Frankenhauser, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Michael Frieser, Florian Hahn. Gerda Hasselfeldt, Karl Holmeier, Alois Karl, Hartmut Koschyk, Ulrich Lange, Paul Lehrieder, Stephan Mayer (Altötting), Stefan Müller (Erlangen), Franz Obermeier, Eduard Oswald, Albert Rupprecht (Weiden), Dr. Andreas Scheuer, Johannes Singhammer, Stephan Stracke, Dr. Hans-Peter Uhl, Dagmar G. Wöhrl und Wolfgang Zöller (alle CDU/CSU) – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Was- serversorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Ab- satz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Was- ser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern 28167 A 28168 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 XIII – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzes- sionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatzta- gesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Erklärungen nach § 31 GO – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Was- serversorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Ab- satz 4 des Gesetzes über die Zusam- menarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union – Was- ser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates über die Konzes- sionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versor- gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleis- tungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatzta- gesordnungspunkt 7) Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . Anlage 16 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Michael Paul (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II (Tagesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . Anlage 17 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gisela Piltz, Christine Aschenberg-Dugnus, Florian Bernschneider, Sebastian Blumenthal, Nicole Bracht-Bendt, Ernst Burgbacher, Marco Buschmann, Bijan Djir-Sarai, Rainer Erdel, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Manuel Höferlin, Michael Kauch, Sebastian Körber, Sibylle Laurischk, Oliver Luksic, Horst Meinerhofer, Patrick Meinhardt, Petra Müller, Burkhard Müller- Sönksen, Dirk Niebel, Jörg von Polheim, Dr. Birgit Reinemund, Dr. Peter Röhlinger, Björn Sänger, Christoph Schnurr, Jimmy Schulz, Marina Schuster, Dr. Hermann-Otto Solms, Joachim Spatz, Manfred Todtenhausen, Serkan Tören, Johannes Vogel, Dr. Claudia Winterstein (alle FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Keine Vorratsdatenspeicherung von Fluggast- daten – Richtlinienvorschlag über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (KOM(2011) 32 endg.; Ratsdok. 6007/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i.V.m. § 9 Absatz 4 EUZBBG (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesellschaften (Staatsleistungs- ablösegesetz – StAblG) (Tagesordnungs- punkt 7) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28169 A 28170 B 28171 A 28171 C 28172 A 28172 C 28172 D 28173 B 28173 C 28174 B 28175 A 28176 A 28176 D 28178 A XIV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Neue Flusspolitik – Ein „Nationales Rah- menkonzept für naturnahe Flusslandschaf- ten“ – Umfassendes Elbekonzept erstellen (Tagesordnungspunkt 15) Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitä- ters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 16) Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden Beratung des Antrags: Zusammenarbeit mit China intensi- vieren – China-Kompetenzen in Deutschland ausbauen (Tagesordnungspunkt 17) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johannes Pflug (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes – Entwurf der Bundesregierung eines Fünf- zehntes Gesetz zur Änderung des Solda- tengesetzes (Tagesordnungspunkt 18) Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Rechte indigener Völker stärken – ILO-Konvention 169 ratifizieren (Tagesord- nungspunkt 20) Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Verein- heitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) (Zusatztagesordnungspunkt 8) Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Auskunfts- pflicht von Bundesbehörden gegenüber der Presse (Presseauskunftsgesetz) (Zusatztages- ordnungspunkt 9) 28178 D 28180 B 28182 A 28183 B 28184 A 28185 D 28187 A 28187 D 28188 B 28189 A 28190 A 28190 D 28191 D 28192 C 28193 B 28194 B 28194 D 28195 D 28196 D 28197 C 28198 B 28199 A 28201 A 28202 B 28202 D 28203 D 28204 D 28206 B 28207 C 28208 B 28208 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 XV Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . Jimmy Schulz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28209 B 28210 D 28212 A 28212 C 28213 A 28213 D 28215 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 27893 (A) (C) (D)(B) 225. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28157 (A) (C) (D)(B) Anlagen Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 28.02.2013 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 28.02.2013 Lange (Backnang), Christian SPD 28.02.2013 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 28.02.2013 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 28.02.2013 Behrens, Herbert DIE LINKE 28.02.2013 Brunkhorst, Angelika FDP 28.02.2013 Burchardt, Ulla SPD 28.02.2013 Canel, Sylvia FDP 28.02.2013 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 28.02.2013 Gabriel, Sigmar SPD 28.02.2013 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 28.02.2013 Gottschalck, Ulrike SPD 28.02.2013 Gruß, Miriam FDP 28.02.2013 Hardt, Jürgen CDU/CSU 28.02.2013 Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Hofmann (Volkach), Frank SPD 28.02.2013 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Kilic, Memet BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Klamt, Ewa CDU/CSU 28.02.2013 Korte, Jan DIE LINKE 28.02.2013 Krestel, Holger FDP 28.02.2013 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Dr. von der Leyen, Ursula CDU/CSU 28.02.2013 Liebich, Stefan DIE LINKE 28.02.2013 Dr. Lotter, Erwin FDP 28.02.2013 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 28.02.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 28.02.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 28.02.2013 Müller (Aachen), Petra FDP 28.02.2013 Nahles, Andrea SPD 28.02.2013 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 28.02.2013 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 28.02.2013 Rawert, Mechthild SPD 28.02.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 28.02.2013 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 28.02.2013 Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28.02.2013 Schreiner, Ottmar SPD 28.02.2013 Schulz, Jimmy FDP 28.02.2013 Staffeldt, Torsten FDP 28.02.2013 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 28.02.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 28158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kon- trollgremiums teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 6) CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Hermann Gröhe Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28159 (A) (C) (D)(B) Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christine Aschenberg- Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane Ratjen- Damerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Dorothée Menzner Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair 28160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Begleitgesetz empfehlung die künftige Besteuerung des Streubesitzes vor. Der Vorschlag sieht zunächst nur eine Besteuerung Die Bundesregierung wird weiter das Ziel verfolgen, die Risikotragfähigkeit und Stabilität der Lebensversiche- rer zu erhalten und weiter zu stärken, damit die Ver- pflichtungen gegenüber den Versicherten dauerhaft er- füllbar bleiben. Die anhaltend niedrigen Zinsen haben auf Dauer er- hebliche Auswirkungen auf Lebensversicherungsunter- nehmen, die langlaufende Garantien abgeben. Die Le- bensversicherer müssen verstärkt Vorsorge betreiben, um Zinsgarantien auch künftig bedienen zu können. Die Bundesregierung hält es für geboten, die aufsichtsrecht- lichen Rahmenbedingungen der Versicherer an die besonderen Bedingungen eines Niedrigzinsumfelds an- zupassen. Sie wird daher die gesetzgeberischen Hand- lungsmöglichkeiten auf nationaler und europäischer Ebene im Zusammenhang umfassend prüfen und unter Berücksichtigung bereits laufender Initiativen wie dem Vorhaben Solvency II der Europäischen Kommission Vorschläge unterbreiten. von Dividendenerträgen und keine Besteuerung von Ver- äußerungsgewinnen vor. Durch die Erstattung der einbe- haltenen Kapitalertragsteuer für die Vergangenheit und die Besteuerung von Streubesitzdividenden für die Zu- kunft wird als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 20.10.2011 in der Rs. C-284/09 ein unionsrechtskonfor- mer Zustand hergestellt. Dabei sieht der Vermittlungs- ausschuss, dass mit der unterschiedlichen Besteuerung von Dividendenerträgen und Veräußerungsgewinnen die bisherige Systematik der Besteuerung von Beteiligungs- erträgen verlassen wird. Die Folgen sollten daher im Hinblick auf das Gestaltungspotenzial sorgfältig be- obachtet werden. Die Bundesregierung wird im Zusam- menhang mit der grundlegenden Reform der Investment- besteuerung die künftige steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz erneut ergebnis- offen aufgreifen und die notwendigen Folgerungen zie- hen. Dabei soll vor allem für den Bereich der Business Angels und Start-ups nach Lösungen für besondere Be- Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Arfst Wagner (Schleswig) Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/ CSU) zur Beschlussempfehlung des Vermitt- lungsausschusses zum Gesetz zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festle- gung der technischen Vorschriften und der Ge- schäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleit- gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 4 b) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie- ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 26. Februar 2013 mache ich darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Protokollerklärung der Bundesregierung zum SEPA- Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/ CSU) zur Beschlussempfehlung des Vermitt- lungsausschusses zum Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Zusatztagesordnungs- punkt 4 c) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie- ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 26. Februar 2013 mache ich darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Protokollerklärung der Bundesregierung zu einer künftigen Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz Der Vermittlungsausschuss schlägt in seiner Beschluss- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28161 (A) (C) (D)(B) lastungseffekte für den Fall gesucht werden, dass sich der Investor von seinem Engagement trennt. Anlage 5 Erklärung der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Entsendung bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der EU-geführten militärischen Ausbildungs- mission EUTM Mali auf Grundlage des Ersu- chens der Regierung von Mali sowie der Be- schlüsse 2013/34/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012) und 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 a) Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum lautet Nein. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen: – Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Ent- sendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der EU-geführten militä- rischen Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der Regierung von Mali sowie der Beschlüsse 2013/34/ GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Fe- bruar 2013 in Verbindung mit den Resolu- tionen 2071 (2012) und 2085 (2012) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen – Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Ent- sendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Un- terstützungsmission in Mali unter afrikani- scher Führung (AFISMA) auf Grundlage der Resolution 2085 (2012) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkte 5 a und b) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Den oben genannten Anträgen der Bundesregierung stimme ich, trotz meiner grundsätzlich ablehnenden Position den Auslandseinsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten betreffend, zu. Meine Zustimmung zu den Anträgen ist daran gebunden, dass ein Kampfeinsatz deutscher Solda- tinnen und Soldaten im Kriegsgebiet Mali ausgeschlossen ist und bleibt. Unter den Prämissen der Versorgungshilfe- stellung ohne Kampfeinsatz und des Ausbildungscharak- ters im Rahmen der Partnerschaft innerhalb der Verein- ten Nationen sowie der europäischen Partnerschaft stimme ich den Anträgen zu. Dennoch bleibe ich bei meiner Auffassung, dass nur politische Verhandlungen und diplomatische Lösungen und keine Militäreinsätze zu einer anhaltenden Befrie- dung führen. Frank Schäffler (FDP): Ich verstehe diejenigen, die sich aus ehrenwerten Motiven für ein internationales mi- litärisches Eingreifen in Mali ausgesprochen haben. Ich verstehe die Verzweiflung vieler Menschen in der Re- gion angesichts der Entwicklungen in Mali in der letzten Zeit. Doch der Entsendung bewaffneter deutscher Streit- kräfte stimme ich nicht zu. Meine Ablehnung bezieht sich sowohl auf die Unterstützung der Internationalen Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Füh- rung, AFISMA, als auch auf die Beteiligung an der EU- geführten militärischen Ausbildungsmission European Training Mission Mali, EUTM MALI. Ich habe es mir nicht leicht gemacht. Ich weiß, dass es niemandem leichtfällt, sich hierüber eine Meinung zu bilden. Aber für mich ist klar: In der Abwägung der Argumente bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns mit deut- schen Soldaten an einem solchen Kampfeinsatz in Mali nicht beteiligen sollten. Der Konflikt in Mali ist nicht neu. Sein erneutes Auf- flammen deutet auf die tiefer liegenden historischen Ursachen hin. Diese Ursachen können nicht durch eine zweifellos gut gemeinte militärische Intervention besei- tigt werden. Im Gegenteil hat die jüngste militärische Intervention in Libyen das Gewaltpotenzial der Region erneut entzündet. Es ist an der Zeit, die Interventions- spirale der Gewalt zu durchbrechen. Seine Wurzeln hat der Konflikt in der Staatsentste- hung Malis. Mali ist – mit Zwischenstationen – aus Französisch-Sudan entstanden. Als Mali seine Unabhän- gigkeit erlangte, übernahm es überwiegend seine am Reißbrett gezogenen Außengrenzen aus der Kolonial- zeit. Frankreich hatte die Verwaltung seiner Kolonialge- biete mehrfach neu aufgeteilt. Seit 1920 hatte Franzö- sisch-Sudan die Grenzen des heutigen Mali. Frankreich richtete sich bei der Grenzziehung nach militärischen und verwaltungspraktischen Überlegungen und nahm keine Rücksicht auf die gewachsenen ethnischen Struk- turen des malischen Gebiets. Mali ist daher heute ein Vielvölkerstaat 30 verschiedener Ethnien, darunter auch das Nomadenvolk der Tuareg. Deren Siedlungs- und Stammesgebiet umfasst Teile von Mali, Niger, Algerien, Libyen und Burkina Faso. Die Tuareg leisteten bereits im 19. Jahrhundert Widerstand gegen die Expansion der Kolonialmacht Frankreich. Sie revoltierten auch von 1990 bis 1995 gegen Unterdrückung und Ausgrenzung durch die jeweiligen Regierungen. Die eigenen Autono- mie- und Unabhängigkeitsbestrebungen kulminierten in der Proklamation dreier Regionen im Nordteil Malis als unabhängigem Staat Azawad am 6. April 2012. Die Mis- sion in Mali dient – unter anderem – dazu, die „Regie- rung [Malis] zur effektiven Kontrolle über das gesamte Land zu befähigen“, „die effektive Kontrolle des Staates Mali über sein gesamtes Hoheitsgebiet wiederherzustel- 28162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) len“ und „die Einheit und territoriale Unversehrtheit Ma- lis zu wahren“. Diese Ziele kann ich vor dem Hinter- grund der Natur und historischen Tiefe des Konflikts nicht teilen. In erster Linie haben wir es hier mit einem Bürgerkrieg zu tun. Es ist nicht richtig, sich auf die eine Seite der Konfliktparteien zu stellen und dieser militä- risch beizustehen, um dann „die malische Regierung bei der Aufnahme eines Dialogs mit den Bevölkerungsgrup- pen des Nordens [zu] unterstützen.“ Wie ausgewogen kann ein politischer Dialog sein, wenn man dem einen Dialogpartner zuvor zu einem militärischen Sieg verhol- fen hat? Ich verkenne nicht die furchtbare humanitäre Lage in Mali, die Menschenrechtsverletzungen und Gewalthand- lungen gegen Zivilpersonen. Krieg ist eine schreckliche und leidvolle Angelegenheit, ein Bürgerkrieg nicht we- niger. Beendet wird ein Bürgerkrieg jedoch nicht, indem man den früheren Zustand militärisch wiederherstellt, sondern indem man die Anliegen beider Parteien ernst nimmt. Besser wäre es, erst Abstimmungen im nördli- chen Teil „Azawad“ herbeizuführen, um herauszufinden, ob die Bevölkerung mehrheitlich Teil Malis bleiben möchte. Denn „wenn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhängenden Landstrichen, durch un- beeinflusst vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, dass sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich an- gehören, sondern einen selbständigen Staat bilden wol- len oder einem anderen Staate zugehören wollen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern […] Wenn es irgend möglich wäre, jedem einzelnen Menschen dieses Selbst- bestimmungsrecht einzuräumen, so müßte es gesche- hen.“ (Ludwig von Mises, Liberalismus, Jena 1927, S. 96). Eine militärische Intervention zur Wahrung des Status quo hätte darüber hinaus Folgen, die wir heute nicht ab- sehen können. Ich muss deswegen darum bitten und darf daran erinnern, dass wir die Lehren aus der jüngeren Ge- schichte, auch aus jüngeren Militäreinsätzen, immer mit- berücksichtigen müssen, wenn wir heute vor Entschei- dungen stehen. Auslöser des aktuellen Konflikts war die militärische Intervention in Libyen. Ungewollter Neben- effekt dieser Intervention der Staatengemeinschaft – an der Deutschland aus guten Gründen und mit Recht nicht teilgenommen hat – war die Bewaffnung derjenigen, die sich heute gegen die malische Zentralregierung aufleh- nen. Der Norden Malis wurde eingenommen durch er- fahrene Kämpfer, die mit schweren Waffen aus Gaddafis umfangreichem Waffenlager ausgerüstet waren. Zusätz- lich sind Teile der malischen Armee desertiert, die schon früher von amerikanischen Ausbildern trainiert worden waren. Sie haben ihre Ausrüstung und Fähigkeiten mit- genommen und kämpfen nun auf der anderen Seite. Un- ter diesen Ausgebildeten befinden sich sogar Tuareg-Ge- neräle. Absehbar waren diese Folgen nicht. Wenn wir nun in Mali erneut Truppen trainieren und militärisch in- tervenieren, um den Nachwehen der vorigen Interven- tion zu begegnen, so muss man sich schon heute fragen, welche Konsequenzen dieser erneute Eingriff haben wird. Werden wir nächstes Jahr erneut Beschlüsse über eine militärische Intervention fassen müssen, mit denen wir versuchen, die Folgen unseres heutigen Tuns zu be- herrschen? Alles, was wir erreichen werden, ist, dass wir uns neue Feinde schaffen. Endlich bewerkstelligen wir den Abzug aus Afghanistan, wo unsinnigerweise „Deutschland am Hindukusch verteidigt“ wurde. Angeb- liche Brutstätten für Terroristen hat die Staatengemein- schaft seit Afghanistan im Jemen, in Somalia und an- derswo bekämpft. Einen Erfolg dieser militärischen Interventionspolitik kann ich nicht erkennen. Ich erwarte auch keinen Erfolg, wenn wir Deutschland nun in Tim- buktu verteidigen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Den Antrag der Bundesregierung, Bundes- wehrsoldaten zur Ausbildung und Beratung der dortigen Armee nach Mali zu entsenden, lehne ich ab und stimme mit Nein. Es ist nicht zu verantworten, einer Armee Ausbil- dungshilfe zu leisten, die gegen ihre legitime Regierung gemeutert, den Regierungschef durch einen Putsch ge- stürzt und verjagt hatte. Bis vor kurzer Zeit war das auch die Auffassung der Bundesregierung und ebenso der internationalen Gemeinschaft. Auch Deutschland hatte im März 2012 die langjährige Ausbildung der malischen Armee abgebrochen, weil Soldaten gegen Präsident Touré geputscht hatten. Hilfen für die Regierung Malis wurden ebenfalls eingestellt. Jetzt, ein knappes Jahr später, soll dieselbe Armee mit den Putschisten unter Hauptmann Sanago ausgebildet werden, obwohl inzwischen noch viel mehr gegen diese Unterstützung spricht. Das malische Militär ist mehr Teil des Problems als Teil der Lösung. Noch vor wenigen Ta- gen haben sich Soldaten dieser malischen Armee in ei- nem Lager in der Nähe von Bamako gegenseitig be- schossen. Malische Soldaten sollen außerdem im Januar an mehreren Dutzend Hinrichtungen und Racheakten an der Zivilbevölkerung im Norden beteiligt gewesen sein, wie die Internationale Vereinigung für Menschenrechte berichtete. Vorher waren Soldaten dieser Armee zu Tau- senden zu den zunächst erfolgreichen Islamisten im Nor- den übergelaufen. Die Elitesoldaten, die letzte Woche offenbar Anhänger der gestürzten Regierung in der Ar- mee angegriffen haben, werden den Putschisten zuge- rechnet. Sie haben weiterhin viel Einfluss innerhalb der Übergangsregierung und des Sicherheitsapparats. Ihr Hauptmann Sanago war angeblich Koordinator der auf- zubauenden Armee und könnte es wieder werden. Diese desolate und in sich verfeindete Armee soll nun von der Bundeswehr ausgebildet werden. Diese ist es, der beigebracht werden soll – so Minister de Maizière im Bundestag –, „was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte leisten können“. Er sagt nicht, warum derselben Armee in der jahrelangen Ausbildung durch die Bundeswehr zuvor nicht das alles schon beigebracht worden ist. Es wird auch nicht gesagt, was diesmal anders und besser gemacht werden kann, ja nicht einmal, welche Streit- kräfte und welche Teile der Armee überhaupt ausgebil- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28163 (A) (C) (D)(B) det werden sollen; Teile der „alten“ Armee oder erst neu zu rekrutierende Soldaten. In dieser unübersichtlichen Lage und mit diesem ungeklärten Auftrag kann man doch nicht einfach Soldaten der Bundeswehr schon in zwei Wochen nach Mali schicken. Hinzu kommt, dass die schwache und beinahe hand- lungsunfähige Übergangsregierung es bisher nicht ge- schafft hat, Verhandlungen mit den verschiedenen Akteu- ren im Norden oder einen politischen Prozess wirklich voranzutreiben, Einer Ausbildungsmission, bei der vorab nicht ein- deutig geklärt ist, wer ausgebildet wird und ob damit nicht Verantwortliche für Gewalttaten und Übergriffe unterstützt werden, kann ich nicht zustimmen. Auch den Antrag der Bundesregierung zur Entsen- dung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstüt- zung der Internationalen Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung – AFISMA – halte ich nicht für zustimmungsfähig. Ich stimme mit Enthaltung. Unterstützung der ECOWAS-Truppen halte ich grundsätzlich für richtig. Die Probleme in Afrika sollten möglichst von Afrikanern und der afrikanischen Staaten- gemeinschaft gelöst werden. Dabei können wir helfen. Aber das Mandat für die Bundeswehr sieht auch den Einsatz von Transport- und Tankflugzeugen zur Unter- stützung der französischen Interventionstruppen vor. Die Bundeswehr soll durch Betankung in der Luft also insbe- sondere auch Bombardierungen durch französische Mili- tärflugzeuge direkt unterstützen. Bis heute ist nicht bekannt, welche Ziele die französi- sche Luftwaffe in den letzten Wochen bombardiert hat und wie groß die Zahl der Opfer dieser Einsätze gerade auch in der Zivilbevölkerung war. Ebenso unbekannt sind die Ziele der Bombardierungen in Zukunft. Die Bundesregierung hat dazu auf mehrfache Fragen von mir immer wieder und noch gestern erklärt, das wisse sie auch nicht. Diese Kriegführung sei allein Sache der fran- zösischen Streitkräfte. Nach Meldungen der Gesellschaft für bedrohte Völ- ker sollen im Januar mehrere Zehntausend Zivilpersonen aus dem Volk der Tuareg aus der Stadt Kidal im Norden geflüchtet sein aus Angst vor Luftangriffen der Franzo- sen. Mitte Februar sollen circa 6000 Tuareg-Zivilisten aus dem Bergmassiv Adrar des Ifoghas im Nordosten geflohen sein und an der Grenze zu Algerien festsitzen. Vorausgegangen seien Dutzende Luftangriffe auf das Bergmassiv. Solange wir nicht wissen, wie die französische Armee Krieg führt und welche Ziele bombardiert werden, müs- sen wir befürchten, dass mit deutscher Hilfe Bomben ge- worfen werden, die Zivilisten treffen und in die Flucht treiben. Eine direkte Unterstützung der französischen Kriegsführung ist daher nicht verantwortbar. Die beiden von der Bundesregierung vorgelegten Mandate sind zur Lösung des Konflikts so nicht geeignet und nicht ausreichend geklärt. Auch ich bin dafür, dass Deutschland in Mali hilft, vor allem der malischen Bevölkerung, den vielen Flücht- lingen und Hungerleidenden. Dabei sollte sich die Bun- desregierung neben humanitärer Hilfe auf die Unterstüt- zung des politischen Prozesses konzentrieren. Ich bin auch dafür, eine neue und vor allem legitime Regierung und den Aufbau neuer Sicherheitskräfte zu unterstützen. Die Durchführung von fairen und freien Wahlen, an der alle, auch die Menschen im Norden und die in die Nach- barländer geflüchteten Malier, teilnehmen können, kann die Voraussetzung dafür schaffen. Aber diesen Mandaten stimme ich nicht zu. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Ent- sendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Unterstüt- zungsmission in Mali unter afrikanischer Füh- rung (AFISMA) auf Grundlage der Resolution 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 b) Wir zitieren aus einem Antrag meiner Fraktion vom September 2012: Die Sahel-Region ist eines der ärmsten Gebiete der Welt. Seit Jahren kommt es in den Ländern dieser Region durch Dürren und Misswirtschaft zu Le- bensmittelkrisen. Ernteausfälle, politische Umbrü- che in den Staaten Nordafrikas, die Rückkehr bewaffneter Söldner aus Libyen und der Elfenbein- küste, organisierte Kriminalität, islamistischer Ter- rorismus sowie Kampfhandlungen im Norden Malis haben die Ernährungskrise und fragile Si- cherheitslage in der Sahel-Region dramatisch ver- schärft ... Auch im Norden Malis hatten in den letzten Jahren islamistische Gruppen im Umfeld der AQiM ver- stärkt Zulauf ... Mit dem Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi konnten diese Gruppierun- gen ihre Schlagkraft verstärken: Zum einen durch Söldner, die zuvor im Dienste … Gaddafis standen. Zum anderen durch schwere Waffen, die seit der Endphase der Kämpfe in Libyen bis heute über die nahezu unkontrollierten Wüstengrenzen geschmug- gelt werden. Die Erfolge der Aufständischen in Nord-Mali führ- ten am 22. März zu einem Staatsstreich putschender Offiziere ... Die Staatsgewalt in Mali ist seit dem Staatsstreich geschwächt, auch wenn am 22. Au- gust 2012 eine Regierung der nationalen Einheit ge- bildet werden konnte... Humanitäre Hilfe, Übergangshilfe und vor allem langfristige Ernährungssicherung sind wichtige Elemente zur Stabilisierung der Region. Sie reichen alleine aber nicht aus, um strukturelle Probleme wie schwache staatliche Institutionen, Rechtsstaats-, 28164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Demokratie- und Sicherheitsdefizite, Korruption und organisierte Kriminalität wirksam anzugehen. Der VN-Sicherheitsrat hat den VN-Generalsekretär vor diesem Hintergrund aufgefordert, eine umfas- sende Sahel-Strategie vorzulegen, die die Bereiche Sicherheit, humanitäre Hilfe, Entwicklung und Menschenrechte umfasst (S/Res/2056 (2012)). (Antrag Bündnis 90/Die Grünen vom 26.9.2012, „Sa- hel-Region stabilisieren – Humanitäre Katastrophe ein- dämmen“, Drucksache 17/10792) Der Antrag unserer Fraktion vom Herbst letzten Jah- res beschreibt die Situation in der Sahel-Region und in Mali und fordert die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. Die Bundesregierung wird unter anderem auf- gefordert, auf Konfliktlösung innerhalb der Region hin- zuwirken, Staaten der Sahel-Region langfristig beim nachhaltigen Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und Demo- kratie zu unterstützen, in der Sahel-Region tätige inter- nationale Organisationen zu unterstützen, unterstützend an einer politischen Lösung des Konflikts mit den Tuareg- Rebellen und Islamisten im Norden Malis zu arbeiten, Flüchtlingen zu helfen, Nothilfe zu leisten, EZ-Gelder zu erhöhen – zusammengefasst: zivile Konfliktlösungshilfe zu bieten. Zusätzlich wird eine Friedensmission zur Aus- bildung und Reorganisation malischer Streitkräfte im Rahmen eines VN-Mandates gefordert, die von Deutsch- land finanziell und logistisch unterstützt wird. Der Antrag wurde von der Koalition abgelehnt. Der Umgang mit Konflikten in fragilen Staaten ist fast immer derselbe: Die westliche Staatengemeinschaft, auch die Bundesregierung, bietet keine oder unzurei- chende Hilfestellung an, um den Konflikt zu entschär- fen. Erst wenn die Situation so eskaliert, dass nur noch militärisches Eingreifen zu helfen scheint, dann findet sich die Bereitschaft zu einer finanziell und personell an- gemessen großzügigen Unterstützung. Die Bundesregie- rung ist jetzt bereit, neben der logistischen Unterstüt- zung bis zu 150 deutsche Soldatinnen und Soldaten zur Unterstützung von AFISMA einzusetzen, bis zu 180 für die Ausbildungsmission EUTM Mali. Die Ausbildungsmission hätte bereits mindestens vor einem halben Jahr beschlossen werden können und hätte zusammen mit anderen Hilfsmaßnahmen die Eskalation der letzten Monate eventuell verhindern oder zumindest verringern können. Diesem – verspäteten – Mandat stim- men wir heute zu. Auch das Mandat zur Unterstützung von AFISMA kritisieren wir nicht im Grundsatz. Die Entsendung der Soldaten erfolgt auf der Grundlage der Resolution 2085 (2012) der Vereinten Nationen unter Berufung auf Kapi- tel VII der Charta der UN. Wenn wir diesem Mandat heute trotzdem nicht zustimmen, so wollen wir damit ei- ner Kritik Ausdruck geben, die sich auf den grundsätzli- chen Umgang mit solcherart Konflikten bezieht. Unsere Fraktion hatte gute Vorschläge zur zivilen Konfliktbear- beitung in Mali vorgelegt. Die Bundesregierung hat sie abgelehnt, abgewartet und will heute unsere Zustim- mung zur Entsendung von Soldaten mit dem unvermeid- baren Gefahrenpotential für die Soldaten selbst, aber auch für weitere Eskalation des Konflikts. Dem stimmen wir, weil wir jeglichen Willen zum präventiven Handeln der Bundesregierung vermissen, nicht zu. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Entsendung be- waffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Unterstüt- zungsmission in Mali unter afrikanischer Füh- rung (AFISMA) auf Grundlage der Resolution 2085 (2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 b) Zu meinem Abstimmungsverhalten zum heutigen Tage erkläre ich Folgendes: Der Bundestag berät am Donnerstag, den 28. Februar 2013 abschließend über die Entsendung von Bundes- wehrsoldaten nach Mali. Das Mandat umfasst zum einen die Unterstützung französischer Streitkräfte durch Lufttransport und Luft- betankung bei ihrer Unterstützungsoperation. Die Man- datsobergrenze beträgt 150 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten. Das Mandat ist auf zwölf Monate begrenzt. Die völkerrechtliche Grundlage ist durch eine Resolu- tion des UN-Sicherheitsrats gegeben. Zum anderen um- fasst das Mandat die Entsendung von circa 40 Pionier- ausbilderinnen und -ausbildern und eine etwa gleich große Zahl an Sanitätskräften. Die Mandatsobergrenze beträgt hier 180 Soldatinnen und Soldaten. Das Mandat soll im April 2013 beginnen und ist ebenfalls auf zwölf Monate begrenzt. Insgesamt werden von EU-Mitglied- staaten circa 450 Ausbilder und Kräfte entsandt. Ziel der Mission soll es sein, die militärischen Fähig- keiten der malischen Armee zu verbessern und die mali- sche Regierung bei der Stabilisierung des Landes zu un- terstützen. Ich unterstütze die Position der SPD, die Bundesre- gierung aufzufordern, sich mit Nachdruck für eine politi- sche Lösung des Konflikts einzusetzen. Auch der Ein- satz für mehr humanitäre Hilfe und die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit sind ebenfalls von be- sonderer Wichtigkeit. Ich sehe jedoch bestimmte Punkte an diesem Einsatz kritisch, die erst umfassend diskutiert werden müssten, bevor ich solch einem eventuell folgenschweren Einsatz zustimmen könnte. Diese möchte ich nachfolgend stich- punktartig auflisten: Ich halte es für gefährlich, wenn deutsche Soldatinnen und Soldaten erneut in Kriegseinsätze hineingezogen werden. Das Betanken der alliierten Flugzeuge ist be- reits Teil des militärischen Eingreifens. Selbst der Deutsche Bundeswehr Verband hat die Sorge, dass die Bundeswehr „wieder einmal unüberlegt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28165 (A) (C) (D)(B) und verantwortungslos in einen Einsatz entsendet wird, der Teil einer nur lückenhaften politischen Konzeption ist“. „Der Begriff ‚Ausbildung‘ verschleiert das, was auf die Bundeswehr auch in Mali zukommen kann, nämlich eine direkte Verwicklung in kriegerische Auseinander- setzungen“, so der Deutsche Bundeswehrverband weiter. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten sind nicht genügend für solche Einsätze ausgebildet und ausgerüs- tet. Es gibt kein klares Ziel und auch keine Exit-Strategie bei diesem Einsatz. Durch den militärischen Eingriff wird die Region de- stabilisiert. Das kann zu einer Eskalation führen. Es ist nicht transparent, welche ökonomischen und politischen Interessen die USA und auch die Bundesre- gierung bei diesem Einsatz verfolgen. Welche Rolle spielen zum Beispiel Rüstungsverkäufe und Boden- schätze? Die Informationspolitik der Bundesregierung war mangelhaft. Eine differenzierte Diskussion über diesen Einsatz gab es leider nicht. Wir müssen alles dafür tun, damit dieser Konflikt auf diplomatischem Weg gelöst wird. Insgesamt liegen mir viel zu wenige Informationen vor. Zudem gab es keine ausreichende Debatte über die Situation, sodass ich nicht guten Gewissens zu einer ein- deutigen Entscheidung kommen kann. Ich werde mich deshalb bei der Entscheidung enthal- ten. Die notwendige Debatte und Diskussion muss drin- gend nachgeholt werden. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 6) Die Umsetzung der EU-Holzhandelsverordnung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Holzhandels- Sicherungs-Gesetzes ist notwendig und bringt einen Fortschritt für den internationalen Waldschutz. Als Bun- destagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatten wir dem Gesetz aus diesen Gründen nach einer kurzfristig vorzunehmenden Gesamtwertung des Gesetzes in der letzten Sitzungswoche zugestimmt. Allerdings hatte ich bereits in der letzten Sitzungs- woche darauf hingewiesen, dass wir es sehr kritisch se- hen, dass die Koalition per Änderungsantrag die Straf- barkeit auf Fälle beschränkt hat, in denen große Vermögensvorteile erzielt wurden oder beharrliche Wie- derholungen erfolgten. Wenn Vorsatz vorliegt, dann sollte der Import von illegalem Holz aus unserer Sicht auf jeden Fall strafbewehrt sein. Gerichte müssen auf je- den Fall die Schwere des Falles abwägen und werden in minderschweren Fällen allenfalls Geldstrafen verhän- gen. Den Befürchtungen der Waldbesitzer vor Strafe für den Fall, dass sie versehentlich einen falschen Baum oder einen Baum zu viel einschlagen, wäre ausreichend Rechnung getragen worden, wenn allein die Strafbarkeit der Fahrlässigkeit aus dem Gesetz gestrichen worden wäre, wobei zu bedenken ist, dass auch dies die Wirkung des Gesetzes deutlich abschwächt. Denn die Herausforderung bei der Strafverfolgung des illegalen Holzhandels wird sein, den Nachweis zu führen. Dieser Nachweis wird durch die zusätzliche Ein- schränkung auf schwere Fälle und auf Wiederholungs- fälle erheblich erschwert. Wenn man jedoch selbst für den Fall des Vorsatzes mit Straffreiheit rechnen kann, dann wird die Wirkung des eingeführten Import- und Handelsverbots für illegales Holz in der Praxis stark leiden. Nach erneuter Abwägung des Gesamtgesetzes mit der vorgenommenen Änderung im Vorfeld der heutigen Abstimmung haben wir uns daher entschlossen, dem Gesetz heute die Zustimmung zu verweigern und uns zu enthalten. Ansonsten entstünde der falsche Eindruck, wir würden diese erhebliche Einschränkung der Wirkung des Gesetzes billigen. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rainer Erdel und Horst Meierhofer (beide FDP): – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Wasser- versorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Ge- setzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versorgungs- unternehmen stärken – Formale Ausschrei- 28166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) bungspflicht bei Dienstleistungskonzessio- nen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Die Anträge der Opposition zu dem Vorschlag der Eu- ropäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Konzessions- vergabe halten wir hinsichtlich der Forderung einer Bereichsausnahme zur Trinkwasserversorgung für rich- tig. Die Wasserversorgung in Deutschland ist ausgezeich- net. Deshalb soll sie in kommunaler Hand bleiben, wenn die Kommunen dies wünschen. Die Wasserversorgung in Deutschland ist auf einem sehr hohen Niveau. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist unübertroffen. Das zeigen alle Studien. Die ursprünglich von der EU vorgesehene systemfremde Überregulierung hätte Qualitätskriterien eher behindert als geschaffen. Nach mehreren Gesprächen, die auch von FDP-Seite mit ihm geführt worden sind, hat EU-Kommissar Bar- nier bei diesen Fragen jetzt sein Einlenken signalisiert. Dies ist zu begrüßen. Daher sind wir sicher, dass es bei den bald beginnen- den Trilog-Verhandlungen zu einer endgültigen Lösung kommen wird, mit der unser Interesse an der Beibehal- tung der bewährten kommunalen Trinkwasserversor- gung erfüllt wird. Auch zukünftig würde dann keine Kommune zur Privatisierung der Wasserversorgung gezwungen. Noch vor kurzem sah die Richtlinie allerdings eine andere Regelung vor. Sofern Stadtwerke im Verbund zu großen Teilen auch noch andere Versorgungsfunktionen über- nommen hätten, hätten sich diese bei der Neuvergabe der Konzession auf ein bürokratisches, europäisches Ausschreibungsverfahren einlassen müssen. Zudem lie- ßen die Vorgaben keinen Raum für die Besonderheiten der deutschen Wasserversorgung. Die Wasserversorgung ist Kernbestandteil der Daseinsvorsorge. Die Oppositionsanträge gehen über die Fragen zur Wasserversorgung allerdings hinaus. So wird von der SPD eine Rekommunalisierung in allen Bereichen ange- strebt, von Grünen und Linken wird des Weiteren gefor- dert, die Dienstleistungsrichtlinie generell abzulehnen. Diese Forderungen halten wir für falsch. Transparente Verfahrensregeln können überall dort helfen, wo wett- bewerbliche Strukturen Preis- und Leistungsvorteile mit sich bringen. Wegen der besonderen Strukturen der Wasserversorgung und der Einordnung als natürliches Monopol sehen wir diese Nutzen dort aber gerade nicht. Da wir die Forderungen der Oppositionsparteien nach einem Bereichsausschluss der Wasserversorgung für richtig halten, aber die darüber hinausgehenden Forde- rungen nicht teilen, werden wir uns zu den Anträgen ent- halten. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Stephan Thomae und Marina Schuster (alle FDP): – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Wasser- versorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Ge- setzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versorgungs- unternehmen stärken – Formale Ausschrei- bungspflicht bei Dienstleistungskonzessio- nen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Die Anträge der Opposition zu dem Vorschlag der Eu- ropäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Konzessions- vergabe sind überflüssig. Die Wasserversorgung in Deutschland ist ausgezeich- net. Deshalb soll sie in kommunaler Hand bleiben, wenn die Kommunen dies wünschen. Dies ist durch die Kon- zessionsrichtlinie nicht infrage gestellt. Auch zukünftig wird keine Kommune zur Privatisierung der Wasserver- sorgung gezwungen. Wenn eine Kommune aus eigenem Antrieb privatisie- ren will, muss sie allerdings ausschreiben. Das führt zu mehr Transparenz und ist daher wünschenswert. Genau dies ist der Kerninhalt der Konzessionsrichtli- nie. Allerdings gab es bis vor kurzem Detailprobleme. Es stellte sich die Frage, wie bei der interkommunalen Zusammenarbeit vorzugehen ist. Ferner bestand die Gefahr, dass Mehrsparten-Stadtwerke die Wasserversor- gung in eine eigene Gesellschaft auslagern müssten, was zu unnötigen Bürokratiekosten geführt hätte. Dagegen habe ich mich stets gewandt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28167 (A) (C) (D)(B) Nach mehreren Gesprächen, die auch von FDP-Seite mit ihm geführt worden sind, hat EU-Kommissar Barnier bei diesen Fragen nunmehr die Position der Kommunen in vollem Umfang übernommen. Dieses Einlenken ist zu begrüßen. Daher sind wir sicher, dass es bei den bald beginnen- den Trilog-Verhandlungen zu einer endgültigen Lösung kommen wird, mit der unser Interesse an der Beibehal- tung der bewährten kommunalen Trinkwasserversor- gung erfüllt wird. Der Anträge der Opposition bedarf es hierzu nicht; wir lehnen die Anträge daher ab. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Cajus Caesar und Dr. Norbert Röttgen (alle CDU/ CSU): – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Wasser- versorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Ge- setzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versorgungs- unternehmen stärken – Formale Ausschrei- bungspflicht bei Dienstleistungskonzessio- nen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Den heute zur Beratung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen, Die Linke und SPD können wir in der vorliegenden Form nicht zustim- men. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Wir sprechen uns ausdrücklich gegen jegliche Privati- sierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessi- onsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Trans- parenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Europäi- sche Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus unserer Sicht evident. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat sich daher auch gegenüber der Bundesregierung wieder- holt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU- Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus einer sol- chen Regelung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallen zu lassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- schreibungspflicht bei einem Mehrsparten-Stadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Spar- ten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Abfall- entsorgung – betrachtet werden kann. Die Wasserversor- gung müsste dann nur noch in solchen Fällen aus- geschrieben werden, in denen das kommunale Unter- nehmen weniger als 80 Prozent seiner Wasserdienstleistungen für die Gebietskörperschaft er- bringt. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der CDU/CSU- Bundestagsfraktion. Nach wie vor gilt aber, dass eine eu- ropaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserversorgung zu verhindern ist. Bewährte Versor- gungsstrukturen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Wir 28168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) zählen auf Barniers Wort, dass die Besonderheiten der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland be- rücksichtigt werden. Jetzt steht die Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen in besonderer Verantwortung Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Norbert Barthle, Ernst- Reinhard Beck (Reutlingen), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, Helmut Brandt, Heike Brehmer, Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land), Dr. Maria Flachsbarth, Alexander Funk, Dr. Thomas Gebhart, Peter Götz, Reinhard Grindel, Michael Grosse-Brömer, Anette Hübinger, Andreas Jung (Konstanz), Hans- Werner Kammer, Steffen Kampeter, Bernhard Kaster, Volkmar Klein, Jens Koeppen, Rüdiger Kruse, Maria Michalk, Michaela Noll, Rita Pawelski, Ulrich Petzold, Sibylle Pfeiffer, Beatrix Philipp, Anita Schäfer (Saalstadt), Nadine Schön (St. Wendel), Karl Schiewerling, Patrick Schnieder, Bernhard Schulte-Drüggelte, Carola Stauche, Erika Steinbach, Volkmar Vogel (Kleinsaara) und Sabine Weiss (Wesel I) (alle CDU/CSU) – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Wasser- versorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Ge- setzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versorgungs- unternehmen stärken – Formale Ausschrei- bungspflicht bei Dienstleistungskonzessio- nen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Den heute zur Beratung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD können wir in der vorliegenden Form nicht zustim- men. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und wir persönlich sprechen uns ausdrücklich gegen jeg- liche Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzes- sionsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Trans- parenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Europäi- sche Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus unserer Sicht evident. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat sich daher auch gegenüber der Bundesregierung wieder- holt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU- Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus einer sol- chen Regelung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallen zu lassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- schreibungspflicht bei einem Mehrspartenstadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Spar- ten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Abfall- entsorgung – betrachtet werden kann. Die Wasserversor- gung müsste dann nur noch in solchen Fällen ausgeschrieben werden, in denen das kommunale Unter- nehmen weniger als 80 Prozent seiner Wasserdienstleis- tungen für die Gebietskörperschaft erbringt. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der CDU/CSU- Bundestagsfraktion. Nach wie vor gilt aber, dass eine eu- ropaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserversorgung zu verhindern ist. Bewährte Versor- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28169 (A) (C) (D)(B) gungsstrukturen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Wir zählen auf Barniers Wort, dass die Besonderheiten der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland be- rücksichtigt werden, Jetzt steht die Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen in besonderer Verantwortung. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Reinhard Brandl, Herbert Frankenhauser, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Michael Frieser, Florian Hahn. Gerda Hasselfeldt, Karl Holmeier, Alois Karl, Hartmut Koschyk, Ulrich Lange, Paul Lehrieder, Stephan Mayer (Altötting), Stefan Müller (Erlangen), Franz Obermeier, Eduard Oswald, Albert Rupprecht (Weiden), Dr. Andreas Scheuer, Johannes Singhammer, Stephan Stracke, Dr. Hans-Peter Uhl, Dagmar G. Wöhrl und Wolfgang Zöller (alle CDU/CSU) – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Wasser- versorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Ge- setzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versorgungs- unternehmen stärken – Formale Ausschrei- bungspflicht bei Dienstleistungskonzessio- nen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Den heute zur Beratung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD können wir in der vorliegenden Form nicht zustim- men. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und wir persönlich sprechen uns ausdrücklich gegen jegliche Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öf- fentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessionsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Transparenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Euro- päische Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus unserer Sicht evident. Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag hat sich daher auch gegenüber der Bundesregierung wieder- holt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU- Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung von einer sol- chen Regelung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallenzulassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- schreibungspflicht bei einem Mehrsparten-Stadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Sparten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Abfallentsorgung – betrachtet werden kann. Die Wasser- versorgung müsste dann nur noch in solchen Fällen ausgeschrieben werden, in denen das kommunale Unter- nehmen weniger als 80 Prozent seiner Wasserdienstleis- tungen für die Gebietskörperschaft erbringt. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der CSU- Landesgruppe. Nach wie vor gilt aber, dass eine europa- weite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Was- serversorgung zu verhindern ist. Bewährte Versorgungs- strukturen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und 28170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Wir zählen auf Barniers Wort, dass die Besonderheiten der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland be- rücksichtigt werden. Jetzt steht die Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen in besonderer Verantwortung. Anlage 15 Erklärungen nach § 31 GO – zu den namentlichen Abstimmungen: – Antrag: Keine Privatisierung der Wasser- versorgung durch die Hintertür – Antrag zu dem Vorschlag der Europäi- schen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Ge- setzes über die Zusammenarbeit von Bun- desregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern – zu der Abstimmung: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe (KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Kommunale Versorgungs- unternehmen stärken – Formale Ausschrei- bungspflicht bei Dienstleistungskonzessio- nen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen (Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Gitta Connemann (CDU/CSU): Den heute zur Be- ratung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bünd- nis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Ich persönlich spreche mich ausdrücklich gegen eine Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öf- fentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessionsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Transparenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Euro- päische Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus meiner Sicht evident. Teile der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ich ha- ben sich deshalb auch gegenüber der Bundesregierung wiederholt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU-Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus einer sol- chen Regelung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallenzulassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- schreibungspflicht bei einem Mehrsparten-Stadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Sparten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Abfallentsorgung – betrachtet werden kann. Die Wasser- versorgung müsste dann nur noch in solchen Fällen ausgeschrieben werden, in denen das kommunale Unter- nehmen weniger als 80 Prozent seiner Wasserdienstleis- tungen für die Gebietskörperschaft erbringt. Damit sind aus meiner Sicht die Anträge obsolet. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der Bundes- kanzlern. Nach wie vor gilt aber, dass eine europaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserver- sorgung zu verhindern ist. Bewährte Versorgungsstruk- turen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Ich zähle auf Barniers Wort, dass die Besonderheiten der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland be- rücksichtigt werden. Jetzt steht die Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen in besonderer Verantwortung. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28171 (A) (C) (D)(B) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Zu den heute zur Beratung vorliegenden Anträgen erkläre ich Folgendes: Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und ich persönlich sprechen sich ausdrücklich gegen jegliche Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öf- fentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessi- onsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Trans- parenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Europäi- sche Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus meiner Sicht evident. Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag hat sich daher auch gegenüber der Bundesregierung wieder- holt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU- Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus einer sol- chen Regelung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallen zu lassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- schreibungspflicht bei einem Mehrsparten-Stadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Spar- ten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Abfallent- sorgung – betrachtet werden kann. Die Wasserversorgung müsste dann nur noch in solchen Fällen ausgeschrieben werden, in denen das kommunale Unternehmen weniger als 80 Pro-zent seiner Wasserdienstleistungen für die Ge- bietskörperschaft erbringt. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der CSU-Lan- desgruppe. Nach wie vor gilt aber, dass eine europaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserver- sorgung zu verhindern ist. Bewährte Versorgungsstruk- turen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Wir zählen auf Barniers Wort, dass die Besonderheiten der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland be- rücksichtigt werden. Jetzt steht die Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen in besonderer Verantwortung. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Den heute zur Bera- tung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bünd- nis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Ich spreche mich persönlich ausdrücklich gegen jegli- che Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessionsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Transparenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Euro- päische Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus meiner Sicht evident. Die CDU im Deutschen Bundestag hat sich daher auch gegenüber der Bundesregierung wiederholt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU-Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessions- richtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus einer solchen Rege- lung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallen zu lassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- 28172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) schreibungspflicht bei einem Mehrsparten-Stadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Spar- ten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Ab- fallentsorgung – betrachtet werden kann. Die Wasser- versorgung müsste dann nur noch in solchen Fällen ausgeschrieben werden, in denen das kommunale Unter- nehmen weniger als 80 Prozent seiner Wasserdienstleis- tungen für die Gebietskörperschaft erbringt. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der CDU im Deutschen Bundestag. Nach wie vor gilt aber, dass eine europaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserversorgung zu verhindern ist. Bewährte Versor- gungsstrukturen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Wir zählen auf Barniers Wort, dass die Besonderheiten der interkommunalen Zusammenarbeit in Deutschland be- rücksichtigt werden. Jetzt steht die Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen in besonderer Verantwortung. Daniela Ludwig (CDU/CSU): Zu den heute zur Be- ratung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bünd- nis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD erkläre ich Fol- gendes: Ich spreche mich ausdrücklich gegen jegliche Privati- sierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasserversorgung aus. Wasser ist das Lebensmittel Nummer eins. In Deutschland bestehen höchste Maß- stäbe an die Sauberkeit und Sicherheit unseres Trink- wassers, die wir auf keinen Fall gefährden dürfen. Nie- mand anders kann die Gewährleistung dieser Maßstäbe besser garantieren als die Wasserversorgung in öffentli- cher Hand. Diese bewährte öffentliche Wasserversor- gung in Deutschland muss uneingeschränkt bestehen bleiben und gegen faktische Privatisierungs- und Libera- lisierungsvorhaben geschützt werden. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene europa- weite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus meiner Sicht evident. Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag hat sich daher auch gegenüber der Bundesregierung wieder- holt dafür eingesetzt, bei den Verhandlungen auf EU- Ebene dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus einer sol- chen Regelung ausgenommen bleibt. Zwischenzeitlich hat EU-Kommissar Barnier eine grundlegende Überarbeitung des bisherigen Entwurfs der Konzessionsrichtlinie zur Wasserversorgung ange- kündigt. Nach wie vor gilt aber, dass eine europaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserver- sorgung in vollem Umfang zu verhindern ist. Bewährte Versorgungsstrukturen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasser- versorgung darf nicht gefährdet werden. Der Barnier- Vorschlag ist daher nach wie vor ungenügend. An einer vollständigen Herausnahme der Wasserver- sorgung aus dem Anwendungsbereich der Konzessions- richtlinie führt meines Erachtens kein Weg vorbei. Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Den heute zur Bera- tung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bünd- nis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Ich persönlich spreche mich ausdrücklich gegen jegli- che Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasserversorgung aus. Als Abgeordneter spreche ich mich entschieden ge- gen eine Einschränkung der Handlungsspielräume der Kommunen aus. Eine Liberalisierung der Wasserversorgung in Deutsch- land würde bewährte gewachsene Strukturen zerstören. Dies ist im Interesse der Bürger in Deutschland nicht ak- zeptabel. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Den heute zur Beratung vorliegenden Anträgen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen, wenngleich ich die inhaltliche Grundausrichtung teile. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und ich persönlich sprechen sich ausdrücklich gegen jegliche Privatisierungs- oder Ausschreibungspflicht für die öf- fentliche Wasserversorgung aus. Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistun- gen der Daseinsvorsorge. Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessi- onsvergaben unter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Trans- parenz zu erfolgen haben. Das stellt auch der Europäi- sche Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2011 klar. Die im ursprünglichen Entwurf der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie vorgeschlagene euro- paweite Ausschreibungsverpflichtung würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Handlungsspiel- räume der kommunalen Selbstverwaltung führen, son- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28173 (A) (C) (D)(B) dern auch de facto zu einer Liberalisierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hinter- tür. Damit würden bewährte, gewachsene Strukturen zer- stört werden. Dies ist im Interesse der Menschen in Deutschland nicht akzeptabel. Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen mit der Vorlage dieses Richtlinien- vorschlags klar überschritten. Ein Verstoß gegen das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 5 Abs. 3 verankerte Subsidiaritätsprinzip ist aus meiner Sicht evident. Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag hat sich daher wiederholt dafür eingesetzt, bei den Verhand- lungen auf EU-Ebene dem Vorschlag der EU-Kommis- sion für eine Konzessionsrichtlinie keine Abstimmungs- mehrheit zu verschaffen oder zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserver- sorgung aus einer solchen Regelung ausgenommen bleibt. Der massive Druck auf die EU-Kommission, die ge- plante Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasser- versorgung fallen zu lassen, hat nun endlich Wirkung ge- zeigt. EU-Kommissar Barnier hat in der vergangenen Woche eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Kommissionspläne zur Wasserversorgung angekündigt. In der Sitzung des Binnenmarktausschusses des Europäi- schen Parlaments am 21. Februar 2013 hat der Kommis- sar erklärt, dass bei der Entscheidung über die Aus- schreibungspflicht bei einem Mehrsparten-Stadtwerk die Wasserversorgung zukünftig getrennt von anderen Spar- ten – zum Beispiel der Stromversorgung oder der Abfall- entsorgung – betrachtet werden kann. Die Wasserversor- gung müsste dann nur noch in solchen Fällen aus- geschrieben werden, in denen das kommunale Unterneh- men weniger als 80 Prozent seiner Wasserdienstleistun- gen für die Gebietskörperschaft erbringt. Dieses Einlenken der Kommission ist nicht zuletzt Ergebnis der beharrlichen Bemühungen der CSU-Lan- desgruppe. Nach wie vor gilt aber, dass eine europaweite Ausschreibungspflicht bei der öffentlichen Wasserver- sorgung zu verhindern ist. Bewährte Versorgungsstruk- turen in Deutschland dürfen nicht zerschlagen und die erstklassige Qualität der Wasserversorgung darf nicht gefährdet werden. Der neue Vorschlag von Kommissar Barnier ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf dem in den weiteren Verhandlungen in Brüssel aufgebaut werden muss. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Konzessions- richtlinie, der eine EU-weite Ausschreibungspflicht für die öffentliche Wasserversorgung vorsieht, stößt zu Recht auf breiten Widerstand. Das Trinkwasser ist unser wertvollstes Lebensmittel. Die Trinkwasserversorgung ist nach meiner Überzeugung nirgendwo so gut aufgeho- ben wie bei unseren Städten und Gemeinden. Sie bürgen für höchste Qualität und bezahlbare Preise. Im EU-Binnenmarktausschuss des Europäischen Par- laments konnte bislang erreicht werden, dass kommu- nale Zweckverbände und kommunale Eigenbetriebe von der Ausschreibungspflicht der Trinkwasserversorgung ausgenommen werden und Stadtwerke die Möglichkeit erhalten, durch Abspaltung der Wassersparte eine euro- paweite Ausschreibungspflicht zu vermeiden. Der zu- ständige Kommissar Michel Barnier hat zwischenzeit- lich ein weiteres Entgegenkommen in Aussicht gestellt, das eine Abspaltung der Wassersparte in Stadtwerken entbehrlich machen kann. Danach kann bei Stadtwerken die Wasserversorgung getrennt von anderen Sparten betrachtet werden, wenn das kommunale Versorgungs- unternehmen mindestens 80 Prozent seiner Wasser- dienstleistungen für die Gebietskörperschaft erbringt. Jede Kommune muss es weiterhin in der Hand haben, die Trinkwasserversorgung auch künftig selbst zu erbrin- gen. Der beste Weg dahin ist es, die kommunale Wasser- versorgung ganz vom Anwendungsbereich der Konzes- sionsrichtlinie auszunehmen. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, in den Verhandlungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken. Anlage 16 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Michael Paul (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Beschleunigung der Rückholung radio- aktiver Abfälle und der Stilllegung der Schacht- anlage Asse II (Tagesordnungspunkt 8) Zur Abstimmung des unter Tagesordnungspunkt 8 der heutigen Plenardebatte aufgerufenen Gesetzes zur Be- schleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II in der Fassung der Drucksache 17/11822 erkläre ich: Im ehemaligen Salzbergwerk Asse lagern seit den 1970er-Jahren circa 126 000 Fässer und andere Gebinde mit radioaktiven Abfällen. Mit dem überfraktionell von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor- gelegten Gesetz, über das heute, am 28. Februar 2013, im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung abgestimmt wird, soll ein rechtlicher Rahmen dafür ge- setzt werden, dass diese Abfälle schneller als nach gel- tendem Recht aus dem Bergwerk wieder herausgeholt werden können. Wie auch die Sachverständigenanhörung im Umwelt- ausschuss am 20. Februar 2013 ergeben hat, wird die Rückholung frühestens 2024 beginnen können, da ein zusätzlicher Schacht errichtet werden muss. Unter opti- malen Bedingungen dauert die Rückholung mindestens 25 Jahre, sodass sie frühestens 2049 abgeschlossen sein kann. Zugleich machte die Anhörung deutlich, dass im Bergwerk Asse erhebliche Probleme bestehen, die soge- nannte „Gebrauchstauglichkeit“ des Bergwerks, also letztlich seine Stabilität, aufrechtzuerhalten. Für die Zu- kunft droht, dass die Grube durch unkontrollierten Was- sereinbruch „absäuft“. Diese Gefahr wird größer, je mehr Zeit vergeht. Deshalb müssen schon heute Vorsorge- und Notfall- maßnahmen vorbereitet werden, um die Grube zu stabi- lisieren und im Fall eines unmittelbar bevorstehenden Einsturzes noch handlungsfähig zu sein. Zum Beispiel 28174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) müssen Hohlräume wie Stollen und Schächte verfüllt werden, damit die Grube länger gebrauchstauglich ist. Solche Maßnahmen können zu der Absicht im Zielkon- flikt stehen, zügig alle Abfälle aus dem Bergwerk zu ho- len. Deshalb ist aus meiner Sicht notwendig, trotz des Ziels der Rückholung in das Gesetz die Klarstellung auf- zunehmen, dass Vorsorgemaßnahmen und Vorbereitun- gen von Notfallmaßnahmen vorrangig durchzuführen sind. Erstens, um langwierige Diskussionen über die Auslegung des Gesetzes zu vermeiden, also letztlich um zu beschleunigen. Und zweitens, um den handelnden Personen vor Ort eine sichere Entscheidungsgrundlage zu geben. In den Verhandlungen mit den anderen Fraktionen konnte mein Vorschlag nicht durchgesetzt werden. Teile der Opposition weigerten sich, diese Ergänzung aufzu- nehmen. Meine Fraktion hat – gegen meine Stimme – entschieden, den Gesetzentwurf ohne die Ergänzung zu beschließen. Damit droht aus meiner Sicht die dringende Gefahr, dass für die Sicherheit des Bergwerks notwen- dige Maßnahmen unterlassen oder verzögert werden. Das könnte im schlimmsten Fall bedeuten, dass im Falle eines unkontrollierten Wasserzutritts die radioaktiven Abfälle nicht mehr beherrschbar, eine Gefahr für Mensch und Umwelt nicht auszuschließen und der Schutz von Leben und Gesundheit der dort Beschäftig- ten nicht mehr gewährleistet wäre. Da ich dies nicht verantworten kann, stimme ich dem Gesetzentwurf – anders als meine Fraktion – nicht zu. Anlage 17 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gisela Piltz, Christine Aschenberg-Dugnus, Florian Bernschneider, Sebastian Blumenthal, Nicole Bracht-Bendt, Ernst Burgbacher, Marco Buschmann, Bijan Djir-Sarai, Rainer Erdel, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Manuel Höferlin, Michael Kauch, Sebastian Körber, Sibylle Laurischk, Oliver Luksic, Horst Meinerhofer, Patrick Meinhardt, Petra Müller, Burkhard Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Jörg von Polheim, Dr. Birgit Reinemund, Dr. Peter Röhlinger, Björn Sänger, Christoph Schnurr, Jimmy Schulz, Marina Schuster, Dr. Hermann- Otto Solms, Joachim Spatz, Manfred Todtenhausen, Serkan Tören, Johannes Vogel (Lüdenscheid), Dr. Claudia Winterstein (alle FDP) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag: Keine Vorratsdaten- speicherung von Fluggastdaten – Richtlinien- vorschlag über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (KOM(2011) 32 endg.; Ratsdok. 6007/11) – hier: Stellungnahme gegen- über der Bundesregierung gemäß Art. 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EUZBBG (Tagesordnungspunkt 35) Wir lehnen den Aufbau eines europäischen Systems zur Speicherung und Auswertung von Fluggastdaten mit aller Entschiedenheit ab. Die staatlich veranlasste an- lasslose Speicherung von Daten auf Vorrat ist für uns nicht nur im Bereich der Telekommunikation, sondern auch im Passagierverkehr nicht akzeptabel. Daher haben wir die Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Tele- kommunikation abgelehnt und auch die Abkommen der EU mit anderen Staaten zur Übermittlung von Fluggast- daten stets kritisch begleitet. Auch wenn die Daten- schutzstandards gegenüber dem ersten Abkommen mit den USA spürbar gestiegen sind, sind wir der festen Überzeugung, dass die weitreichenden Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht im Verhältnis zu dem angestrebten Nutzen der Datensamm- lung stehen und mithin nicht gerechtfertigt sind. Dies ist nicht nur unsere Position, sondern auch die Position der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Die FDP-Bun- destagsfraktion hat sich bereits gegen das erste Abkom- men der EU mit den USA, das unter rot-grüner Regie- rungszeit geschlossen wurde und über keine nennenswerten Datenschutzvorkehrungen verfügte, ge- wandt – Drucksache 15/3120. Der Richtlinienvorschlag der Kommission über die Verwendung von Fluggastdatensätzen – KOM(2011) 32 – sieht sich großer Kritik ausgesetzt. Es bestehen erhebli- che Zweifel, ob die darin vorgeschlagenen Regelungen mit dem europäischen Grundrecht auf Datenschutz – Art. 8 Grundrechtecharta – vereinbar sind. Eine deutsche Umsetzung der Richtlinie müsste sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeiche- rung messen lassen. Insbesondere im Hinblick auf die in der Richtlinie geforderte zentrale Speicherung der Daten in den Mitgliedstaaten, die lange Speicherdauer von ins- gesamt fünf Jahren und den vom Bundesverfassungsge- richt geforderten Ausnahmecharakter einer Vorratsda- tenspeicherung bestehen erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Wir müssen jedoch leider erkennen, dass in der Euro- päischen Union sowohl in der Kommission als auch im Rat mehrheitlich eine Vorratsdatenspeicherung von Flug- gastdaten begrüßt wird. Wir begrüßen, dass sich die Bundesjustizministerin gegen den Richtlinienvorschlag der Kommission gewandt hat und dass auch der Bundes- rat einen kritischen Beschluss gefasst hat. Wir erinnern daran, dass die FDP in der Koalitionsvereinbarung ein- gebracht hat, dass im Falle eines solchen Vorschlags eine Ausweitung auf innereuropäische Flüge abgelehnt wird, und wir begrüßen, dass der Bundesinnenminister dem auf europäischer Ebene bereits gefolgt ist. Den Bundes- innenminister fordern wir auf, bei den Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kom- mission im Rat auf eine breite Ablehnung des Richtlini- envorschlags hinzuwirken und, für den Fall, dass eine mehrheitliche Ablehnung nicht erreichbar ist, sich für höchste Datenschutzstandards, besonders im Hinblick auf die Speicherdauer, die zentrale Datenspeicherung, die Zugriffsmöglichkeiten auf die Fluggastdaten sowie die Beschränkung auf den Luftverkehr, einzusetzen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28175 (A) (C) (D)(B) Da es in der Koalition keine wechselnden Mehrheiten geben soll, können wir dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen am heutigen Tage nicht zustimmen. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistun- gen an Religionsgesellschaften (Staatsleistungs- ablösegesetz – StAblG) (Tagesordnungspunkt 7) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Es geht um Kompensation – nicht um Subvention. Wir sprechen hier nicht über Geschenke oder über eine „Bevorzugung der Kirchen“, wie Sie es formulieren, sondern es geht um Entschädigungen: um einen finanziellen Ausgleich für die Enteignungen von Kirchengütern durch den Staat im Rahmen der Säkularisation, die teils während der Refor- mation, vor allem aber infolge des Reichsdeputations- hauptschlusses von 1803 erfolgt sind. In diesem Zusammenhang über Gleichbehandlung der Religionen zu sprechen, die Sie hier vermeintlich ge- fährdet sehen, ist einfach historisch falsch, weil eben nur die beiden großen christlichen Kirchen betroffen waren. Außerdem weise ich in aller Deutlichkeit Ihre Behaup- tung zurück, dass mit den Staatsleistungen gegen die Trennung von Staat und Kirche verstoßen würde: Wir le- ben in einem säkularen Staat, unsere Verfassung sieht aus gutem Grund vor, dass Staat und Kirche getrennt sind. Doch zugleich ist richtig, dass das deutsche Staats- modell nicht laizistisch ist, sondern vielmehr ein Ver- hältnis der „wohlwollenden Neutralität“ ist, wie es der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio for- muliert. Der weltanschaulich-neutrale Staat muss den Reli- gionsgemeinschaften gegenüber nicht indifferent sein; die Kooperation in bestimmten Bereichen ist durch das Grundgesetz dezidiert erwünscht. Davon sind auch finanzielle „Belange“ nicht grundsätzlich ausgeschlos- sen, wie es beispielsweise beim Religionsunterricht der Fall ist. Dafür gibt es staatliche Zuschüsse. Ich erinnere aber auch daran, dass eben auch der Humanistische Ver- band für die Erteilung des Lebenskundeunterrichts bei- spielsweise in Brandenburg staatliche Zuschüsse für Personal- und Sachkosten erhält. Vielleicht ist es aber vielfach nicht bekannt, dass der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg im vorigen Jahr seine Finanzie- rungsvereinbarung mit dem Land Berlin aus dem Jahr 2002 gekündigt hat, weil diese vorsahen, dass das Land Berlin „nur“ 90 Prozent der Personalkosten für diesen Unterricht übernimmt. Im Übrigen ist es wichtiger Bestandteil der Religions- freiheit, dass der Staat Rahmenbedingungen gewährleis- tet, innerhalb derer seine Bürgerinnen und Bürger ihre Religion auch ausüben können. Gegen die weltanschau- liche Neutralität würde der Staat umgekehrt genau dann verstoßen, wenn er sich einseitig auf die Seite jener schlagen würde, welche die Religionen aus dem öffentli- chen Bereich herausnehmen wollen. Das wäre nämlich eine einseitige Bevorzugung der atheistischen Welt- anschauung. Dies widerspräche im Übrigen auch den Interessen der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die sich zu einer Religionsge- meinschaft bekennen. Darüber hinaus erinnere ich auch Sie daran, dass jene Subventionen, die Sie in ihrem Entwurf zwar aktuell nicht regeln wollen, aber doch als „sogenannte Privile- gierung“ der Kirchen bezeichnen, selbstverständlich ver- fassungskonform sind: Die Kirchen erhalten bei den Leistungen, die sie im Rahmen der Subsidiarität für den Staat erledigen, Zuschüsse, wie jeder andere Träger auch, wenn er dieselben Leistungen bereithält, beispiels- weise bei Kindergärten oder Krankenhäusern. Lassen Sie mich aber zurückkommen auf die Staats- leistungen im engeren Sinne, die auf den Enteignungen der Säkularisation beruhen. Anders als Sie stehen wir Christdemokraten ausdrücklich zu unseren historischen Verpflichtungen in Rechtsnachfolge der Staaten auf deutschem Boden genauso wie zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, das ausdrücklich vorsieht, dass die Grundsätze für eine Ablösung der „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die katholi- sche Kirche“ rechtzeitig im freundschaftlichen Einver- nehmen mit dem Heiligen Stuhl herbeizuführen sind. Gesprächen, die eine solche Ablösung im freundschaftli- chen Einvernehmen intendieren würden, würden wir uns nicht entziehen – nur ist mir nicht bekannt, dass insbe- sondere die Länder mit einer Bitte nach einem Grundsät- zegesetz für die Ablösung an den Bund herangetreten wären. Eher umgekehrt werte ich das Vorgehen der Länder, die den Spielraum, den die geltende Rechtslage ihnen bietet, ja aktiv nutzen, gerade als Signal, dass sie mit den geltenden Regelungen einverstanden sind: Sie wissen, dass beispielsweise Bayern erst jüngst Änderungen bei der Besoldung der Bischöfe und Geistlichen auf Landes- ebene vorgenommen oder auch Hessen Kirchenbaulas- ten abgelöst hat. Ich meine auch, dass Föderalismus falsch verstanden wäre, wenn der Bundesgesetzgeber nun per Gesetz den Ländern fixe Zahlungen vorschreiben und möglicher- weise den Spielraum nehmen würde, die Landesgesetz- gebung, die dann die Ablösung gegenüber den jeweili- gen Diözesen oder Landeskirchen regeln müsste, den örtlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten anzupas- sen. Deshalb sage ich Ihnen: Mit der Union wird es eine einseitige Ablösung ohne solide Rechnungsbasis, ohne Einbeziehung der Länder und der Kirchen, die damit in Wahrheit ein zweites Mal enteignet würden, nicht geben. Wenn es eine Ablösung gibt, müsste sie in dem Sinne er- folgen, wie die Staatsleistungen gedacht sind: Als faire Entschädigung für enteignete Kirchengüter, die ja die wirtschaftliche Grundlage der Kirchen gesichert haben, aus denen sie also ihren Unterhalt bestreiten können. Ich erinnere gern daran, dass der Staat ein genuines Interesse hat, dass die Kirchen finanziell so stabil sind, ihre Ange- 28176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) bote – für übrigens alle Menschen in unserer Gesell- schaft, und nicht nur für Kirchenmitglieder – aufrechter- halten zu können, denn der Staat könnte ihre vielfältigen professionellen, vor allem aber ehrenamtlichen Ange- bote kaum schultern. Wir brauchen dazu starke Kirchen und Religionsge- meinschaften, mit entsprechender personeller und mate- rieller Ausstattung, deren Werte wesentliche Motivation sind für das ehrenamtliche Engagement, das sehr viele Menschen in unserem Land leisten, das unsere Gesell- schaft erst lebenswert macht. Die christliche Nächsten- liebe und Barmherzigkeit sind dafür ganz sicher nicht die einzige, aber eine starke Quelle. So möchte ich quasi den Spieß unserer heutigen De- batte umdrehen und zum Ende meiner Rede den Kirchen ausdrücklich für diesen Dienst an unserer Gesellschaft danken. Norbert Geis (CDU/CSU): Wir leben in einem säku- larisierten Verfassungsstaat, und niemand von uns möchte in einem anderen Staat leben. Es war, wie wir aus der Geschichte wissen, ein langer Weg dorthin. Zwar gab es schon sehr früh nach dem Investiturstreit (1067/1122) die Trennung von Staat und Kirche, aber erst in der Zeit der Aufklärung kam es auch zur Trennung von Staat und Religion. In erster Linie war dies eine Folge der Reli- gionskriege. Der Staat musste Neutralität bewahren, um den Frieden zu sichern. Dem Verfassungsstaat ist es ver- wehrt, in der Auseinandersetzung um die letzte Wahrheit Partei zu ergreifen. Nur so kann er „Heimstatt“ aller Bürger werden, wie das Verfassungsgericht in einem sehr frühen Urteil ausgeführt hat. Das heißt aber nicht, dass der Staat die Religion als geistige Kraft des gesellschaftlichen Lebens ignorieren muss. Religiöse Neutralität bedeutet nicht eine sture Trennung von Staat und Religion, wie es die laizistische Ideologie fordert. Das Christentum hat unsere deutsche Geschichte und die Geschichte des europäischen Konti- nents nachhaltig geprägt. Das kann niemand leugnen. Wir können nicht einfach aus unserer zweitausend- jährigen Geschichte des Abendlandes aussteigen. Die christliche Religion bleibt eine wichtige Voraussetzung unseres freiheitlichen Gemeinwesens. Auf diesen vom Christentum gelegten kulturellen und ethischen Grundla- gen ruht der Staat. Unter diesem Blickwinkel sind die Staatsleistungen, die Weimar von dem vorkonstitutionellen Staat über- nommen und die auch in der Bonner Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben, zu sehen. Mit den Staats- leistungen decken die Kirchen einen großen Teil ihres Aufwandes. Sie sind auf diese Leistungen angewiesen. Diese Leistungen sind keine Subventionen, sondern Er- satz dafür, dass der Staat sich in der Säkularisation die Kirchengüter angeeignet und damit den Kirchen die Existenzgrundlage entzogen hat. Die laizistische Forderung, dass für die beiden großen christlichen Kirchen keine staatlichen Mittel aufgewen- det werden sollen, hat sich weder in der Weimarer Natio- nalversammlung noch in der Bonner Republik durchge- setzt. Sowohl Weimar als auch Bonn und jetzt Berlin wollen nicht die gewaltsame Trennung, sondern wollen die Kooperation zwischen Staat und Kirche. Darin sind sich die großen Parteien einig. Dieses kooperative Verhältnis zwischen Staat und Kirche war wohl ein Grund dafür, dass die Staatsleistun- gen bis heute noch nicht abgelöst wurden. Das heißt aber nicht, dass dieser Verfassungsauftrag inzwischen erlo- schen ist. Die Kirchen können sich nicht darauf berufen, dass diese Staatsleistungen jetzt schon so lange gezahlt werden. Es gibt in dieser Frage kein Gewohnheitsrecht. Die Ablösung ist nach wie vor möglich. Allerdings muss der Staat bei einer eventuellen Ablösung wissen, dass er durch die Staatsleistungen die Autonomie der Kirchen zu gewährleisten hat. Die Staatsleistungen bewirken, dass die Kirchen nicht als Bittsteller vom Staat abhängig werden, sondern dass sie selbstständig und frei von welt- lichen Zwängen ihren Auftrag erfüllen können. Die Auf- forderung des Papstes zur Entweltlichung hat viele As- pekte. Sie hat vor allem aber auch den Aspekt, dass es keine Abhängigkeit der Kirche vom Staat geben darf. Die Staatsleistungen dienen der Unabhängigkeit der Kir- chen von der Welt. Voraussetzung für die Ablösung der Staatsleistungen ist deshalb, dass die Kirchen auch künftig im gleichen Maße wie bisher ihren Aufwand finanzieren können. Eine solche Ablösung hat in der Atmosphäre der Freund- schaft zu erfolgen. Dazu sind Verhandlungen notwendig mit dem Ziel, eine einvernehmliche Regelung zu finden. Der vorliegende Entwurf entspricht diesen Vorausset- zungen nicht, sondern er stellt ein einseitiges Diktat dar. Dies widerspricht dem Grundsatz der Kooperation zwi- schen Staat und Kirche. Wir werden deshalb den Ent- wurf ablehnen. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Es sieht so aus, als ob die Linke beabsichtigt, einen Beitrag zur Aufarbeitung von Geschichte zu leisten in einem für sie ungewohnten Bereich. Sie legt heute ein Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesell- schaften vor und bezieht sich darin auf einen Verfas- sungsauftrag von 1919, der wiederum sich auf „Vor- gänge“ von 1803 bezieht. Dass dieser vorgelegte Entwurf aber kein Beitrag zur Aufarbeitung ist, stellen wir fest, wenn wir uns vor Augen führen, um was es tat- sächlich geht. Bund, Länder und Kommunen leisten finanzielle Un- terstützung an die Kirchen in verschiedenster Form. Eine Besonderheit der Unterstützungsleistung stellen die so- genannten Staatsleistungen dar, und um die geht es heute. Staatsleistungen haben ihren historischen Ur- sprung in der Zeit der Säkularisierung, geregelt im Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803. Im Rah- men dieser Säkularisierung wurden zahlreiche kirchliche Güter enteignet; insofern versteht die Linke etwas da- von. Diese Güter sind meistenteils noch heute in staatli- chem Eigentum; „meistenteils“ daher, weil es in den ver- gangenen Jahren immer wieder einmal auf Landesebene Verhandlungen mit dem Abschluss von Ablösevereinba- rungen gegeben hat. 1803 übernahmen die damaligen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28177 (A) (C) (D)(B) Landesherren die Verpflichtung, im Gegenzug die Be- soldung und Versorgung der Pfarrer sicherzustellen. Es handelte sich also ursprünglich um eine Art Pachtersatz- leistung. Staatsleistungen stellen auch heute noch keine Förderung der Kirchen durch den Staat dar. Vielmehr handelt es sich immer noch um die Wiedergutmachung für erlittene Rechtsverluste infolge der säkularisations- bedingten Vermögensverluste der Kirchen. Wie bereits angedeutet, sind diese Staatsleistungen durch Art. 140 Grundgesetz mit dem dadurch geltenden Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung verfas- sungsrechtlich verbürgt. Gleichzeitig gibt es einen Auf- lösungsauftrag für die vor dem Inkrafttreten der Weima- rer Reichsverfassung im Jahre 1919 begründeten Staatsleistungen. Danach sollen die regelmäßigen Zah- lungen gegen eine angemessene Entschädigung aufgeho- ben werden. Ich zitiere Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsver- fassung: Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsge- sellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf. In Art. 18 Satz 3 des Staatskirchenvertrags vom 20. Juli 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich, dem sogenannten Reichskonkordat, heißt es ausdrücklich: Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten ei- nen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren. Unbestritten ist also, dass es einen Auftrag gibt. Aber der Teufel steckt im Detail. Was ist „angemes- sen“? Wer kann „angemessen“ definieren? Seit Jahren wird diese Problematik immer wieder thematisiert. Da- bei verschließen sich die Vertreter der Kirchen auch nicht möglichen Lösungsvorschlägen. Doch wie könnten diese Lösungsvorschläge aussehen? Die Linken rechnen in ihrem Antrag hin und her, um die Wertigkeit der abschließenden Staatsleistungen auf das 10-Fache des zeitlichen Jahreswertes zu beziffern. Dies scheint mir aus der Luft gegriffen. Andere Meinun- gen gehen von einem 25-Fachen des zeitlichen Jahres- wertes aus. Wieder andere halten es für angemessen, die Zahlungen komplett einzustellen, da in den vergangenen Jahren umfangreiche Zahlungen bereits erfolgt seien. Zurzeit belaufen sich die jährlichen Zahlungen auf circa 460 Millionen Euro. Das bedeutet, das Spektrum der im Zweifelsfall erforderlichen Mittel reicht von 0 über 4,6 Milliarden bis hin zu 115 Milliarden Euro. Als be- sonderes Schmankerl: Wir bestellten hier die Musik, und die Länder müssten zahlen. Die Freude dort wäre über- groß, wie sich denken lässt. Ich bin zwar keine Verfas- sungsrechtlerin, aber Ihre Forderungen lassen doch er- heblich an der Verfassungsmäßigkeit des vorgestellten Gesetzestextes zweifeln. Darauf geht aber sicher Herr Geis noch besonders ein. Ein weiterer Aspekt: Zur Ablösung dieser Staatsleis- tungen ist ein Grundsätzegesetz erforderlich; das heißt, ein Gesetz, das die Grundsätze zwischen den Religions- gemeinschaften und den Ländern neu regelt. Dabei soll seitens des Bundes ein Rahmen für die Ablösung vorge- geben werden, den die Länder ausfüllen. Die Linken hin- gegen machen in ihrem Entwurf den Ländern bereits konkrete Vorgaben. Welcher Spielraum bei der Ausge- staltung verbliebe den Ländern dann noch? Denn von ei- ner verbleibenden Regelungsautonomie der Länder kann bei den Vorgaben in diesem Gesetzentwurf nicht mehr die Rede sein. Gerade im Hinblick auf die unterschiedli- chen Entwicklungen im Verhältnis Länder und Reli- gionsgemeinschaft in den zurückliegenden Jahren – so- gar Jahrhunderten – ist es wichtig, dass den Ländern entsprechende Gestaltungsspielräume für eine eventuelle Ablösung überlassen werden. Auch bleibt anzumerken: Unabhängig von der Ver- pflichtung aus Art. 138 Weimarer Reichsverfassung ha- ben bereits zahlreiche Bundesländer vertragliche Rege- lungen gegenüber den Religionsgemeinschaften für eine Ablösung der Staatsleistungen getroffen. So hat zum Beispiel Bayern ehemals kirchliche Liegenschaften wie Kirchen und andere kirchliche Gebäude bereits an die Kirche zurückübereignet, was zur Folge hatte, dass staat- liche Unterhaltsleistungen weggefallen sind. Gleichzei- tig hat Bayern mit dem Gesetz zur Änderung des Geset- zes über die Bezüge der Erzbischöfe, Bischöfe und Mitglieder der Domkapitel sowie über die Zuschüsse zum Personalaufwand des Landeskirchenrates Ende 2012 die Leistungen an Geistliche beider Konfessionen neu geregelt. Ein Eingreifen des Bundes, wie Sie es wollen, würde die Länder vor erhebliche finanzielle Probleme stellen. Wir wollen den Ländern im Hinblick auf ihre spezifische Situation bzw. Interessenslagen und ihre finanziellen Gestaltungsspielräume nicht vorschreiben, ob und bis wann sie die Staatsleistungen ablösen, sondern verweisen gerne auf Bayern und die dort gefundenen Lösungen. Und noch einmal: Wie Sie auf den 10-fachen Jahres- beitrag kommen, bleibt Ihr Geheimnis. Jedenfalls ent- behrt es jeder Seriosität, etwa einer Berechnung anhand nachvollziehbarer Kriterien, mal so einfach den 10-fa- chen Jahresbeitrag zu fordern. Sie nennen dies zwar Kompromisslösung zwischen Allgemeininteresse in Be- zug auf eine Schonung des Haushaltes und den Vermö- genswahrungsinteressen der betroffenen Kirchen. Aber auch das trifft nicht den Kern. Ich verweise auf Art. 18 Satz 1 des Reichskonkordates. Dort heißt es: Falls die auf Gesetz. Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die ka- tholische Kirche abgelöst werden sollten, wird vor der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustel- lenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heili- gen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden. Zitat Ende. So pfleglich ging man damals jedenfalls mit- einander um. Ihr 10-facher Jahresbeitrag, auf den Sie sich wohl untereinander geeinigt haben, scheint mir weit weg von einem „freundschaftlichen Einvernehmen“ zu sein. 28178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Schließlich widerspreche ich mit Nachdruck, wenn es im vorliegenden Gesetzentwurf heißt, dass die gewähr- ten Staatsleistungen zu einer Bevorzugung der Kirchen gegenüber anderen Bekenntnisgemeinden führten. Ich erinnere an dieser Stelle nur daran, dass wir im März vergangenen Jahres das Gesetz zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland gelesen und verabschiedet haben. Kaum jemand – außer Ihnen – empfindet das als „Bevor- zugung“. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erkennt das Prin- zip der Trennung von Staat und Kirche an. Eine Verän- derung der rechtlichen Stellung der Kirchen hätte weit- reichende verfassungsrechtliche Auswirkungen. Und deshalb bleibt nur noch festzustellen, dass der Gesetzent- wurf nicht im Ansatz hält, was der Titel verspricht. Der Überweisung in den Innenausschuss stimmen wir zu. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie meistens, wenn wir uns hier im Hohen Haus mit dem Verhältnis von Kirche und Staat beschäftigen, wird es historisch. Der Anlass unserer heutigen Debatte ist der Ablösungsauftrag für die sogenannten Staatsleis- tungen, der bereits seit 1919 in der Verfassung steht. Die Linksfraktion hat dazu den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht, der aus unserer Sicht – das sage ich gleich vor- weg – reichlich unausgegoren ist, denn der Teufel, falls diese Bemerkung erlaubt ist, steckt wie so oft im Detail. Im Gesetzentwurf wird die Notwendigkeit einer Ab- lösung damit begründet, dass dadurch eine stärkere Ent- flechtung des Staat-Kirche-Verhältnisses vorangetrieben werde. Diese stärkere Entflechtung ist aus Sicht meiner Fraktion auch durchaus wünschenswert. Die höchste Hürde ist hierbei allerdings, dass die allermeisten Juris- ten den kompletten Wertersatz der Staatsleistungen als Ablösung veranschlagen, also in etwa die 25-fache Summe des von den Ländern jeweils gezahlten Jahresbe- trags. In Anbetracht dessen wirkt die zehnfache Summe als einmalige Abfindung, wie er im Gesetzentwurf der Linken steht, doch ziemlich willkürlich gewählt und ist auch nicht nachvollziehbar begründet. Und dann leuchtet da noch etwas nicht so recht ein: Warum haben Sie es eigentlich so eilig, die Länder zur Gesetzgebung zu drängen? Sie wollen, dass die Länder innerhalb eines Jahres nach Erlass des bundesrechtlichen Ablösungsgesetzes tätig werden müssen; so steht es im Entwurf. Dies aber halte ich für äußerst knapp bemessen, wenn wir daran denken, dass einem solchen Landesge- setz umfangreiche Verhandlungen mit den Kirchen vo- rausgehen müssten – von der Zeit, die die parlamentari- sche Befassung inklusive der möglicherweise notwendig werdenden Haushalts- bzw. Nachtragshaushaltsberatun- gen dann noch in Anspruch nimmt, mal ganz abgesehen. Die Frage, ob die Länder das überhaupt wollen, ist dabei vollends aus dem Blick geraten. Denn in der Staatslehre herrscht Dissens über die Frage, ob ohne ein bundes- rechtliches Ablösungsgesetz die Länder überhaupt Ablö- sungen vornehmen dürfen. Egal, wie man die Frage be- antwortet, so steht doch fest, dass die Länder nur dann abzulösen brauchen, wenn sie dies für richtig halten, also entweder unabhängig vom Bundesgesetz oder aber erst nach dessen Erlass. Aber – und das ist in diesem Zusam- menhang der springende Punkt – sie können durch die- ses Gesetz nicht zur Ablösung gezwungen werden, wie Sie dies verlangen. Das ist das eine. Zum anderen habe ich den Eindruck, Sie haben eine falsche Vorstellung vom Charakter dieses „Grundsätze- Gesetzes“, wie es laut Weimarer Reichsverfassung heißt. Es heißt nämlich deshalb so, weil es die Grundsätze auf- stellen soll, denen die Länder dann zu folgen haben. Sie aber stellen im Gesetz nicht die Grundsätze auf, sondern regeln detailliert, was im Einzelnen zu geschehen hat. Da stellt sich doch die Frage, wo da der Spielraum der Länder ist. Wozu braucht es ein Landesgesetz, wenn die bundesrechtlichen Vorgaben so präzise sind? Zum Schluss noch drei Anmerkungen zu Ihrer Be- gründung, der heute aus dem Amt scheidende Papst habe dies selbst so gewollt. Erstens ist selbst innerhalb der ka- tholischen Kirche umstritten, wie die Freiburger Rede Benedikts von der „Entweltlichung“ der Kirche zu ver- stehen ist. Zweitens werden sich die genauso von dem Gesetz betroffenen evangelischen Landeskirchen fragen, warum sie von Ihnen von der Linkspartei in ökumeni- sche Mithaftung für Äußerungen des Papstes genommen werden. Und drittens ist im Gesetzentwurf viel die Rede davon, dass die Trennung von Staat und Kirche endlich vollständig durchgesetzt werden müsse. Unabhängig von der Frage, was das konkret bedeutet, stellt die Exe- gese von Papstworten diesen Grundsatz auf den Kopf. Denn zur Trennung von Staat und Kirche gehört auch, dass der Staat eben nicht bewerten kann und darf, was kircheninterne Äußerungen bedeuten sollen und was nicht. Insofern fehlt dem Vorstoß die notwendige argu- mentative Konsistenz. Wir sollten die Auseinandersetzung über Sinn und Zweck der Staatsleistungen und die rechtlichen Mög- lichkeiten ihrer Ablösung führen, da bin ich ganz bei Ih- nen. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung indes sagt mehr aus über Ihr Verständnis bzw. Mißverständnis des Religiösen als über die Problematik selbst. Mit Ihrem Antrag bürden Sie den Ländern eine praktisch nicht zu leistende Gesetzgebungslast auf und demonstrieren ein eklatantes Desinteresse an den rechtlichen Detailproble- men der Ablösung. Sie sind nicht an einer sinnvollen Lösung interessiert, sondern nur an der Konfrontation. Genau deshalb können wir Ihren Antrag nicht mittragen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Neue Flusspolitik – Ein „Nationales Rah- menkonzept für naturnahe Flusslandschaf- ten“ – Umfassendes Elbekonzept erstellen (Tagesordnungspunkt 15) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Der Schutz der Um- welt steht sowohl bei der Bundesregierung als auch bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf der politischen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28179 (A) (C) (D)(B) Agenda ganz weit oben. Ein wichtiger Aspekt ist in die- sem Zusammenhang auch die Wasserpolitik. Da wir uns dessen Bedeutung bewusst sind, verfügt Deutschland hier über ein im internationalen Vergleich vorbildliches Umweltschutzniveau. Dies gilt auch für viele andere Bereiche. Deutschland hatte von Anfang an ein vorrangiges Interesse an der Wasserrahmenrichtlinie. Deshalb war die Beteiligung der Bundesrepublik auf europäischer Ebene im Vorfeld auch so intensiv und er- folgreich. Wir haben die Herausforderungen ernst ge- nommen und gehören deshalb zu den wenigen Staaten, die fristgerecht Ende 2009 die notwendigen Bewirt- schaftungspläne für die Flussgebietseinheiten mit deut- schem Anteil vorgelegt haben. Wir haben viel gelernt bei der Umsetzung der Wasser- rahmenrichtlinie, und wir verfolgen damit sehr ehrgei- zige Ziele, die nicht ohne erheblichen finanziellen Auf- wand zu erreichen sind. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit unseren europäischen Nachbarn zusammen. Die Linken behaupten in ihrem Antrag, dass die Euro- päische Kommission ein umfassendes Vertragsverlet- zungsverfahren wegen fehlerhafter Umsetzung der Was- serrahmenrichtlinie eingeleitet hat. Hier geht es um eine unterschiedliche Interpretation von Rechtsbegriffen der Europäischen Kommission, die sich im Bereich des Kos- tendeckungsprinzips von den verschiedenen EU-Mit- gliedstaaten unterscheidet. Konkret geht es hier um die Definition des Begriffs der Wasserdienstleistungen und die Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen der Wasserrichtlinie. Alle Fristen wurden von der Bundesregierung einge- halten, und die Klage wurde zum 31. Januar 2013 gegen- über dem Europäischen Gerichtshof erwidert. Das Ver- fahren ist damit offen. Lassen Sie uns abwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheiden wird. Die restrik- tive inhaltliche Auslegung der Bestimmungen wird übri- gens von rund elf weiteren Mitgliedstaaten geteilt. Sie sehen also, Deutschland steht hier nicht alleine, und die Klage gegen uns wird als Musterprozess der Europäischen Kommission für ähnlich gelagerte Fälle gesehen. Und wir alle wissen ja: „Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“. Der Antrag der Linken fordert, neben der Wasserrah- menrichtlinie ein nationales Rahmenkonzept für natur- nahe Flusslandschaften als zweites Instrument zu schaf- fen. Aber das brauchen wir nicht. Offensichtlich kennen Sie die grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwi- schen dem Bund und seinen Ländern immer noch nicht: Der Bund ist nicht für die Bewirtschaftungsplanung oder Maßnahmenprogramme zuständig; dafür sind die Bun- desländer zuständig. Die Realisierung der Programme erfolgt durch die Bundesländer. Diese Phase wurde bis Ende 2012 erfolgreich abgeschlossen. Nach der Wasserrahmenrichtlinie werden die Bewirt- schaftungspläne und Maßnahmenprogramme alle sechs Jahre überprüft und nötigenfalls angepasst sowie aktuali- siert. Also findet hier eine Evaluierung statt. Eine Ver- kürzung der Überprüfungsphasen macht wegen der meist langsamen Reaktionen der Gewässer auf erfolgte Maßnahmen keinen Sinn, wie es der Antrag der Linken suggeriert. Die Bewirtschaftungspläne sind wesentliche Elemente zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Deshalb ist die Einrichtung einer interministeriellen Ar- beitsgruppe auf Bundesebene nicht notwendig. Die zu- ständigen Ministerien auf Bundes- und Länderebene be- finden sich in engem Austausch. Darüber hinaus wurden Vertreter interessierter Kreise frühzeitig in die Umset- zung der Wasserrahmenrichtlinie eingebunden. Die Wasserrahmenrichtlinie – wie übrigens auch die im Antrag zitierte Hochwasserrisikomanagement-Richt- linie – verlangen bereits heute nach einer intensiven Kooperation aller beteiligten Akteure und einer aktiven Beteiligung der Öffentlichkeit. Dem ist die Bundesregie- rung selbstverständlich umfassend nachgekommen. Dabei hat sie zugunsten einer möglichst breiten Ein- bindung der Öffentlichkeit zum Teil innovative Wege beschritten, gerade auch im Sinne einer aktiven Beteili- gung. Besonders der gerade angelaufene Ideenwettbe- werb des Deutschen Naturschutzpreises ist hier ein gutes Beispiel. Für das Jahr 2013 steht er unter dem Thema „Lebensraum Wasser – Vielfalt entdecken, erleben, er- halten“. Bürgerinnen und Bürger sind dazu aufgerufen, Ideen einzureichen, die die biologische Vielfalt hervor- heben sowie die Lebensräume in, an und auf Seen, Bä- chen und Flüssen erlebbar machen. Gerade die Zusammenarbeit von verschiedenen Inter- essengruppen bietet hier eine hervorragende Möglich- keit, um nicht nur das Naturerlebnis, sondern auch Na- turbildung und -schutz nachhaltig zu unterstützen. Durch dieses und ähnliche Projekte ist die Öffentlichkeitsbetei- ligung bei der Erarbeitung der Wasserrahmenrichtlinie berücksichtigt und auch umgesetzt worden. Aber auch weitere Forderungen des Antrages zeigen die Unkennt- nis der Linken von der föderalen Kompetenzverteilung deutlich: Die Forderung, räumlich zusammenhängende Gewässerrandstreifen mittelfristig auf 15 Meter festzule- gen, muss ich zurückweisen. Die Diskussion hatten wir schon vor Jahren mit den Bundesländern, als es um den Hochwasserschutz ging. Nach dem Wasserhaushaltsgesetz 2010 muss der Gewäs- serrandstreifen im Außenbereich bereits 5 Meter breit sein. Aber Länder und Behörden können durchaus ab- weichende Regelungen treffen und flexibel handeln. Eine bundeseinheitliche Vorgabe ist daher auf Dauer nicht möglich und auch nicht gewollt. Darüber hinaus fördert das BMU im Rahmen der För- derrichtlinie für Naturgroßprojekte zahlreiche Gewässer- randstreifenprojekte. Dann möchte ich auch noch darauf hinweisen, dass nach § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 des Was- serhaushaltsgesetzes die Umwandlung von Grünland in Ackerland verboten ist. Des Weiteren sind Überschwem- mungsgebiete als Rückhalteflächen zu erhalten. Auch sollen frühere Überschwemmungsgebiete, soweit mög- lich, wiederhergestellt werden. All dies fällt in die Län- derzuständigkeit, worüber wir ausgiebigst in den ent- sprechenden Gremien diskutiert haben. 28180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Zur Forderung der Linken, die Gewährleistung einer öffentlichen Finanzierung, die vorrangig auf Synergien zwischen dem Hochwasserschutz und dem Erhalt bzw. der Entwicklung frei fließender Flüsse mit naturnahen Auen ausgerichtet ist, kann ich nur sagen: Die geltenden finanzverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sa- gen, dass auch hier die Länder die finanzielle Verantwor- tung haben. Trotzdem engagiert sich die Bundesregie- rung im Hochwasserschutz. Auch auf EU-Ebene setzt sie sich dafür ein, dass der Hochwasserschutz in den ein- schlägigen europäischen Förderprogrammen berücksich- tigt wird. Eine Kooperation zum Gewässerschutz in den internationalen Flussgebieten bzw. an Grenzflüssen fin- det schon lange statt. Dazu wurden internationale Fluss- gebietskommissionen und Grenzgewässerkommissio- nen gegründet, die mit ihren Arbeitsstrukturen sämtliche Themen des Gewässerschutzes abdecken, wie Hochwas- serschutz, chemische und ökologische Aspekte des Ge- wässerschutzes, Warnung bei Unfällen, inzwischen auch Fragen der Biodiversität und des Klimaschutzes. Diese Gremien dienen als Koordinationsplattformen zur inter- nationalen Abstimmung der Umsetzung europäischer Gewässerschutzrichtlinien. Auch im Bereich der Forschung ist die Bundesregie- rung engagiert. So sind Vorhaben regelmäßig im Rah- men des Umweltforschungsplans des Bundesumwelt- ministeriums gefördert worden. Zusammenfassend stelle ich fest: Die Bundesregie- rung setzt sich aktiv ein für die Harmonisierung des Ge- wässerschutzes und die Verbesserung des Zustands der Gewässer innerhalb der EU. Dazu dient als zentrales In- strument die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in nationaler Verantwortung. Das Herzstück der EU-weit verbindlichen Richtlinie ist es, bis 2015 einen guten öko- logischen und chemischen Zustand bei oberirdischen Gewässern und einen guten quantitativen und chemi- schen Zustand beim Grundwasser herzustellen. Zur Realisierung dieses ambitionierten Ziels werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Kräften beitragen. Den uns vorliegenden Antrag der Linken lehnen wir ab. Dieser Antrag strotzt vor Unkenntnis, fordert Dinge, die längst erledigt oder auf den Weg gebracht sind, und er verfolgt ein falsches Ziel: Anstatt über die Erstellung neuer theoretischer Rahmenkonzepte nachzudenken, set- zen wir uns lieber ganz praktisch für eine optimale Um- setzung bereits beschlossener Konzepte ein. Wir verzetteln uns nicht; wir handeln. So leisten wir einen aktiven Beitrag zum Schutz der Umwelt und unterstützen die Bundesregierung auf natio- naler und europäischer Ebene bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Auch wenn ich mich stärker auf den Elbe-Antrag konzentrieren möchte, doch zunächst einige Worte zum Flusspolitikantrag: Bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie hängt es nicht, wie Sie es in Ihrem Antrag zu suggerieren versuchen, an irgendeiner Gewässerverunreinigung, dass ein Verfahren beim EuGH anhängig ist, sondern es dreht sich einzig und allein um die juristische Fragestellung und Defini- tion des juristisch unbestimmten Begriffes der „Wasser- dienstleistungen“. Die Klärung einer solchen Rechts- frage über ein juristisches Verfahren ist ein ganz normaler Vorgang. Die Differenzen, die es hier zwischen Bund und EU gibt, entzünden sich an der Frage, ob zum Beispiel die Nutzung von Wasser durch eine Wasser- kraftanlage eine Wasserdienstleistung ist und damit kos- tenpflichtig gemacht werden kann. Diese Problematik sprechen Sie in Ihrem Antrag jedoch nicht einmal im Entferntesten an. Den Bund hier einseitig zu kritisieren, geht deswegen vollständig fehl. Doch nun zu dem Elbe-Antrag, den Sie uns trotz lan- ger Debatten darüber in der Vergangenheit heute erneut unverändert vorlegen: Welch eine wunderschöne Vor- stellung – der frei fließende Fluss in einer natürlichen Landschaft. Wirklich wunderschön? Wenn man die beiden Anträge, die wir heute beraten, in Verbindung miteinander liest, könnte man sich an dem Idealbild begeistern. Doch leider ist Natur nicht ideal, und das Schäferidyll des Barock ist keine reale Welt im Hier und Jetzt. Deshalb wird es Zeit, liebe Kollegen von der Linken, endlich in der Wirklichkeit anzukommen. Die fruchtbaren Elbniederungen, in denen wir heute leben und die wir als wunderschöne Naturlandschaft er- leben, sind Kulturlandschaft und in jahrhundertelangen Kämpfen von unseren Vorfahren der Natur abgetrotzt worden. Nur als Beispiel: Bis zum 11. Jahrhundert stellte sich die Elbe als weit verzweigtes Gewässersystem dar und floss zum Beispiel im Raum Stendal zeitweise fast 30 Kilometer östlich vom heutigen Verlauf. Nach vielen Flutkatastrophen sicherten unsere Vorfahren das Sied- lungsgebiet zwischen Havel und Elbe, und es wäre wohl unvorstellbar, die über Jahrhunderte entstandenen Fluss- bauwerke und damit die Kulturlandschaft und Siedlun- gen aufzugeben. Der frei fließende Fluss ist eine Illusion und für viele Anwohner nicht einmal eine schöne Illu- sion. Damit werden viele der Forderungen in den beiden Anträgen von vornherein Makulatur. Auf der anderen Seite ist der in den Anträgen kriti- sierte Eintrag von Chemie und Nährstoffen auch an der Elbe in einem ungemein bemerkenswerten Umfang zu- rückgegangen. So wurde in der Elbe die Jahresfracht von Schwermetallen um bis zu 90 Prozent verringert. Gleich- zeitig hat sich die Sauerstoffkonzentration jetzt im Mittel von 8 Prozent eingepegelt und hat seit 1993 die zu DDR- Zeiten übliche Sauerstoffkonzentration von 3 Prozent nie wieder unterschritten. Aquatische Lebensgemeinschaften, die nicht mehr existierten, konnten wieder angesiedelt werden. 36 von 41 potenziellen Fischarten leben wieder in der Elbe. Lachs, Meeresforelle und Wels sind wieder anzutreffen. 1980 waren es noch ganze 26 Fischarten. Die Behaup- tung eines zunehmenden Artenrückgangs und eines zu- nehmenden Eintrags von Nähr- und Schadstoffen ist demzufolge politischer Unsinn und sollte gerade von den Linken unterlassen werden. Denn gerade ihre Vorgän- gerpartei trägt an dem ökologischen Desaster der DDR wesentliche Verantwortung. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28181 (A) (C) (D)(B) Die positive Entwicklung bei den aquatischen Le- bensgemeinschaften ist aber auch solchen Flussbauwer- ken wie Buhnenfeldern oder Leitwerken zuzurechnen. Dadurch sind Stillgewässer entstanden, in denen sich Fischbrut gut entwickeln kann. Regulierungsbauwerke können sich bei richtiger Gestaltung also durchaus öko- logisch positiv auswirken. Wer aber jede Veränderung an Flussbauwerken gleich und von vornherein als Ausbau- maßnahmen verteufelt, verhindert auch ökologische Ver- besserungen. Das Gleiche trifft auch auf die Sohlenstabilisierung zu. Alle wissen, dass sich die Elbe seit Jahrhunderten im Bereich Wörlitz/Coswig eingräbt und dadurch die Auwälder dieser Region trockenzufallen drohen. Selbst das Biosphärenreservat Elbe hat vorgeschlagen, durch Sohlschwellen das Eingraben der Elbe zu stoppen. Durch die Kampfbegriffe „Kanalisierung“ und „Steini- gung der Elbe“ ist eine vernünftige Debatte über diese Rettungsmaßnahmen bisher unterblieben. Wenn die Linke in ihrem Antrag einen Schwerpunkt Sohlstabili- sierung fordert, wäre es schon spannend, wie sie sich in der Praxis dazu stellt. Hier im Bundestag die eine For- derung zu stellen und in den Ländern oder vor Ort ent- gegengesetzte Forderungen aufzumachen, geht einfach nicht. Auch in einem Antrag einen einheitlichen Gewässer- randstreifen von 15 Metern einzufordern und beim Hochwasserschutzgesetz mehr Landeskompetenzen in dieser Angelegenheit zu verlangen, passt nicht zusam- men. Es ist ja durchaus nachvollziehbar, dass Gewässer- randstreifen bei Gewässern erster Ordnung anders ge- handhabt werden als bei Gewässern dritter Ordnung oder dass bei den Festlegungen zu Gewässerrandstreifen die Geländeneigung mitberücksichtigt werden muss. Des- wegen war eine einheitliche Festlegung des Gewässer- randstreifens schon in der Vergangenheit falsch und wird es auch in Zukunft sein. Gerade im Hochwasserschutz wird von den Ländern die Subsidiarität hochgehalten. Es ist zwar richtig, dass der Bund die Länder bei solchen Maßnahmen wie der Deichrückverlegung unterstützt, aber es macht Sinn, den Hochwasserschutz in der Kompetenz der Länder und Kommunen zu lassen. Wie wollte auch der Bund einen Hochwasserschutz zum Beispiel an Gewässern dritter Ordnung organisieren? Das können Länder und Kom- munen vor Ort viel besser; denn gerade hier liegen oft Wissen und Erfahrung der Menschen vor Ort vor. Nicht große Forschungsprogramme sind vonnöten, sondern Umsetzung von Erfahrungen. Wenn ich mir da den Um- gang des Landes Brandenburg mit den Erfahrungen mit dem Hochwasserschutz an der Elbe im Bereich Mühl- berg ansehe, kann ich Ihnen nur sagen: Nicht viel Papier beschreiben mit noch mehr Forderungen, sondern auf die Erfahrungen der Menschen in Mühlberg eingehen und etwas für den Hochwasserschutz in der Praxis tun! Damit ist die Forderung nach Übertragung von Kompe- tenzen, die zurzeit bei den Landesämtern liegen, an die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes gera- dezu grotesk. Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Sie das in Brandenburg durchsetzen. Mit der bevorstehenden Flussgebietskonferenz in Magdeburg am 5. März werden wir sachgerechte Ant- worten auf viele Fragen zur weiteren Entwicklung an der Elbe geben. Diese Flusskonferenz ist ein Teil unseres Gesamtkonzeptes Elbe. Das Gesamtkonzept Elbe soll nach dem Willen des Runden Tisches von Bund, Ländern und Institutionen aus dem Umweltbereich bis spätestens 2015 das derzeitige Unterhaltungskonzept an der Elbe ablösen. Dabei handelt es sich um einen ergebnisoffenen Prozess, bei dem auf die geänderten rechtlichen Rah- menbedingungen einerseits sowie den sich verändernden Wasserabfluss andererseits reagiert werden soll. Ebenso soll eine Lösung gefunden werden für die bisher unge- lösten Probleme an den Reststrecken. Im Vordergrund stehen die aktuellen Rahmenbedingungen, die das Um- weltrecht vorgibt, aber auch das mit den Ländern entwi- ckelte Sohlenstabilisierungskonzept für die Erosionsstre- cke von Mühlberg bis zur Saalemündung bei Barby. Schließlich geht es um die in Niedersachsen gelegene Reststrecke bei Dömitz/Hitzacker. Sowohl aus natur- schutzfachlichen Gründen als auch zur Umsetzung des Hochwasserschutzes werden dabei Maßnahmen erfor- derlich, die die Grenzen der Unterhaltung erreichen. Ohne diese Maßnahmen lässt sich jedoch die Erosions- strecke nicht wirkungsvoll sanieren und kein verlässli- cher Hochwasserschutz herstellen, die Schifffahrtsver- hältnisse lassen sich nicht nachhaltig konsolidieren. Das derzeitige Geschiebemanagement ist kostenintensiv und mit ständigen Eingriffen in die Natur verbunden. So ist es nur sinnvoll, dass durch Maßnahmen im Uferbereich und Rückbau sowie Veränderungen an Buhnen die Fließ- geschwindigkeit der Elbe verringert wird. Diese Maß- nahmen sind jedoch derzeitig bei den Umweltverbänden nicht durchsetzbar, weil sie als Ausbaumaßnahmen gel- ten. Genauso ist der Schiffstransport auf der Elbe ideolo- gisch belastet, doch: Insgesamt wird die Elbe von rund 150 verladenden oder transportierenden Unternehmen genutzt. Sowohl Containerverkehre als auch Projektla- dungs- und Schwerlastverkehre gewinnen hier zuneh- mend an Bedeutung. Dabei handelt es sich oftmals um Transporte mit einer wesentlich höheren lokalen Wert- schöpfung, als dies bei den früher dominierenden Mas- sen- und Schüttguttransporten der Fall war. Siemens produziert am Standort Görlitz Industrietur- binen. Das sind zum Beispiel Dampfgeneratoren, die heute in einer Länge von 12 bis 13 Metern hergestellt werden und 230 bis 250 Tonnen schwer sind. Die nächste Generation wird eine Länge von 14 bis 15 Metern aufweisen und bis zu 500 Tonnen wiegen. Ein anderer Transport als über die Elbe ist nicht denkbar. Ähnlich sieht es bei der Schuler AG in Erfurt aus. BMW-Werke in ganz Deutschland und darüber hinaus werden mit den in Erfurt hergestellten Pressen ausgerüs- tet. Das Kopfteil einer Presse wiegt allein über 158 Ton- nen. So ein Schwerlasttransport kann nicht allein über die Straße erfolgen. Der Weg von Erfurt ins BMW-Werk nach Regensburg beträgt auf der Straße 326 Kilometer. Das Kopfteil der Presse war aber gut 1 600 Kilometer unterwegs, 1 000 Kilometer davon in elf Tagen auf dem 28182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Binnenschiff. Die Verladung erfolgte im Elbhafen in Aken in Sachsen-Anhalt. Sowohl Siemens in Görlitz als auch die Schuler AG in Erfurt sind Beispiele für Betriebsstätten von Unter- nehmen, für die der Wegfall des Transports auf der Was- serstraße deren Existenz infrage stellen würde. Ein weiteres Thema sind Windkraftanlagen. Rotoren von Schwachwindanlagen erreichen heute einen Durch- messer von über 120 Metern. Rotoren dieser Größenord- nung können nur mit sehr großem Aufwand und meist intermodal unter anderem auf der Wasserstraße transpor- tiert werden. Rotoren für Windkraftanlagen von Enercon werden von Magdeburg aus in Richtung Westen bis Rotterdam und in Richtung Süden bis nach Wien trans- portiert. In Mühlberg an der Elbe ist es der Hersteller Vestas, für den die neue Kaianlage gebaut worden ist. Es ist also eine durchaus positive Entwicklung, die es hier zu begleiten gilt. Nicht überkritische Anträge, son- dern die sachlichen Gespräche auf unserer Elbe-Konfe- renz führen zu Fortschritten, und es wäre dramatisch, wenn sich die neue niedersächsische Regierung diesen Gesprächen verschließen würde. Unsere Antworten bieten einen guten Ansatz für die weitere Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie bei einer gleichzeitig guten Entwicklung für unsere Flussland- schaften. Horst Meierhofer (FDP): Ihr erster Antrag zur Flusspolitik hat zwar ein paar gute Ansätze. Insgesamt ist er trotzdem an einigen Stellen falsch in der Sache und trifft eine Reihe von merkwürdigen Aussagen. Sie behaupten zum Beispiel, dass seit dem 19. Jahr- hundert der Zustand der Flüsse immer schlechter gewor- den sein soll. Ich bitte Sie. Gerade die Linke müsste doch wissen, dass sich an Elbe und Saale seit der Wie- dervereinigung der Zustand doch ganz wesentlich ver- bessert hat. Und dass die Elbe und andere Flüsse vor allem von Schifffahrt und Industrie geprägt sein sollen, halte ich für eine maßlose Übertreibung. Setzen Sie sich doch ein- mal ein paar Stunden in Dessau an die Elbe! Wenn Sie Glück haben, erwischen Sie vielleicht einmal ein Schiff. Das sieht im Hamburger Hafen natürlich anders aus. Oder auch, dass man im Rhein wieder baden kann. Das ist ein Riesenerfolg, der in den 70ern und 80ern nie und nimmer denkbar gewesen wäre. Dann bringen Sie 27 Forderungspunkte voll von Selbstverständlichkeiten, aber auch verqueren Ansich- ten: Es ist zwar richtig, ein Hochwasserwarnsystem mit bundeseinheitlich verbindlichen Standards zu fordern. Flüsse machen nun einmal nicht an den Ländergrenzen halt. Dabei übersehen Sie aber, dass genau die von Ihnen geforderten Standards in Form von Hochwasserrisiko- karten und Hochwassermanagementplänen schon längst in der Bearbeitung sind. Ein Blick in die Unterlagen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser aus dem Jahr 2010 wirkt Wunder. Sie fordern auch die Entwicklung neuer Beteiligungs- verfahren. Dass beispielsweise an der Donau eine unab- hängige Monitoringgruppe aus Wissenschaft, Gesell- schaft, Umwelt- und Wirtschaftsvertretern bereits im Vorfeld des Donauausbaus eingesetzt wurde, müsste Ih- nen eigentlich bekannt sein. Und vielleicht haben Sie auch vom Ergebnis schon einmal gehört: An der Donau wird es einen sanften ökologischen Ausbau ohne Stau- stufen geben. Gerade wir als FDP haben hier dafür ge- sorgt, dass vor allem der bayerische Koalitionspartner zur Vernunft gekommen ist. Ein anderer Punkt: Ihre Vorstellungen eines Rahmen- konzepts der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sind nicht durchdacht. Die 13 000 Angestellten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wollen Sie komplett erhal- ten. Die Angestellten sollen sich aber nicht mehr um Schiffe kümmern, sondern Bäume pflanzen, Vögel schützen und ähnlich schöne Dinge machen. Gleichzei- tig soll die WSV dabei nicht nur für Bundeswasserstra- ßen, sondern für alle Flüsse zuständig sein. Von der Ver- fassungswidrigkeit der Mischverwaltung abgesehen schaffen Sie damit eine Monsterbehörde voller „Um- welt-Ranger“, ohne in irgendeiner Form die Aufgaben- verteilung weiter zu konkretisieren. Der erste Antrag geht an zu vielen Punkten in der Sa- che vorbei. Deshalb lehnen wir ihn ab. Ihr zweiter Antrag befasst sich mit der Erstellung ei- nes Elbekonzepts. Beim Lesen Ihres Antrages entsteht der Eindruck, dass die Koalition eine Flusspolitik auf Kosten der Ökologie betreibt und anstrebt. Das ist sach- lich falsch. Ich kann nur empfehlen, sich anhand der von Umwelt- und Verkehrsministerium beschlossenen Eck- punkte des Gesamtkonzepts Elbe ein Bild über die ge- planten Maßnahmen zu machen. Das Konzept betrachtet neben den erforderlichen Maßnahmen zur Aufrecht- erhaltung der schifffahrtlichen Nutzung gleichrangig die Anforderungen an den Gewässer-, Auen- und Natur- schutz. Hierzu gehört zum Beispiel auch die zu erwar- tende Auswirkung des Klimawandels auf die Elbe. Aufrechterhaltung der schifffahrtlichen Nutzung meint dabei gerade nicht die Durchführung eines verkehrsbe- dingten Ausbaus oder ähnlicher Schwersteingriffe in den Fluss. Damit sind Sohlstabilisierungskonzepte oder ähn- liche Maßnahmen gemeint, die nicht nur Vorteile für die Umwelt, sondern auch für den Verkehr mit sich bringen. Schließlich ist das Binnenschiff als solches auch eines der umweltfreundlichsten Transportmittel. Darum sollte man nicht nur Schlauch- und Luftkissenboote im Blick haben, wenn es um die Belange der Elbe geht. Das Elbe- hochwasser von 2002 hat auch den Schiffsverkehr er- schwert, so dass nicht nur die ökologischen Schäden, sondern auch die dadurch verkehrsbedingten Probleme auf umweltverträgliche Lösungen warten. Deshalb war die von der Koalition ergriffene Initia- tive eines Gesamtkonzeptes zur Elbe seit langem über- fällig. Man muss sich aber auch darüber klar werden, dass die Ziele, die wir im Gesamtkonzept verfolgen, nicht von einem auf den anderen Tag erreicht werden können. Durchgängigkeit, Auenschutz, Naturschutz, Sohlstabilisierung und die Nutzung der Unterhaltungs- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28183 (A) (C) (D)(B) möglichkeiten zur Verbesserung der ökonomischen, ökologischen und verkehrlichen Belange sind große Aufgaben. Die dafür erforderliche Koordinierung zwi- schen Bundes- und Landesbehörden und anderen Betei- ligten ist anspruchsvoll genug. Insofern geht mir Ihr Ansatz, in diese Koordinierung gleichzeitig die Nach- barstaaten einzubinden, zu weit. Gerade wenn man sich die tschechischen Pläne mit der von der FDP abgelehnten Staustufe in Decin betrach- tet, wird klar, dass zwischen Deutschland und Tsche- chien große Differenzen über die Prioritäten in der Flusspolitik bestehen. Diese Differenzen kann man nicht auch noch im Gesamtkonzept lösen. Hier ist ein separa- ter Dialog notwendig. Ich halte deshalb den Vorschlag der Linken an dieser Stelle nicht für sachgerecht. Auch die von Ihnen angestrebte Förderung von fluss- angepassten Schiffstypen ist nicht Aufgabe der Politik. Diese Fortentwicklung im Interesse der Schiffbaubran- che ist zwar sinnvoll und richtig, aber verdient dennoch keine staatliche Förderung. Solide Haushaltspolitik kann man nicht verfolgen, wenn man immer wieder versucht, jede erdenkliche Branche mit Subventionen aufzupäp- peln. Aus welchem Grund die Schifffahrt das nicht selbst leisten soll, verstehe ich nicht. Wir verschleudern im Ge- gensatz zu Ihnen gerade nicht mit geöffnetem Füllhorn Staatsmittel. Wohin die bekannten Haushaltslöcher im Saarland oder in Berlin führen, wo marode Verwaltun- gen nicht einmal mehr Mittel für die notwendigsten staatlichen Aufgaben haben, müssten Sie eigentlich wis- sen. Es freut mich, dass Sie es als gutes Zeichen anerken- nen, dass in unserem Gesamtkonzept die Elbe ab Lauen- burg nicht weiter ausgebaut werden soll. Dass Sie den- noch jegliche Flussbettvertiefung auch im Bereich des Hamburger Hafens ablehnen, halten wir für nicht sach- gerecht. Es handelt sich hier um einen globalen Wirt- schafts- und Verkehrsknotenpunkt, wo zwar jede Aus- baumaßnahme genauestens abgewogen werden muss; Totalablehnung führt allerdings zu einer merklichen Schwächung des Wirtschaftsstandorts. Es ist aber natür- lich leichter, gegen jedes größere Infrastrukturprojekt populistisch zu hetzen. Ihre Masche ist uns leider nur zu gut bekannt. Wir sind mit dem Gesamtkonzept Elbe auf einem sehr guten Weg. Ihr Antrag teilt die Welt in Gut und Böse und wird der Realität nicht gerecht. Deshalb lehnen wir auch diesen Antrag ab. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Not- fallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vor- schriften (Tagesordnungspunkt 16) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Was nützt die beste stationäre Versorgung nach einem Notfall, ob Unfall oder Herzinfarkt, wenn der Patient nicht durch ei- nen qualifizierten Rettungsdienst noch am Ort des Geschehens und beim Transport kompetent versorgt wird. Es käme jede Hilfe zu spät. Um genau dies zu vermeiden, verfügt unser Gesund- heitssystem über eine Notfallversorgung, die verlässlich ist und getragen wird von gut ausgebildeten Notärzten und bisher Rettungsassistenten, künftig Notfallsanitä- tern. Trotzdem war es nötig, dieses System weiterzuent- wickeln, vor allem die nichtärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch besser auszubilden. Es ist an der Tagesordnung und liegt in der Natur der Sache, dass der nichtärztliche Rettungsdienst oft vor einem Notarzt an Ort und Stelle ist, so ein Notarzt überhaupt angefordert wurde. Die Verlängerung der Ausbildungsdauer von zwei auf drei Jahre mit erheblich weiter gesteckten Ausbildungszielen ist deshalb die logi- sche Konsequenz. Die nun formulierten Ausbildungs- ziele spiegeln die vielfältige und anspruchsvolle Aufga- benstellung auch des nichtärztlichen Personals wider. Der entscheidende Punkt ist deshalb die Kompetenz, die ein Notfallsanitäter mitbringen muss, wenn er auf sich alleine gestellt ist. Insbesondere in ländlichen Ge- bieten kann es dauern, bis ein Notarzt vor Ort ist. Die Rettungsassistenten waren in der Vergangenheit mit dem Dilemma konfrontiert, helfen zu müssen, ohne hierfür ausreichend ausgebildet und damit auch abgesichert zu sein. In § 4 Abs. 2 Nr. 1 ist genau beschrieben, zu welchen Maßnahmen die Notfallsanitäter befähigt werden. § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe C beschreibt außerdem, für wel- che Einsatzsituationen die Notfallsanitäter zu qualifizie- ren sind und welche invasiven Maßnahmen sie ausfüh- ren dürfen. Es geht um die Situation bis zum Eintreffen des Arz- tes oder dem Beginn weiterer ärztlicher Versorgung. Hier kommt es entscheidend und damit oft lebensrettend darauf an, Atemwege bzw. Beatmung sicherzustellen, den Kreislauf zu stabilisieren, Schmerzen zu bekämpfen. Bei der praktischen Ausbildung wird sichergestellt, dass die Schülerinnen und Schüler Zug um Zug an die Übernahme von Verantwortung herangeführt werden. Bei entsprechendem Ausbildungsstand gehört hierzu auch der Einsatz als zweites Besatzungsmitglied. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine qualifizierte, bedarfsgerechte, hilfsfristorientierte, flächendeckende notfallmedizinische Versorgung auf dem aktuellen Stand der Technik auch in der Zukunft. Die Kompetenz des Bundes erstreckt sich auf die Zulassung des Notfall- sanitäters zum Heilberuf. Der Notfallsanitäter soll dazu beitragen, die Versorgung angesichts der demografi- schen Entwicklung sicherzustellen. Es geht um Anforde- rungen des Rettungsdienstes auch in einer älter werden- den Gesellschaft. Es geht darum, den Beruf des Rettungsassistenten in Konkurrenz zu einer Vielzahl anderer Ausbildungs- berufe – auch im Gesundheitswesen – attraktiv zu gestal- 28184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) ten. Die dreijährige Ausbildung im dualen System mit einer Ausbildungsvergütung trägt dazu erheblich bei. Mechthild Rawert (SPD): Mit dem „Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitä- ters“ sowie zur Änderung des Hebammengesetzes er- folgt ein richtiger Schritt zur Professionalisierung von Gesundheitsfachberufen. Das Notfallsanitätergesetz ist ein Baustein auf dem langen Weg zur notwendigen Modernisierung der Zusammenarbeit der Professionen im Gesundheitswesen, ein weiterer Schritt hin zur stär- keren interdisziplinären und kooperativen Zusammenar- beit der Gesundheitsfachberufe und der Medizinerinnen und Mediziner „auf Augenhöhe“. Geschaffen wird ein neues Berufsbild, von dem alle profitieren: sowohl die im Rettungswesen Tätigen als auch die neuen Auszubildenden und vor allem die Pa- tientinnen und Patienten. Mit dem Mehr an Wissen und Kenntnissen, mit dem Mehr an Kompetenzen für die künftigen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter er- folgt eine Attraktivitätssteigerung und gesellschaftliche Aufwertung dieses Berufes. Das ist ein wichtiger Schritt zur künftigen flächendeckenden Sicherstellung unseres Rettungswesens, unserer Gesundheitsversorgung und Patientinnen- und Patientensicherheit. Wir Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten begrüßen dieses. Im Vergleich zum Rettungsassistentengesetz von 1989 gibt es deutliche Verbesserungen, unter anderem hinsichtlich der Ausbildungsfinanzierung, der nun ein- geführten Ausbildungsvergütung, der Anhebung von ei- ner zweijährigen auf eine dreijährige Ausbildungsdauer – womit auch eine stärkere Durchlässigkeit zu anderen Gesundheitsfachberufen verbunden ist –, der Neuformu- lierung des Ausbildungszieles entsprechend dem allge- meinen Stand rettungsdienstlicher und medizinischer Kenntnisse, des neuen Ausbildungsansatzes und der Ausbildungsstruktur, die nun auch verstärkt geeignete Krankenhäuser einbezieht. In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit am 30. Januar zum Notfallsanitätergesetz haben die Sachverständigen dennoch auf viele Schwach- punkte des Gesetzentwurfes der Bundesregierung hinge- wiesen. Erstens wurde beispielsweise sehr deutlich verwiesen auf die nach wie vor bestehende unklare Rechtslage auch der neuen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter vor Ort, wenn (noch) kein Notarzt und keine Notärztin an- wesend ist. Während die Vertreterinnen und Vertreter des ärztliches Standes eine „viel zu weitgehende Frei- gabe“ ärztlicher Maßnahmen befürchteten – Äußerun- gen, die im Kontext der Professionalisierung und Auf- wertung von Gesundheitsfachberufen immer wieder zu hören sind und wohl dazu dienen, grundsätzliche „rote Linien“ hinsichtlich Delegation und Substitution ärztli- cher Tätigkeiten zu ziehen –, verwiesen andere Sach- verständige auf die im Rettungsdienst längst gegebene Einsatzpraxis. Es müsse ermöglicht werden, dass Notfallsanitäterinnen und -sanitäter Maßnahmen zur Verbesserung des Patientenzustandes beispielsweise bei schwerster Luftnot oder stärksten Schmerzen durchfüh- ren, ohne sich im „rechtlichen Graubereich“ zu befinden. Weiterhin wurde zweitens auf dringend gebotene bun- deseinheitliche Regelungen der immer noch regional stark unterschiedlichen rettungsdienstlichen Versorgung und drittens auf die Unklarheiten in der Finanzierung verwiesen. Dass wesentliche Änderungen am Regierungsentwurf dieses Berufszulassungsgesetzes notwendig sind, haben auch meine CDU/CSU- und FDP-Kolleginnen und Kollegen erkannt. Folglich haben sie gestern im Gesund- heitsausschuss acht Änderungsanträge zur Nach- besserung des Regierungsentwurfs eingebracht. Wir So- zialdemokratinnen und Sozialdemokraten arbeiten sachorientiert. Da alle acht Änderungsanträge in die richtige Richtung gingen und damit Bestandteil des heute zu beschließenden Gesetzes sind, haben wir diesen Nachbesserungen zugestimmt. Alle Änderungsanträge greifen angemahnte Änderungsbedarfe aus der Anhö- rung auf, beispielsweise beim praxisorientierten Einsatz der Auszubildenden auf den Rettungsfahrzeugen, bei der Berücksichtigung der besonderen Belange von Beam- tenanwärterinnen und -anwärtern, bei den notwendiger- weise zu verlängernden Fristen für den Übergang vom Rettungsassistentengesetz zum Notfallsanitätergesetz. Folglich ist heute ein guter Tag für das Rettungs- wesen – er hätte allerdings noch wesentlich besser wer- den können, wenn Schwarz-Gelb die Änderungsanträge der sozialdemokratischen Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker nicht abgelehnt, sondern ihnen zugestimmt hätte. Hier hat Schwarz-Gelb wesentliche Verbesserungen und Chancen im Interesse der Tätigen im Rettungswesen, der neuen Auszubildenden und der Patientinnen und Patienten ausgeschlagen. Unsere Kritikpunkte sind vor allem erstens, die Widerrufung der Erlaubnis des Führens der Berufs- bezeichnung Notfallsanitäterin oder Notfallsanitäter aus gesundheitlichen Gründen. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist nicht hinnehmbar, dass die Berufsbezeichnung Notfallsanitäterin/Notfallsanitäter, das heißt die Berufs- zulassung, beim zwischenzeitlichen Wegfall der gesund- heitlichen Eignung aberkannt werden soll. Das ist ein Novum. Diese Regelung stößt nicht nur auf unsere Ge- genwehr, sondern auch auf die der Gewerkschaften. Wir sind der Meinung, dass erworbene und ausgeübte Kompetenzen und Qualifikationen durch gesundheit- liche Beeinträchtigungen nicht verloren gehen. Die vor- handenen und anerkannten Qualifikationen sind schließ- lich Grundlage für einen anderweitigen Einsatz im Rettungswesen oder für eine anderweitige berufliche Neuorientierung. Mit dieser Regelung wird Durchlässig- keit zwischen Gesundheitsberufen verhindert, und den Betroffenen werden weitreichende arbeits- und sozial- rechtliche Konsequenzen aufgebürdet. Zweitens, Klarheit bei der bundeseinheitlichen Be- fugnis zur Ausübung von Heilkunde. Wir wollen – ebenso wie die Bundesländer es im Bundesrat be- schlossen haben – bundeseinheitlich ausgeübte Stan- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28185 (A) (C) (D)(B) dards für das eigenständige Durchführen von heilkundli- chen Maßnahmen ermöglichen und damit eine in ihren Grundlagen gleichwertige Versorgung aller Notfallpa- tientinnen und -patienten gewährleisten. Die Durchfüh- rung heilkundlicher Maßnahmen soll an die in der Aus- bildung erworbenen Qualifikationen gebunden sein. Das den Bundesländern obliegende Rettungswesen ist schließlich nicht nur zwischen den Bundesländern, son- dern auch zwischen einzelnen Regionen und Kommunen verschieden ausgestaltet. Eine über diesen Standard hinausgehende weitergehende Kompetenzzuweisung liegt dann im Ermessen des/der Ärztlichen Leiters/Leite- rin Rettungsdienst oder der entsprechend verantwortli- chen Ärztinnen und Ärzte. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind der Meinung, dass es einer klaren gesetzlichen Regelung bedarf, die die zukünftige Notfallsanitäterin bzw. den zu- künftigen Notfallsanitäter ausdrücklich berechtigt, die erlernten und beherrschten Ausbildungsziele bis zum Eintreffen einer Notärztin oder eines Notarztes auch tat- sächlich auszuüben. Wir wollen Klarheit. Wir wollen nicht nur mehr Kompetenzen durch eine bessere Ausbil- dung, sondern auch Rechtssicherheit bei der Berufsaus- übung. In der Einsatzpraxis hat sich gezeigt, dass dieser Beruf wesentlich – und in Zukunft angesichts des demo- grafischen Wandels noch weitaus mehr – von Einsätzen geprägt ist, in denen im Rahmen der Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten Maßnahmen der Akutversorgung durchzuführen sind. Für diese nicht lebensbedrohlichen, das Patientenwohl aber sehr stark beeinträchtigenden Situationen bedarf es im Interesse al- ler Rechtssicherheit. Drittens. Übergangsvorschriften für die Kosten der weiteren Ausbildung von Rettungsassistentinnen und -as- sistenten zu Notfallsanitäterinnen und -sanitätern und weitere Mehrkosten der Ausbildung zur Notfallsanitäte- rin bzw. zum Notfallsanitäter. Bisherige Rettungsassistentinnen und Rettungsassis- tenten müssen für die Erlaubnis, die neue Berufsbezeich- nung Notfallsanitäterin bzw. Notfallsanitäter führen zu dürfen, an einer entsprechenden Anpassungsqualifizie- rungsmaßnahme teilnehmen. Das finden wir auch rich- tig, umfasst das neue Berufsbild doch sowohl mehr als auch vertiefte Kompetenzen. Es stellt sich aber die Frage nach der Übernahme der weiteren Ausbildungskosten. Keinesfalls sind diese von den Auszubildenden selber zu bezahlen. Hohe und bundeseinheitliche Kompetenzen im Rettungsdienst sind keine Privatsache. Wir wollen, dass diese Kosten der weiteren Ausbildung von den Kostenträgern, der gesetzlichen Krankenversicherung, zu einem kleineren Teil auch von den privaten Kranken- versicherungsunternehmen bzw. der Beihilfe, übernom- men werden. Wir wollen eine Ungleichbehandlung der beiden Berufsabschlüsse nach Inkrafttreten des Notfall- sanitätergesetzes vermeiden. Niemand ist augenblicklich in der Lage, eine seriöse abschließende Schätzung der Mehrkosten vorzuneh- men. Fakt ist aber, dass die Verbesserungen im Rettungs- dienst wesentlich zur Verbesserung unseres Gesund- heitswesens beitragen. Die Mehrkosten für die weitere Ausbildung der Rettungsassistentinnen und Rettungsas- sistenten wie auch für die grundständige Ausbildung von Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern fließen als Personalkosten in die Transportkosten ein. Wie hoch diese jeweils sind, obliegt den Bundesländern, da diese die Höhe der Transportkosten als Gebühren oder Ent- gelte festlegen und verhandeln. Zum Schluss noch einige Anmerkungen: Leider hat die Bundesregierung in allen beschriebenen Punkten die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt. Daher wird die SPD-Bundestagsfraktion bei der Schluss- abstimmung für Enthaltung stimmen. Nun bin ich gespannt auf die noch zu entwickelnde Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Ich erhoffe mir hier noch einige Verbesserungen und Klarstellungen. Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn die Versor- gung von Notfallpatientinnen und Notfallpatienten Be- standteil der Gesundheitsberichterstattung des Statisti- schen Bundesamtes wird. Das ist einem für die Zukunft bundesweit geregelten Ausbildungsberuf und der darauf basierenden Berufsausübung angemessen. Das hilft uns auch sicherlich in der Bewertung und Evaluation des Rettungswesen und der Notfallmedizin. Empört haben mich Äußerungen der Bundesregie- rung, wonach eine Kompetenzerweiterung für Notfall- sanitäterinnen und Notfallsanitäter dazu führen könnte, dass diese Notfallärzte und Notfallärztinnen erst später zum Notfallpatienten rufen würden. Für mich spricht daraus ein grundsätzliches Miss- trauen gegenüber nichtärztlichen Gesundheitsfach beru- fen. Dieses Denken muss im Interesse der vielen Be- schäftigten in den Gesundheitsberufen, ganz konkret im Rettungswesens, abgestellt werden. Es ist unangebracht und unangemessen. Sorgen wir gemeinsam für mehr Pa- tientinnen- und Patientensicherheit – jede und jeder an entsprechender Stelle. Bedanken möchte ich mich im Namen der SPD- Bundestagsfraktion bei den vielen Lebensretterinnen und Lebensrettern, bei den vielen Beschäftigten im Ret- tungswesen für ihre Tag für Tag und Nacht für Nacht verantwortungsvoll ausgeübte Tätigkeit. Und als Letztes: Ich appelliere an die jungen Men- schen: Ausbildungen im Gesundheitswesen sind span- nend und abwechslungsreich. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten arbeiten mit hohem Engagement daran, dass sich die Ausbildungs- und Arbeitsbedingun- gen verbessern, dass „Gute Arbeit“ und auch eine höhere Entlohnung möglich wird. Ich ermutige dazu, eine Aus- bildung zum neuen Berufsbild Notfallsanitäterin/Not- fallsanitäter zu beginnen. Jens Ackermann (FDP): Ich freue mich persönlich sehr, dass wir heute endlich das Notfallsanitätergesetz zum Abschluss bringen können. Wer profitiert eigentlich von den neuen Regelungen, die wir für die Ausbildung im Rettungsdienst schaffen? In erster Linie sind das die Bürgerinnen und Bürger, die im Falle eines Notfalls künftig bis zum Eintreffen des Notarztes von besser aus- 28186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) gebildeten Notfallsanitätern versorgt werden. Anderer- seits profitiert auch der Rettungsdienst selbst, da das Be- rufsbild aufgewertet wird. Dies ist auch zwingend erforderlich, um auch in Zukunft genügend Fachkräfte für den Rettungsdienst gewinnen zu können. 2007 hatte die FDP-Bundestagsfraktion in einem Antrag die Einrichtung einer Expertengruppe gefordert; diese sollte sich mit der Neuausrichtung der Ausbildung im Rettungsdienstwesen beschäftigten. In einer damals durchgeführten Anhörung wurden die eklatanten Mängel des seit 1989 gültigen Rettungsassistentengesetzes sehr deutlich. Es war und ist reformbedürftig. Das Ausbildungsgesetz wurde den aktuellen Anforde- rungen, die an einen modernen und zukunftsfähigen Rettungsdienst gestellt werden, einfach nicht mehr ge- recht. Das kann ich Ihnen aus persönlicher Erfahrung so auch bestätigen. Der medizinische Sektor ist ein hochin- novativer Bereich mit stetigen Verbesserungen für die Menschen. Nun legen wir endlich auch im scheinbar in Vergessenheit geratenen Bereich der Notfallversorgung nach. Mittlerweile sind sechs Jahre vergangen – eine sehr, sehr lange Zeit. Doch ich bin froh, dass wir heute ein aus meiner Sicht sehr gutes Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger und die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitä- ter beschließen können. Ein großer Dank gilt allen Beteiligten, die dieses Gesetz in den vergangen Jahren in Gesprächsrunden, Diskussionen, Expertenrunden und Stellungnahmen ge- meinsam gestaltet haben. Die Bundesregierung mit Bun- desgesundheitsminister Daniel Bahr legte im Oktober letzten Jahres einen guten Gesetzentwurf vor, den man im Vergleich zum aktuellen, noch gültigen Rettungsas- sistentengesetz als Quantensprung bezeichnen muss. Mein Dank gilt auch der Parlamentarischen Staatssekre- tärin Annette Widmann-Mauz und dem Ministerialrat im BMG Ralf Suhr. Das Gesetz bietet für die künftige Ausbildung der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter drei zentrale Kernpunkte: so wird die Ausbildungszeit von zwei auf drei Jahre verlängert. Das entspricht der Ausbildungs- dauer in vergleichbaren Gesundheitsfachberufen. Zudem werden die Auszubildenden in Zukunft eine Ausbil- dungsvergütung erhalten. Außerdem wird die Notfall- kompetenz in eine Regelkompetenz umgewandelt. An dieser Stelle wird den heute schon alltäglichen Gegeben- heiten im Rettungsdienst ein rechtlicher Rahmen gege- ben. Wir beseitigen damit eine Grauzone in der Notfall- versorgung. Hiervon werden vor allem die Patientinnen und Patienten profitieren. Die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter erhalten endlich Rechtssicherheit und können so die Patientinnen und Patienten bis zum Ein- treffen des Notarztes besser versorgen. Diesem Anspruch wird das vorliegende Gesetz auch gerecht. Die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter sind wichtige Partner von Notärzten. Wir halten fest am Notarztsystem. Das ist wichtig und richtig. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal aus- drücklich betonen, da in der Diskussion in den vergange- nen Wochen, Monaten und Jahren häufig argumentiert wurde, dass der Notfallsanitäter den Notarzt ersetzen könnte. Das wird es nicht geben. Deshalb erhalten die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter auch keine volle Heilkundeerlaubnis. Denn so würde die Gefahr steigen, den Notarzt länger fernzuhalten. Auch wenn ich mich jetzt wiederhole: Das wollen wir nicht, und das wird es nicht geben! Ich möchte auch noch einmal klarstellen, dass der Bund nach Art. 74 Abs. 1 GG zwar die Möglichkeit hat, die Ausbildung von Heilberufen zu regeln, nicht aber die Kompetenzen, die den einzelnen Heilberufen zustehen. Auch das sollte man bei der Betrachtung und Beurtei- lung des Gesetzes im Hinterkopf behalten. Die christlich-liberale Koalition sah nach der Anhö- rung mit den betroffenen Verbänden und den Anregun- gen aus den Bundesländern noch Potenzial für ein paar feine Korrekturen am Entwurf, die heute auch zur Abstimmung vorliegen. Wir haben deutlich gemacht, welche invasiven Maßnahmen von den Notfallsanitäterinnen und Notfall- sanitätern in entsprechenden Einsatzsituationen erwartet werden. Das gibt den Notfallsanitäterinnen und Notfall- sanitätern Sicherheit bei der Ausübung ihres Berufes und nimmt den Patientinnen und Patienten die Angst vor „möglichen Hilfsärzten ohne Approbation“. Damit die Ausbildung ab einem bestimmten Zeit- punkt mehr praktische Teile beinhaltet, haben wir die Möglichkeit der Mitnahme eines Auszubildenden als zweiten Mann oder Frau im Gesetz verankert. Jedoch muss dieser über einen entsprechenden nachgewiesenen Ausbildungsstand verfügen. Außerdem haben die Koalitionsfraktionen Vorschläge für eine bessere Übergangsphase gemacht. Hier gab es im Vorfeld Kritik, die Fristen seien sehr kurz gehalten. Für die Schulen schlagen wir deshalb die Verlängerung der Frist für die Sicherstellung von genügend qualifizier- tem Lehrpersonal von fünf auf zehn Jahre. Das ist aus unserer Sicht ein realistischer Wert, der nun umzusetzen ist. Zudem soll die Möglichkeit der Ausbildung nach dem Rettungsassistentengesetz um ein Jahr bis zum 31. De- zember 2014 verlängert werden, um genügend Absol- venten für die Sicherstellung von Fachkräften für den Rettungsdienst zu gewährleisten. Was lange währt, wird endlich gut. Nun liegt der Ball bei den Ländern und im Bundesrat. Ich hoffe sehr, dass sie die Chance im Interesse der Not- fallsanitäterinnen und Notfallsanitäter wahrnehmen und das Gesetz beschließen. Ich appelliere auch an die Oppo- sitionsfraktionen, die das Gesetz in den Arbeitsgremien und auf Veranstaltungen begrüßt haben, sich bei ihren Länderkollegen für die Zustimmung im Bundesrat ein- zusetzen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28187 (A) (C) (D)(B) Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen: Es geht um eine bessere medizinische Versorgung der Be- völkerung in Notfällen und um eine Stärkung der Ein- satzkräfte vor Ort. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Die Linke begrüßt ausdrücklich, dass das Rettungsassistentengesetz von 1989 endlich überarbeitet wird. Schade nur, dass am Ende so viele gute und notwendige Forderungen von Gewerkschaften und von Rettungskräften keinen Ein- gang in dieses Gesetz gefunden haben. Die Defizite des bisherigen Gesetzes werden schon seit langem von allen Beteiligten beklagt; eine Lösung der Probleme ist über- fällig. Die Linke unterstützt die Verlängerung der Aus- bildung auf drei Jahre, die Erweiterung der Kompeten- zen für die Sanitäterinnen und Sanitäter und vor allem auch die Streichung des Schulgelds. Wir hätten aber gerne noch mehr Gutes für die professionellen Lebens- retter getan. Zur Abschaffung des Schulgelds: Es ist richtig, dass diejenigen, die sich für diesen schwierigen und anstren- genden Beruf ausbilden lassen, nicht auch noch die Kos- ten der Ausbildung tragen müssen. Schade nur, dass Schwarz-Gelb im Gesetzentwurf lediglich festgehalten hat, dass Vereinbarungen zu Schulgeldzahlungen nichtig seien. Ein ausdrückliches Verbot von Schulgeld würde den Auszubildenden mehr Schutz bieten. Zu den erweiterten Kompetenzen: Hier macht die Ko- alition zwei Schritte nach vorne und gleich wieder zwei Schritte rückwärts. Einerseits möchte sie wohl, dass die neuen Rettungskräfte am Unfallort gleich mehr für die Verletzten tun können, statt erst einmal auf den Notarzt zu warten. Andererseits scheint sie wieder einmal vor der mächtigen Ärztelobby zu buckeln. Anders lässt sich nicht erklären, warum die Koalition zum Thema „Über- tragung ärztlicher Tätigkeiten“ und zur selbstständigen Ausübung heilkundlicher Tätigkeit derart ungenaue For- mulierungen in den Gesetzentwurf geschrieben hat. So werden die Rechtsunsicherheit für die Rettungs- kräfte und das föderale Kuddelmuddel weiter bestehen. So wird ein Notfallsanitäter im münsterländischen Hops- ten in seiner Ausbildung möglicherweise nach anderen Vorgaben Kompetenzen zu bestimmten notfallmedizini- schen Situationen erwerben als seine Kollegin direkt ne- benan im niedersächsischen Spelle. Das ist nicht nur un- befriedigend für die Rettungskräfte, sondern vor allem auch für die Patientinnen und Patienten. Für Die Linke gibt es noch weitere kritische Punkte: So soll das Recht zum Führen der Berufsbezeichnung nachträglich entzogen werden können, wenn gesundheit- liche Beeinträchtigungen die Ausübung des Berufs un- möglich machen. Dies darf so nicht umgesetzt werden; stattdessen muss für andere Einsatzmöglichkeiten ge- sorgt werden. Auch die Übergangsregelungen insbesondere für Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten mit langjähriger Berufserfahrung werden diesen erfahrenen Menschen nicht gerecht. Es fehlt auch eine vernünftige Regelung für die Be- amtinnen und Beamten des feuerwehrtechnischen Diens- tes. Ohne diese könnte dieser wichtige Zweig der Ausbildung für Rettungskräfte wegbrechen. Hier hat die Koalition per Änderungsantrag nachzubessern versucht, doch leider nicht alle wunden Punkte für die Feuerwehr- leute geheilt. Um die Beantwortung der noch offenen Frage, wel- chen Teil der Ausbildung die Kassen und welchen die Länder bezahlen sollen, hat sich die Bundesregierung leider gedrückt. Wir meinen: Die Kosten für die neue dreijährige Ausbildung sollten sich Krankenkassen und die Bundesländer teilen, da der Rettungsdienst sowohl der Gesundheitsversorgung als auch der öffentlichen Ge- fahrenabwehr zugerechnet werden kann. Es handelt sich wohlgemerkt nicht um unerschwingliche Summen: Mit einem einzigen Promille der Kassenüberschüsse und im Durchschnitt 1 Million Euro pro Bundesland können die circa 40 Millionen Euro aufgebracht werden. Das neue Wahlrecht mit dem Ausgleich der Überhangmandate kommt die öffentliche Hand wahrscheinlich deutlich teurer. Die Linke wird sich bei diesem Gesetzentwurf enthal- ten; denn wir wollen trotz aller Kritik die darin enthalte- nen Verbesserungen nicht blockieren. Deswegen möchte ich zum Schluss noch an alle Beteiligten appellieren, dass sie bei der Klärung der Finanzierungsfragen im Blick haben, wie wichtig die Arbeit der hauptberuflichen Lebensretter überall im Land für die Menschen ist. Ein Aufhalten im Bundesrat oder durch die Krankenversi- cherungen wäre ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor nahezu zwanzig Jahren, 1996, wurde das Reisens- burger Memorandum verabschiedet. Dort wurden erst- mals die Probleme des bis heute geltenden Rettungs- assistentengesetzes benannt. Die Ausbildungsinhalte bilden die gestiegenen Anfor- derungen an die Rettungsassistentinnen und -assistenten am Unfallort weder in rechtlicher noch in fachlicher Hinsicht ab. Überhaupt ist es fraglich, ob die Ausbildung der Rettungsassistenten mit zwei Jahren nicht viel zu kurz bemessen ist. Es gibt bis heute keine bundeseinheitlichen Mindest- standards für die Ausbildung. Und die Kosten der Aus- bildung müssen von den künftigen Rettungsassistenten bislang selbst getragen werden. Schon in meinem ersten Jahr im Deutschen Bundestag, das war 2006, hat mich diese unzulängliche Situation bei den Rettungsassisten- ten beschäftigt. Auch die damalige Regierung, die große Koalition, hatte in Gestalt des damaligen Staatssekretärs Rolf Schwanitz fast im Jahresrhythmus gesetzliche Neu- regelungen angekündigt Es freut mich daher, dass wir nach so vielen Jahren nun endlich über einen Gesetzentwurf abstimmen, der zumindest von der Intention her die vorhandenen Pro- bleme angeht, die Tätigkeit des Rettungsassistenten zu einem eigenständigen Gesundheitsberuf aufwertet, die Ausbildungsinhalte deutlich erweitert und auch die Aus- 28188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) bildungsvergütung besser regelt. Vor diesem Hinter- grund unterstützen wir diesen Gesetzentwurf grundsätz- lich. Aber wo Licht ist, da ist häufig auch Schatten. Auch wenn die Koalition noch auf den letzten Drü- cker ein paar sinnvolle Änderungsvorschläge des Bun- desrates aufgegriffen hat, sind doch Defizite geblieben. Erstens sind die heilkundlichen Maßnahmen, die Not- fallsanitäter eigenständig übernehmen sollen, sehr un- klar definiert. Es kann nicht angehen, dass dies somit von Rettungsstelle zu Rettungsstelle unterschiedlich ge- handhabt wird. Das schafft gerade nicht die nötige Rechtssicherheit für die Notfallsanitäterinnen und Not- fallsanitäter. Das betrifft im Übrigen auch die nach wie vor unglücklich formulierte Regelung zu den medizini- schen Maßnahmen der Erstversorgung. Hier hoffe ich darauf, dass es im Zuge der Beratungen mit dem Bun- desrat noch zu Änderungen kommen wird. Zweitens ist dieser Gesetzentwurf auch in einigen De- tails immer noch verbesserungswürdig. So ist es zum Beispiel nicht einzusehen, warum Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter das Recht verlieren sollen, ihre Be- rufsbezeichnung zu führen, wenn sie gesundheitlich nicht mehr geeignet sind. Das gibt es in anderen Berufen nicht. Die Koalition hatte da zwar mit einem Änderungs- antrag nochmal nachgebessert. Das Problem bleibt den- noch bestehen. Auch hier hoffe ich auf den Bundesrat. Auch die Schwächen des Gesetzentwurfs bei der Fi- nanzierung der Aus- und Weiterbildung von bereits be- rufstätigen Rettungsassistenten sowie bei den Über- gangsregelungen für Rettungsassistenten bzw. zur Fort- geltung des Rettungsassistentengesetzes sind leider bis zum Ende der Beratungen im Ausschuss nicht vernünftig angepackt worden. Insgesamt ist das nun zur Abstimmung stehende Not- fallsanitätergesetz zwar ein erheblicher Fortschritt. We- gen der vorhandenen Probleme vor allem im Hinblick auf die Kompetenzen der künftigen Notfallsanitäterin- nen und Notfallsanitäter können wir dem Gesetzentwurf allerdings nicht zustimmen und enthalten uns deswegen. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Uns alle kann jederzeit und überall ein Unfall oder eine plötzliche Erkrankung treffen. Wie selbstverständlich rufen wir dann den Rettungsdienst und erwarten schnell sachge- rechte Hilfe und Versorgung. Dabei steht uns in der Re- gel eine notärztliche Versorgung zur Verfügung – wenn wir dies benötigen. Es kann aber auch zu Situationen kommen, in denen die Notärztin oder der Notarzt nicht sofort greifbar ist, zum Beispiel, wenn diese bei einem anderen Einsatz sind. Auch dann darf sich die Situation einer Patientin oder eines Patienten nicht dramatisch ver- schlechtern, auch wenn das nächste Krankenhaus weit entfernt ist. Das Beispiel zeigt, dass wir neben den Notärztinnen und Notärzten einen medizinischen Fachberuf brauchen, der im „Notfall“ kompetent agieren und den unterschied- lichen situativen Anforderungen auf aktuellem Stand ge- recht werden kann. Das geltende Rettungsassistentengesetz stammt aus dem Jahr 1989. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die darin vorgesehene Ausbildung diesen Anforderun- gen nicht mehr in vollem Umfang genügt. Deswegen be- nötigen wir eine neue Ausbildung, deswegen benötigen wir das Notfallsanitätergesetz. Sein Kernpunkt ist das Ausbildungsziel. Es beschreibt einen modernen Gesundheits- und Heilberuf, der in der Lage ist, seine Arbeit selbst zu organisieren und sie an den Aufgaben auszurichten, die anstehen. Es beinhaltet eine angemessene Arbeitsaufteilung zwischen der Ärzte- schaft und den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitä- tern am Ort des Geschehens. Das Ausbildungsziel, das in der Ärzteschaft – meines Erachtens zu Unrecht – zu Kritik geführt hat, weist aus, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten die Notfallsani- täterinnen und Notfallsanitäter verfügen müssen, um auch kritischen Einsatzsituationen gerecht zu werden. Dabei sage ich ausdrücklich: Wir wollen das bewährte System des notarztgeleiteten Rettungsdienstes erhalten, aber auch weiterentwickeln. Und darum wollen wir, dass die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter in Situationen, in denen kein Not- arzt zur Verfügung steht, von ihren erweiterten Kennt- nissen und Fähigkeiten auch Gebrauch machen. Sie sol- len Leben retten oder Patientinnen und Patienten helfen, wenn diese unter unerträglichen Schmerzen leiden. Hier- für werden wir die Berufsangehörigen durch die neue Ausbildung qualifizieren. Außerdem führen wir eine Ausbildungsvergütung ein. Schon in der Ausbildung sollen die Schülerinnen und Schüler eine angemessene Wertschätzung ihrer Arbeit erfahren. Das haben sie verdient. Zudem wird die Ausbildung durch ihre Vergütung attraktiver. Denn wir konkurrieren im Gesundheitswesen mit anderen Beru- fen, die um qualifizierten Nachwuchs kämpfen. Auch die Feuerwehr, die ein wesentlicher Akteur im Rahmen des Rettungsdienstes ist, haben wir berücksich- tigt. So haben wir die Forderung, die im Beamten- verhältnis stehenden Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen, aufgegriffen. Fragen nach Anrech- nungsmöglichkeiten der Feuerwehrausbildung über die allgemeine Anrechnungsregelung hinaus werden wir im Rahmen der Abstimmung der Ausbildungs- und Prü- fungsverordnung erörtern. Daneben sieht das Gesetz eine Änderung der Hebam- menausbildung vor. Sie bildet die veränderte Tätigkeit der Hebammen und Entbindungspfleger ab, denn das Wochenbett verlagert sich zunehmend aus dem Krankenhaus in das häusliche Umfeld. Die Wochenbett- betreuung gehört zu den vorbehaltenen Aufgaben der Hebammen. Deshalb sollen sie dort qualifiziert werden können, wo sie am meisten lernen. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf modernisieren wir einen wichtigen Beruf im Gesundheitswesen und leisten einen Beitrag zur Sicherstellung der guten medi- zinischen Versorgung der Menschen in Deutschland. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28189 (A) (C) (D)(B) „Der Worte sind genug gewechselt, lass mich endlich Taten sehen!“ Mit diesen Gedanken von Goethe verfol- gen die vielen Beteiligten am Rettungswesen Deutsch- lands heute unsere Debatte. Sie wollen sehen, dass ihre einhelligen Forderungen nach einer Novellierung der Rettungsassistentenausbildung endlich umgesetzt werden. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zu dem Ge- setz. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zusammenarbeit mit China intensivieren – China-Kompetenzen in Deutschland ausbauen (Tagesordnungs- punkt 17) Manfred Grund (CDU/CSU): Der Aufstieg Chinas verlangt uns Veränderungen ab. Die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und China haben sich kontinuierlich vertieft. Zugleich aber ist die Wahrnehmung Chinas in Deutschland wie in der übrigen EU noch immer oft von Stereotypen geprägt. Deutschland und seine Eliten werden sich intensiver als bisher mit China auseinandersetzen müssen. Wir werden sonst weder die Chancen nutzen können, die sich aus der Zusammenarbeit mit China ergeben, noch werden wir den strategischen Herausforderungen gewachsen sein, die sich aus einem Aufstieg Chinas ergeben. Der vorliegende Antrag geht auf eine Reihe dieser Chancen und Herausforderungen ein. Er würde damit durchaus Ansatzpunkte für eine konstruktive Diskussion bieten. Nur nutzt er das Thema oft als Anlass für eine unsachgemäße Kritik an der Bundesregierung. Napoleon wird gelegentlich – möglicherweise zu Unrecht – der Ausspruch zu geschrieben, mit dem Erwachen Chinas würde die Welt erzittern. Heute ist China erwacht; doch stellt sich die Frage, ob Europa die Konsequenzen ausreichend wahrnimmt. Die Große Mauer ist heute nicht mehr Symbol eines Landes, das sich von der Außenwelt abschließt. Im Gegenteil: Eu- ropa ist heute eher Teil des chinesischen Gesichtskreises, als China umgekehrt Teil des europäischen Horizonts ist. Für zu viele Deutsche ist China auch im übertragenen Sinn noch immer ein fernes Land. Es ist richtig: Chinesische Gesprächspartner sind oft besser über die Verhältnisse in Europa informiert als ihre europäischen Kollegen über die Verhältnisse in China. Das hat weniger damit zu tun, dass unsere Gesellschaf- ten offener sind als die chinesische. Chinesische Eliten studieren Europa in der Regel intensiver als europäische Eliten China. In den europäischen Institutionen kommt hinzu, dass die Komplexität der Entscheidungsprozesse Zeit und Energie absorbiert. Wir sind auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oft so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass die Wahrnehmung der Außenwelt da- runter leidet, von konkretem Handeln oder Strategie gar nicht zu reden. Das heißt, wir brauchen mehr Kohärenz und Strategie in Brüssel. Wir werden aber auch auf der nationalen Ebene mehr tun müssen. Wir sollten die China-Kompe- tenz in Deutschland deutlich ausbauen. An unseren Schulen und Universitäten müssen wir Kenntnisse über China stärker vermitteln. Das gilt auch und vor allem für Sprachkenntnisse. Wir werden in unserer Außenpolitik künftig sehr viel mehr auf eine gute Expertise über China angewiesen sein. Auch die deutsche Wirtschaft wird diese Expertise dringend brauchen. Hier sind aber vor allem die Bundesländer gefordert, mehr zu tun. Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht stellt die grund- legendste machtpolitische Umwälzung nicht nur unserer Zeit dar. Sie markiert das abschließende Ende von meh- reren Jahrhunderten europäisch-westlicher Dominanz in der Weltpolitik. Unser eigenes Gewicht wird deutlich sinken. Wir sollten daher auch unsere eigenen Einfluss- möglichkeiten nicht überschätzen. Doch stellt der Aufstieg Chinas für uns keinen Anlass für vordergründige Ängste dar. Um die Folgen konstruk- tiv mitgestalten zu können, brauchen wir vielmehr ein realistisches Verständnis für die komplexen Strukturen und Interessen der chinesischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei sind die gemeinsamen Handlungsfelder auch heute schon erheblich. Das gilt sicherlich auch für den Bereich der Klima- und Energiepolitik. Mit Recht verweist der Antrag auf die großen Anstrengungen Chinas um den Ausbau erneuerbarer Energien und eine Reduzierung von Treibhausgasen. Diese Anstrengungen werden oft weit weniger gesehen als die Auseinander- setzungen um die Festlegung verbindlicher Klimaziele oder Handelsstreitigkeiten wie die Anti-Dumping- Verfahren der EU gegen die chinesische Solarindustrie. Dabei ist die Subventionierung erneuerbarer Energien allerdings auch nicht auf China begrenzt. Wir haben durchaus selbst Anlass, die Nachhaltigkeit unserer Poli- tik in dieser Hinsicht zu hinterfragen. Richtig ist aber, dass wir die Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik fortsetzen und ausbauen sollten. Ich selbst war dafür, auch die traditionelle Entwicklungszu- sammenarbeit mit China fortzusetzen, und zwar nicht deshalb, weil China nicht über die Mittel verfügen würde, solche Projekte selbst zu finanzieren, sondern weil die Entwicklungszusammenarbeit auch für uns eine wichtige Quelle unseres Verständnisses für Entwick- lungsprozesse in Chinas und ein wichtiges Instrument zum Erfahrungsaustausch ist. Jetzt geht es aber darum, die Kooperation in der Entwicklungszusammenarbeit gegenüber Drittländern auszubauen. Das BMZ hat mit seinen chinesischen Partnern einen strategischen Dialog zur Entwicklungszusammenarbeit eröffnet, den es kon- sequent zu vertiefen gilt. Das ist ein Beispiel dafür, dass Intentionen des An- trags bereits Bestandteil der Politik dieser Bundesregie- rung sind. Es gibt hier zwar auch strittige Akzentsetzun- gen und Bewertungen. In vielen Punkten markiert der 28190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Antrag aber keine Differenzen zwischen Koalitions- und Oppositionsfraktionen. Er beschreibt vielmehr eine ganze Reihe von Anliegen und Herausforderungen, die wir sehen und bereits verfolgen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Der rasante Auf- stieg Asiens hat sich in den vergangenen Jahren unver- ändert fortgesetzt. Motor ist dabei insbesondere die Entwicklung in der Volksrepublik China. Rekordwachs- tumsraten in zweistelliger Höhe und gesellschaftliche Umbrüche stellen nicht nur China selbst und seine Be- völkerung vor gewaltige Herausforderungen. Vielmehr haben die Entwicklungen in China in unserer globalisier- ten Welt auch direkte Auswirkungen auf die Europäische Union und Deutschland. China hat sich zu einem der wichtigsten Handelspart- ner Deutschlands außerhalb der Europäischen Union entwickelt. Deutsches Know-how und deutsche Wertar- beit genießen in China den besten Ruf und werden ent- sprechend nachgefragt. Der Export nach China hat mit dazu beigetragen, dass deutsche Unternehmen die Wirt- schaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 weitaus besser bewältigen konnten, als dies in vielen unserer europäi- schen Nachbarstaaten der Fall war. Der wirtschaftliche Erfolg Chinas hat allerdings auch seine Schattenseiten. Der immense Rohstoffhunger des chinesischen Wachstums hat direkten Einfluss auf unsere Märkte und Preise. Die Klimaschutzziele zur Re- duzierung der weltweiten CO2-Emmissionen sind ohne Mitwirkung Chinas nicht realisierbar. Es ist daher uner- lässlich, den Dialog und die Zusammenarbeit mit China zu suchen und zu intensivieren. Sowohl auf der politischen als auch auf der wirt- schaftlichen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Ebene findet ein reger Austausch statt. Die politischen Kontakte setzen bei den Regierungen an und ziehen sich durch alle Ebenen bis hin zu kommunalen Partner- schaftsprogrammen. Bilaterale Kabinettssitzungen ver- deutlichen den besonderen Stellenwert der deutsch- chinesischen Beziehungen. Flankiert wird dies durch weitere regelmäßige bilaterale Kontakte wie den deutsch-chinesischen Rechtsstaats- und Menschen- rechtsdialog. Unser Leitbild von universellen Menschen- rechten und einer stabilen internationalen Ordnung ist dabei stets Gesprächsgrundlage. Im Rahmen der Dialogprogramme leisten wir einen Beitrag, um rechtsstaatliches Denken und Handeln zu fördern. Dabei gilt es, Diskussionen mit erhobenem Zei- gefinger zu vermeiden. Aber zum Diskurs auf Augen- höhe gehört es schon auch, Missstände in Menschen- rechtsfragen offen anzusprechen. Die Bundeskanzlerin hat dies in ihren Gesprächen mit der chinesischen Staats- führung stets getan. Dafür gebührt ihr unser Respekt. Wir werden uns auch weiterhin auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass in China die universellen Menschen- rechte für alle Menschen gewährleistet werden. Bildung und Forschung spielen eine wichtige Rolle, um ein gesellschaftliches Bewusstsein für Rechtsstaat- lichkeit und den Schutz der Menschenrechte zu schaffen. Deshalb wurden in die laufenden Programme konkrete Vorhaben zur Hochschulzusammenarbeit mit aufgenom- men. Neben der Fortführung und Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Einrich- tungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volks- republik China gehören dazu auch Stipendien- und Aus- tauschprogramme. Erfreulich ist, dass in Deutschland das Interesse an Asienwissenschaften und Sinologie ste- tig wächst. So sind in den vergangenen zehn Jahren klar ansteigende Studierendenzahlen in diesen Bereichen zu verzeichnen. Den Weg des gegenseitigen Austauschs sollten wir auch in den kommenden Jahren weitergehen und intensivieren. Abschließend darf ich noch eine Thematik zur Spra- che bringen, bei der von einem – jedenfalls einvernehm- lichen – gegenseitigen Austausch keine Rede sein kann. Die Berichterstattung der vergangenen Tage hat wieder einmal vor Augen geführt, wie akut Hackerangriffe un- sere Netzinfrastrukturen von Politik, Verwaltung und Unternehmen gefährden. Es ist kein Geheimnis, dass die Angriffe auf unsere Informationssysteme allzu oft von Servern ausgehen, die in der Volksrepublik China ste- hen. Neben der eigenen Aufklärung und Abwehr solcher Angriffe im Cyberraum müssen wir im Rahmen der Kooperation mit China sicherstellen, dass diese Atta- cken auch im Herkunftsland mit allem Nachdruck ver- folgt und unterbunden werden. Die chinesische Führung hat hier bereits Zugeständnisse gemacht. So hat China mit der Europäischen Union vereinbart, eine Cyber Task Force ins Leben zu rufen. Es liegt nun an der chinesi- schen Regierung, die Schlagkräftigkeit ihrer Bemühun- gen unter Beweis zu stellen. Johannes Pflug (SPD): Im letzten Jahr feierten wir vierzig Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und China. „China und Deutschland sind ideale Partner…“, so bezeichnete Altbundeskanzler Gerd Schröder bereits im Jahr 2010 die deutsch-chinesi- schen Beziehungen. Dem kann ich nur zustimmen: Die Beziehungen zwischen Deutschland und China sind freundschaftlich, vertrauensvoll und erstrecken sich auf alle Politikfelder. Innerhalb der Staaten der Europäi- schen Union spielt Deutschland im Verhältnis zu China eine herausragende Rolle. Auf fast allen politischen Feldern gibt es eine enge – institutionalisierte – Zusammenarbeit: Seit 1999 exis- tiert der deutsch-chinesische Menschenrechtsdialog und im deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog tauschen sich die Juristen beider Länder aus. Aber auch Kunst und Kultur spielt in den deutsch-chinesischen Beziehungen eine wichtige Rolle. So fand letztes Jahr das chinesische Kulturjahr in Deutschland anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen statt. Beson- ders wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang das gemeinsame Kommuniqué zur umfassenden Förderung der Strategischen Partnerschaft, das im Jahr 2010 ver- fasst wurde; diese Partnerschaft dient vor allem dazu, die Millenniumsziele zu erreichen. All solche Verbindungen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28191 (A) (C) (D)(B) helfen, sich gegenseitig kennenzulernen, Vertrauen zu schaffen und Verständnis füreinander zu entwickeln. Jedoch erweisen sich vor allem die deutsch-chinesi- schen Wirtschaftsbeziehungen als eine große Erfolgsge- schichte: Im Jahre 1972 exportierten deutsche Unterneh- men Waren für gerade mal 270 Millionen Dollar nach China – im Jahr 2011 hatten die deutschen Ausfuhren nach China einen Warenwert von 64,8 Milliarden Euro; die Einfuhren aus China hatten einen Wert von 79,2 Mil- liarden Euro. Seit 2002 ist China nach den USA und noch vor Japan der zweitwichtigste deutsche Export- markt außerhalb Europas: Deutschland ist mit Abstand Chinas größter Handelspartner in Europa und steht in der Rangfolge der weltweiten Handelspartner Chinas auf Platz fünf. Eine beachtliche Entwicklung in vierzig Jah- ren! Zudem ist China das größte Lieferland Deutsch- lands. Deutschland importiert vor allem elektrotechni- sche Erzeugnisse, Spielwaren, Textilien, Bekleidung sowie Maschinen und Anlagen. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen gibt es inner- halb der Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder auch Probleme und Unstimmigkeiten: Deutsche Unternehmen kämpfen in China mit langwierigen Zertifizierungsver- fahren für ihre Zulassung und für ihre Produkte, immer wieder haben sie es mit Technologienklau von chinesi- scher Seite zu tun. Auch müssen sich deutsche Firmen mit Zugangsbeschränkungen für den chinesischen Markt auseinandersetzen, dies gilt insbesondere bei Ausschrei- bungen für Aufträge der öffentlichen Hand. Es gilt die Beschränkung bei Kapitalbeteiligungen deutscher Unter- nehmen von mehr als 50 Prozent. Jedoch kämpft auch die chinesische Seite mit Miss- trauen aus Deutschland, bei deutschen Firmen geht die Sorge vor chinesischen Kapitalbeteiligungen und Mehr- heitsanteilseigentum um. Sie sehen, hier gibt es noch er- heblichen Klärungsbedarf. Bei aller Freude über die deutsch-chinesischen Bezie- hungen, die auf politischer und wirtschaftlicher Ebene trotz aller eben geschilderten Schwierigkeiten ausge- zeichnet sind, möchte ich ein Problem benennen: Die deutsche (politische) Sonderrolle, nämlich dass Deutsch- land von China als der europäische Ansprechpartner an- gesehen wird, kann als schwierig angesehen werden. Dringend notwendig wäre eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber beziehungs- weise mit China – leider mangelt es der EU an einer sol- chen gemeinsamen Politik. Auch wären regelmäßige institutionalisierte Gesprä- che zwischen der NATO und China erforderlich, um mä- ßigend auf die sich verschärfenden Konflikte im Gelben Meer, aber auch auf die zunehmende Konkurrenz und Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik zu wirken. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Die NATO hat als transatlantisches Verteidigungsbündnis nichts im asiatisch-pazifischen Raum zu suchen. Jedoch sind die USA führendes NATO-Mitglied und das Bünd- nis kann auch der Konfliktprävention dienen. Bei der Betrachtung der deutsch-chinesischen Bezie- hungen im Besonderen, aber auch des Landes China im Allgemeinen, muss man erkennen, dass sich China in einer Phase des Umbruchs befindet, vor allem im innen- politischen Bereich. Hier hat China mit großen Schwierigkeiten und Disparitäten zu kämpfen: Eine auf- strebende Mittelschicht verlangt nach mehr demokrati- schen Mitspracherechten, die Unterschiede zwischen Arm und Reich sowie die Unterschiede in der Infrastruk- tur zwischen den Küstenstädten, ländlichen Regionen und Provinzen werden immer größer. Es bestehen im- mense Umwelt- und Klimaprobleme, Ressourcenver- schwendung und Unterschiede in den Lebensverhältnis- sen. Die sozialen Sicherungssysteme sind kaum entwickelt und in den meisten Behörden herrscht Kor- ruption. Deutschland kann hier als Partner und „ehrli- cher Makler“ wichtige Hilfestellungen geben, diese Pro- bleme zu lösen. Da hierfür eine gute, vertrauensvolle Beziehung das Fundament bildet, plädiere ich im Sinne des Antrags: Es ist unerlässlich, die Kontakte zwischen Deutschland und China auf allen Ebenen und allen Bereichen zu intensi- vieren und zu verfestigen. Hierzu zählen Kontakte zwi- schen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, der Jugend- austausch, Sport-, Kultur- und Wissenschaftsaustausch sowie persönliche Freundschaften; insbesondere aber auch institutionalisierte Kooperation von Institutionen, wie zum Beispiel dem Goethe- oder Konfuzius-Institut zum gegenseitigen Sprachenlernen und Stiftungskoope- rationen. In diesem Geiste besteht die sehr gute Chance, die bi- lateralen Beziehungen zwischen Deutschland und China in den nächsten vierzig Jahren noch weiter zu entwickeln und krisenfest und freundschaftlicher zu machen. Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich kann mir lebhaft vor- stellen, wie der vorliegende Antrag entstanden ist. Da hat irgendjemand in der grünen Fraktion gesagt: Wir müssen mal was zu China machen – und dann haben Sie angefangen, alles, was Ihnen einfällt, mal zusammenzu- schreiben. Dann muss natürlich irgendwo auch der Bun- desregierung ans Bein gepinkelt werden. Dann haben Sie aber vergessen, die Dinge etwas zu ordnen. Und so haben wir hier ein Dokument wie Kraut und Rüben. Der Chinese würde vielleicht „hong he feng“ sagen, wenn er das deutsche Wortspiel verstünde. In dem Feststellungsteil benennen Sie die Komplexi- tät Chinas, handeln dann Entwicklungspolitik und Low Carbon ab. Dann wird die angebliche Wirtschaftslastig- keit der deutschen China-Politik beklagt, bevor über Klima geredet wird. Dann wird betont, dass man gegen- über China strategisch richtig aufgestellt sein muss. Zum Schluss wird auf die mangelnde China-Kompetenz in Deutschland verwiesen. Den Buhmann der Bundesregie- rung muss Minister Niebel spielen. Er wird kritisiert, dass er die längst überfällige Reorientierung der Ent- wicklungszusammenarbeit vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang interessiert die Grünen-Fraktion viel- leicht, dass über 200 Mitarbeiter der GIZ heute in China an sinnvollen und von China bezahlten Projekten arbei- ten. Ein Fortschritt, der Lob statt Tadel verdient hätte. 28192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Bemerkenswert ist auch, was in dem Antrag nicht er- wähnt ist. Nicht erwähnt ist die sehr umfangreiche Re- gierungskooperation, bei der zum Beispiel 13 chinesi- sche Minister nach Deutschland gekommen sind. Nicht erwähnt wird, dass China mit keinem anderen Land der Welt eine solche enge und intensive Kooperation über viele Fachfragen eingegangen ist. Nicht erwähnt wird die Bedeutung der engen wirt- schaftlichen Beziehungen für Beschäftigung und Wohl- stand in Deutschland. Vielmehr werden diese wirtschaft- lichen Beziehungen eher abschätzig als zu dominant beschrieben. Nicht erwähnt und gewürdigt wird der sehr intensive Rechtsstaatsdialog mit China, der zu vielen ganz konkreten Projekten der Zusammenarbeit geführt hat. Nicht erwähnt wird der Menschenrechtsdialog, der zwar manchmal zäh verläuft, der aber immer noch auf- rechterhalten und der mit großem Engagement vom Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung be- trieben wird. Nicht erwähnt werden die umfangreichen Bildungskontakte mit circa 30 000 chinesischen Studen- ten in Deutschland und die vielfältigen kulturellen Be- ziehungen wie zum Beispiel die spektakuläre Ausstel- lung über die Aufklärung in Peking. Nicht erwähnt in dem Antrag werden die Notwendig- keit und die Anstrengungen, mit China auf dem Gebiet der Außenpolitik zusammenzuarbeiten. Das betrifft die UNO, die Iran-Gespräche 3 plus 3, die Bemühungen zu Syrien usw. usw. Der bunte Strauß der Beliebigkeit und des Zufalls setzt sich im Forderungsteil nahtlos fort. Als Erstes stellt die Grünenfraktion die heroische Forderung auf, „einen klaren, kohärenten und langfristig orientierten strategi- schen Gesamtansatz gegenüber China zu entwickeln und diesen in Form eines Strategiepapiers zu veröffentli- chen“. Gut gebrüllt, eine solche Forderung macht sich immer gut. Dann folgt ein Sammelsurium von Forderun- gen, zum Teil mit Kosten verbunden, denen es gerade an „einem strategischen Gesamtansatz“ gebricht. Es wer- den weitere neue Stellen gefordert, es sollen Mittel ver- stärkt für asienbezogene Forschung ausgegeben werden, ohne zu sagen, wo sie denn gestrichen werden sollen. In Afrika etwa? Es sollen die strategischen Partnerschaften der EU gestärkt werden. Welche? Wozu? Wie? Keine Aussage. Es wird unter 10 a gefordert, einen Neustart der Ent- wicklungszusammenarbeit vorzunehmen. Offensicht- lich ist den Verfassern die Projektvielfalt der Arbeit der GIZ nicht bekannt. Dieses Informationsdefizit wäre schnell zu beheben, wenn man denn wollte. Auch in dem Forderungsteil kommt die Außenpolitik nicht vor. Offensichtlich haben die Außenpolitiker, ob- wohl im Rubrum vorne stehend, nicht an dem Antrag fe- derführend mitgearbeitet. Oder sie sehen die außenpoli- tischen Dimensionen der Kooperationsmöglichkeiten und -notwendigkeiten nicht als so wichtig an. Ich weiß nicht, welche Variante für die Grünenfraktion schmei- chelhafter ist. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen- fraktion, dieser Antrag wird der Bedeutung der deutsch- chinesischen Beziehungen nicht gerecht. Wir lehnen ihn ab. Stefan Liebich (DIE LINKE): Bündnis 90/Die Grü- nen haben mit ihrem Antrag den für Deutschland so wichtigen Beziehungen zu China nach langer Zeit mal wieder die Möglichkeit verschafft, im Parlament eine Rolle zu spielen. Dafür gebührt ihnen ein Dank. Der Antrag benennt eine Kritik, die ich unterstütze: Eine kohärente Strategie für die Beziehungen zu China haben weder die Bundesregierung noch die Europäische Union. Wenn wir uns das Agieren der Bundesregierung in den letzten Jahren anschauen, aber auch die Arbeit der EU, dann kann man nur sagen: Mit einer gemeinsamen Politik hat das nichts zu tun, hier macht lieber jeder seins. Da wächst am Pazifik eine neue Supermacht heran, die ernsthaft mit den Herausforderungen des 21. Jahr- hunderts ringt, und das Einzige, was der Bundesregie- rung einfällt, ist: Kauft euch mal mit euren Devisenre- serven beim Euro ein und kauft mehr deutsche Autos, die wir auch gleich billig bei euch produzieren! – Das ist armselig. Beim zweiten Blick auf die Politik der Bundesregie- rung und der EU wird deutlich: Die VR China wird noch immer als Gegenüber verstanden und nicht als ernsthaf- ter Partner. Die Situation der Menschenrechte wird gern als Indiz herangezogen. Es ist nur wenig glaubwürdig, wenn unser Land gleichzeitig Waffen nach Saudi-Ara- bien und andere „Demokratien“ des Nahen Ostens ex- portiert. Und auch die Stimme der Bundeskanzlerin ge- genüber China ist in dieser Frage leiser geworden. Offenbar sind die wirtschaftlichen Interessen wichtiger. Der wirtschaftliche Aufschwung Chinas ist in der Tat atemberaubend, und – auch wenn hierüber wenig ge- sprochen wird – es gibt bei etlichen in der chinesischen Führung Sorgen über die zunehmende soziale Spaltung des Landes. Nicht nur das, sie versuchen auch, gegenzu- steuern. Gut so. Das Ziel von Deng Xiaoping war: „Eini- gen Menschen soll es früher als anderen möglich sein, reich zu werden. Die KP Chinas wird eine Polarisierung der Gesellschaft jedoch nicht zulassen.“ Reich geworden sind mittlerweile manche. Nun muss auch der zweite Teil noch energischer in Angriff genommen werden. Zugenommen haben aber auch Probleme, die eine ra- sante wirtschaftliche Entwicklung mit sich bringt: Um- weltschäden zum Beispiel. Andererseits ist China, und der grüne Antrag verweist darauf, ein Land, das sich da- mit nicht nur konfrontiert sieht, sondern auch versucht, gegenzusteuern. Hier, aber auch bei sozialen Standards haben Deutschland und China gemeinsame Interessen. Doch wo ist die entschlossene Kooperation? Wieder Fehlanzeige! Chinas Engagement in der Welt nimmt zu. Im eigenen Namen, aber auch in der internationalen Gemeinschaft. Und wieder schaut Europa, schaut Deutschland einfach nur zu. Kritik an den USA, die eine offensivere Strategie gegenüber China verfolgen, zum Beispiel durch Trup- penverlagerungen, hört man nur sehr leise. Warum eigent- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28193 (A) (C) (D)(B) lich? Wir erleben im pazifischen Raum ein beispielloses Wettrüsten. China investiert in seine Flotte, auch als Re- aktion auf die Verlagerung größerer amerikanischer Flot- tenverbände in den Pazifik. Und China entwickelt, wen wundert es, nun auch eigene Drohnen und eigene Trans- portflugzeuge, um seine strategischen Fähigkeiten aus- zubauen. Ist das in unserem Interesse? Ich meine, nein. Wir brauchen, da legt der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen den Finger in die Wunde, eine konsistente Stra- tegie für unsere Beziehungen zu China, nicht nur als Bundesrepublik Deutschland, sondern auch als Europäi- sche Union. Wir müssen China nicht nur als Billigproduzenten und Absatzmarkt begreifen, sondern in der Tat als eben- bürtigen Partner in einer sich dramatisch verändernden Welt. Klimawandel und die Folgen der Globalisierung betreffen uns gleichermaßen und können nur gemeinsam beantwortet werden. Dazu ist Sensibilität und die Fähig- keit zum Zuhören von unschätzbarer Bedeutung. Viele Ansätze im Antrag der Grünen sind aus meiner Sicht zu begrüßen. Austausch, Ausbau des Verständnis- ses und der interkulturellen Kompetenz durch Sprache, Kultur und Geschichte sind gut und wichtig. Zusammen- arbeit der Menschen in der Zivilgesellschaft ist zu fördern. Herausforderungen, wie gesellschaftlicher Wandel, Werte- wandel und Klimawandel, zu beantworten. In Worten und besser noch in Taten. Diese Debatte sollten wir hier im Parlament beginnen, weil die Bundesregierung die Zeichen der Zeit ver- schläft. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Focus hat diese Woche verdeutlicht, welches Niveau Debatten zu China bei uns häufig haben: In der Hoffnung, seine Verkaufszahlen nach oben zu treiben, zeigt er einen hungrigen Drachen auf der Front- seite und titelt „China macht Angst“ – es sollte heißen „Unwissenheit macht Angst“. Fakt ist: China wird für uns sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch bald einen ähnlichen Stellenwert wie die USA einnehmen. Es gibt eine erhebliche Verschie- bung der Machtverhältnisse, und dennoch ignoriert es die Bundesregierung gekonnt und trägt damit zu vorur- teilsbehafteten Diskussionen bei. Mit 711 Milliarden US-Dollar pro Jahr für ihre Mili- tärausgaben liegen die USA noch weit vor der Volksre- publik mit 148 Milliarden US-Dollar – warum also haben wir Angst vor China, nicht aber vor den USA? Ich wage eine Vermutung: weil wir deutlich besser mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA vertraut sind – zu wenig aber immer noch über die heranwachsende Weltmacht im Osten wissen. Auch der Bundestag bildet da keine Ausnahme. Der vom Focus betitelte „Unheimliche Partner“ ist deshalb so unheimlich, weil wir uns dem Land immer noch aus der Ferne nähern. Wir wissen gar nicht in der gesamten Breite, was dort im Einzelnen passiert, welche Debatten geführt werden oder welche Akteure das Land lenken. Nur wenige Menschen in Deutschland lernen Chinesisch; im Geschichts- oder Politikunterricht spielt China keine Rolle, und nur wenige Privilegierte haben die Möglichkeit, an einem Schüleraustausch mit China teilzunehmen. Das macht es einigen Journalisten leicht, mit einer billigen Titelgeschichte Ängste zu schüren, anstatt das Kind beim Namen zu nennen: Wir werden die globalen anstehenden Probleme ohne China kaum lösen und kön- nen uns diese Nichtbeachtung auf Dauer schlicht nicht mehr leisten. Im Klimaschutz, bei der Armutsbekämp- fung und der Wirtschaft wird ohne China kein nachhalti- ger Wandel möglich sein. Dies mag uns gefallen oder nicht, aber es handelt sich um einen Fakt. Entgegen der populären Meinung ist China sicher vie- les – aber kein monolithischer Block. Wie wollen wir diese politische Herausforderung angehen? Wir sagen: Nur mit kompetenten Personen und dem nötigen Fach- wissen können wir dieser systematisch begegnen. Nur, wie sieht die Realität bei uns aus? Unser Außen- minister begrüßte den neuen chinesischen Botschafter mit den Worten „wo ai ni“ was so viel heißt wie „Ich liebe dich“, und versucht damit seine China-Kompetenz unter Beweis zu stellen. Wie bitte ist das denn zu verste- hen? Nicht nur hier wäre eine kompetente Beratung des Außenministers wertvoll gewesen, um den anwesenden China-Kennern nicht die Schamesröte in die Gesichter zu treiben. Dagegen parieren der chinesische Botschafter und seine Mitarbeiter jede Gesprächssituation im nahezu akzentfreien Deutsch. Wir setzen uns mit unserem Antrag für die Stärkung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlich- keit ein. Noch immer werden gewaltfreie Regimekritike- rinnen und Regimekritiker und Menschenrechtsverteidi- gerinnen und -verteidiger verhaftet und schikaniert. Konkrete menschenrechtspolitische Ankündigungen der chinesischen Führung müssen auch Taten folgen. Wirtschaftsinteressen dürfen kein Grund sein, darauf zu verzichten. Doch die Bundesregierung hat leichtfertig Instru- mente der Zusammenarbeit aus der Hand gegeben. So gab es im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu- kunftsweisende Konzepte. Minister Niebel hat es geschafft, mit seinem abrupten Abbruch gut installierter Projekte in China unter Beweis zu stellen, wie wenig er von einer funktionieren Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China auf wichtigen Feldern wie dem in- ternationalen Klimaschutz, der Verkehrspolitik, der Rechtsstaatsentwicklung oder der Finanzsektorberatung hält: leider gar nichts. Er zeigte sich beratungsresistent. Zwei konkrete Beispiele also für unseren dringenden Nachholbedarf in Sachen China-Kompetenz. Somit ist eines klar: Wir werden auch in Zukunft von China an vielen Stellen nicht unbedingt pfleglich behan- delt werden. Der an politischem Einfluss wachsende Partner lässt sich immer weniger gern kritisieren, straft Partner ab, die das dennoch tun, und tritt im wirtschaftli- 28194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) chen Wettbewerb zunehmend selbstbewusst auf. So lei- det etwa die Solarindustrie in Deutschland unter dem harten direkten Wettbewerb mit China. Die Antwort muss hier Kooperation statt Marktabschottung lauten. Und gerade deswegen ist es uns Grünen wichtig – weil wir trotz unserer kritischen Haltung gegenüber China die Zusammenarbeit intensiver wollen. Ziel muss es sein, das Land und seine Menschen und vor allem die politisch Handelnden besser zu verstehen. „China-Versteher“ darf kein Schimpfwort mehr sein. Es geht nicht um kritikloses Abnicken, sondern um eine ernst gemeinte Auseinandersetzung mit der politischen Situation in China. Das wird nur mit soliden China-Kompetenzen in Deutschland funktionieren. Unsere Fraktion will deshalb vorangehen, um diese Lücke zu schließen. Wir fordern deshalb nicht nur einen kohärenten Ge- samtansatz, sondern eine echte „China-Offensive“ – ohne dabei unkritisch im Umgang mit der Regierung zu sein. Aber um auf Augenhöhe in Zukunft mit China zusammenzuarbeiten, fordern wir neben mehr China- Kompetenz in Ministerien und Behörden auch einen Koordinator für deutsch-chinesische Beziehungen im Auswärtigen Amt, wie es ihn für die transatlantischen Beziehungen bereits lange gibt. Ohne eine kohärente Gesamtstrategie in Deutschland werden wir uns weiterhin mit der erfolglosen Symbol- politik der Bundesregierung abgeben müssen. Dabei ist eine konsequente, kohärente Politik für Menschenrechte und Nachhaltigkeit unabdingbar, um substanzielle Ver- änderungen zu erreichen. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Fünfzehntes Gesetz zur Ände- rung des Soldatengesetzes – Entwurf der Bundesregierung eines Fünf- zehntes Gesetz zur Änderung des Soldaten- gesetzes (Tagesordnungspunkt 18) Michael Brand (CDU/CSU): Vorab können wir mit Genugtuung feststellen: Die große Gemeinsamkeit zwi- schen den großen Volksparteien beim Thema Bundes- wehr ist bewahrt und hat sich einmal mehr bewährt. Nach den tiefgreifenden strukturellen Umstellungen für die Bundeswehr und dem damit verbundenen Ausset- zen der Wehrpflicht haben wir uns schon damals vorge- nommen, die entsprechenden rechtlichen Anpassungen vorzunehmen, um vom Wehrpflichtgesetz überzuleiten und die nach der Aussetzung der Wehrpflicht gebotene einheitliche Rechtsgrundlage für alle diejenigen zu schaffen, die gemeinsam ihren Dienst in der Bundes- wehr tun. Diese Grundlage liegt nun vor, und wir sind als CDU/ CSU froh, dass wir dieses Gesetz gemeinsam mit dem Koalitionspartner und auch der Volkspartei SPD be- schließen können. Dass die Grünen ein noch immer nicht komplikationsfreies Verhältnis zur Parlamentsar- mee haben und die Linke eine fast schon feindlich-nega- tive Einstellung – um einmal einen SED-Jargon zu be- nutzen – tut der Tatsache keinen Abbruch, dass wir als Deutscher Bundestag diese gesetzliche Grundlage mit einer Mehrheit größer als die Verfassungsmehrheit, also von über zwei Dritteln der im Parlament vertretenen Mandate, verabschieden können. Dieses Signal ist wichtig für die Parlamentsarmee, der wir uns – nahezu alle hier im Hohen Hause – in besonde- rer Weise verpflichtet fühlen. Wir sind den Soldatinnen und Soldaten, den kurz Dienenden, den länger Dienen- den und den Berufssoldaten, für ihren Dienst am Vater- land in schwieriger und gefährlicher Mission sehr dank- bar. Ich möchte sehr persönlich, auch aus eigener Erfah- rung mit den Risiken des Einsatzes, hinzufügen: „Ehre, wem Ehre gebührt“ – und denen, die sich für den Frie- den und für die Freiheit unter Einsatz ihres Lebens ein- setzen, Frauen und Männern, gebührt die Ehre, auch die- ses Parlaments. Die gesetzliche Regelung, die wir heute beraten, ent- hält im Kern keine Neuregelungen. Insofern kann allen denjenigen Entwarnung gemeldet werden, die wegen der Umstellung die Ungewissheit hatten, was denn nun Neues auf sie zukommt. Mit dem neuen, angepassten Soldatengesetz schaffen wir nun ein einheitliches Dienstrecht für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Darum geht es, um nicht mehr und nicht weniger. Es ist gut, dass wir diese einheitliche Regelung gefun- den haben. Es ist gut, dass wir dies hier mit sehr breiter Mehrheit beschließen. Und es ist gut, dass wir die Bun- deswehr als Parlamentsarmee haben. Für meine Fraktion der CDU/CSU danke ich dem Ministerium für die Zuar- beit und versichere den Soldatinnen und Soldaten, dass wir als CDU/CSU auch in Zukunft an ihrer Seite stehen und unserer Verantwortung für die Bundeswehr gerecht werden. Markus Grübel (CDU/CSU): Vor fast genau zwei Jahren – am 24. Februar 2011 – stand ich vor diesem Ho- hen Hause und habe zu zwei Gesetzestexten gesprochen, die vor allem für junge Menschen in unserem Land und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft eine ganz neue Chance eröffnet haben. Gemeint sind das Wehrrechtsänderungs- gesetz 2011 und das Gesetz zur Einführung eines Bun- desfreiwilligendienstes. Mit beiden Gesetzen wurde frei- williges Engagement in unserer Gesellschaft auf ein vollkommen neues Fundament gestellt und der Grund- stein für eine neue Freiwilligenkultur gelegt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28195 (A) (C) (D)(B) Vor dem Hintergrund einer veränderten sicherheits- politischen und demografischen Lage haben wir uns mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 für die Ausset- zung der Wehrpflicht, die über Jahrzehnte ein Sicher- heitsgarant der Bundesrepublik Deutschland war, ent- schieden und einen neuen freiwilligen Wehrdienst eingeführt. Diese Entscheidung fiel vielen von uns, zu denen ich mich auch zähle, sehr schwer. Aber: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, wie mein Kollege Volker Kauder einmal treffend formulierte. Und die sicherheitspolitische Wirklichkeit hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges gewandelt. Die Aufrechterhal- tung der Wehrpflicht war angesichts eines veränderten Aufgabenspektrums für unsere Streitkräfte nur schwer begründbar. Neben der Veränderung der sicherheitspoli- tischen Lage war auch aus Gerechtigkeitsgründen die immer geringer werdende Zahl an eingezogenen Män- nern nur schwer zu rechtfertigen. Zuletzt betrug die Dauer des Wehrdienstes außerdem nur noch 6 Monate. Fraglich ist, ob sowohl die Bundeswehr als auch der Wehrpflichtige von einem derart kurzen Zeitraum profi- tieren konnten. Wir haben daher die Wehrpflicht durch einen freiwil- ligen Wehrdienst ersetzt, den Männer und Frauen bis zu 23 Monaten absolvieren können. Mit diesem Dienst ermöglichen wir jungen Menschen, staatsbürgerliche Verantwortung zu übernehmen und ihrem Land in be- sonderem Maße zu dienen – getreu dem Motto „Wir.Die- nen.Deutschland“. Das Pendant zur Wehrpflicht war über viele Jahr hinweg der Zivildienst als Wehrersatzdienst. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht wurde dieser Dienst vom Bundesfreiwilligendienst abgelöst, den wir von starren Altersgrenzen gelöst und als generationen- und ge- schlechterübergreifenden Freiwilligendienst etabliert ha- ben. Schon heute hat sich der Bundesfreiwilligendienst als Erfolgsgeschichte erwiesen. Wir haben den Bundes- freiwilligendienst als Nachfolge für den Zivildienst neu konzipiert. Und wir haben die Jugendfreiwilligendienste auf eine neue Grundlage gestellt. Von einem Teil der Verbände wurden diese Vorhaben kritisch begleitet. Aber es ist ein großer Erfolg geworden. Die Nachfrage über- steigt inzwischen die Zahl der Plätze. Über 100 000 Frei- willige sind derzeit in Deutschland tätig. 50 000 junge Menschen machen ein FSJ zum Beispiel in der Alten- pflege, der Krankenpflege und der Behindertenarbeit. 35 000 Menschen leisten den Bundesfreiwilligendienst, der nun auch für über 27-Jährige geöffnet ist. 7 000 Buf- dis sind über 27. 5 000 junge Menschen machen einen Freiwilligendienst im Ausland. Und knapp 10 000 leis- ten einen freiwilligen Wehrdienst neuer Art. Die große Zahl der Freiwilligen ist ein gutes Zeichen für die Einstellung der jungen und auch älteren Men- schen in Deutschland. Die große Zahl der Freiwilligen zeigt, dass wir die Freiwilligendienste richtig konzipiert haben. Lassen Sie mich nun zum freiwilligen Wehrdienst kommen. Mittlerweile sind knapp eineinhalb Jahre ver- gangen. Wenn wir einen Blick auf das vergangene Jahr werfen, können wir zweifellos eine positive Bilanz zie- hen: Vom 1. Januar 2012 bis zum 1. Januar 2013 wurden rund 11 000 Männer und Frauen für einen freiwilligen Wehrdienst gewonnen. 5 000 junge Frauen und Männer haben am 1. Januar 2013 einen freiwilligen Wehrdienst angetreten. An dieser Stelle möchte ich kurz anmerken, dass allein aus Baden-Württemberg 236 Freiwillige ka- men. Unsere Zielmarke haben wir insofern erreicht. Der Minister hatte folgende Formel vorgegeben: 5000 plus X, das heißt 5 000 freiwillig Wehrdienstleistende werden fest eingeplant. Für weitere bis zu 10 000 freiwillig Wehrdienstleistende pro Jahr werden Platz und Ausbil- dung angeboten. Mit rund 11 000 freiwillig Wehrdienst- leistenden im Jahr 2012 liegt die Bundeswehr sogar mehr als im Soll. Damit wir viele junge Männer und Frauen für einen freiwilligen Wehrdienst gewinnen kön- nen, müssen wir uns aber auch weiterhin um attraktive Rahmenbedingungen bemühen und für den Dienst wer- ben. Änderung des Soldatengesetzes: Mit den vorliegen- den von den Fraktionen CDU/CSU und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten wortgleichen Entwürfen eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldaten- gesetzes gehen wir nun einen letzten wichtigen Schritt: Wir übertragen den freiwilligen Wehrdienst in das Solda- tengesetz und verankern ihn somit im richtigen Gesetz. Mit der Gesetzesänderung schaffen wir eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Dienst in den Streitkräften. Der freiwillige Wehrdienst wird aber abgegrenzt von dem Dienst der Berufssoldatinnen und -soldaten sowie den Soldatinnen und Soldaten auf Zeit. Er bildet insofern ein eigenständiges, wesentliches Element innerhalb der Bun- deswehr. Die geplante Gesetzesänderung sieht konkret vor, die bisher im Wehrpflichtgesetz enthaltenen Rege- lungen zum freiwilligen Wehrdienst inhaltsgleich in die Systematik des Soldatengesetzes zu integrieren. Diese Änderung führt vor allem zu einer Rechtsvereinfachung. Darüber hinaus wird mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf der freiwillige Wehrdienst als besonderes staatsbür- gerliches Engagement im Soldatengesetz normiert. Ich lade alle Fraktionen dieses Hauses ein, dem vor- liegenden Gesetzentwurf zuzustimmen und dem freiwil- ligen Engagement in unseren Streitkräften die Anerken- nung zu verleihen, die es verdient. Lars Klingbeil (SPD): Das Soldatengesetz wird heute um einige Punkte ergänzt. Um den freiwilligen Wehrdienst und um die im Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 hierzu beschlossenen Änderungen. Auch wenn es sich bei der heutigen Gesetzesände- rung mehr um eine Formalität handelt, ist es mir wichtig, nochmal auf das Gesamtkonstrukt Bundeswehrreform aufmerksam zu machen. Erst war die Schuldenbremse der Hauptantrieb dieser Reform. Ziel war es, möglichst viel zu sparen. Die eigentlich selbstverständliche und zwingend notwendige sicherheitspolitische Debatte im Vorfeld wurde nicht geführt. Mit dem Wechsel im Minis- teramt wurde dann der Anspruch an die Reform herun- tergeschraubt. Unter zu Guttenberg wurde noch von der tiefgreifendsten Reform in der Geschichte der Bundes- 28196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) wehr gesprochen. Mittlerweile bekommt man jedoch den Eindruck, dass möglichst wenig verändert und dabei möglichst viel gespart werden soll. Das an sich halte ich schon für sehr problematisch. Hinzu kommt aber, dass Sie bei dieser Reform von Anfang an kaum die Interessen der Soldatinnen, Solda- ten und Zivilbeschäftigten berücksichtigt haben. Die vie- len Ankündigungen, möglichst breite Diskussionen zu führen und möglichst viele Meinungen einzuholen, wur- den nicht erfüllt. Im Mittelpunkt einer jeden Reform der Bundeswehr stehen die Menschen. Sie haben es aber nicht geschafft, diese Menschen mitzunehmen und zu in- formieren. Sie haben sie im Unklaren gelassen. Noch immer wissen viele der Soldatinnen, Soldaten und Zivil- beschäftigten nicht, wie ihre Zukunft bei der Bundes- wehr aussieht, ob sie überhaupt eine haben, und wenn ja, wo diese an welchem Standort sein wird. Die Art und Weise wie Sie die Wehrpflicht ausgesetzt haben, zeigt, wie undurchdacht und unstrategisch diese Reform umgesetzt wurde und wird. Ich begrüße, dass Sie die Wehrpflicht ausgesetzt haben. Aber Sie hätten sich zuerst Gedanken machen sollen, was dadurch ei- gentlich passiert. Es gab im vorhinein kein Konzept, wie man auf den Wegfall des stetigen Pools der Wehrpflich- tigen reagiert. Es gab kein Konzept, wie man die jungen Menschen in diesem Land richtig anspricht, wie man sie über die Bundeswehr angemessen informiert und wie man sie für den Dienst interessiert. All das hätte vor der Aussetzung der Wehrpflicht passieren können und müs- sen. So hatten wir quasi ab dem Tag der Aussetzung ein Rekrutenproblem. Die hohen Abbrecherquoten bei den freiwillig Wehr- dienstleistenden sind erschreckend. 30,4 Prozent been- den vorzeitig ihren Dienst. Das ist deutlich höher als bei den sozialen Diensten. Wenn fast ein Drittel den Dienst frühzeitig abbricht, müssen bei uns doch die Alarmglo- cken schrillen. Irgendwas kann dann nicht stimmen. Ha- ben die jungen Menschen die falsche Vorstellung vom Dienst bei der Bundeswehr? Inwieweit werden ihre Vor- stellungen überhaupt erfüllt? Und vor allem: Wie wer- den die Rekruten im Vorfeld informiert? Das sind alles Fragen der Konzeptionierung und der Kommunikation. Nach über zwei Jahren Reform ist es endlich an der Zeit, dass Sie diese Zahlen analysieren, die Nachwuchsgewin- nung grundlegend evaluieren und dann ganz schnell nachbessern. Durch die doppelten Abi-Jahrgänge der letzten Jahre wird dieses Problem bisher noch überlagert. Nur durch die zusätzlichen Schulabgänger haben wir eine Zahl von 11 150 Freiwilligen erreicht. Wenn wir so weiter ma- chen, werden wir jedoch langfristig ein Problem haben. Wir brauchen dringend ein wettbewerbsfähiges Konzept für die Nachwuchsgewinnung. Wir müssen jetzt auf die Veränderungen bei der Bundeswehr und in der Gesell- schaft reagieren, damit wir die Bundeswehr aufstellen können, die wir in Zukunft benötigen. Deswegen haben wir als SPD auch gefordert, dass sich die Anhebung der Planstellenanteile für Unteroffi- ziere in der Besoldungsgruppe A9 an den Vorgaben für den mittleren Polizeidienst orientieren soll. Dann könn- ten Unteroffiziere endlich leistungsgerecht befördert werden. Aber auch der Dienst als Soldat auf Zeit muss attraktiver ausgestaltet werden, SaZ8 und SaZ12+ wer- den durch die Veränderungen der Berufsförderung und der Dienstzeitversorgung benachteiligt. Deswegen for- dern wir, dass die wegfallenden Freistellungsphasen durch eine Erhöhung der Übergangsbeihilfen ausgegli- chen werden müssen. Darüber hinaus müssen Sie zwingend beim Personal- modell nachsteuern. Das aktuelle Konzept löst weder den Beförderungs- noch den Verwendungsstau auf. Wir brauchen bei der Bundeswehr schnellstmöglich ein transparentes und nachvollziehbares Personalmanage- ment. Bei meinen Gesprächen mit den Soldatinnen, Solda- ten und Zivilbeschäftigen spielt ein Thema immer wie- der eine zentrale Rolle: die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Mittlerweile ist das Thema auch in allen Sonntagsreden angekommen. Aber es tut sich viel zu wenig bei der Bundeswehr. Soldatinnen und Soldaten beschweren sich nicht, sie wissen, dass sie einen an- spruchsvollen Job voller Herausforderungen ausüben. Was sie sich jedoch wünschen, ist ein Arbeitgeber, der sie auch bei der Bewältigung der Herausforderungen im privaten Bereich unterstützt. Oft sind die Ehepartner auch berufstätig, viele Soldatinnen und Soldaten haben Kinder, Familie und Beruf sind nicht immer einfach un- ter einen Hut zu bringen. Wir brauchen daher endlich umfassende Angebote der Kinderbetreuung bei der Bun- deswehr. Es kann nicht sein, dass immer nur etwas pas- siert, wenn sich die Bediensteten vor Ort einsetzen. Wir brauchen auch bei den Streitkräften, die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung und der Telearbeit. Die vielen Pendler sind ein fester Bestandteil unserer heutigen Bun- deswehr. Akzeptieren Sie diese Realität und stellen Sie deswegen ausreichend Pendlerwohnungen zur Verfü- gung und halten Sie die Wahlmöglichkeit zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung aufrecht. Ich werbe dringend dafür, dass wir uns Gedanken ma- chen darüber, welche Bundeswehr wir wirklich wollen. Dass finanzielle Zwänge bestehen, ist haushaltspoliti- sche Realität. Dies sollte aber trotzdem nicht dazu füh- ren, dass wir eine Bundeswehr zusammenbauen, die den Anforderungen der Zukunft nicht genügt. Was wir jetzt nicht nachhaltig auf den Weg bringen, können wir in der Zukunft nur schwer wieder ändern. Grundvoraussetzung für die Bundeswehr der Zukunft ist es, dass wir die bes- ten Hände und Köpfe gewinnen. Und dies geht nur, wenn die Bundeswehr die attraktive Anlaufstelle ist, die wir uns alle vorstellen. Die SPD hat hierzu mehrfach Vorschläge gemacht. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Bundeswehr auch in Zukunft ein attrak- tiver und interessanter Arbeitgeber bleibt. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Mit der Ausset- zung der Wehrpflicht ist der Bundestag im Jahr 2011 ei- nen mutigen und historischen Schritt gegangen. Die Wehrpflicht war sicherheitspolitisch nicht mehr be- gründbar und auch durch die immer geringer werdende Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28197 (A) (C) (D)(B) Zahl an eingezogenen jungen Männern mit Blick auf die Wehrgerechtigkeit nicht mehr haltbar. Mit der Unterschreitung der Zwölfmonatsgrenze im Jahr 1996 gehörte der Grundwehrdienst auch hinsicht- lich seiner militärischen Sinnhaftigkeit bereits schon viel früher auf den Prüfstand. Die Wehrpflicht prägte nicht nur über viele Jahr- zehnte unsere Streitkräfte, sondern im gleichen Maße auch die Biografie jedes jungen Mannes in unserem Land. Mit der persönlichen Entscheidung zwischen Wehr- oder Zivildienst war, wenn auch nur für einen kur- zen Moment, die Bundeswehr als mögliche berufliche Zukunft für jeden Einzelnen präsent. Wir sind mit der Aussetzung der Wehrpflicht bewusst den Schritt weg vom Zwang und hin zur Freiwilligkeit gegangen. An dieser Stelle möchte ich hier all denjeni- gen Kollegen im Hause danken, von denen ich weiß, wie außerordentlich schwer ihnen dieser Schritt gefallen ist. Nun mit zwei Jahren Abstand dürfen wir alle gemein- sam sagen: Die Aussetzung der Wehrpflicht hat sich ge- lohnt. Aber – und das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren –: Die Bundeswehr erlebt aktuell einen doppel- ten Umbruch. Nicht nur die Aussetzung der Wehrpflicht, sondern vor allem die tief greifende Reform ruft bei vie- len Soldatinnen und Soldaten Unsicherheit hervor. Wir Parlamentarier sollten offen dazu stehen, dass die Bundeswehrreform den Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien viel zumutet. Manche Entscheidungen waren – leider – intransparent und wurden nicht optimal kommuniziert. Für viele Angehörige der Bundeswehr gab und gibt es noch immer viele Unklarheiten, was ihre berufliche und persönliche Zukunft angeht. Dabei denke ich nicht nur an die einzelne Soldatin oder den einzelnen Soldat, sondern auch an den Lebenspartner und Kinder, also das ganze familiäre und soziale Umfeld. Ich kann dem Wehrbeauftragten nur zustimmen, dass hier in diesem Jahr dringend nachgebessert werden muss. Manches Vertrauen, welches verspielt wurde, muss nun durch klares und transparentes Handeln zurückgewon- nen werden. Die Bundeswehr wird nicht zu einem attraktiven Ar- beitgeber durch Hochglanzplakate und YouTube-Spots, sondern in erster Linie durch unsere Soldatinnen und Soldaten, die aktiv nach außen mit Stolz in ihrem per- sönlichen Umfeld für eine Tätigkeit bei den Streitkräften werben. Wir Liberalen stehen seit vielen Jahren für das Prinzip der Freiwilligkeit und für positive Motivation durch An- reize. Auch das Vertrauen in die Bereitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger, sich für die Gemeinschaft ohne staatlichen Zwang zu engagieren, gehört zu den Grund- überzeugungen unseres liberalen Denkansatzes. Unser Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil hat sich unsere Entscheidung als mehr als gerechtfertigt erwiesen. Ohne Frage würde ich mir einen größeren Ansturm auf eine Tätigkeit bei der Bundeswehr wünschen, so wie wir es eindrucksvoll beim Bundesfreiwilligendienst erle- ben dürfen. Aber: Die Zeichen deuten in die richtige Richtung und sollten uns motivieren, weiter gemeinsam daran zu arbeiten, dass die Bundeswehr attraktiver wird. Die Vereinbarkeit von Dienst und Familie, klar kom- munizierte Aufstiegschancen und eine Ausbildung, die der zivilen Wirtschaft mindestens ebenbürtig ist, sind für mich der Schlüssel für unsere Bundeswehr der Zukunft. Die Aussetzung der Wehrpflicht markiert für mich da- her nicht den Endpunkt, sondern viel mehr den Beginn eines Paradigmenwechsels in der Gestaltung des Berufs- bildes unserer Soldatinnen und Soldaten. Harald Koch (DIE LINKE): Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Dies hat die Linke stets als einen Schritt in die richtige Richtung begrüßt, auch wenn wir gern den Schönheitsfehler „Aussetzung der Wehrpflicht“ durch eine endgültige Abschaffung ausmerzen würden. Den mit dem neuen Wehrrechtsänderungsgesetz ein- geführten freiwilligen Wehrdienst lehnen wir hingegen strikt ab. Daher müsste man, wenn es nach uns ginge, auch gar nicht über diesen nun vorliegenden Gesetzent- wurf reden; denn damit wird lediglich der freiwillige Wehrdienst im Soldatengesetz zementiert. Und das fin- den wir grundlegend falsch. Der freiwillige Wehrdienst wurde nur eingeführt, weil Sie nach dem Wegfall der Wehrpflicht von der Angst ge- trieben wurden, dass sich nicht mehr genügend junge Menschen für einen Dienst bei der Bundeswehr finden. Sie haben alles der Einsatzeffizienz und dem Umbau der Bundeswehr zu einer schlagkräftigen, weltweit einsetz- baren Interventionsarmee untergeordnet. Dies wollen die jungen Leute aber nicht, da ihnen klar ist, dass sie jeden Einsatz im Ernstfall auch mit ihrem eigenen Leben be- zahlen könnten. Also musste die Bundeswehr ein Konstrukt schaffen, mit dem sie die jungen Leute ködern kann. Dies ist der freiwillige Wehrdienst, welcher fälschlicherweise im Gesetzentwurf als „besonderes staatsbürgerliches Enga- gement“ deklariert wird. Im Gegensatz zu jeder wirkli- chen Form des staatsbürgerlichen Engagements oder Freiwilligendienstes wird er auch noch unverhältnismä- ßig hoch vergolten. Ein freiwillig Wehrdienstleistender bekommt im Schnitt das Dreifache des Geldes, was zum Beispiel ein Jugendlicher als Taschengeld erhält, der ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Das ist nicht nur ungerecht, sondern inakzeptabel. Der freiwillige Wehr- dienst hat in meinen Augen absolut nichts mit Gemein- nützigkeit oder staatsbürgerlichem Engagement zu tun. Er dient einzig und allein der Rekrutierung junger Men- schen für die Bundeswehr. Was aber ein wirklicher Skandal in diesem Gesetzent- wurf ist, ist der § 58 c. Damit sichert sich die Bundes- wehr weiterhin den Zugang zu allen Jugendlichen, die kurz vor der Volljährigkeit stehen, indem die Meldebe- hörden verpflichtet werden, automatisch die personenbe- zogenen Daten der Jugendlichen an die Bundeswehr weiterzuleiten. Die Bundeswehr nutzt die Daten dann für Werbe- und Rekrutierungszwecke. Das ist nicht nur ein nicht legitimer Eingriff in die Grundrechte der Jugendli- 28198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) chen, es verschafft der Bundeswehr auch noch erhebliche Vorteile gegenüber Trägern von Freiwilligendiensten, zi- vilgesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen. Denn diese können beim Finden geeigneter Jugendlicher nicht auf das Privileg der Mithilfe der Meldebehörden bauen. Aus diesen Gründen fordern wir, dass diese Praxis so- fort abgeschafft wird. Wenn die Bundeswehr – wie sie das vorgibt – ein ganz normaler Arbeitgeber sein will, dann darf sie gegenüber Mitkonkurrenten auch nicht be- vorteilt werden. Und bis dahin raten wir jedem Jugendli- chen, rechtzeitig von seinem Widerspruchsrecht gegen diese Praxis Gebrauch zu machen. Zusammenfassend kann ich nur sagen: Schaffen Sie den unsinnigen freiwilligen Wehrdienst wieder ab! Denn es hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass er trotz aller Anstrengungen und Privilegien weder als In- strument der Nachwuchswerbung geeignet ist noch von den Jugendlichen angenommen wird. Lediglich die dop- pelten Abiturjahrgänge im letzten Jahr haben Sie vor de- saströsen Verpflichtungszahlen bewahrt. Hinzu kom- men immense Abbrecherquoten von mehr als 30 Prozent. Aus dem freiwillen Wehrdienst ergeben sich so gut wie keine Weiterverpflichtungen, und er ist mit hohen Kosten und einem unwahrscheinlichen Bürokra- tieaufwand verbunden. Das ganze Konstrukt des freiwil- ligen Wehrdienstes war von Anfang an schlecht durch- dacht und ist gescheitert. Ziehen Sie daraus endlich die Konsequenzen! Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetz schafft rechtliche Klarheit für den Status des freiwilligen Wehrdienstes. Der Abschied von der Wehrpflicht wird damit weiter vollzogen, und dafür war es allerhöchste Zeit. Es bleibt dabei: Mit dem Ende des Kalten Krieges war die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr verfassungsgemäß zu rechtfertigen, für die Ab- schaffung haben wir Grüne uns daher schon lange einge- setzt. Andere, und gerade Sie, meine Damen und Herren in der Union, haben für diese Einsicht ziemlich lange ge- braucht. Aber besser spät als nie. Es handelt sich heute also um ein wichtiges Gesetz. Dennoch ist die Abstim- mung keine reine Formsache. Das Gesetz enthält eine Regelung, der wir heute nicht zustimmen wollen: die Weitergabe der Meldedaten Siebzehnjähriger an das Amt für Personalmanagement der Bundeswehr zum Zwecke der Nachwuchswerbung. Dieser Eingriff in die Grundrechte der Jugendlichen ist nicht gerechtfertigt; darum werden wir uns bei diesem Gesetz enthalten – der Entscheidung zur Aussetzung der Wehrpflicht haben wir Grüne ja bereits an anderer Stelle zugestimmt, gerade weil es eine jahrelange grüne Forderung war. Grundsätzlich schaffen wir mit Rechtsakten wie die- sen nur das rechtliche Gerüst für den Umbau der Bun- deswehr. Dieser Umbau verlangt aber viel mehr als nur einen ordentlichen rechtlichen Rahmen. Er ist weder mit dieser Gesetzgebung getan noch mit der Gestaltung der Stationierung, der Struktur des Ministeriums und der Teilstreitkräfte und der Verteilung der Zuständigkeiten. So müssen wir auch über die künftigen Aufgaben der Bundeswehr und die Beziehung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr sprechen. Als ein rein rechtliches und strukturelles Gerüst wird diese Reform nicht gelingen. Aus aktuellem Anlass will ich mein Augenmerk heute besonders auf die Beziehung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr richten. Gegen die Aussetzung der Wehrpflicht wurde immer wieder die Sorge um die gesellschaftliche Anbindung der Bundeswehr angeführt. Das war natürlich Quatsch. Die Wehrpflicht war nicht der letzte Anker, der die Bun- deswehr in der Gesellschaft gehalten hat. Jede Soldatin und jeder Soldat ist auch Teil der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit schaut vor allem dann genau auf die Bundeswehr, wenn einerseits – wie in dieser Woche auf dem Schnellboot Hermelin – massive Verfehlungen bekannt geworden sind, und andererseits, wenn es im Einsatz zu einem tödlichen Ereignis kam. Das ist beides auch richtig, aber nicht genug. Wie ist es um die alltägli- che Beziehung zwischen Bundeswehr und ziviler Gesell- schaft bestellt? Geht es nach dem Verteidigungsminister, erwartet die Bundeswehr derzeit zu viel von der Gesellschaft. Herr de Maizière hat diese These von der Gier der Soldatin- nen und Soldaten nach Anerkennung in den Raum ge- stellt. Wenig glückliche Worte hat er für seine Kritik gewählt, und ich glaube, er hat das Bedürfnis der Solda- tinnen und Soldaten auch nicht richtig verstanden. Die grüne Bundestagsfraktion hat in der vergangenen Woche mit Vertreterinnen und Vertretern ziviler und mi- litärischer Organisationen über ihre Erfahrungen und die Frage der Anerkennung nach durchaus auch gefährli- chen Einsätzen im Ausland diskutiert. Bei dieser gut be- suchten Veranstaltung ist etwas sehr deutlich geworden: Wenn von Anerkennung die Rede ist, geht es nicht um schillernde Symbole wie Gedenktage oder Medaillen und ganz sicher auch nicht um unkritischen Jubel. Reine Symbolpolitik gerät ohnehin schnell zu hohlen Floskeln. Angemessene Absicherung und Fürsorge sind dagegen wichtige und entscheidende Elemente, aber allein treffen sie auch noch nicht den Kern. Der Begriff, den viele – Zivile wie Militärs – in unse- rem Fachgespräch genannt haben, lautet „Wahrneh- mung“. Die Menschen, die in Auslandseinsätze gehen, machen besondere Erfahrungen, die unserer Gesellschaft hier völlig fremd sind. Diese Erfahrungen sind oft per- sönlichkeitsprägend, und die Einsatzkräfte bringen sie mit zurück. Wenn von Anerkennung die Rede ist, geht es erst mal darum, das überhaupt wahrzunehmen. Leider gibt es in der Tat Beispiele dafür, dass das nicht hinrei- chend stattfindet. Im Falle der Bundeswehrangehörigen bekomme ich zum Beispiel immer wieder erzählt, dass die Bundeswehrführung ihre Kenntnisse und Erfahrun- gen aus dem Einsatz aus ihrer Sicht gar nicht nutzen will. Und wie lang hat es gedauert, bis die Bundesregie- rung bereit war, anzuerkennen, dass der Einsatz auch psychische Folgen bis hin zum Ausbilden einer posttrau- matischen Belastungsstörung nach sich ziehen kann! Da- von wollten viele in der Bundeswehrführung erst gar nichts hören. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28199 (A) (C) (D)(B) Wenn der Umbau der Bundeswehr zu einer kleineren Freiwilligenarmee gelingen soll, wenn wir die Bundes- wehr in der Mitte der Gesellschaft halten wollen, müssen wir auch an der Beziehung zwischen Bundeswehr und ziviler Gesellschaft arbeiten. Eine solche Auseinander- setzung kann sicher nicht ersetzt werden durch leere Symbolpolitik, vielmehr geht es um einen ehrlichen, of- fenen und kritischen Diskurs. Wir brauchen eine breite und kritische Auseinandersetzung über die Einsätze, die künftigen Aufgaben der Bundeswehr und die Grenzen des Militärischen – auf der Grundlage von gegenseiti- gem Respekt und nicht irgendwelchen Beleidigungen. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Rechte indigener Völ- ker stärken – ILO-Konvention 169 ratifizieren (Tagesordnungspunkt 20) Anette Hübinger (CDU/CSU): Denkt man an indi- gene Völker, kommen einem direkt Bilder des Amazo- nas-Regenwaldes und der dort lebenden Indianervölker oder Bilder der Aborigines in den Weiten Australiens in den Sinn. Das sind schöne Bilder, doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Die Gesellschaft für bedrohte Völ- ker weiß zum Beispiel zu berichten: In Zentralafrika werden die Pygmäen wie „Untermenschen“ behandelt. In Borneo gefährdet der Raubbau am Regenwald die Le- bensgrundlage ethnischer Minderheiten, und die Diskri- minierung von Minderheiten in Vietnam hält weiter an. Gerade Indigene waren und sind weltweit der Gefahr von Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt. Sie kämpfen darum, ihre eigene Lebensweise und ihre Sicht der Welt gegenüber äußeren Zwängen und Einflüssen zu erhalten. In den meisten Fällen gelang und gelingt es ihnen aber nicht, sich in ihrem Heimatland den notwendigen Respekt und Freiraum für ihre Lebensweise zu verschaf- fen. Deshalb hat sich die internationale Gemeinschaft den Schutz ihrer Rechte, ihrer Kultur und ihres Lebens- raums zur Aufgabe gemacht. So hat die Generalversammlung der Vereinten Natio- nen im September 2007 mit großer Mehrheit eine Erklä- rung über die Rechte indigener Völker verabschiedet. Nur vier Staaten haben dagegen gestimmt. Elf waren der Abstimmung ferngeblieben. Die Erklärung hat verbindliche Standards im Umgang mit Indigenen festgelegt und damit nationalem Handeln einen Rahmen vorgegeben. Art. 46 beinhaltet einen um- fassenden Katalog an Schutzrechten. Vor dem Hinter- grund der überwältigenden Akzeptanz durch die interna- tionale Gemeinschaft ist die Erklärung als Erfolg für die Kodifizierung der Rechte indigener Bevölkerungsgrup- pen zu sehen. Die Bundesregierung hat bei den Verhand- lungen eine aktive Rolle eingenommen. Um diesem völkerrechtlichen Text Nachdruck zu ver- leihen, wurde das „Permanente Forum für indigene An- gelegenheiten“ gegründet. In diesem Gremium arbeiten 16 Experten – unter ihnen auch viele Indigene – daran, den Anliegen der Indigenen innerhalb der VN-Struktu- ren Gehör und Durchschlagskraft zu verschaffen. Inner- halb des Mandats des Menschenrechtsrats können Mitglieder des Forums die Situation Indigener in be- stimmten Ländern untersuchen, über Probleme berichten und die nationalen Regierungen und Akteure mit ihrem unabhängigen Bericht konfrontieren. Auch diese Arbeit wird von Deutschland genauso unterstützt wie die Akti- vitäten weiterer pro-indigener Foren innerhalb der Ver- einten Nationen. Neben den Vereinten Nationen war es die Internatio- nale Arbeitsorganisation, die bereits 1989 ein Überein- kommen zum Schutz indigener Völker verabschiedete. Sinn und Zweck dieser Resolution Nummer 169, deren Ratifizierung durch Deutschland wir heute diskutieren, ist es, den Indigenen die gleichen Rechte zu sichern wie der Mehrheitsbevölkerung des jeweiligen Staates. Kurzum: Es geht um Gleichbehandlung und die Wah- rung der sozialen und kulturellen Identität, um Bräuche und Überlieferungen der Indigenen. Wesentlich für unsere Debatte im Bundestag ist die Zielrichtung dieser Resolution, der sogenannten ILO 169. Sie richtet sich an Staaten, auf deren Gebiet indigene und sich in Stämmen organisierende Bevölkerungsgrup- pen leben. Auf Deutschland trifft dies aber nicht zu, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben auf unserem Staatsgebiet nun einmal keine ethnische Gruppe im Sinne der ILO 169. Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb der Gesetzgeber bis- lang davon abgesehen hat, das Übereinkommen zu ratifi- zieren. Mit dieser Haltung steht Deutschland keineswegs al- leine. Denn von 183 Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation haben nur 20 die ILO 169 ratifiziert. Soll man jetzt etwa daraus folgern, dass 163 Staaten nicht bereit wären, sich für die Rechte Indigener einzu- setzen? Doch wohl kaum. Denn im Umkehrschluss sind es ja gerade die Staaten mit einem hohen Anteil Indige- ner, die fast allesamt zu den Unterzeichnern gehören – die Regierungen Lateinamerikas an vorderster Front. In Europa hingegen sind es mit Norwegen, Dänemark, Spa- nien und den Niederlanden gerade einmal vier Staaten, die sich aufgrund ihrer speziellen Geschichte für die Ra- tifizierung des Abkommens entschlossen haben. Bleibt die Frage: Ist die Ratifizierung der ILO 169 zum Schutz der Indigenen eine zwingende Vorausset- zung für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit oder für unsere Politik überhaupt? Die deutsche Ent- wicklungspolitik ist entlang menschenrechtlicher Stan- dards so ausgerichtet, dass die Stärkung und Unterstüt- zung Indigener nicht aus dem Blickfeld geraten kann. Konzeptionell verankert ist dieses Anliegen unter ande- rem im Grundsatzpapier „Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika und der Kari- bik“. Die Grundsätze der ILO-Konvention 169 sind hier 28200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) wesentlicher Bestandteil und schlagen sich in den einzel- nen Projekten nieder. Das Portfolio an Projekten ist the- matisch und geografisch natürlich sehr breit gefächert. So fördert das BMZ finanziell die Aktivitäten indige- ner Vereinigungen und unterstützt das Engagement der Organisation Amerikanischer Staaten, OAS, zur Förde- rung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen. Unter dem Stichwort „Gute Regierungsführung“ setzt sich das BMZ darüber hinaus dafür ein, dass sich Indigene ihrer Rechte bewusst werden und sie auch vor Ort innerhalb des bestehenden politischen und rechtlichen Systems wahrnehmen können. Sehr häufig sind Indigene auch indirekt von Projekten betroffen, etwa beim Schutz natürlicher Ressourcen und somit auch in ihrem traditionellen Lebensraum. Ich erin- nere hier an das umfangreiche deutsche Engagement für Yasuni in Ecuador. An anderer Stelle nehmen Indigene an Ausbildungs- programmen zu Management- und Governance-Fragen teil. Ihnen wird unter anderem vermittelt, wie sie sich politisch organisieren, um mit einer möglichst einheitli- chen und starken Stimme zu sprechen. Das ist essenziell in ihrem Verhältnis zu den Regierungen der Länder, in denen sie leben. Denn leider muss man feststellen, dass das bisweilen problematische Agieren einiger Staaten die Frage auf- wirft, wie ernst es ihnen mit der Einhaltung der ILO 169 wirklich ist, beispielsweise in Bolivien und Brasilien, wo große Bauvorhaben in den Lebensraum von Indigenen eingreifen. Laut ILO 169 ist hier zwingend eine Beteili- gung der Indigenen am Genehmigungsverfahren zu be- achten. Das bedeutet, der Staat ist verpflichtet, die Rechte der Indigenen zu achten und ein ordnungsgemä- ßes Verfahren durchzuführen. Darauf müssen sich nicht nur, aber ganz besonders ausländische Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht die Kapazitäten haben, das ganze Verfahren noch- mals juristisch zu überprüfen, verlassen können, wenn sie in Staaten, die die ILO 169 ratifiziert haben, investie- ren wollen. Diesen Grundsatz der Rechtssicherheit stellen Sie nach Ansicht der christlich-liberalen Koalition mit Ihrem Antrag infrage. Denn unserer Einschätzung nach be- inhaltet das Papier eine Haftungs- und Risikoverlage- rung. Diese könnte dazu führen, dass Unternehmen für Versäumnisse des Staates haftbar gemacht würden. Mit dieser Unsicherheit konfrontiert, steht zu befürchten, dass Unternehmen von einer möglichen Investition ab- geschreckt werden. Das schadet dem Unternehmen, aber in erster Linie dem Zielland. Dabei ist es doch gerade er- klärtes Ziel deutscher EZ, auch privates Unternehmer- tum zu fördern. Auch beim EU-CELAC-Gipfel vor nicht einem Monat wurde die Wichtigkeit von Direktinvesti- tionen für die Entwicklung der lateinamerikanischen Länder betont. Eine Annahme dieses Antrags würde die- sem Ziel aber wohl eher zuwiderlaufen als es zu beför- dern. Liest man den Forderungskatalog Ihres Antrages, kann man den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung setze sich nicht für die Belange der Indigenen ein. Die Berücksichtigung der Interessen indigener Bevölke- rungsgruppen ist aber seit Jahren eben nicht nur fester Bestandteil deutscher Entwicklungspolitik, sondern auch fester Bestandteil der Außen- und Wirtschaftspolitik. Ich denke zum Beispiel an die OECD-Umweltleitli- nien für öffentlich unterstützte Exportkredite, die seit 2004 in Kraft ist. Demnach kann ein Kredit nur gegeben werden, wenn die von der Weltbankgruppe aufgestellten Safeguard Policies eingehalten werden. Bei Entschei- dungen über größere Exportvorhaben spielen demnach nicht zuletzt die Rechte Indigener eine Rolle. Deutschlands außenpolitisches Engagement im Rah- men der Vereinten Nationen hatte ich bereits erwähnt. Und natürlich wird bei Regierungskonsultationen und weiteren diplomatischen Vorgängen auf die schwierige Situation der Indigenen hingewiesen. In persönlichen Gesprächen weisen auch wir Abgeordnete darauf hin, Verbesserungen durchzuführen und die verbrieften Rechte zu achten. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass der Schutz Indigener bereits fester Bestandteil der deutschen EZ ist und weiter sein wird. Gerade auch im Hinblick auf die Verhandlungen des Post-MDG-Prozesses wird sich Deutschland verstärkt dafür einsetzen, dass die Rechte der Indigenen ihren berechtigten Platz finden. Die Rati- fizierung der ILO 169 durch Deutschland ist dazu aller- dings nicht notwendig. Der Schutz indigener Bevölkerungsgruppen berührt aber noch einen viel größeren Themenkomplex, nämlich die Frage nach guter Regierungsführung vor Ort. Es be- steht kein Zweifel darin, dass auswärtige Akteure auf menschenrechtliche Probleme in anderen Ländern hin- weisen und auf ihre Verbesserung hinwirken sollen. Mit- tel- und langfristig aber sind die Lösungen bestehender Konflikte die Angelegenheit lokaler Akteure. Sie müs- sen letztendlich den Weg zu einem Ausgleich der Inte- ressen beschreiten und sich auf eine Lösung einigen, die auch Bestand hat. Sicher, auch hier können wir unter- stützend tätig werden. Die Programme zur guten Regie- rungsführung sind Ausdruck dieses Bestrebens. Jedoch sollten wir im Dialog als Partner auftreten und nicht als die ewig Besserwissenden. Ein gutes Beispiel dieser Politik ist ein Vorstoß Chiles vom Januar diesen Jahres: Präsident Piñera will Medien- berichten zufolge die Rechte der Indigenen in der Ver- fassung verankern. Ein neu einzusetzender Rat der Indi- genen soll ihnen in der nationalen Politik eine stärkere Stimme verleihen. Vorausgegangen waren nicht immer friedliche Konsultationen zwischen Regierungsvertre- tern und Gemeinden der Mapuche-Indianer. Doch scheint es, als habe man sich auf Entschädigungen und einen geordneten politischen Prozess verständigen kön- nen. Ob es bei diesen Verhandlungen eine Rolle gespielt hat, ob Deutschland die ILO 169 ratifiziert hat oder nicht, das darf ich doch sehr bezweifeln. Aus diesem und den genannten anderen Gründen lehnen wir von CDU/ CSU den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28201 (A) (C) (D)(B) Karin Roth (Esslingen) (SPD): Weltweit leben fast 400 Millionen Menschen in über 70 Ländern in rund 5 000 indigenen Völkern. Das sind 6 Prozent der Welt- bevölkerung und mehr Menschen als die Einwohnerzahl der USA. Es ist ein Skandal, dass diesen Menschen in zahlrei- chen Ländern die elementarsten gesellschaftlichen und politischen Teilhaberechte ganz oder teilweise verwehrt werden. Mehr noch: Sie werden zum Teil offen diskrimi- niert und gesellschaftlich ausgegrenzt. Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen indigener Volksgruppen sind an der Tagesordnung. Ich nenne hier zwei ganz konkrete Beispiele. Erstens Mexiko: Einem Bericht von Amnesty Inter- national zufolge haben Angehörige indigener Gemein- schaften keinen gleichberechtigten Zugang zu Justiz, Gesundheit, Bildung und anderen öffentlichen Dienst- leistungen. Das führt beispielsweise dazu, dass die unzu- reichende medizinische Versorgung zu einer überpropor- tional hohen Müttersterblichkeit unter indigenen Frauen im Süden Mexikos beiträgt. Zweitens Bangladesch: Uns wird berichtet, dass die Regierung nach wie vor nicht in der Lage oder nicht wil- lens ist, die Sicherheit der in den Chittagong Hill Tracts lebenden indigenen Bevölkerungsgruppe der Jumma zu gewährleisten. Angriffe bengalischer Siedler, die ihr Land in Besitz nehmen, und sexualisierte Gewalt an in- digenen Frauen sind keine Seltenheit. Auf demonstrie- rende Jumma, die gewaltlos Schutz einfordern, wird sei- tens der Armee geschossen. Menschen sterben. Eine strafrechtliche Verfolgung erfolgt nicht. Im August 2011 hat die Regierung Bangladeschs zu- dem entschieden, indigene Völker nicht mehr anzuer- kennen. Jetzt wird argumentiert: Da indigene Völker in Bangladesch offiziell ja nicht existieren, könne es auch keine Gräueltaten gegen indigene Völker in Bangladesch geben. Dies zeigt den internationalen Handlungsbedarf. Die völkerrechtlichen Grundlagen sind vorhanden. Mit der Konvention 169 der Internationalen Arbeits- organisation, ILO, aus dem Jahr 1989 werden die Rechte der indigenen Völker international verbindlich veran- kert. Damit werden spezifische Mindestrechte mit dem Ziel der uneingeschränkten Teilnahme am gesellschaft- lichen Leben anerkannt. Die Menschen erhalten das Recht auf traditionelles Land und Territorien sowie die Gewährleistung der örtlichen Kontrolle über natürliche Ressourcen. Entscheidend ist auch das Recht auf kulturell selbst- bestimmte Entwicklung. Dazu gehören der Anspruch auf Selbstverwaltung, Partizipation und Demokratisierung. Und schließlich: Das Recht auf die Aufrechterhaltung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme indigener Völker. Dazu gehören Arbeitnehmerrechte, die Förderung lokaler Produktionen, eine angemessene so- ziale Absicherung und der Zugang zu Ausbildung sowie zum Gesundheitswesen. Allerdings haben bis heute erst 22 Länder diese Kon- vention ratifiziert. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich hier etwas ändert. Allein Amnesty listet 18 Länder auf, in denen Ange- hörige indigener Völker diskriminiert und ausgegrenzt werden, darunter Länder wie Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, Indien, Kolumbien, Peru, Philippinen – aber auch Neuseeland, Kanada und die USA. Dies zeigt deutlich, dass die Rechte indigener Völker nicht nur ein Thema für Schwellen- und Entwicklungsländer sind. Im Gegenteil: Es ist – und es muss noch viel stärker sein als bisher – ein Thema für alle Staaten, – ganz besonders auch für die entwickelten Industriestaaten, und somit auch für uns. Denn eines ist klar: Die wirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen und die Außen-, Wirtschafts-, Handels-, Umwelt- und Entwicklungspolitik der Bun- desregierung haben konkreten Einfluss auf die Lebens- verhältnisse indigener Völker. So sind deutsche Firmen an Großbauprojekten in Ländern mit indigener Bevölkerung beteiligt, ebenso wie die staatlichen Durch- führungsorganisationen in der Entwicklungszusammen- arbeit: Die Gesellschaft für internationale Zusammenar- beit, GIZ, und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei- sen, dass gerade indigene Völker einen großen Beitrag zu Klimaschutz und Biodiversität leisten. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Initiative zur Rettung des Regen- waldes im Yasuni-Nationalpark in Ecuador, bei deren Umsetzung die dort lebenden indigenen Völker eine wichtige Rolle spielen. Dies macht klar: Der Schutz der Rechte indigener Völker ist schon längst nicht mehr ein innerstaatliches, nationales Anliegen. Die Globalisierung hat Industrie- nationen, Schwellen- und Entwicklungsländer und somit auch die dort lebenden indigenen Völker näher denn je zusammengebracht. Dennoch weigert sich die Bundesregierung weiterhin, dem Deutschen Bundestag die ILO-Konvention 169 zur Ratifizierung vorzulegen. Als Begründung werden fa- denscheinige Argumente vorgebracht. Vor allem das Ar- gument, dass angeblich deutsche Unternehmen durch eine Ratifizierung Nachteile zu befürchten hätten, ist er- schreckend und zynisch zugleich. Hier wird eine internationale Konvention bewusst nicht umgesetzt; den Angehörigen indigener Völker werden minimale Standards verweigert, und offensicht- lich wird dem Profit Vorrang vor den Menschenrechten eingeräumt. Der sogenannte Aktionsplan Menschen- rechte der Bundesregierung ist das Papier nicht wert, auf dem er steht. An dieser Stelle könnte die Bundesregierung zeigen, dass es ihr ernst ist mit den Menschenrechten. Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, die ILO-Konvention 169 endlich dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen. Damit würde die Bundesregierung endlich internatio- nal verbindlich handeln und Verantwortung überneh- 28202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) men. Dies wäre auch ein wichtiges Signal an die interna- tionale Staatengemeinschaft. Ende letzten Jahres wurde Deutschland wieder in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt. Der Außenminister interpretiert dies – wörtlich – als „Ver- trauensbeweis für Deutschland und eine Bestätigung (einer) konsequenten Menschenrechtspolitik weltweit“. Dazu gehört übrigens auch, dass die Bundesrepublik Deutschland internationale Abkommen und Vereinba- rungen auf nationaler Ebene umsetzt. Anfang dieser Woche sprach Bundespräsident Joachim Gauck im Menschenrechtsrat in Genf. Zu Beginn seiner Rede zitierte er den ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan mit den Worten: „Der wirkliche Test für die Glaubwürdigkeit des Menschenrechtsrates wird der Ge- brauch sein, den die Mitgliedstaaten davon machen.“ Und er erinnerte daran, dass Menschenrechte universell gelten und unterteilbar sind. Schließlich appellierte Joachim Gauck an die Mitglieder des Menschenrechts- rates, immer die Menschen vor Augen zu haben, die un- ter Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitions- fraktionen, enttäuschen Sie nicht erneut internationales Vertrauen, nehmen Sie endlich Ihre internationale Ver- antwortung wahr, machen Sie sich zu Anwältinnen und Anwälten der Menschenrechte und verstecken Sie sich nicht hinter den Interessen der Wirtschaftslobby! Der vorliegende Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist dafür eine ausgezeichnete Grundlage. Daher fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, und machen Sie den Weg frei für eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169! Pascal Kober (FDP): Der Antrag der Opposition hat zum Ziel, das Bewusstsein für die Bedürfnisse und Be- lange indigener Völker zu schärfen. Gegen dieses Ziel ist zunächst einmal nichts einzuwenden. Im Gegenteil, diese christlich-liberale Koalition setzt sich seit Beginn ihrer Regierungszeit nachhaltig und erfolgreich dafür ein, dass die Rechte der indigenen Völker gestärkt wer- den. Und daher begrüße ich in dieser Hinsicht ausdrück- lich auch das Anliegen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Es ist jedoch überaus fraglich, ob die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesrepublik Deutschland auch die Situation der indigenen Völker verbessern würde. Auch ist es wichtig, auf den Wortlaut dieser Konven- tion zu achten. Denn dann wird deutlich, dass sich Inhalt und Schutzzweck dieser Konvention an Staaten richten, auf deren Gebiet in der Folge von Kolonisation indigene Bevölkerungsgruppen leben. Unter Berücksichtigung dieser besonderen historisch gewachsenen Verantwor- tung zielt diese Konvention darauf ab, indigenen Bevöl- kerungsgruppen spezifische Beteiligungsrechte zuzu- sprechen, die ihre soziale und kulturelle Identität, ihre Bräuche und Überlieferungen sowie ihre Einrichtungen wahren sollen. Dementsprechend sind unter den 22 Staaten, die bis- lang die Konvention ratifiziert haben, viele südamerika- nische Staaten mit einem nicht unerheblichen Bevölke- rungsanteil indigener Herkunft. Außerdem gehören unter anderem Dänemark und Norwegen zu den Ratifi- zierern, auf deren Staatsgebiet ebenfalls ein beachtlicher Bevölkerungsanteil indigener Herkunft lebt. Deutsch- land aber gehört nicht zu den Staaten, auf deren Staats- gebiet in der Folge von Kolonisation Bevölkerungsgrup- pen indigener Herkunft leben. Dessen ungeachtet ist mit Bezug auf Deutschland je- doch wichtig, festzuhalten, dass aufgrund des Wortlauts der Konvention zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Konvention auch auf Deutschland An- wendung finden könnte, und zwar auf in Deutschland le- bende Bevölkerungsgruppen wie etwa die Sinti und Roma, die Wenden und Sorben, die Dänen und Friesen. Die ILO-Konvention 169 verfolgt einen segregieren- den Ansatz und verfolgt das Ziel, die indigenen Bevöl- kerungsgruppen unter anderem mit der Errichtung von Reservaten zu schützen. Dahingegen verfolgt die Bun- desrepublik im Innern seit Jahrzehnten einen stark inte- grativen Ansatz, sodass diese Konvention der deutschen Minderheitspolitik widerspricht. Lassen Sie mich aber nun zu der deutschen Entwick- lungspolitik kommen. Diese christlich-liberale Regie- rungskoalition sieht keinen Grund, warum eine Ratifi- zierung der ILO-Konvention 169 notwendig ist, um weiterhin wirksam und nachhaltig Entwicklungspolitik zu betreiben. Bundesminister Dirk Niebel setzt sich im Rahmen der deutschen Entwicklungspolitik für die Men- schenrechte weltweit ein und unterstützt die Lösung der Probleme der indigenen Bevölkerungsgruppen. Dabei sieht die Bundesregierung das Prinzip aktiver Partizipa- tion als unabdingbar für die Verwirklichung der Aner- kennung der Menschenrechte an. In diesem Zusammen- hang macht sich diese christlich-liberale Koalition auch für die Errichtung eines permanenten Forums für indi- gene Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen stark. Überdies berücksichtigt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in sei- nem Konzept zur Zusammenarbeit mit indigenen Völ- kern in Südamerika und den karibischen Staaten explizit die ILO-Konvention 169. So ist Südamerika gerade auf- grund des hohen Anteils der indigenen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung – geschätzt auf etwa 10 Prozent – ein regionaler Schwerpunkt der bilateralen entwick- lungspolitischen Zusammenarbeit zur Stärkung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen. Letztlich möchte ich darauf verweisen, dass der Bun- destag schon einmal zu diesem Thema diskutiert hat. Damals wurde der Antrag von der damals herrschenden rot-grünen Mehrheit im Bundestag beschlossen und an- schließend von einer rot-grünen Regierung mit Recht nicht ratifiziert. Niema Movassat (DIE LINKE): Bei der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, die wir heute diskutieren, handelt es sich um das „Übereinkom- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28203 (A) (C) (D)(B) men über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“. Sie stammt aus dem Jahr 1989 und ist somit heute fast ein Vierteljahrhundert alt. Die Konvention soll indigenen Völkern grundlegende kulturelle, wirtschaftliche und partizipative Rechte ga- rantieren. Sie ist bis heute das einzige rechtsverbindliche Doku- ment der Vereinten Nationen zum Schutz und zur Förde- rung indigener Gemeinschaften. Und dabei handelt es sich bei weitem nicht um ein Nischenthema: Laut den Vereinten Nationen zählen rund 400 Millionen Men- schen in über 70 Ländern zu den indigenen Völkern. Bis heute sind sie überdurchschnittlich oft von Menschen- rechtsverletzungen betroffen; meist gehören sie zu den politisch, wirtschaftlich und sozial am meisten benach- teiligten Bevölkerungsgruppen. Deutschland hat diese für Millionen Menschen auf der Welt so wichtige Konvention bis heute nicht unter- zeichnet, obwohl auch das Europaparlament die Mit- gliedstaaten der Europäischen Union mehrfach dazu auf- gerufen hat. Die Linke begrüßt selbstverständlich den vorliegen- den Antrag von SPD und Grünen, der die Bundesregie- rung dazu aufruft, endlich die Konvention zu unterzeich- nen. Wir werden ihm zustimmen. Jedoch müssen die Antragsteller auch die Frage be- antworten, warum sie während ihrer immerhin sieben- jährigen Regierungszeit diesbezüglich nicht selbst aktiv geworden sind. Leider liegt die Vermutung nahe, dass auch Rot-Grün damals den Interessen der deutschen Wirtschaft einen größeren Stellenwert eingeräumt hat als den Anliegen der indigenen Völker. Denn deutsche Un- ternehmen sind in zahlreichen Ländern an Verstößen ge- gen die Rechte von Indigenen aktiv beteiligt – etwa an Vertreibungen. In meiner ersten Rede zum vorliegenden Antrag habe ich die zwei Beispiele bereits näher ausge- führt: Den Bau des Belo-Monte-Staudamms in Brasilien und die Kohleabbauprojekte in Kolumbien. In beiden Fällen kam und kommt es zu massiven Verletzungen der Rechte indigener Völker, und in beiden Fällen sind deut- sche Unternehmen mitverantwortlich. Keine Bundes- regierung seit 1989 hat die rechtlichen Rahmenbedingun- gen dafür geschaffen, dass diese Firmen in Deutschland dafür zur Verantwortung gezogen werden können. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für alle im Bundestag vertretenen Parteien, die bereits an einer Regierung be- teiligt waren. Denn Deutschland hat auch extraterrito- riale Pflichten. Solange aber die Politik deutsche Unter- nehmen auch bei ihren Aktivitäten im Ausland nicht mithilfe verbindlicher Regeln in die Pflicht nimmt, wer- den diese sich auch weiterhin an Menschenrechtsverlet- zungen und Umweltzerstörung beteiligen, wenn es der Steigerung ihres Profits dient. Bis heute kommen die Rechte der indigenen Gemein- schaften vor Ort bei der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen sowie bei der Vergabe von Landrechten zu kurz. Die Bundesregierung schielt mithilfe von „Roh- stoffpartnerschaften“ jedoch weiter nur auf die Bereit- stellung ausreichender Rohstoffe für die deutsche Wirt- schaft. Eine Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 durch Deutschland wäre hingegen ein überfälliges Si- gnal auch an andere Industrieländer, dass die Rechte der Indigenen uns ein ernsthaftes Anliegen sind. Spanien etwa hat kürzlich diesen Weg eingeschlagen, obwohl es wie Deutschland auf seinem Staatsgebiet keine indige- nen Gemeinschaften im klassischen Sinne beherbergt. Die Bundesregierung sollte endlich aufhören, dies weiter als Scheinargument zu missbrauchen. In immer mehr Ländern des globalen Südens organi- sieren indigene Gemeinschaften sich und treten für ihre Rechte ein. Die Linke unterstützt ihre Kämpfe um ge- sellschaftliche Teilhabe. Das Bundesentwicklungsminis- terium unter Dirk Niebel hingegen legt zwar schöne Hochglanzbroschüren vor, die den hohen Stellenwert der Zusammenarbeit mit indigenen Gruppen etwa in Latein- amerika bekräftigen. In der Realität aber verweigert das Ministerium jede konstruktive und gleichberechtigte Zu- sammenarbeit mit der indigenen Regierung in Bolivien aus ideologischen Gründen. Und die Bundesregierung wird auch diesmal wieder die für Millionen von benachteiligten Menschen so wichtige Konvention dem Parlament nicht zur Ratifizie- rung vorlegen. Konkret bedeutet dies, dass Deutschland auch im 21. Jahrhundert den indigenen Völkern der Welt die nötige Unterstützung und Anerkennung ihrer Rechte verweigert, obwohl gerade die europäischen Staaten auf- grund ihrer kolonialen Vergangenheit eine besondere historische Verpflichtung haben. Ehrlich gesagt: Man kann dies nur als Schande bezeichnen. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unser Antrag auf Ratifizierung der ILO-Konvention 169 ist be- reits der vierte derartige Vorstoß, den ich in meiner Zeit als Abgeordneter aktiv vorantreibe. Wäre die vorgezo- gene Bundestagswahl 2005 den damaligen großen Bremsern und Bedenkenträgern – Wolfgang Clement und Otto Schily – nicht in letzter Minute zu Hilfe ge- kommen, dann hätte es noch unter Rot-Grün geklappt, diese wichtige Konvention zu ratifizieren. Unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel gab es dann leider keine Chance mehr. Obwohl die Gefahr droht, dass auch dieser Antrag an den Koalitionsfraktionen – CDU/CSU und FDP – schei- tert, markiert er doch einen Meilenstein: Denn zum ers- ten Mal macht auch die SPD-Fraktion geschlossen mit. Bei den letzten beiden Anläufen hatten nur wir Grüne und die Linke die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 unterstützt. Jetzt ist es die gesamte Opposition, die sich mit Nachdruck für die Stärkung der Rechte der indige- nen Völker einsetzt. Und sollte unser Antrag diesmal nicht durchkommen, dann holen wir ihn nach der nächs- ten Bundestagswahl gleich wieder aus der Schublade und werden ihn eben dann – bei hoffentlich anderen Mehrheitsverhältnissen – zum Erfolg führen. In unserem aktuellen Antrag haben wir gemeinsam mit der SPD erneut deutlich gemacht, wie Indigene so- wohl in ihren Grundrechten, aber auch in ihren kulturel- len Rechten in vielen Regionen der Welt bedroht sind und welchen wichtigen Beitrag die ILO-Konvention zu ihrem Schutz leisten kann. 28204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Ich erlebe in den Debatten aber immer die gleichen vorgeschobenen Argumente, die gegen eine Ratifikation ins Feld geführt werden. Die ILO-Konvention würde sich gar nicht an Deutschland richten, weil es selbst keine indigene Bevölkerung hätte. Es sei deshalb allein die Verpflichtung von Ländern mit indigener Bevölke- rung, die Konvention umzusetzen und für Rechtssicher- heit zu sorgen. Hinter dieser Argumentation stehen natürlich hand- feste Wirtschaftsinteressen, nämlich nach größtmöglicher Investitionssicherheit deutscher Firmen im Ausland. In der Debatte über unseren Antrag im Entwicklungsaus- schuss hat eine Kollegin der Union sogar unverhohlen zugegeben, dass man eine Ratifizierung der ILO-Kon- vention ablehne, weil sie die Aktivitäten von deutschen Investoren in Gebieten mit indigener Bevölkerung ein- schränken könnte. Oft sind es aber gerade die Interessen ausländischer Konzerne, zum Beispiel an den Bodenschätzen unter den Stammesgebieten indigener Gruppen, die die Lebens- welt der dort lebenden Menschen bedrohen. Auch das Interesse privater Akteure an CO2-Zertifikaten kann den Lebensraum Indigener gefährden. So ist nach Berichten aus Asien, Afrika und Lateinamerika die Einbeziehung des Waldes in den Emissionshandel durch REDD+ ein Anreiz für Firmen, Waldgebiete zu erwerben und in manchen Fällen, wie beispielsweise in Indonesien, die in ihm lebende Bevölkerung zu vertreiben. Noch ist die Partizipation der Waldbewohnerinnen und Waldbewoh- ner bei der Umsetzung von REDD+ unzureichend, und es fehlen die Governance-Strukturen, inklusive Sank- tions- und Beschwerdemechanismen, die in der Lage wären, Vertreibung Einhalt zu gebieten. Auch Landnut- zungskonkurrenzen im Agrarbereich führen zu Verstö- ßen gegen die Rechte Indigener beispielsweise aufgrund des ausgeweiteten Anbaus von Ölpalmen, Zuckerrohr, Bioethanol oder Soja für die Biodieselproduktion. Ein prominentes Beispiel dafür, wie Großprojekte, die unter anderem durch ausländisches Kapital finanziert werden, indigene Lebensräume zerstören und wie diese über Jahre und bis an den Rand ihrer Möglichkeiten dagegen kämpfen, ist das Ringen um das Belo-Monte- Projekt am Xingu-Fluss im brasilianischen Amazonas- Becken. Hier soll der drittgrößte Staudamm der Erde ge- baut werden. Die in Brasilien gegen das Staudammpro- jekt kämpfenden Kayapó-, Assurini- und Juruna-Indige- nen warnen seit Jahren vor der Zerstörung von Schutzgebieten und Regenwaldflächen und davor, dass die Lebensweise und -grundlage indigener Völker be- droht sind. Zu befürchten ist, dass die Bevölkerung nicht profitiert, sondern die Schäden den Nutzen bei weitem übersteigen. Beim Bau sind deutsche und europäische Firmen beteiligt, wie beispielsweise Voith Hydro, ein Joint Venture von Voith und Siemens, der französische Alstom-Konzern, Österreichs Andritz, die Daimler AG und die Münchener Rückversicherung. Zwar haben viele Länder mit indigener Bevölkerung, vor allem in Zentral- und Südamerika, die ILO-Konven- tion bereits ratifiziert. Zwischen der Ratifizierung einer Konvention und ihrer tatsächlichen Umsetzung klafft aber gerade in ärmeren Ländern eine Lücke, die sich ausländische Unternehmen nicht selten zunutze machen, um ihre wirtschaftlichen Interessen gegen Indigenen- rechte durchzusetzen. Deshalb ist es so wichtig, dass auch andere Länder die ILO-Konvention 169 ratifizieren. Hätte Deutschland sie bereits ratifiziert, wären auch Geschäfte wie das der Westdeutschen Landesbank, die Finanzierung einer Öl- Pipeline in Ecuador mit gravierenden Auswirkungen auf die Lebensbedingungen indigener Gruppen, sicher er- schwert worden. In der Diskussion im Entwicklungsausschuss kam vonseiten der Koalition auch das Argument, dass man über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ja be- reits viel für den Schutz indigener Völker täte und eine Ratifizierung der Konvention schon aus diesem Grund überflüssig sei. Ich finde, wir Entwicklungspolitikerin- nen und Entwicklungspolitiker sollten die Wirkung un- seres Politikfeldes nicht überschätzen. Solche punktuel- len Willensbekundungen zum Schutz indigener Gruppen im Menschenrechtskonzept des Entwicklungsministeri- ums sind zwar gut und wichtig – internationale Ver- pflichtungen, die dann für die gesamte deutsche Außen- politik handlungsleitend wären, also auch für die Außenwirtschaftsförderung und die deutsche Handels- politik, sind besser. Die Niederlande und Spanien, Länder in unserer un- mittelbaren Nachbarschaft, in denen es auch keine indi- genen Gruppen gibt, haben es uns vorgemacht und die ILO-Konvention längst ratifiziert. Seit Januar 2013 ist Deutschland für die kommenden drei Jahre Mitglied des UN-Menschenrechtsrates und damit zur Einhaltung und Umsetzung höchster Men- schenrechtsstandards verpflichtet. Es stünde uns in die- ser wichtigen Funktion gut zu Gesicht, wenn wir diese wichtige Menschenrechtskonvention durch eine Ratifi- zierung im deutschen Bundestag unterstützen würden. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsver- fahren (PlVereinhG) (Zusatztagesordnungs- punkt 8) Helmut Brandt (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir das Gesetz, über das wir augenblicklich sprechen, heute – jedenfalls auf Bundestagsseite – zum Abschluss bringen. Deutschland ist als Industriestandort und Export- nation auf eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur angewiesen. Die dafür notwendigen Großvorhaben kön- nen nur gelingen, wenn sie auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen und von einem Planungsrecht begleitet werden, das eine möglichst zügige Umsetzung der Vorhaben ermöglicht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28205 (A) (C) (D)(B) Spätestens die Ereignisse rund um Stuttgart 21 haben die Frage aufgeworfen, ob das geltende deutsche Planungsrecht noch zeitgemäß ist und ob es die Anforde- rungen erfüllt, die an ein Verfahren zur Planung von Großvorhaben berechtigterweise gestellt werden. Trotz langwieriger Planungsverfahren, die den gesetzlichen Vorgaben entsprochen haben, und trotz zahlreicher Behörden und Institutionen, die sich mit dem Vorhaben beschäftigt haben, bildete sich eine Protestbewegung, die von breiten – und keineswegs nur unmittelbar betrof- fenen – Teilen der Bevölkerung getragen wurde. Über eines sind wir uns sicherlich alle einig: Insbe- sondere die Art, wie und wann die Öffentlichkeit an dem Verfahren beteiligt wird, ist nach der derzeit geltenden Rechtslage nicht ausreichend. Diese sieht zwar eine Öffentlichkeitsbeteiligung als wichtiges Verfahrensins- trument bereits bei vielen Vorhaben vor. Allerdings wer- den die Bürgerinnen und Bürger oft erst im förmlichen Verwaltungsverfahren beteiligt, also erst dann, wenn der Vorhabenträger den bereits fertigen Plan bei der Behörde eingereicht hat, die Planung des Vorhabens folglich schon in wesentlichen Teilen abgeschlossen ist. Darüber hinaus sind die bisherigen Beteiligungsformen vor allem darauf ausgerichtet, die unmittelbar Betroffenen vor vermeidbaren Rechtsbeeinträchtigungen zu bewahren. Aspekte außerhalb dieser unmittelbaren Rechtsbetrof- fenheit spielen dagegen kaum eine Rolle. Vor allem bei Großvorhaben, die sich nicht nur auf ihre unmittelbare Umgebung auswirken und die oft Be- deutung über ihren Standort hinaus haben, werden die bestehenden Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren ver- ständlicherweise als nicht mehr ausreichend empfunden. Hier ist ein zunehmendes Interesse der Bürgerinnen und Bürger an frühzeitiger Beteiligung und Mitsprache fest- zustellen. Diesem Bedürfnis tragen wir mit dem vorlie- genden Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren Rechnung. Die neue „frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ wird künftig bereits vor dem eigentlichen Verwaltungsverfah- ren stattfinden und einem möglichst großen Personen- kreis offenstehen. Das jeweilige Vorhaben wird durch diese neue Form der Beteiligung frühzeitig öffentlich bekannt gemacht, um einen Dialog zu ermöglichen. Der Vorhabenträger kann so bereits in einem frühen Planungsstadium auf mögliche Bedenken und Anregun- gen aufmerksam gemacht werden. Er wird in die Lage versetzt, seine Planung bei Bedarf und nach Möglichkeit rechtzeitig zu modifizieren, um Konflikte zu vermeiden oder zu beseitigen. Durch die vorgesehene Mitteilung des Ergebnisses der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung an die zuständige Behörde und an die Bürger können wich- tige Erkenntnisse in das anschließende formelle Verfah- ren einfließen und dort Berücksichtigung finden. Das nachfolgende Genehmigungs- oder Planfeststellungsver- fahren soll dadurch entlastet und die gerichtliche Anfechtung von Behördenentscheidungen reduziert wer- den. Selbstverständlich wird eine so frühe Öffentlichkeits- beteiligung nicht alle Konflikte lösen können. Die Chance, es bei einem Großvorhaben allen Beteiligten und Betroffenen recht zu machen, tendiert gegen null. Jemand, der grundsätzlich gegen ein Projekt eingestellt ist, wird aller Wahrscheinlichkeit auch nach dem Verfah- ren nicht restlos von dem Projekt überzeugt sein. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit möglichen Einwän- den bietet aber in jedem Fall bessere Chancen, dass diese Einwände noch Berücksichtigung finden und aus- geräumt werden können als zu einem späteren Zeit- punkt, wenn die Planungen bereits abgeschlossen sind. Deshalb vermag mich auch die Besorgnis, das Vorver- fahren könne zu einer Verfahrensverlängerung von mehreren Monaten führen, nicht zu überzeugen. Im Ge- genteil: Ich bin überzeugt davon, dass die Unternehmen durch die frühe Auseinandersetzung mit Einwänden Zeit sparen, Rechtsmittelverfahren mit entsprechend langer Zeitverzögerung verhindert werden können und damit die Gesamtverfahrensdauer abgekürzt wird. Mir ist bewusst – dies ist auch in der Anhörung am 18. Februar dieses Jahres noch einmal deutlich gewor- den –, dass vielen meiner Kolleginnen und Kollegen in der Opposition die Freiwilligkeit einer frühen Öffent- lichkeitsbeteiligung durch Behörden und private Unter- nehmen nicht weit genug geht. Nach der vorgesehenen Regelung muss die zuständige Behörde beim Vorhaben- träger auf eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung hinwir- ken. Eine Verpflichtung des Vorhabenträgers zur Durch- führung einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung wollen wir jedoch nicht einführen. Deshalb lehnen wir auch den Änderungsantrag der SPD ab. Die Kritik verkennt, dass eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung im wohl- verstandenen Interesse des Vorhabenträgers selbst liegt. Und ich bin überzeugt, dass gerade Träger von Großvor- haben eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung als Chance begreifen und die Öffentlichkeit in ihrem eigenen Inte- resse bereits in einem frühen Stadium in ihre Planungen mit einbinden werden, und zwar gerade, um die Akzep- tanz ihres Vorhabens zu sichern. Zum anderen geht es in diesem Gesetzentwurf auch darum, einen Kompromiss zwischen dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit an einer möglichst frühen Beteiligung einerseits und dem Interesse des Vorhaben- trägers nach Planungs- und Rechtssicherheit andererseits herzustellen. Denn eines ist doch auch klar: Je mehr Verpflichtungen und Zwänge wir Behörden und Unter- nehmen auferlegen, desto mehr öffnen wir Tür und Tor für Verfahrensfehler und damit die Gefahr langwieriger Prozessverfahren. Bei allem Verständnis für das berech- tigte Interesse der Öffentlichkeit nach möglichst viel Transparenz: Wir müssen auch Behörden und privaten Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit geben und sie davor schützen, womöglich noch Jahre später mit Einwendungen und Klagen überhäuft zu werden. Denn dann wird es hier keine großen Infrastrukturprojekte mehr geben. Das kann nicht im Interesse des Industrie- standortes Deutschland sein. Auch den Einwand der Opposition, die Bevölkerung würde nicht aktiv informiert, lasse ich nicht gelten. Die Medien berichten über Großvorhaben nicht nur einmal, 28206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) sondern oft über Monate hinweg. Ich bin sicher, dass jeder interessierte Bürger, der hierüber von einem Vorha- ben erfährt, gegen das er Bedenken hat, sich erkundigen wird, wo und bis wann er diese Bedenken vorbringen kann. So viel Mündigkeit traue ich unseren Bürgern zu. Überdies hat die Koalition sich ja zwischenzeitlich darauf verständigt, dass als weitere Verbesserung der Öf- fentlichkeitsbeteiligung die öffentliche Bekanntmachung von Planunterlagen im Internet vorgesehen ist. Wann im- mer eine öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben ist, soll dann die Unterrichtung auch zusätzlich über das Internet einschließlich der zur Einsicht auszulegenden Pläne erfolgen und ohne Gang zum Amt erreichbar sein. In der Sachverständigenanhörung wurde gerade dieser Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP begrüßt. Da- bei muss selbstverständlich darauf geachtet werden, dass keine Betriebsgeheimnisse der Vorhabenträger offen- gelegt werden müssen. Die „Soll-Regelung“ trägt dem Umstand Rechnung, dass noch nicht alle Behörden über die erforderliche Technik verfügen und nicht alle Unter- lagen in brauchbarer Form im Internet dargestellt wer- den können. In der Anhörung kam zum Ausdruck, der vorgelegte Gesetzentwurf sei nicht sensationell. Das mag richtig sein. Allerdings weiß ich nicht, ob das unbedingt notwendig ist. Sensationelle Gesetze haben häufig das Problem, dass sie nicht praxistauglich sind. Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, Bürgerinnen und Bürgern die not- wenigen Informationen zu vermitteln, und zwar so, dass sie sich ein eigenes Urteil bilden können und mitreden können. Die Betroffenen sollen in die Lage versetzt werden, noch etwas bewegen zu können, bevor bereits alle Entscheidungen getroffen wurden. Zugleich soll der Gesetzentwurf der Rechtsvereinheitlichung und Verfah- rensbeschleunigung dienen. Diesen Zielen wird der von uns vorgelegte Gesetzentwurf gerecht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir einen Kompromiss gefunden, um rechtssicher und trotzdem beschleunigt zu einer Entscheidung aufseiten der Behör- den und Träger der Vorhaben zu kommen. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Großvorhaben mit noch größerer Akzeptanz bei unseren Bürgerinnen und Bürgern und zugleich zügig realisiert werden kön- nen. Um dieses wichtige Anliegen umzusetzen, bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Kirsten Lühmann (SPD): Kennen Sie Analogkäse? Der vorliegende Gesetzentwurf erinnert mich ein biss- chen daran: Sieht aus wie Käse, ist aber keiner. Der Titel des Gesetzentwurfs, den wir hier beraten, verspricht uns eine Verbesserung der Öffentlichkeitsbe- teiligung und eine Vereinheitlichung des Rechts bei Bau- und Infrastrukturprojekten. Schön wär’s! Wenn wir die Packung aufmachen, müssen wir aber leider feststellen, dass das ein Etikettenschwindel ist. Dabei trickst die Bundesregierung wie manche Her- steller aus der Lebensmittelindustrie: So wie in vielen Käse-Imitat-Produkten eine Minimenge Käse drin ist, damit auf der Verpackung der Begriff verwendet werden kann, ist auch in diesem Gesetzentwurf eine Miniportion der beworbenen Zutaten drin. Schauen wir uns die fraglichen Inhalte einmal an: Im Gesetzentwurf finden wir eine laue Empfehlung, die Öf- fentlichkeit frühzeitig zu beteiligen – keine Pflicht, keine Sanktionen. Ob die zuständige Behörde die Bürger und Bürgerinnen frühzeitigt beteiligt oder nicht – egal; es hat keine rechtlichen Folgen. Das Urteil von Sachverständi- gen in der Expertenanhörung, dass diese Regel „zahn- los“ und „enttäuschend“ ist, wundert mich daher über- haupt nicht. Verwunderlich finde ich nur, wie wenig die Bundesre- gierung aus den Erfahrungen mit Großkonflikten wie bei Stuttgart 21 gelernt hat. Wir brauchen eine frühe Beteiligung der Öffentlich- keit, um Konflikte frühzeitig lösen zu können und so den Bau zum Beispiel von wichtigen Infrastrukturprojekten zu beschleunigen. Wir brauchen größere Transparenz schon vor Beginn des eigentlichen Planverfahrens. Hier setzt die wahre Bürgerbeteiligung an, weil näm- lich die Menschen an der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Die Bürger und Bürgerinnen sollten auch da- rüber informiert werden, wo sie Einfluss auf die Planung nehmen können. Das geht nicht, wenn der eigentliche Plan schon steht und eine Erörterung nur noch stattfin- det, um Widersprüche abzuschmettern. Deshalb, das haben wir in unserem Änderungsantrag gefordert, sollte die frühe Beteiligung der Öffentlichkeit zur Pflicht werden – es nutzt allen Beteiligten. Und es steht nicht zu befürchten, dass dann lauter sinnvolle und notwendige Projekte unnötig verzögert werden. In Hannover zum Beispiel hat man ganz andere Erfahrungen gemacht. Dort gibt es ein Bürgerpanel, das der neue niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil noch als Oberbürgermeister eingeführt hat. Es be- steht aus mehreren Tausend repräsentativ ausgewählten Bürgern und Bürgerinnen, die von der Stadtverwaltung online befragt werden. Dabei können die Bürger und Bürgerinnen ihre Wünsche äußern, die in konkrete Pla- nungen einfließen. Die erste Umfrage zum „Masterplan Mobilität 2025“ zeigte: Das Urteil der Teilnehmenden war nicht nur von persönlichen Interessen geleitet, also nach dem Sankt- Florians-Prinzip, sondern hatte durchaus das Allgemein- wohl im Auge. So urteilten Fahrradfahrer positiv über Verbesserungen für Autofahrer usw. Wir sehen in der Öffentlichkeitsbeteiligung ein be- deutsames Instrument, für Infrastrukturprojekte einen größtmöglichen Konsens herzustellen. In diesem Zu- sammenhang ein Wort zum Antrag der Kollegen und Kolleginnen von den Grünen: Der Antrag enthält eine ganze Reihe von Forderungen, denen wir voll und ganz zustimmen und die sich mit unseren Forderungen de- cken. Auch wir wollen direktdemokratische Elemente auf Bundesebene zulassen. Diese können natürlich auch für Bauvorhaben gelten. Aber so etwas sollte nicht im Planfeststellungsverfahren verankert werden. Aus die- sem Grund werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28207 (A) (C) (D)(B) Einig sind wir uns aber darin, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit gestärkt werden muss und nicht ge- schwächt. Die Bundesregierung sieht das offenbar an- ders. Denn der vorliegende Gesetzentwurf bewirkt – wenn Sie, meine Herren und Damen von CDU/CSU und FDP, ihn heute so absegnen –, dass in Zukunft mehr Verfahren durchgeführt werden können, bei denen weniger Öffent- lichkeitsbeteiligung stattfindet. Anstatt die Beteiligung zu verbessern, wie der Titel des Gesetzentwurfs ver- spricht, verschlechtern Sie also die Einspruchsmöglich- keiten für die Bürger und Bürgerinnen. Hier wird nämlich der Anwendungsbereich des Plan- genehmigungsverfahrens ausgedehnt. Das ist ein verein- fachtes Verfahren, das nicht mehr, sondern weniger Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht als das reguläre Plan- feststellungsverfahren. Das ist ein klarer Widerspruch zu dem Anspruch, den Sie formulieren, liebe Kollegen und Kolleginnen von Union und FDP. Wir halten das nicht für sinnvoll und ha- ben deshalb gefordert, diese Ausweitung zu streichen. Leider haben Sie das durch die Bank abgelehnt. Auch bei dem Versuch, das Genehmigungsverfahren zu vereinheitlichen, also die vielen widersprüchlichen Vorgaben in den unterschiedlichen Fachgesetzen auf eine Linie zu bringen, hält der Gesetzentwurf nicht, was sein Titel verspricht. So gilt zum Beispiel laut Verwaltungsverfahrensge- setz ein Planfeststellungsbeschluss fünf Jahre lang. Auf der Seite der Fachgesetze dagegen – da haben wir unter anderem das Bundesfernstraßengesetz, das Eisenbahn- gesetz, das Luftverkehrsgesetz und vieles mehr – gilt so ein Beschluss zehn Jahre. Und dann kann er auch noch einmal um fünf Jahre verlängert werden. 15 Jahre zwi- schen Beschluss und Realisierung – in einem so langen Zeitraum können sich die Verhältnisse und der Kreis der Betroffenen gravierend geändert haben. Da sind Aus- einandersetzungen vorprogrammiert. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll gewesen, die Gel- tungsdauer einheitlich festzulegen. Die Verlängerungs- möglichkeit von 10 auf 15 Jahre lehnen wir ab. Dass der vorliegende Gesetzentwurf unzureichend ist, liebe Kollegen und Kolleginnen von Union und FDP, ha- ben Sie selbst eingesehen. Mit Ihrem Änderungsantrag gehen Sie einen ersten zaghaften Schritt in die richtige Richtung. Mit unseren Verbesserungsvorschlägen hätte aus dem Analogkäse ein gut gereifter Bergkäse werden können. Die Beratungen in den Fachausschüssen legen den Schluss nahe, dass Sie dies nicht wollen. Daher bleibt es bei einer Mogelpackung, und die wer- den wir ablehnen. Denn dieser Gesetzentwurf ist immer noch geprägt von einem paternalistischen Staatsver- ständnis, nach dem die Bürger und Bürgerinnen ein Pro- jekt vor die Nase gesetzt bekommen und bei eventuellen Einwänden eines Besseren belehrt werden müssen. Das ist nicht geeignet, die anstehenden Herausforderungen in der Infrastruktur sowohl bei der Energiewende als auch beim integrierten Verkehrskonzept anzugehen. Manuel Höferlin (FDP): Ich freue mich sehr, dass wir heute das Gesetz zur Verbesserung der Öffentlich- keitsbeteiligung in Planfeststellungsverfahren verab- schieden können. Das Gesetz bringt eine Reihe von Verbesserungen für Bürgerinnen und Bürger, die wir bereits in der Anhörung im Innenausschuss vergangene Woche diskutiert haben. Lassen Sie mich die wichtigsten Änderungen noch ein- mal kurz zusammenfassen. Wir schaffen mit dem Planungsverfahrenvereinheitli- chungsgesetz die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung – ein zeitgemäßes und geeignetes Instrument. Warum? Ganz einfach: Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ist so kon- zipiert, dass sie möglichst schon vor der Antragstellung und dem Start eines Planfeststellungsverfahrens durch- geführt werden soll. So können viele Aspekte in die De- batte eingebracht werden, die sonst erst deutlich später aufgetaucht wären und die nun schon erörtert werden können, bevor mit einem Planfeststellungsverfahren vollendete Tatsachen geschaffen werden. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ist außerdem so konzipiert, dass sie sehr flexibel eingesetzt werden kann. Je nachdem, welches Projekt ein Vorhabenträger durch- führt, ist er in der Lage, die frühe Öffentlichkeitsbeteili- gung mit verschiedenen Maßnahmen durchzuführen und zu begleiten. Er ist also frei in Art, Form und Umfang der Öffentlichkeitsbeteiligung. Es gibt eben keine Fest- legungen im Gesetz. Und dass genau diese Vorgehens- weise richtig ist, wurde uns auch in der Anhörung vergangene Woche bestätigt. Kommunikation auf Au- genhöhe wird dadurch wesentlich besser dargestellt als bei starren, bürokratischen Maßnahmen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, den zusätz- lichen bürokratischen Aufwand niedrig zu halten. Ein komplexes und übertrieben formalisiertes Verfahren, wie es sich zum Beispiel die Grünen in ihrem Entschlie- ßungsantrag wünschen, halte ich nicht für hilfreich. Es erhöht den Verwaltungsaufwand. Es sorgt für enorme zusätzliche Risiken hinsichtlich möglicher Verfahrens- fehler und macht damit das gesamte Planungsverfahren und die vorgelagerte frühe Öffentlichkeitsbeteiligung unsicher. Genau das haben wir mit unserem Antrag ver- mieden. Das Planungsvereinheitlichungsgesetz ist eine Vereinfachung – für Vorhabenträger und für Bürgerinnen und Bürger. Sie von den Grünen scheinen überhaupt nicht zu wissen, was Sie wollen. Man soll bereits im Vorverfahren prüfen, ob eine Mediation – gemeinhin ein unbürokratisches Verfahren – eingeführt werden soll. Doch als wäre es damit nicht genug, verlangen Sie au- ßerdem, dass das Mediationsverfahren dann auch noch formalisiert wird. Ich frage mich dann, liebe Grüne: Wa- rum nicht gleich vor Gericht gehen? So läuft das nicht. Darum haben wir im Entwurf des Planungsverfahrenver- einheitlichungsgesetzes festgelegt, dass die Bürokratie weder dem zügigen Abschluss eines Planungsverfahrens noch einer effektiven Bürgerbeteiligung im Wege steht. 28208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Wir verbessern die Transparenz von Planfeststel- lungsverfahren. Die christlich-liberale Koalition hat mit ihrem Änderungsantrag klargestellt, dass Transparenz sowohl im Rahmen der frühen Öffentlichkeitsbeteili- gung als auch im Planungsverfahren selbst klar verbes- sert wird. Die Ergebnisse der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll der Vorhabenträger unserem Wunsch gemäß nicht nur gegenüber der Behörde, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit bekannt machen. Aber das ist noch nicht alles, was wir erreicht haben: Zukünftig sollen die Unterlagen, die in Planfeststel- lungsverfahren ohnehin schon vor Ort ausgelegt werden, auch im Internet veröffentlicht werden. Für mich als Netzpolitiker bedeutet das ein Mehr an Transparenz und ein Mehr an Open Government, und ich freue mich, dass sogar Teile der Opposition uns an dieser Stelle im Innen- ausschuss beigepflichtet haben. Aber auch hier haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Ihre Hausaufgaben wieder schlecht gemacht. Sie fordern die umfassende Veröffentlichung aller „planungsrelevanten Daten und Dokumente“. Und natürlich vermeiden Sie es dabei, auf die Frage einzugehen, was eigentlich relevant ist. Unser Antrag stellt klar, dass alle Informationen, die zu veröffentlichen sind, nicht nur in den Verwaltungsstu- ben ausgelegt werden, sondern auch im Internet veröf- fentlicht werden. Persönliche Daten sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden durch diese Regelung ge- schützt, so wie dies durch die bestehende Rechtslage in § 30 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bereits festge- legt ist, und das finde ich auch in Ordnung so. Die Be- hörde muss ihre Arbeit im Kontext dieser Regelungen sehen: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind auch zukünftig zu schützen. Insgesamt haben Bürgerinnen und Bürger einen leichteren Zugang zu einer Vielzahl von Informationen und so die Möglichkeit, sich umfas- send über die Vorhaben und deren Auswirkungen für ihre Belange zu informieren. Denn darum geht es, wenn man die Transparenz verbessern möchte. Wie Sie sehen können, haben wir mit dem Entwurf des Planungsverfahrenvereinheitlichungsgesetzes die schwierige Aufgabe gemeistert, mehr Transparenz und mehr Beteiligung mit weniger Bürokratie zu verbinden. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Thomas Lutze (DIE LINKE): Stuttgart 21 hat Deutschland verändert. Die von Großprojekten betroffe- nen Bürgerinnen und Bürger nehmen es nicht mehr hin, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Das stellt Politik vor große Herausforderungen. Wir brauchen neue Formen der Beteiligung, die sich nicht darin erschöpfen, alle vier oder fünf Jahre ein Parlament zu wählen. Die Betroffenen fordern zu Recht, dass ihre Bedenken ernst genommen werden, man ihre Kenntnisse und Erfah- rungen vor Ort wahrnimmt und nutzt, sie wollen auf Au- genhöhe eingebunden werden. Darin sollten wir eine Chance für die Demokratie sehen: Denn wo die Bürger- beteiligung funktioniert und Transparenz herrscht, steigt die Akzeptanz für geplante Projekte. Darin liegt weiter die Chance, dass zukünftig nicht mehr an den Bedürfnis- sen der Bürgerinnen und Bürger vorbeigeplant wird, Un- sinnige Großprojekte wie Stuttgart 21 würden uns er- spart bleiben. Eine Reform des Planungsrechts, die diesen Ansprü- chen gerecht wird, muss die Bürgerinnen und Bürger von der Bedarfsprüfung bis zur Umsetzung einbinden Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung leistet dies nicht. Er macht die Einbindung der Öffent- lichkeit weder obligatorisch, noch schafft er direktde- mokratische Entscheidungsmöglichkeiten innerhalb des Verfahrens. Ebenso Fehlanzeige bei der Transparenz. Im 21. Jahrhundert sollten die wichtigen Dokumente stehen und nicht unter Hinweis auf Betriebsgeheimnisse einer beteiligten Firma willkürlich verweigert werden können. Wieder einmal hat die Bundesregierung die Zeichen der Zeit verkannt und eine Chance vergeben. Die Linke lehnt den Gesetzentwurf deshalb ab. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetz war eine besonders schwere Geburt. Wenn man einerseits überlegt, wie lange dieses Gesetz schon diskutiert wird, wie oft die Zeitpläne für dieses Gesetz über den Haufen geworfen wurden und welche Abstimmungen erforderlich waren, dann ist der Auf- wand enorm. Und wenn man andererseits betrachtet, welche Inhalte in dem Gesetz Platz gefunden haben, dann ist die Enttäuschung groß. Also in der Nutzen- Kosten-Betrachtung müsste dieses Gesetz der Bundes- regierung glatt durchfallen. Was steht in diesem Gesetz? Der Ansatz, verwal- tungsrechtliche Festsetzungen aus den Fachgesetzen auszulagern und im Verwaltungsverfahrensgesetz zentral zu regeln, ist vernünftig. Die Bundesregierung setzt allerdings darauf, dass auch die Verwaltungsverfahrens- gesetze der Bundesländer entsprechend geändert werden sollen. Stellt sich die Frage, ob die Länder überhaupt mitziehen. Das Gesetz wurde unter anderem mit der Begründung auf den Weg gebracht, Verfahren zu verkürzen. Ich sehe nur einen einzigen Punkt, der tatsächlich dieses Ziel ver- folgt. Es handelt sich um die Regelung, dass Erörte- rungstermine innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein sollen. Diese Frist ist jedoch weltfremd; bei größe- ren Verfahren und einer großen Zahl von Einwendern wird diese Frist regelmäßig überschritten werden müs- sen. Ganz abgesehen davon, sieht der Gesetzentwurf keine Strafen oder andere Konsequenzen für eine Über- schreitung der Frist vor. Das heißt, diese Regelung ist nicht nur sinn-, sondern auch zahnlos. Das Gesetz wurde – so lautet der Name des Gesetzes – zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung ge- schaffen. Ich bezweifle jedoch, dass sich die Öffentlich- keitsbeteiligung durch dieses Gesetz verbessert. Einer- seits bleibt die lange diskutierte Fakultativstellung des Erörterungstermins weiter erhalten. Das heißt, dass die Behörde von dem Termin absehen kann. Davon hat sie im Verkehrssektor bereits häufig Gebrauch gemacht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28209 (A) (C) (D)(B) Neu ist die Vorerörterung vor dem eigentlichen Ver- fahren. Die ist jedoch ebenfalls fakultativ. Wenn eine Anhörungs- oder Planfeststellungsbehörde nicht auf Au- genhöhe mit Betroffenen reden will, braucht sie das nicht. Außerdem sind die Ergebnisse der Vorerörterung unverbindlich und haben dadurch allenfalls Informati- onscharakter. Die Bundesregierung vergibt eine große Chance, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Planfeststellungsverfah- ren vom Kopf auf die Füße zu stellen. Beflügelt von den öffentlichen und Fachdiskussionen wäre ein großer Wurf möglich gewesen. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat ein umfassendes Konzept für eine zukunftsfähige Öffentlichkeitsbeteiligung er- stellt und wesentliche Inhalte in einem Entschließungs- antrag zusammengefasst. Das Konzept beinhaltet eine frühzeitige, verbindliche Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungsverfahren. Dabei denken wir insbesondere an eine Beteiligung am Scopingtermin bzw. der Antrags- konferenz in Raumordnungsverfahren. Wir fordern transparente verfahrensführende Behörden, sodass Inte- ressierte Zugriff auf sämtliche Planungsunterlagen ha- ben. Wir wollen das Raumordnungsverfahren stärken. Es soll nicht mehr nur empfehlenden Charakter haben, son- dern verbindlich sein. Wir wollen alternative Konflikt- lösungsverfahren bei größeren Interessengegensätzen in die Planungsverfahren einbeziehen. Und nicht zuletzt fordern wir verbesserte rechtliche Überprüfungsmög- lichkeiten, da dadurch ein Mindestmaß an Planungs- qualität gesichert werden kann. Abschaffen wollen wir die mögliche Gültigkeit von Planfeststellungsbeschlüs- sen von bis zu 15 Jahren. Diese derzeitige Regelung ermöglicht, dass weiter Planungen auf Halde produziert werden, die nicht mehr den aktuellen Verkehrsbedin- gungen und räumlichen Situation entsprechen. Vielmehr wollen wir beim Rechtsschutz eine Revisionsinstanz für alle Verfahren sichern. Dadurch wird ein Verfahrensstau vor dem Bundesverwaltungsgericht vermieden. In dieser Legislaturperiode ist wohl nicht mehr mit einem Gesetz zu rechnen, das ernsthaft die Öffentlich- keitsbeteiligung stärkt. Auch wenn die öffentliche medi- ale Diskussion um Partizipation leicht nachgelassen hat, sehe ich einen sehr großen Bedarf an verbesserter Teil- habe an Planungsentscheidungen. Und daher setze ich auf einen Politikwechsel zum Ende dieses Jahres. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Auskunftspflicht von Bundesbehörden gegen- über der Presse (Presseauskunftsgesetz) (Zu- satztagesordnungspunkt 9) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Das Bundesverwaltungsgericht spricht ein Urteil. Die schrift- liche Urteilsbegründung liegt noch gar nicht vor. Nur eine Woche später legen die Sozialdemokraten einen Ge- setzentwurf vor. Schnell gearbeitet, werte Kollegen! Aber heißt „schnell“ auch „gut“? Worum ging es in dem Verfahren? Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage befasst, ob Bundesbehörden auf Grundlage der Landes- pressegesetze zur Erteilung von Auskünften verpflichtet werden können. Es hat in einem Verfahren wegen pres- serechtlicher Auskunft am 20. Februar 2013 entschie- den, dass die Pressegesetze der Länder auf den BND als Bundesbehörde nicht anwendbar sind, weil die Regelung der Auskunftspflicht von Bundesbehörden in die Gesetz- gebungskompetenz des Bundes fällt. Geklagt hatte ein Journalist des Verlags Axel Springer, der jedoch unterle- gen ist. Die Auskunft wurde ihm mit der Begründung verweigert, es handele sich nicht um aktuell verfügbare Informationen, sondern diese müssten erst beschafft werden. Die Medien haben in der Demokratie eine wichtige Kontrollfunktion: Sie genießen einen grundrechtlichen Status und schaffen die für unsere demokratische Gesell- schaft unverzichtbare Transparenz, die staatliches Han- deln und die diesem vorausgehenden Entscheidungspro- zesse für den Bürger nachvollziehbar macht. Damit sind sie ein wichtiger Mittler im Dialog zwischen Bürger und Staat. Nicht umsonst nennt man sie auch die ‚Vierte Ge- walt‘. Eine Demokratie lebt von der investigativen Recherche von Journalisten und einer kritischen Bericht- erstattung der Presse und des Rundfunks. Einschränkun- gen der Arbeit von Journalisten sind auch ein Angriff auf die Demokratie. Wie es um die Pressefreiheit in einem Land bestellt ist, zeigt, wie es dort um die Demokratie steht. Die Vielfalt und Qualität der freien Presse und Me- dien in Deutschland ist international vorbildlich. Dies haben auch die jüngsten Debatten zum sogenannten Zei- tungsterben wieder gezeigt. Eine solche Qualität wäre aber nicht möglich ohne die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Würden diese die freie Presse be- hindern, könnte diese gar nicht in einem so hervorragen- den Zustand sein, wie ihr auch von den Sozialdemokra- ten, die über die Medienholding DDVG selbst an einer Reihe von Zeitungen beteiligt sind, immer wieder attes- tiert wird. Schlecht kann es also um die rechtlichen Rah- menbedingungen für die Pressefreiheit nicht bestellt sein, es ist vielmehr gut um sie bestellt. In der weltwei- ten Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Re- porter ohne Grenzen“ liegt Deutschland 2013 auf Platz 17 (von 179 Ländern). Sieht das Bundesverwaltungsgericht nunmehr die Ge- fahr einer Beschränkung oder gar Aushöhlung unserer Pressefreiheit? Nein! Das Gericht hat vielmehr festge- stellt, dass angesichts des Fehlens einer bundesgesetzli- chen Regelung Auskunftsansprüche unmittelbar auf das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt werden können. Das Grundgesetz erkenne somit einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Erteilung einer bestimmten Information zu, soweit ihm nicht be- rechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffent- licher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen, wie sie beispielhaft in den Landespres- 28210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) segesetzen aufgeführt sind, so das Gericht. Das Recht der Presse auf Auskunft hat das BVerwG direkt aus dem Grundgesetz abgeleitet. Für mich ist das eine Stärkung der Pressefreiheit, keine Schwächung. Hinzu kommen noch die Rechte von Journalisten aus dem Informations- freiheitsgesetz. Damit hat das BVerwG den Rahmen abgesteckt, den Bundesbehörden bei Auskunftsbegehren von Journalis- ten zu beachten haben. Dies wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion als „Minimalstandard“ angesehen. Ich glaube nicht, dass man damit den weitge- henden und vielfältigen Rechten, die das Grundrecht der Pressefreiheit Medienschaffenden einräumt, gerecht wird. In dem jetzigen Verfahren vor dem BVerwG ging es nicht um eine Beschränkung der Pressefreiheit, sondern um die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Das sieht die SPD-Fraktion offenbar an- ders. Wenn in dem Gesetzentwurf zu lesen ist, dass „der gegenwärtige Rechtszustand keinesfalls weiter hinge- nommen werden kann“, klingt dies, als sei die Presse bisher vollkommen rechtlos. Die Presse ist natürlich weder vor noch nach dem Ur- teil des BVerwG rechtlos. Doch das Gericht hat deutlich gemacht, dass sich der Auskunftsanspruch nur auf Infor- mationen bezieht, die bei der auskunftspflichtigen Be- hörde aktuell vorhanden sind. Das Auskunftsrecht von Journalisten kann nicht zu einer Informationsbeschaf- fungspflicht der Behörde führen. Auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bun- desverwaltungsgerichts überlässt das Grundgesetz den Gesetzgebern von Bund und Ländern, in Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen zu re- geln, ob und unter welchen Voraussetzungen derartige Ansprüche bestehen. Weder die Pressefreiheit noch die Informationsfreiheit geben einen Anspruch auf Eröff- nung einer Informationsquelle. Diese Aspekte etwa lässt der Gesetzentwurf der SPD völlig außer Acht. Auch bisher werden Presseanfragen von Bundesbe- hörden beantwortet, obwohl die Pressegesetze der Län- der nur die jeweiligen Landesbehörden verpflichten. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Praxis von Bundes- behörden zu Presseanfragen sich nach der Entscheidung des BVerwG ändert. Das hat Bundesinnenminister Hans- Peter Friedrich nach dem Gerichtsurteil noch einmal be- stätigt. Es besteht also keinerlei Notwendigkeit, mit ei- nem übereilten Schnellschuss wie dem vorliegenden Ge- setzentwurf der SPD-Fraktion, allzu offenkundig allein Wahlkampfzwecken geschuldet, auf die Entscheidung des BVerwG zu reagieren. Zunächst einmal muss die schriftliche Entscheidung des BVerwG abgewartet und sorgfältig auswertet wer- den. Das werden wir tun. Anschließend werden wir da- rüber entscheiden, ob und in welcher Art und Weise sich daraus Handlungsbedarf für den Gesetzgeber ergibt. Es fragt sich, ob die Kollegen der SPD in diesem sen- siblen Bereich ganz korrekt vorgehen. Sie haben ihren Gesetzentwurf federführend beim Beauftragten der Bun- desregierung für Kultur und Medien eingereicht, wohl wissend, dass für die allgemeinen Fragen des Verwal- tungsverfahrens von Bundesbehörden und den Zugang zu Informationen der Behörden, namentlich auch des In- formationsfreiheitsgesetzes, das BMI zuständig ist. Das BMI ist über das Informationsfreiheitsgesetz hinaus auch federführend für die Gemeinsame Geschäftsord- nung der Behörden, in dessen §§ 14 Abs. 3, 4 und § 25 Abs. 4 sich Regeln zu Auskünften von Bundesministe- rien gegenüber der Presse finden. Warum gehen die So- zialdemokraten daher diesen Weg? Hofft man, mit dieser Zuschreibung der Federführung auf eine ‚pressefreundli- chere‘ Behandlung des Themas, die gleichzeitig die be- rechtigten Sicherheitsinteressen unseres Staatswesens tangiert? Möchte man die unterschiedlichen Ministerien gegeneinander ausspielen? Die christlich-liberale Bundesregierung hat in dieser Wahlperiode die Arbeitsbedingungen von Journalistin- nen und Journalisten bereits einmal verbessert. 2012 hat sie das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit verab- schiedet. Damit hat sie den Informations- und Quellen- schutz gestärkt. Medienangehörige machen sich nicht mehr strafbar wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienst- geheimnisses und Geheimhaltungspflichten. Ob sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsge- richts weiterer gesetzgeberischer Handlungsbedarf er- gibt, werden wir sorgsam und in Ruhe prüfen. Wir rufen die Journalistenverbände und Gewerkschaften auf, Vor- schläge in unsere Fraktion einzureichen, wie mit dem BVerwG-Urteil umzugehen ist. Der direkte Dialog mit den Betroffenen ist uns sehr wichtig. Wir könnten uns gut vorstellen, dass der zuständige Bundesminister alle Beteiligten zu einem Expertengespräch einlädt, um über Konsequenzen aus der entstandenen Lage zu beraten. Wir halten es für ein Bürgerrecht aller, an der Sicherung der Pressefreiheit aktiv mitzuwirken. In einen Wettbe- werb, wer schneller schießt, werden wir hingegen nicht eintreten. Martin Dörmann (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Auskunftspflicht von Bun- desbehörden gegenüber der Presse. Hiermit wollen wir sicherstellen, dass Presseorgane ihr grundgesetzlich ge- schütztes Auskunftsrecht nicht nur gegenüber Landesbe- hörden, sondern auch gegenüber Bundesbehörden wahr- nehmen können. Der Gesetzentwurf ist aufgrund eines kürzlich ergan- genen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts notwendig geworden. Dieses hatte festgestellt, dass die Landespres- segesetze Bundesbehörden kompetenzrechtlich nicht verpflichten können, obwohl es jahrelang gängige Praxis war, dass sich auch Bundesbehörden an ihrem jeweiligen Sitz entsprechend den einschlägigen Landespressegeset- zen behandeln lassen. Zugleich hat das Gericht aber be- tont, dass der Presse auf Grundlage von Art. 5 des Grundgesetzes Auskunftsrechte garantiert sind. Aller- dings ist es so, dass es ohne eine konkrete bundesgesetz- liche Regelung unklar bleibt, wie weit dieser Anspruch geht. Die Presse wäre somit lediglich auf einen minima- len Grundstandard verwiesen und müsste ihre Rechte in Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28211 (A) (C) (D)(B) langwierigen Gerichtsverfahren erstreiten. Diese Unsi- cherheit wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf schnell beseitigen. Leider hat sich die Bundesregierung sowohl im Ver- fahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als auch da- nach nicht als Verfechterin der Pressefreiheit erwiesen. Zwar behaupten der Bundesinnenminister und die Bun- desregierung zwischenzeitlich, sie hätten nie die Absicht gehabt, das Auskunftsrecht von Bundesbehörden ge- genüber Journalistinnen und Journalisten zu beschrän- ken und die Pressefreiheit einzuschränken, obwohl es gerade die Stellungnahme des Vertreters des Bundesin- teresses beim Bundesverwaltungsgericht, VBI, gewesen ist, aus der – von der Bundesregierung unwidersprochen – eine sehr restriktive Haltung deutlich wurde und die die Position vertreten hat, dass Bundesbehörden weder auf Grundlage der Landespressegesetze noch aus Art. 5 Abs. 1 GG zur Erteilung von Auskünften verpflichtet werden können. Noch in der Woche vor der Entscheidung des Bundes- verwaltungsgerichtes hat die Bundesregierung auf die parlamentarische Frage meines Kollegen Lars Klingbeil geantwortet, dass – ich zitiere – „rechtliche Ansprüche auf Auskunft von Bundesbehörden für Journalisten die- sen nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes“ zustehen und dass auf der Grundlage von Art. 5 des Grundgesetzes „in gewissem Umfang auch Auskunfts- pflichten der Behörden gegenüber der Presse anerkannt“ seien, über „deren Umfang und Modalitäten die staat- lichen Stellen eigenverantwortlich bestimmen“ könnten. Es darf aber nicht vom Gutdünken der Behörden abhän- gen, ob und welche Informationen der Presse gegeben werden. Und das Jedermannsrecht des Informationsfrei- heitsgesetzes wird der besonderen Stellung der Presse und ihrer öffentlichen Aufgabe nicht ansatzweise ge- recht. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht am vergange- nen Mittwoch entschieden, dass die Pressegesetze der Länder auf Bundesbehörden nicht anwendbar seien. Zu- gleich hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass „mangels einer bundesgesetzlichen Regelung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs dieser aber un- mittelbar auf das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt werden kann“. Dies ist eine enorme Stärkung der Pressefreiheit in Deutschland; denn bislang haben das Bundesverwaltungsgericht wie das Bundesinnenministerium diese Frage eher verneint. Das Gericht hat damit einen verfassungsunmittelbar garantierten „Minimalstandard an Auskunftspflichten“ festgeschrieben und festgestellt, dass es damit einen klagbaren Rechtsanspruch auf Erteilung einer bestimm- ten Information gebe, soweit nicht besondere Geheim- haltungstatbestände entgegenstehen, wie sie etwa in den Landespressegesetzen aufgeführt sind. Eine bundesgesetzliche Regelung ist nun dringend geboten, um schnell Rechtssicherheit für Journalistinnen und Journalisten zu schaffen. In der gestrigen Frage- stunde haben wir die Bundesregierung befragt, welche Schlussfolgerungen sie aus der Entscheidung des Bun- desverwaltungsgerichts zum grundgesetzlich garantier- ten Auskunftsrecht für Medienvertreter gegenüber Bun- desbehörden ziehen wird und ob sie die Einschätzung teilt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, um den verfassungsrechtlich geschützten öffentlichen Auf- trag der Presse sicherzustellen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort erwartungsgemäß erklärt, dass sie diese Frage sorgfältig prüfen wird. Diese Antwort bekommt die Opposition ja immer dann, wenn sich die Bundesre- gierung nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen kann. Zudem haben sich die Verfassungsorgane, Behör- den und Einrichtungen des Bundes in ihrer bisherigen Auskunftspraxis gegenüber Medienvertretern in der Sache an den Pressegesetzen der Länder orientiert, sodass in der Praxis keine Änderungen zu erwarten seien. Das Ergebnis wird aber vielmehr sein, dass sich Presse- vertreter nach der Entscheidung des Bundesverwaltungs- gerichtes zwar unmittelbar auf das Grundrecht der Presse- freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen können. Sie werden sich aber angesichts der zweifelhaften „Aus- kunftsfreudigkeit“ der Bundesregierung ihre konkreten Rechte – etwa zur Reichweite des Auskunftsanspruchs, zu den Fristen oder Kosten – in langwierigen Rechts- streitigkeiten vor Gericht erstreiten müssen. Eine solche Rechtsunsicherheit ist aus unserer Sicht mit dem öffentlichen Auftrag der Presse und der Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht verein- bar, das den Staat schon mit der Spiegel-Entscheidung verpflichtet hat, Auskunftspflichten der öffentlichen Be- hörden als prinzipielle Folgerungen aus Art. 5 zu schaf- fen. Es ist daher zwingend geboten, schnell eine bundes- gesetzliche Regelung zu schaffen, die den Journalistinnen und Journalisten die gleichen Auskunfts- rechte gegenüber dem Bund einräumt wie gegenüber den Ländern aufgrund der Landespressegesetze. Dies soll mit dem Gesetzentwurf zur Auskunftspflicht von Bun- desbehörden gewährleistet werden. Es ist bedauerlich, dass der Beauftragte für Kultur und Medien offensichtlich kein Interesse an diesem so zentralen Thema hat. So wie er die Beantwortung der an ihn adressierten Fragen, wie er die Erfüllung des öffent- lichen Auftrages der Presse und die Wahrung der Presse- freiheit sicherstellen wolle, dem Bundesinnenministe- rium überlassen hat, so soll auch jetzt die Federführung an den Innenausschuss gehen, worüber wir heute strittig abstimmen werden. Wir hätten es der grundsätzlichen Bedeutung für angemessen gehalten, wenn das Thema Pressefreiheit federführend auch bei dem zuständigen Beauftragten für Kultur und Medien und dem Bundes- tagsausschuss für Kultur und Medien behandelt würde. Offensichtlich möchte der Bundesinnenminister seine restriktive und presseunfreundliche Position auch im In- nenausschuss durchsetzen. Sie sollten sich aber keine Hoffnung machen, dass die Verhandlung dieser Position in den Verhandlungen mit den Innenpolitikern der SPD im Innenausschuss einfacher oder erfolgversprechender wäre als mit den Medienpolitikern im Ausschuss für Kultur und Medien. Wir sind natürlich jederzeit bereit, über weitere Verbesserungen der Auskunftsverpflichtun- gen zu reden. Was es aber mit den Innen-, Rechts- und Medienpolitikern der SPD nicht geben wird, ist eine Be- 28212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) schränkung der Auskunftsverpflichtungen, wie dies zu- mindest in Teilen der Bundesregierung vertreten wird. Ich freue mich, dass die beiden Journalistenverbände DJV und dju unsere Initiative unterstützen und die Ab- geordneten des Deutschen Bundestages gestern aufge- fordert haben, diesem Entwurf zuzustimmen. Ich möchte daher bei allen Fraktionen um Zustimmung zu unserem Entwurf für ein Presseauskunftsgesetz werben. Für uns steht fest: Wir brauchen eine schnelle Regelung für die Auskunftsverpflichtungen von Bundesbehörden. Die Bundesregierung darf sich nicht im Hinterzimmer ein- schließen; sie ist der Öffentlichkeit Rechenschaft schul- dig. Die Koalition hat die Chance, sich mit uns für die Pressefreiheit zu entscheiden. Wir sind gespannt auf die parlamentarischen Beratungen. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von ver- gangener Woche sind die Pressegesetze der Länder auf Bundesbehörden nicht anwendbar. Deshalb haben Jour- nalistinnen und Journalisten jetzt keinen einfachgesetzli- chen, klar bestimmten Auskunftsanspruch gegen Bun- desbehörden. Das kann nicht sein. Eine funktionierende Berichterstattung in der Presse über das Regierungshan- deln ist ein konstitutives Moment einer freiheitlichen Demokratie. Über welches Regierungshandeln eine freie Presse berichten kann, steht nicht im freien Ermessen der Bundesregierung, wie das Bundesinnenminister Friedrich zu glauben scheint. In der sogenannten Spiegel-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht am 5. August 1966 das Fun- dament für unser heutiges Verständnis von Pressefreiheit gelegt. Damals ging es um die Abwehr von Übergriffen des Staates, namentlich des CSU-Politikers Franz Josef Strauß. Das Bundesverfassungsgericht hat damals Pflö- cke eingeschlagen: „Der Staat ist – unabhängig von sub- jektiven Berechtigungen Einzelner – verpflichtet, in sei- ner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Frei- heit Rechnung zu tragen.“ Bereits damals hatten die Richter erkannt, dass die Pressefreiheit nicht nur ein Ab- wehrrecht ist, sondern den Staat auch aktiv verpflichtet, dazu beizutragen, dass die Berichterstattung der Presse über die Vorgänge im Staat funktioniert. Deshalb sind – so das Bundesverfassungsgericht – auch „Auskunfts- pflichten der öffentlichen Behörden … prinzipielle Fol- gerungen“ aus der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Presse. Das Bundesverwaltungsgericht hat anerkannt, dass die Auskunftspflichten der Behörden aus der Pressefrei- heit des Grundgesetzes notfalls direkt eingeklagt werden können. Das ist begrüßenswert. Aber es ist nicht genug. Denn aus dem Grundgesetz ist nur ein Minimalstandard ableitbar, der zudem unbestimmt ist. Deshalb enthalten die Pressegesetze der Länder selbstverständlich Aus- kunftsansprüche der Presse gegen Landesbehörden. Nur im Bund soll man das nicht brauchen? Bundesinnen- minister Friedrich braucht offensichtlich Nachhilfe in Sachen Pressefreiheit. Ist das auch Ihr Verständnis von Pressefreiheit, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus CDU/CSU und FDP? Journalistinnen und Journalisten müssen selbstver- ständlich Auskünfte von Bundesbehörden verlangen können. Die Bundesregierung kann sich nicht im Hinter- zimmer einschließen, sondern ist der Öffentlichkeit Re- chenschaft schuldig. Wir haben deshalb umgehend einen Gesetzentwurf vorgelegt: Er garantiert Journalistinnen und Journalisten die gleichen Rechte gegenüber Bundes- behörden, wie sie es in den Ländern gegenüber Landes- behörden haben. Unser Gesetzentwurf stellt den Rechts- zustand wieder her, der seit Jahrzehnten gute Staatspraxis war. Der Deutsche Journalisten-Verband, DJV, und die Deutsche Journalistinnen- und Journalis- tenunion, dju, haben unseren Entwurf bereits begrüßt. Jetzt muss der Bundestag zeigen, dass es uns ernst ist mit Transparenz und Pressefreiheit. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Die heutige Debatte erweckt fälschlicherweise den Eindruck, die Pressefreiheit sei in Gefahr, weil investigativ tätigen Journalisten die Auskunft verweigert werden könnte. Das Gegenteil ist der Fall: Durch das Urteil des Bundes- verwaltungsgerichts wird die Pressefreiheit gestärkt. Ich möchte dies gleich zu Beginn betonen, weil die SPD- Fraktion mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Ein- druck erweckt, der gegenwärtige Rechtszustand könne keinesfalls weiter hingenommen werden. Liebe Kolle- ginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, vielleicht hätten Sie die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsge- richts abwarten sollen, bevor Sie derartige Schreckge- spenster an die Wand malen und in hektischen Aktionis- mus verfallen. So schüren Sie nur Misstrauen gegenüber den Behörden und Gerichten, was sich in der Praxis sogar als Bärendienst an der Pressefreiheit erweisen könnte. Als FDP-Fraktion begrüßen wir das Urteil ausdrück- lich. Erstmals hat das Bundesverwaltungsgericht festge- stellt, dass Journalisten einen eigenen, unmittelbaren Auskunftsanspruch gegen Bundesbehörden haben. Dass sich dieser Anspruch nicht aus Landesrecht ergeben kann, erscheint auf den ersten Blick schlüssig, und so hat das Gericht überzeugend einen Anspruch unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz bejaht. Hierdurch wird auch zusätzliche Rechtssicherheit geschaffen, weil die bisherige Auskunftspraxis der Bundesbehörden nun auf einer sicheren, höchstrichterlich bestätigten Basis steht. Journalisten dürfen sich durch dieses Urteil also ermutigt fühlen, ihren Auskunftsanspruch einzufordern. Dass das Urteil in der Sache abweisend war, ändert nichts an sei- ner Bedeutung. Im Streitfall muss eine Einzelfallbetrach- tung vorgenommen werden, die einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen schaffen muss. Im vorlie- genden Sachverhalt trat das Auskunftsinteresse ange- sichts des erheblichen Ermittlungsaufwands und der be- reits eingesetzten Historikerkommission zurück. Ohne der Urteilsbegründung vorgreifen zu wollen, se- hen wir als FDP-Fraktion deshalb keinen gesetzgeberi- schen Handlungsbedarf. Sollte sich diese Situation aber verändern – zum Beispiel weil die Urteilsbegründung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28213 (A) (C) (D)(B) Raum für zukünftige Unsicherheiten lässt, – werden wir umgehend von unserem Initiativrecht Gebrauch machen. Für uns Liberale ist die Freiheit Leitmotiv. Unter den Grundfreiheiten ist die Pressefreiheit unentbehrliche Vo- raussetzung der freien Meinungsbildung und damit – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – ein „unent- behrliches Wesenselement des freiheitlichen Staates und für die Demokratie“. Der Schutz und die Gewährleistung der Pressefreiheit sind deshalb unsere vorrangigen Ziele. Jimmy Schulz (FDP): Die Presse ist eine der wich- tigsten Säulen eines jeden demokratischen Staats. Sie er- füllt mannigfaltige Aufgaben und wird nicht nur deswe- gen auch „die vierte Gewalt“ genannt. Sie hat auf der einen Seite die Aufgabe, die Bevölkerung umfassend und objektiv über alles zu informieren. Sie wirkt damit an der Meinungsbildung der Bürger mit und schafft für jeden Einzelnen die Grundlage, nicht nur am politischen Geschehen, sondern auch am täglichen Leben teilzuneh- men. Sie hat aber auch eine wichtige Kritik- und Kon- trollfunktion gegenüber der Politik. Wo sonst ist es mög- lich, dass immer alle Seiten gleichzeitig zu einem Thema gehört werden? Die Verantwortungsträger müssen sich hier nicht nur alle paar Jahre in Wahlen verantworten, sondern jeden Tag, und das ist auch gut so. Wie wichtig eine wirklich freie Presse ist, zeigt sich vor allem in den Ländern, in denen es eben keine freie Presse gibt. Und deswegen bin ich froh, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland die Pressefreiheit hochhal- ten. Ein wichtiger Teil der Arbeit von Journalisten ist die Recherche. Hierfür müssen Journalisten alle Möglich- keiten haben, um die eben genannten Funktionen voll auszufüllen. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass die Behörden und Verwaltungen auf den unterschiedli- chen Stufen der Presse gegenüber Auskünfte erteilen, soweit dem keine wichtigen Gründe entgegenstehen. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht in der letzten Woche ein Urteil vorgelegt, das sich mit der Rechtsgrund- lage solcher Auskunftsansprüche beschäftigt. Demnach können sich Journalisten nicht länger auf die Landes- pressegesetze und die darin normierten Auskunftsan- sprüche berufen, wenn sie Informationen von Bundesbe- hörden erhalten wollen. Der Auskunftsanspruch ergibt sich in diesem Fall aus der verfassungsrechtlich normier- ten Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 unseres Grundgeset- zes. Eine bundesgesetzliche Regelung muss also her. Schön, dass die Fraktion der SPD nun so schnell ei- nen mit heißer Nadel gestrickten Gesetzentwurf dazu vorlegen konnte. Hier geht es offenkundig nicht um die Sache an sich, sondern darum, als Erster durchs Ziel zu laufen. Die erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auskunfts- pflicht von Bundesbehörden gegenüber der Presse (Pres- seauskunftsgesetz) muss jedoch aufpassen, an dieser Stelle nicht der Hase zu sein, während der Igel schon im Ziel wartet. Schon die Tatsache, dass sich offenbar noch nicht ein- mal die Mühe gemacht wurde, einen geeigneten Ort für die zu schaffende Anspruchsgrundlage zu suchen, und nur ein neues Gesetz mit substanziell einem Paragrafen geschaffen werden soll, zeigt, dass auch die SPD-Frak- tion mit ihrem Antrag vor allem Aktionismus vortäu- schen will und an einer ernsthaften Regelung nicht inte- ressiert ist. Falscher Aktionismus ist auch deswegen fehl am Platz, da noch nicht einmal die Urteilsgründe vorlie- gen, ohne die eine seriöse Bewertung überhaupt nicht möglich ist. Bevor eine neue Regelung geschaffen wer- den kann, müssen viele Punkte erst einmal geklärt wer- den. In dem Gesetzentwurf möchte die SPD den Aus- kunftsanspruch für die Presse „zur Erfüllung ihrer öf- fentlichen Aufgaben“. Hier sieht man schon den ersten handwerklichen Fehler, der nur passieren kann, wenn blind Texte kopiert werden. Die Legaldefinition für die „öffentlichen Aufgaben der Presse“ findet sich nur in den jeweiligen Landesgesetzen. Soll das von der SPD- Fraktion gewünschte Bundesgesetz dann etwa auf die Landesgesetze verweisen? Auch das Verhältnis zu anderen Informationszu- gangsansprüchen wird kurz mit einem Satz abgetan; nä- here Gedanken zur Systematik wurden sich hier offen- sichtlich nicht gemacht. Warum wurde denn nicht ein Standort im Informationsfreiheitsgesetz, IFG, gesucht? Hier hätten wir den Vorteil, dass wir bestimmte Regelun- gen schon vorfinden, die im vorliegenden Entwurf kom- plett fehlen. Dazu zählen mögliche Versagungsgründe beim Schutz von besonderen öffentlichen Belangen und die Klarstellung des Schutzes personenbezogener Daten. Aber auch eine Einfügung in das Verwaltungsverfah- rensgesetz, VwVG, wäre denkbar gewesen. Warum ist das alles in dem Antrag nicht drin? Weil hier schnell irgendetwas vorgelegt werden sollte und für Nachdenken offensichtlich keine Zeit war. Ohne das Ab- warten der Begründung durch das Gericht ist das Schaf- fen von neuen Gesetzen ein Blindflug. Aber das schnelle Beschließen von Gesetzentwürfen, die dann vom Verfas- sungsgericht kassiert werden müssen, haben Sie ja schon praktiziert, als Sie noch selber auf der Regierungsbank saßen. Wir werden diese Hektik jedenfalls nicht an den Tag legen. Manchmal macht einen das Abwarten und vernünftige Abwägen dann zum Igel. Liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, da Sie sich an- schicken, ab September in diesem Haus das Zepter über- nehmen zu wollen, sollten Sie doch lieber in den nächs- ten Monaten zumindest versuchen, glaubhaft zu machen, dass Sie dazu in der Lage sind, anstatt sich mit Schnell- schüssen in die Nesseln zu setzen. Aber offensichtlich ist ja nicht nur Ihr Kanzlerkandidat für unsubstantiierte Schnellschüsse gut. Ich kann deswegen nur für die Ablehnung des An- trags plädieren. Jan Korte (DIE LINKE): Eine Voraussetzung für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Ge- schichte ist der freie Zugang zu historisch und politisch relevanten Informationen: für die Presse, die Öffent- lichkeit und für die Wissenschaft. Jeder Versuch, die 28214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Überprüfbarkeit des historischen und aktuellen Regie- rungshandelns einzuschränken, stellt auch eine nicht hinzunehmende Einschränkung der Grundlagen der De- mokratie dar. Der Anlass für die hier vorliegende Geset- zesinitiative, auf den wir noch ausführlicher zu sprechen kommen werden, nämlich der Versuch der Bundesregie- rung in der letzten Woche, das Presserecht auszuhebeln, hat viele in diesem Land zu Recht maßlos geärgert. Und trotzdem muss ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von der SPD, zunächst einmal Folgendes sagen: Das ist mal wieder ein Schnellschuss, den ich in die Ecke Wahlkampfpopulismus einordne und der der Bedeutung der Sache nicht wirklich gerecht wird. Schon das Prozedere, auf eine Entscheidung eines Gerichtes zu reagieren ohne Kenntnis der schriftlichen Urteilsbegründung – die liegt nämlich noch nicht vor –, aus der sich wichtige Erkenntnisse, Umfang und Gren- zen eines solchen Anspruches ableiten ließen, ist wenig seriös. Hier wäre stattdessen in intensiver Auseinander- setzung und sorgfältiger Arbeit die Chance zu ergreifen, der vierten Gewalt ernstzunehmende Instrumentarien an die Hand zu geben. Aber das kann ja und wird hoffent- lich auch in den nächsten Wochen noch kommen. Nun aber zum ärgerlichen Anlass des Ganzen. Nach- dem sich die Bundesregierung wieder einmal geweigert hatte, einem Journalisten darüber Auskunft zu erteilen, wie viele hauptamtliche sowie inoffizielle Mitarbeiter der Bundesnachrichtendienst, BND, zwischen 1956 und 1980 hatte und wie viele davon zuvor Mitglied der NSDAP, der SA, der SS, der Gestapo oder der Abteilung „Fremde Heere Ost“ waren, mussten am 20. Februar die Richter des Bundesverwaltungsgerichts über das Aus- kunftsrecht der Presse entscheiden. Und das Mauern hat bei Ihnen ja eine unendlich lange und schlechte Tradi- tion. Anstatt endlich, fast 68 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, die Akten über die alten Na- zis, die überall in der jungen Bundesrepublik wieder in Amt und Würden kamen, zu öffnen, rücken Sie immer nur das an Information heraus, wozu Gerichte Sie ver- donnern, oder wenn der öffentliche Druck zu groß wird. An diesem Punkt muss ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, auch noch einmal vorhalten, dass Sie, zumindest was das Auskunftsrecht bei allen Akten mit NS-Bezug angeht, schon längst für Transparenz und Freiheit hätten sorgen können. Dafür hätten Sie einfach nur unsere Initiativen zur Freigabe unterstützen und sich nicht im trauten Bunde mit der Koalition weiter der Ge- heimniskrämerei verschreiben müssen. Dann wären wir an diesem Punkt schon einen wichtigen Schritt vorange- kommen. Aber okay, auch das kann sich ja noch ändern. Ich baue da weiter auf die Kraft der Vernunft. Nun aber zurück zum eigentlichen Problem. Leider haben die Richter in Leipzig diesmal die Bundesregie- rung nur sehr zurückhaltend in die Schranken gewiesen. Ihrer skandalösen Rechtsauffassung, Bundesbehörden wären nicht verpflichtet, Journalisten Auskunft zu ertei- len, da sie nicht den Pressegesetzen der Länder unter- lägen, hat das Bundesverwaltungsgericht die im Grund- gesetz verbriefte Pressefreiheit, Art. 5 Absatz 1 Satz 2, entgegengehalten: „Mit der Gewährleistung der Presse- freiheit trägt das Grundgesetz der besonderen Bedeutung der Presse in einem freiheitlichen demokratischen Staats- wesen Rechnung. Hieraus folgt die Pflicht des Staates zur Erteilung von Auskünften.“ Doch dann machten die Richter eine Einschränkung, mit der sie zu begründen versuchen, warum der Journa- list und damit die Öffentlichkeit, trotz seines Grund- rechts, doch keinen Anspruch darauf haben, zu wissen, wie viele Mitarbeiter eine Bundesbehörde wie der BND hatte. Ich zitiere: „Der Auskunftsanspruch bezieht sich nur auf Informationen, die bei der auskunftspflichtigen Behörde aktuell vorhanden sind. Das Auskunftsrecht führt nicht zu einer Informationsbeschaffungspflicht der Behörde. Bezogen auf den Anteil früherer Beschäftigter mit NS-Vergangenheit, stehen dem Bundesnachrichten- dienst gegenwärtig keine auskunftsfähigen Informatio- nen zur Verfügung.“ Nun ja. Dieser Teil des Urteils ist für jeden, der sich etwas mit dem Thema auskennt, nur schwer nachzuvoll- ziehen. Vor über zwei Jahren wurde eine Unabhängige Historikerkommission beim BND damit beauftragt, un- ter anderem genau dieser Frage nachzugehen. Laut An- gaben der Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion zum „Umgang mit der NS-Ver- gangenheit“, Drucksache 17/8134, verfügt der BND über Personaldatensätze von über 5 900 ehemaligen Mit- arbeitern der für eine „NS-Belastung“ infrage kommen- den Geburtsjahrgänge 1879 bis 1928. Für den Verantwor- tungsbereich des BND ist aus öffentlich zugänglichen Unterlagen der Central Intelligence Agency, CIA, von Anfang 1954 bekannt, dass damals mindestens 50 Mitar- beiter der Organisation „Gehlen“ zuvor der Waffen-SS, der Allgemeinen SS oder dem SD der SS angehört haben. Außerdem ist inzwischen bekannt, dass der BND sich in- folge der Ermittlungen einer auf Anordnung des damali- gen BND-Präsidenten Reinhard Gehlen im Herbst 1963 eingerichteten internen Ermittlungsgruppe, der soge- nannten Dienststelle 85, von 71 Mitarbeitern wegen der Beteiligung an NS-Verbrechen getrennt haben soll. Die interne Ermittlungsgruppe des BND überprüfte damals rund 200 hauptamtliche Mitarbeiter im Hinblick auf ihre NS-Vergangenheit. Unter den befragten Mitarbeitern waren 146 in der NSDAP, der SS, im Reichssicherheits- hauptamt oder in der Geheimen Feldpolizei gewesen. Seit langem besitzt darüber hinaus der BND die Infor- mation, dass 1960 2 450 Mitarbeiter bei ihm beschäftigt waren, von denen etwa 200 zuvor im Reichssicherheits- hauptamt gearbeitet hatten. Warum die Bundesregierung sich nach eigenen Anga- ben aber „gegenwärtig“ nicht für „auskunftsfähig“ hält, versteht kein Mensch. Die Angaben sind, trotz Ihrer re- gelmäßigen Schredderei, offensichtlich vorhanden, man müsste sich also nur die Mühe machen, sie zusammen- zuschreiben. Erklären Sie doch einmal, warum Sie und die seit zwei Jahren mit vier Professoren und etlichen Mitarbeitern tätige Kommission nicht längst herausge- funden hat, wie viele Mitarbeiter der BND zu welcher Zeit hatte und welche davon im NS-Vernichtungsapparat tätig waren? Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 28215 (A) (C) (D)(B) Da das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass der verfassungsunmittelbare Anspruch auf Informa- tion lediglich einen „Minimalstandard“ gewährleistet, besteht selbstverständlich dringender Handlungsbedarf. Die jetzige Situation, in der die Presse, wenn sie von ei- ner Bundesbehörde Auskunft verlangt, sich jedes Mal auf das Grundgesetz berufen und gegebenenfalls einen Verfassungsrechtler einschalten muss, ist eines demokra- tischen Rechtsstaats nicht würdig und muss schnell, aber eben auch parlamentarisch sauber und sorgfältig beendet werden. Dass die Entscheidung deshalb, wie die FAZ am 25. Februar zu berichten wusste, angeblich nun im Jus- tizministerium geprüft wird und selbst dem Innenminis- ter das Ganze etwas unangenehm ist, beweist doch eins: Ihre Verschlusshaltepolitik ist gescheitert und muss schnellstens beendet werden. Nun aber noch einmal zum vorliegenden SPD-Ent- wurf. Es ist ja zutreffend, dass bisher die weitgehend einhellige Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung davon ausgegangen ist, dass gegenüber Bundesbehörden ein Auskunftsanspruch aus Landespressegesetzen resul- tiert. Dem hat das Bundesverwaltungsgericht, BVerwG, soweit aus der Pressemitteilung erkennbar, jetzt aber ei- nen Riegel vorgeschoben. Da das BVerwG nun offenbar einen Auskunftsanspruch unmittelbar aus dem Grundgesetz ableiten will, liegt jetzt, im Gegensatz zum allgemeinen Auskunftsanspruch, ein Verfassungsauftrag an den Ge- setzgeber vor, für die Presse einen Zugang zu eröffnen. Die Gründe hat das OVG Berlin 1995 – 8 B 16/94 – schon wunderbar prägnant ausgeführt: Damit die Medien andere informieren können, was ja ihr Daseinszweck in einer Demokratie ist, müssen sie selbst informiert sein. Um diesen Zustand zu erreichen, müssen sie sich – so das OVG Berlin – „Einblick auch in nicht allgemein zugängliche Quellen verschaffen kön- nen, also auch in das Innere der Verwaltung und die dor- tigen Vorgänge.“ Oder in Kurzform: kein Einblick, keine Informationsmöglichkeit, keine informierten Bürgerin- nen und Bürger gleich keine richtige Demokratie. Nimmt man diese klare Aussage des OVG, kombi- niert sie mit dem vom Bundesverwaltungsgericht er- kannten Minimalauskunftsanspruch als Rechtslage und vergisst für einen Augenblick die Vorlagengeschwindig- keit und das Wahlkampfgedöns als Qualitätsnachweis, ergibt sich: Der Entwurf der SPD liefert substanziell nicht mehr als das, was wir haben, plus die Demonstra- tion des Willens, einen Verfassungsauftrag, wo immer es geht, in einem Gesetz zu regeln. Das alleine macht aber noch kein gutes Gesetz. Um nicht zu sehr auf Details einzugehen, möchte ich hier exemplarisch nur ein den Verfassern ganz wichtiges Ziel nennen: die Rechtssicherheit. Gerade das für die Praxis ja enorm wichtige Auskunftsverweigerungsrecht ist im Abs. 2 des Gesetzentwurfs so unbestimmt formu- liert, dass selbst das viel allgemeinere Informationsfrei- heitsgesetz, IFG, dagegen ein Ausbund an Klarheit ist. Damit verfehlt der Gesetzentwurf aber genau den Punkt, der für seine Geburt sozusagen Erzeuger war: „Es ist von besonderer Bedeutung“ – heißt es im Ent- wurf –, „Rechtssicherheit für die Presse hinsichtlich des Umfangs des verfassungsrechtlich verbürgten Auskunfts- anspruchs und insbesondere bezüglich der Ausnahmen zu schaffen. Es ist mit dem verfassungsrechtlich ge- schützten öffentlichen Auftrag der Presse nicht verein- bar, dass das Spektrum vermeintlicher Ausnahmen erst im Wege langwieriger Rechtsstreitigkeiten erkennbar wird.“ Genau diese Auseinandersetzungen verhindert der Entwurf mit seiner Scheinklarheit gerade nicht. Er kodi- fiziert den jetzt vom BVerwG zum allgemeinen Status quo erklärten Minimalzustand. Die Begründung zu dem Entwurf erschöpft sich in Floskeln allgemeiner Art, als wären sie aus der Zeitung abgeschrieben. Da gibt das weitaus allgemeinere IFG mehr Rechtssicherheit. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Pressefreiheit ist ein sehr hohes Gut. Diesen Satz würden vermutlich fast jeder und jede meiner Kolleginnen und Kollegen unterschreiben. Wer würde diese Feststellung schon bestreiten? Aber in der Praxis zeigt sich dann, wer es ernst meint mit der Pressefreiheit und wer sie ledig- lich in Sonntagsreden hochhält. Der Bundesnachrichten- dienst hat den Begriff auf jeden Fall sehr eng – ich meine, zu eng – ausgelegt und bei der Herausgabe von Informationen an einen Journalisten gemauert. Damit wurde mit einem doch meist gepflegten Brauch der Aus- kunft von Bundesbehörden an Journalisten gebrochen. Vergangene Woche wurde deshalb vor Gericht um die Pressefreiheit in Deutschland gerungen. Das Bundesver- waltungsgericht in Leipzig hatte die Klage eines Journa- listen abgewiesen, der etwas über die NS-Vergangenheit des Bundesnachrichtendienstes wissen wollte. Der Ver- treter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsge- richt vertrat bei der Verhandlung die Auffassung, dass Bundesbehörden Journalistinnen und Journalisten solche Auskünfte nicht geben müssen. Denn zur Herausgabe solcher Daten verpflichten lediglich die Landespressege- setze, die aber nicht für Bundesbehörden gelten, so sein Argument. Das Gericht hat dazu ein zweischneidiges Urteil gefällt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Versuch des Bundes, der Presse keine Auskünfte mehr erteilen zu müssen, einen Riegel vorgeschoben und auf die Verfassung verwiesen. Ich bin erleichtert, dass das Gericht für die Medien einen verfassungsrechtlich ge- deckten Anspruch auf ein Auskunftsrecht festgestellt hat. Wie genau dieser aber ausgestaltet sein soll, da hat sich Leipzig jedoch vornehm zurückgehalten. Das Gericht hat jedoch auch festgestellt, dass die Lan- despressegesetze nicht für Bundesbehörden gelten, und es deshalb auf Bundesebene eine Regelungslücke gibt. Mit dem Urteil hat sich also faktisch wenig geändert. Die Behörden dürfen Informationen zurückhalten, so- lange nicht dagegen geklagt wird. Das Presserecht darf aber nicht zum stumpfen Schwert verkommen. Es ist ab- surd, wenn Journalisten in Bundesbehörden etwas ver- weigert wird, was ihnen in Landesbehörden zusteht. Und mit den Regelungen in den Landespressegesetzen ist für 28216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 225. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) die Bundesbehörden ganz offensichtlich kein Zugriff ge- geben. So wird Journalistinnen und Journalisten aber die Ar- beitsgrundlage gegenüber Bundesbehörden entzogen. Denn es ist richtig und wichtig, dass Journalisten Fakten finden und offenlegen können, die für Bundesbehörden manchmal unbequem sind. Es ist für Journalisten nicht ausreichend, nur auf eine Minimalauskunft zurückgrei- fen zu können. Akten dürfen Journalisten deshalb nicht grundsätzlich vorenthalten werden. Ein vages Aus- kunftsrecht ist meines Erachtens ungenügend. Journalis- ten dürfen nicht auf das Wohlwollen oder den Fleiß der Behördenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen angewiesen sein. Ich gehe davon aus, dass wir deshalb eine Alternative auf Bundesebene benötigen, damit diese Rechtsun- sicherheit geklärt wird. Die Journalistinnen und Journa- listen brauchen jetzt Klarheit, ihre Informationsansprü- che müssen klar geregelt werden. Die SPD hat deshalb ein Presseauskunftsgesetz vor- legt. Das ist ein gutes Signal – wenn auch etwas schnell. Wir werden diesen Gesetzesvorschlag wohlwollend prüfen. Wir möchten uns aber die Zeit nehmen, um si- cher zu sein, ob der Vorschlag kompetenzrechtlich be- lastbar ist oder ob eine Regelung auf anderer Ebene schlagkräftiger ist. Dazu braucht es auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Volltext. Zudem muss entschieden werden, ob der Vorschlag der SPD ausrei- chend ist oder noch ausgeweitet werden muss. Wir se- hen, dass Handlungsbedarf gegeben ist, wollen aber eine solide Lösung, die den Journalistinnen und Journalisten Rechtssicherheit gibt. 225. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Hochfrequenzhandel TOP 4 Bezahlbares Wohnen TOP 41, ZP 2Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 42, ZP 3Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 5Aktuelle Stunde zu gesetzlichem Mindestlohn TOP 5Bundeswehreinsatz in Mali (EUTM Mali, AFISMA) ZP 6Holzhandels-Sicherungs-Gesetz TOP 9, ZP 7Privatisierung der Wasserversorgung TOP 8Schachtanlage Asse II TOP 7Staatsleistungen an Religionsgesellschaften TOP 10Amtshilferichtlinie und steuerliche Vorschriften TOP 11Energiewende TOP 12Einsatz von Antibiotika bei der Tierhaltung TOP 13Menschenrechte älterer Menschen TOP 14Bekämpfung von Tierseuchen TOP 15Konzept für naturnahe Flusslandschaften TOP 16Notfallsanitäterausbildung TOP 17Zusammenarbeit mit China TOP 18Änderung des Soldatengesetzes ZP 8Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren TOP 20Rechte indigener Völker TOP 19Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch TOP 22Nationale Anti Doping Agentur TOP 21Unterhaltsvorschussrecht TOP 24Hilfe für Syrien TOP 25Jagdrechtliche Vorschriften TOP 26Rechtsstatus türkischer Staatangehöriger TOP 27Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages TOP 28Rechtsstaatlichkeit in Sri Lanka TOP 29Verbraucherschutz bei notarieller Beurkundung ZP 9Presseauskunftsgesetz TOP 31Familienpflegezeit für Bundesbeamte TOP 30Bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr TOP 33Filmförderungsgesetz TOP 32Energetische Quartierssanierung TOP 34Korruption im Gesundheitswesen TOP 35Übermittlung von Fluggastdaten Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722500000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich der Kol-
legin Gabriele Hiller-Ohm heute zu ihrem 60. Geburts-
tag gratulieren. Alle guten Wünsche!


(Beifall – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, Herr Präsident!)


– Das leuchtet unter jedem Gesichtspunkt ein. Genießen
Sie diesen Tag in vollen Zügen in der dafür bestmögli-
chen Umgebung.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Danke schön!)


Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zur vollständi-
gen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft
und Ehe als Konsequenz aus der Rechtspre-

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Freier Zugang zu öffentlich finanzierten For-
schungsergebnissen

– Drucksache 17/12300 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz
Thönnes, Dr. Rolf Mützenich, Christoph Strässer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-
Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umfassende Modernisierung und Respektie-

chung des Bundesverfassungsgerichts

(siehe 224. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 41

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Meeresforschung stärken – Potentiale aus-
schöpfen und Innovationen fördern

– Drucksache 17/9745 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

rung der Menschenrechte in Aserbaidschan
unabdingbar machen

– Drucksache 17/12467 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 42

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der
Bundesregierung





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Einhundertzweiundsechzigste Verordnung zur
Änderung der Einfuhrliste

– Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz –

– Drucksachen 17/12001, 17/12114 Nr. 2.1,
17/12448 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer

ZP 4 Beschlussempfehlungen des Vermittlungsaus-
schusses

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

wicklung des Meldewesens (MeldFortG)


– Drucksachen 17/7746, 17/10158, 17/10768,
17/12463 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

tung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur
Festlegung der technischen Vorschriften und
der Geschäftsanforderungen für Überweisun-
gen und Lastschriften in Euro und zur Ände-
rung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009

(SEPA-Begleitgesetz)


– Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395,
17/11938 17/12464 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in
der Rechtssache C-284/09

– Drucksachen 17/11314, 17/11717, 17/11718,
17/11940, 17/11950, 17/12465 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Position der Bundesregierung zur Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns

ZP 6 Dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Geset-
zes

– Drucksache 17/12033 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12400 Buchstabe a –

Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Petra Crone
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martin
Schwanholz, Manfred Nink, Wolfgang Tiefensee,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über die Konzes-
sionsvergabe KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok.
18960/11
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregie-
rung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgeset-
zes

Kommunale Versorgungsunternehmen stär-
ken – Formale Ausschreibungspflicht bei
Dienstleistungskonzessionen insbesondere für
den Bereich Wasser ablehnen

– Drucksache 17/12519 –

ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteili-
gung und Vereinheitlichung von Planfeststel-
lungsverfahren (PlVereinhG)


– Drucksache 17/9666 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/12525 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Kirsten Lühmann
Manuel Höferlin
Frank Tempel
Wolfgang Wieland

ZP 9 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus-
kunftspflicht von Bundesbehörden gegenüber
der Presse (Presseauskunftsgesetz)


– Drucksache 17/12484 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 23 und 41 d werden abge-
setzt.

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.

Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkte-
liste aufmerksam:





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Der am 25. Oktober 2012 (201. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zur Mit-
beratung überwiesen werden:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Nicole Gohlke, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Telemediengesetzes – Störerhaftung

– Drucksache 17/11137 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

Der am 21. Februar 2013 (222. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

zur Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung und Regulierung einer Honorarberatung

(Honoraranlageberatungsgesetz)


– Drucksache 17/12295 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen ein-
verstanden sind. – Das sieht so aus. Jedenfalls ist kein
Widerspruch erkennbar. Dann haben wir das so be-
schlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vermeidung von Gefahren und Missbräu-

(Hochfrequenzhandelsgesetz)


– Drucksachen 17/11631, 17/11874 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/12536 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Sieling
Björn Sänger

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der SPD-Frak-
tion vor.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, dass diese
Aussprache 90 Minuten dauern soll. – Auch dazu kann
ich Einvernehmen feststellen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bun-
desfinanzminister Harmut Koschyk.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


H
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1722500100


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der Verabschiedung des Gesetzes zur Vermeidung von
Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel er-
richten wir heute einen weiteren wichtigen Baustein in
der Brandmauer, die uns wirksamer als in der Vergan-
genheit vor künftigen Finanzkrisen schützen soll.

Auf diesem Weg ist die Bundesregierung gemeinsam
mit den sie tragenden Koalitionsfraktionen ein gutes
Stück vorangekommen. Wir haben uns von Anfang an
für einen wirksamen europäischen und internationalen
Rahmen bei der Finanzmarktregelung eingesetzt. Wir
sind auf diesem Weg auch in Europa und auf der G-20-
Ebene Schrittmacher gewesen. Wir sind auf nationaler
Ebene oft vorangegangen, haben Leerverkäufe verboten,
Ratingagenturen reguliert, den Handel mit außerbörslich
gehandelten Derivaten transparenter gemacht, und
Deutschland hat massiv einen Beitrag dazu geleistet, die
europäische und deutsche Aufsichtsstruktur neu zu ord-
nen. Bereits 2010 haben wir Banken und Versicherungen
verpflichtet, angemessene, transparente und nachhaltige
Vergütungssysteme einzuführen. Wir haben den Anle-
gerschutz verbessert, und wir haben mit unserem Re-
strukturierungsgesetz und unserer Bankenabgabe den
Masterplan für die Regelung geschaffen, die jetzt auf eu-
ropäischer Ebene ansteht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist einfach unverständlich, dass dieser erfolgreiche Weg
von der Oppositionsseite immer wieder mit Mäkeleien
und Kritteleien bedacht wird.


(Joachim Poß [SPD]: Wir sollten jetzt wohl jeden Morgen eine Messe für Sie lesen und Hosianna rufen!)


Hätten Sie in Ihrer Regierungszeit hier gehandelt, wäre
Deutschland, Europa und der Welt viel erspart geblie-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben die Lehren aus der Finanzkrise gezogen


(Joachim Poß [SPD]: Sollen wir für diese schwarz-gelbe Krachbude auch noch Hosianna rufen, oder was?)


und seit Beginn dieser Legislaturperiode einen wichtigen
neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte geschaf-
fen. Dabei lassen wir uns von klaren Prinzipien leiten,
die ineinandergreifen, und haben einen konsistenten
Ordnungsrahmen gebildet. Grundprinzip unseres Han-
delns dabei ist, dass Gewinnchancen und Haftung wie-
der eng beieinander liegen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir freuen uns, dass auf europäischer Ebene die Tri-
logverhandlungen über die Umsetzung von Basel III vor





Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


(A) (C)



(D)(B)

einem Abschluss zu stehen scheinen. Denn eines ist klar:
Ein zentraler Punkt dieses Ordnungsrahmens muss die
Bankenregulierung sein, und dazu ist es unerlässlich,
dass das haftende Kapital der Banken schrittweise erhöht
wird.

Wir haben Anfang Februar einen Gesetzentwurf zum
Trennbankensystem vorgelegt, in enger Absprache mit
Frankreich. Dadurch wollen wir erreichen, dass Risiko-
bereiche von Banken vom Einlagengeschäft getrennt
werden. Mit diesem Gesetzentwurf gehen wir die soge-
nannte Too-big-to-fail-Problematik an. Aber – das hat
eine Fachanhörung gestern im Finanzausschuss zum so-
genannten Liikanen-Bericht ganz deutlich gemacht – es
geht oftmals nicht nur um die Frage: Ist ein Institut zu
groß, um es fallen zu lassen? Es geht oftmals auch um
die Frage: Wie vernetzt, wie zusammenhängend sind die
Institute? All diese Fragen gehen wir in diesem Gesetz-
entwurf an.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auf unserer Agenda steht auch eine gemeinsame Auf-
sicht über bedeutende Banken in Europa. Wir konnten bei
den europäischen Verhandlungen hier zentrale Anliegen
durchsetzen. Dies betrifft zum einen die klare Abgren-
zung der Aufgaben zwischen EZB und nationalen Behör-
den gemäß dem Prinzip der Subsidiarität. Es war gut und
richtig, dass wir uns dafür eingesetzt haben, dass nur
große, systemrelevante, in grenzüberschreitendem Ge-
schäft tätige Banken in Europa unter die europäische Auf-
sicht kommen, dass aber zum Beispiel unsere Sparkassen
und Genossenschaftsbanken, die ein stabiler Eckpfeiler
des Mittelstandsfinanzierungssystems in Deutschland
sind, nach wie vor unter unseren bewährten nationalen
Aufsichtsstrukturen stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zum Hochfrequenzhandel!)


Ganz entscheidend ist für uns bei den neu zu schaffen-
den europäischen Aufsichtsstrukturen die weitgehende
Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik gewesen,
wie sie sich gerade auch im Bereich der deutschen Auf-
sichtsstrukturen bewährt hat.

Mit dem Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter
Lesung verabschieden, wollen wir den Gefahren des sehr
schnellen Computerhandels begegnen und damit wieder
für mehr Stabilität und Integrität der Finanzmärkte sor-
gen. Denn – das ist nicht zu leugnen – der zunehmende
Hochfrequenzhandel hat die Geschwindigkeit und Kom-
plexität des Handels in den letzten Jahren drastisch er-
höht. Wir erinnern und alle noch an extreme Börsensze-
narien, bei denen es in wenigen Minuten zu gravierenden
Marktausschlägen kam, etwa beim sogenannten Flash
Crash im Mai 2010. Da konnten wir erleben, wie durch
den computergesteuerten Hochfrequenzhandel extreme
Kursbewegungen ohne jeglichen Bezug zu realwirt-
schaftlichen Entwicklungen verstärkt wurden.

Zu dem Gesetz, das wir heute hier verabschieden, ge-
hören erstens Mechanismen, die bei hohen Preisschwan-
kungen den Handel vorübergehend aussetzen.

Zweitens sorgen wir dafür, dass bei einer übermäßi-
gen Inanspruchnahme der Handelssysteme durch häufi-
ges Einstellen, Ändern oder Löschen von Aufträgen in
Zukunft besondere Kosten fällig werden.

Drittens müssen Händler darauf achten, dass das Ver-
hältnis von Orderanfragen und tatsächlichen Handelsab-
schlüssen nicht zu weit auseinanderklafft.

Viertens wird dem Trend zu immer mehr Geschäfts-
abschlüssen, bei denen minimale Preisunterschiede aus-
genutzt werden, durch die Einführung von Mindestpreis-
änderungen entgegengewirkt.

Wir haben uns – auch aufgrund der Ausschussbera-
tungen – sehr genau überlegt, ob wir in dieses Gesetz
eine Mindesthaltedauer für Wertpapiere aufnehmen. Die
unterschiedlichen Aussagen der Sachverständigen bei
der Ausschussanhörung haben deutlich gemacht, dass
sich die Folgen und vor allem der Nutzen einer Mindest-
haltedauer schwer abschätzen lassen. Wir setzen daher
im Gesetzentwurf auf Maßnahmen, die negative Folgen
des schnellen Computerhandels wirksam einbremsen.
Wir wissen, dass es über die Frage einer Mindesthalte-
dauer auch auf europäischer Ebene, zum Beispiel im Eu-
ropäischen Parlament, unterschiedliche Auffassungen
gibt.


(Zuruf von der SPD und der LINKEN)


Aber eines ist klar, verehrte Kolleginnen und Kollegen:
Einem solchen Instrument kann man, wenn überhaupt,
nur nähertreten, wenn es europaweit eingeführt wird.
Eine isolierte nationale Einführung würde überhaupt kei-
nen Sinn machen. Denn wir haben auch eine Verantwor-
tung für den Börsenstandort Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb gehen wir hier wieder einmal voran. Wir prä-
gen mit dem, was wir auf den Weg bringen, den europäi-
schen Ordnungsrahmen. Ich kann an die Opposition nur
appellieren: Gehen Sie endlich mit uns diesen Weg mit!


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssten wir ja rückwärts gehen!)


Beschränken Sie sich nicht auf kleinliche Krittelei, son-
dern sehen Sie die Größe und Bedeutung dieser Auf-
gabe, und versagen Sie sich der Mitwirkung nicht!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722500200

Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Sieling für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1722500300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat han-
delt es sich bei dem sogenannten Hochfrequenzhandel
um eine erst in den letzten Jahren entwickelte Form des
Handels an den Börsen, der mit einer unglaublichen Ge-
schwindigkeit vor sich geht. Es geht hierbei um Milli-





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)

sekunden, nicht um Sekunden – von Minuten oder Ähn-
lichem reden wir überhaupt nicht –, also um
Millisekunden, in denen der Handel vollzogen werden
soll. Das ist ein stark und schnell wachsendes Segment,
gerade übrigens für hochliquide Anlagen von großen
Unternehmen. 70 Prozent des Börsenhandels in den
USA und 40 Prozent des Börsenhandels in Europa wer-
den so abgewickelt.

Es ist richtig, hier eine Regulierung anzusetzen. Es ist
richtig vor dem Hintergrund der Gefahren, der Crashs,
der Unfälle mit gewaltigen Wertvernichtungen, die schon
passiert sind. Deshalb muss hier endlich eingegriffen
werden. Aber man muss sich natürlich fragen, was für
eine Regulierung hier vorgelegt wird und ob dadurch
wirklich durchgegriffen wird.

Ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren und
Herr Staatssekretär, Ihr Gesetzentwurf, den Sie hier ein-
bringen, wird nichts anderes bewirken, als dass einige
Registrierungen erfolgen und sicherlich eine Übersicht
über den Bereich geschaffen wird; aber die Geschwin-
digkeit und die Gefahren werden dadurch nicht beein-
trächtigt.


(Beifall bei der SPD)


Um einmal im Bild zu bleiben: Sie fassen nicht die
Computer an, sondern Sie wechseln nur die Monitore
aus. – Es geht hier darum, mit Hochgeschwindigkeit um-
zugehen. Das kann man nicht mit einigen Etiketten und
einigen wenigen Maßnahmen, die keine Überzeugungs-
kraft haben, angehen.

Das Ganze hat einen wichtigen Hintergrund. Wenn
Sie in Ihr Herz hineinschauen, müssten Sie sich einge-
stehen, dass Sie diesen Handel gar nicht wirklich durch-
greifend beschränken und regulieren wollen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!)


Das hängt damit zusammen, dass Sie den Nutzen des
Hochfrequenzhandels, dieses hyperschnellen Börsen-
handels, deutlich überschätzen und die Risiken unter-
schätzen. Die Folge ist, dass Sie uns ein Regulierungs-
vorhaben vorlegen, wie wir es aus vielen Bereichen
kennen. Bei Ihnen fehlen durchgängig Stringenz und
Durchgriff. Dies bräuchten wir aber, um wirklich wieder
Ordnung auf den Finanzmärkten herzustellen.


(Beifall bei der SPD)


I
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1722500400
Wir sind diejeni-
gen, die die Maßnahmen angegangen sind, und zwar seit
2009, seitdem wir regieren. – Das ist genau die Phase,
nachdem die G 20 die entscheidenden Beschlüsse ge-
fasst haben.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das gefällt Ihnen nicht! Das ist aber so!)


Das ist aus zwei Gründen wohlfeil.

Der erste Grund ist, dass man schon in den Jahren
vorher, als Sie gemeinsam mit uns in der Großen Koali-
tion regiert haben, eingreifen und schneller hätte etwas
machen müssen. Man hätte es auch machen können.

Aber Sie haben hier blockiert. Wir hätten viel mehr ma-
chen können.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer war denn damals Finanzminister? – KlausPeter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben doch damals den Finanzminister blockiert! Sie haben es nicht mitgemacht! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Quatsch! Sie haben das doch nicht mitgemacht! Wir haben doch mit Ihnen verhandelt!)


Der zweite und entscheidende Grund, Herr Kollege,
ist: Vorher gab es in der Tat eine Phase, in der weltweit
liberalisiert wurde. Heute weiß man, dass das nicht rich-
tig war. Aber wir haben damals in der Regierung ge-
meinsam mit den Grünen wenigstens dafür gesorgt, dass
beispielsweise Hedgefonds keine großen Möglichkeiten
in Deutschland bekommen. Wir wollten diese Heuschre-
cken nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie – die FDP vorneweg, die Union hinterher – haben
versucht, uns hier im Parlament zu zwingen, an dieser
Stelle mehr zu machen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach was! Ihr habt doch das alles erst zugelassen! – Jörg van Essen [FDP]: Wer hat die Hedgefonds denn zugelassen? Das waren doch Sie!)


Früher so und heute anders zu reden, das ist nicht glaub-
würdig, meine Damen und Herren;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben hier nämlich nicht den Vertrauensvorsprung,
den man braucht. Das zeigt sich leider auch, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, an Ihren Gesetzentwürfen. Ich will
an einigen Punkten deutlich machen, wo wir die Pro-
bleme des vorliegenden Gesetzentwurfes sehen.

Sie greifen beispielsweise das Thema auf, dass
90 Prozent der Orders, die getätigt werden, storniert
werden und so Scheinliquidität erzeugt wird. Sie wollen
dieses Problem mit der Festlegung eines sogenannten
Order-Transaktions-Verhältnisses angehen; das ist gut.
Aber Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf nicht – Sie wei-
gern sich, da heranzugehen –, wie dieses Verhältnis aus-
sehen soll; das ist schlecht. Sie überlassen diese Rege-
lung nicht dem Gesetzgeber, sondern wollen, dass das
hinterher über die Aufsicht und auch über die Börsen
selber reguliert wird.


(Joachim Poß [SPD]: Genau! Aber das macht die Regelung wieder weich!)


Da sage ich: Wenn die, deren Geschäft das ist, selber re-
gulieren, dann kann dabei nichts Ordentliches heraus-
kommen. Von daher sind Sie inkonsequent und lassen
den Honigtopf für einige wenige unberührt stehen.


(Beifall bei der SPD)


Es ist doch so: Es gibt den Irrglauben, ganz viele wür-
den von diesem Computerhandel profitieren. Ich will





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)

hier eindeutig sagen – das ist auch der Grund, warum wir
an dieser Stelle so energisch sind –:


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh ja! Das merkt man!)


In Wirklichkeit ist es so, dass nur ganz wenige Händler
einen wirklichen Vorteil haben. Es kommt darauf an, wie
gering der Abstand – Stichwort „kurzes Kabel“; so kon-
kret ist das – zum Börsenstandort ist. Ein kurzer Abstand
zum Börsenstandort führt dazu, dass man Wettbewerbs-
vorteile hat. In dieser Situation sind nur wenige. Gerade
an den Börsen, die eigentlich eine Wettbewerbsplattform
in Reinkultur mit wirklich entwickelter Konkurrenz
sind, befördern Sie dadurch Monopolisierungsentwick-
lungen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD)


Ich will Ihnen sagen – der Staatssekretär hat es ja an-
gesprochen –: Das am besten geeignete Instrument, um
solche Entwicklungen zu verhindern bzw. einzuschrän-
ken – und das müssen wir tun –, ist die Einführung einer
sogenannten Haltefrist und Mindestverweildauer. Wir
fordern nicht etwa eine Haltefrist von mehreren Wochen,
Tagen, Stunden oder Minuten, sondern der Vorschlag,
den wir Ihnen hier vorlegen, lautet, eine 500-Millisekun-
den-Haltefrist einzuführen. Da wird es dann spannend.
Das ist nämlich ein Vorschlag, den wir uns nicht allein
überlegt haben. Die Experten streiten zwar noch da-
rüber; aber das Europäische Parlament hat bereits vorge-
schlagen, diese Regelung auf europäischer Ebene zu
treffen.


(Joachim Poß [SPD]: Und wer bremst? Schäuble und Merkel! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer hat es denn vorgeschlagen?)


– Es war ein bayerischer Abgeordneter. Es gibt in Bay-
ern zwar viele Abgeordnete, Gott sei Dank auch von der
SPD, von den Grünen und von anderen, aber in diesem
Fall ist es ein CSU-Mann gewesen, meine Damen und
Herren. Aus Ihrem eigenen Stall kommt dieser Vor-
schlag. Aber Sie sind zu feige, ihn hier in Deutschland
umzusetzen. Ich halte das für einen großen und zentralen
Fehler dieses Gesetzentwurfs.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt wird immer das schöne Argument vorgebracht,
da dürfe man keinen Alleingang machen, weil das zu ge-
fährlich sei. In anderen Bereichen konnte man das zwar
machen; aber hier wolle man sich das nicht trauen. Da-
rüber könnte man ja noch diskutieren, und das muss man
würdigen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist auch so! Sie wissen das! Sie sagen nur hier nicht das, was Sie wissen!)


– Schön, dass Sie, Herr Kollege Wissing, so schlau da-
zwischenrufen.


(Beifall der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP])


Wenn die Bundesregierung und die Koalition aber sa-
gen: „Eigentlich ist das ein Vorschlag, dem wir uns nä-
hern müssen“, würde ich erwarten, dass Sie sich im Mi-
nisterrat auf europäischer Ebene auch dafür einsetzen,
dass diese Regelung getroffen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was ist nun die Wahrheit? Im Finanzausschuss ist ges-
tern durch unsere Nachfragen ans Tageslicht gekommen:


(Jörg van Essen [FDP]: Ui!)


Diese Bundesregierung gehört im Ministerrat auf euro-
päischer Ebene zu denen, die das nicht wollen und die
das blockieren, meine Damen und Herren.


(Beifall der Abg. Bettina Hagedorn [SPD] – Joachim Poß [SPD]: Genau! Brüderle und Wissing bremsen, diese Strolche!)


Sie versuchen, uns hier einzureden, das gehe nicht natio-
nal, und dort sorgen Sie dafür, dass es auch international
nicht passiert. Das ist unredlich. Das trägt an diesem
wichtigen und kritischen Punkt nicht zur Regulierung
bei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat ja Methode, wir kennen das ja.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja, Finanztransaktionsteuer!)


Wie lange hat es gedauert, Sie dafür zu gewinnen, das
wichtige Instrument der Finanztransaktionsteuer zu in-
stallieren?


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das musste ja kommen! Keine Rede ohne Finanztransaktionsteuer!)


– Richtig, Herr Kollege. Ich bin ja schon froh, dass die
CDU/CSU-Kollegen das Wort richtig aussprechen kön-
nen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie haben die Kassen schon voll davon!)


Auch hier war es ja so: Sie haben sich dafür eingesetzt,
auf der europäischen Ebene eine Finanzaktivitätsteuer
einzuführen, und haben das hier die ganze Zeit blockiert.
Deshalb mussten wir Sie hier dazu bringen, indem wir
gesagt haben: Fiskalpakt, europäische Rettung gibt es
nur, wenn die Branche und die Verantwortlichen heran-
gezogen werden. Erst da sind Sie umgestiegen, vorher
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da haben Sie es genauso gemacht wie hier beim Hoch-
frequenzhandel.

Sie sind nichts anderes als Hasenfüße in der Regulie-
rung auf europäischer Ebene. Und hier erzählen Sie uns,
Sie seien strikt und streng. Das ist doch ein ganz wichti-





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)

ger Punkt, Herr Kollege. Die Bundeskanzlerin sagt dort
in jeder Rede: jeder Akteur, jeder Markt, jedes Produkt.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau, wir machen das! Das haben Sie verpennt!)


– Sie sagen: „Genau, wir machen das“, aber Sie reden
nur darüber. – Wenn man Sie fragt, wie Sie es machen,
stellt sich heraus, dass auf jedem Markt bei jedem Pro-
dukt jeder Akteur weiter so machen kann wie bisher. Die
Bundeskanzlerin legt jedenfalls hier in Deutschland fal-
sches Zeugnis gegenüber dem ab, was sie umsetzt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


So kann es an dieser Stelle nicht weitergehen.

Ich will jetzt nicht auf weitere Punkte eingehen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Weil Sie keine haben!)


– Dann will ich Ihnen aber doch noch sagen: Da gab es,
führend aus dem Bundesland Hessen wegen der dortigen
Börse, die Klage darüber, dass diese Regulierung zu
streng sei. Dem wäre man seitens der Bundesregierung
fast gefolgt.


(Joachim Poß [SPD]: Wegen der FDP! Brüderle!)


Aber ich muss zugeben: Es gibt auch Länder mit sozial-
demokratischer Beteiligung, die Börsenstandorte haben
und die darüber nachgedacht haben.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ach!)


Wir haben uns Gott sei Dank gemeinsam dafür entschie-
den, bei der Regulierung nach Kreditwesengesetz zu
bleiben.

Beim Sekundenhandel machen Sie aber jetzt eine
kleine Tür auf, die hochgradig interessant ist. Bisher
sollte das Gesetz, damit es wirken kann, nach drei Mona-
ten in Kraft treten. Weil Sie sich aber in diesem Punkt
gegenüber Ihren Leuten nachgiebig zeigen wollten, ha-
ben Sie die Dauer bis zum Inkrafttreten von drei auf
sechs Monate und für Unternehmen, die aus dem Aus-
land kommen, sogar auf neun Monate verlängert. Ich
frage mich: Wie weit verwässern Sie das Gesetz noch?
Wann wollen Sie es in Kraft treten lassen? In dieser Le-
gislaturperiode sowieso nicht mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Also auch hier inkonsequentes Handeln.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist ganz schrecklich! Wie viel Parteispenden bekommen Sie dafür?)


Das ist wirklich keine Regulierung, wie wir sie brau-
chen.


(Joachim Poß [SPD]: Lobbyistenpolitik! Merkel!)


Wir schlagen Ihnen deshalb vor und sagen Ihnen sehr
deutlich: Seien Sie klug! Unterbrechen Sie die Beratung
heute! Nehmen Sie die Maßnahmen noch einmal auf!

Wir müssen weiter darüber reden; denn wir brauchen
eine richtige Regulierung, die dafür sorgt –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722500500

Herr Kollege!


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1722500600

– Ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, dass das

Hochfrequenzhandelsgesetz so ausgelegt wird, dass
auch dieser hochgefährliche Handel verlässlich der
Finanztransaktionsteuer unterworfen werden kann. Aber
auch da bin ich skeptisch, ob Sie es wirklich ernst mei-
nen.

Ich wünsche mir eine sachgerechte Regulierung in
Deutschland, damit die Steuerzahler dafür nicht länger
herangezogen werden. Dafür brauchen wir eine ordentli-
che Regierung in diesem Land.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722500700

Der Kollege Björn Sänger erhält nun das Wort für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Björn Sänger (FDP):
Rede ID: ID1722500800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Geschätzter Kollege Sieling, bei aller persönlichen
Wertschätzung,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Na, na, na!)


die ich für Sie hege,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein, nein!)


war das nicht nur nichts, sondern das war sehr dreister
Wahlkampfklamauk.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dann wollen wir einmal hören, was Sie argumentativ dagegen zu sagen haben!)


Wir sollten dieses Gesetz einmal in Ruhe betrachten
und vom Ende her denken, was wir eigentlich erreichen
wollen.


(Joachim Poß [SPD]: Von welchem Ende? Vom Regierungsende, oder was?)


Erreichen wollen wir doch, dass der Hochfrequenzhan-
del, gegenüber dem die Menschen in diesem Land zu
Recht Vorbehalte haben und vor dem sie Angst haben,
weil er sich auch problematisch entwickeln kann, einer
Regulierung unterzogen wird. Darüber wird zurzeit auf
europäischer Ebene diskutiert. Wir rechnen damit, dass
die europäischen Regelungen in etwa drei Jahren auch
hier in Deutschland anlanden und dann auch in Kraft ge-
setzt werden, sodass wir eine europaweit einheitliche





Björn Sänger


(A) (C)



(D)(B)

Regelung haben werden. Unser Vorschlag, mit dem wir
diesen Regelungen vorgreifen, orientiert sich, um hier
eben keine Regulierungsarbitrage zu schaffen, sehr eng
an den MiFID-Vorgaben.

Da stellt sich mir die Frage, geschätzter Kollege
Sieling, was die Sozialdemokraten eigentlich gegen die
vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
deutschen Börsen haben.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Die meisten Mitarbeiter sind doch Computer! Das wissen Sie doch auch!)


Eine Mindesthaltefrist einzuführen, würde zu nichts an-
derem führen, als dass ganz schnell eine Verlagerung
stattfände. So schnell, wie die Computer handeln, so
schnell kann man nämlich auch den Handelsplatz wech-
seln.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist dann die Konsequenz daraus?)


Ein Klick im Programm, und schon findet dieser Handel
nicht mehr in Deutschland, nicht mehr unter unserer Re-
gulierung statt.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und dann?)


Im Übrigen hatten wir die Probleme, die in anderen
Ländern aufgetaucht sind, in Deutschland bisher über-
haupt nicht. Das liegt daran, dass die Börsenbetreiber in
Deutschland verantwortungsvoll mit diesen Themen um-
gehen. Würde der Vorschlag der SPD zum jetzigen Zeit-
punkt umgesetzt, führte das dazu, dass wir uns solche
Probleme hereinholten; denn dann würden die deutschen
Akteure im Ausland handeln, und das Risiko fände über
die Bilanzen den Weg zurück nach Deutschland. Das ist
nicht der Weg, den man gehen sollte, und deswegen ge-
hen wir ihn auch nicht.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. KlausPeter Flosbach [CDU/CSU])


Wenn man sich die Zahlen einmal anschaut, sieht
man, dass durch unsere Regelungen etwa 25 Prozent des
Umsatzes an deutschen Börsen zur Disposition gestellt
würden. So groß ist in etwa der Bereich, der von dieser
Regulierung betroffen ist. Ich finde, 25 Prozent sind
nicht wenig. Das müssen wir uns an dieser Stelle be-
wusst machen. Das ist uns durchaus bewusst, und das ist
von uns im Übrigen auch so gewollt.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bringt sinn-
volle Regelungen, die es in noch keinem anderen Land
auf der Welt gibt. Die Regelungen, die Ihnen heute zur
Abstimmung vorliegen, sind weltweit einmalig: Zum
ersten Mal wird der Hochfrequenzhandel in dieser Art
und Weise reguliert. Zum ersten Mal weltweit werden
bestimmte Instrumentarien auch der Aufsicht und den
Börsenbetreibern zur Verfügung gestellt, um hier zu ei-
ner Entschleunigung zu kommen.

Dazu gehört die Order-to-Trade-Ratio, nämlich das
Verhältnis zwischen den Transaktionen, die in das
System eingestellt werden, und denen, die davon auch
ausgeführt werden. Wir haben die Zuständigkeit zur
Festlegung dieses Verhältnisses im Sinne des Subsidiari-

tätsprinzips bewusst unten, also an den Börsen, angesie-
delt, weil die Börsen am besten wissen, wie dieser Para-
meter am jeweiligen Handelstag aussehen sollte. Es ist ja
nicht jeder Tag gleich, und die Marktsituation ändert
sich. Es muss die Möglichkeit bestehen, darauf flexibel
zu reagieren. Deswegen ist diese Zuständigkeit an den
Börsen, wo wir sie ansiedeln wollen, richtig angesiedelt.

Darüber hinaus haben wir uns mit der Frage der Min-
destpreisänderungsgröße, der Minimum Tick Size, be-
schäftigt; dabei geht es um die Frage: Ab welcher Stelle
nach dem Komma darf eine Preisänderung Order auslö-
sen: ab der sechsten, der vierten, der dritten oder der
zweiten? Darüber werden wir – davon bin ich fest über-
zeugt – eine Entschleunigung des Handels erreichen,
weil es sich eben nicht mehr lohnt, so schnell zu han-
deln, wenn eine wesentlich höhere Mindestpreisände-
rungsgröße gilt.

Ferner haben wir Übergangsregelungen vorgesehen.
Ich sagte bereits: MiFID wird in etwa in drei Jahren
kommen. Nun ist es so, dass die meisten Betroffenen aus
dem Ausland kommen – aus EU-Ländern und aus Dritt-
staaten –, und mittelbar handeln, gewissermaßen über ei-
nen deutschen Dienstleister an die Börsen herantreten.
Diese sind von entsprechender Regulierung – wir sind
hierbei ja die Ersten – bisher überhaupt nicht betroffen,
sie müssen erst einmal mitbekommen: Da ändert sich et-
was für mich, ich muss mich einer Regulierung unterzie-
hen. – Insofern begrüßen wir, dass die BaFin diese Han-
delsteilnehmer aktiv ansprechen will. Für den ein oder
anderen gibt es unter Umständen die Möglichkeit, sich
bei der BaFin freistellen zu lassen, weil in seinem Land
insbesondere hinsichtlich der Solvenzfragen – das muss
ja geprüft werden – eine ähnliche Regulierung existiert.

Wer einmal mit Behörden zu tun hatte, weiß: Neun
Monate sind ein durchaus angemessener Zeithorizont,
um zu klären: „Bin ich freigestellt?“, und, wenn nein,
um eine Niederlassung in Deutschland einzurichten, an-
zumelden, eintragen zu lassen usw. usf., wenn weiter
Handel in Deutschland getrieben werden soll.

Wir schaffen damit im Übrigen einen weiteren Vorteil
für den Finanzstandort; denn wenn MiFID kommt, ist je-
mand, der sich bereits in Deutschland hat registrieren
lassen, über den EU-Pass automatisch in ganz Europa re-
gistriert. Das heißt, mit dieser Form der sehr guten Regu-
lierung verschaffen wir uns einen Wettbewerbsvorteil in
Europa.

In diesem Sinne kann ich nur sagen: Wir haben einen
ausgewogenen Ordnungsrahmen geschaffen, dem man
zustimmen kann, wenn man nicht, wie Sie, ein Prinzip
vertritt, das mich ein bisschen an den Wanderer in der
Wüste erinnert, der Durst hat, die Oase erreicht und das
Glas Wasser ablehnt, weil keine Zitrone darin ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Witz habe ich nicht verstanden!)


Das ist kein verantwortungsvolles Handeln für dieses
Land. Sie sollten das überdenken und diesem Gesetzent-
wurf zustimmen.

Herzlichen Dank.





Björn Sänger


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722500900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Richard Pitterle für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722501000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Unter Hochfrequenzhandel, über den
wir heute reden, versteht man den automatisierten An-
und Verkauf von Aktien und anderen Wertpapieren
durch Computerprogramme.

Nicht etwa die sozialistische Tageszeitung Neues
Deutschland, sondern das kapitalistische Handelsblatt


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


hat am 16. Januar 2013 alles Erforderliche zu Ihrem
Gesetzentwurf in einem Satz zusammengefasst – ich zi-
tiere –:

Das Gesetz ist gut gemeint – nur ändern wird sich
dadurch kaum etwas.


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das dürfen Sie doch gar nicht lesen!)


In allen Lebensbereichen nutzen wir zunehmend die
digitale Technik, um Arbeitsprozesse zu automatisieren.
Auch im Börsenbereich ist diese Entwicklung nicht auf-
zuhalten. Nachdem die Bestellungen und Angebote per
PC etabliert waren, folgte schließlich der Hochfrequenz-
handel.

Viele Menschen fragen sich zu Recht: Brauchen wir,
braucht die Volkswirtschaft, braucht die Gesellschaft den
Hochfrequenzhandel? Sollten wir ihn nicht gar verbie-
ten, wie das etwa der ehemalige Börsenhändler Dirk
Müller, bekannt als „Mister Dax“, als Sachverständiger
bei der Anhörung zum Gesetzentwurf gefordert hat?
Stiftet der Hochfrequenzhandel mehr volkswirtschaftli-
chen Nutzen oder mehr Schaden?

Wir meinen, dass der Schaden überwiegt. Daher
braucht man eine Regulierung und muss zumindest dafür
sorgen, dass der Hochfrequenzhandel ausgebremst und
zurückgedrängt wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gerd Bollmann [SPD])


Das leistet der vorliegende Gesetzentwurf aus unserer
Sicht nicht.

Hochfrequenzhändler sind Börsenhändler, die in Milli-
sekunden Wertpapiere kaufen oder verkaufen oder, viel
wichtiger, zum Kauf oder Verkauf anbieten, also in einer
so kurzen Zeit, dass nicht nur Menschen, sondern auch
die allermeisten Computer nicht mehr mitkommen – und
auch nicht mitkommen sollen, damit die Gewinne der
Hochfrequenzhändler nicht geschmälert werden. Ich
frage Sie: Wo liegt der Nutzen für die Gesellschaft?

Schädlich ist der Hochfrequenzhandel zunächst we-
gen der Gefahren, die sich aus der Verselbstständigung

der Transaktionen und Loslösung von menschlichen
Entscheidungen durch die eingesetzte Software ergeben.
Jeder, der mit einem PC umgeht, weiß aus Erfahrung,
dass sich auch die leistungsfähigsten Rechner nicht im-
mer entsprechend der Erwartung verhalten. Fehler zu
machen, ist nicht nur menschlich; Fehler zu machen, ist
auch „computerisch“.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Schädlich ist der Hochfrequenzhandel auch deswe-
gen, weil der Börsenhandel durch ihn seinen Charakter
ändert und eine Abkopplung von der Realwirtschaft
stattfindet. Egal was man vom Börsenhandel an sich hal-
ten mag: Irgendwie ging es immer darum, die Unterneh-
men, die eine Geschäftsidee hatten, mit Menschen zu-
sammenzubringen, die nach Abwägung ihrer Chancen
Geld in diese investieren wollten.

Die Software der Hochleistungsrechner entscheidet
nicht aufgrund einer Bewertung eines Unternehmens
oder seiner Entwicklung, sondern reagiert auf Signale,
zum Beispiel Kursdifferenzen, die sie zum Wohle der
Turbohändler in Gewinne zu verwandeln sucht. Was al-
lein zählt, ist die Geschwindigkeit und sind die Millio-
nen, die da zu verdienen sind. Ich frage Sie: Wo liegt der
Nutzen für die Wirtschaft?

Das Ausnutzen minimaler Preisunterschiede an den
unterschiedlichen Handelsplätzen funktioniert nur mit
superschnellen Rechnern, die möglichst nahe an den
Computern der Börse stehen, um durch kurze Leitungen
möglichst wenig Zeit zu verlieren. Diese hohen Kosten
können sich nur wenige Börsenhändler, nämlich die Tur-
bohändler, leisten. Ich frage Sie: Wo bleiben die gleichen
Chancen für alle Marktteilnehmer?

Die Linke ist sich hingegen mit dem Europäischen
Parlament darüber einig, eine Mindesthaltedauer einzu-
führen. Damit meine ich, dass ein Hochfrequenzhändler
für eine bestimmte Zeit an sein Angebot gebunden sein
soll.

Es darf nicht sein, dass von Börsenhändlern Angebote
unterbreitet werden, die die Kurse beeinflussen und
Marktreaktionen auslösen, diese Angebote aber sofort
wieder storniert werden, noch bevor ein Kunde über-
haupt eine realistische Chance hat, das Angebot anzu-
nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Europäische Parlament hat sich mit Stimmen der
deutschen CDU-Abgeordneten für eine halbe Sekunde
Mindesthaltefrist ausgesprochen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Hört! Hört!)


Demgegenüber haben sich die Bundesregierung und
Schwarz-Gelb hier im Bundestag mit der Ablehnung ei-
ner Mindesthaltedauer auf die Seite der Kommissare in
Brüssel gestellt.

Für uns bleibt neben der Finanztransaktionsteuer die
Mindesthaltedauer der entscheidende Punkt, um den
Wertpapierhandel zu entschleunigen. Dieses Ziel for-
derte Bundesminister Schäuble noch bei der Verabschie-
dung des Gesetzentwurfs im Kabinett. Was ist passiert,





Richard Pitterle


(A) (C)



(D)(B)

dass das heute nicht mehr gilt? – Richtig. Da gab es die
Kritik der Märkte, von der Kollege Brinkhaus in seiner
letzten Rede sprach. Die sind immer gegen alles, was ih-
ren Profit schmälert. Also knickte die Koalition ein. Wie
erbärmlich!

Für uns gilt weiterhin: Wir wollen entschleunigen.
Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722501100

Gerhard Schick ist der nächste Redner für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722501200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

ist ja wieder einmal ein komplexes Thema, mit dem wir
uns beschäftigen. Es geht um viele englische Fachbe-
griffe. Man kann aber sagen: Es geht in dieser Debatte
im Kern um zwei verschiedene Fragen. Die eine Frage
ist: Gibt es bei dem extrem schnellen Handel von Wert-
papieren Risiken und Gefahren, die man mit Regulie-
rung eindämmen sollte? Bei dieser Frage herrscht Kon-
sens hier im Haus.

Dann gibt es die zweite Frage: Ist der Hochfrequenz-
handel, also dieser Turbohandel, insgesamt nützlich, und
sollten wir versuchen, ihn in Deutschland zu halten? Bei
dieser Frage gibt es Dissens.

Diese verschiedenen Ebenen sollte man nicht vermi-
schen. Denn bei der einen Frage, bei der es Einigkeit
gibt, müssen wir sagen: Ja, das Gesetz zur Vermeidung
von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhan-
del wird seinem Titel ein Stück weit gerecht; es werden
einzelne Missbrauchsmöglichkeiten korrigiert. Es ist
richtig, dass es in Zukunft – von den Börsen festgelegt –
eine Gebühr bei exzessiver Nutzung gibt. Es ist richtig,
dass ein angemessenes Verhältnis von Kauf- und Ver-
kaufsaufträgen vorliegen muss und dass für den Fall
kurzfristiger Extrembewegungen Notmaßnahmen einge-
führt werden. An dieser Stelle herrscht Konsens.

Es gibt allerdings auch bei dieser Frage zwei Punkte,
bei denen Sie eindeutig zu kurz greifen. Der erste Punkt
ist: Es bleibt bei immensen Interessenkonflikten. Sie be-
auftragen die Börsen selbst, die entscheidenden Regeln
festzulegen; aber die Börsen haben ja ein ökonomisches
Interesse daran, möglichst viel Umsatz zu machen. Des-
wegen kreieren Sie mit diesem Gesetz einen massiven
Interessenkonflikt. Hier die zentrale Regulierungsauf-
gabe bei den Börsen zu verankern, ist so ähnlich, als
würden Sie den Tabaksteuersatz von der Tabakindustrie
festlegen lassen. Das würde man doch auch nicht tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau falsch!)


Sie haben hier zwar an einer kleinen Stelle – das möchte
ich zugestehen – noch eine Korrektur mit einem Ände-
rungsantrag vorgenommen, aber das ändert an dem Kern
des Arguments nichts.

Der zweite Fehler ist, dass Ihre Transparenz- und Auf-
sichtsanforderungen bezüglich der Algorithmen, also der
konkreten Computermodelle, mit denen gehandelt wird,
zu harmlos sind. Anders kann man das einfach nicht be-
zeichnen. Denn Sie fordern letztlich, dass die Händler
selbst ihre Algorithmen testen und ihre eigenen Algo-
rithmen im Notfall auch stoppen können. Das sind doch
Selbstverständlichkeiten.

Entscheidend ist – und da geht das Europäische Parla-
ment sehr viel weiter –: Die Algorithmen müssen von
den Handelsplattformen getestet werden, bevor sie
scharfgeschaltet werden. Die Algorithmen müssen von
den Händlern auf Eigeninitiative an die Aufsicht über-
mittelt werden. Das Einhalten von voreingestellten Han-
dels- und Kreditschwellen muss sichergestellt sein.

Warum greifen die Bundesregierung und die Koali-
tion hier kürzer als das Europäische Parlament? Wir hal-
ten das für falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Ich komme zur zweiten Frage, die in der Debatte ge-
rade angeklungen ist: Ist es denn insgesamt sinnvoll,
Hochfrequenzhandel zu haben? Wir haben auf eine An-
frage von der Bundesregierung im Juni 2011 noch die
Antwort bekommen, dieser Handel habe positive Effizienz-
effekte für die Märkte und beispielsweise niedrige
Transaktionskosten zur Folge. Auf eine zweite Anfrage
wurde schon etwas ausweichender geantwortet. Wir se-
hen aber an diesem Gesetzentwurf, dass Sie den Hoch-
frequenzhandel insgesamt für sinnvoll erachten. Herr
Kollege Sänger hat gerade sehr schön argumentiert: Wir
wollen den Hochfrequenzhandel halten, und deswegen
wollen wir keine Regelung, die die Geschwindigkeit
herausnimmt; denn dann könnte dieser Handel aus
Deutschland weggehen.

Nun muss man aber wissen: Der Hochfrequenzhandel
schadet mehr, als er nutzt. Das ist ziemlich eindeutig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das liegt an Folgendem: Erstens wird Liquidität nur für
wenige zentrale Wertpapiere, zum Beispiel für Aktien
von Großunternehmen, geschaffen. Das mittelständische
Unternehmen, das an der Börse in Stuttgart notiert ist,
hat von dem ganzen Hochfrequenzhandel gar nichts.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch kein Problem!)


Zweitens handelt es sich um Pseudoliquidität. Da
wird sozusagen so getan, als würde man im Zweifelsfall
Geld bereitstellen. Aber dann, wenn man es wirklich
braucht, ist es weg. Wirkliche Liquidität wird von soge-
nannten Market Makers geschaffen und nicht von den
Hochfrequenzhändlern.

Das dritte Argument gegen den Hochfrequenzhandel
ist, dass er die Kosten anderer Marktteilnehmer erhöht.
Das haben wir in der Ausschussanhörung sehr gut he-





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

rausarbeiten können. Das ist auch in den Stellungnah-
men der Sachverständigen nachzulesen. Deswegen sind
wir Grüne überzeugt: Es ist sinnvoll, den Hochfrequenz-
handel auszubremsen, das Tempo zu reduzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht um die zentrale Frage: Was bedeutet das nun
für die Regulierungsmaßnahmen in Deutschland? Sollte
man das unilateral machen oder nicht? Sie sagen: Wir
sollten auf nationaler Ebene keine Bremse einführen,
weil sonst der Hochfrequenzhandel aus Deutschland
weggehen könnte. – Daran sieht man, dass Sie im Kern
der Meinung sind: Der Hochfrequenzhandel ist eine gute
Sache. Wir sagen: Man kann es auch auf nationaler
Ebene einführen; denn es schadet dem Börsenstandort
Deutschland, wenn einige zulasten der großen Anzahl
der Marktteilnehmer Profit machen und insgesamt die
Kosten der meisten langfristig orientierten Investoren
steigen. Deswegen sind wir für eine nationale Regulie-
rung, eine nationale Reduzierung der Geschwindigkeit
auf dem Börsenmarkt. Das wollen Sie nicht. Das ist der
entscheidende Unterschied. Hier springen Sie zu kurz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Schwarz-Gelb nutzt nie seine Möglichkeiten!)


Kollege Sieling hat schon deutlich Ihre Argumenta-
tion, in der Sie auf Europa verweisen, zurückgewiesen.
Was nicht geht, ist, hier zu sagen: „National geht nicht,
wir wollen eine europäische Lösung“, und dann im Euro-
päischen Rat auf der Bremse zu stehen. Wir lassen Ihnen
das nicht durchgehen. Da veräppeln Sie die Menschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ja, man kann auch für andere Modelle sein. Statt für
eine Mindesthaltefrist könnte man auch für ein Auk-
tionsmodell sein; darüber haben wir gestern im Aus-
schuss diskutiert. Aber Sie von der Bundesregierung
wollen keine der Bremsmöglichkeiten auf europäischer
Ebene vorantreiben, sondern Sie sind einfach nur gegen
den Vorschlag des Europäischen Parlaments. Das hat lei-
der Tradition. Das stellen wir nicht nur bei diesem Ge-
setzentwurf fest. Immer wieder ist derselbe Vorgang zu
beobachten: Sie tun hier so, als seien Sie die strikten Fi-
nanzmarktregulierer,


(Joachim Poß [SPD]: Genau!)


als seien Sie der Motor bei den Regulierungsbemühun-
gen auf europäischer und internationaler Ebene,


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau das ist richtig!)


während die Fakten leider gegen Sie sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]: Das ist völlig falsch!)


Damit Ihr Puls nicht wieder sofort nach oben geht,
nenne ich nicht die Finanztransaktionsteuer als Beispiel.
Es gibt schließlich genug andere Beispiele. Nehmen wir
als Beispiel eine verbindliche Schuldenbremse für Ban-
ken. Bei den Verhandlungen in Basel und in Brüssel zur
Bankenregulierung hat sich diese Bundesregierung ge-
gen eine Schuldenbremse für Banken ausgesprochen.
Sie war für eine unverbindliche Orientierungsgröße und
nicht für harte Regeln, sodass das Eigenkapital bei den
Banken nicht deutlich angehoben werden muss. Das
liegt in der Verantwortung dieser Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als es um die Einführung der drei europäischen Auf-
sichtsbehörden ging: Wer hat denn im Rat das Parlament
aktiv unterstützt, um einen wirklichen Durchgriff auf die
Banken zu haben? Das war nicht diese Bundesregierung.
Erst jetzt sind Sie plötzlich für eine europäische Banken-
aufsicht mit Durchgriffsrechten


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Für große Banken! Sie wollten Zugriff auf die Sparkassen haben! Das ist der Unterschied!)


und korrigieren damit den Fehler, den Sie zu Beginn der
Legislaturperiode selber gemacht haben. Geben Sie es
zu: Sie standen bei dieser Debatte auf der falschen Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben das in den letzten Stunden bei zwei The-
men bei den Verhandlungen zur Bankenregulierung im
Trilog, nämlich zwischen Kommission, Parlament und
Rat, erlebt. Es ging erstens darum, ob Bonuszahlungen
für Manager im Bankensektor effektiv begrenzt werden
oder nicht. Die Bundesregierung ist gemeinsam mit der
britischen Regierung für höhere Bonuszahlungen einge-
treten, während sich das Europäische Parlament für
geringere Bonuszahlungen ausgesprochen hat. Schon
wieder stand diese Bundesregierung gegen die Finanz-
marktregulierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


So ist es auch bei einem zweiten Thema, das uns Grü-
nen sehr wichtig ist: Große Banken können durch Steu-
ergestaltung ihre Steuerlast massiv nach unten drücken
und damit niedriger halten als die Steuerbelastung vieler
realwirtschaftlicher Unternehmen. Sie zahlen übrigens
im Verhältnis zu ihrem Ertrag wesentlich weniger Steu-
ern als Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Wir Grünen wollen, gemeinsam mit vielen Akteuren
der Zivilgesellschaft, dass das offengelegt wird. Wir ha-
ben an dieser Stelle die Unterstützung der Mehrheit des
Europäischen Parlaments. Uns geht es darum – Stich-
wort: Country-by-Country Reporting –, dass die Banken
offenlegen, welchen Teil ihres Gewinns sie wo versteu-
ern, damit man endlich diesen Steuergestaltungen auf
den Grund gehen und etwas dagegen unternehmen kann.





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

Diese Bundesregierung hat diesen Vorschlag im Rat
blockiert


(Joachim Poß [SPD]: Hört! Hört!)


und stand bei der Frage der Finanzmarktregulierung wie-
der auf der falschen Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deshalb brauchen wir endlich eine andere Regierung,
die ein wirklicher Motor für Finanzmarktregulierung ist.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722501300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Klaus-Peter Flosbach das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1722501400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

diesem Gesetz wird erstmals


(Joachim Poß [SPD]: Widerlegen Sie die Feststellung des Kollegen Schick, dass Sie eine Lobbyistenregierung haben!)


der sogenannte Hochfrequenzhandel geregelt. Er wird
nicht nur in Deutschland, sondern er wird überhaupt zum
ersten Mal geregelt, nicht nur europaweit, sondern welt-
weit. Diese Koalition in Deutschland stellt den ersten
Antrag auf Regulierung des Hochgeschwindigkeitshan-
dels. Aber während wir weltweit die Ersten sind, die die-
ses Thema überhaupt anpacken, kritisieren Sie uns in
dieser Frage als kleinkrämerisch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben Risiken im Finanzmarkt gesehen. Wir neh-
men dieses Thema ernst. Wir haben unseren Bürgern
versprochen, dass wir in den ersten vier Jahren unserer
Koalition alle Produkte, alle Märkte und das Handeln
sämtlicher Finanzakteure regulieren werden. Nichts da-
von wird nach diesen vier Jahren mehr unreguliert sein.
Das haben wir den Bürgern versprochen, und das wer-
den wir auch einhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie blockieren!)


Der Hochgeschwindigkeitshandel ist bisher über-
haupt nicht reguliert. Jetzt könnten wir uns natürlich zu-
rückziehen – wie es manche aus der Opposition schon
vorgeschlagen haben – und erst einmal abwarten, was in
Europa passiert. Denn bis Ende des Jahres wird es eine
europäische Regelung geben. Anschließend haben wir
zwei Jahre lang Zeit, diese umzusetzen. Das heißt, wir
würden die Regulierung um mindestens drei Jahre ver-
schieben. Das wollen wir aber nicht. Wir haben Miss-
bräuche und Gefahren erkannt, und wir werden die Re-
gulierung mit dieser Koalition hier und heute umsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was ist eigentlich der Hochgeschwindigkeitshandel?
Wir alle kennen noch die alten Bilder von den Börsenpar-
ketts, wo Hunderte von Personen handeln und schreien.
Das ist heute nicht mehr so. Wie im sonstigen Leben
auch läuft das heute vielfach über Computer.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Darum sind es auch keine Arbeitsplätze, Herr Kollege Sänger!)


Wir erkennen, dass viele mathematische Programme
genutzt werden – wir nennen sie Algorithmen –, mit de-
nen in Bruchteilen von Sekunden Wertpapiere gekauft
und verkauft werden. Der Handel in diesem Bereich
läuft also in Millisekunden ab. Dieser Bereich macht in
Deutschland etwa 40 Prozent und in den USA rund
70 Prozent des Wertpapierhandels aus.

Warum wollen wir das regulieren? Seit der Finanz-
krise, seit dem Jahr 2007, haben wir festgestellt, dass die
größten Probleme darauf beruhen, dass viele Bereiche
der Märkte intransparent, undurchsichtig, sind. Das ha-
ben wir damals bei der Krise der Industriekreditbank und
der Westdeutschen Landesbank gesehen. Es wurden Pa-
piere gehandelt, aber keiner wusste mehr genau, was
überhaupt gehandelt wird.

Viele haben die Risiken, die dahinterstehen, über-
haupt nicht richtig eingeschätzt. Es gab auch keine Ein-
griffsmöglichkeiten seitens der Aufsichtsbehörden. Weil
im Hochgeschwindigkeitshandel 25 Prozent der Akteure
überhaupt nicht registriert sind – das heißt, es sind weder
Banken noch Finanzinstitute; sie sind überhaupt nicht re-
gistriert –, haben wir gesagt: Wir gehen dieses Thema
jetzt an; wir warten da nicht. Wir haben erlebt, was in
den letzten Jahren passiert ist, und wir sind es unseren
Bürgern schuldig, dass wir dieses Thema in den vier Jah-
ren dieser Legislaturperiode abräumen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wissen, dass die Geschäfte sehr komplex sind,
dass es teilweise Überlastungen der Handelssysteme
gibt. Eine Reihe von Manipulationen sind identifiziert
worden. Den meisten ist der sogenannte Flash Crash aus
dem Frühjahr 2010 bekannt, als der Dow-Jones-Index,
also die amerikanische Börse, innerhalb von 20 Minuten
um 9 Prozent abstürzte. Dann erholte sie sich schnell
wieder.

Aber was passierte in diesen 20 Minuten? Hier ging
es um einen Verlust in dreistelliger Milliardenhöhe. Wir
wollen so etwas in Deutschland nicht erleben. Wir kön-
nen vielleicht sagen: Schon heute sind die Systeme so
geregelt, dass es nicht passiert. Aber unsere Verpflich-
tung ist es, dafür zu sorgen, dass nicht nur all diejenigen,
die an der Börse handeln, sondern auch die Bürger, die
über Investmentsparen, die über fondsgebundene Le-
bensversicherungen vorsorgen, die überhaupt einen Teil
ihrer Altersvorsorge über Pensionsfonds betreiben, nicht
von einem Schaden erfasst werden, der möglicherweise
an der Börse entsteht. Wir regulieren das Ganze so, dass
das unseren Bürgern nicht passieren kann. Wir sind die
Ersten in der gesamten Welt, die das machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)

Nun gut, die Opposition kritisiert, dass wir es machen
und wie wir es machen.


(Joachim Poß [SPD]: Dass, nicht! Wie!)


Man kann sagen: Das ist ja okay. – Auch der Kollege
Sänger hat es angesprochen: Sie, Rot-Grün, waren ja
einmal sieben Jahre lang an der Regierung. Das gilt
heute als die Zeit der sogenannten Deregulierung. Wie
wir alle wissen, spricht mittlerweile die ganze Welt von
der Zeit der Deregulierung.


(Joachim Poß [SPD]: Da waren Sie gegen jegliche Regulierung! Das können Sie im Protokoll des Deutschen Bundestages nachlesen! So viel Verlogenheit!)


Sie haben immerhin elf Jahre lang, Herr Poß, den
Finanzminister gestellt. Sie können uns nicht erzählen,
dass erst seit dem Jahre 2013 Computer existieren. Auch
früher gab es schon einen Hochgeschwindigkeitshandel;
aber er ist nie angepackt worden. Wir packen ihn in die-
ser Koalition an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie haben die Spekulanten doch erst gelockt!)


– Ich verstehe Ihre Haltung ja auch: Sie können einfach
nicht verknausern, dass wir in dieser Koalition in diesen
drei Jahren schon fast 20 große Maßnahmen angepackt
haben. Dazu gehört die gesamte Eigenkapitalerhöhung
bei den Banken, Stichwort „Liquidität“. Wir haben das
sogenannte Restrukturierungsgesetz umgesetzt. Das
heißt, wir sind heute in der Lage, Banken zu sanieren,
aber auch abzuwickeln. Wir haben damals noch gemein-
sam mit Ihnen die Vergütungssysteme verändert, indem
wir sie auf eine langfristig stabile Basis gestellt haben.


(Joachim Poß [SPD]: Jeder Schritt musste Ihnen abgerungen werden!)


Ich halte es ebenfalls für richtig, dass auf der europäi-
schen Ebene ein weiterer Schritt gegangen worden ist.

Wir reden jetzt über das AIFM-Umsetzungsgesetz,
also über die Regulierung von Hedgefonds, Private
Equity, Investmentfonds. Wir regulieren aber auch die
geschlossenen Fonds. Wir haben die Ratingagenturen in
zwei verschiedenen Stufen reguliert. Wir haben die Pro-
dukte reguliert. Wir haben die Verbriefungen verändert.
Wir waren die Ersten, die spekulative Geschäfte, die so-
genannten Leerverkäufe, verboten haben. Wir haben den
Zahlungsverkehr in Europa reformiert. Wir haben den
Verbraucherschutz gestärkt. Wir haben das Vermögens-
anlagegesetz umgesetzt. Wir haben die Tätigkeit der
Vermittler reguliert. Wir sind jetzt dabei, die Neurege-
lung der Honorarberatungen umzusetzen. Wir haben in
der Tat die Aufsichtssysteme verändert. Wir werden eine
Aufsicht über die systemrelevanten Banken durch die
Europäische Zentralbank haben, Herr Schick. Nach Ih-
rem Gutdünken sollte allein die EBA durchgreifen, und
das nicht nur bei den systemrelevanten Banken, sondern
auch vor Ort, bei den Volksbanken und den Sparkassen.
Das wollten wir nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen eine proportionale Aufsicht: Die Großen sol-
len von den Großen kontrolliert werden, und die Kleinen
sollen vor Ort kontrolliert werden.

Meine Damen und Herren, das Thema Hochge-
schwindigkeitshandel bewegt uns; deswegen packen wir
es jetzt an.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722501500

Herr Kollege Flosbach, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Krischer zu?


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1722501600

Ja, gern. Bitte sehr.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722501700

Herr Kollege Flosbach, Sie berichten über all das,

was Sie machen, was Sie hätten tun wollen und was alles
hätte sollen sein.


(Jörg van Essen [FDP]: Gemacht haben!)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1722501800

Nur über das, was wir machen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722501900

Es geht ja hier um den Hochfrequenzhandel. Ich

möchte Ihnen eine ganz einfache Frage stellen: Sind Sie
dafür, dass in Deutschland Hochfrequenzhandel stattfin-
det, ja oder nein?


(Zuruf von der FDP: Hast du nicht zugehört?)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1722502000

Sie haben sehr treffend gesagt, lieber Kollege: „was

Sie hätten tun … sollen“. Das haben Sie gerade von den
Parteien Ihres Lagers gehört: was man hätte machen
können.

Ich bin dafür, dass wir in Deutschland einen Hochge-
schwindigkeitshandel haben, der so kontrolliert wird,
wie wir es jetzt geregelt haben. Ich will Ihnen, lieber
Kollege, kurz darlegen, wie wir ihn kontrollieren wollen.
Verbote auszusprechen, ist einfach. Wenn Sie wollen,
dass ganze Geschäftsbereiche der Finanzmärkte aus
Deutschland verschwinden, können Sie selbstverständ-
lich Verbote aussprechen. Verbote sind das Einfachste.
Wir suchen natürlich auch den Knopf, um das Problem
zu lösen. Das Thema ist aber – Herr Schick, Sie haben es
angesprochen – viel komplizierter, als man denkt. Wir
nehmen die Risiken, die es gibt, die Missbräuche, die
stattgefunden haben, aus dem System heraus, um auch
für den Hochgeschwindigkeitshandel eine stabile Basis
zu schaffen; denn wir können nicht die Computer verbie-
ten, wie die Grünen es auf ihren Parteitagen in den 80er-
Jahren versucht haben. In diesen Jahren war das Thema
Computerverbot ein wichtiges Thema. Das wollen wir
nicht. Das werden wir auch nicht tun, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wie kann also reguliert werden? Dazu noch einige
Anmerkungen. Wir wollen, dass diejenigen, die nicht re-





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)

guliert sind, einer Erlaubnispflicht unterliegen, und zwar
wie Banken, wie Finanzinstitute, unter dem Kreditwe-
sengesetz. Damit haben wir eine Aufsicht durch die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowohl
in der Kontrolle als auch in der Solvenz. Wir wollen,
dass die Algorithmen gekennzeichnet werden. Wir wol-
len auch bestimmte Verbote aussprechen; denn es ist
identifiziert worden, dass es auch Manipulationen am
Markt gibt. Gewisse Geschäfte müssen verboten werden.
Andere gewisse Geschäfte müssen von vornherein be-
grenzt werden. Das Verhältnis von eingestellten Orders
zu ausgeführten Orders muss entsprechend geregelt wer-
den.

Außerdem haben wir eine Regelung eingeführt, die in
diesem Bereich sehr wichtig ist: Für die Fälle, in denen
wir etwas nicht wollen oder etwas reduzieren oder ver-
langsamen wollen, haben wir vorgesehen, dass Gebüh-
ren gezahlt werden müssen. Das ist unser Ansatz: Für
die übermäßige Nutzung des Systems müssen Gebühren
gezahlt werden. Das werden wir in den nächsten Jahren
erleben. Sie haben so gesprochen, als wenn wir die
Finanztransaktionsteuer schon hätten. Wir haben sie
noch gar nicht. Wir diskutieren gerade auf europäischer
Ebene, wie wir dahin kommen können.


(Joachim Poß [SPD]: Ja, weil Sie zwei Jahre nicht zu Potte kamen!)


– Sie diskutieren seit Jahren darüber. Wir handeln sofort,
vor den anderen. Wir warten nicht drei Jahre, so wie Sie.
Wir machen es sofort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben von Mindesthaltefristen gesprochen. Wir
haben uns sehr intensiv überlegt, ob wir diesen Mindest-
haltefristen zustimmen können. Ein Kollege von der
CSU hat sich in einem Kompromissgespräch in der Tat
dazu bereit erklärt, hier mitzugehen. Aber alles, was ich
bisher gehört habe, auch in der Anhörung der Fachleute,
bestärkt mich in der Meinung, dass es nicht richtig sein
kann, wenn wir durch die Umsetzung dieses Gesetzes
die deutschen Akteure benachteiligen, indem wir nur in
Deutschland eine Haltefrist einführen und alle anderen,
die nicht reguliert sind, das ausnutzen können. Das kön-
nen wir dem deutschen Finanzmarkt doch nicht zumu-
ten.


(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie wollen doch so forsch sein! Eben waren Sie noch ganz forsch!)


– Nein, das ist einfach falsch. Sie strafen damit den in
Deutschland regulierten Finanzmarkt und bevorteilen
die Unregulierten. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie sind ja der lebende Widerspruch in Ihren Äußerungen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine der wich-
tigsten Maßnahmen unserer 20 Gesetzespakete,


(Joachim Poß [SPD]: Nennen Sie uns die doch einmal!)


den Finanzmarkt in diesen vier Jahren zu regulieren. Wir
haben auf allen Ebenen zugegriffen: bei den Produkten,
bei den Märkten, bei den Verbrauchern. Wir haben die
Verbraucher gestärkt. Die Aufsicht ist auch in Deutsch-
land neu aufgestellt. Dies ist ein mutiger Schritt nach
vorne. Es ist ein weiterer Baustein für einen starken und
stabilen Finanzmarkt. Wir sind in Deutschland auf dem
richtigen Weg; denn wir wollen für unsere Bürger Stabi-
lität in diesem Lande haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722502100

Manfred Zöllmer ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1722502200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

der Tat: Börsen sind auch nicht mehr das, was sie einmal
waren. Ich erinnere mich noch gut, dass ich mit meinem
Leistungskurs Volkswirtschaft früher immer nach Düs-
seldorf zur Börse gefahren bin, wo die Schülerinnen und
Schüler einen Einblick in das Börsengeschehen nehmen
konnten. Sie konnten dort das Treiben auf dem Parkett
beobachten: die Händler, die hin- und herliefen, die mit
Zetteln wedelten, die ihre Hände in die Höhe reckten
und Unverständliches geschrien haben.


(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Die gute alte Zeit!)


Wenn ich heute zur Börse gehe, dann stelle ich fest:
Es ist alles anders. Heute handeln dort Computer. Die
Menschen sitzen vor den Bildschirmen. Der Parketthan-
del ist längst Geschichte. Heute bestimmen Algorith-
men, was gemacht wird. Hochgeschwindigkeitszocker
bestimmen das Marktgeschehen. Sie geben aberwitzige
Summen aus, um ein paar Nanosekunden Vorteil zu ha-
ben.

Der Börsenfachmann Dirk Müller ist heute hier schon
einmal zitiert worden und kommt wieder zu Ehren, weil
er etwas Kluges gesagt hat. Er hat nämlich gesagt:

Hochfrequenzhandel hat keinen volkswirtschaftli-
chen Nutzen, er richtet nur Schaden an. Wenn man
es zu Ende denkt, dann müsste man ihn komplett
verbieten.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört!)


Diese Position ist verständlich; denn die Pannen häu-
fen sich. Herr Flosbach hat eben in seiner Rede darauf
hingewiesen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zu
Zwischenfällen an den Börsen in den USA haben das
mehr als deutlich gemacht. Dies wäre eine gute Gelegen-
heit für die Bundesregierung, endlich einmal richtig zu
regulieren, endlich einmal mögliche Gefahren wirklich
zu begrenzen und der Branche, die uns ja nicht nur lieb,
sondern vor allen Dingen auch teuer war, die Zähne zu
zeigen.





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD)


Jetzt fragen wir mal: Hat die Bundesregierung diese
Chance ergriffen? Ich greife nochmals auf Herrn Müller
zurück. Er sagt: Das Gesetz ist gut gemeint – nur ändern
wird sich dadurch kaum etwas. – Leider hat er recht.

Staatssekretär Koschyk sprach von einer „Brand-
mauer“, die hier errichtet worden sei. Es ist aber nur ein
Brandmäuerchen, leider nur 10 Zentimeter hoch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Mäuerle!)


Es gäbe einen wirklichen Hebel, um die Märkte zu
entschleunigen, um Luft herauszulassen aus dem, was
heißgelaufen ist: die Einführung einer Mindesthaltefrist.
Wir reden hier nicht über sieben Tage. Man könnte natür-
lich durchaus eine solche Frist einführen, wenn man der
Meinung ist: Aktien sollen der Finanzierung von Unter-
nehmen dienen und einen realwirtschaftlichen Nutzen
haben. Nein, es geht um die Einführung einer Frist von
winzigen 500 Millisekunden – das ist eine halbe Se-
kunde –, damit das permanente Platzieren und Zurück-
ziehen von Orders, ohne dass wirkliche Transaktionen
stattfinden, deutlich reduziert wird – eine halbe Sekunde,
damit man den Hochfrequenzhandel wirklich in den Griff
bekommt und das ausschließlich spekulative Geschäft mit
ultraschnellen Transaktionen, die keinen volkswirt-
schaftlichen Nutzen haben, endlich einen Teil seines Rei-
zes verliert.

Meine Fraktion beantragt dies heute, und Sie haben
noch die Chance, sich dieser Position anzuschließen und
wirklich zu regulieren. Aber wir haben Ihren argumenta-
tiven Eiertanz im Finanzausschuss bereits erlebt. Daher
habe ich wenig Hoffnung.

Die Grundfrage ist doch: Macht es wirklich Sinn, eine
Aktie für eine Nanosekunde zu halten? Nur dann, wenn
ich die Börse als Kasino, als reine Zockerbude begreife,
macht es Sinn. Wenn ich hingegen die Börse in Bezie-
hung zur Realwirtschaft sehe, dann macht es keinen
Sinn.

Schauen wir uns einmal die Position der Deutschen
Börse an. Sie hat gesagt:

Mindesthaltefristen führen zu einer Benachteili-
gung von Liquiditätsspendern und somit zu einer
nachhaltigen Störung der Marktstruktur.

Die Realität sieht aber anders aus: Da werden die
Märkte mit Aufträgen geflutet, die sofort wieder zurück-
gezogen werden. Damit werden die Märkte manipuliert.
Wer braucht eigentlich diese Nanosekundenliquidität?
Der Kollege Schick hat eben schon Ausführungen dazu
gemacht. Das ist doch nichts anderes als die Perversion
von Wirtschaft; das ist doch reines Kasino.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Die Position der Deutschen Börse ist nachvollziehbar:
Sie verdient halt massiv am Hochfrequenzhandel. Des-
halb verwundert ihre Argumentation nicht. Sie finanziert
auch eine Reihe von wissenschaftlichen Gutachten, da-
mit ihre Position untermauert wird. Aber was uns ver-

wundert, ist das Verhalten der Bundesregierung, die
diese Position mit ihrer Gesetzgebung schützt; das ist
nicht in Ordnung.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] und Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die in Europa in Abstimmung befindliche Finanz-
marktrichtlinie MiFID II wird sich auch dem Thema
Hochfrequenzhandel widmen. Das Europäische Parla-
ment wird sich zum Glück für eine Mindesthaltefrist ein-
setzen. Wir haben schon gehört – diesmal muss ich die
CSU ausdrücklich loben; das fällt mir sonst ein bisschen
schwer –: Herr Ferber kämpft für die Mindesthalte-
pflicht. Ich kann nur sagen: Dieser Mann hat recht.


(Beifall bei der SPD)


Dass Sie sich auch auf europäischer Ebene nicht dafür
einsetzen, haben wir eben gehört. Sie schustern hier eine
nationale Regelung zusammen, die nur geringe Besse-
rungen bringt, ihr eigentliches Regulierungsziel aber
deutlich verfehlt.

In einer Kolumne im letzten Stern kommt der stellver-
tretende Chefredakteur des Stern, Hans-Ulrich Jörges, zu
einer Bewertung der Regulierungspolitik dieser Bundes-
regierung. Er schreibt dort:

Kein Produkt, kein Akteur, kein Markt sollte unre-
guliert bleiben. Doch Jahre nach der Krise sind die
Finanzmärkte noch immer nicht unter Kontrolle –
allen Beteuerungen der Politik zum Trotz.

So weit Herr Jörges zu Ihrer Regulierungspolitik.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist wirklich ein Experte! Das ist ein toller Experte! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein großer Experte!)


Wo der Mann recht hat, hat er recht.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722502300

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Wissing für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1722502400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Keine Regierung hat in Deutschland jemals die Finanz-
marktregulierung so vorangetrieben wie die christlich-li-
berale Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Keine Regierung treibt in Europa die Finanzmarktregu-
lierung so nachhaltig und entschlossen voran wie die
christlich-liberale Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht!)






Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)

Deswegen haben wir in Deutschland immer genau
überprüft: Was können wir im Alleingang tun, und was
bedarf einer internationalen Abstimmung? Alles, was im
nationalen Alleingang möglich ist – das ist unsere Prä-
misse –, setzen wir im nationalen Alleingang mit aller
Schärfe und allem Nachdruck durch. Wir haben ein
Leerverkaufsverbot im nationalen Alleingang beschlos-
sen. Wir haben Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt.
Wir haben im nationalen Alleingang den Selbstbehalt
bei Verbriefungen – das sind die Papiere, die in Amerika
die Krise ausgelöst haben – in Deutschland verdoppelt.
Wir haben die Haftungsregeln im nationalen Alleingang
in Deutschland verschärft. Wir haben im nationalen Al-
leingang ein Restrukturierungsgesetz geschaffen. Wir
haben im nationalen Alleingang eine Bankenabgabe ein-
geführt und sind in all diesen Punkten Vorreiter in Eu-
ropa.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau!)


Wir haben auch nicht gewartet, bis eine europäische
Bankenaufsicht kommt, sondern wir haben die nationale
Bankenaufsicht im Alleingang reformiert. Und heute ge-
hen wir im nationalen Alleingang bei der Regulierung
des Hochfrequenzhandels voran – als erste Koalition, als
erstes Parlament in Europa. Wir sind die Nummer eins in
der Regulierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt schauen wir einmal auf die SPD, die hier so voll-
mundig behauptet, in Wahrheit sei die SPD eine Finanz-
marktregulierungspartei. Wie können Sie eigentlich so
vermessen sein, Herr Kollege Sieling, und für sich als
Sozialdemokraten in Anspruch nehmen, Sie hätten ir-
gendetwas mit der Finanzmarktregulierung in Deutsch-
land zu tun?


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Weil es die Wahrheit ist!)


Die Sozialdemokraten – neulich Peer Steinbrück – stel-
len sich hier hin und sagen, all das, was die christlich-li-
berale Koalition an Finanzmarktregulierungen auf den
Weg gebracht habe, habe die SPD schon immer gewollt.
Ich finde, das ist eine dreiste Behauptung.

Sie haben heute gesagt, die SPD habe das alles ge-
wollt, habe es aber wegen der CDU/CSU nicht umsetzen
können. Jetzt fragt sich doch der kundige Bürger: Wenn
die CDU/CSU und die FDP gemeinsam die Finanz-
märkte regulieren können, an wem wird es wohl gelegen
haben, als es in der Großen Koalition nicht möglich war?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Was für eine komische Argumentation! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist ja der schlichteste Dreisatz, der in diesem Parlament je gesprochen wurde!)


Dann sagen Sie, alles, was die christlich-liberale Ko-
alition gemacht habe, habe die SPD bereits früher aufge-
schrieben; das hat uns Herr Steinbrück hier auch gesagt.
Nur haben Sie gegen jedes einzelne Regulierungsgesetz,
das ich Ihnen hier eben aufgeführt habe, mit Nein ge-
stimmt. Erklären Sie doch einmal der Öffentlichkeit, wa-

rum Sie immer gegen die Finanzmarktregulierung in
Deutschland stimmen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute steht ein Hochfrequenzhandelsgesetz zur Ab-
stimmung. Es wird Deutschland zum reguliertesten
Hochfrequenzhandelsplatz Europas machen. In keinem
Land gibt es so strenge Zulassungsregeln, wie wir sie
heute im Deutschen Bundestag beschließen: strenge Zu-
lassung, strenge Kontrolle, Solvenzaufsicht durch die re-
formierte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf-
sicht und die Möglichkeit, den Hochfrequenzhandel im
Krisenfall auf null zu stoppen – eine Vollbremsung wird
möglich sein in Deutschland.

Herr Kollege Zöllmer, natürlich kann man sich fra-
gen: Wozu braucht man einen Hochfrequenzhandel,
wenn man doch auch langsamer handeln könnte? Man
kann sich auch fragen, wie die Grünen damals: Wozu
braucht man überhaupt einen Computer, wenn man doch
so schöne Schreibmaschinen hat?


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nur ist die Frage: Ist Deutschland ein Standort, der
den technologischen Anschluss verpassen möchte, oder
sollen wir ein regulierter Handelsplatz sein, der den
technologischen Fortschritt zum Wohlstand unseres Vol-
kes nutzt?


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist denn der Vorteil?)


Sie sagen: kein Fortschritt. Wir sagen: Ja, Fortschritt
nutzen, aber die Risiken einschränken durch Kontrolle
und Sicherheitsmechanismen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist doch Blabla!)


Heute sagen Sie: Wir stimmen wieder gegen die Fi-
nanzmarktregulierung, gegen den nationalen Alleingang
bei der Regulierung des Hochfrequenzhandels.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wir stimmen gegen Wirkungslosigkeit!)


Aber was Ihnen nicht gelungen ist: Sie haben kein einzi-
ges schlüssiges Argument vorgetragen, warum Sie wie-
der mit Nein stimmen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Was? Sie haben nicht zugehört!)


Sie haben gesagt, Sie werden heute mit Nein stimmen,
weil Sie in dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Halte-
frist auf nationaler Ebene vermissen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Es wird ja immer schlimmer mit Ihnen!)


Nun kann man lange über Haltefristen diskutieren.
Man kann darüber diskutieren, ob so etwas technisch
möglich ist. Man kann darüber diskutieren, ob so etwas
sinnvoll ist. Manche Experten sagen: Haltefristen kön-
nen die Gefahren des Hochfrequenzhandels verschärfen





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)

und zu neuen Spekulationen führen, die weitaus gefähr-
licher und unkontrollierbarer sind.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Dann nennen Sie einmal die Namen der Experten: Börsen!)


Es gibt auch technische Probleme bei den Haltefris-
ten, weil gegen Ende der Haltefrist mit noch höherer
Frequenz spekuliert werden könnte. Aber alle Experten
sind sich darin einig – ich werfe Ihnen vor, dass Sie das
nicht sagen; Sie wissen es eigentlich besser; Sie sind
klüger, als Sie sich heute hier am Mikrofon gegeben ha-
ben, Herr Kollege Sieling –:


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!)


Eine Haltefrist im nationalen Alleingang ist schlicht ein
Ding der Unmöglichkeit. Damit ist Ihr einziges Argu-
ment in sich zusammengebrochen. Sie haben kein Argu-
ment, um mit Nein zu stimmen. Wenn Sie es trotzdem
tun, stimmen Sie wieder gegen die Regulierung der Fi-
nanzmärkte. Das muss die Öffentlichkeit wissen. Sie set-
zen Ihre Verweigerung gegenüber der Regulierung der
Finanzmärkte heute fort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Oder aber die SPD sagt: Man soll nichts im Allein-
gang machen. Man soll warten, bis das auf europäischer
Ebene oder auf G-20-Ebene geregelt wird.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Man soll vorantreiben! Aktiv sein!)


Das war auch die Haltung von Herrn Steinbrück, als er
regiert hat. Er hat nur abgewartet und ist nicht vorge-
prescht.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Aber Sie bremsen!)


Wir glauben, die Lehre aus dieser Krise muss sein:
Was national reguliert werden kann, muss national regu-
liert werden. Ihnen fällt kein einziges Argument ein,
weshalb Sie den heute vorliegenden Gesetzentwurf ab-
lehnen könnten.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Tausende!)


Sie entlarven sich wieder einmal. Die Sozialdemokraten
betreiben eine reine Blockade, sie sind gegen die Regu-
lierung der Finanzmärkte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir aber werden weitermarschieren und klar regulieren.
Deutschland ist und bleibt Vorreiter. Wir haben den re-
guliertesten Finanzmarkt Europas geschaffen, und da-
rauf kann die christlich-liberale Regierung stolz sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722502500

Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722502600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Brauchen wir den Hochfrequenzhandel für die Realwirt-
schaft? Große Teile des Hauses sagen: Nein, er bringt
überhaupt keinen Nutzen. Im Gegenteil: Er gefährdet
realwirtschaftliche Prozesse.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Brauchen wir die PDS?)


Denn er führt dazu, dass Anleger einen unvorteilhaften
Preis erzielen, weil ihre Gebote durch Hochfrequenz-
händler ausgespäht werden. Dadurch werden sie ausge-
beutet.

Es gibt wahnsinnige Kurskapriolen und Handelsun-
terbrechungen. Einige wenige bedienen sich – sie spie-
len im Kasino –, und diejenigen, die real wirtschaften
und an die Börse gehen, um Geld zu bekommen, das sie
real brauchen, werden bestraft.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Hochfrequenzhandel verbraucht zudem eine
Menge an Ressourcen: an Technik und an Menschen, die
einer eigentlich sinnlosen Tätigkeit nachgehen. Deswe-
gen müssen wir uns die Frage stellen: Brauchen wir ihn,
ja oder nein? Ich sage: Nein!


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Sie halten mit aller Kraft daran fest.

Wir alimentieren letztendlich den Porsche und die
Rolex-Uhren einiger weniger Finanzakrobaten; der real-
wirtschaftlichen Entwicklung hingegen wird geschadet.
Herr Flosbach, Sie haben eben gesagt: Wir sind die Ein-
zigen, die regulieren. Ich darf daran erinnern: In den
2000er-Jahren, als Rot-Grün regiert hat, hechelten auch
Sie dem neoliberalen Zeitgeist hinterher. Damals hieß
es: Wir brauchen in Deutschland unbedingt Hedgefonds.
Die wurden dann zwar ein bisschen reguliert, aber
grundsätzlich war man der Auffassung: Wir brauchen sie
unbedingt.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das waren die Grünen!)


Dann kam die Finanzkrise. Es erfolgte ein Umden-
ken, Positionen wurden geändert. All das zeichnet Poli-
tik aus. Aber Sie haben ein System geschaffen und per-
fektioniert: Sie bringen Gesetze mit schönen Titeln ein,
die den Eindruck erwecken, als ob sich durch deren Ver-
abschiedung etwas verändert, aber in Wirklichkeit pas-
siert nichts. Das ist die Realität.

Nehmen wir doch einmal Ihre Bankenabgabe. Was ist
denn dabei herausgekommen? Nehmen wir die Rege-
lung der Boni. Das ist doch ein Placeboeffekt. Sie scha-
det nicht und tut niemandem weh. Bei Gesetzen, die
letztendlich nur das aufgreifen, was sowieso schon gere-
gelt ist, ist der Anspruch sehr gering.

Die Wohlverhaltensregelung, die heute verabschiedet
werden soll, gibt es an der deutschen Börse bereits. Es
ist bereits gang und gäbe, dass dann, wenn ein Händler
Gebote abgibt und daraus eine Transaktion bzw. ein
Handel erfolgt, dies reguliert wird. Die Börsen sagen





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)

schon heute – das ist von Börse zu Börse etwas unter-
schiedlich –: Wenn von 2 500 Geboten nur eines reali-
siert wird – bei einer anderen Börse sind es vielleicht
500 –, dann wollen wir das nicht.

Da sagen Sie: Das wollen wir jetzt mal gesetzlich re-
gulieren. Sie nehmen nur das auf, was durch den Druck
der Realität erzwungen wird oder was selbst für die
Börse einfach unwirtschaftlich ist, und sagen: Das ist
jetzt ein Gesetz. – Das ist doch aber keine Regulierung.
Das ist überhaupt keine Regulierung.

Wenn wir regulieren wollen, stellt sich als Erstes die
Frage: Müssen wir etwas regulieren? Oder kann die Poli-
tik nicht auch sagen: Menschen sind zwar in der Lage,
Computer und Computerprogramme zu entwickeln – das
ist alles schön –; aber brauchen wir diesen Hoch-
frequenzhandel überhaupt? Darauf kann man schlicht
und ergreifend sagen: Nein, wir brauchen ihn nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann können wir überlegen: Wie können wir hier et-
was erreichen? Wir könnten schlicht ein Verbot fordern.
Das wäre eine Möglichkeit. Die politischen Mehrheits-
verhältnisse in Deutschland und Europa sind nicht unbe-
dingt so ausgeprägt, dass man damit durchkäme.

Dann überlegt man: Wir schreiben eine Mindesthalte-
dauer von einer halben Sekunde vor; das ist schon mehr-
mals genannt worden. Wir hatten eine Anhörung im
Finanzausschuss. Ich fasse einmal kurz zusammen:
Experten haben gesagt, damit wäre der Hochfrequenz-
handel tot. Die Lobbyisten in der Anhörung haben ge-
sagt, dies würde überhaupt nicht wirken.

Das ist die Realität: Sie hören auf die Lobbyisten. Wir
werden den Antrag zur Einführung einer Mindesthalte-
dauer unterstützen. Wir hören auf die Experten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben natürlich auch die Möglichkeit, auf dem
Weg weiterzugehen, eine Finanztransaktionsteuer in
Deutschland, in Europa und weltweit zu installieren. Sie
haben sich damit geschmückt, Sie hätten sie auf den
Weg gebracht. Entschuldigung, wir diskutieren nun
wirklich seit Jahren im Ausschuss, hier im Bundestag
miteinander. Von Ihnen kommen immer wieder Ein-
wände. Der FDP nehme ich bis heute nicht ab, dass sie
dafür steht; das muss ich schlicht sagen.

Zu dem heutigen Gesetzentwurf, bei dem wir nicht
die gesamten Finanztransaktionen betrachten, sondern
nur einen Teil, hat ein CDU-Ministerpräsident im Bun-
desrat gesagt: Die Händler, die sich an der Börse mit die-
sen Hochfrequenzfinanztransaktionen beschäftigen,
können wir doch aus dem Geltungsbereich des Kredit-
wesengesetzes herausnehmen. – In dem Moment aber, in
dem ich diese ausgenommen habe und die Finanztrans-
aktionsteuer eingeführt wird, greift sie nicht mehr; denn
die sind im Ausland. Das ist doch wieder ein Torpedo
gegen die Finanztransaktionsteuer. Sie handeln hier
nicht ehrlich.

Ich sage Ihnen: Wenn man es ernst meint mit der Re-
gulierung, dann muss man beim Hochfrequenzhandel
die Geschwindigkeit reduzieren. Aber Sie bringen mit
Ihrem Gesetz zum Ausdruck: Rasen Sie ruhig weiter,
machen Sie den Börsenhandel weiter kaputt! Es macht ja
nichts, wenn die Realwirtschaft dadurch Schaden
nimmt; das ist uns egal. Einige wenige verdienen daran.

Sie haben vielleicht ein kleines Überholverbot in be-
stimmten Situationen aufgestellt, aber mehr nicht. Es ist
keine Regulierung. Eine Mindesthaltedauer wäre das
Mindeste, was wir beschließen müssten. Wir brauchen
eine handfeste, konsequente Diskussion zur Einführung
einer Finanztransaktionsteuer in Europa mit der feder-
führenden Rolle der Bundesrepublik Deutschland, damit
deutlich wird: Wir wollen sie einführen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722502700

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Aumer für die

CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Aumer (CSU):
Rede ID: ID1722502800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir diskutieren heute über das Gesetz zur Ver-
meidung von Gefahren und Missbräuchen im Hoch-
frequenzhandel. Wir leisten weiter einen Beitrag zu dem,
was wir als christlich-liberale Koalition versprochen ha-
ben – das haben die Damen und Herren der Opposition
schon zitiert –, nämlich dass wir jeden Markt, jedes Pro-
dukt und jeden Akteur auf den Finanzmärkten regulieren
wollen.

Wir leisten, liebe Frau Höll, einen Beitrag zur Real-
politik und machen keine Satire, um den Wirtschafts-
standort Deutschland zu beschädigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe vor einigen Tagen im Handelsblatt ein Zitat
gelesen, das dem widerspricht, was Sie als Opposition
die ganze Zeit zu behaupten versuchen. Dort stand:

Mit der Regulierung des ultraschnellen Börsenhan-
dels prescht die Koalition bei einem weiteren Regu-
lierungsthema in der EU voran.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Prescht?)


– „Prescht“ stand da, genau. – Meine sehr geehrten
Damen und Herren der Opposition, nehmen Sie das doch
bitte zur Kenntnis. So wird das, was wir als christlich-
liberale Koalition machen, in der Öffentlichkeit wahrge-
nommen und nicht so, wie Sie das hier vorgeben. Das,
was Sie nach außen transportieren, ist nicht getragen von
Wahrheit und Klarheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Selbst die Bundesbank, die nicht unbedingt immer
unsere Linie vertritt, bestätigt das. Die Bundesbank sagt:





Peter Aumer


(A) (C)



(D)(B)

Das Gesetz ist in angemessener und ausgewogener
Weise ein Schritt zur Regulierung, ein erster Schritt und
ein guter und großer Schritt in die richtige Richtung.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ein Schritt zur Regulierung, aber nicht die Regulierung!)


Das ist kein Schritt zurück, Herr Sieling. Wir sind keine
„Hasenfüße“, wie Sie in Ihrer Rede gesagt haben. Das
sind Sie; denn Sie haben bisher – das haben wir vorhin
schon gehört – gegen alle Gesetzentwürfe zur Regulie-
rung gestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Man sollte von der Opposition erwarten können, dass
sie Realpolitik betreibt, dass sie auch mal mithilft, diese
schwierige Aufgabe, die uns gestellt worden ist, zu
lösen. Unsere wesentliche Aufgabe ist, Realpolitik zu
betreiben, aber vor allem, der Realwirtschaft zu dienen.
Zur Realwirtschaft gehören natürlich auch die Finanz-
märkte, die Geld zur Verfügung stellen, damit die Real-
wirtschaft funktioniert. Man muss den richtigen Aus-
gleich finden. Wir haben diesen Ausgleich gefunden.

Herr Sieling, Sie haben es vorhin selbst gesagt; auch
Herr Zöllmer hat in seiner Rede auf den Wandel hinge-
wiesen. Als er während seiner Schulzeit mit seinem
Leistungskurs zur Börse gefahren ist, war das alles noch
anders. Man muss den aktuellen Wandel mit den richti-
gen politischen Entscheidungen begleiten. Wir tun das,
indem wir sagen: Wir wollen den Hochfrequenzhandel
nicht ganz verbieten, weil das in der heutigen Zeit nicht
geht, sondern wir wollen den Ordnungsrahmen gestal-
ten. Das ist einer Partei, die für die soziale Marktwirt-
schaft steht, auch angemessen. Wir wollen, dass der Ord-
nungsrahmen richtig funktioniert. Wir wollen, dass die
Marktwirtschaft auch in diesem Bereich weiter funktio-
nieren kann. Wir wollen einen Ordnungsrahmen, der
stark ist, der trägt, der einen Beitrag zur Stärkung und
Stabilität der Finanzmärkte leistet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Präsident, der Kollege Sieling meldet sich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722502900

Der Kollege Sieling möchte eine Zwischenfrage stel-

len, und der Kollege Aumer will sie offenkundig gerne
beantworten.


Peter Aumer (CSU):
Rede ID: ID1722503000

Gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722503100

Bitte schön.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1722503200

Vielen Dank, Herr Kollege, und vielen Dank, Herr

Präsident. – Herr Kollege Aumer, Sie sind ja Mitglied
der CSU. Sie sind aus Bayern und CSU-Mann.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Bayern ist CSU!)


Werden Sie Ihrem Kollegen Ferber auf der europäischen
Ebene folgen, oder werden Sie ihn ausbremsen?


Peter Aumer (CSU):
Rede ID: ID1722503300

Das ist schön. Ich wollte in meiner Rede darauf zu

sprechen kommen. Ich war noch gar nicht so weit, Herr
Sieling. Aber so habe ich schon jetzt Gelegenheit, darauf
einzugehen. Es ist nett, dass Sie meine Redezeit verlän-
gern.

Ich glaube, man muss ganz genau hinschauen. Es ist
vorhin schon gesagt worden, dass man im Parlament ei-
nen Kompromiss gefunden hat. Wir müssen gemeinsam
beobachten – das sollte auch die Opposition in Deutsch-
land tun –, welche Auswirkungen der Hochfrequenzhan-
del hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn nun? Geben Sie eine Antwort auf die Frage!)


– Lassen Sie mich doch antworten. Die komplexe Frage
„Wollen Sie verbieten, oder wollen Sie nicht verbieten?“
kann man nicht so einfach beantworten. Wir wollen,
dass das Ganze funktioniert, und wir wollen keine popu-
listische Arbeit leisten. Eine populistische Oppositions-
arbeit machen nicht Sie, Herr Dr. Schick, aber ein Groß-
teil Ihrer Partei.

Man muss genau hinschauen, was die Einführung von
Mindesthaltefristen bedeutet. Mindesthaltefristen kön-
nen dazu führen – das hat man auch in der Anhörung ge-
hört –, dass die Märkte nicht mehr funktionieren. Das
sagt sogar die Deutsche Bundesbank; man sollte doch
auf die Experten vertrauen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sagen Sie jetzt Ja oder Nein?)


– Wir tauschen uns aus. Auch wir in der CSU vertreten
zum Teil gegensätzliche Positionen. Wir bilden dann
Mehrheiten. – Ich zitiere jetzt Herrn Dr. Nagel, Mitglied
des Vorstands der Deutschen Bundesbank, der zum
Thema Mindesthaltefristen sagt: Eine solche Maßnahme
bringt auch signifikante Nachteile.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Welche denn?)


Wir wollen keinen Populismus, lieber Herr
Dr. Sieling, sondern wir wollen eine Politik machen, die
dafür sorgt, dass die Märkte in unserem Land funktionie-
ren. Das ist unsere Aufgabe. Dafür sind wir gewählt
worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Unterstützen Sie Ferber, oder lassen Sie ihn in der Luft hängen?)


– Ich habe es Ihnen doch gerade gesagt.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das war Eierei!)


– Wir haben die Eiertänze heute schon hinter uns.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, Eiertänze!)






Peter Aumer


(A) (C)



(D)(B)

Herr Zöllmer hat schon versucht, uns Eiertänze vorzu-
halten. Ich glaube, das ist in diesem Bereich nicht der
Fall. Wir haben eine klare Linie:


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau!)


Die Finanzmärkte werden dementsprechend geregelt.
Passen Sie auf; Sie haben einfach keinen Angriffspunkt
in diesem Bereich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wir hätten gerne klare Zielsetzungen, aber meistens kommt Seehofer!)


– Ja, wir haben eine klare Linie: Wir wollen, dass der
Hochfrequenzhandel reguliert wird, dass die soziale
Marktwirtschaft auch in diesem Bereich Einzug hält.
Wir wollen in einem doch sehr komplexen System Leit-
planken setzen. Dieses System ist aber wichtig, damit
unsere Märkte heute funktionieren.

Ich habe gerade während der Reden der Opposition
eine Nachricht von n-tv gelesen: dass die Arbeitsmärkte
bei uns im Land stabil sind, trotz einer schwierigen kon-
junkturellen Situation. – Das ist vor allem auch darauf
zurückzuführen, dass wir verlässliche Politik für die
Menschen in unserem Land machen. Sie machen das
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das stand aber nicht bei n-tv!)


Sie versuchen, populistische Politik zu machen, den
Menschen zum Teil nicht die Wahrheit zu sagen. Wahr-
heit ist für uns, immer das umzusetzen, was der Mehrheit
der Menschen in unserem Land dient. Das macht auch
der bayerische Ministerpräsident. Deswegen steht Bay-
ern so gut da, deswegen ist Bayern Vorreiter in Europa.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie können
mit allem Populismus dagegenhalten, Sie können einen
„Drehhofer“ zitieren – wie es vorhin schon geschehen
ist – oder nicht: Am Ende zählt das, was herauskommt.


(Zurufe von der SPD)


Am Ende zählt das, was wir für die Menschen getan ha-
ben, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Es bleibt da-
bei: Wir arbeiten verlässlich für unser Land. Wir arbeiten
verlässlich daran, die Bereiche zu regulieren, die man re-
geln kann.

Wir schlagen nicht auf populistische Art und Weise
Dinge vor, die nicht funktionieren. Die Mindesthaltefris-
ten sind ein solcher populistischer Vorschlag. Sie lehnen
jetzt das ganze Gesetz ab, nur weil eine Forderung
– mein Kollege Björn Sänger hat das vorhin schon ge-
sagt –, die Sie stellen, nicht mit aufgenommen werden
kann. Wir sagen: Wir sind in Deutschland nicht alleine.
Die Welt ist international aufgestellt. Wir wollen das
zumindest europaweit geregelt haben. Wir setzen uns
dementsprechend auf europäischer Ebene dafür ein, dass
diese Regelungen eingeführt werden.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Eine Liste von Belanglosigkeiten ist das!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, nehmen Sie
zur Kenntnis, dass wir das tun, was wir den Menschen
versprochen haben: die Finanzmärkte zu regulieren, eine
verlässliche Politik auch in diesem Bereich einkehren zu
lassen. Leisten Sie einen Beitrag dazu! Stimmen Sie die-
sem Gesetz zu! Dann wird unser Land noch stabiler in
die Zukunft gehen können. Dann werden wir weiterhin
die Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land si-
chern können. Das ist die Aufgabe, die wir sehen, und
das sollte auch die Aufgabe der Opposition sein.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722503400

Lothar Binding hat nun das Wort für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1722503500

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute
Morgen wirklich große Worte gehört.

Herr Wissing hat gesagt: Keine Regierung hat die Re-
gulierung jemals so vorangetrieben wie diese christlich-
liberale Regierung. Darauf könne sie stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kollege Koschyk hat gesagt: Keine Mäkeleien, Krit-
teleien! Eine Brandmauer soll aufgebaut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kollege Flosbach hat gesagt: Risiken und Missbräu-
che nehmen wir heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In der Überschrift des Gesetzentwurfes wird von „Ge-
fahren und Missbräuchen“ gesprochen. Etwas weiter un-
ten steht: „Besonderen Risiken des algorithmischen
Hochfrequenzhandels“ soll „entgegengewirkt werden“.
Schauen wir einmal in das Gesetz:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Tun wir das einmal! Bitte! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ CSU]: Bis jetzt war die Rede ganz gut!)


„Der Börsenträger“ hat „für die übermäßige Nutzung der
Börsensysteme … separate Entgelte zu verlangen“. Es
steht weder die Höhe noch sonst etwas im Gesetz, und es
gilt nur „für die übermäßige Nutzung“. Was soll damit
eigentlich reguliert werden? Dass man für etwas, was
man benutzt, ein Entgelt zahlen muss, ist doch nichts
Besonderes. Für alles, was ich benutze, was ich leihe
oder kaufe, wird ein Entgelt verlangt. Geniale Regulie-
rung!

Ferner kann die Geschäftsführung

– sie kann! –

das Ruhen der Zulassung längstens für die Dauer …
anordnen, wenn ein Handelsteilnehmer das Order-
Transaktions-Verhältnis … nicht einhält …





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

Sie kann das machen. Wen bitten Sie dort eigentlich
zu regulieren? Wer soll eigentlich das regulieren, was Ih-
nen Angst macht, wovon Sie vorhin gesagt haben, es
macht den Menschen Angst? Sie bitten den, der Angst
macht, das zu regulieren, was Angst macht. Das ist doch
absurd! Da können Sie gleich Mövenpick fragen, wie
hoch die Hotelsteuer sein soll.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das haben sie doch auch gemacht!)


Die Börse

– ich habe natürlich nichts gegen die Börse; aber wir
reden hier über die Börse, an der das alles passiert, was
Angst macht und was Sie regulieren wollen –

hat geeignete

– welche eigentlich? –

Vorkehrungen zu treffen, um auch bei erheblichen
Preisschwankungen

– was ist eigentlich eine erhebliche Preisschwankung?
Das ist doch ein Gesetz und nicht ein Besinnungsauf-
satz! –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


eine ordnungsgemäße Ermittlung des Börsenpreises
sicherzustellen. Geeignete Vorkehrungen im Sinne
des Satzes … sind insbesondere kurzfristige Ände-
rungen des Marktmodells …

Was ist eigentlich die kurzfristige Änderung eines
Marktmodells? Kann das einmal jemand genauer erklä-
ren?


(Joachim Poß [SPD]: Herr Koschyk!)


Es kommt dann. Sie meinen „kurzzeitige Volatilitäts-
unterbrechungen“. Es geht hierbei um den Nanosekun-
denbereich. Leuten, die in diesem Bereich handeln, sa-
gen Sie jetzt, dass Sie, wenn sich kurzfristig etwas
ändert, etwas machen wollen. Geht es noch kurzfristiger
als im Nanosekundenbereich? Was meinen Sie eigent-
lich? Sie machen doch ein Gesetz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein angemessenes Order-Transaktions-Verhältnis
liegt … dann vor, wenn dieses … wirtschaftlich
nachvollziehbar ist.


(Zurufe von der SPD: Ah!)


Das ist ja interessant. Wer soll Ihrer Ansicht nach ei-
gentlich messen, was angemessen ist? Ja, sind wir denn
verrückt, dass der Gesetzgeber die Frösche fragt, ob er
wirklich den Sumpf trockenlegen soll? Was kann denn
die Antwort darauf sein?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Börsenordnung

– also nicht das Gesetz –

muss nähere Bestimmungen zum angemessenen
Order-Transaktions-Verhältnis für bestimmte Gat-
tungen von Finanzinstrumenten treffen.

Ja, wen beauftragen Sie denn? Was wollen Sie denn re-
geln? Ich dachte, dies sei die genialste Regelung, die es
überhaupt jemals von einer Regierung in der Nach-
kriegsgeschichte gibt. Was regeln Sie? Ehrlich gesagt
– bei näherem Hinsehen erkennt man es –: nichts.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Alle Produkte, alle Märkte, eine Brandmauer. Vorhin ist
gesagt worden: Wir handeln sofort.


(Joachim Poß [SPD]: Geschwafel!)


Nein, Sie schaffen einen abstrakten Rahmen dafür, dass
die Börse etwas tun darf. Das darf sie jetzt auch schon,
dazu braucht sie überhaupt kein Gesetz, jedenfalls nicht
Ihr Gesetz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Börse

– dies ist jetzt versuchsweise; ich habe überall nach et-
was Konkretem gesucht –

ist verpflichtet,

– da dachte ich: jetzt geht es los –

eine angemessene Größe der kleinstmöglichen
Preisänderung bei den gehandelten Finanzinstru-
menten festzulegen…

Wissen Sie eigentlich, was die kleinstmögliche Preis-
änderung bei Arbitragegewinnen ist? Wenn Sie 20 Mil-
lionen Mal handeln, dann kann sie gar nicht klein genug
sein, und Sie machen trotzdem noch einen Gewinn.
Scheinorder, Scheinmärkte und fiktive Transaktionen
machen den Markt gefährlich. Von wegen „beste Rege-
lung“, mit diesem Gesetzentwurf regeln Sie – das er-
kennt man bei näherem Hinsehen – nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich glaube, man muss sich die Preisfindungsmecha-
nismen, die Sie definieren, und die von Ihnen genannten
Ziele eines angemessenen Order-Transaktions-Verhält-
nisses im Sinne des § 26 a des Börsengesetzes, der nicht
beeinträchtigt werden soll, genauer anschauen.

Nähere Bestimmungen kann

– jetzt dürfen Sie fünfmal raten –

die Börsenordnung treffen.

Wieder soll ein Dritter regeln, was er selber anrichtet.
Ich glaube, wer dieses System erkennt, der weiß, warum
wir da nicht zustimmen können. Sie fingieren praktisch
einen Regelungsmechanismus. Würden wir dem zustim-
men, würden wir den Menschen vorgaukeln, wir würden





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

das, was gefährdet, regulieren, obwohl wir alles noch
viel schlimmer machen. Denn jeder, der zur Börse geht,
denkt dann natürlich: Hier ist alles geregelt, alles sicher.
Nein, Sie schaffen einen Scheinmantel, von dem sogar
das Schlimmste gedeckt wird.

Wenn Sie da konkreter wären, würden wir auch zu-
stimmen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ein echtes Merkel-Gesetz!)


Es ist traurig, dass Sie der einzigen konkreten Zahl, die
sich hier finden lässt, nämlich in unserem Antrag, nicht
zustimmen.


(Peter Aumer [CDU/CSU]: Weil das Quatsch ist!)


Bei dieser unkonkreten Gesetzgebung dürfen Sie sich
nicht wundern, dass sie auch international nicht auf
fruchtbaren Boden fällt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722503600

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1722503700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, dies ist die 60. oder 70. Debatte, die wir hier zu
Finanzmarktthemen führen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und es ist noch immer nichts passiert!)


Es ist eigentlich immer das Gleiche:


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ja, das haben wir gerade gehört!)


Wir machen etwas,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


und die Opposition stellt sich hin, nölt herum und sagt:
Ja, wir würden es ein bisschen kräftiger machen, wir
würden da eine Formulierung ändern, wir würden hier
etwas machen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ich habe euren Gesetzentwurf zitiert! Genauer kann man es nicht machen!)


Es ist nicht schnell genug, es ist zu spät, es ist zu früh. –
Im Grunde genommen warte ich auf das große Gesamt-
bild. Ich warte darauf, dass die Opposition uns zeigt, wie
man Finanzmarktregulierung macht. Aber Sie beschrän-
ken sich auf Nölen und Herumkritteln und haben keine
überzeugenden Vorschläge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem
konkreten Gesetzentwurf, der uns vorliegt. Der Kollege
Zöllmer hat ja ein schönes Bild aus der Vergangenheit
gemalt: Als er mit seinem Volkswirtschaftskurs die Düs-
seldorfer Börse besucht hat, rannten da Männer herum
– schwitzend und schreiend –, die sich in unverständli-
chem Kauderwelsch Kurse zuriefen. Irgendwie ist das
doch unser aller schöne Kindheit. Wer würde sich nicht
wünschen, dass diese unser aller schöne Kindheit blei-
ben würde?

Aber die Realität ist leider eine andere. Die Realität
ist, dass wir mittlerweile einen elektronischen Handel
haben, dass der Parketthandel weitgehend überholt ist.
Die Realität ist auch, dass nicht mehr Menschen mit-
einander handeln, sondern Maschinen; das nennt man al-
gorithmisch. Wenn sie das ganz besonders schnell ma-
chen, dann reden wir vom Hochfrequenzhandel. Ganz
ehrlich: Wer von uns, meine Damen und Herren, ist nicht
beunruhigt, wenn Maschinen untereinander handeln?
Wer von uns ist nicht beunruhigt – wem macht das keine
Angst? –, wenn in Millisekunden Milliardenbeträge
durch die Welt geschoben werden? Deswegen ist es gut
und richtig, dass wir uns diesen Bereich vornehmen und
diesen Bereich regulieren.

An dieser Regulierung haben Sie Kritik geübt. Ich
möchte auf diese Kritikpunkte eingehen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wow!)


Sie haben zunächst gesagt: Das kommt alles viel zu spät. –
Wenn Sie uns vorwerfen, dass wir zuerst die Vergütun-
gen reguliert haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir
zuerst die Ratingagenturen reguliert haben, wenn Sie uns
vorwerfen, dass wir zuerst die Finanzaufsicht reformiert
haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir zuerst dafür ge-
sorgt haben, dass bei den Banken und Versicherungen
mehr Eigenkapital und Liquidität vorhanden sein muss,
wenn Sie uns vorwerfen, dass wir uns zuerst mit dem
Anlegerschutz beschäftigt haben, wenn Sie uns vorwer-
fen, dass wir uns zuerst mit den offenen Immobilien-
fonds beschäftigt haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass
wir zuerst bestimmte Produkte aus dem grauen Kapital-
markt herausgeholt haben, muss ich Ihnen sagen: Ja, das
alles müssen wir gelten lassen; denn das haben wir zu-
erst gemacht, bevor wir uns mit dem Hochfrequenzhan-
del beschäftigt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, das war auch die richtige Reihenfolge, die
wir da gewählt haben.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Ja! Stimmt!)


Sie kritisieren: Ihr handelt nicht nur zu spät, sondern
– wenn ich an die Rede des Kollegen Schick aus der ers-
ten Lesung denke – auch zu früh. Es wird doch auf euro-
päischer Ebene etwas gemacht. Warum macht ihr denn
jetzt etwas in Deutschland?


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es besser ist, kann man es schon machen! Aber nicht, wenn es schlechter ist!)






Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)

Bald wird die MiFID-Reform kommen. Ihr könntet euch
eure nationalen Alleingänge eigentlich sparen. –


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So habe ich nicht argumentiert! Bitte richtig zitieren!)


Dazu muss man eines sagen: MiFID wird irgendwann in
drei, vier Jahren in Kraft treten. Wollen wir so lange
warten? Wollen wir die Märkte so lange so belassen, wie
ich es beschrieben habe? Oder haben wir nicht als Bun-
desregierung die Aufgabe, da schneller heranzugehen?
Ich glaube, wir haben die Aufgabe, da schneller heranzu-
gehen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist richtig!)


Deswegen ist es gut und richtig, dass wir hier national
vorangehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Dann muss es auch wirkungsvoll sein!)


Es wurde kritisiert: Es gibt lange Übergangsfristen. –
Ja, klar gibt es Übergangsfristen. Diese Übergangsfristen
sind so gewählt, dass die Marktteilnehmer die Möglich-
keit haben, die erforderlichen Genehmigungen einzuho-
len; das ist gut, richtig und fair. Fairness gilt nämlich
auch für die Finanzmärkte, meine Damen und Herren.

Dann wurde ein besonders interessanter Vorschlag ge-
macht: Alles, was da gemacht wird, die sogenannten Al-
gorithmen, sollten im Vorhinein genehmigt werden. –
Das passt natürlich prima in die Philosophie der linken
Seite dieses Hauses. Das ist eine weitere Aufgabe für das
Zentralkomitee für besseres Leben, das alles genehmi-
gen muss:


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


ob und wann wir Fleisch essen, welche Algorithmen ge-
nommen werden, wie schnell wir Auto fahren; auch alles
andere sollte zentral vom Staat genehmigt werden. Das
wird nur nicht funktionieren, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt komme ich zu einem wichtigen Punkt, der hier
immer wieder angeklungen ist: zu den Mindesthaltefris-
ten. Sie fordern: Ziehen wir doch eine Bremse in den
Hochfrequenzhandel ein! Sagen wir doch: Es muss eine
halbe Sekunde gewartet werden, bevor ein neues Ge-
schäft getätigt wird. – Das hört sich bestechend an. Fakt
ist – der Kollege Wissing hat das an anderer Stelle ein-
mal geäußert –: Dann hätten wir uns den gesamten Ge-
setzentwurf sparen können. Dann hätten wir nämlich sa-
gen können: Der Hochfrequenzhandel wird verboten.

Sie haben sich ja heute dazu bekannt, den Hochfre-
quenzhandel tatsächlich verbieten zu wollen. Gut, dieser
Auffassung kann man sein. Aber Sie müssen auch aner-
kennen, dass die Experten – und zwar nicht nur die Ex-
perten, die von der Deutschen Börse bezahlt werden –
dazu ein sehr unterschiedliches Bild gezeichnet haben.
Die einen sagen, das wäre gut; die anderen sagen, das

wäre schlecht. Sie als Opposition sind jetzt ungemein
mutig, weil Sie genau wissen, dass Sie das nicht zu ver-
antworten haben, und fordern: Mindesthaltefristen ein-
bauen und Hochfrequenzhandel abschaffen! – Gut, das
können Sie fordern. Aber wir sind an der Regierung. Wir
tragen die Verantwortung für die Märkte und für das,
was auf den Märkten passiert. Deswegen sagen wir: Wir
machen an dieser Stelle keinen nationalen Alleingang.
Das kann man diskreditieren, aber zum Regierungshan-
deln gehört, dass man auch die Verantwortung für sein
Handeln übernimmt. Das ist der wesentliche Unter-
schied zwischen der Finanzmarktpolitik der Regierung
und der der Opposition. Wir verantworten das, was wir
machen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ihr macht nichts! Und das verantwortet ihr!)


Sie stellen Forderungen auf, von denen Sie wissen, dass
Sie sie nie verantworten müssen. Deswegen übertreiben
Sie immer bei all dem, was Sie wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie sind doch der Frosch im Sumpf!)


Meine Damen und Herren, es ist einfach, Opposition
zu sein.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Deswegen sollen Sie da ja auch hin! Ihr sollt es einfacher haben!)


Es ist nicht nur Mist, wie Herr Müntefering sagt, sondern
es ist einfach; denn Oppositionshandeln im Finanz-
marktbereich hat bisher nur darin bestanden, Dinge
schlechtzumachen, zu fordern und dagegen zu stimmen.

Ich muss Sie wirklich fragen: Welches ist denn Ihr
Bild von Politik? Ist es Ihr Bild, zu sagen: Wenn ich
mich nicht zu 100 Prozent durchsetze, dann blockiere
ich einfach alles? – Das ist nach meiner Auffassung sehr
verantwortungslos.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie machen doch selbst die Blockade! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich werde es der CDU in Baden-Württemberg ausrichten!)


Wenn wir jetzt die ganze Sache zum Abschluss brin-
gen und wieder zu dem schönen „Wimmelbild“ von den
schwitzenden Männern, die sich gegenseitig Kurse zu-
schreien, das Herr Zöllmer aufgemalt hat, kommen,
müssen wir wohl festhalten, dass wir dieses Bild nie
wieder erleben werden.


(Zuruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD])


Ich glaube, wir müssen die Realität anerkennen. Die Rea-
lität in dieser Welt ist eine andere. Die Realität in dieser
Welt heißt auch: Wenn wir in Deutschland den Hochfre-
quenzhandel verbieten, dann wird er in Luxemburg statt-
finden. Und wenn wir den Hochfrequenzhandel inner-
halb der Europäischen Union verbieten, dann wird er an
anderen Plätzen stattfinden. Das heißt nicht, dass wir
diesen Hochfrequenzhandel weiterlaufen lassen sollten
wie bisher, sondern wir müssen versuchen, eine vernünf-
tige Regulierung hinzukriegen. Aber die Realität einfach





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)

auszublenden, die Welt als einen großen Ponyhof darzu-
stellen, das wird nicht funktionieren.

Das, was wir hier vorlegen, beinhaltet eine verant-
wortungsvolle Regulierung des Hochfrequenzhandels.
Man kann sicherlich an der einen oder anderen Stelle
mehr machen, muss dies dann aber international organi-
sieren. Das haben wir immer vor Augen gehabt, und des-
wegen handelt es sich hier um ein gutes Gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen – wir als
Finanzmarktregulierer haben ja nicht ganz so oft die Ge-
legenheit, zu dieser Stunde zu sprechen –, um noch das
eine oder andere Wort an die Branche zu richten. Die
Branche hat nämlich auch ein Problem. Die Branche hat
das Problem, dass sie bei allen Regulierungsvorhaben,
die wir machen, immer wieder sagt: Wenn ihr das jetzt
macht, dann wird alles zusammenbrechen. – Wir haben
das erlebt, als wir gesagt haben: Wir wollen die Hochfre-
quenzhändler dem Kreditwesengesetz unterstellen. Wir
wollen eine harte Aufsicht der Hochfrequenzhändler.

Sie müssen sich eines vorstellen: 25, 30, 40 Prozent
des Börsenumsatzes in Deutschland werden von Markt-
teilnehmern gemacht, die wir nicht kennen, von denen
wir nicht wissen, welche Interessenlagen die haben, und
von denen wir auch nicht wissen, mit welchen Werkzeu-
gen die arbeiten. Dementsprechend sind wir an diese Pro-
blematik herangegangen und haben die Sache angepackt,
und zwar gegen den Widerstand der Branche. – Dies zu
Ihren Zwischenbemerkungen, Herr Poß.

Schaut man sich die Branche einmal insgesamt an,
stellt man fest, dass dort die Erkenntnis eingetreten ist,
dass sich nach dem Jahr 2008 etwas ändern musste.
Diese Erkenntnis ist aber nur sehr langsam eingetreten.
Bemerkenswerte Äußerungen gab es dazu vorgestern
von dem Privatkundenvorstand der Deutschen Bank, der
als erster Vorstand einer großen deutschen Bank gesagt
hat – ich gebe das, was in der Börsen-Zeitung gesagt
worden ist, nur sinngemäß wieder –: Wenn die Banken,
wenn die Finanzindustrie bei allen Regulierungsvorha-
ben immer nur schreien, das gehe nicht und das mache
alles kaputt, dann müssen sie sich nicht wundern, dass
sie das Vertrauen der Politik komplett verspielen.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich würde
mir wünschen, dass wir viel mehr aktive Mitarbeiter in
der Branche und in der Regulierung haben, dass die
Branche nicht ebenso wie die Opposition immer sagt,
das gehe nicht, das sei alles schlecht, das werde alles ka-
puttmachen, sondern dass sie mithilft, eine konstruktive
Regulierung hinzubekommen.

Das, was wir im Rahmen der 60 bis 70 Debatten hier
diskutiert haben, ist eine konstruktive Regulierung. Des-
wegen bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustim-
men, damit wir am Ende des Tages einmal mehr besse-
ren und stabileren Finanzmärkten nähergekommen sein
werden. Diese christlich-liberale Koalition steht dafür.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722503800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver-
meidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfre-
quenzhandel. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/12536, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 17/11631 und 17/11874 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in dieser Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ange-
nommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von ihren
Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der SPD-Fraktion auf der Drucksache
17/12551. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Wir sind damit mit diesem Tagesordnungspunkt
durch.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt

– Drucksache 17/12485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Bezahlbare Mieten in Deutschland

– Drucksache 17/12486 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann,





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Wohnungsnot bekämpfen – Sozialen Woh-
nungsbau neu starten und zum Kern einer ge-
meinnützigen Wohnungswirtschaft entwickeln

– Drucksache 17/12481 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht über die Wohnungs- und Immobilien-
wirtschaft in Deutschland

– Drucksache 17/11200 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger,
Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig ma-
chen – Für ein sozial gerechtes und klima-
freundliches Mietrecht

– Drucksachen 17/7983, 17/12472 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Sebastian Körber

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache ebenfalls 90 Minuten vorgesehen. –
Dazu besteht Einvernehmen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort erhält zunächst der Kollege Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1722503900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich in die Runde schaue, stelle ich fest: Ich bin
nicht der Einzige, der heute Morgen direkt von München
aus hierher gekommen ist.

Ich bin auch nicht der Einzige, der das politische Ca-
baret


(Volker Kauder [CDU/CSU]: „Kabarett“ heißt das, Herr Steinmeier!)


eigentlich erst gestern Abend auf dem Nockherberg er-
wartet hat, lieber Volker Kauder. Als ich mich zu diesem
Tagesordnungspunkt „Wohnen und Mieten“ gemeldet
habe, konnte ich nicht ahnen, dass das wahre politische
Kuriositätenkabinett schon am Wochenende vor dem
Nockherberg getagt hat.

Man stelle sich das einmal vor: Beim Mindestlohn sa-
gen Christdemokraten und Liberale seit fast vier Jahren:
„Gott sei bei uns!“ – seit drei Tagen soll das alles ganz
anders sein. Bei der Homo-Ehe schien noch vor einer
Woche der Untergang des Abendlandes zu drohen – seit
dem Wochenende alles ganz anders.


(Sebastian Körber [FDP]: Was hat das mit dem Thema zu tun?)


Türkei-Beitritt: Jahrelang hat die Union getönt, dass die
Türken aus der Europäischen Union draußen bleiben sol-
len – am Wochenende sagte die Kanzlerin: Die Verhand-
lungen gehen gar nicht schnell genug.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist doch keine Generaldebatte hier!)


Im Hinblick auf ein NPD-Verbot wurden die Ermittlun-
gen der Innenminister der Länder wochenlang links lie-
gen gelassen, und es wurde Skepsis gestreut – urplötz-
lich, ohne dass sich irgendetwas Neues ereignet hätte,
soll das Kabinett jetzt doch einen Verbotsantrag be-
schließen.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Kennen Sie den Tagesordnungspunkt? – Sebastian Körber [FDP]: Haben Sie die falsche Rede erwischt?)


– Meine Damen und Herren, bevor Sie unruhig werden,
sage ich Ihnen: Glückwunsch zu so vielen neuen Ein-
sichten!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht ganz er-
wehren, dass die eine oder andere dieser neuen Einsich-
ten durch den Wahltermin befördert wurde. Eines rate
ich nur: Überholen ohne einzuholen, das funktioniert
nicht, das haben schon andere versucht, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beim Wettbewerb um politisches Umfallen darf die
FDP natürlich nicht abseitsstehen. Bei der doppelten
Staatsangehörigkeit, einem absoluten No-Go für die Ko-
alition – das war ein Evergreen –, überrascht uns Frau
Leutheusser-Schnarrenberger am Wochenende mit dem
Satz: Alles ist möglich.


(Sebastian Körber [FDP]: Sagen Sie noch etwas zur Sache?)


– Jetzt müssen Sie nicht mehr länger neugierig sein. Bei
den Stichworten „Umfallen“ und „Kehrtwende“ – da ha-
ben Sie recht; insofern verstehe ich, dass Ihnen da etwas
gefehlt hat – darf einer nicht fehlen, nämlich der Baumi-
nister.


(Zurufe von der SPD: Ja!)


Das dreisteste Stück, das in den letzten Tagen zur
Aufführung gekommen ist, stellt den Nockherberg von
gestern Abend mühelos in den Schatten. Man stelle sich
das einmal vor: Ausgerechnet derjenige, der den Kahl-
schlag im Wohnungsbau verursacht hat, ausgerechnet





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

derjenige, der zu den Ersten gehörte, als es darum ging,
die Eigenheimzulage zu streichen, ausgerechnet Herr
Ramsauer dreht sich auf den Hacken um und tut seit dem
Wochenende so, als sei er die Spitze der Bewegung, als
sei er Vorreiter beim Thema „Wohnen und Mieten“. So
einfach geht das nicht!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dreistigkeit mag sich lohnen, auch in der Politik, aber
das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das macht ja Ihr Kanzlerkandidat schon!)


Sie sind verantwortlich dafür, dass das Bund-Länder-
Programm „Die soziale Stadt“ „geschlachtet“ wurde. Sie
sind verantwortlich dafür, dass der Heizkostenzuschuss
abgeschafft wurde.


(Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!)


Sie haben das neue mieterfeindliche Mietrecht auf
den Weg gebracht.


(Sören Bartol [SPD]: So ist es!)


Sie haben die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt
ignoriert und gleichzeitig eine rechtzeitige Gegenwehr
verpennt. Das haben wir nicht vergessen, und wir wer-
den dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland das
auch nicht vergessen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann ja verstehen, dass Sie nach diesen etwas
atemlosen Kehrtwenden vom vergangenen Wochenende
nicht mehr richtig wissen, wo Ihnen der Kopf steht. In
Ihren eigenen Reihen herrscht im Augenblick ein biss-
chen Chaos. Dazu will ich mich aber gar nicht äußern;
das ist Ihre Sache. Meine einzige Bitte ist: Richten Sie
bitte das Chaos, das Sie in der Energiepolitik angerichtet
haben, nicht auch noch in der Wohnungspolitik an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Wohnungspolitik braucht nämlich keine Kehrt-
wenden, sondern Verlässlichkeit. Wenn Sie wollen, dass
Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen bauen, dann
machen Sie keine Kehrtwenden, sondern sorgen Sie für
Planbarkeit und Investitionssicherheit. Familien, die vor
der Entscheidung stehen, wo sie leben möchten und ob
sie mieten oder bauen wollen, brauchen ebenfalls Pla-
nungssicherheit. Solche Pläne kann man eben nicht ein-
fach mal verändern, wenn es einem in den Kram passt.
Wir brauchen keinen Aktionismus und keine Chaotisie-
rung, sondern Ernsthaftigkeit und lange Linien. Ohne
das wird es nichts mit bezahlbarem Wohnraum – auch
nicht bei uns.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unser Vorwurf ist, dass es gerade an dieser Ernsthaf-
tigkeit, von der ich rede, fehlt. In den letzten fünf Jahren
hat sich die Zahl der Haushalte, die 40 Prozent und mehr

von ihrem Einkommen für Miete ausgeben, verdoppelt.
Studenten – das wissen Sie auch – finden in den Unistäd-
ten kaum noch Wohnungen. Der Bestand an Sozialwoh-
nungen geht Jahr für Jahr zurück. Die wenigsten Woh-
nungen sind altersgerecht.

Das alles ist nicht neu. Das haben Sie in Ihrem eige-
nen „Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirt-
schaft in Deutschland“ vom letzten Oktober sogar veröf-
fentlicht. Sie haben es zwar veröffentlicht, aber passiert
ist nichts. Das ist das, was vorzuwerfen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn das so weitergeht, dann werden wir den Prozess
nicht aufhalten, dass ganz normale Familien aus ihren
Vierteln, in denen sie wohnen, verdrängt werden. Dann
können es sich nur noch ganz wenige leisten, tatsächlich
im Zentrum der Städte zu wohnen, dann erkennen wir
unsere Städte bald nicht mehr wieder, und dann kriegen
wir Verhältnisse wie anderswo auf der Welt, die wir
nicht wollen.

Ich finde es gut, dass wir uns in diesem Hause, als die
Bilder aus Frankreich, von den französischen Banlieues
durch die Medien gingen, einig waren, dass wir solche
Bilder in deutschen Städten nie sehen wollen. Darüber
gab es Konsens. Das Problem ist nur: Dieser Konsens ist
wohnungspolitisch folgenlos geblieben.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja!)


Er ist folgenlos geblieben und musste folgenlos blei-
ben, weil Sie gleichzeitig zum Beispiel die Mittel für das
Bund-Länder-Programm „Die soziale Stadt“ endlos zu-
sammengekürzt haben. Hier stimmt einfach vieles nicht.

Sie haben damals gesagt, das sei deshalb notwendig,
um die Betonpolitik der SPD endlich zu einem Ende
kommen zu lassen. Das hat mir viel über das verraten,
was Sie nie verstanden haben. Ich gebe Ihnen ja recht:
Die Bereitstellung von Mitteln für den Bau – dann, wenn
man in Beton und Steine investiert – kann man vielleicht
mal ein oder zwei Jahre schieben, wenn der Haushalt
knapp ist. Das ist wahr. Beim Bund-Länder-Programm
„Die soziale Stadt“ geht und ging es aber nie um Beton.
Das sind soziale Netzwerke, die über zwei Jahrzehnte
gewachsen und in den Quartieren mühsam aufgebaut
worden sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier kann man nicht einfach das Geld wegnehmen
und darauf vertrauen, dass die sozialen Netzwerke erhal-
ten bleiben. Nein, das produziert Enttäuschungen.

Wenn Sie dann, wie jetzt, nach zwei Jahren wieder
Geld dafür zur Verfügung stellen wollen, dann merken
Sie, dass es diese Netzwerke, auf die Sie zurückgreifen
wollen, nicht mehr gibt. Deshalb war das so verhängnis-
voll. Das muss hier einmal zur Sprache kommen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

Notwendig ist etwas anderes, ist ein ganzes Bündel
von Maßnahmen, und das haben wir in unserem Antrag
vorgeschlagen. Das sind aus unserer Sicht zuallererst
Änderungen im Mietrecht, um zum Beispiel Mietsteige-
rungen zu begrenzen – nicht nur in bestehenden Verträ-
gen, sondern auch bei Wiedervermietung.


(Zuruf des Abg. Sebastian Körber [FDP])


– Ja, Sie können das ja gleich hier vom Pult aus gern sa-
gen. – Sie haben nämlich gerade das Gegenteil gemacht.
Sie haben die Position der Mieterinnen und Mieter ein-
seitig geschwächt. Das ist genau der falsche Weg, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Körber [FDP]: Das ist doch Quatsch! Sie müssen es lesen!)


Unser Antrag ist ein Vorschlag. Schauen Sie sich den
an! Ein paar andere Dinge können wir ganz schnell und
einfach miteinander regeln. Ich meine da zum Beispiel
die Übernahme der Maklerkosten durch den Vermieter,
wenn er ihn denn bestellt hat. Der Grundsatz „Wer be-
stellt, der bezahlt auch“ ist in der Marktwirtschaft ja
nichts Neues.


(Zurufe von der SPD: Genau!)


Das gilt überall sonst, außer bei Mieten und Wohnen.
Aber warum nicht auch hier? Deshalb sage ich ganz ein-
fach: Wer bestellt, der bezahlt. Wir haben eine entspre-
chende Initiative auf den Weg gebracht. Ich lade Sie ein,
diese Initiative zu unterstützen, meine Damen und Her-
ren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht jedoch nicht nur um Mietrecht, auch nicht nur
um Maklerkosten. Wir brauchen in diesem Land wieder
Wohnungsneubau, und zwar nicht nur Luxusapartments
in einigen Innenstadtlagen, sondern gute und bezahlbare
Wohnungen für ganz normale Leute.

Damit das klappt, brauchen wir nicht irgendeine För-
derung, wir brauchen eine sehr zielgerichtete Förderung
und gerade keine Förderung nach dem Gießkannenprin-
zip. Denn wahr ist doch genauso – das erfahren Sie in
Ihren Wahlkreisen doch auch –: Im ländlichen Raum ha-
ben wir kein Unterangebot, keinen Mangel an Wohn-
raum, sondern da haben wir Wohnungsleerstand. Dort ist
das Problem eher, dass viele Leute viel Geld – teilweise
ihr ganzes Vermögen – in ihr Haus gesteckt haben und
sie es möglicherweise dann, wenn sie älter werden, nicht
einmal mehr verkaufen können. Deshalb: Förderung
nach dem Gießkannenprinzip kann nicht funktionieren.
Wir brauchen eine zielgerichtete Förderung. Das genau
müsste das Anliegen des Bundesbauministers seit drei-
einhalb Jahren sein. Aber da war nichts, und da ist
nichts. Das ist heute zu beklagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt auch nichts mehr!)


Wir brauchen – das ist meine feste Überzeugung – ein
ganz breites Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Da
muss der Bund vorangehen, da müssen die Länder dazu,
da müssen die Kommunen dazu, die Bauwirtschaft, Ge-
werkschaften, Sozialverbände. Wir brauchen da einen
breiten Pakt.

Wir haben mit unserem Antrag konkrete Vorschläge
unterbreitet, was jetzt in dieser Situation zu tun ist. Die
Menschen, finde ich, haben ein Recht darauf, dass wir
von der Politik Wohnen in diesem Land wieder bezahl-
bar machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, Herr Ramsauer, an Ihre Adresse: Ihre Verant-
wortung für den BER haben Sie abgewälzt auf Berlin
und auf Brandenburg. Ihre Verantwortung für Stutt-
gart 21 – wir beobachten das sehr genau – wälzen Sie im
Augenblick auf die Deutsche Bahn ab. Hier, bei Wohnen
und Mieten, steht niemand zur Verfügung, der die Ver-
antwortung übernimmt. Hier, Herr Ramsauer, sind Sie in
der Verantwortung, und bei dieser Verantwortung wer-
den wir Sie packen.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722504000

Das Wort hat nun der Bundesminister Peter

Ramsauer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Steinmeier, wir hatten ja
heute Morgen schon einmal das Vergnügen. Aber, wis-
sen Sie, das ist eine Generaldebatte, die Sie jetzt begon-
nen haben. Da Sie schon von meiner Verantwortung für
den Berliner Flughafen im Rahmen einer Generaldebatte
sprechen: Natürlich tragen auch der Bund und ich Ver-
antwortung für dieses Projekt am Berliner Flughafen in
dem Ausmaß, in dem es dem Bund als Gesellschafter
aufgegeben ist. Wenn Sie aber schon die Formulierung
gebrauchen, ich hätte Verantwortung auf Berlin und
Brandenburg abgewälzt, dann muss ich hinzufügen: Lei-
der streiten die beiden seit einigen Tagen dermaßen, dass
es mir als Vertreter des Bundes fürchterlich unangenehm
ist; das muss man auch sagen. Das stimmt auch wieder,
Herr Steinmeier.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber ich mache das still und leise im Hintergrund. Wir
bringen das schon wieder in Ordnung,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


und zwar aus Gründen der Gesamtverantwortung.





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

Was Erinnerungen betrifft: Sie haben gesagt, Herr
Steinmeier, ich sei 2006/2007 auch dabei gewesen. Ich
war damals Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im
Deutschen Bundestag als Vorvorgänger der Kollegin
Gerda Hasselfeldt. In der Tat hat die Große Koalition da-
mals zwei sehr wichtige Instrumente der Wohnungsbau-
politik abgeschafft, nämlich die Eigenheimzulage und
die degressive AfA. Beide Instrumente standen auf der
sogenannten Koch/Steinbrück-Liste.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Gut, dass wenigstens Herr Steinbrück heute hier ist. Der
andere, der neben dem Finanzminister Verantwortung
trug – –


(Zuruf des Abg. Florian Pronold [SPD])


– Nicht einmal Sie bringen mich dazu, irgendetwas Ne-
gatives über meinen hochverehrten Amtsvorgänger zu
sagen.

Da Sie aber damit angefangen haben, Herr
Steinmeier, muss ich sagen: Der andere war ein SPD-
Bauminister, der zusammen mit einem SPD-Finanz-
minister diese beiden wertvollen Instrumente abge-
schafft hat, und zwar in federführender Position, nämlich
als Minister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie nicht angefangen hätten, hätte ich es auch
nicht getan; denn ich mag es nicht, hinterher an be-
stimmte Sachverhalte immer wieder zu erinnern.

Wir müssen eine nach vorne gerichtete Baupolitik
und Wohnungspolitik betreiben; denn hier geht es um
ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen.


(Sören Bartol [SPD]: Das sagen wir Ihnen seit drei Jahren! Seit drei Jahren!)


Deswegen ist es mein Wunsch, dass wir alle hier an ei-
nem Strang ziehen und nicht eine Bevölkerungsgruppe
gegen die andere aufhetzen. Das hat keinen Sinn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Inzwischen gibt es Gott sei Dank eine Trendwende.
Dramatisierungen und Pauschalisierungen nutzen nicht.
Die Entwicklung auf den Wohnungsmärkten ist ausge-
sprochen differenziert und ist regional sehr unterschied-
lich, auch was die Ursachen angeht. Deshalb habe ich zu
Beginn dieser Woche das Programm zur Bekämpfung
regionaler Wohnungsknappheit in Deutschland vorge-
stellt, das vieles neu aufgreift, was besser nicht hätte ab-
geschafft werden sollen.

Ich darf aber zunächst einmal feststellen: Deutsch-
lands Wohnungsmarkt ist gekennzeichnet durch einen
hohen Versorgungsgrad und hohe qualitative Standards.
Von einem eklatanten, flächendeckenden Wohnungs-
mangel kann keine Rede sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir alle können froh darüber sein, dass eine Trend-
wende eingetreten ist. Ich verwende hier gerne das Bild

eines schweren Tankers, der seinen Kurs nur allmählich
und langsam verändert. Aber diese Trendwende, diese
Kursänderung ist intensiv und nachhaltig in Gang.

Ich möchte nur einige Zahlen in Bezug auf Baugeneh-
migungen und Baufertigstellungen nennen. Im Jahr 2009
gab es 177 000 Baugenehmigungen. Diese Zahl ist kon-
tinuierlich auf 245 000 im vergangenen Jahr angewach-
sen. Den Baugenehmigungen folgten natürlich mit einer
Verzögerung von ein bis zwei Jahren die Baufertigstel-
lungen. Analog ziehen auch die Baufertigstellungen an.
Im Jahr 2009 gab es 159 000. Bereits im letzten Jahr hat-
ten wir rund 200 000 Baufertigstellungen zu verzeich-
nen. Analog zu den Baugenehmigungen wird die Zahl
der Baufertigstellungen in den kommenden Jahren wei-
ter ansteigen.

Unser Ziel ist es, auf jährlich etwa 250 000 neue
Wohnungen zu kommen, sodass wir innerhalb der nächs-
ten fünf Jahre das Defizit abbauen. Wir haben gute Aus-
sichten, das auch zu schaffen, wenn wir es richtig anpa-
cken.

Wir tun bereits eine ganze Menge dafür. Man kann
nicht oft genug daran erinnern, dass Bund, Länder und
Gemeinden für das Wohnen, für die Kosten der Unter-
kunft und für das Wohngeld eine Summe von etwa
17 Milliarden Euro bereitstellen und dass wir infolge der
Föderalismusreform seit 2007 den Ländern jährlich
518 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung
in die Hand geben. Ich trete sehr dafür ein, dass wir
diese Summe über das Jahr 2014 hinaus verstetigen. Da-
bei stimmen wir mit Ihnen überein; Sie verlangen das
auch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich füge hinzu, dass
wir wollen – das wollen auch Sie, wie ich gelesen habe,
Herr Steinmeier –, dass die Länder mit diesen 518 Millio-
nen Euro – meinetwegen auf Dauer nicht nur nominal –
nicht nur irgendetwas im Bereich von Investitionen ma-
chen können, sondern dass damit auch wirklich der
Wohnungsneubau gefördert wird.

Einige Länder machen das in vorbildlicher Weise.
Dazu gehört der Freistaat Bayern. Dazu gehört Nord-
rhein-Westfalen. Dazu gehört Hamburg. Es gibt aller-
dings auch einige Länder – ich nenne jetzt keine –, die
keinen einzigen Euro in den Neubau von sozial geförder-
tem Wohnraum stecken.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722504100

Herr Minister, gestatten Sie zwei Zwischenfragen,

einmal von den Grünen, einmal von der SPD?


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst wir!)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Ja. Bitte sehr.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722504200

Bitte schön.






(A) (C)



(D)(B)


Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722504300

Herr Minister, Sie haben recht. Wir wollen keine

Schlammschlacht, sondern wir wollen an einem Strang
ziehen. Insofern nehme ich das gerne auf, wenn Sie die
Hand reichen.

Nun zu meiner Frage. Wir werden demnächst im Ple-
num die Änderung des Baugesetzbuchs beraten. Das
Satzungsrecht könnten wir durch Bundesgesetzgebung
stärken, indem wir den Kommunen die Möglichkeit ge-
ben, in bestimmten Gebieten die Mieten zu deckeln; das
ist die Milieuschutzsatzung. Das könnten wir um diesen
Passus erweitern.

Wie sehen Sie das? Werden Sie den Kommunen an
dieser Stelle helfen? An dieser Stelle haben Sie die Mög-
lichkeit dazu.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Wir sind in der Tat gerade dabei, das Baurecht zu no-
vellieren. Ich bin sehr dafür, dass wir den Ländern und
Gemeinden die Möglichkeit eröffnen, selbst tätig zu
werden. Wie ich eingangs bereits gesagt habe, haben wir
es mit regional sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu
tun. Es gibt auch Gegenden in Deutschland, in denen in
den letzten Jahren die Mieten gesunken sind, in denen
wir leer stehenden Wohnraum haben, lieber Volkmar
Vogel, aber nicht nur in den neuen Bundesländern, son-
dern auch hier und dort in den alten Bundesländern.

Es ist natürlich schwierig, von Bundesseite aus mit ei-
nem politischen Breitbandantibiotikum regional und
passgenau zu reagieren und zu steuern. Deswegen ist es
richtig, den Ländern und den Kommunen Möglichkeiten
zu eröffnen, passgenau, bezogen auf ihre Verhältnisse
und Probleme, zu reagieren.

Eines dieser Instrumente haben wir mit der vor weni-
gen Monaten beschlossenen Novellierung des Miet-
rechts geschaffen. Damit haben wir den Ländern die
Möglichkeit eröffnet, die Kappungsgrenze von 20 Pro-
zent auf 15 Prozent innerhalb von drei Jahren zu reduzie-
ren. – Frau Kollegin, bleiben Sie bitte stehen; ich bin
noch nicht fertig mit der Beantwortung.


(Caren Marks [SPD]: Wie wäre es denn mit einer Antwort?)


Ich lade die Länder ein, von dieser Möglichkeit Ge-
brauch zu machen.

Den Ländern steht ein weiteres Instrument zur Verfü-
gung. Das betrifft vor allen Dingen die Eigentumsbil-
dung, aber auch Grundstückskäufe für den Mietwoh-
nungsbau.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war nicht die Frage der Kollegin!)


Man kann die Höhe der Grunderwerbsteuer auf 3,5 Pro-
zent festsetzen, wie es beispielsweise der Freistaat Bayern
getan hat. Man kann die Höhe der Grunderwerbsteuer
aber auch auf 5,5 Prozent festsetzen, wie es beispiels-

weise das Saarland getan hat. Das sind 2 Prozentpunkte
Unterschied. Auch hier haben es die Länder in der Hand,
zu reagieren und das Ganze zu steuern; schließlich steht
ihnen das Geld zu.

Also ein klares Ja, liebe Frau Kollegin, zur Möglich-
keit für Städte, Gemeinden und Länder, passgenau zu re-
agieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722504400

Kollege Bartol wollte auch noch eine Frage stellen. –

Bitte.


Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1722504500

Lieber Herr Bundesminister Ramsauer, bevor Sie mit

dem fortfahren, womit Sie begonnen hatten, nämlich mit
der Märchenstunde zur Frage „Wie geht es weiter mit
den 518 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau,
den sogenannten Entflechtungsmitteln?“ und mit ihren
Ausführungen zur Zweckbindung, möchte ich Sie noch
einmal darauf hinweisen – vielleicht ist Ihnen das in der
Kabinettssitzung einfach entgangen –, dass Sie selber ins
Kabinett einen Gesetzentwurf – er liegt uns als Drucksa-
che 17/12296 vor – eingebracht haben, der entgegen
dem, was Sie auf der Pressekonferenz und auch hier an-
gekündigt haben, nämlich dass Sie die Mittel für den
sozialen Wohnungsbau über das Jahr 2013/2014 hinaus
geben wollen, eine Verlängerung um nur ein Jahr be-
inhaltet.

Sie haben gerade eben zur Frage der Zweckbindung
ausgeführt. Genau das Gegenteil steht in diesem Gesetz-
entwurf der Bundesregierung vom 6. Februar 2013.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Hört! Hört!)


Dort steht nichts von Zweckbindung. Im Gegenteil: Die
Zweckbindung für diesen Aufgabenbereich entfällt. Es
bleibt nur die investive Zweckbindung.

Jetzt möchte ich Sie fragen: Haben Sie in der Kabi-
nettssitzung geschlafen? Ist Ihnen das entgangen? Oder
wollen Sie das jetzt verändern? Wenn Sie das verändern
wollen, dann sagen Sie uns bitte, wann Sie diesen Ge-
setzentwurf – Ihren eigenen Gesetzentwurf – verändern!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Lieber Herr Kollege, wenn wir solche Gesetze ma-
chen, dann machen wir sie nicht gegen die Länder, son-
dern mit den Ländern. Das ist mein Verständnis von
Bundespolitik: nicht gegen, sondern mit den Ländern.

Nun haben wir bei den Ländern eine gewisse Ent-
wicklung der Mehrheitsverhältnisse.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Bei bestimmten Ländern!)


Wenn die konstruktive Haltung Oberhand behalten hätte,
hätten wir hinsichtlich der seit etwa einem Jahr laufenden
Verhandlungen über die Fortführung dieser Entflech-





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

tungsmittel – sie werden auch „Kompensationsmittel“ ge-
nannt – schon längst eine weiterführende Einigung; die
hätte ich mir gewünscht. Diese Mittel betreffen nämlich
nicht nur den Bereich des sozialen Wohnungsbaus
– hierbei geht um Mittel in Höhe von 518 Millionen
Euro, wie Sie wissen –, sondern sie dienen auch der
Hilfe für Länder beim Nahverkehr, beim Regionalver-
kehr. Darauf entfallen etwa 1,35 Milliarden Euro.

Was wir jetzt getan haben, damit wir keine Zeit ver-
lieren, ist, dass wir in einer Art Nothilfe für die Länder
wenigstens für das Jahr 2014 Klarheit schaffen. Mit
ebensolcher Klarheit sage ich: Wir wollen, dass diese
Mittel nicht nur für allgemein investive Zwecke, sondern
für den Wohnungsbau eingesetzt werden. Aber um so ei-
nem Nothilfegesetz, so nenne ich es jetzt einmal, alle
Angriffsflächen zu nehmen – ich sage das insbesondere
mit Blick auf die Seite der SPD-Länder –, haben wir die-
sen Gesetzentwurf so formuliert, damit wir Sicherheit
und Gewissheit im Interesse aller 16 Bundesländer ha-
ben.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist doch plump dahingesagt!)


Wenigstens für das Jahr 2014 soll Klarheit geschaffen
werden, und diese Klarheit brauchen wir auch im Hin-
blick auf den Haushalt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ausrede, aber keine Erklärung!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722504600

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Seifert von der Fraktion Die Linke?

Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Ja.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722504700

Bitte schön.


(Zuruf von der SPD, an die LINKE gewandt: Verlängert doch nicht die Redezeit! – Gegenruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ihr habt es doch auch gemacht!)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Ich nehme solche Zwischenfragen deswegen sehr
gerne entgegen.


(Sören Bartol [SPD]: Genau! Damit Ihre Märchenstunde noch ein bisschen länger geht!)



Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722504800

Wollen wir erst einmal warten, ob Ihnen meine Frage

gefällt, Herr Minister. Aber das ist ja nicht der entschei-
dende Punkt.

Der entscheidende Punkt ist: Sie haben jetzt schon
eine ganze Weile geredet. Wenn wir über Wohnungsbau

reden, dann reden wir über Bauten, die mindestens
50 Jahre funktionieren sollen. Insofern meine Frage:
Warum wollen Sie nicht verbindlich vorschreiben, dass
Barrierefreiheit herzustellen ist, wenn neu gebaut wird?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sollten verhindern, dass neue Barrieren errichtet
werden, die dann mühselig und sehr, sehr teuer ausge-
merzt werden müssen.

Jedes Mal, wenn Sie reden, vergessen Sie diesen Be-
griff. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass
Sie das insgesamt nicht für wichtig erachten. Ich finde,
das gehört mitten hinein in unsere Gesellschaft, nicht nur
wegen der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist
auch im Interesse der Menschen, die älter werden, im In-
teresse der Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind, und
auch im Interesse von Kindern, die zum Beispiel durch
einen Aufzug viel leichter nach oben kommen als über
lange, steile Treppen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Lieber Herr Kollege Seifert, Sie haben mir noch nicht
zu Ende zugehört. Sie können es gar nicht erwarten.
Danke, dass Sie mir die Gelegenheit geben, Ausführun-
gen zum Thema „barrierefreies Bauen“ zu machen. Es
gab noch nie eine Zeit in unserem Land, in der das Bun-
desbaurecht, die Länderbauordnungen und die kommu-
nalen Bausatzungen so intensiv behindertenfreundlich
ausgestaltet waren wie heute. Das ist eine großartige Er-
rungenschaft bei Bund, Ländern und Gemeinden; denn
Barrierefreiheit im privaten und vor allen Dingen im öf-
fentlichen Bau ist ein wesentlicher Bestandteil einer dis-
kriminierungsfreien Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich nenne ganz bewusst den öffentlichen Bau. Das be-
deutet beispielsweise bei der Bahn auch den sukzessiven
Umbau zu barrierefreien Bahnhöfen. Das alles gehört
dazu. Vielleicht haben noch weitere Redner die Mög-
lichkeit, diesen Aspekt aufzugreifen.

Herr Präsident, ich fahre in meiner Rede fort. – Was
haben wir uns vorgenommen? Vieles von dem, was wir
bereits tun, ist angesprochen worden, zum Beispiel die
Verlängerung der Bereitstellung von Kompensationsmit-
teln für die Länder – das ist eine Hilfe für die Länder –
auch über das Jahr 2014 hinaus, über das hinaus, was wir
jetzt für 2014 zunächst einmal gesetzlich regeln. Wir
werden des Weiteren nicht nur im Bereich des energe-
tisch günstigen Bauens, sondern auch im Bereich des
kostengünstigen Bauens neue Instrumente bei der Kre-
ditanstalt für Wiederaufbau schaffen. Hierzu laufen die
Verhandlungen.

Ich greife jetzt noch einmal die Themen auf, die be-
reits eingangs meiner Rede zur Sprache kamen: Eigen-
heimzulage und degressive AfA. Wenn solche Instru-





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

mente abgeschafft werden, dann sieht man die Folgen
nicht im ersten oder zweiten Jahr nach der Abschaffung,
sondern das hinterlässt erst im Laufe der Jahre gravie-
rende Spuren.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Problem ist nicht die Eigenheimzulage!)


Wir haben seit sechs, sieben Jahren Erfahrungen ge-
sammelt. Ich bin froh darüber, dass alle immobilienwirt-
schaftlichen und wohnungswirtschaftlichen Verbände
meinen Vorschlag, den Vorschlag der Bundesregierung
unterstützen, die Möglichkeiten, die sich im Bereich der
degressiven Abschreibung und im Bereich der Eigen-
heimzulage bieten, neu zu bewerten. Das sind Instru-
mente, die in die nächste Legislaturperiode hineinrei-
chen. Es braucht seine Zeit, bis solche Entwicklungen
wieder korrigiert werden.

Lassen Sie mich noch einmal etwas zur Eigenheimzu-
lage sagen. Diese ist genauso wertvoll wie der Wohn-
Riester und dient auch der Eigentumsbildung. Die Ei-
gentumsbildung im Immobilienbereich ist für mich eine
der wertvollsten Arten der Altersvorsorge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Möglichkeit der degressiven Abschreibung wird
auch den Mietwohnungsbau beleben. Die entsprechen-
den Investoren warten nur darauf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kurzfristig
wirksam sind die Maßnahmen im Bereich des Wohn-
geldes. Wir schlagen vor, sowohl im Hinblick auf die
Leistungshöhe als auch auf die Miethöchstbeträge die
Entwicklungen bei den Kosten und Bestandsmieten
nachzuvollziehen. Der Freistaat Bayern wird in den
nächsten Tagen im Bundesrat mit einem entsprechenden
Antrag aktiv werden.

Zusammengefasst: Wenn wir diese Instrumente wirk-
sam einsetzen, dann sind wir gewiss, dass wir damit
Wohnraum in einer mittleren Frist von vier bis fünf Jah-
ren ausreichend verfügbar machen, dass wir Wohnraum
auch bezahlbar machen. Wohnraum muss erwerbbar
sein. Die Baugrundstücke müssen bezahlbar sein. Das
Bauen als solches muss bezahlbar sein. Bezahlbar müs-
sen auch die Mieten sein. Ich lade alle dazu ein, meinen
Vorschlägen für besseres und ausreichendes Wohnen in
Deutschland zu folgen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722504900

Das Wort hat nun Heidrun Bluhm für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722505000

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Nachdem ich zunächst dachte, dass ich hier heute
Morgen den falschen Veranstaltungstermin erwischt habe,

sehe ich jetzt aber doch, dass der Wahlkampf seine
Schatten vorauswirft


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt wird’s sachlich! – Peter Götz [CDU/CSU]: Jetzt wird es richtig sachlich, ja!)


und an dieser Stelle deutlich wird, dass wir von der Op-
position tatsächlich fit und reif sind, in den Wahlkampf
einzusteigen. Denn es sind vier Anträge zu verhandeln,
aber von der Regierung ist da nichts. Offensichtlich will
sie nichts falsch machen; deswegen tut sie nichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, auch mit dem von Ihnen vorgelegten zweiten Be-
richt über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in
Deutschland zeigen Sie, dass Sie ohne eigene Initiativen
bleiben. Dieser Bericht liegt seit Oktober vor, und Sie
haben es bis heute nicht geschafft, in irgendeiner Weise
etwas aus diesem Bericht herauszuziehen, um etwas im
Bereich Wohnungspolitik zu machen, obwohl der Be-
richt den Zustand des Marktes weit schlechter einschätzt
als der Bericht davor. Das zeugt also nicht gerade von
übergroßem Eifer oder gar von politischer Kreativität.
Es wird also Zeit, dass endlich neu gewählt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Minister, oder war etwa das, was Sie zum Bei-
spiel auf Ihrer vorgestrigen Pressekonferenz dargestellt
haben, das Konzept der Regierung? Eben haben Sie
noch einmal versucht, das Sammelsurium der Dinge, die
Sie wieder aufwärmen wollen, hier vorzutragen, aber
haben bei der Wohnungspolitik die Frage der Zukunfts-
fähigkeit überhaupt nicht im Auge.

Worauf soll aber dieser Bericht, den Sie vorgelegt ha-
ben, eine Antwort sein? Auf die drängenden Fragen von
Millionen Mieterinnen und Mietern nach bezahlbarem
Wohnraum ganz bestimmt nicht! Schon der erste Bericht
enthielt eine Reihe von kritischen Analysen und Emp-
fehlungen dazu, wie die Politik auf die sich abzeichnen-
den Anforderungen durch den demografischen Wandel,
die Klimaveränderungen und die regionalstrukturellen
Veränderungen in Deutschland reagieren sollte. Aber es
stand leider ganz am Anfang des Berichtes auch der
Satz: „Die Wohnungsversorgung in Deutschland ist gut.“
Das war anscheinend der einzige Satz, den einige Fach-
politiker der CDU/CSU und der FDP zur Kenntnis ge-
nommen und vor allem auch auswendig gelernt hatten.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Nun aber steht dieser Satz im neuen Bericht von 2012
nicht mehr, und das hat einen Grund: Die Wohnungsver-
sorgung in Deutschland ist nicht gut. Sie war es auch
schon zum Zeitpunkt der Erstellung des ersten Berichtes
nicht. Die Tendenzen der Verknappung und Verteuerung
von Wohnraum in Ballungsgebieten, der Mangel an al-
tersgerechten, barrierefreien und barrierearmen Wohnun-
gen sowie an energetisch saniertem Wohnraum waren
auch schon damals deutlich spürbar und als drängende
Aufgabenstellung und als große Herausforderung für





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

alle Akteure in der Politik und der Wohnungswirtschaft
nicht mehr vom Tisch zu wischen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung hat das bestenfalls achselzuckend
zur Kenntnis genommen. Offenbar wird auch der jetzt
vorliegende Bericht zur Immobilienwirtschaft das gleiche
Schicksal erleiden und folgenlos in den Regierungs-
schubladen verschwinden. Es ist jedenfalls nicht erkenn-
bar, dass die Regierung irgendwelche logischen Schluss-
folgerungen aus ihren eigenen Berichten gezogen oder
Maßnahmen ergriffen hätte, die den negativen Entwick-
lungen auf dem Wohnungsmarkt entgegenwirken. Denn
seit Oktober 2012 ist nichts, aber auch gar nichts pas-
siert. Herr Steinmeier, ich kann an Ihr Zitat anschließen.
Sie sagten: „Aber da war nichts, und da ist nichts.“ Ich
sage: Da kommt auch nichts.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode
auf dem Gebiet der Wohnungspolitik zuwege gebracht
hat, ist das unsägliche Mietrechtsänderungsgesetz, das
nach fast vierjährigen Geburtswehen doch noch rechtzei-
tig vor dem Verfallsdatum dieser Regierung pflichtschul-
dig an die Besteller ausgeliefert wurde.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und im Bundesrat durchgewinkt wurde!)


Dieses Gesetz – da stimme ich mit dem Antrag der SPD
„Bezahlbare Mieten in Deutschland“ überein – muss
wieder vom Tisch.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das kann man nicht kosmetisch aufhübschen oder mit
Korrekturen entschärfen: Das ganze Gesetz ist ebenso
unnötig wie schlecht gemacht, und es muss wieder ver-
schwinden. Aber, meine Damen und Herren von der
SPD, Sie hätten vielleicht ein bisschen mehr Courage zei-
gen und diese Gesetzesinitiative im Bundesrat wenigs-
tens an den Vermittlungsausschuss überweisen sollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Miet- und Wohnkosten laufen der Einkommens-
entwicklung davon, und trotzdem wollen Sie von der
SPD, dass die Bestandsmieten 3,75 Prozent im Jahr oder
bei Wiedervermietung sogar um 10 Prozent steigen kön-
nen. Das ist – anders als angekündigt – keine Mietpreis-
bremse, liebe SPD; das treibt die Schere zwischen Ein-
kommen und Mieten weiter auseinander.

Die möglichen Mietsteigerungen, wie Sie sie vor-
schlagen, liegen deutlich über der Inflationsrate und erst
recht weit über der Entwicklung der Realeinkommen.
Ihre Vorschläge entlasten also die Mieterhaushalte nicht,
sondern sie legitimieren die Mieterhöhung ohne jede Ge-
genleistung. Die Wohnungen sind in vier Jahren nicht
um 15 Prozent größer geworden, und sie werden allein
durch Neuvermietung auch nicht um 10 Prozent besser.
Wodurch sollten also diese Mieterhöhungen gerechtfer-
tigt sein?


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen in Deutschland, jedenfalls die, die Mo-
nat für Monat sehen müssen, wie sie finanziell über die
Runden kommen – das betrifft nun einmal die allermeis-
ten –, treibt die Sorge um, ob sie sich demnächst ihre
Wohnung noch leisten können. Wohnen in Deutschland
wird seit einigen Jahren immer teurer, und diese Tendenz
hält weiter an.

Die Ursachen sind vielfältig und regional differen-
ziert. Steigende Bau- und Grundstückspreise spielen da-
bei ebenso eine Rolle wie Grund- und Grunderwerbsteu-
ern; aber auch die unabwendbaren Erfordernisse der
Barrierefreiheit oder des Klimaschutzes in Wohngebäu-
den führen zwangsläufig zu Kostensteigerungen.

Im Kern aber liegt die Haupttriebkraft für den Anstieg
der Wohnungsmieten im Auseinanderdriften von Ange-
bot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt; einerseits
quantitativ, weil in Deutschland insgesamt in den letzten
Jahren viel zu wenige Wohnungen gebaut worden sind,
und andererseits auch qualitativ, weil das, was gebaut
wurde, weder der finanziellen Leistungskraft der Haus-
halte noch den grundlegend veränderten Wohnbedürfnis-
sen der Mieterinnen und Mieter entsprach.

Herr Ramsauer, diese 250 000 Wohnungen, die Sie
meinen, enthalten nicht den Begriff „sozial“, den nennen
Sie jedenfalls nicht. Ich fürchte, dass auch das wieder
Luxuswohnungen werden sollen.

Zusätzlich werden die Verwerfungen auf dem Woh-
nungsmarkt in den letzten Jahren zunehmend durch das
massive Auftreten nationaler und internationaler Finanz-
spekulanten verschärft, die Wohnungen lediglich als ren-
diteträchtige Anlageobjekte erwerben und verwerten
wollen. Dazu sollten Sie alle einmal den vorgelegten Be-
richt der Enquete-Kommission aus NRW studieren. Herr
Steinmeier, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, es sei keine
Kehrtwende notwendig. Hier wird beschrieben, dass es
tatsächlich jetzt endlich eine Kehrtwende geben muss.
Vielleicht sollten Sie diesen Bericht, der erst zwei Tage
alt ist, für sich erschließen.

Der massenhafte Aufkauf von großen, ehemals öf-
fentlichen oder betrieblichen Wohnungsbeständen durch
Finanzinvestoren wächst sich zu einer Bedrohung für die
gesamte Wohnungswirtschaft und natürlich zuerst für
die betroffenen Mieterinnen und Mieter aus – und das
nicht nur in NRW, sondern vor allem insgesamt in
Deutschland.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722505100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Mücke von der FDP?


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722505200

Gern, ja.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt keinen Elefanten daraus machen!)







(A) (C)



(D)(B)


Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1722505300

Frau Kollegin Bluhm, Sie haben gerade die große Pri-

vatisierungswelle von öffentlichen Wohnungsunterneh-
men angesprochen. Stimmen Sie mir zu, dass Ihre Partei
ganz wesentlich mit dazu beigetragen hat? Beispiels-
weise ist in Berlin in Ihrer Regierungszeit, als Sie ge-
meinsam mit der SPD diese Stadt regiert haben, die
GSW veräußert worden, die größte kommunale Woh-
nungsbaugesellschaft, die diese Stadt hatte.

Stimmen Sie mir zu, dass die Linkspartei in meiner
Heimatstadt Dresden zumindest zur Hälfte bei der Priva-
tisierung der WOBA zugestimmt hat? Sind Sie mit mir
einer Meinung, dass niemand mehr Wohnungen in
Deutschland privatisiert hat als Linke, SPD und Grüne
zusammen?

Ich will Sie daran erinnern, dass Herr Steinmeier, der
hier vorhin


(Thomas Oppermann [SPD]: Eine überzeugende Rede gehalten hat!)


versucht hat, eine große Rede zu halten, als Chef des
Kanzleramts mit dafür verantwortlich gewesen ist, dass
in Deutschland 200 000 Eisenbahnerwohnungen – Woh-
nungen des Bundes – privatisiert worden sind. Stimmen
Sie mit mir überein, dass Herr Kollege Steinbrück als Fi-
nanzminister mit dafür verantwortlich gewesen ist, dass
86 000 Wohnungen der BfA privatisiert worden sind?
Stimmen Sie mit mir überein, dass die grün-rote Landes-
regierung in Baden-Württemberg gerade eben 22 000
Wohnungen der Landesbank Baden-Württemberg priva-
tisiert hat?

Es ist doch doppelbödig, wenn Sie hier sagen, die Pri-
vatisierungen von öffentlichem Wohnraum hätten zu
Mietpreissteigerungen geführt. Niemand hat mehr Woh-
nungen in Deutschland privatisiert als Sie alle drei zu-
sammen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722505400

Herr Mücke, auf Ihre lange Frage eine ganz kurze

Antwort: Ja, die Analyse, die Sie vorgetragen haben, ist
richtig. Aber die Linke hat aus diesen Fehlern gelernt.
Vielleicht sollten Sie unsere Fehler nicht auch noch
übernehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Allein, dass die Bundesregierung, obwohl der ein-
gangs zitierte Immobilienbericht davor warnt, dieser
Entwicklung tatenlos zusieht, ist sträflich und mehr als
vorsätzlich. Dass sie sich aber selbst an derlei Geschäf-
ten beteiligt und dabei kreative Geschäftsmodelle zur
Vermeidung von Steuereinnahmen anwendet, ist ein
Skandal erster Güte. Wenn es stimmt, worüber Monitor
in der vergangenen Woche berichtet hat, dann hat das
Bundesfinanzministerium durch einen Share Deal beim
Verkauf der TLG Wohnen GmbH zugunsten des Erwer-

bers auf Steuereinnahmen in Höhe von 50 Millionen
Euro verzichtet.


(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)


Obendrein geht das zulasten der ostdeutschen Bundes-
länder, denen die Grunderwerbsteuer zugestanden hätte.

Wie man sieht, hat die Bundesregierung nicht nur
kein Konzept zur Eindämmung der Explosion der Miet-
preise, sie befördert diese Entwicklung selbst: entweder
durch Nichtstun oder durch falsches Tun. Deshalb bringt
die Linke heute einen Antrag ein, mit dem wir einerseits
auf die aktuelle Entwicklung auf dem deutschen Woh-
nungsmarkt reagieren, andererseits Vorschläge zur alter-
nativen Entwicklung in der Wohnungswirtschaft vorle-
gen wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen den akuten Auswüchsen bei der Entwick-
lung der Miet- und Wohnkosten durch ordnungspoliti-
sche Maßnahmen schnell und wirksam begegnen. Wir
wollen eine Perspektive entwickeln, mit der die Woh-
nungswirtschaft auf ihre eigentliche Funktion und ge-
sellschaftliche Aufgabe zurückgeführt wird, nämlich die
bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit be-
zahlbaren, barrierearmen bzw. barrierefreien und klima-
gerecht sanierten Wohnungen. Selbst das Verbändebünd-
nis Wohnungsbau, das heute tagt, fordert, diese Aufgabe
in Angriff zu nehmen.

Zunächst geht es uns darum, dass auch bei der Ver-
mietung von Wohnraum, wie sonst überall in der Wirt-
schaft, das Prinzip von Leistung und Gegenleistung gel-
ten muss. Allein der Besitz einer Wohnung ist keine
Leistung, die eine regelmäßige Erhöhung von Bestands-
mieten rechtfertigt.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Neu- oder Weitervermietung stellt keine Stei-
gerung des Gebrauchswertes der Wohnung dar.


(Sebastian Körber [FDP]: Das sind ja Vorstellungen!)


Warum sollte also allein der Akt einer Neu- oder Weiter-
vermietung eine Mietsteigerung von 10 oder 20 Prozent
oder gar mehr erwirtschaften?


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


Wir wollen, dass nicht der Mangel an Wohnungen den
Preis bestimmt, sondern der Gebrauchswert der Woh-
nung. Was die Linke fordert, ist also kein sozialistisches
Teufelszeug, sondern konsequent marktwirtschaftlich.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Es gibt keinen Bereich, wo es weniger Marktwirtschaft gibt als im Wohnungsbereich!)


Wir schlagen deshalb entsprechende Veränderungen im
BGB vor.

Ebenso verhält es sich mit dem Kompromissvor-
schlag zur Begrenzung der Modernisierungsumlage. Ich
habe bisher weder von der Regierungskoalition noch von
SPD und Grünen eine betriebswirtschaftliche Begrün-





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

dung für die Forderung nach einer 9- bzw. 11-prozenti-
gen Modernisierungsumlage gehört. Bei 11 Prozent ha-
ben die Mieterinnen und Mieter dem Vermieter nach
neun Jahren die Investitionskosten bezahlt, bei 9 Prozent
nach elf Jahren. Der Vermieter denkt aber nicht im
Traum daran, die Mietsteigerung wieder zurückzuneh-
men, wenn die Modernisierungskosten vollständig zu-
rückgeflossen sind.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Bei einem Drittel gibt es gar keine Mietsteigerungen!)


Konsequenterweise müssten wir in Zukunft dafür sor-
gen, dass nur dann die Umlage der Modernisierungskos-
ten erfolgen darf, wenn die Modernisierung der Woh-
nung mit einer entsprechenden Gebrauchswertsteigerung
für die Mieterinnen und Mieter verbunden ist, mindes-
tens mit einer nennenswerten Einsparung bei den Neben-
kosten. Das ist im Übrigen auch die Position des Deut-
schen Mieterbundes; das will ich nebenbei erwähnen.

Der Markt kann also nicht alles alleine leisten. Selbst
der Chef des GdW sagt: Gerade dieser ist momentan
eklatant überfordert.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722505500

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722505600

Okay.

Noch eine letzte Bemerkung zum sozialen Woh-
nungsbau. Es wird so getan, als ob die Regierung in Be-
zug auf die bis zu 250 000 fehlenden Wohnungen den
sozialen Wohnungsbau im Blick hat. Das ist nicht so.
Hier geht es um normale bzw. Luxuswohnungen. Wir
brauchen mindestens 150 000 Wohnungen im Jahr, die
explizit den Stempel des sozialen Wohnungsbaus tragen.
Aber selbst das wird nicht ausreichen, um die Ziele, die
Sie sich selbst gesteckt haben, zu erreichen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722505700

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722505800

Der letzte Satz. Mit der Flickschusterei, die eigentlich

schon Politikverweigerung ist, wird weder der Woh-
nungsmangel in Ballungsräumen überwunden, noch
werden die Mieten gebremst.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Den hätten Sie auch noch weglassen können!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722505900

Das Wort hat Patrick Döring für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1722506000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist immer spannend, wenn die geschätzte
Kollegin Bluhm das Wort ergreift; denn niemand kennt
sich so gut mit der sozialistischen Wohnraumpolitik wie
auch mit der marktwirtschaftlichen Wohnraumpolitik
aus.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat so einen Bart!)


Sie selbst, liebe Kollegin, haben von den anwesenden
Kollegen wahrscheinlich den größten Immobilienbe-
stand in Ihrer Heimatstadt. Ich gehe davon aus, dass Sie
sich genau so verhalten, wie Sie hier vorgetragen haben,
und Ihren Mietern in den nächsten Jahren keine Miet-
erhöhung zumuten. Wenn Sie auf diese Weise Ihr Ge-
schäft führen, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesen Tagen spielt das Thema Klartext eine große
Rolle. Deswegen hätte ich mir schon gewünscht, dass
der Kollege Steinmeier auf die Verwirrungen eingeht,
die entstanden sind. Da er das nicht getan hat, will ich
das zumindest für die schwarz-gelbe Koalition machen.
Wir wollen und wir werden keine Mehrwertsteuer auf
Mieten erheben. Bei uns denkt über so etwas niemand
nach, anders als bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen
und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Das ist so billig!)


Wenn man die Reden von Frau Bluhm und Herrn
Steinmeier hört, dann stellt man fest, dass sie übersehen,
dass der Markt, über den wir sprechen, vor allen Dingen
dann funktioniert, wenn er möglichst wenig verunsichert
wird.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)


Sie tragen in den letzten Tagen und Wochen dazu bei,
genau das zu tun. Eine Debatte über die Mehrwertsteuer-
pflicht bei Mieten ist das jüngste Beispiel. Davor haben
Sie begonnen, die Wohnungseigentümerinnen und Woh-
nungseigentümer mit dem Thema „Vermögensteuer,
Vermögensabgabe“ zu verwirren.

Denn eines ist auch klar: Wenn Sie auf das Immobi-
lienvermögen der Deutschen 1,5 Prozent Vermögensteuer
unabhängig vom Ertrag erheben, dann werden diese
1,5 Prozent nicht die Hauseigentümer bezahlen, sondern
die Mieterinnen und Mieter. Es ist das größte Mieterhö-
hungsprogramm, das dieses Haus je gesehen hat, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich bin auch irritiert, wie leichtfüßig Sie hier über die
angeblichen Versäumnisse dieser Koalition sprechen.
Wir haben das Mietrecht modernisiert.


(Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD])


Wir haben in diesem Haus mit großer Mehrheit fest-
gehalten, dass die energetische Sanierung von Wohn-
raum sowohl den Mieterinnen und Mietern als auch





Patrick Döring


(A) (C)



(D)(B)

unseren Klimaschutzzielen als auch der Qualität des
Wohnungsbestandes in Deutschland dienlich ist.


(Sören Bartol [SPD]: Sie haben die soziale Balance zerstört, nichts anderes!)


Dass das alle so sehen wie wir, erkennen wir daran,
dass alle sozialdemokratisch regierten Bundesländer, lie-
ber Kollege Bartol, im Bundesrat unserem Gesetz zuge-
stimmt haben. Bauen Sie hier doch nicht einen solchen
Popanz auf!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dann kommen Sie mit dem wunderbaren Thema
Mietpreisdeckelung. Meine sehr verehrten Damen und
Herren, die Wohnungsmärkte in Deutschland sind diffe-
renziert. Es gibt Städte, in denen die Mieten steigen, es
gibt sehr viele Gegenden in Deutschland, in denen die
Mieten stagnieren. Wenn wir aber wollen, dass hochwer-
tiger Wohnraum in den Ballungsräumen, in denen Woh-
nungsnot herrscht, erhalten bleibt und entsteht, werden
wir das ganz sicher nicht erreichen, indem wir den In-
vestoren sagen: Geld verdienen dürft ihr mit diesen
Wohnungen aber nicht mehr. – Sie erreichen eine Ver-
schärfung der Wohnungsnot mit Ihren steuerpolitischen
Programmen statt eine Erleichterung, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


In keinem Bundesland ist die Grunderwerbsteuer so
hoch wie in denen, die von Sozialdemokraten regiert
werden.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hessen 5 Prozent!)


Auch diese zahlen am Ende nicht die Vermieter, sondern
immer die Mieterinnen und Mieter. Sie verteuern Woh-
nungseigentum und Wohnungsentwicklung in diesem
Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Genau so ist das!)


14,5 Millionen vermietete Wohnungen gehören Ver-
mietern, die weniger als drei Wohnungen in ihrem Be-
stand haben. Sie gehören den Mittelständlern und Hand-
werksmeistern, die ihre Altersversorgung ein Stück weit
über die Vermietung von einer, zwei oder drei Wohnun-
gen organisieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
den Eindruck haben, nur noch die ganz Großen in dieser
Republik könnten die Wohnungsnot bekämpfen, nur
noch die großen kommunalen Wohnungsbauunterneh-
men oder gar der Bund, dann liegen Sie falsch.

Die Abschaffung der degressiven AfA in Zeiten der
Großen Koalition hat das Investitionsvolumen verringert
und hat die Bereitschaft von vermögenden Privatperso-
nen, in diesem Bereich zu investieren, leider vermindert.


(Sören Bartol [SPD]: So ein Quatsch! Das ist die Gießkanne!)


Deshalb haben wir Schwierigkeiten, den Bedarf zu de-
cken, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Apropos Hotelmehrwertsteuersatz! Denken Sie mal über die Funktion von degressiver AfA nach!)


Ganz interessant ist, dass Sie in Ihrem Konzept auch
die Zweckbindung der Bundesmittel für die soziale
Wohnraumförderung einfordern.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja!)


Da haben Sie vorhin versucht, dem Bundesminister
Ramsauer den Vorwurf zu machen, er habe in den vom
Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf diese
Zweckbindung nicht hineingeschrieben. Nun erlaube ich
mir den Hinweis: Wenn man unser Grundgesetz ein biss-
chen kennt, weiß man, dass das alles schon in Art. 143 c
des Grundgesetzes steht. Die sozialdemokratisch regier-
ten Länder verstoßen gegen diese Regelung jeden Tag in
Deutschland, gegen unser Grundgesetz. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Ihr habt einen schlechten Gesetzentwurf gemacht!)


Soziale Wohnraumförderung ist nicht „Unser Dorf
soll schöner werden“, soziale Wohnraumförderung ist
nicht die Tilgung von Altschulden, wie sie hier in Berlin
erfolgt, und soziale Wohnraumförderung ist übrigens
auch nicht die Übernahme von Personalkosten, die vor-
her woanders gestanden haben, wie das überall in den
von Ihnen regierten Bundesländern passiert. Ihre Minis-
terpräsidenten verstoßen gegen Art. 143 c GG. Deshalb
brauchen wir kein neues Gesetz, meine sehr verehrten
Damen und Herren. Das ist leider die Wahrheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nun werden immer wieder wortreich die Stadtent-
wicklungsprogramme angesprochen. Da wird der Ein-
druck erweckt, als ob durch die Stadtentwicklungs-
programmpolitik dieser Koalition die Wohnungsnot in
Deutschland verschärft worden wäre. Auch diesbezüg-
lich rate ich zum Abrüsten. Das Wohnungsbauprogramm
„Die soziale Stadt“ und viele andere haben ihre Berech-
tigung und werden von uns ja auch weiter finanziert.


(Sören Bartol [SPD]: Ha! Du bist doch der Totengräber der sozialen Stadt!)


Aber anders als Sie, die Sie seit dem Ende der 90er-Jahre
immer nur die gleichen Programme fortführen wollen,
haben wir eine Fortentwicklung unserer Stadtentwick-
lungsprogramme vorgenommen. Für uns spielt die ener-
getische Sanierung, die Sie im Bundesrat leider blockiert
haben, nämlich eine große Rolle. Deshalb haben wir sie
zum Schwerpunkt unserer Stadtentwicklungsprogramm-
politik gemacht, ganz zu Recht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722506100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Bartol?


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1722506200

Er erhält gleich ja noch das Wort. Deshalb werde ich

die letzten 30 Sekunden meiner Redezeit quasi zum Ab-
binden verwenden. Ich weiß ja auch, was kommt. Lieber
Kollege Bartol – das gilt auch für alle anderen Kollegen –,
Sie können mir nicht vorwerfen, wir hätten einen Kahl-
schlag bei unseren Stadtentwicklungsprogrammen vor-
genommen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Doch! – Sören Bartol [SPD]: Nimm die Zwischenfrage an!)


Wir haben moderat umgesteuert und eines deutlich ge-
macht: Klimaschutz ist ein extrem wichtiges Thema. Sie
waren nicht bereit, im Bundesrat die steuerliche Absetz-
barkeit von Klimaschutzinvestitionen zu ermöglichen.


(Sören Bartol [SPD]: Lass die Zwischenfrage zu!)


Sie sind die Blockierer in diesem Bereich, nicht wir.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722506300

Das Wort hat nun Daniela Wagner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722506400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Guten Morgen, Herr Minister! Es ist ausgesprochen er-
freulich, dass die Debatte über die Bezahlbarkeit des
Wohnens in Deutschland immer mehr an Fahrt gewinnt,
und zwar so sehr, dass durch die zügige Fahrt sogar un-
ser Wohnungsminister aufgewacht ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir warnen seit mindestens drei Jahren vor den dro-
henden Problemen auf unseren Wohnungsmärkten. Ihre
eigenen Berichte bestätigen nun schriftlich das, was je-
der sieht, der mit offenen Augen durch unsere Städte
geht. Ihr Wohnungs- und Immobilienwirtschaftsbericht
sagt: Seit 2006 nimmt sogar die Zahl der Landkreise mit
steigenden Mieten zu, also keineswegs nur die Zahl der
Städte.

Aktuell zeichnen sich in einer zunehmenden Zahl
von Städten und Regionen lange Zeit nicht mehr
bekannte Wohnungsmarktengpässe ab.

So steht es in Ihrem Bericht. Die höchsten Mietpreissteige-
rungen im Jahr 2011 waren zu verzeichnen in Berlin – plus
7,5 Prozent –, in Bremen – plus 8,8 Prozent –, in Ham-
burg – plus 7,5 Prozent –, in Freiburg – plus 8,4 Prozent –
und in Greifswald, wo die Mietpreissteigerung sogar
10,4 Prozent betrug. Also auch kleinere Städte weisen
eine deutliche Mietpreissteigerung auf. Das gilt nicht nur
für die klassischen Boomregionen.

Aber nicht nur die Mieten steigen, liebe Kolleginnen
und Kollegen und Herr Minister, auch die Kosten für
Heizung und Warmwasser nehmen zu. Herr Minister, Sie
lieben es ja, immer nur über den Strom zu reden. Das ha-
ben Sie mit vielen Medien gemeinsam. Aber hören Sie
sich diese Zahlen einmal an: Ungefähr 12 Millionen
Haushalte in Deutschland heizen mit Heizöl. In den letz-
ten zehn Jahren stiegen die Preise für Heizöl um
153 Prozent. Nach einer Studie, die wir in Auftrag gege-
ben haben, werden sich die Kosten bei einer durch-
schnittlich gedämmten Wohnung von 945 Euro im Jahr
2012 auf 1 932 Euro am Ende des kommenden Jahr-
zehnts erhöhen. Das entspricht pro Monat einer Steige-
rung von 79 Euro auf 161 Euro. Das stellt die Steigerung
bei den Strompreisen, von denen alle immer reden, bei
weitem in den Schatten.

Herr Minister, wir warnen seit Jahren vor den drohen-
den Konflikten. Wir haben Ihnen schon vor zwei Jahren
ein gutes Konzept vorgelegt, ein Gesamtkonzept zur Si-
cherung der Bezahlbarkeit von energetisch und qualita-
tiv hochwertigem Wohnraum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und wo geistern Sie herum? Sie kürzen den Heizkosten-
zuschuss beim Wohngeld, kürzen die Mittel für das
KfW-Programm für die energetische Gebäudesanierung,
um sie dann wieder leicht anzuheben, stellen die Finan-
zierung auf wackelige Beine – das war atemberaubend –
und verkaufen das dann auch noch als Erfolg. Sie kürzen
bei den Städtebauförderprogrammen und zerstören sie
inhaltlich mutwillig. Ich sage nur: „Kopftuchmädchen“
und Bibliotheken – das brauchen wir alles nicht. Das
sind Ihre Worte, Herr Döring von der FDP. Sie haben
dieses Programm materiell zerstört. Sie legen in dieser
Engpasssituation, in der Mieter sowieso die schwächere
Partei sind, dreist eine Mietrechtsnovelle vor, mit der un-
ter dem Vorwand der Energiewende Mieterrechte unge-
rechtfertigt und völlig unnötig eingeschränkt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt, im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl und
der Bundestagswahl, kommt Herr Ramsauer – er hat
jetzt nach drei Jahren im Kabinett ausgeschlafen – und
will das Wohngeld an die Mietpreise anpassen.

Sogar die Eigenheimzulage will er wieder einführen.
Dabei vergisst er vollkommen, dass sie in der Form, in
der sie damals abgeschafft wurde, überhaupt nicht mehr
zeitgemäß ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Gießkanne!)


Wir brauchen keine Einfamilienhäuser auf der grünen
Wiese. Wir brauchen eine Innenentwicklung in den
Städten. So muss Wohnraum geschaffen werden. Das,
was Sie machen wollen, entspricht im Grunde genom-
men dem Gießkannenprinzip, das Sie jetzt, ganz wenige
Monate vor den Wahlen, plötzlich wieder gut finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Daniela Wagner


(A) (C)



(D)(B)

Die soziale Wohnraumförderung soll weiter durch
den Bund finanziert werden. Dabei vergessen Sie – das
ist hier heute schon vorgetragen worden –, dass die
Zweckbindung selbstverständlich bestehen bleiben
muss, dass deren Einhaltung auch kontrolliert und dass
die Fördermittel gegebenenfalls zurückgezahlt werden
müssen.

Herr Minister, weswegen haben Sie eigentlich Ihre
gesamte Amtszeit verschlafen? Was können denn Ihre
potenziellen Wählerinnen und Wähler von Ihnen erwar-
ten?


(Thomas Oppermann [SPD]: Nichts!)


Die haben in den letzten drei Jahren doch gelernt, dass
nichts, aber auch rein gar nichts von all dem Angekün-
digten durchgesetzt und umgesetzt wird und dass das,
was gemacht wird, auch noch in die völlig falsche Rich-
tung läuft. Sie, Herr Minister, haben leider Gottes Ihren
Job komplett verpennt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Sie können weder uns, die
Opposition, noch die Wählerinnen und Wähler für völlig
blöde verkaufen. So einfach lassen wir Ihnen das nicht
durchgehen, auch nicht Ihr ewiges Gerede von der steu-
erlichen Entlastung. Die wäre selbstverständlich richtig
gewesen. Hätten Sie doch den Ländern ein passables
Angebot gemacht! Dann hätten wir heute die steuerliche
Entlastung bei der energetischen Gebäudesanierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Scheinheilig!)


Wir haben schon vor zwei Jahren ein umfassendes
Konzept vorgelegt. Wir waren also frühzeitig dran. Wir
sind froh, dass die SPD heute hier mit einem Antrag
erscheint, dessen Inhalt mit unseren Vorstellungen weit-
gehend übereinstimmt.

Am meisten freut mich persönlich, dass Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen in der SPD, sogar das Bestel-
lerprinzip bei den Maklerkosten von uns übernommen
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das haben Sie noch vor zwei Jahren zu meinem großen
Unverständnis abgelehnt. Diese Initiative – das möchte
ich an dieser Stelle schon sagen; ein bisschen Redlich-
keit muss auch so kurz vor den Wahlen sein – wurde von
uns auf den Weg gebracht und von sonst gar niemandem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ansonsten fordern Sie eine generelle Begrenzung von
Mieterhöhungen bei der Wiedervermietung auf 10 Pro-
zent über der ortsüblichen Vergleichsmiete, was auch der
Mieterbund fordert. Wir halten das für einen interessan-
ten Vorschlag.


(Sebastian Körber [FDP]: Ein Investitionsverhinderungsvorschlag!)


Wir haben allerdings – das habe ich schon im Ausschuss
gesagt – noch ein bisschen mit der Verfassungsmäßigkeit
zu kämpfen; wir sind uns nicht sicher, ob das wirklich
geht. Wenn das tatsächlich geht, ohne dass es verfas-
sungsrechtlich problematisch ist, dann sind wir für eine
generelle Begrenzung offen. Wir hatten stattdessen
vorgeschlagen, die Länder zu ermächtigen, Mietpreis-
begrenzungen dort auf zehn Jahre befristet einzuführen,
wo tatsächlich ein extremer Wohnraummangel herrscht.
Aber darüber lässt sich sicherlich in späteren Koalitions-
gesprächen reden.

Das Gleiche gilt für die Modernisierungsumlage. Die
wollen Sie – wie wir – von 11 auf 9 Prozent absenken,
und Sie wollen prüfen, ob man sie beschränken kann. Ich
finde den Beschränkungsvorschlag gar nicht schlecht,
warne allerdings vor einer Illusion: Bei einem Markt mit
hoher Mieterfluktuation, also häufigen Mieterwechseln,
haben nicht diejenigen Mieter, denen Sie diesen Vorteil
einräumen, am Ende den Benefit von dieser neuen Rege-
lung, sondern ganz andere Mietparteien. Unter Umstän-
den muss man auch hier in Sachen Realitätstauglichkeit
noch einmal gegen den Strich bürsten, meine Damen
und Herren. Denn wir reden immerhin von Refinanzie-
rungszeiträumen von rund zehn Jahren. Das muss auf
verfassungsfeste Füße gestellt werden.

Wir wollen, dass die Mieterinnen und Mieter grund-
sätzlich nur das dulden und bezahlen müssen, wovon sie
einen tatsächlichen Nutzen haben. Wir wollen energeti-
sche Sanierungen sowie altersgerechten und barriere-
freien Umbau. Darauf wollen wir die Modernisierungs-
umlage beschränken. Sie soll nicht mehr irgendwelchen
Käse und Schnickschnack umfassen, den irgendwer viel-
leicht gerade gut findet. Wir wollen die Modernisie-
rungsumlage auf die Dinge beschränken, die für quali-
tätsvolles, sozial ausgewogenes Wohnen, aber auch für
ökologische Angemessenheit – Stichwort „energetisch
guter Zustand“ – notwendig sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD])


Wir haben mit unseren Vorschlägen gezeigt, dass
Klima- und Mieterschutz zusammen gedacht werden
können und müssen. Deswegen ist unser Konzept für
eine sozial gerechte Umsetzung der Energiewende – las-
sen Sie mich das zum Schluss noch sagen – ganz ent-
scheidend für ihren Erfolg. Denn hier werden 40 Prozent
der Endenergie verbraucht.

Wir wollen zielgruppengerechte Förderinstrumente
für Eigentümer und Vermieter sowie mietrechtliche und
baurechtliche Änderungen, damit die energetischen Sa-
nierungen nicht zu Verdrängungen führen. Ich denke
hier an Milieuschutzsatzungen. Kollegin Herlitzius hatte
vorhin nachgefragt und wiederum keine Antwort be-
kommen; so ist es meistens bei Ihrem Minister.


(Patrick Döring [FDP]: Noch mehr Bevormundung! Damit bevormunden Sie die Leute nur weiter!)


Wir wollen, dass es möglich ist, die Mieten in bestimm-
ten Quartieren, in denen die Mieten davongaloppieren,





Daniela Wagner


(A) (C)



(D)(B)

wieder zu begrenzen, damit energetische Gebäudesanie-
rung nicht zu Gentrifizierung führt und eine soziale und
gute Mischung in den Wohnquartieren erhalten bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen die Klimakomponenten beim Wohngeld
sowie bei den Kosten der Unterkunft wieder einführen.
Das alles dient einem Zweck: einem vernünftigen Woh-
nungsmarkt, der die Rechte und Pflichten fair verteilt
und der auch in finanzieller Hinsicht fair mit Mietern
und Vermietern umgeht. Das ist unser Ziel. Ich denke,
nach dem 22. September werden wir die Chance haben,
unsere wohnungspolitischen Vorstellungen hier gemein-
sam umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722506500

Das Wort hat nun Peter Götz für die CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1722506600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass
wir heute über die Lage am Wohnungsmarkt debattieren.
Das Thema ist zu Recht auf der politischen Agenda. In
Deutschland lebt und wohnt man eigentlich gerne, und
Wohnen – der Minister hat es vorhin gesagt – gehört zu
den Grundbedürfnissen der Menschen. Dieses Thema ist
für Polemik nicht geeignet. Es muss mit Sorgfalt behan-
delt werden.


(Sören Bartol [SPD]: Sagt das mal der CSU!)


Der Wohnungsmarkt entwickelt sich differenziert. Es
gibt sowohl Wohnungsknappheit – das ist richtig – als
auch nach wie vor große Leerstände in Deutschland.
Daraus leitet sich in bestimmten Ballungsräumen sachli-
cher Handlungsbedarf ab. Aber es gibt keinen Anlass für
Notstandsmaßnahmen. Eine Atmosphäre des Angstma-
chens wäre nach Lage der Dinge daher unverantwort-
lich.

Wenn wir über Wohnungsknappheit in Ballungsräu-
men reden, Herr Kollege Steinmeier, so muss ich sagen,
dass man diese nicht mit Strafen, nicht mit Mietendecke-
lung bekämpfen sollte, sondern mit Wohnungsneubau.
Wenn Sie die Menschen dafür bestrafen, dass sie neu
bauen, dann werden sie es einfach nicht tun. Der Bericht
über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, über den
wir unter anderem debattieren, unterstreicht die große
volkswirtschaftliche Bedeutung der Wohnungs- und
Immobilienwirtschaft in unserem Land und in der Euro-
päischen Union sowie ihren Anteil an der Wertschöp-
fung hier in Deutschland.

Wir haben nach wie vor einen attraktiven Wohnungs-
und Immobilienmarkt. Im Gegensatz zu der Situation in
vielen anderen Ländern um uns herum gehen von der
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft gerade in Zeiten
der internationalen Finanzmarktkrise stabilisierende Ein-
flüsse aus. Der Grund liegt in der soliden Finanzierung

von Immobilieninvestitionen in Deutschland. Die immer
wieder befürchtete Immobilienblase ist weit und breit
nicht in Sicht. Allerdings stellen wir fest, dass die Schere
zwischen Angebot von und Nachfrage nach Wohnraum
regional sehr unterschiedlich betrachtet werden muss.
Dies gilt es genau zu untersuchen.

Ich danke dem Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
und seinen Mitarbeitern im Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung sowie im Bundesinstitut
für Bau-, Stadt- und Raumforschung für den vorgelegten
umfangreichen Bericht. Auch aus den immobilienwirt-
schaftlichen Verbänden erreicht uns keine Kritik, son-
dern Lob für die Qualität dieses Berichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bericht ist richtig gut! Die Politik nicht, aber der Bericht ist gut!)


Er ist eine gute regierungsamtliche Grundlage für eine
sachgerechte Debatte über die Weiterentwicklung der
Wohnungspolitik. Wir wollen im Ausschuss sachlich
darüber diskutieren und dazu auch die Expertise der
wohnungs- und immobilienwirtschaftlichen Verbände
einholen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Staat kann auf
allen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – positiv
Einfluss auf die Entwicklungen am Wohnungsmarkt
nehmen, ohne marktwirtschaftliche Prinzipien infrage zu
stellen. CDU und CSU sind in ihrer Regierungszeit auf
Bundesebene dieser Verantwortung stets gerecht gewor-
den. Es gibt erfolgreiche Instrumente, die in der Vergan-
genheit bereits ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt
haben. Für Menschen mit niedrigem Einkommen ist das
Wohngeld ein zielgenaues und treffsicheres Instrument,
um angemessen wohnen zu können. Wir sollten es, wie
Bundesminister Dr. Ramsauer vorgeschlagen hat, an die
Preisentwicklung anpassen. Ich bin gespannt, wie sich
die Länder zu der geplanten Wohngelderhöhung positio-
nieren werden,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


ob wir das gleiche Desaster erleben, wie wir es bei der
energetischen Gebäudesanierung erlebt haben; dort gab
es über eineinhalb Jahre eine Blockade.

Wir brauchen in Zukunft wieder eine steuerliche För-
derung des Wohnungsbaus; dazu gehört selbstverständ-
lich gerade die degressive Abschreibung, von der vorhin
gesprochen wurde. Diese Maßnahmen waren in der Ver-
gangenheit sehr erfolgreich, und wir sollten sie wieder
aufnehmen.

Herr Kollege Steinmeier, Sie sagten, in der Woh-
nungspolitik sei nichts passiert. Ich denke, Sie sollten
sich zunächst die Fakten anschauen. Mit der Föderalis-
musreform, die wir gemeinsam beschlossen haben,
haben die Länder die Verantwortung für den sozialen
Wohnungsbau übernommen. Die Länder wollten es so.
Wir haben sie ihnen nicht aufs Auge gedrückt; sie woll-
ten es so, und das ist in der Sache auch richtig. Der Bund
belohnt dies mit jährlich 518 Millionen Euro. Das heißt





Peter Götz


(A) (C)



(D)(B)

konkret: Die Wohnungsbauförderung ist seit der Födera-
lismusreform im Jahr 2007 Aufgabe der Länder.

Etwas ernüchternd sind jedoch die Ergebnisse.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht! Aber wie soll man sie dazu zwingen?)


Wenn Sie von einem Kahlschlag im Wohnungsbau
reden, Herr Kollege Steinmeier, sollten Sie zur Kenntnis
nehmen, dass nur drei von 16 Ländern seit der Föderalis-
musreform kontinuierlich Wohnraumförderung betrie-
ben haben, wie Herr Axel Gedaschko, der Präsident des
Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobili-
enunternehmen, heute Morgen um 8 Uhr – einige Kolle-
ginnen und Kollegen waren dabei – deutlich zum Aus-
druck gebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu den Ländern, die aktive Wohnungspolitik betrie-
ben haben, gehört zweifelsohne Bayern; auch das ist ge-
sagt worden.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NRW!)


– Langsam; darauf komme ich noch, Frau Kollegin. –
Andere Länder haben mit dem Geld des Bundes ledig-
lich landeseigene Verpflichtungen aus früheren Maßnah-
men abfinanziert, aber nicht in neue Sozialwohnungen
investiert.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Zum Beispiel das CDUregierte Hessen!)


Dazu gehört zum Beispiel das Land Berlin, in dem wir
uns befinden.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Hessen!)


Nur einige wenige Zahlen zur Wohnungsbauförde-
rung in Nordrhein-Westfalen: 2009 und 2010 wurde da-
für 1 Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt.
2012 waren es gerade noch 550 Millionen Euro,


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 800!)


also etwas mehr als die Hälfte.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, 800! Das ist nicht richtig!)


Also, Herr Kollege Steinmeier: Wenn Sie irgendwo an-
setzen wollen – hier haben Sie die Gelegenheit dazu.
Tun Sie etwas in den Ländern, in denen Sie Regierungs-
verantwortung tragen.


(Patrick Döring [FDP]: So ist es!)


Auch Sie sind für die Wohnraumförderung zuständig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich noch etwas sagen: Wenn es um die
Fortsetzung der Bundeszahlungen zur Förderung sozia-
len Wohnraums geht – auch darüber wurde gesprochen;
der Kollege Bartol hat die Diskussion über das Entflech-

tungsgesetz vorhin angesprochen –, dann muss auch
über eine Pflicht zur detaillierten Berichterstattung ge-
sprochen werden. Mehr Transparenz muss die Basis der
künftigen Politik sein. Die Öffentlichkeit hat einen An-
spruch darauf, den Ländern bei der Wahrnehmung ihrer
Verantwortung für die Förderung sozialen Wohnraums
konkret auf die Finger zu klopfen.

Ein Weiteres kommt hinzu: Die Beseitigung von
Wohnraummangel kann nur in enger Zusammenarbeit
mit den Kommunen vor Ort gelingen.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Vor allem die Ballungsräume sind gefordert, geeignetes
Bauland auszuweisen; denn ohne Bauland gibt es auch
keinen Neubau. Ich meine damit nicht Bauland auf der
grünen Wiese. Es gibt nach wie vor große Brachflächen
in den Städten, die einer Wiedernutzung zugeführt wer-
den könnten.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Im Rahmen der anstehenden Novellierung des Bau- und
Planungsrechts wollen wir diesem Anliegen durch eine
weitere Stärkung der Innenentwicklung in den Städten
zusätzlich Rechnung tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein weiterer Gedanke: Es lohnt sich auch, über den
Erwerb oder die Verlängerung auslaufender Belegungs-
bindungen bei Sozialwohnungen nachzudenken, um der
Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen preis-
werten Wohnraum anbieten zu können.

Die Wohnungs- und Städtebaupolitik der Bundesre-
gierung und der Koalition von CDU/CSU und FDP ist
gut aufgestellt. Mit dem Ausbau der Förderung der ener-
getischen Gebäudesanierung, Verzicht auf Zwangssanie-
rungen und der Garantie der Einhaltung des Wirtschaft-
lichkeitsgebots wurden gute Rahmenbedingungen für
die preisverträgliche Sanierung von Wohnungsbestand
geschaffen. Davon profitieren alle: Mieter und Eigen-
heimbesitzer.

Wir verfolgen die Absicht, die Eigenheimrente zu
vereinfachen, damit sich noch mehr Bürger den Traum
vom eigenen Haus oder von der eigenen Wohnung ver-
wirklichen können.

Wir haben mit dem in dieser Woche von Bundes-
minister Ramsauer vorgestellten Vorschlagskatalog ei-
nen klaren Kompass dafür, wie auf die aktuellen Ent-
wicklungen auf dem Wohnungsmarkt reagiert werden
soll. Länder und Kommunen sind aufgefordert, ebenfalls
ihren Beitrag dazu zu leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722506700

Das Wort hat nun Ingo Egloff für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1722506800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, es ist jetzt das sechste Mal in den
letzten Monaten, dass wir hier im Bundestag über diesen
Themenkomplex diskutieren. Das ist auch gut so; denn
wir Sozialdemokraten werden dieses Thema hier so
lange behandeln, bis sich an der sozialen Schieflage auf
dem Wohnungssektor in diesem Lande etwas geändert
hat, und zwar zum Besseren.


(Beifall bei der SPD)


Ich finde es sehr positiv, dass der Minister heute we-
nigstens bei dieser Debatte anwesend war. Ich hätte mir
allerdings gewünscht, dass er hier konkret vorgetragen
hätte, zu welchen Ergebnissen er nach drei Jahren Nach-
denkens in seinem Ministerium gekommen ist.


(Beifall bei der SPD)


Mich beschleicht nach der Rede des Ministers das Ge-
fühl, dass ihm die 80 Ortsumgehungen in Bayern immer
noch wichtiger sind als die 21 Millionen Mieter in die-
sem Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt die Problemlage anzugehen, dass es Familien in
Deutschland gibt, die 40 Prozent und mehr ihres Ein-
kommens für Wohnung und für das Wohnen ausgeben
müssen, hat die Regierung die Lage mit dem Mietrechts-
änderungsgesetz vom Dezember 2012 zulasten der Mie-
ter noch verschlimmert.

Wir haben heute Morgen bei dem Frühstück der Woh-
nungsbauverbände gehört, dass sich diese 40-Prozent-
Grenze bis in die mittleren Einkommensschichten hinein
verschiebt. Das ist eine soziale Schieflage, die wir in die-
sem Land nicht tolerieren dürfen.


(Beifall bei der SPD)


Es ist die Chance vertan worden, beim Mietrechtsände-
rungsgesetz über diese Frage zu diskutieren und dieses
Problem in Angriff zu nehmen. Was haben Sie gemacht?
Sie haben die Mietminderung für drei Monate bei der
energetischen Gebäudesanierung ausgeschlossen; damit
haben Sie das Äquivalenzprinzip von Leistung und Ge-
genleistung beim Mietrecht aufgehoben. Sie haben die
fristlose Kündigung bei Zahlungsverzug bei der Miet-
kaution und die Räumung im einstweiligen Verfügungs-
verfahren eingeführt, um das vermeintliche Problem der
Mietnomaden zu lösen. Das alles sind Punkte, die zulas-
ten des Mieters gehen, aber keine Lösung für das Pro-
blem der Mieterhöhung in Ballungszentren und das
Problem, wie die Kosten der energetischen Gebäudesa-
nierung gerecht zu verteilen sind, darstellen.


(Sebastian Körber [FDP]: Sie haben das wohl nicht gelesen!)


– Ich habe es gelesen und habe es verstanden. Aber Sie
haben keine Ahnung, Herr Kollege; das ist das Problem.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Minister stellt sich hierhin und sagt: Wir haben
doch bei der Kappungsgrenze etwas gemacht. – Aber
das ist eine Mogelpackung, weil das nur bei den Be-
standsmieten Wirkung zeigt. In dieser Frage haben Ihnen
sämtliche Presseorgane dieses Landes mitgeteilt, dass
sie nicht auf Sie hereinfallen. Sie lösen das Problem
schlicht und ergreifend nicht, weil Sie die Frage der
Neuvermietung nicht angehen. Dazu haben wir den Vor-
schlag mit den maximal 10 Prozent Mieterhöhung bei
Wiedervermietung gemacht. Wir sind ja bereit, über
diese Zahl zu diskutieren. Wenn Sie sagen, Sie wollten
das Problem angehen, dann diskutieren Sie doch mit den
Ländern Berlin und Hamburg. Die haben im Bundesrat
eine Initiative eingebracht, bei der sie es über § 5 Wirt-
schaftsstrafgesetz regeln wollen. Wir können uns auch
über 20 Prozent unterhalten. Aber Sie müssen endlich
mal rangehen, diese Probleme zu lösen. Das tun Sie
nicht, das wollen Sie nicht.


(Beifall bei der SPD)


Kollegin Wagner hat auf die Mietsteigerungen in Bal-
lungszentren im letzten Jahr hingewiesen. Wenn man da-
bei die letzten fünf Jahre betrachtet, dann sind dies
28 Prozent in Berlin, 23 Prozent in Hamburg, 16 Prozent
in München, wo das Niveau eh schon hoch ist. Was sol-
len eigentlich eine Krankenschwester oder ein Polizist
von der Äußerung eines Bundesbauministers halten, der
sagt: „Eigentlich haben wir kein Wohnungsproblem in
Deutschland“? Was nutzt es dieser Krankenschwester,
dass in Cottbus eine Wohnung leer steht,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wenn sie in München zu vertretbaren Konditionen keine
Wohnung mehr findet?

Ich denke, dass der Bundestag dieses Problem endlich
angehen muss. Diese Regierung wird nicht in der Lage
sein, das zu tun; deswegen ist es gut, wenn sie abgewählt
wird und die 21 Millionen Mieter nach dem 22. Septem-
ber mit einer sozialdemokratisch geführten Bundesregie-
rung endlich eine anständige Mietenpolitik in diesem
Land erleben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722506900

Das Wort hat nun Sebastian Körber für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Sebastian Körber (FDP):
Rede ID: ID1722507000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben es heute bereits mehrfach gehört:
Wohnungsbau ist das Gebot der Stunde. Ich brauche die
Analyse nicht zu wiederholen: Wir brauchen in den Bal-
lungsgebieten und Universitätsstädten dringend neue
Wohnungen.

Allerdings: Zusätzliche Belastungen der Investoren
und der Wohnungsbaugesellschaften bewirken das Ge-





Sebastian Körber


(A) (C)



(D)(B)

genteil des Gewollten und verschärfen sogar noch den
Druck auf die Mieter, die Sie unterstützen zu wollen vor-
geben.

Herr Kollege Egloff, Herr Kollege Steinmeier, ich
glaube, wir brauchen uns nur einmal anschauen, was da,
wo die SPD die Verantwortung trägt, passiert. Schauen
wir einmal nach Berlin – Sie regieren dort ja auch –:
Hier sind die Mittel dafür, dass neue Wohnungen gebaut
werden, nicht einmal richtig aufgewandt worden. Oder
schauen wir einmal nach München: Dort gibt es einen
Oberbürgermeister, der hinter seinem eigenen Ziel, neue
Wohnungen zu schaffen, zurückbleibt.

Das Einzige, was Sie an Vorschlägen bringen, sind
Mietpreisdeckelungen, neue Verordnungen, Vorschriften
und Regulierungen. Wenn das der rot-grüne Vorschlag
für mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland sein
soll, dann wird dadurch nur eines erreicht: dass bald
überhaupt niemand mehr Lust hat, in Deutschland zu in-
vestieren und zu bauen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Kanzlerkandidat der SPD hat den Plenarsaal
gleich wieder verlassen; so wichtig scheint ihm dieses
Thema also nicht zu sein.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Bei Ihnen ist ja nicht mal der Fraktionsvorsitzende da! – Weiterer Zuruf von der SPD: Der Kanzlerin ist es auch nicht wichtig!)


Das Einzige, was Rot-Grün an konkreter Politik ge-
macht hat: Sie haben die Abschreibungsmöglichkeiten
bei der energetischen Sanierung im Bundesrat blockiert,
verhindert; die Grünen ganz vorne mit dabei. Was haben
Sie dadurch erreicht? Weniger Klimaschutz, weniger In-
vestitionen und auch weniger Sanierungen. Wenn dieses
Thema den Grünen so wichtig ist, dann verstehe ich
nicht, warum Herr Kretschmann – er ist ja mittlerweile
Ministerpräsident in Baden-Württemberg – sich da ent-
halten hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schwarz-Gelb bekennt sich ausdrücklich zur energeti-
schen Sanierung und hat sofort konkret reagiert: Wir ha-
ben sofort 300 Millionen Euro mehr KfW-Mittel bereit-
gestellt. Aus den Ländern ist dazu selbstverständlich
überhaupt nichts gekommen.


(Sören Bartol [SPD]: Was macht euer EKF?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein
paar Ausführungen zum Mietrecht. Wir hätten keine Ah-
nung, haben Sie gerade behauptet, Herr Kollege Egloff.
Vielleicht hätten Sie den Bericht vorher einmal lesen sol-
len. Ich kann Ihnen gern zwei Punkte daraus benennen:
Das Mietrecht ist in der Tat sozial ausgewogen, weil
nämlich die mietrechtlichen Maßnahmen, die wir jetzt
einsetzen, auch wirklich schneller und konkreter wirken.

Sie sehen Mietnomaden als kein Problem an. Der
Durchschnittsvermieter in diesem Land hat nur ein,
zwei, drei Wohnungen, und die sind für ihn vielleicht ein

wichtiger Beitrag zur Altersvorsorge. Mietnomaden kön-
nen ihn wirtschaftlich ruinieren. Vielleicht sollten Sie
sich einmal damit auseinandersetzen, was da für Kosten
auflaufen können, liebe Kolleginnen und Kollegen ge-
rade von der SPD.

Wir berücksichtigen sehr wohl mehr Mieterschutz:
Das unsägliche Münchener Modell wird jetzt nicht mehr
so einfach möglich sein. Wir verhindern hier ganz kon-
kret Luxussanierungen. Das ist doch ein Mieterschutz,
über den sich sogar der Kollege Egloff – wenn er aufpas-
sen würde – freuen könnte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will Ihnen noch die eine oder andere weitere Maß-
nahme darlegen, die wir jetzt andenken. Wir brauchen
weitere Förderungen und Anreize. Dazu gehört eine de-
gressive AfA gerade für die angespannten Teilmärkte.
Sie haben daran mitgewirkt, dass sie wieder ausgesetzt
wird. Um Anreize zu setzen, müssen wir gerade dort
ganz gezielt wieder eine degressive AfA einführen; das
wäre außerordentlich hilfreich. Das würde etwa auch
den Studenten nützen.

Es ist bereits angesprochen worden, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren: Wichtig ist natürlich auch,
dass die Kommunen ausreichend Bauland zur Verfügung
stellen. Schauen wir uns einmal die Städte an: München
– dort regiert ja Christian Ude für die SPD – hängt den
eigenen Zielen hinterher. In München wird dazu über-
haupt nichts beigetragen: Die Baulücken werden nicht
besonders aktiviert, und auch bei den Konversionsflä-
chen, die zur Verfügung gestellt werden könnten, wird
nichts gemacht. Auch zur Umnutzung von etwa 2,5 Mil-
lionen Quadratmetern Gewerbeflächen, die in München
leer stehen, weisen Sie nicht schneller Bauland aus.

Überall dort, wo SPD und Grüne in der Verantwor-
tung sind, ducken Sie sich bei all den Themen, über die
Sie hier was erzählen, nämlich ganz schnell weg.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie mal nach Darmstadt! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder nach NRW!)


Das sollten Sie den Kolleginnen und Kollegen in den
Ländern und insbesondere auch in den Städten und
Kommunen, die die Planungshoheit noch immer inneha-
ben, auch einmal sagen. Wo kein Bauland ist, kann man
nichts bauen. Dann machen Sie mal was!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir!)


Aber der grüne Bevormundungsstaat lässt ja grüßen.
Das, was wir in Berlin wieder zur Kenntnis nehmen
durften, ist ja eine wahre Pracht. Ein Bezirksbürgermeis-
ter in Friedrichshain-Kreuzberg möchte jetzt noch weiter
bevormunden und ins Eigentum der Menschen eingrei-
fen. Er will dort gegen Luxus vorgehen


(Zuruf von der SPD: Guter Mann!)






Sebastian Körber


(A) (C)



(D)(B)

und verbieten, dass es in den Wohnungen Einbauküchen,
die dort in den 30er-Jahren eingeführt worden sind, ein
zweites WC – für eine Familie mit vier Kindern ist es ja
vielleicht durchaus nett, wenn man das hat – und einen
Balkon über 4 Quadratmeter gibt, auf dem man gemein-
sam frühstücken kann. Nein, das alles will er nicht. Das
ist Luxus; das verbieten wir.

Bevormunden, Verordnungen, Regelungen: Das ist
das, was Sie ganz konkret vor Ort machen und umsetzen.
Das ist grundfalsch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist Ihre Antwort? Was schlagen Sie denn vor?)


Ich komme jetzt zu einem Ihrer populistischen Vor-
schläge, die Sie hier jetzt wieder machen: zur Deckelung
bei der Neuvermietung. Bei Neuvermietungen soll die
Miete um nicht mehr als 10 Prozent über der ortsübli-
chen Vergleichsmiete liegen dürfen. Sie müssen es auch
wirklich so benennen, wie es ist. Herr Steinbrück hat das
so vorgeschlagen.

Das Einzige, was Sie damit erreichen, ist, dass dann
überhaupt niemand mehr etwas baut, weil man nicht ein-
mal mehr eine Reinvestition erzielen kann. Eine Woh-
nung wird nämlich nicht einfach so gebaut. Der Wert-
verlust durch Abnutzung muss irgendwann wieder
wettgemacht werden.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal
eine Lanze für die privaten Vermieter in diesem Land
brechen, die Sie ja alle pauschal als Miethaie hinstellen –
die Makler sowieso. Das kann ich einfach überhaupt
nicht akzeptieren.

Zu den Themen „Wohnungseigentum“, „Wohnriester“,
„ländlicher Raum“ sagen Sie gar nichts, nichts! Das be-
deutet Ihnen anscheinend überhaupt nichts mehr.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722507100

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


Sebastian Körber (FDP):
Rede ID: ID1722507200

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gilt, die

Herausforderungen „bezahlbarer Wohnraum“, „Klima-
wandel“ und „demografischer Wandel“ vor Ort anzupa-
cken. Dort müssen alle zusammenwirken.

Ich glaube, ich konnte aufzeigen, dass Sie das dort,
wo Sie Verantwortung tragen, nicht tun. Der beste Mie-
terschutz ist ausreichend bezahlbarer Wohnraum. Lassen
Sie uns doch daran arbeiten, und wenden Sie sich besser
dem zu, was wir Ihnen vorschlagen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722507300

Das Wort hat nun Jan-Marco Luczak für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1722507400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Bezahlbarer Wohnraum und
auch ein ausgewogenes Mietrecht sind wichtige The-
men, weil sie die Menschen existenziell betreffen. Ge-
rade weil das so wichtige Themen sind, bedauere ich
– das muss ich schon sagen –, wie die SPD hier an diese
Themen herangeht. Wenn man Ihren Antrag liest, dann
kann man nämlich eigentlich nur zu einem Schluss kom-
men: Sie machen hier mit diesem Antrag Wahlkampf
und nichts sonst.

Gucken Sie sich nur einmal die Rhetorik und die
Worte an, die Sie dort wählen! Sie sprechen dort von ei-
ner „Explosion der Mieten“ und einem „Angriff auf das
… Mietrecht“.


(Sören Bartol [SPD]: Richtig! – Iris Gleicke [SPD]: Genau das!)


Wer in einem solchen Antrag eine solche Rhetorik
verwendet und solche Worte wählt, dem geht es ganz of-
fensichtlich nicht mehr um eine sachliche Debatte, son-
dern um Wahlkampf, und damit diskreditieren Sie sich,
meine lieben Damen und Herren von der SPD.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es geht ja noch weiter. Anstatt eine sachliche Debatte
zu führen, werden die Mieter in unserem Land ganz ge-
zielt desinformiert. Sie versuchen, die Menschen zu ver-
unsichern und Ängste zu schüren, um daraus politisches
Kapital zu schlagen.


(Ingo Egloff [SPD]: Das merkt man an Ihnen, Herr Kollege!)


Sie behaupten in Ihrem Antrag an einer Vielzahl von
Stellen einfach Dinge, die schlichtweg falsch oder be-
reits geltendes Recht sind. Ich finde, das, was Sie von
der SPD hier machen, ist unredlich.


(Beifall des Abg. Sebastian Körber [FDP])


Nehmen wir das Beispiel Kündigung. Sie sagen: Ein
Vermieter soll nur dann kündigen dürfen, wenn eine
Pflichtverletzung des Mieters vorliegt, wenn Eigenbe-
darf angemeldet wird oder wenn ein Eigentümer seine
Wohnung wirtschaftlich verwerten will. – Ja, so soll es
sein. Genau das ist ja in § 573 Abs. 2 BGB geregelt. Ich
sage nur: Ein Blick ins Gesetz fördert manchmal die
Rechtsfindung.

Sie versuchen hier, den Eindruck zu erwecken, Ver-
mieter könnten die Mieter einfach mir nichts, dir nichts
auf die Straße setzen, und das ist schlichtweg falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel nennen:
In Bezug auf die Umlage der Modernisierungskosten
– das ist ja schon in der Debatte zwei-, dreimal genannt
worden – sagen Sie, dass die nicht rückzahlbaren Förde-
rungen aus öffentlichen Mitteln nicht umlagefähig sein
sollten. Ja, selbstverständlich. Kein Eigentümer soll För-





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

dergelder erhalten, für Modernisierungen ausgeben und
sich dann Kosten, die er selbst gar nicht getragen hat,
von den Mietern zurückholen. Deswegen sagt ja auch
der geltende § 559 a BGB: Drittmittel, die der Vermieter
erhalten hat, müssen aus den Kosten der Modernisierung
herausgerechnet werden.

Hier versuchen Sie ganz offensichtlich, die Leute für
dumm zu verkaufen, indem Sie Dinge fordern, die längst
geltendes Recht sind. Entweder Sie machen das hier be-
wusst, oder Ihnen fehlt es schlicht an Sachkenntnis. Beides
finde ich ziemlich peinlich, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Körber [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722507500

Werter Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage ei-

nes Kollegen der CDU/CSU-Fraktion?


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1722507600

Sehr gern.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Des Kollegen Jarzombek!)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1722507700

Danke, Herr Präsident.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ja Bildungsunterricht hier!)


Herr Kollege Luczak, ich habe noch eine Frage dazu.
Nach dem, was der Kollege von der SPD hier vorher al-
les an Kritik an der Mietrechtsnovelle geübt hat: Wie
kommt es eigentlich, dass der rot-grün dominierte Bun-
desrat dem dann so zugestimmt hat?


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1722507800

Das ist eine sehr gute Frage. Denn wenn uns hier im

Bundestag die Opposition vorwirft, dass wir mit dem
Mietrechtsänderungsgesetz Mieterrechte schleifen wür-
den, dann muss man einmal im Detail sagen, wo wir an
vielen Stellen in diesem Gesetz Mieterrechte verbessert
haben. Das gilt zum Beispiel beim Kündigungsschutz,
wenn Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umge-
wandelt werden. Das Münchener Modell ist hier ja
schon angesprochen worden. Das wird es in Zukunft
nicht mehr geben.

Oder ich weise auf das Wärme-Contracting hin, die
gewerbliche Wärmelieferung. Dort ist es bislang mög-
lich, dass Verträge zulasten Dritter, nämlich zulasten der
Mieter, geschlossen werden, dass Vermieter auf die ge-
werbliche Wärmelieferung umstellen und die Kosten
einfach auf die Mieter umlegen – mit erheblichen Kos-
tensteigerungen. Das wird es zukünftig nicht mehr ge-
ben. Es wird keine Gewinne auf Kosten der Mieter geben,
weil das zukünftig kostenneutral sein muss.

Oder ein anderes Beispiel: die Kappungsgrenzen. Da
haben wir gesagt: Wir schauen uns die Situation in unse-
rem Land an. Natürlich, es gibt einen erheblichen Mie-
tenanstieg in einzelnen Teilen unseres Landes, in Bal-
lungszentren, in großen Städten, in Universitätsstädten.

Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen die Mieter
schützen; wir wollen, dass die Mieten dort nicht mehr so
stark steigen. Deswegen haben wir gesagt: Wir reduzie-
ren die Kappungsgrenze, also die Möglichkeit, die Miete
um den entsprechenden Prozentwert der ortsüblichen
Vergleichsmiete zu erhöhen, von 20 auf 15 Prozent.
Aber wir sagen eben auch: Das soll zielgenau erfolgen
und nicht flächendeckend eingeführt werden, weil die
Situation der Wohnungsmärkte in unserem Land sehr
unterschiedlich ist. Es gibt einzelne Gebiete, wo es sogar
sinkende Mieten gibt. In den neuen Bundesländern, auf
dem platten Land gibt es großen Wohnungsleerstand.
Wenn man hier eine Einheitsregelung treffen würde, die
alles über einen Kamm schert – das ist ja immer das, was
SPD und Grüne wollen: immer alles gleichbehandeln,
immer alles gleichmachen –,


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schadet dort nicht!)


würde man an dieser Stelle nur den Mietern schaden.
Das führt uns nicht weiter.

Vielen Dank noch einmal für die Frage. Das hat mir
Gelegenheit gegeben, zwei, drei Punkte auszuführen.

Ich will aber noch einige Punkte nicht nur dazu sagen,
was Sie fordern, obwohl es bereits geltendes Recht ist.
Man muss sich nämlich auch einmal anschauen, was
Ihre Forderungen wirtschaftlich bedeuten. Dann wird
man sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, dass vieles
von dem, was Sie hier fordern, im Endeffekt sogar kon-
traproduktiv ist, weil Sie nämlich die wirtschaftlichen
Realitäten nicht anerkennen.

Ich nehme einmal als Beispiel – das ist mir sehr wich-
tig –, dass wir bei den Ursachen ansetzen und nicht al-
lein die Symptome bekämpfen wollen. Denn steigende
Mieten sind ja letztlich nur ein Symptom dafür, dass wir
in unserem Land zu wenig Wohnungsneubau haben. Da
müssen wir natürlich die Frage stellen: Wie bekommen
wir denn mehr Wohnungsbau? Da ist es wichtig, sich zu
vergewissern: Wer baut denn in unserem Land Wohnun-
gen? Das sind nämlich nicht die großen Gesellschaften,
sondern das sind die privaten Eigentümer. 60 Prozent der
Wohnungen in unserem Land sind von privaten Eigentü-
mern gebaut worden. Das ist der Handwerksmeister, der
um die 60 Jahre alt ist, der zwei, drei Wohnungen als pri-
vate Altersvorsorge hat. Da müssen wir immer darauf
achten: Wir müssen einen entsprechenden rechtlichen
und politischen Rahmen setzen, damit sich Investitionen
in den Wohnungsbau auch zukünftig noch lohnen. Denn
sonst baut nämlich keiner mehr Wohnungen.

Da ist es dann schon wichtig, sich einmal die durch-
schnittliche Rendite beim Wohnungsbau anzuschauen.
Sie tun ja immer so, als würden hier 10, 20 Prozent Ren-
dite erzielt. Die durchschnittliche Rendite beim Woh-
nungsbau liegt bei etwas über 2 Prozent. Jetzt kann man
sich ja sehr schnell vorstellen, was passieren würde,
wenn wir auch noch die Mieten bei Neuverträgen de-
ckeln und bei der Kappungsgrenze flächendeckend he-
runtergehen würden. Das würde dazu führen, dass wir in
unserem Land überhaupt keinen Wohnungsbau mehr ha-
ben. Weniger Wohnungen bedeutet weniger Angebot,





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

und weniger Angebot bedeutet steigende Preise. Meine
Damen und Herren, das ist das Einmaleins der Volks-
wirtschaft. Das sollte man schon kennen, wenn man sol-
che Anträge schreibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Körber [FDP])


Ich komme zum letzten Punkt. Sie machen nicht nur
Vorschläge, die mittelfristig für die Mieter sogar kontra-
produktiv sind und zu weniger Wohnungen führen, so-
dass sich die Wohnungsknappheit verstärkt.


(Sören Bartol [SPD]: Wir wollen nicht weniger Wohnungen! Sie müssen beide Anträge lesen, Herr Kollege!)


Sie wollen auch die Eigentümer schlechterstellen, Stich-
wort „Mietnomaden“.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722507900

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1722508000

Sie wollen den momentanen unhaltbaren Zustand,

dass Eigentümer bis zu zwei Jahre klagen müssen, bis
sie ihre Wohnung wiederhaben, offenbar fortschreiben;
denn Sie wollen das effiziente Instrumentarium, das wir
mit dem Mietrechtsänderungsgesetz endlich eingeführt
haben, abschaffen. Sie sollten sich genau überlegen, ob
Sie mit solchen Forderungen in den Wahlkampf ziehen
wollen. Den vielen Eigentümern, die wir für eine Steige-
rung des Wohnungsbaus brauchen, werden Sie damit si-
cherlich keinen Gefallen tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722508100

Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1722508200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sie haben gerade behauptet: Der Blick ins Ge-
setzbuch erleichtert die Rechtsfindung. – Es würde auch
bei den Vorwürfen, die Sie uns gegenüber erheben, hel-
fen, wenn Sie vorher lesen würden. Erstens, zum Thema
Neubau, das Sie angesprochen haben. Die SPD fordert
nicht, dass bei jeder Neuvermietung die Mieterhöhung
auf maximal 10 Prozent der ortsüblichen Vergleichs-
miete begrenzt wird. Das steht übrigens im wohnungs-
politischen Programm der CSU, das gerade erst veröf-
fentlicht wurde. Dahin müssen Sie sich also mit Ihrer
Kritik wenden. Wir gehen von der Wiedervermietung
aus. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied. Selbst-
verständlich wollen wir beim Neubau nicht bremsen.
Aber es geht um die Wiedervermietung und darum, dass
hier nicht Extraprofite auf Kosten derjenigen gemacht
werden, die dringend auf bezahlbaren Wohnraum ange-
wiesen sind.


(Beifall bei der SPD)


Eine Lüge wird auch durch Wiederholung nicht wahr.
Die rot-grün geführten Länder haben nicht im Bundesrat
zugestimmt. Fakt ist dagegen, dass wir bei der Miet-
rechtsnovelle im Bundesrat noch keine Mehrheit für die
Anrufung des Vermittlungsausschusses hatten,


(Iris Gleicke [SPD]: So war es!)


weil die neue niedersächsische Landesregierung noch
nicht im Amt war. Das ist die Wahrheit. Was Sie hier
darstellen, ist eine glatte Lüge.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es spannend, Herr Kollege Körber, fest-
zustellen, dass jemand an unterschiedlichen Stellen un-
terschiedlich redet. Hier haben Sie behauptet, die vor-
gelegte Mietrechtsreform sei sozial ausgewogen. Ich
erinnere Sie an Ihre Aussage im zuständigen Verkehrs-
ausschuss im Dezember letzten Jahres. Da haben Sie
sich gefreut und wortwörtlich gesagt: Endlich wieder
eine eigentümer- und vermieterfreundliche Mietrechts-
änderung! – Was ist es denn nun? Ist es sozial ausgewo-
gen, oder ist es – wie richtig dargestellt worden ist – ein
Anschlag auf die Rechte der Mieterinnen und Mieter?
Tatsächlich ist deren Rechtsposition verschlechtert wor-
den. Nichts anderes ist hier Fakt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lesen Sie unsere Anträge! Wir müssen die Bundesre-
gierung auffordern, wieder für soziale Ausgewogenheit
zu sorgen, und zwar nicht deswegen, weil uns das eben
erst eingefallen ist, sondern weil wir die Bilanz der letz-
ten dreieinhalb Jahre Tätigkeit bzw. Untätigkeit dieses
Bundesbauministers gezogen haben. Wer hat denn die
Mittel für die Städtebauförderung um über 100 Millio-
nen Euro gekürzt? Wer war denn das? Das waren doch
Sie. Ich finde es spannend, dass Sie sich hier hingestellt
und gesagt haben: Es tut uns leid, dass wir die Mittel für
die Städtebauförderung kürzen mussten, aber das Geld
ist einfach nicht da. Diese 100 Millionen Euro sind im
Bundeshaushalt nicht mehr zu finden. – Aber dann kün-
digen Sie ein milliardenschweres Programm für die
nächste Wahlperiode an, mit dem Sie den Wohnungsbau
ankurbeln wollen. Wer soll Ihnen das glauben, Herr
Ramsauer?


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Keiner!)


In dieser Wahlperiode haben Sie noch nicht einmal
100 Millionen Euro für die Städtebauförderung, aber in
der nächsten sollen dann die Milliarden vom Himmel
fallen. Das, was hier stattfindet, ist doch Lug und Trug
auf offener Bühne.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Martin Burkert [SPD]: Typisch CSU!)


Nun zu den 518 Millionen Euro. Jawohl, die Födera-
lismusreform sieht vor, dass die soziale Wohnraumför-
derung in die Zuständigkeit der Länder fällt. In Ihrem
Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass Sie bis zur Mitte der





Florian Pronold


(A) (C)



(D)(B)

Legislaturperiode über die Höhe und die Fortführung der
Entflechtungsmittel entscheiden wollen. Bis zur Mitte
dieser Legislaturperiode war noch nichts entschieden. Erst
kürzlich, im Dezember, ist entschieden worden, und zwar
– anders als Sie hier gesagt haben, Herr Ramsauer – eben
nicht bis zum Ende des Förderzeitraums, sondern nur für
das nächste Jahr.

Es sind nicht die Zweckbindungen in Ihrem Gesetz-
entwurf enthalten, die wir alle hier in diesem Haus wol-
len. Das ist die Wahrheit und nichts anderes. Täuschen
Sie doch nicht vorsätzlich die Öffentlichkeit!


(Beifall bei der SPD)


Ich finde es spannend, was alles an neuen Vorschlä-
gen, an neuen Ideen und Förderungen kommt. Gerade ist
angesprochen worden, dass man die knappen Mittel ziel-
genau einsetzen muss. Was bedeutet denn die Reaktivie-
rung der Eigenheimzulage? Das ist doch eine Förderung
mit der Gießkanne.

Ich bin jemand, der selten Kolleginnen und Kollegen
der Regierungsfraktionen lobt. Ich muss aber den Kolle-
gen Dirk Fischer, der nachher noch reden wird, aus-
drücklich ausnehmen und explizit loben. Er hat eine Be-
wertung des Programms abgegeben, das Herr Ramsauer
entgegen allem, was er bisher gemacht hat, in dieser Wo-
che vorgelegt hat. Herr Fischer schreibt: Was der Ver-
kehrsminister vorgelegt hat, ist ein Feuerwerk für den
Wohnungsneubau.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wenn alle mitmachen!)


Ich finde, das ist ein sehr treffender Vergleich für eine
explodierende Luftnummer, lieber Kollege; denn dahin-
ter steckt überhaupt nichts.


(Beifall bei der SPD)


Wer nicht 110 Millionen Euro für die Städtebauförde-
rung hat, aber Milliarden für die nächste Wahlperiode
ankündigt, der ist wirklich arm dran. Ich muss Ihnen sa-
gen: Die Mieterinnen und Mieter in diesem Land erwar-
ten keinen Ankündigungsminister.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pyrotechniker!)


Die Mieterinnen und Mieter erwarten auch keinen Feuer-
werker. Sie erwarten eine Regierung, die endlich dafür
sorgt, dass Wohnen bezahlbar bleibt. Wir werden ab
September dieses Jahres dafür Sorge tragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722508300

Das Wort hat nun Gero Storjohann für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1722508400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Man bewahre uns davor, dass eintritt, was Sie
sich wünschen, dass Sie nach der nächsten Bundestags-

wahl die Verantwortung haben. Es wird mir schlecht,
wenn ich daran denke, wie sich die Situation auf dem ge-
samten Wohnungsmarkt dann darstellen würde.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Supersache! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine „Katastrophe“!)


Ja, es stimmt, die Nettokaltmieten sind gestiegen, in
den letzten zehn Jahren im Schnitt um 1,1 Prozent. Ja, es
stimmt, die Lebenshaltungskosten sind um 1,6 Prozent
gestiegen. Ja, es stimmt, dass wir unterschiedliche Woh-
nungsmärkte haben und dass wir in letzter Zeit hohe
Mietpreissteigerungen gerade in den Großstädten, in den
Metropolkernen und in den Studentenstädten zu ver-
zeichnen hatten.

Es ist aber etwas ganz Normales, dass es im Woh-
nungsmarkt Zyklen gibt. In der Regel haben wir über
sieben bis acht Jahre hinweg einen erhöhten Wohnungs-
bedarf. Dann haben wir wieder einen Überschuss an
Wohnungen.

Auf diesem Markt muss investiert werden. Menschen,
die investieren, möchten auch gern ein Reinvest haben.
Sonst machen sie das nicht. Deswegen ist es wichtig,
dass wir jetzt darüber reden, wie wir mit diesem Thema
umgehen, damit Menschen investieren, damit es in
Deutschland nie wieder zu einer Wohnungsnot kommt.
Wohnungsnot hatten wir Anfang der 90er-Jahre. Das ist
uns allen noch sehr schmerzhaft in Erinnerung.

Wir haben das Problem, dass die Neubautätigkeit in
letzter Zeit enorm zurückgegangen ist. Die SPD macht
nun Vorschläge, wie man den Neubau ankurbeln könnte,
aber nicht durch die Zurverfügungstellung von Bauland,
durch viel Geld in den Ländern, sondern durch Vor-
schriften. Das ist das, was Ihnen einfällt.

Was haben uns aber heute Morgen die Verbände ins
Stammbuch geschrieben? Was haben sie dazu gesagt,
dass wir zurzeit keinen Wohnungsbau im erforderlichen
Maße haben? Sie haben gesagt: In der Vergangenheit ha-
ben sich wichtige Investoren aus dem Markt für bezahl-
baren Wohnraum zurückgezogen; sie sind kaum noch
aktiv. Auch die Wohnungsbaugenossenschaften haben
das getan.

Der technische und organisatorische Aufwand beim
Bauen ist immer weiter gestiegen. Das liegt auch daran,
dass wir von politischer Seite aus Maßnahmen der ener-
getischen Sanierung in den Vordergrund stellen und das
barrierefreie Bauen fördern wollen. All diese Maßnah-
men lassen Investoren – –


(Sören Bartol [SPD]: Was ihr aber alles wollt! Machen, machen, machen!)


– Die Investoren müssen das machen, lieber Kollege.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir setzen Rahmenbedingungen!)


Die Investoren können aber auch entscheiden, es
nicht zu machen. Nun stellt sich die Frage, welche Si-
gnale wir vonseiten der Politik aussenden, damit Inves-
toren es zukünftig machen.





Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)

Das Bauen wird zunehmend teurer, und es wird im-
mer schwieriger, günstigen Wohnraum am Markt zur
Verfügung zu stellen. Deswegen brauchen wir die Län-
der, die über ihre Wohnungsbauprogramme sehr viel
Geld in die Hand nehmen, um das Problem anzugehen.

Wohnungsknappheit wird nicht durch regulatorische
Maßnahmen behoben – das ist meine feste Überzeu-
gung –, sondern nur durch Angebotserweiterung. Des-
wegen ist es angesichts des sensiblen Marktes, in dem
wir uns befinden, wichtig, dass die SPD von ihren Vor-
schlägen wieder abrückt. Das, was Sie vorschlagen, läuft
genau in die falsche Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben enorm steigende Nebenkosten. Für den
Verbraucher, für den Mieter, ist natürlich die Gesamt-
miete entscheidend. Sie ist in den letzten Jahren enorm
gestiegen; aber die Nettokaltmiete ist in den vergange-
nen zehn Jahren ziemlich konstant geblieben. Das ge-
hört, glaube ich, auch zur Wahrheit.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Völliger Unsinn! Das ist falsch! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kaltmieten sind gestiegen!)


Wenn die Situation am Wohnungsmarkt nicht besser
wird, wenn wir den hohen Nebenkosten nicht entgegen-
wirken, dann werden die Mieter und nicht die Investoren
das spüren. Also: Ein ausreichendes Wohnungsangebot
ist Voraussetzung für erschwingliche Mieten. Wir wollen
die Mieter vor überzogenen steigenden Mieten schützen.

Die SPD schlägt nun vor – Herr Pronold hat das noch
einmal betont –, bei Wiedervermietung eine Mieterhö-
hung von maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Ver-
gleichsmiete vornehmen zu dürfen. Konkret: Jemand hat
eine Eigentumswohnung finanziert, erhebt eine Miete
von vielleicht 10 Euro pro Quadratmeter, während die
ortsübliche Miete 8 Euro pro Quadratmeter beträgt.
Nach einem Jahr zieht ihm aufgrund der Fluktuation der
Mieter aus. Er hat eigentlich langfristig kalkuliert, darf
dann aber nur noch 8,80 Euro an Miete nehmen.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht bleibt der Mieter ja länger?)


Angesichts einer maximal erzielbaren Rendite von
4 Prozent ist sein Geschäftsmodell in diesem Augen-
blick natürlich nicht mehr viel wert. – Vor diesem
Hintergrund überlegen sich viele, ob sie da einsteigen.
Deshalb: Nehmen Sie Ihren Vorschlag zurück! Er ist
kontraproduktiv für den deutschen Wohnungsmarkt. Er
verunsichert die Leute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie möchten den Berechnungszeitraum bei der orts-
üblichen Vergleichsmiete von vier auf zehn Jahre aus-
weiten. Sie möchten bei energetischen Sanierungen
sichergestellt sehen, dass nur effiziente Maßnahmen
durchgeführt werden. Auch das bedeutet: Es muss kon-
trolliert werden; es muss reguliert werden. Das sind
Dinge, die das Bauen nicht attraktiver machen. Außer-

dem möchten Sie die Umlage der Modernisierungs-
kosten von 11 auf 9 Prozent reduzieren. Das alles sind
Maßnahmen, die dem Markt nicht dienen.

Mein Eindruck ist: Die SPD will die Rendite beim
Wohnungsbau unter die Rendite der DB bei Stuttgart 21
drücken. Was kritisiert die SPD da nicht alles! Aber die
Rendite der Eigentümer soll bei 0,02 Prozent, wenn
nicht sogar im Minusbereich liegen.


(Florian Pronold [SPD]: Vergleichen Sie doch nicht Äpfel mit Birnen!)


Das, glaube ich, ist nicht Ihr Wille.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722508500

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1722508600

Meine Damen und Herren, wichtiges Thema heute:

Die SPD muss ihre Anträge zurücknehmen; dann geht es
dem Wohnungsmarkt viel besser.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Wir danken dem Minister für seinen hervorragenden
Bericht und werden ihn in seiner weiteren Politik gerne
unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Da müssen Sie ja selber lachen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722508700

Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Dirk

Fischer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1722508800

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Ich hatte von dem hamburgischen Kollegen
Egloff eigentlich erwartet, dass er jetzt in der Logik sei-
ner Ausführungen den Mietern der 140 000 städtischen
Wohnungen in Hamburg die erfreuliche Mitteilung
machen würde, dass der Bürgermeister Scholz das Ein-
frieren ihrer Mieten angeordnet habe. Das hat mir ein
bisschen gefehlt.


(Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] – Sören Bartol [SPD]: Das ist richtig!)


Wir erleben heute eine Debatte, in der die politischen
Unterschiede deutlich geworden sind: Auf der einen
Seite hören wir, wie Sozialdemokraten, Grüne und Linke
auf der Grundlage eines sehr dramatisierten Szenarios
auch Instrumente aus der sozialistischen Mottenkiste der
Öffentlichkeit verkaufen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auf der anderen Seite sehen wir die sachorientierte
Arbeit der Bundesregierung und der sie tragenden Frak-
tionen von Union und FDP.





Dirk Fischer (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welche Arbeit?)


Wir erkennen bestimmte Entwicklungen auf dem Woh-
nungsmarkt und präsentieren marktgerechte Lösungen.
Das ist für jede Bürgerin und jeden Bürger im Lande
glasklar erkennbar.

Bundesminister Peter Ramsauer hat im Herbst letzten
Jahres in seinem Bericht über die Wohnungs- und Immo-
bilienwirtschaft die Dinge sachlich dargelegt und analy-
siert. Er hat dann die aus seiner und unserer Sicht erfor-
derlichen und richtigen Konsequenzen gezogen und sie
nun der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine dieser Konse-
quenzen lautet: Wohnungsbau, Wohnungsbau, Woh-
nungsbau. Denn der beste Schutz vor steigenden Mieten
in Ballungsregionen ist mehr Wohnungsbau. Nichts an-
deres hilft den betroffenen Menschen, jenen, die Woh-
nungen suchen, und jenen, die bereits Mieter sind.

Die größte Bremse im Wohnungsbau wären Miet-
rechtsregelungen mit sozialistischen Zwangssystemen
einer staatlichen Preisbildung. Das war seit langem der
Traum der Linken; aber dass die SPD jetzt mitträumt,
das ist ziemlich neu. Ich glaube, selbst der Ex-Chef der
Neuen Heimat Albert Vietor, der SPD-Mitglied war,
würde sich bei derartigen Vorstellungen im Grabe um-
drehen. Ich kann nur aufrufen: Lassen Sie die Finger da-
von! Packen Sie das Teufelszeug wieder dahin, wo es
hingehört: in das Museum für gescheiterte Ideologien!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Verwirklichung solcher Gedanken würde Woh-
nungsneubau verhindern. Bestehende Baufinanzierun-
gen würden zerstört werden.


(Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD])


Gestern noch haben Sie, Herr Kollege Bartol, die
niedrige Rendite der DB AG bei Stuttgart 21 beklagt.
Heute fordern Sie im Grunde genommen, bei der Woh-
nungswirtschaft eine noch niedrigere Rendite herbeizu-
führen.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist ja völlig vergleichbar! Was ist das für ein Spannungsbogen!)


Das heißt also: Gestern Bestürzung, aber heute sind Sie
in der Gegenrichtung unterwegs. Das passt doch nicht
zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der vorliegende Bericht über die Wohnungs- und
Immobilienwirtschaft zeigt, dass die Immobilienpreise
und Mieten in den vergangenen drei, vier Jahren man-
cherorts wieder gestiegen sind, vor allem in den
Ballungsräumen. Aber Deutschland besteht nicht nur aus
Ballungszentren. Die Mietpreisentwicklung verlief seit
Beginn der 90er-Jahre insgesamt eher moderat bis
abnehmend. Jetzt haben wir zwar einen signifikanten
Anstieg, aber wir liegen überall inflationsbereinigt noch
unter dem Niveau von 1992. Das muss man sich bei dem
Szenario auch einmal verinnerlichen.

Wir wollen auf die Situation angemessen reagieren.
Lange Zeit wurde viel zu wenig gebaut. Das hat sich
zwar seit Ende 2009, seit Beginn der Koalition aus
Union und FDP, gebessert;


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah!)


aber das reicht noch nicht aus. Wir brauchen mehr Woh-
nungen, die sich Normalverdiener leisten können. Das
gilt ganz besonders für Familien mit Kindern. Wir müs-
sen einkommensschwache Mieter stärken und daher
beim Wohngeld Leistungshöhe und Miethöchstbeträge
an die Entwicklung der Bestandsmieten anpassen.

Minister Peter Ramsauer hat dazu die entsprechenden
Vorschläge präsentiert. Sein Programm zur Bekämpfung
der regionalen Wohnungsknappheit in Deutschland
kann, Herr Pronold, ein regelrechtes Feuerwerk für den
Wohnungsneubau werden,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


wenn alle mitmachen. Ich frage Sie, Herr Pronold:
Warum wären Sie über ein solches Feuerwerk traurig?
Auch der berühmte Karl Schiller hat gesagt: 50 Prozent
einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ist Psychologie, ist
Optimismus. – Das heißt: Anpacken! Wenn alle mitma-
chen, schaffen wir es, das Ziel von 250 000 neuen Woh-
nungen pro Jahr, Mietwohnungen und Eigenheime, zu
erreichen.


(Sören Bartol [SPD]: Herr Fischer, Ihre Vorschläge sind doch unfinanzierbar! Das ist eine angekündigte Wahllüge!)


Jeder verwirklichte Wunsch nach eigenen vier Wänden
ist nicht nur eine gute Altersvorsorge, sondern entspannt
auch die Lage auf dem Mietwohnungsmarkt. Wir lassen
die Länder dabei nicht aus ihrer Verantwortung. Wer sich
bei der Föderalismusreform nach der Zuständigkeit für
den sozialen Wohnungsbau drängte und sich diese vom
Bund jährlich mit 518 Millionen Euro bezahlen lässt,
muss jetzt auch dazu stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Vorschläge unseres Bundesministers Ramsauer
geben den Ländern dazu die allerbeste Gelegenheit.
Packen wir es an! Dann werden wir das Ziel von
250 000 Wohnungen erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Gut, dass Ihnen das am Ende der Legislaturperiode einfällt!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722508900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/12485, 17/12486, 17/12481 und
17/11200 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig ma-
chen – Für ein sozial gerechtes und klimafreundliches
Mietrecht“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/12472, den An-
trag der Fraktion der Grünen auf Drucksache 17/7983
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis 41 c und
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf:

41 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012
zwischen der Europäischen Union und ihren
Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien
und Peru andererseits

– Drucksache 17/12354 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 29. Juni 2012 zur Gründung
einer Assoziation zwischen der Europäischen
Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und Zentralamerika andererseits

– Drucksache 17/12355 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Intelli-
gente Verkehrssysteme im Straßenverkehr und
deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern

(Intelligente Verkehrssysteme Gesetz – IVSG)


– Drucksache 17/12371 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Meeresforschung stärken – Potentiale aus-
schöpfen und Innovationen fördern

– Drucksache 17/9745 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Freier Zugang zu öffentlich finanzierten For-
schungsergebnissen

– Drucksache 17/12300 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz
Thönnes, Dr. Rolf Mützenich, Christoph Strässer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-
Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umfassende Modernisierung und Respektie-
rung der Menschenrechte in Aserbaidschan
unabdingbar machen

– Drucksache 17/12467 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 42 a bis
42 m sowie Zusatzpunkt 3. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 42 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetrof-
fene in Verfahren vor dem Europäischen Ge-

(EGMR-Kostenhilfegesetz – EGMRKHG)


– Drucksache 17/11211 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/12535 –





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Marco Buschmann
Raju Sharma
Ingrid Hönlinger

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12535, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11211 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung bei Enthaltung der Linken von den anderen
Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-
vor angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über konjunkturstatistische Erhebungen in bestimm-

(Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz – DLKonjStatG)


– Drucksache 17/12014 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/12510 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Lindner (Berlin)


Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/12510, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 17/12014 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf so zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken
bei Enthaltung der Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der
Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen
wie zuvor angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala
Lumpur vom 15. Oktober 2010 über Haftung

und Wiedergutmachung zum Protokoll von
Cartagena über die biologische Sicherheit

– Drucksache 17/12337 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12528 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Röring
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Harald Ebner

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12528, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12337 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen
Tabakgesetzes

– Drucksache 17/12338 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12530 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Mechthild Heil
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Erik Schweickert
Karin Binder
Nicole Maisch

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12530, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12338 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkte 42 e bis 42 m. Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 42 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 537 zu Petitionen

– Drucksache 17/12401 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 537 ist einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 538 zu Petitionen

– Drucksache 17/12402 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Auch die Sammelübersicht 538 ist einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 539 zu Petitionen

– Drucksache 17/12403 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 539 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stim-
men der Linken bei Enthaltung der Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 42 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 540 zu Petitionen

– Drucksache 17/12404 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 540 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 42 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 541 zu Petitionen

– Drucksache 17/12405 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 541 ist mit den Stimmen
von vier Fraktionen gegen die Stimmen der Linken an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 42 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 542 zu Petitionen

– Drucksache 17/12406 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 542 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stim-
men von Linken und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 543 zu Petitionen
– Drucksache 17/12407 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 543 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen und der Linken gegen
die Stimmen von SPD und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 42 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 544 zu Petitionen
– Drucksache 17/12408 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 544 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 42 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 545 zu Petitionen

– Drucksache 17/12409 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 545 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 3:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der
Bundesregierung

Einhundertzweiundsechzigste Verordnung zur
Änderung der Einfuhrliste

– Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz –

– Drucksachen 17/12001, 17/12114 Nr. 2.1,
17/12448 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12448, die Aufhebung der Ver-





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

ordnung auf Drucksache 17/12001 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 c, zu den
Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschus-
ses. Ich rufe zunächst Zusatzpunkt 4 a auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

wicklung des Meldewesens (MeldFortG)


– Drucksachen 17/7746, 17/10158, 17/10768,
17/12463 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Dies
gilt auch für die noch folgenden Beschlussempfehlungen
des Vermittlungsausschusses zu den Zusatzpunkten 4 b
und 4 c.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-
mittlungsausschusses auf Drucksache 17/12463? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Enthaltung der Fraktion der Linken ange-
nommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 4 b auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

tung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur
Festlegung der technischen Vorschriften und
der Geschäftsanforderungen für Überweisun-
gen und Lastschriften in Euro und zur Ände-
rung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009

(SEPA-Begleitgesetz)


– Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395,
17/11938 17/12464 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister

Der Kollege Michael Meister hat darum gebeten, im
Rahmen seiner Berichterstattung eine Protokollerklä-
rung der Bundesregierung zu Protokoll zu nehmen.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 17/12464? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 4 c auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)


zung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011
in der Rechtssache C-284/09

– Drucksachen 17/11314, 17/11717, 17/11718,
17/11940, 17/11950, 17/12465 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister

Der Kollege Michael Meister hat auch hier darum ge-
beten, im Rahmen seiner Berichterstattung eine Proto-
kollerklärung der Bundesregierung zu Protokoll zu neh-
men.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 17/12465? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men der Linken vom Haus angenommen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Position der Bundesregierung zur Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722509000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Nachdem man den Eindruck hat, dass es in die-
sem Hause nur noch Befürworter eines gesetzlichen
Mindestlohnes gibt, weil inzwischen alle konsequent bei
uns abschreiben – leider nicht immer richtig –,


(Lachen des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/ CSU])


haben wir das zum Anlass genommen, uns mit der einen
oder anderen Aussage von Ihnen zu beschäftigen.

Michael Grosse-Brömer, Ihr Parlamentarischer Ge-
schäftsführer, sagte im Spiegel am 18. Februar – Zitat –:

Wir werden als Union noch einmal einen Versuch
unternehmen,

– noch einmal einen Versuch unternehmen –

die FDP für einen tariflich vereinbarten Mindest-
lohn zu gewinnen.

Sehr löblich! – Der CDU-Fraktionsvorsitzende in NRW,
Karl-Josef Laumann sagt:

Wir brauchen einen robusten Mindestlohn. Der
künftige Mindestlohn muss prägende Wirkung ha-
ben, sonst können wir es gleich sein lassen.

Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.

Wir können nicht Hunderte Ausnahmen gebrau-
chen, sondern streben eine einheitliche und ver-
bindliche Lohnuntergrenze an, bei der die Kommis-

1) Anlage 3 2) Anlage 4





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

sion der Tarifpartner in wenigen begründeten Fällen
differenzieren kann.

Selbst Brüderle kann sich jetzt vorstellen, dass sich bei
den Liberalen etwas tut, und auch Philipp Rösler spricht
von fairen Löhnen, was sehr löblich ist. Frau Kramp-
Karrenbauer im Saarland will einer Initiative des Bun-
desrates zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne zu-
stimmen. Gegenüber der Welt betont Frau Hasselfeldt,
mit der FDP laufend – das finde ich bemerkenswert –
über das Thema zu reden. Sie tun auch gut daran; denn
laut einer Erhebung sind inzwischen 66 Prozent der
Unionsanhänger für einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie
müssen Ihren Wählern etwas hinterherlaufen, um sie
noch einholen zu können.


(Beifall bei der LINKEN)


Die entscheidende Frage ist: Meinen Sie es mit Ihrer
Forderung nach einem Mindestlohn eigentlich ernst?
Denn Ihr Vorschlag, dass nur in den Bereichen eine Lohn-
untergrenze festgelegt werden soll, in denen es keine Ta-
rifverträge gibt, geht vollkommen am Thema vorbei; die
sogenannte allgemein verbindliche Lohnuntergrenze ist
kein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Im
Fleischerhandwerk in Thüringen wird ein Stundenlohn
von 6,19 Euro gezahlt, im Friseurhandwerk in Berlin
sind es 4,65 Euro, in der Floristik in Brandenburg sind es
5,26 Euro, im Hotel- und Gaststättengewerbe – das die
FDP so gerne fördert – in Mecklenburg-Vorpommern
werden 6,73 Euro gezahlt, und die Garten- und Land-
schaftsbauern erhalten 6,25 Euro. All das sind tarifliche
Löhne. Mit Ihrer Position würden diese Löhne bleiben,
wie sie sind. Das ist Folge Ihrer Lohnuntergrenze.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Anton Schaaf [SPD])


Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Das, was Sie vorschla-
gen, brauchen die Menschen in unserem Land nicht.
Wird Ihr Vorschlag umgesetzt, dann bleibt es dabei:
23,1 Prozent verdienen unter 9,15 Euro pro Stunde,
4 Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 7 Euro
und 1,4 Millionen sogar weniger als 5 Euro. Das ist der
Zustand, den Sie ändern müssten; aber das tun Sie nicht.
Deshalb sind Sie für diese Löhne mit verantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Iris Gleicke [SPD])


Momentan ist die Zeit der Plagiate. Deshalb noch ein
Wort zu Herrn Steinbrück. Ich habe ein Zitat aus der Ta-
gesschau vom 24. Februar zur Kenntnis genommen.
Dort sagt Herr Steinbrück:

Wir sind das Original mit einem flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn, und die anderen werden
fummelig und eifern uns nach, weil sie merken: Da
passiert was.


(Iris Gleicke [SPD]: Ich habe schon „Mindestlohn“ gesagt, da haben Sie als Gewerkschafter noch dagegen gestänkert!)


Meine Damen und Herren von der SPD,


(Iris Gleicke [SPD]: Wir sind das Original!)


Sie haben in der letzten Legislaturperiode dagegen ge-
stimmt. Unsere Forderung stand da schon längst auf der
Tagesordnung.


(Iris Gleicke [SPD]: Erzählen Sie doch nicht so einen Unsinn, Herr Ernst!)


– Da könnt ihr brüllen wie ihr wollt.


(Iris Gleicke [SPD]: Ja, ja!)


Im Spiegel vom 1. April 2006 heißt es – Zitat –:

In der Öffentlichkeit hält er sich noch bedeckt.

– Ihr Spitzenkandidat –

Hinter den Kulissen jedoch kämpft Bundesfinanz-
minister Peer Steinbrück mit großer Energie gegen
die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.

Das ist die Wahrheit.

Wir brauchen keinen Mindestlohn von 8,50 Euro,
sondern einen Mindestlohn von mindestens 10 Euro.


(Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: 10,50 Euro!)


Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Das hat einen einfa-
chen Grund – den kennen Sie genauso gut wie wir –: Je-
der Lohn von unter 10 Euro die Stunde führt dazu, dass
der Mensch, der diesen Lohn sein Leben lang erhält
– und nie arbeitslos wird –, als Rentner eine Rente be-
zieht, die unterhalb der Grundsicherung im Alter liegt.
Das heißt, jeder Lohn unter 10 Euro in der Stunde führt
im Ergebnis dazu, dass Sie die Menschen arm machen,
wenn sie in Rente gehen. Das müssen Sie schon alleine
machen; das geht nicht mit den Linken.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722509100

Das Wort hat nun Karl Schiewerling für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1722509200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich
mich sehr, dass wir, als heute die Arbeitslosenzahlen
vorgelegt worden sind, feststellen konnten, dass trotz ei-
nes schwierigen Winters keine weiteren Aufwüchse zu
verzeichnen sind, sodass der Präsident der Bundesagen-
tur für Arbeit festhalten konnte, dass wir hoffnungsvoll
in die Zukunft schauen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Das war schon immer so!)


Zu den guten Zahlen gehört, dass wir in Deutschland
im europäischen Vergleich mit 6,1 Prozent immer noch
die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben. Wir wollen,
dass sich das weiter verbessert.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schiewerling, zu welchem Thema reden Sie?)






Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich der Anteil der
Menschen in Kurzarbeit verringert. Warum sage ich
dies? Ich sage Ihnen dies, weil wir zunächst einmal fest-
stellen dürfen, dass wir dank der guten Konjunktur, dank
der erfolgreichen arbeitsmarktpolitischen Initiativen ver-
gangener Zeiten und dieser Regierung


(Iris Gleicke [SPD]: Dank Ihrer Kürzungen!)


mehr als 41 Millionen Erwerbstätige haben, darunter
rund 29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigte. Dank der guten Entwicklung können wir uns auch
darüber freuen, dass im Wesentlichen unter Unionskanz-
lern in 12 Branchen Mindestlöhne eingeführt worden
sind, die von Tarifpartnern gefunden wurden und die für
ungefähr 4,6 Millionen Menschen Wirkung entfalten.

Wir halten das für den richtigen Weg; denn verant-
wortlich für die Lohnsetzung, auch für Mindestlöhne,
sind die Tarifpartner und nicht der Staat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen nicht, dass wir sozusagen in das „Pokerver-
fahren“ einsteigen, wer denn nun am meisten bietet.
8,50 Euro Pflichtuntergrenze der SPD, 10 Euro Mindest-
grenze der Linken – ich bin gespannt, wann im nächsten
Deutschen Bundestag diese Summe erhöht wird und wir
in einer Art orientalischer Phase anfangen auszuhandeln,
wie hoch der beste Mindestlohn liegt. Nein, meine Da-
men und Herren, für das Finden von Mindestlöhnen sind
die Tarifpartner zuständig. Dieses System hat sich be-
währt, und dabei wollen wir bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das hat etwas mit Ordnungspolitik in unserem Land
zu tun,


(Zuruf von der SPD: Nein!)


und das hat etwas mit klaren Strukturen zu tun.

Das Modell, das die Union beschlossen hat und das
wir jetzt in der Koalition miteinander diskutieren und zu
einer Lösung führen wollen, sieht vor, dass die Tarifpart-
ner gezwungen werden, überall dort, wo keine Tarifver-
träge wirken, dafür zu sorgen, dass ein Mindestlohn ein-
geführt wird. Das Modell sieht übrigens auch vor, dass
überall dort, wo Tarifverträge ausgelaufen sind, der
Nachlauf dieser Tarifverträge gebremst wird und nicht,
wie wir das in der Tat in Thüringen erlebt haben, im Fri-
seurhandwerk ein Tarifvertrag bis zum Sankt-Nimmer-
leins-Tag gilt, dessen Tariflöhne übrigens viel zu niedrig
sind. Aber auch in diesem Bereich sind aufgrund der
Praxis die Löhne mittlerweile gestiegen. Das hat etwas
mit marktwirtschaftlicher Ordnung zu tun. Da befinden
wir uns auf dem entsprechenden Weg. Seien Sie versi-
chert: Wir werden dieses Thema miteinander klären und
auch miteinander vereinbaren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle ei-
nes sehr deutlich machen: Das Thema Mindestlohn steht
ja symbolisch für das Thema Gerechtigkeit.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Ich kann dies nachvollziehen.


(Iris Gleicke [SPD]: Ach!)


Worauf wir aber achtgeben müssen, ist, dass wir nicht
ständig den Eindruck vermitteln, als würden wir in
Deutschland in einer blanken Verelendungswüste leben,


(Iris Gleicke [SPD]: Gucken Sie sich doch mal die Löhne im Osten an!)


in der die Menschen am Hungertuch nagen und in der
keine Perspektiven für die Menschen vorhanden sind.
Das ist nicht der Fall.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Schiewerling, wir fahren mal ins Erzgebirge oder ins Vogtland!)


Seit 2010 sind deutliche Lohnsteigerungen zu verzeich-
nen. Überall dort, wo Tarifpartnerschaft funktioniert,
kommt es zu deutlichen Lohnsteigerungen und besseren
Rahmenbedingungen für die Menschen.

Wir haben ein Interesse daran, dass dies auch für alle
anderen Menschen zum Tragen kommt. Deswegen ar-
beiten wir jetzt daran, gemeinsam ein System zur Fin-
dung von tariflichen Mindestlöhnen zu etablieren. Ich
bin ganz sicher, dass dieses Konzept wirken wird, übri-
gens auch dort, wo Tarifverträge bestehen, die noch eine
Lohnhöhe vorsehen, die auch wir für hochproblematisch
halten.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir schreiben aber nicht vor, sondern wir setzen darauf,
dass die Tarifautonomie funktioniert. Ich glaube, dass
wir in der Bundesrepublik damit bisher am besten gefah-
ren sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722509300

Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1722509400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren von FDP und
CDU, Sie stellen schon eine verdammte Regierung der
Gaukler.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was ist denn mit der CSU?)


Sie alle wissen, was Gaukler tun. Gaukler erwecken Illu-
sionen, Gaukler tricksen und schwindeln, und alles nur
um der Show willen. Es ist natürlich klar, um welche
Show es Ihnen hier geht. Es geht um die Bundestags-
wahl. Sie wollen hier ein gutes Bild abgeben.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das will die Linke!)


Ob Ihnen das tatsächlich gelingt? Wir werden es sehen.





Anette Kramme


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren dieser Regierung, ich bin
Ihnen dankbar dafür, dass Sie in Ihren Diskussionsbei-
trägen einen Begriff verwenden, der nichts mit dem ei-
gentlichen Markenprodukt zu tun hat. Ich bin Ihnen
dankbar dafür, dass Sie den Begriff der Lohnuntergrenze
verwenden.

Lassen Sie mich einige Dinge zu dieser Lohnunter-
grenze sagen: Es hat sich in den letzten Tagen herausge-
stellt, dass FDP und Union einige gemeinsame Eck-
punkte zu diesem Thema haben. Zunächst einmal will
ich festhalten, dass Sie alle miteinander sagen: Es darf
keine absolute Lohnuntergrenze qua Gesetz geben. Ich
finde es in diesem Zusammenhang interessant, dass
Guido Westerwelle davon spricht, dass die Grundsätze
der Leistungsgerechtigkeit verletzt sind, wenn ein Stun-
denlohn in Höhe von lediglich 3 Euro gezahlt wird. Da
stelle ich mir natürlich die Frage, was das heißt.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir auch!)


Heißt das, dass wir Mindestlöhne in Höhe von 3,50 Euro
bekommen sollen? Sind dann die Grundsätze der Lohn-
gerechtigkeit erfüllt?

Meine Damen und Herren der Koalition, Sie sagen
auch, dass eine Lohnuntergrenze immer dann nicht
greifen soll, wenn ein Tarifvertrag vorhanden ist oder
auf einen Tarifvertrag Bezug genommen wird. Herr
Schiewerling von der Union hat das gerade ganz elegant
formuliert. Er hat gesagt: überall da, wo Tarifverträge
wirken.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist auch ein kluger und eleganter Mensch!)


– Da haben Sie recht. Das ist ein angenehmer Mensch,
auf der persönlichen Ebene;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


aber es ist sicherlich auch so, dass er politisch an der ei-
nen oder anderen Stelle mächtig danebenliegt. Das gilt
auch für diesen Punkt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


bei dem es darum geht, dass die Lohnuntergrenze immer
wieder durch Tarifverträge ausgehöhlt werden kann.

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Hun-
derte von Tarifverträgen mit einem Stundenlohn unter-
halb von 6 Euro. Man muss nur in das WSI-Archiv hi-
neinschauen, um das festzustellen. Diese Bezugnahme
auf Tarifverträge bedeutet Folgendes: In jedem x-belie-
bigen Arbeitsvertrag könnte künftig der Mindestlohn
– Ihre Lohnuntergrenze – dadurch umgangen werden,
indem beispielsweise hineingeschrieben wird, dass der
Tarifvertrag für die Floristen greift. Also ist es möglich,
dass der Mitarbeiter an der Würstchenbude nach dem
Tarifvertrag für die Floristen und Floristinnen bezahlt
wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie denn gegen Floristinnen? – Gegenruf der Abg. Caren Marks [SPD]: Die Bezahlung!)


Das ist nicht nur kurios, sondern schlimm, weil die Be-
zahlung in diesem Bereich nicht gut ist.

Meine Damen und Herren der Union, Sie sagen: Es
muss so sein, dass nach Regionen und Branchen diffe-
renziert wird. Ich stelle mir einmal vor, wie das dann ab-
läuft. Es gibt ganz viele Regionen in der Bundesrepu-
blik, und man kann ganz viele Branchen finden, um die
es in diesem Zusammenhang geht. Ich denke, wir würden
in einen jahrelangen Prozess der Lohnfindung hinein-
kommen, um einen Mindestlohn, eine Lohnuntergrenze
zu finden. Ich stelle mir vor, wie Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer dann jeweils recherchieren müssen, um zu
wissen, was für sie konkret gilt.

Davon abgesehen, sehe ich Sie von einem Gesetzge-
bungsvorhaben noch ganz weit entfernt. Das gilt für Ihre
beiden Fraktionen. Ich will an dieser Stelle nur beispiels-
weise erwähnen, was der bildungspolitische Sprecher
der FDP gesagt hat. Er hat gesagt, es gebe keine Bewe-
gung für eine Lohnuntergrenze oder für Mindestlöhne in
Deutschland. Na ja, wir werden sehen, wie Sie Mehrhei-
ten dafür zusammenkriegen.

Meine Damen und Herren, dabei brauchen wir Min-
destlöhne in der Bundesrepublik hochnotdringend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Schiewerling, Sie haben gesagt: Bei den Arbeits-
marktzahlen steht die Bundesrepublik toll da. Und Sie
haben gesagt: Die Löhne steigen. – Und trotzdem stellt
das IAQ fest: 23 Prozent aller Beschäftigten – im Prinzip
gleichbleibend – in Haupt- und Nebentätigkeit bekom-
men weniger als 8,50 Euro. Nicht umsonst wird immer
wieder festgestellt, dass die Bundesrepublik leider einen
der größten Niedriglohnsektoren, bezogen auf die Indus-
trieregionen dieser Welt, hat.

Das alles ist ein Jammer. Es geht um Gerechtigkeit,
aber auch um die Bekämpfung von Altersarmut. An die-
ser Stelle von einer Lebensleistungsrente zu sprechen, ist
verlogen, wenn man den Niedriglohnsektor nicht konse-
quent bekämpfen will.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722509500

Vielen Dank, Frau Kollegin Anette Kramme. –

Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kol-
lege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1722509600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Kramme, um das Wort „verlogen“ aufzu-
nehmen


(Widerspruch der Abg. Anette Kramme [SPD])






Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)

– das ist eigentlich nicht meine Sprache, aber Sie haben
es eingeführt –: Verlogen finde ich eher, wenn eine Ver-
treterin einer Fraktion, die den Niedriglohnsektor in
Deutschland überhaupt erst eingeführt hat, hier mit gro-
ßen Krokodilstränen genau diesen Umstand beweint.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist nun einmal so, dass Rot-Grün damals die Idee
hatte, die Massenarbeitslosigkeit – über 5 Millionen Ar-
beitslose – dadurch zu bekämpfen, dass man einen Nie-
driglohnsektor an die deutsche Volkswirtschaft an-
flanscht. Ihr Handeln! Ihre Verantwortung! Sie sollten
das heute hier nicht so beweinen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, nach dem Willen der Väter und Mütter des
Grundgesetzes ist Lohnfindung Sache der Tarifparteien.
Ich will – anders als die Vertreter der Opposition – hier
zunächst einmal festhalten, dass das in Deutschland im-
mer noch in einem hohen Maße sehr gut funktioniert.
60 Prozent der Arbeitsverhältnisse in Deutschland unter-
liegen einer direkten Tarifbindung, bei weiteren 20 Pro-
zent gibt es eine Bezugnahme auf Tarifverträge. Ich
kann überhaupt nicht verstehen, wenn ein ehemaliger
oder noch aktiver Gewerkschaftsfunktionär wie der Kol-
lege Klaus Ernst hier eine allgemeine Tarifschelte be-
treibt.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)


Das finde ich nicht akzeptabel. Da muss ich fragen, wie
Sie es mit der Tarifautonomie halten, lieber Kollege
Ernst.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es wichtig, in der Diskussion immer auch
auf aktuelle Tarifabschlüsse abzustellen. Deswegen ist
es schon ein Problem – das hat der Kollege Schiewerling
angesprochen –, wie man es mit ausgelaufenen Tarifver-
trägen halten will, die sich in der Nachwirkung befinden
und Signale senden, die heute so nicht mehr akzeptabel
sind. Das ist eine Frage, die wir uns stellen und die wir
sicherlich in einem guten Sinne beantworten werden. Je-
denfalls steht für uns fest, dass es nicht Sache des Ge-
setzgebers sein kann, in bestehende, aktuelle Tarifver-
träge einzugreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Zu den unverändert 60 plus 20 Prozent – also 80 Pro-
zent – der Arbeitsverhältnisse in Deutschland, die direkt
einem Tarifvertrag unterliegen oder indirekt Bezug auf
ihn nehmen, kommen 3,8 Millionen Arbeitsverhältnisse
hinzu – teilweise überschneidet sich das –, in denen ein
Mindestlohn aufgrund der Allgemeinverbindlicherklä-
rung von Tarifverträgen gilt. 2,1 Millionen Arbeitsver-
hältnisse sind in dieser Legislaturperiode, durch Handeln
dieser schwarz-gelben Koalition, neu mit Mindestlöhnen

ausgestattet worden. Das zeigt: Wir sind bei diesem
Thema nicht blind. Überhaupt nicht!


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Wir sind für Mindestlöhne. Aber für uns macht es einen
Unterschied, ob sie auf der Basis von Tarifverträgen ein-
geführt werden – also durch die Tarifpartner auf ihre
Verträglichkeit überprüft wurden – oder nicht.

Das ist das große Manko einer politischen Lohnfin-
dung, wie sie hier offensichtlich der Opposition vor-
schwebt: Sie wollen einen Basar eröffnen – Sie haben
das heute ja hier schon getan –, auf dem um den Min-
dest-Mindestlohn gefeilscht wird. Unter 10 Euro dürfen
es nach Ihrer Vorstellung überhaupt nicht sein. Dieser
Mindest-Mindestlohn von 10 Euro zeigt doch schon,
wohin die Reise bei Ihnen gehen würde.


(Zuruf von der LINKEN)


Vor Wahlen lässt sich dann trefflich ein Überbietungs-
wettbewerb starten. Das ist nicht unser Weg. Wir setzen
konsequent bei der Tarifbindung an.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


So wollen wir die Dinge mit unserem Koalitionspart-
ner weiter gestalten. Wir werden darüber diskutieren:
Muss man den Rahmen, den wir im Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetz vollständig ausgeschöpft haben – es gibt jetzt
für alle darin vorgesehenen Branchen Mindestlöhne –,
nachjustieren? Vor allen Dingen: Wie kann man das
Mindestarbeitsbedingungengesetz, wenn es denn Pro-
bleme aufwirft, noch einmal auf den Prüfstand stellen?

Eines wundert mich immer bei Ihnen, Frau Kollegin
Kramme – das muss ich deutlich sagen –: Sie führen die
Rente mit 67 ein – Sie haben das gemacht –, und fünf
Jahre später wollen Sie damit nichts mehr zu tun haben.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht die FDP?)


Sie führen einen Niedriglohnsektor in Deutschland ein,
und sechs Jahre später wollen Sie das nicht mehr als Ihr
Handeln gelten lassen. Genauso haben Sie in der Großen
Koalition das aktuelle Instrumentarium für die Einfüh-
rung von Mindestlöhnen mit dem Arbeitnehmer-Entsen-
degesetz und mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetz
geschaffen, und hinterher, nachdem Sie modernisiert ha-
ben, machen Sie keinen Gebrauch davon.


(Katja Mast [SPD]: Mehr war ja mit Ihnen nicht möglich! – Anette Kramme [SPD]: Schauen Sie einmal, wann diese Gesetze in Kraft getreten sind!)


Frau Kollegin Kramme, jede rot-grüne Landesregie-
rung und auch jede grün-rote Landesregierung kann ei-
nen Antrag auf Einführung eines Mindestlohnes nach
dem Mindestarbeitsbedingungengesetz stellen. Was pas-
siert? Nichts. Sie machen nichts. Sie vertagen sich lieber
auf einen Schauplatz, von dem Sie glauben, dass Sie ihn
besser beherrschen. Das finde ich unangemessen, Frau
Kollegin Kramme.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Also, wenn Sie mei Dr. Heinrich L. Kolb nen, dass Ihnen das irgendjemand in dieser Republik glaubt! – Weiterer Zuruf von der SPD)





(A) (C)


(D)(B)


Uns geht es um faire Löhne für Arbeitgeber, die diese
Löhne zahlen müssen, und um faire Löhne für Arbeit-
nehmer, die von diesen Löhnen leben müssen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht die FDP?)


Uns geht es auch um faire Löhne aus Sicht der Arbeits-
losen, denen durch Lohnfindung ein Wiedereinstieg in
den Arbeitsmarkt nicht verwehrt und nicht verbaut wer-
den darf. Das ist der Weg, den wir in guter Abstimmung
mit unserem Koalitionspartner gehen wollen. Sie dürfen
gespannt darauf sein, mit welchen Ergebnissen wir Sie
hier schon sehr bald konfrontieren werden.


(Anton Schaaf [SPD]: Das sind wir allerdings!)


Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722509700

Vielen Dank, Kollege Dr. Kolb. – Nächste Rednerin

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kol-
legin Frau Brigitte Pothmer. Bitte schön, Frau Kollegin.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722509800

Vielen Dank; Herr Präsident. – Die einzige Aussage

in Ihrer Rede, die zutreffend war, war, dass wir gespannt
darauf sind, was bei dieser Vereinbarung herauskommt,
Herr Kolb.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Herr Kolb, Sie haben darauf hingewiesen, dass die
Lohnfindung in Deutschland so hervorragend funktio-
niere. Deswegen will ich Ihnen noch einmal ein paar
Zahlen in Erinnerung rufen. 6,6 Millionen Menschen in
Deutschland arbeiten für Löhne unter 8,50 Euro die
Stunde. 1,4 Millionen Menschen arbeiten für Löhne un-
ter 5 Euro brutto die Stunde. So weit zu der Lohnfindung
in Deutschland. Dass wir Löhne unter 5 Euro die Stunde
haben, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Dieses Alleinstel-
lungsmerkmal haben wir in Deutschland deswegen, weil
wir das einzige europäische Land sind, das keinen Min-
destlohn hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Zuruf von der FDP: Das stimmt doch gar nicht, Frau Kollegin!)


Es gab und es gibt in dieser Legislaturperiode unzäh-
lige Initiativen aus den Oppositionsfraktionen, um dieses
Lohndumping, das zunehmend zum Geschäftsmodell
von Betrieben geworden ist, einzuschränken. Sie haben
alle diese Initiativen abgelehnt, ohne auch nur eine ein-
zige eigene Initiative auf den Tisch zu legen. Insbeson-
dere die FDP-Fraktion hat sich unter dem Deckmantel

der Marktwirtschaft als Gralshüter von Schmutzlöhnen
profiliert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das müssen Sie aber zurücknehmen!)


Jetzt, etwa sechs Wochen vor den Bundestagswahlen


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Monate! Monate!)


– Monate! –, hat sich selbst der Sprecher für spätrömi-
sche Dekadenz, Außenminister Westerwelle, zum Ge-
rechtigkeitsfanatiker entwickelt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durchschaubar ist das! – Anette Kramme [SPD]: So ist das! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was sagen die Grünen in Nordrhein-Westfalen?)


Plötzlich ist auch ihm klar, dass 3 Euro Stundenlohn mit
Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun haben.


(Katja Mast [SPD]: Hört! Hört!)


Was für eine Erleuchtung hat diesen Mann erfasst?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Anton Schaaf [SPD] – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ihn hat wenigstens etwas erleuchtet! Sie nicht!)


Auch Frau Merkel hat eine wundersame Wandlung
durchgemacht. Sie will jetzt eine Lohnuntergrenze ein-
führen, will es also nicht mehr den Tarifvertragsparteien
überlassen.

Sollten die Debatten der letzten Jahre vielleicht doch
gefruchtet haben? Ich fürchte, die Erklärung ist viel ba-
naler: Schwarz-Gelb hat elf Landtagswahlen in Folge
verloren. Genau dieses Schicksal befürchten Sie jetzt für
die Bundestagswahl.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Gemach, gemach! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe da eine Wette laufen!)


Jetzt wollen Sie von den Koalitionsfraktionen, dass Ih-
nen der Zeitgeist in die Segel bläst, aber dazu haben Sie
den falschen Einfallswinkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Bundesregierung ist Getriebene, Getriebene des
Bundesverfassungsgerichts und Getriebene des Gerech-
tigkeitsempfindens der Bevölkerung. 84 Prozent wollen
einen gesetzlichen Mindestlohn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zwei Drittel der Bevölkerung sind der Auffassung, dass
die Gerechtigkeitslücke in Deutschland immer größer
wird.

Mir könnte es eigentlich egal sein, ob Sie aus reinem
Opportunismus oder aus tiefer Einsicht in die Sache Ihre
Blockade gegen den Mindestlohn aufgeben. Aber Sie
geben sie eben nicht wirklich auf; das ist das Problem.





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Ihr Modell der Lohnuntergrenze ist eine politische
Scheinlösung. Bestehende Ungerechtigkeiten werden
weiter beibehalten. 1 Million Beschäftigte arbeiten unter
Tarifverträgen und verdienen weniger als 8,50 Euro die
Stunde. Für diese Menschen ändert sich durch Ihre
Scheinlösung rein gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das, meine Damen und Herren, ist von der Leistungsge-
rechtigkeit, von der Herr Westerwelle spricht, so weit
entfernt wie ein Hartz-IV-Empfänger von den Millionen
auf einem Schweizer Nummernkonto.

Nein, diese Armutslöhne dürfen nicht Orientierungs-
punkt für Mindestlöhne werden. Mein Vorwurf an Sie
lautet: Ihnen geht es nicht um die Menschen. Ihnen geht
es auch nicht um die Inhalte. Für Sie sind Inhalte nur In-
strumente zur Machtsicherung.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Warum wundert mich das nicht?)


Ich finde, im Tagesspiegel wurde das ziemlich treffend
beschrieben – ich zitiere –:

Der Vorwurf gegen Angela Merkel, dass sie die
Positionen, die sie nicht hat, jederzeit räumt,
ist … berechtigt. Jetzt verändert sie die Haltung der
CDU zum Mindestlohn …

Aber die Menschen sehen: Das ist ein Betrugsmanöver.
Damit werden Sie nicht durchkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Menschen wollen einen Mindestlohn ohne Wenn
und Aber, und sie wollen ihn für alle Beschäftigten und
für alle Unternehmen. Das ist ein Gebot der Gerechtig-
keit, und das ist auch ein Gebot des fairen Wettbewerbs
unter den Unternehmen. Die Leute wollen Schluss ma-
chen mit Lohndumping.

Meine Damen und Herren, vor Ihnen liegt eine histori-
sche Chance: Im Bundesrat liegt derzeit eine Gesetzesini-
tiative von Rheinland-Pfalz zur Einführung eines flächen-
deckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Ich
bin stolz darauf, dass letzte Woche die neue rot-grüne
Landesregierung von Niedersachsen dieser Initiative
beigetreten ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Kramp-Karrenbauer hat bereits angekündigt, dass
sie dieser Initiative für das Saarland zustimmen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Frau Kramp-Karrenbauer ist eine kluge Frau, meine Da-
men und Herren. Seien Sie es ein einziges Mal auch!

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Was? Ich soll eine kluge Frau sein?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722509900

Vielen Dank, Frau Kollegin Pothmer. – Nächster Red-

ner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Max Straubinger. Bitte schön,
Kollege Max Straubinger.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1722510000

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir debattieren auf Antrag der Fraktion Die Linke wie-
derum die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Richtig!)


Das ist für uns eine gute Gelegenheit – wir sind auch
dankbar dafür –, die unterschiedlichen Konzepte dar-
zustellen. Vorauszuschicken ist – der Kollege Karl
Schiewerling und der Kollege Kolb haben das bereits ge-
sagt –: Unter unserer Regierung wurden in zwölf Bran-
chen gesetzliche Lohnuntergrenzen eingeführt,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das haben wir Ihnen abverlangt!)


allerdings solche, die von den Tarifpartnern nach eige-
nen Maßstäben und unter Berücksichtigung regionaler
Gesichtspunkte gefunden worden sind, also nicht flä-
chendeckend. Das ist auch notwendig;


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!)


denn Deutschland ist keine Einheit; deshalb muss der
Aspekt der Regionalität auch bei der Lohnfindung zum
Ausdruck kommen. Deshalb sind wir dafür, dass die
Lohnfindung unter Beachtung der Tarifautonomie wei-
terhin zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorge-
nommen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch wenn wir uns in unserer Fraktion auf ein be-
stimmtes Modell, das dem Rechnung trägt, geeinigt
haben, möchte ich noch eines ergänzen: Es kann ent-
scheidend sein bzw. wäre besser, Tarifverträge, zumin-
dest die unteren Lohngrenzen eines Tarifvertrages, für
allgemeinverbindlich zu erklären. Wir sollten deshalb
darüber nachdenken, die Allgemeinverbindlicherklärung
zu erweitern bzw. zu verbessern. Wir könnten dadurch
einen Beitrag dazu leisten, dass die Lohnuntergrenzen,
die die Tarifpartner selbstständig im Rahmen ihrer Ver-
handlungen festlegen, die Politik dann für alle Arbeitge-
ber in der entsprechenden Branche für allgemeinver-
bindlich erklärt. So könnten wir für einen Wettbewerb
um die Qualität der Betriebe sorgen statt für einen Wett-
bewerb um den geringsten Lohn. Das ist auch ein An-
spruch von CDU und CSU.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bedeutsam ist
auch, dass gleich nach der Beendigung der Wahl in
Frankreich Vertreter der SPD unter Führung des Chef-





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)

diplomaten der SPD, Herrn Steinbrück, nach Frankreich
geeilt sind. Damals hatte er noch nicht die Leier drauf,
dass Clowns gewählt worden sind, wie er es jetzt in Be-
zug auf Italien gesagt hat, wodurch möglicherweise
mehr Verstimmung hervorgerufen wird, als dass ein Bei-
trag zur Lösung von Problemen geleistet wird. Aber ge-
rade von SPD-Seite aus wird doch Frankreich immer da-
für gerühmt, dass es einen tollen, hohen gesetzlichen
Mindestlohn habe. Man muss sich aber auch dessen
Auswirkungen anschauen.

Während wir in Deutschland eine Jugendarbeitslosig-
keit von 6 Prozent zu verzeichnen haben, worauf wir
stolz sein können, ist in Frankreich eine Jugendarbeitslo-
sigkeit von 27 Prozent zu verzeichnen. Diese Quote
wäre noch höher – davon bin ich auch überzeugt –, wenn
dort noch höhere Mindestlöhne umgesetzt worden wä-
ren.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Aber es gibt ja den schönen Bericht der Gallois-Kom-
mission. Darin wird dargelegt, dass in Frankreich jeder
neu geschaffene Arbeitsplatz auf Mindestlohnniveau mit
70 000 Euro – wohlgemerkt: mit 70 000 Euro je Arbeits-
platz! – subventioniert wird. Da frage ich mich schon, ob
dies richtig sein kann. Deshalb ist auch die französische
Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig. Mit Subventio-
nen allein kann man keine Volkswirtschaft führen. Das
zeigt sich sehr deutlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Deshalb kann ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kol-
legen, vor staatlicher Lohnfestsetzung nur warnen. Staat-
liche Lohnfestsetzung


(Zurufe von der SPD sowie der Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


bringt in keiner Weise Positives für eine Volkswirtschaft.
Deshalb lehnen wir eine staatliche Lohnfestsetzung ab,
Herr Kollege Strengmann-Kuhn.

In dieser Frage ist auch Folgendes bedeutsam – da-
rüber haben wir uns jüngst mit Juristen unterhalten –:
Wenn wir hier eine staatlich verordnete Lohnuntergrenze
haben, dann werden Sie feststellen, dass sich die Sitten-
widrigkeit von Löhnen in Deutschland signifikant verän-
dern wird. Derzeit wird Sittenwidrigkeit im Durchschnitt
dann festgestellt, wenn Löhne von unter 60 Prozent ge-
zahlt werden.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei 3 Euro also 2 Euro!)


Wenn ein Architekt, der durchschnittlich einen Verdienst
von 4 000 Euro im Monat hat, zu einem Gehalt in Höhe
von 2 050 Euro beschäftigt wird, dann wäre das nach
dem jetzigen Gesetz sittenwidrig. Wenn Sie aber einen
gesetzlichen Mindestlohn einführen, dann ist das nicht
mehr sittenwidrig. Das ist letztendlich ein Programm zur
Lohndrückerei


(Widerspruch bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


insbesondere in Facharbeiterkreisen. Das möchte ich Ih-
nen noch ins Stammbuch schreiben.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der von uns
eingeschlagene Weg, Lohnuntergrenzen von den Tarif-
parteien festlegen zu lassen


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch!)


und diese dann für allgemeinverbindlich zu erklären, im
Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und im
Sinne einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft der bes-
sere Weg ist.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722510100

Vielen Dank, Kollege Straubinger. – Nächste Redne-

rin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kol-
legin Frau Gabriele Lösekrug-Möller. Bitte schön, Frau
Kollegin.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1722510200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Straubinger, Ihre Rede bestand zu 100 Prozent
aus Ideologie.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Was? – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ein bisschen Dummheit war auch dabei!)


Ich finde, dafür ist das Thema nun wirklich ein bisschen
zu schade.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ich bin doch ideologiefrei!)


Ich habe hier das erste Blatt eines wunderbaren Papiers
mitgebracht. Dabei handelt es sich um – einschlägig Be-
wanderte erkennen es an der Farbe – um eine Drucksache
aus dem Bundesrat, und zwar die Drucksache 136/13.
Dies ist ein Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-
Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nord-
rhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und, liebe Kollegin
Pothmer, auch Niedersachsen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Gesetzesantrag ist ganz eindeutig, weil in ihm für
ein klares Problem eine eindeutige Lösung vorgeschla-
gen wird.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Pure Ideologie! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Pure Ideologie, genau!)






Gabriele Lösekrug-Möller


(A) (C)



(D)(B)

Herr Straubinger, ich frage mich: Was müssen eigent-
lich die Gewerkschaften über diese Mehrheitsfraktionen
und über diese Regierung denken, wenn sie von Ihnen
als Kronzeuge gegen einen gesetzlichen Mindestlohn
missbraucht werden? Ich will Ihnen sagen: Das ist eine
ganz dreiste Nummer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kenne keine Einzelgewerkschaft, die Ihre Haltung
teilt. Selbst der DGB betreibt seit langem – aus guten
Gründen – eine große Initiative für einen gesetzlichen
Mindestlohn. Und dann stellen Sie sich hierher und sa-
gen: „Es lebe die Sozialpartnerschaft!“,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Jawohl! Sehr gut!)


und: „Die Gewerkschaften machen das richtig“.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Gewerkschaften schließen doch permanent Tarifverträge! Was hat das denn damit zu tun?)


Die Gewerkschaften machen es insofern richtig, weil sie
einen gesetzlichen Mindestlohn fordern, damit sie dann
mit voller Kraft, Herr Kolb, ihrer Tarifvertragshoheit
nachkommen können. Genau darum geht es. Was Sie
uns hier an Logik bieten, das taugt überhaupt nichts.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Wie wir gerade gehört haben, sind in der Bundesrepu-
blik Deutschland 29 Millionen Menschen sozialversi-
cherungspflichtig beschäftigt. Tatsache ist: 6,1 Millionen
Beschäftigte – die Zahl wurde genannt – warten auf ei-
nen gesetzlichen Mindestlohn; sie würden von einem
Mindestlohn von 8,50 Euro definitiv profitieren. Diese
Menschen lassen Sie im Regen stehen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Übrigens würden die unter 25-Jährigen von diesem Min-
destlohn überproportional profitieren: Jeder Zweite von
ihnen würde von einem Mindestlohn von 8,50 Euro pro-
fitieren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn sie dann noch einen Arbeitsplatz hätten!)


Ich kann nur sagen: Liebe junge Leute, wartet nicht
mehr auf diese Regierung! Sie wird euch im Regen ste-
hen lassen; denn es ist eindeutig, dass sie das, was rich-
tig wäre, nicht will.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich weiß, dass Sie – das werden in Folge auch der
Kollege Vogel und andere tun – immer darauf rekurrie-
ren, in wie vielen Branchen Sie die Einführung eines
Mindestlohns erreicht haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!)


Da sage ich: Das ist gut; aber das ist weniger als die
halbe Miete, und dieser Prozess zieht sich schon über
eine lange Zeit hin.

Bei den Lösungsvorschlägen, die jetzt von Ihrer Seite
diskutiert werden, ergibt sich auch folgendes Problem:
Ist man in der falschen Branche und wohnt und arbeitet
man in der falschen Region, hat man doppelt Pech ge-
habt; dann steht man da, und gar nichts hilft. Ich frage
mich: Interessieren Sie diese Menschen nicht? – Ich bin
gespannt auf Ihre Antwort.

Im Zusammenhang mit der Debatte, die wir heute
Morgen über die Fragen geführt haben, wie es sich ei-
gentlich mit Wohnen in Deutschland verhält, wer sich
das noch leisten kann, wer ordentliche Wohnungen be-
kommt und was diese Regierung eigentlich dafür getan
hat – gar nichts hat sie übrigens getan –, ist mir aufgefal-
len, dass die Koalition jetzt folgende drei Stücke auf den
Spielplan gesetzt hat:

Sie versprechen Verbesserungen beim Wohngeld und
auch beim sozialen Wohnungsbau. Das sind allerdings
nichts als Ankündigungen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: In München müssen die Leute zahlen, weil die rot-grüne Stadtverwaltung es nicht möglich macht, Wohnraum zu schaffen!)


Auf den Spielplan kommt nach meinem Eindruck
auch die halbierte doppelte Staatsbürgerschaft. Das ist
der Akt, den die FDP auf die Bühne bringen wird; die
Proben dazu haben schon begonnen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Als Regisseurin haben Sie aber nicht viel Talent, Frau Kollegin!)


Für Ihre Ansagen in puncto Lohnuntergrenze, Herr
Kolb, können sich jene, die schon lange darauf warten,
für ordentliche Arbeit endlich einen ordentlichen Stun-
denlohn zu bekommen, nichts kaufen.

Das ist dreimal schlechtes Theater von dieser Regie-
rung und diesen Fraktionen. Ich finde, das ist eine Zu-
mutung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722510300

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner für

die Fraktion der FDP unser Kollege Johannes Vogel.
Bitte schön, Kollege Johannes Vogel.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1722510400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Kollege Schiewerling hat eben auf die Ausgangslage der
Debatte hingewiesen. Die Ausgangslage ist doch, dass
sich der deutsche Arbeitsmarkt in eine Richtung entwi-





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)

ckelt, über die wir alle froh sein sollten: rekordniedrige
Arbeitslosigkeit, Rekordstand bei der Beschäftigung,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Werkverträgen zum Beispiel!)


niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Auch
die Qualität der Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, geht in die richtige Richtung. Der
Niedriglohnsektor ist zuletzt geschrumpft, und die Ein-
kommensungleichheit nimmt in Deutschland seit 2006
nicht mehr zu.

Das ist die Ausgangslage. Deshalb ist es doch richtig,
zu überlegen: Wie erhalten wir diese Ausgangslage und
verbessern die Lage noch, ohne Perspektiven zu zerstö-
ren? Ich denke, darüber sollte doch Einigkeit bestehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sage ich ganz ehrlich: Ihre Forderung, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, einen
einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn einzufüh-
ren,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So, wie ihn die Leute wollen!)


überzeugt mich nicht;


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Deshalb seid ihr bei 4 Prozent!)


wir konnten ja heute wieder erleben, wohin das führt. Sie
alle schlagen ja auch vor, dass die Politik dann die
Untergrenze dieses einheitlichen Mindestlohns definie-
ren soll.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Einmalig und die Steigerung durch die Kommission! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch einmal den Antrag des Bundesrates! Da steht das ganz anders drin!)


Wohin das führt, hat der Kollege Ernst hier im Deut-
schen Bundestag in der Einleitung dieser Aktuellen
Stunde doch wieder deutlich gemacht. Lieber Kollege
Ernst, das ist ja Ihr gutes Recht; aber Sie mögen mir ver-
zeihen, dass ich ganz ehrlich bekenne: Lohnfindung
durch den Deutschen Bundestag, angetrieben durch
Klaus Ernst hier im Plenum, das will ich nicht. Das zer-
stört die Perspektiven der Menschen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will doch gar keiner! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da gar nicht drin! Das will keiner! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Warum erstaunt mich das nicht?)


Ich fand interessant, was die Kollegin Lösekrug-
Möller gesagt hat. Sie hat behauptet, dass gerade junge
Leute von einem gesetzlichen Mindestlohn profitieren
würden, und sie hat gesagt, wir sollten das Ganze ohne
Ideologie betrachten.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ah ja!)


Ich finde, das ist eine gute Überlegung. Deshalb sollten
wir doch ernst nehmen, was uns die OECD gerade wie-
der einmal aufgeschrieben hat. Die OECD – nicht diese
Regierung, nicht die Koalition – sagt: Die Länder, die ei-
nen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn haben,
stehen gerade hinsichtlich der Jugendarbeitslosigkeit er-
heblich schlechter da. Das sehen Sie an dieser Grafik.


(Abg. Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP] hält ein Schaubild hoch)


Diese Grafik ist nicht von uns, sondern von der OECD.
Sie sehen hier, dass die Schere zwischen den Ländern,
die einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn
haben, und den Ländern, die ihn nicht haben, auseinan-
dergeht, und zwar zulasten der Perspektiven der jungen
Menschen. Hier sollten wir doch auf der Seite der Per-
spektiven für die jungen Menschen sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Liebe Frau Kollegin Pothmer, das gilt übrigens nicht
nur für uns, sondern zum Beispiel auch für unsere Nach-
barn in Österreich oder im Norden, in Skandinavien.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben alle vergleichbare Lösungen! Da gibt es einen flächendeckenden Mindestlohn!)


Sie haben auch keinen einheitlichen flächendecken-
den Mindestlohn, sondern gehen über die Tarifpartner
branchendifferenziert vor.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Flächendeckende Tarifbindung! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über die flächendeckende Tarifbindung! Die haben wir aber nicht mehr!)


Das ist genau der Weg auch dieser Koalition; denn
wir wollen natürlich faire Löhne. Wir wollen auch, dass
das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit vorherrscht. Wir
wollen alle Dumpinglöhne verhindern. Deshalb ist es
auch richtig, Lohnuntergrenzen einzuziehen. Diese
Lohnuntergrenzen müssen aber Branche für Branche ge-
schaffen werden – im Einklang mit der Tarifautonomie.
Dann verbinden wir nämlich Einstiegschancen für die
Menschen, soziale Ausgewogenheit und ordentliche,
faire Bezahlung für alle. Diesen Weg sollten wir weiter-
gehen.


(Beifall bei der FDP)


Diese Koalition hat das auch schon getan. Ich wurde
ja eben von der Kollegin Lösekrug-Möller dazu auf-
gefordert, noch einmal zu sagen, was diese Koalition im
Bereich Mindestlöhne eigentlich getan hat.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kann man nicht oft genug sagen!)


Ich kann sagen: Für über 2 Millionen Menschen hat
diese Koalition neue, branchenbezogene Mindestlöhne
im Einklang mit der Tarifautonomie ermöglicht. Das
führt dazu, dass mittlerweile 4 Millionen Menschen in
Deutschland in Branchen arbeiten, in denen es diese
Mindestlöhne gibt – aber eben branchendifferenziert und
im Einklang mit der Tarifautonomie.





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)

Ich glaube, es ist richtig, diesen Weg weiterzugehen.
Deshalb ist es auch richtig, wie das der Kollege Kolb
schon gesagt hat, dass wir jetzt in der Koalition über
weiteren politischen Anpassungsbedarf sprechen, um
auf diesem Weg voranzukommen. Das ist der bessere
Weg, als sich hier in Wahlkämpfen mit politischen Min-
destlohnforderungen zu überbieten,


(Anette Kramme [SPD]: Auch außerhalb von Wahlkämpfen!)


wie Sie das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Nur ein Punkt zum Abschluss, Frau Kollegin
Pothmer, weil Sie uns als Koalition in dieser Debatte
durchaus angegangen sind, was auch Ihr gutes Recht als
Opposition ist.

Sie kommen aus Niedersachsen, ich komme aus
Nordrhein-Westfalen. Ich will nur sagen: Wenn Sie, wie
uns alle, sehr niedrige Löhne, Dumpinglöhne, umtrei-
ben, die wir alle nicht wollen, dann wäre es schön, wenn
Sie vielleicht im ersten Schritt vor der eigenen Haustür
kehren würden. Wir alle haben Berichte darüber gese-
hen, dass zum Beispiel Ihre Fraktionsvize Frau Bärbel
Höhn in Nordrhein-Westfalen für den Wahlkampf Mitar-
beiter für Stundenlöhne von 4 Euro sucht.


(Sebastian Blumenthal [FDP]: 4 Euro!)


Ich glaube, das ist nicht überzeugend. Vielleicht klä-
ren Sie das erst einmal intern bei den Grünen, bevor wir
hier die nächste Debatte führen, in der Sie uns von der
Koalition Vorwürfe machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Diffamierung! Welche Stundenlöhne zahlen Sie denn den Praktikanten? Absolut keine!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722510500

Vielen Dank, Kollege Vogel. – Nächste Rednerin in

unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke
unsere Kollegin Frau Jutta Krellmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Krellmann.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722510600

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Lieber Herr Straubinger, ich möchte
gerne die bayerische Verfassung zitieren, und zwar ganz
konkret den Art. 169 Abs. 1. Darin ist geregelt:

Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne fest-
gesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den je-
weiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende
Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie
ermöglichen.

Irgendwie stehen Sie nicht auf dem Boden Ihrer Verfas-
sung.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Also Branchenmindestlöhne! Das ist etwas anderes, als Sie wollen! Das sind branchendifferenzierte und regional differenzierte Löhne!)


Mindestlöhne einzuführen, ist anscheinend hier in
Deutschland superschwierig. Zum einen können wir für
Rettungsschirme ganz schnell Milliarden Euro verteilen,
zum anderen sind Mindestlöhne plötzlich eine Jahrhun-
dertaufgabe.

Es gibt aber Beispiele aus anderen Bereichen dafür
– da bitte ich die Damen und Herren von der FDP, gut
zuzuhören, Herr Kolb –, dass derartige Regelungen
funktionieren, und zwar sehr gut funktionieren:


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Ja, sagen Sie mal!)


Beispiel Bundesurlaubsgesetz. Das Bundesurlaubs-
gesetz – das ist im Grunde genommen nichts anderes als
ein Mindesturlaubsgesetz, und es gilt für alle, also kein
Unterschied zwischen Ost und West – legt 20 Arbeits-
tage fest. Das sind vier Wochen. Der Tarifvertrag sagt in
der Regel 30 Arbeitstage. Das sind im Grunde sechs
Wochen.

Ein anderes Beispiel ist die Arbeitszeit. In unseren
Gesetzen stehen 48 Stunden. Der Tarifvertrag sagt 35 bis
40 Stunden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Worauf wollen Sie denn hinaus?)


– Ja, hören Sie zu! Gesetze, Herr Kolb, legen schon
heute Mindest- und Höchststandards fest, und das ein-
vernehmlich und erfolgreich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach Tarifvertrag gibt es zusätzliches Urlaubsgeld,
zusätzliches Weihnachtsgeld, nach Gesetz nicht.


(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

Das sind Beispiele dafür, meine Damen und Herren,

dass die Kombination von Tarifvertrag und Gesetz wun-
derbar funktioniert.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur die FDP begreift das anscheinend nicht.
Gesetze sind die Basis und so etwas wie die Unter-

grenze, Tarifverträge sind eigentlich on top.
Wenn Sie etwas machen wollen, dann tun Sie den Ge-

werkschaften, die Sie ja im Grunde für ihre Arbeit im-
mer loben, doch den Gefallen und führen Mindestlöhne
ein, damit es Gewerkschaften in Zukunft bei dem, was
sie vorhaben, einfacher haben und nicht schwerer.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schade, dass man keine Zwischenfrage stellen kann! Mir würde eine einfallen!)






Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)

Ziel der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze war es,
einen Niedriglohnbereich zu etablieren. Minijobs,
Leiharbeit, Befristungen, Hartz IV und der Zwang, jede
Arbeit annehmen zu müssen, haben dazu geführt, dass
mittlerweile über 20 Prozent der Vollzeitbeschäftigten
im Niedriglohnsektor arbeiten. Ich persönlich hätte nie-
mals geglaubt, dass es in Deutschland jemals so weit
kommen kann.

Frauen sind davon besonders betroffen. Mein Kollege
Klaus Ernst hat Beispiele genannt. Ich will das noch um
ein Beispiel aus dem Pflegebereich ergänzen. Es gibt
zwar einen Pflege-Mindestlohn – na toll! –, aber er gilt
nicht für die hauswirtschaftliche Versorgung.

In der Leiharbeit haben wir einen Mindestlohn – na
toll! – von 8,19 Euro. Die Leiharbeiter müssen aber
trotzdem aufstocken. Das kann doch wohl nicht wahr
sein! Das ist doch nicht richtig so.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte gern ein Beispiel aus einer Broschüre von
Verdi und NGG vorlesen, das – wie ich finde – sehr
typisch ist, und zwar von einer Verkäuferin, die in solch
einer Situation arbeitet.

Als Verkäuferin in einer Fleischerei muss ich meis-

(Brutto-Stundenlohn: 5,75 Euro)

Kind. Ohne das monatliche Kindergeld und den
Unterhalt für mein Kind wäre ein Überleben nicht
möglich – ganz zu schweigen davon, sich auch mal
was leisten zu können. Urlaub war seit 20 Jahren
nicht drin. Ich bin für einen Mindestlohn, um das
Leben wieder lebenswert zu machen.

Das ist ein konkretes Beispiel.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Frauen, die im Grunde genommen auf Mindest-
lohn angewiesen sind, müssen sich fragen: Wer blockiert
eigentlich die Einführung eines Mindestlohns hier in
Deutschland? Warum geht das in Deutschland nicht? –
Weil die FDP das nicht will? Weil die Arbeitgeberver-
bände das nicht wollen? Weil die CDU lieber einen
Flickenteppich über unser Land ausbreitet? – 20 von
27 europäischen Ländern haben bereits einen Mindest-
lohn. Die sind doch nicht alle blöd; die wissen doch, was
sie da gemacht haben!


(Beifall bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir haben ein anderes Sozialsystem!)


Mindestlöhne wurden in den meisten EU-Ländern in
den letzten Jahren erhöht – nicht in den südeuropäischen
Ländern; da wurden sie durch den Druck des EU-
Spardiktats reduziert. Deutschland ist mittlerweile das
reichste Land in der EU. Diskussionen über „zu hoch“
und „zu teuer“ sind richtig lächerlich. Durch ständiges
Wiederholen wird das auch nicht richtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir, die Linke – mein Kollege Klaus Ernst hat das
schon gesagt –, wollen einen flächendeckenden Min-
destlohn in Höhe von 10 Euro, und zwar in Ost und
West. Es darf keinen Unterschied zwischen Ost und
West geben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein solcher Unterschied wäre nach über 20 Jahren deut-
scher Einheit nicht richtig und ein völlig falsches Signal
an die Menschen, die hier in Deutschland leben.

Also: Packen wir es an! Setzen wir es durch! Ich
würde mich unheimlich freuen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und was ist mit der Kommission, die Sie wollen?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722510700

Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Nächste

Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kol-
legin Frau Maria Michalk. Bitte schön, Frau Kollegin
Michalk.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1722510800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Verehrte Damen und Herren! Noch einmal die
Frage: Warum arbeiten die Menschen eigentlich? Warum
arbeite ich? Diese Frage stellen sich zunehmend mehr
Menschen in unserem Land. Ich will das einmal von die-
ser Seite beleuchten. Ist es das Vergnügen oder vielleicht
das Bedürfnis, mit anderen Menschen etwas gemeinsam
zu machen, sich einzubringen, sich zu verwirklichen?
Oder ist es eine ganz normale Notwendigkeit unseres
Menschseins, seine Brötchen selbst zu verdienen, um ein
gutes persönliches Leben oder den Lebensunterhalt der
Familie zu sichern? Oder arbeiten wir, weil es ganz ein-
fach zum Leben dazugehört, Freude bereitet und damit
wir nicht aus Langeweile auf dumme Gedanken kom-
men?


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


All diese Fragen beschäftigen immer wieder Menschen.
Wir sind uns doch einig: Die Mischung aus allen drei
Gesichtspunkten ist es, die unsere Arbeitswelt zusam-
menhält.

Nehmen wir als Beispiel einen Bäcker. Er backt seine
Brötchen nicht, weil er Mitleid mit Menschen hat, die
Hunger haben. Vielmehr macht er es, weil er seine
schmackhafte Ware verkaufen will und muss, weil er
Geld verdienen muss, weil er seine Familie ernähren
muss und weil er seinen Mitarbeitern Lohn zahlen muss.
Wenn er am Ende des Tages Brötchen übrig hat, dann
schmeißt er diese nicht weg, sondern gibt sie vielleicht
einer Tafel, um sozial Bedürftigen zu helfen. Bis vor
kurzem war es noch so: Obwohl er nichts eingenommen
hatte, musste er auf die Abgabe an die Tafel Umsatz-
steuer zahlen. Das haben wir geändert. Das ist gut so;
das ist nun geklärt. Ich erwähne das nur, um deutlich zu





Maria Michalk


(A) (C)



(D)(B)

machen, dass es viele Details in dieser Frage gibt, die
nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, die aber den
Unternehmen vor Ort zum Teil das Leben ziemlich
schwer machen.

Fakt ist: Der Bäcker muss seine Ware zu einem Preis
verkaufen, dass unter dem Strich für seine Angestellten
die Lohnzahlung möglich ist und er auch noch investie-
ren kann.

Der Lohn kommt vom Kunden. Das ist ein ewig gel-
tender und richtiger Satz. Unser Kaufverhalten ist ein
Element in dieser Diskussion; denn wir beeinflussen mit
unserem Kaufverhalten, ob Waren abgegeben und
ordentliche Löhne gezahlt werden können. Ein aus-
kömmliches Einkommen durch seiner eigenen Hände
oder seines Kopfes Arbeit zu haben, ist keine Gier – da-
rin sind wir uns sicherlich einig –, sondern eine Selbst-
verständlichkeit. Dass aber immer noch viele Menschen
in unserem Land zu Bedingungen arbeiten, die ihnen
kein gedeihliches Auskommen ermöglichen und sie zu
Aufstockern werden lassen, ist wahr und vielfach nicht
die Schuld der Betreffenden, sondern ist der Tatsache ge-
schuldet, dass manche Zeitgenossen in unserem Land
sich auf Kosten der Mitarbeiterschaft überdimensio-
nierte Gewinne öffentlich fördern lassen.


(Beifall bei der SPD)


Auch darin sind wir uns einig: Löhne sind selbst-
verständlich ein Wettbewerbselement. Aber gute Mitar-
beiter, wirkliche Facharbeiter, Experten in ihrem Fach
sind zunehmend gefragte Leute und haben auch ihren
Preis. Das haben viele Unternehmer in unserem Land er-
kannt und ihr Verhalten geändert. Manche Zeitgenossen
haben das noch nicht getan. Diese werden einen Preis
dafür zahlen. Dieses Element dürfen wir in der Debatte
nicht vernachlässigen.

Ich will kurz das Beispiel der Pflegedienste aufgrei-
fen. Es ist klar: Wenn zum Beispiel ambulante Pflege-
dienste keine Mitarbeiter mehr bekommen, weil Mitbe-
werber höhere Löhne zahlen und die Menschen ganz
selbstverständlich die Arbeit dort aufnehmen, wo sie
besser verdienen können, dann liegt die Antwort doch
auf der Hand.

Wenn gerade in diesem Bereich bei gleichen Pflege-
versicherungsbeiträgen immer noch unterschiedliche Ta-
rife in Ost und West ausgehandelt werden, dann ärgert
mich das. Das ist ein Appell an die Tarifpartner, an die-
ser Stelle zu reagieren, aber nichts vorzuschreiben.

Weil der Dialog zwischen den Tarifpartnern so wich-
tig ist, ist der von uns gewählte Weg, von dem Sie heute
schon mehrmals gehört haben und den Sie hoffentlich
auch verinnerlicht haben, genau der richtige Weg, weil
im Dialog der Partner die regionalen Besonderheiten,
aber auch die speziellen Notwendigkeiten des Fachge-
biets berücksichtigt werden können, weil eben der Bäcker
kein Schneider ist.

Aufgrund der Tatsache, dass 1,4 Millionen Menschen
in Deutschland weniger als 5 Euro in der Stunde verdie-
nen – das ist heute schon gesagt worden –, nehmen wir
das Thema ernst und haben einen Weg vorgeschlagen,

den wir weitergehen werden. Ich persönlich bin mir
ziemlich sicher, dass das zwar ein kompliziertes Verfah-
ren, aber der richtige Weg ist, den wir weitergehen wer-
den.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722510900

Vielen Dank, Frau Kollegin Michalk. – Nächster Red-

ner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kol-
lege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1722511000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Diese Debatte gibt Anlass, über das zu reden, was
das Wesen unserer sozialen Marktwirtschaft einmal war
und sein soll. Was macht eigentlich unsere Wirtschafts-
ordnung aus, die wir dem Grunde nach befürworten und
die über Jahrzehnte hinweg in Deutschland eine große
Akzeptanz hatte? Was macht eigentlich die heutige Zeit
mit der Unterstützung dieser marktwirtschaftlichen und
sozialen Ordnung?

Ich glaube, dass das Element der Leistungsgerechtig-
keit zur Marktwirtschaft dazugehört.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Ja!)


Ich frage Sie, ob es leistungsgerecht ist, wenn 6,1 Millio-
nen Erwerbstätige in diesem Land weniger als 8,50 Euro
pro Stunde verdienen.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Wo ist denn da die Quelle?)


Ich frage Sie, welche Auswirkungen das hat auf die Mo-
tivation der Kinder von Eltern, die hart arbeiten und sich
am Ende des Tages ergänzendes Arbeitslosengeld II vom
Staat abholen müssen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was will denn die SPD?)


Was ist das für ein Vorbild für junge Menschen, denen
wir sagen, dass sie sich im Leben anstrengen müssen,
damit aus ihnen etwas wird und sie einen gerechten An-
teil am Wohlstand haben? Welche Auswirkungen hat das
auf Ihre Argumentation, die nicht falsch ist, dass wir ei-
nen Abstand zwischen sozialen Transfers und Einkom-
men brauchen?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass
man das Existenzminimum bei der Berechnung des Re-
gelsatzes nicht künstlich herunterrechnen darf, wie Sie
es immer wieder versucht haben. Wenn Sie tatsächlich
einen Lohnabstand haben wollen, geht das nur über einen
Mindestlohn – ich füge hinzu: über einen gesetzlichen
Mindestlohn.

Neben Leistungsgerechtigkeit geht es in dieser De-
batte auch um die Frage des sozialen Ausgleichs und der
Teilhabe am Wohlstand in diesem Land. Auch das ist im-
mer ein Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft ge-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

wesen. An dieser Stelle sollten Sie sich an das Credo von
Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“ – und nicht für we-
nige – erinnern. Was das angeht, ist in diesem Land et-
was aus den Fugen geraten.


(Beifall bei der SPD)


Schauen wir uns einmal den Armuts- und Reichtums-
bericht der Bundesregierung an,


(Anton Schaaf [SPD]: Der ist doch gefälscht! Den gucke ich mir nicht mehr an!)


der aufzeigt, wie Einkommen und Vermögen in diesem
Land auseinandergehen. Im Übrigen versuchen Sie auf
Intervention von Herrn Rösler, diesen Tatbestand aus
dem Bericht zu tilgen und damit der Öffentlichkeit die
Wahrheit vorzuenthalten.


(Zuruf von der FDP: Du hast ihn gar nicht gelesen!)


Deshalb müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir
in diesem Land eine gerechtere Teilhabe und Leistungs-
gerechtigkeit organisieren. Dabei geht es um Fragen der
Steuer- und Abgabenpolitik und darum, wie man diese
gerecht, vernünftig und wirtschaftlich gestaltet. Die pri-
märe Verteilung des Wohlstands erfolgt in diesem Land
aber über die Lohnentwicklung.

Über Jahre und Jahrzehnte hinweg haben die Sozial-
partner im Rahmen der Tarifautonomie das Richtige ge-
macht. Wir müssen aber feststellen, dass das in vielen
Bereichen heute nicht mehr funktioniert, weil Tarifbin-
dungen nachgelassen haben, weil in einzelnen Branchen
immer weniger Menschen in Gewerkschaften organisiert
sind und weil zum Teil Arbeitgeber aus Arbeitgeberver-
bänden ausgetreten sind. Das ist der Grund, warum wir
in Deutschland eine Debatte über die neue Ordnung am
Arbeitsmarkt brauchen.

Die Tarifautonomie ist richtig und wichtig. Die Tarif-
autonomie und die Sozialpartnerschaft müssen gestärkt
werden, aber nicht in Sonntagsreden, sondern in einem
vernünftigen Ordnungsrahmen, den wir für Lohnfin-
dungsprozesse in diesem Land brauchen.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb sage ich: Es ist gut und richtig, dass tarifver-
tragliche Lösungen Vorrang haben. Herr Kolb, wenn Sie
sich rühmen, dass Sie in einigen Branchen Mindestlöhne
eingeführt hätten,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Stimmt!)


dann kann ich Ihnen sagen, dass ich mich noch gut daran
erinnern kann, wie wir Ihnen in zähen Verhandlungen je-
den einzelnen abringen mussten. So viel zu dem Thema,
wie Sie politisch manipulierend mit Tarifverträgen in
diesem Land umgegangen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, neben Leistungsgerechtig-
keit, sozialem Ausgleich und Motivation in einer sozialen
Marktwirtschaft geht es nicht zuletzt um fairen Wettbe-
werb in der Wirtschaft. Ich kenne sehr viele anständige

Unternehmer in diesem Land, die ihren Betrieb ordent-
lich führen – oft sind es familiengeführte mittelständi-
sche Unternehmen –, die sich bemühen, die persönliche
Risiken eingehen und die motivierte Kolleginnen und
Kollegen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben
wollen, die die Menschen anständig behandeln und be-
zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber es sind gerade diese Unternehmer, die anständigen
Unternehmer – das ist die große Mehrheit –, die von
Dumpingkonkurrenz bedroht werden,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die von Dumpingkonkurrenz unterboten werden. Im In-
teresse eines fairen Wettbewerbs, auch im Interesse fairer
Unternehmensführung, im Interesse anständiger Kauf-
leute in diesem Land brauchen wir einen Ordnungsrah-
men, der fairen Wettbewerb ermöglicht und nicht eine
Abwärtsspirale auslöst, wie wir sie leider haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sage ich Ihnen: Aus Gründen der sozialen
Gerechtigkeit, aus Gründen der finanzpolitischen Ver-
antwortung – weil unser Staat im Übrigen durch die
Entwicklung, die Sie zugelassen haben, immer mehr an
ergänzendem Arbeitslosengeld II für aufstockende Leis-
tung zahlen muss –


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Aufstocken hat doch die SPD mit Generalsekretär Heil eingeführt!)


und aus Gründen eines fairen Wettbewerbs in der Markt-
wirtschaft brauchen wir auch den gesetzlichen Mindest-
lohn in diesem Land.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Die ordnungs-
politische Vorstellung, die hinter Ihrer Vorstellung
steckt, Herr Kolb, mit Staatsgeld Lohnbewirtschaftung
über aufstockende Leistungen zu gewähren, hat mit
marktwirtschaftlichem Verständnis nichts zu tun und mit
liberaler Politik schon gar nichts.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das lassen Sie sich einmal sagen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die SPD hat’s gemacht!)


Das ist eine Form von Subventionsmodell, die Sie einge-
führt haben. Die anständigen Menschen in diesem Land,
die ordentlich Steuern zahlen, müssen nach Ihrem Mo-
dell Niedriglöhne durch Steuerzahlungen aufstocken.
Das ist finanzpolitisch unsinnig, das ist ordnungspoli-
tisch fragwürdig, und das hat mit sozialer Marktwirt-
schaft nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wollen das französische Modell!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Ich sage meinen Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU – die Hoffnung auf die FDP habe ich an dieser
Stelle nicht –: Ich habe mit Interesse verfolgt, was Sie auf
Ihrem Parteitag diskutiert haben. Ich habe die Hoffnung
gehabt, dass man zu Ihnen mit Schiller – Wallenstein, ers-
ter Aufzug, erster Akt – sagen kann: Spät kommt Ihr
– doch Ihr kommt! – Ich habe mir dann allerdings an-
schauen müssen, was Sie tatsächlich entwickelt haben.
Dazu kann ich Ihnen sagen: Mit Mindestlohn hat das, was
Sie vorschlagen, wirklich nichts zu tun.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Doch!)


Das ist weiße Salbe, die Sie hier vor der Wahl verteilen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Offensichtlich müssen Sie erst Wahlen verlieren, um da-
zuzulernen.

Morgen wird der Bundesrat über eine Initiative von
Rheinland-Pfalz mit Unterstützung der großen Mehrheit
der Länder Ihnen die Gelegenheit geben, sich zu beken-
nen: Wollen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn, ja oder
nein? Alles andere ist Spiegelfechterei. Ich bitte Sie: Ge-
ben Sie sich einen Ruck! Sie haben sich auch in anderen
Positionen an sozialdemokratische Politik angepasst.
Auch in diesem Punkt besteht dazu Gelegenheit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722511100

Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. – Nächster Red-

ner für die Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege
Dr. Matthias Zimmer. Bitte schön, Kollege Dr. Zimmer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1722511200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, vorab muss man erst einmal sagen, lieber Kol-
lege Heil: Wenn Sie aus dem Armuts- und Reichtumsbe-
richt der Bundesregierung, den es ja so noch nicht gibt,
zitieren,


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Dann auch vollständig! – Anton Schaaf [SPD]: Herr Rösler ist ja noch am Streichen!)


dann sollten Sie auch sagen, dass sich die Einkommens-
schere unter unserer Regierung wieder geschlossen hat.
Das ist einer der wesentlichen Erfolge unserer Regie-
rung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gibt es den Bericht, oder gibt es ihn nicht? – Anton Schaaf [SPD]: Herr Rösler malt ja noch darin herum! Deshalb gibt es ihn nicht! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Passt nicht in Ihr Weltbild!)


Ich habe die Rede von Klaus Ernst mit großer Faszi-
nation verfolgt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir auch!)


Verfolgt habe ich auch die Freiluftübungen, die er hier
macht, nachdem der Sauerstoff hier vorne etwas knapp
geworden ist.

Lieber Herr Ernst, eines kann ich Ihnen so nicht
durchgehen lassen: Sie wollen einen Mindest-Mindest-
lohn nicht unter 10 Euro. Heute lese ich im Wirtschafts-
dienst iwd, dass Ihr Kollege Bartsch gesagt hat: Wir
wären auch mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro zu-
frieden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat er nicht gesagt!)


– Hat er wohl gesagt. So ist das im iwd zitiert.


(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Lieber Herr Ernst, das ist doch genau der Punkt, mit
dem wir immer argumentieren: dass bei Ihnen Mindest-
lohnhöhen von politischen Opportunitäten geprägt sind
und nicht von dem, was in der Wirtschaft los ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Kollege Ernst hat es erklärt! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Je nachdem, wo sie gerade sind!)


Meine Damen und Herren, wir haben in den vergan-
genen Jahren eine ganze Reihe von Branchenmindest-
löhnen durchgesetzt. Insgesamt haben wir im Moment
zwölf Branchenmindestlöhne in der Bundesrepublik
Deutschland.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Schlechte!)


Ich habe einmal nachgeschaut, wie viele von diesen
Branchenmindestlöhnen unter Rot-Grün beschlossen
worden sind:


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal die Höhe!)


null; kein einziger.

Der Kollege Kolb hat darauf hingewiesen: Es ist Rot-
Grün gewesen, das den Niedriglohnsektor eingeführt
hat. Es ist Rot-Grün gewesen, das die Arbeitsmarktrefor-
men in den Jahren seiner Regierung nach vorne gebracht
hat. Dann kann ich mich nur fragen: Haben Sie die mög-
lichen Verwerfungen am Arbeitsmarkt, haben Sie die
Folgen, die das haben kann, nicht gesehen, oder wollten
Sie sie nicht sehen?


(Anton Schaaf [SPD]: Die Zumutbarkeitsregeln hat der Bundesrat verschärft! Es ist unredlich, so zu reden!)


Ich habe manchmal den Eindruck: Wahrscheinlich haben
Sie es nicht gesehen. Wahrscheinlich können Sie es
nicht. Wahrscheinlich sind Sie auch gar nicht regierungs-
fähig. Das zeigt sich im Grunde genommen auch bei der
Bemerkung, die Peer Steinbrück gestern gemacht hat.
Ich war schon versucht, Peer Steinbrück ein Duplo zu





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)

schenken, damit er wenigstens die hohe Kunst der „Dup-
lomatie“ lernt. Mit der Diplomatie ist es bei ihm wahr-
scheinlich zu spät.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der ist gut! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie ein Berlusconi-Freund?)


Aber wir mussten auch eine ganze Reihe von Trüm-
mern beseitigen, um Ihre Arbeitsmarktreformen erheb-
lich zu verbessern. Sie haben sich in der Zwischenzeit,
lieber Herr Heil, was diese Arbeitsmarktreformen an-
geht, aus dem Staub gemacht. Manchmal hat man den
Eindruck, die besonderen Erkenntnischancen hat Rot-
Grün nur, wenn es in der Opposition ist. Wir wollen da-
für sorgen, dass Ihnen diese besonderen Erkenntnischan-
cen noch lange gewahrt bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, es könnte aber auch sein,
dass Sie die nichtintendierten Folgen Ihres Tuns zwar
gesehen haben, aber beschlossen haben, sie einfach zu
ignorieren, dass Sie zynisch gesagt haben: Nach mir die
Sintflut; es ist mir egal, was passiert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie auch mal zur Sache?)


Sich dann aber, lieber Herr Heil, als Ritter der sozialen
Gerechtigkeit aufzuführen, halte ich für unredlich.

Ich habe mir einmal angeschaut, wer die Innenaus-
stattung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesre-
publik Deutschland gemacht hat: Kündigungsschutzge-
setz, Bundesurlaubsgesetz, Arbeitszeitgesetz, dynamische
Rente, Alterssicherung für Landwirte, Pflegeversiche-
rung, Bundessozialhilfegesetz, Kindergeldgesetz, Erzie-
hungsgeld- und Erziehungsurlaubsgesetz, Vermögens-
bildungsgesetz,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die FDP war dabei!)


all das hat die Union gemacht. Mit Ihnen geht Hartz IV
nach Hause. Von Ihnen lassen wir uns über soziale Ge-
rechtigkeit nicht belehren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Anton Schaaf [SPD]: Auweia!)


Ein Letztes, meine Damen und Herren: Ich habe diese
Bereiche deshalb aufgeführt, weil das alles Gesetzesvor-
haben sind, die die Union nicht allein gemacht hat, son-
dern die wir in Zusammenarbeit mit den Liberalen ge-
macht haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es, lieber Hubertus Heil!)


Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn sich die Liberalen auf
ihrem Parteitag entschieden haben, dann werden wir mit
ihnen auch einen robusten und vernünftigen Mindest-
lohn in Deutschland einführen, der dann zum Markstein
der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland wer-
den kann.


(Anton Schaaf [SPD]: Dem Herrn Kolb stehen schon Schweißperlen auf der Stirn!)


Dazu bedarf es Ihrer fürsorglichen Belagerung nicht.
Wir werden von alleine tätig und ein vernünftiges Gesetz
auf den Weg bringen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722511300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege

Dr. Matthias Zimmer war der letzte Redner in unserer
Aktuellen Stunde, die damit beendet ist.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)


Entsendung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Beteiligung an der EU-geführten
militärischen Ausbildungsmission EUTM
Mali auf Grundlage des Ersuchens der Re-
gierung von Mali sowie der Beschlüsse
2013/34/GASP des Rates der Europäischen
Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom
18. Februar 2013 in Verbindung mit den
Resolutionen 2071 (2012) und 2085 (2012)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

– Drucksachen 17/12367, 17/12520 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)



(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/12521 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler

b) – Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Entsendung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Unterstützung der Internationalen
Unterstützungsmission in Mali unter afri-
kanischer Führung (AFISMA) auf Grund-
lage der Resolution 2085 (2012) des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen

– Drucksachen 17/12368, 17/12522 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Marina Schuster





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)



(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/12523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler

Zu dem erstgenannten Antrag der Bundesregierung
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.

Über die Beschlussempfehlungen zu beiden Anträgen
der Bundesregierung werden wir später namentlich ab-
stimmen. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass unmittel-
bar im Anschluss an diese beiden namentlichen Abstim-
mungen eine weitere namentliche Abstimmung sowie
eine Wahl mit Stimmkarte und Wahlausweis auf der Ta-
gesordnung stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer inter-
fraktionellen Vereinbarung ist für die jetzige Aussprache
eine Stunde vorgesehen. – Sie sind alle damit einverstan-
den. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.

Ich eröffne nun die Aussprache. Zunächst hat für die
Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Rainer Stinner das
Wort. Bitte schön, Kollege Dr. Rainer Stinner.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1722511400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Bei jeder Entscheidung über die Entsendung von deut-
schen Soldaten ins Ausland müssen wir im Deutschen
Bundestag eine sorgfältige Abwägung vornehmen. Wir
müssen uns fragen: Sind unsere Interessen und Werte be-
rührt? Welcher Beitrag wird von uns gefordert? Welchen
Beitrag können wir leisten? Können wir das, was wir
tun, vor den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen
Bundestag, vor allen Dingen aber auch vor den vielen
Bürgern in unserem Land verantworten? Deshalb ist es
jedes Mal eine sehr genaue Abwägung, was wir tun.

In Bezug auf Mali ist für uns, für meine Fraktion, völ-
lig klar, dass die dortige Sicherheitssituation, die Mög-
lichkeit einer regionalen Destabilisierung, auch unsere
deutschen Sicherheitsinteressen nachhaltig berührt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass das in
der Bevölkerung nicht überall genauso gesehen wird.
Umso wichtiger ist es, dass wir festhalten: Die Tatsache,
dass die Gefahr besteht, dass sich in einer weiteren Re-
gion dieser Welt terroristische Kräfte oder jedenfalls
Kräfte, die etwas Böses wollen, breitmachen, muss uns
natürlich berühren. Nur eine Grenze und das Meer liegen
zwischen Mali und der Europäischen Union. Daher müs-
sen wir uns mit diesem Thema beschäftigen.

Die Franzosen haben in einer akuten Notsituation ge-
handelt. Denn es wäre natürlich nicht mehr möglich ge-

wesen, unserer Maßgabe zu folgen, dass eine politische
Lösung das Wichtigste ist, wenn die Rebellen drei Tage
länger in Richtung Bamako vorgedrungen wären. Dann
hätten wir die ganze Diskussion gar nicht mehr führen
können. Die Franzosen haben das getan; ich höre aus
dem Deutschen Bundestag, vielleicht mit Ausnahme der
Linken, keine Kritik daran. Die Frage ist jetzt: Welchen
Beitrag können wir dazu leisten?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war schon sehr
erstaunt, dass die ersten Überlegungen, die wir angestellt
haben, nämlich zwei Transall-Maschinen zur Unterstüt-
zung des Transportes nach Mali zu schicken, von einigen
Kollegen im Deutschen Bundestag ein bisschen ins Lä-
cherliche gezogen wurden, so als ob das nur Peanuts
seien. Nein, nein, niemand kann und wird von uns er-
warten, dass wir, wenn eine militärische Aktion anläuft,
jemand anderem mit Hurra und ohne Überlegung hinter-
herlaufen. Das werden wir nicht tun, auch in Zukunft
nicht, und das tun wir natürlich auch in diesem Fall
nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, was wir tun können, ist an drei Kriterien zu mes-
sen: Erstens. Was ist notwendig? Zweitens. Was sind un-
sere Fähigkeiten und Kapazitäten? Drittens. Wie lässt
sich unser Einsatz in das Gesamtbelastungsprofil des
Bündnisses einbetten, in dem wir uns verantwortlich
fühlen?

Insofern finde ich, dass der Beitrag, den wir heute be-
schließen, genau richtig dosiert ist. Wir haben lange
überlegt: Sollen wir ein Mandat stricken oder es in zwei
Mandate aufteilen? Wir haben uns völlig zu Recht für
zwei Mandate entschieden. Denn es geht bei den beiden
Missionen um völlig unterschiedliche Arten der Unter-
stützung: erstens um eine regional abgegrenzte Trai-
ningsmission im Süden von Mali, zweitens um eine Un-
terstützungsmission logistischer Art, die wir im Norden
Malis durchführen.

Meine Damen und Herren, ich habe von unseren fran-
zösischen Partnern diesbezüglich keine Kritik gehört.
Wir hatten diese Woche im Auswärtigen Ausschuss Kol-
legen aus dem französischen auswärtigen Ausschuss zu
Gast. Wir haben ausführlich über das Thema Mali disku-
tiert. Aber ich habe nicht gehört, dass gesagt wurde: Wa-
rum habt ihr nicht zwei Bataillone, drei Brigaden und
vier Divisionen geschickt? Nein, nein, davon war nicht
die Rede. Vielmehr erkennen die Franzosen unseren Bei-
trag durchaus an.

Natürlich wissen wir – das müssen wir im Bundestag
dem deutschen Volk deutlich sagen –: Jeder Auslands-
einsatz ist mit Gefahren verbunden. Es ist unsere Auf-
gabe, in verantwortlicher Weise dafür zu sorgen, die
möglichen Gefahren für unsere Soldaten bei einem sol-
chen Einsatz zu minimieren, und das tun wir. Sicherlich
werden die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir
sprechen, auf Details des Einsatzes eingehen.

Es geht hier darum, dass Deutschland, das große,
wichtige europäische Land, in Zusammenarbeit mit
wichtigen europäischen Partnern, hier unter französi-





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)

scher Leitung, einen Beitrag zur Stabilität in einer für
uns wichtigen Region leistet. Dieser Beitrag ist verant-
wortbar, dieser Beitrag wird anerkannt, und er wird of-
fensichtlich dazu führen, dass die Stabilität der betroffe-
nen Region jedenfalls nicht weiter gefährdet wird,
sondern wir im Gegenteil davon ausgehen können, dass
auch in dieser wichtigen Region stabile Verhältnisse ein-
kehren. Dazu leisten wir Deutsche mit der heutigen Zu-
stimmung des Deutschen Bundestages einen wichtigen
Beitrag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722511500

Vielen Dank, Kollege Dr. Stinner. – Nächster Redner

für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser Kollege
Dr. Gernot Erler. Bitte schön, Kollege Dr. Gernot Erler.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1722511600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

Mali wird weiter gekämpft. Die bedrohliche Lage im
Norden des Landes hält weiter an, trotz der französi-
schen Intervention seit dem 11. Januar 2013. Auch wenn
der Norden nicht mehr unter der Kontrolle von radikalen
und terroristischen Gruppierungen wie AQMI, Ansar al-
Din und MUJAO steht, muss das Ziel sein, Mali und die
Staaten der westafrikanischen Gemeinschaft ECOWAS
sowie Frankreich bei der Wiederherstellung der Integri-
tät Malis zu unterstützen. Das auch mit bewaffneten
Kräften zu tun, steht aufgrund der Sicherheitsratsresolu-
tionen 2071 und 2085 aus dem vergangenen Jahr auf ei-
ner einwandfreien völkerrechtlichen Grundlage.

Hier abseitszustehen und andere die Arbeit machen zu
lassen oder gar zu riskieren, dass Mali ein Failed State, ein
gescheiterter Staat, wird oder von dort aus die ganze Sa-
hel-Region destabilisiert wird, wäre politisch unverant-
wortlich.

Deswegen wird die SPD-Bundestagsfraktion heute
dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, im Rah-
men der Mission EUTM Mali bei der Ausbildung mali-
scher Pioniere zu helfen sowie die ECOWAS-Mission
AFISMA mit Lufttransport und der Betankung französi-
scher Flugzeuge im Rahmen dieser Mission AFISMA zu
unterstützen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kennen die Un-
berechenbarkeit und Eigengesetzlichkeit militärischer
Interventionen. Nichts spricht dafür, dass dies in Mali
plötzlich anders sein könnte. So erfreulich der schnelle
Erfolg der vorrückenden französischen und malischen
Truppen war, so wenig überraschend ist es, dass die zu-
nächst vertriebenen Terrorgruppen aus ihren Rückzugs-
gebieten heraus wieder angreifen und dabei zu den ge-
fürchteten Mitteln der asymmetrischen Kriegsführung
greifen.

Die Mali zu Hilfe geeilten Truppen aus dem Tschad
haben dabei schon ernsthafte Verluste erlitten. Vor die-
sem Hintergrund ist jede Prognose über Dauer und Er-

folgsperspektiven der jetzigen Intervention geradezu
fahrlässig. Viel wichtiger sind aus unserer Sicht zwei
Fragen, die wir beantworten müssen:

Erstens. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass
ein früher für seine Entwicklung häufig gelobtes Land
wie Mali plötzlich bewaffnete Hilfe von außen braucht,
um weiter zu existieren? Was ist da schiefgelaufen?
Wenn wir über eine internationale militärische Interven-
tion sprechen, ist immer etwas schiefgelaufen. Warum
gab es keine politische Reaktion, weder von der westaf-
rikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS oder der Af-
rican Union noch von Frankreich, das bis 1960 Kolonial-
macht in Mali war, oder anderen europäischen Staaten,
als die drei entscheidenden Spannungs- und Konflikt-
linien in Mali immer sichtbarer wurden? Ich meine den
Konflikt zwischen den alten Eliten und den Putschisten,
die am 21. März letzten Jahres zugeschlagen haben. Ich
meine den Konflikt innerhalb der malischen Armee zwi-
schen Infanterie und Präsidialgarde, und ich meine den
Nord-Süd-Konflikt, in dessen Verlauf sich die unzufrie-
denen Tuareg unter unseren Augen mit islamistischen
Gruppen eingelassen und mit ihnen illegalen Handel mit
Zigaretten, Drogen und sogar Menschen betrieben ha-
ben. Übrigens bestehen alle drei Konflikte auch jetzt,
nach der aktuellen Intervention, weiter.

Oder wieso wussten so viele, wie sich jetzt heraus-
stellt, von den Geschäften des gestürzten Präsidenten
Amadou Toumani Touré mit den Tuareg, nach dem
Motto: „Ich lasse euch bei euren Drogengeschäften in
Ruhe, wenn ihr dafür eure separatistischen Azawad-
Träume zügelt und mich geschäftlich beteiligt“? War es
nicht klar, dass hier über kurz oder lang andere Gruppen
kommen und den Wunsch haben würden, sich auch an
diesen Geschäften zu beteiligen? Heute wissen wir, dass
die so entstandenen Verteilungskämpfe wesentliche Aus-
löser der aktuellen Krise in Mali waren.

Wieso ist eigentlich niemandem im Westen etwas
Besseres als Antwort auf den Mali-Putsch eingefallen,
als sofort die Entwicklungshilfe einzustellen – für ein
Land, das zu den ärmsten auf der ganzen Welt gehört,
das unter einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent leidet
und das im UNDP-Index für menschliche Entwicklung
von 187 Staaten auf Platz 175 steht?

Das alles muss aufgearbeitet werden; denn sonst wer-
den wir auch die zweite Frage nicht glaubwürdig beant-
worten können. Die lautet: Was ist eigentlich unter der
Priorität einer politischen Lösung für Mali zu verstehen?
Das ist ein Postulat, das ständig wiederholt wird, auch
hier in den Bundestagsdebatten; Kollege Stinner hat es
eben auch wieder genannt. Gut, das malische Parlament
hat Ende Januar eine Feuille de Route, eine Roadmap,
verabschiedet, in der lauter vernünftige Sachen stehen:
Wiederherstellung der Integrität des Landes, Rückerobe-
rung des Nordens, transparente und glaubwürdige Wahlen.

Es ist mutig, die Präsidentschafts- und Parlaments-
wahlen schon jetzt auf den 7. und 21. Juli dieses Jahres
festzulegen. Aber ich sehe nicht, wie bis dahin die drei
von mir genannten intermalischen Konfliktfronten ent-
schärft werden sollten. Ich frage mich, wie die Sicherheit
in einem Land mit offenen Grenzen, mitten in der Sahel-





Dr. h. c. Gernot Erler


(A) (C)



(D)(B)

zone liegend, mit ihren vielen sozialen Herausforderun-
gen und kaum noch überschaubaren radikal-islamisti-
schen Gruppierungen – die übrigens Geld und Unter-
stützung aus Saudi-Arabien und von radikalen Kräften in
Ägypten erhalten –, ohne einen intensiven Prozess auf
regionaler Ebene stabilisiert werden kann.

Wir sehen, welche Probleme ECOWAS hat, die zuge-
sagten 5 100 bewaffneten Kräfte vor Ort zu bringen, ge-
schweige denn, sie selber zu bezahlen. Aber African
Ownership kann doch nicht darauf reduziert werden, in
katastrophalen Situationen Truppen stellen zu dürfen.
Wir müssen Wege finden, die westafrikanische Staaten-
gemeinschaft ECOWAS tatsächlich zu einer nachhalti-
gen und präventiven Friedens- und Stabilitätspolitik zu
befähigen. Wir müssen vielleicht darüber nachdenken,
Herr Außenminister, die etwas eingeschlafene Aktivität
der Gemeinschaft der Sahel-Sahara-Staaten, abgekürzt
CEN-SAD, in dieselbe Richtung wiederzubeleben und
zu mobilisieren. Wir brauchen in einem solchen regiona-
len Stabilisierungsprozess eine proaktive Beteiligung
von terrorerfahrenen Staaten wie Algerien und Maureta-
nien.

Wir sind bereit, mit Ihnen von der Bundesregierung
über solche tatsächlichen politischen Lösungen zu reden
und zusammenzuarbeiten. Aber das wird nur dann
glaubwürdig sein, wenn die Versuche einer politischen
Lösung Priorität haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722511700

Vielen Dank, Kollege Dr. Gernot Erler. – Nächster

Redner für die Fraktion der CDU/CSU: unser Kollege
Dr. Andreas Schockenhoff. Bitte schön, Kollege
Dr. Schockenhoff.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1722511800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Entwicklungen in Mali in den vergangenen Wochen ha-
ben uns vor Augen geführt: Militärische Gewalt vermag
Politik und Diplomatie nicht zu ersetzen, aber militäri-
sches Eingreifen kann die notwendige Voraussetzung
sein, damit ein politischer Prozess wieder möglich wird.

Militärisches Eingreifen muss Ultima Ratio sein. Das
war in Mali der Fall. Ohne den französischen Kampfein-
satz wäre das Land an die militanten Islamisten verloren
gegangen. Nur weil diese aufgehalten wurden und die
Städte im Norden des Landes befreit werden konnten,
kann ein politischer Prozess in Mali wieder in Gang
kommen.

Die Bevölkerung im Norden des Landes hat die Be-
freiung vom radikal-islamistischen Joch einhellig begrüßt.
Ein erfolgreicher Vormarsch der militanten Extremisten
in den Süden hätte ihrem Terror nicht nur in ganz Mali,
sondern in der Region insgesamt Vorschub geleistet. Vor
allem hätte er einen Rückzugsraum für militante Islamis-

ten geschaffen, die unsere freiheitlich-demokratische Le-
bensweise bekämpfen.

Frankreich und die am Kampf beteiligten Soldaten
aus dem Tschad zahlen mit ihren Gefallenen einen hohen
Preis. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen. Wir dan-
ken den Soldaten aus Frankreich und aus dem Tschad,
die im Interesse der Sicherheit Europas und Nordafrikas
in diesen gefährlichen Kampfeinsatz gegangen sind und
ihr Leben riskieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Einsatz in Afghanistan hat uns gezeigt: Man
darf nicht warten, bis ein fundamental-islamistisches Re-
gime ein ganzes Land im Griff hat. Deshalb war das
französische Vorgehen so wichtig. Aber wir wissen mitt-
lerweile auch: Langfristige Stabilität kann es nur in Ei-
genverantwortung der Menschen vor Ort geben.

Verteidigungsminister de Maizière weist immer wie-
der zu Recht darauf hin, dass Militär Politik und Ent-
wicklung nicht ersetzen kann. Deshalb gilt es nun, nach
der militärischen Nothilfe zwei Vorhaben anzugehen:
erstens, in die Ausbildung der nationalen Sicherheits-
kräfte zu investieren, um diese zu befähigen, selbststän-
dig und effektiv Bedrohungen der Stabilität ihres Landes
entgegenzutreten, und zweitens, den politischen Prozess
zügig voranzubringen.

Beides soll in Mali geschehen. Deutschland leistet
hierzu seinen Beitrag: mit der logistischen Unterstützung
der vom UN-Sicherheitsrat mit Resolution 2085 manda-
tierten internationalen Mission in Mali unter afrikani-
scher Führung – sie soll so lange die Sicherheit stabili-
sieren, bis malische Kräfte dazu eigenständig in der
Lage sind – und – damit dies möglich wird – mit der Be-
teiligung an der EU-Mission zur Ausbildung der mali-
schen Armee. Die CDU/CSU unterstützt beide Mandate.

Wir stehen am Anfang eines längeren Weges, der zu
einer nachhaltigen Stabilität Malis führen soll. Diesen
Weg können wir unterstützen – und das werden wir nach
Kräften tun – mit der Verabschiedung dieser beiden
Mandate, aber auch durch Entwicklungszusammenarbeit
und Hilfe beim politischen Prozess. Aber dieser liegt
letztlich in malischer und afrikanischer Verantwortung.

Niemand kann den Erfolg eines solchen Ansatzes ga-
rantieren. Aber schauen wir nach Somalia. Dort können
die Menschen nach langen Jahren der Instabilität und zu-
letzt der Terrorherrschaft islamistischer Extremisten
endlich wieder Hoffnung schöpfen, nachdem man einen
ganz ähnlichen Ansatz wie jetzt in Mali verfolgt hat.

Die internationale Stabilisierungstruppe der Afrikani-
schen Union hat dort militante Islamisten so weit schwä-
chen und vertreiben können, dass ein politischer Prozess
wieder möglich wurde. Im vergangenen Jahr konnte sich
ein Parlament konstituieren und ein Präsident gewählt
werden. Zeitgleich hat die EU-Trainingsmission in So-
malia bereits 3 000 Soldaten erfolgreich ausgebildet,
und Deutschland, Herr Außenminister, hat seit dieser





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)

Woche nach über 20 Jahren wieder den Botschafterpos-
ten in Somalia besetzt.


(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP])


Ohne Frage gibt es auch hier noch große Gefahren
und Probleme. Befriedung, Stabilisierung und Wieder-
aufbau einer funktionierenden Staatlichkeit in Somalia
werden noch auf lange Zeit der Unterstützung durch die
internationale Gemeinschaft bedürfen. Aber ein richtiger
Anfang ist gemacht, und darum geht es jetzt auch in
Mali.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das europäische
Engagement im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik in Mali fügt sich in ein Muster
ein: Die neuen EU-Missionen seit 2010 sind mehrheit-
lich klein, unterstützend und – das ist entscheidend – zi-
vil. Größere militärische Operationen hingegen wie in
Libyen und jetzt in Mali erfolgen nicht im Rahmen der
GSVP. Vielmehr übernimmt ein EU-Mitgliedstaat die
Initiative und Führung und schmiedet eine Koalition der
Willigen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was hat das mit dem Völkerrecht zu tun?)


Manche mögen diese Vorgehensweise gut finden. Ich
aber teile die Sorge, die der Kollege Arnold letzte Woche
in der Debatte hinsichtlich der Entwicklung der GSVP
geäußert hat. Libyen und Mali haben uns gezeigt, dass
wir in Europa mutige und aktive Schritte in Richtung ei-
ner Vertiefung der sicherheitspolitischen Zusammenar-
beit und der militärischen Integration brauchen.

Zurzeit erleben wir aber das genaue Gegenteil: In der
Anhörung des Auswärtigen Ausschusses zur Entwick-
lung der GSVP in der vergangenen Woche wurde von
Experten dargelegt, dass die einzelnen Staaten in der EU
weiterhin nationalen Interessen folgen und ohne Koordi-
nation mit den europäischen Partnern ihre Verteidi-
gungshaushalte verkleinern.

Verluste der nationalen Fähigkeit finden bereits heute
statt, und sie werden zu Verlusten der europäischen
Fähigkeit führen, wenn diese Prozesse weiterhin unkoor-
diniert verlaufen. Und dann werden auch die Möglich-
keiten für ein effizientes Pooling und Sharing für die
dringend notwendige Stärkung der europäischen Vertei-
digung deutlich eingeschränkt werden. Angesichts der
wachsenden sicherheitspolitischen Aufgaben und He-
rausforderungen in unserem europäischen Umfeld kön-
nen wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, das nicht
leisten.

Nationale Militäroperationen, die in der Hoffnung be-
gonnen werden, dass sich andere anschließen, die aber
schließlich auch der Verteidigung der Sicherheit aller,
also auch unserer Sicherheit dienen, können und dürfen
nicht die Zukunft der europäischen Verteidigung sein.

Mali hat erneut verdeutlicht: Wir brauchen in der EU
militärische Kriseninterventionsverbände,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ach was!)


die rasch über weite Distanzen verlegt, geführt und
durchhaltefähig im Einsatzgebiet gehalten werden kön-
nen. Dazu gehört auch unsere deutsche Bereitschaft, sol-
che europäischen Sicherheitskräfte in den Einsatz zu
schicken.

Im Januar erst haben wir das ISAF-Mandat verlän-
gert, im Dezember haben wir die Stationierung von
Patriot-Abwehrsystemen an der türkisch-syrischen
Grenze beschlossen. Die heutigen Entscheidungen sind
die Mandate Nummer 9 und 10, über die der Bundestag
aktuell zu befinden hat. Das zeigt: Die sicherheitspoliti-
schen Herausforderungen und Fragen unserer Zeit sind
mannigfaltig und komplex, und sie gehen weit über die
konkreten Fragen der jeweiligen Einzelmandate hinaus.

Angesichts von rund 20 Mandatsdebatten jährlich
halten wir in der CDU/CSU die Einführung einer regel-
mäßigen Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage
Deutschlands für notwendig, um unsere Sicherheitsinte-
ressen einer breiten deutschen Öffentlichkeit zu vermit-
teln sowie Fragen und Sorgen der Bevölkerung besser
aufgreifen zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Damit wir uns richtig verstehen: Eine solche General-
debatte kann kein Ersatz für unsere Debatten über die je-
weiligen Mandate sein; aber es ist überfällig, über die
20 Einzelberatungen hinaus, die jeweils auf ein enges
Mandat begrenzt sind, eine regelmäßige strategische, si-
cherheitspolitische Grundsatzdebatte im Deutschen Bun-
destag zu etablieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zum Schluss möchte ich unterstreichen, was der Ver-
teidigungsminister bei der Einbringung der Mandate
letzte Woche gesagt hat: Diese Einsätze sind ernst. Sie
können gefährlich werden. Unsere Soldatinnen und Sol-
daten sind einem Risiko für Leib und Leben ausge-
setzt. – Wir danken ihnen, dass sie dies auf sich nehmen,
um unsere Sicherheit zu verteidigen. Wir wünschen ih-
nen dabei alles Gute und Gottes Segen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722511900

Herzlichen Dank, Kollege Dr. Andreas Schockenhoff. –

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere
Kollegin Frau Christine Buchholz. Bitte schön, Frau
Kollegin Buchholz.


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722512000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den

Ball von Herrn Schockenhoff aufzunehmen: Ich glaube,
wir brauchen keine Generaldebatte über die Kriegspoli-
tik der Bundesregierung, sondern wir brauchen eine Ge-
neraldebatte darüber, wie wir die wirtschaftlichen und





Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)

sozialen Probleme und die extremen Probleme, die der
Waffenhandel in dieser Welt verursacht, lösen können.
So eine Debatte würden wir gerne führen, aber nicht eine
Debatte über die Durchsetzung der wirtschaftlichen,
strategischen und militärischen Interessen Deutschlands
mithilfe der Bundeswehr.


(Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Unverschämt!)


Die Bundesregierung will die Bundeswehr als Unter-
stützungstruppe in den Krieg nach Mali entsenden, zum
einen, um Soldaten in das Kriegsgebiet zu transportie-
ren, zum anderen, um malische Soldaten für den Kampf
auszubilden. Genau genommen beteiligt sie sich schon
jetzt am Krieg in Mali; denn seit Wochen transportieren
deutsche Transall-Maschinen westafrikanische Kampf-
truppen nach Mali. Das hat die Linke von Anfang an kri-
tisiert. Sie wird auch die vorliegenden Mandate heute
ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN – Burkhardt MüllerSönksen [FDP]: Freiheit für die Taliban!)


Angeblich geht es um Terrorbekämpfung. Doch die
islamistischen Rebellen haben sich in die Berge und in
benachbarte Länder zurückgezogen. Das Problem hat
sich also nur verlagert.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Terrorismus lässt sich nie mit Krieg be-
kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen Sie nach Afghanistan: Mit genau demselben
Argument haben Sie die Bundeswehr vor mehr als elf
Jahren an den Hindukusch geschickt. Und was ist das
Ergebnis? Sie haben den Nährboden für neuen Terroris-
mus geschaffen. Al-Qaida hat sich in immer neuen Län-
dern ausgebreitet, verbreitet nun auch Terror im Irak, im
Jemen und in der Sahara. Das zeigt doch: Ihr Krieg er-
zeugt immer neuen Terror. Diese Logik muss ein Ende
haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Die französische Intervention wird von Ihnen als Not-
operation bezeichnet. Nein, dieser Militäreinsatz ist kein
chirurgischer Eingriff, wie Sie mit dieser Wortwahl un-
terstellen. Das ist ein Krieg. Nur weil der französische
Kriegsminister Le Drian sich weigert, die Zahlen der
Opfer des Feldzuges zu nennen, heißt das noch lange
nicht, dass es keine Opfer gibt.

Der Krieg in Mali ist auch ein Propagandakrieg. Wa-
rum erwähnt eigentlich keine der anderen Fraktionen
hier im Bundestag, dass die französische Armee die
Pressefreiheit unterbindet? Offenbar will sie keine Bil-
der über die wahre Situation. „Reporter ohne Grenzen“
beklagten Ende Januar einen – ich zitiere – „medialen
Blackout“, der den Korrespondenten vom französischen
und malischen Militär aufgezwungen werde.

Auch der Bundesregierung liegen, wie sie uns schrift-
lich mitgeteilt hat, keine eigenen Erkenntnisse über die
Opfer infolge der französischen Luftangriffe vor. Es

kann doch nicht angehen, dass der Bundestag nun be-
schließt, ohne jegliche Kenntnis über ihre Auswirkungen
genau diese Luftangriffe zu unterstützen. Das ist unver-
antwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Sprechen wir auch darüber, dass dieser Militäreinsatz
die ethnischen Spannungen in Mali massiv verschärft hat.
Fast alle Tuareg und Araber sind aus Angst vor der mali-
schen Armee aus Timbuktu geflohen. Ihre Geschäfte
wurden geplündert, ohne dass das Militär eingriff. Statt-
dessen melden Menschenrechtsorganisationen ein Mas-
sengrab von Hingerichteten.

Der Krieg verhindert zivile Versöhnungsinitiativen.
Ein für Januar geplanter Marsch von Bürgerrechtsorga-
nisationen, der auf den Dialog zwischen den Ethnien ab-
zielte, wurde von der französischen Armee verboten. Es
kann nicht angehen, dass Sie die Bundeswehr zum Kom-
plizen dieser Eskalationslogik machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, bei dem Militäreinsatz
Frankreichs geht es nicht um die Beseitigung menschli-
chen Elends. Es geht um die Absicherung strategischer
und wirtschaftlicher Interessen. Wenn Sie mir das nicht
glauben, dann lesen Sie das Unternehmerblatt Wirt-
schaftswoche. Ich zitiere die Ausgabe vom 14. Januar
2013:

Tief im Herzen Afrikas will Frankreichs Staatsprä-
sident Hollande die Versorgung seines Landes mit
dem Atomkraftbrennstoff Uran sichern.

Den Krieg „mit Sicherheitsinteressen zu begründen“, sei
– ich zitiere weiter – „zynisch“. Das ist die unverblümte
Sprache der Wirtschaftswoche. Dem brauche ich nichts
hinzuzufügen.


(Beifall bei der LINKEN)


Klar ist: Die Bundesregierung möchte bei den Krie-
gen der Zukunft offenbar nicht nachstehen. Die Worte
von Herrn Stinner und Herrn Schockenhoff sind nur in
diese Richtung zu verstehen. Das ist ein Grund für ihr
Engagement in Mali.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber eine Grenze erreicht!)


Ich sage: Es kann nicht angehen, dass wir einen Krieg
unterstützen, der für die Rohstoffinteressen der europäi-
schen Staaten und die Interessen von Bergbauunter-
nehmen oder Atomkonzernen geführt wird. Da wird die
Linke nicht mitmachen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nun zur malischen Armee selbst. Angeblich soll
die Mission Abhilfe schaffen und die malische Armee
ausgebildet werden. Aber seien Sie doch ehrlich: Genau
die gleichen Ausbildungsprogramme seitens der Bun-
deswehr und der US-Armee liefen doch vor dem Putsch
im März 2012 über Jahre – offenbar ohne Erfolg. Nun
haben sich malische Truppen in Bamako auch noch ge-
genseitig beschossen.





Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)

Bisher haben Sie die Frage nicht beantwortet, wel-
chen Teil der malischen Armee Sie nun eigentlich aus-
bilden wollen. Zur Wahrheit gehört: In dem Moment, in
dem Sie sich endlich dieser Frage gestellt haben, droht
die Bundeswehr als Konfliktpartei im innermalischen
Machtkampf angesehen zu werden. Das wissen Sie ganz
genau. Auch deshalb kommen in der EU-Mission auf
200 Ausbilder auch 250 Kampfsoldaten zur Absiche-
rung.

Mali hat viele Probleme; aber keines davon ist militä-
risch zu lösen. Das zeigen die aktuellsten Zahlen: Allein
die französische Militäroperation hat bisher 100 Millio-
nen Euro verschlungen. Doch von den 285 Millionen
Euro, die für die notleidenden Menschen in Mali laut
UN-Angaben benötigt werden, sind gerade einmal
13 Millionen Euro angekommen. Es zeigt sich wieder
einmal: Sobald Militär im Spiel ist, wird das Zivile ver-
drängt. Dem werden wir uns widersetzen.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie machen Sie das?)


Herr de Maizière, Herr Westerwelle, Sie können uns
nicht sagen, was für Folgen der Krieg hat, den Sie unter-
stützen. Sie können uns nicht sagen, welche neuen Be-
drohungen entstehen und welches Risiko für die ent-
sandten Soldaten Sie in Kauf nehmen. Sie können nicht
einmal sagen, wie lange der Einsatz wirklich dauern
wird.

Wir werden nicht einem weiteren Mandat für ein mili-
tärisches Abenteuer zustimmen. Terrorismus lässt sich
nicht mit Krieg bekämpfen. Krieg ist selber Terror.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722512100

Nach unserer Kollegin Christine Buchholz spricht

nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kol-
legin Frau Kerstin Müller. – Bitte schön, Frau Kollegin
Kerstin Müller.


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722512200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der
Linken, liebe Kollegin Buchholz, meinen wir, dass
Frankreich in Mali im Grundsatz richtig gehandelt hat.
Sie müssen sich einmal anschauen, wie die Lage vorher
war – dazu von Ihnen kein Wort –: Islamistische Rebel-
lengruppen hatten im Norden Malis eine Schreckens-
herrschaft aufgebaut. Sie waren auf dem Vormarsch in
den Süden. Im Januar drohte ein Staatszerfall in ganz
Mali.

Insofern sagen wir – wir haben nicht von einem chir-
urgischen Eingriff gesprochen; das ist totaler Quatsch,
das haben Sie falsch verstanden –, dass die französische
Intervention eine Notoperation ist, um Schlimmeres zu
verhindern. Sie findet im Übrigen mit Zustimmung der
malischen Bevölkerung statt. Dazu haben Sie natürlich
auch kein Wort gesagt. Ohne diese Notoperation bräuch-
ten Sie mit Politik gar nicht erst anzufangen, weil Sie in
einem „Failed State Mali“ keine Ansatzpunkte für Poli-
tik hätten. Deshalb war es im Grundsatz richtig von den

Franzosen, dort einzugreifen, und es ist richtig, dass sie
dafür unsere Unterstützung haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wahr ist auch, dass Präsident Hollande im Oktober in
Dakar eigentlich eine Wende der französischen Afrika-
Politik erklärt hat, also das Ende von fünf Jahrzehnten
„Françafrique“, und damit auch das Ende einer neokolo-
nialen Politik in West- und Zentralafrika. Das heißt,
Frankreich will künftig multilateral handeln, eingebun-
den in die UNO und die EU und gemeinsam mit den
Afrikanern. Das ist und bleibt das Ziel der neuen franzö-
sischen Regierung. Wir meinen, dass es richtig ist, die-
sen französischen Kurswechsel weg von einer französi-
schen Hinterhofpolitik generell zu unterstützen.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine Verdrehung der Tatsachen!)


Denn es ist in unserem außen- und sicherheitspolitischen
Interesse und auch im Interesse der EU, die Afrika-
Politik generell zu europäisieren. Auch darum geht es,
und auch deshalb wird meine Fraktion beiden Mandaten
zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wobei ich klar sagen will – wir haben ja auch im Aus-
schuss darüber diskutiert –: Europäisierung der Afrika-
Politik – da müssen wir ehrlich sein – heißt mehr Verant-
wortung für Europa, und es wird auch mehr Verantwor-
tung für Deutschland heißen. Mit unserem Beitrag zur
AFISMA, die ja in eine UNO-Mission umgewandelt
werden soll, unterstützen wir sowohl die Afrikaner, die
afrikanische ECOWAS, als auch die Franzosen und die
UNO. Mit der Ausbildungsmission wollen wir helfen,
die malische Armee aufzubauen.

Das Mandat zieht eine klare Trennlinie zwischen dem
Kampfeinsatz einerseits und der Ausbildung der mali-
schen Sicherheitskräfte andererseits. Allerdings muss
man auch sagen: Angesichts des maroden Zustandes der
malischen Armee ist es wichtig, dass das Ausbildungs-
mandat einen Schwerpunkt auf den Schutz der
Menschenrechte und auch auf die Umsetzung des huma-
nitären Völkerrechts legt. Das bleibt natürlich schwierig,
weil die Lage fragil ist. Aber es muss auch klar sein:
Wenn wir nicht jetzt intervenieren, das heißt, die Armee
aufbauen und nachhaltige Stabilität schaffen, dann wer-
den wir es in einigen Monaten mit einer noch schwieri-
geren Situation zu tun haben. Deshalb gibt es dazu,
glaube ich, keine Alternative.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber klar ist auch: Die Ausbildung allein reicht nicht.
Wir brauchen einen politischen Prozess. Die Feuille de
Route, die verabschiedet wurde, wurde bereits erwähnt.
Die berechtigten Interessen der Tuareg müssen berück-
sichtigt werden. Mali braucht einen gesamtgesellschaft-
lichen Versöhnungsprozess. Es ist geplant, noch im Juli





Kerstin Müller (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

in Mali Wahlen durchzuführen; das wird schwierig
genug. Mali braucht die Unterstützung der Bundesregie-
rung, der Europäischen Union und der UNO, damit die
Wahlen stattfinden können.

Wir brauchen noch mehr. Das will ich zum Schluss
meiner Rede sagen. Ich glaube, wenn wir nicht morgen
in Niger und übermorgen in Burkina Faso oder anderswo
intervenieren wollen, brauchen wir jetzt im Sinne klassi-
scher krisenpräventiver Politik eine Strategie für den
gesamten Sahel. Es geht am Ende sozusagen um eine
Regionalstrategie. Da muss ich die Bundesregierung kri-
tisieren. Denn wir haben ein gutes Netzwerk ziviler Kri-
senprävention in Deutschland und auch auf EU-Ebene.
Dieses fristet aber leider ein Schattendasein.

Ich wünsche mir, dass hier einmal Analysen vorgelegt
werden, die zeigen, warum diese Länder des Sahel wa-
ckelig sind. Was schwächt sie? Was stärkt sie? Es geht
zum Beispiel um künstlich niedrige Weltmarktpreise, um
unkontrollierten Rohstoffboom usw. Wir müssen dies
klar analysieren und eine entsprechende Strategie vorle-
gen, auf deren Grundlage wir dann auch handeln. Das
wäre eine effektive, nachhaltige und krisenpräventive
Politik. Wir werden sie brauchen. Da haben Sie aus
unserer Sicht größeren Nachholbedarf. Man muss im
Bereich der zivilen Krisenprävention klotzen und nicht
kleckern, wenn man künftig einen Schwerpunkt darauf
setzen möchte und nicht auf Militärinterventionen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722512300

Vielen Dank, Kollegin Kerstin Müller. – Nächste

Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin
Frau Elke Hoff. Bitte schön, Frau Kollegin Elke Hoff.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elke Hoff (FDP):
Rede ID: ID1722512400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ich möchte an zwei Punkte anknüpfen,
die sowohl meine Vorrednerin, die Kollegin Müller, als
auch Herr Schockenhoff vorgetragen haben, und diese
Aspekte ein Stück weit aus der Sicht einer Sicherheits-
und Verteidigungspolitikerin beleuchten.

Unsere Bundeswehr befindet sich erneut in einem
Einsatz, der multinational ist. Ich glaube, dass solche
Einsätze, die stabilisierend in einer Region wirken sollen
und müssen, in Zukunft immer multinational sein wer-
den. Das heißt, der Druck auf die Kooperation sowohl
im Bereich der zivilen Aufbauarbeit als auch im Bereich
des Militärischen ist ganz entscheidend. Meine Damen
und Herren, wir müssen uns an dieser Stelle die Frage
stellen: Sind wir – bei all den guten Zielen, die wir ha-
ben – mit den vorhandenen Mitteln und den Mechanis-
men der Zusammenführung wirklich effektiv? Nach den
Erfahrungen, die wir auch im Vorfeld des Mali-Einsatzes
gemacht haben, bezweifle ich das. Ich möchte das be-
gründen und eine Perspektive aufzeigen, wie wir bei der

Verteilung der internationalen Verantwortung vielleicht
etwas besser werden können.

Wir haben gemerkt – das Beispiel Somalia ist eben
mit Recht angeführt worden; aber man könnte darunter
durchaus auch unsere Versuche in Afghanistan subsum-
mieren –, dass Stabilität in einer Region dann gewähr-
leistet ist, wenn die souveränen Staaten selbst in der
Lage sind, sie sicherzustellen. Wir verfügen nicht ad in-
finitum über die erforderlichen Mittel und die Durch-
haltefähigkeit. Außerdem haben wir auch an anderen
Stellen Probleme und müssen dort Krisenbewältigung
betreiben.

Auf der einen Seite gibt es die NATO-Fähigkeiten,
auf der anderen Seite die europäischen Fähigkeiten. Seit
Jahren gibt es zwei Institutionen, die bei der schnellen
Krisenprävention bzw. bei Interventionen bis jetzt so gut
wie noch nie eingesetzt worden sind: die NATO Res-
ponse Forces und die sogenannten EU Battle Groups.
Wir alle wissen, dass die EU große Probleme hat, militä-
risch durchhaltefähig zu sein. Das heißt, ohne die Fähig-
keiten unserer großen NATO-Bündnispartner können
wir auf diesem Feld nur sehr schwer reüssieren.

Allerdings, meine Damen und Herren, können wir
– davon bin ich sehr überzeugt – im Bereich der Polizei-
ausbildung aktiv sein. Die Polizei kann in den jeweiligen
Staaten souverän Stabilität herstellen, angefangen bei
der Grenzüberwachung über die innere Sicherheit bis
hin zur Herstellung der Sicherheit beispielsweise in
Kommunen, die ja häufig – ich sage es einmal so – die
Keimzellen des Widerstands sind. Wir sollten darüber
diskutieren, ob eine Arbeitsteilung zwischen Europäi-
scher Union und NATO möglich wäre, die zum Beispiel
so aussieht: Die NATO Response Forces sind für die
schnelle militärische Intervention da, und statt EU Battle
Groups richtet man eine EU Training Group ein. Das
wäre eine Möglichkeit, die Fähigkeiten, die wir haben,
in eine verstetigte Struktur zu überführen, in eine Struk-
tur, die wir nach meiner Auffassung auch politisch sehr
gut verkaufen könnten. Denn die Bürgerinnen und Bür-
ger können sehr gut verstehen, auch aufgrund eigener
Erfahrungen, dass das etwas ist, was ein Staat braucht,
um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, die EU ist an dieser Stelle gut. Was mich
persönlich im Vorfeld solcher Missionen allerdings im-
mer wieder stört, ist, dass das Ganze in gewisser Weise
eine Basarmentalität hat: Was bekommt man von wem,
und wer ist bereit, was zu geben? Hier müssen wir vor
dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir bei der Poli-
zeiausbildung gemacht haben, eine Struktur schaffen,
die zur Stabilisierung der zivilen Sicherheit geeignet ist.
Meine Damen und Herren, ich denke, das ist ein Ansatz,
den man in die Diskussion mit einbeziehen sollte. Ich
glaube, das ist ein seriöser Vorschlag, wie eine Aufga-
benteilung zwischen den Fähigkeiten Europas und den
militärischen Fähigkeiten der NATO aussehen könnte.

Leider ist meine Redezeit vorbei. Ich bedanke mich
für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722512500

Vielen Dank, Frau Kollegin Elke Hoff. – Nächster

Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Dr. Rolf Mützenich. Bitte schön, Kollege
Dr. Rolf Mützenich.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1722512600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses
haben sich am Montag dieser Woche mit Kolleginnen
und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses der franzö-
sischen Nationalversammlung getroffen. Ich fand unsere
Diskussionen nicht nur nützlich, sondern auch lehrreich.
So haben uns die Parlamentarier aus der französischen
Nationalversammlung zum Beispiel erzählt, dass sie ei-
nen ständigen Ausschuss haben, der sich mit Mali und
der Sahelzone befasst, und dass sie sehr stark auf die
Situation in Algerien schauen, um eine politische Be-
gleitung dieses Konflikts durch das Parlament zu ge-
währleisten.

Wie schon gesagt, fand ich das nicht nur nützlich,
sondern hielt es auch für eine lehrreiche Stunde im Hin-
blick auf eine Demokratisierung von Sicherheitspolitik.
Einen Teil haben wir im Deutschen Bundestag erreicht,
und ich glaube, in der französischen Nationalversamm-
lung wird darum gestritten.

Wir waren uns mit den Kolleginnen und Kollegen da-
rüber einig, dass absolute Priorität der politische Weg
haben muss und nicht das kurzfristige Engagement, das
zurzeit die internationale Gemeinschaft versucht. In die-
sem Zusammenhang war es wichtig, zu sagen: Wir brau-
chen die Einbindung aller relevanten Gruppen. – In der
Tat war dies wichtig. Wir dürfen uns nämlich nicht
alleine auf die ethnische Gruppe der Tuareg beziehen,
sondern es gibt noch viele andere ethnische Gruppen,
zum Beispiel in Mali, die genauso und vielleicht, eben
weil sie nicht zur Gewalt greifen, noch eher das Recht an
politischer Partizipation und an sozialer und wirtschaftli-
cher Beteiligung in diesem Land haben. Das muss die
internationale Gemeinschaft, das müssen Frankreich,
Deutschland und viele andere europäische Partner errei-
chen.

Das Zweite ist genauso wichtig. Wir brauchen auch
– und darüber müssen wir mit der malischen Regierung
reden – ein Ausstiegsprogramm für Gewaltakteure, für
gewaltbereite Gruppen. Ich meine, auch das gehört zu ei-
nem politischen Versöhnungsprozess.

Wir können über die europäischen Erfahrungen aus
Bürgerkriegssituationen sprechen. Im ehemaligen Jugo-
slawien gab es den Vertrag von Dayton, der unter ande-
rem auch das Prinzip von Abrüstung und Rüstungskon-
trolle in die Befriedung von Bürgerkriegen eingebracht
hat. Das gehört für Mali und die Sahelzone genauso mit
dazu wie andere Fragen auch.

Ich finde es immer sehr interessant, wenn wir gefragt
werden: Wie versucht ihr eigentlich, föderale Strukturen
aufzubauen? Diese Länder stehen vor denselben Heraus-
forderungen wie wir, weil es dort ebenso regionale

Unterschiedlichkeiten gibt, wie sie damals in Europa
und auch in unserem Land geherrscht haben. Föderale
Strukturen können dazu beitragen, auch Befriedungspro-
zesse im Inneren zu erreichen. Der Austausch mit den
französischen Kolleginnen und Kollegen war schon des-
halb wichtig, weil wir dabei auch unsere Erfahrungen
einbringen konnten.

Hier ist die Frage aufgeworfen worden: Sollen wir
auch vonseiten der internationalen Gemeinschaft auf ei-
nen Wahltermin drängen? Darüber wird es keinen Kon-
sens geben. Aber ich möchte davor warnen; denn ich
glaube, die Festlegung eines Wahltermins ist nicht die
Ultima Ratio für die Befriedung von Konflikten.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Vielmehr kann dies in einem Prozess möglicherweise
hilfreich sein. Ein Wahltermin wird auch nur dann eine
ehrliche Antwort im Hinblick auf die politische Lage des
Landes sein, wenn an diesem Prozess alle Gruppen
gleichberechtigt beteiligt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Aus diesem Grunde sollte das von unserer Seite ebenso
bedacht werden.

Wir müssen uns genau auf die Strukturen, auf die
Situation, aber auch auf die regionalen Herausforderun-
gen einstellen. Deswegen warne ich von dieser Stelle aus
auch vor einer Vereinfachung der Probleme. Es war
nicht hilfreich, dass man die Situation von Mali mit der
in Afghanistan vergleicht. Damit werden wir der He-
rausforderung nicht gerecht, und damit werden wir auch
der Verantwortung nicht gerecht, die wir haben.

Es gab zweifellos Versäumnisse vonseiten der inter-
nationalen Gemeinschaft. Wir haben diesem Land und
den dortigen Herausforderungen nicht genügend Auf-
merksamkeit geschenkt. Wir haben uns möglicherweise
auch selbst getäuscht, weil uns der eine oder andere et-
was erzählt hat, was wir vielleicht gerne hören wollten.
Und wir haben in der Gemeinsamen Außen- und Sicher-
heitspolitik der EU versagt. Auch das müssen wir in die-
sem Zusammenhang eingestehen. Aus all diesen Dingen
müssen wir lernen. Insbesondere ist es wichtig, nicht
selbstgerecht zu reagieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der
Linken, Sie haben schon in der ersten Beratung über die
beiden Mandate durchaus zu Recht Fragen gestellt. Ich
kann aber nicht umhin, Ihnen hier den Vorwurf zu ma-
chen: Es ist auch eine Menge Selbstgerechtigkeit dabei.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil Ihnen das Land scheinbar so am Herzen liegt,
habe ich mir einmal angeschaut, welche parlamentari-
schen Initiativen Sie in der letzten Legislaturperiode zu
Mali eingebracht haben. – Null. Die erste parlamentari-
sche Initiative in dieser Legislaturperiode gab es am
2. März 2012. Ich finde, man darf hier so nicht auftreten





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

und sagen, man habe den Stein der Weisen gefunden und
wisse, wie man mit diesen Konflikten umzugehen habe.


(Zuruf von der LINKEN)


Denn ich finde, das, worauf Sie immer mit dem Finger
zeigen, zeigt auf Sie zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ich zum Beispiel auf die Website Ihrer Partei
gehe und angesichts der aktuellen Situation den Begriff
„Mali“ eingebe, dann habe ich sieben Treffer, wovon
drei über Boni und Mali berichten und nicht über das
Land Mali. Ich finde, das ist zu wenig, wenn man sich
der internationalen Herausforderung stellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das eine oder andere gemeinsam in den Raum zu stel-
len, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist zu kurz gesprun-
gen. Die Gewalt in Libyen hat die Situation in Mali mit
Sicherheit mit destabilisiert. Dahinter muss doch aber
die Frage stehen: Woher hatte Gaddafi die Waffen, die in
diesen Konflikt in Mali mit eingeführt worden sind?


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Kanzler Schröder! Das mit der Selbstgerechtigkeit ist ein Bumerang! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


An dieser Stelle einfach immer nur gewisse Hinweise zu
geben, heißt, zu kurz zu springen. Die Gewalt ist in Gaddafis
Kerkern erlernt worden und nirgendwo anders. Das ist
eine der Herausforderungen, vor denen dieses Land steht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Stinner, ich fand es bemerkenswert,
dass Sie gesagt haben: Am Anfang einer Mandatierung
müssen wir uns immer die Frage stellen: Genügt ein sol-
ches Mandat deutschen Interessen? – Natürlich haben
wir auch immer noch eine deutsche Außenpolitik. Aber
ich habe gelernt: Es geht eigentlich um mehr, es geht so-
zusagen um die internationale Verantwortung Deutsch-
lands. Wenn wir glauben, zur Situation nichts beitragen
zu können, unterstützen wir zumindest unsere Partner.
Die Bedeutung eines Mandats in dieser Situation geht
also etwas weiter.

Ich will betonen: Was Kollege Schockenhoff zu den
Herausforderungen der Gemeinsamen Außen- und Si-
cherheitspolitik der Europäischen Union gesagt hat, hebt
sich stark ab von der Rede, die der Verteidigungsminis-
ter in München zu dieser Frage gehalten hat.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich sagen: Die SPD-Fraktion kann heute den
Mandaten zustimmen, wenn die Bundesregierung ge-
meinsam mit unseren Partnern den politischen Möglich-
keiten Priorität einräumt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt das jetzt?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722512700

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe

ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen
Wolfgang Gehrcke.


(Zurufe)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722512800

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen Sie

dann schon erleiden.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Im wahrsten Sinne des Wortes!)


– Ich weiß, das widerspricht der Haager Landkriegsord-
nung.

Wenn nicht Kollege Mützenich gesprochen hätte,
würde ich gar nicht damit anfangen; aber wir streiten ja
immer für das Völkerrecht, und ich weiß, dass Kollege
Mützenich mit solchen Fragen ernsthaft umgeht.

Uns wurde Selbstgerechtigkeit vorgehalten.


(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP] – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch richtig!)


Ich finde, alle Fraktionen in diesem Hause sollten sich
fragen, ob sie nicht in einer gewissen Art und Weise
selbstgerecht sind. Wenn ich mir so sicher wäre, dass al-
les, was wir vorschlagen, sobald es Gesetz würde, sofort
zu einer Verbesserung der Situation führte, dann wäre
ich selbstgerecht. Ich habe aber meine Zweifel daran,
und wir artikulieren diese Zweifel hier.

Wir sind zumindest in der Lage, das auszuschließen,
was wir in der praktischen Erfahrung als falsch erkannt
haben. Deswegen frage ich Sie: Sehen Sie nicht die Pa-
rallelen zu Afghanistan? Auch ich sehe, dass die Men-
schen in Mali gejubelt haben, als die Islamisten geschla-
gen worden sind. Das war nach dem Sturz der Taliban
aber auch in Afghanistan der Fall, und die Menschen ha-
ben dann den Eindruck gewonnen, dass ihr Land besetzt
ist.

Ich möchte davor warnen – ich finde das furchtbar –,
dass politische Verantwortung in erster Linie immer mit
Militär buchstabiert wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat hier doch keiner gemacht!)


Eine Veränderung der Lage in der Welt müssen wir
durch politische Verantwortung erreichen. Wenn globa-
ler Gerechtigkeit mehr Raum gegeben wird, wenn mehr
davon gesprochen wird, dass die Menschen über die Pro-
dukte, die sie herstellen, auch verfügen können müssen,
wenn Waffen nicht mehr als Handelsware gelten, dann
werden wir alle zusammen weniger selbstgerecht sein
und mehr Gerechtigkeit in der Welt verbreiten können.





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

Wenn Sie sagen, wir sollen nicht selbstgerecht sein,
sage ich Ihnen: Fassen Sie sich an die eigene Nase!
Wenn hier keiner selbstgerecht wäre, wäre die deutsche
Politik besser. Das ist das, was ich rüberbringen wollte.

Danke sehr.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722512900

Kollege Dr. Mützenich, wollen Sie antworten? – Ja.

Das Wort hat Kollege Dr. Rolf Mützenich.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1722513000

Lieber Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen, wie sehr

ich die Diskussionen mit Ihnen schätze, gerade im Aus-
wärtigen Ausschuss; deswegen habe ich noch einmal da-
rauf hingewiesen, dass ich glaube, dass Ihr Beitrag in der
ersten Runde dieser Beratungen differenzierter gewesen
ist als sozusagen die Kaskade von Vorwürfen vonseiten
der Sprecherin der Fraktion Die Linke.

Noch einmal: Ich glaube, Sie müssen akzeptieren,
dass wir in der Tat aus der – –


(Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])


– Dürfen Herr Gehrcke und ich uns einfach einmal über
das eine oder andere austauschen? Sie hätten sich ja
sonst zu Wort melden können. Er hat doch nun einmal
gefragt.

Ich habe eben davor gewarnt, weil ich glaube, dass es
falsch ist, Mali im Einzelnen mit Afghanistan zu verglei-
chen. Wir müssen in der Tat unsere Lehren aus Afgha-
nistan ziehen, aber ich glaube, man muss sagen: Zu dem,
was in Afghanistan von Anfang an falsch gelaufen ist,
haben die Administration Bush und der amerikanische
Präsident Bush viel beigetragen. Er war nicht zu politi-
schen Lösungen und Angeboten gegenüber Gewaltak-
teuren in diesem afghanischen Konflikt bereit.

Jetzt kommt es auf uns an, dass den Lehren, die wir
gezogen und über die wir heute in dieser Debatte, im
Auswärtigen Ausschuss, im Entwicklungshilfeausschuss
und im Zusammenhang mit den Menschenrechten disku-
tiert haben, Konsequenzen in einer Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik folgen. Hier kommt eine große
Verantwortung auf uns alle hier im deutschen Parlament,
aber insbesondere auch auf die Bundesregierung zu.

Mehr habe ich in meiner Rede nicht gesagt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722513100

Vielen Dank, Kollege Dr. Mützenich. – Wir kommen

wieder zurück zu unserer Rednerliste. Für die Fraktion
der CDU/CSU gebe ich unserem Kollegen Ingo Gädechens
das Wort. Bitte schön, Kollege Ingo Gädechens.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1722513200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, die
Debattenbeiträge haben sehr deutlich gemacht, dass
nicht nur unsere Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
einsatzerfahrener geworden sind – egal ob durch das
KFOR- oder das ISAF-Mandat –, sondern auch wir, das
Parlament; denn schon der Titel des Antrages macht
deutlich, dass es leider nicht oder noch nicht darum geht,
wie man immer so schön banal sagt, Brunnen zu bohren,
Brücken zu bauen und Schulen zu errichten. Nein, wir
beraten über die Entsendung bewaffneter deutscher
Streitkräfte im Zusammenhang mit der mehrfach ge-
schilderten angespannten Situation in Mali.

Die Republik Mali, ein Binnenstaat im Inneren West-
afrikas, umringt von sieben Nachbarstaaten, liegt in der
Großlandschaft Sudan sowie im Sahel. Die Republik
Mali ist eigentlich weit weg von Zentraleuropa, und
doch rückt uns auch von hier aus der Terrorismus näher
bzw. ein gutes Stück entgegen. Putschende Streitkräfte,
ein geschwächter Staat und Dschihadisten, die den Nor-
den des Landes als Rückzugsgebiet nutzen, um von dort
aus die Bevölkerung zu terrorisieren: ein uns nicht unbe-
kanntes Muster.

In den Diskussionen und Beratungen wurde aner-
kannt, dass Frankreich richtig und entschlossen gehan-
delt und somit verhindert hat, dass die Republik Mali
von Radikalislamisten überrannt wurde. Diese aus mei-
ner Sicht richtige Bewertung hat dazu geführt, dass die
Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit den ande-
ren Verbündeten den französischen Streitkräften Unter-
stützung gewährt, Unterstützung, die nicht nur wertvoll
ist, sondern auch dankbar angenommen wurde; denn so,
wie Afghanistan nicht die alleinige Angelegenheit Ame-
rikas war, kann und darf Mali nicht die alleinige Angele-
genheit Frankreichs sein. Es sollte – auch das klang
mehrfach an – ein gemeinsames Anliegen unserer demo-
kratischen Wertegemeinschaft sein, einem geschwächten
Staat Hilfe zu geben, um ihn vor Terror und marodieren-
den und menschenverachtenden Horden zu schützen.

Ich gebe dem Kollegen Nouripour nur bedingt recht,
der seitens der Grünen beklagt, man habe die explosive
Gemengelage in der Region zu lange ignoriert. Ich darf
daran erinnern, dass sich gerade die Mitglieder des Ver-
teidigungsausschusses durch eindeutige Berichte des
Bundesnachrichtendienstes sehr früh und umfänglich
über die prekäre Situation in Mali informiert haben. Die
Frage, die nach diesen Berichten im Raum stand, war
doch, wie man auf die besorgniserregende Entwicklung
reagieren könnte.

Dass Deutschland vor dem Hintergrund seiner Ge-
schichte in einer schwierigen Situation ist und war, ist si-
cherlich nachvollziehbar, und ehrlich gesagt, lieber Kol-
lege Nouripour, glaube ich auch nicht, dass die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hier einen Antrag gestellt hätte,
dass die Bundeswehr als erste Streitkraft in Mali einmar-
schiert.

Es ist also gut, dass Frankreich entschlossen gehan-
delt und den ersten Schritt gemacht hat. Richtig ist aber
auch, dass Deutschland seinen Nachbarn nicht alleinge-





Ingo Gädechens


(A) (C)



(D)(B)

lassen hat und ihn und die Mission im Rahmen der vor-
handenen Möglichkeiten unterstützt.

Gleich zwei Anträge der Bundesregierung machen
die Teilung der Mission deutlich. Zum einen geht es da-
rum, unter afrikanischer Führung auf der Grundlage ei-
ner Resolution des Sicherheitsrates Lufttransportkapazi-
täten zur Verfügung zu stellen, um in der Region diese
Transporte und die Luftbetankungen vorzunehmen. Wir
unterstützen damit das Mandat AFISMA.

Es ist für mich keine Überraschung – dies gilt sicher-
lich auch für viele Verteidigungspolitiker hier im Saal –,
dass die überaus erfahrenen Soldatinnen und Soldaten
unserer Lufttransportgeschwader hier wieder einmal
routiniert, professionell und erfolgreich agieren. Man
möge mir nachsehen, dass ich als Schleswig-Holsteiner
besonders stolz bin auf die Soldatinnen und Soldaten des
Lufttransportgeschwaders 63 aus Hohn, also aus Schles-
wig-Holstein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Hoi, Ingo!)


Ich lobe aber natürlich auch die Kameradinnen und Ka-
meraden aus Penzing und Wunstorf, die hier einen her-
vorragenden Job leisten.


(Beifall des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/ CSU])


Im zweiten Antrag erbittet die Bundesregierung die
Zustimmung des Parlaments, um deutschen Streitkräften
den Auftrag zu erteilen, nach Maßgabe des Völkerrechts
und der durch die EU festgelegten Einsatzregeln einen
Beitrag zu der militärischen Ausbildungsmission EUTM
Mali zu leisten. Dabei wird sich die Bundeswehr an der
Planung und der fachlichen Aufsicht sanitätsdienstlicher
Unterstützung der Mission, aber auch der Pionier- und
Sanitätsausbildung für malische Soldaten beteiligen.

Ich danke dem Verteidigungsminister de Maizière nicht
nur für eine sach- und fachgerechte Beurteilung der
Lage, sondern auch für die richtige Einschätzung dessen,
was die Bundeswehr zusätzlich und neben den laufenden
Einsätzen noch in der Lage ist zu leisten.

So wie einige Oppositionspolitiker anfangs bemän-
gelten, man habe zu lange beobachtet und zu spät re-
agiert, hört man nun auch in dieser Debatte vermehrt die
Sorge, Mali könnte ein zweites Afghanistan werden. Ich
denke, lassen wir einmal diese Vergleiche und erkennen
lieber an, dass es in Afghanistan deutliche und Gott sei
Dank auch unumkehrbare Erfolge für die Menschen
gibt. Natürlich wäre es gut, wenn das auch in Mali ge-
schehen könnte.

In der Tat ist allerdings zu befürchten, dass der Ein-
satz länger dauern wird.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Davon gehen wir aus!)


Ich gehe davon aus, dass uns sowohl AFISMA als auch
EUTM Mali länger in Anspruch nehmen werden, als die
von der Bundesregierung beantragten zwölf Monate.
Trotzdem finde ich es gut, dass dieses Zeitfenster so ge-
wählt wird und sich dieses Parlament in einem vernünfti-

gen zeitlichen Abstand erneut mit dieser Mission be-
schäftigen muss.

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob
die Mission in ein Mandat des UN-Sicherheitsrats umge-
wandelt werden kann. Allerdings muss man hier kein
Prophet sein, um zu sagen, dass Deutschland auch unter
einem Blauhelm-Mandat eine wichtige Rolle spielen
muss.

Die Entscheidungen der Bundesregierung waren aus
Sicht der CDU/CSU-Fraktion gut und abgewogen. Die
heutigen Anträge sind folgerichtig, international abge-
stimmt, und sie sind verantwortbar. Deshalb bitte ich alle
Einsichtigen und alle Kolleginnen und Kollegen, die
sich verantwortungsbewusst, vor allem aber ideologie-
frei mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, um
Zustimmung.


(Zuruf von der LINKEN)


Und weil ich von „ideologiefrei“ gesprochen habe,
nehme ich einmal die Fraktion Die Linke aus.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722513300

Vielen Dank, Kollege Ingo Gädechens.


(Unruhe)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch zwei
Redner auf unserer Liste, und ich bitte um die notwen-
dige Aufmerksamkeit.

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Ute Koczy. Bitte schön,
Frau Kollegin.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722513400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Sahelzone ist gefährdet: extreme Armut,
Klimawandel, Nahrungskrisen, Bevölkerungswachs-
tum, Korruption, Menschenhandel, Waffenhandel, Dro-
genschmuggel – und Mali mittendrin.

Die dortige Ausbreitung von Islamisten war im
Grunde nur eine Frage der Zeit. Der Militäreinsatz
Frankreichs hat das Schlimmste abgewehrt. Jetzt müssen
die Weichen neu gestellt werden, und es braucht eine
afrikanisch geführte Lösung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die beiden Mandate sind wichtig. Sie sind aber nur
ein Notnagel. Der wirkliche Wiederaufbau muss viel
umfassender geleistet werden, langfristig angelegt sein
und natürlich die afrikanischen Staaten einbeziehen. Der
politische Prozess und darin die entwicklungspolitische
Zusammenarbeit muss kohärent, strategisch und multila-
teral angelegt sein.

Deutschland hat seit Beginn des Jahres 2013 den Vor-
sitz der Geberkonferenz für Mali. Doch davon hört man
wenig, vor allem nicht, was Deutschland mit dieser Auf-
gabe in Mali strategisch erreichen will. Die Ansagen aus





Ute Koczy


(A) (C)



(D)(B)

dem Haus des Entwicklungsministers Niebel sind viel zu
wenig konzeptionell, wenn man schon einmal den Vor-
sitz in dieser Geberkonferenz für Mali hat. Ich hätte es
richtig gefunden, wenn es parallel zur Diskussion über
die Mandate auch die Vorstellung – mindestens eine
Skizze – einer entwicklungspolitischen Agenda gegeben
hätte.

Die von Deutschland vor dem Putsch begleitete und
anerkannt wichtige Dezentralisierung muss wieder auf-
genommen werden. Nur wenn alle Regionen in Mali den
Eindruck haben, dass sie vom Staat profitieren werden
und Einfluss nehmen können, wird Mali zu Frieden und
zu einer gefestigten Staatsstruktur finden. Wenn dazu die
Budgethilfen beitragen, sind sie gut angelegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der tatsächliche Aufbau dauert Jahre, vielleicht auch
Jahrzehnte, und er muss an allen Orten stattfinden, Er-
nährungssicherheit schaffen, Frauenrechte im Blick
haben, Menschenrechte durchsetzen, Arbeit schaffen.
Der Aufbau muss in den Provinz- und Regionalregierun-
gen zu guter Regierungsführung und zu einer ausgewo-
genen Arbeitsteilung zwischen den Ebenen führen. Er
muss in der Gesellschaft zu Aussöhnung und Dialog füh-
ren. Dies alles sind Mammutaufgaben, die nur gelingen,
wenn afrikanische Staaten, Gebergemeinschaft und die
humanitären Organisationen an einem Strang ziehen.

Da ist es doch blamabel, wenn UNOCHA gestern
Alarm schlagen musste. Von den dringend erforderlichen
285 Millionen Euro sind erst 13 Millionen eingetroffen.
Die von Deutschland für dieses Jahr gewährte Hilfe von
1 Million Euro ist viel zu wenig. Wir fordern daher einen
Anteil von mindestens 6,73 Prozent an der UN-Hilfe.
Das wären mindestens 17,5 Millionen Euro. Dahinter
sind wir weit zurück

Mali braucht sinnvolle Pläne: Wo wird humanitäre
Hilfe am dringendsten gebraucht? Was passiert mit den
Vertriebenen, die hoffentlich bald zurückkehren? Wie er-
halten sie Saatgut? Wie werden Grundsteine für Ernäh-
rungssouveränität gelegt? Aber die Frage ist auch: Wie
stellen wir sicher, dass die Erträge aus den Rohstoffen
des Landes der Bevölkerung zugutekommen? Nicht nur
Frankreich wird beweisen müssen, dass es eine neue
Politik in Afrika gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch wir in Deutschland sind gefragt, zu zeigen, was
durch internationale Unterstützung jenseits des Militärs
funktioniert. Enttäuschen wir diese Hoffnungen nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1722513500

Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Reinhard

Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1722513600

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der Beginn eines jeden neuen Bundeswehreinsatzes will
wohlüberlegt sein, weil man mit diesem ersten Schritt im
Zusammenspiel mit internationalen Partnern Verantwor-
tung für ein Land und für Menschen übernimmt, zu der
man, wenn es nicht erwartungs- oder hoffnungsgemäß
läuft, auch stehen muss. Im Fall Mali wäre aber Nicht-
handeln verantwortungslos. Weder die Weltgemein-
schaft noch Europa noch Deutschland können sehenden
Auges zulassen, dass im Norden Afrikas ein Staat zer-
fällt und dass dort Rückzugs- und Operationsräume für
Terroristen entstehen – wie zum Beispiel für al-Qaida im
islamischen Maghreb –, deren politische Agenda nicht
auf diese Region begrenzt ist, sondern deren Ziel es auch
ist, unsere Sicherheit, unsere Art, zu leben, und unsere
freiheitliche demokratische Grundordnung zu bedrohen.
Selbst wenn die terroristische Anschlagsgefahr in Eu-
ropa momentan noch wenig konkret ist: Ein Staat, der
zerfällt, in dem es kein Recht und keine staatliche Ord-
nung mehr gibt, zieht natürlich organisierte Kriminalität,
Drogenhandel, Entführungen usw. an.

Ein Nichthandeln jetzt könnte dazu führen, dass zu ei-
nem späteren Zeitpunkt, wenn sich die Terroristen erst
einmal richtig festgesetzt haben, mit einem viel größeren
Aufwand gehandelt werden muss. Das ist aber auch
nicht einfach; denn gerade wir als westliche Welt müs-
sen uns nach den eher ernüchternden Erfahrungen, die
wir in Afghanistan machen müssen, genau überlegen,
wie wir wirkungsvoll Hilfe leisten können, ohne dass
wir falsche Erwartungen oder falsche Hoffnungen auf
den verschiedenen Seiten wecken.

Meine Damen und Herren, es ist heute in der Debatte
schon öfter angesprochen worden, dass es nur Hilfe zur
Selbsthilfe sein kann für den malischen Staat bzw. für
die benachbarten Staaten. Das Militär ist nur ein kleiner
Teil der Hilfe, über den wir heute abstimmen und der
deswegen diese große Prominenz erhält. Das ist aber si-
cher nicht der einzige Teil.

Was wir als Bundeswehr dazu beitragen können, ist
das, was wir bereits im Jahr 2005 begonnen haben, näm-
lich die Ausbildung malischer Streitkräfte im Bereich
der Pioniere und die militärische Ausstattungshilfe. An
diesem Punkt müssen wir weiter ansetzen. In den Berei-
chen, in denen wir Erfahrungen und Kompetenzen ha-
ben, sollten wir uns jetzt auch im Rahmen der EU-Aus-
bildungsmission einbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, neben der Ausbildungsun-
terstützung leisten wir noch einen weiteren Beitrag. Der
UN-Sicherheitsrat hat zur Unterstützung der Rückerobe-
rung des Nordens eine Militärmission mandatiert, die
von der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staa-
ten, ECOWAS, geführt wird. Die Truppen werden von
den Nachbarländern Malis gestellt. Wir werden diese
Truppen durch Lufttransport und Luftbetankung logis-
tisch unterstützen.

Diese beiden Bereiche für den Einsatz deutschen
Militärs sind meines Erachtens klug gewählt. Es ist





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)

wichtig, auch in der Öffentlichkeit festzuhalten, dass wir
uns damit nicht an Kampfoperationen beteiligen. Es ist
auch wichtig, festzuhalten, dass das nicht der einzige
Beitrag ist, den Deutschland leistet. Dazu kommt huma-
nitäre Hilfe. Dazu kommt Entwicklungszusammenar-
beit. Dazu kommt diplomatische Unterstützung, vor al-
lem durch den Dialog mit den gesprächsbereiten
Gruppen im Norden.

Entscheidend für Mali wird auch sein, dass es einen
politischen Fortschritt gibt; Kollegen haben das schon in
verschiedenen Reden angesprochen. Dies betrifft die
Vorbereitung und Durchführung von Wahlen, die politi-
sche Beteiligung aller rund 30 Ethnien, die Aussöhnung
von verfeindeten Gruppen, die Fortschritte bei der Ent-
wicklung in allen Landesteilen, die Integration der
Flüchtlinge usw.

Deutschland und seine Partner in der Europäischen
Union leisten dazu einen sinnvollen und auch realisti-
schen Beitrag, damit wir unsere Partner in Westafrika
befähigen, zu einer politischen Lösung zu kommen.

Ich möchte mich zum Schluss meiner Ausführungen
bei all denjenigen bedanken, die in Uniform oder in Zivil
diesen Auftrag für uns ausführen. Ich wünsche ihnen,
dass sie alle wieder gut nach Hause kommen. Ich wün-
sche ihnen auch, dass sie für ihren Einsatz jetzt eine
breite Unterstützung des Parlaments bekommen werden.

Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722513700

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir zu den beiden namentlichen Abstimmun-
gen zu den Anträgen der Bundesregierung kommen,
weise ich darauf hin, dass wir direkt im Anschluss eine
weitere namentliche Abstimmung und eine Wahl mit
Stimmkarte und Wahlausweis durchführen werden. Blei-
ben Sie also alle im Plenarsaal!

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
mit dem Titel „Entsendung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Beteiligung an der EU-geführten militärischen
Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Er-
suchens der Regierung von Mali sowie der Beschlüsse
2013/34/GASP des Rates der Europäischen Union (EU)

vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Ver-
bindung mit den Resolutionen 2071 (2012) und 2085

(2012) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“. Der

Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12520, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12367 anzunehmen. Wir stimmen
nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab.
Hierzu liegen mir schriftliche Erklärungen zur Abstim-
mung vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind
alle Plätze an den Urnen besetzt? – Jetzt sind alle Plätze

besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung.

Die obligate Frage: Ist noch jemand im Plenarsaal,
der seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.

Wir kommen nun, liebe Kolleginnen und Kollegen,
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/12543. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der
Grünen bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.

Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung mit dem Titel „Entsendung bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Unter-
stützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung

(AFISMA) auf Grundlage der Resolution 2085 (2012)

des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12522, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12368 anzunehmen. Auch über diese
Beschlussempfehlung stimmen wir namentlich ab. Ich
bitte erneut die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung über diese Beschluss-
empfehlung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.

Die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmun-
gen werden Ihnen später bekannt gegeben.2)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Zusatzpunkt 6 auf:

Dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Geset-
zes

– Drucksache 17/12033 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12400 Buchstabe a –

Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Petra Crone
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

1) Anlagen 6 bis 8 2) Ergebnisse Seite 27974 C und 27976 D





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur An-
nahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit der Mitglieder
des Deutschen Bundestages, das heißt mindestens 311
Stimmen, erforderlich.

Meine Damen und Herren, in der 222. Sitzung am
21. Februar 2013 ist in der dritten Beratung die vorge-
schriebene Feststellung, dass die erforderliche Mehrheit
vorliegt, unterblieben. Die Schlussabstimmung ist daher
zu wiederholen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wir stimmen über den Gesetz-
entwurf namentlich ab. Der Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12400, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12033 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Auch zu dieser Abstimmung liegt mir eine
persönliche Erklärung nach § 31 GO vor.1) Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze eingenommen? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.

Die obligatorische Frage: Ist noch jemand anwesend,
der seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 6 auf:

Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des
Grundgesetzes

– Drucksache 17/12462 –

Die Fraktion Die Linke schlägt auf Drucksa-
che 17/12462 den Kollegen Steffen Bockhahn vor.

Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren.

Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamenta-
rische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des
Bundes ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt,
wer mindestens 311 Stimmen erhält.

Die Wahl erfolgt mit Stimmkarte und Wahlausweis.
Den Wahlausweis können Sie – soweit noch nicht
geschehen – Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby ent-
nehmen. Bitte achten Sie unbedingt darauf, dass der
Wahlausweis auch wirklich Ihren Namen trägt. Die
Stimmkarten wurden im Saal verteilt. Sollten Sie noch
keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch die Möglich-
keit, diese von den Plenarassistenten zu erhalten.

Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei
„ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind demzu-
folge Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein
Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.

Diese Wahl findet offen statt. Sie können Ihre Stimm-
karte also an Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die
Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben
Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an
den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Der Nachweis der
Teilnahme an der Wahl kann nur durch Abgabe des
Wahlausweises erbracht werden.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist erfolgt.
Dann eröffne ich die Wahl.

Ich glaube, es ist Ruhe eingekehrt; also haben alle ge-
wählt. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später be-
kannt gegeben.3)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie
Zusatzpunkt 7 auf:

9 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Kerstin Andreae, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Privatisierung der Wasserversorgung
durch die Hintertür

– Drucksache 17/12394 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Katrin Kunert, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

zu dem Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Konzes-

(KOM dok. 18960/11)

hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundge-
setzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union

Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung
verhindern

– Drucksache 17/12482 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martin Schwanholz, Manfred Nink, Wolfgang
Tiefensee, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-
päischen Parlaments und des Rates über die

1) Anlage 9
2) Ergebnis Seite 27979 C 3) Ergebnis Seite 27984 B





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Konzessionsvergabe

(KOM hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Kommunale Versorgungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleistungskonzessionen insbesondere für den Bereich Wasser ablehnen – Drucksache 17/12519 – Über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie über den Antrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nicht mehr zuhören will, den bitte ich, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen, damit wir in Ruhe weiter debattieren können. – Bitte schön, Kollegin Haßelmann. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Besucherinnen und Besucher des Deutschen Bundestages! Wir reden heute über drei Anträge, nämlich einen Antrag von uns Grünen, einen Antrag der SPD und einen Antrag der Linken zur EU-Richtlinie zum Thema „Vergabe von Dienstleistungskonzessionen“; vielen der Bürgerinnen und Bürger bekannt unter dem Schlagwort „Wasser ist ein Menschenrecht“ und der entsprechenden Initiative für eine Europäische Bürgerinitiative; über 1 Million Menschen haben sich bereits gegen diese EU-Richtlinie ausgesprochen. Wir haben aber hier im Deutschen Bundestag noch nie inhaltlich über das Thema öffentlich diskutiert. Deshalb haben wir das für diese Sitzung zu einem Debattenpunkt gemacht. Wir fordern in unserem Antrag, die EU-Konzessionsrichtlinie so auf gar keinen Fall zu verabschieden. Die Richtlinie muss in der vorliegenden Form gestoppt werden; denn sie wird in einem Verfahren durch die Hintertür zu einer Privatisierung der Wasserversorgung führen. Sie wird viele kommunale Stadtwerke, Zweckverbünde und interkommunale Kooperationen gefährden, und das wissen alle. Alle hier im Saal wissen das, auch und insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU; denn die haben sich mit diesem Thema auch auf ihrem Parteitag befasst, aber nicht hier im Bundestag. Es ist so: Heute und auch im Dezember hat Deutschland dieser EU-Richtlinie im EU-Ministerrat in den entsprechenden Ausschüssen in unveränderter Form zugestimmt, er lässt diese Richtlinie passieren. Das alles geschieht durch das Wirtschaftsministerium. Man ist der Auffassung, diese Art von Dienstleistungskonzessionen der Ausschreibung zu unterwerfen, gefährde nicht die kommunalen Stadtwerke. Das wird aber der Fall sein. Wir werden demnächst mit europaweiten Ausschreibungen für Wasserversorgungskonzessionen konfrontiert sein. Deshalb müssen wir uns hier im Bundestag positionieren und gegen diese Richtlinie vorgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


(Unruhe)

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722513800

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während wir heute das Thema im Bundestag beraten,
hat Deutschland wieder eine Chance verpasst. Deutsch-
land hat nämlich, anders als Österreich, nicht zuge-
stimmt, dass Änderungen an der Richtlinie vorgenom-
men werden. Unser Ständiger Vertreter hat heute in der
EU Österreich im Stich gelassen und nicht dafür ge-
stimmt, dass sich Deutschland für die entsprechenden
Änderungen der EU-Richtlinie einsetzt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist skandalös!)


Die öffentlichen Aktionen von CDU und CSU und
das bisherige Verhalten der schwarz-gelben Bundes-
regierung gehen völlig auseinander. Das müssen wir
offenlegen. Das ist so nicht hinnehmbar. So viel Schein-
heiligkeit auf einmal ist wirklich zu viel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doppelzüngig!)


Meine Damen und Herren von der CDU, wir haben es
Ihnen eigentlich leicht gemacht; denn wir stellen heute
den Beschluss, den Sie im Dezember auf Ihrem Parteitag
gefasst haben, eins zu eins in einem Antrag zur Abstim-
mung. Es kann doch nicht sein, dass Sie den ganzen
Kommunalos flammend erklären, Sie sind gegen diese
Richtlinie, und gleichzeitig lassen Sie den Rösler laufen,
der die Richtlinie eins zu eins passieren lässt, so wie das
Barnier und andere Wettbewerbsleute in Brüssel wollen.

Sie müssen Ihren Leuten vor Ort erklären, wie Sie
eine solche Spaltung des Bewusstseins hinbekommen.
Auf Ihrem Parteitag sind Sie radikal gegen die EU-
Richtlinie, und hier im Deutschen Bundestag ducken Sie
sich weg und lassen die schwarz-gelbe Bundesregierung
agieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch schlimmer ist es bei der CSU.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die sind genauso scheinheilig!)


Bayern bringt morgen gemeinsam mit Nordrhein-West-
falen eine Entschließung gegen diese Richtlinie in den
Bundesrat ein. Wie ich sehe, sind Horst Seehofer und
Alexander Dobrindt heute gar nicht hier.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gähnende Leere hier!)


Das kann ich auch gut verstehen; denn das ist für sie ein
unbequemes Thema. Sie äußern sich öffentlich, dass Sie





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters

Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt

Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
massiv gegen diese Richtlinie vorgehen wollen. Sie ha-
ben gesagt: Man muss einen Riegel vorschieben, eine
harte Gangart einlegen. – So lauteten die Formulierun-
gen gegen die Richtlinie. Ich bin gespannt, ob Sie heute
hier im Bundestag unserem Antrag, der ja eigentlich Ihr
Parteitagsbeschluss ist, wirklich zustimmen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722513900

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722514000

Ich fordere Sie auf: Bekennen Sie Farbe! Stoppen Sie

diese Richtlinie! Hören Sie von CDU und CSU vor allen
Dingen mit dem scheinheiligen Spiel: auf Parteitagen
gegen diese Richtlinie zu stimmen, aber am Ende hier im
Deutschen Bundestag nichts dagegen zu tun! Hören Sie
auf, zu behaupten, dass sich durch die Aussagen von
Barnier irgend etwas geändert hätte. Der EU-Kommissar
hat eine Ankündigung gemacht, die Richtlinie aber nicht
verhindert.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722514100

Frau Kollegin!


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722514200

Das ist das Problem. Es ist daher gut, dass wir dieses

Thema heute diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722514300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch darf

ich die Ergebnisse der drei namentlichen Abstimmun-
gen bekanntgeben.

Zunächst zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung „Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur
Beteiligung an der EU-geführten militärischen Ausbil-
dungsmission EUTM Mali.“ Das sind die Druck-
sachen 17/12367 und 17/12520. Abgegebene Stimmen:
567. Mit Ja haben gestimmt 496 Abgeordnete, mit Nein
haben gestimmt 67, Stimmenthaltungen 4. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen worden.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon

ja: 496
nein: 67
enthalten: 4

Ja

CDU/CSU

Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich

Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke

Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn

Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe

Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Christiane Ratjen-
Damerau

Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


DIE LINKE

Jutta Krellmann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae

Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin

FDP

Frank Schäffler

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay

Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele

fraktionsloser
Abgeordneter

Wolfgang Nešković

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Peter Gauweiler

SPD

Marco Bülow
Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar

Wir kommen zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundes-
regierung „Entsendung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Unterstützung der Internationalen Unterstüt-

zungsmission in Mali unter afrikanischer Führung

(AFISMA)“. Das sind die Drucksachen 17/12368 und

17/12522. Abgegebene Stimmen: 566. Mit Ja haben ge-
stimmt 492 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 66,
Stimmenthaltungen 8.
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz

Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius

Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

SPD

Klaus Barthel
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Oliver Luksic
Horst Meierhofer

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender

Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland

Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon

ja: 492
nein: 66
enthalten: 8

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz

Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder

Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)


Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel

Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin

Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender

Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth


(Quedlinburg Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein SPD Klaus Barthel Waltraud Wolff FDP Frank Schäffler DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck Manfred Behrens Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer Axel E. Fischer (Karlsruhe Land)


(Wolmirstedt)





(A) (C)


(D)(B)


(Reutlingen)


(Bönstrup)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig

Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek

Schwenningen)
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon

ja: 312
nein: 126
enthalten: 125

Ja

Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann

Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund

Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(VillingenDr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Dorothée Menzner Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Paul Schäfer Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Nešković Enthalten CDU/CSU Dr. Peter Gauweiler SPD Marco Bülow Petra Hinz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Beate Müller-Gemmeke Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Ich komme zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines „Ersten Gesetzes zur Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes“. Das sind die Drucksachen 17/12033 und 17/12400. Abgegebene Stimmen: 564. Mit Ja haben gestimmt 313 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 126 Abgeordnete, Stimmenthaltungen 125. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein)





(A) (C)


(D)(B)


(Wiesbaden)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg

Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk

Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen

Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius

Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

fraktionsloser
Abgeordneter

Wolfgang Nešković

Wir setzen die Debatte zum Thema Wasserversorgung
fort. Das Wort hat nun Ulrich Lange für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Jetzt bin ich gespannt: Zwölf Minuten, eine lange Zeit!)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1722514400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Dass die CSU keine Angst hat, zeigt sich schon daran,

dass die gesamte Redezeit der Union heute auf die CSU
fällt. So stehe ich hier.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU ist abgetaucht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wenn Sie
doch auch sonst so auf unsere Parteitagsbeschlüsse und
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering

Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf

Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Paul Schäfer (Köln)


Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

unsere Vorschläge wie zum Beispiel zum Steuerrecht
eingehen würden! Wir würden uns über diese Nähe
freuen, die Sie heute beim Wasser zeigen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wenn sie gut sind!)


Aber es zeigt sich natürlich, dass dieser Antrag vor al-
lem eines hat: Er hat populistischen Charakter. Um nicht
mehr und nicht weniger geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinheilig!)


Wenn es Ihnen um die Sache geht, dann treten Sie
jetzt an unsere Seite und hören sich zunächst einmal in
Ruhe an, was wir zu sagen haben.

Klar ist, dass in Brüssel mal wieder die Technokraten
regieren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es regiert die FDP, das ist das Problem!)


Ich sage es so offen: Wenn wir noch mehr für Europa
frustrierende Ergebnisse haben wollen wie in Italien,
dann müssen wir so weitermachen. Es bedarf des Drucks
aus diesem Hause, es bedarf des Drucks aus dem Euro-
päischen Parlament, damit man in Brüssel überhaupt
begreift, was die Menschen beschäftigt und bewegt. Sie
bewegt und beschäftigt das Thema Trinkwasser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines hat die Kommission leider immer noch nicht
begriffen. Das ist das Subsidiaritätsprinzip. Deswegen
– ich kann mich dem nicht verschließen – möchte ich der
EU-Kommission eine kurze juristische Nachhilfe geben.
Ich hoffe, dass sich in Brüssel jemand die Mühe macht,
das zu lesen.

Ich möchte auf Art. 5 Abs. 3 des Vertrags über die
Europäische Union hinweisen. Dort heißt es ganz klar:

Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in
den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche
Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit
die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen
von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch
auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend ver-
wirklicht werden können, sondern vielmehr wegen
ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen auf Unions-
ebene besser zu verwirklichen sind.

Die Kommission ist sicherlich die Falsche, die diese
Aufgabe wahrnehmen könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es handelt sich nicht um eine Aufgabe, die auf die
Unionsebene gehört. Jahrzehntelang haben unsere Kom-
munen, unsere kommunalen Versorger für hohe Qualität
bei der Wasserversorgung gesorgt. Aus den Wasserroh-
ren unserer Städte und Gemeinden kommt qualitativ

hochwertiges Wasser, und das wollen wir so beibehalten –
auch im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie zustimmen!)


Auch der EuGH – wenn ich schon bei der juristischen
Nachhilfe bin, spreche ich auch ihn an – sieht hier kei-
nen Regelungsbedarf:


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)


„Ein besonderer Regelungsbedarf für die Dienstleis-
tungskonzession ist nicht ersichtlich“, so der EuGH.
Dies unterstrich er im März 2011.

Aber nein, die Kommission weiß es besser und legt
unter dem Deckmantel von Transparenz und Rechts-
sicherheit eine Richtlinie vor. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, Wasser ist kein gewöhnliches Handelsgut,
sondern ein wichtiges Lebensmittel!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Bravo! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Deutschland hat zugestimmt! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen reden Sie hier eigentlich?)


Daher steht die Wasserversorgung unter unserer beson-
deren Beobachtung.


(Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beobachten reicht nicht!)


Ich will hier jetzt nicht weiter auf Herrn Barnier und
den Kommissionsvorschlag eingehen. Man kann die ers-
ten Hoffnungsschimmer haben, dass die Vernunft Einzug
hält. Mit dem, was bisher vorgelegt worden ist, sind wir
nicht zufrieden. Ich unterstreiche das: nicht zufrieden!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen die Debatte über dieses Thema – auch das
sage ich ganz deutlich – nicht ideologisch unter dem
Titel „Liberalisierung/Privatisierung versus Rekommu-
nalisierung“ führen, sondern wir führen diese Debatte
unter dem Gesichtspunkt, dass die Vorteile im Bereich
der Wasserversorgung klar aufseiten der Kommunen lie-
gen und nicht aufseiten der großen Konzerne.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Petra Ernstberger [SPD]: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung!)


Unsere Kommunen liefern seit Jahren und Jahrzehn-
ten – ich erlaube mir, das als Kommunalpolitiker zu sa-
gen – Trinkwasser in Topqualität.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722514500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Haßelmann?


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1722514600

Nein. Ich erkläre das. Sie kann danach fragen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


Unsere Kommunen stehen für die Qualität des Pro-
duktes, und sie kennen die Strukturen vor Ort. Unser
Wasser ist ein Stück regionale Wertschöpfung. Auch
diese regionale Wertschöpfung sollten wir pflegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Bettina Hagedorn [SPD]: Ha, ha, ha!)


An dieser Stelle erlaube ich mir, auch wenn Sie, liebe
Kollegin, „Ha, ha, ha!“ sagen, da ich Kommunalpolitiker
bin, einen kleinen Exkurs zur Bayerischen Rieswasser-
versorgung in meinem Wahlkreis. Auch dort sieht man
das, was aus Brüssel kommt, sehr skeptisch. Auch dort
hat man die Sorge, dass schleichend eine Privatisierung
der Wasserwirtschaft beginnt. Natürlich hat man vor Ort
auch Angst, wem sich eventuelle Großunternehmen am
Ende verpflichtet fühlen: dem Gewinn oder der guten
Wasserversorgung? Die Unsicherheit ist also vor Ort an-
gekommen. Diese nehmen wir als CDU/CSU auf;


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie stimmen unserem Antrag zu! Das ist sehr schön!)


denn eines ist klar: Wasser darf nicht zum Spekulations-
objekt werden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie können gleich weiterklatschen, die ganze Runde
kann weiterklatschen: Hier hört die Liberalisierung auf!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Kein Applaus bei der FDP!)


Wir führen eine Debatte über Wasser, Strom und an-
dere Versorgungsbereiche. Ich möchte diese Diskussion
nicht vertiefen, weil man nicht alles miteinander verglei-
chen kann. Es gibt gutes und gesundes Wasser, aber es
gibt keinen guten und keinen ungesunden Strom. Des-
wegen bitte ich, diese Differenzierung zu akzeptieren.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es spannend!)


Jetzt geht es darum, dass wir versuchen, diese Dienst-
leistungskonzessionsrichtlinie in Brüssel zu kippen oder
wenigstens den sensiblen Bereich der Wasserversorgung
aus der Richtlinie zu nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu stehen wir als CDU/CSU, auch in dieser Deutlich-
keit.

Es geht jetzt darum, dass wir den neuesten Vorschlag
aufgreifen und an dieser Stelle weiterarbeiten. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt darum, für eine
gute Wasserversorgung zu verhandeln. Es geht nicht da-
rum, hier mit populistischen Anträgen


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Text ist doch von der CDU!)


ein großes Buhei zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielmehr geht es darum, daran zu arbeiten, dass die
Wasserversorgung in Deutschland die jetzige Qualität
behält.

Liebe Bundesregierung, verehrtes Wirtschaftsministe-
rium, Wasser ist ein Stück Lebensqualität. In diesem
Sinne: Nein zur Privatisierung! Dafür steht auch die
Union.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinz-Peter Haustein [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722514700

Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Britta

Haßelmann das Wort.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722514800

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Lange,

ich fand es schade, dass Sie keine Zwischenfrage zuge-
lassen haben. Aber nach den Pirouetten, die Sie gerade
gedreht haben – nach dem Motto: Sie haben mit Ihrem
Antrag vollinhaltlich recht; wir fordern eigentlich das
Gleiche, können dem Antrag aber nicht zustimmen –,
weiß ich, warum Sie keine Frage zugelassen haben.

Sie haben die ganze Zeit auf die EU-Kommission und
auf diejenigen geschimpft, die diese Richtlinie verbro-
chen haben. Wir teilen Ihre Kritik. Das haben Sie an
meinen Ausführungen gehört. Wir sind da Seit’ an Seit’
mit der CSU. Morgen wird auch das rot-grün regierte
Land Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Bayern im
Bundesrat vorgehen.

Aber bitte nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis,
Herr Lange, dass Deutschland – das Wirtschaftsministe-
rium – am 11. Dezember im EU-Ministerrat dem Ent-
wurf der EU-Richtlinie ohne jede sektorale Ausnahme
für den Wasserbereich zugestimmt hat


(Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)


und dass heute, als im Ausschuss der Ständigen Vertreter
der Mitgliedstaaten darüber beraten wurde, was man ei-
gentlich noch machen kann, um diese Richtlinie zu ver-
hindern, Deutschland – die schwarz-gelbe Bundesregie-
rung, das Wirtschaftsressort – sich nicht hat durchringen
können, mit Österreich Einspruch gegen das Verhand-
lungsmandat für die Richtlinie zu erheben, mit dem Ziel,





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

die Wasserversorgung herauszuverhandeln. Das hat
heute der deutsche Vertreter abgelehnt.

Von daher hatte ich recht mit der Einschätzung: Bei
manchen liegt da eine Art Bewusstseinsspaltung vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722514900

Kollege Lange, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], zur CDU/CSU gewandt: Auf euer Abstimmungsverhalten bin ich gespannt!)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1722515000

Liebe Frau Kollegin, ich fühle mich bei vollem Be-

wusstsein; ich erlaube mir, das so zu sagen. Ich glaube
auch, dass ich meine Ausführungen bei vollem Bewusst-
sein getätigt habe und dass sie schlüssig waren. Wir sind
da ja nah beieinander. Wenn Sie mir ganz genau zuge-
hört haben, dann haben Sie am Ende meiner Rede eine
Aufforderung eines Parlamentariers, einer Fraktion an
die Bundesregierung vernommen.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722515100

Liebe Kollegen, zwischendurch – gewissermaßen zur

Beruhigung – teile ich das Ergebnis der Wahl eines
Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums
gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes mit: abgegebene
Stimmen 565, ungültige Stimmen 2, gültige Stimmen
563. Mit Ja haben gestimmt 449, mit Nein haben ge-
stimmt 70, Enthaltungen 44. Der Abgeordnete Steffen
Bockhahn hat 449 Stimmen erhalten. Die erforderliche
Mehrheit von mindestens 311 Stimmen wurde erreicht.
Damit ist der Kollege Bockhahn Mitglied des Parlamen-
tarischen Kontrollgremiums.1)


(Beifall)


Nun erteile ich dem Kollegen Martin Schwanholz für
die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Schwanholz (SPD):
Rede ID: ID1722515200

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Herr Lange, ich bin gespannt, wie Sie abstim-
men werden. Ich glaube, das interessiert uns alle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Wasser ist Leben – diesen Titel trägt ein

vom Bundesministerium für Umwelt herausgegebenes
Arbeitsheft für Schülerinnen und Schüler der Grund-
schule. Nun kann ich verstehen, dass Herr Rösler – er ist
jetzt nicht da – nichts liest, was von Herrn Altmaier
kommt. Aber in diesem Fall bin ich wohl nicht der Ein-
zige, der sich gewünscht hätte, dass der Bundeswirt-
schaftsminister vor den Verhandlungen zur Konzessions-
richtlinie einmal einen Blick in dieses Heft geworfen
hätte. Denn dann würde er sich nicht einfach über die
mehrfach über alle Fraktionsgrenzen geäußerten Beden-
ken hinwegsetzen.

Sicherlich gibt es für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher sowie für die öffentliche Hand gewinnbrin-
gende Privatisierungsvorhaben – ich sage das ausdrück-
lich auch in Richtung der FDP –, aber der Bereich der
Wasserversorgung zählt eindeutig nicht dazu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wasser ist ein lebensnotwendiges Gut. Eine qualitativ
hochwertige und bezahlbare Wasserversorgung muss
Ziel guter Politik bleiben. Daher lehnen wir als SPD-
Bundestagsfraktion eine Ausschreibungspflicht für den
Bereich Wasser grundsätzlich ab. Wir fordern, öffentliche
Träger der Wasserversorgung aus der Richtlinie auszu-
nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Wasserversorgung als Teil der Daseinsvorsorge
liegt in Deutschland größtenteils in öffentlicher Hand.
Der Vertrag von Lissabon sichert den Kommunen das
Recht der eigenverantwortlichen Erbringung der Leis-
tungen der Daseinsvorsorge zu. Die aktuellen Be-
schlüsse stellen jedoch einen massiven Eingriff in die
Gestaltungsfreiheit dar und verletzen damit das Prinzip
der Subsidiarität, das Sie bei der CSU sonst immer so
hochhalten. Auch der Bundesrat hat diese Bedenken
mehrfach erhoben und wird dies in seiner morgigen Sit-
zung noch einmal tun.

Es gibt keinen ersichtlichen Grund, unsere gute und
bezahlbare öffentliche Wasserversorgung dem Wettbe-
werb zu unterwerfen. Wir müssen nur in große europäi-
sche Hauptstädte blicken – Berlin, Paris, London –, um
zu sehen, mit welchen Risiken die Privatisierung der
Wasserversorgung einhergeht. Hier wurden wichtige In-
vestitionen aus übertriebenem Gewinnstreben nicht
mehr getätigt. Das Ergebnis ist eine unhaltbare Situation
für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Stiftung
Warentest kommt in einer Analyse aus dem Jahr 2012 zu
dem Ergebnis: Die deutsche Wasserversorgung ist gut
und preiswert, und mehr Privatisierung bringt keinen
Mehrwert.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch der aktuelle Kompromissvorschlag von Herrn
Barnier, die Wasserversorgung nur auszunehmen, wenn
sie zu 100 Prozent in öffentlicher Hand ist, ist blanker
Unsinn, zumal bei Stadtwerken, die als GmbH oder als

1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl
siehe Anlage 2





Dr. Martin Schwanholz


(A) (C)



(D)(B)

AG organisiert sind, die Grenze der 80-prozentigen Er-
bringung innerhalb der Kommune vollkommen willkür-
lich gesetzt ist. Auch ist zu befürchten, dass sich der von
der Richtlinie ausgehende Liberalisierungsdruck auf an-
dere Bereiche wie die Gesundheitswirtschaft, also Alten-
heime und Krankenhäuser, ausdehnen wird. Die Folgen
wären unabsehbar.

Festzuhalten bleibt: Die Merkel-Regierung hat sich in
keiner Weise für die vielfach artikulierten Interessen der
Bürgerinnen und Bürger für eine Wasserversorgung in
öffentlicher Hand eingesetzt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielmehr hat sie dem Vorschlag der Kommission im Rat
zugestimmt und somit billigend in Kauf genommen,
dass die hochwertige und bezahlbare Wasserversorgung
in Deutschland gefährdet wird. Über einen entsprechen-
den Parteitagsbeschluss der CDU vom vergangenen De-
zember hat sich Frau Merkels Bundeswirtschaftsminister
einfach hinweggesetzt. Für die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion schreibt deren stellvertretender Fraktionsvorsit-
zender Herr Singhammer – ich zitiere –:

Es besteht zu Recht die Befürchtung, dass nach ei-
ner Privatisierung nur noch die Erzielung von mög-
lichst hohen Renditen im Vordergrund steht.

Recht hat er, der Herr Singhammer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Umso verwunderlicher finde ich es, dass Frau Merkel
höchstpersönlich in einem Schreiben Anfang Januar an
Verdi und den Bundesverband der Energie- und Wasser-
wirtschaft den Vorschlag der Kommission grundsätzlich
begrüßt hat.

Als Ergebnis dürfen wir also festhalten: die Konser-
vativen in Deutschland dagegen, die deutschen Kon-
servativen in Europa dafür, Teile der FDP dagegen, die
Regierung in Deutschland dafür. Das Chaos in der
Merkel-Truppe ist wieder einmal perfekt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Klartext. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
meine Fraktion fordert Sie und die Bundesregierung auf:
Verhandeln Sie in Brüssel nach. Setzen Sie sich endlich
dafür ein, die gute öffentliche Wasserversorgung und die
hohe Qualität der deutschen Gesundheitswirtschaft zu
schützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722515300

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär

Hans-Joachim Otto.


(Beifall bei der FDP)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722515400


Herr Präsident! Liebe Kollegin Haßelmann, lieber
Kollege Dr. Schwanholz, wenn ich mir Ihre Redebei-
träge hier anhöre,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lange doch auch! Der ist auf unserer Seite!)


dann erkenne ich, was die wahrhaft weder konservative
noch markthörige Zeitung Die Zeit meinte, als sie kürz-
lich von der Wasserlüge sprach. Hier läuft eine Kampa-
gne, in der mit Unwahrheiten und Irreführungen


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


die Ängste der Bürgerinnen und Bürger geschürt werden
sollen. Bauen Sie doch keinen Popanz auf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie wissen es genauso gut wie ich: Es wird auch künftig
keinen Zwang zur Privatisierung der Wasserversorgung
geben, weder direkt noch durch die Hintertür.


(Dr. Martin Schwanholz [SPD]: Nein! Das ist falsch! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal die Wasserversorgungsunternehmen, was die dazu sagen!)


Natürlich können die Kommunen auch künftig frei da-
rüber entscheiden, in welcher Form, ob kommunal oder
privat, sie die Versorgung ihrer Bürger mit Wasser ge-
währleisten wollen. Etwas anderes stand übrigens auch
nie im Zusammenhang mit der Konzessionsrichtlinie zur
Debatte.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722515500

Herr Kollege Otto, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Haßelmann?

H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722515600


Da kann ich ja nicht widerstehen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: 5 Euro in die Chauvi-Kasse! – Gegenruf der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU]: Musst du gerade sagen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722515700

Na! – Bitte schön.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722515800

Wenn schon Herr Kampeter vorschlägt, 1 Euro in die

Chauvi-Kasse zu zahlen, kann ich nur sagen: Er muss es
wissen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: 5 Euro!)






Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, wir würden
einen Popanz aufbauen und von Zwangsprivatisierung
reden, muss ich annehmen, dass Sie meiner Rede nicht
zugehört haben; –

H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722515900


Oh doch!


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722516000

– denn ich habe das Wort „Zwangsprivatisierung“

überhaupt nicht in den Mund genommen.

Das Perfide ist – da bin ich mir wahrscheinlich mit
Herrn Lange, Herrn Dobrindt, Herrn Seehofer und den
Kolleginnen und Kollegen von SPD, Linken und Grünen
einig –, dass Herr Barnier diese EU-Richtlinie so konzi-
piert hat und jetzt davon spricht, dass zu 100 Prozent
kommunale Unternehmen ausgenommen werden könn-
ten. Dieser Vorschlag liegt allerdings noch nicht vor;
verkaufen Sie das von daher bitte nicht als Erfolg.

Jeder weiß, dass diese hohen Hürden von kommuna-
len Unternehmen nicht erfüllt werden können. Sie kön-
nen auch dann nicht erfüllt werden, wenn ein kommuna-
les Unternehmen mehr als 20 Prozent des Auftrags
außerhalb des eigenen Gebietes erfüllt. Dann ist eine eu-
ropaweite Ausschreibung vorgesehen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)


Das ist das Perfide, und Sie versuchen gerade, das zu
verkleistern. Es ist doch so, dass zwei Hürden gesetzt
worden sind, und es ist so, dass über die Hälfte der Stadt-
werke privates Kapital in sich hat und deshalb europa-
weit ausschreiben muss. Das wissen Sie doch, oder?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich ja mal auf den Popanz gespannt, der da wieder aufgebaut wird!)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722516100


Liebe Frau Kollegin, zunächst einmal: Es wäre sinn-
voll gewesen, Sie hätten mich ein paar Worte sagen las-
sen. Dann hätte sich nämlich manches, wonach Sie ge-
rade gefragt haben, erledigt.

Da Sie uns vorwerfen, wir würden hier perfide vorge-
hen, muss ich Sie darauf hinweisen: Ich halte es für per-
fide, den Menschen einzureden, dass diese Konzessions-
richtlinie an der bisherigen Rechtslage irgendetwas
ändert. Sie entspricht eins zu eins der bisherigen Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Materiell verändert sich nichts. Es soll nur Rechtssicher-
heit geschaffen werden.

Liebe Frau Kollegin Haßelmann, wenn ich Sie noch
eine Sekunde um Ihr geschätztes Ohr bitten darf: Es ist

ja keineswegs so, dass nur Sie, Frau Kollegin
Haßelmann, und der Kollege Schwanholz solche Dinge
verbreiten. So etwas wird hier auf breiter Front erzählt.
Sie, liebe Frau Kollegin Haßelmann, sprechen von einer
Privatisierung durch die Hintertür.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Herr Schwanholz sagt, das laufe zwangsläufig auf eine
Privatisierung hinaus. Mit Verlaub, liebe Kollegen: Ich
halte dies für Unsinn, um es Ihnen ganz klar zu sagen.
Ich halte das für übertrieben.

Was die Mehrspartenunternehmen angeht, sollten Sie
mich einfach einmal ausreden lassen. Dann werde ich
dazu noch etwas sagen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722516200

Herr Kollege Otto, es gibt den Wunsch nach einer

weiteren Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Lenkert.

H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722516300


Meine Güte ist heute unbegrenzt. Wir haben uns ja
schon in der Fragestunde in der letzten Woche darüber
unterhalten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich auch noch eine Frage stellen, Herr Otto?)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722516400

Ja, genau, Herr Staatssekretär Otto. Wir haben schon

letzte Woche geklärt, dass das Wirtschaftsministerium
dieser Richtlinie bei der EU-Kommission in dieser Form
zugestimmt hat.

Sie haben eben auf die Frage geantwortet, dass diese
Konzessionsrichtlinie nichts, aber auch gar nichts an der
Rechtslage ändert. Angenommen, Sie haben recht, dann
verschwenden Sie gerade die Arbeitszeit vieler Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter sowohl in Brüssel als auch in
Berlin, weil sie an einer Richtlinie arbeiten würden, die
nichts verändert. Wenn dem aber nicht so ist, dann er-
zählen Sie hier die Unwahrheit. Deswegen frage ich Sie:
Setzen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in
Berlin und Brüssel an der Konzessionsrichtlinie arbei-
ten, dafür ein, an etwas zu arbeiten, das nichts verändert?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722516500


Lieber Herr Kollege, schade, dass Sie mir letzte Wo-
che nicht zugehört haben; denn ich habe schon in der
letzten Woche versucht, Ihnen das zu erklären. Die
Dienstleistungskonzession ist bisher nicht gesetzlich ge-
regelt; vielmehr ergibt sich die Vergabepflichtigkeit von
Dienstleistungskonzessionen aus der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat eine Kaskade
von Entscheidungen und Urteilen ausgelöst und hat da-





Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto


(A) (C)



(D)(B)

mit Rechtsunsicherheit herbeigeführt. Wir wollen gerade
die Kommunen und die Unternehmen von dieser Rechts-
unsicherheit entlasten.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Deswegen ist es notwendig, dass hier klare Verhältnisse
geschaffen werden.

Im Kern allerdings – das will ich betonen – ändert sich
an der Rechtslage nichts. Wir sind der Auffassung: Sobald
Private im Spiel sind – Frau Kollegin Haßelmann, wenn
Sie mir Ihr Ohr leihen –, darf es nicht zu einer freihändi-
gen Vergabe unter der Hand oder unter dem Tisch kom-
men, weil das Korruption und Günstlingswirtschaft be-
fördern würde.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Deswegen verstehe ich Ihr Geschrei in dieser Frage
nicht.

Herr Präsident, wenn Sie erlauben, würde ich jetzt
gerne mit meiner Rede fortfahren.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
will noch einmal klarstellen: Nur dann, wenn ein priva-
tes Unternehmen mit einer Leistung betraut werden soll,
muss aus Gründen der Fairness ein transparentes und
diskriminierungsfreies Vergabeverfahren durchgeführt
werden. Das ist, wie ich eben schon sagte, auch ein ge-
eignetes Mittel im Kampf gegen Günstlingswirtschaft
und Korruption, der uns doch allen am Herzen liegen
sollte.

Liebe Frau Kollegin Haßelmann, am Montag fand im
Wirtschaftsausschuss eine Anhörung zu einem Gesetz-
entwurf Ihrer Fraktion statt. Thema war die Einführung
eines Korruptionsregisters speziell für öffentliche Verga-
ben. Wie, liebe Frau Kollegin Haßelmann, passt das zu-
sammen mit dem Widerstand Ihrer Fraktion gegen
Transparenzregeln bei den Wasserkonzessionen? Ich
frage Sie: Ist denn beim Wasser Vetternwirtschaft wich-
tiger als Transparenz?


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Richtige! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja unglaublich!)


Bevor Sie hier schreien, sollten Sie auch wissen, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: In einem Ver-
gabeverfahren darf nicht etwa nur allein der Preis über
den Zuschlag entscheiden. Selbstverständlich können
hohe Anforderungen an die Qualität der Leistung, die In-
vestitionen in Netze oder Umweltaspekte maßgeblich
berücksichtigt werden. Seien Sie sicher: Niemand in
Deutschland muss künftig sein Wasser abkochen, weil
wir Transparenz einfordern.

Die Opposition beruft sich auf die Resolution der
UNO-Vollversammlung. Hätte sich die Opposition nur
mal die Mühe gemacht, die Resolution zu lesen, dann
wäre ihr aufgefallen: Ausschreibungen werden darin
nicht untersagt.

Was mitunter gern übersehen wird: Auch heute schon
werden Konzessionen nicht im rechtsfreien Raum verge-
ben. Zum Glück gibt es schon gewisse Vorgaben für
Transparenz und gegen Diskriminierung. Das, worüber
wir hier diskutieren, haben nicht wir uns ausgedacht,
sondern der Europäische Gerichtshof. Selbst wenn Sie
die Richtlinie ablehnen, haben Sie die gleiche Rechts-
lage, nur mit mehr Rechtsunsicherheit.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Totaler Quatsch!)


Wir wollen also Rechtssicherheit schaffen für die Kom-
munen, weil diese wissen sollen, wie ein Anbieter im
Einzelnen auszuwählen ist, sowie für die Unternehmen,
weil diese künftig Vergabeentscheidungen rechtlich ein-
wandfrei überprüfen lassen können.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Aha!)


Sie können sicher sein: Wir haben uns in Brüssel da-
für eingesetzt und werden das auch weiterhin tun, dass
die Kommunen auch künftig frei darüber entscheiden
können, wie sie ihre Wasserversorgung organisieren
wollen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Im Gegensatz hierzu will die Europäische Bürgerini-
tiative das kommunale Selbstverwaltungsrecht beschrän-
ken. Die Bürgerinitiative will die Kommunen zwingen,
die Wasserversorgung zu verstaatlichen. Das habe ich
auch beim Herrn Kollegen Dr. Schwanholz herausge-
hört.

Natürlich müssen wir die bewährte Struktur der deut-
schen Wasserversorgung berücksichtigen. Das Neben-
einander von Unternehmen in kommunaler Trägerschaft
und privaten Betreibern liefert Topqualität zu stabilen
Preisen, wie der Kollege Lange bestätigt hat. Es gibt kei-
nerlei Erkenntnisse dazu, dass die Qualität oder der Preis
von privaten Versorgern schlechter seien als die von öf-
fentlichen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722516600

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage,

diesmal von der Kollegin Bulling-Schröter?

H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722516700


Meine Güte heute ist unbegrenzt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Regierungsgüte! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722516800

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, herzlichen Dank

erst einmal für Ihre Güte!

Ich habe gehört, Sie sind kulturell sehr interessiert.
Mich würde interessieren, ob Sie den Film Water Makes
Money kennen?





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

Mich würde weiter interessieren, wie Sie es einschät-
zen, dass die Klage eines großen Wasserkonzerns vor
Gericht abgelehnt wurde.

Dann wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass
der Umweltausschuss – das ist vielleicht zehn, zwölf
Jahre her; ich weiß nicht, ob Sie das so verfolgt haben –
zum Thema Wasserprivatisierung in Großbritannien war.
Der Umweltausschuss hat seinerzeit festgestellt: Die
Wasserversorgung wurde privatisiert, der Wasserpreis
verdoppelte sich, die Belegschaften wurden halbiert. Das
Interessanteste war, dass die bürgerliche Gesellschaft in
Großbritannien eine Demonstration veranstaltet hat, weil
die Versorgungssicherheit so schlecht war, dass der tolle
Rasen in Großbritannien nicht mehr ohne Weiteres ge-
sprengt werden konnte.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722516900


Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, bei allem kul-
turellen Interesse: Diesen Film habe ich nicht gesehen.
Ich habe stattdessen im Ministerium dafür gearbeitet,
dass wir diese Richtlinie möglichst gut für Deutschland
hinbekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, es ist unbe-
streitbar, dass in Deutschland das Wasser in Topqualität
zu stabilen Preisen geliefert wird.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Bisher ja! Das soll auch so bleiben!)


Da sind wir uns einig. Genauso unstreitig ist, dass es in
Deutschland auch private Wasserversorger gibt. Jetzt
verstehe ich nicht, wie Sie die beiden Dinge in einem
Atemzug nennen. Die Bundesregierung will die derzei-
tige Situation nicht verändern: Wir wollen weder einen
kommunalen Wasserversorger herauswerfen noch die
Wasserversorgung privatisieren. Wir wollen, dass die
derzeitige Situation in Deutschland rechtssicher und
rechtlich klar wird, und wir wollen verhindern, dass hier
Amigowirtschaft und Korruption herrschen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich verstehe nicht, warum Sie an dieser Front eine so
große Schreierei machen. Niemand will die derzeitige
Rechtslage verändern;


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich wird sie verändert!)


wir wollen sie nur klarer machen.

Meine Damen und Herren, ich will zu dem kommen,
was der Kollege Lange auch schon angesprochen hat:
Wir begrüßen die Ankündigung der Europäischen Kom-
mission, dass sie einen Vorschlag zum Wassersektor
vorlegen wird, der auf die – zugegebenermaßen beson-
deren – strukturellen Gegebenheiten in Deutschland ein-
geht. Das würde gerade die Mehrspartenstadtwerke in
Deutschland begünstigen. Auch für die vielen Zweck-
verbände in Deutschland und die sogenannten Inhouse-

Vergaben wollen wir eine praktikable, unbürokratische
Lösung finden; dafür setzen wir uns ein.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Ach schreien Sie doch nicht, Frau Haßelmann; das ist
uncharmant, das gefällt niemandem.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reicht es aber hier!)


Meine Damen und Herren, Sie sehen die Unter-
schiede: Die einen führen eine ideologische Kampagne
mit falschen Annahmen und Irreführungen. Die Bun-
desregierung verhandelt derweil in Brüssel intensiv zu-
gunsten einer praktikablen Lösung zur Sicherung der
Topqualität der Wasserversorgung in Deutschland. Wir
sind an Transparenz und Rechtssicherheit interessiert.
Wir wollen keine Korruption und keine Amigowirt-
schaft. Ich frage mich wirklich: Was haben Sie eigentlich
dagegen? Steigen Sie doch endlich von den Bäumen he-
runter, und beenden Sie diese absurde Kampagne! Ziehen
Sie mit uns in Brüssel an einem Strang! Das wäre viel
sinnvoller, als hier herumzuschreien.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722517000

Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Lötzer für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722517100

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wissen

Sie, Herr Otto, statt mit Ihnen an einem Strang zu zie-
hen, ziehen wir lieber an einem Strang mit 1,2 Millionen
Menschen in Europa, die die Europäische Bürgerinitia-
tive „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein
Menschenrecht! …“ unterzeichnet haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darunter sind Vertreterinnen und Vertreter von CDU/
CSU, Linker, SPD, Grünen, der Verband kommunaler
Unternehmen und selbst der Bundesverband der Ener-
gie- und Wasserwirtschaft. Sie alle wollen diese Richtli-
nie nicht, erklären: Sie brauchen sie nicht.

Nur Herr Rösler und mit ihm Sie, Herr Otto, machen
das Gegenteil und sorgen in Brüssel für Zustimmung. Da
würde ich sagen: Umgekehrt wird ein Schuh daraus:
Stellen Sie sich hinter diese Bürgerinitiative!

Kollege Lange – er ist leider nicht mehr da – ist nicht
nur Parlamentarier – die CDU/CSU stellt, glaube ich, so-
gar die Regierung.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Skandal!)


Die Frage ist schon: Wie geht es, dass Sie auf dem
CDU-Parteitag eindeutige Beschlüsse gegen die EU-





Ulla Lötzer


(A) (C)



(D)(B)

Konzessionsrichtlinie fassen und gleichzeitig tatenlos
zusehen, wie Herr Rösler eine andere Politik macht?


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht hier nicht um Peanuts, und es geht auch nicht
einfach um die Klarstellung der Rechtsverhältnisse, Herr
Otto. Über die Festlegung des Geltungsbereichs für
europaweite Ausschreibungen erhöhen Sie den Zwang
zur Privatisierung der Wasserversorgung und der ande-
ren Dienstleistungsbereiche. Das sei noch einmal ganz
klar gesagt, und das hat auch die CDU in ihrem Partei-
tagsbeschluss festgestellt.

Herr Lange, Sie erklären das hier für populistisch. Ist
Ihr Parteitagsbeschluss der CDU populistisch, nur weil
wir hier heute dasselbe sagen?


(Ulrich Lange [CDU/CSU]: CSU!)


Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht; das ha-
ben Sie auch gesagt. Wasser muss zum Kernbereich der
Daseinsvorsorge werden.

Herr Otto, wir alle wissen – offenbar im Gegensatz zu
Ihnen –, was passiert, wenn die Wasserversorgung priva-
tisiert wird: Die Qualität des Wassers wird schlechter,
die Preise werden höher, und Beschäftigte werden ent-
lassen. Das ist ja auch kein Wunder: Ein privater Versor-
ger will eben Gewinn damit machen, und Gewinngaran-
tien werden oft vertraglich vereinbart. Es gibt das
Beispiel Großbritannien, es gibt das Beispiel Paris, aber
es gibt auch das Beispiel Berlin. So weit weg ist das also
gar nicht, als dass wir diese Erfahrung nicht gemacht
hätten. Deshalb wollen die Menschen diese Privatisie-
rung zu Recht nicht.

Hier helfen auch keine Einschränkungen des Gel-
tungsbereichs. Die Frage ist nicht, ob mehr oder weniger
Stadtwerke zur Privatisierung gedrängt werden. Es darf
überhaupt keine Privatisierung geben. Im Gegenteil:
Kommunen, die die Wasserversorgung bereits privati-
siert haben, müssen dabei unterstützt werden, sie in
kommunale Hand zurückzuholen. Das Gegenteil ist bei
Ihnen der Fall.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auf einen Punkt möchten wir noch hinweisen: Die
Herausnahme der Wasserversorgung aus dem Geltungs-
bereich der Richtlinie wäre zwar ein Fortschritt, würde
aber nicht ausreichen. Es gibt überhaupt keinen Bedarf
für die Richtlinie zur Liberalisierung von Dienstleis-
tungskonzessionen, weil dieser Bereich über die euro-
päische Rechtsprechung hinsichtlich Transparenz und
Diskriminierungsfreiheit bereits ausreichend geregelt ist.

Die Kollegen der SPD weisen in ihrem Antrag zu
Recht auch darauf hin, dass hier beispielsweise auch
Verträge der Kommunen mit Gesundheitsdiensten und
Krankenhäusern betroffen wären. Auch für sie wollen
wir keinen Zwang und keinen Druck zu europaweiten
Ausschreibungen und zur Privatisierung. Deshalb
braucht es ein Nein, wie Sie das auf Ihrem CDU-Partei-
tag auch festgelegt haben.

Kollege Lange, Sie können sich hier nicht hinter
Herrn Rösler oder hinter Brüssel und der EU verstecken.
Sie müssen heute in der Abstimmung Farbe bekennen,
ob Sie weiterhin ehrlich dagegen sind


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


oder ob Sie sich sozusagen nur hinter Herrn Rösler ver-
stecken und die Position der CDU nicht ehrlich ist. Das
heißt, Sie müssen den Anträgen, die hier heute vorgelegt
werden, zustimmen, wie das die CDU im Landtag in
NRW bei ähnlichen Anträgen auch getan hat.

Folgen Sie diesem Beispiel! Dann wird ein Schuh da-
raus. Das ist dann ehrlich. Alles andere ist unehrlich und
verlogen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722517200

Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Manfred

Nink für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Manfred Nink (SPD):
Rede ID: ID1722517300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Sicher kommen Ihnen folgende Worte bekannt
vor – ich zitiere –:

Dass SPD und Grüne heute einmal Anträge auf den
Tisch legen, die ich fast 1 : 1 unterschreiben könnte,
hat wirklich Seltenheitswert. Aber wo Rot-Grün in
der Sache ausnahmsweise einmal recht hat, da hat
sie eben mal recht.

Das ist ein Zitat aus der Protokollrede des von mir ge-
schätzten Kollegen Dr. Nüßlein vom 1. März 2012 zur
Beratung über die EU-Konzessionsrichtlinie im Deut-
schen Bundestag.

Leider hat Ihre Fraktion, verehrter Herr Kollege
Lange, wider besseres Wissen ein Jahr lang nicht gehan-
delt. Überhaupt: Für einige Abgeordnete in diesem Haus
scheinen die Themen Wasserversorgung und EU-Kon-
zessionsrichtlinie erst in den letzten Wochen wie aus hei-
terem Himmel gefallen zu sein. Verstärkt wurde das si-
cherlich durch eine immense mediale Öffentlichkeit. Sie,
insbesondere die Kollegen von CDU und CSU, haben
das verschlafen.

Deshalb möchte ich Sie in einer kurzen Chronologie
daran erinnern oder manche vielleicht das erste Mal da-
rüber aufklären, wann Sie die Chance hatten, der Bun-
deskanzlerin und dem Wirtschaftsminister eine klare
Ansage für eine Ablehnung dieser Richtlinie auf euro-
päischer Ebene zu machen. Das erste Mal beschäftigte
sich der Wirtschaftsausschuss am 18. Januar 2012 auf
der Grundlage eines entsprechenden Berichts des Minis-





Manfred Nink


(A) (C)



(D)(B)

teriums intensiv mit der Richtlinie. Weitere Beratungen
folgten im Januar und im Februar.

Am 1. März war der Antrag der SPD auf eine Subsidi-
aritätsrüge auf der Tagesordnung des Plenums. Schon
damals forderten wir, die kommunale Daseinsvorsorge
zu schützen und die Richtlinie abzulehnen. Leider gin-
gen die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt nur zu
Protokoll.

Am 29. März schließlich lehnte die Koalition unseren
Antrag in zweiter Lesung ab. Sie beschlossen stattdessen
einen eigenen Antrag. Dieser Entschließungsantrag be-
inhaltete eine wachsweiche Formulierung, die Bundes-
regierung solle in Brüssel die Belange der kommunalen
Wasserversorger berücksichtigen.

Dank des Kollegen Nüßlein wissen wir aber, dass die
Union, statt einen harten Kurs gegen die Richtlinie zu
fahren, vor der FDP aus Koalitionsräson eingeknickt ist.

Ich darf den Kollegen Nüßlein noch einmal aus dem
schon genannten Protokoll zitieren:

Spätestens bei meiner Initiative, im Rahmen eines
Entschließungsantrags der Koalition die Bundes-
regierung aufzufordern, bei ihren Verhandlungen
im Rat diese unsägliche Richtlinie gänzlich zu kip-
pen oder wenigstens für den hochsensiblen Bereich
der Wasserversorgung eine Ausnahmereglung zu
schaffen, wie es seinerzeit in der EU-Dienstleis-
tungsrichtlinie verankert worden war, bin ich auf
den Widerstand unseres Koalitionspartners gesto-
ßen, der noch schnell Rücksprache mit dem
Bundeswirtschaftsministerium gehalten hatte. Die
FDP-Vertreter in der Bundestagsfraktion wurden
erwartungsgemäß zurückgepfiffen.

Ich danke dem Kollegen Dr. Nüßlein für seine offenen
Worte.

Was ist das Ergebnis? Die Bundesregierung hat die
Wasserwirtschaft bei den Verhandlungen im Ministerrat
nicht aus der Richtlinie ausgeklammert – nicht, weil sie
nicht konnte, nein, weil sie nicht wollte, obwohl von den
Koalitionsparteien hier im Deutschen Bundestag dies
mit dem Entschließungsantrag beschlossen wurde. So
viel zur Aufforderung an die Bundesregierung, Herr
Kollege Lange. Die nimmt nicht einmal ihre eigenen Be-
schlüsse wahr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie ignorieren auch die derzeitige europaweite Peti-
tion – mittlerweile haben über 1 Million Menschen diese
Petition unterschrieben –, und Sie stellen sich heute hier
hin und tun so, als wären Sie mehrheitlich schon immer
gegen diese Richtlinie und gegen eine Privatisierung un-
serer kommunalen Wasserversorgung gewesen. Das ist
eine 180-Grad-Wende, und Sie schwindeln den Men-
schen etwas vor. Zahlreiche kommunale Vertretungen
bundesweit haben entsprechende Resolutionen beschlos-
sen – fast immer mit den Stimmen der CDU.

Seien Sie sich gewiss, dass die kommunale Familie
ganz genau beobachtet, wer hier im Deutschen Bundes-

tag die Entscheidungen gegen sie trifft! Springen Sie
über Ihren eigenen Schatten! Gehen Sie nicht schon wie-
der vor der FDP in die Knie! Verschaffen Sie stattdessen
Ihrem eigenen Parteitagsbeschluss Geltung! Zeigen Sie,
dass Sie die kommunale Familie nicht im Stich lassen!
Fordern Sie Bundeskanzlerin und Wirtschaftsminister
auf, den Kommissionsvorschlag in Brüssel abzulehnen!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722517400

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Ab-

stimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/12394 mit dem Titel „Keine
Privatisierung der Wasserversorgung durch die Hinter-
tür“.

Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir namentlich über den Antrag ab. Es liegen
mir zahlreiche – wirklich zahlreiche – persönliche Erklä-
rungen zur Abstimmung vor.1)

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich glaube, jetzt
sind alle vorgesehenen Plätze besetzt. Ich eröffne die
Abstimmung.

Die obligatorische Frage: Haben alle anwesenden
Mitglieder ihre Stimme abgegeben? – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.

Wir kommen nun zur zweiten namentlichen Abstim-
mung, und zwar zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12482 zu dem
Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richt-
linie des Europäischen Parlaments und des Rates über
die Konzessionsvergabe mit dem Titel „Wasser ist Men-
schenrecht – Privatisierung verhindern“, hier: Stellung-
nahme des Deutschen Bundestages gemäß Art. 23
Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 Abs. 4
EUZBBG.

Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung
verlangt. – Ich sehe, dass alle vorgesehenen Plätze an
den Urnen besetzt sind. Dann können wir mit der
Abstimmung beginnen. Ich eröffne die Abstimmung.

Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abge-
geben? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das of-
fensichtlich so passiert. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der na-
mentlichen Abstimmung werden Ihnen später bekannt
gegeben.2)

Wir kommen zum Zusatzpunkt 7: Abstimmung
über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksa-

1) Anlagen 10 bis 15
2) Ergebnisse Seite 27993 C und 27995 D





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

che 17/12519 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Kon-
zessionsvergabe mit dem Titel „Kommunale Versor-
gungsunternehmen stärken – Formale Ausschreibungs-
pflicht bei Dienstleistungskonzessionen insbesondere für
den Bereich Wasser ablehnen“, hier: Stellungnahme ge-
genüber der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 3 des
Grundgesetzes. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist,
wenn ich es richtig gesehen habe, angenommen. Die
CDU/CSU hat sich der Stimme enthalten, und die FDP
hat abgelehnt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Miersch [SPD]: So ist es! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Herr Präsident!)


Ich glaube, wir sind uns hier vorne einig. Wir haben
geguckt. Die CDU/CSU hat nicht abgestimmt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!)


Das ist Enthaltung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1722517500

Es war auch klar erkennbar, dass hier die Kollegen

abgestimmt haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722517600

Herr Kollege, Sie können bestenfalls eine Wiederho-

lung der Abstimmung beantragen.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1722517700

Dann beantragen wir das.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722517800

Wir sind uns alle einig: Die Fraktion der CDU/CSU

hat nicht teilgenommen an der Abstimmung. Das ist wie
eine Enthaltung.

Kollege Fuchtel, Sie übersehe ich nie. Wahrscheinlich
stand der Kollege Kauder genau vor Ihnen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!)


– Das stimmt.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1722517900

Ich beantrage die Wiederholung der Abstimmung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722518000

Dann müssen wir das vollziehen.

Ich wiederhole die Abstimmung. Es geht um den An-
trag der SPD. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen?


(Zuruf von der FDP: Sehr viele!)


Enthaltungen? – Bei der zweiten Abstimmung war die
CDU/CSU-Fraktion beieinander. Der Antrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Tagesordnungspunkt 8 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung
radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der
Schachtanlage Asse II

– Drucksache 17/11822 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Beschleunigung der Rückholung radio-
aktiver Abfälle und der Stilllegung der
Schachtanlage Asse II

– Drucksache 17/12298 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/12537 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Ute Vogt
Angelika Brunkhorst
Dorothée Menzner
Sylvia Kotting-Uhl

Es liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamen-
tarischen Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser das Wort.


(Beifall des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])


Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1722518100


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn
meiner Ausführungen ganz herzlich bedanken, zunächst
einmal bei den Mitgliedern der Asse-Begleitgruppe in
Wolfenbüttel, die unsere Arbeit in Berlin ganz aktiv
unterstützen und manchen Diskussionsbeitrag – notwen-
digerweise, kann man ja sagen – eingebracht haben.
Außerdem möchte ich mich bei den Berichterstatterin-
nen bedanken, insbesondere bei Maria Flachsbarth, bei
Angelika Brunkhorst, bei Ute Vogt, bei Sylvia Kotting-
Uhl, auch bei Dorothée Menzner, für die gute Zusam-
menarbeit in vielen, vielen Runden in den vergangenen
Monaten.

Ich möchte mich auch bedanken beim Land Nieder-
sachsen, bei dem ehemaligen Umweltminister Stefan
Birkner und seiner Staatssekretärin Ulla Ihnen, die un-
sere Arbeit gut begleitet haben. Ich verbinde das natür-
lich mit den hoffnungsvollen Wünschen, dass der neue
Umweltminister in Niedersachsen, Stefan Wenzel, der
heute hier zugegen ist, unsere Arbeit genauso intensiv





Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser


(A) (C)



(D)(B)

unterstützt und begleitet, wie es bei Stefan Birkner der
Fall gewesen ist.


(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil alle gemeinsam daran gearbeitet haben, haben
wir es geschafft, den Entwurf eines Gesetzes zur Be-
schleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle tat-
sächlich fertigzustellen. Das zeigt unseren Willen zur
Zusammenarbeit in einer so entscheidenden Frage wie
der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Mit diesem Gesetz-
entwurf wird inhaltlich die Grundlage geschaffen für ein
beschleunigtes, aber dennoch sicheres Vorgehen, weil
die Rückholung der radioaktiven Abfälle gefordert wird,
ohne dabei aber Abstriche beim Strahlenschutz für die
Bevölkerung und die Beschäftigten zuzulassen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie wissen, dass dieses Thema dem Bundes-
umweltministerium in dieser Legislaturperiode immer
ein außerordentlich wichtiges Anliegen gewesen ist.
Norbert Röttgen, der hier im Plenum ist, ist sehr früh in
der Asse gewesen. Peter Altmaier hat direkt zu Beginn
seiner Amtszeit einen Besuch in der Asse absolviert, um
deutlich zu machen, welchen Stellenwert dieses Thema
hat. Es ist eben nicht nur ein niedersächsisches Thema
– auch wenn ich hier viele Niedersachsen sehe –; die
Rückholung der Abfälle aus der Asse ist ein Thema, das
uns alle angeht. Ich freue mich, dass wir mit dem frak-
tionsübergreifenden Gesetzentwurf dem Ziel ein großes
Stück näher gekommen sind und hier mit großer Mehr-
heit unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.

Die Bundesregierung unternimmt alles, was verant-
wortbar ist, um die Abfälle aus der Schachtanlage
Asse II sicher zu bergen. Wir schaffen mit der Verab-
schiedung dieses Gesetzentwurfs Beschleunigungspo-
tenziale, die von allen genutzt werden müssen. Wir müs-
sen zügig handeln – das wissen alle, die sich mit dieser
Frage beschäftigt haben –, weil sich der gebirgsmechani-
sche Zustand der Asse II stetig verschlechtert. Wir haben
Stabilitätsprobleme beim alten Grubengebäude. Wir ha-
ben eingeschränkte Betriebsmöglichkeiten unter Tage.
Der eine oder andere, der in letzter Zeit unten gewesen
ist, hat gesehen, dass die Wendelstrecke, die eine Zeit
lang nicht benutzt werden konnte, erst seit kurzem wie-
der zugänglich ist. Außerdem haben wir es mit der Ge-
fahr eines unbeherrschbaren Laugenzutritts zu tun; auch
das ist ein Thema, das uns noch intensiv beschäftigen
wird. Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen,
was wir mit den Laugen in der Asse machen werden. –
Das alles hat uns auch die Expertenanhörung im Um-
weltausschuss in der vergangenen Woche aufgezeigt.
Damit einher ging die klare Botschaft an uns – darin wa-
ren sich die Experten sehr einig –, dass die Arbeiten zur
Rückholung der Abfälle aus der Asse beschleunigt wer-
den müssen.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den Eckpunkten
dieses Gesetzentwurfs sagen, mit denen wir die Grund-
lage schaffen, um das Verfahren zu beschleunigen.

Der erste wichtige Punkt – er ist auch in der Region
entscheidend, wie meine Kolleginnen und ich immer
wieder betont haben – ist, dass wir im Gesetzentwurf die

Rückholung der radioaktiven Abfälle zum Ziel machen.
Die Rückholung steht als klare Nummer-eins-Option im
Gesetzentwurf. Die entscheidende Botschaft, die wir als
Politikerinnen und Politiker senden müssen, um allen
betroffenen Institutionen Rückhalt zu geben, ist: Wir
wollen, dass die Abfälle herausgeholt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der zweite Punkt. Die Rückholung darf nur noch – das
ist mindestens genauso wichtig – in gesetzlich festge-
schriebenen Fällen abgebrochen werden, also insbeson-
dere dann, wenn die nach der Strahlenschutzverordnung
vorgeschriebene Dosisbegrenzung nicht eingehalten wer-
den kann oder wenn die bergtechnische Sicherheit nicht
mehr gewährleistet ist. Aber auch dann kann man die
Rückholung nur unter Einhaltung strengster Kriterien ab-
brechen. Auch das war wichtig, um der Bevölkerung
klarzumachen, dass damit nicht leichtfertig umgegangen
wird, sondern dass es, ganz im Gegenteil, ein kompli-
ziertes, aufwendiges Verfahren ist, einen solchen Prozess
abzubrechen. Wie gesagt: Die Nummer-eins-Option ist
die Rückholung.

Im Gesetzentwurf wird ebenfalls festgelegt – auch
das ist ganz wichtig –, dass wir weiter auf Beteiligungs-
und Mitspracherechte der Öffentlichkeit setzen, dass es
hier nicht zu Beschneidungen kommt. Immer wieder war
in der Diskussion, ob wir beispielsweise etwas von der
UVP-Pflicht abgehen, um das Verfahren zu beschleunigen.
Das hätte aber bedeutet, dass die Öffentlichkeit nicht
mehr so stark eingebunden wäre, wie wir uns das wün-
schen. Nach der Expertenanhörung in der vergangenen
Woche haben wir aber die Verpflichtung zu einer noch
umfassenderen Unterrichtung der Öffentlichkeit, zu ei-
nem Mehr an Transparenz aufgenommen; es muss ent-
sprechend mehr berichtet und veröffentlicht werden, als
das bisher der Fall ist. Das ist ein Punkt, auf den wir, die
Berichterstatterinnen und das Bundesumweltministe-
rium, uns verständigt haben. Das gehört unbedingt mit
hinein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Elemente – Sie
werden gleich darüber berichten, was Ihnen ganz beson-
ders am Herzen liegt – sind entscheidend, um die Rück-
holung zu beschleunigen, aber immer unter Beibehal-
tung eines hohen Sicherheitsniveaus. Das ist genauso
entscheidend. Es ist entscheidend für die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter, die in der Asse unter Tage arbeiten
und die Voraussetzungen für die Rückholung liefern. Es
ist aber genauso wichtig für die Bevölkerung vor Ort, die
schon seit vielen, vielen Jahren unter den Belastungen
der Asse leidet.

Mit diesem Gesetzentwurf haben wir einen guten
Schritt nach vorn getan. Nochmals herzlichen Dank an
alle! Ute Vogt, unsere einzige Juristin, hat uns entspre-
chend begleitet. Das Gesetz ist die Voraussetzung; es
wird allen Dimensionen gerecht. Jetzt geht es darum, es
mit Leben zu erfüllen. Das heißt, alle Beteiligten sind
aufgerufen, die technischen und die baulichen Umset-
zungen vorzunehmen. Ich bin guten Mutes, dass mit ei-
nem klaren Signal aus Berlin noch schneller, besser und





Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser


(A) (C)



(D)(B)

Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser

Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge

Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
unverzüglicher – um dieses Wort aufzunehmen – in der
Asse gearbeitet werden kann.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722518200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen

zwischendurch die von den Schriftführerinnen und

Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden na-
mentlichen Abstimmungen bekannt geben.

Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Keine Privatisierung der Wasserversorgung durch
die Hintertür“ auf Drucksache 17/12394: abgegebene
Stimmen 548. Mit Ja haben gestimmt 249, mit Nein ha-
ben gestimmt 291, Enthaltungen 8. Der Antrag ist damit
abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 548;
davon

ja: 249
nein: 291
enthalten: 8

Ja

CDU/CSU

Peter Aumer
Dr. Peter Gauweiler
Josef Göppel

CDU/CSU

Alois Karl
Dr. Max Lehmer

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß

Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer

Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

fraktionsloser
Abgeordnter

Wolfgang Nešković

Nein

CDU/CSU

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich

Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll

Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Kon-
zessionsvergabe mit dem Titel „Wasser ist Menschen-

stimmt 122, mit Nein haben gestimmt 299. Enthalten ha-
ben sich 124. Der Antrag ist damit abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 545;
davon
ja: 122
nein: 299
enthalten: 124

Ja

CDU/CSU

Dr. Peter Gauweiler

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter

Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay

Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich

Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)


Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny

FDP

Rainer Erdel
Horst Meierhofer

Sodann das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke zum Vorschlag

recht – Privatisierung verhindern“ auf Drucksache
17/12482: abgegebene Stimmen 545. Mit Ja haben ge-
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider

Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Marina Schuster

Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthalten

CDU/CSU

Herbert Frankenhauser
Ingo Gädechens
Bartholomäus Kalb
Daniela Ludwig
Stephan Mayer (Altötting)

Marlene Mortler





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

fraktionsloser
Abgeordneter

Wolfgang Nešković

Nein

CDU/CSU

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer

Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung

Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp

Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)






Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


FDP

Jens Ackermann
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann

Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthalten

CDU/CSU

Peter Aumer
Josef Göppel

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding (Heidelberg)


Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)


Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Rainer Erdel
Horst Meierhofer
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl

Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Jetzt fahren wir in der Debatte zum Thema „Schacht-
anlage Asse II“ fort. Ich erteile der Kollegin Ute Vogt für
die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1722518300

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ja, so schön und harmonisch kann es sein,
wenn wir uns einer Aufgabe stellen, die uns vermutlich
über Legislaturperioden hinweg begleiten wird, und
wenn alle Fraktionen des Hauses zu der Einsicht kom-
men, dass es überhaupt nicht anders geht, als sich an ei-
nen Tisch zu setzen und konstruktiv zusammenzuarbei-
ten, um das Schlimmste zu verhindern, nämlich dass die
strahlenden Abfälle in der Asse verbleiben und mög-
licherweise dort versickern. Es ist also gut, dass wir die-
sen Gesetzentwurf heute verabschieden.

Nachdem die Frau Staatssekretärin Heinen-Esser uns
allen so gedankt hat, möchte ich den Dank vonseiten der
Opposition ausdrücklich an das Bundesumweltministe-
rium zurückgeben, vor allem aber an Sie, Frau Heinen-
Esser. Sie haben einen ganz entscheidenden Beitrag dazu
geleistet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres
Hauses sehr positiv mitgewirkt haben und es auch zu ei-
ner Beteiligung der Menschen vor Ort kommen konnte.


(Beifall im ganzen Hause)


Einen Wermutstropfen gibt es am Ende doch, nämlich
die bedauerliche Tatsache, dass die Linke als eine Frak-
tion, die den Entwurf von Anfang an mit uns diskutiert
und vorbereitet hat, nun nicht als antragstellende Frak-
tion auf dem Antrag erscheint. Ich muss sagen: Es ist
sehr schade, dass die Ideologie der CDU/CSU-Fraktion
an dieser Stelle wieder Überhand gewonnen hat; es hatte
nichts mit dem zu tun, was wir als Berichterstatterinnen
gemeinsam erarbeitet haben. Ich muss ehrlich sagen: Es
ist nicht sehr sinnvoll, solche ideologischen Barrieren
bei Themen aufzubauen, die – vollkommen egal, wer in
den nächsten Jahren oder Jahrzehnten regiert – von allen
angepackt werden müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass
da insbesondere der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU
über seinen Schatten gesprungen wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Gut war, dass die Bürgerinnen und Bürger einbezogen
waren. Es kann als Beispiel für weitere Gesetzesvorha-
ben dienen, dass die Asse-Begleitgruppe nicht erst hin-
terher, als alles feststand, sondern von Anfang an in die
Beratungen einbezogen war. Sie konnte jeden Schritt,
jede Änderung am Gesetzentwurf mit erarbeiten. Auch
der Rechtsanwalt der Asse-Begleitgruppe, Herr Gaßner,
hat uns sehr geholfen, indem er unsere Beratungen be-
gleitet hat. Das ist ein gutes Beispiel, das wir bei anderen
Gesetzesvorhaben durchaus aufnehmen sollten.

Doch bei aller Freude müssen wir auch offen und ehr-
lich sagen: Bis zur Rückholung der Abfälle kann es auch
aus technischen Gründen noch viele Jahre dauern. Es
kann noch mehr als zehn Jahre dauern, bis wir die Ab-

fälle nicht nur erfolgreich geborgen, sondern auch neu
verpackt und an anderer Stelle eingelagert haben. Das
heißt, es ist ein sehr langer Prozess, der erfordert, dass
der Bundestag – wir hier und diejenigen, die nach uns
kommen – diesen Prozess weiter begleitet. Man darf
auch nicht verschweigen, dass dieser Prozess die Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler viel, viel Geld kostet. Die
Schätzungen gehen im Moment von 4 bis 6 Milliarden
Euro aus; man kann es noch nicht genau sagen, weil wir
nicht wissen, was technisch im Einzelnen erforderlich
sein wird.

Wir kennen die Bilder aus der Asse, auf denen wir
verschüttete Fässer sehen. Es gibt auch schöne Bilder,
auf denen Schulklassen zu sehen sind, die durch das
Asse-Bergwerk geführt werden, oder von Bürgerinnen
und Bürgern, die eingeladen wurden, das Bergwerk am
Tag der offenen Tür zu besichtigen. Diese Bilder sind
erst wenige Jahre alt. Dies ist ein mahnendes Beispiel
dafür, wie schnell es passieren kann, dass die Gefahren
radioaktiver Strahlung unterschätzt oder auch verdrängt
werden.

In diesem Sinne war es richtig und überfällig, dass der
damalige Umweltminister Sigmar Gabriel im Jahr 2009
die Asse zum einen dem Atomrecht unterstellt und damit
die Schutzanforderungen erhöht hat und zum anderen
dafür gesorgt hat, dass nicht länger eine private Betrei-
bergesellschaft, nämlich das Helmholtz-Zentrum Mün-
chen, die Asse betreibt, sondern 2009 das Bundesamt für
Strahlenschutz die Federführung bei der Asse übernom-
men hat. Das war ein notwendiger Schritt, der es uns er-
möglicht, das Gesetz weiterzuentwickeln. Dies ist ein
weiteres Beispiel dafür – das schließt ganz gut an unsere
gerade geführte Debatte zum Thema Wasserwirtschaft
an –, dass die privaten Betreiber nicht immer Segen brin-
gen und es oft die öffentliche Hand ist, die dann das Un-
heil, das die privaten Betreiber angerichtet haben, mit
viel Geld beheben muss.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen
wir Rückendeckung geben – den Behörden, die die Ge-
nehmigungen zu erteilen haben und das Verfahren be-
gleiten, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
vor Ort, die alle ganz ohne Zweifel wissen sollen: Die
Rückholung ist unser wichtigstes Ziel. Sie muss, wenn
es irgend geht, erfolgen, und zwar schnellstmöglich.

Dies ist ein guter Gesetzentwurf; aber er bedarf einer
Begleitung über die Verabschiedung hinaus. Ich denke,
dass wir dadurch, dass wir uns in diesem Haus so einig
sind, gewährleisten können, dass in der nächsten und
übernächsten Legislaturperiode noch Kolleginnen und
Kollegen da sind, die die Ausführung dieses Gesetzes
kontrollieren, die schauen, ob ein Nachsteuern notwen-
dig ist, und dafür sorgen, dass die Rückholung weiter die
Priorität hat, die wir ihr mit dem heute vorliegenden Ge-
setzentwurf einräumen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722518400

Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1722518500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der

Rückholung der Abfälle aus der Asse beheben wir die
Fehler der Vergangenheit. Ich glaube, es ist wichtig
– auch für die Bürgerinnen und Bürger, die uns heute zu-
hören –, deutlich zu machen, worum es geht. Wir haben
ein Forschungsbergwerk, das nach heutigen Erkenntnis-
sen nicht geeignet war, um die Abfälle dort einzulagern.
Die Abfälle sind zum Teil chaotisch eingelagert worden.
Wir wissen auch nicht genau, ob alle dokumentiert sind.

Dieses Thema geht nicht nur die Menschen vor Ort
an. Es ist vielmehr eine nationale Aufgabe, vor der wir
stehen; denn der ehemalige private Betreiber, über den
gerade gesprochen wurde, ist die größte Wissenschafts-
organisation Deutschlands.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich genug!)


Das Unheil, wie Frau Vogt es zu Recht genannt hat, hatte
eine staatliche Aufsicht. Deshalb sind hier alle Fraktio-
nen – die Linke einmal ausgenommen, weil sie damals
nur in der DDR Verantwortung getragen hat – in der Ver-
antwortung.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Damals gab es die Linke noch gar nicht!)


– Ja, wir können über die Fehler der SED in Morsleben
und anderen Fällen sprechen; ich glaube aber, das sollten
wir jetzt nicht tun. – Die Forschungs- bzw. Umwelt-
minister, die in den letzten 30 oder 40 Jahren Verantwor-
tung getragen haben, sind natürlich von allen Parteien
gestellt worden. Deshalb tragen wir gemeinsam Verant-
wortung, und deshalb ist es richtig, dass wir einen frak-
tionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Lösung der Pro-
bleme der Vergangenheit vorgelegt haben.

Die Rückholung ist das klare Ziel dieses Gesetzent-
wurfs. Wir haben die Mittel im Bundeshaushalt schon in
diesem Jahr von 100 Millionen auf 142 Millionen Euro
erhöht. Frau Vogt hat zu Recht gesagt, welche Ausgaben
noch auf uns zukommen werden. Das ist aber unab-
wendbar, wenn wir an dieser Stelle wieder einen guten
Umweltzustand herbeiführen wollen.

Wir beschleunigen mit diesem Gesetzentwurf die
atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, um die Maß-
nahmen in der Asse schneller voranzubringen. Die frak-
tionsübergreifende Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes
ist wirklich ein Beispiel für gute Arbeit in diesem Parla-
ment. In diesem Zusammenhang danke ich ausdrücklich
allen Berichterstatterinnen – es waren allesamt Frauen,
die an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben –: Sie ha-
ben super Arbeit geleistet. – An dieser Stelle geht mein
Dank auch an die erkrankte Berichterstatterin unserer
Fraktion, Angelika Brunkhorst. Ich freue mich, dass Sie
das gemeinsam so gut geschafft haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend möchte ich allerdings noch betonen,
dass natürlich die Rückholung Priorität hat, dass wir
aber auch nicht die Verantwortung gegenüber den Be-
schäftigten vergessen dürfen. Auch sie dürfen wir keinen
Risiken aussetzen. Deshalb gehört es zu unserer Verant-
wortung, auch Grenzen der Rückholoption aufzuzeigen,
nämlich dann, wenn die Beschäftigten nicht mehr sicher
in dieses Bergwerk einfahren können. Wir hoffen alle,
dass wir es schneller schaffen, als dass dieser Fall ein-
tritt. Ausschließen kann man das nicht. Das gehört auch
zur Wahrheit bei der Verabschiedung dieses Gesetzent-
wurfes.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722518600

Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722518700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ein Gesetz zur Be-
schleunigung der Rückholung der radioaktiven Abfälle
aus der Asse ist parteiübergreifend und vor allem von
den Menschen vor Ort ausdrücklich gewollt, geht es
doch schlicht darum, ob es eine Chance gibt, den strah-
lenden Müll noch herauszubekommen und durch Verfah-
rensbeschleunigung dafür auch die notwendige Zeit zu
haben, oder ob uns diese Chance nicht bleibt, weil alles
zu lange dauert; denn der Berg und der Stollen sind
morsch, Wasser tritt ein, das Grubengebäude ist brüchig,
und keiner von uns weiß, wann es zu einer nicht mehr
beherrschbaren Situation kommt.

Man kann es nicht oft genug betonen: Es handelt sich
um 126 000 Fässer atomaren Mülls, und das Bergwerk
droht einzustürzen. Ein Langzeitsicherheitsnachweis für
den Verbleib des Mülls im Berg liegt nicht vor. Laut
Aussagen aus Kreisen des Bundesamtes für Strahlen-
schutz ist er wohl auch künftig nicht zu erbringen.
Demnach ist die Rückholung die einzige Option, den
rechtswidrigen und gefährlichen Zustand in der Asse zu
beenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frage ist, ob der jetzt vorliegende Gesetzentwurf
wirklich alles an Möglichkeiten ausschöpft oder ob es
Hintertüren gibt, die es Gegnern der Rückholung ermög-
lichen, zu verschleppen, zu verzögern oder gar – das ist
die große Befürchtung der Bevölkerung in der Region –
die Stollen legal vorzeitig zu fluten. Um diesen Befürch-
tungen zu begegnen und Vertrauen aufzubauen oder neu
zu begründen, wäre eine deutlichere und konkretere For-
mulierung wünschenswert und möglich gewesen. Eine
ausdrückliche Klarstellung, dass eine Stilllegung erst
nach Rückholung der Abfälle erfolgen kann, wäre mög-





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)

lich gewesen. Wir haben dazu einen Vorschlag unterbrei-
tet.

Zurück zu den Hintertüren. Mehrere dieser Hintertü-
ren sind infolge der Expertenanhörung und auch auf-
grund von Interventionen von Bürgerinnen und Bürgern
und des Asse-Koordinationskreises in den letzten Tagen
und Wochen noch geschlossen worden. Ich will aus-
drücklich sagen: Das war wichtig und sehr gut. Aber
zwei Probleme bleiben.

Erstens. Uns fehlt die deutliche Feststellung des Kla-
gerechtes für den Fall, dass eines Tages über den Ab-
bruch entschieden werden muss. Wir meinen, das wäre
zentral gewesen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen in
einer solchen Situation die Möglichkeit der Klage haben.
Das ist eine wichtige Form der öffentlichen Beteiligung.
Leider fehlt das.

Zweitens. Noch zentraler ist die Rechtfertigungs-
pflicht. Es geht um die Frage, ob die Rückholung der
strahlenden Abfälle weiter rechtfertigungsbedürftig ge-
mäß Strahlenschutzverordnung ist oder nicht. Die Linke
ist der Auffassung, dass die Bergung der Abfälle Teil des
Betriebs und der Stilllegung der Asse ist


(Beifall bei der LINKEN)


und damit keinesfalls rechtfertigungsbedürftig. Der
Rechtfertigungspflicht ist nach unserer Auffassung be-
reits Genüge getan. Leider ist das an keiner Stelle festge-
schrieben. Vielmehr wurde in dieser Woche in der
letzten Runde eine entsprechende Passage aus der Be-
gründung des Änderungsantrages der vier Fraktionen ge-
strichen. Wir finden, das ist kontraproduktiv; denn das
bietet in Zukunft – und wir werden noch sehr viele Jahre
damit zu tun haben – den Gegnern der Rückholung zu
jeder Zeit die Möglichkeit – ich unterstelle das keinem
der heute hier Agierenden –, eine Rechtfertigungsprüfung
der Rückholung zu starten, in der dann wirtschaftliche
Kriterien gegenüber Kriterien des langzeitsicherheitlichen
Strahlenschutzes abgewogen werden. Das bedeutet: Es
gibt ein großes Einfallstor für die gesamte Dauer des
Prozesses. Das kann im schlimmsten Fall zu einem vor-
zeitigen Abbruch führen, und zwar rein aus Kostengrün-
den.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Eindeutig nicht!)


Sicherheit und Schadensbegrenzung nach Kassen-
lage – auch für nachfolgende Generationen – ist mit der
Linken nicht zu machen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Frau Menzner, das ist unter Ihrem Niveau! Nachdem wir jahrelang darüber diskutiert haben!)


Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem Änderungsan-
trag 17(16)702 zu! Andernfalls kann die Fraktion der
Linken der vorliegenden Version der Lex Asse nicht zu-
stimmen. Seien Sie aber versichert: So, wie wir in den
letzten acht, neun Monaten konstruktiv an dem vorlie-
genden Text mitgearbeitet, wie wir uns reingehängt ha-
ben, werden wir uns auch in den kommenden Jahren und
Jahrzehnten einsetzen, in denen uns alle und vor allem

die Menschen in der Region dieses Thema notgedrungen
begleiten und belasten wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722518800

Nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-Uhl für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722518900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich will mit einem Dank starten und aus der
Gruppe derer, die an diesem Gesetzentwurf gearbeitet
haben, zwei Frauen herausgreifen.

Frau Flachsbarth, wir beide wissen besonders gut, wie
wüst und hässlich sich gerade unsere Fraktionen zerstrei-
ten können, wenn es um Atommüll geht. Ich möchte
Ihnen ausdrücklich danken, dass die Diskussionen im
Ausschuss nicht nur pfleglich, sondern auch in einer un-
glaublich konstruktiven Weise vonstatten gingen. Herzli-
chen Dank, Frau Flachsbarth!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Zweite, der ich herausgehoben danken möchte,
ist Dorothée Menzner. Es war relativ bald klar, dass die
Linke im Rubrum des Gesetzentwurfes nicht erscheinen
würde. Nichtsdestotrotz hat Dorothée Menzner am Ge-
setzentwurf weiter mitgearbeitet, ihn mit erarbeitet und
damit auch die Verantwortung dafür übernommen, dass
am Ende ein gutes, tragfähiges Gesetz entsteht. Auch da-
für unter dieser Bedingung herzlichen Dank, Dorothée
Menzner!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte auch die Chance ergreifen, den neuen
Umweltminister von Niedersachsen, Stefan Wenzel, hier
zu begrüßen. Ich erlaube mir das einfach mal. Er ist eine
der Personen, die nachher mit der Umsetzung unseres
Gesetzes massiv zu tun haben werden. Ich glaube, er ist
prädestiniert dafür; denn es gibt kaum einen Zweiten,
der die Asse so gut wie er aus dieser intensiven Arbeit
kennt, die er im Untersuchungsausschuss zur Asse in
Niedersachsen geleistet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Glückwunsch zu deinem Amt und gute Ner-
ven und viel Geduld für die Umsetzung dieses Gesetzes!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun bin ich mit meiner Freude ein Stück weit am
Ende. Ich finde es, wie Ute Vogt schon gesagt hat,
extrem bedauerlich, um es freundlich auszudrücken,
dass die CDU/CSU nicht akzeptiert hat – ihre alten par-
lamentarischen Reflexe kamen trotz dieser guten Arbeit
an diesem Gesetzentwurf wieder hoch –, die Linke in
das Rubrum des Gesetzentwurfs, ja nicht einmal in das





Sylvia Kotting-Uhl


(A) (C)



(D)(B)

des gemeinsamen Änderungsantrags aufzunehmen. Ich
muss schon sagen: Dass die Fraktionsführung bei einem
so wichtigen Gesetz, das für lange Zeit halten muss und
das wirklich das Vertrauen sehr vieler Menschen
braucht, um zu funktionieren, den Bruch der Geschlos-
senheit des gesamten Parlaments verantwortet, ist ex-
trem bedauerlich.

Das Gesetz hat drei Aufgaben – um es kurz zu ma-
chen –: die Beschleunigung des Verfahrens für die Rück-
holung, Rechtssicherheit für die beteiligten Behörden
und Vertrauensaufbau in der Bevölkerung. An Letzterem
werden wir alle, die daran beteiligt sind, und manche an-
dere noch lange arbeiten müssen; denn selbstverständ-
lich ist vor Ort ein großes Maß an Misstrauen vorhan-
den. Das ist auch weiß Gott kein Wunder bei diesem in
der Geschichte größten Umweltskandal, den wir in der
Bundesrepublik zu verantworten haben. Die organisierte
Verantwortungslosigkeit von Wissenschaft und Politik,
die in den 70er-Jahren dazu geführt hat, dass wir heute
diese Katastrophe in der Asse haben, mündet jetzt je-
doch in eine gemeinsame politische Verantwortungs-
übernahme.

Wir haben nach der Anhörung zur Lex Asse Änderun-
gen vorgenommen. Diese sind auf Initiative des Koordi-
nationskreises, dem ich hier ebenfalls danken möchte,
entstanden. Wir haben uns vor allem davon verabschie-
det, die Grundsätze des Strahlenschutzes als mögliche
Abbruchkriterien zu benennen. Benannt wird als bei-
spielhaftes Kriterium jetzt nur noch die Dosisbegren-
zung. Was wir damit in diesem Gesetzentwurf zum Aus-
druck bringen wollen, ist ausdrücklich, dass sowohl die
Rechtfertigung der Rückholung als auch das Minimie-
rungsgebot, das in diesem Fall natürlich die Kollektivdo-
sis bedeuten würde, keine Abbruchkriterien sein werden.
Dorothée Menzner hat selbstverständlich recht: Der Satz
in der Begründung, der das ganz eindeutig klargestellt
hat, fehlt. Ich glaube trotzdem, dass das Gesetz selbst-
erklärend ist, sicherlich ein Stück weit interpretierbar
wie fast jedes Gesetz; das kennen wir aus jeder Ge-
schichte von Gesetzen.

Wir wollen zum Ausdruck bringen und haben uns da-
rauf verpflichtet, dass die Rechtfertigung der Rückho-
lung mit dem Ziel der Rückholung als Vorzugsoption
nicht vereinbar ist. Das bringt dieses Gesetz zum Aus-
druck.

Vor Ort bestehen natürlich trotzdem Zweifel: Ist das
wasserdicht? Gibt es eine Garantie? – Besorgte Bürge-
rinnen und Bürger haben uns angeschrieben, auch ges-
tern noch einmal. Ich muss ihnen sagen: Ja, Bürgerinnen
und Bürger, ihr seid zu Recht besorgt. Bleibt wachsam,
passt auf! – Aber ich muss auch sagen: Nein, weder der
Bundestag noch irgendein Gesetz kann die Rückholung
garantieren. Dass sie gelingt, kann niemand versprechen.
Wir können nur versprechen, dass wir alles tun, damit
sie gelingt. Das versprechen wir, und das verspricht auch
dieses Gesetz – nicht mehr, aber auch nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722519000

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1722519100

Frau Präsidentin! Liebe Frau Kotting-Uhl! Liebe

Mitberichterstatterinnen! Liebe Frau Heinen-Esser, herz-
lichen Dank für das große Lob, das mir natürlich sehr
gutgetan hat. In einem solchen Prozess eine gute Rolle
zu spielen, ist nur möglich, wenn auf der anderen Seite
die Bereitschaft zur Kooperation vorhanden ist. Sie war
vorhanden, und dafür mein ganz herzliches Dankeschön.

Wir haben alle miteinander gemerkt und gelernt, dass
sich Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Industrie bei
den Vorgängen rund um die Asse tatsächlich nicht mit
Ruhm bekleckert haben. Aus dieser Erkenntnis heraus
ist die gemeinsame Überzeugung gewachsen, dass wir
das Ganze aus dem politischen Streit herausholen müs-
sen und wirklich in der Sache und an der Lösung des
Problems arbeiten müssen. Wir haben das hier im
Deutschen Bundestag getan. Beim Niedersächsischen
Landtag verhält sich das genauso. Auch dort gibt es ei-
nen einstimmigen Beschluss, in dem man sich für die
Rückholung ausspricht. Die neue niedersächsische Lan-
desregierung unterstützt das weiterhin, wofür ich eben-
falls sehr dankbar bin; denn zügiges Handeln ist ange-
sagt. Das haben schon viele Rednerinnen vor mir gesagt.

Vorher war geplant – das wissen wir alle –, die Grube
unter Belassung des Atommülls zu verfüllen und zu flu-
ten. Das hat zu massiven Bürgerprotesten geführt, bis
2009, nach einem Optionenvergleich durch das Bundes-
amt für Strahlenschutz ganz, ganz klar war: Ein Lang-
zeitsicherheitsnachweis ist nicht zu führen, wenn der
Müll in der Grube verbleibt. Das heißt also: Rückholung
ist Vorzugsoption. Genau das wollen wir jetzt mit unse-
rem Gesetzentwurf, der die Novellierung des § 57 b des
Atomgesetzes zum Ziel hat, gesetzlich festschreiben.
Dabei ist es uns ganz wichtig, dass diese Option, die Be-
schleunigung der Rückholung, ohne Senkung von Siche-
rungsstandards in Bezug auf die Bergleute, die Anwoh-
ner und Anwohnerinnen oder die Umwelt vonstatten
geht. Es ist an uns, deutlich zu zeigen, dass das Parla-
ment, dass die Politik Verantwortung übernimmt. Es ist
an uns, den Beamtinnen und Beamten, die das Ganze
entscheiden müssen, die das administrieren müssen, die
letztendlich die Vorgaben machen müssen, die Gewiss-
heit zu geben: „Ihr handelt im Sinne dessen, was der
Deutsche Bundestag und der Niedersächsische Landtag
wollen“, und damit eine größere Sicherheit in den Pro-
zess zu bringen und alleine dadurch auch eine Beschleu-
nigung.

Wir wollen aber auch weitere verfahrensrechtliche
Beschleunigungen auf den Weg bringen: Einführung von
Genehmigungen mit Konzentrationswirkung, Zulässig-
keit von Teilgenehmigungen, Parallelisierung von Ver-
fahren – das ist ganz wichtig insbesondere mit Blick auf
den Schacht 5, den es unbedingt geben muss; denn ohne
diesen Schacht wird es keine Rückholung geben – und





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)

nicht zuletzt Vereinfachung von Vergabevorschriften.
Diesbezüglich hat sich insbesondere die Linke einge-
bracht.

Uns war es auch wichtig, behördliche Ausnahmen
von den Strahlenschutzvorschriften im Rahmen dessen,
was schon jetzt gesetzlich möglich ist, zu ermöglichen.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat uns in der Anhö-
rung in der letzten Woche gesagt, dass insbesondere das
ein wichtiger Schritt ist für die Vorbereitung einer zügi-
gen Rückholung.

Soweit irgend möglich wollen wir versuchen – dem
dient auch dieses Gesetz –, verlorengegangenes
Vertrauen zurückzugewinnen. Deshalb legen wir großen
Wert auf Transparenz. Deshalb haben wir einen Ände-
rungsantrag eingebracht, der unter Bezugnahme auf das
Umweltinformationsgesetz ganz klar vorsieht, dass alle
wesentlichen zwischenbehördlichen Unterlagen zu ver-
öffentlichen sind, insbesondere Weisungen, Empfehlun-
gen und Verwaltungsvorschriften.

Die Zeit drängt. Das wissen wir. Die Situation vor Ort
ist insbesondere wegen der unsicheren Standfestigkeit
des Grubengebäudes und der Gefahr des unkontrollier-
ten Zutritts von Laugen gefährdet. Und das Verfahren
dauert. Auch das wissen wir. Die sogenannte Fakten-
erhebung, die im Moment im Gange ist, hat sich stark
verzögert, weil sich das Anbohren einer Kammer – man
muss ja wissen, was darin ist – als fast unmöglich erwie-
sen hat. Man hat nämlich gar kein Lumen gefunden.
Offensichtlich ist diese Kammer zusammengesintert. In
diesem Rückholungsverfahren sind insofern gewaltige
technische Probleme verborgen.

Zugleich ist der Zustand des Bergwerks problema-
tisch; das ist schon gesagt worden. Zumindest ist die
Wendel, die man braucht, um in diesem Bergwerk wie in
einer Spirale hoch- und runterfahren zu können, wieder
in einem betriebsfähigen Zustand. Aber wir haben große
Probleme. Diese sind nicht unter den Tisch zu kehren.

Ständiger Diskussionspunkt in unseren Berichterstat-
terrunden – das zog sich bis in die letzte Runde am ver-
gangenen Montag – war die Frage: Wie vertragen sich
eigentlich Rückholung und Stabilisierung des Bergwerks
bzw. notwendige Vorsorge für den Notfall? Die Anhö-
rung hat diesbezüglich noch einmal eindeutig ergeben:
Die Stabilisierung, der Erhalt der Gebrauchstüchtigkeit,
ermöglicht erst die Rückholung.

Ich verstehe doch die Sorgen der Bürgerinitiativen,
die sagen: Unter dem Anschein von Sanierungsmaßnah-
men und Notfallvorsorge wollt ihr in Wirklichkeit die
Stilllegung ohne Rückholung vorbereiten. – Ich verstehe
das sofort; ich kann das nachvollziehen. Aber ich wider-
spreche dem mit Nachdruck, und ich verspreche hier wie
die Kolleginnen vor mir: Der Umweltausschuss des
Deutschen Bundestages wird sich regelmäßig vom BMU
und vom BfS über den Fortgang der Arbeiten unterrich-
ten lassen und sofort eingreifen, wenn wir den Eindruck
bekommen, dass es dort nicht mit rechten Dingen – das
heißt so, wie in diesem Gesetz vorgesehen ist – zugeht.


(Beifall der Abg. Florian Bernschneider [FDP] und Dorothée Menzner [DIE LINKE])


Aber – auch das will ich sagen – wir können hier im
Deutschen Bundestag nicht das Gelingen der Rückho-
lung beschließen. Auch das gehört zur Wahrheit. Das ist
ein technisch sehr ehrgeiziges, weltweit einmaliges Pro-
jekt. Von daher müssen wir gucken, dass wir es zu einem
Erfolg führen; aber wir können es eben nicht verspre-
chen.

In dem Fall, dass man zu der Einschätzung gelangen
sollte, dass die Rückholung gegebenenfalls abzubrechen
ist, weil Strahlenschutz oder bergtechnische Sicherheit
nicht gewährleistet werden können, muss der Deutsche
Bundestag informiert werden, muss die Öffentlichkeit
informiert werden. Dann muss die Öffentlichkeit Gele-
genheit zur Stellungnahme bekommen; der Deutsche
Bundestag hat sowieso immer Gelegenheit zur Stellung-
nahme. Wenn es dann tatsächlich so sein sollte, dass die
Rückholung abgebrochen werden muss und die Still-
legung anders – das heißt ohne Rückholung – erfolgen
muss, dann ist dafür ein Planfeststellungsverfahren not-
wendig, mit entsprechender Anhörung der Öffentlichkeit
und auch mit Möglichkeiten zur Verbandsklage. Ich will
damit nur sagen, dass wir so viele Absicherungen in das
Verfahren eingebaut haben wie nur eben möglich.

Wegen des großen Misstrauens in der Bevölkerung,
das ich verstehe, haben wir von Anfang an, als wir uns
auf den Weg dieses Gesetzgebungsverfahrens gemacht
haben, die örtliche Bevölkerung eng einbezogen. Mit der
Asse-II-Begleitgruppe und dem Asse-II-Koordinations-
kreis hat es über ein Jahr hinweg regelmäßige Konsulta-
tionen gegeben. Da hat sich Ulla Heinen-Esser, unsere
Staatssekretärin, große Verdienste erworben. Sie war in
vier- bis sechswöchigen Abständen vor Ort in Wolfen-
büttel und hatte dort regen Kontakt zu den Menschen.

Auch wir Berichterstatterinnen haben diesen engen
Kontakt gehalten. Rechtsanwalt Gaßner, der von den
Bürgerinitiativen beauftragt wurde, hat an unseren Be-
richterstattergesprächen teilgenommen und an diesem
Gesetzentwurf mitgearbeitet. Im Dezember hatten wir
vor der ersten Lesung ein Gespräch mit den Vertretern
hier in Berlin. Im Januar gab es ein Gespräch im
Rahmen einer Podiumsdiskussion in Wolfenbüttel, wo
wir gemeinsam waren. Mehrere Sachverständige aus den
Reihen der Bürgerinitiativen waren bei unserer Anhö-
rung dabei. Von daher, glaube ich, haben wir die Bevöl-
kerung wirklich sehr gut einbezogen.

Aber es gibt bis heute – eben gerade habe ich noch
Mails bekommen – besorgte Bürgerinnen und Bürger, die
sagen: Das alles geht uns noch nicht weit genug. – Ich
will aber sagen: Lassen Sie uns jetzt dieses Gesetz verab-
schieden! Ich glaube, es ist so gut, wie ein Gesetz nur
eben sein kann. Es mag immer noch Fehler geben; es mö-
gen immer noch Wünsche offen sein. Aber wir sollten
dieses intensive Verfahren jetzt tatsächlich abschließen
und langsam anfangen, das Ganze in die Realität umzu-
setzen. Nochmals das Versprechen: Wir Politikerinnen
stehen für Ihre Anliegen, liebe Bürgerinitiativen, liebe
Bürgerinnen und Bürger, jederzeit zur Verfügung.

Liebe Frau Menzner, noch einmal vielen Dank für
Ihre Mitarbeit, für Ihre Unterstützung. Ich würde mir
sehr wünschen, dass auch die Linke ihrem Herzen einen





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)

Stoß geben kann. Ich verstehe, dass Sie enttäuscht sind.
Ich verstehe, dass Sie sich das anders gewünscht hätten.
Aber es wäre einfach ein wichtiges Signal, wenn wir
diese wichtige Angelegenheit aus dem politischen
Gerangel herausholen und uns ganz auf die Lösung der
Sache konzentrieren könnten. Deshalb möchte ich Sie
zugunsten der Menschen in der Region Wolfenbüttel
sehr bitten – natürlich auch alle anderen Kolleginnen
und Kollegen –: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und
stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722519200

Nun hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1722519300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Machen wir uns nichts vor: Das, was wir hier heute ver-
abschieden, ist nur ein Auftakt und kann auch nur ein
Auftakt sein. Denn das Asse-Gesetz dokumentiert ganz
deutlich die Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten
des Gesetzgebers. Wir können Gesetze noch so gut for-
mulieren, letztlich wird die Rückholung aus der Asse nur
gelingen und können wir das Vertrauen der Bevölkerung
vor Ort nur gewinnen, wenn zwei elementare Aspekte in
den nächsten Wochen, Monaten und Jahren gewährleis-
tet werden, nämlich erstens ein Hochmaß an Transpa-
renz und zweitens glaubwürdiges Handeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin sehr dankbar, dass die Staatsekretärin für uns
alle noch einmal deutlich gemacht hat: Wir wollen die
Rückholung, und wir wollen, dass jetzt alle, die mit die-
sem Gesetz arbeiten müssen, alles tun, um diese Rück-
holung zu befördern.

Gleichzeitig macht dieses Gesetz die Begrenztheit
von Wissenschaft, von Politik, von Verwaltung und von
Gesellschaft deutlich. Vor 50 Jahren haben Menschen
gesagt: Dieses Bergwerk ist geeignet. Dort könnt ihr die
Fässer für schwach- und mittelradioaktiven Abfall
lagern. – 45 Jahre später stellen wir fest: mitnichten.
Etwa 126 000 Fässer lagern in der Asse, und täglich gibt
es einen Wasserzufluss von circa 12 000 Litern.

Ich möchte an dieser Stelle ganz bewusst auch als
Niedersachse sagen: Wenn die Asse und die hier ge-
machten Erfahrungen einen Sinn haben, dann den, dass
wir hier in diesem Haus lernen, mit einer der größten
Herausforderungen, nämlich der Frage der Endlagerung
von atomarem Müll, sehr sensibel umzugehen.

Frau Staatssekretärin, der mir bekannte Entwurf eines
Gesetzes über ein Endlager von hochradioaktivem Müll
sieht in § 1 vor, dass ein Standort gesucht werden soll,
der bestmögliche Sicherheit über einen Zeitraum von

1 Million Jahre gewährleistet. Wir haben mit der Asse
die Erfahrung gemacht, dass Zusicherungen, dass wir
den atomaren Müll dort lagern können und auf die wir
vertraut haben, nicht einmal 50 Jahre gehalten haben.
Ich glaube, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn
wir gemeinsam die Frage der Endlagerung von hoch-
radioaktivem Müll angehen. Wir werden – nicht dass ich
falsch verstanden werde – unserer Verantwortung ge-
recht werden müssen. Wir können nicht nachfolgenden
Generationen die Beantwortung dieser Frage überlassen,
während nur wir den Nutzen hatten.

Ich finde es richtig, dass die niedersächsische Landes-
regierung einfordert – das tut sie zu Recht –, dass sehr
sorgfältig geprüft wird und dass sie mitsprechen kann.
Es gibt keine weiße Landkarte mehr in Deutschland. Wir
haben die Erfahrungen mit der Asse. Wir haben auch die
Erfahrungen mit dem Prozess der Endlagersuche in Gor-
leben. Wir haben Erfahrungen mit Salzgestein. Wir ha-
ben Erfahrungen mit Zusicherungen und fragen uns vor
diesem Hintergrund: Was sind solche Zusicherungen
nach einigen Jahrzehnten noch wert? Welchen Wert
müssen wir diesen Zusicherungen beimessen, wenn es
um die Lagerung über 1 000, 100 000 oder sogar 1 Mil-
lion Jahre geht?

Deswegen ist meine Bitte, dass wir, wenn wir die
nächste Etappe auf uns nehmen, vor allen Dingen versu-
chen, diese Frage aus parteipolitischen Auseinanderset-
zungen herauszuhalten. Ich finde, da haben die heutigen
Berichterstatterinnen ein gutes Beispiel geliefert. Wir
sollten Sorgfalt walten lassen, wie wir sie, glaube ich,
fast nicht menschlich ermessen können. Denn wir wis-
sen: Was sind schon 100 Jahre bei dem, was wir vor uns
haben, wenn wir für Generationen, für Millionen Jahre
etwas finden wollen? Wir sollten uns vor allen Dingen
auch Zeit nehmen, um ein Gesetz zu konzipieren, das ein
Großmaß an Transparenz, aber auch an Lernfähigkeit
beinhaltet.

Wir werden hier mit Sicherheit nicht die Lösung fin-
den können. Das ist eine enorme Aufgabe. Wir sollten
diese Aufgabe mit ganzer Solidarität und möglichst ohne
Zeitdruck angehen. Ich glaube, alle in diesem Raum,
auch die Landesregierung von Niedersachsen, die auf
der Bundesratsbank vertreten ist, auch die Bundesregie-
rung, sind dazu bereit. Das ist eine Frage, die sich dem
Gesetzgeber noch nie gestellt hat. Ich glaube, wenn wir
das berücksichtigen, dann stellen die negativen Erfah-
rungen, die wir augenblicklich machen – so schlimm sie
sind –, zwar eine Mahnung an uns dar, sind aber für den
weiteren Prozess eben auch hilfreich.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722519400

Florian Bernschneider hat das Wort für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Florian Bernschneider (FDP):
Rede ID: ID1722519500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wis-
sen, dass uns die Schachtanlage Asse II nicht nur vor
technische, sondern, wie wir heute sehen, auch vor juris-
tische Herausforderungen stellt. Wir alle wissen auch,
dass Zeit der wesentliche Faktor ist, damit die Rückho-
lung tatsächlich gelingen kann. Deswegen wäre es nicht
verantwortbar, durch verfahrenstechnische, durch büro-
kratische Stolpersteine wichtige Zeit zu verlieren. Des-
wegen ist es auch so wichtig, dass wir mit diesem Gesetz
heute eine Verfahrensbeschleunigung auf den Weg brin-
gen, ohne dabei Zeitgewinn auf Kosten der Sicherheit
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Menschen in
der Region zu generieren. Die Aufgabe, die hinter die-
sem Gesetzentwurf steht, lässt sich also ganz schnell be-
schreiben.

Trotzdem – auch wenn wir uns heute alle so einig sind –
warne ich davor, zu meinen, dass das eine einfache Dis-
kussion war, die die Berichterstatterinnen da geführt ha-
ben. Deswegen möchte ich als regional betroffener
Abgeordneter an die Berichterstatterinnen und die
Staatssekretärin meinen ganz herzlichen Dank dafür
richten, wie konstruktiv, wie fundiert, wie engagiert
diese Diskussion geführt wurde. Ich will in diesen Dank
ausdrücklich auch die Bürgerinitiativen und die Begleit-
gruppe einschließen, die dieses Gesetzgebungsverfah-
ren ja nicht nur konstruktiv begleitet haben, sondern
auch mit den Anstoß dafür gegeben haben, dass es über-
haupt erst zu diesem Gesetzentwurf kommen konnte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man sollte dabei nicht unterschätzen, was wir mit die-
sem Gesetz heute auf den Weg bringen. Es ist wesentlich
mehr als nur eine Verfahrensbeschleunigung, die wir
hier heute beschließen. Es ist das klare Signal: Ja, wir
wollen die Rückholung. – Und es ist noch mehr das klare
Signal: Wir als Deutscher Bundestag lassen die Men-
schen in der Region mit dem größten Umweltproblem in
unserem Land nicht alleine. – Dieses deutliche Signal ist
möglich, weil sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP mit
diesem gemeinsamen Gesetzentwurf auf wesentlich
mehr als auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geei-
nigt haben.

Ich weiß, dass die Anhörung viele offene Fragen be-
seitigen konnte – natürlich nicht alle –, dass es in der Re-
gion vereinzelt allerdings immer noch Kritik gibt. Aber
ich glaube, wir haben heute die große Chance, der Re-
gion mit einem geschlossenen Signal zu zeigen, dass
sich der Deutsche Bundestag dieses Themas annimmt.
Auch ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Linken
doch noch einen Ruck geben würden. Denn wenn wir
dieses Gesetz über alle Fraktionsgrenzen hinweg be-
schließen würden, hätte das natürlich noch einen wesent-
lich höheren Stellenwert. Man sollte sich nicht täuschen:
Bei all der Kritik im Detail, die auch ich in der Region
immer noch höre, sind doch alle Bürgerinnen und Bürger
dankbar, dass wir uns dieses Themas angenommen ha-
ben, Beschleunigungen auf den Weg gebracht haben und
ein klares politisches Signal für die Rückholung setzen.

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend
eine Forderung aufgreifen, die der Asse-II-Begleit-
gruppe, den Bürgerinitiativen, aber auch mir persönlich
wichtig ist und die sozusagen der Grundgedanke hinter
diesem Gesetz ist: Wir brauchen für die Rückholung der
Abfälle einen verbindlichen Zeitplan. Wir brauchen ein
klares und erkennbares Projektmanagement; hierzu muss
das Bundesamt für Strahlenschutz nach dem heute vor-
liegenden Gesetzentwurf einen Plan vorlegen, der öf-
fentlich und kontrollierbar ist.

Wesentlich ist Folgendes: Wir brauchen ein transpa-
rentes Verfahren, wir brauchen ein schnelles Verfahren,
mit dem man trotzdem keine zu hohen Risiken für die
Menschen in der Region eingeht, und wir brauchen eine
verantwortungsvolle Politik. Ich finde, heute beweisen
wir, dass der Deutsche Bundestag zu einer verantwor-
tungsvollen Politik in der Lage ist. Lassen Sie uns eine
so verantwortungsvolle Politik nicht nur heute machen,
sondern tatsächlich auch so lange, bis wir das letzte Fass
aus der Asse herausgeholt haben!

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722519600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle
und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II.

Zur Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung des Abgeordneten Paul vor.1)


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht wirklich, oder?)


Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12537, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 17/11822 in der Ausschussfassung
anzunehmen.

Hierzu liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.

Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsan-
trag auf Drucksache 17/12552. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Die einbrin-
gende Fraktion war dafür, Bündnis 90/Die Grünen haben
sich enthalten. Die übrigen Fraktionen waren dagegen.

Änderungsantrag auf Drucksache 17/12553. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt. Dafür hat die Fraktion Die Linke gestimmt, alle
anderen dagegen.

1) Anlage 16





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Änderungsantrag auf Drucksache 17/12554. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist wiede-
rum abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Die
Linke und gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen.

Änderungsantrag auf Drucksache 17/12555. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung
durch die Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen. Die anderen Fraktionen waren dage-
gen.

Änderungsantrag auf Drucksache 17/12556. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Fraktion Die Linke hat dafür gestimmt, Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten, die übrigen Fraktionen
waren dagegen.

Änderungsantrag auf Drucksache 17/12557. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist ab-
gelehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen, die SPD-Fraktion hat sich
enthalten, CDU/CSU und FDP waren dagegen.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men bei Zustimmung durch die CDU/CSU, FDP, Bünd-
nis 90/Die Grünen und SPD. Die Fraktion Die Linke hat
dagegen gestimmt. Es gab keine Enthaltungen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen möchte, den und die bitte ich aufzustehen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis wie vorher angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zu dem von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Rück-
holung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der
Schachtanlage Asse II. Der Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12537,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/12298 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Raju
Sharma, Jan Korte, Petra Pau, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes über die Grund-
sätze zur Ablösung der Staatsleistungen an

(Staatsleistungsablösegesetz – StAblG)


– Drucksache 17/8791 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss (f)

Federführung strittig

Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debat-
tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Das ist dann so beschlossen.

Der Kollege Raju Sharma hat jetzt das Wort für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722519700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Linke hat einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats-
leistungen an die Kirchen vorgelegt.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum eigentlich?)


Worum geht es dabei? – Zunächst sollte ich vielleicht er-
klären, worum es nicht geht. Wir reden heute nicht über
Kirchensteuern oder staatliche Zuschüsse für kirchliche
Kindergärten, Pflegeheime oder Seelsorger in Justizvoll-
zugsanstalten. All das wird gesondert geregelt, woanders
abgerechnet, und all das wird auch gesondert vergütet.

Wir reden heute über Entschädigungen, Entschädi-
gungen für Enteignungen, die 200 Jahre zurückliegen
und durch die man versucht hat, nach dem sogenannten
Reichsdeputationshauptschluss von 1803 Rechtsfrieden
zu schaffen. Seitdem zahlen die Länder Jahr für Jahr
pauschalierte Summen für Personalkosten und Baulasten
an die Kirchen.

Schon während der Verhandlungen über die Weimarer
Reichsverfassung gab es in der Gesellschaft einen gro-
ßen Konsens darüber, dass mit diesen Zahlungen Schluss
gemacht werden sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der liberale Friedrich Naumann – der Friedrich
Naumann – forderte schon im Jahr 1919, dass der Staat
Inventur macht und diese Staatsleistungen ablöst.


(Zuruf von der LINKEN: Damals schon gesagt!)


Darüber gab es, wie gesagt, einen großen Konsens.

In der Konsequenz wurde in der Weimarer Verfassung
ein doppelter Verfassungsauftrag


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


mit zwei Adressaten festgeschrieben: Erstens sollten die
Länder durch Landesgesetzgebung die Staatsleistungen
ablösen. Zweitens wurde das Reich bzw. später der Bund
verpflichtet, ein Grundsätzegesetz zu erlassen, damit
diese Ablösung nach einheitlichen Regeln stattfinden
kann. Dieser Verfassungsauftrag wurde später unverän-
dert in das Grundgesetz übernommen. Also nochmals:
doppelter Verfassungsauftrag mit zwei Adressaten, das
heißt, die Länder sind verpflichtet, Gesetze zu erlassen;
sie können ihrer Verpflichtung aber erst dann nachkom-
men, wenn zuvor der Bund seine Verpflichtung erfüllt
hat, indem er besagtes Grundsätzegesetz erlässt.





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)

Dieser Verfassungsauftrag ist jetzt über 90 Jahre alt.
Nun kann man fragen: Wo ist denn dieses Gesetz des
Bundes? – Sie können lange forsten in den Gesetzes-
archiven des Bundes, Sie werden feststellen: Da gibt es
kein Gesetz. Es gibt auch keine Initiative der Bundes-
regierung, so ein Gesetz auf den Weg zu bringen.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Gar nichts? – Zuruf von der LINKEN: 90 Jahre nicht!)


– Da ist nichts zu finden, Herr Kollege Wiefelspütz. –
Ich habe deshalb bei der Bundesregierung angefragt,
was sie zu tun gedenkt, um diesen Zustand zu beenden.
Die schriftliche Antwort der Bundesregierung war einer-
seits erfrischend offen, andererseits aber auch bemer-
kenswert dreist; denn die Aussage der Bundesregierung
war: Erstens. Ja, es gibt diesen Verfassungsauftrag.
Zweitens. Ja, wir wissen, er ist noch nicht erfüllt. Drit-
tens. Wir gedenken nicht, irgendetwas zu tun; es gibt
keinen Handlungsbedarf.

Wir als Linke sagen: So geht man mit unserem
Grundgesetz nicht um!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz [SPD] – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Rechtsstaatspartei Die Linke! Grundgesetzpartei Die Linke! Respekt!)


Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständ-
lich und verbindlich. Es ist aber nichts passiert.

Das Problem ist jetzt: Die Länder können nicht han-
deln; ihnen sind, weil der Bund untätig ist, die Hände ge-
bunden. So zahlen sie Jahr für Jahr Staatsleistungen in
Millionenhöhe,


(Zuruf von der LINKEN: 460 Millionen!)


jedes Jahr – alle Länder zusammen – ungefähr 500 Mil-
lionen Euro,


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: 460 Millionen!)


eine halbe Milliarde Euro, und können nichts tun. Das
allein ist Grund, aktiv zu werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz [SPD])


Die Länder müssen zahlen, obwohl sie – das wissen wir
alle – im Grunde gar kein Geld haben.

Ich will das an einem konkreten Beispiel festmachen,
wie viel Länder zahlen, die kein Geld haben: Schleswig-
Holstein – selbst ein verschuldetes Land – zahlt jedes
Jahr 12 Millionen Euro an Staatsleistungen. Genau diese
Summe fehlt dem Verkehrsminister des Landes für die
ganz irdische Beseitigung von Schlaglöchern in den
Straßen Schleswig-Holsteins; so wirkt sich das aus.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sind Sie ein genialer Haushaltspolitiker!)


– Ich komme gleich zu den Haushalten der Länder, für
die auch Sie sich einsetzen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn die Länder jetzt mit Kirchen verhandeln wol-
len, um diese Staatsleistungen zu reduzieren – dazu wer-
den sie von den Landesrechnungshöfen aufgefordert –,
dann müssen sie gegenüber den Kirchen als Bittsteller
auftreten; denn die Kirchen können völlig zu Recht sa-
gen: Solange der Bund kein Grundsätzegesetz erlassen
hat, haben wir einen Anspruch auf diese Staatsleistun-
gen.

Wir Linke haben jetzt einen Vorschlag eingebracht,
wie man das regeln kann,


(Beifall bei der LINKEN)


nicht nur, weil wir die Partei sind, die sich für die Verfas-
sung einsetzt, sondern auch – –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722519800

Entschuldigung, Herr Sharma! Herr Schwanitz würde

Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie
das zulassen?


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ist das abgesprochen? – Nein! – Gisela Piltz [FDP]: Muss das sein?)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722519900

Bitte.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722520000

Bitte schön.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1722520100

Herr Kollege Sharma, Sie haben aus meiner Sicht ei-

nen sehr guten und längst überfälligen Gesetzentwurf
vorgelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das betrifft auch die – ich sage einmal – Übergangsrege-
lungen in dem Gesetzentwurf; hier ist ja unter anderem
ein degressives Vorgehen vorgesehen. Ich habe eine
Frage an Sie: Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf in
diesem Zusammenhang von „Entschädigungszahlung“.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass es ange-
sichts der Tatsache, dass dieser Ablösungsbefehl seit
über 90 Jahren nicht eingelöst worden ist, der Begriff der
Entschädigung unangemessen ist und noch einmal über-
dacht werden muss?


Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722520200

Das ist ein interessanter Aspekt, Herr Kollege

Schwanitz. Man kann diese Rechtsauffassung vertreten.


(Zuruf von der FDP: Nein!)


Diese Rechtsauffassung wird auch in der Literatur ver-
treten. Viele Menschen sagen: Durch die jahrhunderte-
langen Zahlungen – darum handelt es sich ja – sind diese
Staatsleistungen längst abgegolten. – Wir haben uns
diese Rechtsauffassung in unserem Gesetzentwurf ganz
bewusst nicht zu eigen gemacht,


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie waren großzügig! Sie verschenken Geld!)






Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)

obwohl man sie natürlich vertreten kann, weil wir die
Diskussion nicht gleich an dieser Stelle beendet sehen
wollten. Wir wollen eine Diskussion und wollen diese
auch fortsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass die Länder das
Zehnfache eines Jahresbetrages als Ablösesumme zah-
len. Sie können das auf einen Schlag tun oder über einen
Zeitraum von maximal 20 Jahren strecken.

In 20 Jahren schreiben wir das Jahr 2033. Dann hätten
die Länder 230 Jahre lang Staatsleistungen an die Kir-
chen gezahlt. Der Verfassungsauftrag, der sagt, das
müsse beendet werden, wäre dann auch schon 114 Jahre
alt.

Wir finden, das ist ein moderater Vorschlag. Wir sind
aber ebenso der Meinung: Dann muss auch gut sein. Das
geht nicht bis in alle Ewigkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz [SPD])


Ich weiß, dass einige von Ihnen jetzt möglicherweise
wieder behaupten werden, dieser Vorschlag sei kirchen-
feindlich. Ich sage Ihnen: Das ist alles Quatsch. Dieser
Vorschlag ist sehr sinnvoll und überhaupt nicht kirchen-
feindlich. Ganz im Gegenteil! Der scheidende Papst
Benedikt XVI. hat in seiner Freiburger Rede 2011 darauf
hingewiesen, dass eine Entweltlichung der Kirche und
ein Abschaffen der Privilegien kein Angriff auf die Kir-
che ist, sondern dass das dazu beitragen kann, den christ-
lichen Glauben zu stärken.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Da hat er resigniert!)


Nun will ich hier bestimmt niemanden katholisch ma-
chen, und ich teile auch bei weitem nicht alles, was der
scheidende Papst gesagt hat; aber an dieser einen Stelle
hat er einfach einmal recht.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Die Staatsleistungen an die Kirchen sind kein Gottes-
dienst. Sie sind ein Relikt aus dem vorvorletzten Jahr-
hundert, und es ist höchste Zeit, Inventur zu machen und
aufgeräumt in die Zukunft zu gehen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Schwanitz [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722520300

Die Kollegin Beatrix Philipp hat ihre Rede zu Proto-

koll gegeben.1)

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Dieter
Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1722520400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe eigentlich immer geglaubt, ich kenne
unser Grundgesetz ganz gut.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Na ja!)


Ich musste mich aber eines Besseren belehren lassen.

Ich wusste, dass es einen Art. 138 der Weimarer
Reichsverfassung gibt, der auch fortgilt; aber mir richtig
vergegenwärtigt, was darin steht, habe ich bislang nicht.


(Gisela Piltz [FDP]: Was? Ich bin entsetzt!)


Das musste ich in den letzten Tagen tun. – Es ist entsetz-
lich, Frau Kollegin; das ist richtig. Ich schäme mich auch
ein wenig.


(Gisela Piltz [FDP]: Das ist nicht nötig!)


Ich stellte fest, dass wir seit 1919 einen Verfassungs-
auftrag haben, der nicht erfüllt wird. Ich habe dann kurz-
zeitig darüber nachgedacht: Könnte es sein, dass die
Kirchen, die hier Geld entgegennehmen, vielleicht die
Verantwortlichen sind, die man kritisieren und angehen
müsste? Wenn man sich aber mit dem Art. 138 der Wei-
marer Reichsverfassung auseinandersetzt, dann stellt
man fest, dass sich der Normbefehl nicht an die Kirchen,
sondern an uns richtet –


(Rüdiger Veit [SPD]: So ist das!)


an Sie alle, an mich und an diejenigen, die hier nicht sit-
zen, aber im Geiste anwesend sind.

Das heißt, das Verfassungsorgan Deutscher Bundes-
tag, unser Gesetzgeber, erfüllt einen Verfassungsauftrag
seit sehr vielen Jahrzehnten nicht: seit 1949 der Deut-
sche Bundestag nicht, aber auch – ich rede jetzt nicht
über die Nazizeit – das Weimarer Parlament, das Parla-
ment hier in diesem Hause während der Weimarer Repu-
blik, nicht. Hier muss ich Ihnen freimütig sagen: Als ich
mir darüber klar geworden bin, habe ich mich gefragt:
Was erzählst du denn jetzt, wenn du dich mit dem An-
trag der Linksfraktion auseinandersetzt?

Ich will zunächst einmal deutlich zum Ausdruck brin-
gen: Ich respektiere diesen Antrag, weil ich finde, auf
dieses Versäumnis, auf diese, wenn man so will, Miss-
achtung eines Verfassungsauftrages durch uns Parlamen-
tarier kann man nicht wirklich stolz sein.

Nun hat das alles seine Gründe. Es geht um 460 Mil-
lionen Euro. Sie werden in erster Linie von den Ländern
und nicht vom Bund gezahlt. Das ist nicht wenig Geld.
Andererseits ist das aber auch ein eher kleinerer Betrag
im Verhältnis zu den Einnahmen und Ausgaben der Kir-
chen in jedem Jahr. Trotzdem sind 460 Millionen Euro
keine kleine Summe.

Dies hat seinen Hintergrund – Sie haben das zutref-
fend dargestellt – in Säkularisierungsmaßnahmen An-
fang des 19. Jahrhunderts, vor über 200 Jahren. Auch
das war für mich neu, und es war für mich erstaunlich,
das zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn man diesen Zustand beklagt, dass wir als Ge-
setzgeber einen Verfassungsauftrag nicht erfüllen, dann1) Anlage 18





Dr. Dieter Wiefelspütz


(A) (C)



(D)(B)

wird man realistischerweise aber auch anerkennen müs-
sen: Wenn das 90 Jahre lang, 93 Jahre lang nicht erfüllt
wurde, wird das nicht von heute auf morgen zu regeln
sein.

Ich bin also sehr dafür, dass man den Hinweis ernst
nimmt und dass wir in Deutschland einen Diskussions-
prozess organisieren – nicht nur hier im Parlament, son-
dern auch mit den Kirchen –, um darüber zu reden, wie
das geht. Sie haben eine Summe genannt. Ich höre aus
kirchlichen Kreisen, dass das zu wenig ist. Das meine
ich jetzt auch gar nicht böse. Darüber wird zu reden sein.
Wie soll man das, was da vor 210 Jahren enteignet wor-
den ist, beziffern, um die Höhe einer Entschädigung oder
Erstattung – wie immer man das, Rolf Schwanitz, dann
bezeichnen will – zu ermitteln?

Ich höre, dass es auch bei den Kirchen Gesprächsbe-
reitschaft gibt. Wenn das so ist, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dann sollten wir einerseits ehrlich einräumen,
dass es keine gute Sache ist, dass wir über 90 Jahre lang
einen Verfassungsauftrag nicht erfüllt haben, aber ande-
rerseits auch anerkennen, dass das nicht – bei allem Re-
spekt vor Ihrem Antrag – von heute auf morgen zu än-
dern sein wird. Über Summen wird man reden müssen.

Ich rate dazu, dass wir einen fairen Diskussions- und
Gesprächsprozess mit den Kirchen und auch in diesem
Hause organisieren, um einmal zu schauen, ob wir im
Laufe der kommenden Zeit – ich glaube realistischer-
weise eher, dass das nicht innerhalb von wenigen Mona-
ten zu regeln sein wird – Ergebnisse erzielen können.

Ein Ergebnis könnte übrigens auch sein – das will ich
jetzt einmal in Klammern ansprechen –, dass wir das al-
les völlig in Ordnung finden, wie es ist. Dann allerdings
müsste man das Grundgesetz ändern. Nicht ertragen
kann ich – da bin ich zu sehr deformiert als Jurist, als
Verfassungsrechtler –, dass man kommentarlos einen
Grundgesetzartikel ignoriert, dass also wir als Gesetzge-
ber, der von jedem Bürger erwartet, dass er die Gesetze
ernst nimmt, unsere Verfassung nicht ernst nehmen. Das
kann keine Alternative sein,


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


sondern dann muss man gegebenenfalls den Art. 140 des
Grundgesetzes verändern. Wenn man beispielsweise den
jetzigen Zustand mit den Staatsleistungen für in Ord-
nung hält, dann muss man das so regeln.

Ich wäre sehr für einen kollegialen, fairen Diskus-
sionsprozess. Ich selber bin, anders als mein Vorredner,
Mitglied der evangelischen Kirche, ein gläubiger
Mensch. Sie glauben auch an irgendetwas, aber an etwas
anderes als ich. Ich bin also der Auffassung, dass man
diesen Prozess einleiten sollte, um dann zu klären, wie es
gehen könnte. Der jetzige Zustand kann im Grunde nie-
manden, der es mit unserem Grundgesetz ernst meint,
wirklich zufriedenstellen.

Schönen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722520500

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege

Dr. Stefan Ruppert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1722520600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, dass
Sie hier heute genau zu dem Zeitpunkt, zu dem viele un-
serer Kollegen in einem Gottesdienst des Rücktritts von
Papst Benedikt XVI. nicht nur gedenken, sondern ihn
sozusagen würdig begehen und ihm auch für seine Tätig-
keit Danke sagen, diesen Gesetzentwurf vorlegen. Fai-
rerweise muss man die Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen und von der Union entschuldigen. Wenn sie
hier ihre Reden zu Protokoll geben, dann liegt das nicht
an Desinteresse, sondern an dem zeitgleich stattfinden-
den Gottesdienst.

Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung, der
über Art. 140 unseres Grundgesetzes Bestandteil unserer
Verfassung geworden ist, ist schon, wie man feststellt,
wenn man in die historischen Materialien schaut, ein
Kompromiss. Schon damals haben USPD und SPD un-
tereinander vehement darum gerungen, wie man es da-
mit halten soll, und auch bei den Liberalen war zwischen
der DDP und der DVP Uneinigkeit über die Frage, wie
man mit den Staatsleistungen an Religionsgesellschaften
umzugehen habe.

Anders als es von Herrn Sharma dargestellt wird und
auch ein wenig anders als es Herr Wiefelspütz gesagt
hat, hat man sich damals bewusst auf den nicht einklag-
baren, eher deklaratorischen und eine Absicht bekunden-
den Kompromiss geeinigt, dass man eines – fernen – Ta-
ges die Staatsleistungen ablösen werde. Schaut man sich
genauer an, wie diese Staatsleistungen zusammengesetzt
sind, dann kommt man als Verfassungsrechtler in der Tat
etwas ins Grübeln und stellt fest, dass das keiner erkenn-
baren Systematik folgt. Es gibt sogar Landeskirchen
oder Bistümer, die gar keine Staatsleistungen erhalten.
Die Leistungen sind regional ungleich verteilt. Aber so
ist das nun einmal, wenn eine Leistung historisch ge-
wachsen ist und unterschiedliche Funktionen erfüllt.
Wenn man mit den Kirchen im Dialog darüber ist, stellt
man fest: Es gibt Landeskirchen, bei denen die Staats-
leistungen gar keine Rolle spielen, und es gibt Landes-
kirchen, bei denen sie eine erhebliche Rolle spielen,
etwa im Osten, weil Christen dort durch das Wirken Ih-
rer Vorgängerpartei, meine sehr geehrten Damen und
Herren von der Linken, einen sehr schweren Stand hat-
ten und ganze Landstriche sozusagen entchristianisiert
worden sind. Gerade diese Christen sozusagen in der
Diaspora sind sehr wohl auf die historisch gewachsenen
Leistungen angewiesen, nachdem sie dort über 40 Jahre
tätig waren.


(Beifall bei der FDP)


Schauen wir uns einmal an, wie diese Staatsleistun-
gen zusammengesetzt sind, Herr Wiefelspütz. Es handelt
sich nicht nur – auch hier ist der Antrag der Linken
handwerklich leider nicht sauber verfasst – um Leistun-





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)

gen aus dem Reichsdeputationshauptschluss. Vielmehr
sind während des ganzen 19. Jahrhunderts, ja sogar noch
im 20. Jahrhundert Leistungen hinzugekommen, zum
Teil sozusagen auf historischem Grund basierend, zum
Teil aber auch aus Staatskirchenverträgen oder Konkor-
daten stammend. Es handelt sich um ein wirres bzw. un-
übersichtliches Gemisch aus Ansprüchen.

Vor diesem Hintergrund muss ich Ihren Antrag ein
wenig geraderücken. Es handelt sich eben nicht um eine
Rechtsposition, die einseitig aufkündbar wäre. Wir kön-
nen nicht einfach deklaratorisch sagen: Wir lösen die
Staatsleistungen jetzt zu einem gewissen Satz ab. – Viel-
mehr geht es darum, mit den Kirchen konsensuale Ge-
spräche zu führen und darüber nachzudenken, wie man
in nicht allzu ferner Zukunft einen Kompromiss finden
kann. Übrigens sagen sowohl der Finanzchef der EKD
als auch einzelne Stimmen aus der katholischen Kirche,
dass sie durchaus dialogbereit sind. Diesen Dialog soll-
ten wir aufnehmen und führen. Wir sollten nicht einsei-
tig und bewusst einen nach herrschender Meinung
rechtswidrigen oder enteignend wirkenden sehr niedri-
gen Satz gesetzlich festlegen. Wer wirklich Erfolg in die-
ser Sache haben will, darf gerade nicht so vorgehen, wie
Sie es tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Raju Sharma [DIE LINKE]: Werden Sie etwas tun, Herr Ruppert?)


– Ja, wir haben schon etwas getan. Es war eine christ-
lich-liberale Landesregierung in Hessen, die die kommu-
nalen Baulasten abgelöst hat. Dort sind wir genau so
vorgegangen, wie wir das eben besprochen haben. Es
gibt Staatsleistungen von Länderseite, aber auch kom-
munale Staatsleistungen. Häufig handelt es sich dabei
um Baulasten. So wurde früher beispielsweise festge-
legt: Dem Pfarrer der Stadt sind zwei Schweine und ein
Fass Bier zu liefern, und die Kirchenglocke ist vonseiten
der Kommune instand zu halten. – Diese sehr unüber-
sichtliche Rechtslage zersplitterte – auch in Hessen –,
und keiner wusste mehr ganz genau, was eigentlich Ge-
genstand der kommunalen Staatsleistungen an die Kir-
chen ist. Jene christlich-liberale Koalition in Hessen hat
eine Erhebung durchführen lassen, hat das alles zusam-
mengefasst und hat eine Abfindung bzw. eine Verren-
tung der Ansprüche gefunden. Das ist zur beiderseitigen
Zufriedenheit geschehen; denn die Kirchen konnten so
ihre zunehmend in Vergessenheit geratenen Rechtsposi-
tionen einmalig geltend machen und wurden auch mone-
tär entschädigt. Gleichzeitig wurde das komplizierte
Rechtsverhältnis, das auf lokaler Ebene bestand, in ein
geordneteres Verfahren überführt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722520700

Herr Ruppert, der Kollege Sharma würde Ihnen gerne

eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1722520800

Gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722520900

Bitte schön.


Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722521000

Herr Kollege Ruppert, vielen Dank, dass Sie meine

Zwischenfrage zulassen. – Mir ist schon bekannt, dass
einige Länder mittlerweile die Staatsleistungen abgelöst
und Vereinbarungen mit den Kirchen getroffen haben.
Ich bitte Sie nur, erstens zur Kenntnis zu nehmen, dass
das nicht nach einheitlichen Maßstäben passieren kann.

Zweitens. Wenn der eine Verhandlungspartner mit der
Forderung des anderen Verhandlungspartners konfron-
tiert wird und dem entgegenhalten kann: „Das, was du
willst, kannst du dir wünschen, aber du hast gar keinen
Anspruch darauf, und ich muss mit dir gar nicht verhan-
deln“, würden Sie mir dann zustimmen – vielleicht se-
hen Sie das anders –, dass die Verhandlungsposition des
einen eindeutig besser ist als die des anderen und dass
Verhandlungen auf Augenhöhe gar nicht möglich sind,
weil der eine sofort sagen kann: „Ich muss nicht verhan-
deln“?

Auch solche praktischen Erfahrungen gibt es. So ha-
ben Sie es möglicherweise auch in Hessen verhandelt.
Ich habe in Schleswig-Holstein andere Erfahrungen ge-
macht, ohne dass man der Kirche einen Vorwurf machen
kann. Wie jeder Verhandlungspartner versucht natürlich
auch die Kirche, ihre eigene Verhandlungsposition und
nicht die des anderen möglichst zu stärken.


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1722521100

Herr Kollege Sharma, es trennt uns in der Tat das

Politikverständnis. Ich halte es eher mit dem Kollegen
Wiefelspütz. Wenn man in der Sache etwas erreichen
will, dann führt man ein Gespräch und bringt nicht ein-
seitig deklaratorisch einen Gesetzentwurf ein, der zudem
aus meiner Sicht enteignungsgleiche Bedingungen ent-
hält. Ich weiß, dass Sie mit dem ersten Versuch einer ge-
setzlichen Regelung vor zwei oder drei Jahren auch bei
Ihrer eigenen Fraktionsführung auf erheblichen Wider-
stand gestoßen sind


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was Sie so alles wissen!)


und man diesen den Kirchen gegenüber sehr unfreundli-
chen Akt wieder zurückgezogen hat. In größerer Wahl-
kampfnähe versuchen Sie es jetzt erneut, aber nicht zu
Bedingungen, die der geltenden Rechtslage entsprechen.
Wenn man etwas erreichen will – insofern trennt uns un-
ser Politikverständnis –, geht man dabei anders vor als
einseitig, so wie Sie es hier tun.


(Beifall bei der FDP)


Ich könnte weitere Beispiele aufzählen. Im Bistum
Paderborn beispielsweise ist erreicht worden, dass die
Staatsleistungen abgelöst worden sind. Wir Liberale sind
keineswegs der Auffassung, dass der Umstand, dass ein
katholischer Bischof in Bayern vom Staat bezahlt wird,
der Weisheit letzter Schluss ist. Auch Benedikt XVI.
– das haben Sie richtig gesagt – hat in der Entwelt-
lichungsdebatte durchaus Hinweise dazu gegeben.

An dieser Stelle ist Ihr Antrag aber nicht handwerk-
lich sauber ausgearbeitet. Gerade diese Ansprüche beru-





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)

hen nicht auf dem Reichsdeputationshauptschluss, son-
dern ergeben sich aus anderen Rechtsquellen.

Der bayerische Landesbischof der evangelischen Kir-
che denkt gerade über eine Ablösung nach. Auch auf ka-
tholischer Seite gibt es Stimmen, die sagen: Wir sollten
in einen Dialog eintreten und überlegen, wie das in Zu-
kunft gehandhabt wird.

Aufgrund der zersplitterten Rechtslandschaft ist es
eine sehr mühselige Arbeit, die hier zu leisten ist. Wenn
wir aber das Gespräch konsensual gestalten und den
Rechtsanspruch der Kirche achten, dann könnte man
durchaus etwas erreichen. Auch bei den Kirchen wird
darüber nachgedacht, dass die Preise für solche Ablö-
sungen in einer – aus meiner christlichen Sicht leider –
sich abwendenden Gesellschaft wahrscheinlich nicht
besser werden.

Daher sollten wir das gemeinsam und eher konsen-
sual angehen, aber nicht mit einem kulturkämpferischen
Habitus.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Dann erreichen Sie auch etwas, so wie in Hessen und in
Paderborn. Unterschiedliche Couleurs haben schon bes-
sere Vorarbeit geleistet, als Sie es mit Ihrem Gesetzent-
wurf machen. Deshalb werden wir diesem leider nicht
zustimmen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katharina Landgraf [CDU/CSU])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722521200

Der Kollege Josef Winkler und die Kollegin Maria

Flachsbarth haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Ich gebe jetzt der Kollegin Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1722521300

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Die Fraktion Die Linke hat einen Gesetzentwurf
zu einem Thema vorgelegt, über das es sich zu diskutie-
ren lohnt; das haben, glaube ich, alle schon gewürdigt.
Allerdings muss man sagen, dass die Ablösung von
Staatsleistungen an die Kirchen bisher nur in sehr weni-
gen Fällen – die kommunalen Fälle in Hessen hat der
Kollege Ruppert geschildert – stattgefunden hat. Das hat
auch seine Gründe. Man muss also sehr genau hin-
schauen, um feststellen zu können, warum das wo und
wie funktioniert hat.

Den Weg, den Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschla-
gen, halte ich so für nicht gangbar. Ich bin aber sehr da-
für, dass wir diese Fragen diskutieren; denn dahinter
steckt auch die Frage, wie wir unter Beibehaltung der
Trennung von Staat und Kirche, die wir in Deutschland
jetzt schon haben – und das ist auch gut so –, die wich-

tige zivilgesellschaftliche Arbeit der Kirchen unterstüt-
zen können.

Auch das muss einmal gesagt werden: 70 Prozent der
Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Kirche
oder einer Religionsgemeinschaft; etwa ein Drittel ist
evangelisch, ein Drittel ist katholisch. Das ist also kein
Anliegen einer kleinen Gruppe.

Ich bin dafür, dass wir im Gespräch mit den Bundes-
ländern – meine Vorredner haben bereits gesagt, dass es
hauptsächlich auf die Länder ankommt – und mit den
Kirchen darüber reden, wie und ob man diese Staatsleis-
tungen ablösen kann. Dazu vier Punkte.

Erstens. Die Ausgangslage ist bereits geschildert wor-
den. Den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ken-
nen nach dieser Debatte alle hier Anwesenden. Das ha-
ben wir den Nichtanwesenden voraus. Das muss man
noch einmal genau nachlesen. Mit dem Reichsdeputa-
tionshauptschluss sind die Kirchen für die Enteignung
und Säkularisierung kirchlicher Güter entschädigt wor-
den. Sie sind für eine Quelle entschädigt worden, die ih-
nen regelmäßig die Finanzierung ihrer Arbeit sicherte.
Deshalb ging es damals nicht um eine einmalige Zah-
lung, sondern um einen Ersatz für die wirtschaftliche
Grundlage, die es den Kirchen ermöglichte, Strukturen
und Personal zu finanzieren.

Die Weimarer Reichsverfassung, deren Artikel wir
ins Grundgesetz übernommen haben – das haben beru-
fene Juristen hier geschildert –, hat als einen wichtigen
Schritt zur Trennung von Staat und Kirche diese Leistun-
gen genau so gesetzlich verankert, wie wir es jetzt vor-
finden. Eines ist mir wichtig: Es handelt sich nicht um
eine Privilegierung oder Bevorzugung der Kirchen, son-
dern um geltendes Recht und um geltende Verträge. Inte-
ressant ist ja auch, dass die Religionsgemeinschaften
erweitert werden können. Es gibt inzwischen auch
Staatsleistungen für die jüdischen Landesgemeinden und
für den Zentralrat der Juden in Deutschland. Die Länder
Hamburg und Bremen haben als Erste Staatsverträge mit
islamischen Gemeinschaften unterzeichnet. Auch da
verändert sich also etwas.

Zweitens. Unser Staat ist ein säkularer, aber er ist kein
laizistischer. Wir haben selbstverständlich Religionsfrei-
heit, ein hohes, wichtiges Gut der Menschenrechte. Die
Verfassungsrechtler nennen die Neutralität unseres Staa-
tes eine „fördernde Neutralität“, eine positive Religions-
freiheit, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht,
ihre Religion zu leben – oder auch nicht, wenn sie es
nicht möchten. Daher ist der – etwas durchklingende –
Rückkehrschluss Ihres Gesetzentwurfes, wir hätten erst
dann eine Trennung von Staat und Kirche, wenn Ihr Ge-
setzentwurf beschlossen worden ist, meines Erachtens
sicherlich falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Drittens. Ich will betonen, dass es viele Äußerungen
aus dem kirchlichen Raum gibt. Kollege Ruppert hat den
bayerischen evangelischen Landesbischof zitiert. Die
EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, hat be-
reits 2011 erklärt, dass sie bereit ist, mit den Bundeslän-1) Anlage 18





Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)

dern über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhan-
deln. Der bayerische evangelische Landesbischof hat
sein Befremden darüber geäußert, dass sein eigenes Ge-
halt aus dem Haushalt des Freistaats Bayern bezahlt
wird. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes hat
diese Staatsleistungen sogar als „nicht mehr zeitgemäß“
bezeichnet.

Ich will ausdrücklich festhalten: Die Kirchen ver-
schließen sich dem Thema nicht. Ich will dazu den Ver-
fassungsrechtler Professor Hans Michael Heinig zitie-
ren, der gesagt hat:

Aber da die Kirchen ein partnerschaftliches Ver-
hältnis zum Staat pflegen und das Grundgesetz mit
seinen religionsfreiheitlichen Komponenten wert-
schätzen, müssen sie auch das Ablösegebot ernst
nehmen.

Diesem Appell kann ich mich nur anschließen.

Viertens – das ist mein letzter Punkt –: Es kommt
eben auf die Bedingungen der Ablösung an. Sie schrei-
ben selber in Ihrer Gesetzesbegründung: Alle seriösen
Vorschläge beziehen sich auf die 18- bis 25-fache
Summe der jährlichen Zahlung als Ablösesumme. Inso-
fern ist der in Ihrem Gesetzentwurf gemachte Vorschlag,
einmalig die 10-fache Summe zu zahlen, glaube ich,
auch ein bisschen provokativ gemeint. Damit machen
Sie es sich etwas zu einfach. Aber selbst da, wo es in den
Bundesländern Debatten gab – ich habe das zum Bei-
spiel in den Plenarprotokollen des thüringischen Landta-
ges nachgelesen –, haben sich die Bundesländer
entschlossen, es lieber bei der jährlichen Zahlung zu be-
lassen, als diese einmalige Summe aufzubringen.

Die Zahlungen umfassen bundesweit etwa 460 Mil-
lionen Euro; davon gehen knapp 240 Millionen Euro an
die evangelischen Landeskirchen. Das macht im Durch-
schnitt 2 Prozent ihres Etats für die kirchliche Arbeit
aus. Man sollte jetzt also nicht so tun, als machten diese
Zahlungen den größten Teil des Etats aus.

Wichtig ist, dass die Situation in den Ländern sehr he-
terogen ist. Deshalb kann man das Ganze nicht für alle
gleich lösen. Zur Erläuterung ein paar Zahlen: Baden-
Württemberg zahlt jährlich 100 Millionen Euro an die
Kirchen, Nordrhein-Westfalen etwa 21 Millionen Euro,
die gleiche Summe wie Thüringen. Das hat, glaube ich,
mit Kirchengeschichte und -bauten zu tun. Das zeigt
noch einmal, dass eine pauschale Ablöseregelung, wie
Sie sie vorschlagen, nicht funktionieren kann.

Auf Landesebene gab es erste konkrete Schritte zur
Umsetzung; wir haben Entsprechendes gerade von Hes-
sen gehört. Ich verweise auch auf die Regelung in Pader-
born. Wichtig ist, dass dort, wo die Ablösung geregelt
wurde, immer von einer partnerschaftlichen Verantwor-
tung gesprochen worden ist. Damit komme ich zu einem
Punkt, der für mich zu den Bedingungen für eine Ablö-
sung dazugehört. Es wäre gut, wenn der Bund sowohl
mit den Ländern als auch mit den Kirchen partnerschaft-
lich verhandeln würde. Ich plädiere dafür, dass wir eine
sachliche Diskussion dazu führen, mit allen Beteiligten,
nicht ohne sie.

Ich will zum Abschluss festhalten, dass wir bei aller
– oft notwendigen – Kritik an den Kirchen, über die si-
cherlich anderenorts zu diskutieren ist, die Arbeit der
Kirchen und Religionsgemeinschaften in unserem Land,
ihr soziales Engagement, ihr Engagement für Flücht-
linge und Asyl, ihre internationale Verantwortung, zum
Beispiel in der Entwicklungshilfe, sehr wertschätzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722521400

Der Kollege Norbert Geis hat seine Rede zu Proto-

koll gegeben.1)

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8791 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. CDU/CSU und FDP wünschen Federfüh-
rung beim Innenausschuss, die Fraktion Die Linke beim
Rechtsausschuss.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke, Überweisung an den Rechtsaus-
schuss, abstimmen. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag
abgelehnt. Die Fraktion Die Linke hat für den Vorschlag
gestimmt, alle anderen dagegen. Enthaltungen gab es
keine.

Jetzt lasse ich über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Überweisung an
den Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit
ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke; alle anderen waren
dafür.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Amts-
hilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher

(Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG)


– Drucksache 17/12375 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/12532 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. Barbara Höll
Dr. Thomas Gambke

1) Anlage 18





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/12533 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler

Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.

Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1722521500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem vorliegenden Amtshilferichtlinie-Umsetzungs-
gesetz – schöner Name – werden wir diejenigen Maß-
nahmen aus dem gescheiterten Jahressteuergesetz 2013
auf den Weg bringen, die jetzt zwingend einer Umset-
zung bedürfen. Es geht dabei insbesondere um Anglei-
chungen an EU-Recht, um Vertragsverletzungsverfahren
zu verhindern, die sonst vonseiten der Europäischen
Kommission drohen. Zu nennen sind hier beispielsweise
die Umsetzung der EU-Rechnungsrichtlinie sowie die
Anpassungen beim ermäßigten Steuersatz für Kunstge-
genstände. Daneben geht es uns auch um die Bekämp-
fung von Steuermissbrauch. Hier will ich nur das Stich-
wort „Goldfinger-Modell“ nennen; wir werden es mit
dieser Gesetzesvorlage beenden und damit dem Miss-
brauch das Wasser abgraben.

Elektrofahrzeuge sollen bei der Bemessungsgrund-
lage für die 1-Prozent-Versteuerung, der sogenannten
Dienstwagenregelung, von einer pauschalen Listenpreis-
minderung profitieren. Wichtig sind für uns auch die
notwendigen Neuregelungen im Bereich der Vorschrif-
ten zur Einführung des Verfahrens der elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale. – Dieses Gesetz strotzt ge-
radezu vor langen Wörtern;


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nicht nur vor langen Wörtern!)


aber so ist unser Steuerrecht nun einmal. – Hier ist eine
Neuregelung dringend erforderlich, weil diese Vorschrift
ab dem 1. Januar 2013 bereits aufgehoben wurde.
Gleichzeitig gewähren wir den Arbeitgebern mehr Zeit
zur Umstellung auf das ELStAM-Verfahren. Damit ver-
meiden wir technische und organisatorische Probleme,
die bei einem gleichzeitigen Einstieg aller Arbeitgeber
zu einem festen Termin entstehen können.

Wir wollen, dass diese Maßnahmen noch in der lau-
fenden Legislaturperiode in Kraft treten. Ich will hier
nicht noch einmal die Historie des gescheiterten Jahres-
steuergesetzes 2013 im Detail aufzeigen. Ich glaube im
Übrigen auch nicht, dass es die Bürgerinnen und Bürger
in diesem Land interessiert, wenn wir uns hier darüber
streiten, wer für das Scheitern des Jahressteuergesetzes

2013 verantwortlich ist. Fakt ist aber: Wir haben das Jah-
ressteuergesetz 2013 hier in diesem Haus bereits im Ok-
tober letzten Jahres verabschiedet und beschlossen. Fakt
ist: Dieses Jahressteuergesetz 2013 ist, ebenso wie das
Gesetz zum Abbau der kalten Progression, wie das Ge-
setz zum Deutsch-Schweizer Steuerabkommen und wie
das Gesetz zur steuerlichen Absetzbarkeit der energeti-
schen Sanierung, im rot-grün dominierten Bundesrat ge-
scheitert.

Der vorliegende Gesetzentwurf – es ist ein abge-
speckter Gesetzentwurf – trägt nun den schwierigen
Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat Rechnung. Ich
weiß, Sie hätten gern Ihren großen Änderungsantrag.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, ich bitte auch um Verständnis, wenn wir uns hier
nicht am Nasenring durch die Manege ziehen lassen.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Nein!)


Sie haben im Bundesrat ein klares Foul begangen; das
wissen Sie. Sie können nicht von uns erwarten, dass wir
mit Ihnen weiterspielen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie waren doch gar nicht dabei!)


Wenn es Ihnen mit Sachpolitik ernst ist, dann stim-
men Sie heute hier zu. Aber das wollen Sie nicht. Nein,
Sie wollen mit Ihrem Änderungsantrag die Konflikte,
die wir im Bundesrat hatten und die im Vermittlungsaus-
schuss weitergingen, auch hier wieder austragen. Ich
habe schon im Ausschuss gesagt: Das Ganze erinnert
mich an die Argalis im Tierreich. Ich weiß nicht, ob Sie
sie kennen. Das sind Wildschafe mit großen Hörnern,
die regelmäßig aufeinanderprallen und mit den Hörnern
zusammenstoßen –


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der eine heißt FDP, der andere CDU/CSU!)


bis irgendwann jemand aufgibt, weil er Kopfschmerzen
hat. Aber so funktioniert es hier nicht.

Sie kamen hier mit Ihrem Änderungsantrag um die
Ecke,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nicht um die Ecke! Ganz klar von vorne!)


obwohl Sie genau wussten, dass wir nach der letzten
Nummer im Bundesrat diesem Änderungsantrag so nicht
zustimmen werden – prinzipiell nicht, weil wir uns hier
nicht zum Affen machen,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das macht ihr selber! Das müssen wir nicht!)


aber auch aus inhaltlichen Gründen nicht; darauf will ich
gleich eingehen.

Ein Beispiel sind die sogenannten Cash-Gesellschaf-
ten. Natürlich wollen auch wir von den Koalitionsfrak-
tionen missbräuchliche Gestaltungen im Erbschaftsteuer-
recht verhindern.





Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind sich doch gar nicht einig in diesem Punkt!)


Wer in diesem Haus würde überhaupt dafür eintreten,
missbräuchliche Gestaltungen im Steuerrecht nicht zu
beseitigen? Jeder in diesem Haus möchte Missbrauch im
Steuerrecht verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP])


Im Übrigen ist dies auch im Interesse unserer Unterneh-
men, der deutschen Mittelständler und der Familienun-
ternehmen in diesem Land, die sich in schwierigen Pro-
zessen der Unternehmensnachfolge befinden. Sie selbst
haben ein Interesse daran, dass sie nicht in irgendeinen
Missbrauchstopf geworfen werden; auch sie haben ein
Interesse daran, dass wir hier die Sache regeln.

Nur würde das, was Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, in Ihrem Änderungsantrag vorschla-
gen,


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das gemacht, wozu Sie zugestimmt haben!)


dazu führen, dass jegliche Liquidität in den Betrieben als
schädlich erachtet und einen Missbrauchsverdacht erwe-
cken würde. Die 10-Prozent-Liquiditätsgrenze entspricht
nicht der Lebenswirklichkeit in mittelständischen Betrie-
ben. Die 10-Prozent-Grenze, die Sie hier vorschlagen,
kann sogar insolvenzrechtlich problematisch werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der von Ihnen übernommene Vorschlag des Bundes-
rates schießt deutlich über das Ziel hinaus.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!)


Wir müssen hier eine gangbare Alternativlösung entwi-
ckeln – darüber herrscht Konsens in der Koalition –, die
Missbrauch vermeidet, aber eben auch Arbeitsplätze
schützt. Wir werden zeitnah einen entsprechenden Vor-
schlag erarbeiten; wir werden hier handeln.

Der vorliegende Entwurf unserer Koalition ist im Üb-
rigen nicht das letzte Gesetz dieser Koalition in dieser
Legislaturperiode. Das, was wir hier vorlegen, ist nicht
das Ende der Fahnenstange beim großen Komplex des
gescheiterten Jahressteuergesetzes 2013.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Oh!)


Im ursprünglichen Jahressteuergesetz der Koalition war
zum Beispiel eine Umsatzsteuerbefreiung für Betreu-
ungsleistungen sowie für Leistungen von Bühnenregis-
seuren vorgesehen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja! Und?)


An der Notwendigkeit dieser Maßnahmen halten wir
selbstverständlich nach wie vor fest; aber wir werden sie
nicht mit diesem Gesetz umsetzen,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Warum nicht?)


weil wir hier ein schlankes Gesetz wünschen, das schnell
durch den Bundesrat geht.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ach! Da sind Ihnen die Menschen egal?)


Wir werden diese Maßnahmen in einem folgenden Ver-
fahren umsetzen.

Das Gleiche gilt für den besonderen Gewerbesteu-
erzerlegungsmaßstab im Zusammenhang mit Photovol-
taikanlagen. Wir werden die Maßnahme, die wir in die-
sem Haus bereits debattiert und mit dem Jahressteuer-
gesetz 2013 beschlossen haben, nach Abschluss des vor-
liegenden Gesetzgebungsverfahrens noch einmal inten-
siv prüfen. Wir werden schauen, wie wir diese Maßnah-
men möglichst zügig umsetzen und verwirklichen können.

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
kann nur sagen: Wenn Sie wirklich etwas für die Men-
schen in diesem Land tun wollen, dann stimmen Sie
heute zu, und lassen Sie dieses Gesetz möglichst schnell
in Kraft treten. Sagen Sie Ihren Kolleginnen und Kolle-
gen im Bundesrat, dass sie das Gleiche tun sollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722521600

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Lothar Binding

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1722521700

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Lesung
habe ich das Jahressteuergesetz 2013 noch kritisiert. Ich
habe gesagt: Es enthält sehr viele kleinteilige Regelun-
gen; gemessen an der Koalitionsvereinbarung fehlen die
wichtigen Dinge: die Reform der Mehrwertsteuer, der
Unternehmensteuer usw. Aber immerhin: Wenn man be-
reit war, einmal auf die großen Lösungen zu verzichten
und sich auf die kleinteiligen einzulassen, konnte man
erkennen, dass im Vermittlungsausschuss ein ganz gutes
Ergebnis erzielt wurde.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Fast alles war ausgehandelt; sagen wir einmal: 98 Pro-
zent.

In der Koalitionsvereinbarung von Schwarz-Gelb,
von CDU, CSU und FDP, gab es einen Passus, der die
steuerrechtliche Gleichstellung der eingetragenen Le-
benspartnerschaften betrifft. Wer hätte darauf kommen
können, dass es ausgerechnet dann, wenn man etwas ein-
bringt, was in Ihrem Vertrag steht, zur Explosion kommt,


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Wer hätte darauf kommen können? Völlig überraschend!)


dass man wegen der einen plötzlich von Ihnen nicht
mehr gewünschten Vereinbarung die 98 Prozent, die aus-
gehandelt waren, in Gefahr bringt?





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

Jetzt bekommen wir einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der nicht die ausgehandelten 98 Prozent enthält, sondern
vielleicht nur noch 15 Prozent, und das halte ich für ein
ganz großes Problem. Wir sehen hier ein bisschen einen
philosophischen Unterschied zwischen den verschiede-
nen Parteien. Wir haben hier gelernt: Erst kommt die
Partei, dann kommt die Partei, und dann kommt die Par-
tei.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wir sind doch hier nicht bei den Sozialdemokraten!)


Dann kommt möglicherweise lange gar nichts, und dann
kommt erst der Bürger.

Ich will das einmal am Beispiel meines Wahlkreises
beschreiben: In meinem Wahlkreis ist es so, dass die
Bürger unbedingt und schon seit langem auf das Amts-
hilferichtlinie-Umsetzungsgesetz warten. Praktisch kön-
nen die sich gar nichts anderes vorstellen, als dieses tolle
Gesetz zu haben. Damit es für sie leichter wird, haben
wir auch die Abkürzung geübt: AmtshilfeRLUmsG. Die-
ses erwarten die Bürger jetzt ganz dringend.


(Heiterkeit bei der SPD)


Die Maßnahmen gegen Missbrauch im steuerlichen
Bereich fehlen praktisch komplett.


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Goldfinger!)


Das ist ein Desaster; da sind wir uns alle einig. Trotzdem
verzichten wir jetzt auf eine Regelung, die schon fast ge-
setzlich geregelt war. Das ist eigentlich völlig verrückt.
Wir brauchten nur den Arm zu heben und hätten eine Su-
perlösung. Aber nein, man schafft ein neues, sehr sperri-
ges Gesetz. Im Grunde wird jetzt eine Formalie be-
schlossen, die man eigentlich gar nicht zu beschließen
braucht; die ist zwingend. Aber auf das, was an politi-
scher Gestaltung notwendig ist, verzichtet die Regie-
rung. Dies geschieht nicht zum ersten Mal; aber man
muss doch die gleiche Dummheit nicht immer wieder
begehen.

Eine Regelung zur Monetarisierung von Verlusten
– dies betrifft das Umwandlungsteuergesetz – fehlt kom-
plett. Eine Regelung zu Cash-GmbHs im Rahmen der
Erbschaftsteuergestaltung fehlt komplett. Die Grund-
erwerbsteuergestaltung, das, was man RETT-Blocker –
Real-Estate-Transfer-Tax-Blocker – nennt, fehlt kom-
plett. Zu welchen Einnahmeausfällen dies für unseren
Fiskus, für unsere Gesellschaft, führt, sollte man sich
einmal klarmachen. Die Vermeidung weißer DBA-Ein-
künfte, also Gestaltungen von Gewinnen über DBA-Ab-
kommen bei hybriden Finanzierungen, fehlt komplett.
Die Verhinderung von Steuertricks bei der Wertpapier-
leihe fehlt komplett. Ich muss sagen: Das ist ein Desas-
ter.

Die Anpassungen im Einkommensteuergesetz an die
Aussetzung der Wehrpflicht, eine Regelung zu den Be-
zügen für freiwilligen Wehrdienst, fehlen komplett. Die
gesetzliche Klarstellung zur steuerlichen Berücksichti-
gung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Be-
lastungen als Reaktion darauf oder Anerkennung dessen,

was BFH-Rechtsprechung bedeutet, fehlt komplett. Die
Neuregelung der Berechnung von Steuerzinsen bei der
Auflösung eines Investitionsabzugsbetrags fehlt kom-
plett.

Soll ich das fortsetzen? Sie merken, dass Sie mit dem
vorliegenden Gesetz Maßnahmen verhindern, die wir
alle schon lange betreiben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt ist etwas Interessantes passiert: Ich habe heute
Morgen an anderer Stelle ein paar Allgemeinplätze der
Kollegen von Schwarz-Gelb zitiert, etwa: Wir haben die
beste Regierung der Nachkriegsgeschichte, seit 1992.


(Beifall des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU])


– Olav Gutting applaudiert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist der Einzige, der das hier im Saal glaubt!)


Heute Morgen gab es da immer Applaus. Olav Gutting
hat das gerade sehr gut gemacht; er hat praktisch ein Zi-
tat benutzt. Er hat das Gleiche gemacht wie Sie heute
Morgen. Bei all den von mir heute Morgen zitierten Sät-
zen wurde applaudiert. Dann habe ich gesagt: Schauen
wir einmal ins Gesetz. Daraufhin hat der Kollege Kauder
gesagt: Ja, schauen Sie einmal ins Gesetz. – Dann habe
ich ins Gesetz geschaut und daraus zitiert. Interessanter-
weise hat keiner von Ihnen bei auch nur einem einzigen
Zitat dessen, was Sie aufgeschrieben haben, applaudiert.
Ist das nicht interessant?


(Zurufe von der SPD: Ja!)


Sie applaudieren Ihren eigenen Regelungen nicht. Jetzt
haben Sie einen Trick angewandt, der super ist: All das,
bei dem man aus Ihren Reihen nicht applaudieren
könnte, haben Sie einfach weggelassen.


(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Ich glaube, da hast du dich argumentativ ausgetrickst!)


Die Umsatzsteuerbefreiung für rechtliche Betreu-
ungsleistungen – sehr wichtig – und für eng mit der So-
zialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene
Leistungen für privatgewerbliche Sozialleistungserbrin-
ger fehlt komplett. Die Umsatzsteuervergünstigung für
die Kulturschaffenden – das wird manche Leute aufhor-
chen lassen – wie die Befreiung für Leistungen von Büh-
nenregisseuren und -choreografen fehlt komplett. Die
Modernisierung und Vereinfachung des Verfahrens der
Anmeldung der Feuerschutzsteuer fehlt komplett.

Sie können sehen: Sie haben ein Gesetz gemacht, das
ein Torso ist, bei dem alle wichtigen Dinge fehlen, die
wir gemeinsam vereinbart haben. Ich glaube, ganz offen
gesprochen, dass Sie damit Ihrer Verantwortung nicht
gerecht werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

Deshalb will ich – ohne die Punkte zu nennen, die
trotzdem noch fehlen, obwohl ich schon so viele genannt
habe – an Sie noch einmal applaudieren bzw. appellieren


(Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär: Applaudieren!)


– ich kann Ihnen auch applaudieren, wenn Sie da zustim-
men –, ob Sie sich nicht doch einen Ruck geben könn-
ten. Wenn wir in diesem Gesetzgebungsverfahren auf die
von Ihnen inzwischen wieder neu beurteilte Regelung
hinsichtlich der eingetragenen Lebenspartnerschaften
verzichten – wir werden sie an anderer Stelle einbrin-
gen –, können Sie dann nicht darauf verzichten, das ge-
samte Jahressteuergesetz 2013 – ohne diesen strittigen
Fall – abzulehnen? Wäre das nicht politisch klug? Wäre
es nicht eine gute Idee, diesen Schritt im Vermittlungs-
ausschuss noch einmal zu gehen? Denn alles andere
klingt ein bisschen nach beleidigter Leberwurst. Das
wurde eben deutlich, als Sie, Herr Gutting, sagten: „Wir
lassen uns doch nicht mit einem Nasenring durch die
Manege ziehen.“

Es wurden vorhin auch viele Tierbeispiele genannt.
Eines davon hat uns gut gefallen, nämlich das mit den
Hörnern und den Stieren. Man muss sich einmal überle-
gen, warum das alles gescheitert ist – das ist vielleicht
die Quintessenz dieses Verfahrens –: Angenommen, die
CSU und die FDP wären in dieser strittigen Frage einer
Meinung gewesen, dann wäre doch alles beschlossen
worden. Aber weil sich die beiden gestritten haben, war
es nicht möglich, das Verfahren im Vermittlungsaus-
schuss zu Ende zu führen. Das haben Sie eben mit dem
Bild der Hörner, die aufeinander zusteuern, ganz gut be-
schrieben.

Das scheint im Moment Ihr Standardmodell in der
Regierungspolitik zu sein. Deshalb bekommen Sie auch
so große Probleme mit Ihrer Glaubwürdigkeit. Wer Ih-
nen jetzt glaubt, dass Sie ein gutes Gesetz gemacht ha-
ben, der könnte Gefahr laufen, dass er im September
falsch entscheidet.

Alles Gute!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722521800

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Dr. Daniel Volk.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1722521900

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr ge-

ehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Binding,
Sie haben gerade die Punkte aufgezählt, die in dem Än-
derungsantrag Ihrer Fraktion – mit Unterstützung der
Fraktion der Grünen – enthalten sind. Dieser Änderungs-
antrag würde übrigens von anderen in diesem Lande als
ein Plagiat bezeichnet werden.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir haben es ja wörtlich zitiert! Das steht ihm Antragstext drin!)


Was Sie hier gerade vorgetragen haben, ist durchaus pla-
giatverdächtig;


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, das Zitat ist schon korrekt! Wer zitiert, plagiiert nicht! Sie verstehen ja von Plagiaten mehr!)


denn Sie haben die Urheberschaft hier am Rednerpult
verschwiegen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es scheitern lassen! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hier plagiatverdächtig ist! Das würde ich mir überlegen!)


Umsatzsteuerfreiheit für Bühnenregisseure und Be-
treuer, der Umgang mit Wehrdienst und Bundesfreiwilli-
gendienst – alle diese Punkte


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Sie nicht beschließen wollten! Die Sie ablehnen!)


haben wir als Koalitionsfraktionen in den Entwurf des
Jahressteuergesetzes 2013 geschrieben.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So steht es in unserem Antrag!)


Das haben Sie scheitern lassen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es scheitern lassen! Sie haben dagegen gestimmt!)


Sie schmücken sich mit fremden Federn, wenn Sie das
alles hier aufzählen. Das ist ein Plagiat.


(Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann können wir es doch gemeinsam beschließen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Herr Binding, Sie haben gerade so süffisant gesagt: In
Ihrem Wahlkreis würden die Bürgerinnen und Bürger
nach Ihrem Eindruck auf das Amtshilferichtlinie-Umset-
zungsgesetz warten.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja, ich bin halt oft in meinem Wahlkreis!)


Ich habe das so verstanden, dass Sie das ironisch mein-
ten.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Oh, das haben Sie aber sensibel bemerkt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU]: Der war nicht schlecht!)


Ich kann Ihnen einen Punkt aus dem hier zu beraten-
den Gesetzentwurf nennen, auf den die Bürgerinnen und
Bürger sehr wohl warten. Es geht um die Vereinfachung
und die Anpassung des Lohnsteuerabzugsverfahrens an
die modernen technischen Gegebenheiten. Es geht um
ELStAM, um die elektronischen Lohnsteuerabzugs-





Dr. Daniel Volk


(A) (C)



(D)(B)

merkmale, ein klares Jahressteuervereinfachungsele-
ment, das im Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz ent-
halten ist. Das muss so schnell wie möglich umgesetzt
werden, damit wir auch in diesem Bereich eine Steuer-
vereinfachung hinbekommen.

Wenn Sie dies wiederum ablehnen, zeigen Sie als
SPD-Fraktion – im Geiste mit den Grünen vereint –,
dass Sie überhaupt kein Interesse daran haben, eine
Steuervereinfachungspolitik zugunsten der Bürgerinnen
und Bürger zu unterstützen. Sie sind diejenigen, die das
komplizierte Steuerrecht weiterhin kompliziert halten
wollen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das hat doch nichts mit Recht zu tun!)


Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben natürlich auch die großen Linien vorange-
stellt und gesagt, es fehle eine Reform des Mehrwert-
steuersystems,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war nur ein Beispiel! Die Hotels haben es ja!)


Für uns Steuerpolitiker ist das eigentlich die Umsatz-
steuer. Ihr Kanzlerkandidat hat gestern eine wunderbare
Ankündigung gemacht. Er hat gesagt, wenn er das Sagen
hätte, dann würde er auf jeden Fall eine große Mehrwert-
steuerreform durchführen und er könne sich nur noch in
fünf Bereichen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz
vorstellen:


(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Guter Mann!)


Lebensmittel, Mieten. Ich höre: Mieten.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nein, hat er nicht gesagt!)


Oh, das ist ja interessant! Umsatzsteuer auf Mieten. Was
will er denn dort reformieren? Soll etwa bei Privatwohn-
mietverhältnissen die Mehrwertsteuer von 0 auf 7 Prozent
angehoben werden?


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dass Ihnen so etwas einfällt, wundert nicht!)


Das passt ja hervorragend in Ihre Linie, den Mietwohn-
raum in Deutschland bezahlbar zu halten. Oder will er
möglicherweise bei der Gewerberaummiete die Umsatz-
steuerpflicht von 19 Prozent auf 7 Prozent senken? Ein
erstaunlicher Vorschlag!

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Eine solche Mehr-
wertsteuerreform wie dort angekündigt sollte diesem
Lande wirklich erspart bleiben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie können natürlich über solche Dinge reden oder über das Gesetz, über das wir jetzt befinden sollen!)


Wir sollten uns darauf konzentrieren, uns im steuer-
politischen Bereich jenseits einer gewissen Polemik und

jenseits eines gewissen Populismus an den Punkten zu
orientieren, die für die Bürger entscheidend sind.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das machen Sie nicht!)


Ich glaube schon, dass das elektronische Lohnsteuerver-
fahren ein Punkt ist, der auf jeden Fall kommen muss.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist doch eine technische Finesse! Das ist doch nichts von Bedeutung!)


Ich richte auch in Ihre Richtung die Bitte: Geben Sie
sich einen Ruck, und stimmen Sie dieser Neuerung zu-
gunsten aller Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
zu!


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wenn wir darüber separat abstimmen, stimmen wir diesem Punkt zu!)


Im Bereich der Steuermissbrauchsbekämpfung bedarf
etwa das Goldfinger-Modell, das ebenfalls in dem hier
zu beratenden Gesetzentwurf enthalten ist, der Klärung.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ab welchem Zeitpunkt gilt die Goldfinger-Regelung?)


Es gibt offenbar keinen Punkt, weswegen Sie gegen
dieses Gesetz sein können. Deswegen versuchen Sie mit
einem Änderungsantrag, sozusagen über ein billiges Pla-
giat des Jahressteuergesetzes 2013, das aus unserer Fe-
der stammt,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ab wann soll die Goldfinger-Regelung gelten?)


eine künstliche Argumentation aufzubauen. Das ist aber
wirklich keine gute Politik für dieses Land.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was heißt „künstlich“?)


Es ist keine gute Politik für die Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes, für die Steuerzahler, übrigens auch nicht
für die Steuerverwaltung. Sie verweigern sich durch Ihr
Verhalten hier im Parlament einer Verbesserung des
Steuervollzugs und der Steuerverwaltung.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das kann jeder nachlesen, ob das, was Sie sagen, wahr ist oder falsch oder vielleicht sogar gelogen!)


Das sollten Sie wirklich überdenken. Deswegen bitte ich
Sie ganz herzlich, auch in Ihrem Interesse, diesem Ge-
setzentwurf in unveränderter Fassung zuzustimmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das machen wir sicher nicht!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722522000

Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722522100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, heute müssen sich viele Bürgerinnen und
Bürger fragen, was wir hier im Bundestag machen. Die
Koalition ist zutiefst beleidigt und sitzt in der Ecke wie
ein trotziges kleines Kind und sagt: Jetzt wollen wir aber
auch nicht mehr. Schluss, wir wollen nicht mehr!


(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was haben Sie gegen trotzige Kinder, Frau Kollegin? Was haben die Ihnen getan?)


Dann denken Sie sich einen neuen Namen aus, damit
man es nicht ganz so doll merkt. Es heißt jetzt nicht
mehr Jahressteuergesetz 2013, jetzt ist es das Amtshilfe-
richtlinie-Umsetzungsgesetz.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Der Name ist ja nicht falsch!)


Sie haben sich wahrscheinlich gesagt: Wir müssen et-
was machen. Wie können wir damit in der Öffentlichkeit
irgendwie noch bestehen? – Dann verkündet Herr

Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1722522200
Ja, Sie haben
uns geärgert. Wir machen jetzt nicht mehr mit. Wir ma-
chen nur noch das, was europarechtlich notwendig ist.

Man könnte denken: Okay, das, was europarechtlich
notwendig ist; schauen wir doch mal ins Gesetz. – Das
ist für uns natürlich nicht ganz einfach gewesen. Wir be-
kamen in der letzten Sitzungswoche Mittwoch früh den
Gesetzentwurf auf den Tisch und durften uns diesen am
Mittwochvormittag anschauen. Am Donnerstag war die
erste Lesung im Bundestag. Am Mittwoch dieser Woche
war die Beratung im Ausschuss und heute ist die zweite
und dritte Lesung. Von einem wirklichen Beratungsab-
lauf kann man hier nicht sprechen. Das spricht einer ge-
ordneten parlamentarischen Beratung hohn.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sind wir an der einen oder anderen Stelle von dieser
Koalition so gewöhnt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber dieselben Punkte wurden schon einmal beraten!)


Wir haben Sie dann gebeten: Machen Sie doch we-
nigstens eine Auflistung, was von dem Ergebnis des Ver-
mittlungsausschusses, auf das Sie sich geeinigt hatten,
tatsächlich Eingang in den Gesetzentwurf gefunden hat!
Daraufhin gab es eine Liste, die sehr schwer zu handha-
ben war. Aber okay, das sei Ihnen verziehen. Dann ha-
ben wir nachgeschaut, was von dem europarechtlich
Notwendigen, von dem, was unabdingbar ist, enthalten
ist. Da habe ich wirklich gestutzt.

Die Elektroautos, deren steuerliche Förderung unter
umweltpolitischen Aspekten sehr in der Kritik steht, ist
enthalten. Meines Erachtens hat das mit Europarecht erst
einmal nicht viel zu tun. Dafür haben Sie die umsatz-
steuerliche Behandlung der Betreuungsleistungen, zu
denen es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gibt,
nicht aufgenommen, obwohl hier wirklich Handlungsbe-
darf besteht.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das haben Sie zum Scheitern gebracht beim Jahressteuergesetz 2013, Frau Kollegin!)


Die Frage der Behandlung der gastierenden Regisseure
haben Sie einfach rausgeschmissen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Auch das haben Sie zum Scheitern gebracht beim Jahressteuergesetz! – Gegenruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Wir sind dafür! Sie lehnen es doch ab!)


Da interessiert Sie die künstlerische Arbeit nicht, und die
Leute interessieren Sie auch nicht.

Warum nun das Ganze? Warum dieses ganze Theater?
Herr Gutting, Sie haben gesagt, das gehe so nicht, wir
hätten ein Foul begangen. Entschuldigung, Herr Gutting,
in den Beratungen im Vermittlungsausschuss wurde nur
etwas eingebracht, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722522300

Frau Dr. Höll, Herr Beck würde Ihnen gerne eine

Zwischenfrage stellen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722522400

Gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722522500

Bitte schön.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722522600

Da der Kollege Volk Ihnen hier dauernd vorwirft, Sie

hätten das alles zum Scheitern gebracht


(Dr. Daniel Volk [FDP]: „Dauernd“? Zweimal!)


– wahrscheinlich meint er uns alle damit –, möchte ich
Sie fragen, ob Sie mir erklären können, wie es sein kann,
dass man, wenn eine Forderung der FDP in einen an-
sonsten konsensualen Gesetzentwurf aufgenommen
wird, den Vorwurf erhebt, dass Sie das zum Scheitern
gebracht haben, obwohl die FDP ihn dann abgelehnt hat.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722522700

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, vielleicht trägt ein

Rückblick auf die gestrige Debatte zur Aufklärung bei.
Ich denke, dass das, was Herr Geis hier gestern abgelie-
fert hat – ich möchte ihn gerne zitieren, um Ihnen und
mir das, was er gesagt hat, in Erinnerung zu rufen –, ge-
zeigt hat, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, was
CDU und CSU unterschrieben haben, gar nicht so ernst
gemeint war, wie die Bürgerinnen und Bürger das ei-
gentlich erwarten können. Herr Geis sagte gestern, das
Bundesverfassungsgericht befinde sich auf dem Irrweg
und man müsse schon sehr weit von dem Wesen der
Elternschaft abstrahieren, um Papa/Papa oder Mama/
Mama als Eltern anzugeben: Ich sehe darin eine Miss-





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)

achtung der menschlichen Natur. Ich glaube, wir müssen
uns auch um der Bewahrung unserer Kultur willen gegen
solche Tendenzen wehren.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erklärt aber nicht das Verhalten von Herrn Volk!)


Ich denke, dass die CDU/CSU große Probleme hat,
sie zum Teil wirklich mittelalterliche Ansichten vertritt,
sie keinen Bezug zur Realität und zu unserer veränderten
Gesellschaft hat und sie deshalb dem, was in ihrem Ko-
alitionsvertrag steht und was die FDP vertritt, nicht mehr
folgen konnte. Deshalb haben nicht wir die Schuld, son-
dern die Schuld liegt eindeutig bei Union und FDP. Sie
können sich hier drehen und wenden, wie Sie wollen.
Das kriegen Sie nicht vom Tisch gewischt. Nur um der
Ideologie willen haben Sie das gesamte Gesetz scheitern
lassen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Iris Gleicke [SPD]: So ist das!)


Als Steuerpolitikerin habe ich angenommen, dass Sie,
wenn Sie das Gesetz scheitern lassen, weil Sie aus ideo-
logischen Gründen nicht über die Hürde springen kön-
nen, weil Sie es nicht schaffen, da herauszukommen,
wenigstens das nehmen, was schon ausgehandelt war. Es
gab eine Vorlage, die vom Bundestag verabschiedet wor-
den ist. Im Bundesrat wurde noch einiges hineinformu-
liert. Es gab positive Veränderungen des Gesetzentwurfs.
Das wäre wirklich umgesetzt worden. Nichts anderes ist
der Änderungsantrag, der hier auf dem Tisch liegt. Dazu
sagen Sie aber auf einmal: Nein, das geht nicht.

Herr Gutting, Sie haben hier das Ergebnis des Ver-
mittlungsausschusses infrage gestellt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Demokratische Mehrheit!)


Da Sie sich hier damit gerühmt haben, Lücken für Steu-
ergestaltungsmodelle zu schließen – Stichwort: Goldfin-
ger –, sage ich Ihnen: Sie meinen es doch wieder nicht
ernst. Sie setzen das, was ab dem Datum der Verabschie-
dung hier im Bundestag im vergangenen Jahr möglich
wäre, nicht um, sondern halten das offen und verlegen
das in die Zukunft. Alle, die dieses Modell nutzen, kön-
nen sich darauf einstellen und damit umgehen. Das
zeigt: Auch das meinen Sie nicht wirklich ernst. Das,
was Sie hier abliefern, ist wirklich unterstes Niveau. Ich
glaube, das haben die Bürgerinnen und Bürger nicht ver-
dient.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass wir
hier unsere Hausaufgaben machen und dieses Thema aus
dem Parteienkrieg heraushalten. Mit dem, was Sie hier
abliefern, mit Ihrem Agieren führen Sie sich selbst durch
die Manege. Sie brauchen dazu niemand anderen.

Vielleicht wissen Sie es: Trotzigen Kindern sollte
man keine Streicheleinheiten geben und ihnen nicht sa-
gen: Du hast in allem recht. – Nein, man muss da schon
ein bisschen Haltung bewahren. Mit der Verabschiedung

des Änderungsantrages mit den ausgehandelten Vor-
schlägen zum Jahressteuergesetz 2013 könnten wir hier
demonstrieren, dass uns die Sache wichtig ist. Das er-
warte ich, das erwartet die Linke, das erwartet die ge-
samte Opposition von Ihnen, wenn es stimmt, dass Sie
wirklich im Interesse der Bürgerinnen und Bürger han-
deln wollen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722522800

Der Kollege Dr. Thomas Gambke hat jetzt das Wort

für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesen
dicken Packen Papier – in anderer Farbe – hat Herr
Brinkhaus hier vor einer Woche hochgehalten und sich
stolz damit gebrüstet, was für tolle Gesetze die Koalition
schon verabschiedet habe, was sie schon alles geschafft
habe.

Herr Brinkhaus, einmal abgesehen davon, dass Sie
sich da ein bisschen mit fremden Federn geschmückt ha-
ben – denn diesen dicken Packen Papier haben fleißige
Beamtinnen und Beamte des Finanzministeriums erar-
beitet –, lenken Sie dabei von dem eigentlichen politi-
schen Versagen der Koalition ab. Das ist das Problem.
Wissen Sie, was Herr Sell, Abteilungsleiter im Finanz-
ministerium, heute Morgen zu dem gesagt hat, was Sie
uns hier anbieten? Er hat gesagt: Es nervt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es nervt, dass Sie das mit vielen Details bestückte
Jahressteuergesetz – wir haben darüber gesprochen; Herr
Kollege Binding hat das sehr schön ausgeführt –, das im
letzten Herbst hier auf dem Tisch lag, im Vermittlungs-
ausschuss zu einem bitteren Ende gebracht haben. Es
nervt, dass Sie die Realität einfach nicht zur Kenntnis
nehmen. Sechs Urteile des Verfassungsgerichtes nehmen
Sie nicht zur Kenntnis.

In Abwandlung eines Spruches von Egon Bahr habe
ich ein bisschen den Eindruck, dass Sie, wenn ein Grü-
ner sagt: „Zwei mal zwei ist vier“, sagen: Oh, das sagt
ein Grüner; dann ist zwei mal zwei für uns fünf. – So
kommen wir nicht weiter. Das ist Realitätsverweigerung.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie haben es im Ausschuss abgelehnt!)


Sie müssen einfach einmal sehen, was Sie hier nicht ab-
geliefert haben. Das ist nicht nur bei dem vorliegenden
Gesetz der Fall.

Nehmen wir die Mehrwertsteuerreform. Da gibt es ei-
gentlich Einigkeit; Herr Steinbrück hat jetzt gerade da-
von gesprochen.





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Mieten umsatzsteuerpflichtig zu machen! Gute Idee!)


Das ist ein Thema, bei dem wir bis weit in Ihre Kreise
hinein Einigkeit erzielen könnten,


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Bei den Mieten sehen wir das nicht so!)


übrigens auf der Linie eines Positionspapiers der Grü-
nen. Aber Sie sagen: Das sagt ein Grüner; zwei mal zwei
ist


(Zurufe von der CDU/CSU: Fünf!)


fünf. – Ganz genau, das ist Ihre Rechnung.

Nehmen Sie die Gewerbesteuer. Was haben Sie da
geleistet? Gar nichts haben Sie geleistet. Was haben Sie
gemacht? Sie haben die wesentlichen Akteure nicht ein-
gebunden. Sie wollten das Band zwischen den Gewerbe-
steuerzahlern, dem Gewerbe, und den Kommunen zer-
schneiden. Sie haben einfach nicht gefragt. Natürlich
sind Sie damit gescheitert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Sprechen Sie eigentlich noch über den Gesetzentwurf?)


– Ich spreche über Ihre Leistungen. Herr Kollege
Brinkhaus hat das beim letzten Mal auch so schön ge-
macht.

Zu den Unternehmensteuern haben Sie einen Zwölf-
Punkte-Plan vorgelegt. Was ist daraus geworden? Drei
kleine Änderungen.

Zum Steuerabkommen mit der Schweiz.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Wer hat es abgelehnt? – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wer hat es blockiert?)


– Aus gutem Grund haben wir es blockiert. Denn was
lese ich heute? Herr Brinkhaus, was ist heute passiert?
Die Schweiz geht zu einer Weißgeldstrategie über. Sie
geht aus der Anonymität heraus. Und warum tut sie das?
Weil wir Widerstand geleistet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist ein bisschen Selbstüberschätzung, Herr Kollege! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und die Einnahmen sind verschwunden!)


Das sind die politischen Entscheidungen, die man treffen
muss.

Denken Sie an die Einkommensteuer. Was haben Sie
da geleistet? Nichts haben Sie geleistet.

Zum Thema Steuergestaltung. Finanzminister Schäuble
sagt, über Starbucks werde er mit seinem britischen Kol-
legen sprechen. Und was haben wir hier? Bei den Cash-
GmbHs wäre eine Regelung wichtig. Das Perfide dabei
ist, dass Sie nicht einmal das Vermittlungsergebnis um-
setzen wollen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja, das ist schlimm!)


Insgeheim sagen Sie: Da ist jetzt noch eine andere Rege-
lung, die wir haben wollen. – Das empfinde ich wirklich
als unredlich. Wir hatten ein Ergebnis. Sie hatten dem
zugestimmt. Aber dann haben Sie selber es abgelehnt.
Das ist nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wenn wir das einmal resü-
mieren, dann kann man nur sagen: Es ist wirklich be-
schämend, was für ein dünnes Gesetzchen Sie hier vor-
legen. Mit dem Änderungsantrag, den wir gestellt haben,
wäre es zwar immer noch ein dünnes Gesetz gewesen,
weil viele wichtige Regelungen fehlen; aber man hätte
ihm zustimmen können. Das lehnen Sie ab. Ich kann nur
sagen: Das nervt. Ich bin sehr froh, dass Sie spätestens in
einem halben Jahr abtreten werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722522900

Bartholomäus Kalb hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1722523000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten hier über das Gesetz mit dem tro-
ckenen und Charme versprühenden Titel Amtshilfericht-
linie-Umsetzungsgesetz. Hinsichtlich des Charmes wird
er nur noch übertroffen von dem Titel einer Richtlinie
aus den 80er-Jahren – ich habe das einmal herausgesucht –,
der Richtlinie des Rates zur Annäherung der Rechtsvor-
schriften der Mitgliedstaaten über bestimmte Bestand-
teile und Merkmale von land- oder forstwirtschaftlichen
Zugmaschinen auf Rädern.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Darauf haben meine Wähler auch gewartet!)


Kollege Gutting hat ja schon gesagt, warum wir die-
sen Gesetzentwurf hier vorgelegt haben. Wir haben ihn
vorgelegt, weil notwendige Maßnahmen noch in dieser
Legislaturperiode umgesetzt werden müssen, und zwar
zwingend, weil Sie sich zunächst verweigert haben, dem
Jahressteuergesetz hier zuzustimmen, weil Sie es dann
auch im Bundesrat nicht haben passieren lassen und weil
es im Vermittlungsausschuss nicht zu vernünftigen Er-
gebnissen gekommen ist. Der Bundesfinanzminister
weist in seiner Vorlage zu Recht darauf hin, dass die
Bundesregierung verpflichtet ist, alle zwei Jahre einen
Bericht vorzulegen, beispielsweise über die Wirkung der
kalten Progression und zu Fragen der Grundsicherung;
denn wir haben hier im Deutschen Bundestag beschlos-
sen, dass wir alle zwei Jahre einen solchen Bericht haben
wollen.

Ich brauche auf die einzelnen Inhalte hier nicht mehr
einzugehen, weil sie, wie ich meine, von den Kollegen
Gutting und Dr. Volk sehr eingehend dargelegt worden
sind. Wir müssen uns heute hier damit befassen, lieber





Bartholomäus Kalb


(A) (C)



(D)(B)

Kollege Binding, weil die SPD und die von ihr geführten
Länder sich darauf verständigt haben, in der Steuerpoli-
tik eine destruktive Linie zu fahren


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber Ihr Koalitionsvertrag ist doch nicht destruktiv! Vielleicht doch?)


– nein –, und weil Sie nicht mehr zur konstruktiven Zu-
sammenarbeit im Interesse der Steuerzahler, im Interesse
der Bürger und im Interesse der Wirtschaft dieses Lan-
des fähig sind.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist das!)


Ich habe vorhin schon das Stichwort „kalte Progres-
sion“ genannt. Sie sind wohl verliebt in das Ankündigen
von Steuererhöhungen, Sie verschweigen aber dabei,
dass Sie eben nicht nur Spitzenverdiener damit treffen,
sondern die breiten Schichten der Leistungsträger unse-
res Landes. Sie sind nicht bereit, die unteren Einkom-
mensschichten in dem Maße zu entlasten,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Stimmt gar nicht! Das ist falsch!)


wie die Inflationsrate steigt bzw. die Nominallöhne stei-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Daniel Volk [FDP]: Unsoziale Steuerpolitik! – Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Sie klagen beredt darüber, dass die Länder nicht in
der Lage sind, die Steuerausfälle zu tragen. Sie haben
das Steuerabkommen mit der Schweiz erfolgreich ver-
hindert,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gott sei Dank!)


und Sie haben damit verhindert, dass Steuereinnahmen
in Milliardenhöhe nach Deutschland fließen; dies könnte
bereits jetzt geschehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben auch verhindert – ich glaube, Kollege
Gutting hat schon darauf hingewiesen –, dass wir eine
sehr vernünftige Maßnahme, nämlich die energetische
Gebäudesanierung, steuerlich begünstigen. Heute früh
ist wieder beklagt worden, dass im Bereich der Gebäu-
desanierung zu wenig getan wird. Dort, wo Sie hätten
mitwirken können, haben Sie sich verweigert. Sie haben
es abgelehnt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Schlechte Gesetze werden immer abgelehnt! Das ist doch klar! Sie aber lehnen gute Gesetze ab!)


Sie sind nicht an einer gerechten und sachgerechten
Besteuerung interessiert,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Doch! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: So etwas machen Sie ja nicht! Das können Sie ja nicht!)


sondern Sie machen den Menschen mit Ihren Steuerplä-
nen etwas vor. Kollege Dr. Volk hat hier eben schon die
neuesten Äußerungen des Herrn Steinbrück zum Besten
gegeben. Ich kann im Interesse der vielen Mieterinnen
und Mieter in diesem Lande nur hoffen, dass Steinbrück
mit seinen Vorstellungen nicht durchkommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Kollege Binding hatte auf die Verfahren hingewiesen.
Was sich im Vermittlungsausschuss abgespielt hat, war
schlicht und einfach – denken wir an das Fußballspiel
gestern Abend; als Bayer darf ich mich daran erinnern –


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Jetzt aber Vorsicht!)


ein komplettes Foulspiel.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nein!)


Das Verfahren im Vermittlungsausschuss ist nicht dazu
da, um Spielchen zu treiben, sondern um Lösungen zu
suchen, um sich auf einen Kompromiss zu einigen. Man
sollte andere dort nicht vorführen; diese lassen sich auch
nicht vorführen. Das sollten Sie sich hinter die Ohren
schreiben.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Alles auf dem Rücken der Steuerzahler!)


– Genau, alles zulasten der Steuerzahler.

Lieber Kollege Binding, Sie haben vorhin vorgeschla-
gen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wir sollten
doch die Urfassung des Jahressteuergesetzes hier wieder
einbringen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gute Idee!)


– Jetzt bestätigen Sie per Zwischenruf, dass dies eine
gute Idee sei. Warum haben Sie denn diese gute Idee
nicht schon im Herbst letzten Jahres gehabt,


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!)


nämlich bei der zweiten und dritten Lesung des Jahres-
steuergesetzes am 25. oder 26. Oktober?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Abgelehnt haben Sie es im Bundestag!)


Hätten Sie ihm zugestimmt, dann hätten wir uns jetzt all
dies ersparen können, und dann würden wir auch den
Kollegen Gambke nicht nerven.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722523100

Herr Kollege, ihre Redezeit ist schon längst abgelau-

fen.


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1722523200

Vielen Dank, aber das musste einmal gesagt werden.






(A) (C)



(D)(B)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722523300

Da wir über der Zeit sind, sind auch keine Zwischen-

fragen mehr möglich.

Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie
sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften. Der Fi-
nanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12532, den Gesetzentwurf auf
Drucksache 17/12375 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktio-
nen, die Oppositionsfraktionen waren dagegen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, der
möge sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Bera-
tung mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenom-
men.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und b
auf:

a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Rita
Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk
Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Die Energiewende – Kosten für Verbrauche-
rinnen, Verbraucher und Unternehmen

– Drucksachen 17/10366, 17/12246 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil

(Peine), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der SPD

Die europäische Energieeffizienzrichtlinie
wirkungsvoll ausgestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Die Energiewende braucht Energieeffizienz

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid
Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Energie sparen, Kosten senken, Klima
schützen – Für eine ambitionierte Effizienz-

strategie der deutschen und europäischen
Energieversorgung

– Drucksachen 17/8159, 17/8457, 17/7462,
17/10106 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage vor.

Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das damit so beschlossen.

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin
Schwarzelühr-Sutter.


(Beifall bei der SPD)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1722523400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Das große Wursteln 2.0“, wie wir in Baden-
Württemberg sagen, könnte der Titel einer Publikation,
die mir vorliegt, oder gar ein Thema für eine Doktor-
arbeit sein.


(Lachen bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Das wäre eine echte Doktorarbeit!)


Ich spreche von der Antwort der Bundesregierung auf
unsere Große Anfrage mit dem Titel „Die Energiewende
– Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unter-
nehmen“.

Wissen Sie eigentlich, dass es eine Wissenschaft des
Nichtwissens gibt?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Unwissen herzustellen ist eine Kunst. Seit einigen Jah-
ren untersucht die Agnotologie, wie Unwissen durch ab-
sichtliche oder unabsichtliche Selektivität hergestellt
werden kann. Die Antwort der Bundesregierung auf un-
sere Anfrage ist dafür wirklich das Beispiel schlechthin.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was alles wurde nicht beantwortet? Die Große An-
frage hat der Bundesregierung eigentlich eine große
Chance gegeben, nämlich den Verbraucherinnen und
Verbrauchern sowie der Wirtschaft den Stand der Ener-
giewende darzustellen. Sie hätte mit Vergleichsrechnun-
gen zeigen können, wie sich die Kostenbelastungen bei
unterschiedlichen Handlungsoptionen entwickeln und
im Vergleich zur Situation ohne Energiewende verhalten
hätten und welcher Nutzen durch die erneuerbaren Ener-
gien erzielt werden kann. Also verkürzt: Was kostet die
Energiewende? Und viel wichtiger: Welche Erlöse, wel-
che Wertschöpfung und welche Chancen bringt sie?

Es ist wirklich unverständlich, dass die Bundesregie-
rung diese Chance nicht genutzt hat, um vor allem mehr
Sachlichkeit und auch mehr Transparenz in die Energie-
kostendebatte zu bringen. Stattdessen haben Sie uns ge-
antwortet, Sie hätten keine Daten, Sie hätten keine Er-





Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)

kenntnisse, und Sie machten sich Zahlen Dritter nicht zu
eigen. Das ist die Kunst des Nichtwissens. So weit, so
schlecht. Für diese Antwort ein halbes Jahr Zeit ge-
braucht zu haben, ist wirklich ein Kunststück. Herzli-
chen Glückwunsch!

Dabei haben Sie den Sachverständigenrat an der
Hand, die Monopolkommission hat Ihnen Optionen vor-
gelegt, und auch eine Expertenkommission hat zum Mo-
nitoring-Bericht eine Stellungnahme abgegeben. Nichts
davon findet sich in der Antwort auf diese Große An-
frage wieder. Warum verteilt die Bundesregierung über-
haupt ihren Monitoring-Bericht, wenn sie die daraus er-
sichtlichen Daten nachher nicht nutzt? Dort heißt es
nämlich: „Der Bericht ist faktenbasiert.“ Wo bleiben Ihre
Fakten? Sie bleiben wahrscheinlich auf der Strecke zwi-
schen Umweltministerium, Wirtschaftsministerium und
Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz, das es doch tatsächlich auch noch gibt,


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist ein Gerücht!)


das aber im Moment andere Probleme hat.

Damit liegt der Verdacht nahe, dass sich die Bundes-
regierung nicht auf eine einheitliche Bewertung der vor-
liegenden Studien verständigen kann, dass sie nicht in
der Lage ist, gemeinsam zur weiteren Entwicklung der
Energiewende zu handeln, sondern sich nicht einmal
über die Faktenlage verständigen kann. Sie belegt, dass
sie nur wurstelt, kein abgestimmtes Konzept hat und im
Inneren zwischen den Ressorts zutiefst zerstritten ist.
Das ist allerdings nichts Neues, wenn man sich die Ar-
beit der vergangenen drei Jahre anguckt.

Doch jetzt wird es richtig spannend.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Ich bin gespannt!)


Genau zum richtigen Zeitpunkt und mit dem richtigen
Gespür für Drama und Public Relations präsentiert Um-
weltminister Altmaier die Strompreisbremse, garniert
mit einer Zahl, die anscheinend nicht einmal sein Minis-
terium kennt.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Jetzt wird es konkret!)


Auch bei diesem Vorschlag des Umweltministers zum
Einfrieren der EEG-Umlage zeigen sich das Chaos und
die Zerstrittenheit in der Regierungskoalition: nicht ab-
gestimmt und gleich von den Kabinettskollegen zerris-
sen.

Der Umweltminister weiß nicht, wie sich die Kosten
der EEG-Umlage entwickeln – darauf bezog sich unsere
Frage 1 –, ob sie durch die bereits ergriffenen Maßnah-
men auch sinken können, aber er weiß, er will die Kos-
ten einfrieren.

Er weiß nicht, wie viel die wachsende Differenz zwi-
schen Einspeisevergütung und Börsenpreis ausmacht
und wie er sie verringern kann. Welch nackte Panik
muss bei diesem Minister vor der Bundestagswahl ge-
herrscht haben, dass er eine Zahl von 1 Billion Euro
nennt! Die KfW rechnet im Übrigen mit 30 Milliarden
Euro pro Jahr, andere kommen auch auf diese Zahl. Es

scheint, als habe Herr Bundesminister Altmaier diese
Zahl aus dem Bauch heraus erfunden, oder vielleicht hat
das Umweltministerium ja auch keine Taschenrechner.

Mit der Billion setzt man auf einen billigen Effekt,
schürt Ängste, und, was noch viel schlimmer ist, die
Energiepolitik dieser Bundesregierung wird noch viel
unglaubwürdiger, als sie bisher schon war. Das ist ein
verheerendes Signal insbesondere für diejenigen, die In-
vestitionen in die erneuerbaren Energien oder in Netze
tätigen wollen. Das ist nicht nur trickreich, sondern das
ist auch gefährlich. Die Akzeptanz für die Energiewende
wird so zerstört, und der Wirtschaft wird mit einer sol-
chen Energiepolitik die Planungssicherheit genommen.

So ist es nicht verwunderlich, wenn sogar der BDI
fordert: Energiewende jetzt, aber richtig. Wir Sozialde-
mokraten haben der Bundesregierung wiederholt Ge-
sprächsangebote gemacht. Aus unserer Sicht ist es wich-
tig, dass alle an einen Tisch geholt werden – Bund,
Länder und Kommunen – und dass auch die Verbraucher
einbezogen werden, selbstverständlich auch die Wirt-
schaft und die Gewerkschaften. Wir brauchen nicht nur
einen Konsens über den Atomausstieg, sondern wir
brauchen auch einen echten Energiekonsens.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir versperren uns nicht, im akuten Fall die Strompreise
zu bremsen. Wir machen sinnvolle Vorschläge, die kurz-
fristig helfen, den Strompreis in den Griff zu bekommen.
Wir wollen eine Stromsteuerbefreiung für den Grundver-
brauch einführen, weil die Kosten auch gerecht verteilt
werden müssen.

Umso bedauerlicher ist es, dass diese Bundesregie-
rung nicht plant, sozial schwache Haushalte und Sozial-
leistungsbezieher bei der Anschaffung energieeffizienter
Haushaltsgeräte zu unterstützen. So hat sie uns auf die
Frage 122 geantwortet.

Wir wollen einen Energieeffizienzfonds auflegen, der
private Haushalte bei der Umsetzung von Energieeffi-
zienzmaßnahmen wie der Anschaffung dieser energieef-
fizienten Haushaltsgeräte unterstützt. Wir schlagen wei-
terhin vor, zielgenauer vorzugehen, wenn es darum geht,
Unternehmen von der EEG-Umlage zu befreien. Die Be-
freiung von den Netzentgelten sollte auf den Stand von
2010 zurückgeführt werden.

Das Ziel von uns Sozialdemokraten ist und bleibt die
Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Ener-
gien. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre energie-
politischen Entscheidungen aufgrund valider Daten – die
es natürlich gibt – zu treffen. Rechnen Sie seriös und
nachvollziehbar, und vergessen Sie dabei bitte nicht die
Steigerung der Energieeffizienz und den Umbau der Ver-
teilnetze zu intelligenten Netzen!

Es lohnt sich, diesen Satz immer wieder zu wiederho-
len: Die beste Energie ist die, die nicht verbraucht wird.
Doch auch bei der Umsetzung der Energieeffizienzricht-
linie haben Sie Ihre Chance vertan. Sie haben diese Ein-
sparpotenziale nicht genutzt; das ist schade.





Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)

Machen Sie Schluss mit der Wissenschaft des Nicht-
wissens! Hören Sie auf mit Flickschusterei! Statt der üb-
lichen Reparaturgesetze erwarten wir, dass endlich eine
Roadmap vorgelegt wird, aus der ersichtlich wird, wie
die Zahnräder der Energiewende ineinandergreifen. Statt
einer Veränderung von Stellschrauben in einzelnen Ge-
setzen wollen wir einen koordinierten Gesetzgebungs-
prozess. Nur mit einem Gesamtkonzept, neudeutsch:
Masterplan, und aufeinander abgestimmten Gesetzesno-
vellen kann die Energiewende für alle – für Verbrauche-
rinnen und Verbraucher wie für die Wirtschaft – bezahl-
bar und versorgungssicher gelingen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722523500

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Thomas Bareiß das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722523600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Unsere heutige Debatte hat einerseits die Große
Anfrage der SPD zum Inhalt, aber auch drei Opposi-
tionsanträge zum Thema „Energiepreise und Energie-
effizienz“. Wie in vielen Verlautbarungen der letzten
Wochen findet man auch in diesen drei Anträgen große
Worte, viele Ankündigungen, viele Forderungen; aber
wenn es konkret wird, fehlt den Antragstellern der Mut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Richtigen!)


Frau Schwarzelühr-Sutter, wenn Sie uns vorwerfen,
dass wir, wie wir Schwaben sagen, herumwursteln – ich
bin, wie man hört, auch aus Schwaben –,


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Ich bin aus Baden!)


dann kann ich dazu nur sagen: Das, was wir von Ihnen
die letzten Wochen erlebt haben, ist ein großes Gewurs-
tel gewesen. Ich will dazu nur einige Beispiele nennen:

Wenn es konkret darum geht, den Anstieg der Ener-
giepreise zu bremsen, sagen Frau Kraft und Herr Duin:
Wir kämpfen weiterhin für die Ausnahmen im Bereich
der Industrie. – Hier sagt Rot-Grün immer: Wir müssen
die Ausnahmen für die Industrie verringern.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie hören nach dem halben Satz zu zitieren auf, das ist das Problem, Herr Bareiß!)


Herr Fell und Herr Kelber sagen einmütig: Der zukünf-
tige Ausbau der erneuerbaren Energien darf nicht be-
grenzt werden.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist endlich Konsens hergestellt! Ist doch gut so!)


Die Grünen wollen sogar noch mehr vorantreiben, sie
sagen: Bis 2030 brauchen wir 100 Prozent erneuerbare
Energien.

Zur Stromsteuer: Anfang Februar war in der Bild-Zei-
tung zu lesen, dass Sigmar Gabriel sich dafür ausgespro-
chen hat, die Stromsteuer teilweise abzuschaffen oder sie
zu reduzieren – obwohl die Stromsteuer 1999 von Rot-
Grün eingeführt wurde. Der Energieminister von Schles-
wig-Holstein, Herr Habeck, sagt: Die Stromsteuer zu
senken, ist keine Lösung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was meinen Sie denn zur Stromsteuer? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was ist Ihre Meinung?)


Ähnlich beim zukünftigen EEG: Ende Dezember war
in der Neuen Osnabrücker Zeitung zu lesen, dass Sigmar
Gabriel meint: Das EEG funktioniert so nicht mehr. – Sie,
Herr Kelber, haben noch vor zwei Wochen gesagt: Das
EEG funktioniert.

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist
keine seriöse und glaubwürdige Politik. Deshalb muss
ich meiner Vorrednerin auch sagen, dass wir durch sol-
che Äußerungen von Ihnen die Glaubwürdigkeit hin-
sichtlich der Energiewende verlieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Herr Bareiß, lesen Sie doch einmal die Zeitungen! Selbst die Wirtschaftszeitungen nehmen Sie auseinander!)


Wir verlieren Stück für Stück die Akzeptanz, wenn wir
das Thema Strompreiserhöhungen bzw. Energiepreiser-
höhungen nicht ernsthaft anpacken. Wenn wir uns in den
nächsten Wochen ganz konkret mit diesen Themen be-
schäftigen, werden wir sehen, an welchen einzelnen
Punkten Sie mitmachen.


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Macht Ihr Wirtschaftsminister auch mit?)


Ein fünfköpfiger Haushalt in Deutschland zahlt in
diesem Jahr circa 200 Euro für erneuerbare Energien.
Wenn dieser Preisanstieg wie in den letzten Jahren wei-
tergeht, werden in zwei Jahren nicht, wie dieses Jahr,
22 Prozent des Strompreises, sondern wird bereits ein
Drittel des Strompreises auf die erneuerbaren Energien
zurückgehen. Diese Entwicklung kann so nicht weiterge-
hen. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung
– das ist kein Gewurstel, sondern ein einhelliger Vor-
schlag, der zwischen Peter Altmaier und Philipp Rösler
abgestimmt ist – den Anstieg der EEG-Umlage in den
nächsten zwei Jahren mit einer Strompreisbremse ver-
langsamen will.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Vorschlag zum Stopp des Ausbaus der erneuerbaren Energien ist das!)


Wir wollen versuchen, die EEG-Umlage bei 5,277 Cent
je Kilowattstunde zu belassen, und nehmen alle in die
Verantwortung und Verpflichtung, ihren Beitrag dafür zu





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

leisten, dass die EEG-Ausbaukosten nicht aus dem Ru-
der laufen. Alle müssen ihren Beitrag leisten.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722523700

Herr Kollege, der Herr Kelber würde Ihnen gerne eine

Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722523800

Immer wieder gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722523900

Bitte schön.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1722524000

Herr Kollege Bareiß, Sie haben sich ja gerade zu einer

Prognose hinsichtlich der Kosten der Förderung der er-
neuerbaren Energien hinreißen lassen. Das hat der Um-
weltminister ja auch gemacht. Er hat gesagt, das würde
1 Billion Euro kosten. Dazu brauche ich eine Einschät-
zung von Ihnen.

Er hat diese Aussage ja in einem Interview getroffen,
also in der freien Wildbahn. Hier liegen jetzt Antworten
auf eine Große Anfrage vor, die im Juli 2012 gestellt
wurde. Nach sieben Monaten haben wir die Antworten
bzw. die Nichtantworten. Wenn ich mich richtig erin-
nere, müssen die Antworten nach der Geschäftsordnung
des Bundestages wahrheitsgemäß sein.

Wahrheitsgemäß ist auf die Frage, wie hoch die Kos-
ten für den Ausbau bestimmter erneuerbarer Energien
sind, geantwortet worden: Das weiß die Bundesregie-
rung nicht.

Auf die Frage, welche Investitionskosten entstehen
würden, wenn wir die erneuerbaren Energien nicht aus-
bauen, sondern weiter auf konventionelle Energien set-
zen würden, erhielten wir die wahrheitsgemäße Antwort
der Bundesregierung: Wissen wir nicht.

Auf die Frage – um jetzt einmal weg vom Strom und
hin zur Wärme zu kommen –, wie viel man für welche
Investitionen im Bereich von Wärme- und Effizienz-
maßnahmen einsparen kann, ist die wahrheitsgemäße
Antwort der Bundesregierung: Wissen wir nicht.

Würden Sie mir, wenn die drei Antworten wahrheits-
gemäß sind, dass man die Kosten nicht kennt, zustim-
men, dass die Aussage, es kostet 1 Billion Euro, dann
nicht wahrheitsgemäß sein kann?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722524100

Ich glaube, diese Frage müssen Sie an die Bundesre-

gierung richten.


(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Die haben wir gestellt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben diese Frage gestellt!)


– Ich bin Mitglied des Parlaments; Entschuldigung, aber
das ist nun einmal ein kleiner Unterschied.

Ich glaube aber, dass Peter Altmaier mit seiner Zahl
fast richtig liegt. Ich kann nicht sagen, ob es 1,1 Billio-
nen Euro oder 900 Milliarden Euro sein werden, aber ei-
nes ist klar: Die Energiewende ist das größte und sicher
herausforderndste Projekt der nächsten 30, 40 Jahre. Das
Projekt wird nicht schon 2020 oder 2030 abgeschlossen
sein, sondern es wird noch wesentlich länger dauern.

Wenn ich allein nur die heutige EEG-Umlage, die wir
zahlen, hochrechne, ohne dass es in den nächsten Jahren
zu einem Zubau kommt, kommen wir schon heute auf
Gesamtkosten von 400 Milliarden Euro, lieber Herr
Kelber. Darin sind noch keine Kosten für den Leitungs-
ausbau, für die Speicher, die wir brauchen, für das Ver-
teilnetz, das wir brauchen, und für die Energieforschung,
die wir brauchen, und auch keine Investitionen in die
Gebäudesanierung enthalten. Insofern glaube ich, dass er
mit dieser 1 Billion Euro relativ richtig liegt und dass es
sicherlich nicht viel günstiger wird.

Ich glaube, wir müssen hier den Menschen reinen
Wein einschenken und ihnen einerseits sagen, wo die
Chancen liegen und wie unsere Wirtschaft davon profi-
tieren kann, andererseits dürfen wir sie aber nicht anlü-
gen und sagen, dass wir das alles ganz einfach hinkrie-
gen, sondern wir müssen auch die Kosten ganz klar und
deutlich aufzeigen. Wie gesagt: Ich glaube, dass wir hier
mit 1 Billion Euro nicht ganz falsch liegen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722524200

Herr Kollege, Sie könnten Ihre Redezeit jetzt noch

einmal verlängern, indem Sie Herrn Kollegen Fell die
Möglichkeit zu einer Zwischenfrage geben.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722524300

Ja, natürlich, sehr, sehr gerne. Wir haben ja Zeit heute

Abend.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722524400

Bitte schön.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722524500

Herr Fell, bitte schön.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722524600

Vielen Dank. – Herr Kollege Bareiß, Sie haben ge-

rade gesagt, wir müssten die Bundesregierung fragen,
wenn wir wissen wollten, wie die 1 Billion Euro errech-
net worden sei. Ich habe die Bundesregierung gefragt
und auch eine Antwort bekommen. Vor allem habe ich
gefragt, welches denn die wissenschaftlichen Grundla-
gen seien und welche Quellen es für die Berechnung
gebe, weil wir das gerne nachvollziehen wollten.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist das Bauchgefühl des Bundesministers!)


Die Antwort der Bundesregierung war, diese hätte
Herr Minister Altmaier in einem Interview für die FAZ
benannt. Ich habe in dem Interview nachgeschaut. Darin
stehen keine Quellen, keine wissenschaftlichen Belege
und anderes. Insofern möchte ich Sie bitten, mir zu sa-
gen, was Ihr Rat wert ist, wir sollten die Bundesregie-





Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)

rung fragen, wenn die Bundesregierung diese Frage
nicht richtig beantwortet.

Zu der zweiten Frage, nämlich dazu, wie hoch die
Kosten wären, wenn wir nicht umstellen, gibt es immer-
hin einmal einen Anhaltspunkt, und ich bitte Sie, diesen
zu bewerten:

Wir haben Brennstoffkosten in Höhe von etwa
80 Milliarden Euro, die wir aufgrund der Importe von
Erdgas, Erdöl und Kohle zahlen müssen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das weiß die Bundesregierung nicht!)


– Das kann man beim Statistischen Bundesamt und an-
derswo nachlesen. – Wenn wir nun die Energiewende
mit erneuerbaren Energien durchführen, vermeiden wir
diese doch. Wenn wir das über 20 Jahre hochrechnen,
dann kommen wir übrigens weit über 1 Billion Euro.
Wie können Sie denn behaupten, dass diese Kosten eine
Belastung für die Ökonomie sind? Wir kommen weg
von den Belastungen der Ökonomie!


(Beifall des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulrich Kelber [SPD]: Das wussten sie nicht!)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722524700

Herr Fell, ich habe versucht, es zu erklären. Ich rate

dazu, auch normalen Menschenverstand einzuschalten.
Wir alle wissen, dass die heutigen EEG-Anlagen, die wir
haben, 20 Milliarden Euro kosten. Die nächsten 20 Jahre


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danach habe ich nicht gefragt!)


sind die noch alle am Netz. Das heißt, wenn wir die Zah-
len, die wir für die bestehenden Anlagen haben, für die
kommenden 20 Jahre aufsummieren, dann sind wir bei
400 Milliarden Euro.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie verwechseln schon wieder Ausgaben und Kosten!)


Sie wollen aber sogar weitermachen mit dem EEG-
Ausbau. Dann kommen noch einmal 100, 200 oder
300 Milliarden Euro dazu. Hinzu kommen noch Kosten
für den Netzausbau im Überlandbereich in Höhe von 80
oder 90 Milliarden und für den Verteilnetzbereich in
Höhe von 30, 40, 50 Milliarden Euro.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie denn die Kosteneinsparungen dagegen gerechnet? Das war die Frage!)


Wenn wir dann noch den Speicherbereich dazu zählen,
dann haben wir wahrscheinlich noch einmal 50 Milliar-
den Euro. Das sind Summen, die sich in den nächsten
30, 40 Jahren noch einmal erheblich nach oben entwi-
ckeln. Dann sind wir relativ schnell bei 1 Billion Euro.

Ich sage ja nicht, dass die Chancen nicht gesehen wer-
den dürfen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sehen die nicht!)


Ich sage auch, man muss beides sehen: Man muss die
Risiken, die Kosten sehen, aber auch die Chancen. Um
diese Debatte glaubwürdig zu führen,


(Zurufe von der Linken)

müssen wir beides sehen und offen und ehrlich mit den
Menschen umgehen. Wir müssen Lösungsansätze fin-
den, um diese enorme Steigerung bei den Energiekosten
in den Griff zu bekommen. Deshalb haben wir jetzt zum
Glück den Vorschlag einer Strompreisbremse vorliegen,


(Widerspruch bei der Linken)

bei dem wir schauen können, inwieweit Sie mitmachen.
Es gibt verschiedene Punkte, bei denen wir eventuell
Ihre Hilfe brauchen.

Erster Punkt: Thema Industrieausnahmen

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was wollen Sie denn da?)

und Eigenerzeugnisse, wo wir 40 Prozent – –


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, wie denn?)

– Ja, da wollen wir jetzt drangehen. Schauen wir einmal,
wo Sie mitmachen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722524800

Herr Kollege, ich hätte jetzt noch eine Möglichkeit

für Sie, Ihre Redezeit zu verlängern. Ihr Kollege Grund
hätte nämlich auch noch eine Zwischenfrage. Möchten
Sie die auch zulassen?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722524900

Sehr schön. Ja, gern.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722525000

Bitte schön.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1722525100

Man merkt an der Überraschung, dass es keine be-

stellte Frage sein wird.

(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Weil wir bei der Größenordnung der Zahlen sind: Je
20 Milliarden Euro EEG-Umlage in den nächsten
20 Jahren. Man kann sich ja auch ausrechnen, wie viel
Kaufkraft und wie viel Finanzvolumen damit gebunden
werden. Die Frage ist ja, für welches Ergebnis.

Ich habe in dieser Woche bei der Bundesregierung an-
gefragt, und ich würde Ihnen das gern einmal vorlegen,
damit Sie mir sagen können, ob das Ergebnis überhaupt
in einem angemessenen Verhältnis zu dem Nutzen steht.
Ich habe gefragt: Wie hoch war die im Monat Januar
2013 in der Bundesrepublik Deutschland verbrauchte
elektrische Arbeit in Terawattstunden, und welchen An-
teil daran hatte der durch Photovoltaik erzeugte Strom?


(Ulrich Kelber [SPD]: Da kann ich Ihnen die Website sagen, auf der das steht! Da brauchen Sie nicht die Bundesregierung zu fragen! – Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])






Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)

– Ja, ich wollte die Zahl: 0,8 Prozent. Also, Photovoltaik
hat im Januar dieses Jahres zu 0,8 Prozent an der in
Deutschland verbrauchten elektrischen Arbeit teilge-
habt, und zwar zu Kosten von 20 Milliarden Euro pro
Jahr.


(Zurufe von der SPD und von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ist dies noch verhältnismäßig?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722525200

Mit der Frage der Verhältnismäßigkeit habe ich mich

in den letzten drei Jahren intensivst beschäftigt: in et-
lichen Debatten zur PV-Novelle innerhalb des EEG, wo
wir dafür gekämpft haben, dass wir Stück für Stück die
EEG-Umlage gerade im Bereich der PV-Anlagen, der
Solaranlagen, reduzieren. Wir haben es trotz erbitterten
Widerstands geschafft,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Moment! Wenn sie nicht einspeisen, bekommen sie keine Vergütung!)


die Vergütung im Bereich der Solarenergie um 70 Pro-
zent zu reduzieren und damit das, was Sie beschreiben,
nämlich diese enorme Kostensteigerung im Bereich der
Photovoltaik bei relativ wenig Ertrag, in den Griff zu be-
kommen und damit auch ein Stück weit mehr Sinn in
diese Energiedebatte zu bekommen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Können Sie ausrechnen, wie viel für Solar ausgegeben wurde, wenn Sie nicht einspeisen? – Null!)


Insofern haben wir den Punkt angepackt.

Die Zubauraten, die wir in den letzten Jahren im Be-
reich der Solarenergie hatten, gehen in eine ganz falsche
Richtung. Wir müssen da wieder auf ein sinnvolles Maß
an Zubauraten in einer Größenordnung von 1 000 bis
2 000 Megawatt kommen. Die 7 500 Megawatt in den
letzten Jahren waren – gelinde ausgedrückt – nicht im-
mer ganz sinnvoll. Deshalb ist der Punkt, den Sie anspre-
chen, sehr wichtig. Da sieht man, dass vieles fehlgesteu-
ert wurde, viel Geld in Bereichen ausgegeben wurde, bei
denen verhältnismäßig wenig herauszuholen ist. – Herz-
lichen Dank.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Bitte!)


Zur Strompreisbremse. Wir haben – ich will jetzt auf
meinen ursprünglichen Redebeitrag zurückkommen – in
allen Bereichen die Verantwortlichen zu benennen. Die
Industrieanlagen, die Eigenerzeugnisse wollen wir anpa-
cken; die werden anteilig circa 40 Prozent liefern. Wir
wollen aber auch, dass die Bestandsanlagen, die im
EEG-Topf mit 14,5 Milliarden Euro den größten Bro-
cken ausmachen, ihren Beitrag leisten. Das ist ein Punkt,
der natürlich auch für uns nicht ganz einfach ist und über
den wir ebenfalls noch diskutieren werden. Aber wir
werden die EEG-Kosten nur dann begrenzen können,
wenn wir auch ein Stück weit die Bestandsanlagen mit
500 Millionen Euro mit ins Boot holen. Das macht
25 Prozent aus.

Der dritte Punkt wird sein, die zukünftigen Anlagen,
die noch kommen werden, ebenfalls mit in die Verant-
wortung zu nehmen und die Vergütungssätze Stück für
Stück zu reduzieren. Das wird mit 660 Millionen Euro
noch einmal 35 Prozent ausmachen.

Nun geht es ganz konkret darum, ob Sie bei den Be-
standsanlagen, bei den Industrieanlagen und bei den An-
lagen, die zukünftig kommen werden, mitmachen wer-
den. Nur wenn wir es gemeinsam schaffen, das
Gesamtpaket umzusetzen, werden wir die EEG-Umlage
in den nächsten zwei Jahren auf ein gesundes Maß ein-
frieren und bei 5,277 Cent pro Kilowattstunde halten
und damit die Energiewende nicht nur für die Menschen,
sondern auch für die Wirtschaft und im Hinblick auf un-
sere Arbeitsplätze bezahlbar machen können.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch gar keine Energiewende!)


Wenn wir dies schaffen und die EEG-Vergütung zwei
Jahre lang eingefroren werden kann, dann können wir
uns auch die Zeit nehmen, zu diskutieren, wie das zu-
künftige EEG aussehen soll.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Quatsch!)


Es wird darauf ankommen, für mehr Markt und Wett-
bewerb zu sorgen und so die erneuerbaren Energien zu-
kunftssicher und nachhaltig zu machen. Auch da werden
wir sicherlich sehr viel diskutieren und langfristige Ideen
brauchen.

Wir haben aber nicht nur vor, das EEG zu ändern. Wir
haben schon in den letzten drei Jahren vieles bei den
Energiepreisen und der Energieeffizienz bewirkt. Ich
habe das Thema Solarenergie schon angesprochen. Wir
haben hier die Vergütung um 70 Prozent reduziert, um
für mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen. Wir haben die
Förderung der Energieeffizienz der Gebäude massiv aus-
gebaut. So fließen nun jedes Jahr 1,8 Milliarden Euro in
die Verbesserung der Gebäudeenergieeffizienz. Das ist
ein Betrag, der jedem Häuslebauer hilft und dafür sorgt,
dass Energie eingespart wird. Ich nenne die Mietrechts-
novelle. Des Weiteren haben wir versucht, eine steuer-
liche Förderung der energetischen Gebäudesanierung
gegen Ihren Willen durchzusetzen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das haben wir nicht geschafft. Dort, wo Sie Verantwor-
tung tragen, wurde ein Ausbau der Energieeffizienz im-
mer wieder verhindert. Wir haben mit der Förderung von
Wettbewerb und Transparenz einiges auf dem Kraftstoff-
markt getan. Ich nenne als weiteres Stichwort die Strom-
sparinitiative.

Das ist eine in sich schlüssige und glaubwürdige Poli-
tik. Nur so kann die Energiewende gelingen. Ich fordere
Sie auf: Machen Sie mit! Nehmen Sie das Thema Ener-
giepreise ernst,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nehmen Sie das mal ernst!)


und machen Sie auch bei der Strompreisbremse mit!





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausbaustopp bei den Erneuerbaren machen wir nicht mit! Da brauchen Sie keine Angst zu haben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722525300

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Hubertus Heil.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Ach Mensch, Herr Heil, müssen Sie wirklich reden?)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1722525400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrter Herr Bareiß, ich habe mich schon ein bisschen ge-
wundert, weil neben der Großen Anfrage, die dankens-
werterweise meine Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter
federführend und verdienstvoll auf den Weg gebracht
hat, ein Antrag meiner Fraktion vorliegt, den man lesen
und auf den man sich beziehen kann.

Ich frage Sie also, Herr Bareiß: Was ist eigentlich Ihre
persönliche Meinung zum Thema Stromsteuer? Wie Sie
wissen, hat der Bund alleine durch die Mehrwertsteuer
auf die erhöhte EEG-Umlage Mehreinnahmen in Höhe
von 1 Milliarde Euro jährlich. Meine ganz konkrete
Frage lautet angesichts von Äußerungen der sächsischen
Staatsregierung und auch aus der CSU: Sind Sie bereit,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern kurzfristig zu
helfen, indem etwas im Bereich der Stromsteuer getan
wird?


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wer hat sie eingeführt?)


Ich möchte Ihre persönliche Meinung als Abgeordneter
wissen. Das ist der erste Punkt.

Zweitens. Ich sage Ihnen ganz deutlich, Herr Bareiß,
was Ihr Problem ist. In dieser Legislaturperiode hätte der
Strommarkt in Deutschland umfassend neu geordnet
werden müssen. Tatsache ist: Das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz ist ein Riesenerfolg; sonst läge der Anteil
der erneuerbaren Energien in Deutschland nicht bei rund
25 Prozent. Aber Sie haben Zeit durch Laufzeitverlänge-
rungen für Kernkraftwerke, durch eine 180-Grad-Wende
und durch ein Verhaken zwischen Wirtschafts- und
Umweltministerium verplempert. Jetzt, am Ende der
Legislaturperiode, kommen Sie mit durchschaubaren
Manövern, die dazu dienen sollen, den Schwarzen Peter
– nicht Peter Altmaier – für die gestiegenen Energie-
kosten anderen zuzuschieben. Ich sage Ihnen: Sie haben
Deutschland in der Energiepolitik vier Jahre gekostet.
Deshalb würde ich von Ihnen gern wissen: Warum haben
Sie eigentlich nie Vorschläge für eine Neuordnung des
Strommarkts bzw. für ein anderes Strommarktdesign ge-
macht? Wir brauchen eine Neuordnung, um den Ausbau
der Erneuerbaren vernünftig voranzubringen, gesicherte
Kapazitäten bereitzustellen sowie die Bezahlbarkeit zu
erhalten und den Netzausbau nach vorne zu bringen. Ih-
nen fehlt die Vorstellung, wie es weitergehen soll.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die hoffen, abgelöst zu werden!)


Letzter Punkt. Über die Notoperation, die Sie jetzt
vorschlagen, können wir gerne reden. Wir haben eigene
Vorschläge gemacht, weil wir das Thema Bezahlbarkeit
sehr ernst nehmen. Aber was nicht geht, ist, dass Sie In-
vestitions- und Planungssicherheit in diesem Land zer-
stören, indem Sie rückwirkend in den Bestand eingrei-
fen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ausländische Investoren achten genau darauf, was in
Deutschland in diesem Bereich geschieht. Unterhalten
Sie sich bitte auch mit den großen Energieversorgern,
mit den Anbietern erneuerbarer Energien und mit den
Herstellern von Anlagen in diesem Land über die fatale
Wirkung dieser Art und Weise, Politik zu machen!

Ich sage Ihnen: Industriepolitisch gesehen – das ist
mein Schluss – haben Sie eine Antwort nicht gegeben.
Sie versuchen, bei uns einen Widerspruch hinsichtlich
der Ausnahmen für energieintensive Betriebe zu kon-
struieren. Da gibt es aber überhaupt keinen Widerspruch.
Wir sind der festen Überzeugung, dass Unternehmen,
die tatsächlich energieintensiv sind, die alle Möglichkei-
ten zur Steigerung der Energieeffizienz genutzt haben
und die im internationalen Wettbewerb stehen, nicht
stärker belastet werden dürfen. Sie machen mit Herrn
Altmaier jedoch einen gegenteiligen Vorschlag. Sie wol-
len auch Unternehmen belasten, die Maßnahmen zur
Energieeffizienzsteigerung ergriffen haben und im inter-
nationalen Wettbewerb stehen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722525500

Herr Kollege Heil, die Zeit ist abgelaufen.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1722525600

Das nenne ich industriepolitischen Irrsinn. Sie haben

ökonomisch gesehen die falsche Richtung eingeschla-
gen. Sie sollten umkehren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722525700

Herr Kollege Bareiß zur Erwiderung, bitte.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber nicht so kurz! – Rolf Hempelmann [SPD]: Ein umfassendes Geständnis reicht!)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1722525800

Herzlichen Dank, Herr Heil, für die Fragen. – Ich

finde es interessant, festzustellen, dass in Ihrer Fraktion
zwischenzeitlich ein Bewusstseinswandel stattgefunden
hat, was das zukünftige Marktdesign betrifft. Wenn ich
mit den Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion über
das Thema Energie diskutiert habe, habe ich bisher im-
mer den Eindruck gehabt, dass Sie zwanghaft am EEG
festhalten und keine einzige Reform des EEG vorsehen





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

wollen. Das war die Debatte der vergangenen drei Jahre.
Sie haben zwanghaft am EEG festgehalten.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Sie haben doch gar keinen Vorschlag gemacht! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Strommarktdesign, aber nicht EEG abschaffen!)


Wenn wir im EEG Kleinigkeiten novellieren wollten,
gab es von Ihrer Seite aus immer nur Widerspruch, nicht
einmal konstruktiven Widerspruch. Sie waren immer nur
dagegen, weil Sie jede Änderung des EEG immer sofort
als einen Angriff auf die erneuerbaren Energien gewertet
haben. Das hat die Debatte auch enorm vergiftet.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Großer Quatsch!)


Wenn wir ein Marktinstrument eingebaut haben wie die
Marktprämie beispielsweise, indem wir versucht haben,
die erneuerbaren Energien Stück für Stück an den Markt
zu bringen, waren Sie immer dagegen. Sie waren immer
dagegen, dass die erneuerbaren Energien in den Markt
eintreten, obwohl diese das könnten. Erneuerbare Ener-
gien sind nämlich schon so weit, dass sie Stück für Stück
in den Markt eintreten können. Sie brauchen nicht mehr
die für 20 Jahre fest vereinbarte Vergütung; sie brauchen
die Bevorzugung nicht.

Ich glaube, wir sind dabei schon ein Stück weiter als
Sie. Wir werden jetzt ganz unaufgeregt kurzfristige
Maßnahmen vorschlagen. Das haben wir bereits zum
Thema Strompreise gemacht, da wir gesehen haben, dass
wir das Thema kurzfristig angehen müssen. In den
nächsten zwölf Monaten brauchen wir eine Phase, in der
wir das große Thema von EEG und EnWG, die Verbin-
dung der fossilen Kraftwerkswelt mit der Welt der
erneuerbaren Energien, anpacken. Das wird die größte
Reform der nächsten 20 Jahre sein.


(Dorothée Menzner [DIE LINKE]: Können wir als Drohung auffassen!)


Das wird die Grundlage der Energiewelt der nächsten
30 bis 40 Jahre sein. Dabei dürfen wir keine Schnell-
schüsse machen. Wir müssen schauen, was jetzt sinnvoll
und machbar ist. Ich glaube, dabei bekommen wir auch
gemeinsam etwas hin.

Deshalb glaube ich, dass die Stromsteuer – damit
komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben – kein
Ansatz ist, um das Ganze langfristig in den Griff zu
bekommen. Jetzt die Stromsteuer abzuschaffen, wäre ein
Taschenspielertrick. Dadurch würden wir anderswo
Löcher aufreißen, nämlich bei der Rente. Das haben Sie
1999 eingeführt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mehreinnahmen in der Mehrwertsteuer von 1 Milliarde!)


Sie haben damals die Stromsteuer erfunden. Damit ha-
ben Sie die Rente finanziert. Wir wollen das jetzt nicht
mehr abschaffen. Vielmehr glauben wir, dass wir lang-
fristig ausgerichtete, nachhaltige und ehrliche Debatten
über das EEG und die Energieversorgung und auch ehr-
liche Lösungen brauchen. Deshalb müssen wir das
Thema grundsätzlich angehen. Das über die Stromsteuer

zu versuchen, wäre der falsche Weg. Deshalb bin ich ge-
gen die Senkung der Stromsteuer und auch gegen die
Abschaffung der Stromsteuer.

Herzlichen Dank.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie mit der Ehrlichkeit mal an!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722525900

Jetzt hat die Kollegin Dorothée Menzner von der

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722526000

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Was kostet die Energiewende? Umweltminister Altmaier
– das wurde zitiert – hat neulich von 1 Billion Euro ge-
sprochen. Da fragt man sich: Ist das Wirklichkeit oder
Panikmache? Wie kommt er eigentlich darauf?

Die Bundesregierung führt keine Vergleichsrechnung
der Kosten der atomaren und fossilen Energieerzeugung
im Verhältnis zu den Kosten der erneuerbaren Energien.
Die Bundesregierung hat keine Vorstellung von der
künftigen Preisentwicklung fossiler und atomarer Brenn-
stoffe. Die Bundesregierung hat keine Vorstellung da-
von, wie sich die CO2-Preise entwickeln werden. Die
Bundesregierung hat keine Vorstellung davon, welche
Wertschöpfung die Branche der erneuerbaren Energien
in diesem Land bringt, nicht einmal für den nahen Ter-
min 2020. Die Bundesregierung hat keine Vorstellung
davon, wie hoch die Klimafolgekosten von 1 Tonne
CO2-Ausstoß sind.

All das kann man der Antwort auf die Große Anfrage
der SPD entnehmen, die wir uns natürlich sehr genau an-
geschaut haben.

Ich frage Sie: Wie kann man so völlig ohne Vorstel-
lungen von zukünftigen Preisentwicklungen Aussagen
zu zukünftigen Kosten machen? Das erschließt sich mir
nicht. Tut mir leid.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung gibt immer Auskunft darüber,
was die Energiewende kostet. Aber was sie verschweigt,
ist, wie hoch die Kosten denn sein werden, die auf uns
zukommen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Da
kann ich nur sagen: Es müssen externe Kosten in die
Rechnung mit einbezogen werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Umweltbundesamt rechnet mit Folgekosten von we-
nigstens 40 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2. Ich
kenne andere Schätzungen, die sogar bis zu 120 Euro
reichen. Schauen Sie doch alle einmal nach, was Ihr Pkw
so an CO2-Ausstoß hat!

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW,
beziffert die Klimafolgekosten allein für Deutschland
wirklich konservativ auf 800 Milliarden Euro. Steigende





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)

Ressourcenpreise, Ressourcenkämpfe, Ressourcenkriege,
all das gibt es schon längst, und es wird sich besonders im
Hinblick auf wachsenden Energiebedarf aufstrebender
Länder weiter verschärfen. Auch Rüstungsausgaben sind
immer mehr Kosten der fossil-atomaren Energie. Folge-
kosten der Atomkraft, Stichwort: „Atommüll“ – wir hat-
ten vorhin die Debatte zur Asse –, sind weitere mögliche
Kosten, von der Möglichkeit eines Super-GAUs in
Deutschland oder einem Nachbarland ganz zu schweigen.
All das sind externe Kosten der bisherigen Energiewirt-
schaft. Damit sind die aus der Luft gegriffenen 1 Billion
Euro an Kosten für eine ökologische Energiewende bei
weitem überboten; man wird es sich denken können.

Was macht die Bundesregierung? Sie plant den Ab-
schuss des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und bringt
dadurch nicht nur die Energiewende in Gefahr, sondern
auch eine Branche mit 381 000 Arbeitsplätzen in
Deutschland. Dazu argumentiert sie seit langem das
erste Mal – es ist wirklich so – mit einer sozialen Kom-
ponente: Der Strompreis sei durch die erneuerbaren
Energien so angestiegen, dass genau an dieser Stelle
Abstriche gemacht werden müssten.

Fakt ist: Der Strompreis ist seit 2000 auf das Doppelte
gestiegen; das ist richtig. Aber davon ist wirklich nur ein
Drittel tatsächlich dem Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien zuzurechnen. Was hingegen eklatant gestiegen ist,
sind die Ausnahmen für die energieintensive Industrie
beim Strompreis, bei der Stromsteuer, bei der EEG-
Umlage und bei Netzentgelten. Reden Sie also nicht von
sozialer Gerechtigkeit, wenn Sie gar keine Vorstellung
davon haben, wie Sie sie herstellen wollen!


(Beifall bei der LINKEN)


Würden wir die gesamten Folgekosten der fossilen
und atomaren Energieerzeugung allein im Stromsektor
auf den Preis aufschlagen, dann wären wir längst bei ei-
nem Strompreis von 40 Cent pro Kilowattstunde. Das
würde man dann, anders als bisher, auch sehen.

Energiewende bedingt, wenn man es klug und vor
allem günstig machen will, Energieeffizienz. Ich bin
Realistin genug, um zu erkennen, dass Sie unserem An-
trag hier nicht zustimmen werden. Aber ich würde Ihnen
raten: Dann machen Sie es doch wie so oft: Benutzen Sie
ihn als Steinbruch für Ihre zukünftige Arbeit!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722526100

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722526200

Wir fordern Sie auf: Schlagen Sie einen anderen Weg

ein! Es wäre besser für alle, wenn Sie endlich Einsicht
hätten, dass Kohle und Atomenergie Dinosaurier sind,
dass wir so nicht weiterkommen und entsprechend
handeln müssen. Allein dann hätte das eine wirkliche so-
ziale Komponente.

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722526300

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Klaus

Breil.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1722526400

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Lassen Sie mich zunächst etwas Aufklärung im
Hinblick auf aufgeworfene Fragen geben, was die
1 000 Milliarden bzw. 1 Billion Euro für die ökologische
Energiewende betrifft. Es gibt ein Sondergutachten des
Sachverständigenrates für Umweltfragen aus dem Jahr
2011. Es enthält auf Seite 179 eine Folie – ich empfehle
sie Ihrer besonderen Aufmerksamkeit –, und da können
Sie sehen, wie sich die entsprechenden Zahlen entwi-
ckeln und wie die Zahl von 1 Billion Euro bzw.
1 000 Milliarden Euro zustande kommt.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ist das jetzt die Antwort auf die Große Anfrage?)


Sie müssen dabei nur noch berücksichtigen, dass der
Aufwuchs in den letzten Jahren die Kurven von damals
ein ganz klein wenig gesprengt hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beschäf-
tigen uns heute mit den Anträgen der Opposition, die vor
über einem Jahr gestellt wurden. In letzter Minute kam
ein Entschließungsantrag der SPD dazu, wahrscheinlich
um der Debatte zumindest den Anschein von Aktualität
zu geben.


(Lachen bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist nicht in Ordnung, wenn sich Ihre Antwort verzögert, das uns vorzuwerfen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was sind Sie für ein Parlamentarier?)


Allerdings kann man diesen Entschließungsantrag schon
nach den ersten Zeilen nicht mehr ernst nehmen. Die Re-
gierungskoalition dafür anzugreifen, dass die Kürzungen
der Vergütung für Photovoltaik in den EEG-Novellen
nicht ausreichend waren, um die Umlage wirkungsvoll
zu begrenzen, müsste den Genossen die Schamesröte ins
Gesicht treiben. Den ganzen restlichen Winter könnte
ich mit Pressemitteilungen und Namensartikeln heizen,
in denen Sie uns anklagen, die Solarbranche, Ihre Ami-
gos, kaputt zu machen, in denen Sie den Bürgerinnen
und Bürgern glauben machen, die Photovoltaik wäre die
Ersatzlösung für den Wegfall der konventionellen Kapa-
zitäten, in denen Sie uns vorwerfen, die Energiewende
ganz und gar nicht zu wollen. Dabei waren Sie es doch,
die den letzten Kürzungsversuch im Bundesrat blockiert
haben. Das ist hochrangig unseriös, was Sie, die Genos-
sen von EUROSOLAR, mit diesem Entschließungs-
antrag tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Wann? Welche Kürzungsvorschläge? Nennen Sie mal ein Datum! – Die zweite bewusste Unwahrheit, Herr Breil!)






Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)

In dem einem Jahr, das vergangen ist, seit die anderen
Anträge geschrieben wurden, ist nicht nur die Opposi-
tion von der Realität eingeholt worden. Nein, auch die
Energieeffizienzrichtlinie der EU, auf die in den Anträ-
gen eingegangen wird, wurde vom Europäischen Rat
verabschiedet.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722526500

Herr Kollege Breil, die Kollegin Schwarzelühr-Sutter

möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1722526600

Ich möchte gerne meine Gedanken zu Ende führen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Wenn es mal welche wären! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ich habe noch keine gesehen!)


Im vergangenen Jahr ist die Richtlinie im Dezember
in Kraft getreten. Sie muss bis zum Juni 2014 in nationa-
les Recht umgesetzt werden. Die schwarz-gelbe Bundes-
regierung wird das mit Freude in der kommenden Legis-
laturperiode tun.

Unser Ziel ist es, mit der Richtlinie einen Beitrag zur
Erreichung des EU-Energieeffizienzziels bis 2020 zu
leisten,


(Ulrich Kelber [SPD]: Warum ist der nur halb so hoch wie die Ziele?)


die Hebung von wirtschaftlichen Potenzialen zur Ener-
gie- und Stromeinsparung zu unterstützen, die Verbrau-
cher von steigenden Energie- und Strompreisen zu ent-
lasten


(Ulrich Kelber [SPD]: Warum haben Sie die Effizienzvorgaben dann verwässert?)


und den Markt für Energiedienstleistungen weiter zu
stärken bzw. auszubauen.

Allerdings müssen wir bei allen Regelungen darauf
achten, dass erstens der bereits bestehende und bewährte
Mix an Instrumenten zur Steigerung der Energieeffizienz
fortgeführt und zweitens zusätzlicher bürokratischer
Aufwand minimiert wird. Deshalb sollten wir die Richt-
linie eins zu eins umsetzen.

Bis 2020 soll der Primärenergieverbrauch gegenüber
2008 um 20 Prozent, bis 2050 um 50 Prozent sinken.
Das erfordert für uns in Deutschland pro Jahr eine Stei-
gerung der Energieproduktivität um durchschnittlich
2,1 Prozent.

Gemäß dem Monitoring-Bericht – Sie alle kennen
ihn – haben wir in diesem Bereich schon vorzeigbare Er-
gebnisse geliefert. Im Zeitraum 2008 bis 2011 ist die
Energieproduktivität jährlich im Durchschnitt um 2 Pro-
zent gestiegen. Wir befinden uns also auf dem Zielpfad
und müssen den Trend nur noch geringfügig verstärken.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ach Gott!)


Die in der vorigen Woche veröffentlichte Studie der
Prognos AG – Sie alle werden sie gelesen haben – hat

alle laufenden und geplanten politischen Maßnahmen
auf ihre Energieeinspareffekte im Zeitraum 2014 bis
2020 untersucht. Die Gutachter bescheinigen für diesen
Zeitraum sogar eine leichte Übererfüllung der europäi-
schen Einsparvorgabe. Dabei ist schon eingerechnet,
dass die Vorleistungen bei Einsparungen, die Deutsch-
land erbringt, nur zu 25 Prozent auf das Einsparziel in
Art. 7 der Richtlinie angerechnet werden dürfen. Das
zeigt uns eines: In Deutschland hat sich in den letzten
Jahrzehnten ein breiter und bewährter Mix an Instrumen-
ten zur Steigerung der Energieeffizienz entwickelt, und
dieser Mix unterliegt einer fortlaufenden Weiterentwick-
lung oder – besser gesagt – einer Optimierung.

Die Maßnahmen, die wir in Deutschland bisher um-
gesetzt haben, tragen wesentlich zur Verringerung des
Endenergieverbrauches bei. Auch wenn ich hohe Ener-
giepreise in keiner Form befürworte, werden doch in er-
heblichem Umfang Einsparimpulse gesetzt. Aber auch
die Energieeffizienz von Produkten und Dienstleistun-
gen wird kontinuierlich gesteigert oder die Nutzung
energieeffizienter Technologien oder Techniken voran-
getrieben. Die Gebäudesanierung und die Neubaustan-
dards führen ebenfalls zu hohen Einsparungen. Vor die-
sem Hintergrund muss im Rahmen der Umsetzung der
Richtlinie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wer-
den, unseren bewährten Instrumentenmix auszubauen.
So können wir die Energieeinsparverpflichtungen der
EU einhalten, ohne Verbraucher und Wirtschaft mit er-
heblichen zusätzlichen Kosten zu belasten.

Wer auch immer auf die Idee kommt, die bisherigen
Erfolge kleinzureden, hat ein Problem. Denn dann müs-
sen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
Farbe bekennen und sagen, mit welchen Instrumenten
und mit wessen Geld die Effizienzfortschritte beschleu-
nigt bzw. erzwungen werden sollen. Ich bin jedenfalls
gegen Sanierungszwang oder staatliche Effizienzumla-
gen à la EEG.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich werde mich dafür einsetzen, dass alle staatlichen
Maßnahmen, die tatsächlich eine Einsparwirkung haben,
bei der Umsetzung der Richtlinie anerkannt und nach
Brüssel gemeldet werden. Deutschland ist eine energie-
effiziente Volkswirtschaft, die energieeffizienteste
Volkswirtschaft der Welt,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das ist Quatsch!)


und das lasse ich mir nicht kaputtreden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722526700

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort

der Kollegin Schwarzelühr-Sutter.


(Lena Strothmann [CDU/CSU]: Oh! Die hat doch schon geredet!)







(A) (C)



(D)(B)


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1722526800

Sehr geehrter Herr Kollege Breil, ich finde es schon

ziemlich vermessen bzw. sogar etwas unverschämt, dass
Sie behaupten, unsere Anträge und Anfragen seien ein
Produkt von EUROSOLAR. Ja, ich bin genauso wie der
Kollege Göppel oder der Kollege Fell Mitglied von EU-
ROSOLAR. Aber einen eingetragenen Verein – und Sie
wissen, was das heißt – mit Lobbyisten zu vergleichen,
die teuer bezahlt sind – da würde ich bei Ihrer Partei mal
gucken, was denn bei den Nebenverdiensten steht –,


(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dass der Kelber auch noch klatscht! – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Der Pfeiffer, der nicht einmal seiner eigenen Partei sagt, für wen er arbeitet, reißt das Maul auf! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da würde ich selber mal gucken!)


das ist nicht in Ordnung.


(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Nebenverdienste! Da war doch was, oder?)


– Ja, da war was mit Nebenverdiensten. Es gibt nämlich
diejenigen, die es offenlegen, angeben und versteuern.
Aber es gibt auch diejenigen, die keine Transparenz ha-
ben wollen und entsprechende Anträge ablehnen. Da
war was, genau!


(Ulrich Kelber [SPD]: Zum Beispiel der Kollege Pfeiffer!)


Da müssen Sie schon in Ihren eigenen Reihen schauen,
warum Sie das abgelehnt haben.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Liebe Freunde, mit Nebenverdiensten würde ich hier nicht anfangen!)


Aber ich möchte festhalten: Einen eingetragenen Ver-
ein mit einer Lobbygruppe oder einem Lobbyverband zu
vergleichen, ist einfach nicht in Ordnung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: So ist es!)


Zweiter Punkt: das Alter dieser Anfrage. Ist es unser
Problem, wenn die Bundesregierung nicht in der Lage
ist, ihre eigenen Materialien auszuwerten und uns nach
kürzerer Zeit die Antworten zu geben? – Es waren Fra-
gen und keine Unterstellungen in Bezug auf das EEG
oder sonst etwas. Ich muss schon sagen: Es ist schon be-
zeichnend, wenn man Fragen nicht von Antworten un-
terscheiden kann und man uns dann Manipulation vor-
wirft. Es sind Fragen, die sich jeder Bürger stellt.

Ich bin nicht nur Mitglied von EUROSOLAR, son-
dern auch frei gewählte Abgeordnete und vertrete jeden
Bürger, auch Handwerker und Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ulrich Kelber [SPD]: Da wäre eine Entschul-
digung angesagt! – Hubertus Heil [Peine]

[SPD]: Das muss man sich von der Hotelpartei
nicht erzählen lassen!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722526900

Herr Kollege Breil, wollen Sie antworten?


(Klaus Breil [FDP]: Ja!)


– Bitte schön.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1722527000

Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, erstens ist die

Formulierung, die ich da gewählt habe, glaube ich, zu-
lässig.


(Iris Gleicke [SPD]: Pfui!)


Zweitens ist es nun einmal so, dass EUROSOLAR viele
Mitglieder hat, die Ihnen nahestehen.


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Über die Parteigrenzen hinweg!)


– Ja, über die Parteigrenzen hinweg; aber ganz beson-
ders viele stehen Ihnen nahe. Ich habe mich mit denen
auseinandergesetzt; einige sitzen ja in München. Ich
weiß also, wovon ich da rede.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich nicht! Gar nichts wissen Sie! – Iris Gleicke [SPD]: Ganz offensichtlich nicht! – Ulrich Kelber [SPD]: Normalerweise sagt man zu so einem Verhalten „schmutzig“!)


Frau Schwarzelühr-Sutter, Sie haben die zurücklie-
gende Zeit angesprochen. Ich habe gesagt, dass ich auf
den aktuellen Entschließungsantrag Bezug nehme;


(Rolf Hempelmann [SPD]: Jetzt ist er doch aktuell! Schön, dass er jetzt doch aktuell ist!)


dazu habe ich heute im Wesentlichen gesprochen. Ich
habe also zu Dingen, die über ein Jahr zurückliegen, gar
nicht gesprochen.

Danke schön.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das nehmen wir als halbe Entschuldigung!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722527100

Das Wort hat jetzt der Kollege Oliver Krischer von

Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722527200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich die Antworten auf die Große Anfrage
anschaut, dann sieht man ein Dokument des Unwillens
und der Unfähigkeit, sich mit Fragen der Energiewende
auseinanderzusetzen. Das ist ein Zeichen von Nichtwol-
len und Nichtkönnen, und das wird nur noch von dem
getoppt, was Sie hier in der Debatte zu diesem Thema
abliefern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

Ich sage Ihnen: Wenn Sie über das Thema Energie-
preise reden, dann reden Sie immer nur über die EEG-
Umlage. Was Sie überhaupt nicht draufhaben, ist, dass
wir Preissteigerungen wegen Konzerngewinnen und
steigender Preise für fossile Energien haben. Der 1 Bil-
lion Euro von Herrn Altmaier müsste gegengerechnet
werden, was wir an fossilen Rohstoffimporten sparen,
was wir an Wertschöpfung in unser Land bekommen.
Das haben Sie nicht auf dem Schirm.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: 18 Prozent der PV kommen aus China!)


Das ignorieren Sie, weil Sie es am Ende gar nicht wol-
len, weil es nämlich Ihre Wirtschaft betrifft, die darunter
leiden würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man festhält, dass die EEG-Umlage steigt, dann
muss man auch festhalten, dass die nicht wegen des Aus-
baus der erneuerbaren Energien steigt, sondern wegen
sinkender Börsenpreise und wegen überbordender Aus-
nahmetatbestände. Wenn man da etwas tun will, muss
man diese Fragen angehen. Sie aber wollen eine Aus-
baubremse schaffen, Sie wollen den Ausbau der Wind-
energie an Land kaputtmachen. Mit Ihren Vorschlägen
– das ist jetzt schon zu beobachten – stoppen Sie den
Ausbau der Windenergie im Binnenland komplett. Das
ist eine Katastrophe für die Energiewende und für den
Ausbau der erneuerbaren Energien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ich ganz deutlich sage: Man kann über vieles dis-
kutieren, aber es ist eine Grenzüberschreitung, dass Sie
in bestehende Verträge eingreifen wollen, dass Sie rück-
wirkend Dinge infrage stellen, die vorher politisch zuge-
sagt worden waren. Das macht mehr kaputt als nur die
erneuerbaren Energien. Das rüttelt an der Säule, die wir
in der Politik hatten, dass sich an geschlossene Verträge
gehalten wird. Das wird Ihnen dann auch an anderer
Stelle auf die Füße fallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben Vorschläge gemacht, was man gegen eine
steigende EEG-Umlage tun kann. Wenn ich mir das
Altmaier/Rösler-Papier ansehe, sehe ich 1,8 Milliarden
Euro, die man dadurch sparen könnte – wenn man für
Sie günstig rechnet! –, um den Preis, dass Sie den Aus-
bau der erneuerbaren Energien kaputtmachen. Wir haben
Vorschläge gemacht, wie man 4 Milliarden Euro sparen
kann, ohne dass die erneuerbaren Energien kaputtgehen,
und darüber sollten wir reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD])


Was Sie auch nicht verstehen, ist das ganze Thema
Energieeffizienz. Dazu haben wir Anträge vorliegen, die
heute auch debattiert werden. Frau Merkel hat 2007 ver-
kündet, Deutschland solle Effizienzweltmeister werden.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Sind wir schon!)


Da muss man sich einmal die Bilanz dessen ansehen,
was Sie seit 2009 abgeliefert haben. Da ist null, da ist
gar nichts; es ist noch schlimmer: Überall da, wo es um
etwas ging, haben Sie blockiert, haben Sie gebremst.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das ist doch falsch! Das ist gar nicht wahr!)


Sie haben in Brüssel versucht, die Energieeffizienz-
richtlinie zu verhindern. Das ist Teil Ihrer Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Das sagt sogar der EU-Kommissar!)


Jetzt geht es noch weiter. Jetzt geht es um die Frage:
Wie setzen wir die Energieeffizienzrichtlinie um? Herr
Breil hat eben dieses wunderbare Prognos-Gutachten ge-
nannt. Das soll die Grundlage dafür sein. Wenn man sich
anschaut, was in diesem Gutachten ernsthaft vorgeschla-
gen wird, fällt man tot um. Die Netzentgelte, die Lkw-
Maut, die Mehrwertsteuer – das alles wird plötzlich zu
Energiesparmaßnahmen umgerechnet. Ich habe nur noch
erwartet, dass plötzlich das Wiederaufbauprogramm
nach dem Zweiten Weltkrieg als Vorleistung zu Energie-
sparmaßnahmen gerechnet wird. Dann kommen Sie zu
dem Ergebnis, dass Sie nichts tun müssen. Das ist genau
das, was nicht sein kann.

Wir müssen Energie einsparen. Wir müssen da voran-
kommen. Wir müssen Maßnahmen vorschlagen. Wir
müssen einen Energieeffizienzfonds schaffen. Von all
dem wollen Sie nichts wissen. Mit Taschenspielertricks
wollen Sie verhindern, dass beim Thema Energieeffi-
zienz tatsächlich etwas passiert. So werden wir nie Ener-
gieeffizienzweltmeister.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Siehe Gebäudesanierungsprogramm! Siehe Gebäudesanierungsprogramm!)


Wir sind in Europa bei diesem ganzen Thema zum
Bremser geworden. Italien, Dänemark und Großbritan-
nien machen uns bei diesem Thema etwas vor.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722527300

Herr Kollege Krischer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Bitte kommen Sie zum Schluss.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722527400

Ich komme zum letzten Satz. – Da kann ich es nur mit

Herrn Göppel sagen, der gleich nach mir noch spricht:
Wenn man alles zusammenfasst, meine Damen und Her-
ren, was Sie im Bereich Energiepolitik – Erneuerbare,
Effizienz – machen, dann ist das – ich zitiere – ein Auf-
ruf, Rot-Grün zu wählen.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Und zwar in der Reihenfolge!)


Da hat Herr Göppel recht.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722527500

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt das Wort der Kollege Josef Göppel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1722527600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Zielvorgaben der Bundesregierung zur Energiewende
bleiben richtig, auch bei heftiger Kritik der Opposition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Breil [FDP])


Wenn wir den Istzustand mit den Zielvorgaben ver-
gleichen, dann stellen wir fest: Beim Ausbau der erneu-
erbaren Energien liegen wir zwar gut in der Zeit, aber
die Zielvorgaben haben wir noch nicht erreicht. Als Ab-
geordneter der CSU sage ich: Solange die Zielvorgaben
nicht erfüllt sind, muss der Ausbau weitergehen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das bedeutet, dass die Strompreisbremse, die für be-
stimmte Bevölkerungsschichten sehr wohl ihre Berechti-
gung hat, nicht zu einer Ausbaubremse führen darf.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist sie aber jetzt schon!)


Mit dem Ziel der Energiewende verbindet die Bun-
desregierung den Anspruch, eine krisenfeste und lang-
fristig günstigere Energieversorgung für Deutschland zu
gewährleisten: krisenfest, weil der Strom durch erneuer-
bare Energien im eigenen Land erzeugt wird – und damit
indirekt Wärme aus Stromüberschuss –, und günstiger –
das beweist die Strombörse in Leipzig –,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


weil die variablen Kosten sehr viel niedriger sind als bei
der Erzeugung von Strom aus herkömmlichen Energien.
Das heißt, die Langfristperspektiven sind günstig.

Zur Bewertung der aktuellen Vorschläge. Erstens. Für
Süddeutschland ist ein rückwirkender Eingriff nicht hin-
nehmbar. Das wäre aus unserer Sicht ein Dammbruch im
Hinblick auf die Investitionsbereitschaft der Menschen.
Das entspricht ausdrücklich der Stimmung in meiner
bayerischen Heimat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In ganz Deutschland!)


Zweitens. Für uns ist eine undifferenzierte Kürzung
bei der Windenergie über das ganze Land hinweg nicht
akzeptabel. Hier muss nach der Standortqualität diffe-
renziert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Man kann darüber reden, den Eigenver-
brauch heranzuziehen. Aber auch da muss nach den
klimabelastenden Faktoren differenziert werden, die die
einzelnen Energien und Brennstoffe mit sich bringen. Es
kann nicht sein, dass jemand, der in ein mit Kohle betrie-
benes Kraftwerk investiert und die gewonnene Energie

selbst verbraucht, nur so viel bezahlen muss wie jemand,
der auf seiner Scheune ein paar Solarzellen installiert hat
oder den Strom durch das Windrad einer Energiegenos-
senschaft seines Dorfes erzeugt.

Viertens. Weiterhin ist es für uns entscheidend, wie
die neue Stromvermarktung gestaltet werden kann. Wer
sich mit Praktikern an der Basis unterhält, der merkt,
dass sich zwei Vorschläge immer stärker herauskristalli-
sieren. Der eine ist: Wir dürfen nicht den gesamten er-
neuerbaren Strom über die Börse ziehen. Vielmehr müs-
sen wir versuchen – so wie es in der Realität bereits
stattfindet –, möglichst vorher große Anteile regional
direkt zu vermarkten. Der zweite Vorschlag bezieht sich
auf das Desaster beim europäischen Emissionshandel.
Solange er nicht wieder funktionsfähig ist, müssen wir
auf die Energiemengen, die in Leipzig an der Börse
angeboten werden, eine Abgabe auf die einzelnen Ener-
giearten erheben, je nach Klimabelastung, um Wett-
bewerbsfähigkeit und Wettbewerbsgerechtigkeit zu ge-
währleisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In meinem Heimatland Bayern ist eine wahre Volks-
bewegung für den Ausbau erneuerbarer Energien in
Gang. Wir von der CSU unterstützen diese Bewegung
umfassend, weil es unseren Grundwerten entspricht,
dass Menschen von passiven Konsumenten von Energie
zu eigenverantwortlichen Produzenten und Managern
von Energie werden und auf diese Art und Weise ein
ganz anderes Verhältnis zur Energie bekommen; denn
das erstreckt sich auch auf alle Familienangehörigen.
Der nachhaltigere Umgang mit Energie hat sehr viel
damit zu tun, dass Millionen von Menschen in das Ener-
giegeschäft einbezogen werden und wir auf diese Art
auch im sozialen Sinn der Nachhaltigkeit die alte, zentral
gesteuerte Energiewirtschaft überwinden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722527700

Ich schließe die Aussprache.

Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/12538 zu ihrer Großen Anfrage soll zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz, an den Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung sowie an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen wer-
den. – Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 17/10106. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8159
mit dem Titel „Die europäische Energieeffizienzrichtli-
nie wirkungsvoll ausgestalten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)

der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-
Fraktion und bei Stimmenthaltung der Linken und der
Grünen angenommen worden.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/8457 mit dem Titel „Die Energiewende
braucht Energieeffizienz“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung von SPD und Grünen an-
genommen worden.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c der Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/7462 mit dem Titel „Energie sparen,
Kosten senken, Klima schützen – Für eine ambitionierte
Effizienzstrategie der deutschen und europäischen
Energieversorgung“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen von Linken und Grü-
nen sowie bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-
men worden.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sech-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Arznei-
mittelgesetzes

– Drucksachen 17/11293, 17/11873 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12526 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm
Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Ein effizientes Tierarzneimittelgesetz schaffen
und die Antibiotikagaben in der Nutztierhal-
tung wirkungsvoll reduzieren

– Drucksachen 17/12385, 17/12526 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan

Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Systematischen Antibiotikamissbrauch be-
kämpfen – Tierhaltung umbauen

– Drucksachen 17/9068, 17/10662 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Erhebt sich
dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Peter
Bleser das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Pe
Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1722527800


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es gilt, Antibiotika als Waffe gegen lebens-
bedrohende Infektionskrankheiten für Mensch und Tier
zu erhalten. Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfs. Den
Gesetzentwurf haben wir auch deswegen eingebracht,
weil wir eine zunehmende Antibiotikaresistenz feststel-
len und diese natürlich eine ernste Gefahr für Mensch
und Tier sein kann.

Wir kümmern uns aber nicht erst seit heute um die
Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes. Vielmehr sieht
schon die im Jahr 2008 beschlossene Antibiotika-Resis-
tenzstrategie die flächendeckende Erfassung des Einsat-
zes von Antibiotika vor.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im letzten Sommer haben wir die ersten Ergebnisse er-
halten. Erstmals gibt es verlässliche Zahlen: Es wurden
1 734 Tonnen Antibiotika in der Nutztierhaltung einge-
setzt. Das ist uns zu viel. Aber, meine Damen und Her-
ren, wie viel es zu viel ist,


(Ulrich Kelber [SPD]: Weiß man nicht!)


ob es starke Reduzierungspotenziale gibt, lässt sich noch
nicht feststellen. Tatsächlich ist es so, dass die Menge,





Parl. Staatssekretär Peter Bleser


(A) (C)



(D)(B)

die jetzt genannt wurde, mit der Anzahl der Tiere und
den Tierarten, bei denen die Antibiotika eingesetzt wor-
den sind, in Zusammenhang steht. Man muss aber auch
die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffart bemes-
sen, um eine Bewertung vornehmen zu können. Das
werden Sie, Kollege Priesmeier, sicher bestätigen.

Es ist klar: Auch in Zukunft müssen Tiere, die krank
sind, behandelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Daran darf überhaupt nicht gerüttelt werden. Deswegen
sage ich: Wer starre Reduzierungsziele vorschreiben
möchte – 50 oder 30 Prozent –, der kennt die Praxis
nicht,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


der opfert Tiere einer Ideologie und tritt letztlich den
Tierschutz mit Füßen. Dafür sind wir nicht zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ganz ohne Möglichkeiten zum Einsatz von Antibio-
tika geht es auch in Zukunft nicht.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist doch nicht das Problem! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht die Debatte! Darum geht es doch genau nicht!)


Auch in den am besten geführten Betrieben kann das im-
mer wieder notwendig werden. Diese Möglichkeit
müssen wir erhalten. Die Zwischenrufe zeigen, dass es
diesbezüglich einen breiten Konsens in diesem Saal gibt.

Wir wollen die Verringerung des Einsatzes von Anti-
biotika. Deswegen haben wir in dem Gesetzentwurf die
Stärkung der Eigenverantwortung festgeschrieben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der Tiere?)


Wir haben auch festgeschrieben, dass wir den vorsorgen-
den Tier- und Gesundheitsschutz anstreben und dies-
bezüglich Verbesserungen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das nimmt Tierärzte und Landwirte in die Verantwor-
tung und in die Pflicht.

Wir verbessern mit diesem Gesetz die Über-
wachungsmöglichkeiten der Länder. Das ist das Ziel.
Aber die Länder müssen diese Möglichkeiten auch nut-
zen.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ja!)


Sie hätten auch bisher schon stärker überwachen kön-
nen;


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig!)


denn jeder Tierarzt und jeder Landwirt dokumentiert den
Einsatz von Antibiotika und Arzneimitteln auf dem Hof
seit 2005.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Da wird zu wenig getan. Das muss man an dieser Stelle
einmal feststellen.

Kern dieses Gesetzentwurfs ist es, Vergleichsmög-
lichkeiten zu schaffen, um herauszufinden, ob bei einem
Betrieb ein erhöhter Einsatz von Antibiotika festzustel-
len ist oder der Einsatz von Antibiotika im Rahmen liegt.
Dabei geht es auch darum, Eingriffsmöglichkeiten zu
schaffen. Deshalb wird der Einsatz von Antibiotika bei
Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten in Zukunft er-
fasst. Bei der Auswertung werden die Bestandsmeldun-
gen herangezogen, um im Rahmen eines Benchmarking
festzustellen, ob eine erhöhte Einsatzhäufigkeit und eine
erhöhte Einsatzmenge vorliegen. Das ist das Ziel dieses
Gesetzentwurfs.

Ich bin sehr stolz darauf, dass es in den Beratungen in
den Koalitionsfraktionen gelungen ist, den bürokrati-
schen Aufwand, der sich aus diesem Gesetz ergibt, für
Landwirte und Tierärzte deutlich zu reduzieren, ohne das
Ergebnis auch nur in geringster Weise zu beeinträchti-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, das war eine Meisterleistung. Deshalb gilt
mein Dank den Fachpolitikern. Diese Möglichkeit ist
auch in unserem Haus am Anfang nicht gesehen worden.
Das muss man auch einmal eingestehen.

Bei dieser Erfassung der eingesetzten Antibiotika
kann der Landwirt Dritte, zum Beispiel den Tierarzt, be-
auftragen, diese Meldung vorzunehmen. Der Tierarzt hat
auch die entsprechende Expertise dafür. Die Behörden
sind verpflichtet, vorhandene Dateien zu nutzen. Kollege
Ostendorff, das wird die HIT-Datei sein. Die Länder sind
für die Erstellung der Dateien verantwortlich. Der Land-
wirt muss die Tierbestandszahlen also nicht noch einmal
melden, weil sie schon zur Verfügung stehen. Auch das
ist ein riesiger Fortschritt.

Da auffällige Betriebe einen Managementplan erstel-
len müssen und ordnungspolitisch eingegriffen werden
kann, wenn die gewünschten Erfolge nicht eintreten,
wird diese Erfassung der Zahlen – da bin ich mir sicher –
Wirkung haben. Da bin ich sehr zuversichtlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wie viele Jahre dauert das?)


Wir bleiben an dieser Stelle aber nicht stehen. Wir
setzen – auch das will ich kurz sagen – insgesamt
natürlich auf eine Weiterentwicklung im Bereich der
Nutztierhaltung. Deshalb haben wir 62 Millionen Euro
für die nächsten drei Jahre bereitgestellt. Damit wollen
wir eine moderne und tierschutzgerechte Tierhaltung mit
Modell-, Demonstrations- und Forschungsvorhaben wei-
ter fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Sehr lobenswert!)






Parl. Staatssekretär Peter Bleser


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir damit mehr errei-
chen als mit mancher Kontrolle, die vielleicht doch nicht
so effizient ist, wie man erwartet hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722527900

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm

Priesmeier von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1722528000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn
die Stunde schon ein bisschen fortgeschritten ist: Das
Thema ist ernst. Das, was wir eben hier vom Herrn
Staatssekretär gehört haben, ist letztendlich nicht geeig-
net, kurzfristig eine Minimierung des Antibiotikaeinsat-
zes zu erreichen.

Fast anderthalb Jahre haben wir jetzt über dieses
Thema diskutiert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was habt ihr denn dazu beigetragen? Nichts!)


Erst jetzt sieht sich die Regierung in der Lage, einen Ge-
setzentwurf vorzulegen. Der taugt allerdings nicht dazu,
dieses Ziel zu erreichen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch nicht!)


Wir beraten im Wesentlichen über einen Gesetzent-
wurf. Zentrales Instrument der Minimierungsstrategie ist
offensichtlich ein Behandlungsindex. Wer sich damit
auseinandersetzt, sich den ersten Entwurf anschaut und
ihn mit den Änderungsanträgen und der jetzt vorliegen-
den Form vergleicht, der erkennt, dass dieser Gesetzent-
wurf in wesentlichen Punkten nicht verbessert, sondern
verschlimmbessert worden ist.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo denn?)


Offensichtlich haben die vielen – vielleicht auch bis spät
in den Abend dauernden – Verhandlungen zwischen
Gelb und Schwarz nicht dazu geführt, dass man zu der
richtigen Erkenntnis gelangt ist, wie der Antibiotikaein-
satz unter den Bedingungen, unter denen heute bei uns in
Deutschland Tiere gehalten und gemästet werden, zu mi-
nimieren ist.


(Beifall bei der SPD)


Wir sollen hier über einen Gesetzentwurf beschließen,
der viele Rechtsverordnungen vorsieht, deren Inhalt im
Augenblick überhaupt nicht klar ist. Wir sollen über ei-
nen Gesetzentwurf beschließen, den der geneigte Mit-
bürger und der Landwirt kaum lesen, geschweige denn
verstehen kann. Der Gesetzentwurf enthält keine klare
Zielvorgabe zum Antibiotikaverbrauch und auch keine
klaren Zielvorgaben zu Zeiträumen.

Er enthält allein das statistische Bewertungsverfah-
ren, das immerhin das obere Quartil definiert. Für die

Statistiker in diesem Hause ist das vielleicht nachvoll-
ziehbar. Ich habe einmal versucht, das Verfahren nachzu-
vollziehen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist aber nicht unser Problem!)


Wenn keine klare Zielvorgabe vorhanden ist, findet sich,
solange das System implementiert bleibt, natürlich im-
mer ein oberes Quartil. Letztendlich sind immer 25 Pro-
zent der Betriebe verpflichtet, entsprechende Sanie-
rungspläne vorzulegen. Denn das obere Quartil ist
immer verpflichtet.

Wir haben hier die Frage zu diskutieren, ob wir uns zu
einem ganzheitlichen Rahmen und ganzheitlichen An-
satz bereitfinden. Denn das ist die klare Erkenntnis aus
der Anhörung: Es funktioniert nur mit einem ganzheitli-
chen Ansatz. Rein administrative Maßnahmen – das se-
hen wir heute an den Zahlen aus Dänemark – führen zu-
nächst einmal zu einer geringfügigen Verminderung und
dann wieder zu einem Anstieg. Dänemark meldet heute:
Die Bestandszahlen sind gesunken, aber im Jahr 2012
wurden in Relation zum Bestand 10 Prozent mehr Anti-
biotika verbraucht.


(Rainer Erdel [FDP]: Darum machen wir ein anderes Gesetz!)


Das ist zunächst einmal keine gute Meldung für den in
Dänemark verfolgten Ansatz.

Wir brauchen – das haben die Bundesländer ange-
mahnt – ein Gesetz, das zielführend ist, das Klarheit und
Transparenz schafft. Wir brauchen kein Gesetz, das we-
gen seiner Defizite – viele Unklarheiten, Allgemein-
plätze und nicht ausreichende Definitionen – von der
Länderebene kaum vollzogen werden kann.


(Beifall bei der SPD)


Ein solches Gesetz ist nicht ausreichend konkret und
versetzt die zuständige Behörde vor Ort nicht in die
Lage, zu handeln. Das wird nicht funktionieren. Unter-
halten Sie sich mit den Kollegen vor Ort in den Veteri-
närämtern! Fragen Sie die nach ihrer Einschätzung, wie
es um die Umsetzung dieses Gesetzes steht!


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach!)


Dann werden Sie, Herr Goldmann, als Kollege vielleicht
erkennen, dass die Ansätze, die hier formuliert sind, bei
weitem nicht ausreichend sind.

Wir brauchen Klarheit, vollständige Transparenz im
System. Arzneiströme vom Hersteller über den Tierarzt
bis zum Bestand müssen nachvollziehbar sein.


(Beifall bei der SPD)


Das wird mit Ihren gesetzlichen Vorgaben bei weitem
nicht erreicht. Wir haben das in diesem Haus mit mehre-
ren Anträgen gefordert. Sie sind nicht darauf eingegan-
gen, sondern den Weg des geringsten Widerstands ge-
gangen. Sie haben einen großen Topf weiße Salbe
angerührt. Die schmieren Sie jetzt drauf.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Quatsch!)






Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)

Aber darunter heilt es nicht. Das Problem wird weiter
existieren; das kann ich Ihnen versichern.

Zu dem zentralen Instrument einer Datenbank ma-
chen Sie gar keine Aussage. Da schreiben Sie nur etwas
von einer gemeinsamen Stelle. Ich habe in dem Zusam-
menhang ein Gutachten beauftragt. Das haben Sie alle
bekommen. Sie haben sich dafür im Ausschuss bedankt.
Okay. Hätten Sie Schlussfolgerungen aus dem Gutach-
ten gezogen und die dort dargelegten möglichen Gestal-
tungen in Erwägung gezogen, wären wir vielleicht heute
schon ein bisschen weiter und nicht da, wo wir jetzt sind.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Die Diskussionen über den Antibiotikamissbrauch
oder nicht ordnungsgemäßen Gebrauch führen wir schon
seit zwölf Jahren. Vor zwölf Jahren wurde die Verord-
nung erlassen, dass wir Abgabe- und Anwendungsbe-
lege auszustellen haben und der Landwirt das zu doku-
mentieren hat. Ursache war damals der eklatante, fast
unglaubliche Antibiotikaskandal in Bayern, der zum
Rücktritt der Ministerin Stamm geführt hat. Das sollte
man sich einmal in Erinnerung rufen. In der Zwischen-
zeit ist übrigens nicht besonders viel passiert.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP)


Das war damals der Grund für diese Verordnung. Das
ist auch der Grund dafür, dass wir heute an sich alle Da-
ten bei den Beständen und auch in den tierärztlichen Pra-
xen vorliegen haben. Schon damals haben wir darüber
diskutiert, ob diese Daten der Behörde zugänglich ge-
macht werden sollen oder nicht. Man hat sich damals da-
gegen entschieden. Jetzt ist es an der Zeit, das schleu-
nigst nachzuholen. Ich glaube, das ist notwendig.


(Beifall bei der SPD – Mechthild Heil [CDU/ CSU]: Wer schreit, hat unrecht!)


Was passiert denn? Schauen wir uns einmal die zeitli-
che Abfolge an. Es ist doch heute, wie man am QS-Sys-
tem sehen kann, ohne Weiteres möglich, zum Beispiel
7 Tage oder 14 Tage nach Abschluss der Behandlung die
Daten einzustellen und der zuständigen Behörde mitzu-
teilen. Warum ist es bei Ihnen erst halbjährlich am
14. des Monats möglich, also, je nachdem, wann das Ge-
setz in Kraft tritt, am 14. Juli oder am 14. Januar? Wa-
rum dauert es ein halbes Jahr, bis die Daten in die Daten-
bank eingestellt werden? Wir könnten doch auch ein
gleitendes Verfahren wählen.

Wissen Sie, was passieren wird? In vielen Betrieben
wird dann erst am 10. angefangen, die Daten aufzuarbei-
ten, um sie dann innerhalb von vier Tagen einzustellen.
Vorher ist nichts greifbar. Die Behörde, die vor Ort einen
Betrieb kontrollieren möchte, wird keinen Zugang ha-
ben, weil sie gar nicht weiß, was im letzten halben Jahr
dort verordnet worden ist.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist auch gar nicht der Sinn!)


Das ist die Konsequenz Ihres Gesetzes. Es ist meiner
Einschätzung nach vollkommen untauglich, um diesen
Zweck zumindest kurzfristig zu erfüllen.


(Beifall bei der SPD)


Erst wenn anderthalb, maximal zwei Jahre ins Land ge-
gangen sind, ist die zuständige Behörde überhaupt in der
Lage, mit Anordnung dem Betrieb zur Seite zu stehen
und ihm vielleicht zu sagen, wo es langgehen könnte,
wenn er es bislang selber nicht geschafft hat.

Wo liegen die Ursachen für das Problem? Die Ursa-
chen sind doch im Regelfall Hygienemängel und Mängel
in der Haltung. Diese führen zu Erkrankungen. Ich kann
Ihnen hier aus meiner eigenen Praxis berichten. Ich
glaube, hier im Hause ist niemand, der so viele Antibio-
tika verordnet hat wie ich. Niemand; Sie garantiert nicht.


(Heiterkeit)


Ich kann Ihnen aus meiner eigenen praktischen Erfah-
rung sagen, wie das funktioniert. 80 Prozent aller Ver-
ordnungen sind bedingt durch Atemwegserkrankungen.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Reden Sie doch nicht, Herr Kollege, Sie haben doch
nie Praxis gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Schlau reden, aber keine Praxis gemacht haben. Praxis
fehlt Ihnen komplett. Darüber brauchen wir gar nicht zu
diskutieren.

Ich kann Ihnen sagen, wie das hinterher ausschaut.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Ich kann Ihnen konkret sagen, wie das funktioniert.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Da muss er selber lachen!)


Über 80 Prozent der Verordnungen sind begründet durch
Atemwegserkrankungen, in der Hauptsache weil das
Stallklima nicht in Ordnung ist und es bei entsprechen-
den klimatischen Situationen zu erheblichen Erkran-
kungsfällen kommt, die durchaus vermeidbar sind. Fan-
gen wir doch einmal bei den Ursachen an,


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


und sorgen wir dafür, dass wir einen einheitlichen Geset-
zesrahmen bekommen, durch den auch die Haltungsbe-
dingungen mit entsprechenden Vorgaben, Hygienevor-
gaben geregelt werden, der nachvollziehbar ist und der
eine entsprechende Grundlage dafür bietet, dass die zu-
ständige Behörde eingreifen kann, wenn es nottut – nur,
wenn es nottut –, und dem Landwirt hilfreich zur Seite
stehen kann, wenn er es mithilfe seines Haustierarztes
nicht schafft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Rainer Erdel [FDP]: Genau das ist im Gesetz drin!)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722528100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1722528200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Priesmeier, ich glaube, es ist
deutlich geworden: Wir machen genau das, was Sie wol-
len.


(Beifall bei der FDP)


Wir geben nämlich den Tierärzten das Instrument an die
Hand, dass dann, wenn es Missstände in einem Stall
gibt, angeordnet werden kann, diese Missstände zu behe-
ben. Genau dafür machen wir die Behörden mit diesem
Gesetz stark. Damit machen wir genau das, was du ge-
sagt hast.

Im Übrigen möchte ich dir sagen: Bei uns in Nord-
deutschland, in Schleswig-Holstein heißt das: „Jetzt ein-
mal ein bisschen Butter bei die Fische.“ Einfach nur all-
gemein herumzureden und zu sagen, das alles sei Mist,
reicht nicht aus, um ein konkretes Modell hervorzubrin-
gen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Lieber Kollege Priesmeier, wir haben doch eine ge-
meinsame Strategie. Wir haben das Arzneimittelgesetz.
Wir haben DART, die Deutsche Antibiotika-Resistenz-
strategie, in der letzten Legislaturperiode in Gang ge-
setzt und setzen sie jetzt weiter fort. Wir haben das Tier-
schutzgesetz, in dem wir explizit sagen, dass wir die
Eigenkontrolle der Tierhalter wollen. Denn das Ent-
scheidende ist, dass es den Tieren gut geht. Der Tierhal-
ter muss genau Bescheid wissen, was Sache ist. Und wir
haben das Tiergesundheitsgesetz, das wir jetzt beraten.

Der Kollege Bleser hat es schon gesagt: Wir investie-
ren in die Tierhaltung, indem wir mit Forschungsaufträ-
gen ermitteln, wie wir die Tierhaltung verbessern kön-
nen. Das ist ein Gesamtkonzept, um die Tierhaltung in
Deutschland besser zu gestalten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722528300

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Priesmeier? Seine Redezeit war offensichtlich
zu kurz.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1722528400

Aber gern.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1722528500

Frau Kollegin, sind Sie überhaupt davon überzeugt,

dass es die richtige Rechtsgrundlage ist, wenn Sie in den
Gesetzentwurf schreiben, dass Sie zum Beispiel die
Mastdichte und die Mastdauer regeln wollen? Wir haben
eine andere rechtliche Grundlage, zum Beispiel die
Schweinehaltungshygieneverordnung – Basis ist das bis-
herige Tierseuchengesetz –, in der es Mindestvorgaben
gibt, die einzuhalten sind, die aber nie jemand kontrol-

liert hat. 50 ppm Ammoniak im Stall sind tolerabel,
mehr nicht. Aber gehen Sie einmal in die Ställe! Wie
sieht es denn dort aus? Können Sie mir eine Erklärung
dafür geben?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was bist du denn für ein Tierarzt! Das ist unglaublich!)



Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1722528600

Genau deswegen halte ich das Gesetz für gut. Ich

weiß, Verordnungen stehen nur auf dem Papier, und die
Frage der Umsetzung muss geprüft werden. Das ist Auf-
gabe der Landesbehörden. Deswegen freue ich mich da-
rüber, dass überall in den rot-grünen Koalitionsverträgen
steht, dass die Länder im Bereich der Tierhaltung besser
werden und den Antibiotikaeinsatz mindern wollen. Ge-
nau dafür geben wir ihnen jetzt ein Instrument in den
Landesbehörden, mit dem sie genau das, was sie wollen,
auch tatsächlich umsetzen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der nächste Punkt ist, dass wir mit Blick auf das Tier-
schutzgesetz sagen: Es reicht nicht, dass ein Landwirt
alle Verordnungen einhält. Nein, er soll auch in den Stall
gehen und selbst einmal nachgucken, ob es den Tieren
bei Einhaltung aller Verordnungen tatsächlich gut geht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Vorschriftenmacherin!)


Genau das wollen wir. Deswegen haben wir konkret
festgelegt,


(Ulrich Kelber [SPD]: Dirigismus!)


dass die Tierschutzindikatoren beachtet werden müssen.
Ich nenne beispielsweise die Mortalität. Wir wissen,
dass es Haltungen gibt, in denen die Mortalität meines
Erachtens zu hoch ist.


(Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD] nimmt wieder Platz)


– Nun bleib mal noch stehen! Noch bin ich nicht fertig.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie antworten doch gar nicht! Sie reden gar nicht zum Thema!)


– Ich antworte ihm auf seine Frage. Das mache ich
gerne; denn er ist ein geschätzter Kollege, Herr Kollege
Kelber. Das müssten Sie doch eigentlich wissen.

Das erste Thema ist, wie wichtig Tierschutzindikato-
ren sind. Sie sind enorm wichtig. Das Zweite ist, dass die
Fußballen- und Fußklauengesundheit kontrolliert wer-
den muss. Drittens wollen wir, dass die Ergebnisse der
Schlachtkörperuntersuchung ebenfalls miteinbezogen
werden. Insofern haben wir ein Gesamtkonzept für die
Tierhaltung, für den Tierschutz festgelegt, auf das wir
wirklich stolz sein können.

Vielen Dank, Herr Kollege Priesmeier.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Antibiotika sind extrem wichtige Heilmittel. Es war
ein Meilenstein der Medizin, als 1928 antibiotisch wir-
kende Mittel entdeckt worden sind. Allerdings hat man
dann in der Folge feststellen müssen, dass sich Bakterien





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)

auf solche Mittel einstellen, dass sie Resistenzen ausbil-
den. Deswegen sind wir jetzt dabei, die Antibiotika-
abgabe so zu gestalten, dass die Resistenzbildung ge-
mindert wird. Sie kann zwar nicht auf null gesetzt
werden, weil Bakterien spontan Resistenzen bilden, aber
sie kann durch den verringerten Einsatz von Antibiotika
zumindest gemindert werden. Im Übrigen: Das ist eine
Aufgabe für die Tiermedizin und die Humanmedizin. Es
reicht nicht aus, bei diesem Punkt nur auf die Tiermedi-
zin zu gucken.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Wir verzeichnen das Auftreten von multiresistenten
Keimen, nämlich MRSA – lieber Kollege Priesmeier,
Sie haben dies im Ausschuss vielfach erwähnt, vielen
Dank – und ESBL. Wir haben die Situation, dass insbe-
sondere Säuglinge davon betroffen sein können und dass
insbesondere ältere Menschen Probleme damit haben.
Deswegen müssen wir die Anzahl solcher multiresisten-
ten Keime mindern.

Wir haben ein Gesetz vorgelegt, das sich nahtlos ein-
fügt in die deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie, die
gemeinsam vom Gesundheitsminister, von der Ministe-
rin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz und von der Ministerin für Bildung und For-
schung erarbeitet worden ist.

Die Untersuchungen von Herrn Lindemann in Nie-
dersachsen haben gezeigt, dass in vielen Tierhaltungen
die Gabe von Antibiotika die Regel ist. Was wir alle aber
nicht richtig beachten und was meines Erachtens ganz
wichtig ist: Die Untersuchungen haben auch gezeigt,
dass es in allen Bereichen Betriebe gibt, die ohne Anti-
biotika auskommen. In der Mehrheit sind dies konven-
tionell wirtschaftende Betriebe. Ich bin deswegen sehr
guten Mutes, dass wir uns an diesen Betrieben orientie-
ren und die Betriebe, die zurzeit noch einen hohen Anti-
biotikaeinsatz haben, auf das Niveau der Betriebe ohne
Antibiotikaeinsatz zurückführen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ziel dieses Gesetzes – das muss ganz eindeutig sein –
ist die Gesundheitsvorsorge, ist, dass sich weniger Bak-
terienresistenzen ausbilden. Dieses Ziel des Gesetzes
kann nur erreicht werden über die Stärkung der Tierge-
sundheit. Genau dieses Ziel verfolgen wir. Deswegen
wollen wir den Behörden die Möglichkeit geben, den
Tierhaltern, die diese Bedingungen nicht einhalten, Auf-
lagen zu machen, damit sie besser damit umgehen kön-
nen.

Ich bedanke mich im Übrigen bei den Grünen dafür,
dass sie so nett waren, uns Vertrauen zu schenken und
deutlich gesagt haben: Das Gesetz ist so gut, dass wir
nicht nur die vier Gattungen einbezogen wissen wollen,
die bereits enthalten sind, sondern dass wir das auf Fische
ausdehnen wollen. – Das ist eine Bestätigung für einen
guten Gesetzesansatz. Vielen Dank dafür!


(Beifall bei der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist
deutlich; denn sonst hätte man das nicht gemacht. Wenn

man gemeint hätte, dass der Ansatz nicht in Ordnung ist,
würde man nicht sagen, man muss ihn auf weitere Tier-
arten ausdehnen. Ich glaube, dass das richtig ist.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben sie aber nicht mit reingenommen!)


Wir haben die Kosten für die Dokumentation über-
schaubar gehalten. Wir nutzen Datenbanken, die bereits
bestehen. Es ist richtig: Die Betriebe, die über der Kenn-
zahl liegen, werden investieren müssen, damit sie all die
Auflagen erfüllen, sodass es ihren Tieren in der Zukunft
besser geht. Dadurch wird dort die Tiergesundheit ge-
stärkt. Dabei wollen wir die Tierärzte einbinden; denn
das Wissen von Tierärzten ist zu mehr gut als nur zum
Verschreiben von Antibiotika. Wir wollen Tierärzte stär-
ker in das Bestandsmanagement einbinden. Dafür müs-
sen sie selbstverständlich auch entsprechend bezahlt
werden.

Wir halten es nicht für sinnvoll, das Dispensierrecht
für Tierärzte aufzuheben. Wir haben gesehen, wie es in
Dänemark ist; es hat letztlich nichts gebracht. Insofern
sollten wir es nicht aufheben.

Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetz-
entwurf einen guten Weg beschritten haben, und ich bin
darüber hinaus der Überzeugung, dass dieses Gesetz
wirken wird, noch bevor die erste Kennzahl überhaupt
ermittelt ist, weil sich Tierhalter an dem orientieren, was
wir vorhaben, und weil sie sagen: Ich möchte nicht ins
letzte Quartil hinein. Ich möchte unterhalb der Kennzahl
liegen. – Die Tierhalter werden sich deshalb von vorn-
herein anstrengen, damit sie nicht Maßnahmen der Be-
hörden zu befolgen haben, und von sich aus auf eine bes-
sere Tiergesundheit in ihren Ställen setzen.

Wir haben uns in der Koalition außerdem dafür einge-
setzt, dass es keinen Datenmissbrauch geben darf, und
wir sind der Auffassung, dass das Gesetz evaluiert wer-
den muss. Wenn wir es evaluiert haben, können wir da-
rüber nachdenken, darin weitere Bereiche einzubezie-
hen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann sind Sie nicht mehr zuständig!)


Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722528700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann

von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD] – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Kollegiale Unterstützung!)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722528800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Es begab sich zur Grünen Wo-
che 2012, dass Frau Aigner mal wieder einen Aktions-
plan vorlegte.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)






Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

Diesmal sollte es um die drastische Reduktion der Anti-
biotika gehen. Darüber wurde ein Jahr lang diskutiert.
Und was ist dabei herausgekommen? Ein Datenbänk-
chen, das hier heute in aller Eile durchgewunken werden
soll. Es löst das Problem leider überhaupt nicht; das hat
Herr Priesmeier schon gesagt. Dabei gab es so viele Ver-
besserungsvorschläge aus dem Bundesrat, von den Be-
rufsständen, der Opposition, es gab eine Anhörung, und
trotzdem ist es bei allen Rechtsunsicherheiten und Rege-
lungslücken geblieben.

Anstatt alle Nutzungsrichtungen einzubeziehen, blei-
ben Sie bei der Mast; das ist doch völlig unverständlich.
Die vorhandenen tierärztlichen Abgabebelege – auch
dies hat Herr Priesmeier schon erwähnt – hätten doch zur
Grundlage der Datenbank genommen werden sollen,
denn darin steht noch viel mehr; das ist wirklich relevant
für diese Auffassung.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kurz vor Schluss haben Sie auch noch die Meldefre-
quenzen von drei Monaten auf sechs Monate verlängert;
was das soll, weiß überhaupt niemand. Statt konsequent
zu handeln, legen Sie uns also einen Entwurf auf dem
denkbar kleinsten gemeinsamen Nenner vor; das reicht
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Um das auch ganz klar zu sagen: Es geht nicht nur um
das Arzneimittelgesetz.

Wie man es besser machen kann, können Sie in unse-
rem Entschließungsantrag nachlesen. Ich nenne einmal
ein paar Beispiele: Die Tiergesundheit muss endlich in
den Mittelpunkt der Gesetzgebung gerückt werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nutztiere dürfen nicht länger als Ware auf dem Basar ei-
nes gnadenlosen Marktes feilgeboten werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muss Rechtsschutz vor Dumpingzwängen geben. Auf
die Probleme der Nutztiergesundheit – zum Beispiel auf
die rasant gestiegenen Risiken durch den internationalen
Handel, durch den Klimawandel und durch hochriskante
Strukturen – muss endlich adäquat reagiert werden.

Die Linke fordert: Megaställe und zu hohe regionale
Viehdichten müssen verhindert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Antibiotikadatenbank muss auf Bundesebene ange-
siedelt werden, und die tierärztlichen Abgabebelege
müssen einbezogen werden. Ebenso müssen Daten zu
Haltungsbedingungen, zur Sterblichkeit, zu Schlachtbe-
funden, zur Häufigkeit der Anwendung und zur Höhe
der täglichen Dosierung in diese Datenbank einbezogen
werden. Das darf nicht nur für die Mast gelten, das muss
für alle Haltungsformen und -stufen gelten. Die Behand-
lung ganzer Bestände muss unbedingt explizit vermerkt

werden. Alle Haltungssysteme inklusive der Bestands-
dichten im Stall und in den Regionen müssen auf Tierge-
sundheitsrisiken hin überprüft werden. Die Tierschutz-
Nutztierhaltungsverordnung muss auf alle Nutztierarten
ausgeweitet werden; das ist ganz wichtig. Die Hygiene
und das Klima im Stall müssen dringend verbessert wer-
den; dazu brauchen wir klare Regelungen. Wir brauchen
dringend eine integrierte tierärztliche Bestandsbetreu-
ung,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Wohl wahr! Genau!)


in der auch geregelt ist, wie häufig ein Tierarzt, eine
Tierärztin im Stall aufzutauchen hat.

Die Behörden brauchen wirksame Kontroll- und
Sanktionsmöglichkeiten. Im Moment werden zwar
Missstände festgestellt; aber im Prinzip kann überhaupt
nichts dagegen gemacht werden.

Darüber hinaus müssen Wissenslücken geschlossen
werden. Die Deutsche Agrarforschungsallianz hat einen
ganz langen Katalog von Problemen in der Nutztierhal-
tung vorgelegt. Dieser Katalog muss jetzt dringend ab-
gearbeitet werden, und das darf auf keinen Fall an Finan-
zierungsproblemen scheitern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das machen wir doch!)


Und: Die Linke fordert – das ist auch wichtig – die Ein-
richtung eines epidemiologischen Zentrums, das sich
wissenschaftlich begründet explizit mit der Verhütung
und Bekämpfung von Tierseuchen beschäftigt und uns
entsprechende Konzepte vorlegt.

Die Aus- und Weiterbildung der Landwirtinnen und
Landwirte sowie der Tierärzte muss auf die neuen He-
rausforderungen, die ich beschrieben habe, ausgerichtet
werden. Beide Berufsgruppen müssen wie alle anderen
von ihrer Arbeit leben können. Das ist entscheidend da-
für, dass auch die Qualität stimmt.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aus unserer Sicht haben Humanantibiotika im Stall
nichts zu suchen.


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


Wir müssen auch konsequenter gegen Antibiotikamiss-
brauch vorgehen. Die Linke fordert die Bundesregierung
auf, zu prüfen, ob nicht im Fall von Betrug oder grob
fahrlässigem Handeln die tierärztliche Approbation ent-
zogen werden kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu guter Letzt möchte ich sagen: Es ist ganz wichtig,
dass wir endlich gegen den Dumpingwettbewerb in
der Lebensmittelproduktion vorgehen. Den haben
viele satt – und das völlig zu Recht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722528900

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der

Kollege Friedrich Ostendorff.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wo ist Behle?“,
fragte sich halb Deutschland, als Skilangläufer Jochen
Behle vor vielen Jahren, 1980, in den weiten Wäldern
Lake Placids verschwand und nicht mehr auftauchte.
Unsere Frage heute ist: Wo ist eigentlich Ministerin
Aigner bei der Bekämpfung des massiven Antibiotika-
einsatzes?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Behle war nur zu langsam, meine Damen und Herren,
aber noch in der Spur. Ministerin Aigner ist nicht nur zu
langsam, sie hat auch Spur und Richtung verloren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bekämpfung des Antibiotikaskandals schwebt nun
schon seit 16 Monaten. Wo ist Frau Aigner?

Frau Aigners Regierungszeit ist geprägt von Skanda-
len: Dioxin, Ehec, PCB, ESBL, MRSA usw. – und dem
Antibiotikaskandal in der Tierhaltung.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mindestens genauso gravierend wie die Krisen ist je-
doch Ihr unsägliches Krisenmanagement.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verschleiern, solange es geht, verharmlosen, solange
es geht, vertrösten, solange es geht, und verschieben, so-
lange es geht: Das ist die einzige Antwort, die Ministerin
Aigner und Sie von Schwarz-Gelb den Menschen drau-
ßen auf ihre drängenden Fragen geben. Wir sagen: Das
ist überhaupt keine Antwort. Das ist zutiefst verantwor-
tungslos und vor allen Dingen verantwortungslos gegen-
über unseren Nutztieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was ist Ihre Antwort?)


Außer Ankündigungen passiert nichts.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was ist Ihre Alternative?)


Keine Verbesserungen für Hühnchen und Schweine!
Keine Verbesserungen für Puten! Auch bei den Legehen-
nen haben Sie komplett versagt, und selbst den anachro-
nistischen Pferdeschenkelbrand haben Sie weiter er-
laubt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Skandal!)


Wir sagen dazu: Thema verfehlt!

Ohne den Umbau der Tierhaltung werden Sie den An-
tibiotikaeinsatz niemals drosseln können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sehen wir nämlich an Dänemark, wenn wir dort
genau hinschauen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Richtig!)


Wie viel Antibiotika eingesetzt werden, ist zuallererst
eine Frage der Haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Schwarz-Gelb. Aber an Haltung lassen Sie es ja
vermissen, weil Sie regelmäßig vor der Agrarlobby ein-
knicken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was für eine Büttenrede!)


Das ist verantwortungslos; denn Sie sind den Bürgerin-
nen und Bürgern und nicht Bauernverband und Agrarin-
dustrie Rechenschaft schuldig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das, was Sie tun, ist aber nicht nur verantwortungs-
los, sondern leider auch höchstgefährlich.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wer hat diese Rede geschrieben?)


Ihr Nichtstun führt zu weiteren Antibiotikaresisten-
zen. Sie wollen den Skandal weiter nur erfassen und do-
kumentieren, statt die Ursachen anzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Demagoge!)


Dabei hat gerade erst die Denkschrift der Leopoldina vor
dem Rückfall ins präantibiotische Zeitalter gewarnt. Le-
sen Sie das einmal nach! Die Leopoldina warnt davor,
dass Krankheiten wie Scharlach durch den Missbrauch
von Antibiotika möglicherweise lebensbedrohlich wer-
den können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, ja!)


– Ja, Wissenschaft interessiert Sie nicht, Herr
Goldmann; das wissen wir.


(Zurufe von der FDP)


Ihre einzige Antwort darauf ist: Wir machen mal ein
bisschen mehr Erfassung und verordnen den Tierhaltern
Reduktionspläne – ohne wirkliche Durchgriffsrechte der
Landesbehörden. Das kann doch nach 16 Monaten nicht
alles gewesen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Stoppen Sie endlich die verbotene prophylaktische
permanente Verfütterung von Antibiotika über das





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

Trinkwasser! Das ist doch die tägliche Praxis im Bereich
der Hühner. Stoppen Sie das!

Sie sind Ihrer Verantwortung, Antibiotika auf kranke
Tiere zu begrenzen, nicht gerecht geworden. Statt Wirt-
schaft, Gesellschaft und Politik an einen Tisch zu brin-
gen und ein Gesamtkonzept für eine weitgehend antibio-
tikafreie Tierhaltung zu entwickeln, haben Sie Türen und
Fenster verschlossen und drinnen mit der Agrarlobby
das Handeln ausgekungelt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was soll das jetzt?)


Wir Grünen erwarten von Ihnen keinen Reformim-
puls mehr. Wir setzen auf einen Neustart nach dem
22. September 2013.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dann wollen wir den überfälligen Wandel in der Agrar-
und Verbraucherpolitik angehen.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Unglaublich! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ihr habt in den Ländern versagt! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das geht aber nur mit Rot-RotGrün!)


Tiergerecht, offen und transparent, mit den Bürgerinnen
und Bürgern statt permanent an ihnen vorbei: So werden
wir es angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722529000

Als letzter Redner hat jetzt der Kollege Dr. Max

Lehmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Jetzt ist wieder Verstand hier! – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Endlich gibt es wieder Verstand!)



Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1722529100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Ostendorff, ich darf das sagen, weil
ich, wie Sie, praktizierender Landwirt bin und seit
50 Jahren mit Tieren umgehe – das müssen Sie mir nicht
beibringen –: Mit der Polemik, die Sie gerade wieder
vorgetragen haben, lösen wir genau die Probleme, die es
unstrittig gibt, nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit dem Gesetzentwurf auch nicht!)


Zu den Problemen mit Bioeiern und anderen Proble-
men, die es auch in der Ökolandwirtschaft gibt, müssen
Sie einfach stehen. Diese Form kann nicht einmal 3 Pro-
zent des Fleischbedarfs und des Bedarfs an tierischen
Produkten der deutschen Bürgerinnen und Bürger decken.
Also haben Sie nur relativ wenig Berechtigung, über die

Tierhaltungsformen zu reden. Dass es in Ihrem Bereich
auch Probleme gibt, erleben wir jeden Tag.

Kommen wir also zur Sache. Es geht, wie der Herr
Staatssekretär gesagt hat, um die Sicherstellung des Ein-
satzes einer wirksamen Waffe gegen unvermeidbare In-
fektionskrankheiten. Die Gesunderhaltung unserer Nutz-
tiere gehört zum aktiven Tierschutz.


(Beifall der Abg. Marlene Mortler [CDU/CSU])


Das ist das große Anliegen eines jeden Tierhalters.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie ihm das absprechen, dann beleidigen Sie viele
Tausend Familienbetriebe, die das hohe Bedürfnis und
das hohe Ziel haben, ihre Tiere so zu halten, dass sie
auch gesund bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, viele Technologien, die in
den letzten Jahrzehnten für die Stallbauten, für die Stall-
formen, für die Haltung von Tieren, die für Lüftungen,
Klimaanlagen, Bodenbeläge usw. entwickelt wurden,
dienen dem Tierwohl. Das können Sie nicht einfach ne-
gieren. Jeder ist bemüht – die Tierhalter, die Technikher-
steller, die Behörden und die Tiermediziner –, diese Pro-
bleme zu lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Versorgung der Tiere mit Arzneimitteln muss
stets gewährleistet sein.

Vermitteln Sie doch nicht den Eindruck, wir brauch-
ten nur so wichtige Medikamente wie Antibiotika weg-
zulassen, und dann hätten wir das Problem gelöst!


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sagt doch keiner! Sie haben nicht zugehört! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zielgenau einsetzen! Darum geht es!)


Nein, dann haben wir es eben nicht gelöst. – Frau Kolle-
gin, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Aber der Zu-
sammenhang von Haltungsformen – Sie kritisieren die
Haltung in großen Formen – und epidemiologischen
Problemen ist genau nicht nachgewiesen.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das hat sie auch nicht gesagt! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich habe von Megaställen geredet!)


– Lassen Sie doch die Kampfbegriffe weg! Gehen wir
doch zu den Ursachen!


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Eben! Genau das ist es!)


Ist es die Lüftung, ist es die Größe, ist es die Stallform?
Was ist es? Herr Kollege Priesmeier, genau diese Zu-
sammenhänge sind wissenschaftlich nicht ausreichend
erforscht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)






Dr. Max Lehmer


(A) (C)



(D)(B)

– Aber natürlich nicht. Ich habe darüber mit dem Profes-
sor aus Hannover, der die Indikatoren entwickeln soll,
geredet. Er sagte, damit fangen wir erst richtig an. Das
ist die Tatsache.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir fangen anders an; wir
analysieren, wir stellen fest: Wir haben einen hohen An-
tibiotikaeinsatz. – Den mit dem in der Humanmedizin zu
vergleichen, ist sowieso völlig daneben – völlig dane-
ben! –, weil die absolute Antibiotikamenge überhaupt
nichts über die Qualität des Einsatzes aussagt. Bei einer
Resistenzstrategie ist nicht die Menge entscheidend,
sondern der Einsatz. Wann setze ich es ein, welchen
Wirkstoff verwende ich, und wie lange und wie oft darf
ich bekämpfen? Das ist in der Humanmedizin nicht an-
ders. Man könnte auch einmal auf die Idee kommen, den
Einsatz von Antibiotika dort zu überprüfen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


sich fragen, ob man bei jedem kleinen Nasenkitzler
schon ein Antibiotikum braucht. Da müssen wir uns alle
einmal an die Nase fassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Also: Die Einsatzmenge ist zunächst nicht der wich-
tigste Indikator für oder gegen die Anwendung eines
Medikaments, das unverzichtbar ist.

Wir wollen selbstverständlich Resistenzen vermeiden.
Das ist überhaupt keine Frage.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen reicht nicht, Herr Kollege!)


Aber diese Resistenzentwicklung ist ein biologisches
Prinzip. Das gilt bei Pflanzen, Tieren und Menschen in
gleicher Weise. Wenn Sie mit einem Wirkstoff einen Or-
ganismus lange behandeln, dann wehrt er sich, und das
nennt man „Resistenz“. Das heißt, der Organismus kann
sich zur Wehr setzen. Das ist zunächst nichts Schlimmes.
Das Schlimme dabei ist, dass dann der Wirkstoff nicht
mehr brauchbar ist. Genau das müssen wir verhindern.

Deshalb haben wir eine Strategie. Bei dieser Strate-
gie, Herr Kollege Priesmeier, fangen wir nicht bei den
Transporten auf der Autobahn an. Wir wissen ja nicht,
wo in einer bestimmten Haltungsform der optimale Ein-
satz ist. Das weiß keiner; das weiß in Deutschland kein
Wissenschaftler. Deshalb machen wir ein Benchmark.
Wir testen jetzt mit einer aufwendigen Analyse und in
einem Erfassungssystem – da nehmen wir übrigens auch
die AuA-Belege und alle Daten, die wir in QS schon ha-
ben, um dem Landwirt zusätzliche Bürokratie zu erspa-
ren –, was denn eingesetzt wird. Das machen wir zeitnah
und schnell. Zusammen mit dem Tierarzt ist der Land-
wirt verpflichtet, alles aufzulisten. Wir werden dabei die
Therapiehäufigkeit tierspezifisch und haltungsspezi-
fisch analysieren. Daraus ergibt sich dann ein Bench-
mark. Wer über oder unter diesem Benchmark liegt, hat
mit Maßnahmen zu rechnen. Wer im Benchmark auffäl-
lig wird, weil er über dem Behandlungsquotienten liegt,
muss sich mit dem Tierarzt zusammensetzen und binnen
eines Jahres einen Beleg vorlegen oder mit dem Tierarzt

einen Maßnahmenkatalog besprechen. Diese Zeit muss
man dem Landwirt geben, weil in dieser Zeit auch erst
ermittelt wird, welcher Ursachenkomplex für dieses Ab-
weichen von der Norm, vom Benchmark, verantwortlich
ist.

Das ist ja auch kein Klacks, da geht es um große Ent-
scheidungen. Deshalb muss man das valide machen, und
das tun wir mit diesem Ansatz.

Dieses schlüssige Gesamtkonzept, das jetzt mit drei
Schwerpunkten angegangen werden soll, ist wirklich
eine Innovation.


(Lachen bei der SPD)


Erstens. Wir fördern und verbessern den sorgfältigen
Einsatz und den verantwortungsvollen Umgang mit An-
tibiotika in der Tierhaltung, zum Beispiel bei Umwid-
mungen von Arzneimitteln.

Zweitens. Wir ermöglichen der Überwachung eine ef-
fektivere Aufgabenwahrnehmung.

Drittens. Wir führen ein umfangreiches Antibiotika-
minimierungskonzept für Mastbetriebe neu ein. Das hat
es bisher nicht gegeben. Dass wir das bürokratiesparend
machen wollen, habe ich schon erwähnt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir ergreifen auch Maßnahmen, damit die Bürokratie
nicht ausufert. Wir legen Bestandsuntergrenzen fest, so-
dass bei der Erfassung des Großteils des Tierbestandes
die Ermittlung der Kennzahlen repräsentativ bleibt. Ne-
ben einer Präzisierung des Berechnungsverfahrens zur
Ermittlung der Therapiehäufigkeit, das bereits im Bun-
desanzeiger veröffentlicht wurde, –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722529200

Aber den lesen Sie jetzt nicht mehr vor, bitte.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Denn Ihre Zeit ist abgelaufen.


Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1722529300

– haben wir die Maßnahmen präzisiert, die bei Über-

schreiten der Kennzahlen zu treffen sind.

Insgesamt ist das ein rundes Konzept. Über Nacht ist
keine Lösung zu finden. Lassen Sie uns jetzt mit sachge-
rechter Kompetenz, genauer Analyse und einer guten
Zusammenarbeit zwischen dem verantwortlichen Tier-
halter, dem Tierarzt und den Behörden an die Sache he-
rangehen und eine Verbesserung des Antibiotikaeinsat-
zes erreichen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722529400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)

Änderung des Arzneimittelgesetzes. Der Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12526, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung – das sind die Drucksachen 17/11293 und
17/11873 – in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wir kommen zuerst zur Abstim-
mung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/12544. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Grünen und
Zustimmung von SPD und Linken abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/12545. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der
Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/12526 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/12385 mit dem Titel
„Ein effizientes Tierarzneimittelgesetz schaffen und die
Antibiotikagaben in der Nutztierhaltung wirkungsvoll
reduzieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Systematischen Anti-
biotikamissbrauch bekämpfen – Tierhaltung umbauen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/10662, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9068 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika
Graf (Rosenheim), Petra Crone, Dr. h. c. Gernot
Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Menschenrechte älterer Menschen stärken und
Erarbeitung einer UN-Konvention fördern

– Drucksache 17/12399 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Angelika Graf von der SPD-Fraktion
das Wort.


(Unruhe)


– Vielleicht können die Kollegen, die nicht mehr teilneh-
men wollen, den Saal verlassen, damit die anderen der
Rednerin folgen können. – Bitte schön, Frau Graf, Sie
haben das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1722529500

Danke schön, Herr Präsident. – Herr Präsident! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Inzwischen spricht in
Deutschland jeder über die demografische Entwicklung.
Positiv wird sie wahrgenommen als Chance für den Ein-
zelnen; denn man lebt länger. Positiv wird sie auch
wahrgenommen im Bereich der Wirtschaft. Positiv wird
sie wahrgenommen im Bereich der ehrenamtlichen Tä-
tigkeiten.

Aber sie wird ebenso mit Angst und Schrecken wahr-
genommen wegen der großen Herausforderungen, die
für unsere Gesellschaft damit einhergehen, zum Beispiel
der Herausforderung für die sozialen Sicherungssys-
teme.

Im Jahr 2050 wird jeder dritte Deutsche älter als
60 Jahre sein. Mit dieser Entwicklung stehen wir aber
nicht alleine da. Das weltweite Durchschnittsalter von
derzeit 42,9 Jahren wird auf 48 Jahre steigen. Gleichzei-
tig werden 2050 weltweit etwa 2 Milliarden Menschen
über 60 Jahre alt sein. Heute sind es gerade einmal
810 Millionen. In knapp 40 Jahren, also innerhalb einer
durchaus absehbaren Zeit, werden mehr ältere Menschen
auf der Erde leben als Kinder unter 14 Jahren.

Die wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren und
insbesondere der Hochaltrigen ist überall auf der Welt
ähnlich wie die Gruppe der Kinder sehr verletzlich. Ihre
spezifischen Bedürfnisse sind im deutschen wie im inter-





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



(D)(B)

nationalen Recht bisher nur sehr unzureichend berück-
sichtigt und geschützt.

Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Le-
bensalters ist zum Beispiel im internationalen und euro-
päischen Recht im Vergleich zu anderen Diskriminie-
rungsmerkmalen schwach ausgestaltet. Deshalb war es
uns als SPD damals in der Großen Koalition so wichtig,
dass Deutschland eine Vorreiterrolle spielt. Wir haben
trotz des Widerstands der Union das Verbot der Diskri-
minierung wegen Alters in das Allgemeine Gleichbe-
handlungsgesetz aufnehmen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So ganz klappt das allerdings noch nicht mit der Im-
plementierung; das muss man einfach feststellen. Nach
einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
gelten ältere Menschen als sehr stark diskriminiert. Auch
die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisa-
tionen weist regelmäßig darauf hin. Es handelt sich vor-
wiegend um Diskriminierungen am Arbeitsmarkt, in der
Gesundheitsversorgung und in der Bildung, also in sehr
zentralen Bereichen des Lebens.

Die Vulnerabilität der Gruppe verstärkt sich mit stei-
gendem Alter, und zwar in Deutschland wie überall auf
der Welt. Dann sind nämlich viele Menschen abhängig
von Drittpersonen und können sprachlich oder körper-
lich nur noch beschränkt kommunizieren und sich nur
selten wehren.

Immer wieder beschäftigen uns in Deutschland Be-
richte über Pflegeskandale. Sie sind – das sage ich hier
ganz deutlich – nicht die Regel. Aber oft sind Pflege-
kräfte oder auch Angehörige überfordert. Da kann es
eben zu einer Einweisung einer pflegebedürftigen oder
dementen Person gegen ihren Willen in ein Pflegeheim,
einer Ruhigstellung durch Medikamente, einer Zwangs-
ernährung über eine Magensonde oder einer Fixierung
kommen – schlimme Eingriffe in das Selbstbestim-
mungsrecht der Menschen.

Auch über körperliche und psychische Gewalt wird
berichtet. Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflege-
einrichtungen wird zudem oft nicht das Maß an Privatle-
ben, an Privatsphäre zugestanden, das ihnen zusteht.

Im Bereich der politischen Rechte reichen die Be-
nachteiligungen vom nicht altersgerechten Zugang zu
Wahlurnen und zum Wahllokal über Altersgrenzen bei
Ehrenämtern – Stichwort: Schöffen – bis hin zur politi-
schen Entrechtung durch die Vormundschaft Pflegebe-
dürftiger, so zum Beispiel durch die Kündigung von Par-
teimitgliedschaften.

Frauen im Alter, hier in Deutschland wie in den Ent-
wicklungsländern und Schwellenländern, sind von den
Diskriminierungen mit am stärksten betroffen. In vielen
Entwicklungsländern arbeiten Frauen ein Leben lang im
informellen Sektor und sind dann im Alter sozial nicht
abgesichert und rechtlos. Auch werden Frauen in vielen
Gesellschaften im Erbrecht diskriminiert und haben im
Alter keine angemessene Unterkunft.

Wir sind der Ansicht, dass die Bundesregierung auf
nationaler Ebene die Probleme der Diskriminierung Äl-
terer nicht ernst genug nimmt. Eine ihrer ersten Amts-
handlungen beim Amtsantritt 2009 war, der Antidiskri-
minierungsstelle die Mittel zu kürzen. Wir fordern die
Bundesregierung ausdrücklich auf, diese Kürzungen zu-
rückzunehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass die Menschenrechte im Bereich der
Pflege effektiver überwacht werden. Hierfür müssen die
Heimaufsichtsbehörden und die Medizinischen Dienste
besser als bisher in die Lage versetzt werden, ihre Kon-
trollmöglichkeiten zu nutzen. Sanktionen dürfen da kein
Tabu sein. Die Ergebnisse der Kontrollen sollen wissen-
schaftlich evaluiert und die Pflegearbeit im stationären,
aber auch im ambulanten Bereich soll in Richtung Er-
gebnisqualität überprüft werden. Ebenso sollen die Er-
fahrungen mit dem Wohn- und Betreuungsvertragsge-
setz überprüft werden. Dies ist, denke ich, eine not-
wendige Voraussetzung dafür, dass bessere Pflegestan-
dards durchgesetzt werden.

Auf internationaler Ebene setzt die Bundesregierung
aus unserer Sicht ebenfalls keine Zeichen, und das, ob-
wohl die UN im Jahre 2012 festgestellt hat, dass das
Menschenrechtssystem lückenhaft ist, und damals expli-
zit angeregt hat, die Rechte zum Schutz Älterer neu zu
regeln. Bisher hat die Bundesregierung dieses Thema
der Zivilgesellschaft überlassen. Organisationen wie
HelpAge leisten wirklich gute Arbeit. Doch braucht es
ein ernsthaftes politisches Engagement. Das bedeutet,
die bereits seit 2010 bestehende Working Group on
Ageing der UNECE zu unterstützen und sich dafür ein-
zusetzen, eine UN-Konvention über die menschenrecht-
lichen Bedürfnisse älterer Menschen zu erarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um effektiv den Schutz der Rechte Älterer zu kontrollie-
ren, ist aber auch vonnöten, einen UN-Sonderbericht-
erstatter einzusetzen. Denn was hilft es, wenn man eine
Konvention hat und keine entsprechende Kontrolle mög-
lich ist?

Wer glaubt, mit einer solchen neuen Konvention wür-
den die Rechte anderer Bevölkerungsgruppen, zum Bei-
spiel der Jungen, beschnitten, der ist im Irrtum. Ich
denke, dass Schutzmechanismen für eine vulnerable
Gruppe, seien es Kinder – da gibt es die UN-Kinderrechts-
konvention –, seien es die Frauen – da gibt es CEDAW –
oder Behinderte – da gibt es die UN-Behindertenrechts-
konvention –, der gesamten Gesellschaft nutzen. Allein
die Befassung mit der Menschenrechtssituation dieser
Gruppen und der Zwang, die Konvention umzusetzen,
verändern aus meiner Sicht langfristig die gesellschaftli-
chen Prozesse und führen dazu, dass Verhaltensweisen
generell überdacht werden. Ich denke, das gereicht zum
Vorteil aller. Deswegen brauchen wir dringend diese
Konvention. Sie bringt uns weiter, insbesondere mit
Blick auf die Entwicklung der Demografie in vielen





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



(D)(B)

Ländern, wo der Schutz für Ältere noch viel schlechter
ist als bei uns.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722529600

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1722529700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Schönen guten Abend! „Menschenrechte älte-
rer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Kon-
vention fördern“, mir persönlich ist das ein ganz beson-
deres Anliegen; das wissen Sie vielleicht nicht. Ich habe
wahrscheinlich Ihnen allen gegenüber einen kleinen Vor-
sprung: Ich habe 14 Jahre meines Lebens in einem Al-
tenheim gelebt; das hat mit meinen Eltern und ihrem Be-
ruf zu tun. Ich habe dadurch viele Menschen und den
Schatz kennengelernt, den es in den damit verbundenen
Begegnungen gibt, von dem in Reden immer wieder ge-
sprochen wird.

Ich erinnere mich an Gesichter, und ich erinnere mich
an Begegnungen. Ich erinnere mich etwa an Oma Berta,
wie wir sie alle nannten, 99 Jahre, quicklebendig, nicht
nur im Haus, sondern auch im Dorf, in dem das Heim
stand. Ich erinnere mich an Schwester Luise, die eines
Nachts meine Mutter weckte – Schwester Luise war
blind; sie hatte sich in der Etage vertan; sie musste ja
kein Licht anmachen, auch im Zimmer meiner Mutter
nicht –, als sie bei der Berührung ihres Gesichtes fest-
stellte, dass sie im falschen Zimmer gelandet war. Ich er-
innere mich auch an Opa Walther, der überhaupt kein
Problem hatte, sich mit den Jugendlichen zu unterhalten,
und ihnen sogar das Wasser reichen konnte. – Ältere
Menschen sind ein sozialer Schatz für unsere Gesell-
schaft. Das kam auch in Ihrer Rede zum Ausdruck, Frau
Graf. Neben dieser Wertschätzung brauchen Sie aber
auch unseren Schutz.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ältere Menschen spielen – darauf werden sie leider
immer wieder reduziert – auch eine ökonomische Rolle,
nicht nur bezogen auf den Wirtschaftsfaktor, sondern
auch als Rentner, wenn sie ehrenamtlich tätig sind, En-
kel betreuen, den Ehe- oder Lebenspartner pflegen, aber
auch, wenn sie ihre spezifischen oder allgemeinen Er-
fahrungen aus ihrem Leben weitergeben.

Leider werden die älteren Menschen oft nur mit nega-
tiven Begriffen beschrieben. Zum Beispiel reden wir
vom Problem der Überalterung. Zusammen mit einem
Landtagskollegen aus Chemnitz habe ich mich entschie-
den, wenn möglich, auch von Unterjüngung und nicht
immer von Überalterung der Gesellschaft zu sprechen.

Das Altern dieser Bevölkerung ist einer der bedeuten-
den Trends des 21. Jahrhunderts. Es gibt natürlich große

regionale Unterschiede. Eine Schwierigkeit, die wir mit
Ihrem Antrag haben, ist, dass darauf unserer Meinung
nach nicht differenziert genug eingegangen wird, weil er
zum einen die deutsche Situation beschreibt und zum an-
deren aber auch die weltweite Situation. Die nötige Be-
wältigung dieser Herausforderung, nämlich der Alterung
unserer Bevölkerung, ist eine absolute Maßgabe für un-
sere Politik. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen
Ban Ki-moon schreibt – ich zitiere –:

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieses
Phänomens sind tiefgreifend und reichen in bei-
spielloser Weise weit über das Individuum und die
Familie hinaus bis in die Gesamtgesellschaft und
die Weltgemeinschaft.

Was sind diese Herausforderungen? Sie benennen sie
in Ihrem Antrag. Es geht um die Anerkennung der Sorge
um dieses Problem. Die Zahlen in Deutschland zeigen
– der demografische Wandel; Sie haben es genannt –,
dass der Anteil der Jüngeren ständig abnimmt, während
der Anteil der Älteren in der Bevölkerung steigt. Den
Fokus auf ältere Menschen zu richten, ist eine demogra-
fische Notwendigkeit und damit politisch mehr als ange-
zeigt. Sie werden sich erinnern, dass einige Maßnahmen
der Bundesregierung eindeutig in diese Richtung gehen.

Die weltweiten Zahlen besagen, dass 2050 mit 2 Mil-
liarden Menschen ein Fünftel der Menschen dieser Erde
über 60 Jahre alt sein wird. Heute ist es „nur“ ein Neun-
tel. 80 Prozent der über 60-Jährigen werden 2050 – das
ist der geografische Unterschied – in Entwicklungslän-
dern leben. Die Organisation HelpAge hat gesagt: „Die
Welt wird grau“ – verstehen Sie das nicht falsch –, wenn
wir diese Herausforderung nicht bewältigen.

Herausforderungen für Deutschland sind altersbe-
dingte Krankheiten – wir reden oft über Alzheimer; das
führt oft zu Fremdbestimmung und Entmündigung –, Al-
tersarmut und Diskriminierung. Wir alle kennen das
Wort „Sexismus“; für das Wort „Ageism“ gibt es noch
kein deutsches Wort. Es sind stereotype Einstellungen,
die zu diskriminierendem Verhalten gegenüber älteren
Menschen führen. Ageism beschreibt einerseits die Dis-
kreditierung des Altersprozesses als solchen und ande-
rerseits die Exklusion aller, die als „alt“ etikettiert wer-
den. Die Welt hat im letzten Jahr in einem Bericht das
Beispiel von Margret Schukies, einer attraktiven und un-
ternehmenslustigen Dame – 62 Jahre alt – beschrieben.
Sie wollte sich einen Hundewelpen in einem Tierheim
abholen; aber die Leiterin des Tierheims sagte ihr, sie sei
zu alt.

Es gibt Diskriminierung im Erwerbsleben, beim Ab-
schluss von Versicherungen und soziale Isolation. Ein
frappierendes Beispiel war eine Hitzewelle im Jahr 2003
in Frankreich; im letzten Jahr drohte sie dort wieder. Da-
ran sind etwa 15 000 Menschen gestorben; 80 Prozent
von ihnen waren über 75 Jahre alt. Es wurde einfach ver-
gessen, sie zu versorgen. Es gibt sogar Misshandlungen
– Sie haben das geschildert –: körperliche Misshandlung
durch Festhalten, emotionale Misshandlung durch Be-
schimpfung oder in Form von Vernachlässigung. Zudem
gibt es Menschenrechtslücken im Hinblick auf institutio-
nelle und private Pflege.





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

Ich komme zu den Problemen in den Entwicklungs-
ländern. Die Lage älterer Menschen hat sich in den Ent-
wicklungsländern um einiges verschlechtert. Ältere
Menschen waren früher aufgrund ihrer Lebenserfahrung,
von der ich hier anfangs sprach, Vermittler in der Ge-
meinde bzw. der Gemeinschaft. Zurzeit erleben sie im-
mer häufiger Gewalt und Misshandlungen. Dazu kommt
es natürlich auch aufgrund von Druck und Notsituatio-
nen. Armut oder HIV/Aids sind Gründe für die Ver-
schlechterungen, ebenso Analphabetismus und die hö-
here Verletzbarkeit älter werdender Menschen. Aber es
kann sogar noch weiter gehen: Im Jahr 2011 wurden in
Tansania 500 ältere Frauen ermordet, die der Hexerei be-
schuldigt wurden.

Ich komme zu Lösungen bzw. zu Antworten und Re-
aktionen auf die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag
beschrieben haben. Wir können bei Ihrem Antrag an
zwei Stellen nicht mitgehen; die Punkte bauen, wie Sie
in Ihrer Rede gesagt haben, sogar aufeinander auf.

Wir sind erstens nicht der Meinung, dass die Erarbei-
tung einer UN-Konvention für die Rechte älterer Men-
schen angezeigt ist, zumal die Vereinten Nationen den
Auftrag haben, zu prüfen, ob dies Sinn macht. Wir kön-
nen hier unter anderem deshalb nicht mitgehen, weil die
entsprechenden völkerrechtlichen und menschenrechtli-
chen Voraussetzungen bereits bestehen und es nun an
ihre Umsetzung gehen muss. Da gibt es zum Beispiel
– ich könnte jetzt alle Vereinbarungen nennen, aber Sie
kennen sie schon; sie stehen auch in Ihrem Antrag – den
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte, den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kultu-
relle Rechte sowie die Internationale Konvention zum
Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer
Familienangehörigen. Immer geht es auch um das Alter;
nicht immer wird es explizit genannt. So heißt es auch in
Ihrem Antrag – ich zitiere daraus –:

Artikel 25 der 2009 in Kraft getretenen Charta der
Grundrechte der Europäischen Union verbürgt „das
Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unab-
hängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und
kulturellen Leben“.

Alter ist darüber hinaus eines von sechs Merkmalen,
die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt
und aufgrund derer kein Mensch diskriminiert werden
darf. Zudem sind die Vereinten Nationen dabei – ich
habe es schon gesagt –, zu untersuchen, ob die Lösung,
eine Konvention zu erarbeiten, Sinn macht. Die von Ih-
nen genannte UN Open-ended Working Group on Ageing
wurde letzten Dezember beauftragt, einen Vorschlag
dazu zu unterbreiten, was eine Vereinbarung zum Schutz
der Rechte Älterer umfassen sollte. Einer Konvention
können wir also nicht zustimmen.

Insofern können wir – das ist die logische Folge –
zweitens nicht der Einsetzung eines Sonderberichterstat-
ters für die Menschenrechte älterer Menschen zustim-
men. Es besteht der Bedarf, die bestehenden Verträge,
die bestehenden Mechanismen besser anzuwenden. Das
tut auf der einen Seite die EU. Letztes Jahr war das Eu-
ropäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwi-
schen den Generationen. Um die entsprechende Debatte

voranzubringen – darum muss es zuerst gehen –, wurden
anlässlich des Europäischen Jahres 90 Initiativen auf lo-
kaler, nationaler und europäischer Ebene durchgeführt.

Was wurde in Deutschland schon gemacht? Letztes
Jahr wurde die Demografiestrategie auf den Weg ge-
bracht. Dabei geht es zuerst einmal darum, ein Bewusst-
sein für das Thema zu schaffen. „Jedes Alter zählt“ – so
wurde diese Strategie genannt. Eines der sechs Themen-
felder der Demografiestrategie trägt den Titel „Selbstbe-
stimmtes Leben im Alter“. Hier geht es um folgende
Ziele – ich gehe nur kurz darauf ein –: selbstbestimmtes
Leben, Aktivität im Alter, gesellschaftliche Teilhabe, ge-
sundes Altern.

Die Bundesregierung engagiert sich auch bei der Be-
kämpfung von diesen Stereotypen bezüglich älterer
Menschen und setzt sich für eine bessere Lebensqualität
ein. Ich weiß nicht, wer von Ihnen die Posterkampagne
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
wahrgenommen hat. Ich habe ein Bild von dem Poster
gemacht. Darauf steht:

Ältere auf dem Arbeitsmarkt

unverzichtbar


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist letztendlich etwas, das die Gesellschaft durch-
dringen muss; es darf nicht nur ein Signal sein, das von
uns in der Politik ausgeht.

Als erstes deutsches Bundesland hat Sachsen 2005 ei-
nen Landesseniorenbeauftragten bestellt. Er hat unter
anderem folgende Projekte verfolgt: altersentsprechende
Anpassung von Bildschirmen und Eingabemasken, För-
derung der Teilhabe am gesellschaftlichen und wirt-
schaftlichen Leben insbesondere im ländlichen Raum.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Von den Forderungen, die Sie aufführen, könnte man
folgende Forderung tatsächlich unterstützen: stärkere
Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Verbände bei der
Verbesserung der menschenrechtlichen Situation. Des
Weiteren könnte man die Forderung unterstützen, sich
für die Umsetzung von Systemen für sozialen Basis-
schutz, für sogenannte Social Protection Floors, in Part-
nerländern einzusetzen, auf Länder hinzuwirken, im
menschenrechtlichen Bereich ordnungsrechtliche Ver-
antwortung zu übernehmen, auf die Bundesländer hinzu-
wirken, Seniorenbeiräte in den Ländern und Kommunen
nach einheitlichen rechtlichen Grundlagen einzurichten
– ich habe gerade das Beispiel Sachsen angesprochen –,
und – das ist mir am Schluss noch wichtig – sich für die
Abschaffung diskriminierender Altersgrenzen, „Höchst-
altersgrenzen“ genannt, im Ehrenamt und im Kirchenge-
setz einzusetzen. So hat auch die Antidiskriminierungs-
stelle des Bundes das letzte Jahr zum Themenjahr ge-
macht: „Im besten Alter. Immer“. Das ist heute noch auf
der Webseite zu sehen. Weitere Vorschläge in diesem
Bereich wären Forschung bezüglich Krankheiten, die
mit dem Alter verknüpft sind, oder weitere Maßnahmen
zur aktiven Alterung. Da gibt es das Projekt „Home-
share“ aus Großbritannien zur Stärkung der Solidarität





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

zwischen Generationen durch Dienstleistungen, sodass
ältere Menschen Mitbewohner haben können.

Zum Schluss. Demografischer Wandel sollte eher als
Möglichkeit, als Opportunity – ich nenne den englischen
Begriff, weil es auch um den internationalen Zusammen-
hang geht –, als Möglichkeit für innovative Lösungen
für viele aktuelle, soziale und wirtschaftliche Probleme
denn als Last angesehen werden. Aber dafür brauchen
wir einen neuen gesellschaftlichen Konsens, dass ältere
Menschen ein sozialer Schatz für unsere Gesellschaft
sind, und nicht nur eine politische Initiative. Ältere Men-
schen zu befähigen, gesünder und aktiver in der Arbeits-
welt und der Gemeinschaft zu sein, wird uns bei diesen
demografischen Herausforderungen helfen – auf einem
Weg, der gerecht und nachhaltig ist.

Mein letzter Satz. Art. 10 des Madrid International
Plan of Action on Ageing lautet: Das Potenzial älterer
Menschen ist eine mächtige Grundlage für die zukünf-
tige Entwicklung. Es befähigt zunehmend die Gesell-
schaft, sich auf die Fähigkeiten, die Erfahrung und die
Weisheit älterer Menschen zu verlassen.

In diesem Sinne wünsche ich uns einen guten Anstoß
und ein gutes Weiterarbeiten an dem Thema dieser De-
batte; denn sie ist wichtig genug.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722529800

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin

Heidrun Dittrich das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722529900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Heute geht es um den Antrag der SPD
„Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbei-
tung einer UN-Konvention fördern“. Ja, Schutz vor Ge-
walt ist nötig, und eine stärkere Kontrolle der Pflege-
heime ist angebracht. Ihr Antrag zeigt in die richtige
Richtung, ändert aber nichts am Pflegealltag. Wenn es zu
wenig examinierte Altenpflegerinnen gibt, dann können
Kontrollen und Berichte nur nützlich sein, wenn Sie Vor-
gaben für mehr Personal machen. Aber genau das fehlt
in Ihrem Antrag.

Auch an der Armut von älteren Menschen, vor allem
von Frauen – zu geringe Löhne und Teilzeitjobs führen
zu Minirenten –, ändert Ihr Antrag nichts. Erst im letzten
Satz Ihres Antrags fordern Sie, meine Damen und Her-
ren von der SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn, aber
ohne die Höhe anzugeben. Ich muss schon sagen: Das ist
das Allerletzte!


(Beifall bei der LINKEN)


10 Euro Mindestlohn, wie ihn die Linke fordert, bedeu-
tet zwar, dass die Menschen über die Grundsicherung
kommen; aber das bedeutet nicht, dass man im Alter
wirklich abgesichert ist. Es ist ein erster Schritt.


(Beifall bei der LINKEN)


Alle Parteien haben in der Regierung den Sozialabbau
und die Rentenkürzungen sowie die Privatisierung der
Pflege vorangetrieben. Sie haben einen großen Markt
geschaffen, bei dem die Pflegebedürftigen die Verlierer
sind. Jetzt hat das Alter seinen Schrecken wieder. Der
soziale Fortschritt, den Älteren die Furcht vor der Ab-
hängigkeit zu nehmen, ist nämlich dahin. Die Pflegebe-
dürftigen fürchten sich vor dem Heim und vor der Ab-
hängigkeit. Sie wünschen sich Unterstützung in einem
selbstbestimmten Leben. „Die Würde des Menschen ist
unantastbar – bis zuletzt“,


(Beifall bei der LINKEN)


das hat die Hospiz-Bewegung 2001 geschrieben. Der
Pflegenotstand ist bekannt. Ich erspare mir die Details.
Sie wissen, dass Vernachlässigung zum Tode führen
kann.

Es ist in Wohngruppen und Heimen einfach nicht die
Zeit vorhanden, 1 Liter Flüssigkeit am Tag anzureichen.
Meist trinken die Älteren aus eigenem Antrieb nur ein
Glas. Hier muss motiviert werden: abwechslungsreiche
Getränke mit Geselligkeit und Unterhaltung, damit sie
Flüssigkeit zu sich nehmen. Mit Gewalt geht das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil die Grundversorgung nicht gesichert ist, kommt
es zu Krankenhauseinweisungen. Doch dort geht es den
Seniorinnen und Senioren nicht besser. Auch dort
herrscht Pflegenotstand: Leiharbeiterinnen und Leihar-
beiter in der Notaufnahme, Stress, Überforderung.


(Zuruf von der FDP: Einen Mindestlohn in der Pflege haben wir eingeführt! 8,50 Euro!)


Es werden Sonden gelegt. Fremde Umgebung, fremde
Menschen – das macht den Aufenthalt unangenehm.

Die Pflegekräfte selbst wollen gute Pflege leisten; lei-
der fehlt ihnen durch den Personalmangel die Zeit dazu.
Die Altenpflegerinnen spüren, dass sie mehr tun müss-
ten. Deshalb bleiben sie länger, versuchen nach Feier-
abend für die Gruppe einzukaufen und den nächsten Tag
vorzubereiten; aber das bekommen sie nicht bezahlt. An-
gestellte in der Pflege sind in der Regel bereits nach
8,5 Jahren krank, Krankenschwestern nach 14 Jahren.
Mit 8,50 Euro die Stunde, die im Branchentarifvertrag
für Pflegekräfte vereinbart wurden, sind sie angesichts
der zu leistenden Schwerstarbeit noch immer unterbe-
zahlt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ist denn der Gesellschaft ein würdevolles Leben im
Alter nichts wert? Müssen die Menschen, die in diesen
Berufen arbeiten, so belastet werden? Der größte private
Pflegebereich ist die Familie. Wie werden die Frauen,
die keinen Beruf ausüben, weil sie Angehörige pflegen,
vor Altersarmut geschützt? Die Leistungen nach dem
Pflegezeitgesetz der Ministerin Schröder werden von
den pflegenden Angehörigen nicht nachgefragt, weil es
eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber ist.

Warum fordern Sie nicht gemeinsam mit der Linken
im Interesse der Angehörigen, der Pflegebedürftigen und
der Altenpflegerinnen mehr Personal? Das führt zu klei-





Heidrun Dittrich


(A) (C)



(D)(B)

neren Gruppen, das sichert die Einhaltung von Men-
schenrechten. Wir werden demnächst einen Antrag zu
den Themen „Bemessung der Pflege“ und „Personalaus-
stattung“ vorlegen.

Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dass exa-
minierte Altenpflegerinnen nicht zu bezahlen seien. Wir
haben heute den Militäreinsatz in Mali beschlossen.
Wenn es ums Töten geht, spielen die Kosten keine Rolle.
Es geht nur darum, die wirtschaftlichen Interessen von
Unternehmen zu sichern.


(Widerspruch der Abg. Marina Schuster [FDP])


Wie schnell die Zerstörung eines Sozialstaates ablau-
fen kann, können Sie am Beispiel Griechenland sehen.
Entbindungen werden nicht mehr bezahlt. Damit steigt
die Kindersterblichkeit. Das bedeutet: Zurück ins
19. Jahrhundert!

Ein positives Beispiel für eine alte Person – wenn ich
das noch anmerken darf – ist Stéphane Hessel, der vor
zwei Tagen im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Er
überlebte die Deportation durch die Gestapo und blieb
aktiv. Er schrieb Empört euch!, setzte sich für Men-
schenrechte und die Überwindung der Armut ein. Er
schlug vor, das Gemeinwohl vor die Interessen des
Großkapitals zu setzen. Das sollten wir auch tun.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722530000

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Pascal Kober.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marina Schuster [FDP]: Es kann nur aufwärts gehen!)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1722530100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegen der SPD, das Thema, „Menschenrechte
älterer Menschen stärken“, das Sie ansprechen, ist ein
wichtiges Thema. Deshalb ist es kein Wunder, dass sich
die Regierungskoalition seit Anbeginn ihrer Regierungs-
zeit dieses Themas gerade auch im nationalen Bereich
mit Tatkraft und Mut angenommen hat und vieles be-
wegt hat, was richtig ist. Sie schreiben im Forderungsteil
Ihres Antrags, dass es auch nationale Herausforderungen
gibt, die es zu meistern gilt. Lassen Sie mich deshalb
kurz auf das eingehen, was wir in den letzten drei Jahren
gerade in diesem Bereich auf den Weg gebracht haben.

Ich möchte mit einer Sache beginnen, an die man
vielleicht nicht als Erstes denkt: die Übernahme der
Grundsicherung im Alter durch den Bund. Damit haben
wir zweierlei Sachen erreicht: Zum einen haben wir für
die größte Entlastung der Kommunen in der Geschichte
der Bundesrepublik gesorgt. Zum anderen haben wir die
Finanzierung der Grundsicherung im Alter und damit
das Leben derer, die im Alter bedürftig und auf Unter-
stützung angewiesen sind, auf eine sichere Grundlage
gestellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das wird bis 2016 20 Milliarden Euro kosten. Trotzdem
werden wir die Vorgaben der Schuldenbremse nicht erst
2016 einhalten; vielmehr haben wir sie schon vier Jahre
früher, 2012, eingehalten.


(Jens Ackermann [FDP]: Hört! Hört!)


Warum sage ich das? Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen der SPD und der Grünen, die Kollegin der Linken
hat die Staatsschuldenkrise in Griechenland angespro-
chen. Wir alle wissen, was ein überschuldeter Haushalt
bedeutet: Es trifft am Ende die Schwächsten, auch die
Alten. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD und der Grünen, möchte ich Sie bitten, auf Ihre
Kollegen in den Ländern, zum Beispiel in Baden-Würt-
temberg und Nordrhein-Westfalen, hinzuwirken, die
Verschuldungspolitik der Länder nicht fortzuführen und
ihr Einhalt zu gebieten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In Ihrem Antrag thematisieren Sie zu Recht das
Thema Altersarmut. Wir wissen alle, dass die weit ver-
breitetste Ursache für Altersarmut unterbrochene Er-
werbsbiografien sind. Vor diesem Hintergrund frage ich
mich, warum Sie für Ihr Wahlprogramm für die Bundes-
tagswahl milliardenschwere Steuererhöhungen beschlie-
ßen, mit denen Sie den Mittelstand und das Handwerk
belasten und damit Hunderttausende Arbeitsplätze aufs
Spiel setzen.


(Christoph Strässer [SPD]: Oje!)


Das ist die falsche Politik. Sie sollten sich noch einmal
überlegen, ob Ihr Vorgehen richtig ist, wenn Sie dem
Thema Altersarmut langfristig etwas entgegensetzen
wollen.

Dann haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD, das Thema „gesetzlicher Mindestlohn“ aufgegrif-
fen. Sie sprechen nicht von einer Mindestlohnhöhe. Wir
wissen aber aus Ihrem Wahlprogramm, dass Sie eine
Zahl im Kopf haben: 8,50 Euro. Wir sollten aber so ehr-
lich sein, zu sagen, dass man es bei 8,50 Euro sehr
schwer haben wird, im Alter über das Niveau der Grund-
sicherung zu kommen. Dafür müsste man bei 35 Bei-
tragsjahren 10,40 Euro, also noch mehr als die von der
Linkspartei geforderten 10 Euro in der Stunde verdie-
nen. Wir sollten so ehrlich sein, den Menschen nicht
Sand in die Augen zu streuen. Einfach nur einen gesetz-
lichen Mindestlohn zu fordern, wird dieses Problem
nicht lösen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn wir der Altersarmut wirklich etwas entgegen-
setzen wollen – das ist glücklicherweise derzeit noch
kein Massenphänomen, wie es häufig skizziert wird; nur
2,4 Prozent der Menschen sind derzeit auf Grundsiche-
rung im Alter angewiesen –, dann müssen wir einen prä-
ventiven Ansatz verfolgen. Ich habe das Thema „unter-
brochene Erwerbsbiografien“ schon angesprochen. Wir
müssen an mehreren Stellschrauben beginnen. Beispiels-
weise bei der Kinderbetreuung – weil mangelnde Kin-
derbetreuung eine wesentliche Ursache dafür ist, dass
eine Erwerbsbiografie gerade bei Frauen nicht stetig ver-
läuft – haben wir zusätzlich zu den 4 Milliarden Euro,





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)

die schon vereinbart waren, für 30 000 zusätzliche Kin-
derbetreuungsplätze noch einmal knapp 600 Millionen
Euro in die Hand genommen, und wir werden über 2014
hinaus mit jährlich 845 Millionen Euro den Ausbau der
Kinderbetreuung weiter fördern.


(Christoph Strässer [SPD]: Betreuungsgeld, Herr Kollege!)


Das ist wichtig, gerade wenn man auf lange Sicht der Al-
tersarmut begegnen will.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christoph Strässer [SPD]: Das Betreuungsgeld haben Sie vergessen!)


Das nächste Thema, um unterbrochenen Erwerbsbio-
grafien vorzubeugen – die Staatssekretärin im Gesund-
heitsministerium Annette Widmann-Mauz ist hier –: Mit
dem Programm „Unternehmen unternehmen Gesund-
heit“ fördern wir Betriebe, damit sie die Belegschaften
bei der Gesundheitsvorsorge unterstützen, damit sie län-
ger bei guter Gesundheit arbeiten können. Auch das ist
ein wesentliches Schräubchen, das wir eingeführt haben,
an dem wir gedreht haben und an dem wir weiter drehen
müssen, damit in Zukunft Altersarmut vermieden wer-
den kann.

Nicht nur Altersarmut ist das Thema. Sie haben in Ih-
rem Antrag zu Recht das Thema Pflegesituation ange-
sprochen. Auch hier haben wir einiges zur Verbesserung
der Situation älterer Menschen in unserem Land erreicht.
Seit dem 1. Januar 2013 gibt es erstmalig Leistungen aus
der Pflegeversicherung für Demenzkranke. Das ist auch
etwas, was wir in dieser Regierungskoalition auf den
Weg gebracht haben. Das ist wichtig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir wissen, dass noch immer mehr als zwei Drittel
der Pflegebedürftigen von ihren Familien gepflegt wer-
den. Deshalb haben wir gerade die finanzielle Unterstüt-
zung der Selbsthilfegruppen verstärkt und dort auch eine
Verbesserung erzielt. Familien sind, wenn sie pflegen,
besonders belastet und können sich in Netzwerken ge-
genseitig entlasten.

Wir haben die Qualität der Pflegeeinrichtungen ver-
bessert. Bisher galt, dass am Ende nur die Pflegedoku-
mentation ausschlaggebend ist. Wir haben hier gegenge-
steuert und gesagt: Es muss neben der Pflegedokumen-
tation auch eine Inaugenscheinnahme der Patienten aus-
schlaggebend sein, um die Qualität eines Pflegeheimes
zu bewerten. Auch das haben wir auf den Weg gebracht;
auch das ist etwas, um die Rechte älterer Menschen in
unserem Land zu stärken.

Wie gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind
einige Beispiele dafür, was wir auf nationaler Ebene in
diesen drei Jahren schon erreicht haben und was wir ab
September in der nächsten Koalitionsperiode mit aller
Kraft fortsetzen werden. Sie werden vonseiten der Op-
position weiter zuschauen und von uns lernen. Wir wer-
den weiter mit Ihnen diskutieren. Ich freue mich auf die
weitere Beratung dieses Antrags.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christoph Strässer [SPD]: Gut, dass die da hinten nicht mehr dabei sind, wenn wir lernen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722530200

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt der Kollege Tom Koenigs von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


(Christoph Strässer [SPD]: Jetzt redet mal einer zur Sache!)



Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722530300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Im vorliegenden Antrag wird eine UN-Konven-
tion gefordert, eine internationale Konvention zum
Schutz der Menschenrechte der Alten.


(Christoph Strässer [SPD]: So ist es!)


Die Koalitionsfraktionen nehmen diesen Antrag nicht
an, weil die SPD dies tut. Nun ist aber der Menschen-
rechtsschutz seit der universellen Erklärung der Men-
schenrechte genau durch solche Konventionen vorange-
kommen, Schritt für Schritt, aber sicher. Das sind nicht
nur Zivilpakt und Sozialpakt, sondern auch die Zusatz-
konventionen, und zwar für einzelne Gruppen, die dieses
Schutzes ganz besonders bedürfen – Frauen, Kinder,
Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge, Staatenlose
und Wanderarbeiter –, aber noch nicht für die Alten.
Wenn Sie sagen: „Das muss auch nicht sein“, dann steht
dahinter im Grunde die Vermutung: Das brauchen wir
nicht, weil wir das schon haben, und eigentlich ist das
Problem schon längst gelöst. – Da fehlt es an Aufmerk-
samkeit. So eine Konvention würde genau diese Auf-
merksamkeit schaffen.

Es geht um Aufmerksamkeit für ein Problem, das sehr
wohl existiert. Altersdiskriminierung existiert, und zwar
in verschiedenen Bereichen. Die interpersonelle Diskri-
minierung haben wir alle schon einmal erfahren. Sie ist
nicht so häufig, aber wir alle haben sie schon erfahren.
Es gibt sie in unserer Gesellschaft. Wichtiger ist die in-
stitutionelle Diskriminierung, vor allem im Arbeitsleben.
Die Quote der Beschäftigten zwischen 55 und 64 Jahren
liegt noch bei knapp 60 Prozent. Diese Quote ist in ande-
ren Ländern besser. Im Rahmen einer internationalen
Konvention könnte man hier etwas machen. Es gibt insti-
tutionelle Diskriminierung, vor allem in der Wirtschaft.

Aber auch in unseren Gesetzen gibt es noch Diskrimi-
nierung, auch in den Tarifverträgen. Wozu gibt es ange-
sichts der demografischen Veränderungen eigentlich
noch Altersgrenzen, frage ich. Beispielhaft sei auch ein
Gesetz angeführt: In § 39 der Hessischen Gemeindeord-
nung wird gesagt, dass ein Bürgermeister nicht über
67 Jahre alt sein darf. Als ob Petra Roth nicht mehr fit
für das Amt der Bürgermeisterin gewesen wäre. Legt
man das zugrunde, hätte Konrad Adenauer nie Bürger-
meister in Maintal werden können, weil er zu alt war.
Das ist Altersdiskriminierung. Dagegen muss man etwas
tun, statt nur zu reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)






Tom Koenigs


(A) (C)



(D)(B)

So eine Konvention könnte auch Institutionen stärken
oder besser verankern. Gegenwärtig werden die Institu-
tionen, die sich mit diesem Thema befassen, von der
Bundesregierung ja wie Stiefkinder behandelt. Das
Deutsche Institut für Menschenrechte braucht eine ge-
setzliche Grundlage, sonst wird es den A-Status verlieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie weigern sich beharrlich, das zu machen. Das zweite
Beispiel ist die schon erwähnte Antidiskriminierungs-
stelle. Sie krepelt mit schwacher finanzieller Unterstüt-
zung vor sich hin. Das ist keine wirkliche Stärkung.

Im internationalen Bereich wird nun gesagt: Es wird
noch geforscht. Warum kommt man nicht vorwärts?
Auch weil Deutschland nichts macht. Im Januar hat sich
der Menschenrechtsrat damit befasst. Es gab einen Call
for Papers, er hat um Anregungen gebeten. Ich bin ge-
spannt, ob die Bundesregierung diesbezüglich mehr un-
ternimmt, als nur zu sagen: „Eine Konvention wollen
wir nicht“, wie sie es bisher in der Open-ended Working
Group on Ageing gemacht hat.

Schließlich komme ich auf das Handeln zu sprechen.
Sie drücken sich davor, zu handeln. Deshalb wollen Sie
keine Konvention. Wenn es eine Berichtspflicht gäbe,
müssten Sie auch über das Handeln berichten. Ja, ich
spreche auch Sie an, Herr Heinrich. Sie haben darüber
gesprochen. Ein Peer Review würde offenbaren, dass
nicht gehandelt wird, sondern nur gesagt wird: Wir ma-
chen nichts anderes als das, was wir immer schon ge-
macht haben. Herr Kober sprach sogar von etwas ganz
anderem, weil es schön ist, dass das gemacht worden ist.
Ein Special Rapporteur wäre ein Fortschritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Pascal Kober [FDP]: Sie verstehen die Weite der Zusammenhänge nicht!)


Schauen wir auf die internationale Szene: Bei der
Open-ended Working Group on Ageing, bei der wir alle
wohl geborene Mitglieder sind, kommt gegenwärtig
nichts heraus. Es bedarf eines richtigen Impulses.


(Pascal Kober [FDP]: Sie wollen kontrollieren, aber Sie wollen nichts machen!)


Der könnte von Deutschland ausgehen. Das ist aber
nicht nur ein deutsches Problem, sondern auch ein inter-
nationales Problem. Da darf man nicht einfach sagen:
Wir machen da nichts. – Sie wollen nicht handeln, sie
sollten aber handeln. Gerade Sie sollten handeln. Gerade
wir Alten haben das verdient.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722530400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12399 an die in der Tagesordnung aufge-

führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tier-
seuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG)


– Drucksache 17/12032 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12478 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten

– Drucksachen 17/9580, 17/10663 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Rainer Erdel
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich würde die Aussprache gerne eröffnen, sobald in
den Fraktionen keine lauten Gespräche mehr geführt
werden und es möglich ist, dem Redner zuzuhören. – Ich
eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Alois
Gerig aus der Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Alois, was hast du uns zu sagen?)



Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1722530500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Wohlergehen
und die Gesunderhaltung von Tieren ist eine wichtige
und wahrhaft verantwortungsvolle Aufgabe, in erster Li-
nie natürlich für die Tierhalter – die wissen das –, aber
auch für Tierärzte, für die zuständigen Veterinärbehörden
und für die Politik. So ist es unsere Aufgabe als Gesetz-
geber, zeitgemäße und situationsangepasste Rahmenbe-





Alois Gerig


(A) (C)



(D)(B)

dingungen zu schaffen. Genau das machen wir mit die-
sem neuen Tiergesundheitsgesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das alte Tierseuchengesetz aus dem Jahr 1909 wird
damit abgelöst. Das alte Gesetz stellte die Bekämpfung
von ausgebrochenen Krankheiten und Seuchen in den
Vordergrund. Das neue Tiergesundheitsgesetz hingegen
zielt neben der Bekämpfung von Krankheiten und Seu-
chen auch darauf ab, diesen wirksam vorzubeugen. Zahl-
reiche Neuregelungen sorgen dafür, dass in der Tierhal-
tung die Prävention vor Krankheiten und Seuchen ein
größeres Gewicht erhält.

Hervorzuheben ist unter anderem, dass künftig in Be-
trieben mit Tierbeständen zur Vorbeugung eigenbetrieb-
liche Kontrollen und verpflichtende hygienische Maß-
nahmen angeordnet werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Außerdem wird der Personenkreis, der zur Anzeige
einer Tierseuche verpflichtet ist, erweitert.

Ein weiterer wichtiger Eckpunkt ist das geplante Mo-
nitoring über den Gesundheitsstatus unserer Tiere. In
Zeiten der zunehmenden Globalisierung der Märkte
– was per se ja gar nichts Schlechtes sein muss – steigt
die Gefahr, dass Tierseuchen aus dem Ausland nach
Deutschland eingeschleppt werden. Vor diesem Hinter-
grund ist es sicher richtig und wichtig, dass das

Friedrich-Loeffler-Institut zukünftig damit beauftragt
wird, das weltweite Seuchengeschehen auszuwerten.
Damit können wichtige Erkenntnisse für Präventivmaß-
nahmen in Deutschland gewonnen werden.

Ebenso wird vom gleichen Institut die Ständige Impf-
kommission Veterinärmedizin – auch etwas Neues – ein-
gerichtet, welche auf wissenschaftlicher Grundlage
Impfempfehlungen erarbeitet. In den vergangenen Jah-
ren haben ja die Koalitions- und die Oppositionsfraktio-
nen in einem gemeinsamen Antrag gefordert, bei der
Tierseuchenbekämpfung den Grundsatz „Impfen statt
Keulen“ durchzusetzen. Schön, dass wir das gemeinsam
geschafft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mit der verpflichtenden Einrichtung einer Impfkommis-
sion kann man davon ausgehen, dass dieses Ziel noch
konsequenter in die Praxis umgesetzt wird.

Bei der Erkennung von Seuchen und Krankheiten
spielen sogenannte In-vitro-Diagnostika eine sehr wich-
tige Rolle, die künftig nur für anzeigepflichtige Seuchen
und Krankheiten eine amtliche Zulassung benötigen. Für
alle anderen, nicht anzeigepflichtigen Seuchen wird ein
aufwendiges amtliches Zulassungsverfahren entbehrlich.
Dies ist nicht nur im Sinne der Hersteller, wie manche
betonen, sondern dient insbesondere auch einer schnelle-
ren und effektiveren Bekämpfung von Krankheiten und
Seuchen.

Tritt der Seuchenfall ein, ist es weiterhin – das ist
ganz wichtig – die Aufgabe der Tierseuchenkassen in
den Ländern, gegenüber den Landwirten Entschädigun-
gen für Tierverluste zu leisten. Schnelle und unbürokra-
tische Hilfe ist hierbei ganz besonders wichtig, weil im
Ernstfall ganz schnell Existenzen auf dem Spiel stehen
können.

Mit unserem Tiergesundheitsgesetz werden wir errei-
chen, dass in Deutschland an der konsequenten Bekämp-
fung von Tiersuchen festgehalten wird und gleichzeitig
bei der Prävention von Krankheiten und Seuchen noch
mehr Anstrengungen als seither unternommen werden.

Meine Damen und Herren, mit einer ganzen Reihe
von Gesetzesinitiativen, dem Tierschutzgesetz, dem Arz-
neimittelgesetz, dem Lebensmittel- und Futtermittelge-
setzbuch und nicht zuletzt diesem Tiergesundheitsgesetz
verbessert die christlich-liberale Koalition die Rahmen-
bedingungen für die Tierhaltung in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


Ich möchte deshalb ausdrücklich unser Bundesministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz unter Leitung unserer Ministerin Ilse Aigner für
diese logistische Meisterleistung, die in den letzten Mo-
naten aufzubringen war, loben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sorgen mit dem Gesetz a) für mehr Verbraucher-
schutz, Transparenz und Aufklärung und tragen b)
gleichzeitig mit dem notwendigen Augenmaß und Fein-
gefühl dazu bei, dass unsere Landwirte weiterhin die
Chance für tragfähige wirtschaftliche Perspektiven für
ihre Betriebe und hoffentlich auch – das betone ich –
weiterhin Freude an ihrem Beruf haben werden. Wir
werden es nicht zulassen, dass die Landwirtschaft – eine
der ältesten und solidesten Branchen überhaupt – perma-
nent von Besserwissern und Theoretikern an den Pranger
gestellt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dies ist verantwortungslos und unmoralisch. Dabei
denke ich insbesondere an die vorhergehende Debatte
zum Arzneimittelgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Ich bin überzeugt davon, dass es insbesondere zum
Wohle unserer Verbraucher ist, wenn die Landwirtschaft
und die Tierhaltung in Deutschland erhalten werden.
Aktuelle Skandale zeigen uns leider, dass kriminelle
Energie nie auszuschließen ist. Deshalb brauchen wir ei-
nerseits ein wirksames Netzwerk von Kontrollen. An-
dererseits brauchen wir aber auch – das ist mir ganz
wichtig – kritische Verbraucher, die noch bewusster ein-
kaufen, als sie dies seither machen.


(Zurufe der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722530600

Kollege Gerig, ich unterbreche Sie ungern, aber Sie

müssen bitte zum Schluss kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1722530700

Ich komme zum Schluss. – Natürlich können wir im-

mer noch besser werden, aber im Grundsatz gilt: Die bei
uns produzierten Lebensmittel sind die nachweisbar bes-
ten Nahrungsmittel mit den geringsten Rückständen an
unerwünschten Stoffen. Sie sind nach den weltweit
höchsten Standards produziert. Insbesondere bei Tier-
komfort und Tierschutz haben sich in den vergangenen
Jahrzehnten Welten positiv bewegt. Das höre ich nie von
der Opposition. Unsere Landwirte haben den Respekt
unserer Gesellschaft verdient.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind eine Phrasendreschmaschine!)


Sie versorgen uns mit Nahrungsmitteln und Energie, und
ganz nebenbei pflegen sie unsere schöne und liebgewon-
nene Kulturlandschaft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Märchenstunde mit Onkel Alois!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722530800

Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege

Dr. Wilhelm Priesmeier.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1722530900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Mit der heutigen Beratung wird in der Tat
ein Meilenstein bei der Weiterentwicklung des Tierseu-
chenrechtes gesetzt. Dies gilt auch für die Anpassung
der deutschen Vorschriften und Vorgaben im Zuge der
Harmonisierung des europäischen Tierschutzrechts. Das
war an sich dringend notwendig und in der Rückschau
schon längst überfällig.

Die Einschleppung von Tierseuchen bedeutet für den
gesamten Sektor eine erhebliche Gefahr: die Gefährdung
von einzelnen Existenzen in den Betrieben, aber auch
die Gefährdung der gesamten Wertschöpfung bei
schwerwiegenden Verläufen von Tierseuchen. Wir soll-
ten uns einmal an die Schweinepestzüge in Deutschland
erinnern und daran, wie unsere Tierbestände in früheren
Jahrzehnten durch Maul- und Klauenseuche dezimiert
worden sind.

Die Gefahr ist dauernd und immanent vorhanden und
bleibt vorhanden. Gerade durch die zunehmenden
Handelsbeziehungen bzw. Handelsströme, die man viel-
fach kaum noch einzeln nachverfolgen kann, und auch
durch den Personen- und Reiseverkehr steigt das Risiko
und wird nicht kleiner. Ein Beispiel dafür ist unlängst
das Auftreten der Afrikanischen Schweinepest in der
Ukraine.

Das ist nicht sehr weit weg von uns. Wenn uns diese
ereilen würde, hätte das fatale Konsequenzen für den
ganzen Sektor. Aus diesem Grunde halte ich in diesem
Zusammenhang auch die jetzigen Regelungen für mehr
als nur vernünftig.

Wir brauchen Prävention; das ist unbestritten. Vor al-
len Dingen brauchen wir aber auch die wissenschaftliche
Expertise jenes Institutes, das weltweit eine heraus-
ragende Bedeutung im Rahmen der Tierseuchenbekämp-
fung hat; das ist das Friedrich-Loeffler-Institut. Wir
haben immerhin mehr als 100 Millionen Euro in dieses
Institut investiert, sodass es weltweit den technologisch
höchsten Standard aufweist. Viele in diesem Institut leis-
ten ihren Beitrag dazu, dass die weltweite Tierseuchensi-
tuation beobachtet wird und dass demnächst die Stän-
dige Impfkommission, hoffentlich zur rechten Zeit, die
richtigen Empfehlungen gibt.

Das verbindliche Monitoring, das in dem Gesetzent-
wurf vorgeschrieben wird, ist eigentlich selbstverständ-
lich. Auch die Errichtung von seuchenfreien Schutz-
gebieten wird einen wesentlichen Fortschritt in der
weiteren Bekämpfung und in der weiteren Prävention
vor Tierseuchen bringen. Das Gesetz ist also in seinen
Kernbereichen unstrittig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die SPD wird ihm zustimmen, wie auch im Ausschuss.

Die Frage ist letztendlich: Warum haben Sie es nicht
bei der alten Bezeichnung belassen? Wenn oben drüber-
steht: „Tiergesundheitsgesetz“, so muss ich sagen, dass
für mich nicht alles drin ist, was ich unter Tiergesundheit
subsumieren würde; denn Tiergesundheit ist mehr als
das Verhindern von Tierseuchen allein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme jetzt auf die Argumentation zurück, die
ich schon in der vorletzten Debatte hier in diesem Haus
vorgetragen habe. Ich glaube, dass gerade dieses Tier-
gesundheitsgesetz eine hervorragende Möglichkeit wäre,
um zum Beispiel einen entsprechenden Beitrag für
betriebliches Hygienemanagement und optimierte Hal-
tungsbedingungen zu leisten. Dazu müssten darin aller-
dings rechtliche Verfahren geregelt werden. Allein ein
paar vorbeugende Maßnahmen in das Gesetz zu schrei-
ben, ist in vielen Bereichen einfach zu wenig.

Wir haben nun eine ganze Reihe von Regelungen, die
die Tierhaltung betreffen. Wir sollten uns in diesem
Hause wirklich einmal ernsthaft Gedanken darüber
machen, ob es nicht eine sinnvolle Alternative zu den
bisherigen gesetzlichen Regelungen wäre, wenn wir ver-
suchten, sie in ein Gesamtkonzept einzubinden und in ei-
nem einheitlichen Rahmen zusammenzuführen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das wäre eure Aufgabe als Opposition gewesen! Aber ihr bringt doch nichts zustande!)


Ich glaube, dann hätten wir viel mehr Möglichkeiten,
steuernd oder begleitend einzugreifen. Zugleich würden





Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)

wir dem Sektor insgesamt einen rechtlichen Rahmen ge-
ben, in dem die betroffenen Betriebe letztendlich auch
zukunftsfähig arbeiten könnten.

Das Tiergesundheitsgesetz an sich sollte alle hygieni-
schen Maßnahmen regeln, auch solche, die das Auftreten
von Bestandserkrankungen verhindern. Aus der letzten
Debatte haben wir ja mitgenommen, dass uns gerade die
Bestandserkrankungen und auch die Haltungs- sowie die
Hygienebedingungen in den Betrieben vielfach große
Probleme machen. Schlechtes Hygienemanagement oder
auch schlechtes betriebliches Management leisten zu-
dem unter Umständen der Ausbreitung von Tierseuchen
Vorschub.

Auch sind Vorgaben für Betriebe ab einer bestimmten
Größenordnung im Hinblick auf Desinfektionsmaßnah-
men und deren regelmäßige Kontrolle zu treffen. Wir
haben zwischenzeitlich nicht nur Antibiotikaresistenzen,
sondern wir haben mittlerweile in vielen Bereichen
Keime, die schon vollständig gegen Desinfektionsmittel
– ich nenne da nur quartäre Ammoniumverbindungen –
resistent sind oder zunehmend resistent werden. Das
lässt einiges befürchten, wenn man dort nicht gegensteu-
ert. Ich glaube, auch in diesem Zusammenhang sollte
man einen integrierten Ansatz wählen und im Rahmen
der Tiergesundheitsgesetzgebung, die dann weiterzuent-
wickeln wäre, die notwendigen Voraussetzungen schaf-
fen, damit wir solchen Entwicklungen Einhalt gebieten
können.

Ein regelmäßiges Bestandsmonitoring und auch die
regelmäßige tierärztliche Bestands- und Hygienebera-
tung sind heute in vielen Betrieben reine Routinepraxis,
in vielen anderen Betrieben aber nicht. Deshalb halte ich
eine entsprechende Regelung für überfällig, durch die
dies zur Voraussetzung für das wirtschaftliche Handeln
gemacht wird; denn das sind Ausgaben, die sich im
Regelfall für den Betrieb auszahlen und nicht allein das
Honorar des Tierarztes, der diese Beratung macht, erhö-
hen. Das haben viele Betriebe erkannt; viele Betriebe
halten sich daran und haben ausgefeilte Hygiene-
konzepte entwickelt. Das sind die Spitzenbetriebe, mit
denen wir auch in anderen Bereichen keine gravierenden
Probleme haben. Darüber hinaus ist aber noch nicht
überall erkannt worden, dass es so funktionieren kann.
Deshalb gibt es auch Betriebe, die meinen, sie müssten
das anders handhaben, oder sich aus wirtschaftlichen
Erwägungen unter Umständen solchen Beratungen voll-
ständig entziehen.

Die Beratungen über die Novelle des Tierschutzgeset-
zes haben auch gezeigt, dass zum Beispiel Tierschutzin-
dikatoren auch als wichtige Indikatoren für die Tier-
gesundheit im Bestand dienen können. Wir können aber
auch bisher noch nicht in Gänze verwendete Befunde,
die bei der Schlachtuntersuchung am Schlachthof erho-
ben werden, einsetzen. Auf diese Weise würden wir ge-
mäß dem Verständnis der Kette von der Produktion bis
letztendlich zum Produkt alle Möglichkeiten ausschöp-
fen, um den Status der Tiergesundheit in unseren Betrie-
ben zu erhöhen. Das wird uns auch wirtschaftlichen Er-
folg bringen, und es wird auch dazu beitragen, dass in
Deutschland weiterhin zu adäquaten Kosten Tiere für die

Lebensmittelproduktion herangezogen werden können.
Ich halte es für überfällig und vernünftig, dies auch ge-
setzlich zu regeln.

Vor diesem Hintergrund finden natürlich die tierseu-
chenrechtlichen Regelungen unsere volle Unterstützung.
Aber bis wir das gesamte Gesetz zu einem wirklichen
Tiergesundheitsgesetz gemacht haben, müssen wir alle
noch kräftig nacharbeiten. Vielleicht schafft es ja eine
neue Regierung im Herbst dieses Jahres.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Lachen des Abg. Alois Gerig [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531000

Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1722531100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe mich sehr über die Rede des Kolle-
gen Priesmeier gefreut, der deutlich gemacht hat, dass
das, was wir auf den Weg gebracht haben, gut ist. Das ist
schon mal eine gute Voraussetzung für eine gute
Debatte.

Aber, lieber Kollege Priesmeier, Sie haben doch ge-
nau die Begründung geliefert, weshalb wir das Tierseu-
chengesetz jetzt Tiergesundheitsgesetz nennen. Wir tun
dies, weil es eben nicht mehr nur darum geht, wie man
Tierseuchen bekämpft, sondern weil es auch um Vorbeu-
gung, damit Bestände nicht von Tierseuchen befallen
werden, um Monitoring und um Stärkung der Institutio-
nen geht, die damit befasst sind. Insofern ist die Begrün-
dung für die Neubenennung des Gesetzes von der SPD-
Fraktion richtig erkannt worden. Das finde ich gut. Herz-
lichen Dank dafür.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In Ihrem Beitrag ist auch deutlich geworden – ich
hätte es kaum besser darstellen können –, dass dieses
Tiergesundheitsgesetz eines von drei Gesetzen ist. Wir
haben eben etwas kontroverser als jetzt über das Arznei-
mittelgesetz diskutiert, und wir haben davor schon das
Tierschutzgesetz verabschiedet, das auch die Billigung
des Bundesrates gefunden hat, worauf ich eigens noch
einmal hinweisen möchte. Und jetzt geht es um das Tier-
gesundheitsgesetz.

In allen drei Gesetzen geht es darum – als Liberale
finde ich das wichtig –, die Eigenverantwortung der
Tierhalter zu stärken und diese in den Mittelpunkt zu
stellen. Das bedeutet insgesamt natürlich auch, dass wir,
wenn wir Eigenverantwortung wollen, dem Tierhalter
nicht jeden einzelnen Handgriff vorschreiben können. Es
darf nicht so sein, dass er, bevor er in den Stall geht, erst
ins Gesetz gucken und sich fragen muss, ob er dieses
oder jenes macht; vielmehr muss er dies vorher wissen.
Das bedeutet auch, dass wir uns einmal darüber unter-





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)

halten müssen, wie die Ausbildung von Landwirten und
Tierhaltern auszusehen hat, damit sie die Aufgaben, die
ihnen diese drei Gesetze vorgeben, auch wirklich eigen-
verantwortlich wahrnehmen können. Ich könnte mir vor-
stellen, dass in dem Bereich noch einiges zu tun ist.

Das Gesetz, über das wir jetzt sprechen, hat eine alte
Grundlage. Es wurde 1909 beschlossen und hat seinen
Ursprung 1880. Deshalb ist es verständlich, dass ein solch
altes Gesetz einmal eine Grundrenovierung braucht. Ich
glaube, auch in diesem Punkt sind wir uns sehr einig.

Festzuhalten ist auch, dass es damals, als das Gesetz
beschlossen worden ist, noch keine Europäische Union
gab. Jetzt befinden wir uns in einer fortentwickelten
Europäischen Union von 27 Ländern. Es gibt heute eine
innergemeinschaftliche Harmonisierung von verschiede-
nen tierseuchenrechtlichen Bestimmungen. Das ist auch
gut so; denn in der Regel machen Viren an den Grenzen
nicht halt. Deswegen ist es richtig, wenn wir innerhalb
der EU auf gemeinsame Rechtsakte setzen.

Außerdem müssen wir auch in diesem Bereich eine
zunehmende Globalisierung feststellen. Das gilt nicht
nur für die Warenströme, das gilt auch für Menschen, die
reisen. Wir haben das selbst erlebt in dieser Legislatur-
periode: Am Anfang mussten wir den Blauzungenvirus
bekämpfen, als Letztes kam letztes Jahr der Schmallen-
berg-Virus hinzu, mit dessen Bekämpfung wir noch
nicht fertig sind. Es hat sich gezeigt, dass wir mit dem
alten Gesetz nicht adäquat reagieren konnten. Der Bund
konnte nicht von vornherein eine Anzeigepflicht fest-
legen – dieses Instrument gab es nicht –, er musste erst
auf die Entscheidung des Bundesrates warten. Dieses re-
geln wir im vorliegenden Gesetzentwurf neu.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist gut so!)


Das heißt, es kann gemeldet werden, ohne dass der Bun-
desrat vorher zugestimmt hat; er kann hinterher seine
Zustimmung dazu geben. Ich glaube, dass das eine deut-
liche Verbesserung darstellt.

Für die effektive Bekämpfung von Tierseuchen
braucht man bessere Vorsorge und Monitoring, zugleich
ist aber auch eine globale Betrachtung des Tierseuchen-
geschehens notwendig, um vorgewarnt, um gewappnet
zu sein für Dinge, die bei uns auftreten könnten.

Die Zulassung von Tierimpfstoffen ist beim Paul-
Ehrlich-Institut angesiedelt, die Zulassung von In-vitro-
Diagnostika im Friedrich-Loeffler-Institut; ich glaube,
dass dies die richtige Aufgabenaufteilung ist.

Wir sind uns in diesem Hause ja weitgehend einig,
dass die Devise „Impfen statt Töten“ gelten sollte. Die
FDP-Bundestagsfraktion hat mehrfach Anträge dazu
eingebracht, weil wir der Auffassung sind, dass solche
modernen Verfahren tatsächlich genutzt werden sollten.
Die Einrichtung der Ständigen Impfkommission Veteri-
närmedizin, die Impfempfehlungen aussprechen soll, ist
erwähnt worden.

Einige Änderungsanträge sind in der parlamentari-
schen Beratung vorgenommen worden: Wir haben schon

gesehen, dass die wissenschaftliche Erprobung von im-
munologischen Tierarzneimitteln und von In-vitro-
Diagnostika in Ausnahmefällen auch außerhalb akade-
mischer Institute erfolgen kann. Durch eine solche Aus-
nahmeregelung wollen wir kleine und mittelständische
Labore stärken; denn wir brauchen diese Labore, weil
sie innovativer sind als manche großen.

Wir lassen außerdem zu, dass in Einzelfällen Tiere,
die für den Export bestimmt sind, auch mit Impfstoffen
behandelt werden können, die bei uns nicht zugelassen
sind – einfach um den Bedingungen des Importlandes zu
entsprechen. Auch das ist, glaube ich, ein wichtiges
Anliegen.

Wir sind den weitgehend technischen Änderungsan-
liegen des Bundesrates im Wesentlichen gefolgt, weil
wir der Auffassung sind, dass in diesem Fall im Bundes-
rat gute Arbeit geleistet worden ist. Das ist nicht immer
so; aber wenn es so ist, dann sollte man das meines Er-
achtens auch sagen.

Wir wollen, dass das FLI gestärkt wird. Es soll schon
im Verdachtsfall epidemiologische Untersuchungen auf-
nehmen können, damit, wenn es ernst wird, tatsächlich
Möglichkeiten der Behandlung da sind.

Insgesamt legen wir Ihnen einen ausgesprochen gut
erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes vor, das einen
wichtigen Reformansatz aufzeigt. Ich bitte Sie alle um
Zustimmung.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531200

Die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann hat nun für die

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste, herzlich willkommen zu später Stunde! Die
Linke fordert schon lange, dass die Tiergesundheit ein
strategisches Ziel der Gesetzgebung wird. Deswegen
finden wir es richtig, dass das Tierseuchengesetz heute
zu einem Tiergesundheitsgesetz fortentwickelt wird. Wir
brauchen den Perspektivenwechsel von einem Krisen-
management- und Kontrollsystem hin zu mehr Vorbeu-
gung und Vermeidung von Krankheiten; da sind wir uns
völlig einig. Dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf
nicht nur eine Überschrift geändert, sondern tatsächlich
in der Substanz etwas vorgelegt wird, finden wir sehr er-
freulich.

Das ist auch volkswirtschaftlich wichtig und notwen-
dig. Ich möchte ein Beispiel nennen: Allein in den Jah-
ren zwischen 2000 und 2010 hat die Bekämpfung von
BSE über 2 Milliarden Euro gekostet.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Genau!)


Das ist eine erhebliche Summe; deswegen ist es gut und
wichtig, Tiererkrankungen zu vermeiden.





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

Die Tiergesundheit ist aber – da bin ich dem Kollegen
Priesmeier sehr dankbar – mehr als die Abwesenheit von
Tierseuchen. Wir müssten uns zum Beispiel auch viel
mehr um Faktorenerkrankungen kümmern. Es geht näm-
lich nicht nur um die klassischen Erkrankungen, es geht
oftmals auch um chronische und andere Erkrankungen,
die nur ausbrechen, wenn bestimmte Faktoren zusam-
menkommen.

Deswegen hätten Sie in diesem Gesetzentwurf eigent-
lich mehr Dinge verankern müssen. Es ist durchaus zu
bedauern, dass das nicht geklappt hat. Das gilt zum Bei-
spiel für die Tierdichte. Welchen Einfluss hat die Tier-
dichte sowohl in Ställen als auch in Regionen auf die
Tiergesundheit? Das gilt aber auch für die Stallhygiene,
für das Stallklima und für Betreuungsstandards.


(Beifall bei der LINKEN)


Die integrierte tierärztliche Betreuung hätte man in
diesem Gesetzentwurf festschreiben können. Dort hätte
man auch regeln können, wie häufig sich ein Tierarzt ei-
nen Bestand vor Ort anschauen muss, und wir hätten da-
rüber reden müssen, was wir bei der Ausbildung von
Landwirtinnen und Landwirten sowie Tierärzten und
Tierärztinnen zu leisten haben, damit sie mit dieser
neuen Situation klarkommen. Daneben müssen die ent-
sprechenden Behörden wirklich ausgebildetes Personal
haben. Diese Dinge sind ganz dringend erforderlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben auch einen Regelungsbedarf in Bezug da-
rauf – das haben wir ja vorhin in der Debatte über das
Arzneimittelgesetz schon einmal diskutiert –, dass die
Durchsetzungskraft in Bezug auf behördliche Verfügun-
gen und Ähnliches gestärkt wird, und auch die Tierärzte
müssen gestärkt werden, damit die problematischen
Dinge, die sie im Stall feststellen, auch wirklich verän-
dert werden. Das heißt also, wir brauchen eine gut aus-
gebildete Tierärzteschaft und gut ausgebildete Tierhalte-
rinnen und Tierhalter.

Daneben brauchen wir risikoärmere Strukturen. Hier
sehe ich einige Entwicklungen durchaus mit großer Sorge:
Der Lebensmittelhandel übt einen enormen Kostendruck
auf die tierhaltenden Betriebe aus. Das kann nicht gutge-
hen. Das Risiko von Tierseuchen steigt, zum Beispiel
durch den Klimawandel, weil hier vektorübertragene Er-
krankungen eine Rolle spielen, und durch die vielfälti-
gen Handelsbeziehungen; denn wenn wir die Ferkel ein-
mal quer durch Europa fahren, dann ist das ein Problem,
dessen Auswirkungen auf die Tiergesundheit wir nicht
abbilden können. Megaställe, über die wir vorhin schon
einmal diskutiert haben, und viehdichte Regionen führen
natürlich dazu, dass der Ausbruch einer Tiersuche ver-
heerendere Wirkungen hat, als wenn andere Strukturen
gegeben wären.

Daneben sind auch große Wissenslücken zu schlie-
ßen. Es geht hier zum Beispiel um die vielfältigen Risi-
ken eines Ausbruchs oder einer Verschleppung, die wir
teilweise gar nicht genau kennen, und wir müssen auch
die Bekämpfungsszenarien, die wir uns überlegen, wis-
senschaftlich prüfen lassen und entsprechend evaluieren.

Weil hierfür wirklich Fachkompetenz erforderlich ist
– das ist eine besondere Herausforderung –, fordert die
Linke schon seit langem ein epidemiologisches Zen-
trum; das ist überfällig. Stattdessen schließen Sie Ende
des Jahres 2013 das Institut für Epidemiologie des
Friedrich-Loeffler-Instituts am Standort Wusterhausen
und riskieren mit dem Umzug zur Insel Riems die Ar-
beitsfähigkeit dieses Standortes. Das ist aus meiner Sicht
ein völlig falsches Signal und hätte eigentlich korrigiert
werden müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die neuen Risiken setzen die Tierhaltungsbetriebe zu-
sätzlich unter Druck. Deshalb hat die Linke einen Antrag
für einen Notfonds für tierhaltende Betriebe vorgelegt.
Das ist kein Rundum-sorglos-Paket, sondern es geht tat-
sächlich um Erkrankungen, die entweder noch nicht
amtlich festgestellt sind oder bei denen noch ein wissen-
schaftlicher Streit darüber herrscht, welche Ursache sie
haben. Wir reden über das Schmallenberg-Virus, wir re-
den über das Blutschwitzen der Kälber, und wir reden
über den sogenannten chronischen Botulismus.

Aus meiner Sicht ist dieser Notfonds wirklich drin-
gend erforderlich. Die Argumente der anderen Fraktio-
nen gegen diesen Notfonds aus der ersten Debatte kann
man wirklich gut widerlegen: Die klassischen Tierseu-
chenkassen handeln in einer entsprechenden Situation
eben nicht adäquat, und wir haben keine Möglichkeit,
Überbrückungskredite zu leisten. Die Versicherungslö-
sung ist nicht finanzierbar; das wissen wir. Eine steuer-
freie Risikoausgleichsrücklage haben Sie auch schon ab-
gelehnt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531400

Kollegin Tackmann.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531500

Ja, ich komme zum Schluss. – Deswegen bitte ich Sie

wirklich dringend, diesem Antrag auf einen Notfonds für
tierhaltende Betriebe zuzustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531600

Der Kollege Friedrich Ostendorff hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Tierge-
sundheitsgesetz soll, so sagt § 1, nicht nur „die Vorbeu-
gung vor Tierseuchen und deren Bekämpfung“ regeln,
sondern „auch der Erhaltung und Förderung der Gesund-
heit von Vieh und Fischen“ dienen,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


also unter anderem von Kühen, Schweinen, Hühnern,
Puten und viele anderen Nutztieren.





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

Dieser Anspruch ist richtig, er ist wichtig, und er ist
notwendig. Dieser Anspruch ist aber auch selbstver-
ständlich, wenn wir Art. 20 a des Grundgesetzes ernst
nehmen. Vielleicht erinnern sich einige Kolleginnen und
Kollegen von Schwarz-Gelb noch, dass es möglich war,
dies im Grundgesetz zu verankern.

Dieser Anspruch ist auch hoch, meine Damen und
Herren. Offensichtlich ist er für einige von Ihnen in der
schwarz-gelben Koalition viel zu hoch.


(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!)


Denn im Gegensatz zu den durchaus richtigen Ansätzen
in diesem Gesetzentwurf dient Ihre Agrarpolitik über-
haupt nicht der Erhaltung und Förderung der Gesundheit
der Tiere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Traurige! – Zuruf von der FDP: Zum Thema!)


Oder dient die von Ihnen so gelobte und protegierte
Massentierhaltung der Erhaltung und Förderung der Tier-
gesundheit?


(Zuruf von der FDP: Das ist nicht zum Thema! – Alois Gerig [CDU/CSU]: Jetzt kommt das wieder!)


Dienen viele Millionen Euro Hermesbürgschaften für
Tierfabriken mit 5 Millionen Tieren in der Ukraine der
Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit?

Dienen Pferdeschenkelbrand und unbetäubte Ferkel-
kastration der Erhaltung und Förderung der Tiergesund-
heit?


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Dient es der Erhaltung und Förderung der Tierge-
sundheit, wenn Frau Aigner versucht, in Brüssel dafür zu
sorgen, dass zukünftig für artgerechte Ställe und Weide-
haltungsprogramme kein Geld mehr da sein wird?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dient es nicht!)


Dient der von Ihnen so propagierte Strukturwandel,
der immer mehr Kühe von der Weide in die Ställe treibt,
der Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit?

Meine Damen und Herren, wir wissen: Sie – und vor
allen Dingen wir – beantworten diese Fragen alle mit
Nein. Aber das müssen wir miteinander besprechen.
Wenn Sie etwas zur Erhaltung und Förderung der Tier-
gesundheit tun wollen, dann sollten Sie sich vielleicht
einmal an dem orientieren, was wir Ihnen vorgeschlagen
haben. Wir haben Ihnen wirksame Maßnahmen zur Be-
kämpfung des Antibiotikamissbrauchs vorgeschlagen.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Wo denn?)


Sie haben abgelehnt. Wir haben Ihnen ein Tierschutzge-
setz vorgelegt, das für den Tierschutz und nicht für die
Agrarlobby geschrieben wurde wie Ihres.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben abgelehnt. Wir haben Vorschläge eingebracht,
um die Massentierhaltung zu stoppen, etwa über das
Baugesetzbuch. Sie haben abgelehnt. Wir haben Ihnen
Anträge für bessere Haltungsbedingungen und für mehr
Tierschutz bei Tiertransporten vorgelegt. Sie haben ab-
gelehnt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du bist der Größte!)


Frau Aigner hat diese Woche nicht ohne Grund vom
Spiegel, einer nicht ganz unbedeutenden Zeitschrift, im
Münchhausen-Check für ihre Tierschutzpolitik die Note
„Fünf“ erhalten. Aber Sie von Schwarz-Gelb sind beim
Tierschutz nicht nur untätig, Sie sind auch noch zynisch.

Wir haben Minister Rösler gefragt, wie die Bundesre-
gierung denn damit umgeht, dass die Haltungsbedingun-
gen in den von der Bundesregierung mit Hermesbürg-
schaften geförderten Legehennenfabriken in der Ukraine
eklatant allen Bekundungen von Frau Aigners Charta für
Landwirtschaft widersprechen. Antwort Minister Rösler
– ich zitiere –:

Die Diskussionen zur Verbesserung des Tierschut-
zes in Deutschland im Rahmen der Charta für
Landwirtschaft und Verbraucher bezogen sich auf
die Bundesrepublik Deutschland sowie die Euro-
päische Union. Ausweislich der öffentlichen und
transparenten Diskussionen und der vielfältig ver-
öffentlichten Dokumente des Charta-Prozesses ging
es hierbei nicht um die Verbesserung des Tierschut-
zes in der Ukraine.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, das ist Ihre Politik. Zyni-
scher und kleinkarierter kann man bei einem so wichti-
gen Thema wie dem Tierschutz, glaube ich, nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es ist an der Zeit, dass Sie diese falsche Politik schleu-
nigst beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN! – Alois Gerig [CDU/CSU]: Was hatte das jetzt mit dem Gesetz zu tun?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531700

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Johannes

Röring das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1722531800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach

der Verabschiedung des Tierschutzgesetzes und am heu-
tigen Abend des Arzneimittelgesetzes folgt jetzt die
grundlegende Neufassung des Tiergesundheitsgesetzes.
Das ist für mich ein weiterer Schritt – sozusagen ein





Johannes Röring


(A) (C)



(D)(B)

Dreiklang – in der Frage: Wie können wir besser mit un-
seren Tieren umgehen? Es ist ein weiterer Schritt im
Sinne des Tierwohls und auch des Verbraucherschutzes
in Deutschland.

Ich kann nur ganz deutlich sagen: Gut, dass wir das zu
verantworten haben. Wir setzen auch auf die Praktiker
vor Ort, auf die guten Tierärzte, die uns da stark unter-
stützen, aber auch auf die Landwirte, die es gelernt ha-
ben, mit Tieren umzugehen. Deswegen sage ich noch
einmal: Gut, dass wir Verantwortung haben, dass wir
dieses Gesetz nach etwa 100 Jahren seines Bestehens
weiterentwickeln.

Ich finde es gut, dass wir hier auch eine große Einig-
keit bis in die Oppositionsreihen hinein haben. Lieber
Kollege Priesmeier, ich wünschte mir, dass wir diese Ei-
nigkeit auch bei anderen Themen der Tierhaltung errei-
chen könnten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann müssen Sie sich aber inhaltlich bewegen! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wenn Sie was Vernünftiges vorlegen, sind wir dabei!)


Kollege Ostendorff hat das Thema komplett verfehlt.
Er kann im Grunde zwischen Krankheit und Seuche
nicht unterscheiden. Wir haben das alte Tierseuchenge-
setz in Tiergesundheitsgesetz umbenannt. Allein diese
Umbenennung zeigt, in welche Richtung das Ganze
geht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, in welche Richtung Politik gemacht wird!)


Ich finde, es ist ein toller Fortschritt, dass wir das ge-
macht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Warum ist das passiert? Das hat auch etwas mit der
Veränderung der Gesellschaft zu tun. Die Menschen sind
heutzutage wesentlich mobiler. Sie reisen in Länder, in
die sie früher nie gekommen wären, zum Beispiel nach
Osteuropa und Südamerika. Aktuell stellen wir Seuchen-
geschehen in Osteuropa, in der Ukraine und in Südruss-
land, fest. Die Afrikanische Schweinepest, aber auch die
Maul- und Klauenseuche in Rumänien und in Südame-
rika sind noch längst nicht bekämpft. Aufgrund der Mo-
bilität der Menschen sind auch die Krankheitserreger
mobil. Eine Wurst oder ein Butterbrot mit Wurst, die aus
den betreffenden Ländern mitgebracht wird und ir-
gendwo im Futtertrog unserer Tierbestände landet, kann
eine Seuche auslösen. Es gilt, diesen neuen Herausforde-
rungen zu begegnen. Das machen wir mit dem Tierge-
sundheitsgesetz. Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen auch die neuen Möglichkeiten der Dia-
gnostik, die in unseren wissenschaftlichen Instituten ent-
wickelt wurden und weltweit anerkannt sind, konsequent
nutzen. Aufgrund der neuen Diagnostikmethoden kön-
nen wir die Parole ausgeben: Keulen statt Impfen war
gestern. Notimpfen und anschließend Freitesten ist für
uns der bessere Weg. Die neuen Methoden werden wir
geballt zum Einsatz bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Gesetz ermöglicht des Weiteren die sogenannte
Kompartimentierung. Das heißt, wir können Seuchen
geografisch besser eingrenzen. Wenn also irgendwo in
Deutschland ein Seuchenfall auftritt, dann muss nicht
mehr der gesamte Handel Deutschlands mit anderen
Staaten gesperrt werden. Es ist sehr begrüßenswert, dass
das FLI die notwendigen Kompetenzen hat, um die Imp-
fungen nach vorne zu bringen, das Seuchengeschehen
auf ganz kleine Regionen zu begrenzen und Seuchen
ganz schnell auszumerzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Impfung ist auch in Zukunft das zentrale Element bei
der Tierseuchenbekämpfung und der Tierseuchenprä-
vention. Noch viel wichtiger ist der Schutz vor der Ein-
schleppung von Seuchen. Moderne Tierhaltungsbetriebe
sind heute in der Lage, durch geregelten Verkehr und ge-
regelte Einkäufe von Tieren aus bekannten Beständen,
mit denen partnerschaftlich zusammengearbeitet wird,
dafür zu sorgen, dass Tierseuchen erst gar nicht auftre-
ten. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist genau
richtig.

Das gesamte Parlament ist aufgerufen, in Zukunft in
allen Tierhaltungsfragen – dabei geht es letztlich um die
zentrale Frage, wie wir die Menschen in Deutschland
und darüber hinaus ernähren – genauso viel Einigkeit zu
erzielen wie – Gott sei Dank – über den vorliegenden
Gesetzentwurf. Ich habe mit Wohlwollen vernommen,
dass die Opposition den von uns eingeschlagenen Weg
mitgeht. Ich kann Sie alle nur aufrufen, diesem Gesetz-
entwurf zuzustimmen, genauso wie den anderen Geset-
zen, die jetzt im Hinblick auf die Tierhaltung in die
Wege geleitet werden. Ich bin sehr sicher: Wenn wir den
Praktikern vor Ort – in diesem Fall: den Tierärzten – und
den Wissenschaftlern, aber auch den Bäuerinnen und
Bauern Verantwortung überlassen und ihnen vertrauen,
dann wird sich zeigen, dass wir etwas Gutes für die deut-
schen Verbraucher und für unsere Gesellschaft insge-
samt erreicht haben.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722531900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Vorbeu-
gung vor und Bekämpfung von Tierseuchen.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12478, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12032 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Darf ich wissen, ob es bei der SPD
unterschiedliches Abstimmungsverhalten gibt?





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


(Zuruf von der FDP: Die meisten! – Iris Gleicke [SPD]: Nein!)


– Aha. Das waren dann andere gymnastische Übungen. –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Lesung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung, Ablehnung
und Enthaltung von Kolleginnen und Kollegen der SPD-
Fraktion sowie bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Notfonds für tierhaltende Betriebe einrich-
ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/10663, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 17/9580 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Stüber, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Neue Flusspolitik – Ein „Nationales Rah-
menkonzept für naturnahe Flusslandschaf-
ten“

– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Sabine Stüber, Ralph Lenkert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Umfassendes Elbekonzept erstellen

– Drucksachen 17/9192, 17/9160, 17/11063 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Ulrich Petzold
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Horst Meierhofer
Sabine Stüber
Dorothea Steiner

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Ich weise darauf hin, dass wir die Rede des Kollegen
Ingbert Liebing von der Unionsfraktion zu Protokoll
nehmen.1)

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff von der
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1722532000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde das sehr
traurig. Wir wissen: Wasser ist die Grundlage unseres
Lebens. Wir haben heute früh über die Privatisierung der
Wasserversorgung gesprochen. Jetzt meint die Regie-
rungskoalition, dass sie heute Abend ihre Reden zu Pro-
tokoll geben kann. Schade!


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Sie wissen, wie das gewesen ist!)


Wir reden dennoch.

Es gibt nichts Neues; wir machen das alles schon. Das
war die Kernaussage der Reden, die die Koalition zur
ersten Lesung der Anträge mit den Titeln „Neue Fluss-
politik – Ein ‚Nationales Rahmenkonzept für naturnahe
Flusslandschaften‘“ und „Umfassendes Elbekonzept er-
stellen“ zu Protokoll gegeben hat.

Vielleicht sind die Regierungsfraktionen davon aus-
gegangen, dass niemand liest, was sie abgeliefert haben.
Ich habe das aber gelesen. Zusammengefasst kann man
sagen, dass darin steht: Erstens. Rahmenkonzept? Dafür
gibt es doch die Wasserrahmenrichtlinie. Außerdem sind
nicht wir, sondern die Länder dafür zuständig. Zweitens.
Elbe-Konzept? Machen wir schon. Kommt schon. War-
ten Sie einmal ab! – Das waren die Aussagen, die ich
den Reden entnommen habe. Aber, meine Damen und
Herren, das überzeugt niemanden. Wo sind Ihre Kon-
zepte denn?

Die Wahrheit ist doch: Mit Ihrer Reform der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung haben Sie deutlich gezeigt,
dass Sie weder einen Ausgleich von Interessen noch eine
Zusammenarbeit mit den Regionen wollen. Fakt ist:
Ohne Rücksprache werden die Wasserstraßen neu kate-
gorisiert. Fakt ist: Ohne Rücksprache wird die Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung zerschlagen. Fakt ist: Ohne
Rücksprache ziehen Sie die Behörden aus der Fläche ab.

Jedoch hat der Kollege Liebing – er wurde eben
schon angesprochen; er hat seine Rede wieder zu Proto-
koll gegeben – in seiner ersten Rede zu diesem Thema
gesagt – ich zitiere –:

„Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein
ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entspre-
chend behandelt werden muss.“ Dieser Auszug aus
den Erwägungsgründen der Europäischen Wasser-
rahmenrichtlinie beschreibt die Überzeugung, aus
der heraus die Gemeinschaft ihre integrierte Ge-
wässerschutzpolitik entwickelt hat.

1) Anlage 19





Waltraud Wolff (Wolmirstedt)



(A) (C)



(D)(B)

Jetzt kommt es:

Dieser Überzeugung fühlen sich auch die Bundes-
regierung und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in
ihrem Handeln verpflichtet …

Ja, meine Güte, was soll ich denn da sagen? Wenn
dem so ist, dann machen Sie es doch einfach! Wer ist
denn für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie an
den Bundesgewässern zuständig? Natürlich die Wasser-
und Schifffahrtsverwaltungen, die Sie gerade mit Ihrer
Reform beerdigt haben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt ja nicht! – Gabriele Groneberg [SPD]: Eine Beerdigung erster Klasse war das!)


Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
zeigt mehr als deutlich: Sie haben überhaupt kein Kon-
zept. Was allerdings überfällig und ausgesprochen nötig
gebraucht wird, ist ein neues integriertes Konzept, das
sowohl Naturschutz, die Binnenschifffahrt als auch die
Interessen der Regionen berücksichtigt. Das kann der
Bund nicht allein bewerkstelligen.

Um den Erhalt der noch intakten Gewässer und Auen
zu fördern, muss es einfach eine Zusammenarbeit mit
den Ländern geben, allein schon, weil die Finanzierung
zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist: Der Bund ist
zuständig für die Maßnahmen zum Erhalt der Schiffbar-
keit, und die Länder sind zuständig für den Hochwasser-
schutz und für ökologische Maßnahmen; das wissen wir
alle. Es geht hier also um eine Querschnittsaufgabe; des-
halb sind die enge Zusammenarbeit und die Koordinie-
rung so wichtig.

Alle Beteiligten, meine Damen und Herren, müssen
sich um die vielen Einzelfragen kümmern, wie zum Bei-
spiel eine Binnenschifffahrt, die stärker an die Flüsse an-
gepasst werden muss, oder eine Landwirtschaft, die die
Rückhaltefunktion der Böden erhält, oder aber auch die
Rückverlegung von Deichen. Die Lösungen können nur
vor Ort gefunden werden, nicht am grünen Tisch. Sie
aber ziehen die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung aus
den Regionen ab.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt nicht!)


Mit einer solchen Gesetzgebung verabschieden Sie sich
auch aus dem Dialog mit der Bevölkerung. Das finde
ich, ehrlich gesagt, fatal.


(Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig, Frau Kollegin!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein nationales Rah-
menkonzept ist mehr als notwendig. Der Antrag der Lin-
ken geht zweifellos in die richtige Richtung. Wir lehnen
ihn jedoch trotzdem ab, weil wir in Bezug auf die Was-
ser- und Schifffahrtsverwaltung ein Moratorium für lau-
fende Ausbaumaßnahmen nicht richtig finden.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Richtig! – Gustav Herzog [SPD]: So ist es!)


Aber richtig und sehr sinnvoll finden wir auch den
Antrag zu Ihrem Elbe-Konzept. Wir als SPD haben um-
fassende Gespräche gesucht: in den Ländern, mit den
Verbänden, mit den Anwohnern. Ich darf aus persön-
licher Befindlichkeit sagen: Durch meinen Wahlkreis
zieht sich die Elbe in Gänze, und darum ist es mir ein
ganz persönliches Anliegen, die ökologische Funktion
der Elbe zu verbessern. Ich weiß noch, wie die Elbe aus-
sah, als ich Kind war, und ich bin froh darüber, wie es
heute ist. Daran wollen wir weiter arbeiten.

Dennoch bin ich dafür, die Schiffbarkeit zu gewähr-
leisten. Früher unter Rot-Grün haben wir immer gesagt
– das weiß ich noch ganz genau –: Wir wollen weg von
der Straße hin zu Schiene und Wasser. Meine Damen
und Herren, dazu stehe ich auch heute noch – doppeltes
Ausrufezeichen!

Wie schaffen wir, ein Sowohl-als-auch gut hinzube-
kommen?

Erstens. Wir als SPD setzen auf einen öffentlichen
Dialog und auf frühzeitige Bürgerbeteiligungsverfahren,
die nicht auf die Fragen der Umweltverträglichkeit redu-
ziert sind, sondern alle Aspekte der Planung umfassen.

Zweitens. Wir setzen darauf, dass die Öffentlichkeit
bei der Festlegung der Planungsziele und bei möglichen
Änderungen von Anfang an dabei ist. Dazu schlagen wir
als SPD einen Elbe-Rat vor, in dem Vertreter des Natur-
schutzes und der Binnenschifffahrt sind. Nur auf diese
Weise kann man Stück für Stück zu einem tragfähigen
Konzept kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel, den guten
ökologischen Zustand der Elbe gemäß Wasserrahmen-
richtlinie zu erreichen, hat dabei natürlich Priorität. Ich
sage: Es ist möglich, mit ökologisch optimierten Buhnen
und Leitwerken vielfältigere Gewässerstrukturen zu
schaffen und gleichzeitig die Schiffbarkeit zu verbes-
sern. Allerdings muss dabei klar sein: Es wird keine Ein-
griffe ohne ökologische Verbesserung geben. Unter die-
ser Prämisse kann man ganz einfach sagen: Der Schutz
der Elbe als Naturraum und ihre wirtschaftliche Nutzung
als Bundeswasserstraße schließen sich nicht aus. Dazu
steht die SPD.

Diese Grundaussage und viele unserer Forderungen
finde ich auch im Antrag der Linken wieder. Deshalb un-
terstützen wir diesen Antrag und lehnen die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses ab.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722532100

Die Rede des Kollegen Horst Meierhofer für die

FDP-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)

Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Frak-
tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


1) Anlage 19






(A) (C)



(D)(B)


Sabine Stüber (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722532200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Mir geht es heute um zwei Dinge: generell um
das Rahmenkonzept für eine neue Flusspolitik in unse-
rem Land und speziell um die Elbe. Sauberes Wasser
brauchen wir für alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche.
Deshalb muss es als Ressource in ausreichender Menge
und guter Qualität erhalten werden. Und das will die EU
mit ihren Wassergesetzen sicherstellen.

Damit wir einen guten chemischen und ökologischen
Zustand unserer Gewässer erreichen, müssen wir vor al-
lem im Umgang mit den Flüssen etwas ändern. Das ist
seit Jahren Konsens in diesem Hause. Nur, was verän-
dern? Da gibt es Unterschiede in den Auffassungen. Die
Linke sagt: Wir betrachten Flüsse in ihrer Gesamtheit
und wollen sie naturnah entwickeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Gegenwärtig ist der Zustand der Gewässer schlecht.
Obwohl Deutschland bei der Abwasserreinigung techno-
logisch viel erreicht hat, ist das ökologische Gleichge-
wicht der Flüsse aus der Balance; denn sie werden nach
wie vor begradigt, vertieft, umverlegt und aufgestaut.
Dabei gehen Überflutungsflächen und Auen verloren,
während im Gegenzug die Hochwassergefahr steigt und
die Artenvielfalt abnimmt.

Durch eine konsequente Umsetzung der Wasserrah-
menrichtlinie kann diese Entwicklung aufgehalten wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist Aufgabe der Bundesregierung. In der letzten De-
batte war dazu aus der Koalition zu hören, dass die Ge-
setze auf Bundesebene in Kraft gesetzt sind und ansons-
ten Gewässerschutz Ländersache ist. Die Landes- und
Bundesgesetze wirken aber nicht so zusammen wie er-
wartet. Die Schnittstellen passen nicht. Und da sind wir
wieder bei der Verantwortung der Bundesregierung.

Ich will jetzt nicht alle Versäumnisse auflisten. Es
geht vielmehr darum, eine ökologische Flusspolitik auf
den Weg zu bringen. Unser Antrag für ein nationales
Rahmenkonzept naturnaher Flusslandschaften ist eine
Grundlage, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Da-
rüber, was alles in ein solches Konzept gehört, kann man
geteilter Meinung sein und durchaus konstruktiv strei-
ten. Deshalb meine Bitte an die Koalition: Halten Sie
sich nicht weiter an Formalien fest!

Es gibt viele konkurrierende Interessen an den Flüs-
sen: Binnenschifffahrt, Tourismus, Natur- und Hochwas-
serschutz, Fischerei, Landwirtschaft bis hin zu Industrie
und Energiegewinnung. Die Elbe ist dafür ein beredtes
Beispiel. Sie ist über Hunderte Kilometer durch natürli-
che Flussdynamik und Auenlandschaft geprägt. Seit
Jahrzehnten setzen sich Menschen dafür ein, dass dieser
einzigartige Lebensraum erhalten bleibt,


(Beifall bei der LINKEN)


oft im Konflikt mit Wirtschaftsinteressen.

Wie sieht es zurzeit aus? Laut Spiegel soll der Ausbau
von Mittel- und Oberelbe vom Tisch sein. Die Unterelbe

soll weiter ausgebaggert werden, damit auch Schiffe bis
14,5 Meter Tiefgang den Hamburger Hafen anlaufen
können. Dagegen haben allerdings Umweltverbände,
Elbefischer und Obstbauern aus dem Alten Land geklagt
und so die weitere Vertiefung der Fahrrinne vorerst ge-
stoppt.


(Beifall bei der LINKEN)


Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Die Linke fordert klipp und klar ein umfassendes
Konzept für eine naturnahe Elbe.


(Beifall bei der LINKEN)


Flüsse sind wertvolle Lebensräume. Sorgen wir dafür,
dass sie uns erhalten bleiben!

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722532300

Die Kollegin Dorothea Steiner hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722532400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

grüßen es, dass wir am späten Abend noch die Chance
haben, über ein wichtiges Thema zu sprechen, das in der
Regel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt: Flusspolitik im
Allgemeinen und der Elberaum im Besonderen. Dafür
vielen Dank!

Auch wir Grüne haben in dieser Legislaturperiode
schon entsprechende Anträge vorgelegt, unsere Ideen für
eine Entwicklung des Elberaumes skizziert und darüber
relativ breit mit der Bevölkerung und den Anrainern dis-
kutiert. Bei der Bundesregierung hingegen: Fehlanzeige!
Die Bundesregierung hat 2009 ein umfassendes Elbe-
konzept angekündigt und will schon jetzt, 2013, ihre
Vorstellungen dazu öffentlich diskutieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Am Abend werden die Faulen fleißig!)


Das ist leider etwas spät, um parteiübergreifend ein gu-
tes Konzept für einen zukunftsfähigen Elberaum entwi-
ckeln zu können.


(Beifall des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das wird wohl eher eine Aufgabe für die nächste Bun-
desregierung sein, die dann – hoffentlich in einer ande-
ren Zusammensetzung – ein Elbekonzept entwickelt, das
nicht nur der Bevölkerung, der Natur und der Elbe nützt,
sondern auch der ganzen Elberegion Entwicklungschancen
bietet.

Dem Antrag der Linken mit dem Titel „Umfassendes
Elbekonzept erstellen“, der sich auf die mittlere Elbe be-
zieht, können wir klar zustimmen. Er greift viele Punkte
auf, deren Umsetzung unserer Meinung nach notwendig
ist. Das mag auch ein bisschen damit zusammenhängen,
dass wir, die Grünen, eine hohe Übereinstimmung mit
unserem schon erwähnten eigenen Antrag mit dem Titel





Dorothea Steiner


(A) (C)



(D)(B)

„Elberaum entwickeln – Nachhaltig, zukunftsfähig und
naturverträglich“ erkennen können. Er zeigt, wie man
Naturschutz- und Tourismuspolitik mit Arbeitsmarkt-
politik verbindet. Bedauerlicherweise wurde unser An-
trag von den Regierungsfraktionen abgelehnt.

Wir Grünen sagen: Es ist zwingend notwendig, sämt-
liche Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen an der Elbe
hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Natur und Umwelt
zu prüfen.


(Gustav Herzog [SPD]: Das machen wir die ganze Zeit schon!)


Wir fordern die Bundesregierung auf, den kompletten
Elbeausbau nicht nur in Sonntagsreden abzulehnen, son-
dern auch alltags damit aufzuhören, sinnlose, ökologisch
schädliche Ausbaumaßnahmen zu ergreifen, die als Un-
terhaltung getarnt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Unsinn!)


Die Bundesregierung scheut die Auseinandersetzung da-
rüber, welche Schifffahrt verträglich und auf der mittle-
ren Elbe möglich ist. Es geht auch nicht an, dass Sie wei-
terhin auf das Prinzip „Unterhaltungsmaßnahmen um
jeden Preis“ setzen, gleich welche ökologischen Folgen
dies für die Elbe, das Grundwasser und die Absenkung
des Grundwassers hat. Wir hoffen dennoch, dass die
vielbeschworene Konferenz der Bundesregierung zur
Flusspolitik, die in der nächsten Woche stattfindet, keine
reine Showveranstaltung wird, sondern Sie endlich ein-
mal eine echte Diskussion und eine Abwägung zwischen
ökologischen und wirtschaftlichen Ansprüchen insbe-
sondere an die Elbe eröffnen.

Der zweite Antrag der Linksfraktion zum Thema
Flusslandschaften benennt sicherlich viele wichtige Ziele
einer guten Flusspolitik. Aber er bleibt bei der Benen-
nung und Aufzählung dieser Ziele stecken; er bleibt im
Allgemeinen, wo schon lange Konkretisierung erforder-
lich ist.

Werte Kollegin von der Linken, das Rad in der Fluss-
politik muss nicht mehr neu erfunden werden. Wir müs-
sen uns wichtige Punkte vorknöpfen, um die notwendi-
gen Verbesserungen für die Qualität der Flüsse zu
erreichen. Im Mittelpunkt einer aktiven Flusspolitik
– das wissen wir alle; in Sonntagsreden wird es auch be-
schworen – steht eine umfassende Umsetzung der Was-
serrahmenrichtlinie und ein konsequenter, vorbeugender
Hochwasserschutz. Dazu brauchen wir ein wirksames
Auenprogramm – jetzt endlich einmal –, Auenrenaturie-
rung und Deichrückverlegungen an ausgewählten Flüs-
sen. Das müssen wir vorantreiben.

Wir müssen einen zweiten Punkt thematisieren: Stoff-
einträge in die Flüsse, beispielsweise durch die Land-
wirtschaft. Auch das gehört ins Zentrum der Diskussion
über eine moderne Flusspolitik. Wir Grüne diskutieren
das ebenfalls im Zusammenhang mit der Gülleproduk-
tion an den Flüssen und in der Nähe der Flüsse und der
Nitratbelastung des Grundwassers und der Flüsse. Das
ist der Punkt, wo sich die Flusspolitik mit der Agrar-

wende verbindet: weniger Gülleeintrag, weniger Grund-
wasserbelastung, weniger Wasserbelastung. Da können
wir nur sagen: Von mehr grüner Agrarwende werden
auch die Flüsse und Flusslandschaften profitieren, zum
Beispiel die Elbe, die Oder und die Ems.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722532500

Der Kollege Ulrich Petzold hat nun für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Uli, du hältst die Fahnen der Union hoch!)



Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1722532600

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr ge-

ehrten Damen und Herren! Eigentlich hatte ich vor, Ih-
nen ein bisschen mehr freie Zeit am Abend zu schenken.
Aber nachdem diese Reden gehalten worden sind, wie
sie gehalten worden sind, fühle ich mich doch verant-
wortlich, ein paar Worte dazu zu sagen.

Frau Steiner, erst einmal herzlichen Dank, dass Sie
wenigstens erwähnt haben, dass am Mittwoch die Elbe-
konferenz in Magdeburg stattfindet.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es nicht tun, ich mache es wenigstens!)


Es sind dort zwei Staatssekretäre der Bundesregierung
anwesend; sie werden dort sprechen. Ich glaube, ein biss-
chen was machen wir dann schon.


(Gustav Herzog [SPD]: Hat ja auch lange genug gedauert!)


Zum Elbekonzept, das hier von der SPD eingefordert
worden ist: Liebe Waltraud, es ist nun einmal so, dass
die Flussgebietskonferenz in Magdeburg Aussagen tref-
fen wird; das ist klar. Aber in der Flussgebietskonferenz
ist die Bundesregierung nicht allein vertreten. Da spielen
alle Bundesländer mit. Ich frage ganz besorgt, was denn
aus Niedersachsen kommen wird. Bis vor kurzem gab es
klare Aussagen aus Niedersachsen, was Niedersachsen
und wie Niedersachsen es haben will. Das alles ist jetzt
infrage gestellt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie meinen den Mann, der die Auenwälder abgeholzt hat?)


Liebe Freunde, so geht es natürlich nicht: Nun mal
schnell, wir verändern jetzt die Welt, und deswegen
muss alles neu werden. – Das geht nicht! Man muss auch
eine gewisse Verlässlichkeit zeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Elbe ist ein tausendjähriger Fluss.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der niedersächsische Umweltminister hat Auenwälder abgeholzt! Gut, dass damit Schluss ist!)






Ulrich Petzold


(A) (C)



(D)(B)

Es geht natürlich darum, dass man in der Politik auch
Konsistenz benötigt, und die werden wir in der Elbe-
Konferenz durchsetzen. Das kann ich Ihnen sicher sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kollegin Steiner, Sie haben das Hochwasser-
schutzgesetz angesprochen. Das ist mit Herrn Trittin
grandios gescheitert.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Ich wage nur, mich ganz vorsichtig daran zu erinnern.
Das sollten Sie nicht in irgendeiner Form als Großtat der
Grünen erwähnen. Das ist es nicht.

Liebe Kollegin Stüber, zu den Differenzen mit der
EU. Die Differenzen mit der EU liegen nicht darin be-
gründet, dass die Elbe oder irgendein Fluss in Deutsch-
land irgendwie verseucht wäre oder durch Umweltein-
flüsse in sehr schlechtem Zustand wäre. Da geht es um
eine ganz einfache rechtliche Frage. Es geht um die
Frage der Wasserdienstleistung. Es geht in diesem Zu-
sammenhang zum Beispiel darum, ob die Nutzung des
Wassers von Flüssen und Bächen für Kleinwasserkraft-
anlagen und Wasserkraftanlagen eine Wasserdienstleis-
tung ist, die mit Gebühren beaufschlagt werden kann.
Darüber streitet sich die Bundesrepublik im Auftrag von
elf europäischen Ländern mit der Europäischen Union.
Das kann man in einem solchen Antrag nicht einfach der
Bundesregierung zuschustern. Das funktioniert nicht.
Ein bisschen klarer und besser muss man sich schon in-
formiert haben.

Deswegen sage ich klar und deutlich: Flussgebietspo-
litik ist etwas anderes als die Vorlage solcher Anträge.
Zu dem Antrag eines Elbekonzeptes habe ich in meiner
ersten Rede schon einiges gesagt. Wissen Sie, es hat
mich dann schon erstaunt, dass Sie diesen Antrag nicht
wenigstens ein bisschen verändert haben. Man kann zwi-
schen der ersten und zweiten Beratung eines solchen An-
trages ein paar Veränderungen vornehmen; aber in einem
Antrag einfach weiterhin falsche Sachen zu behaupten,
das funktioniert nicht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich?)


Die Elbe als frei fließender Fluss? Na, prima! Die Elbe
ist ein Fluss, der bis zum 11. Jahrhundert – –


(Ulrich Kelber [SPD]: Was wollen Sie als Mehrheit?)


– Sie werden im Zuge der Elbe-Konferenz erfahren, was
wir vorhaben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was Sie wollen! Hier ist Plenumsdebatte! Sagen Sie doch, was Sie wollen! Das ist ätzend! Gestohlene Lebenszeit!)


– Meine Aussage ist klar und deutlich. In meinem Wahl-
kreis liegt das Biosphärenreservat Mittelelbe. Wir haben
gemeinsam mit dem Biosphärenreservat Mittelelbe klare
Vorgaben für Baumaßnahmen an der Elbe festgelegt.

Dazu gehört zum Beispiel auch der Bau von Sohlschwel-
len im Bereich Dessau-Wörlitz. Wenn Sie aber den Bau
von Sohlschwellen sofort als Steinigung der Elbe diffa-
mieren


(Gustav Herzog [SPD]: Wer? Wir nicht!)


– Sie! –, dann sorgen Sie dafür,


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ich glaube, die Elbe kann man gar nicht steinigen! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie lesen ja gar nicht, was wir aufschreiben! Wer bereitet denn Ihre Rede vor?)


dass die Eintiefung der Elbe fortschreitet und dass die
Auenwälder bei Dessau-Wörlitz trockenfallen. Das ist
die Situation. Wir stehen dazu in Differenz. Wir wollen,
dass die Auenwälder auch weiterhin erhalten werden.
Dafür sind ökologische Maßnahmen notwendig.

Liebe Freunde, im Bereich Dömitz/Hitzacker geht es
darum, ein paar Buhnen zu versetzen


(Gustav Herzog [SPD]: Nein! Nein! Es ist schon etwas mehr!)


– das ist aber das Wesentliche –, um dafür zu sorgen,
dass sich die Sandbänke an bestimmten Stellen nicht ab-
lagern.


(Gustav Herzog [SPD]: Richtig!)


Um Gottes willen, warum soll man nicht darüber spre-
chen können? Weswegen ist es sakrosankt, darüber zu
sprechen? Das kann so nicht funktionieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie eigentlich gelesen, was wir beantragen?)


– Sie haben gar nichts beantragt. Ihren Antrag kenne ich
nicht; das ist das Problem.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja! Sie kennen unsere Position nicht! Das ist Ihr Problem!)


Einen Antrag der Grünen und der Linken habe ich gele-
sen, aber einen SPD-Antrag, der sich mit diesem Thema
befasst, definitiv nicht.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist ja sehr schade! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden völlig ins Blaue hinein, Herr Kollege!)


Lieber Herr Kelber, die Situation ist nun einmal: Sie
greifen Kampfbegriffe auf, Sie arbeiten mit Schlagwör-
tern, wir arbeiten in der Realität.


(Ulrich Kelber [SPD]: Auch wenn wir nicht wissen, was Realität ist!)


Wir sorgen dafür, dass die Elbe ökologisch weiterhin in
Ordnung bleibt, dass die Elbe weiterhin schiffbar bleibt
und dass wir weiterhin in unserem Land vernünftig leben
können. Das ist der Hintergrund.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen für die Konferenz. Frau Staatssekretärin,
Herr Staatssekretär, wir freuen uns auf Ihre Ausführun-





Ulrich Petzold


(A) (C)



(D)(B)

gen und sind gespannt, was von den Ländern im Einzel-
nen kommen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie wissen nicht, was dabei herauskommt! Aber Sie sind schon mal dafür!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722532700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/11063. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/9192 mit dem Titel „Neue
Flusspolitik – Ein ‚Nationales Rahmenkonzept für natur-
nahe Flusslandschaften‘“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9160 mit dem Ti-
tel „Umfassendes Elbekonzept erstellen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Beruf der Notfallsanitäterin und des
Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer
Vorschriften
– Drucksache 17/11689 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksache 17/12524 –

Berichterstattung:
Abgeordnte Kathrin Vogler

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12524, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/11689 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Opposition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola
von Cramon-Taubadel, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusammenarbeit mit China intensivieren –
China-Kompetenzen in Deutschland ausbauen

– Drucksache 17/11202 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Die Reden nehmen wir zu Protokoll.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11202 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Soldatengesetzes

– Drucksache 17/12059 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehn-
ten Gesetzes zur Änderung des Soldatengeset-
zes

– Drucksache 17/12353 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 17/12498 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Fritz Rudolf Körper
Burkhardt Müller-Sönksen
Harald Koch
Agnes Brugger

Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.3)

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes. Der
Verteidigungsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12498, den

1) Anlage 20
2) Anlage 21
3) Anlage 22





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP auf Drucksache 17/12059 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/12353 zur Änderung des
Soldatengesetzes für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ein-
stimmig angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteili-
gung und Vereinheitlichung von Planfeststel-
lungsverfahren (PlVereinhG)


– Drucksache 17/9666 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/12525 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Kirsten Lühmann
Manuel Höferlin
Frank Tempel
Wolfgang Wieland

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Sie sind damit einverstanden.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12525, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/9666 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/12549. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth

(Esslingen), Lothar Binding (Heidelberg),

Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Undine Kurth

(Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte indigener Völker stärken – ILO-Kon-
vention 169 ratifizieren

– Drucksachen 17/5915, 17/11209 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Karin Roth (Esslingen)

Helga Daub
Niema Movassat
Thilo Hoppe

Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11209, den Antrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5915
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak-
tionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches
sowie anderer Vorschriften

– Drucksache 17/11818 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und

1) Anlage 23 2) Anlage 24





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vor-
schriften

– Drucksache 17/12299 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12527 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Karin Binder
Friedrich Ostendorff

Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD und der Fraktion Die Linke vor.

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1722532800

Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung

schützt die Verbraucher nicht wirksam vor Lebensmit-
telskandalen. Das schreibt die SPD in ihrem Entschlie-
ßungsantrag zum Gesetzentwurf zur Änderung des Le-
bens- und Futtermittelgesetzbuches, welchen wir heute
beschließen werden. Glauben Sie wirklich, was Sie da
in Ihrem Antrag schreiben? Oder ist es wie bei den
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass man
sich bei Skandalen oder vermeintlichen Skandalen
heimlich die Hände reibt und auf den Rücken von Ver-
braucherinnen und Verbrauchern Wahlkampf betreibt?
Nein, ehrlich ist das nicht, was Sie da treiben. Ich
werde Ihnen das gleich verdeutlichen.

Wir werden heute den Gesetzentwurf zur Änderung
des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches beschlie-
ßen. Das LFGB ist Sinnbild für die Politik der christ-
lich-liberalen Koalition: Wir arbeiten sachorientiert;
wir arbeiten gründlich, und wir arbeiten schnell.

Die Novelle des LFGB wird dazu beitragen, dass
Behörden im Falle von Lebensmittelkrisen – wie zum
Beispiel der Ehec-Krise – oder im Falle von Täu-
schungen der Verbraucher bei Lebensmitteln schneller
und zielgerichteter reagieren können.

Wir werden mit dem LFGB drei Punkte regeln: Zu-
nächst schließen wir mit der Versicherungspflicht für
Mischfuttermittelunternehmen den letzten Punkt des
Dioxinaktionsplans ab. Darüber hinaus werden wir in
Konsequenz auf die Ehec-Krise das Krisen- und Infor-
mationsmanagement zwischen Bund und Ländern ver-
bessern. Und schließlich werden wir als Reaktion auf
die Pferdefleischtäuschungen die Vorschriften zur In-
formation der Öffentlichkeit noch einmal verschärfen.

Lassen Sie mich kurz auf diese drei Sachverhalte
eingehen.

Der aktuelle Pferdefleischskandal hat gezeigt, dass
Länderbehörden Probleme haben, die Verschärfung
der behördlichen Auskunftspflicht bei Täuschungen zu

vollziehen. Deshalb werden wir die Vorschrift noch
einmal anpassen.

Gern möchte ich die rot-grüne Opposition auf ei-
nige Tatsachen aufmerksam machen, die sie der Öf-
fentlichkeit gern verschweigt: Die schwächste Form
der Informationsverpflichtung durch die Behörden bei
vermuteter Täuschung wurde unter Rot-Grün einge-
führt. Damals konnten die Behörden laut LFGB infor-
mieren. Verschärft wurde diese Vorschrift, nachdem
die Union in der Großen Koalition das Agrarministe-
rium übernommen hatte. 2007 wurde aus dem
„konnte“ ein „sollte“. Und die christlich-liberale Ko-
alition hatte dann im vergangenen Jahr aus der Soll-
eine Muss-Vorschrift gemacht. Wer tut hier also was
für den Verbraucherschutz? Doch es ist wie immer:
Rot-Grün tut so als ob, und viele Medien plappern
ohne gründliche Recherche nach.

Die christlich-liberale Koalition hat hier schnellst-
möglich zum Schutz der Verbraucher gehandelt. Wer
anderes behauptet, sollte einmal in sich gehen.

Das kann ich übrigens auch einmal den Ländern
empfehlen. Wenn ich an die Rede der Hamburger
Verbraucherschutzsenatorin vergangene Woche bei
uns im Plenum denke, kommt mir nur das Wort „Glas-
haus“ in den Sinn. In dem sollte man ja bekanntlich
vorsichtig mit Wurfgeschossen umgehen. Ich empfehle
den Ländern, sich einmal intensiv mit der Qualität und
der Quantität ihrer Lebensmittelkontrolle auseinan-
derzusetzen. Hier liegen große Aufgaben vor ihnen.
Und dabei meine ich nicht die Qualität der Lebensmit-
telkontrolleure – die machen nämlich einen tollen Job.

Also noch einmal: Die Opposition kann gern ande-
res behaupten – Ministerin Aigner und die Koalition
haben schnell und gut im Sinne der Verbraucher re-
agiert.

Bleiben wir bei der Verbraucherinformation: Sie er-
innern sich nur zu gut an die dramatischen Wochen der
Ehec-Krise im Jahr 2011. Dem Ehec-Ausbruch waren
53 Personen zum Opfer gefallen. In der Krise hat sich
gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern, aber auch zwischen den Bundesländern ver-
bessert werden muss.

Im Herbst 2012 haben der Bund und die Verbrau-
cherschutzminister der Länder hierzu eine Vereinba-
rung getroffen, die wir jetzt im LFGB umsetzen. Im
Mittelpunkt steht dabei der schnelle Datenaustausch
zwischen den beteiligten Behörden auf Ebene des
Bundes und der Länder. Zudem schaffen wir gesetz-
liche Sicherheit für den Datenaustausch zwischen
Lebensmittelüberwachungs- und Gesundheitsbehör-
den. Damit greifen wir Anregungen aus dem Gutach-
ten des Bundesrechnungshofes zum gesundheitlichen
Verbraucherschutz auf.

Und schließlich werden wir den letzten Punkt des
Dioxinaktionsplanes umsetzen. Ministerin Aigner hat
in Reaktion auf die Dioxinfunde in Mischfuttermitteln
den Aktionsplan Verbraucherschutz in der Futter-





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)

mittelkette aufgestellt und zügig abgearbeitet. Der
letzte offene Punkt – die Versicherungspflicht für
Mischfuttermittelunternehmen – bedurfte intensiver
Beratungen. Wir haben jetzt im LFGB eine Pflichtver-
sicherung für Mischfuttermittelhersteller verankert,
die sich am Umfang der Produktion orientiert.

Damit hat der Landwirt, der von den Folgen ver-
unreinigter Futtermittel betroffen ist, künftig die Si-
cherheit, dass der Futtermittelhersteller ausreichend
versichert ist, um seiner Schadensersatzpflicht nach-
zukommen. Gleichzeitig können sich die Geschädigten
– anders als bisher – direkt an die Versicherung wen-
den, um Schadensersatz einzufordern. Damit besteht
im Falle einer Insolvenz des Schädigers der Versiche-
rungsschutz fort.

Sie sehen, die christlich-liberale Koalition arbeitet
schnell, gründlich und sachorientiert für den Verbrau-
cherschutz in der Lebensmittelkette. Deshalb bitte ich
Sie um Zustimmung zu der vorliegenden Änderung des
Lebens- und Futtermittelgesetzbuches.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1722532900

Diese Bundesregierung hat einmal mehr bewiesen,

dass sie nicht in der Lage ist, die Verbraucherinnen
und Verbraucher vor Lebensmittelskandalen zu schüt-
zen. Während wir noch fassungslos sind über die täg-
lich neuen Details hinsichtlich des Ausmaßes des Pfer-
defleischbetrugs, haben wir schon den nächsten groß
angelegten Betrugsfall: Eier von Legehennen, die ge-
setzeswidrig auf engstem Raum gehalten wurden, die
teilweise sogar als Bioeier verkauft wurden. Es geht
dabei um Betrug sowie Verstöße gegen das Lebensmit-
tel- und das Ökolandbaugesetz. Womöglich haben die
Betriebe auch Tierschutzvorschriften und Umweltge-
setze missachtet.

Doch sicherlich wird sich auch hier die Bundes-
regierung mit groß angekündigten Punkteplänen, wir-
kungslosen Einzelmaßnahmen und Prüfaufträgen von
Skandal zu Skandal hangeln. Verbraucherinnen und
Verbraucher ziehen den Kürzeren, und die schwarzen
Schafe in der Lebensmittelwirtschaft kommen unge-
schoren davon.

Jetzt will die Bundesregierung in Windeseile das Le-
bensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ändern – aller-
dings ohne die notwendigen Konsequenzen aus den
Lebensmittelskandalen zu ziehen. Das lehnen wir ab.
Mit der dort vorgesehenen Änderung des § 40 LFGB
wird nicht gewährleistet, dass Behörden über Falsch-
etikettierung und Täuschungsfälle informieren. Im Ge-
genteil: Behörden werden über Täuschungsfälle nicht
informieren, weil die Hürden zu hoch sind.

Aber: Wir sind es den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern schuldig, alle unsere Möglichkeiten zu nut-
zen, um die Verbraucherinformation, die Qualität der
Lebensmittelkette und die Lebensmittelüberwachung
zu verbessern und so das Risiko von weiteren Lebens-
mittelskandalen zu minimieren.

Wir brauchen eine grundsätzliche Offenlegung der
behördlichen Untersuchungsergebnisse. Transparenz
ist nicht nur im Hinblick auf gleiche Wettbewerbsbe-
dingungen für redliche Anbieter unverzichtbar und
soll den einzelnen Lebensmittel- und Futtermittelun-
ternehmer noch stärker und kontinuierlicher als bisher
dazu veranlassen, seinen Betrieb im Einklang mit den
lebensmittel- oder futtermittelrechtlichen Vorschriften
zu betreiben. Transparenz ist auch für die Demokratie
selbst konstitutiv. Das Vertrauen in die Funktionsfä-
higkeit des demokratischen Rechtstaats sinkt, wenn
Bürgerinnen und Bürger über Pferdefleischfunde in
Fertiggerichten und Dönerspießen nicht durch die Be-
hörden selbst informiert werden können, sondern auf
die teilweise lückenhaften Informationen der Anbieter
und Handelsketten angewiesen sind.

Wir brauchen die Rückverfolgbarkeit, um nicht ord-
nungsgemäße Produkte schnell aus der Kette zu holen,
Qualität zu gewährleisten und Betrüger zu entlarven.
Bisher dokumentieren viele Lebensmittelunternehmer
die Handelsströme lediglich eine Stufe vor und eine
Stufe zurück. Das erschwert die Arbeit der Lebensmit-
telkontrolleure und ermöglicht es Betrügern, die Her-
kunft von Lebensmitteln zu verschleiern. Die Unter-
nehmen stehen nach den Bestimmungen der EU-
Basisverordnung Lebensmittelrecht, VO-Nr. 178/2002,
jedoch in der Pflicht, Verfahren und Systeme zur stu-
fenübergreifenden Rückverfolgung bereitzustellen. Die
Wirtschaftsbeteiligten müssen sich gegenseitig kon-
trollieren, und Lebensmittel müssen lückenlos rückver-
folgbar sein, damit mangelhafte Produkte auf allen
Produktionsstufen schnell identifiziert und vom Markt
genommen werden können. Die Lieferkette muss für
die Kontrolleure transparent werden, und zwar nicht
nur über eine, sondern über alle Handelsstufen hin-
weg. Wir brauchen eine wirkliche Rückverfolgbarkeit.

Wir brauchen eine echte Herkunftskennzeichnung.
Noch letztes Jahr hat die Verbraucherministerin Ilse
Aigner auf EU-Ebene abgelehnt, sich für eine Her-
kunftskennzeichnung von verarbeiteten Lebensmitteln
und die Herkunft von Fleisch und Milchprodukten ein-
zusetzen. Wir begrüßen, dass genau dies im Nationalen
Aktionsplan nun vorgeschlagen wird.

Wir brauchen Klarheit auf einen Blick für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher über den Hygiene-
zustand in Restaurants und sämtlichen Lebensmittel-
betrieben. Wir brauchen die Hygieneampel. Der
Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält keinen
Vorschlag zur Einführung eines Restaurantbarometers
zur Kennzeichnung der Betriebshygiene mit Ampelfar-
ben. Die zuständige Bundesministerin bleibt uns wei-
terhin einen Vorschlag für eine bundeseinheitliche Re-
gelung schuldig. Damit ignoriert sie die Beschlüsse
der 8. Verbraucherschutzministerkonferenz und die
Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches.

Wir brauchen den Hinweisgeberschutz. Wenn Le-
bensmittelskandale von Mitarbeiterinnen und Mitar-
Zu Protokoll gegebene Reden





Elvira Drobinski-Weiß


(A) (C)



(D)(B)

beitern aufgedeckt werden, gehören diese unter den
Schutz der Rechtsordnung. Dazu genügt es nicht, wenn
der damalige Bundesminister Horst Seehofer einen
Hinweisgeber, der den Gammelfleischskandal aufge-
deckt hat, mit der Professor-Niklas-Medaille des Bun-
desverbraucherministeriums auszeichnet. Hinweisge-
ber müssen gesetzlich vor Kündigung und anderen
Nachteilen geschützt werden. Ein Gesetzentwurf der
SPD-Bundestagsfraktion für ein Hinweisgeberschutz-
gesetz, Bundestagsdrucksache 17/8567, liegt vor und
befindet sich im parlamentarischen Verfahren.

Wir brauchen harte Strafen für Betrüger. Lug und
Trug darf sich nicht lohnen. Die Sanktionen im Le-
bensmittel- und Futtermittelrecht müssen verschärft
werden. Das Strafrecht bietet schon jetzt die Möglich-
keit, die durch Verbrauchertäuschung erzielten Ge-
winne der Lebensmittelindustrie abzuschöpfen. Da-
rüber hinaus sind Vorschläge zu prüfen, abgeschöpfte
Unrechtsgewinne für die Verbraucherarbeit zu ver-
wenden.

Wir müssen die Lebensmittelunternehmer in die
Pflicht nehmen. Sowohl hinsichtlich der Anforderun-
gen an die Eigenkontrollsysteme als auch im Hinblick
auf Täuschung und Irreführung sind Unternehmen zur
sofortigen Information zu verpflichten.

Wir müssen die Grundlagen schaffen für eine bes-
sere und effizientere Lebensmittelüberwachung. Dabei
muss auch die Finanzierung überdacht werden: Wa-
rum bürden wir die Kosten für die amtliche Überprü-
fung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben den
Steuerzahlern auf? Im rot-grünen Koalitionsvertrag in
Niedersachsen wurde vereinbart, auch für Regelkon-
trollen der Lebensmittelüberwachung kostendeckende
Gebühren zu erheben, um dadurch die finanzielle Ba-
sis für eine schlagkräftige Lebensmittel- und Futter-
mittelaufsicht zu verbessern.

Die Verbesserung der Schlagkraft der Lebensmittel-
und Futtermittelaufsicht tut dringend not; das sehen
wir bei jedem Lebensmittelskandal erneut. Die Unter-
nehmen an den Kosten zu beteiligen, sollte durchaus in
deren Interesse sein; denn je besser die Kontrollen,
umso schneller werden unseriöse Anbieter vom Markt
gedrückt.

Wir haben mit unserem Entschließungsantrag im
Ausschuss Vorschläge zur Änderung des LFGB ge-
macht, die wirklich Konsequenzen aus den Lebensmit-
telskandalen ziehen und die endlich mehr Transparenz
und Sicherheit bringen würden. Doch dazu sind CDU/
CSU und FDP nicht bereit. Der nächste Lebensmit-
telskandal kommt bestimmt, und ganz bestimmt auch
der nächste fruchtlose Aktionsplan dieser Bundes-
regierung. Die Leidtragenden bleiben die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1722533000

Die christlich-liberale Koalition schützt Verbrau-

cherinnen und Verbraucher vor Täuschungen im Le-
bensmittelbereich und handelt klug und entschlossen

im Sinne aller Betroffenen. Heute verabschieden wir
ein sehr gutes Gesetz. Die christlich-liberale Bundes-
regierung „löscht die Brände“ dort, wo sie auftreten,
und sorgt in Zukunft für Sicherheit und Transparenz.

Mit der Beratung am heutigen Tage setzen wir den
letzten Punkt unseres Aktionsplans „Unbedenkliche
Futtermittel, sichere Lebensmittel, Transparenz für
den Verbraucher“ um. Die schwarz-gelbe Bundes-
regierung hatte diesen im Nachgang zum Dioxin-
geschehen erarbeitet. Damals wurde bekannt, dass ein
Futtermittelunternehmen mit Dioxinen belastete In-
dustriefette für die Herstellung von Futtermitteln ver-
wendet hatte. Wir arbeiten den Aktionsplan konse-
quent ab und führen eine Versicherungspflicht für
Mischfuttermittelunternehmer ein, um zukünftig wirt-
schaftliche Schäden bei den Landwirten, die unwis-
sentlich belastete Futtermittel erhalten, zu verhindern.
Die Versicherungspflicht gilt für Futtermittelbetriebe,
die mindestens eine im Inland zugelassene oder regis-
trierte Mischfutteranlage haben. Sie müssen in Zukunft
dafür Sorge tragen, dass sie eine Versicherung ent-
sprechend ihrer Produktionsmenge abschließen. Diese
Versicherung deckt die Schäden ab, die durch die Ver-
fütterung eines von ihnen hergestellten Mischfuttermit-
tels entstehen, wenn es nicht den futtermittelrechtli-
chen Anforderungen entspricht. Wir sorgen dafür, dass
Geschädigte einen Schadensersatzanspruch künftig
auch gegen den Versicherer geltend machen können,
wenn der Mischfuttermittelunternehmer/Verursacher
in die Insolvenz geht oder nicht mehr greifbar ist.

Aus Anlass des aktuellen Pferdefleisch- und Hüh-
nereierskandals, bei dem mit kriminellem Tun die Ver-
braucherinnen und Verbraucher in arglistiger Weise
getäuscht wurden, haben wir eine weitere Verbesse-
rung des § 40 des LFGB, Lebensmittel- und Futtermit-
telgesetzbuch, vorgenommen. Hier haben wir sehr
schnell gehandelt und tragen damit dem öffentlichen
Informationsanspruch der Verbraucher Rechnung.

Durch die Erweiterung in § 40 Abs. 1 sollen die
Überwachungsbehörden der Länder die Hersteller
oder Inverkehrbringer falsch gekennzeichneter Pro-
dukte dann veröffentlichen, wenn der durch Tatsachen
begründete Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel ge-
gen den Täuschungsschutz verstoßen hat und somit
eine Täuschung am Verbraucher besteht. Wir schaffen
damit den Rahmen, den die Länder brauchen, um Pro-
dukt- und Herstellernamen zu nennen.

Bisher musste bei Gesundheitsgefahren oder schwe-
ren Hygienemängeln veröffentlicht werden. Heute sor-
gen wir dafür, dass Täuschungen bei Lebensmitteln
durch die zuständigen Lebensmittelbehörden der Län-
der, nach Abwägung der beteiligten Interessen, immer
veröffentlicht werden können. Damit ist eine schnelle
Information der Verbraucher gewährleistet.

Gerade beim Pferdefleischskandal hat die öffentli-
che Diskussion deutlich gemacht, dass die Belange der
Öffentlichkeit sehr hoch einzuschätzen sind. Die neue
Zu Protokoll gegebene Reden





Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)

Vorschrift der christlich-liberalen Koalition ist pra-
xistauglich und handhabbar in der Umsetzung.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722533100

Die Anzahl immer neuer Lebensmittelskandale führt

uns vor Augen, wie unwirksam die Maßnahmen von
Verbraucherministerin Ilse Aigner sind. Mit Glaub-
würdigkeit hat das nicht viel zu tun. Das zeigt auch der
aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmit-
tel- und Futtermittelgesetzbuches, des LFGB. Das Pa-
pier ignoriert völlig die Auswirkungen einer interna-
tional arbeitenden Lebensmittelindustrie und des
zunehmend globalisierten Lebensmittelhandels.

Schlimmer noch: Es greift nicht einmal die Vor-
schläge einer umfassenden Studie zur Neuordnung der
Lebensmittelaufsicht, die Frau Aigner höchstselbst in
Auftrag gegeben hatte, auf. Der Präsident des Bundes-
rechnungshofes, Beauftragter für das wirksame Han-
deln von Behörden, stellte erhebliche Mängel fest und
schlug eine Art Neustart für die Lebensmittelaufsicht
vor. Die Kernbotschaft: Der Bund hat das grundge-
setzliche Recht – nach meiner Auffassung auch die
Pflicht –, Kompetenzen an sich zu ziehen, wenn Län-
derstrukturen dafür nicht geeignet sind. Und eines
steht fest: Global agierende Lebensmittelkonzerne
können kaum von einer Landkreisebene her kontrolliert
werden.

Der europaweite Fund von Pferdefleisch in Rind-
fleischgerichten verdeutlicht einmal mehr, dass eine
Neuordnung der Lebensmittelsicherheit in Deutsch-
land dringend erforderlich ist. Man muss sich das vor
Augen führen: Nicht einmal die Hersteller wussten,
woher ihr Fleisch kam. Da wirken die Versprechen der
Branche nach Sicherheit und Qualität, nach Rückver-
folgbarkeit und Transparenz wie ein schlechter Witz.
Der bleibt den Verbraucherinnen und Verbrauchern
mit dem Bissen im Halse stecken.

Die Linke sagt: Mit Blick auf den weltweiten Handel
von Lebensmitteln ist die Lebensmittelkontrolle in
Deutschland mit ihrer zersplitterten Struktur und ihren
unzulänglichen Zuständigkeiten nicht mehr zeitgemäß.
Handeln Sie endlich, Frau Aigner!

Der Gesetzentwurf setzt ja nicht einmal die Be-
schlüsse der Verbraucherschutzministerkonferenz der
Länder von 2012 um. Dort wurde zum Beispiel drin-
gend Rechtssicherheit für die sogenannte Hygiene-
Ampel gefordert. Der Bundesrat forderte außerdem,
dass der Bund die Verantwortung für ein bundesweit
einheitliches System zur Information der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher über die Ergebnisse amtlicher
Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen in der Gast-
ronomie übernimmt. Die erforderlichen Rechtsgrund-
lagen zu schaffen, ist Aufgabe des Bundes. Mehrfach
belegten Gerichtsurteilte in den letzten Monaten, dass
für die Veröffentlichung von Hygienemängeln bei Le-
bensmittelbetrieben durch die Gemeinden die derzeiti-
gen Rechtsgrundlagen nicht ausreichen. Aber das
nennt Frau Aigner Verbraucherinformation. Die Linke
fordert: Frau Aigner, hören Sie endlich auf, die Le-

bensmittelindustrie vor den Verbraucherinnen und
Verbrauchern zu schützen!

Mit dem hier vorliegenden Entschließungsantrag
der Linksfraktion weisen wir auf die gröbsten Mängel
von Schwarz-Gelb hin und fordern:

Erstens. Das Gutachten „Organisation des gesund-
heitlichen Verbraucherschutzes – Schwerpunkt Le-
bensmittel“ des Bundesrechnungshofes muss Schritt
für Schritt umgesetzt werden. Bei herausgehobenen
Überwachungsaufgaben, zum Beispiel bei Lebensmit-
tel- und Futtermittelherstellern mit überregionalem
Markt, bei großen Handels- und Discounterketten für
Lebensmittel sowie bei Fastfoodketten ist dem Bund
die Zuständigkeit im Lebensmittel- und Futtermittelge-
setzbuch zuzuordnen.

Zweitens. Die von der 8. Verbraucherschutzminis-
terkonferenz am 14. September 2012 beschlossene und
vom Bundesrat geforderte Rechtsgrundlage zur Veröf-
fentlichung der Ergebnisse amtlicher Überwachungs-
und Kontrollmaßnahmen ist unverzüglich auf den Weg
zu bringen. Zudem ist ein bundeseinheitliches Modell
zur Transparentmachung der Kontrollergebnisse von
Lebensmittelunternehmen für die Verbraucherinnen
und Verbraucher zu schaffen. Denn eines ist klar: Mit
Aktionsplänen und Eigenlob ist den Lebensmittelskan-
dalen nicht beizukommen. Das Vertrauen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in die Politik muss durch
Taten zurückgewonnen werden. Frau Aigner, fangen
Sie endlich damit an!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Über zwei Jahre und ungezählte Zehn-Punkte-An-
kündigungspläne von Ministerin Aigner sind seit dem
Dioxinskandal 2010/2011 vergangen. Über zwei Jahre
haben Sie gebraucht, um einen so schlichten Punkt wie
die Versicherungspflicht für Futtermittelunternehmen
in Gesetzesform zu gießen und diesen Skandal halb-
wegs aufzuarbeiten. Das war notwendig und richtig.
Nur leider sind wir schon wieder diverse Skandale
weiter: Antibiotikamissbrauch, Pferdefleischskandal,
jetzt der Legehennenhaltungsskandal: Die Skandalka-
rawane ist längst weitergezogen, und Frau Aigner
läuft mit ihren Aktionsplänen hilflos hinterher.

Die Hektik, mit der Sie nun Schnellschüsse nachrei-
chen, hilft da auch nicht weiter. Sie schaffen beim
Thema Transparenz nur eine Sollregel mit zu viel
Raum für Interpretationen, die juristisch auf sehr
wackligen Füßen steht. Wir kennen das bereits vom
Fall der Verbraucherinformationen bei Hygienemän-
geln: Durch eine seit 2012 geltende Veränderung im
LFGB sollen die Behörden über Hygieneverstöße in-
formieren, zum Beispiel auf Internetseiten. Die Ge-
richte haben aber in verschiedenen Fällen die Veröf-
fentlichung untersagt. Das heißt, der Gesetzestext ist
nicht gerichtsfest, und daher kommt es nicht zu den ge-
wünschten Veröffentlichungen. So wird es leider auch
Ihrem heutigen Gesetzentwurf ergehen.
Zu Protokoll gegebene Reden





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

Frau Aigner, Sie kriegen die Sache einfach nicht in
den Griff. Sie versagen regelmäßig bei der Skandalbe-
kämpfung, weil Sie sich nicht an die Ursachen wagen
wollen. Mehr noch: Sie unterstützen eben jene Struktu-
ren, die uns einen Lebensmittelskandal nach dem an-
deren bescheren.

Sie fördern mit Ihrer Fleischexportstrategie aktiv
die Billigfleischproduktion in Deutschland. Sie wider-
setzen sich allen unseren Vorschlägen zur gesetzlichen
Eindämmung der Massentierhaltung in Deutschland,
etwa über das Baugesetzbuch.

Sie unterstützen die Massentierhaltung in Osteu-
ropa mit Hermesbürgschaften von weit über 100 Mil-
lionen Euro und bringen damit das internationale
Fleischkarussell erst richtig in Schwung.

Sie blockieren die Reform der Gemeinsamen Agrar-
politik und verhindern damit, dass endlich Klasse statt
Masse gefördert wird.

Sie fördern eine Agrarindustrie, die der Intranspa-
renz und dem Betrug Vorschub leistet, und wundern
sich, wenn Ihnen die Sache regelmäßig um die Ohren
fliegt. Denn die Lebensmittelskandale sind immer
Skandale der Agrarindustrie und oft der Futtermittel-
industrie. Immer sind es die industriellen Strukturen,
die in den Betrug verwickelt sind. Der eigentliche poli-
tische Skandal dahinter ist Ihre Politik für diese Agrar-
industrie und gegen die bäuerliche Landwirtschaft.
Das ist der Skandal dieser Bundesregierung. Das ist
Ihr Skandal, Frau Aigner.

Solange Sie die Agrarwende verhindern, wird die
Landwirtschaft nicht aus den Schlagzeilen verschwin-
den. Solange wir nicht zu einer grundsätzlich anderen
Ausrichtung der Agrarpolitik kommen, ist der nächste
Aktionsplan von Frau Aigner nur eine Frage der Zeit.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie
ernähren sich politisch immer noch von dem Märchen,
Sie seien die Partei der Bauern. In Wahrheit schadet
niemand den Bäuerinnen und Bauern mehr als CDU
und CSU.

Ich nenne nur ein Beispiel: 16 EU-Regierungschefs
haben bei den Verhandlungen zum mehrjährigen
Finanzrahmen in Brüssel vor wenigen Tagen Sonderzu-
schläge in der zweiten Säule erreicht: Italien 1,5 Mil-
liarden Euro extra, Frankreich 1 Milliarde Euro extra.
Deutschland: null Euro extra.

Bundeskanzlerin Merkel und Ministerin Aigner ste-
hen mit leeren Händen da. Dieses Ergebnis bedeutet
weitere heftige Kürzungen bei den Agrarumweltmaß-
nahmen und der ländlichen Entwicklung in Deutsch-
land. Das ist das Ergebnis einer Politik, die sich nur
für die Privilegien der Agrarindustrie interessiert und
die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft ver-
nachlässigt. Dieses Ergebnis ist das Resultat Ihrer
Politik, meine Damen und Herren.

Wir Grünen wollen eine andere Agrarpolitik. Eine
Agrarpolitik für die bäuerliche Landwirtschaft, die Le-
bensmittelskandale dieses Ausmaßes gar nicht erst

aufkommen lässt, anstatt ihnen immer nur hinterherzu-
laufen. Darauf wollen wir die Gemeinsame Agrarpoli-
tik ausrichten. Daran arbeiten unsere grünen Ministe-
rinnen und Minister in den Ländern. Und das wollen
wir nach der Bundestagswahl auch in der Bundespoli-
tik endlich wieder voranbringen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722533200

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-

nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12527, den Gesetzentwurf der Frak-
tionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
17/11818 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/12558. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abge-
lehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/12559. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh-
lungen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/12527 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/12299 für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist damit einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster,
Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Neue Struktur der Nationalen Anti Doping
Agentur schaffen

– Drucksachen 17/11320, 17/12237 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Martin Gerster
Dr. Lutz Knopek
Katrin Kunert
Viola von Cramon-Taubadel

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1722533300

Ziel der Nationalen Anti Doping Agentur, NADA, in

Bonn ist die Bekämpfung des Dopings in Deutschland.
Dieses Ziel verfolgt die NADA seit ihrer Gründung im
Jahr 2002 konsequent und nachdrücklich.

Der Besuch des Vorstandsvorsitzenden der US-ame-
rikanischen Nationalen Anti-Doping-Agentur, Travis
Tygart, im Sportausschuss des Deutschen Bundestages
hat gezeigt, dass sie diese Konsequenz und Nachdrück-
lichkeit nicht nur in Deutschland bekannt gemacht hat,
sondern dass sie auch weltweit für ihre Tätigkeit Aner-
kennung erhält.

Die hervorragende und äußerst wichtige Arbeit, die
die NADA unter ihren Vorständen, Dr. Andrea
Gotzmann und Dr. Lars Mortsiefer, mit den rund
30 Mitarbeitern täglich leistet, gilt es daher auch in
Zukunft weiter fortzuführen und zu unterstützen. Vo-
raussetzung hierfür ist aber, dass der NADA auch die
entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung ge-
stellt werden.

Bis heute ist nur der Bund seinen 2002 eingegange-
nen Verpflichtungen nachgekommen. Man muss sogar
an dieser Stelle sagen, dass er seine finanziellen Ver-
pflichtungen übererfüllt hat. Das müssen auch die Kol-
leginnen und Kollegen der Opposition anerkennen. Es
stammen mehr als 11 Millionen Euro des 13 Millionen
umfassenden Stiftungskapitals der NADA aus Bundes-
mitteln. Erst bei den kürzlich beendeten Haushaltsbe-
ratungen hat sich die christlich-liberale Koalition
erneut erfolgreich für einen Ausgleich einer Finanzie-
rungslücke der NADA von 1 Million Euro eingesetzt.

Leider kommen jedoch nicht alle Stakeholder ihren
2002 gegebenen Versprechungen bezüglich der finan-
ziellen Unterstützung nach. Die 16 Länder haben es
seit elf Jahren schlicht versäumt, durch Erbringung
des ihnen obliegenden Beitrags der Finanzierung der
NADA und dem Anti-Doping-Kampf in der Bundes-
republik Deutschland eine noch größere Schlagkräf-
tigkeit zu verleihen.

Sicherlich sind die Haushalte der Länder nicht prall
gefüllt. Im letzten Jahr hätten sie aber beispielsweise
die Chance gehabt, die Novellierung des Gesetzes zur
Besteuerung von Sportwetten für eine entsprechende
Finanzierung der NADA und damit eine Stärkung der
Integrität des Sports zu nutzen.

Aber auch die Wirtschaft mit Ausnahme der Firma
Adidas als weiterer „Stakeholder“ der NADA ist bis-
her ihren zugesagten Verpflichtungen nicht nachge-
kommen. Dies ist umso bedauerlicher, als doch gerade
Wirtschaftsunternehmen von einem sauberen und fai-
ren Sport in besonderem Maße profitieren. Daher

sollte es ihr ureigenstes Interesse sein, entsprechende
Kontrollmaßnahmen zu unterstützen.

Selbst wenn die von mir aufgezeigten Stakeholder ih-
ren finanziellen Verpflichtungen noch nicht oder bisher
nur teilweise nachgekommen sind, vermag mich eine
erneute Grundsatzdiskussion, so wie von der SPD-
Fraktion im vorgelegten Antrag gewünscht wird, nicht
zu überzeugen.

Für die NADA wurde im Jahr 2002 ganz bewusst
ein „Multi-Stakeholder-Modell“ zu ihrer Finanzie-
rung ausgewählt. Die verschiedenen gesellschaftli-
chen Bereiche der Wirtschaft, der Politik und des Sport
sollten unmittelbar in den Anti-Doping Kampf mit ein-
bezogen werden. Nur so kann sichergestellt werden,
dass die NADA unabhängig agiert und kontrolliert.
Gleichzeitig ist mit dem ausgewählten „Multi-Stake-
holder-Ansatz“ sichergestellt, dass das Handeln der
NADA eine breite gesellschaftliche Akzeptanz in
Deutschland erfährt.

Der von der SPD-Fraktion in ihrem Antrag doku-
mentierte Vorschlag, eine unabhängige Expertenkom-
mission einzusetzen, die Vorschläge für eine neue Trä-
ger- und Finanzierungsstruktur der NADA erarbeiten
soll, geht an der eigentlichen Herausforderung, vor
der die NADA und auch wir als Deutscher Bundestag
stehen, vorbei.

Sie tragen mit Ihrer Forderung gerade nicht zu ei-
ner konkreten Lösung bei, sondern drehen sich weiter-
hin im Kreis. Denn durch die anhaltende Diskussion
über einen grundsätzlichen Umbau des NADA-Struk-
turmodells bewegen Sie weder Länder noch die Wirt-
schaft sich endlich in größerem Maße finanziell zu
engagieren. Im Gegenteil: Sie bestätigen dadurch die
Haltung einiger Verantwortlicher in den Ländern,
keine weiteren Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Der Antrag der SPD ist daher zum jetzigen Zeitpunkt
sogar kontraproduktiv.

Zur Erinnerung: Der im Jahr 2002 von allen Stake-
holdern unterschriebene Stiftungsvertrag verpflichtet
alle Stakeholder, finanzielle Mittel bereitzustellen. Die
fortlaufende Infragestellung dieses Vertrags nimmt je-
doch den Druck und ist daher für die Arbeit der NADA
äußerst schädlich.

Der Antrag ist daher abzulehnen.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1722533400

Seit langer Zeit beschäftigen wir uns im Sportaus-

schuss des Deutschen Bundestages mit Fragen zum
nationalen und internationalen Kampf gegen Doping
im Sport. Die Glaubwürdigkeit und die Integrität des
sportlichen Wettstreits drohen deutlich abzunehmen,
wie nicht zuletzt eine Studie der Deutschen Sporthilfe
gezeigt hat. Bei aller Skepsis gegenüber Rekorden und
sportlichen Höchstleistungen gilt es aber auch, die
Athletinnen und Athleten nicht alle pauschal abzuur-
teilen und dem Leistungssport seinen Sinn vorschnell
abzusprechen. Allzu oft wird mit der „großen Unbe-
kannten“, der „Dunkelziffer des Dopings“, in eigener





Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)

Sache Interessenspolitik betrieben – letztlich auf dem
Rücken der fairen und sauberen Sportlerinnen und
Sportler. Gerade unter schwierigen Wettkampfbedin-
gungen, der Pflicht zu umfangreichem Training sowie
in Aussicht stehenden, hohen ökonomischen Prämien
sind die Athleten und das Umfeld gefordert, die Inte-
grität des sportlichen Wettkampfs zu wahren und sich
aktiv hierfür einzusetzen.

Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen
sind Sportler ebenso Menschen, die Fehler begehen
können, dem Leistungsdruck und moralischen An-
spruch gegebenenfalls nicht standhalten oder sogar
ganz bewusst zu unerlaubten Mitteln greifen. Unab-
hängig des zugrunde liegenden Menschenbildes brau-
chen wir national wie international starke unabhän-
gige Organisationen, die das Doping im Sport
professionell bekämpfen. Die NADA hat sich in der
Zeit seit Gründung vor mehr als zehn Jahren zu einem
nationalen Kompetenzzentrum entwickelt, das auch in-
ternational höchste Anerkennung erfährt.

Dabei lässt sich der Erfolg einer Anti-Doping-Or-
ganisation jedoch nicht allein an der Anzahl der auf-
gedeckten, positiven Dopingfälle festmachen. Die ab-
schreckende Wirkung der Dopingkontrollen der NADA
bei Wettkämpfen oder bei unangekündigten Trainings-
kontrollen kann kaum oder gar nicht gemessen wer-
den. Die Präventionsarbeit und die Aufklärung junger
Athletinnen und Athleten sind in dieser Hinsicht
ebenso zu nennen, die aber genauso wenig „positive
Schlagzeilen“ produzieren, da sie ja gerade das Fehl-
verhalten verhindern. Dies soll allerdings nicht hei-
ßen, dass wir uns zurücklehnen können und uns im
Anti-Doping-Kampf, in der Prävention oder in der Do-
pinganalytik nicht weiter verbessern müssen. Kurzum:
Die NADA hat sich seit ihrer Gründung zu einem star-
ken Kompetenzzentrum entwickelt. Der NADA wird
berechtigterweise von vielen Seiten ein hohes Renom-
mee und Professionalität im Anti-Doping-Kampf zuge-
sprochen. Gleichwohl müssen alle, die sich für die In-
tegrität des Sports einsetzen, gemeinsam den Anti-
Doping-Kampf konstruktiv weiterentwickeln und un-
terstützen.

Für einen wirksamen Kampf gegen Doping im Sport
bedarf es selbstverständlich einer soliden Finanzie-
rung der NADA. Die Möglichkeit, überhaupt erst im
Anti-Doping-Kampf erfolgreich arbeiten zu können,
basiert wesentlich auf einer nachhaltigen Finanzie-
rung durch die jeweiligen Stakeholder. Der Erfolg der
NADA basiert genauso stark auf dem Engagement der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung wie auf
jenen, die sich ehrenamtlich für einen sauberen Sport
einsetzen. An dieser Stelle sei allen ausdrücklich ge-
dankt! Die Unabhängigkeit einer Organisation wird
ebenso häufig als Voraussetzung für einen erfolgrei-
chen Anti-Doping-Kampf genannt. Beide Faktoren ha-
ben eine wesentliche Rolle bei der Gründung der
NADA als eine unabhängige Stiftung gespielt.

Der Antrag der SPD-Fraktion verknüpft nun un-
sachgemäß die Finanzierung der Nationalen Anti-Do-

ping Agentur Deutschland, NADA, mit der grundsätz-
lichen Frage nach deren Struktur bzw. Rechtsform. Die
NADA wurde 2002 als Stiftung in Bonn gegründet, um
eine größtmögliche Unabhängigkeit gegenüber exter-
nen Einflüssen zu gewährleisten. Mit Blick auf eine fi-
nanzielle Unabhängigkeit der NADA wurde deshalb
mit der Stiftung ein „Stakeholder-Modell“ etabliert.
Hiernach sind für die NADA-Finanzierung der Bund,
die Bundesländer, der organisierte Sport sowie die
Wirtschaft verantwortlich.

Entgegen dieser Zusage haben sich bisher vor allem
die Bundesländer der Verantwortung entzogen. Der
Bund hat sich weit überproportional an den Kosten der
NADA beteiligt. Demnach stammen mehr als 11 Mil-

(circa 13 Millionen Euro umfassenden)

Auch mit Blick auf das operative Geschäft der NADA
leistet der Bund den größten Beitrag. Bei den Haus-
haltsberatungen 2012/2013 haben sich die Koalitions-
fraktionen erneut für einen kurzfristigen Ausgleich ei-
ner Finanzierungslücke der NADA von 1 Million Euro
eingesetzt. Unabhängig von der Bedeutsamkeit des
Anti-Doping-Kampfes ist es jedoch nicht richtig, dass
der Bund jedes Jahr immer dann einspringt, wenn an-
dere Stakeholder erneut ihren eigenen Zusagen nicht
nachgekommen.

Mit wenigen Ausnahmen haben hierbei vor allem
die Bundesländer ihre Zusagen bezüglich der NADA-
Finanzierung nicht eingehalten. Im Gegensatz zur ein-
dimensionalen Forderung der SPD-Fraktion, eine
Strukturkommission einzusetzen, sollen dahin gehend
die Bundesländer ihrer Verantwortung endlich gerecht
werden. Über die künftigen Einnahmen aus dem
Glücksspiel bzw. den Sportwetten können sich die Bun-
desländer an der NADA-Finanzierung beteiligen. Im
Rahmen des Rennwett- und Lotteriegesetzes bzw. des
Glücksspielstaatsvertrages haben sich der Bund und
die Bundesländer hierfür bereits ausgesprochen. Der
SPD-Antrag mit der wenig kreativen Forderung, eine
Expertenkommission für die Entwicklung alternativer
NADA-Strukturmodelle einzurichten, zeugt indes von
eigener Perspektivlosigkeit. Nicht eine neue Struktur
der NADA zählt zu den künftigen Herausforderungen
des Anti-Doping-Kampfes, sondern eine solide Finan-
zierung unter angemessener Beteiligung der vielfach
SPD-geführten Bundesländer.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion macht sich zu-
sammen mit der Bundesregierung und der NADA seit
langem für einen sauberen Sport stark. Durch die im-
mer wieder (auch international) auftretenden Doping-
fälle wird bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der Ein-
druck erweckt, man bekomme das Problem nicht in den
Griff, die Strafen seien einfach nur noch nicht schwer-
wiegend genug oder man müsse nur zu einer vollstän-
digen Überwachung der Sportler übergehen. Die
Wahrheit ist, dass in der Tat das hoch professionali-
sierte Doping kriminalistisch nicht einfach aufzude-
cken ist, gleichwohl – nach dem Evaluationsbericht
der Bundesregierung – die Anzahl der Verfahren deut-
Zu Protokoll gegebene Reden





Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)

lich zugenommen hat. Zudem sind zum Beispiel daten-
schutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen, wie auch
die Persönlichkeitsrechte der Athletinnen und Athleten
nicht aus dem Blick geraten dürfen. Eine seriöse
Sportpolitik muss beim Kampf gegen Doping im Sport
rechtsstaatliche Grundsätze unserer Demokratie wah-
ren und nicht den Eindruck erwecken, mit einer Law-
and-Order-Politik ließe sich das Problem aus der Welt
schaffen. Deshalb setzt sich die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion nachhaltig dafür ein, die im Evaluations-
bericht der Bundesregierung gemachten Vorschläge
zur Verbesserung des Anti-Doping-Kampfes umzuset-
zen. Die Einsetzung von Schwerpunktstaatsanwalt-
schaften ist dabei nur ein Punkt, der aber zeigt, dass
wir vor allem ein Vollzugsdefizit haben.

Nicht zu vergessen sei, dass neben der Strafge-
richtsbarkeit auch eine Sportgerichtsbarkeit besteht,
die zudem viele Vorteile für sich beanspruchen kann.
Die schnelle Durchführung von Dopingverfahren und
gegebenenfalls rasche Bestrafung von dopenden
Sportlern sichern die Integrität des sportlichen Wett-
streits. Nichts wäre schlimmer als laufende strafrecht-
liche Dopingverfahren ohne Konsequenzen für den
sportlichen Wettbewerb. Auch die Höhe der sport-
rechtlichen Sanktionen, die im Dopingfall einem Be-
rufsverbot gleichkommen kann, ist ausreichend und
mit jenen in einem strafrechtlichen Verfahren nicht
vergleichbar. Das Sportrecht hat hier ungleich härtere
Konsequenzen zur Folge. Nicht eine neue Strukturde-
batte über die NADA, noch der Ruf nach einem immer
schärferen Strafrecht – uneingeschränkte Besitzstraf-
barkeit – sind die künftigen Herausforderungen im
Anti-Doping-Kampf. Wofür wir uns künftig einsetzen
müssen, ist, dass die NADA auf eine solide, finanzielle
Basis gestellt wird und die SPD-geführten Bundeslän-
der endlich ihren Zusagen nachkommen. Wir müssen
das Testsystem weiter professionalisieren und gezielt
einsetzen. Wir müssen die wissenschaftliche For-
schung und die Dopinganalytik weiter kraftvoll unter-
stützen. Und wir müssen die Empfehlungen der Bun-
desregierung zur „Evaluierung des Gesetzes zur
Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“,
DBVG, aufnehmen und umsetzen.

Der Anti-Doping-Kampf kann nicht von heute auf
morgen gewonnen werden – schon gar nicht interna-
tional. Es gilt weiter, sich engagiert für die NADA ein-
zusetzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir über
die Fraktionsgrenzen hinweg uns gemeinsam für die
wirklichen Herausforderungen starkmachen.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1722533500

Unser Antrag hat das Ziel, eine ergebnisoffene De-

batte über eine erfolgversprechendere Struktur der
Nationalen Anti Doping Agentur zu führen und somit
den Kampf gegen Doping in Deutschland zu stärken.
Man sollte meinen, dass dieses Ansinnen die einhellige
Unterstützung des Hohen Hauses finden würde. Aber
weit gefehlt! Ihre Beiträge in der ersten Lesung und
auch bei den Beratungen im Sportausschuss, verehrte

Kolleginnen und Kollegen der Koalition, haben ge-
zeigt: Ihnen fällt nichts anderes ein als ein hilfloses
„Weiter-so“. Weiter so mit einer Struktur, in der die
jetzigen Stakeholder zwar jederzeit ihren Einfluss
nachhaltig geltend machen, den an sie gerichteten
finanziellen Erwartungen jedoch nicht oder nur unzu-
reichend gerecht werden und wo am Ende dann immer
der Bund einspringen muss, um wenigstens ein Min-
destmaß an Arbeitsfähigkeit der NADA zu gewährleis-
ten?

Vor zehn Jahren hatte man sich auf das bis heute die
NADA tragende Stakeholder-Modell geeinigt, theore-
tisch ein Modell, das funktionieren könnte. Könnte! In
erster Linie zahlt seit zehn Jahren der Bund für die
NADA. Sowohl Wirtschaft und vor allem die Bundes-
länder halten sich bis auf wenige Ausnahmen nach wie
vor sehr vornehm zurück; auch der Beitrag des organi-
sierten Sports könnte deutlich höher sein.

In die Finanzierung durch die Länder kommt zwar
nach Jahren schwarz-gelber Stagnation durch die teil-
weise neu gewählten rot-grünen Landesregierungen
ein bisschen Bewegung, aber kleine Beiträge im vier-
stelligen Bereich sind nur der berühmte Tropfen auf
den heißen Stein und nicht dazu angetan, um die
NADA in ihrer jetzigen Form nachhaltig auf finanziell
sichere Füße zu stellen.

Hier hat im Übrigen auch der von Bundesinnen-
minister Friedrich im vergangenen Jahr einberufene
Runde Tisch zur NADA-Finanzierung so gut wie keine
Verbesserung gebracht. Im Gegenteil: Vertreter der
Wirtschaft haben unmissverständlich erklärt, dass der
Kampf gegen Doping nicht zu ihren Kernaufgaben ge-
hört, und der vollständige Rückzug der Telekom aus
der Unterstützung der NADA ist ein eindrucksvoller
Beleg dafür.

Man kann also ganz objektiv feststellen: Das Stif-
tungsmodell mit den derzeitigen Stakeholdern ist ge-
scheitert.

Und was fällt der Union dazu ein? Man müsse eben
warten, bis die Saat aufgehe, so der Kollege Riegert im
Ausschuss zu diesem Thema. Herr Kollege, wenn das
Pflänzchen nach zehn Jahren noch nicht erblüht ist,
gibt selbst der geduldigste Gärtner die Hoffnung auf,
dass das noch etwas werden könnte.

Es kann doch kein Dauerzustand werden, dass die
NADA in jedem Jahr aufs Neue um die nötigsten finan-
ziellen Grundlagen kämpfen muss und bis zum letzten
Moment nicht weiß, ob und in welchem Maße sie als
funktionierende Organisation überleben wird. Was für
ein verheerendes Signal an die sauberen Sportlerinnen
und Sportler, was für eine negativ besetzte Botschaft
über die Landesgrenzen hinweg und – ebenso verhee-
rend – was für eine Zumutung für die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der NADA. Denn dort liegen die Auf-
gaben auf dem Tisch, manchmal aber wohl auch in der
Warteschleife. Ist die NADA beispielsweise personell
und finanziell in der Lage, die noch vielen offenen
Fälle der Causa Erfurt zu bearbeiten? Oder sind diese
Zu Protokoll gegebene Reden





Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)

bereits kollektiv in der Ablage verschwunden? Die
hohe personelle Fluktuation bei der NADA ist be-
kannt: Sicherlich trägt die anhaltende finanziell unsi-
chere Situation und die damit verbundene Perspektiv-
losigkeit für den Mitarbeiterstab nicht zu einer
Verbesserung der personellen Konstanz bei.

Bleibt Ihnen, liebe Kollegen und Kolleginnen der
Koalition, all das verborgen? Oder interessiert es Sie
schlicht und ergreifend nicht?

Uns allerdings interessiert es sehr wohl. Deshalb
fordern wir als SPD-Fraktion eine, ich betone noch-
mals, ergebnisoffene Diskussion von unabhängigen
Experten, die alternative Vorschläge für eine Träger-
und Finanzierungsstruktur der NADA erarbeiten sol-
len.

Aus aktuellem Anlass verweise ich auf die Studie
„Dysfunktionen des Spitzensports“ der Stiftung Deut-
sche Sporthilfe. An dieser Stelle gilt es, der Sporthilfe
ausdrücklich dafür Dank zu sagen, sich dieser Thema-
tik angenommen zu haben, selbst wenn dieses inner-
halb des organisierten Sports nicht überall auf ein-
hellige Begeisterung gestoßen sein soll; so hört man
jedenfalls.

Innerhalb der Studie wurden 1 154 Leistungssport-
ler anonym unter anderem zum Thema Doping befragt.
5,9 Prozent der befragten Sportler haben angegeben,
regelmäßig zu dopen; 40,7 Prozent wollten auf diese
Frage keine Antwort geben.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Aus diesen
Ergebnissen lässt sich nicht zwingend ableiten, dass
eine erhebliche Zahl der deutschen Spitzensportler
und –sportlerinnen dopt. Sehr wohl ist in diesem Kon-
text aber die Frage nach der Effektivität der Doping-
kontrollen in Deutschland legitim. Ich bin sicher, eine
finanziell und personell ausreichend ausgestattete
NADA könnte durchaus effektiver arbeiten. Damit sind
wir wieder beim Geld. Und wieder einmal kommt man
aus dem Staunen nicht heraus.

Zur Erinnerung: Anfang Dezember 2012 lag für die
Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen
Sportbundes ein Antrag eines Spitzenverbandes mit
der Forderung vor, den finanziellen Beitrag des orga-
nisierten Sports für die NADA zu erhöhen. Bekanntlich
muss die NADA in diesem Jahr ihre Rücklagen zu ei-
nem erheblichen Teil angreifen, um wenigstens ihre
Kernaufgaben erfüllen zu können. Dieser Antrag
wurde – wie zu erwarten – mit wortgewaltiger Unter-
stützung des Generaldirektors Dr. Vesper vom Tisch
gefegt. Und nun das: Nur einen Tag nach Vorstellung
der Sporthilfestudie im Sportausschuss fordert der-
selbe Generaldirektor laut Pressemeldungen „eine
bessere strukturelle und finanzielle Unterstützung der
NADA“. Da ist man schon einigermaßen fassungslos.
Leider hat Herr Dr. Vesper, wie aber zu erwarten war,
es versäumt, seinen Worten Konkretisierungen folgen
zu lassen. Wie beispielsweise soll eine bessere struktu-
relle Unterstützung nach Lesart des DOSB aussehen?
Und vor allem: Wer soll mehr zahlen? Wie auch immer,

wir werten diese Einlassung trotz dieser Versäumnisse
als ausdrückliche Unterstützung unseres Antrages und
sehen konkreten Beiträgen des DOSB, vor allem in
finanzieller Hinsicht, mit Freude entgegen.

Es gibt viele gute Gründe, die Strukturdiskussion zu
führen. Wenn Sie ein tatsächliches Interesse an einer
nachhaltig finanzierten, erfolgreich arbeitenden
NADA haben, gibt es keinen Grund, eine solche Dis-
kussion bereits im Keim zu ersticken. Wer sich verwei-
gert, zementiert den völlig unbefriedigenden Status
quo – zum Nachteil der sauberen Sportlerinnen und
Sportler in unserem Land. Wollen Sie das wirklich?


Dr. Lutz Knopek (FDP):
Rede ID: ID1722533600

Alle Bundestagsfraktionen, dies lässt sich ganz si-

cher feststellen, sind an einer gut arbeitenden Natio-
nalen Anti Doping Agentur interessiert. Die NADA
wurde 2002 gegründet, da der organisierte Sport für
sich alleine überfordert war, dem zunehmenden Do-
ping effizient entgegenzutreten. Das galt damals und
gilt auch noch heute. Die Agentur sollte den gesamten
Dopingkampf in einer Organisation bündeln, und sie
sollte nicht einseitig abhängig von Sport oder Staat
sein. Beides ist der NADA im Grundsatz gelungen. Sie
ist heute das Kompetenzzentrum im Kampf gegen Do-
ping in Deutschland.

Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die
NADA von Anfang an an einem Finanzierungsdefizit
leidet. Mit der Gründung als Stiftung wurde ein Stake-
holder-Modell eingerichtet. Hiernach sind für die
NADA-Finanzierung der Bund, die Bundesländer, der
organisierte Sport sowie die Wirtschaft verantwort-
lich. Entgegen den ursprünglichen Zusagen hat sich in
der Vergangenheit jedoch der Bund weit überpropor-
tional an den Kosten der NADA beteiligt. Demnach

(circa 13 Millionen Euro umfassenden)

aus Bundesmitteln. Auch im Blick auf das operative
Geschäft der NADA leistet der Bund den größten Bei-
trag. Bei den Haushaltsberatungen 2012/2013 hat sich
die Koalition im Sinne einer einmaligen Zwischenlö-
sung für einen kurzfristigen Ausgleich einer Finanzie-
rungslücke der NADA von 1 Million Euro eingesetzt.

Mit wenigen Ausnahmen haben vor allem die Bun-
desländer ihre Zusagen bezüglich der NADA-Finan-
zierung nicht eingehalten. Die FDP-Fraktion fordert
deshalb ausdrücklich die Bundesländer auf, ihrer Ver-
antwortung gerecht zu werden und sich beispielsweise
über die künftigen Einnahmen aus dem Glücksspiel
bzw. den Sportwetten an der NADA-Finanzierung zu
beteiligen. Im Rahmen des Rennwett- und Lotteriege-
setzes bzw. des Glücksspielstaatsvertrags haben sich
Bund und Länder hierfür bereits ausgesprochen. Auch
die Wirtschaft und der organisierte Sport müssen end-
lich ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen.
Es gab einen Grund, warum die NADA von mehreren
Verantwortlichen finanziert werden sollte: um die poli-
tische Unabhängigkeit zu wahren. Allein deshalb sollte
und kann der Bund nicht der alleinige Zahler sein.
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Lutz Knopek


(A) (C)



(D)(B)

Ein Argument der Länder ist stets, dass die NADA
es nicht geschafft hat, das Stiftungskapital durch Bei-
träge aus der Wirtschaft zu erhöhen. Wie ich bereits in
meiner ersten Rede zu diesem Thema im November ge-
sagt habe, sollte der Vorsitzende des Aufsichtsrates,
Professor Dr. Hans Georg Näder, erst einmal die Mög-
lichkeit bekommen, seine versprochenen Aktivitäten,
denen ich zuversichtlich entgegenschaue, umzusetzen,
bevor man sich nach neuen Finanzierungsmodellen
umschaut.

Die Frage, die sich nun stellt, ist, was die SPD mit
der Einrichtung einer Expertenkommission, die über
die Entwicklung alternativer NADA-Strukturmodelle
beraten soll, bezwecken möchte. Für mich zeugt der
Antrag der Fraktion der SPD von eigener Perspektiv-
losigkeit. Nicht eine neue Struktur der NADA ist drin-
gend nötig, sondern Verantwortungsbewusstsein unter
den Stakeholdern. Was soll eine Kommission daran än-
dern, dass die Zahlungsbereitschaft der Länder, da-
runter viele SPD-geführte, fehlt?

Die FDP-Fraktion hofft sehr, dass die Debatten im
Plenum und im Ausschuss rund um diesen Antrag
nicht, wie von der SPD beabsichtigt, den Bund, son-
dern die anderen Parteien des Stakeholder-Modells,
namentlich den Sport, die Wirtschaft und die Länder,
wachrüttelt und dass endlich eine klare und langfris-
tige Finanzierung der NADA geschaffen wird. Der
deutsche Sport braucht ein starkes und zuverlässiges
Dopingkontrollsystem mit einer NADA, die nicht alle
Jahre wieder auf ihre Finanzen schauen muss, sondern
in die Zukunft planen kann. Alle Fraktionen des Bun-
destages wissen, wo aktuell die Probleme in der Fi-
nanzierung der NADA liegen, nämlich beim Sport, der
Wirtschaft und den Ländern gemeinsam.

Mit ihrem Antrag muss sich die SPD die Frage ge-
fallen lassen, was sie sich von einer Expertenkommis-
sion verspricht. Welche konkreten Lösungen zur
Finanzierung der NADA hat sie im Sinn? Sollte die Ab-
sicht eine Vollfinanzierung durch den Bund sein, ste-
hen wir, die Koalition, nicht an ihrer Seite. Der Bund
hat seine Aufgabe bereits mehr als erfüllt. Meine Frak-
tion wird diesen Antrag daher ablehnen.


Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1722533700

Fast 6 Prozent der deutschen Kader-Athletinnen

und -Athleten haben in einer aktuellen Studie zugege-
ben, sich regelmäßig zu dopen. Immerhin 40 Prozent
der Befragten antworteten auf diese Frage erst gar
nicht. Auch in Verbindung mit vorausgegangenen Un-
tersuchungen deutet also vieles darauf hin, dass die
Kontrollen der Nationalen Anti Doping Agentur,
NADA, alles andere als effektiv sind und wir ein mani-
festes Dopingproblem im deutschen Sport haben.

Ein Lösungsansatz wäre, die NADA völlig neu zu
strukturieren und mit ausreichenden Mitteln auszustat-
ten. In Ansätzen scheint das die Zielrichtung des SPD-
Antrages zu sein. Als Linke halten wir das Anliegen für
richtig, den Antrag allerdings für unzureichend. Un-
sere Ergänzungsvorschläge wurden aber im Ausschuss

von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Weil uns die
SPD-Vorlage nicht weit genug greift, haben wir uns
abschließend enthalten.

Sicherlich dokumentieren die Ereignisse der ver-
gangenen Monate, wie erfolgreich eine gut ausgestat-
tete und vor allem entschlossene Antidopingagentur
handeln kann. Allen voran steht hier die US-amerika-
nische Agentur mit ihrem Chef Travis Tygart, der sich
selbst vom System „Armstrong“ nicht aufhalten ließ.

Andererseits wirft die bereits erwähnte Studie der
Deutschen Sporthilfe und der Deutschen Sporthoch-
schule Köln Fragen auf, die in eine Richtung weisen,
die nicht nur auf unintelligente Kontrollen abzielt.
Letztlich geht es doch darum, warum Sportlerinnen
und Sportler dopen, warum sie zusätzlich häufig zu
Schmerzmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln grei-
fen.

Bereits in der Debatte im Herbst habe ich darauf
verwiesen, dass für die Linke die Prävention beim
Kampf gegen Doping einen hohen Stellenwert ein-
nimmt. Die Kölner Studie belegt unsere Einschätzung.
Nahezu 60 Prozent der befragten Athletinnen und Ath-
leten gaben zu, Existenzängste zu haben, erschre-
ckende 10 Prozent leiden unter Depressionen. Sich in
einer solchen Lage in einer Zeit, in der der Spitzen-
sport immer stärker durch den Kommerz bestimmt
wird, mit unerlaubten Mitteln zu behelfen, scheint da-
rum nicht abwegig.

Deshalb stehen aus unserer Sicht zwei Aspekte im
Vordergrund des Anti-Doping-Kampfes: Schon die ju-
gendlichen Sportlerinnen und Sportler müssen ver-
stärkt darüber aufgeklärt werden, dass die Einnahme
von Dopingmitteln ihre Gesundheit erheblich gefähr-
det. Nierenschäden, Herzschwäche, Hautveränderun-
gen und Veränderungen bei den Geschlechtsmerk-
malen sind nur einige der Nebenwirkungen, die
insbesondere auf Anabolika am missbrauch zurückzu-
führen sind, der nicht nur im Spitzensport, sondern
auch im Nachwuchs- und Breitensport weit verbreitet
ist.

Außerdem scheinen Doping und Wettbewerbsmani-
pulationen direkte Folgen der Existenzängste zu sein,
die mehr als die Hälfte der Sportlerinnen und Sportler
während ihrer Karriere umtreiben. Neben verstärkter
psychologischer Betreuung müssen die Möglichkeiten
für die berufliche Ausbildung der Sportler dringend
ausgebaut werden. Dabei muss darauf geachtet wer-
den, dass eine Berufsausbildung unbedingt Angebote
umfasst, die über eine Laufbahn bei Bundeswehr, Zoll
oder Polizei hinausgehen. Nicht alle, die sich dem
Spitzensport verschreiben, können in diesem Bereich
eine Perspektive finden.

Es gilt also, neue Wege in der Sportförderung einzu-
schlagen, um im Kampf gegen Sportbetrug endlich
erfolgreicher zu werden. Doping und Wettbewerbs-
manipulation sind auch direkte Folgen von Existenz-
ängsten. Es geht letztlich darum, die Ursachen zu
Zu Protokoll gegebene Reden





Jens Petermann


(A) (C)



(D)(B)

beheben und dadurch die Folgeerscheinungen zu redu-
zieren.

Das ist nicht ohne finanzielle Investitionen zu ha-
ben. In der Pflicht steht dabei vor allem der Bund. Die
Regierung sollte endlich die Vorreiterrolle einnehmen,
die sie sich in ihrem letzten Sportbericht selbst zu-
schreibt. Die Zeit für Sonntagsreden ist längst vorbei.
Der Bund muss sein finanzielles Engagement endlich
deutlich ausweiten. Die Bundesregierung hat sich
durch ihr zögerliches Agieren im Anti-Doping-Kampf
ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem geschaffen.

Es wäre eine gutes Signal, wenn wir endlich partei-
übergreifend nach Lösungen suchen, wie wir die
Sportförderung – und damit meine ich auch den Brei-
tensport – so organisieren, dass sie die Sportlerinnen
und Sportler in den Mittelpunkt stellt. „Spitzensport
ohne Existenzangst. Breitensport ohne Zugangsbehin-
derungen“: So könnte unser gemeinsamer Arbeitstitel
lauten. Die Linke streckt die Hand aus.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
wird dem vorliegenden Antrag zustimmen. Wir meinen,
dass die Nationale Anti Doping Agentur, NADA, ein
zentrales Element in der Dopingbekämpfung in
Deutschland ist. Wir teilen die Ansicht, dass es um die
NADA nicht gut bestellt ist.

Vor einigen Wochen war der Geschäftsführer der
US-Anti-Doping-Agentur, USADA, Travis Tygart, im
Sportausschuss zu Gast. Die USADA hat vor fast zehn
Jahren den BALCO-Skandal aufgedeckt und Sportle-
rinnen und Sportler gesperrt. Die USADA hat vor kur-
zem Lance Armstrong und das Radsportteam US Pos-
tal des Dopings überführt und dafür zu Recht viel Lob
erhalten. Man hat sich in den USA an die mächtigen
Sportler und Funktionäre des Sports herangetraut und
die Verfahren durchgezogen.

In Deutschland dagegen wird die Arbeit gerne an-
deren überlassen. So ist die NADA erst nach Interven-
tion der Welt-Anti-Doping-Agentur, WADA, von ihrer
halbherzigen Vorgehensweise abgewichen, als in
Erfurt am Olympiastützpunkt Thüringen verbotene
Blutbehandlungen durchgeführt wurden. Bei der Auf-
klärung der Dopingvergangenheit der Freiburger
Uniklinik war die NADA kaum beteiligt. Das langjäh-
rige Dopingsystem des Radsportteams Telekom wurde
erst durch Zeugenaussagen von Sportlern und durch
die Arbeit einer unabhängigen Kommission der Uni-
versität Freiburg aufgedeckt. Im Kerngeschäft der
NADA, der Dopingbekämpfung mittels Durchführung
von Trainingskontrollen, gibt es kaum Erfolge. So sind
positive Proben lediglich im Promillebereich festzu-
stellen. Von einer wirksamen und erfolgreichen Do-
pingbekämpfung in Deutschland kann man auch zehn
Jahre nach Gründung der NADA nicht sprechen.

Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass
auch Politik und Sportorganisationen ihre Verantwor-

tung an den Problemen der Dopingbekämpfung in
Deutschland haben. Es stellt sich besonders die Frage
nach den gesetzlichen Bestimmungen in der Dopingbe-
kämpfung. Eine verbesserte gesetzliche Grundlage, sei
es ein Straftatbestand Sportbetrug durch Doping oder
eine volle Besitzstrafbarkeit für Sportlerinnen und
Sportler, wird von der Bundesregierung vehement ab-
gelehnt. Es wird weiter ignoriert, dass Verfahrensfra-
gen und auch Regelungen für einen verbesserten Da-
tenschutz besser in einem Gesetz aufgehoben wären
als in den Codes von WADA und NADA.

Auch vier Monate nach der Vorlage des Evaluie-
rungsberichts zum Gesetz zur Verbesserung der Be-
kämpfung des Dopings im Sport, DBVG, ist die Regie-
rungskoalition nicht fähig, selbst die vorgeschlagenen
Minimaländerungen für eine strafrechtliche Sanktio-
nierung des Erwerbs von Dopingmitteln auf den Weg
zu bringen. Sie wollen weder ein Anti-Doping-Gesetz
noch eine Schmalspuränderung im Arzneimittelgesetz.
Die Regierungskoalition ist bis heute nicht in der
Lage, die notwendigen gesetzlichen Konsequenzen aus
dem überbordenden Dopingproblem zu ziehen. In Zei-
ten einer großen Krise des Anti-Doping-Kampfes
macht die Bundesregierung nur Dienst nach Vor-
schrift. Viele Sportverbände in Deutschland gefallen
sich ganz offenbar in ihrer Rolle als Sekundant und
nehmen dabei in Kauf, dass Staaten wie Frankreich,
Italien und Österreich inzwischen viel konsequenter
gegen Doping vorgehen.

Dabei liegen viele Fakten bereits auf dem Tisch.
Eine Studie im Auftrag der Stiftung „Deutsche Sport-
hilfe“ hat in der letzten Woche ergeben, dass mindes-
tens 5,9 Prozent der Sportlerinnen und Sportler in
Deutschland regelmäßig Dopingmittel nehmen. Es gibt
mit über 40 Prozent eine sehr hohe Dunkelziffer bei
den befragten Personen, die einer Antwort ausgewi-
chen sind. Weitere Studien gehen von einer Verbreitung
von Dopingmitteln von bis zu 48 Prozent bei Sportle-
rinnen und Sportler in Deutschland aus. Egal welche
Zahlen wir heute hier zugrunde legen: Die Situation ist
aus unserer Sicht alarmierend. Denn in Deutschland
herrscht ganz offenbar eine Symbiose zwischen Spit-
zensport und Politik, die diese Fakten ignorieren und
einen notwendigen politischen Kurswechsel verhin-
dern wollen.

Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich
noch auf ein weiteres schwerwiegendes Versäumnis in
der Politik der Regierungskoalition hinweisen. In den
Haushaltsberatungen im Herbst wurde kurzfristig für
2013 wieder die 1 Million für die Nationale Anti Do-
ping Agentur, NADA, zur Verfügung gestellt, die man
einige Wochen vorher noch gestrichen hatte. Ich sage
jedoch ganz deutlich: Die Finanzierungsklippe beim
Zuschuss für die NADA kann damit maximal bis Sep-
tember dieses Jahres überwunden werden. Denn es
wurde versäumt, eine langfristige Finanzierungszu-
sage im Finanzplan des Bundes zu geben. Der Ret-
tungsanker durch einen weiteren Zuschuss des Bundes
greift jedoch erst, wenn die gesetzliche Ermächtigung
Zu Protokoll gegebene Reden





Viola von Cramon-Taubadel


(A) (C)



(D)(B)

durch den Bundeshaushalt 2014 vorliegt. Das wird
aber aufgrund der Bundestagswahl am 22. September
und der nachfolgenden Neukonstituierung des Deut-
schen Bundestages erfahrungsgemäß erst im März
oder April 2014 der Fall sein. Dieses kurzfristige Den-
ken der Regierungskoalition von Union und FDP hat
zur Folge, dass die NADA schon ab September dieses
Jahres entweder Personalentlassungen vornehmen
muss oder aber die Zahl der Trainingskontrollen dras-
tisch reduziert wird. Der Vorschlag meiner Fraktion
liegt auf dem Tisch: Zukünftig sollten 5 Prozent der
Spitzensportförderung zur Dopingbekämpfung ver-
wendet werden. Dies würde die notwendige Finanzie-
rungs- und Planungssicherheit für Dopingkontrollen,
Anti-Doping-Forschung und Prävention schaffen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722533800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12237, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/11320 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvor-

(Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz)


– Drucksache 17/8802 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung des Vollzugs im Unterhalts-
vorschussrecht

– Drucksache 17/2584 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend (13. Ausschuss)


– Drucksache 17/12488 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Caren Marks
Sibylle Laurischk
Jörn Wunderlich
Katja Dörner

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana
Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvor-
schuss ausbauen

– Drucksachen 17/11142, 17/12488 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Caren Marks
Sibylle Laurischk
Jörn Wunderlich
Katja Dörner

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1722533900

In Deutschland gibt es immer mehr alleinerzie-

hende Mütter und Väter: In knapp 20 Prozent aller
Familien leben mehr als 2 Millionen Kinder unter
18 Jahren bei einem alleinerziehenden Elternteil. Da
in alleinerziehenden Familien Erwerbs- und Familien-
pflichten nicht partnerschaftlich geteilt werden
können, müssen diese Eltern ihre Kinder in der Regel
unter erschwerten Bedingungen erziehen. Wenn dann
das Kind keinen oder nicht regelmäßig Unterhalt vom
anderen Elternteil erhält, verschärft sich die Situation.
Dann muss der alleinerziehende Elternteil neben der
Versorgung des Kindes auch noch für den ausfallenden
Unterhalt des anderen Elternteils aufkommen. Viele
Alleinerziehende sind in dieser Situation dringend auf
Unterstützung angewiesen. Der zum 1. Januar 1980
eingeführte Unterhaltsvorschuss setzt hier an und
kann helfen, Armut zu vermeiden. Von dieser Leistung
profitieren jährlich rund eine halbe Millionen Kinder.

Der Unterhaltsvorschuss soll den ausfallenden
Unterhalt zumindest zum Teil ausgleichen, ohne den
unterhaltspflichtigen Elternteil aus seiner Verantwor-
tung zu entlassen. Das Land, auf das die Unterhaltsan-
sprüche der Kinder übergehen, versucht, sich den
Unterhalt beim Unterhaltsschuldner zurückzuholen.
Das ist auch für die alleinerziehende Familie wichtig,
weil es nach erfolgreichem Rückgriff leichter ist, auch
dann regelmäßig Unterhalt vom unterhaltspflichtigen
Elternteil zu bekommen, wenn kein Unterhalts-
vorschuss mehr gezahlt wird. Denn der Unterhalts-
vorschuss wird insgesamt längstens für 72 Monate ge-
zahlt und endet, wenn das Kind 12 Jahre alt wird.

CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag
vereinbart, den Unterhaltsvorschuss zu entbürokrati-
sieren und die Altersgrenze von 12 auf 14 Jahre anzu-
heben. Aufgrund der Schuldenbremse im Grundgesetz
und der angespannten Haushaltslage konnten wir die
Anhebung der Altersgrenze leider nicht realisieren.
Aber mit dem Gesetzentwurf wird der Verwaltungsvoll-
zug vereinfacht; um den alleinerziehenden Elternteilen
und ihren Kindern die unterstützende Wirkung der Un-
terhaltsleistung so einfach und so effektiv wie möglich
zu machen. Für die alleinerziehenden Eltern wird die
Antragstellung vereinfacht, den Unterhaltsvorschuss-
stellen werden Prüfung und Bewilligung der Anträge
erleichtert. Beides beschleunigt das Antragsverfahren.

Außerdem wird der Rückgriff auf den unterhalts-
pflichtigen Elternteil durch eine Erweiterung der
Auskunftsansprüche der zuständigen Stellen effektiver
gestaltet. Dafür werden die zur Auskunft befugten
Sozialleistungsträger verpflichtet, auf Verlangen auch





Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)

Angaben über den Arbeitgeber des unterhaltspflichti-
gen Elternteils an die zuständigen Stellen zu machen.
Außerdem dürfen die für den Rückgriff zuständigen
Stellen das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen,
Daten bei Kreditinstitutionen abzurufen, soweit es für
die Ermöglichung eines Rückgriffs erforderlich ist.

Die Koalitionsfraktionen haben zwei Regelungen
des Gesetzentwurfs der Bundesregierung in einem ers-
ten Änderungsantrag zurückgenommen: Wir stimmen
dem Wunsch der Bundesregierung auf Streichung der
Regelung nicht zu, wonach der Unterhaltsvorschuss
nicht mehr rückwirkend beantragt werden kann.
Gerade in schwierigen Zeiten der Trennung kann der
alleinerziehende Elternteil gehindert sein, rechtzeitig
einen Antrag auf Unterhaltsvorschuss zu stellen. Nach
der Trennung brauchen vor allem die Elternteile, bei
denen das Kind lebt, Zeit, um sich zu orientieren und
auf die neue Situation einzustellen. Die rückwirkende
Gewährung der Unterstützungsleistung kann vor al-
lem dann wichtig sein, wenn aufgrund einer verspäte-
ten Antragstellung Schulden entstanden sind.

Rückgängig gemacht haben wir auch die Regelung,
nach der die Leistungen auf den Unterhaltsvorschuss
angerechnet werden, die der unterhaltspflichtige
Elternteil zur Deckung des Unterhaltsbedarfs an
Dritte erbringt. Wir wollen nicht, dass der alleinerzie-
hende Elternteil, der sehr häufig auch nur über knappe
finanzielle Ressourcen verfügt, eventuell die Kosten
für den täglichen Bedarf des Kindes allein finanzieren
muss, während der unterhaltspflichtige Elternteil Leis-
tungen übernimmt wie Sportkurse oder Musikunter-
richt. Es sollte nicht in das Belieben des unterhalts-
pflichtigen Elternteils gestellt werden, wie er den
Unterhalt zahlt. Für den Elternteil, bei dem das Kind
lebt, ist es wichtig, dass er das Geld des anderen El-
ternteils zur eigenverantwortlichen Verfügung erhält.

Unser Änderungsantrag wurde in der öffentlichen
Anhörung des Familienausschusses von den gelade-
nen Expertinnen und Experten einhellig begrüßt.

In einem zweiten Änderungsantrag haben CDU/
CSU und FDP die Möglichkeiten erweitert, wie die
den Kindern zustehenden Unterhaltsansprüche gegen-
über dem zahlungspflichtigen Elternteil tatsächlich
auch realisiert werden können. Dafür wird künftig im
Gesetz auf eine Norm in § 74 SGB X verwiesen, die die
zuständigen Stellen ermächtigt, relevante Daten des
Unterhaltsschuldners – in dem dort geregelten Ver-
fahren – an die alleinerziehenden Familien weiterzu-
geben.

Der durch unsere Anträge geänderte Gesetzentwurf
der Bundesregierung entlastet die Behörden und stärkt
die alleinerziehenden Familien. Daher bitte ich Sie um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1722534000

Das Gesetz, das wir heute verabschieden, unter-

scheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von dem
Gesetzentwurf der Regierung, der seinerseits wiede-

rum auf Wünschen und Vorschlägen der Länder be-
ruht. Leider konnten wir unser Vorhaben aus dem Ko-
alitionsvertrag, den Bezug von Leistungen nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz bis zum 14. Geburtstag des
Kindes auszuweiten, aus Haushaltsgründen nicht um-
setzen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir
hier ein Gesamtpaket vorlegen, das sowohl für die
Praxis der Jugendämter einige Erleichterungen vor-
sieht, aber auch – und das ist uns besonders wichtig –
die alleinerziehenden Elternteile stärkt, die die Unter-
haltsansprüche parallel oder auch nach Auslaufen der
UVG-Leistungen selbst gegen den Unterhaltspflichti-
gen durchsetzen wollen oder müssen.

Ein besonderes Ziel des Unterhaltsvorschussent-
bürokratisierungsgesetzes war – und das steckt schon
im Wort – Entbürokratisierung, also Erleichterungen
und Vereinfachungen sowohl für den Alleinerziehen-
den als auch für die Verwaltung. Wo die im Regie-
rungsentwurf vorgesehenen Entlastungen für die Ver-
waltungspraxis auf Kosten der Alleinerziehenden und
der Kinder gegangen wären, haben wir dies durch Än-
derungen im Gesetzgebungsverfahren nicht umgesetzt.

Gerade Alleinerziehende erziehen in der Regel ihre
Kinder unter erschwerten Bedingungen. Fällt dann
noch der Barunterhalt des anderen Elternteils aus,
helfen die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss
gezielt und unterstützen und entlasten alleinerziehende
Elternteile und ihre Kinder in dieser besonderen Situa-
tion.

Wir haben deshalb durch einen Änderungsantrag
für Klarheit gesorgt, dass Leistungen des Unterhalts-
pflichtigen an Dritte auf den UVG-Anspruch nicht an-
gerechnet werden. Es darf zum Beispiel nicht sein,
dass etwa ein unterhaltspflichtiger Vater Unterhalts-
zahlungen an Dritte zum Beispiel für einen Sportkurs
oder Musikunterricht zahlt und dann diese Leistung
auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet wird mit der
Folge, dass der Betrag der Mutter für den Bedarf des
Kindes als Bargeld fehlt. Ohne das explizite Einver-
ständnis der Mutter wäre es dann ins Belieben des Un-
terhaltspflichtigen gestellt, wie er den Unterhalt zahlt,
und damit wären weitere Konflikte zwischen den Eltern
vorprogrammiert. Wir wollen mit unserem Änderungs-
antrag klarstellen, dass der Barunterhalt gesichert ist.
Denn für den Elternteil, bei dem das Kind lebt, ist es
von qualitativer Bedeutung, ob Geld zur eigenverant-
wortlichen Verfügung steht oder als eine Sachleistung
an Dritte. Wir haben zu diesem Änderungswunsch al-
len Sachverständigen eine positive Bestätigung be-
kommen, insbesondere auch aus der Praxis.

Auch eine weitere Änderung im Gesetzentwurf war
uns wichtig. Die Möglichkeit der rückwirkenden Zah-
lung des Unterhaltsvorschusses für einen Monat. Der
Gesetzentwurf sah vor, dass der Unterhaltsanspruch
erst ab dem Monat der Antragstellung bestehen sollte.
Als Begründung wurde ein sehr hoher Verwaltungsauf-
wand angeführt. Aus unserer Sicht kann die Streichung
der Rückwirkung für einen Monat damit nicht aufge-
wogen werden. Der Verlust einer monatlichen Unter-
Zu Protokoll gegebene Reden





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

haltsvorschusszahlung wiegt aus unserer Sicht schwerer.
Trennung und Scheidung sind besonders belastende
Lebenssituationen, in denen auch gerade über die
Zahlung von Unterhalt häufig Konflikte ausgetragen
werden. Diese Belastungen und daraus resultierende
Unklarheiten können dazu führen, dass eine Antrag-
stellung nicht rechtzeitig erfolgt. Für die Alleinerzie-
henden und ihre Kinder ist gerade in der Trennungs-
phase das Armutsrisiko besonders hoch und die
Leistung des Unterhaltsvorschusses oft von existen-
zieller Bedeutung. Deshalb sorgen wir nun dafür, dass
die Rückwirkung für einen Monat erhalten bleibt.

Wesentliche Verbesserungen bringt das Gesetz bei
der Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs gegenüber
dem Unterhaltspflichtigen. Hier sei nochmals daran
erinnert: Unterhaltsvorschuss ist grundsätzlich als
Vorschussleistung konzipiert; das Jugendamt kann und
soll Rückgriff beim unterhaltspflichtigen Elternteil
nehmen. In der Praxis ist daraus vielfach eine Ausfall-
leistung geworden, wo die dem Grunde nach Unter-
haltspflichtigen nicht leistungsfähig sind oder aus an-
deren Gründen nicht erreichbar sind. Hier setzen wir
an und wollen die Voraussetzung für den Rückgriff bei
leistungsfähigen, aber nicht leistungswilligen Eltern-
teilen verbessern. Hier ist es nämlich nicht einzusehen,
dass der Unterhalt des Kindes aus öffentlichen Kassen
bestritten wird; hier ist es ein wichtiger Schritt, die
Rückgriffsmöglichkeiten der Jugendämter zu verbes-
sern und dafür die Informationsmöglichkeiten, wo der
Pflichtige wohnt, wo er arbeitet und wie notfalls auch
Ansprüche gegen ihn vollstreckt werden können, aus-
zubauen. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen verbesser-
ten Auskunftsrechte wurden von allen Sachverständigen
begrüßt. Sie dienen der verbesserten Geltendmachung
von Unterhaltsansprüchen. Es können jetzt weitere In-
formationen bei den Finanzämtern und Geldinstituten
eingeholt werden und auch Nachfragen beim Arbeitge-
ber gestellt werden.

Hier haben wir auf Grundlage der Sachverständi-
genanhörung noch einen wichtigen Aspekt ergänzt:
Unterhaltsvorschuss ist bekanntlich begrenzt: in der
Dauer auf maximal 72 Monate, beim Kindesalter
höchstens bis zum 12. Geburtstag und in der Höhe
durch den Mindestunterhalt abzüglich Kindergeld.
Weitergehende Unterhaltsansprüche muss der allein-
erziehende Elternteil selbstständig gegen den Unter-
haltspflichtigen geltend machen. Dabei steht er in der
Praxis oft ebenfalls vor dem Problem, die nötigen In-
formationen darüber zusammenzutragen, um einen
nicht zahlungswilligen Elternteil in Anspruch zu neh-
men. Hier sind die Alleinerziehenden oft auf die Infor-
mationen des Jugendamtes angewiesen: diese könnten
ihnen maßgeblich helfen, den Anspruch des Kindes
dann auch selbstständig gegen den Pflichtigen durch-
zusetzen. Hier hapert es bislang in der Praxis:

In der öffentlichen Sachverständigenanhörung
wurde deutlich, dass es in der Praxis bei den Jugendäm-
tern oft nicht klar ist, inwieweit Daten nach Maßgabe
des § 74 SGB X an den alleinerziehenden Elternteil he-

rausgegeben werden dürfen. Wir haben deshalb die
Anregung aufgegriffen und an dieser Stelle nicht nur
eine Klarstellung ins Gesetz gebracht, dass die Ämter
berechtigt sind, die Auskünfte zu geben. Wir haben da-
rüber hinaus die Jugendämter verpflichtet, auf Antrag
der Alleinerziehenden die benötigten Daten heraus-
zugeben. Wir wollen damit die Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen außerhalb eines gerichtlichen
Verfahrens verbessern. Es bleibt damit bei dem be-
währten Verfahren nach dem 10. Sozialgesetzbuch, das
heißt, zuerst erhält der Pflichtige selbst die Gelegen-
heit, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Wir wol-
len damit auch für die Unterhaltspflichtigen nochmals
ganz deutlich machen: Es geht bei Unterhaltsschulden
nicht um ein Kavaliersdelikt. Unterhaltspflichtverlet-
zung stellt einen Straftatbestand dar; die vorsätzliche
Nichtleistung steht unter Strafe – Unterhalt ist nicht
verhandelbar. Unterhaltsansprüche werden in Zukunft
auch nicht mehr von einer Restschuldbefreiung in der
privaten Insolvenz des Unterhaltspflichtigen erfasst.
Unterhaltsansprüche von Kindern sind zu erfüllen.
Auch diese Botschaft ist damit verbunden.

Außerdem wollen wir mit dieser Änderung sicher-
stellen, dass die Realisierung des laufenden Unter-
haltsanspruchs in der Praxis Vorrang hat vor den
Rückgriffsansprüchen des Jugendamts. Wenn es für
beide nicht reicht, ist der laufende Bedarf des Kindes
wichtiger als der Ausgleich in den öffentlichen Kassen.

Insgesamt bringt der Gesetzentwurf mit den von uns
eingebrachten Änderungen Erleichterungen für Al-
leinerziehende sowie für die Behörden, er stärkt die
Alleinerziehenden und ihre Kinder.


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1722534100

Heute debattieren wir abschließend das Unterhalts-

vorschussentbürokratisierungsgesetz. So sperrig wie
der Titel des Gesetzentwurfes gestaltet sich auch das
parlamentarische Verfahren. Die schwarz-gelbe
Regierungskoalition hatte in der Vergangenheit regel-
mäßig die parlamentarische Beratung dieses wichti-
gen Themas hinausgeschoben. Im Oktober letzten Jah-
res wurde der Gesetzentwurf endlich in erster Lesung
in den Bundestag eingebracht. Bereits hier wurde
deutlich, dass der Gesetzentwurf wesentliche Mängel
enthält, die sowohl von der SPD-Bundestagsfraktion
als auch von zahlreichen Verbänden wiederholt zur
Sprache gebracht wurden. So sollte den Alleinerzie-
henden die Möglichkeit genommen werden, den Unter-
haltsvorschuss rückwirkend zu beantragen – ein bis-
lang gültiges Recht, welches den Betroffenen
ermöglicht, finanzielle Engpässe, zum Beispiel bei
Trennung, zu überbrücken.

Zum Glück, kann man sagen, ist diese Regelung auf-
grund des großen Drucks durch einen Änderungs-
antrag der Regierungskoalition zurückgenommen
worden. Schwarz-Gelb hat offenbar eingesehen, wenn
auch spät, dass die errechneten fünf Minuten Zeiter-
sparnis bei der Antragstellung – dies wäre wohlge-
merkt nur bei 10 Prozent der Neuanträge der Fall –
Zu Protokoll gegebene Reden





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)

zur finanziellen Belastung des betreuenden Elternteils
in keinem Verhältnis steht.

Einen weiteren Rückzieher gab es vonseiten der
Regierungskoalition bei der geplanten Leistung des
barunterhaltspflichtigen Elternteils an Dritte. Diese
wurde im Änderungsantrag aufgrund verstärkter
Kritik ebenfalls zurückgenommen; zum Glück, kann
ich auch hier nur wiederholen. Das ist nämlich ein in-
transparentes und aufwendiges Verfahren, welches
nicht im Sinne der Kinder gewesen wäre.

Nun bleibt die Frage: Was debattieren wir eigent-
lich noch? Dieser Gesetzentwurf wird in keiner Weise
dem Anspruch gerecht, den Unterhaltsvorschuss posi-
tiv weiterzuentwickeln. Es ist nicht ausreichend, dass
in dem vorliegenden Änderungsantrag lediglich die
größten Fehler des Gesetzentwurfes behoben werden.

In der vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs
wurde nicht einmal die Vereinbarung des schwarz-
gelben Koalitionsvertrages umgesetzt, für eine Anhe-
bung der Altersgrenze von Kindern auf 14 Jahre für
den Bezug von Unterhaltsvorschuss zu sorgen. Das
wäre eine wirkliche Verbesserung für Alleinerziehende
und ihre Kinder gewesen. Leider wurde hier eine wei-
tere Chance vertan. Genügend Zeit zur Prüfung war
gegeben. Die Mehrheit der Sachverständigen forderte
in der Anhörung ebenfalls eine Anhebung der Alters-
grenze.

Der Anspruch auf Leistung nach dem Unterhalts-
vorschussgesetz eines Kindes endet nach wie vor mit
dem zwölften Lebensjahr, nicht aber die Notwendigkeit
weiterer Unterstützung. Ursprünglich ist die Alters-
grenze von zwölf Jahren mit einem erhöhten Betreu-
ungsbedarf von kleineren Kindern begründet worden.
Das ist richtig, doch gerade bei älteren Kindern steigt
der materielle Aufwand. Statistiken zeigen, dass bei
Alleinerziehenden, deren Kinder älter als zwölf Jahre
sind, eine größere Gefahr besteht, in Armut zu fallen.
Der Wegfall des Unterhaltsvorschusses macht sich
also gerade hier deutlich bemerkbar. Ironischerweise
zeigt gerade eine Publikation des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass eine
Ursache der hohen Armutsquote bei Alleinerziehenden
mit Kindern im Jugendalter unter anderem mit den
endenden Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschuss-
gesetz in Verbindung gebracht wird.

Warum lassen Frau Merkel und die schwarz-gelbe
Koalition diesen Erkenntnissen keine Taten folgen?
Der Koalitionsvertrag wird beim Unterhaltsvorschuss
umgangen, beim unsinnigen Betreuungsgeld hingegen
war er in Stein gemeißelt. Die von Schwarz-Gelb im
Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 3 UVG ist
sogar definitiv eine Verschlechterung für Alleinerzie-
hende und ihre Kinder. Es ist vorgesehen, die Bezugs-
dauer auch dann anzurechnen, wenn ein zu Unrecht
bezogener Unterhaltsvorschuss zurückgezahlt werden
muss. Hier handelt es sich um eine Sanktion, die zulas-
ten der Kinder geht. Der Bundesregierung sind – so
hat sie sich auf schriftliche Nachfrage geäußert – nicht

einmal konkrete Zahlen bekannt, die darauf hinweisen
würden, dass in großem Stil rechtswidrig Unterhalts-
vorschuss bezogen wird. Häufig ist dies durch Nicht-
wissen bei den Alleinerziehenden begründet. Hier
wäre detaillierte Aufklärung bei der Antragstellung
notwendig.

Ein weiterer Punkt in der Reihe der nicht erledigten
Hausaufgaben der Bundesregierung beim Unterhalts-
vorschuss ist die Überprüfung der Tatsache, dass das
volle Kindergeld nicht länger vom Unterhaltsvor-
schuss abgezogen werden sollte. Diese Regelung steht
im Gegensatz zum Unterhaltsrecht. In dem Antrag der
SPD-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Alleinerzie-
hende besser unterstützen“ auf Drucksache 17/11032,
eingebracht im Oktober letzten Jahres, fordern wir die
Bundesregierung auf „zu prüfen, wie die bestehende
Ungleichbehandlung, hervorgerufen durch den voll-
ständigen Abzug des Kindergeldes beim Unterhalts-
vorschuss, beseitigt werden kann, sowie für das Unter-
haltsvorschussgesetz eine Anhebung der Altersgrenze
von derzeit 12 auf 14 Jahre zu prüfen und das Ergebnis
der Prüfung umgehend und vor Beginn der parlamen-
tarischen Beratungen zum Unterhaltsvorschussent-
bürokratisierungsgesetz vorzulegen“.

Überprüft werden sollte unserer Meinung nach
auch der Zeitraum des Bezugs des Unterhaltsvor-
schusses, der bisher bei 72 Monaten liegt. Häufig ist
der Anspruch schon dann, wenn sich das Kind im
Grundschulalter befindet, verbraucht. Falls beispiels-
weise für das Kind der Vorschuss erst mit neun oder
zehn Jahren beantragt wird, können nicht einmal die
vorgesehenen 72 Monate bzw. sechs Jahre voll ausge-
schöpft werden. Hier ist eine Änderung dringend anzu-
raten. Die ursprüngliche Zielsetzung, eine Übergangs-
finanzierung zu schaffen, wird den heutigen
gesamtgesellschaftlichen Lebensverhältnissen nicht
mehr gerecht.

Der hier vorliegende Gesetzentwurf setzt weder den
schwarz-gelben Koalitionsvertrag um, noch bringt er
wesentliche Verbesserungen für die Situation der Al-
leinerziehenden und ihrer Kinder. Zumindest könnte
mit diesem Gesetzentwurf eine Entbürokratisierung
und dadurch eine Entlastung der Ämter teilweise er-
reicht werden. Die Prüfung und die Bewilligung der
Anträge in den Unterhaltsvorschussstellen soll be-
schleunigt werden. Ebenso soll den Ämtern der Rück-
griff auf den Unterhaltsschuldner oder die Unterhalts-
schuldnerin erleichtert werden. Aber wesentlich
drängender als eine Entbürokratisierung wären die
Stärkung und der Ausbau des Unterhaltsvorschusses
für die betroffenen Kinder gewesen. Hierfür wird sich
die SPD-Bundestagsfraktion weiter starkmachen.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1722534200

Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes der

Bundesregierung zum Unterhaltsvorschussentbüro-
kratisierungsgesetz kann ich ein Thema abschließen,
das ich lange begleitet habe. Als Familienrechtlerin
war es mir immer ein wichtiges Anliegen, deutliche
Zu Protokoll gegebene Reden





Sibylle Laurischk


(A) (C)



(D)(B)


(in der Regel die Mütter)

Unterhaltsrecht vereinfacht, verbessert und die Effi-
zienz steigert. Ich bin mit dem vorliegenden Ergebnis
durchaus zufrieden, wenngleich die Wünsche offen
bleiben. Eine Erhöhung der Altersbezugsgrenze auf
mindestens 14 Jahre, wie es auch im Koalitionsvertrag
steht, war aufgrund der Haushaltslage letztlich nicht
erreichbar. Allerdings haben sich alle Fraktionen im
Gesetzgebungsverfahren mit dem Unterhaltsvor-
schussrecht in einer Art und Weise auseinandergesetzt,
wie das bislang nicht der Fall war.

Alleinerziehende haben im Allgemeinen schon
Schwierigkeiten, überhaupt einen Unterhaltstitel für
das Kind oder die Kinder zu bekommen. Und weil das
Verfahren zu Beantragung Zeit kostet, hat man den Un-
terhaltsvorschuss als eine „Überbrückungsleistung“
eingeführt und etabliert. Das originäre Ziel war es, in
der Zeit, bis Mütter den Unterhaltsanspruch gegen-
über dem Vater klären können, eine Überbrückung von
staatlicher Seite zu bieten. Das Kind braucht Unter-
halt; das Kindeswohl, seine Bedürfnisse müssen im
Vordergrund stehen.

Mittlerweile ist der Unterhaltsvorschuss aber zu ei-
ner Leistung geworden, die sich – auch wegen der
stark voneinander abweichenden Praxis der föderal
geführten Jugendämter – verselbstständigt hat. Ins-
besondere die Rückholungen der gezahlten Unter-
haltsleistungen beim Verpflichteten ist in den Bundes-
ländern unterschiedlich organisiert. Ich hoffe, dass die
im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geführte
Diskussion und das neue Gesetz ein Anlass für die
Bundesländer sind, den Rückgriff effizienter zu gestal-
ten. Das kann als klares Signal gewertet werden, dass
Unterhaltsleistungen an Kinder auch nach der Tren-
nung oder Scheidung zu erbringen sind. Mit
Nachdruck möchte ich nochmal erwähnen, dass das
Unterlassen von Unterhaltszahlungen kein Kavaliers-
delikt ist, sondern eine Straftat, die von den Staatsan-
waltschaften konsequenter als bisher verfolgt werden
muss. Zu Zeiten, in denen wir die Stärkung der Rechte
von Vätern im Deutschen Bundestag diskutieren und
verabschieden, dürfen wir deren Pflichten – meist sind
die Väter unterhaltspflichtig – nicht vernachlässigen.

Bei Verabschiedung des Gesetzentwurfes wird die
Stellung der Alleinerziehenden gestärkt. Ihr Informa-
tionsrecht wurde verbessert. Künftig sind die zuständi-
gen Stellen für den Unterhaltsvorschuss dazu ver-
pflichtet, notwendige Auskünfte und Informationen wie
Einkommensnachweise, Vermögen oder Anschriften
des Verpflichteten zu erteilen. Das macht deutlich, wie
wichtig und notwendig eine unbürokratische Koopera-
tion zwischen den zuständigen Stellen ist. Maßgeblich
ist auch, dass die Leistungen rückwirkend für einen
Monat vor der Antragsstellung beibehalten werden.
Die Bundesländer wollten diese Regelung streichen.

Zukünftig muss man trotzdem nochmal darüber
nachdenken, wie das Nebeneinander von Leistungsan-
sprüchen nach dem UVG und dem SGB II bereinigt

werden kann. Der Bundesrechnungshof regt zum
Beispiel an, den unbedingten Vorrang von Unterhalts-
vorschuss und Wohngeld beim Bezug von SGB-II-
Leistungen aufzugeben. Betroffene müssten dann statt
drei nur noch einen Antrag stellen, würden aber den
gleichen Leistungsbetrag erhalten wie bisher schon.
Hier ist also auch eine Kosteneinsparung möglich, wie
es in der Anhörung des Familienausschusses zur
UVG-Novelle hieß. Es besteht demnach weiterhin poli-
tischer Handlungsbedarf.

Statt vieler Einzelleistungen für Kinder könnte man
eine Art „Kinderbasisgeld“ einführen, das Familien
mit Kindern für diese erhalten könnten. So würden Sie
schnell und unbürokratisch unterstützt.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722534300

Unter Entbürokratisierung versteht die Linke etwas

anderes. Schon der Titel hält nicht, was er verspricht.
Um es noch einmal zu wiederholen: Der Unter-

haltsvorschuss soll die finanzielle Situation von Allein-
erziehenden und ihren Kindern verbessern, wenn der
unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsver-
pflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkom-
men kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit un-
mittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute
und unterstützt alleinerziehende Elternteile vorüber-
gehend.

Immerhin hat die Regierungskoalition diesmal zu-
mindest partiell Sachverstand einfließen lassen, indem
sie nach der Anhörung von Sachverständigen im Aus-
schuss die Streichung der rückwirkenden Bewilligung
wieder gestrichen hat, sodass den Alleinerziehenden
insoweit durch das neue Gesetz kein finanzieller Nach-
teil entsteht.

Die von der Linken geforderte Erleichterung der
Darlegungspflicht der „zumutbaren Bemühungen“ zur
Durchsetzung der Unterhaltsansprüche gegenüber dem
unterhaltspflichtigen Elternteil ist leider nicht umge-
setzt worden. Wieder einmal hat diese Regierung eine
Chance vertan.

Die Anrechnung von Sachleistungen auf den Unter-
halt ist nach der Sachverständigenanhörung glück-
licherweise revidiert worden. Die Linke hat dies von
Anfang an gefordert; denn Zahlungen an Dritte sind
für den betreuenden Elternteil weniger verlässlich und
weitaus schwerer nachprüfbar als direkte Leistungen.
Zudem verlieren Alleinerziehende und ihre Kinder
durch indirekte Leistungen einen Teil ihrer Entschei-
dungskompetenz und möglicherweise auch den be-
darfsdeckenden Unterhalt.

Dafür hat die Koalition jetzt im Gesetzentwurf einen
automatisierten Datenabgleich beim Bundeszentral-
amt für Steuern sowie vorhandener Konten bei Kredit-
instituten eingeführt. Insoweit verweist die Regierung
auf gute Erfahrungen beim Wohngeld und BAföG. Hier
herrscht wieder die Angst, dass das Unterhaltsvor-
schussrecht missbraucht werden könnte, diese alles
überschattende Angst der Regierung vor Missbrauch.
Zu Protokoll gegebene Reden





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)

Dagegen werden datenschutzrechtliche Bedenken
hinsichtlich des Umgangs mit Informationsquellen und
des automatisierten Datenabgleichs einfach hintange-
stellt, anstatt hier einmal zu überlegen, wie Anreize für
Kommunen geschaffen werden können, um die Rückhol-
quote zu erhöhen. In der Sachverständigenanhörung
kam klar heraus, dass das Engagement der Kommunen
insoweit nicht riesig sei, wenn sie an der Steigerung
der Rückholquote nicht selbst auch zumindest partiell
teilhaben können.

Wieder einmal wird ein Gesetz verabschiedet, ohne
den Bedürfnissen der Realität gerecht zu werden. Es
wäre besser gewesen, dem Antrag der Linken zu folgen
und den Unterhaltsvorschuss zu entfristen und das
Höchstalter für den Bezug von Unterhaltsvorschuss
auf 18 Jahre anzuheben. Bar- und Betreuungsunterhalt
sind als gleichwertig anerkannt. Daher ist es notwen-
dig, dass beim Unterhaltsvorschuss nicht länger das
volle Kindergeld angerechnet wird, sondern stattdes-
sen – wie beim „normalen“ Unterhalt – nur das halbe
Kindergeld angerechnet wird und die andere Hälfte
beim betreuenden Elternteil verbleibt.

Das ist die Realität, aber dafür stehen angeblich
keine Gelder zur Verfügung. Bereits 2006, vor fast ge-
nau sieben Jahren, hat die Linke einen derartigen An-
trag ins Parlament eingebracht. Auch damals wurde er
abgelehnt. Aber die regierenden Parteien hatten sieben
Jahre Zeit, um zu klären, wie dies zu finanzieren ist.
Nichts haben sie getan, egal ob schwarz-rot oder
schwarz-gelb: vertane sieben Jahre für Alleinerzie-
hende.

Und wie die Regierungskoalition zu der Ansicht ge-
langt, dass den Alleinerziehenden wesentlich geholfen
ist, wenn ihnen nach Einstellung der Zahlung durch
das Amt die Daten des Unterhaltsverpflichteten mitge-
teilt werden, damit die Unterhaltszahlung auch weiter
sichergestellt wird, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.
Warum ist denn Unterhaltsvorschuss durch das Ju-
gendamt gezahlt worden? Weil der Unterhaltspflich-
tige Unterhalt zahlen kann und will? Eher doch aus
den gegenteiligen Gründen oder weil der Unterhalts-
verpflichtete nicht greifbar ist.

Liebe Regierungskoalition, es wird Zeit aufzu-
wachen. Willkommen in der Realität! Und da helfen
auch nicht Sprüche wie „Gut regiert“ oder „Vorfahrt
für Familien“. Selbst die geplante Hilfe aus dem Koali-
tionsvertrag, nach welchem das Bezugsalter immerhin
um zwei Jahre auf 14 Jahre angehoben werden sollte,
war ein falsches Versprechen. Reine Augenwischerei,
wie so vieles dieser Koalition. Im Ergebnis ändert die-
ser Gesetzentwurf nichts an der Situation von Alleiner-
ziehenden.

Politik für Menschen sieht anders aus. Die Linke
kämpft weiter für eine Politik für die Menschen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722534400

Meine Bemerkungen zum Gesetzentwurf der Bun-

desregierung selbst kann ich kurzhalten – zum Glück,

möchte ich sagen. Das hat damit zu tun, dass zwei aus-
gesprochen kritisch zu bewertende geplante Änderun-
gen, die Anrechnung von Unterhaltszahlungen, die an
Dritte geleistet werden, sowie die Aufhebung der rück-
wirkenden Antragstellung, durch den Änderungs-
antrag der Koalitionsfraktionen zurückgenommen
werden. Beide hätten erhebliche Verschlechterungen
für Alleinerziehende bedeutet. Ein Punkt bleibt aller-
dings kritisch, und zwar der Verbrauch der Gesamt-
bezugsdauer, wenn Gelder zwischenzeitlich zurück-
gezahlt wurden. In einen Gesetzentwurf, der als
Entbürokratisierung daherkommt, werden faktisch
Verschlechterungen für Alleinerziehende hineingemo-
gelt. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf nicht
zustimmen.

Trotz der Veränderungen beim Datenabgleich, die
durch den vorliegenden Gesetzentwurf ermöglicht
werden sollen, wird die sogenannte Rückholquote ein
Problem bleiben. Eines hat die Anhörung zum Gesetz-
entwurf deutlich gemacht: Die Rückholquote kann
sehr wohl deutlich gesteigert werden. Aber wenn man
dies erreichen will, muss die Problematik gelöst
werden, dass die Kommunen gar kein Interesse daran
haben, das von Bund und Ländern für den Unterhalts-
vorschuss ausgezahlte Geld von den Unterhaltsschuld-
nerinnen und Unterhaltsschuldnern wieder hereinzu-
holen, weil sie Personal einsetzen müssten, ohne von
den Mehreinnahmen zu profitieren.

Etwas ausführlicher möchte ich auf die grundsätzli-
che Haltung zu Einelternfamilien eingehen, die beim
Regierungshandeln von Schwarz-Gelb zum Ausdruck
kommt. Für die 1,8 Millionen Alleinerziehenden, zu
90 Prozent Frauen, hat die schwarz-gelbe Regierungs-
tätigkeit vor allem negative Konsequenzen. Die guten
Vorschläge, die im Koalitionsvertrag vereinbart
wurden, wie die Verbesserungen beim Unterhalts-
vorschuss und die Prüfung einer alternativen Besteue-
rung, werden schlicht nicht in Angriff genommen. Pa-
pier scheint geduldig; denn seit der Unterzeichnung
des Koalitionsvertrages sind diese Themen von der
Agenda verschwunden. Dabei steht dort klar: „Wir
werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend
ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokrati-
siert und bis zur Vollendung des vierzehnten Lebens-
jahres eines Kindes gewährt wird.“ Das wäre eine
sinnvolle Maßnahme. Wir wissen: Im Gegensatz zur
bildungs- und gleichstellungspolitischen Katastrophe
namens Betreuungsgeld, das den Bundeshaushalt mit
rund 2 Milliarden Euro im Jahr belasten wird, sind die
Verbesserungen für Alleinerziehende dem Sparzwang
zum Opfer gefallen.

Schlimmer noch: Gerade für Alleinerziehende
wirken sich viele Reformen der Koalition besonders
negativ aus, beispielsweise die Anrechnung des Eltern-
geldes auf ALG-II-Leistungen, die nicht verfassungs-
gemäßen Regelsätze oder Kürzungen bei der Arbeits-
marktförderung. Es ist bitter, zu sehen, dass weder
Alleinerziehende noch Frauen in der Regierung eine
Lobby haben.
Zu Protokoll gegebene Reden





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter
hat in einem Positionspapier zur Arbeitsmarkt- und
Beschäftigungspolitik sehr gut herausgearbeitet, dass
alleinerziehende Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht in
erster Linie deshalb benachteiligt sind, weil sie allein-
erziehende Frauen sind, sondern erstens deshalb, weil
sie Frauen sind, und zweitens, weil sie Mütter sind.
Solange die Geschlechtergerechtigkeit auf dem
Arbeitsmarkt nicht forciert wird, wird sich auch für
alleinerziehende Mütter wenig ändern. Wir müssen
also große und kleine Räder drehen. Es wäre wichtig,
bei den Alleinerziehenden endlich damit anzufangen.

Vertan hat die schwarz-gelbe Koalition auch die
Chance, die Familienleistungen insgesamt neu aus-
zurichten. Auch hier warten wir seit Monaten auf
Ergebnisse der groß angelegten Gesamtevaluation
familienpolitischer Leistungen. Es ist zentral, die
Unterstützung Alleinerziehender in einen gesamtge-
sellschaftlichen Kontext zu stellen und die Familien-
förderung am Kind auszurichten. Wir brauchen eine
Kindergrundsicherung, die Kinder direkt fördert und
Armut vermeidet. Mit Blick auf die anstehende Bun-
destagswahl im September dieses Jahres kann ich nur
sagen: Das werden wir deutlich besser machen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722534500

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-

desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Ge-
setze. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12488, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8802 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 17/2584 zur Verbesserung des Voll-
zugs im Unterhaltsvorschussrecht für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 b. Wir setzen die Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksa-
che 17/12488 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache

17/11142 mit dem Titel „Alleinerziehende entlasten –
Unterhaltsvorschuss ausbauen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten –
Diplomatische Verhandlungslösung für den
Konflikt fördern

– Drucksachen 17/11697, 17/12243 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Hörster
Günter Gloser
Bijan Djir-Sarai
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Tom Koenigs, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Syrische Flüchtlinge nicht im Stich lassen

– Drucksache 17/12496 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1722534600

Seit fast zwei Jahren wütet der Bürgerkrieg in Syrien,

und ein Ende scheint leider auch heute weit entfernt zu
sein. Navi Pillay, die Hohe Kommissarin der Vereinten
Nationen für Menschenrechte, hat Mitte Februar er-
klärt, dass sich die Zahl der Todesopfer nun der 70 000
nähere. Der UN-Menschenrechtsrat sieht eine Zunahme
der Gewalttätigkeit aller Konfliktparteien; immer häu-
figer komme es zu Verstößen gegen das humanitäre
Völkerrecht. Nach aktuellen Schätzungen der Verein-
ten Nationen sind derzeit über 4 Millionen Syrer auf
humanitäre Hilfe angewiesen. Wir alle, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, sind uns der prekären Lage in Syrien
bewusst und versuchen einen Beitrag zu deren Verbes-
serung zu leisten.

Die Beweggründe der Opposition für die beiden An-
träge, die wir heute debattieren, kann ich deshalb nur
schwer nachvollziehen. Denn auch die Bundesregie-
rung tut meines Erachtens ihr Möglichstes, um der sy-
rischen Bevölkerung zu helfen und auf ein Ende des





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)

Bürgerkrieges hinzuwirken. Dabei sollte sie die Unter-
stützung des gesamten Parlaments erfahren und nicht
– wie es beispielsweise die Fraktion Die Linke tut – des
widersprüchlichen Verhaltens bezichtigt werden. Ich
lehne die beiden Anträge der Opposition deshalb ab.

Es wird völlig außer Acht gelassen, in welchem
Maße sich die Bundesregierung bereits in Syrien enga-
giert. Nehmen wir zum Beispiel die Forderung nach ei-
ner Aufstockung der Mittel zur humanitären Hilfe. Am
30. Januar dieses Jahres wurden, im Rahmen einer hu-
manitären Geberkonferenz der Vereinten Nationen in
Kuwait, weitere 10 Millionen Euro für humanitäre
Hilfsmaßnahmen in Syrien und den umliegenden Län-
der bereitgestellt. Erst heute hat der Bundesaußen-
minister Guido Westerwelle erklärt, dass die Bundes-
regierung die Mittel für die humanitäre Hilfe nochmals
um 5 Millionen Euro aufstocken wird.

Die deutsche Unterstützung beträgt damit seit Be-
ginn der Krise insgesamt 118 Millionen Euro, womit
Deutschland einen der größten bilateralen Geldgeber
darstellt. Davon sind 68 Millionen Euro für die huma-
nitäre Hilfe bestimmt. 50 Millionen Euro stehen für die
strukturbildende Übergangshilfe und die bilaterale
Unterstützung zur Verfügung.

Ich kann hier keine Versäumnisse der Bundesregie-
rung erkennen. Wir müssen uns jedoch darüber im
Klaren sein, dass die Unterstützung und die humani-
täre Hilfe auch in Zukunft auf gleichem Niveau auf-
rechterhalten werden müssen. Bis Juni 2013 schätzen
die Vereinten Nationen den Bedarf an humanitärer
Hilfe auf circa 500 Millionen US-Dollar.

Nach Angaben des UNHCR sind bis heute über
857 000 Menschen aus Syrien geflohen. Die Dunkelzif-
fer wird als weit höher eingeschätzt. Sowohl im Antrag
der Linken als auch bei den Grünen wird der Umgang
mit syrischen Flüchtlingen in Deutschland themati-
siert. Doch auch der Vorwurf, die Bundesregierung
würde sich zu wenig für syrische Flüchtlinge engagie-
ren, ist nicht berechtigt. Die Grünen verwenden sogar
die Formulierung „im Stich lassen“. Dass dies keines-
wegs der Fall ist, wird unter anderem am Beispiel der
syrischen Studenten deutlich, die derzeit in Deutsch-
land studieren und aufgrund des Konflikts in finan-
zielle Not geraten sind. Um dieser Situation entgegen-
zutreten, hat das Auswärtige Amt im vergangenen Jahr
die Vergabe kurzfristiger Überbrückungsstipendien
deutscher Hochschulen mit 1,5 Millionen Euro finan-
ziert.

Auch die Forderung der Opposition, das mit Syrien
geschlossene Rückübernahmeabkommen zu kündigen,
wurde hier im Plenum des Deutschen Bundestages be-
reits thematisiert. Das Rückübernahmeabkommen ent-
hält prozedurale Regelungen und konkretisiert die Ver-
pflichtungen beider Vertragsparteien bei der Rück-
übernahme eigener Staatsangehöriger. Es verpflichtet
jedoch nicht zur Durchführung von Abschiebungen
und stellt auch keinen Hinderungsgrund dar, Abschie-
bungen in bestimmten Situationen auszusetzen. Fakt

ist, dass seit April 2011 niemand nach Syrien abge-
schoben wurde. Mit diesem Abschiebestopp der Bun-
desländer kommt Deutschland seinen humanitären
Verpflichtungen bereits nach. Die Forderung der Op-
position ist demnach schlichtweg unbegründet.

Bei der Debatte über die Aufnahme syrischer
Flüchtlinge in Deutschland darf außerdem nicht ver-
gessen werden, dass viele Syrer, die die Hoffnung auf
ein baldiges Ende der Kämpfe nicht aufgegeben ha-
ben, in ihrer Region bleiben wollen. Für die CDU/
CSU-Fraktion hat daher weiterhin die Hilfe vor Ort
Vorrang.

Abschließend möchte ich noch einen Punkt anspre-
chen, der mir persönlich sehr am Herzen liegt: Der
Schutz der christlichen Minderheit in Syrien. Die
Christen versuchen sich im syrischen Bürgerkrieg neu-
tral zu verhalten, aber es droht fortwährend die Ge-
fahr, dass sie zwischen die Fronten geraten. Europa
muss seine Verantwortung für die orientalische Chris-
tenheit stärker wahrnehmen, um sie in ihrer schwieri-
gen Lage zu unterstützen.


Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1722534700

Als ich am 13. Dezember 2012 zum gleichen Thema

gesprochen habe, tat ich dies in der Hoffnung auf ein
baldiges Ende des Assad-Regimes. Wie wir alle
zwischenzeitlich einräumen müssen, hat sich diese
Hoffnung nicht erfüllt. Eine Lösung des Konflikts in
Syrien ist nach wie vor in weiter Ferne.

In der heutigen Debatte liegen uns zwei Anträge
vor, einer der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sofor-
tige humanitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomati-
sche Verhandlungslösung für den Konflikt fördern“
und ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Syrische Flüchtlinge nicht im Stich
lassen“. Beide Anträge sind abzulehnen, da sie die
Anstrengungen der Bundesregierung auf humanitärem
Gebiet in dieser Krisenregion negieren.

Die Flüchtlingsproblematik ist uns allen – und
selbstverständlich auch der Bundesregierung – nur
allzu bewusst. Im Dezember vergangenen Jahres ha-
ben die Vereinten Nationen rund 450 000 syrische
Flüchtlinge registriert, wobei die angenommene Dun-
kelziffer weitaus höher lag.

Die im Februar veröffentlichten Zahlen sprechen
eine noch deutlichere Sprache: Mittlerweile verzeich-
net der UNHCR eine Gesamtzahl von rund 814 000 re-
gistrierten Flüchtlingen aus Syrien in die benachbar-
ten Länder. Allein im Libanon waren im Februar 2013
rund 275 000 Flüchtlinge registriert; in Jordanien
waren es 260 000, in der Türkei rund 183 000, in
Ägypten 18 000 und im Irak 92 500. Neben den Flücht-
lingen, denen es gelungen ist, das Land zu verlassen,
leiden in Syrien selbst geschätzte 4 Millionen Men-
schen unter den Folgen des Konflikts.

Der überwiegende Teil der Flüchtlinge in den Nach-
barländern, zum Großteil Frauen und Kinder, leben in
Zu Protokoll gegebene Reden





Joachim Hörster


(A) (C)



(D)(B)

Camps oder Zeltstädten, nur wenige bei Verwandten
oder Freunden in den Städten.

Mittlerweile stehen die aufnehmenden Staaten vor
großen Problemen: Die Versorgung der Flüchtlinge
mit elementaren Dingen wie Nahrungsmitteln, medizi-
nischer Versorgung und Wasser bedeutet eine logisti-
sche Herausforderung.

Um diese Herausforderungen auch international zu
koordinieren und zu meistern, wurde im Jahr 2012
erstmals der „Regional Response Plan“ aufgestellt,
eine Art „Hilfskoordinierungsplan“, an dem insge-
samt circa 60 nationale und internationale Partner be-
teiligt sind. Einer dieser Partner ist übrigens das Tech-
nische Hilfswerk, das in Jordanien wichtige praktische
Hilfe leistet.

Bereits seit Eröffnung des Flüchtlingscamps al-
Zaatari nahe der syrisch-jordanischen Grenze im Juni
2012 waren THW-Kräfte vor Ort. Als erfahrene Orga-
nisation in internationalen Einsätzen leistet das THW
wertvolle Hilfe. Der Aufbau von Kücheneinheiten,
Wasseraufbereitungsanlagen sowie Toilettenanlagen
im Camp sichert die Versorgung der Flüchtlinge mit.
Mit diesen Maßnahmen wird Hilfe dort geleistet, wo
sie dringend benötigt wird: bei den Menschen vor Ort.
Seit Juni 2012 waren so insgesamt 110 Helfer des deut-
schen THW im Einsatz. Kritiker können jetzt natürlich
behaupten, das sei bei Weitem nicht genug, aber ange-
sichts der prekären Lage in den Camps zählt jeder
Helfer, und jede Maßnahme hilft den Flüchtlingen.

Darüber hinaus steht die Bundesregierung auch
finanziell zu ihrer internationalen Verantwortung.
Deutschland hat 2012 für den Bedarf an humanitärer
Hilfe insgesamt rund 103 Millionen Euro zur Verfü-
gung gestellt und gehört damit zu einem der größten
Geber. Auf der internationalen Geberkonferenz, die
Ende Januar in Kuwait stattfand, hat die Bundesrepu-
blik Deutschland nochmals zusätzlich 10 Millionen
Euro zugesagt.

Angesichts dieser Zahlen kann man wohl kaum da-
von sprechen, dass syrische Flüchtlinge „im Stich ge-
lassen werden“, wie der Titel des Antrags der Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen impliziert. Die Bundes-
republik Deutschland beteiligt sich in herausragender
Weise an den finanziellen und humanitären Maßnah-
men der Vereinten Nationen und der Europäischen
Union. Insgesamt sollen von der internationalen
Staatengemeinschaft mehr als 1,1 Milliarden Euro für
humanitäre Maßnahmen in der Region zur Verfügung
gestellt werden.

Diese Zahlen zeigen, dass die Bereitstellung von fi-
nanziellen Mitteln für die humanitäre Hilfe eben nicht
das eigentliche Problem ist, wie Sie es in Ihren Anträ-
gen formulieren. Entscheidend ist, dass die bereitge-
stellten Gelder für die Maßnahmen verwendet werden
können, für die sie gedacht sind, das heißt, dass sie bei
den Menschen in den betroffenen Gebieten ankommen.
Hierfür bedarf es einer ausgeklügelten Logistik und ei-

ner guten Koordination, vor allem aber eines dauer-
haften Waffenstillstands

Und darüber hinaus sollten wir auch das Schicksal
derjenigen im Auge behalten, die in Syrien leben und
täglich mit den Folgen des Konflikts konfrontiert wer-
den. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation
wird deren humanitäre Lage immer schwieriger. Die
wenigen Hilfsorganisationen, die noch in Syrien arbei-
ten können, können dies aufgrund der Kampfhandlun-
gen nicht effektiv genug tun.

In diesem Zusammenhang sind vor allem der Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen und damit auch
die fünf ständigen Mitglieder in der Verantwortung.
Appelle des Generalsekretärs bzw. der Vollversamm-
lung sind bedauerlicherweise nicht nachhaltig genug.

Daher geht die Forderung zum Handeln, die Sie in
Ihren Anträgen von der Bundesregierung verlangen,
ins Leere, da sie längst tätig ist.

Es liegt in der Hand des UN-Sicherheitsrates, nicht
gegen- sondern miteinander zu arbeiten. Angesichts
der Dauer des Konfliktes sollte es die vordringliche
Aufgabe des Gremiums sein, nicht nur über die
schlechte humanitäre Lage in Syrien zu sprechen, son-
dern konkret zu handeln. In der Vergangenheit wurde
die Verteilung von Hilfslieferungen massiv behindert.
Nur mit einem einheitlichen Votum des UN-Sicher-
heitsrates kann ein gewisser Druck aufgebaut werden,
um mehr internationalen Hilfsorganisationen den Zu-
gang ins Land zu ermöglichen. Insbesondere müssen
die Kampfhandlungen eingestellt werden, und zwar
auf beiden Seiten.

Auch die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ge-
äußerte Kritik an der Bundesregierung hinsichtlich
der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen entbehrt je-
der Grundlage. Im Januar 2013 zählte das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge circa 1 000 Asylanträge
von Syrern. Aufgrund des bereits seit längerem beste-
henden Abschiebestopps können die Flüchtlinge in
Deutschland bleiben. Damit zeigt die Bundesregierung
deutlich ihre Solidarität mit der syrischen Bevölke-
rung.

Deutschland hat seit Beginn der Krise in Syrien in
enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit den euro-
päischen Partnern seine klare Position deutlich ge-
macht. Die von Ihnen geforderten diplomatischen Ver-
handlungslösungen mit dem herrschenden Regime
sowie der Ausbau intensiver Kontakte zur demokrati-
schen, gewaltfreien Opposition in Syrien entbehren
zum einen durch die Tatsache, dass sich die Bundes-
regierung immer auf einen friedlichen Verhandlungs-
weg berufen und aus diesem Grund die syrische Ver-
tretung in Deutschland nicht gänzlich geschlossen hat,
und zum anderen durch das Ergebnis der Konferenz in
Marrakesch jeglicher realistischer Grundlage.

Wir sind uns in diesem Hause darin einig, dass so
schnell wie möglich die Bürgerkriegsauseinanderset-
zungen beendet werden und der syrischen Bevölkerung
Zu Protokoll gegebene Reden





Joachim Hörster


(A) (C)



(D)(B)

in ihrer Not jetzt, aber auch später beim Wiederauf-
bau, geholfen werden kann.

Die in den beiden Anträgen vorgebrachte Kritik an
der Bundesregierung ist jedoch unbegründet, und da-
her werden wir beide Anträge ablehnen.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1722534800

Der Grundforderung des Antrags „Sofortige huma-

nitäre Hilfe für Syrien leisten – Diplomatische Ver-
handlungslösung für den Konflikt fördern“ widerspre-
chen wir Sozialdemokraten nicht. Der Konflikt in
Syrien hat mit wahrscheinlich über 70 000 Toten, circa
1,5 Millionen Binnenflüchtlingen und Hunderttausen-
den Flüchtlingen in die Nachbarstaaten mittlerweile
eine neue blutige Dynamik erreicht. Die dramatische
Flüchtlingssituation treibt uns in der SPD-Bundes-
tagsfraktion um. Ich hatte bei einem Besuch in Beirut
Anfang Februar die Gelegenheit, mit syrischen Flücht-
lingen zu sprechen, und dieser Dialog hat meine Ein-
schätzung für deren prekäre Situation stark geprägt.
Die Aufnahme von Hunderttausenden syrischen
Flüchtlingen in den Nachbarstaaten Jordanien, Liba-
non und Türkei ist eine Leistung, die man nicht genug
würdigen kann. Allein im Libanon wurde eine Zahl von
Menschen aufgenommen, die auf Deutschland umge-
rechnet der Aufnahme von etwa 3 Millionen Flüchtlin-
gen entspräche. Die größte Flüchtlingswelle der deut-
schen Nachkriegszeit brachte während der
Balkankriege der 90er-Jahre einige Hunderttausend
Flüchtlinge zu uns. 3 Millionen zusätzliche Menschen
in der Bundesrepublik übersteigen dagegen aber unser
Vorstellungsvermögen.

Vor diesem Hintergrund fordern wir Sozialdemo-
kraten die Bundesregierung auf, sich gegenüber den
anderen EU-Mitgliedstaaten für eine gemeinsame
europäische Initiative zur Aufnahme syrischer Flücht-
linge einzusetzen. Unabhängig davon ist die Bundes-
regierung dazu aufgerufen, auf nationaler Ebene zur
Minderung des syrischen Flüchtlingselends initiativ zu
werden. Es geht auch um ein Signal der Menschlich-
keit. Da viele Syrer oder syrischstämmige Verwandte
in Deutschland haben, ist ein Beitrag aus Deutschland
möglich, wenn die Bundesregierung dem Ernst der
Lage angemessen reagiert. Die Forderung, schnell et-
was gegen das syrische Flüchtlingselend zu unterneh-
men, teilen viele Kräfte in Deutschland, darunter auch
die beiden Kirchen. In Deutschland lebende Syrer und
syrischstämmige Deutsche haben signalisiert, bei der
Aufnahme von Verwandten bei uns vor Ort tatkräftig
zu helfen. Diese Chance muss die Bundesregierung
nutzen.

Die im Antrag geforderte Einbindung Chinas und
des Iran in eine Lösung des Konfliktes ist grundsätz-
lich richtig. China war als ständiges Mitglied des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen aber von Anfang
an eingebunden und hat dort – ebenso wie Russland –
die Chance auf eine Eindämmung des Konfliktes ver-
streichen lassen. Der Iran ist durch seine Waffenliefe-
rungen und durch die Entsendung von Militärberatern

für das Assad-Regime in diesem Konflikt bereits fak-
tisch Kriegspartei. Interessant, dass die Linkspartei
ihn in ihrer Liste der Staaten, an keine Waffen die ge-
liefert werden sollen, unter Punkt 4 c im Antrag gar
nicht aufführt. Die Geld- und Waffenlieferungen des
Iran an das Assad-Regime scheinen für die Linke ein
nachrangiges Problem zu sein. Sie tauchen nirgendwo
im Antrag auf. Wer so argumentiert, der ist in seiner
Bewertung der Aufrüstungssituation in Syrien ein-
äugig.

Auch macht es sich die Linke zu einfach, wenn sie
Art.-VII-Resolutionen des VN-Sicherheitsrates katego-
risch ausschließt. Wer sich selbst einer solchen Option
beraubt, der schwächt die Position des Sicherheitsra-
tes der Vereinten Nationen und goutiert das Verhalten
Russlands und Chinas in dem Gremium. Ich kann die
Forderung an die Linke, dass es gilt, klar Partei zu er-
greifen für die syrische Bevölkerung, Demokratie und
einen zivilen Wandel zu fördern, nur nochmals wieder-
holen. Doch anstatt eines klaren Bekenntnisses zur sy-
rischen Bevölkerung hört man nur, dass die Fraktion
der Linken die Schuld des Assad-Regimes an der Eska-
lation des syrischen Bürgerkriegs herunterspielt. Wenn
in dem vorliegenden Antrag für die Eskalation in Sy-
rien nur von einer „erheblichen Verantwortung“ des
Assad-Regimes die Rede ist, dann muss ich dies als
Euphemismus zurückweisen. Ich selbst habe mir in Ge-
sprächen mit ehemals engen Vertrauten des syrischen
Präsidenten mehrfach bestätigen lassen, dass Baschar
al-Assad immer wieder zu umfassenden Reformen in
seinem Land gedrängt worden war. Nichts dergleichen
ist geschehen! Aus einer Politik der vermeintlichen
Stärke heraus hat Assad den Konflikt in seinem Land
wissentlich eskalieren lassen, und dies wohlgemerkt zu
einer Zeit, als er noch alle politischen Fäden in der
Hand gehalten hatte. Ich kann die Fraktion Die Linke
daher nur ausdrücklich auffordern, endlich aufzuhö-
ren, die Verantwortung des Assad-Regimes in diesem
Bürgerkrieg zu verharmlosen, wenn sie ein außenpoli-
tischer Verantwortungsträger sein will.

Die Gespräche zwischen dem US-amerikanischen
Außenminister John Kerry und seinem russischen
Amtskollegen Sergej Lawrow in Berlin waren auch ein
Signal dafür, dass die Chance für eine politische Lö-
sung des Syrien-Konflikts weiterhin besteht. Gleiches
gilt für das Treffen zwischen Vertretern des Assad-Re-
gimes und syrischen Oppositionellen bei der Konfe-
renz der Freunde Syriens in Rom. Für mich ist dies Be-
stätigung dafür, dass nach wie vor der Wille zu einer
friedlichen Beilegung des Konflikts besteht. Die heuti-
gen Äußerungen des französischen Präsidenten
Hollande anlässlich seines Moskau-Besuchs unterstüt-
zen meine Auffassung, dass eine politische Lösung des
Konfliktes in den kommenden Wochen im Bereich des
Möglichen ist – vorausgesetzt, alle direkt und indirekt
beteiligten Konfliktparteien erkennen ihre Verantwor-
tung für diesen Prozess und nehmen sie auch an. Auch
wenn die Kontaktaufnahme zwischen den Konfliktpar-
teien nur einen ersten Schritt auf einem langwierigen
und steinigen Weg darstellt, so erhoffe ich mir von die-
Zu Protokoll gegebene Reden





Günter Gloser


(A) (C)



(D)(B)

sen Treffen doch wenigstens humanitäre Erleichterun-
gen.

Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht, ge-
meinsam mit unseren europäischen Partnern eine Vor-
reiterrolle einzunehmen und einen erheblichen Beitrag
zur Verbesserung der Flüchtlingssituation zu leisten.
Deutschland ist sicherlich kein Schlüsselstaat, wenn es
um die Beilegung des Syrien-Konflikts geht. Aber dort,
wo wir eine internationale Verantwortung und vor al-
lem eine Verpflichtung gegenüber der Menschlichkeit
haben, müssen wir diese auch wahrnehmen.


Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1722534900

Die humanitäre Lage in Syrien ist verheerend und

schon längst nicht mehr mit Worten zu fassen – und sie
verschlechtert sich weiter. Der Menschenrechtsrat der
Vereinten Nationen gibt die Zahl der Todesopfer mit
beinah 70 000 an. Insgesamt 4 Millionen Menschen
sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Zahl der
Binnenvertriebenen liegt bei 2 Millionen Menschen.

Kürzlich wurde bekannt, dass sich nach Schätzun-
gen der Weltgesundheitsorganisation WHO 2 500
Menschen in der nordöstlichen Provinz Deir al-Sor mit
Typhus infiziert haben. Dort gibt es nicht genügend
Treibstoff oder Elektrizität, sodass die Menschen ge-
zwungen sind, Wasser aus dem Euphrat zu trinken.

Kurzum: Eine höhere humanitäre Notfallstufe ist
laut Vereinten Nationen nicht mehr möglich.

Deshalb wird die Zahl der Syrer, die dieser Hölle
entkommen wollen, nicht kleiner werden. Im Gegen-
teil: Die Flüchtlingsströme in die Nachbarländer neh-
men weiterhin zu. Inzwischen befinden sich knapp
730 000 Menschen als Flüchtlinge im Libanon, in
Jordanien, der Türkei, dem Irak, in Ägypten und Nord-
afrika. Bis zum Juni dieses Jahres werden es 1,1 Mil-
lionen Flüchtlinge sein.

Vor diesem Hintergrund danke ich der Bundesregie-
rung für die bisher geleistete große Hilfe, die zuletzt im
Rahmen der Geberkonferenz Ende Januar in Kuwait
um 10 Millionen Euro aufgestockt worden ist. Und
heute hat das Auswärtige Amt mitgeteilt, weitere
5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Syrien bereit-
zustellen. Insgesamt hat die Bundesregierung seit
Beginn der Krise Hilfe in Höhe von 118 Millionen
Euro geleistet. Davon entfallen 68 Millionen Euro auf
humanitäre Hilfsmaßnahmen in Syrien und den Nach-
barländern sowie rund 50 Millionen Euro für struktur-
bildende Übergangshilfen und bilaterale Hilfe. Damit
ist Deutschland international der größte Geber.

Für dieses außerordentliche Engagement können
wir alle dankbar sein. In diesem Zusammenhang will
ich die hervorragende Arbeit unterstreichen, die zum
Beispiel in Flüchtlingslagern an der Grenze Syriens
vom THW geleistet wird. Mein Dank gilt auch den
Anrainerstaaten, die die syrischen Flüchtlinge bereit-
willig aufnehmen.

Dennoch sage ich: Wir müssen unsere Anstrengun-
gen für die syrischen Flüchtlinge erhöhen. Wenn man
versucht, zu begreifen, welche Leidensgeschichten hin-
ter all diesen Zahlen verborgen sind, wäre es für mich
unvorstellbar, nicht weitergehend zu handeln.

Es ist kein Geheimnis, dass wir Außenpolitiker frak-
tionsübergreifend und seit geraumer Zeit Bewegung in
der Frage der syrischen Flüchtlinge fordern. Herr
Polenz und die Sprecher aller Fraktionen haben sich
mehrfach zu diesem Thema geäußert. Allerdings gibt
es hier auseinandergehende Auffassungen, die teil-
weise in den unterschiedlichen fachpolitischen Per-
spektiven begründet liegen. Und bei aller Koalitions-
disziplin muss ich die Innenpolitiker der Union
ansprechen: Aus meiner Sicht könnten wir jetzt schon
mehr tun, ohne dass wir gesetzliche Änderungen vor-
nehmen müssten.

Deshalb unterstütze ich den Vorschlag des
Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung,
Markus Löning, Menschen aus Syrien vermehrt die
Einreise zu ermöglichen, die Verwandte in Deutsch-
land haben. Das Argument, das bisher gegen diese
Maßnahme sprechen soll, leuchtet mir nicht ein. Es ist
angesichts eines der weltweit grausamsten Kriege zy-
nisch, zu sagen: Die könnten ja hier bleiben wollen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir müssen uns zu
einem Akt der Menschlichkeit, der christlichen Nächs-
tenliebe aufraffen. Wir könnten somit gleichzeitig ein
politisches Zeichen der Unterstützung setzen. In die-
sem Zusammenhang sollten wir vorangehen und uns
für eine europäische Kontingentlösung starkmachen,
die einen Verteilungsschlüssel zur Aufnahme der
Flüchtlinge vorgibt und die die anderen Mitgliedstaa-
ten der EU nicht aus ihrer Verantwortung entlässt.

Es würde mich freuen, wenn sich Innenminister
Friedrich auf EU-Ebene dafür einsetzte – so wie es
sein Vorgänger Wolfgang Schäuble im Fall der iraki-
schen Flüchtlinge auch getan hat.

Gleichwohl sage ich: Das Grundrecht auf Asyl
macht nicht an den Religionsgrenzen halt. Den Vor-
schlag, nur Christen aufzunehmen, halte ich für den
Vielvölkerstaat Syrien für brandgefährlich.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Aufarbeitung der
Verbrechen sagen. Wir begrüßen, dass sich der
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit Kriegs-
verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
in Syrien befassen wird. Diese Ankündigung kam nur
einen Tag nach den Forderungen der UN-Menschen-
rechtskommissarin an den Sicherheitsrat, endlich den
Strafgerichtshof in Den Haag einzuschalten. Das sind
wichtige erste Schritte, um mit der strafrechtlichen
Verfolgung der Täter zu beginnen; denn nur so können
wir einer gefährlichen Kultur der Straflosigkeit entge-
gentreten – selbst wenn dies angesichts der Konflikt-
lage viele Jahre in Anspruch nehmen wird.
Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722535000

Es ist längst überfällig, dass sich der Bundestag

ernsthaft und tiefer gehend – was er leider nicht tut –
mit der Lage in Syrien und der deutschen Syrien-Poli-
tik auseinandersetzt. Bislang sind zu diesem Thema
drei Anträge den parlamentarischen Gremien vorge-
legt worden: Ein Antrag der Fraktion Die Linke, syri-
sche Flüchtlinge in Deutschland und in Europa aufzu-
nehmen, wurde abgelehnt.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt
heute erneut, dass sich Deutschland für die Aufnahme
syrischer Flüchtlinge human und unbürokratisch öff-
nen soll. Ich hoffe, dass der grüne Antrag, dem meine
Fraktion zustimmen wird, nicht das gleiche Schicksal
erleidet wie der vorgenannte Antrag der Linken.

Zur politischen Situation in Syrien hat ausschließ-
lich die Fraktion Die Linke einen umfassenden Antrag
vorgelegt. Dieser Antrag deckt sich in seinen Forde-
rungen und Vorschlägen mit der grundsätzlichen Li-
nie, die der Sonderbeauftragte der UN für Syrien, Herr
Lakhdar Brahimi, verfolgt. Er steht heute zur Abstim-
mung. Ich stelle fest: SPD, CDU/CSU und FDP haben
zu Syrien nichts zu sagen oder wollen sich schriftlich
nicht äußern.

Das Wichtigste, was für Die Linke im Vordergrund
steht: Es muss ein Weg gefunden werden, das tägliche
Morden in Syrien – der Bürgerkrieg hat mittlerweile
über 70 000 Menschen das Leben gekostet – zu been-
den. Der einzig sinnvolle Weg in diese Richtung sind
Verhandlungen zwischen dem Präsidenten Syriens,
Baschar al-Assad, und/oder von ihm beauftragten Per-
sonen mit Gremien der Opposition. Die Linke hat da-
rauf hingewirkt, dass an solchen Verhandlungen auch
die Teile der Opposition beteiligt werden, die aus-
drücklich auf Gewalt verzichtet haben und in Syrien
für einen gewaltfreien Wandel aktiv sind. Gerade die-
ser Teil der politischen Opposition, mit dem wir sehr
eng zusammenarbeiten, steht derzeit unter einer dop-
pelten Repression: unter der anhaltenden Repression
des Regimes und unter der Repression und Gewalttä-
tigkeit anderer oppositioneller Gruppen, die immer ex-
tremistischer werden.

Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal: Es ist
doppelbödig und unglaubwürdig, wenn in Syrien die
Gruppen mit Geld und Waffen versorgt werden, auch
vom Westen, aber besonders aus Saudi-Arabien und
Katar, die in Mali mit Waffengewalt – auch vom Westen –
vertrieben wurden.

Die Regierung Assad hat Verhandlungen zugesagt
und offensichtlich die Bitte von Lakhdar Brahimi, für
diese Verhandlungen eine Person zu autorisieren, die
auch für die Gegenseite gesprächsfähig ist, aufgegrif-
fen. Die „Nationale Koalition der syrischen Revolu-
tions- und Oppositionskräfte“ und ihr Sprecher Muas
al-Chatib hat solchen Gesprächen zugestimmt, aller-
dings in den letzten Tagen diese Zustimmung unter
dem Druck der extremistischen Kräfte wieder relati-
viert. Von der Bundesregierung gibt es keinen Appell

– zum Beispiel im Rahmen der „Freunde Syriens“ – an
die oppositionellen Gruppen, in Verhandlungen einzu-
willigen.

Die Bundesregierung lügt, wenn sie behauptet, den
Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen Lakhdar
Brahimi in seinen Bemühungen um einen Dialog und
einen Waffenstillstand zu unterstützen. Im Gegenteil:
Die Bundesregierung sabotiert die Bemühungen
Brahimis und trägt damit Mitverantwortung für die
Fortsetzung von Bürgerkrieg und Gewalt.

An keiner Stelle im Genfer Kommuniqué wird davon
gesprochen, dass der syrische Präsident Assad als
Preis für Verhandlungen zurückzutreten hat. Als Ziel
von Verhandlungen wird eine Waffenruhe, die zu einem
Waffenstillstand führen soll, definiert. In einem sol-
chen Klima der Verhandlungen und des Dialoges soll
es zu einer Übergangsregierung kommen. Die Bundes-
regierung jedoch geht umgekehrt heran. Sie verlangt
den Rücktritt von Assad, bevor es zu Gesprächen kom-
men könne, und befördert, dass die vom Westen und
den Golfstaaten präferierte „Nationale Koalition der
syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ als
Übergangsregierung anerkannt und eingesetzt wird.
Zwei konkurrierende Regierungen aber spitzen den
Bürgerkrieg zu.

Ein wichtiger Punkt von Verhandlungen soll und
muss die Freilassung von Gefangenen auf beiden Sei-
ten und eine Sicherheitsgarantie für die kurdischen
Gebiete sein. Ein Gefangenenaustausch – und der ist
dringend notwendig – muss sorgfältig verhandelt wer-
den. Ich betreue in Syrien einen langjährigen Opposi-
tionellen, der wegen seines Eintretens für Gewaltlosig-
keit und Demokratie vom Regime verschleppt wurde
und in einer Einrichtung der syrischen Luftwaffe fest-
gehalten wird. Abdel Asis al-Chair gehört zu den Mit-
begründern und Repräsentanten des Nationalen Koor-
dinierungskomitees für den demokratischen Wandel in
Syrien. Ich bitte die syrische Regierung zu verstehen,
dass es schwer ist, Gewaltlosigkeit als politisches und
ethisches Prinzip durchzuhalten und auf Verhandlun-
gen zu bauen, wenn gleichzeitig Menschen, die das
vertreten, verschleppt und möglicherweise gefoltert
werden. Ich verlange, dass Abdel Asis al-Chair sofort
freigelassen wird und bitte alle Kolleginnen und Kolle-
gen, mein Begehren zu unterstützen.

Halten wir noch einmal fest: Lakhdar Brahimi, die
UNO, Russland und China setzen auf ein Ende der Ge-
walt durch Verhandlungen. Die Bundesregierung setzt
auf einen militärischen Sieg der Aufständischen im
Bürgerkrieg und nimmt eine Verschärfung der Aus-
einandersetzungen und damit weitere Opfer in Kauf.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat die unter-
schiedlichen Grundlinien in der Syrien-Politik sehr
klug analysiert. Sie kommt zum Ergebnis, dass keine
der Seiten im syrischen Konflikt derzeit in der Lage ist,
die Situation militärisch für sich zu entscheiden, und
dass der Aufstand in Syrien längst enteignet und zu ei-
nem Stellvertreterkrieg gemacht wurde. In Syrien kreu-
Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

zen sich strategische Grundlinien einer neuen Vertei-
lung von Macht und Einfluss nicht nur in der Region
des Nahen und Mittleren Ostens, sondern weitreichen-
der bis nach Nordafrika und in den asiatischen Raum.

Es droht die Gefahr einer langanhaltenden blutigen
Auseinandersetzung, die letztlich zur Zerstörung des
syrischen Staates führen wird. Die realistische Alter-
native zu Assad ist gegenwärtig kein demokratisches
Syrien, sondern eine Zerstückelung des Landes in un-
terschiedliche Macht- und Herrschaftsbereiche. Was
tun in dieser Situation?

Die Stiftung Wissenschaft und Politik empfiehlt der
Bundesregierung, ihre Kraft auf humanitäre Hilfe für
die Bevölkerung zu konzentrieren. In den USA, aber
auch in Deutschland und damit auch in der EU nimmt
die Debatte zu, die „Aufständischen“ mit direkten
Waffenlieferungen zu unterstützen. Außenminister
Westerwelle fordert das noch verklausuliert, einzelne
Grünenpolitiker mittlerweile ganz offen. Waffenliefe-
rungen nach Syrien, und zwar über die türkisch-syri-
sche Grenze, sind mittlerweile ein ganz neues Konzept
grüner „Friedenspolitik“.

Es wäre ein geringer Trost, wenn man sich wenigs-
tens in der Frage der humanitären Hilfe über Grund-
sätze einigen könnte. Humanitäre Hilfe soll, wo immer
es möglich ist, überparteilich geleistet werden. Das
entspricht den Prinzipien des Roten Kreuzes und des
Roten Halbmonds. Auf der Münchner Sicherheitskon-
ferenz wurde jedoch diskutiert, humanitäre Hilfe ge-
zielt nur in den sogenannten befreiten Gebieten zu leis-
ten, sodass die Aufständischen „etwas vorzuweisen“
hätten. Keine Hilfe der Bundesregierung ging bisher in
die kurdischen Gebiete, kein Wunder, da der Bündnis-
partner Türkei in diesem Konflikt nicht an einem auto-
nomen kurdischen Gebiet in einem syrischen Staats-
verband interessiert ist.

Unerträglich jedoch ist die Heuchelei der Bundes-
regierung zur Nichtaufnahme von Flüchtlingen aus
Syrien. Mehr als 1 Million Menschen ist bisher aus
Syrien geflüchtet – vor allem nach Jordanien, in die
Türkei und in den Libanon. Allein nach Jordanien
flüchteten an einem Tag 20 000 Menschen, das ist
mehr als die gesamte EU seit Ausbruch des Konfliktes
in Syrien aufgenommen hat. Man verweigert syrischen
Bürgerinnen und Bürgern, die in Europa und auch in
Deutschland leben, das Nachholen von Familienange-
hörigen aus dem Bürgerkrieg und damit aus unmittel-
barer Lebensgefahr. Im Auswärtigen Ausschuss waren
sich alle Fraktionen einig, dass dieser Heuchelei ein
Ende bereitet werden muss. Statt Krokodilstränen
brauchen Syrien und die politische Moral in unserem
Land aufrechte menschliche Hilfe. Wer dazu nicht be-
reit ist, soll den Menschen nicht erzählen, dass die Not
in Syrien unerträglich geworden sei.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die grüne Bundestagsfraktion hat erneut einen An-
trag zur Unterstützung und Aufnahme syrischer

Flüchtlinge in den Bundestag eingebracht. Hinter-
grund hierfür waren neben der dramatischen Men-
schenrechtssituation in Syrien auch Äußerungen von
Außenpolitikern der schwarz-gelben Regierung, die
sich für eine Aufnahme syrischer Flüchtlinge ausspre-
chen.

Die humanitäre Situation in Syrien verschlechtert
sich zunehmend. 4 Millionen Menschen sind nach An-
gaben der UNO auf Hilfslieferungen angewiesen. Fast
70 000 Menschen sind ums Leben gekommen. Zehn-
tausende wurden verhaftet oder gelten als vermisst.
Laut UNHCR-Angaben vom 27. Februar 2013 sind be-
reits 940 000 Menschen in benachbarte Länder geflo-
hen – davon zwei Drittel Frauen und Kinder –, seitdem
die Revolte gegen Staatschef Assad im März 2011 be-
gann. Pro weitere Woche des Krieges werden
40 000 Flüchtlinge in den Nachbarländern Jordanien,
Libanon und Türkei erwartet. Der Hohe Flüchtlings-
kommissar der UN, António Guterres, sprach in seiner
gestrigen Mitteilung davon, dass die Situation für die
Flüchtlingshelfer unlösbar zu werden droht.

Angesichts der Eskalation der Gewalt in Syrien und
der ständig steigenden Zahl der Flüchtlinge in den
Nachbarstaaten muss Deutschland nicht nur weitere
Hilfe für die Anrainerstaaten bereitstellen, sondern
auch syrische Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen.
Es ist zwar positiv, dass die Bundesregierung heute er-
neut 5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für notlei-
dende Syrer zur Verfügung gestellt hat.

Direkte Unterstützung muss die Bundesregierung
aber auch durch die Aufnahme von syrischen Flücht-
lingen aus den Nachbarländern Syriens leisten. Das
wäre ein Zeichen der Solidarität für syrische Flücht-
linge und die Nachbarländer, die mit der Aufnahme
der Flüchtlinge an ihre Grenzen stoßen. Es ist an der
Zeit, dass sich die Bundesregierung hier auch deutlich
gegenüber den europäischen Mitgliedstaaten für eine
Aufnahme eines größeren Kontingents starkmacht und
selbst mit gutem Beispiel vorangeht.

Es häufen sich Hilfeersuchen verzweifelter in
Deutschland lebender syrischer Staatsangehöriger, die
keine Möglichkeit haben, Verwandte zu sich zu holen.
Grund hierfür sind die strengen Vorgaben beim Fami-
liennachzug, die eine Einreise nur für die „Kernfami-
lie“ – dies sind Ehegatten und minderjährige Kinder
anerkannter Flüchtlinge und Asylberechtigter – zulas-
sen. Bei anderen Schutzberechtigten ist der Nachzug
selbst von Ehegatten und minderjährigen Kindern in
aller Regel ausgeschlossen. Der Nachzug weiterer
Verwandter wie erwachsener Kinder, Geschwister
oder Eltern zu ihren in Deutschland lebenden Angehö-
rigen ist unabhängig von deren Status nahezu ausge-
schlossen.

Auch deutschen Staatsangehörigen syrischer Ab-
stammung gelingt es kaum, Verwandte nach Deutsch-
land zu holen, selbst wenn die Finanzierung des Auf-
enthalts gesichert ist. Denn ein Visum wird regelmäßig
unter Hinweis auf eine Rückkehrprognose und man-
Zu Protokoll gegebene Reden





Josef Philip Winkler


(A) (C)



(D)(B)

gelnde Verwurzelung der Antragsteller im Heimatland
abgelehnt. Vor diesem Hintergrund muss in Bezug auf
syrische Staatsangehörige dringend eine Lösung au-
ßerhalb der strengen Regelungen zum Familiennach-
zug gefunden werden. Die Anordnung des Auswärtigen
Amtes vom 12. Oktober 2012 in Bezug auf Erleichte-
rungen beim Erfordernis des Nachweises ausreichen-
der deutscher Sprachkenntnisse für den Familiennach-
zug reicht hier bei weitem nicht aus.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Na-
tionen, UNHCR, hat bereits mehrfach an die Innen-
minister von Bund und Ländern appelliert, syrischen
Flüchtlingen in Deutschland den Nachzug von Fami-
lienangehörigen aus der Region unabhängig vom Vor-
liegen der auf nationaler oder europarechtlicher
Ebene geregelten Familiennachzugsvoraussetzungen
zu erleichtern. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Appell
nun endlich erhört wird.

Auch für die bereits in Deutschland aufgenomme-
nen Syrerinnen und Syrer muss die Situation verbes-
sert werden. Die Innenminister der Länder haben sich
mit dem Bundesinnenminister zwar darauf verständigt,
den Abschiebungsstopp für Syrien zu verlängern.
Eigentlich stünde damit geduldeten Flüchtlingen aus
Syrien laut Gesetz eine Aufenthaltserlaubnis zu. Nach
dem Beschluss der Innenministerien sollen sie aber
weiterhin lediglich Duldungen bekommen – hier muss
dringend nachgebessert werden.

In Anbetracht des immer brutaleren Vorgehens der
syrischen Regierung hat Deutschland den diplomati-
schen Druck auf diese erhöht. Dazu passt jedoch nicht,
dass das Anfang 2009 in Kraft getretene Rückübernah-
meabkommen zwischen Deutschland und Syrien wei-
terhin in Kraft bleibt. Auch wenn derzeit praktisch
keine Rückführungen nach Syrien möglich sind, ist
eine unverzügliche Aufkündigung des Rückübernah-
meabkommens dringend erforderlich, da es jegliches
menschenrechtliche Fundament vermissen lässt. Das
Festhalten an dem Abkommen verleiht dem derzeitigen
Regime Assads den Anschein völkerrechtlicher Aner-
kennung und sendet zudem ein falsches Signal an eine
künftige syrische Staatsführung.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722535100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-

schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12243, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11697 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 24 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 17/12496 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften

– Drucksachen 17/12046, 17/12302 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/12529 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Kerstin Tack
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1722535200

Mit dem vorgelegten Gesetz zur Änderung jagd-

rechtlicher Vorschriften ist es uns wichtig, den Spagat
zu meistern: Umsetzung des Urteils des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte und weiterhin Siche-
rung der vorbildlichen Bejagung im Rahmen der Jagd-
genossenschaften und Eigenjagden.

Die Mehrheit der Sachverständigen der öffentlichen
Anhörung in der vorletzten Woche hat uns eindrucks-
voll bestätigt, dass dies mit dem vorgelegten Gesetz-
entwurf sehr gut gelungen ist.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,
EGMR, hat in einem im Juni verkündeten Urteil ent-
schieden, dass die Pflichtmitgliedschaft in einer Jagd-
genossenschaft die Europäische Menschenrechtskon-
vention verletzt. Es geht dabei um Fälle, in denen ein
Grundstückseigentümer trotz entgegenstehender ethi-
scher Motive ausnahmslos gesetzlich zur Duldung der
Jagd verpflichtet ist. Der EGMR sah darin eine unver-
hältnismäßige Belastung.

Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs
stellte fest, dass die gesetzliche Mitgliedschaft in einer
Jagdgenossenschaft das Grundrecht auf Schutz des
Eigentums verletze. Allerdings hat das Gericht auch
festgestellt, dass die flächendeckende Bejagung nicht
grundsätzlich unvereinbar mit der Menschenrechts-
konvention sei.

Der hier vorgelegte Gesetzentwurf trägt dem Rech-
nung, indem betroffenen Grundeigentümern künftig
ein Anspruch auf Einrichtung eines befriedeten Be-
zirks gewährt wird, in dem die Jagd ruht. Wir haben
dies an klar formulierte Bedingungen geknüpft: Es ist
hierzu notwendig, einen Antrag zu stellen.

Der Grundeigentümer muss dabei glaubhaft versi-
chern, dass er die Jagd aus ethischen Gründen grund-
sätzlich ablehnt. Dies kann zum Beispiel durch eides-
stattliche Versicherung erfolgen.





Cajus Caesar


(A) (C)



(D)(B)

Hier liegt auch begründet, dass lediglich natürliche
Personen einen Antrag auf Befriedung stellen können.
Juristische Personen – beispielsweise Verbände, Grup-
pen, Stiftungen – haben grundsätzlich kein Gewissen
und können daher auch keine ethischen Motive anfüh-
ren.

Der Entscheidung über den Antrag muss eine Anhö-
rung vorausgehen. Die schützenswerten Belange des
Antragstellers, Ablehnung der Jagd aus ethischen
Gründen, müssen in diesem Rahmen mit wichtigen Ge-
meinwohlbelangen und Interessen Dritter, insbeson-
dere angrenzender Grundeigentümer abgewogen wer-
den. Dazu gehören: Erhaltung eines artenreichen und
gesunden Wildbestands, Schutz vor übermäßigen Wild-
schäden, Naturschutz und Landschaftspflege, Schutz
vor Tierseuchen und die Abwendung von Gefahren für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Die Befriedung wird im Erfolgsfall des Antrags in
der Regel räumlich und zeitlich beschränkt genehmigt.
In jedem Fall ist die Befriedung an die Pachtlaufzeit
gekoppelt. Die Entscheidungskompetenzen liegen vor
Ort, in den Kreisen, bei den unteren Jagdbehörden.

Hierzu duften wir in der Anhörung erfahren, dass
wir mit dem Gesetzentwurf für die Entscheidungen auf
Bewilligung des Antrags einen guten Rahmenkalatog
mitgeben. Neben der ohne Zweifel vorbildlichen Um-
setzung des Urteils ist in diesem Zusammenhang wei-
terhin Folgendes festzustellen: Das System der Jagd-
genossenschaften und das Reviersystem sind bewährt.
Auch hier gaben die Sachverständigen uns recht. An-
dere Länder beneiden uns um dieses System.

Das Reviersystem hat dazu geführt, dass die heimi-
schen Wildarten aufgrund des jagdlichen Artenschut-
zes erhalten wurden. Der Wildbestand wird so nach-
haltig bejagt. Der Revierinhaber übernimmt eine
persönliche Verantwortung für das Wildmanagement.

Ein Flickenteppich in der Bejagung ist von uns nicht
gewünscht. Und er wäre auch kontraproduktiv
hinsichtlich der Artenvielfalt und der Gesundheit des
Wildes.

Die Zusammenfassung von einzelnen Grundstücken
in der Jagdgenossenschaft ist zur Verwirklichung der
Hegeziele zwingend. Wild macht nicht an Grund-
stücksgrenzen halt. Daher sind die Auswirkungen von
Hegemaßnahmen auch nicht auf das einzelne Grund-
stück zu beschränken. Gesetzlich zu regeln war in die-
sem Zusammenhang auch die Frage der Haftung. Auf
befriedeten Flächen kann Wild sich einen Rückzugs-
raum schaffen. Diese Rückzugsräume können aus
wildbiologischer Sicht sinnvoll sein. Wo dies der Fall
ist, gibt es sie auch.

Keinesfalls können aber ethische Gründe dafür ent-
scheidend sein, wo ein wildbiologisch geeigneter
Rückzugsraum zu finden ist. Hierzu haben wir Folgen-
des in den Gesetzesvorschlag aufgenommen: Eigentü-
mer befriedeter Bezirke sollen zur Wildschadenshaf-
tung in ihrem Jagdbezirk verpflichtet werden.

Dies wurde von der großen Mehrheit der Sachver-
ständigen als angemessen bewertet. Denn das Grund-
stück bildet genauso einen Lebensraum für das Wild
wie die bejagten Grundstücke im Jagdbezirk. Auch sa-
hen die Sachverständigen in der Frage der Haftung
der Eigentümer des befriedeten Bezirks keine unver-
hältnismäßigen Hürden für die Wahrnehmung der
Grundrechte. Auch und vor allem die Jagdausübung
unserer Jäger wird über Deutschlands Grenzen hinaus
positiv bewertet.

Der Dank der Union, aber auch mein ganz persön-
licher Dank gilt unseren Jägern für ihre vorbildliche
Hege, den Jagdgenossenschaften mit einem hohen An-
teil an diesem aufwändigen Einsatz und den Eigentü-
mern, darunter viele Land- und Forstwirte, für ihre
auch gesamtgesellschaftlichen Leistungen.

Besonders wichtig war es uns auch, das Zusammen-
spiel von Wald und Wild im Blick zu behalten. Hier ha-
ben wir bereits in der Waldstrategie 2020 einen Weg
festgelegt. Von uns wurde in der Waldstrategie formu-
liert:

„Die Wildbestände sind so zu regulieren, dass eine
natürliche Verjüngung aller Hauptbaumarten ohne
Zaun möglich wird. Die Abschusspläne sind im Hin-
blick auf das Management der Schalenwildpopulatio-
nen an die regionalen/örtlichen Gegebenheiten anzu-
passen.“

Die Jagd dient einer nachhaltigen Forstwirtschaft
im besonderen Maße. Einer der geladenen Sachver-
ständigen in der öffentlichen Anhörung hat einen auch
für mich sehr interessanten Satz geprägt: „Jagd ist
Dienstleistung am Wald.“ Wald und Wild gehören zu-
sammen. Wald ist Lebensraum für viele Tierarten ein-
schließlich der jagdbaren Arten. Im Bundesjagdgesetz
ist festgelegt, dass die Jagd einen gesunden, artenrei-
chen Wildbestand erhalten und seine Lebensgrundla-
gen pflegen und sichern soll.

In den deutschen Wäldern sind Reh-, Rot- und
Schwarzwild die flächenmäßig am häufigsten vorkom-
menden Schalenwildarten. Die Jagdstrecken bei die-
sen Arten sind in den letzten 40 Jahren stark angestie-
gen, um drohende Verbissschäden im Wald und die
Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen zurückzu-
drängen.

Das Bundesjagdgesetz setzt einen klaren rechtli-
chen Rahmen für die Erreichung der gesellschaftli-
chen Ziele im Bezug auf Feld, Wald und Wild: Das
Wild ist zu hegen. Die Hege muss dabei so durch-
geführt werden, dass insbesondere Wildschäden mög-
lichst vermieden werden. Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf, über den es nun abzustimmen gilt, ist
es gelungen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte umzusetzen, die Bewahrung des
Eigentums zu schützen, Tierseuchen vorzubeugen, ei-
ner vorbildlichen Hege weiterhin den Weg zu ebnen
und damit die umfangreiche Artenvielfalt weiter zu
schützen.
Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)


Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1722535300

Wer die Jagd als politischen Inhalt anpackt, der

merkt schnell, was für ein heißes Eisen er da in der
Hand hält. Da fliegen die Blattschüsse meist in indi-
rekten statt in direkt geführten Diskussionen nur so hin
und her. Von „Befriedigung der Mordlust“ von Jägern
ist da die Rede, und Jagdgegnern wird im Internet an-
gedroht, dass ihre Schonzeit vorbei sei. Es sind solche
Formulierungen, die eine bestimmte Haltung sugge-
rieren und Missverständnisse provozieren. Die De-
batte um die Jagd wird höchst emotional geführt. Ich
habe selten politische Inhalte erlebt, die so stark pola-
risieren wie die Debatte zwischen Jagdgegnern und
Jagdfreunden. Emotionen machen eine vernünftige
Diskussion aber unmöglich.

Ich halte nichts von solch einer Kategorisierung,
und ich pflege auch keine Gegnerschaft oder gar
Feindbilder. Es bringt doch nichts, wenn eine Meute
die andere hetzt. Die SPD-Bundestagsfraktion will
auch in der Jagdpolitik eine an der Sache orientierte
Politik machen. Wir wollen nicht der schnellen Versu-
chung der Polarisierung erliegen. Als zuständige Ab-
geordnete höre ich zunächst einmal zu und setze mich
mit gegenläufigen Positionen auseinander. Und ich
gebe offen zu, dass sich in der Positionierung der SPD
zur Jagd in den letzten Jahren einiges gewendet hat,
wie ich finde zum Positiven.

Grundsätzlich: Die SPD will die Jagd nicht ab-
schaffen und setzt auch weiterhin auf das Reviersys-
tem. Über alles andere können und müssen wir reden.
Jäger übernehmen Verantwortung für Mensch und Na-
tur. Naturschutz, wie wir ihn in einer vom Menschen
gehegten und gepflegten Kulturlandschaft verstehen,
braucht den Jäger. Das unterschreibt die SPD-Bundes-
tagsfraktion sofort.

Wir sind allerdings sehr dafür, dass auch die Jäger
mit der Zeit gehen. Eine Gruppe innerhalb einer Ge-
sellschaft, die auf Tradition beharrt und ihre Passion
dem gesellschaftlichen Wandel nicht anpassen will,
bleibt zurück. Wer heute noch jagen will wie zu Karl
Mays Zeiten, mag sich als Romantiker sehen. Tatsäch-
lich zieht er vielfach den Zorn von Bürgerinnen und
Bürgern auf sich.

Einer dieser Bürger hat vor dem Europäischen Ge-
richtshof für Menschenrechte, EGMR, gegen die Bun-
desrepublik Deutschland geklagt. So war die Bundes-
regierung durch das Urteil vom 26. Juni 2012 des
EGMR gefordert. Nach deutschem Recht ist jeder Be-
sitzer kleiner Wald- und Flurstücke bis 75 Hektar
Zwangsmitglied in einer Jagdgenossenschaft. Das
EGMR-Urteil besagt, dass keiner die Jagd auf eige-
nem Land dulden müsse. Die Pflicht zur Duldung der
Jagd ist unvereinbar mit der europäischen Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Nach Ansicht des Gerichtshofes verstößt die Mitglied-
schaft in der Jagdgenossenschaft gegen den Schutz des
Eigentums, der in der Konvention verankert ist.

Nach dem Urteil galt es für den Gesetzgeber sowohl
zwischen den Bedürfnissen der Gemeinschaft und der
ethischen Überzeugung des Grundstücksbesitzers als
auch zwischen den Interessen des Jagdfreunds und des
Jagdgegners abzuwägen. Keine leichte Aufgabe unter
den zuvor skizzierten Bedingungen! In Straßburg hat
die Bundesrepublik verloren, und so war es folgerich-
tig, dass hier der Bundesgesetzgeber die Fäden in die
Hand nimmt und für alle 16 Bundesländer eine ein-
heitliche Regelung schafft. Der vorliegende Gesetzent-
wurf zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften zeigt
Lösungen auf, die den unterschiedlichen Belangen ent-
sprechen. Das war auch der Tenor der Sachverständi-
gen in der Anhörung am 20. Februar 2013 im ELV-
Ausschuss. Daher wird die SPD-Bundestagsfraktion
diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Die Einzelheiten der Umsetzung werden sich in der
Praxis zeigen, und ja, notfalls auch auf dem rechts-
staatlichen Weg. Ich setze bei den nun anlaufenden
Verfahren zur Befriedung von Flächen auf Verständi-
gung und Kooperation unter allen Beteiligten. Es ist
wichtig, dass die ethische Befriedung der Jagd ermög-
licht wird. Und es muss ebenfalls möglich sein, eine
Befriedung im Interesse des gemeinschaftlichen Wohls
zu untersagen bzw. einzuschränken. Die SPD-Bundes-
tagsfraktion hat Vertrauen in die Arbeit der Obersten
und Unteren Jagdbehörden der Länder. Sie werden ih-
rer Verantwortung gerecht werden. Daher war es uns
ein Anliegen, zur Anhörung einen Vertreter der Lan-
desbehörde von Mecklenburg-Vorpommern einzula-
den. Die Bundesregierung hat einen passablen Ent-
wurf vorgelegt; es liegt aber nun bei den Frauen und
Männern in den Behörden, diesen umzusetzen. Wir
weisen ihnen damit keine behagliche Aufgabe zu.

Viele Fragen bleiben auch nach der Anhörung im
Ausschuss offen: Wie geht es generell weiter mit dem
Bundesjagdgesetz? Für die SPD-Bundestagsfraktion
muss sich eine zeitgemäße und naturnahe Jagd an öko-
logischen Prinzipien ausrichten und den Erfordernis-
sen des Tierschutzes gerecht werden. Nur auf diesem
Weg verleihen wir ihr die dringend nötige gesellschaft-
liche Akzeptanz. Wir müssen hinsichtlich der jagdli-
chen Anforderungen bundeseinheitliche Ausbildungs-
und Prüfungsstandards bei der Schießausbildung
implementieren und sicherstellen, dass die Schießfer-
tigkeit auch nach der Jägerprüfung fortbesteht und
hinreichend erhalten wird. Wer in 14 Tagen einen
Jagdschein ablegt, ist doch meilenweit von den Kennt-
nissen und Fähigkeiten eines Berufsjägers nach drei-
jähriger Ausbildung entfernt. Diese Angebote sind ge-
fährlich.

Ein bundesweites Verbot bleihaltiger Munition steht
ebenfalls noch aus. Die Bundesregierung ist weiterhin
in der Verantwortung, das Bundesjagdgesetz zu mo-
dernisieren. Es ist nur recht und billig, das Jagdrecht
im Interesse von Mensch und Tier dem gesellschaftli-
chen Wandel anzupassen.

Wir brauchen darüber hinaus einen ambitionierten
jagdpolitischen Dialog, der vom Bund angestoßen und
Zu Protokoll gegebene Reden





Petra Crone


(A) (C)



(D)(B)

geleitet wird. Warum nutzen beispielsweise noch nicht
alle Länder ihre Spielräume nach der Föderalismus-
reform in den Landeswaldgesetzen so vorbildlich wie
Rheinland-Pfalz? Weshalb ist der Zaunbau offensicht-
lich immer noch lohnender als eine Bejagung, die
Wald mit Wild zulässt? Auch mit anderen Landnutzern
muss gesprochen werden: Wer immer nur Monokultu-
ren wie Mais auf dem Acker zulässt, braucht sich über
das Schwarzwild im Feld nicht zu wundern. Und
weshalb gelingt es den Forstwirtinnen und den Forst-
wirten in den staatlichen Forstverwaltungen immer
weniger, ihre jagdlichen Aufgaben wahrzunehmen?
Das alles sind hochspannende Fragen, zu deren Klä-
rung wir auch in diesem Haus beitragen sollten.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1722535400

Die Achtung der Eigentumsrechte ist Teil unserer

Grundordnung. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte, EGMR, hat mit seinem Urteil vom
26. Juni 2012 die Eigentumsrechte von Grundeigentü-
mern gestärkt. Grundeigentümer können nach diesem
Urteil die Mitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft
ablehnen und ihre Grundstücke zum befriedeten Bezirk
erklären lassen, in dem Jagd verboten ist, wenn sie für
diese Entscheidung ethische Gründe glaubhaft machen.

Dieses Gerichtsurteil macht eine Änderung unseres
Jagdgesetzes erforderlich. Ich freue mich, dass unser
Gesetzentwurf bei der Beratung im Ausschuss eine so
weitgehende Zustimmung auch vonseiten der Opposi-
tion erfahren hat. Die Zustimmung entspricht dem Er-
gebnis der Anhörung. Sie ist Ausdruck der Einsicht der
überwiegenden Mehrheit im Deutschen Bundestag in
die Notwendigkeit der Jagd.

Wir leben in einer Kulturlandschaft, die weitgehend
von den menschlichen Ansprüchen an die Natur ge-
prägt ist. Wir beobachten, dass in vielen Regionen
hohe Wildbestände dazu führen, dass in den Wäldern
junge Forstpflanzen geschädigt und in der Landwirt-
schaft Wiesen und insbesondere Maisbestände in Teilen
durch Wildschweine zerstört werden. Die hohe Wild-
dichte führt angesichts zerschnittener Lebensräume zu
einer hohen Zahl von Unfällen mit Wildtieren. Die
Zahl der pro Jahr im Straßenverkehr verendeten Wild-
tiere liegt im Schnitt der Jahre bei etwa 240 000. Da-
runter sind etwa 200 000 Rehe. Nach Angaben des
ADAC wurden etwa 2 800 Menschen bei Wildtierunfäl-
len verletzt; etwa 10 starben.

Deshalb können Wildtierbestände bei uns nicht sich
selbst überlassen werden, wie dies in unbewohnten Re-
gionen in Sibirien oder Kanada möglich ist. Bei uns ist
ein Wildtiermanagement erforderlich. Eine nachhal-
tige und sachgerechte Waldbewirtschaftung ist nur mit
angepassten, durch Jagd und Hegemaßnahmen regu-
lierten Tierbeständen möglich.

Vor diesem Hintergrund gilt es, das Gerichtsurteil
des EGMR angemessen und unter Berücksichtigung
der verschiedenen Interessen in deutsches Recht umzu-
setzen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung er-
möglicht es Grundstückseigentümern auf Antrag, ihr

Grundstück zum befriedeten Bezirk erklären zu lassen,
das von der Jagd ausgenommen wird, und trägt gleich-
zeitig der Tatsache Rechnung, dass das Ruhen der
Jagd auf einzelnen Flächen Auswirkungen auch auf
andere Betroffene und die Natur haben kann. Der Ent-
wurf stellt zu Recht fest, dass wildbiologisch gesehen
das Risiko von Wildschäden durch erhöhte Wildbe-
stände bei einer Zunahme der befriedeten Flächen an-
steigt.

Der vorgelegte Gesetzentwurf wahrt die Balance
zwischen den Interessen von Grundeigentümern, die
die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, und den In-
teressen der Allgemeinheit. Dies haben die Experten
aus Wissenschaft, Umwelt- und Jagdverbänden in der
Anhörung der Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz einhellig bestätigt. Die
Hürden für eine Befriedung von Grundstücken aus
ethischen Gründen sind hoch, aber sie sind nachvoll-
ziehbar und gut begründet. Die Eigentumsrechte Drit-
ter werden ebenso wie Seuchen- und Tierschutzaspekte
oder Belange des Naturschutzes gegenüber den Vorga-
ben des EGMR angemessen berücksichtigt. Das sind
keine leeren Floskeln. Wildschweine zum Beispiel bil-
den ein Reservoir für die Schweinepest, einer gefähr-
lichen Viruserkrankung bei Schweinen. Weiterhin ist
eine finanzielle Beteiligung der Grundstückseigentü-
mer, die auf ihren Flächen keine Jagd dulden wollen,
rechtlich geboten. Damit wird dem Antragsteller die
Wahrnehmung seiner Menschenrechte nicht verbaut.
Die Beteiligung soll sicherstellen, dass dadurch die
– grundrechtlich geschützten – Rechte Dritter und das
überwiegende Interesse der Allgemeinheit gewahrt
werden.

Uns ist bewusst, dass es Menschen gibt, die die Jagd
total ablehnen. Aber ist diese Haltung ethisch wirklich
verantwortbar? Ich bitte diese Menschen, sich über
Wildschäden zu informieren und Vorschläge zu ma-
chen, wie diese anders als durch Bewirtschaftung der
Wildbestände – ein Instrument ist die Jagd – vermie-
den werden können.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vollzieht völ-
lig überraschend in ihrer Waldpolitik eine vollständige
Kehrtwendung. Bisher ist sie für die natürliche Sukzes-
sion im Wald eingetreten. Voraussetzung dafür sind
waldgerechte Wildbestände. Das ist vorbei. Vor dem
Hintergrund des Gerichtsurteils des EGMR hat sie
diese Position verlassen. Sie will laut ihrem Entschlie-
ßungsantrag die für eine Befriedung erforderlichen
Bedingungen deutlich aufweichen und damit Jagd er-
schweren. Das Ziel waldgerechter Wildbestände hat
sie aus den Augen verloren. Das ist Opportunismus ge-
genüber Jagdkritikern und sachlich nicht zu begrün-
den. Dies gilt insbesondere für ihre Forderung, juristi-
schen Personen und Eigenjagdbesitzern das Recht zur
Befriedung aus ethischen Gründen zu gewähren. Es
erschließt sich außerdem nicht, wie juristische Perso-
nen, also Gemeinden, Stiftungen oder Vereine ethische
Beweggründe glauben machen wollen. Ein Gewissen
haben nur natürliche Personen. Ist es das Ziel der
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)

Grünen, dass künftig jeder Gemeinderat oder jede
Stadtverordnetenversammlung Jagd auf ihren Flächen
verbieten kann? Der Vorschlag der Grünen begünstigt
Wald-Wild-Konflikte und ist aus Umwelt- und Natur-
schutzgründen völlig abwegig.

Die FDP stimmt dem Gesetzentwurf zur Änderung
des Jagdgesetzes zu. Wir lehnen den argumentativ we-
nig überzeugenden Änderungsvorschlag ab.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722535500

Die Linksfraktion steht für eine naturnahe Waldbe-

wirtschaftung. Das gilt sowohl für die Forstwirtschaft
als auch für die Jagd. „Jagd ist Dienstleistung am
Wald“, hat der Sachverständige Dietrich Mehl von der
Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft in
der Anhörung zur Novelle des Bundesjagdgesetzes am
20. Februar 2013 gesagt. Das sehe ich auch so.

Die Linke will aber keine Jagd als elitäres Vergnü-
gen betuchter, älterer Herren, obwohl sie das manch-
mal ist. Wir wollen, dass die Jagd im Interesse des Ge-
meinwohls und tierschutzgerecht ausgeübt wird, von
einer Jägerschaft, die breit in der Gesellschaft und in
den Dörfern und kleinen Städten verankert ist und die
ihre jagdliche Funktion als Teil des Ökosystems Kul-
turlandschaft definiert, in dem der Mensch große Beu-
tegreifer wie Wölfe, Braunbären oder Luchse nahezu
ausgerottet hat.

Um das Ziel einer naturnahen Waldbewirtschaftung
zu erreichen, müsste sich an der Jagdpraxis und teil-
weise auch den gesetzlichen Grundlagen einiges
ändern. Ob dies besser auf Bundes- oder auf Landes-
ebene zu ändern ist, da scheiden sich die Waldgeister.
Vermutlich liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte:
Manches sollte auf Bundes- und anderes kann auf
Landesebene geregelt werden.

Es gäbe jedenfalls viele Gründe für eine umfas-
sende Novelle des Bundesjagdgesetzes. Leider ist der
Gesetzentwurf kein umfassender Reformansatz, son-
dern lediglich eine notwendige Umsetzung eines Ge-
richtsurteils.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,
EGMR, entschied am 26. Juni 2012, dass Bodeneigen-
tümerinnen und -eigentümern die Möglichkeit einge-
räumt werden muss, das Jagen auf ihrem Grundstück
verbieten zu können. Nach Ansicht des Gerichtes ver-
stößt die aktuelle deutsche Gesetzgebung gegen Art. 1
Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) der Europäi-
schen Menschenrechtskonvention. Eigentümer von
Grundstücken unter 75 Hektar sind automatisch Mit-
glied in einer Jagdgenossenschaft und müssen bisher
die Jagd auf ihren Flächen dulden, auch wenn sie das
nicht wollen. Entgegen der Hoffnung einiger Hundert
Jagdgegnerinnen und -gegner, die sich in den vergan-
genen Wochen per Mail auch an mein Büro gewandt
haben, begründet das Urteil des EGMR kein Recht auf
Befriedung.

So oder so muss das EGMR-Urteil natürlich in
deutsches Recht umgesetzt werden, und wir können in
Zukunft von einigen jagdfreien Flächen ausgehen.

Die Linke respektiert selbstverständlich diese
Rechtslage. Wer Jagd aus ethischen Gründen ablehnt,
muss die Möglichkeit haben, diese auch mit in die
Waagschale zu werfen. Allerdings gibt es weitere Be-
troffene von dieser Entscheidung. Das ist auch in der
Anhörung diskutiert worden. Dabei geht es nicht nur
um die Flächenbewirtschafter wie Land- oder Forst-
wirtschaft, sondern – und für uns als Linke besonders
wichtig zu berücksichtigen – auch um das Gemein-
wohl. Eigentum muss nach Art. 14 des Grundgesetzes
zum Gemeinwohl verwendet werden. Das ist eine der
sogenannten Ewigkeitsklauseln unserer Verfassung.

Um diesen Zielkonflikt zu entschärfen, brauchen
wir eine bessere gesellschaftliche Legitimation der
Jagd. Denn die Ablehnung der Jagd hat ja teilweise
auch mit berechtigter Kritik zu tun. Und wahr ist ja
auch, dass trotz Jagd die Schalenwildbestände – Rehe,
Hirsche, Wildschweine – vielerorts historisch hoch
sind. Die Ursachen dafür müssen ebenso sachlich dis-
kutiert werden wie wildbiologisch begründete Maß-
nahmen zur Lösung des Problems. Dabei kann eine ef-
fektive Jagd auch nur ein Baustein in einer vielfältigen
Strategie sein.

Jagdfreie Grundstücke sollten eine begründete Aus-
nahme sein. Sie erschweren eine wirkungsvolle, natur-
nahe Bejagung und damit auch eine naturnahe Wald-
bewirtschaftung. Beispielsweise werden Drückjagden
durch befriedete Flächen in den Revieren erheblich
schwieriger und unsicherer. Weder großflächige noch
ein Mosaik aus vielen jagdfreien Flächen dienen einer
naturnahen Waldbewirtschaftung. Die flächendeckende
Bejagung macht Sinn, auch wenn sowohl ihre Aus-
übung als auch die damit einhergehende Jagdkultur
hier und da kritisierenswert sind. Über berechtigte
Kritik muss dringend gesprochen werden. Daher ha-
ben wir auch die Anhörung zum Gesetzentwurf im
Agrarausschuss des Bundestages zusammen mit der
SPD und den Grünen beantragt.

Die Linksfraktion hat sich bereits vor einigen Wo-
chen intensiv mit dem Gesetzentwurf auseinanderge-
setzt. So haben wir zum Beispiel in einer Kleinen An-
frage die Bundesregierung zur Änderung jagdlicher

(vergleiche Bundestagsdrucksache 17/11983 „Änderungen jagdrechtlicher Vorschriften“)

rungsvorschläge zum Bundesjagdgesetz halte ich für
angemessen. Die Ablehnung der Jagd aus ethischen
Gründen steht nun einmal Gemeinschaftsinteressen
wie Waldumbau, Arten- oder Tierschutz gegenüber.
Damit wird den Behörden eine Interessenabwägung in
die Hände gelegt. Diese ist vor allem dann sorgfältig
durchzuführen, wenn einerseits mehrere Anträge in ei-
nem Revier vorliegen oder andererseits die herauszu-
nehmende Fläche von zentraler Bedeutung für die
jagdliche Funktionalität des Revieres ist. Dass nur na-
türliche Personen antragsberechtigt sind, halte ich für
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

angemessen. Die ethische Entscheidungsgrundlage ju-
ristischer Personen wäre nur sehr schwer zu belegen.
Gegebenenfalls muss dies juristisch entschieden wer-
den.

Die Linksfraktion stimmt dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zu. Wir hätten gerne noch den Vor-
schlag des Bundesrates zum unbeabsichtigten Überja-
gen der Hunde aufgenommen, doch dies lässt sich ja
gegebenenfalls bei der nächsten Novelle des BJagdG
nachholen. Und diese sollte deutlich umfassender sein
als die heutigen Änderungen. Bis dahin müssen wir
weiter über die ursprünglich im Gesetzentwurf enthal-
tenen Wildtierfütterungsverbote oder Veränderungen
bei den Jagd- und Schonzeiten debattieren.

Wieso die grüne Fraktion diesen Gesetzentwurf ab-
lehnt, ist mir unverständlich, unterstützt er doch das
Ziel einer naturnahen Waldbewirtschaftung, die ihr
sonst so wichtig ist. Gleichzeitig kritisiert sie, dass zur
Anhörung keine Tierschutzverbände eingeladen wur-
den. Die Expertinnen und Experten für die Anhörun-
gen werden aber nach Größenproporz von den Frak-
tionen benannt. Die grüne Fraktion hatte es also selbst
in der Hand, einen Tierschutzverband zu benennen.
Sich öffentlich nun über das Fehlen zu empören, ist
scheinheilig.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722535600

Ich bin keine Jagdgegnerin, sondern ich stehe auf

dem Standpunkt, dass eine effektive Jagd insbesondere
im Interesse einer naturnahen Waldwirtschaft, aber
auch der Landwirtschaft in Deutschland aktuell erfor-
derlich und legitim ist. Trotzdem bin ich der Meinung,
dass das EGMR-Urteil zur Zwangsmitgliedschaft in
Jagdgenossenschaften zu achten und ohne Wenn und
Aber und ohne den Versuch umzusetzen ist, es ins
Leere laufen zu lassen. Und gleichzeitig bin ich der
Meinung, dass die Landnutzung in Deutschland dieses
Stück Liberalisierung des Jagdrechts vertragen würde.

Der von der schwarz-gelben Bundesregierung vor-
gelegte Gesetzentwurf jedoch dient, das ist sehr offen-
sichtlich, in erster Linie dem Interesse, eine flächende-
ckende Bejagung sicherzustellen und den Jagdgegnern
deshalb die ethische Befriedung ihrer Grundstücke
und damit die Wahrnehmung ihrer Grund- und Men-
schenrechte so schwer wie möglich zu machen. Der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser wurde
mit dem – in einem Gespräch mit einer Jagdgegnerin
geäußerten – Satz zitiert, genau das sei auch die Ab-
sicht der Bundesregierung. Mir ist nicht bekannt, dass
er das mittlerweile dementiert hätte.

Was wir im Einzelnen kritisieren: Befriedungsan-
träge aus ethischen Gründen können unter Verweis auf
vielfältige Gründe abgelehnt werden, und unter Ver-
weis auf ebenso vielfältige Gründe kann Zwangsbeja-
gung angeordnet werden. Eigenjagdbesitzer sind vom
Gesetz ausgenommen, auch wenn sie verpflichtet sind,
Abschusspläne einzuhalten. Ebenfalls haben juristi-
sche Personen kein Recht, Befriedungsanträge zu stel-
len, auch wenn ihre Vereins- oder Stiftungssatzung ein-

deutige Aussagen zur Ablehnung der Jagd enthält. Das
dürfte beispielsweise für die Mitglieder einer Reli-
gionsgemeinschaft, deren Glauben die Ablehnung von
Jagd beinhaltet, oder eines Tierschutzvereins genauso
unzumutbar sein wie für jeden einzelnen Jagdgegner
mit ethischen Vorbehalten. So bleiben die ethisch be-
friedeten Grundstücke weiter Teil des Jagdbezirks, und
ihre Eigentümer müssen weiter für Wildschäden im ge-
samten Jagdbezirk haften, obwohl sie in der Jagdge-
nossenschaft keine Rechte mehr ausüben können.

Es ist offensichtlich, dass diese Regelungen den
Jagdgegnern reichlich Möglichkeiten für Klagen bie-
ten. Und die werden sie mit absoluter Sicherheit nut-
zen. Das Thema Befriedung wird die Jägerschaft und
den Tierschutz noch sehr lange beschäftigen, und ich
bin mir sicher, dass die Jagdgegner weitere juristische
Erfolge erringen werden.

Am wahrscheinlichsten sind diese bei einer Rege-
lung, die ich mir kaum hätte ausmalen können: So wird
laut Gesetzentwurf die ethische Befriedung erst zum
Ende des laufenden Jagdpachtvertrags in Kraft treten.
Dabei beträgt die gesetzliche Mindestpachtzeit für
Jagdpachtverträge neun Jahre. Wer bei besonders lan-
ger Wartezeit von der vorgesehen Ausnahmeregelung
Gebrauch machen möchte, muss die Jagdgenossen-
schaft entschädigen. Dass hier nicht einfach geregelt
wurde, dass die Befriedung zum Ende des laufenden
Jagdjahres in Kraft tritt, und die befriedete Fläche
dann aus dem Pachtpreis herauszurechnen ist, macht
die Intention dieses Gesetzentwurfes deutlich.

Auch wenn es im Interesse aller Beteiligten ist, dass
das EGMR-Urteil zeitnah umgesetzt wird, halte ich es
nicht für einen guten parlamentarischen Stil, dass die
Koalition über den Gesetzentwurf ohne vorherige par-
lamentarische Beratung entscheiden wollte. So haben
wir als Oppositionsfraktionen eine Anhörung im Aus-
schuss erzwungen. Eine Anhörung kann eine parla-
mentarische Debatte aber nicht ersetzen, sondern nur
ergänzen, weil eine Anhörung den Abgeordneten letzt-
lich nur Fragen erlaubt, aber keinen Raum für
ausführliche Stellungnahme bietet. Trotz der recht ein-
seitigen Zusammensetzung der Sachverständigen – es
waren nur Sachverständige aus der Jägerschaft vertre-
ten – wurden einige Schwachpunkte des Gesetzentwur-
fes deutlich. So lässt dieser Gesetzentwurf zum Bei-
spiel die Landwirte, die Flächen in ethisch befriedeten
Bezirken gepachtet haben, im Ungewissen darüber, ob
und von wem sie gegebenenfalls Wildschadensersatz
erhalten. Der Gesetzentwurf schweigt sich zu dieser
Frage aus. So wird es auf die Interpretation anderer
Formulierungen ankommen.

Die Regelung, dass Grundeigentümer ethisch be-
friedeter Bezirke keinen Wildschadensersatz geltend
machen können – was selbstverständlich eine richtige
Regelung ist, – scheint den Landwirten die Möglich-
keit zu eröffnen, ihre Wildschäden weiterhin gegen-
über der Jagdgenossenschaft bzw. dem Jagdpächter
geltend machen zu können. Dass diese das akzeptieren
werden, ist jedoch mehr als fraglich; denn der
Zu Protokoll gegebene Reden





Cornelia Behm


(A) (C)



(D)(B)

Jagdausübungsberechtigte hat ja keinerlei Möglich-
keit, die Wildschäden auf diesen Grundstücken mit
jagdlichen Mitteln zu verhindern. Warum soll er dann
für diese Wildschäden haften? Hier werden voraus-
sichtlich die Gerichte das letzte Wort haben. Mehrere
Sachverständige haben daher bei der Anhörung zu
Recht für die Wildschäden von Landpächtern eine
klare Regelung angemahnt. Aus unserer Sicht wäre es
nach dem Verursacherprinzip sachgerecht und not-
wendig gewesen, zu regeln, dass der Grundeigentümer
ethisch befriedeter Bezirke gegenüber dem Landpäch-
ter für Wildschäden haftet, sofern im Landpachtver-
trag nichts anderes vereinbart ist. Denn er ist es, der
die Entscheidung über die Befriedung des Grundstü-
ckes zu verantworten hat.

Angesichts dieser genannten und zahlreicher ande-
rer unzureichender Regelungen, die mit hoher Wahr-
scheinlichkeit dazu führen, dass das Gesetz beklagt
und die Umsetzung des EGMR-Urteils deshalb für län-
gere Zeit infrage gestellt ist, lehnen wir Grünen den
Gesetzentwurf ab.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722535700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-

nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12529, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 17/12046 und 17/12302 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Dr. Konstantin von
Notz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des
assoziationsrechtlichen Rechtsstatus Staats-
angehöriger der Türkei im Aufenthalts-, Be-
schäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht

– Drucksache 17/12193 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir
die Reden zu Protokoll.


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1722535800

Dieser Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

zeigt Ihre ganze Doppelzüngigkeit, man kann auch sa-
gen, Verlogenheit in der Ausländerpolitik. Seit Wochen
bestürmen uns gerade rot-grün regierte Städte, dass
wir ihnen seitens des Bundes helfen, mit der ungesteu-
erten Zuwanderung von Ausländern fertigzuwerden.
Es sind gerade auch grüne Sozialdezernenten, die auf
unhaltbare Zustände in Wohnungen, auf Integrations-
probleme von Kindern und wachsende Probleme im
Bereich des Ordnungs- und Strafrechts hinweisen.
Während uns diese Hilferufe von rot-grün regierten
Städten erreichen, bringen Sie hier einen Gesetzent-
wurf für eine ungesteuerte Zuwanderung von türki-
schen Staatsangehörigen in den Deutschen Bundestag
ein. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Integration
nicht nur widersprüchlich zu den Forderungen Ihrer
Kollegen in den Städten und Kommunen, sondern es ist
den bereits bei uns lebenden türkischen Mitbürgern
gegenüber völlig verantwortungslos.

Sie verhindern eine erfolgreiche Integrationspolitik,
wie sie CDU/CSU und FDP jetzt seit einigen Jahren
auf den Weg gebracht haben, und wollen zurück zu den
Zeiten von rot-grünen Bundesregierungen, als wir Pa-
rallelgesellschaften hatten, als wir eben gerade keine
Integration hatten und viele Probleme, die nicht zuletzt
auch dazu geführt haben, dass unsere deutschen Mit-
bürger es an Aufnahmebereitschaft haben fehlen las-
sen.

Wir werden in den kommenden Wochen und Mona-
ten mit den Menschen in den von ungesteuerter Zu-
wanderung betroffenen Städten intensiv darüber reden
müssen, ob wir, wie SPD und Grüne hier im Deutschen
Bundestag, uns weiter hilflos einer ungesteuerten Zu-
wanderung gegenübersehen, oder ob wir endlich han-
deln und geeignete Maßnahmen ergreifen, um Integra-
tionspolitik erfolgreich in Deutschland durchsetzen zu
können und ungesteuerte Zuwanderung zu verhindern.
Das ist die Alternative, um die es auch in den kommen-
den Monaten geht.

Es ist abenteuerlich, dass Sie jetzt mit der Krücke
des EU-Assoziationsabkommens mit der Türkei versu-
chen, zahlreiche ideologische Vorstellungen zu ver-
wirklichen, die wir hier bei anderer Gelegenheit im
Deutschen Bundestag schon mehrfach abgelehnt ha-
ben. Ich weise mit allem Nachdruck zurück, wenn die
Grünen den Mitarbeitern unserer Ausländer- und Ord-
nungsbehörden unterstellen, dass sie, wie es in der Be-
gründung zu Ihrem Gesetzentwurf heißt, unwillig sind,
Erfordernisse des Assoziationsabkommens umzuset-
zen.

Das Gegenteil ist wahr. Selbstverständlich ist das
Assoziationsabkommen mit der Türkei im Aufenthalts-
gesetz umfassend berücksichtigt worden, und es wird
täglich von unseren Behörden auch angewandt. Außer-
dem gibt es zu Fragen des Assoziationsrechts regelmä-





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

ßig bei der Besprechung der Ausländerreferenten des
Bundes und der Länder einen ausführlichen Abstim-
mungsprozess. Neben ständigen informellen Kontak-
ten auf Arbeitsebene findet zu diesem Thema ein Er-
fahrungsaustausch der Ausländerbehörden großer
Städte und der Zuständigen in den Innenministerien
von Bund und Ländern statt. Auch hier ergaben sich
niemals Anzeichen für Probleme bei der Umsetzung
des Assoziationsrechts.

Hinzu kommt, dass Sie hier mit Ihrem Antrag Rege-
lungen im Aufenthaltsrecht durchdrücken wollen, die
sich überhaupt nicht aus den Urteilen des Europäi-
schen Gerichtshofs ergeben und schon gar nicht dafür
erforderlich sind. Sie fordern zum wiederholten Mal,
dass wir den Zuzug von Ehegatten zu Ausländern nach
Deutschland nicht mehr davon abhängig machen, dass
einfache Deutschkenntnisse beherrscht werden. Ich
habe es Ihnen schon neulich im Innenausschuss ver-
sucht klarzumachen. Reden Sie einmal mit den Leitern
der Goethe-Institute in vielen Ländern der Welt! Sie
haben immer wieder bestätigt, dass das Erlernen der
deutschen Sprache vor der Übersiedlung nach Deutsch-
land großen Wert gerade für Frauen hat. Wir stärken
Frauen, wenn wir sie überhaupt erst einmal in die
Lage versetzen, ihr Recht in die Hand nehmen zu kön-
nen, wenn sie zu uns nach Deutschland kommen.

Was nutzen bei der Frage der Zwangsverheiratung
die besten Beratungseinrichtungen, wenn es zum Bei-
spiel einer Türkin eben schon an den Sprachkenntnis-
sen mangelt, um überhaupt die Polizei anrufen zu
können, wenn sie in Not ist, geschweige denn mit Mit-
arbeiterinnen der Beratungsstelle reden zu können.
Wir wissen gerade auch von den Experten der Goethe-
Institute, dass es in einer Vielzahl von Fällen gelungen
ist, durch den Erwerb der Sprachkenntnisse und damit
verbundenem Kontakt von Zwangsverheiratung betrof-
fener Frauen zu unseren Experten in den Goethe-Insti-
tuten zu verhindern, dass es tatsächlich am Ende zu ei-
ner Übersiedlung nach Deutschland gekommen ist.
Und wir wissen auch, dass es vielen jungen Frauen,
gerade auch aus der Türkei, sehr gutgetan hat, dass sie
eben in den Integrationskursen der Goethe-Institute
und vergleichbarer Einrichtungen nicht nur allein
deutsche Sprachkenntnisse erworben haben, sondern
auch etwas erfahren über die Rechtslage, etwa die
Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutsch-
land, und auf den Lebensalltag in unserem Land gut
vorbereitet werden.

Wer wie die Grünen, die sich sonst immer so sehr
für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und
gerade gegen die Gewalt und die Einschränkungen der
Selbstbestimmung von Frauen einsetzen, dieses
Spracherfordernis beim Familiennachzug kippen will,
der verhindert nicht nur den Start in einen erfolgrei-
chen Integrationsprozess, sondern er verhindert auch,
dass Frauen gegenüber Zwangsverheiratung geschützt
werden, und er verhindert, dass Frauen informiert und
mit mehr Selbstbewusstsein ihr Leben in Deutschland
beginnen. Sie versündigen sich geradezu, wenn Sie auf

dieses wichtige Integrationsinstrument verzichten wol-
len. Und, wie gesagt, mit dem EU-Assoziationsabkom-
men hat das schon gar nichts zu tun.

Auch mit der Regelung zur Ehebestandszeit wird
das wichtige und legitime Ziel verfolgt, Zwangsheirat
und Scheinehen entgegenzuwirken. Wenn Sie sich ein-
mal mit dem Alltag in den Ausländerbehörden vertraut
machen würden, dann wüssten Sie, dass insbesondere
das Thema Scheinehen nach wie vor ein großes Pro-
blem darstellt. Immer wieder erhalten wir Informatio-
nen über die gleiche Praxis, die den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Ausländerbehörden auffällt. Tür-
kische Ehefrauen lassen sich schon wenige Tage nach
Verstreichen der Ehebestandszeit von ihren Ehemän-
nern scheiden und heiraten türkische Staatsangehö-
rige in ihrer früheren Heimat, mit denen sie vorher
schon einmal verheiratet waren.

In einer ganzen Reihe von Fällen gibt es Indizien
dafür, dass diese Ehefrauen niemals in Deutschland
gelebt haben, sondern sich immer in einer Lebensge-
meinschaft mit ihren Ehepartnern in der Türkei befun-
den haben. Dieses ganze Verfahren hat nur den Zweck,
dass die Ehefrau, die ein unbefristetes Aufenthalts-
recht durch die Verheiratung mit einem hier lebenden
Mann erhalten hat, ihren früheren und dann wieder ge-
heirateten Ehemann nach Deutschland nachzieht. So
wird in vielen Fällen ein dauerhafter Aufenthaltsstatus
in Deutschland erschwindelt. Mit der Senkung der
Ehebestandszeit leisten Sie einen Beitrag dazu, dass
wir diesen Schwindel jetzt wieder öfter in den Auslän-
derbehörden hätten. Mit uns als CDU/CSU ist das
nicht zu machen. Und auch diese Frage der Ehebe-
standszeit hat mit dem EU-Assoziationsabkommen ge-
nau gar nichts zu tun.

Einen Beitrag zur massenhaften ungesteuerten Zu-
wanderung leisten Sie durch Ihre Forderung nach ei-
ner praktischen Visumfreiheit für türkische Staatsbür-
ger. Nichts anderes ist in Wahrheit der Inhalt und die
Zielsetzung Ihres Antrags. Wir wissen, welchen enor-
men Migrationsdruck es in der Türkei gibt. Wir wissen
auch, dass man in der Türkei in großen Familienver-
bänden zusammenlebt und es gerade auch in den wirt-
schaftlich besonders problematischen Regionen der
Türkei zahlreiche Menschen gibt, die, wenn auch nur
entfernte, Verwandtschaft bei uns in Deutschland ha-
ben.

Es bedarf keiner besonderen Phantasie, dass bei
einem Wegfall der Visumpflicht für türkische Staats-
angehörige sich viele von diesen auf den Weg nach
Deutschland machen würden, nicht zu touristischen
oder Besuchszwecken, sondern um hier auf Dauer zu
leben und zu arbeiten. Gerade angesichts des unge-
steuerten Zustroms von Roma und Sinti und sonstigen
Bürgern aus Rumänen, Bulgarien und anderen EU-
Ländern wäre eine solche Ballung von Problemen, die
uns integrationspolitisch vor eine nicht zu bewälti-
gende Herausforderung stellen, eine völlige Fehlent-
wicklung. Mit uns als CDU/CSU ist das nicht zu ma-
Zu Protokoll gegebene Reden





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

chen. Es gibt für eine solche Maßnahme auch gar
keinen Bedarf.

Wir haben etwa die Möglichkeiten von ausländi-
schen Arbeitnehmern, auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Beschäftigung zu finden, erheblich ausgeweitet. Das
gilt auch und gerade für türkische Staatsangehörige.
Wenn es auf unserem Arbeitsmarkt Bedarf für die Be-
schäftigung von türkischen Arbeitnehmern gibt, kann
der heute schon umfassend gedeckt werden. Das gilt
auch für die Aufnahme von selbständigen Tätigkeiten.
Insofern gibt das geltende Recht schon jetzt alle Mög-
lichkeiten für diejenigen, die tatsächlich einen Beitrag
zu Wachstum und Beschäftigung unseres Landes leis-
ten wollen, diesen auch verwirklichen zu können. Da-
rüber hinaus haben die Bundesländer und auch der
Bund eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um
Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zum
Beamtenverhältnis zu ermöglichen.

Es ist integrationspolitisch völlig verfehlt, türkische
Staatsangehörige mit EU-Bürgern gleichzusetzen. Wir
haben ein Interesse daran, dass türkische Mitbürger,
die erfolgreich einen Integrationsprozess durchlaufen
haben, sich an dessen Ende auch zu unserem Land
durch die Einbürgerung bekennen. Die EU und dem-
entsprechend auch deren Staatsangehörige sind eben
etwas anderes als Länder, die außerhalb der Europäi-
schen Union stehen, und insofern ist es abwegig, türki-
sche Staatsangehörige hier mit deutschen und EU-
Bürgern sofort gleichstellen zu wollen.

Es ist integrationspolitisch schon ausgesprochen
sinnvoll, dass wir auch in Zukunft erwarten, dass man
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wenn man in
unserem Land Beamter werden will.

Der Antrag der Grünen ist integrationspolitisch
verfehlt. Er gefährdet in manchen Teilen auch die Si-
cherheit unseres Landes, und er passt vor allem ange-
sichts der ungesteuerten Zuwanderung, die wir in die-
sen Tagen und Wochen erleben, überhaupt nicht in die
politische Landschaft, und deshalb lehnen wir ihn als
CDU/CSU nachdrücklich ab.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1722535900

Ziel des Assoziationsabkommens zwischen der

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Repu-
blik Türkei vom September 1963 ist die Stärkung der
Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den
Vertragsparteien. In Art. 12 des Assoziationsabkom-
mens heißt es: Die Vertragspartner vereinbaren „un-
tereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
schrittweise herzustellen.“ Eine wichtige Konkretisie-
rung erfuhr das Assoziationsabkommen durch den Be-
schluss des Assoziationsrates, ARB, vom September
1980, der eine Reihe von Erleichterungen und Besser-
stellungen türkischer Arbeitnehmer vorsieht, zum Bei-
spiel bei der Familienzusammenführung und dem Auf-
enthaltsrecht.

So heißt es in Art. 13 ARB, dass die Mitgliedstaaten
und die Türkei für „Arbeitnehmer und Familienange-

hörige … keine neuen Beschränkungen der Bedingun-
gen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.“

Wenn die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen im vorliegenden Antrag nun
vortragen, dass Verschärfungen im Bereich der Fami-
lienzusammenführung wie die Einführung des Sprach-
erfordernisses 2007 für nachziehende Ehegatten gegen
dieses Verschlechterungsverbot verstoßen, stimmen
wir dem zu.

Auch wir wollen keine vom Assoziationsabkommen
ausdrücklich nicht gewollte nachträgliche Erschwe-
rung der Familienzusammenführung für türkische
Arbeitnehmer. An dieser Stelle sei die Anmerkung er-
laubt, dass wir außerdem für die grundsätzliche Ab-
schaffung des Spracherwerberfordernisses für nach-
ziehende Ehegatten sind, wie wir es in unserem
Gesetzentwurf zur Änderung des aufenthalts- und frei-
zügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs, Drucksache
17/8921, vorgeschlagen haben.

Für ähnlich plausibel erachten wir die Begründung,
dass das Gebot des Art. 13 ARB, keine nachträglichen
Verschlechterungen oder Bedingungen für Arbeitneh-
mer einzuführen, dazu führen müsste, dass die erst mit
dem Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsheirat im Juni
2011 eingeführte Verlängerung der Ehebestandszeit
von zwei auf drei Jahre für vom Assoziationsrecht Be-
günstigte keine Anwendung finden kann. Im Übrigen
erachte ich die Anhebung der Ehebestandszeit auf drei
Jahre grundsätzlich für verfehlt. Ich kann nach wie vor
nicht erkennen, wie die Verlängerung der Bestandszeit
von zwei auf drei Jahre dazu führen soll, Zwangsehen
zu verhindern. Eher scheint mir die Verlängerung dazu
geeignet, die Zwangssituation von Menschen in nicht
gewollten bzw. sich nicht bewährt habenden Ehen um
ein Jahr zu verlängern.

Der Gesetzentwurf enthält des Weiteren Erleichte-
rungen für nachziehende Kinder bis 16 Jahre. Bis zum
Januar 1997 sei es so gewesen, dass Minderjährige bis
zur Vollendung des 16. Lebensjahres generell von dem
Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit waren, bzw.
ab 1990 immerhin noch Kinder unter 16 Jahren aus
den europäischen Mitglied- und ehemaligen Anwerbe-
staaten. Diese Befreiung von der Notwendigkeit eines
Aufenthaltstitels wurde 1997 aufgehoben und stelle in-
sofern für Assoziationsberechtigte ebenfalls eine unzu-
lässige Verschlechterung dar.

Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen halten darüber hinaus Erleichte-
rungen bei der Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis
und der Niederlassungserlaubnis durch das Assozia-
tionsabkommen für geboten. Außerdem fordern sie
eine gesetzliche Klarstellung der Rechtsstellung von
Assoziationsberechtigten im Aufenthaltsgesetz sowie
Einreiseerleichterungen für türkische Staatsangehö-
rige, die in Deutschland eine selbstständige Tätigkeit
ausüben wollen.

All diesen Vorschlägen stehen wir dem Grunde nach
positiv gegenüber. Wir halten es auch für notwendig
Zu Protokoll gegebene Reden





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

und richtig, die Vereinbarkeit der geltenden Rechts-
lage mit dem Assoziationsabkommen zu überprüfen,
und möchten den Kolleginnen und Kollegen von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen danken, dass sie in-
sofern hier die Initiative ergriffen haben.

Die Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen, der
Linken und wir werden im Innenausschuss eine Anhö-
rung zur vorliegenden Gesetzesvorlage beantragen.
Ich schlage vor, die Anhörung abzuwarten, um dann
besser noch beurteilen zu können, ob die geforderten
Änderungen assoziationsrechtlich zwingend sind.


Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1722536000

Im Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen lesen

wir: „Die sich aus dem Assoziationsabkommen EWG/
Türkei unmittelbar ergebenden Rechte werden durch
diesen Entwurf explizit im deutschen Recht veran-
kert.“ Recht, das sich bereits unmittelbar aus dem Ab-
kommen ergibt, soll also explizit in einem Gesetz ver-
ankert werden. Nehmen wir für einen Moment an, dass
der Entwurf das tatsächlich umsetzen würde: Wieso
genau brauchen wir eine rechtliche Verankerung des-
sen, was längst Recht ist? Wieso sollten wir ein Gesetz
verabschieden, wenn der Inhalt längst Gesetz ist?

Sie sagen, es diene der Transparenz und der Rechts-
sicherheit, wenn wir Ihr Gesetz heute beschließen. Ich
verspreche Ihnen: Mit diesem Gesetz bekämen wir ge-
nau das Gegenteil: Intransparenz und Rechtsunsicher-
heit. Der assoziationsrechtliche Status von Türken in
der EU ergibt sich unmittelbar aus dem Assoziations-
abkommen. Das Assoziationsabkommen hat Vorrang
gegenüber dem nationalen Recht. Entscheidend sein
wird also immer das Abkommen selbst und dessen In-
terpretation durch den EuGH – das würde auch Ihr
Gesetzentwurf nicht ändern. Streuen Sie also den Men-
schen keinen Sand in die Augen! Ihr Vorschlag macht
es für die Menschen nur verwirrender, definitiv nicht
einfacher.

Aber Ihr Gesetzentwurf umfasst nicht nur die Rege-
lungen des Abkommens – und zwar selbst dann nicht,
wenn wir die bisherige Rechtsprechung durch den
EuGH noch hinzunehmen. Nein: Sie wollen sogar über
Einzelfragen entscheiden, über die der EuGH selbst
nicht entschieden hat. Sie stellen bloße Mutmaßungen
an, wie der EuGH entscheiden würde. Solche Mutma-
ßungen aber können weit von den künftigen Entschei-
dungen des EuGH abweichen. Und wenn sie abwei-
chen, wird das von Ihnen geplante Gesetz veraltet sein
und nur noch Verwirrung stiften. Das kann niemand
ernsthaft wollen.

Während Sie Symbolpolitik betreiben, hat die Koali-
tion aus CDU/CSU und FDP längst die Verbindungen
zur Türkei gefestigt. Die Türkei ist einer unserer wich-
tigsten Handelspartner außerhalb der EU. Deshalb
streben wir im Rahmen des EU-Visadialogs mit der
Türkei langfristig eine Visafreiheit an. Bereits jetzt ha-
ben wir die Einreisebestimmungen gelockert. So erlas-
sen wir die Visagebühren für Kinder im Alter von bis
zu 12 Jahren und bei Jugendlichen im Alter bis zu

25 Jahren, wenn sie im Rahmen eines zivilgesellschaft-
lichen Austausches über eine NGO nach Deutschland
reisen. Wir haben Mehrjahresvisa bis zu fünf Jahren
eingeführt sowie ein Terminvereinbarungssystem, das
eine schnellere Bearbeitung der Anträge ermöglicht.
Anträge für Mitarbeiter von Unternehmen der Aus-
landshandelskammer können sogar bei den Kammern
selbst gestellt werden, wodurch eine persönliche An-
tragsstellung entfällt. Für weitere Verbesserungen set-
zen wir uns ein.

Lassen Sie uns weiter Deutschland und die Türkei,
aber auch die gesamte EU und die Türkei annähern.
Dazu bedarf es jedoch Augenmaß und rechtliche Klar-
heit. Der Inhalt des Gesetzentwurfs von Bündnis 90/
Die Grünen hingegen würde nur Verwirrung schaffen.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722536100

Anfang der Woche besuchte Bundeskanzlerin

Merkel die Türkei und traf den türkischen Ministerprä-
sidenten Erdoğan und Staatspräsident Gül. Ihr Besuch
sollte auch der Verbesserung der deutsch-türkischen
Beziehungen dienen. Doch auch das beständige Be-
schwören der deutsch-türkischen Freundschaft und
der engen Verbindungen zwischen der Bundesrepublik
und der Türkei bleiben leere Worthülsen. Geradezu
heuchlerisch wirkt es vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung türkischen Staatsangehörigen die
Einreise nach Deutschland durch die unrechtmäßige
und europarechtswidrige Praxis der Visumpflicht er-
schwert und für viele sogar verhindert. Insofern bietet
der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen die Gele-
genheit, im Bundestag erneut über den skandalösen
Umgang der Bundesregierung mit den Rechten türki-
scher Staatsangehöriger und über die Brüskierung des
Europäischen Gerichtshofs, EuGH, in diesem Zusam-
menhang zu debattieren.

Bereits im Oktober 2011 hat die Linke einen Antrag
mit dem Ziel einer wirksamen Umsetzung des EWG-Tür-
kei-Assoziationsrechts in den Bundestag eingebracht.
Vor allem geht es um die Beachtung der Verschlechte-
rungsverbote im Assoziationsrecht, auch Standstill-
Klauseln genannt. Vereinfacht gesagt bedeutet dies,
dass jedwede Verschlechterung der Rechtslage und
Praxis im Umgang mit türkischen Staatsangehörigen
verboten ist, soweit damit in deren Rechte auf Beschäf-
tigung bzw. in die Niederlassungs- und Dienstleis-
tungsfreiheit eingegriffen wird. Der EuGH hat in sei-
ner Rechtsprechung immer wieder betont, dass diese
Verschlechterungsverbote effektiv und umfassend an-
zuwenden sind. Ständige Rechtsprechung ist, dass
auch Aufenthaltsrechte und die Bedingungen der erst-
maligen Einreise dem Verschlechterungsverbot unter-
fallen und dass zwischenzeitliche Lockerungen des
Rechts nicht mehr wieder zurückgenommen werden
dürfen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bun-
destages hat auf meine Bitte hin eine umfangreiche
Ausarbeitung dazu angefertigt, in der der Frage nach-
gegangen wird, in welchem Ausmaß in Deutschland
Zu Protokoll gegebene Reden





Sevim Dağdelen

(A) (C)



(D)(B)

gegen verbindliches EU-Recht verstoßen wird. Doch
obwohl die Rechtsprechung des EuGH und auch die
überwiegende Kommentarliteratur recht eindeutig
sind, verweigert die Bundesregierung aus politischen
Gründen die Rechtsprechung des EuGH und verletzt
damit die betroffenen Menschen in ihren Rechten. Das
ist ein unerhörter Vorgang und belegt auch die Bigot-
terie der Bundesregierung, die gerade gegenüber
türkischen Staatsangehörigen nicht müßig wird, vor-
wurfsvoll die Beachtung von Recht und Gesetz einzu-
fordern.

Die Strategie der Bundesregierung ist klar: Man
will, solange es irgend geht, an Vorschriften festhalten,
von denen man längst weiß, dass sie europarechtlich
nicht haltbar sind. Denn würde die Bundesregierung
die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs umsetzen, wäre dies das Eingeständnis,
mit maßgeblichen aufenthaltsrechtlichen Verschärfun-
gen der letzten Jahre nicht nur faktisch Europarecht
missachtet zu haben, sondern auch gescheitert zu sein.
So ist zum Beispiel die diskriminierende Regelung der
Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug, auf die
vor allem die CDU/CSU-Fraktion gedrungen hat, we-
gen des Verschlechterungsverbots auf türkische Staats-
angehörige eigentlich nicht anwendbar – also ausge-
rechnet auf die Gruppe nicht, auf die die Regelung
abzielt. Wenn aber wichtige Regeln im Aufenthalts-
recht für die größte Gruppe von Migrantinnen und Mi-
granten in Deutschland gar nicht gelten – für Unions-
angehörige gelten sie ohnehin nicht –, dann drängt
sich die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz
in Bezug auf alle anderen Migrantinnen und Migran-
ten auf. In letzter Konsequenz muss dies bedeuten, im
Bereich der Migrations- und Integrationspolitik einen
grundlegenden Politikwechsel zu vollziehen, der nicht
auf Gesetzesverschärfungen, Sanktionen und Zwang
setzt, sondern auf gleiche Rechte, aktive Förderung
und soziale Inklusion. Dies ist zumindest der Ansatz
der Linken.

In mehr als einem Dutzend Kleiner Anfragen und
zuletzt in einer Großen Anfrage hat meine Fraktion die
Rechtsauffassungen der Bundesregierung in diesem
Bereich infrage gestellt. Dadurch ist nachlesbar, mit
welcher ideologischen Borniertheit und welchen juris-
tisch nur notdürftig bemäntelten Ausreden die Bundes-
regierung sich aus der Verantwortung stehlen will.
Und wenn ihr die Argumente ausgehen, erklärt sie kur-
zerhand, sie sehe es nicht als ihre Aufgabe an, „in ei-
nen juristischen Fachdisput einzutreten“. Dazu passt,
dass sich im Jahr 2011 eine Richterin des EuGH sogar
öffentlich über die mangelnde Rechtstreue mancher
Mitgliedstaaten der EU beim Assoziationsrecht be-
schwerte.

Völlig inakzeptabel ist es auch, dass sich die Bun-
desregierung im Rahmen der Beantwortung unserer
Großen Anfrage unter Missachtung der Parlaments-
rechte sogar geweigert hat, die Bundesländer zur
Anwendungspraxis in Bezug auf die Verschlechte-
rungsverbote des Assoziationsrechts zu befragen. Die

Bundesregierung behauptet nämlich, dass für die Um-
setzung und Beachtung des Assoziationsrechts „über-
wiegend“ die Bundesländer zuständig seien. Das ist
mehr als fragwürdig, weil die Bundesregierung auch
und gerade angesichts der föderalen Struktur der Bun-
desrepublik dafür Sorge tragen muss, dass verbindli-
ches EU-Recht in Deutschland effektiv umgesetzt wird.
Doch diese Regierung erklärt, „keine Erkenntnisse“
dazu zu haben, wie die Bundesländer das Assozia-
tionsrecht und die Rechtsprechung des EuGH zu den
Verschlechterungsverboten umsetzen. Es bleibt dabei
ihr Geheimniss, woher sie dann eigentlich wissen will,
dass es in der Praxis zu keinen Rechtsverstößen beim
Assoziationsrecht kommt, die ein Eingreifen des Bun-
des erforderten. Die Argumentation ist aber auch in ei-
ner anderen Hinsicht widersprüchlich: Der Umstand,
dass das Bundesinnenministerium Anwendungshin-
weise zum Assoziationsrecht erlassen hat und an einer
Überarbeitung dieser Hinweise arbeitet, zeigt deut-
lich, dass ein Vereinheitlichungsbedarf seitens des
Bundes gesehen und für notwendig erachtet wird.

Dass es bundeseinheitliche Vorgaben geben muss
– sei es durch Anwendungshinweise, sei es durch Ge-
setzesänderung, wie es die Grünen vorschlagen –, ist
offenkundig. Die Rechtsprechung des EuGH erfordert
nicht weniger als eine Betrachtung der Entwicklung
des Rechts und auch der untergesetzlichen Weisungen
der letzten Jahrzehnte, um die Standstill-Klauseln
richtig anwenden zu können. Das können einfache
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Auslän-
derbehörden nie und nimmer leisten. Geradezu ein
Hohn ist es da, wenn die Regierung erklärt, es sei nicht
schlimm, dass die Anwendungshinweise des Bundes-
innenministeriums zum Assoziationsrecht „nicht ak-
tuell sind“; denn die zuständigen Ausländerbehörden
seien an Recht und Gesetz gebunden und würden auch
die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung stets
beachten.

Um es deutlich zu sagen: Jedenfalls in Bezug auf die
Verschlechterungsverbote des Assoziationsrechts sind
die amtlichen Hinweise aus dem Jahr 2002 das Papier
nicht wert, auf dem sie stehen, da der EuGH hierzu
gerade in den letzten Jahren maßgebliche Entschei-
dungen getroffen hat. Wohl nicht einmal die Bundes-
regierung selbst glaubt ihre Behauptung, diese Recht-
sprechung lasse „sich in der Praxis zufriedenstellend
umsetzen“, zumal „Fehlverständnisse … gegebenen-
falls durch fachaufsichtliche Maßnahmen der zustän-
digen Landesbehörden in aller Regel beseitigt wer-
den“ könnten. Wissen Sie, was der Hamburger Senat
auf die parlamentarische Anfrage der dortigen Links-
fraktion antwortete, ob man sich klarere Vorgaben von
der Bundesregierung zu den Verschlechterungsverbo-
ten wünsche? „Die zuständige Behörde geht davon
aus, dass die Bundesregierung alle erforderlichen In-
formationen und Vorgaben übermittelt …“, erklärte
der Senat am 15. Februar 2013 ganz im Widerspruch
zu der Behauptung der Bundesregierung, die Länder
würden das Assoziationsrecht eigenverantwortlich und
umfassend umsetzen.
Zu Protokoll gegebene Reden





Sevim Dağdelen

(A) (C)



(D)(B)

Zwei Anmerkungen aber noch zu dem ansonsten
sehr umfassenden Gesetzentwurf der Grünen. Hier
fällt auf, dass ein wichtiger Punkt fehlt: Auch der
Zwang zum Integrationskursbesuch und damit einher-
gehende Sanktionen sind nach Ansicht von Fachkundi-
gen mit den Verschlechterungsverboten des Assozia-
tionsrechts nicht vereinbar. Fehlt dieser Aspekt etwa,
weil die Grünen nur ungern daran erinnern wollen,
dass sie an dieser Verschärfung mitgewirkt haben?
Oder fehlt er, weil die Grünen nach wie vor am sank-
tionsbewehrten Zwang zur Integration festhalten wol-
len? Fakt ist, dass dieser sanktionsbewehrte Zwang
überflüssig wie ein Kropf ist. Denn das Interesse und
die Motivation der Migrantinnen und Migranten ist da
es braucht vor allem verbesserte Möglichkeiten für die
Teilnahme. Nicht nachvollziehen kann ich zudem, dass
auch eine weitere bedeutende Verschärfung im Aufent-
haltsrecht aus jüngster Zeit im Gesetzentwurf der Grü-
nen unangetastet bleibt: Die Regelung, wonach eine
mehr als einjährige Aufenthaltserlaubnis nur nach ei-
nem erfolgreichen Integrationskursbesuch und
Sprachtest erteilt werden darf, verstößt meines Erach-
tens ganz eindeutig gegen die Standstill-Klausel des
Assoziationsrechts.

Dessen ungeachtet unterstützen wir die Zielrichtung
und das Grundanliegen des vorliegenden Gesetzent-
wurfs. Ich freue mich vor allem darüber, dass wir nun
endlich eine Sachverständigenanhörung zum Thema
beschließen können, die von der Linken seit langem
angestrebt wird. Denn selten gab es ein Thema, das
sich angesichts der Komplexität der Sach- und Rechts-
lage, die wohl nur von wenigen Fachkundigen wirklich
durchdrungen wird, mehr geeignet hätte für eine Sach-
verständigenanhörung.


Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722536200

Dieses Jahr feiern wir das 50-jährige Bestehen des

Assoziationsabkommens zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei. In Anbetracht
dessen ist es ein Armutszeugnis, dass sich die Bundes-
regierung und die Koalition immer noch weigern, das
Assoziationsrecht vollständig und rechtsstaatlichen
Standards gemäß umzusetzen. In über 50 Entscheidun-
gen hat der Europäische Gerichtshof – insbesondere
immer wieder in Korrektur der restriktiven deutschen
Rechtspraxis – aufgezeigt, dass aus dem Assoziations-
recht ein besonderes aufenthaltsrechtliches Regime für
Staatsangehörige der Türkei folgt. Dieses Regime
orientiert sich entsprechend den Vorgaben in dem As-
soziationsabkommen eng an den Rechten von Unions-
bürgerinnen und Unionsbürgern, die von ihrem Recht
auf Arbeitnehmerfreizügigkeit oder ihrer Niederlas-
sungs- und Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht
haben. Es unterscheidet sich daher deutlich von den
Rechten, die sonstigen Ausländerinnen und Auslän-
dern in Deutschland zustehen.

Bisher hat es die Bundesregierung versäumt, zu
handeln. Sie weigert sich nämlich nach wie vor, Vor-
schläge auszuarbeiten und dem Parlament vorzulegen,

wie das Assoziationsrecht auf nationaler Gesetzes-
ebene angemessen umgesetzt werden kann. Deshalb
muss man leider sagen, dass die alte Weisheit, wonach
ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung fördert, für die
Staatsangehörigen aus der Türkei in Deutschland
nicht gilt. Obwohl das Assoziationsrecht nahezu alle
Fragen des Aufenthaltsrechts für Staatsangehörige der
Türkei wesentlich beeinflusst, finden sich im gesamten
Aufenthaltsgesetz gerade einmal drei Vorschriften, die
das Assoziationsrecht überhaupt erwähnen. Und diese
Vorschriften lassen sowohl die Betroffenen als auch
die Behörden dann auch noch völlig im Unklaren da-
rüber, welche Rechte den Betroffenen zustehen und
was die Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme
sind. Klar geregelt ist allein ein Bußgeldtatbestand für
die versäumte Beantragung eines Aufenthaltstitels, der
ohnehin nur deklaratorische Bedeutung hat. Auf einen
Nenner gebracht lautet das Motto der Bundesregie-
rung hier: Restriktion ja, Rechte nein.

Es ist aber eines Rechtsstaates nicht würdig, wenn
die Betroffenen nicht klar erkennen können, was ihre
Rechte sind. Auch die Ausländerbehörden und Ge-
richte klagen seit langem darüber, dass die Rechtslage
immer unübersichtlicher wird, weil sich die Rechtsstel-
lung für die größte hier lebende Gruppe von Auslände-
rinnen und Ausländern noch nicht einmal mehr ansatz-
weise aus dem Gesetz ablesen lässt. Dies darf so nicht
weitergehen. Es gehört nun mal zu den Pflichten eines
Rechtsstaates, für Transparenz und Rechtsicherheit zu
sorgen.

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir daher die
sich aus dem Assoziationsabkommen ergebenden
Rechte im deutschen Recht klar und transparent veran-
kern. Die Betroffenen, die Ausländerbehörden und die
Gerichte sollen endlich die wesentlichen Rechte, die
sich aus dem Assoziationsrecht ergeben, mit einem
Blick ins Gesetz entnehmen können. Unser Gesetzent-
wurf geht aber noch ein weiteres Problem an. Bisher
war es so, dass die Betroffenen jeden Rechtsfortschritt
mühsam vor dem Europäischen Gerichtshof erstreiten
mussten. Anstatt auf die nächsten Verurteilungen
durch den Europäischen Gerichtshof zu warten, setzt
unser Gesetzentwurf nicht nur die in der Rechtspre-
chung bereits entschiedenen Einzelfragen um, sondern
trifft auch dort Regelungen, wo sich aus der allgemei-
nen Linie der Rechtsprechung Änderungsbedarf er-
gibt. Darüber hinaus soll unser Entwurf Lücken
zwischen dem Assoziationsrecht und dem nationalen
Recht schließen.

Unser Gesetzentwurf sieht unter anderem vor:

Erstens. Regelungen zum Aufenthaltsstatus: Eine
spezielle Aufenthaltserlaubnis für Assoziationsrechts-
berechtigte wird eingeführt, die das Bestehen eines as-
soziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts beschei-
nigt. Die Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts
ist wichtig, um Benachteiligungen im Rechtsverkehr
etwa beim Abschluss längerfristiger Mietverträge oder
Arbeitsverhältnisse zu vermeiden.
Zu Protokoll gegebene Reden





Memet Kilic


(A) (C)



(D)(B)

Zweitens. Regelungen zur Familienzusammenfüh-
rung: Hier wirken sich die assoziationsrechtlichen
Verschlechterungsverbote aus, die eine Vielzahl von
ausländerrechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre
unanwendbar machen. So kann der Nachzug von Ehe-
gatten nicht von dem Nachweis von Deutschkenntnis-
sen vor der Einreise abhängig gemacht werden. Kin-
der unter 16 Jahren müssen kein Visumsverfahren
durchlaufen, wenn ein Elternteil eine Aufenthaltser-
laubnis aufgrund des Assoziationsrechts besitzt. Und
schließlich erhalten nachziehende Ehegatten nach wie
vor nach zwei Jahren Ehe ein eigenständiges Aufent-
haltsrecht, weil die von dieser Koalition beschlossene
Verlängerung auf drei Jahre klar gegen das assozia-
tionsrechtliche Verschlechterungsverbot verstößt.

Drittens wird entsprechend der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes klargestellt, dass Staats-
angehörige der Türkei für einen Kurzaufenthalt in
Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit kein Visum
brauchen.

Viertens werden die Assoziationsrechtsberechtigten
bei den Gebühren für Aufenthaltstitel so gestellt wie
die Staatsangehörigen der Schweiz. Statt bis zu
110 Euro fallen hier wie bei einem Personalausweis
nur Gebühren von 28,80 Euro an. Auch das folgt aus
dem assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbot.

Schließlich fünftens, Regelungen zum Arbeitsmarkt-
und Berufszugang. Wir stellen klar, welche Verschär-
fungen beim Arbeitsmarktzugang in verschiedenen Be-
rufsgruppen keine Anwendung finden. Und wir stellen
die Assoziationsrechtsberechtigten beim Zugang zum
Beamtenverhältnis mit den Unionsbürgern und ande-
ren europarechtlich Privilegierten gleich.

Die Lücke zwischen nationalem und Europarecht
muss endlich geschlossen werden, allein schon des-
halb, um die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates
zu wahren. Genauso aber müssen den Assoziations-
rechtsberechtigten endlich ihre Rechte zugestanden
werden. Diesen Zielen wollen wir mit unserem Gesetz-
entwurf näher kommen und bitten um Ihre Unterstüt-
zung.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722536300

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/12193 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)


Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages
hier: Änderung der Geheimschutzordnung

(Anlage 3 der Geschäftsordnung) im Zusam-


menhang mit geheimhaltungsbedürftigen Be-
langen in parlamentarischen Anfragen

– Drucksache 17/12287 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten
Sonja Steffen
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck (Köln)


Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1722536400

Das Bundesverfassungsgericht gibt uns, dem Deut-

schen Bundestag, immer wieder Anlass, bestehende
Regelungen anzupassen. So haben wir uns erst in der
vergangenen Woche mit der Neuregelung des Bundes-
wahlgesetzes befassen müssen. Heute beschäftigen wir
uns nun mit einem der elementaren Rechte von Abge-
ordneten, dem parlamentarischen Frage- und Aus-
kunftsrecht und seiner Bedeutung für das parlamenta-
rische Regierungssystem.

Die Abgeordneten besitzen das Recht, sich die für
ihre Tätigkeit notwendigen Information zu beschaffen.
Dies geschieht zum Beispiel durch die Beantwortung
parlamentarischer Anfragen, welche es den Volksver-
tretern ermöglicht, ihre Aufgabe im eigentlich Sinne,
nämlich die Interessenvertretung, aber auch die Kon-
trolle der Regierungsarbeit, zu erfüllen. Hintergrund
ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 1. Juli 2009 zu der Frage, wie bei parlamentari-
schen Anfragen verfahren werden soll, die nach An-
sicht der Bundesregierung geheimhaltungsbedürftige
Belange berühren. Die Antragsteller hatten seinerzeit
keine Antwort auf die von ihnen gestellten Anfragen an
die Bundesregierung erhalten, mit dem Verweis da-
rauf, „verfassungsrechtlich nicht tragfähige Erwägun-
gen“ ließen dies nicht zu.

Das Gericht hat in seinem Urteil zum Informations-
interesse des Parlaments vom 1. Juli 2009 unter ande-
rem darauf hingewiesen, dass der parlamentarische
Informationsanspruch zwar auf die Beantwortung der
gestellten Fragen „in der Öffentlichkeit hin“ angelegt
sei, aber auch Formen der Informationsvermittlung zu
suchen seien, durch die die berechtigten Geheimhal-
tungsbedürfnisse der Bundesregierung gewahrt wer-
den. In gegenseitiger Rücksichtnahme der Verfas-
sungsorgane war es also unbedingt nötig, eine Lösung
zu finden, die dem Informationsinteresse des Parla-
ments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungs-
interessen der Regierung Rechnung trägt.

Sich zwischen diesen beiden Polen bewegend
– Transparenz und Informationsanspruch auf der ei-
nen Seite und Sicherung von als Geheim eingestuften
Belangen auf der anderen Seite – haben wir im Aus-
schuss über die Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen,
dass bei der Beantwortung parlamentarischer Anfra-
gen die Kollegen im Parlament einen Anspruch auf In-
formationen durch die Bundesregierung haben, und





Christian Freiherr von Stetten


(A) (C)



(D)(B)

zwar – das erscheint mir für die transparente Arbeits-
weise innerhalb des Parlaments von großer Bedeutung –
auch bei einer Einstufung als geheimhaltungsbedürf-
tig. Aber es gilt trotz allem zu beachten, dass es der
Bundesregierung in Einzelfällen zur Sicherung des
Staatswohls möglich sein soll, Informationen als ge-
heimhaltungsbedürftig einzustufen und somit den
Kreis derjenigen einzuschränken, die Zugang zu die-
sen Informationen erhalten.

So haben wir in der uns hier vorliegenden Beschluss-
empfehlung in einem zweiten Teil festgelegt, dass die als
Verschlusssache eingestufte Information selbst aus-
schließlich an die Geheimregistratur des Bundestages
weitergeleitet wird. Dort kann sie, wie bisher, von je-
dem Mitglied des Bundestages sowie von den vom
Bundestagspräsidenten hierzu ausdrücklich ermäch-
tigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abge-
ordneten und Fraktionen eingesehen werden. Eine Be-
schränkung der Einsicht hinsichtlich Verschlusssachen
wird auf die Mitglieder von Untersuchungsausschüs-
sen oder sonstigen Gremien, die regelmäßig geheim
tagen, unter anderem des Parlamentarischen Kontroll-
gremiums, empfohlen. Da durch die geschilderten
Maßnahmen Fragen der Geheimhaltung nach der Ge-
schäftsordnung berührt werden und sie eine Änderung
der Geheimschutzordnung erfordern, haben wir uns im
Geschäftsordnungsausschuss durchaus kontrovers mit
dieser schwierigen Abwägung befasst.

Ich darf aus der vorliegenden Beschlussempfeh-
lung zitieren, die übrigens – das kommt ja nicht allzu
oft vor – von den Vertretern aller Fraktionen im Aus-
schuss einstimmig angenommen wurde: „Verschluss-
sachen der Geheimhaltungsgrade Streng geheim oder
Geheim dürfen nur in den Räumen der Geheimregis-
tratur eingesehen werden. Abweichend hiervon kön-
nen Verschlusssachen Mitgliedern von Untersu-
chungsausschüssen sowie von Gremien, die aufgrund
rechtlicher Grundlage regelmäßig geheim tagen, zur
Einsichtnahme in ihren Büroräumen ausgegeben wer-
den, sofern diese mit VS-Verwahrgelassen ausgestattet
und die Verschlusssachen dem Bundestag zum Zwecke
der Auftragserledigung dieses Gremiums zugeleitet
worden sind.“

Wir Abgeordnete können unseren Aufgaben als Par-
lamentarier nur dann nachkommen, wenn es uns er-
möglicht wird, die entsprechenden Informationen zu
erhalten. Dennoch sehe ich auch die Bundesregierung
in der Pflicht, verantwortungsbewusst mit durchaus
sensiblen Informationen umzugehen. Die nun gefun-
dene Lösung halte ich für eine angemessene. Ich be-
danke mich für die gute Zusammenarbeit mit den Ver-
tretern der Regierung, den Kollegen im Ausschuss
sowie den Mitarbeitern des Ausschusssekretariats.


Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1722536500

In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekom-

men, dass die Bundesregierung bei parlamentarischen
Anfragen den fragenden Abgeordneten eine Antwort
schuldig blieb. Hierbei handelte es sich zum Beispiel

um Anfragen zur Überwachung von Mitgliedern des
Deutschen Bundestages durch den Verfassungsschutz.
Die Bundesregierung verwies darauf, sie äußere sich
zu den geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten
der Nachrichtendienste grundsätzlich nur in den dafür
vorgesehenen besonderen Gremien des Deutschen Bun-
destages. Diese Vorgehensweise ist vor allem insofern
problematisch, als die Bundesregierung durch die
selbst vorgenommene Einstufung von Informationen in
die unterschiedlichen Geheimhaltungsstufen das Frage-
und Informationsrecht der Abgeordneten theoretisch
deutlich einschränken kann.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte daher 2009,
dass hier eine Verletzung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und
des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz vorliegt. Das
Bundesverfassungsgericht kam zu dem Schluss, dass
die Informationsrechte des Bundestages auch bei ge-
heimhaltungsbedürftigen Belangen vollumfänglich ge-
wahrt werden müssen, dass dabei aber den Geheim-
haltungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland
Rechnung getragen werden muss.

Dass vertrauliche Informationen auf eine parla-
mentarische Anfrage nicht, wie sonst üblich, in einer
Bundestagsdrucksache veröffentlicht werden können,
ist klar und leuchtet ein. Wir haben uns daher im Ge-
schäftsordnungsausschuss intensiv mit der Frage be-
schäftigt, wie derartige Informationen den Abgeordne-
ten zugänglich gemacht werden können bzw. müssen
und welcher Personenkreis Einsichtsrechte erhalten
soll.

Mit der heute vorliegenden Änderung der Geheim-
schutzordnung werden wir die Vorgaben des Urteils
endlich umsetzen und eine klare Regelung schaffen.
Ich freue mich, dass sich das Bundesministerium des
Innern in dieser Frage letztlich doch gesprächsbereit
gezeigt hat und wir so im Geschäftsordnungsausschuss
zu einer einstimmigen Entscheidung kommen konnten.

Wir haben uns darauf verständigt, dass Verschluss-
sachen der Geheimhaltungsgrade Geheim oder Streng
geheim in der Regel die Geheimregistratur des Deut-
schen Bundestags nicht mehr verlassen und nur noch
vor Ort eingesehen werden dürfen. Es sollen aber alle
bisher schon nach der Geheimschutzordnung berech-
tigten Personen, so auch die vom Bundestagspräsiden-
ten ermächtigten Mitarbeiter von Abgeordneten und
Fraktionen, Einsicht nehmen können. Damit wird ei-
nerseits der Geheimschutz des Deutschen Bundestages
gestärkt, andererseits die Arbeitsfähigkeit der Abge-
ordneten und ihre Entlastung durch die Mitarbeiter si-
chergestellt.

Ausgenommen hiervon sind Mitglieder von Gre-
mien, die regelmäßig mit Verschlusssachen arbeiten,
wie Untersuchungsausschüsse, das Parlamentarische
Kontrollgremium oder das Vertrauensgremium. Hier
bleibt die Möglichkeit der Herausgabe von Verschluss-
sachen bei Vorhandensein eines Verwahrgelasses im
Büro des Abgeordneten ausdrücklich bestehen.
Zu Protokoll gegebene Reden





Sonja Steffen


(A) (C)



(D)(B)

Wir waren uns im Geschäftsordnungsausschuss da-
rüber einig, dass die teilweise extrem umfangreichen
Akten, beispielsweise die des NSU-Untersuchungsaus-
schusses, anders nicht zu bewältigen sind. Vor diesem
Hintergrund müssen wir unbedingt sicherstellen, dass
diese parlamentarische Praxis beibehalten und von
der Bundesregierung respektiert wird. Hierfür sollten
wir die Regelung regelmäßig in Bezug auf die tatsäch-
liche Umsetzung und ihre Praktikabilität überprüfen.

Mit der vorliegenden Änderung der Geheimschutz-
ordnung halten wir an den hohen Anforderungen des
Geheimschutzes fest, stellen jedoch gleichzeitig die Ar-
beitsfähigkeit der Abgeordneten und bestimmter parla-
mentarischer Gremien sicher. Insgesamt stärken wir
das parlamentarische Frage- und Informationsrecht
und damit die Rechte der Abgeordneten.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1722536600

Dem parlamentarischen Frage- und Informations-

recht des Bundestages gegenüber der Bundesregie-
rung kommt in der Demokratie eine wesentliche Be-
deutung zu. Ein System von „Checks and Balances“ ist
nicht denkbar, wenn dem Parlament Informationen
entzogen werden, die zur Bewertung des Regierungs-
handelns erforderlich sind.

Im sensiblen Bereich geheimhaltungsbedürftiger
Tatsachen, die in der Sphäre der Bundesregierung lie-
gen, kann das parlamentarische Frage- und Informa-
tionsrecht an Grenzen stoßen, die unter bestmöglicher
Wahrung der betroffenen Interessen zum Ausgleich
gebracht werden müssen. Es ist dabei offensichtlich,
dass nachrichtendienstliche Tätigkeit geheimhaltungs-
bedürftig sein kann. Allerdings hat das Bundesverfas-
sungsgericht in seinem Beschluss vom 1. Juli 2009 zu
Recht festgestellt, dass sich die Bundesregierung nicht
pauschal darauf zurückziehen kann, dass Informatio-
nen, die die Tätigkeit der Nachrichtendienste beträfen,
generell geheimhaltungsbedürftig sind. So leicht darf
es sich die Bundesregierung nicht machen.

Insbesondere kann sich die Bundesregierung nicht
dadurch ihrer Verpflichtung zur Aufklärung und Infor-
mation entziehen, dass sie schlicht auf ihre Berichte im
Parlamentarischen Kontrollgremium verweist. Diese
– ja durchaus gängige – Praxis der Bundesregierung
verkennt das Gewicht und die Bedeutung der Kontroll-
rechte des Parlaments. Der gern gegebene Verweis
darauf, die Bundesregierung berichte zu geheimhal-
tungsbedürftigen Angelegenheiten nur vor den hierfür
vorgesehenen, geheim tagenden Gremien, ist unzuläs-
sig.

Zutreffend führte das Bundesverfassungsgericht
nämlich aus, dass die Einrichtung des Parlamentari-
schen Kontrollgremiums eine zusätzliche Maßnahme
ist, um die Kontrollrechte des Parlaments zu stärken.
Die Auffassung der Bundesregierung, wonach sie al-
lein im PKGr berichten könne und damit ihrer Pflicht
Genüge getan habe, verletzt grundlegende Parlaments-
rechte. Denn mit dem zusätzlichen Kontrollinstrument

begibt sich der Bundestag ja gerade nicht seiner Kon-
trollrechte im Übrigen. Der Beschluss des Bundesver-
fassungsgerichts, mit dem dies endlich klargestellt
wird und der Anlass für die heute zu beratende Ände-
rung ist, ist deshalb sehr zu begrüßen.

Nicht nur diese Klarstellung ist ein Erfolg für das
Parlament, sondern auch die Feststellung, dass die
Geheimhaltungspflicht einer Begründung bedarf. Wie
schon vorhin gesagt, kann eine nachrichtendienstliche
Tätigkeit geheimhaltungsbedürftig sein. In einem
Rechtsstaat kann nicht einfach eine Bereichsausnahme
geschaffen werden für staatliches Handeln, das sich
der Kontrolle entzieht. Vielmehr ist auch hier im Ein-
zelfall zu begründen, warum eine Einstufung in eine
Geheimhaltungsstufe erforderlich ist. Im Hinblick auf
die Rechte des Parlaments ist dies auch bedeutsam,
weil nur dann eine Fraktion oder ein einzelner Abge-
ordneter die nötige Entscheidungsgrundlage hat, ob
die Bundesregierung ihrer Pflicht zur umfassenden
und wahrheitsgemäßen Information auch nachgekom-
men ist.

Mit Freude sehen wir daher künftigen Antworten auf
Kleine oder Große Anfragen oder Einzelfragen entge-
gen, die statt des üblichen Textbausteins „Hierüber er-
teilt die Bundesregierung nur den dafür vorgesehenen
Gremien des Deutschen Bundestages Auskunft“ eine
– wenigstens in der Geheimschutzstelle hinterlegte –
Antwort sowie eine plausible Begründung dafür ent-
halten, warum die Antwort geheimhaltungsbedürftig
ist.

Die Grundsätze des Geheimschutzes werden da-
durch allerdings natürlich nicht obsolet. Es muss an
dieser Stelle auch deutlich und ausdrücklich darauf
hingewiesen werden, dass mit dem Recht, eine einge-
stufte Information zu kennen, auch eine Pflicht korres-
pondiert. Sofern und soweit die Geheimhaltung zutref-
fend begründet ist, muss auch sichergestellt sein, dass
die Information geheim bleibt. In unserem Rechtsstaat
müssen hohe Anforderungen an Geheimhaltung ge-
stellt werden, weil es den Rechtsstaat gerade auszeich-
net und von Diktaturen und anderen Unrechtsregimen
unterscheidet, dass die Offenlegung, Überprüfbarkeit
und Kontrolle staatlichen Handelns gewährleistet
wird. In den Fällen aber, in denen eine Geheimhaltung
tatsächlich begründet und erforderlich ist, muss diese
auch sichergestellt sein.

Deshalb wird mit dem heute vorliegenden Vorschlag
zweierlei geregelt: Zum einen wird sichergestellt, dass
der Zugang zu eingestuften Informationen nicht unzu-
lässig auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt
wird, sondern nach wie vor alle Abgeordneten sowie
die hierzu besonders ermächtigten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Fraktionen und Abgeordneten ein-
gestufte Teile von Antworten der Bundesregierung in
der Geheimschutzstelle einsehen können. Das stärkt
die parlamentarische Kontrolle des Regierungshan-
delns und stellt die effektive parlamentarische Arbeit
sicher.
Zu Protokoll gegebene Reden





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)

Zum anderen wird der Geheimschutz dadurch ge-
stärkt, dass Unterlagen grundsätzlich in der Geheim-
schutzstelle verbleiben, statt in die eigenen Büros mit-
genommen zu werden. Denn auch mit der ja ohnehin
bestehenden Einschränkung, dass in den betreffenden
Büros ein Verwahrgelass – schönes Verwaltungs-
deutsch für Safe – vorhanden ist, muss man doch fest-
halten, dass die Gefahren für die Geheimhaltung stei-
gen, wenn Unterlagen „wandern“ können.

Es ist aber zugleich richtig, dass diejenigen, die re-
gelmäßig mit Verschlusssachen befasst sind, also etwa
im Vertrauensgremium oder im Finanzmarkstabilisie-
rungsgremium oder auch im PKGr wie auch in den
Untersuchungsausschüssen, nach wie vor die Unterla-
gen, die für ihre dortige spezifische Tätigkeit erforder-
lich sind, auch – unter Beachtung der Geheimhal-
tungsvorschriften – in ihren Büros studieren können.
Das ist auch nicht eine Frage der Bequemlichkeit, son-
dern der Effektivität parlamentarischer Kontrolltätig-
keit in diesen Gremien.

Für diejenigen, die solchen Gremien nicht angehö-
ren, aber trotzdem regelmäßig mit Verschlusssachen in
ihrer Aufgabe etwa im Haushaltsausschuss umgehen
müssen, zum Beispiel die dortigen Berichterstatter für
Verteidigung, kann nach der neuen Regelung in § 3 a
der GSO-BT eine Genehmigung vom Bundestagspräsi-
denten erlangt werden, damit auch hier Unterlagen
von der Geheimschutzstelle ausgehändigt werden kön-
nen. Dies gilt im Übrigen dann für die betreffenden
Abgeordneten wie auch für die besonders ermächtig-
ten Mitarbeiter der Fraktionen und Abgeordnetenbü-
ros.

Mit der heute vorgelegten Regelung schaffen wir ei-
nen guten Ausgleich: parlamentarische Kontrolle stär-
ken und Geheimschutz gewährleisten. Ich bin froh,
dass alle Fraktionen gemeinsam zu dieser guten und
ausgewogenen Lösung finden konnten. Wir alle als
Parlamentarier sind aufgerufen, Regierungshandeln
zu kontrollieren. Wir alle als Parlamentarier haben ein
gemeinsames Interesse, dies effektiv zu tun. Und wir
alle als Parlamentarier sind uns unserer Verantwor-
tung bewusst, wenn es um tatsächlich geheimhaltungs-
bedürftige Tatsachen geht.


Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722536700

Wir befassen uns heute mit der Änderung der Ge-

heimschutzordnung. Hintergrund ist ein von Kollegen
erstrittenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Diesem Verfahren lag die Weigerung der Bundes-
regierung zugrunde, darüber Auskunft zu erteilen, ob
und gegebenenfalls welche Informationen die Geheim-
dienste des Bundes und der Länder über die Mitglieder
des Deutschen Bundestages sammeln. Mittlerweile
wissen wir, dass diese verfassungswidrige Praxis, ge-
gen die sich die Betroffenen gerichtlich umfassend
wehren, sehr viele Abgeordnete meiner Fraktion be-
trifft bzw. betraf.

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil
diesbezüglich ganz richtig festgestellt: Die nachrich-
tendienstliche Beobachtung von Abgeordneten birgt
erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhän-
gigkeit und auf die Mitwirkung der betroffenen Par-
teien bei der politischen Willensbildung und damit für
den Prozess demokratischer Willensbildung insge-
samt. Das Urteil des Gerichts zur Frage der Beobach-
tung steht noch aus; heute geht es uns um die Entschei-
dung zum Fragerecht der Abgeordneten.

Für diesen parlamentarischen Bereich hat das Bun-
desverfassungsgericht den Abgeordneten und dem
Parlament den Rücken gestärkt und die Ausflüchte der
Bundesregierung nicht gelten lassen: Wieder einmal
hat es der Bundesregierung im Ergebnis nichts ge-
nutzt, dass sie sich mit Verweis auf geheimhaltungsbe-
dürftige Belange ihrer im Grundgesetz verankerten
Antwortpflicht gegenüber dem Parlament entziehen
wollte. Gegebenenfalls müsse die Bundesregierung
das Informationsinteresse des Parlaments eben unter
Wahrung ihrer berechtigten Geheimhaltungsinteressen
befriedigen. Die gängige Praxis genügte dem Anliegen
schon bisher.

Der 1. Ausschuss hat dennoch auf die Bedenken der
Bundesregierung und von Teilen des Ausschusses in
Bezug auf Geheimhaltungsschutz reagiert und schlägt
nun eine Neuregelung der Geheimschutzordnung vor.
Zunächst möchte ich betonen: Wir haben ganz klar
solchen verfassungswidrigen Überlegungen eine Ab-
fuhr erteilt, die das Recht auf Einsicht in geheimhal-
tungsbedürftige Teile einer Antwort auf parlamentari-
sche Anfragen auf Abgeordnete oder Mitarbeiterinnen
bzw. Mitarbeiter der fragestellenden Fraktion be-
schränken wollten.

Stattdessen wird nun die Einsicht in Verschlusssa-
chen grundsätzlich auf die Geheimregistratur des Bun-
destages beschränkt, mit gewichtigen Ausnahmen für
Untersuchungsausschussmitglieder und andere ge-
heim tagende Gremien und die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der MdB und Fraktionen. Es soll also
nicht der zugangsberechtigte Personenkreis, sondern
der Ort der Einsichtnahme verändert werden. Die Bot-
schaft ist: Die Arbeit des Parlaments soll nicht er-
schwert werden. Der 1. Ausschuss geht davon aus,
dass sich insbesondere für den Bereich der Untersu-
chungsausschüsse und der anderen Gremien, die re-
gelmäßig geheim tagen, so zum Beispiel Vertrauens-
gremium, Parlamentarisches Kontrollgremium und
andere nichts ändert.

Das betrifft auch die unveränderte Möglichkeit der
Aushändigung von Verschlusssachen zur Einsicht-
nahme und zum Verbleib in den Büroräumen mit Safe,
ungemindert auch direkt für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der betreffenden Abgeordneten und der
Fraktionen. Das wurde von allen Fraktionen im Aus-
schuss so geteilt. Sollte sich demgegenüber etwa he-
rausstellen, dass die bisherige Praxis beeinträchtigt
wird, wird sich der Ausschuss für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung umgehend wieder mit dem
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Dagmar Enkelmann


(A) (C)



(D)(B)

Thema befassen. Dass wir uns in dieser Woche schon
mit der juristisch absurd begründeten, generellen Wei-
gerung der Bundesregierung, Mitarbeiterinnen bzw.
Mitarbeitern von Mitgliedern des Vertrauensgremiums
Einsichtnahme in VS zu geben, beschäftigen müssen,
lässt mich allerdings nichts Gutes ahnen.

Ich möchte hier noch auf das eigentliche und zu-
gleich wichtige Problem im Umgang mit geheimhal-
tungsbedürftigen Anliegen beim Fragerecht eingehen,
auf dessen Lösung ich schon im Ausschuss gedrängt
habe: Das Problem ist nicht die Geheimhaltung aufsei-
ten des Bundestages. Das Problem stellt die ungerecht-
fertigte Einstufung von Antworten als Verschlusssa-
chen durch die Bundesregierung dar.

Folgendes ist daher klar und deutlich voranzustel-
len: Die Abgeordneten und die Fraktionen entscheiden
darüber, welcher Informationen sie bedürfen. Kon-
trolle ohne Transparenz ist nicht möglich. Die Kon-
trolle der Regierung durch das Parlament bedarf der
Transparenz. Als langjährige Erste Parlamentarische
Geschäftsführerin meiner Fraktion muss ich leider
feststellen, dass sich die Bundesregierung mitunter
jede einzelne Information buchstäblich abtrotzen lässt.
Dies widerspricht unserer parlamentarischen Demo-
kratie und dem verbürgten Fragerecht der Abgeordne-
ten. Es ist nicht hinnehmbar, wenn erst das Bundesver-
fassungsgericht bemüht werden muss, um derartige
Selbstverständlichkeiten durchzusetzen. Die Bundes-
regierung erschwert die naturgemäß von der Opposi-
tion und insbesondere der Linken wahrgenommene
Kontrolle der Regierung mit immer neuen Ausreden,
Ausflüchten und Weigerungen.

Im Zusammenhang mit der hier in Rede stehenden
Geheimschutzordnung ist festzustellen: Die Bundes-
regierung verfällt neuerdings auf den Trick, die Ant-
worten auf Fragen als geheim einzustufen, obwohl sie
gar nicht geheimhaltungsbedürftig sind. Ziel ist ganz
offensichtlich, zu erreichen, dass die Öffentlichkeit so
wenig wie möglich Kenntnis von der mangelhaften Re-
gierungstätigkeit erhält. Ich will hierzu ein Beispiel nen-
nen: Im Falle einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion
zur „Unterstützung des Bundes für die Münchner Si-
cherheitskonferenz“, Bundestagsdrucksache 17/8399,
hatte das Bundesministerium der Verteidigung die Ant-
wort zunächst als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“
eingestuft.

Ich hatte für die Linke dagegen – mit Erfolg – pro-
testiert. Die annähernd gleichen Fragen wurden näm-
lich in den Jahren zuvor selbstverständlich beantwor-
tet. Die Einstufung war also schlicht rechtswidrig. Es
kann nicht sein, dass die Bundesregierung die Öffent-
lichkeit zu umgehen versucht, indem sie die Antwort-
pflicht in der Geheimkammer erfüllt. Das wird sich
meine Fraktion auch in Zukunft nicht gefallen lassen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Dass wir heute alle gemeinsam dieser Änderung der
Geschäftsordnung zustimmen, bedurfte zweier erfolg-

reicher Klagen der Grünen-Bundestagsfraktion vor
dem Bundesverfassungsgericht, um den fälschlichen
Missbrauch der Geheimschutzordnung durch die Bun-
desregierung zu beenden.

Wie eh und je können Verschlusssachen der Ge-
heimhaltungsgrade Streng geheim oder Geheim
grundsätzlich nur in der Geheimschutzstelle eingese-
hen werden. Das gilt nach wie vor für alle Abgeordne-
ten sowie für ausdrücklich dafür geprüfte und ermäch-
tigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Diese Regelung stellt nun eine Klarstellung dar: Sie
wahrt die Informationsrechte des Bundestages, die vom
BVerfG bekräftigt wurden, und die Geheimhaltungsin-
teressen der Bundesregierung. Die Ausnahmeregelung
soll solchen Abgeordneten und Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die häufig mit Verschlusssachen arbei-
ten, weiterhin einen problemlosen Arbeitsablauf er-
möglichen. Das heißt, wer eine Ausstattung mit ent-
sprechendem Safe hat, kann die Verschlusssache im
eigenen Büro einsehen und aufbewahren. Es ändert
sich also für Mitglieder und deren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von Untersuchungsausschüssen und
weiteren geheim tagenden Gremien nichts. Ich ver-
weise hier besonders auf Satz 3 der Neuregelung.

In den Beratungen wurde von uns die „kann“-For-
mulierung in Satz 2 so aufgefasst, dass diese Möglich-
keit lediglich eine praktische Einschränkung der
Transportierbarkeit oder Aufbewahrung der Unter-
lagen betreffen kann.

Die ursprüngliche Idee der Koalition und der Bun-
desregierung, die Mitarbeiter von dem Zugang gänz-
lich auszuschließen, wurde von uns erfolgreich abge-
wehrt.

Auch in Zukunft wird der Bundestagspräsident im
Sinne der allgemeinen Ausgestaltungsmöglichkeiten
diesen praktischen und praktikablen Zugang zu den
Unterlagen ermöglichen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722536800

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung auf Drucksache 17/12287.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

UN-Menschenrechtsrat nutzen und von Sri
Lanka Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der
Menschenrechte und Versöhnungsprozess for-
dern

– Drucksache 17/12466 –

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.






(A) (C)



(D)(B)


Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1722536900

Zum wiederholten Male beschäftigen wir uns im

Plenum des Deutschen Bundestages mit der Menschen-
rechtslage in Sri Lanka. Obwohl ich die menschen-
rechtliche Situation in Sri Lanka nicht beschönigen
möchte und dies auch nie getan habe, glaubte ich bis
vor kurzem, dass sich das Land insgesamt auf einem
guten Weg befindet.

Sri Lanka ist ein Staat, der von einem Jahrzehnte
andauernden Bürgerkrieg zwischen den tamilischen
Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE, und der sin-
ghalesischen Regierung erschüttert wurde und in dem
erst im Jahr 2009 mit einem Sieg der Regierung wieder
Ruhe eingekehrt ist. Alle Menschenrechtsverletzungen
am Ende des Krieges aber auch in der Zeit unmittelbar
nach dem Sieg sind auch vor dem Hintergrund dieses
seit 1983 von beiden Seiten grausam geführten Krie-
ges zu verstehen, wenn auch nicht zu relativieren.

Nach 2009 mussten wir uns im Menschenrechtsaus-
schuss des Bundestages vor allem mit der Lage der ta-
milischen Bevölkerung und ganz besonders mit den
Binnenvertriebenen beschäftigen, die anfangs in einer
Zahl von mehreren Hunderttausend Menschen in La-
gern interniert waren und deren humanitäre Situation
prekär war.

Als ich im Jahr 2011 in Sri Lanka war, wurde von
weiterhin massiven Menschenrechtsverletzungen be-
richtet. Auf der anderen Seite war aber auch eine posi-
tive Entwicklung festzustellen, ein Willen der Regie-
rung, die unerträglichsten Verletzungen der Menschen-
rechte in Sri Lanka abzustellen. Letztes augenfälliges
Indiz dafür war die Aufhebung der Notstandsgesetze
durch die Regierung Ende August 2011, nachdem diese
für fast 30 Jahre in Kraft waren. Dadurch wurde der
Polizei zumindest das Recht entzogen, umfassende
Maßnahmen gegen die Tamilen in Form von Woh-
nungsdurchsuchungen und willkürlichen Verhaftungen
zu vollziehen. Allerdings bestand schon damals bei fast
allen Beobachtern Einigkeit, dass die Anstrengungen
noch erhöht werden müssen und eine wirkliche politi-
sche Integration der tamilischen Bevölkerungsminder-
heit nicht die allerhöchste Priorität genießt.

Seit 2011 hat sich gerade im Bereich der Infrastruk-
tur- und Wirtschaftsentwicklung auch in den von Tami-
len bewohnten Gebieten einiges getan. Auch die Räu-
mung der Flüchtlingslager und die Rückkehr der
Tamilen in ihre Heimat ist als positive Entwicklung
hervorzuheben und wird ja auch im Antrag der SPD
erwähnt. Von einer Verbesserung der menschenrechtli-
chen Situation können wir jedoch seit 2011 insgesamt
nicht sprechen, eher ist das Gegenteil der Fall.

Einer der Kritikpunkte an der aktuellen Situation
und aus meiner Sicht der Impulsgeber für die Erstel-
lung des vorliegenden Antrages der SPD ist ein ande-
rer: Es geht um die Entlassung der Obersten Richterin
Dr. Shirani Bandaranayake aus offenbar politischen
Gründen. Diese Amtsenthebung durch das Parlament
ist als deutliches Zeichen eines Angriffs auf die Unab-

hängigkeit der Justiz verstanden worden. Das ist eine
Deutung, die auch in meiner Fraktion geteilt wird und
somit eine Entwicklung, die auch mir große Sorgen
macht.

Es kann nicht im Sinne Deutschlands sein, wenn
sich Sri Lanka in Richtung eines autoritär regierten
Staates entwickelt, in dem der Präsident und seine Fa-
milie das alleinige Sagen haben und in dem die Justiz
in keiner Weise mehr unabhängig ist. Es ist aus meiner
Sicht kein Zufall, dass die Oberste Richterin zuvor ein
Gesetzespaket der Regierung als verfassungswidrig
gestoppt hat, das die Rechte der Zentralregierung ge-
genüber den Provinzen gestärkt hatte.

Die Amtsenthebung der obersten Repräsentantin
der Judikative lässt für die Zukunft Sri Lankas nichts
Gutes ahnen. Es kann meines Erachtens nicht ange-
hen, wenn die siegreiche Bürgerkriegspartei den ver-
breiteten Wunsch nach Frieden und Stabilität ausnutzt,
um einen autoritären Staat zu schaffen. Ich unterstütze
deshalb die Forderungen des Antrags der SPD im Hin-
blick auf die Untersuchung des Vorgangs der Amtsent-
hebung von Frau Bandarayanake im Grundsatz. Die-
ser Fall muss durch internationale Organisationen
untersucht werden.

Neben der aktuellen Entwicklung der Aushöhlung
der Unabhängigkeit der Justiz bestehen die Probleme
der Menschenrechtsverletzungen sowie der Aufarbei-
tung der Verbrechen des Bürgerkrieges bzw. nach sei-
nem Ende weiterhin fort. Wir müssen immer noch teil-
weise massive Menschenrechtsverletzungen feststellen.
Ein Teil davon wird durch das Anti-Terror-Gesetz, das
die frühere Notstandsgesetzgebung abgelöst hat, sogar
ganz offiziell legitimiert. Wir als Menschenrechtspoli-
tiker der Union fordern vehement die Abschaffung die-
ses Gesetzes.

Die Forderungen des SPD-Antrags weisen im Be-
reich der Menschenrechte und der Aufarbeitung der
Menschenrechtsverletzungen in die richtige Richtung.
Allerdings kann es nicht alleiniges Ziel sein, Sri Lanka
zur Unterzeichnung und Ratifizierung internationaler
Abkommen und Gesetzesänderungen zu bewegen. Im
Fokus muss vielmehr noch stärker stehen, die konkrete
menschenrechtliche Situation zu verbessern. Insofern
kann man bei genauerer Betrachtung des Antrags
schon konstatieren, dass bestimmte Forderungen der
SPD, wie die Ratifikation des Römischen Statuts, in
der jetzigen Situation unrealistisch sind. Wenn wir zu
viel auf einmal fordern, machen wir uns als Partner
ein Stück weit unglaubwürdig.

Lassen Sie mich noch auf einen Punkt näher einge-
hen, nämlich auf die Integration der ehemaligen Kin-
dersoldaten, die im Antrag ebenfalls gefordert wird.
Hier hat sich die sri-lankische Regierung erfreulicher-
weise selbst engagiert, indem ehemalige Kindersolda-
ten betreut und offenbar durch eine Berufsausbildung
in die Gesellschaft integriert werden.

Sri Lanka ist Partnerland der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit, und auch in diesem Bereich, für
Zu Protokoll gegebene Reden





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

den ich im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung zuständig bin, stellt der SPD-An-
trag Forderungen auf. Lassen Sie mich kurz auf Pro-
jekte eingehen, die durch das deutsche Entwicklungs-
ministerium finanziert werden:

Es werden lokale Friedensinitiativen gefördert, ein
weiteres Projekt betrifft die Friedenserziehung;
Deutschland unterstützt den Verwaltungsaufbau im
Norden und Osten Sri Lankas; mit Entwicklungsmit-
teln stärkt Deutschland außerdem den Mikrofinanz-
sektor; zwei neu aufgenommene Projekte betreffen den
Bau einer Geburtsklinik sowie ein Projekt zur berufli-
chen Bildung.

Ich denke, dass die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit mit Friedensförderung, Bildung, Gesund-
heit und Mikrofinanzen gute Schwerpunkte setzt, die
vor allem der Zivilgesellschaft und auch den benach-
teiligten Bevölkerungsgruppen zugutekommen.

Eine Reaktion im Bereich der Entwicklungszusam-
menarbeit auf die jüngsten Ereignisse im Sinne einer
Abschwächung der Kooperation lehne ich zum jetzigen
Zeitpunkt ab. Hier gilt es zunächst, die weitere Ent-
wicklung abzuwarten. Fakt ist, dass die deutschen Ent-
wicklungsmittel eine gute Möglichkeit bilden, Einfluss
auf die weitere Entwicklung Sri Lankas zu nehmen und
unsere Haltung mit Nachdruck deutlich zu machen.
Angesichts der Gesamtentwicklungen in Sri Lanka
sollten wir uns diese Möglichkeit erhalten.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Antrag
der SPD-Fraktion insgesamt sagen: Man muss festhal-
ten, dass wichtige Forderungen der Initiative auf die
aktuellen Ereignisse und die grundlegenden men-
schenrechtlichen Defizite Sri Lankas eingehen. Aller-
dings werden alle wesentlichen Forderungen des An-
trags seitens der Bundesregierung, teilweise zusätzlich
im Rahmen der EU sowie auf Ebene der Vereinten Na-
tionen bereits umgesetzt. Das betrifft gerade den Ein-
satz im Rahmen des UN-Menschenrechtsrats; auch
hier ist die Bundesregierung bereits aktiv.

Insofern muss ich festhalten, dass die Forderungen
des Antrags an die Bundesregierung bereits erfüllt
werden, sie sind Bestandteil unserer Außenpolitik. Der
vorliegende Antrag erweckt durch seinen umfangrei-
chen Forderungsteil den Eindruck, dass hier Versäum-
nisse der Bundesregierung vorliegen. Das ist erwiese-
nermaßen nicht der Fall. Letztlich ist der Antrag somit
eigentlich überflüssig.

Gleichwohl hätte man sich im Vorfeld der Einbrin-
gung dieses Antrags oder auch im Rahmen einer Aus-
schussbefassung mit den Menschenrechten in Sri
Lanka befassen können, mit dem Ziel hier einen ge-
meinsamen Antrag oder eine Entschließung herbeizu-
führen oder dem Thema in der deutschen Öffentlichkeit
zumindest mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Dass diese Ansprache nicht erfolgt ist, eine Ausschuss-
beratung nicht stattfindet und ich als Berichterstatter
den Antragstext erst am Tag vor der abschließenden
Debatte erhalten habe, spricht dafür, dass es den An-

tragstellern gar nicht darum ging, gemeinsam mit den
Regierungsfraktionen einen Beschluss des Bundes-
tages herbeizuführen. Das halte ich für sehr bedauer-
lich und der Lage nicht angemessen.

Deshalb lassen Sie mich abschließend festhalten,
dass auch meine Fraktion die Lage in Sri Lanka als
kritisch ansieht, dass auch wir im Moment eine Ver-
schlechterung der menschenrechtlichen Situation in
Sri Lanka wahrnehmen. Wir erkennen in diesem Be-
reich ganz ausdrücklich die Arbeit der Bundesregie-
rung an, die in der Frage der Menschenrechtsdefizite
aktiv arbeitet und dabei auch die Forderungen des An-
trags der SPD-Fraktion bereits umsetzt.

Vor diesem Hintergrund lehnen wir diesen Antrag
als überflüssig ab.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1722537000

Ich bin erfreut, dass wir in dieser Woche, da der

UN-Menschenrechtsrat seine Sitzung eröffnet hat, das
dort auf der Tagesordnung stehende Thema Sri Lanka
ebenfalls in den Fokus nehmen.

Ich möchte Sie mit einem Zitat von Friedrich
Schiller konfrontieren, das die Situation in Sri Lanka
sehr treffend beschreibt: „Wie unglückbringend, liebe
Mutter, ist Feindschaft zwischen Brüdern, und wie
schwer hält die Versöhnung.“

Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat großes Leid
und Unglück über das Land und seine Bevölkerung ge-
bracht. Seit Ende des Krieges scheint sich die Situation
positiv zu entwickeln; weisen doch die Fakten wirt-
schaftlicher Entwicklung seither gute Tendenzen auf
und konnten viele ehemalige Binnenflüchtlinge in ihre
Heimat zurückkehren und die Flüchtlingslager aufge-
löst werden. Wie so oft zeigt sich bei näherer Betrach-
tung, dass noch ein weiter Weg vor dem Land und sei-
ner Bevölkerung liegt, um die Weiterentwicklung und
vor allem die Versöhnung im Lande zu fördern.

Mit Sorge erfüllen mich daher die politischen Ent-
wicklungen in den letzten Wochen und Monaten, die
erwarten lassen, dass die nötigen Prozesse nicht mit
Nachdruck und unter Beteiligung aller Bevölkerungs-
teile realisiert werden. So weisen zahlreiche Berichte
darauf hin, dass der Präsident ein System unum-
schränkter Herrschaft errichtet und mit diesem in alle
politischen und gesellschaftlichen Felder vordringt,
ohne vor der Ebene der Exekutive und Legislative Halt
zu machen.

Die Entlassung der Obersten Richterin, die sich ge-
gen die Entscheidungen von Präsident Rajapaksa ge-
stellt hat, ist eine wirkliche Gefahr. Damit verstieß der
Präsident gegen jegliches demokratisches Prinzip der
Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz.
Zugleich zeigte er, dass er der geltenden Verfassung
wenig Bedeutung beimisst, und lässt Befürchtungen
aufkommen, diese – wie bereits durch die Aufhebung
einer Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten –
weiterhin willkürlich umzuformulieren.
Zu Protokoll gegebene Reden





Christoph Strässer


(A) (C)



(D)(B)

Weiterhin müssen wir eine erhebliche Zensur der
freien Presse zur Kenntnis nehmen – so wurden neue
Regulierungen zur Überwachung von Internetseiten
erlassen, die die Regierung betreffende Nachrichten
veröffentlicht bzw. Nachrichten, die die Regierung als
solche erachtet – und die Schließung von nahezu allen
staatlichen Universitäten. Auch dies ist besorgniserre-
gend, weist es doch in die Richtung von Kontrolle und
Steuerung der Bevölkerung. Zudem wurde das Anti-
Terror-Gesetz, das auch zur Kontrolle der Bevölke-
rung genutzt werden könnte, auch Jahre nach dem
Ende des Bürgerkriegs noch nicht abgeschafft. Wir
sind der Überzeugung, dass dieses Gesetz, das einem
Notstandsgesetz gleicht, abgeschafft werden muss und
damit zu rechtsstaatlichen Prinzipien zurückgekehrt
werden muss.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Staatspräsi-
dent Rajapaksa, gemeinsam mit seinen Getreuen, den
Staat und die Gesellschaft nach seinen Prinzipien um-
gestaltet – und dies nicht zum Wohle des gesamten Vol-
kes in Sri Lanka. Gleichwohl genießt Rajapaksa gro-
ßes Ansehen in der Bevölkerung – unter anderem auch,
weil er in ihren Augen für die positiven wirtschaftli-
chen Entwicklungen verantwortlich ist.

Diese auf der politischen Ebene verlaufenden Ver-
schlechterungen haben auch sehr konkrete Auswirkun-
gen in der Gesellschaft. Im hauptsächlich von hinduis-
tischen Tamilen bewohnten Norden wurden vermehrt
buddhistische Tempel errichtet. Diese werden oftmals
von Militärangehörigen genutzt. In meinen Augen ist
dies in doppelter Hinsicht negativ: Zum einen wird die
Lebenswirklichkeit der Menschen nicht anerkannt;
zum anderen sehen sich die Tamilen nach Beendigung
der militärischen Auseinandersetzungen erneut einer
täglichen Begegnung mit dem Militärpersonal ausge-
setzt. Einige Kritiker sprechen sogar davon, dass die
andauernde Präsenz militärischer Kräfte im Gebiet
der Tamilen einer Besatzung gleiche. Derartige
Entwicklungen sind nach meinem Ermessen für ein
friedliches Zusammenleben und eine dauerhafte Aus-
söhnung kontraproduktiv. Zugleich sind die tieferlie-
genden Ursachen für den vergangenen Konflikt noch
immer nicht behoben; die Tamilen fühlen sich weiter-
hin politisch und sozioökonomisch marginalisiert.
Neben der politischen und gesellschaftlichen Aufar-
beitung spielt die tatsächliche Herbeiführung von
äquivalenten Lebensverhältnissen eine entscheidende
Rolle, um nicht alte Konfliktlinien wieder aufbrechen
zu lassen.

Bisher wurden auch wenig effektiv Schritte unter-
nommen, um nach Ende des Bürgerkrieges den Ver-
söhnungsprozess voranzutreiben. Bisher konnten le-
diglich zahlreiche politische Willensbekundungen und
theoretische Zusagen vernommen werden; echter Wille
zu einer umfassenden Aufarbeitung und konkrete
Handlungen hingegen blieben bisher aus. Vielmehr
gab es große politische Rhetorik. In der Lebenswirk-
lichkeit der Menschen sind Wahrheit, Versöhnung und
Aufarbeitung leider bisher nicht angekommen. Dabei

ist von entscheidender Bedeutung, dass es zwischen
den ehemaligen Kriegsparteien zu einer echten Aus-
söhnung kommt. Gerechtigkeit und Rechenschaft sind
elementare Bestandteile.

Dazu gehört es auch, die derzeit in den Medien kur-
sierenden Vorwürfe der Hinrichtung von Gefangenen
durch die Armee Sri Lankas, unter denen unter ande-
rem der Sohn des Anführers der Befreiungstiger von
Tamil Eelam, LTTE, Balachandran Prabhakaran, be-
troffen sein soll, zu untersuchen und aufzuklären. Ich
bin überzeugt, dass derartige Verbrechen – sollten
diese Vorwürfe nicht ausgeräumt werden – eine dauer-
hafte Belastung für den noch fragilen Frieden sein
können.

Es überraschte, dass der von der Regierung Sri
Lankas veröffentlichte LLRC-Bericht zwar relativ kon-
krete Empfehlungen hinsichtlich eines effektiven Auf-
arbeitungs- und Versöhnungsprozesses enthält, deren
Umsetzung aber von der derzeitigen Regierung mit
dem Verweis auf eine Gefährdung der angeblich stabi-
len Friedenslage abgelehnt wurde. Mittlerweile wurde
im Juli des letzten Jahres, auch dank internationalem
Druck, ein dem Bericht folgender Aktionsplan veröf-
fentlicht, der Zuständigkeiten und Zeitpläne für die
Umsetzung des Berichtes definiert. Es bleibt abzuwar-
ten, ob mit diesem Aktionsplan das Eis gebrochen wer-
den konnte und tatsächliche Veränderungen folgen
werden.

Nur auf Basis dieses Prozesses kann der Entwick-
lungsprozess des ganzen Landes effektiv vorangetrie-
ben werden und weitere Schritte unternommen werden,
um Fragen der Landverteilung und Sprachenpolitik im
Interesse aller dauerhaft zu lösen. Zudem können wei-
tere wichtige Reformvorhaben wie die Dezentralisie-
rung und Unabhängigkeit der Institutionen nachhaltig
nur gelöst werden, wenn die ausgesöhnten Bevölke-
rungsgruppen gemeinsamen an einer effektiven Lö-
sung arbeiten. Nach unserem Dafürhalten ist mit Blick
auf die Vergangenheit die Aussöhnung der letzte
Schritt zur Beendigung des Bürgerkriegs; mit Blick auf
die Zukunft ist sie Voraussetzung für alle künftigen
Entwicklungsschritte, die die unterschiedlichen Bevöl-
kerungsgruppen gemeinsam zu bewältigen haben.

Mit Blick auf das eingangs präsentierte Zitat weisen
auch im Falle Sri Lankas alle Zeichen darauf hin, wie
schwer die Versöhnung zwischen ehemaligen Feinden
ist und wie brüchig selbst die Verbindungen zwischen
Brüdern sind. Gleichwohl ist dies nicht unmöglich und
muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln for-
ciert und unterstützt werden.

Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern
sollten wir daher die verfügbaren Wege ausnutzen, um
auf die Regierung Sri Lankas einzuwirken und wir-
kungsvolle Antworten auf die zurückliegenden Ent-
wicklungen zu finden und die Regierung und das Volk
in seinen Bemühungen unterstützen, Antworten auf die
vielfältigen Fragen der Vergangenheit und Zukunft zu
finden. Wie sich am Aktionsplan zum LLRC-Bericht
Zu Protokoll gegebene Reden





Christoph Strässer


(A) (C)



(D)(B)

zeigt, waren hier internationale Bemühungen von au-
ßen – wenngleich sie sich stets in einem Spannungsfeld
zwischen Mahnung und Einmischung in innere Angele-
genheiten bewegen – erfolgreich.

Es wird Geduld erfordern und die Initiative unter-
schiedlichster Akteure auf dem internationalen, multi-
lateralen Parkett, um Präsident Rajapaksa zu überzeu-
gen, seine autoritären Schritte zu überdenken und
seine politischen Handlungen in eine andere Richtung
zu lenken. Auch weil er in der Bevölkerung enormes
Ansehen genießt, welches gepaart mit seinen vielfälti-
gen Verbindungen in Politik, Wirtschaft und Gesell-
schaft ein großes Gewicht besitzt, ist es relevant, ihn
als Adressaten der Veränderung zu respektieren.

Wir begrüßen ausdrücklich Initiativen, die eine Fol-
geresolution zur Resolution „Promoting reconciliation
and accountability in Sri Lanka“ ermöglichen sollen.
Es wäre erfreulich und ein wichtiges Monitoring, wenn
das Engagement der UN-Hochkommissarin für Men-
schenrechte die Entwicklungen im Land weiterhin
begleiten würde. Zeitgleich wollen wir, dass die UN-
Sonderberichterstatterinnen und -erstatter offiziell
eingeladen und durch die sri-lankischen Behörden in
ihrer Arbeit unterstützt werden, um vor Ort die tat-
sächlichen Verhältnisse in Augenschein nehmen zu
können und wichtige menschenrechtsspezifische The-
menbereiche wie Minderheitenfragen, willkürliche
Verhaftungen, extralegale Hinrichtungen untersuchen
zu können. Auch die Wahrung der Meinungs-, Ver-
sammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Rechte
von Frauen und Menschenrechtsverteidigerinnen und
-verteidigern sollte hierbei beleuchtet werden.

Auch die Bundesregierung kann auf vielfältigen We-
gen auf die Regierung Sri Lankas einwirken, den
gegenwärtigen Zustand der Unsicherheit und der un-
gelösten Probleme zu bewältigen. Wir haben dies in
unserem Antrag formuliert und bitten Sie heute herz-
lich um Ihre Zustimmung für dieses wichtige politische
Anliegen.


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1722537100

Diese christlich-liberale Regierungskoalition be-

obachtet mit Aufmerksamkeit die politischen Entwick-
lungen in Sri Lanka. Aus diesem Grund ist der Antrag
der SPD-Fraktion im Grundsatz zu begrüßen. Die
menschenrechtliche Situation in Sri Lanka ist nach wie
vor schwierig und stellt Sri Lanka vor politische und
zivilgesellschaftliche Herausforderungen.

Mit Sorge habe ich die Fernsehdokumentation „Sri
Lanka's Killing Fields“ des britischen Senders BBC
Channel 4 zur Kenntnis genommen, in der über angeb-
liche Kriegsverbrechen beider Kriegsparteien in den
letzten Monaten des sri-lankischen Bürgerkriegs im
Jahr 2009 berichtet wird.

Und dementsprechend hat sich die Bundesrepublik
wiederholt besorgt zur Lage in den sri-lankischen Bür-
gerkriegsgebieten geäußert. Die Bundesregierung hat
in der Vergangenheit dazu aufgerufen, einen Waffen-

stillstand zu vereinbaren, die Versorgung der in der
Kampfzone eingeschlossenen Menschen zu ermöglichen
und eine politische Lösung des ethnischen Konflikts
anzustreben.

Darüber hinaus hat diese christlich-liberale Regie-
rungskoalition seit dem Ende der kriegerischen Aus-
einandersetzungen mit über 100 000 Toten gemeinsam
mit der EU wiederholt appelliert, die in den Flücht-
lingslagern untergebrachten Binnenvertriebenen wie-
der in ihren Städten und Dörfern anzusiedeln. Auch hat
Deutschland dazu aufgerufen, internationalen Hilfs-
organisationen den Zutritt zu den Lagern zu ermög-
lichen. Dabei ist es ein klares Bekenntnis Deutsch-
lands, dass eine dauerhafte Friedenslösung nur dann
möglich sein wird, wenn sie unter Einbeziehung aller
Bevölkerungsgruppen gefunden wird.

Zugleich ist es überaus erfreulich zu sehen, dass
sich Sri Lanka in den letzten Jahren und nach dem
Ende des Bürgerkrieges wirtschaftlich überaus erfolg-
reich entwickelt hat. Wir stehen sowohl dem Aufbau ei-
ner Tourismusindustrie als auch der Entwicklung des
Industriesektors positiv gegenüber.

Ungeachtet dieser Entwicklungen hat diese Regie-
rungskoalition wiederholt auf diese Defizite im Men-
schenrechtsbereich reagiert. So ist aufgrund des noch
nicht abgeschlossenen Friedens- und Aussöhnungs-
prozesses kein entwicklungspolitisches Engagement im
klassischen Sinne möglich.

Vielmehr unterstützt Bundesminister Dirk Niebel ei-
nen entwicklungspolitischen Ansatz, der bewusst auf
Konflikttransformationsziele fokussiert ist, insbeson-
dere auf die Friedenserziehung.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Ent-
wicklung und Zusammenarbeit fördert mit Bedacht die
Friedens- und Werterziehung. Dazu zählen unter an-
derem auch die konfliktsensible Lehrplanentwicklung
und Lehrerfortbildung sowie die gezielte Förderung
von konfliktbetroffenen Kindern und Jugendlichen.

Mit diesen Aktivitäten unterstützt diese Regierungs-
koalition den langfristigen Aussöhnungsprozess der
ehemals verfeindeten Gruppierungen in Sri Lanka und
fördert die schrittweise Verwirklichung der Anerken-
nung der Menschenrechte durch die sri-lankische Re-
gierung.


Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722537200

Es ist gut, dass wir heute über die aktuelle Situation

in Sri Lanka diskutieren und die Kolleginnen und Kol-
legen von der SPD hierzu einen Antrag vorgelegt ha-
ben. Nach dem militärischen Sieg der sri-lankischen
Armee über die tamilischen Rebellen im Frühjahr
2009 hat die öffentliche Aufmerksamkeit für das Land
merklich nachgelassen. Die Zentralregierung hat den
jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt zwar militä-
risch gewonnen, gelöst ist er aber noch längst nicht.
Hierfür müssten die Ursachen beseitigt werden.
Zu Protokoll gegebene Reden





Katrin Werner


(A) (C)



(D)(B)

Der Grundstein für den Konflikt wurde von der ehe-
maligen Kolonialmacht Großbritannien gelegt, indem
diese die administrative Grenzziehung unter ethno-de-
mografischen Gesichtspunkten manipulierte und die
tamilische Minderheit gegenüber der singhalesischen
Bevölkerungsmehrheit ökonomisch privilegierte. Da-
durch konnte nach der Entkolonialisierung Sri Lankas
die tamilische Bevölkerung leicht als vermeintliche
Gegnerin der nationalen Unabhängigkeit und staatli-
chen Einheit stigmatisiert werden. Der sri-lankischen
Regierung diente dies als Rechtfertigung für massive
Unterdrückungsmaßnahmen und staatlich gelenkte
Pogrome an der tamilischen Zivilbevölkerung.

Als Reaktion hierauf formierte sich in Gestalt der
Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE, ein bewaffne-
ter tamilischer Widerstand, der über eine Massenbasis
verfügte, mittels derer dann die militärische De-facto-
Abspaltung der Tamilengebiete Sri Lankas erst be-
werkstelligt werden konnte.

Die Frage von Ursache und Wirkung lässt sich
somit eindeutig beantworten: Die sri-lankischen Re-
gierungen haben den im Kern sozio-ökonomischen
Verteilungskonflikt gezielt ethnisiert, um einen Krieg
zwischen den Bevölkerungsgruppen anzuzetteln. Der
Bürgerkrieg kam den singhalesischen Eliten gut gele-
gen, weil er ihnen die Möglichkeit bot, sich mithilfe
autoritärer Methoden der Machtausübung nach innen
auf Kosten der eigenen Bevölkerung schamlos zu be-
reichern und hierfür die Tamilen als Sündenböcke zu
missbrauchen.

Während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs wur-
den auf beiden Seiten schwere Menschenrechtsverlet-
zungen verübt. In der Schlussphase des Bürgerkriegs
haben sich nach Einschätzung der UNO und von inter-
nationalen Menschenrechtsorganisationen die Kriegs-
führungsmethoden der beiden militärischen Konflikt-
parteien nochmals brutalisiert: Die sri-lankischen
Streitkräfte haben im Zusammenwirken mit singhalesi-
schen Paramilitärs und Todesschwadronen bei ihrem
Vormarsch eine Vielzahl von tamilischen Zivilistinnen
und Zivilisten getötet und extralegale Exekutionen von
Kriegsgefangenen durchgeführt, Krankenhäuser,
Schulen und andere zivile Einrichtungen angegriffen
und humanitäre Hilfe für die notleidende und trauma-
tisierte Zivilbevölkerung verweigert. Das sind zweifel-
los schwere Kriegsverbrechen. Die LTTE hat ihrerseits
Zivilistinnen und Zivilisten als menschliche Schutz-
schilde missbraucht, Fluchtversuche der Zivilbevölke-
rung mit drakonischen Strafen wie Erschießungen ak-
tiv unterbunden und trotz aussichtsloser militärischer
Lage Kindersoldaten zwangsrekrutiert.

Wenn wir heute über notwendige Versöhnungspro-
zesse zwischen Singhalesen und Tamilen diskutieren,
müssen wir folglich immer bedenken, dass das schreck-
liche Kriegsgeschehen aufgearbeitet werden muss und
sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse
in Sri Lanka grundlegend ändern müssen. Die aktuelle
Menschenrechtslage ist dramatisch: Politische Auf-
tragsmorde an und das Verschwindenlassen von Regie-

rungskritikerinnen und -kritikern sind an der Tagesord-
nung. Erst kürzlich wurde sogar die Oberste Richterin
Sri Lankas, Shirani Bandaranayake, ihres Amtes ent-
hoben, weil sie zwei Gesetzesvorhaben der Regierung
wegen Verfassungswidrigkeit suspendiert hatte. Dieses
Beispiel zeigt, dass in der Realität die Gewaltenteilung
zugunsten der Exekutive aufgehoben ist.

Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschen-
rechtsverteidiger, die sich insbesondere auch für die
Rechte der tamilischen Bevölkerung einsetzen, werden
meist pauschal der Unterstützung des Separatismus
und der Propaganda für die besiegte frühere Rebellen-
armee LTTE bezichtigt. In den tamilischen Siedlungs-
gebieten werden von der sri-lankischen Regierung in
großem Umfang gezielt Familien von singhalesischen
Militärangehörigen angesiedelt, um die ethno-demo-
grafischen Mehrheitsverhältnisse in naher Zukunft
umzukippen. Für die tamilische Bevölkerung sind da-
gegen kaum Arbeitsmöglichkeiten vorhanden.

Besonders schwer haben es alleinstehende Tamilin-
nen, die während des Krieges ihre Männer und Söhne
verloren haben. Sie leiden unter extremer gesellschaft-
licher Ausgrenzung, da sie oft zur Armutsprostitution
gezwungen sind. Viele von ihnen arbeiten aus schierer
Not als Sexsklavinnen für singhalesische Soldaten,
weil sie sich davon wenigstens den Zugang zu überle-
bensnotwendigen Gütern wie Nahrungsmitteln erhof-
fen.

Eine öffentliche Aufarbeitung der Kriegsverbrechen
hat bisher kaum stattgefunden. Gegen die Einsetzung
einer unabhängigen Untersuchungskommission der
UNO hat sich die sri-lankische Regierung vehement
gewehrt und stattdessen zu Alibizwecken eine eigene
Kommission gebildet, die erwartungsgemäß nur sol-
che Erkenntnisse zutage gefördert hat, nach denen
ausschließlich die tamilische Seite Verantwortung für
begangene Menschenrechtsverletzungen zu tragen
habe.

Vor diesem Hintergrund ist das bevorstehende Prüf-
verfahren vor dem UN-Menschenrechtsrat ein geeig-
netes Instrument, um auf internationaler Ebene auf die
genannten Missstände hinzuweisen und Verbesserun-
gen einzufordern. Der Antrag der SPD beschreibt im
Feststellungsteil die gegenwärtige Situation zutref-
fend, und seine Forderungen finden unsere Unterstüt-
zung. Da die Linke stets in der Sache entscheidet,
stimmt sie dem Antrag zu. Wir wären erfreut gewesen,
wenn sich die SPD umgekehrt bei unserem Antrag zu
Sri Lanka ähnlich konstruktiv verhalten hätte. Das
Thema Menschenrechtsverletzungen ist viel zu ernst,
um damit parteitaktische Spielchen auf dem Rücken
der Betroffenen auszutragen.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722537300

Die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die

Menschlichkeit während des Bürgerkrieges in Sri
Lanka 2008/2009 gehören zu den schlimmsten Gräuel-
taten des vergangenen Jahrzehnts. 40 000 Zivilisten,
so schätzen die Vereinten Nationen, sind allein in den
Zu Protokoll gegebene Reden





Tom Koenigs


(A) (C)



(D)(B)

letzten Monaten des Konflikts ums Leben gekommen.
Sowohl die sri-lankische Regierungsarmee als auch
die tamilische Rebellenorganisation LTTE, „Befrei-
ungstiger von Tamil Eelam“, haben Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

In erster Linie hat die Regierung Sri Lankas in ihrer
Verantwortung für den Schutz der eigenen Bevölker-
ung versagt. Doch auch die Vereinten Nationen, VN,
und ihre Mitgliedstaaten sind der 2005 beschlossenen
Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect,
RtoP, nicht gerecht geworden. Mit dem RtoP-Konzept
hat sich die internationale Gemeinschaft darauf ver-
ständigt, bei schwersten Menschenrechtsverletzungen
nicht mehr wegzusehen, sondern sie zu verhindern, mit
zivilen Mitteln, soweit dies irgend geht, und nur im äu-
ßersten Notfall mit militärischen Mitteln, und das nach
der VN-Charta. Fast 20 Jahre nach der Tragödie in
Ruanda hat die internationale Gemeinschaft noch zu
wenig aus vergangenen Fehlern gelernt.

Das zeigt ein im November 2012 veröffentlichter
Untersuchungsbericht, den VN-Generalsekretär Ban
Ki-Moon in Auftrag gegeben hat, „Report of the
Secretary-General’s Internal Review Panel on United
Nations Action in Sri Lanka“. Der Bericht legt Ver-
säumnisse der VN und ihrer Mitgliedstaaten während
der letzten Monate des Bürgerkriegs in Sri Lanka
schonungslos offen. Wir sollten ihn nutzen und breit
diskutieren, um aus Fehlern zu lernen und Menschen in
ähnlichen Situationen künftig wirksamer vor schwers-
ten Menschenrechtsverletzungen schützen zu können.
Vor allem müssen wir besser werden in der Prävention
solcher Verbrechen, damit militärische Eingriffe erst
gar nicht nötig werden.

Laut dem Bericht hat die internationale Gemein-
schaft in vier Bereichen versagt. Erstens sind die VN
der Regierung Sri Lankas nicht entschieden genug ent-
gegengetreten, als diese den Zugang zur schutzbedürf-
tigen Bevölkerung verwehrt hat. Stattdessen haben die
VN eine Konfrontation vermieden und Menschen-
rechtsverletzungen nicht entschieden kritisiert. Indem
auf den Menschenrechtsschutz zugunsten des humani-
tären Zugangs verzichtet wurde, konnte schließlich
beides nicht erreicht werden.

Zweitens waren die Planungsverfahren der VN zu
langsam und ihre institutionellen Strukturen veraltet.
Verantwortlichkeiten innerhalb der VN-Hauptverwal-
tung waren unklar; dem Landesteam fehlte es an men-
schenrechtlicher Expertise.

Drittens war der Informationsaustausch zwischen
den VN und ihren Mitgliedstaaten über die Situation in
Sri Lanka unzureichend. Die VN haben an die Mit-
gliedstaaten kommuniziert, was diese aus Sicht der VN
wissen wollten, nicht das, was sie hätten wissen
müssen. So konnte die Regierung Sri Lankas ihre Men-
schenrechtsverletzungen weiterhin unter dem Deck-
mantel einer letzten Offensive im „Krieg gegen den
Terror“ begehen.

Viertens haben die Mitgliedstaaten die VN nicht
zum Handeln gedrängt. Die Situation in Sri Lanka
wurde nicht bzw. zu spät auf die Agenda des VN-Si-
cherheitsrates, des VN-Menschenrechtsrates und der
VN-Generalversammlung gesetzt. Durch Nichthandeln
machen wir uns zu Komplizen von Menschenrechtsver-
brechen.

Der Bericht zeigt, dass wir auf verschiedenen Ebe-
nen mehr tun müssen, um unseren humanitären Schutz-
auftrag zu erfüllen und Einrichtungen und Verfahren
der VN und der Mitgliedstaaten tauglicher für die Prä-
vention von schwersten Menschenrechtsverletzungen
zu machen. Er gibt eine Reihe von Handlungsempfeh-
lungen. Gerade im Bereich der Kommunikation und
Informationspolitik gibt es Möglichkeiten, die Präven-
tion zu verbessern. So ruft der Bericht die Vereinten
Nationen die Mitgliedstaaten auf, Krisen stärker aus
RtoP-Perspektive zu betrachten. Außerdem sollen
neue institutionelle und prozessuale Formen der Zu-
sammenarbeit zwischen VN, Mitgliedstaaten und Re-
gionalorganisationen geschaffen und die Kommunika-
tion zwischen Hauptquartier und dem Feld intensiver
und transparenter gestaltet werden. In Krisensituatio-
nen sollte zum richtigen Zeitpunkt Kritik geübt werden.

Wichtig erscheinen mir auch Verbesserungen im
Management der VN-Reaktion auf RtoP-Situationen.
Eine klare Zuweisung der Verantwortung innerhalb
des VN-Systems könnte zu einer verbesserten Koordi-
nation, einem effizienteren Einsatz von Ressourcen
und der Vermeidung von Parallelstrukturen und der
Schließung von Zuständigkeitslücken führen. Außer-
dem sollte bei der Auswahl von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der VN menschenrechtliche Expertise
eine größere Rolle spielen.

Ich wünsche mir eine aktive konzeptionelle und ope-
rative Mitarbeit der Bundesregierung, damit die Emp-
fehlungen des Berichtes wirksam umgesetzt werden
können. Aufgrund unserer historischen Verantwortung
für die Verhütung von Völkermord sollten wir die Ers-
ten sein, die zu einem besseren Schutz vor schwersten
Menschenrechtsverletzungen beitragen. Der Bericht
des Generalsekretärs liefert wichtige Hinweise. Jetzt
ist es an uns, sie mit Leben zu füllen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722537400

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12466. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist durch die Koalitionsfraktionen ab-
gelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Ver-
braucherschutzes im notariellen Beurkun-
dungsverfahren

– Drucksache 17/12035 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1722537500

Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzent-

wurf des Bundesrates zur Stärkung des Verbraucher-
schutzes im notariellen Beurkundungsverfahren. Ziel
dieses Gesetzes ist die Verhinderung oder Einschrän-
kung von Umgehungsmöglichkeiten im Beurkundungs-
recht, die nicht zuletzt in den Fällen des Verkaufs
sogenannter Schrottimmobilien offenkundig wurden.
Vor diesem Hintergrund bin ich vor allem dem Berli-
ner Justizsenator Heilmann für seine Initiative dank-
bar, durch eine Änderung des Beurkundungsgesetzes
Verbraucher vor derartigen Geschäftsmodellen besser
zu schützen.

Um was geht es? Bereits seit Mitte der 90er-Jahre
sind Fälle bekannt geworden, in denen Verbraucher
zur übereilten Beurkundung von Immobilienkaufver-
trägen gedrängt wurden. Oftmals lagen jedoch die
Verkehrswerte dieser Immobilien deutlich unter dem
verabredeten Kaufpreis. Zuvor wurde mit vollmundi-
gen Versprechen einer lukrativen Geldanlage den
Kaufinteressenten die Investition angepriesen. Eben-
falls wurden die Käufer mit dem Hinweis auf weitere
Kaufinteressenten zum schnellen Abschluss gedrängt.

Später stellte sich für die Verbraucher heraus, dass
die tatsächliche Immobilie nicht den Versprechungen
und Erwartungen entsprach, die vom Verkäufer ge-
weckt wurden. Oft handelte es sich bei der beschriebe-
nen Sanierung des Objektes nur um eine sogenannte
Pinselsanierung, bei der nur notdürftig Mängel bear-
beitet wurden. So blieben in der Folge auch die erziel-
ten Mieteinnahmen hinter den Erwartungen zurück
und reichten nicht wie versprochen aus, um die Kre-
ditraten zu decken. Erforderlich wurde dann ein erheb-
licher Einsatz eigenen Geldes. Kam es deswegen zu ei-
nem vorzeitigen Verkauf der Immobilie, waren die
finanziellen Verluste für den Verbraucher oft existenz-
bedrohend.

Bei der Frage, wie es denn zum notariellen
Abschluss derartiger überhasteter Kaufabschlüsse
überhaupt kommen konnte, war zum Beispiel in einem
Interview mit dem Präsidenten des Berliner Landge-
richts, Bernd Pickel, in der „Berliner Morgenpost“ im
Februar diesen Jahres zu lesen: „Das Beurkundungs-
gesetz sieht vor, dass der Verbraucher den Vertragsent-
wurf zwei Wochen vor Unterzeichnung schon vorlie-
gen haben muss. Wir haben bei den Fällen sehr oft
festgestellt, dass die Vertriebsunternehmen, die das
Immobiliengeschäft einfädeln, die Kunden gebeten ha-
ben, den Notar darüber zu belügen. Wenn der Notar
dann fragt, ob der Vertrag in der Frist schon bekannt
war, haben die Leute Ja gesagt. Das hatte System.“

Der viel gescholtene Formzwang des BGB, der
beim Immobilienkaufvertrag das strengste Formerfor-
dernis der notariellen Beurkundung vorsieht, wird

zwar oft genug als zu bürokratisch kritisiert, ist aber
dennoch immer wieder – wie auch dieses Beispiel
zeigt – Umgehungsversuchen ausgesetzt. So haben wir
in der Stellungnahme des Deutschen Notarvereins zu
diesem Gesetzgebungsvorhaben lesen können, ich zi-
tiere: „Versuche von Beteiligten, das Beurkundungs-
verfahren zum eigenen Vorteil auszuhöhlen und dessen
Schutzfunktion zu unterlaufen, sind wahrscheinlich so
alt wie das Beurkundungsverfahren selbst.“

Mit Einführung des § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 des
Beurkundungsgesetzes im Jahr 2002 erkannte der
Gesetzgeber, dass neben der Beurkundungspflicht für
Immobilienkaufverträge, die den Beteiligten die Trag-
weite ihres rechtsgeschäftlichen Handelns vor Augen
führen sollte, es im Bereich der Verbraucherverträge
aber eines zusätzlichen Schutzes bedurfte. Wegen der
Komplexität eines Immobilienkaufvertrages und dem
– wodurch auch immer bedingten – hohen Entschei-
dungsdruck sah der damalige Gesetzgeber die Not-
wendigkeit, dem Verbraucher ausreichend Gelegenheit
zu geben, den Vertragstext aufmerksam zu studieren
und die rechtlichen Folgen zu erkennen.

Um Verbrauchern so ein Mindestmaß an Bedenkzeit
zu ermöglichen, wurde damals der § 17 Abs. 2 a Satz 2
Nr. 2 des Beurkundungsgesetzes geschaffen. Hiernach
soll der Notar darauf hinwirken, dass Verbraucher den
zu beurkundenden Vertragstext mindestens zwei
Wochen vor dem Beurkundungstermin ausgehändigt
bekommen. Zwei Wochen, um den Vertragstext zu ver-
innerlichen und sich am Ende über die Wirkung im
Klaren zu sein, wenn vor dem Notar die Unterschrift
geleistet wird. Dies ist eine aus Sicht des Verbraucher-
schutzes sinnvolle Regelung, die, wie sich in den
Folgejahren aber zeigte, in der Umsetzung nicht zum
gewünschten Erfolg führte, denn sie weist eine ent-
scheidende Schutzlücke auf. So soll der Notar nach der
derzeitigen Fassung des Gesetzes zwar darauf hinwir-
ken, dass die Zweiwochenfrist eingehalten wird, je-
doch kann die Aushändigung des Vertragsentwurfes
bislang auch durch den Verkäufer oder sonstige Dritte
selbst geschehen.

Hieraus ergibt sich ein erhebliches Missbrauchs-
potenzial; denn ob diese Aushändigung durch einen
Dritten tatsächlich unter Fristwahrung stattfindet,
lässt sich durch den Notar nur schwer überprüfen.
Zahlreich sind offenbar die Fälle, in denen zur Ausnut-
zung dieses Mangels dubiose Verkäufer ihren Kunden
erklären, es handele sich bei der Frist um eine reine
Formalie und es solle dem Notar bei der Beurkundung
einfach wahrheitswidrig die Einhaltung der Frist be-
stätigt werden.

Der Vorstoß des Bundesrates, diese Umgehungs-
möglichkeit durch eine Änderung des § 17 Abs. 2 a
BeurkG einzuschränken, ist aus meiner Sicht im
Grundsatz zu begrüßen. Nicht zuletzt die neuesten
Meldungen über die zahlreichen Fälle von Verkäufen
von Schrottimmobilien zum Beispiel in Berlin machen
deutlich, dass hier offenkundig Handlungsbedarf be-
steht.





Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll zukünf-
tig der beurkundende Notar nunmehr selbst die Aus-
händigung des Vertragsentwurfes mindestens zwei
Wochen vor dem Termin vornehmen. Zweifellos führt
dies zu einer besseren Kontrolle für den Notar und ei-
ner erhöhten Transparenz und Nachvollziehbarkeit
auch durch die Dienstaufsicht. Wird die Frist unter-
schritten, soll der Notar dies in der Niederschrift ange-
ben.

Die Einhaltung der Zweiwochenfrist für Verbrau-
cher wird durch diese Gesetzesänderung deutlich bes-
ser gewährleistet. Gleichwohl können sich aus der
derzeitigen Fassung des Gesetzentwurfes Nebeneffekte
ergeben, die es zu vermeiden gilt und die wir während
der parlamentarischen Beratungen näher beleuchten
sollten:

Zum einen ist das die im Gesetzeswortlaut verwen-
dete Formulierung hinsichtlich der Kostenfreiheit des
Vertragsentwurfes. An sich könnte diese Formulierung
an dieser Stelle gänzlich entfallen, da sich dies bereits
aus der Kostenordnung ergibt. In der Regel ist ja der
Verbraucher nicht der Auftraggeber des Entwurfes.
Wenn man denn aber hier eine Klarstellung der
Kostenfreiheit für den Verbraucher wünscht, dann
sollte dies auch eindeutig formuliert werden.

In seiner aktuellen Fassung führt der Gesetzentwurf
des Weiteren zu einer Fragestellung, welche Auswir-
kungen die Gesetzesformulierung hat, wenn die Ver-
tragsparteien nicht am gleichen Ort wohnen. Nehmen
wir einmal an, der Verkäufer beauftragt seinen Notar
vor Ort mit der Anfertigung des Entwurfes, später aber
möchte der Käufer die Beurkundung statt am Ort des
Verkäufers an seinem Wohnort bei seinem Notar
durchführen lassen. In diesem Fall müsste laut dem
Gesetzestext der Vertragsentwurf ein zweites Mal vom
„Käufernotar“ dem Verbraucher fristgerecht zur Ver-
fügung gestellt werden. Diese Vorgehensweise er-
scheint nicht nur unnötig kompliziert, es stellt sich
auch die Frage, wie die Kosten der beiden Notare in
dieser Konstellation abgerechnet werden sollen. Hier
sollte überlegt werden, ob es sinnvoll ist, dass zwin-
gend der „beurkundende“ Notar die Aushändigung
des Vertragsentwurfes vornehmen muss.

Der weitere Vorschlag im Gesetzentwurf, die Amts-
enthebungsgründe für Notare des § 50 Abs. 1 Nr. 9
BNotO um Verstöße gegen § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2
BeurkG zu erweitern, ist im Lichte der Tatsache, dass
vereinzelt Notare als sogenannte Mitternachtsnotare
an der übereilten Beurkundung vorsätzlich mitgewirkt
haben, sinnvoll und standesrechtlich geboten.

Im Rechtsausschuss werden wir Gelegenheit haben,
die Fragen, die sich aus dem Gesetzentwurf noch erge-
ben, gemeinsam zu erörtern, sodass wir am Ende der
Beratungen über einen Vorschlag entscheiden können,
der die begrüßenswerte Zielstellung des Gesetzent-
wurfes auch passgenau umsetzt.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1722537600

„Der Notar hat das Beurkundungsverfahren so zu

gestalten, daß eine Überrumpelung der Beteiligten
durch gewerblich tätige Vermittler vermieden wird.
Unzulässig ist insbesondere eine Vergabe von Termi-
nen … außerhalb der üblichen Arbeitszeiten, wodurch
es den Vermittlern ermöglicht wird, Interessenten in
unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit Anwer-
begesprächen zur Vornahme einer Beurkundung zu
veranlassen.“ OLG München vom 20. April 1994, so
auch zitiert in der Stellungnahme der Bundesnotar-
kammer. Wir beschäftigen uns heute mit der Stärkung
der Rechte des Verbrauchers im notariellen Beurkun-
dungsverfahren, vor allem für den Bereich der
Schrottimmobilien und Mitternachtsnotare.

Insbesondere seit den 90er-Jahren werden unerfah-
renen Käufern unter dem Vorwand von Steuervortei-
len, totsicheren Wertsteigerungen etc. sogenannte
Schrottimmobilien zu völlig überhöhten Preisen ange-
boten. Unseriöse Strukturvertriebe und Drücker üben
während der Gespräche Druck auf die Kaufinteressen-
ten aus. Unter dem Vorwand, es gäbe noch weitere In-
teressenten, werden die Käufer zu unüberlegten über-
hasteten Vertragsabschlüssen gedrängt, meist ohne
dass sie den Verkäufer und das Objekt kennen. Oft am
Wochenende oder zu später Stunde noch werden
Notarverträge unterzeichnet – der „Mitternachtsno-
tar“ kommt zum Einsatz.

Der Gesetzgeber reagierte 1998 und 2002 und fügte
§ 17 Abs. 2 a Satz 2 und 3 ins BeurkG ein, wonach der
Verbraucher ausreichend Gelegenheit erhalten soll,
sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung aus-
einanderzusetzen. In der Regel soll er den beabsichtig-
ten Text des Rechtsgeschäfts zwei Wochen vor der Be-
urkundung zur Verfügung gestellt bekommen.

Das war der richtige Ansatz, aber augenscheinlich
nicht weitgehend genug. In den letzten Jahren häufen
sich wieder die Beschwerden von getäuschten und be-
trogenen Verbrauchern.

Wie wird vorgegangen? Ein beliebtes Vorgehen war
lange Zeit die Aufspaltung der Beurkundung in Kauf-
angebote und Verkäufe. Beim Notartermin mit dem
überrumpelten Käufer ist dann der Verkäufer und Bau-
träger nicht anwesend. Der Käufer kann sich kein Bild
vom Verkäufer machen, keine Nachfragen stellen zur
Beschaffenheit der Wohnung, die Vermietsituation etc.
In Einzelfällen war sich der Interessent gar nicht da-
rüber bewusst, dass sein Angebot schon so verbindlich
und ausreichend ist, dass der Verkäufer zu einem spä-
teren Zeitpunkt ohne Weiteres annehmen kann und der
Vertrag zustande kommt. Die Richtlinienempfehlung
der Bundesnotarkammer für die Amtspflichten der No-
tare besagt aber, dass eine systematische Aufspaltung
von Verträgen in Angebot und Annahme, soweit die
Aufspaltung nicht aus besonderen sachlichen Gründen
gerechtfertigt ist, unzulässig ist.

Ein weiteres Problem bleibt die Übereilung. In den
problematischen Fällen wird die Zweiwochenfrist
Zu Protokoll gegebene Reden





Christoph Strässer


(A) (C)



(D)(B)

nicht eingehalten. Zwar soll dem Verbraucher der Text
des Rechtsgeschäfts zwei Wochen vor Beurkundung
zur Verfügung gestellt werden. Doch das musste bisher
nicht durch den Notar geschehen. Der Notar musste
darauf vertrauen, dass der Verkäufer oder Vertriebs-
mitarbeiter den Text weitergeleitet hatte und der Käu-
fer das wahrheitsgetreu bestätigte. Es ist aber vorge-
kommen, dass die Verbraucher auf Veranlassung von
Vertriebsmitarbeitern den Notaren unrichtige Antwor-
ten gegeben haben, um eine sofortige Beurkundung
ohne Einhaltung der Frist erreichen zu können. Das ist
sicherlich der Hauptanwendungsfall. Nicht die Notare
sind die Urheber der Missstände, sondern unseriöse
Vertriebsmitarbeiter. Das soll betont werden.

In Einzelfällen besteht aber auch die Gefahr, dass
Mitternachtsnotare mit den Strukturvertrieben in ei-
nem zu engen Kontakt stehen und für diese Tag und
Nacht erreichbar sind. Steht der Notar in einem zu en-
gen Kontakt zu den Bauträgern, den Vermittlern und
Verkäufern, ist die Unparteilichkeit des Notars gefähr-
det.

Deshalb ist es richtig, wenn diese Regelungslücke
geschlossen wird. Ich begrüße daher die Initiative der
Großen Koalition des Landes Berlin. Auf Initiative des
Landes Berlin haben die Justizminister der Länder im
Juni 2012 Handlungsbedarf für einen verbesserten
Verbraucherschutz beim Immobilienerwerb gesehen.
Insbesondere sei dafür Sorge zu tragen, dass soge-
nannte Strukturvertriebe nicht die mangelnde Erfah-
rung von Käufern ausnutzen und ihnen dadurch nach-
haltigen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Nun liegt
dem Bundestag der Bundesratsentwurf vor.

Ich begrüße es, den Notar noch besser und weitrei-
chender in den Verbraucherschutz einzubeziehen.
Kernpunkt der Neuregelung ist es, dass dem Verbrau-
cher der Text des Rechtsgeschäftes zwei Wochen vor
der Beurkundung aus der Sphäre des Notars zugesandt
wird. Damit ändert sich an der notariellen Praxis we-
nig. Im besten Fall und regelmäßig haben die Notare
das bereits so gemacht. Jetzt wird aus einer wün-
schenswerten Praxis eine gesetzliche Regel.

Gerade in den Missbrauchsfällen wird die Ände-
rung es dem Verbraucher erleichtern, sich der Beein-
flussung und dem Drängen von Vertriebsmitarbeitern
einfacher entziehen und eine informierte Entscheidung
treffen zu können.

Zu den Pflichten des Notars gehören die unpar-
teiische Betreuung, Belehrungspflichten, Hinweis-
pflichten, die Überwachung von Verträgen. Es ist nicht
die Aufgabe des Notars, zu prüfen, ob eine Immobilie
als Kapitalanlage für einen Anleger geeignet ist. Er
führt keine steuerrechtliche oder verkehrstechnische
Prüfung durch. Der Notar ist aber in der Lage, den
Verbraucher dahin gehend zu beraten, wer ein geeig-
neter Ansprechpartner für die Prüfung der Angelegen-
heit in wirtschaftlicher Hinsicht sein könnte. Das wird
ohne Zeitdruck besser möglich sein.

Kritisch wird angemerkt, dass durch die Regelung
der Verbraucher gegenüber Unternehmern, die eine
Immobilie erwerben wollen, benachteiligt werden
könnte, da die Verbraucher durch die Zweiwochenfrist
keine zeitnahen Entscheidungen treffen könnten.
Grundsätzlich ist das richtig. Doch handelt es sich bei
der Frist nur um eine Regelfrist, von der abgewichen
werden kann, wenn im Einzelfall Eile geboten ist.

Derzeit besteht keine Pflicht des Notars, eine Ver-
kürzung der Frist zu begründen. Das soll sich nun än-
dern. Durch die Einführung einer Dokumentations-
pflicht für die Verkürzung der Zweiwochenfrist kann
eine spätere Überprüfung des Rechtsgeschäfts, zum
Beispiel durch die Dienstaufsichtsbehörde, auf doku-
mentierter Grundlage erfolgen. Da die Dokumentation
Teil der Niederschrift und dem Verbraucher bei der
Beurkundung verlesen wird, wird dieser auch noch
einmal deutlich auf den Verzicht der schützenden Frist
hingewiesen.

Der Gesetzentwurf macht deutlich, dass die Versen-
dung der Unterlagen durch den Notar gebührenfrei er-
folgt. Der Begriff „kostenfrei“ könnte insofern miss-
verständlich sein, als dass damit nicht gemeint sein
sollte, dass der Notar eigene Aufwendungen nicht er-
stattet bekommen kann, wie zum Beispiel Kopier- und
Portokosten.

Als unterstützenden Punkt erweitert der Gesetzent-
wurf die Bundesnotarordnung um einen weiteren diszi-
plinarrechtlichen Sondertatbestand. Als neuer Amts-
enthebungsgrund in § 50 Abs. 1 BnotO wird der
wiederholte grobe Pflichtverstoß gegen die verbrau-
cherschützenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 a Satz 2
BeurkG aufgenommen.

Der Gesetzentwurf stößt auf breite und auch unsere
Zustimmung. Bundesrat, Bundesregierung, DAV und
BNotK begrüßen den Entwurf, wenn auch DAV und
BNotK den disziplinarrechtlichen Teil ablehnen. Die
Frage ist, warum die Bundesregierung, namentlich
Verbraucherministerin Aigner, nicht früher tätig ge-
worden ist. So hoffe ich aber, dass die Bundesratsini-
tiative aus Berlin breite Unterstützung findet. Über
Details lässt sich sicherlich reden.


Mechthild Dyckmans (FDP):
Rede ID: ID1722537700

Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes

im notariellen Beurkundungsverfahren hat das Ziel,
unlauteren Geschäftspraktiken entgegenzuwirken. Aus-
gangspunkt ist, dass seit den 90er-Jahren vermehrt
minderwertige Immobilien an Verbraucher als Vermö-
gensanlage oder Altersvorsorge verkauft werden.
Diese sogenannten Schrottimmobilien haben einen er-
heblich geringeren Verkehrswert als der vom Verbrau-
cher zur Begleichung des Kaufpreises aufgenommene
Kredit. Bei einem vorzeitigen Verkauf oder einer
Zwangsversteigerung der Immobilien können die Ver-
braucher daher existenzbedrohende Verluste erleiden.

Schon im Jahre 2002 wurde daraufhin das Beurkun-
dungsgesetz ergänzt, um Verbraucher besser vor sol-
Zu Protokoll gegebene Reden





Mechthild Dyckmans


(A) (C)



(D)(B)

chen Schrottimmobilienkäufen zu schützen. Der
Schutzbedarf des Verbrauchers ergibt sich in diesem
Fall aus seiner strukturellen Unterlegenheit gegen-
über dem Bauträger oder Vertriebsunternehmer. Mit
der Einführung des § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 BeurkG
sollte dem Verbraucher ausreichend Zeit – in der Regel
zwei Wochen – gegeben werden, um den Inhalt des
Rechtsgeschäftes prüfen zu können und keine übereilte
Entscheidung zu treffen.

In der tatsächlichen Praxis ist § 17 Abs. 2 a Satz 2
Nr. 2 BeurkG seiner Warn- und Schutzfunktion jedoch
kaum gerecht geworden. Deshalb sollen mit diesem
Gesetzentwurf aufgetretene Schutzlücken im Beurkun-
dungsgesetz geschlossen werden und es der Dienstauf-
sicht über die Notarinnen und Notare erleichtert wer-
den, die Einhaltung der Regelung zu kontrollieren.

Die Schutzlücken sind dadurch entstanden, dass die
derzeitige Regelung nicht ausdrücklich verlangt, dass
der Beurkundungstext dem Verbraucher vom Notar
selber überlassen wird. Der Text kann auch durch ei-
nen Unternehmer – zum Beispiel dem Bauträger –
oder einem Vertriebsmitarbeiter dem Verbraucher zur
Verfügung gestellt werden.

Diese Praxis hat dazu geführt, dass sich der Ver-
braucher bei Fragen zu dem Beurkundungstext in aller
Regel an die Person wendet, von der er den Text erhal-
ten hat. Da aber der Bauträger oder der Vertriebsmit-
arbeiter ein eigenes Interesse am Zustandekommen
des Vertrages hat, wird eine objektive Aufklärung über
Risiken und Nachteile für den Verbraucher durch diese
Personen kaum stattfinden. Vielmehr dürften eigene
Interessen des Unternehmers bei einer „Aufklärung“
des Verbrauchers im Vordergrund stehen. Der Ge-
danke des Verbraucherschutzes wird durch diese
Handhabung umgangen.

Für den Notar muss die Einhaltung der Frist für den
Verbraucher von zwei Wochen nachvollziehbar sein.
Bei Überlassung des Beurkundungstextes durch Dritte
ist die Einhaltung der Zweiwochenfrist für den Notar
nicht kontrollierbar. Der Verbraucher kann in vielen
Fällen die Bedeutung und die Tragweite dieser Zwei-
wochenfrist nicht richtig einschätzen. Er fühlt sich ge-
nötigt, sie fälschlicherweise zu bejahen, da er dies als
rein formalistisches Verfahren einschätzt. Der Ver-
braucher ist deshalb nicht vor einem übereilten Han-
deln ausreichend geschützt; er ist sich der Tragweite
seiner Entscheidung nicht bewusst.

Genau an diesen derzeitigen Schlupflöchern setzt
der Gesetzentwurf an. § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2
BeurkG soll künftig den Notar oder seinen Sozius ver-
pflichten, den Beurkundungstext dem Verbraucher
zwei Wochen vor der Beurkundung selbst zu überlas-
sen. Der Notar soll sowohl die Überlassung des Beur-
kundungstextes, wie auch – in seltenen Fällen – die
Unterschreitung der Zweiwochenfrist dokumentieren.
Damit wird die tatsächliche Ausgestaltung einer nota-
riellen Beurkundung gegenüber dem Verbraucher kon-

kretisiert und die Warn- und Schutzfunktion der notari-
ellen Beurkundung wiederhergestellt.

Die zwingende notarielle Begleitung bei einem Im-
mobilienkauf als Schutz für den Verbraucher ist auch
Ausdruck der besonderen Stellung der Notare. Sie kön-
nen nicht nur rechtlich über Gefahren oder Risiken
eines Geschäfts aufklären, sondern sind in ihrer Funk-
tion als Rechtspflegeorgan unabhängige und unpartei-
ische Betreuer der Beteiligten. Notare sind Träger ei-
nes öffentlichen Amtes und Teil der vorsorgenden
Rechtspflege. Daraus ergibt sich bereits eine Aufklä-
rungspflicht für besonders risikoreiche Geschäfte. Ver-
braucher sind deshalb bei Notaren in guten Händen.

Anders als im Gesetzentwurf des Bundesrates vor-
gesehen, bedarf es der Feststellung im Gesetzestext
zur Kostenlosigkeit der Neuregelung nicht. Zum einen
passt eine kostenrechtliche Regelung von der Systema-
tik her nicht ins Beurkundungsgesetz. Zum anderen
fehlt es bereits an einem Gebührentatbestand; das
macht eine Aussage über die Kostenfreiheit überflüs-
sig.

Soweit der Gesetzentwurf vorsieht, bei einer Verlet-
zung der Pflicht des Notars zur Überlassung des Beur-
kundungstextes oder der Nichteinhaltung der Zwei-
Wochen-Frist ohne Begründung disziplinarische Maß-
nahmen einzuleiten, halte ich dies für angemessen. Die
vorgeschlagene Änderung der Bundesnotarordnung
wird Pflichtverstößen wirksam entgegenwirken. Eine
einschneidende Disziplinarmaßnahme wie die Amts-
enthebung muss jedoch restriktiv gehandhabt werden
und darf nur bei groben beziehungsweise mehrfachen
Pflichtverletzungen gegen § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2
BeurkG zulässig sein.

Mit diesem Gesetzentwurf entwickeln wir die
Grundlage eines praxisgerechten Verbraucherschutzes
weiter. Denn ob ein Gesetz die gewünschte Wirkung
entfaltet, zeigt sich oft erst bei seiner Anwendung.
Durch diese Klarstellung im Beurkundungsgesetz wird
der Verbraucher besser und objektiv aufgeklärt. Erst
durch eine qualitative und objektive Aufklärung von
Vor- und Nachteilen eines Rechtsgeschäfts ist eine ei-
genständige und abwägende Meinungsbildung für den
Verbraucher überhaupt möglich.


Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1722537800

Mit einer Änderung des Bundesnotargesetzes und

der Bundesnotarordnung möchten die Verfasser des
Gesetzentwurfs aus dem Bundesrat die Verbraucherin-
nen und Verbraucher besser schützen. Bei einem
Immobilienkauf sollen die Notarinnen und Notare zu-
künftig den Vertragstext zwei Wochen vor Unterzeich-
nung den Verbraucherinnen und Verbrauchern kosten-
los zur Verfügung stellen, damit diese ausreichend Zeit
haben, sich mit dem Kaufgegenstand auseinanderzu-
setzen. Mit diesem Verfahren sollen die Verbraucherin-
nen und Verbraucher vor einem Kauf von Schrott-
immobilien, das heißt nicht werthaltigen Immobilien
zu überhöhten Preisen, geschützt werden.
Zu Protokoll gegebene Reden





Jens Petermann


(A) (C)



(D)(B)

Offenkundig dreht sich das Schrottimmobilien-
karussell der 90er-Jahre wieder munter weiter. Die
Menschen versuchen vermehrt, ihr Geld in Immobilien
anzulegen, um es vor einem vermeintlich drohenden
Euro-Crash zu retten. Gerade in diesem Bereich hat
sich in letzter Zeit die Rechtsprechung zugunsten der
Verbraucherinnen und Verbraucher weiterentwickelt.
Eine verstärkte Haftung der Banken bei der Finanzie-
rung solcher Schrottimmobilien erschwert es heutzu-
tage, in derart unseriöser Weise Geschäfte zu machen.
Die Linke ist der Ansicht, dass dieser Form der Ge-
schäftemacherei ein Riegel vorgeschoben werden muss.
Dafür bietet der vorliegende Entwurf gute Ansätze.

In der Vergangenheit wurden deutschlandweit syste-
matisch minderwertige Immobilien an Verbraucherin-
nen und Verbraucher veräußert, bei denen der
Verkehrswert deutlich unter dem zum Erwerb erforder-
lichen Kreditbetrag lag. Somit war vorprogrammiert,
dass die Käuferinnen und Käufer im Falle eines
– möglicherweise auch zwangsweisen – Wiederver-
kaufs auf einem Schuldenberg sitzen blieben, der in
vielen Fällen direkt in die Privatinsolvenz führte. Bei
solchen Geschäften bestand meist eine Zusammen-
arbeit zwischen unseriösen Maklerinnen und Maklern
mit Kreditunternehmen. Eines von vielen Beispielen ist
die bekannt gewordene Querverbindung zwischen dem
Dortmunder Immobilienvertrieb Heinen & Biege und
der Bausparkasse Badenia. Vor diesem Hintergrund
und vor allem mit Hinblick auf die existenzbedrohen-
den Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher
müssen die gesetzlichen Schutzlücken in diesem Be-
reich endlich geschlossen werden.

Der vorliegende Entwurf ist noch nicht der „Stein
der Weisen“ für einen umfassenden Schutz vor einem
Kauf einer Schrottimmobilie, aber ein Schritt in die
richtige Richtung.

In den meisten dieser Fälle drängen die Verkäufe-
rinnen und Verkäufer, zum Teil unter dem Vorwand des
besonders günstigen Angebotes oder dem Vorhanden-
sein von Mitbewerbern, auf eine sehr schnelle Abwick-
lung des Kaufs. Das führt dazu, dass für Beurkundun-
gen die Zweiwochenfrist des Beurkundungsgesetzes
fast nie eingehalten wird. Dieses wurde 2002 einge-
führt, um das bekannte Phänomen zu unterbinden. Ge-
bracht hat diese Norm wenig, weshalb nun nachgebes-
sert werden muss. Fortan sollen die Notare den
beabsichtigten Text für das Rechtsgeschäft den Ver-
brauchern direkt zur Verfügung stellen. Die Notare do-
kumentieren das Datum der Zurverfügungstellung in
ihren Akten und überwachen somit die Einhaltung der
Zweiwochenfrist nach § 17 Beurkundungsgesetz. So
soll die gängige Praxis, dass der Verkäufer den Ver-
tragstext zur Verfügung stellt und der Verbraucher nur
vor dem Notar versichert, dass ihm der Text schon zwei
Wochen lang vorgelegen habe – egal ob das den Tatsa-
chen entsprach oder nicht –, geändert werden. Ver-
braucher können sich bei rechtlichen Fragen nun di-
rekt an die Notarin oder den Notar wenden und werden
fachkundig und neutral beraten. Weitere Kosten sollen
den Verbrauchern dadurch nicht entstehen. Notare
sind als Organe der Rechtspflege aufgefordert, dieses

Verfahren durchzuführen und genau zu überwachen.
Sollte dies unterbleiben, drohen ihnen standesrechtli-
che Sanktionen durch die Dienstaufsichtsbehörde, wie
die Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Bundesnotarord-
nung.

Die vorgeschlagenen Regelungen sind aus Verbrau-
chersicht ein Schritt in die richtige Richtung. Ob diese
Regelungen ausreichend sind, Schrottimmobilienkauf-
verträge zu verhindern, wird die Praxis zeigen. Ob das
Ziel, einen verlässlichen gesetzlichen Verbraucher-
schutz herzustellen, mit diesem Gesetz erreicht wird,
ist deswegen noch offen.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722537900

Zwei neue Begriffe haben vor nicht allzu langer Zeit

Eingang in unsere Sprache gefunden: die „Schrottim-
mobilie“ und der „Mitternachtsnotar“.

Spätestens als 2011 die wahrscheinlich kürzeste
Amtszeit eines Senators endete – die zwölftägige Amts-
zeit des Berliner CDU-Senators für Justiz und Ver-
braucherschutz –, ist das Problem, das sich hinter die-
sen Begriffen verbirgt, deutschlandweit bekannt:
Verkäufe minderwertiger Immobilien werden kurzfris-
tig beurkundet, ohne dass die Verbraucherin oder der
Verbraucher genügend Zeit hatte, die Immobilie oder
den Vertrag zu überprüfen. Die Beurkundung erfolgt
häufig zu ungewöhnlichen Geschäftszeiten. Der Ver-
kehrswert der Schrottimmobilie ist erheblich geringer
als der vom Käufer zur Finanzierung der Immobilie
aufgenommene Kredit. Das Resultat: Anstelle einer
Geldanlage hat die Verbraucherin oder der Verbrau-
cher ein lebenslanges Verschuldungsproblem.

Ich spreche hier nicht von Einzelfällen. Seit den
90er-Jahren wurden Verbraucherinnen und Verbrau-
chern systematisch Schrottimmobilen als Vermögens-
anlage oder Altersvorsorge verkauft. In Deutschland
wurden Hunderttausende Opfer dieser „Erwerbsmo-
delle“. Es besteht offensichtlich eine Lücke im Ver-
braucherschutz. Der Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen
Beurkundungsverfahren, über den wir heute debattie-
ren, ist daher ein begrüßenswerter Schritt hin zu mehr
Rechtssicherheit.

Verträge über den Kauf von Immobilen müssen no-
tariell beurkundet werden. Dieser Formzwang verfolgt
den Zweck, die Vertragspartner vor übereilten, folgen-
reichen Verpflichtungen zu schützen sowie eine sach-
gemäße Beratung zu gewährleisten. Die vom Bundes-
rat vorgeschlagene Vorschrift konkretisiert diesen
Schutzzweck der notariellen Beurkundung: Der Notar
soll dem Verbraucher den Vertragstext über den Immo-
bilienkauf im Regelfall zwei Wochen vor der Beurkun-
dung zur Verfügung stellen. Die Verbraucherinnen und
Verbraucher bekommen so ausreichend Zeit, sich mit
dem Kauf der Immobile auseinanderzusetzen. Wird die
„Bedenkfrist“ von zwei Wochen unterschritten, muss
der Notar in der Vertragsniederschrift die Gründe für
die Unterschreitung angeben.

Die Notarin oder der Notar ist als neutraler Funk-
tionsträger weder verpflichtet noch berechtigt, die
Zu Protokoll gegebene Reden





Ingrid Hönlinger


(A) (C)



(D)(B)

wirtschaftlichen Grundlagen des Immobilienkaufs auf-
zuklären. Ihr oder ihm kommt vielmehr die Aufgabe zu,
die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften zu wahren
und Rechtsbelehrung zu leisten. Es ist richtig, die No-
tarinnen und Notare in den Verbraucherschutz mit
einzubeziehen. Es geht nicht darum, die Grenzen der
notariellen Tätigkeit zu erweitern. Es geht darum,
Verbraucherinnen und Verbraucher vor „schwarzen
Schafen“ zu schützen. Betrügerisches Verhalten Ein-
zelner soll verhindert und angemessen berufsrechtlich
sanktioniert werden, bevor strafrechtliche Tatbestände
einschlägig sind.

Ein weiteres Problem, das den systematischen Ver-
trieb von Schrottimmobilen erleichtert, wird durch die
Neuregelung aber leider nicht gelöst: die Möglichkeit
der getrennten Beurkundung von Vertragsangebot und
Vertragsannahme. Zum Abschluss eines Kaufvertrags
bedarf es immer eines Angebots und einer Annahme.
Es ist zivilrechtlich zulässig, wenn ein Notar zunächst
das Angebot und mit zeitlichem Abstand die Annahme
beurkundet. Das kann den Vertragsschluss vereinfa-
chen, da die Vertragsparteien nicht zur gleichen Zeit
vor dem Notar erscheinen müssen. Aber die getrennte
Beurkundung von Angebot und Annahme durch unter-
schiedliche Notare birgt Gefahren für die Beteiligten.
Der Notar, der die Annahme beurkundet, muss nur
über die rechtliche Bedeutung der Annahme belehren,
nicht aber über das Angebot. Im Zweifelsfall kann der
die Annahme beurkundende Notar die rechtliche Be-
treuungstätigkeit gar nicht ausüben, da er die dem An-
gebot zugrunde liegenden Tatsachen nicht kennt. Be-
sondere berufsrechtliche Verfahrenspflichten, die dem
Problem entgegenwirken sollen, bestehen zwar bereits.
Im Zusammenhang mit der vom Bundesrat vorgeschla-
genen Stärkung des Verbraucherschutzes im notariel-
len Beurkundungsverfahren sollte jedoch überprüft
werden, ob die Schutzfunktion der Belehrung durch be-
rufsrechtliche Richtlinien ausreichend gewahrt ist.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722538000

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/12035 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt
auch hier keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist so
beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:

Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus-
kunftspflicht von Bundesbehörden gegenüber
der Presse (Presseauskunftsgesetz)


– Drucksache 17/12484 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12484 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fe-
derführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/
CSU und FDP wünschen Federführung beim Innenaus-
schuss. Die Fraktion der SPD wünscht Federführung
beim Ausschuss für Kultur und Medien.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion der SPD abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also
Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für die-
sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fami-
lienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in
den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte
des Bundes

– Drucksache 17/12356 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1722538100

Die Bundesregierung legt heute einen Gesetzentwurf

vor, um die Familienpflegezeit für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer auch für die Beamtinnen und Beam-
ten des Bundes zu ermöglichen. Mit der Demografie-
strategie der Bundesregierung wollen wir der Verein-
barkeit von Familie und Beruf noch besser Rechnung
tragen und eine familienfreundliche Arbeitswelt
schaffen, auch und insbesondere für die eigenen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter, die Bundesbeamtinnen
und -beamten. Wenn wir über Familienfreundlichkeit
reden, geht es uns oftmals um berufstätige Eltern, um
Kitaplätze und Ganztagsschulen. Ich bin froh darüber,
dass wir den Rechtsanspruch auf einen Betreuungs-
platz verankert haben, ich befürworte Maßnahmen wie
Kitaausbau, Eltern- und Betreuungsgeld. Familien-
freundlichkeit ist aber mehr als das. In Familien leben
nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch Senioren
oder andere Angehörige, die Hilfe und Unterstützung
brauchen.

1) Anlage 25





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)

Pflegt jemand seine Angehörigen, so ist das eine
große persönliche Leistung, die wir nicht hoch genug
einschätzen können. Wir wollen das Leben und damit
auch die Pflege zu Hause, in den eigenen vier Wänden,
unterstützen und dabei die Doppelbelastung von Beruf
und Pflege reduzieren. Deshalb hat Ministerin
Schröder folgerichtig das Instrument der Familien-
pflegezeit eingeführt. Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer können damit in Vereinbarung mit ihrem
Arbeitgeber ihre Arbeitszeit für einen begrenzten Zeit-
raum reduzieren. Die finanziellen Einbußen werden
abgemildert, indem sie auf einen längeren Zeitraum
verteilt werden. Für Beamtinnen und Beamte wird ein
späterer Eintritt in den Ruhestand ermöglicht, um Ver-
sorgungseinbußen zu mindern.

Wir muten mit der Familienpflegezeit den Arbeitge-
bern und den anderen Mitarbeitern etwas zu, das dür-
fen wir nicht vergessen. Ein guter Mitarbeiter, eine fä-
hige Kollegin ist nicht leicht zu ersetzen. Arbeitszeiten
und Teamstrukturen sind nicht beliebig änderbar, ohne
dass dies Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit
oder auch die Zufriedenheit der Kolleginnen und Kol-
legen hat. Ich bitte all jene Kritiker, denen diese Rege-
lung nicht weit genug geht, auch das zu bedenken.

Nun sollen auch Beamtinnen und Beamte der Bun-
desverwaltung die Möglichkeit bekommen, für die
Pflege von nahen Angehörigen Familienpflegezeit zu
beantragen. Das Verfahren zur Beantragung der Pflege-
zeit wird unbürokratisch sein: Die Beamtin oder der Be-
amte weist die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehöri-
gen nach, indem er eine Bescheinigung der Pflegekasse
oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversiche-
rung vorlegt. Stehen dem Antrag keine dienstlichen
Gründe entgegen, kann die Arbeitszeit wie gewünscht
reduziert werden. Im Gesetzentwurf wird zudem die
Möglichkeit eingeräumt, den Eintritt in den Ruhestand
um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Damit kann die
Beamtin oder der Beamte Ausfälle in den Versorgungs-
bezügen ausgleichen, die sich aus der Reduzierung der
Arbeitszeit für die Pflege ergeben.

Die Familienpflegezeit ist ein gutes Instrument, um
Gleichstellung voranzubringen. Wir alle wissen, dass
viele Frauen teilzeitbeschäftigt sind, die meisten Män-
ner jedoch Vollzeit arbeiten. Die Familienpflegezeit
entfaltet die größte Wirkung bei Vollzeitbeschäftigten,
die ihre Arbeitszeit vorübergehend um höchstens
50 Prozent reduzieren. Familienbedingte Teilzeitbe-
schäftigung oder Beurlaubung wird bisher überwie-
gend von Beamtinnen in Anspruch genommen, die
dadurch – neben Besoldungseinbußen – auch versor-
gungsrechtliche Einbußen erleiden. Die Bundesregie-
rung will an diesem Punkt Anreize schaffen, indem
diese Lücken durch einen späteren Ruhestandseintritt
kompensiert werden können. Dadurch trägt der Ge-
setzentwurf zur Gleichstellung von Männern und
Frauen in der Bundesverwaltung bei.

Ich weiß, dass es einige Punkte in dem Gesetzent-
wurf gibt, die kritisch gesehen werden können. Wir
werden im parlamentarischen Verfahren darüber zu

diskutieren haben. Ziel dieses Gesetzes muss es meines
Erachtens sein, dass der öffentliche Dienst bei der
Umsetzung der Familienpflegezeit eine Vorbildwir-
kung ausübt. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbei-
ten!


Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1722538200

Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundes-

regierung, der verschiedene Änderungen im öffent-
lichen Dienst nach sich zieht. Regelungen für die Fa-
milienpflegezeit für Beamtinnen und Beamte sollen
gestaltet und der Ruhestandseintritt bei Beamtinnen
und Beamten flexibler geregelt werden.

Beide Maßnahmen sind angesichts des demogra-
fischen Wandels, in dem sich unsere Gesellschaft be-
findet, mehr als erforderlich. Fraglich bleibt, ob die
konkrete Ausgestaltung, so wie sie von der Bundesre-
gierung mit dem heute in erster Lesung zu beratenden
Gesetzentwurf vorgelegt wurde, tatsächlich Lösungen
für diese Probleme anbietet.

Insofern bin ich zufrieden, dass der Innenausschuss
des Deutschen Bundestages am gestrigen Mittwoch
beschlossen hat, zu dem Thema eine Anhörung durch-
zuführen. Diese kann weitergehende Fragen beant-
worten oder auch alternative Lösungsvorschläge her-
vorbringen.

Grundsätzlich ist es durchaus zu begrüßen, dass die
Bundesregierung erkennt, dass im Bereich der privaten
Pflege von Angehörigen dringende Probleme warten,
die unbedingt angegangen werden müssen. Ein Groß-
teil pflegebedürftiger Menschen wird von ihren Ange-
hörigen betreut. Diese Pflege stellt ein extremes Span-
nungsfeld zwischen Familie und Beruf dar.

Großspurig hat die Regierung angekündigt, die Situa-
tion dieser Menschen, bei denen es sich nach wie vor
meist um Frauen handelt, zu verbessern. Die Realisie-
rung erfolgte mit dem Familienpflegezeitgesetz 2011,
welches nun auch für den öffentlichen Dienst mit dem
hier vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt werden
soll. Das Familienpflegezeitgesetz ist wie so vieles,
was die aktuelle Bundesregierung vorlegt, keine Er-
folgsgeschichte.

Die Familienpflegezeit wird, wie vom Bundesfamili-
enministerium festgestellt, von Angestellten kaum in
Anspruch genommen. Und auch der vorliegende Ent-
wurf geht von gerade einmal 250 Anträgen auf Familien-
pflegezeit durch Beamtinnen und Beamte aus. Da kann
man schon von einem reinen Nischenangebot spre-
chen. Und genauso stellt sich die Frage, ob das Fa-
milienpflegezeitgesetz und der damit korrespondie-
rende Gesetzentwurf, den wir hier heute diskutieren,
die beste Lösung für die drängenden Fragen in der
Pflegepolitik sind.

Verstärkt wird die geringe Inanspruchnahme mit
großer Sicherheit noch durch die zum Teil engen Voraus-
setzungen, die hier im Gesetz für die Familienpflegzeit
geschaffen werden. Denn in § 92 a Abs. 1 Bundesbe-
Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Gunkel


(A) (C)



(D)(B)

amtengesetz wird die Pflegezeit auf die Pflege naher
Angehöriger beschränkt.

Es ist sehr wichtig, das drängende Thema der
Pflege von Angehörigen umfassender zu lösen. Wie be-
reits festgestellt, sind es doch meist Frauen, die sich
erst um die Kinder und später um die pflegebedürf-
tigen Angehörigen kümmern. Die Folge sind entspre-
chende Gehaltseinbußen und ein Karriereknick. Dies
spüren auch Beamtinnen.

Ich habe bereits ausgeführt, dass es zu dem Entwurf
eine Anhörung geben wird. Ich bin sehr gespannt, wie
sie an diesem Punkt verläuft.

Freiwillige Dienstzeitverlängerungen kann ich nur
begrüßen. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich die
Freiwilligkeit einer solchen Verlängerung. Alles an-
dere finde ich nicht zielführend.

Allerdings frage ich mich schon, ob angesichts der
Arbeitsbelastung vieler Beamtinnen und Beamten eine
solche Regelung überhaupt der Realität entspricht.
Aktuell erwarten wir vom Bundesinnenminister im In-
nenausschuss einen von unserer Fraktion im Rahmen
der Bundespolizeireform von 2008 geforderten Evalua-
tionsbericht zu ebendieser Reform. Wir alle wissen,
dass es bei der Bundespolizei zu viele unbesetzte Stel-
len gibt, dass Abordnungen und Arbeitsverdichtungen
zu einer höheren Burn-out-Quote führen. Die Reform
von 2008 hat dazu ihr Übriges getan. Ich bin gespannt,
wie sich der Minister zu diesen Fragestellungen äu-
ßern wird.

Ob flexible Ruhestandszeiten allerdings die Antwor-
ten auf diese drängenden Fragen im Personalstand
der Bundespolizei sind, wage ich zu bezweifeln, und
ebenso, ob eine Inanspruchnahme unter solchen Vo-
raussetzungen überhaupt in Betracht kommt.


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1722538300

„Ein nicht nur langes, sondern sehr langes Leben

ist … kein Phänomen der ferneren Zukunft. Es ist be-
reits Wirklichkeit.“ Dies stellen die Demografieexper-
ten am Max-Planck-Institut für demografische For-
schung in Rostock, Björn Schwentker und der Direktor
des Instituts James W. Vaupel, in einem 2011 veröffent-
lichten Essay fest. Nach Aussage der Forschung errei-
chen schon heute immer mehr Senioren ein Alter von
weit über 80 Jahren. Mit zunehmend besserer Gesund-
heitsvorsorge ist die Tendenz steigend.

Mit dem demografischen Wandel sind zweifellos
große Chancen für eine Umstrukturierung der Gesell-
schaft verbunden. Anstatt mit dem Begriff „Überalte-
rung“ verbundene Ängste in den Mittelpunkt zu stel-
len, sollten diese Chancen be- und ergriffen werden.
Für den öffentlichen Dienst bedeutet dies: Das Dienst-
recht muss die geeigneten Rahmenbedingungen bieten,
um nicht nur neue und hochqualifizierte Fachkräfte für
den öffentlichen Dienst zu gewinnen, sondern auch die
Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten mit zunehmendem
Alter zu erhalten und zu steigern.

Denn die Menschen werden nicht nur immer älter;
sie altern auch gesünder, bleiben länger leistungsfähig
und wollen auch über derzeit starre Altersgrenzen hin-
weg am Arbeitsleben teilnehmen. Dieses Potenzial
sollte sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öf-
fentlichen Dienst genutzt werden. Die FDP-Bundes-
tagsfraktion befördert deshalb einen flexibleren Über-
gang in den Ruhestand. Zudem muss aus Sicht der
FDP auch im öffentlichen Dienst für die nötige Flexi-
bilität zur Vereinbarkeit von Beruf und familiären Ver-
pflichtungen gesorgt werden.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Familien-
pflegezeit und zum flexibleren Ruhestandseintritt für
Bundesbeamte setzen wir Reformen um, die konkret
auf den demografischen Wandel im öffentlichen Dienst
reagieren. Zum einen stärken wir die Vereinbarkeit von
Beruf und häuslicher Pflege von Angehörigen. Dafür
wird das Familienpflegezeitgesetz wirkungsgleich auf
Bundesbeamte übertragen. Es gilt bereits seit Anfang
2012 für Angestellte und Tarifbeschäftigte. Künftig
können auch Bundesbeamte zur Pflege von Angehöri-
gen für bis zu zwei Jahre ihre Wochenarbeitszeit auf
mindestens 15 Wochenstunden reduzieren, wenn dem
dienstlich nichts entgegensteht. In dieser Zeit erhalten
sie einen Vorschuss auf ihre Besoldung, der erst da-
nach zurückgezahlt wird. Bisher bestand für Beamte
lediglich die Möglichkeit, für den Pflegezeitraum in
Teilzeit zu arbeiten.

Die Flexibilisierung des Ruhestandseintritts ist für
die FDP-Fraktion eine unverzichtbare Reaktion auf
den demografischen Wandel. Der Gesetzentwurf sieht
hierfür Folgendes vor: Haben Beamte im Laufe ihres
Berufslebens Versorgungseinbußen wegen familienbe-
dingter Teilzeit, Beurlaubung oder auch Familienpfle-
gezeit erlitten, so können sie künftig für die gleiche
Dauer und bis zu maximal drei Jahren ihren Ruhestand
hinausschieben. Damit lassen sich die Nachteile wie-
der ausgleichen.

Über diese gute Maßnahme hinaus sollten wir in
zwei Punkten noch über Verbesserungen am Gesetz-
entwurf nachdenken. Bisher können Beamte auch ohne
ihre Zustimmung vom Dienstherrn dazu verpflichtet
werden, bis zu drei Jahre länger zu arbeiten. Aus unse-
rer Sicht ist diese Regelung nicht mehr zeitgemäß und
steht den von uns gewünschten Anreizen entgegen. Be-
amte sollten frei entscheiden können, ob sie – aus wel-
chen Gründen auch immer – über ihr gesetzliches Ru-
hestandsalter hinaus arbeiten möchten. Zudem sollte
es sich auch für diejenigen lohnen, weiterzuarbeiten,
die ihren Höchstruhegehaltsatz nach 40 Dienstjahren
bereits erreicht haben, wenn sie in Pension gehen.
Hier kann mit einem Zuschlag der nötige finanzielle
Anreiz gesetzt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, dass die Re-
gierungskoalition die Herausforderung annimmt, da-
für zu sorgen, dass in einer Zeit des demografischen
Wandels hin zu einer älteren Gesellschaft der öffentli-
che Dient funktions- und leistungsfähig bleibt. Dafür
sprechen darüber hinaus in dieser Legislaturperiode
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)

bereits umgesetzte Dienstrechtsreformen wie das Fach-
kräftegewinnungsgesetz oder demnächst umzusetzende
wie die Portabilität, das heißt die Mitnahme von Ver-
sorgungsanwartschaften für freiwillig aus dem Dienst
ausscheidende Bundesbeamte.


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722538400

Die bestehenden Regelungen für die Familienpfle-

gezeit, die sich aus dem Gesetz über die Familienpfle-
gezeit – Familienpflegezeitgesetz –, FPfZG, ergeben
und für Tarifbeschäftigte des öffentlichen Dienstes und
der gewerblichen Wirtschaft gelten, sollen auf den Be-
amtenbereich wirkungsgleich übertragen werden.

Völlig unverständlich ist, warum Fehler der Fami-
lienpflegezeit bei der Übertragung auf Beamte wieder-
holt werden. Das Familienpflegezeitgesetz hat seine
Untauglichkeit bewiesen, da im Jahr 2012 und 2013
zusammengerechnet nur 147 Anträge auf Pflegezeit
gestellt wurden. Offensichtlich geht es an den Bedürf-
nissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer völ-
lig vorbei und wird deshalb nicht angenommen. Zwar
werden bestimmte Zumutungen, die Tarifbeschäftigten
auferlegt werden, nicht übertragen, wie der Abschluss
einer privaten Ausfallversicherung und die fehlende
Möglichkeit auf Verlängerung der Familienpflegezeit,
doch entsteht mit dem Gesetz dadurch eine neue Un-
gleichbehandlung.

Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes sollen
Beamte des Bundes auf Antrag die Möglichkeit erhal-
ten, mittels einer besonderen Form der Teilzeitbe-
schäftigung die häusliche Pflege von nahen Angehöri-
gen für bis zu 24 Monate übernehmen zu können. Die
Arbeitszeit kann in der sogenannten Pflegephase auf
mindestens 15 Stunden in der Woche reduziert werden.

In der sogenannten Nachpflegephase, welche die
gleiche Länge der Pflegephase haben muss – also
ebenfalls maximal 24 Monate betragen darf –, muss
die oder der Beamte mit seiner Arbeitszeit Dienst leis-
ten, die dem Umfang der genommenen Pflegephase
entspricht. Faktisch wird für den Zeitraum der Pflege-
phase zusätzlich zur Besoldung ein Vorschuss auf die
Dienstbezüge, der während der Nachpflegephase zu-
rückzuzahlen ist, gewährt. Die Pflegephase muss dem-
nach in der Nachpflegephase abgearbeitet werden.

Für Menschen, die schon in Teilzeit arbeiten oder
wenig verdienen, kommt eine weitere Reduzierung der
Arbeitszeit meist aus finanziellen Gründen häufig
nicht infrage. Es sind überwiegend Frauen, die Ange-
hörige pflegen. Zugleich sind es zu 70 Prozent Frauen,
die in prekären Arbeitsverhältnissen oder Teilzeit ar-
beiten. Eine Freistellung muss Frau sich erst einmal
leisten können.

Auch im öffentlichen Dienst des Bundes sind in Voll-
zeit mehr Männer als Frauen beschäftigt. Es ist unter
den heutigen Bedingungen unwahrscheinlicher, dass
sich ein vollzeitbeschäftigter Mann anstatt seiner teil-
zeitbeschäftigten Frau für die Pflege von Angehörigen

entscheidet. Also ist auch eine Benachteiligung von
Frauen zu erwarten.

Einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit besteht
nicht. Auch kann eine Bewilligung aufgrund „dringen-
der dienstlicher Gründe“ verweigert werden.

Mit dem geplanten Gesetz soll Beamten des Bundes
die Pflege von Angehörigen erleichtert werden. Der
Vorrang der häuslichen Pflege – wie in der (sozialen)

Pflegeversicherung angedacht – soll gestärkt werden
und dadurch dauerhafte Einsparungen erhalten blei-
ben. Pflege soll vornehmlich im privaten Lebensum-
feld und von Angehörigen oder Laien geleistet werden,
anstatt Pflege und Betreuung alter oder kranker Men-
schen, die ohne Hilfe die Anforderungen des Alltags
nicht mehr bewältigen können, als gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge zu ge-
stalten. Hierfür wäre die von Anfang an unterfinan-
zierte soziale Pflegeversicherung hin zu einer
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung auszubauen
und die Verteilung der Pflege- und Assistenzaufgaben
zwischen Staat und Familie zugunsten einer stärkeren
öffentlichen Verantwortung zu verschieben.

Die Linke setzt auf professionelle Pflege und beglei-
tende Angebote zur Unterstützung, die die pflegerische
Versorgung von Angehörigen gewährleisten müssen.
Wir fordern eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für
Erwerbstätige, die der Organisation der Pflege und
der ersten pflegerischen Versorgung dient. Darüber hi-
naus sind die Leistungen der sozialen Pflegeversiche-
rung anzuheben.

Der vorliegende Gesetzentwurf bringt keine grund-
legende Verbesserung. Bereits heute bestehen Mög-
lichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung und zu arbeitsan-
teiliger Besoldung. Beamte können sich nach dem
jeweils für sie geltenden Beamtengesetz für maximal
15 Jahre ohne Dienstbezüge zur Pflege eines Angehö-
rigen vom Dienst befreien lassen. Außerdem können
sie für die Pflege eines Angehörigen nach ärztlichem
Gutachten in Teilzeit bis zur Hälfte der regelmäßigen
Arbeitszeit arbeiten, § 92 BBG.

Wir haben die Familienpflegezeit rundweg abgelehnt
und lehnen auch die Übertragung auf Beamtinnen und
Beamte ab.

Schon das Zustandekommen des vorliegenden Ge-
setzentwurfs ist reich an Peinlichkeiten. Zwei wesent-
liche Punkte der Gesetzesvorlage zum flexiblen Ruhe-
stand sind am Tag des Beteiligungsgespräches mit den
Gewerkschaften zurückgezogen worden. Eine derar-
tige Torpedierung von Beteiligungsrechten hat es bis-
her nicht gegeben. Erstens wurden die 10 Prozent Zu-
schlag auf die Besoldung mit dem Hinausschieben der
Altersgrenze und bei Erreichen des Versorgungs-
höchstsatzes gestrichen. Zweitens wurde die verspro-
chene Streichung des Aufschiebens des Ruhestandsein-
trittes nicht durchgeführt – und das ohne Zustimmung
der Beamten. Die Regierungskoalition verstößt damit
gegen die von ihr verkündete Demografiestrategie. Im
Kapitel „Die Leistungsfähigkeit des öffentlichen
Zu Protokoll gegebene Reden





Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)

Dienstes des Bundes erhalten“ waren die nun gestri-
chenen Punkte die einzigen konkreten Vorhaben.

Es zeigt sich zum wiederholten Male, dass die Re-
gierungskoalition planlos und ohne Ideen der demo-
grafischen Entwicklung im öffentlichen Dienst gegen-
übersteht. Ihre Prämisse, dass nur Maßnahmen
ergriffen werden, die kosten- und stellenneutral sind,
wird dazu führen, dass keines der anstehenden
Probleme gelöst wird. Wegen der viel zu engen Ein-
stellungskorridore angesichts einer überalterten
Beamtenschaft wird es mittelfristig zu großen Schwie-
rigkeiten kommen, die Funktionsfähigkeit der Bundes-
verwaltung zu sichern. Die Grundthese der Demogra-
fiestrategie der Bundesregierung für den öffentlichen
Dienst ist die Notwendigkeit der Verankerung einer
„Kultur des längeren Arbeitens“. Nun ist hinlänglich
bekannt, dass im Beamtenbereich der reale Ruhestands-
eintritt häufig vor der Erreichung des Regelalters
stattfindet. Grund dafür sind die aus den übergroßen
Arbeitsbelastungen entstehenden physischen und psy-
chischen Schädigungen.

Doch die Belastungen werden nicht gesenkt. Anstatt
die Arbeitsverdichtung zu bekämpfen, die Vereinbar-
keit von Beruf und Familie zu fördern und eine aktive
Gesundheitsvorsorge zu unterstützen, wird versucht,
zum längeren Arbeiten zu animieren. Doch sollte eine
Dienstzeitverlängerung nur als Ausnahme praktiziert
werden. Immerhin ist eine Verlängerung der Dienstzeit
zur Einarbeitung neuer Beamter nachvollziehbar.

Dass ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regel-
mäßig länger arbeiten sollen, anstatt jüngere Beschäf-
tigte einzustellen, erklärt sich nur aus haushälteri-
schen Gründen und widerspricht einer nachhaltigen
Personalpolitik. Die Linke fordert hingegen eine breite
Ausbildungs- und Einstellungsoffensive.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird weder die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf befördert noch
ein Beitrag zur Entschärfung der Pflegeproblematik
geliefert, noch die Attraktivität des öffentlichen Diens-
tes erhöht, noch werden die demografischen Probleme
des öffentlichen Dienstes angegangen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Gesellschaft altert, und die Zahl der Pflegefälle
nimmt weiter zu. Zugleich gibt es aber immer weniger
Menschen, die bereit sind, in der Kranken- oder Alten-
pflege zu arbeiten. Das ist aber nur die eine Seite. Die
Frage der Pflege durch Angehörige und in der Familie
dagegen beschäftigt uns dagegen bereits seit Jahr-
zehnten. Es wäre falsch, diese Frage – aus der Sicht
vieler auch die des Pflegenotstandes – einseitig mit
dem demografischen Wandel in Verbindung zu brin-
gen. Denn sie berührt viel tiefer gehend auch den Wan-
del und die Ausdifferenzierung des Modells Familie im
Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen.

Die einseitige Einordnung ausschließlich beim de-
mografischen Wandel nährt den Verdacht, die

schwarz-gelbe Koalition wolle die eigene Unfähigkeit,
die Veränderungen in unserer Gesellschaft wahrzu-
nehmen und auf sie zu reagieren, verdecken; Karlsruhe
und Adoptionsurteil lassen grüßen. Wir sollten die
Pflege aber auch nicht, wie es Schwarz-Gelb jetzt vor-
macht, allein unter dem Gesichtspunkt eines leistungs-
fähigen öffentlichen Dienstes oder gar der Fachkräfte-
debatte betrachten. Denn damit würde schlicht
verkannt, dass es die Ermöglichung der Pflege von
nahestehenden Personen und die Würde der Pflegebe-
dürftigen selbst sind, die uns dazu verpflichten, die
Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf möglichst allen
Ebenen voranzutreiben.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei
der Pflege um ein zentrales Thema auch der Sozial-
und Gesundheitspolitik handelt. Es ist deshalb gut und
richtig, dass hierzu in der kommenden Sitzungswoche
eine dann hoffentlich erhellende Sachverständigenan-
hörung stattfinden wird. Dass wir in dieser Anhörung
gleich drei hochkomplexe und völlig unterschiedliche
Themen in einem Aufwasch aufgreifen werden, ist er-
kennbar unseriös und an der Grenze zu einer bloß sym-
bolischen Beratung dieses Hauses. Diese Planung
geht klar auf das Konto der schwarz-gelben Koalition,
die offensichtlich meint, kurz vor ihrem absehbaren
Ende mit wenigen ganz schmalspurigen Initiativen in
Richtung Beamtenschaft punkten zu können.

Was aber bekommen die Bundesbeamten wirklich?
Im Falle des uns heute vorgelegten Gesetzes gilt – ich
zitiere den Entwurf: „Damit wird das Familienpflege-
zeitgesetz, das für die Privatwirtschaft und für Tarifbe-
schäftigte seit dem 1. Januar 2012 in Kraft ist, im Be-
amtenbereich wirkungsgleich nachvollzogen.“ Nur
nachvollzogen, sollte man ergänzen. Das stimmt nach-
denklich, nicht nur wegen der Eigenheiten des Dienst-
verhältnisses. Vielmehr handelt es sich um ein über-
nommenes Konzept aus dem Hause der Familienminis-
terin.

Soweit ich mich erinnern kann, haben wir zu
Kristina Schröders Familienpflegezeitgesetz nicht nur
eine turbulente Debatte erlebt, bei der die Opposition
einhellig Kritik übte, sondern wir haben auch eine
Sachverständigenanhörung erlebt, bei der die Kritik
insbesondere der in der Praxis erfahrenen Sozialver-
bände nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ.
Diese Debatte um Schröders Familienpflegezeitgesetz
wiederum ist nur im Licht der Auseinandersetzung um
die Reform der Pflegeversicherung selbst zu sehen.
Auch hier erlebten wir eine Bundesregierung, deren
Reformansatz an Mickrigkeit nicht zu überbieten war
und die zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen
ließ, wie wenig ihr Begriffe wie Gerechtigkeit und So-
lidarität bedeuten. Wenn die Rede von der Forderung
nach dem Gesamtkonzept also jemals Sinn gemacht
hat, dann beim Thema Pflege. Davon ist im vorliegen-
den Gesetzentwurf jedoch wahrlich nichts zu erken-
nen.

Ein weiterer Haken, der in unsere ansonsten leider
gerne kleinteilig geführten Beamtenrechtsdebatten hi-
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)

neinreicht, ist die im Gesetzentwurf beschworene For-
mel von der Kultur des längeren Arbeitens. Hier wird
vom Bundesinnenminister gleich ein noch größeres
Rad gedreht, nämlich die Debatte um die Verlänge-
rung der Lebensarbeitszeit. Wir teilen im Grundsatz
den skeptischen Blick des Deutschen Gewerkschafts-
bundes, dass es besser wäre, versorgungsbedingte bio-
grafische Lücken von vornherein zu verhindern, an-
statt sie erst entstehen zu lassen und den Betroffenen
anschließend die Verantwortung für die Lückenschlie-
ßung durch verlängerte Lebensarbeitszeit aufzubür-
den.

Wer, wie die Bundesregierung, wirkungsgleich das
Konzept für die Tarifbeschäftigten des Bundes auf die
Bundesbeamten überträgt, mag sich „wirkungsgleich“
auch die Kritik daran anziehen. Man hat sich für ein
Konzept entschieden, bei dem, neben dem bestehenden
reformbedürftigen Pflegesystem, keine weiteren Ele-
mente gesellschaftlicher Solidarität geschaffen werden
sollen, sprich: Das Risiko Pflege tragen die Angehöri-
gen, aus der Perspektive des Dienstverhältnisses gese-
hen, ausschließlich selbst. Der Entwurf rühmt sich ja
– insofern konsequent, aber zynisch – seiner weitge-
henden Kostenneutralität. Es wird sich zeigen, ob
diese Entscheidung den Verhältnissen eines sich aus-
weitenden Pflegenotstandes tatsächlich Rechnung trägt.

Besonders fragwürdig bleibt, dass kein Rechtsan-
spruch geschaffen wird. Stattdessen wird ein so weiter
Ermessensspielraum für die mögliche Ablehnung
durch die Dienstherren geschaffen, dass die Nachfrage
zur Bittstellung verkommt. Fragwürdig erscheint auch,
dass trotz der Vielfalt der zu bedenkenden Konstellati-
onen eine Familienpflegezeit ausschließlich für betrof-
fene nahe Angehörige gewährt wird. Das riecht mal
wieder nach Festschreibung überholter Familienvor-
stellungen und schneidet unnötig die Bereitschaft zu
verantwortlichem Handeln ab.

Entgegen der Zielsetzung der Flexibilisierung wird
mit der Fixierung auf die Höchstdauer der Gewährung
von längstens 24 Monaten die Realität ganzer Krank-
heitsbilder und typischer Pflegefälle negiert, die sich
tatsächlich oft über viele Jahre hinziehen.

Keine Anstrengungen unternimmt der Entwurf, sich
mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass nach wie
vor ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen.
Das ist gleichstellungspolitisch nicht akzeptabel.

Nicht dargelegt wird, wie diese Neuregelung mit an-
deren bestehenden Regelungen zum Thema Pflege zu-
sammengreift. Vorstellungen zum Beispiel von einem
effektiveren und alle Beteiligten schonenderen Pflege-
mix scheinen daher von vornherein in keinerlei Weise
mitbedacht.

Ich bin gespannt, was uns die Sachverständigen zu
der zu erwartenden Nachfrage nach diesem Gesetz sa-
gen werden. „Wirkungsgleich“ zu Kristina Schröders
Gesetzesinitiative wird womöglich deutlich werden,
dass wir es hier mit einer so eng geführten Familien-
pflegezeit zu tun haben, dass die schwarz-gelbe Koali-

tion sich hier – auf jeden Fall aber verglichen mit der
zu stemmenden Aufgabe Pflege und Pflegenotstand –
auf dem Feld der symbolischen Gesetzgebung betätigt,
um Aktivitäten vorzugaukeln, in der Sache aber kaum
einen Schritt vorwärts gemacht wird.

„Mit dem Gesetzentwurf sollen erste konkrete
Schritte unternommen werden.“ So heißt es in dem uns
vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung
gleich auf Seite eins. Wer uns so spät in der Legislatur-
periode ein solches Trippelschrittchen vorlegt, wer
also so spät anfängt, seine Hausaufgaben zu machen,
von dem können wir mit Gewissheit keine weiteren
ernsthaften Schritte mehr erwarten. Das ist auch gut
so; denn im September wird diese schwarz-gelbe Chaos-
koalition abgewählt werden. Dann darf sie den selbst
geschaffenen Stillstand nicht mehr verwalten, und
dann wird sie auch in diesem Bereich keinen weiteren
überwiegend durch Unterlassen bewirkten Schaden
mehr für unser Land anrichten können.

D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1722538500


Auf Ihrer heutigen Tagesordnung steht der Gesetz-
entwurf meines Hauses zur Familienpflegezeit und
zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für die Be-
amtinnen und Beamten des Bundes.

Lassen Sie mich den Gesetzentwurf in einen größe-
ren Zusammenhang stellen: Der demografische Wan-
del wird in den kommenden Jahren unsere Republik
tiefgreifend verändern. Wir werden immer älter – und
immer weniger Jüngere wachsen heran. Dies wird
auch nicht spurlos an der Beschäftigtenstruktur des öf-
fentlichen Dienstes vorbeigehen. Darauf müssen wir
bereits heute reagieren und die entsprechenden Wei-
chen für einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst
stellen. Dies wird dem öffentlichen Dienst nur dann
gelingen, wenn er seine Verantwortung für ein flexi-
bles, familienorientiertes und gesundes Arbeiten mit
Blick auf die Zukunft wahrnimmt und als Arbeitgeber
attraktiv bleibt. In diesem Sinne unternehmen wir mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf erste konkrete
Schritte zur Umsetzung der Demografiestrategie der
Bundesregierung für den Bereich des öffentlichen
Dienstes des Bundes.

Gestatten Sie mir, Ihnen die wesentlichen Eckpunkte
dieses Gesetzentwurfs vorzustellen: Mit dem Gesetz-
entwurf ermöglichen wir den Beamtinnen und Beam-
ten des Bundes, zur Pflege ihrer nahen Angehörigen
Familienpflegezeit in Anspruch zu nehmen. Hierzu
wollen wir die bereits bestehenden Regelungen für die
Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes und die
Beschäftigten der gewerblichen Wirtschaft, die bereits
seit dem 1. Januar 2012 diese Möglichkeit nutzen kön-
nen, wirkungsgleich auf den Beamtenbereich übertra-
gen. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die
Sorge für die Familie, insbesondere die Pflege von
Älteren, zukünftig mehr Zeit in Anspruch nehmen wird,
müssen Berufsleben und Sorge für die Familie flexibler
gehandhabt werden. Wir unterstützen mit dieser Rege-
Zu Protokoll gegebene Reden





Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner


(A) (C)



(D)(B)

lung unsere pflegenden Beschäftigten und versuchen,
die Pflege mit dem Beruf besser in Einklang zu brin-
gen.

Wie soll die Familienpflegezeit konkret aussehen?
Die für die Beamtinnen und Beamten neue Fami-
lienpflegezeit wird in das Bundesbeamtengesetz als
eine besondere Form der Teilzeitbeschäftigung in die
Systematik der bereits bestehenden Tatbestände der
Teilzeitbeschäftigung eingeführt. Sie gliedert sich in
zwei Phasen, die Pflege- und die Nachpflegephase mit
unterschiedlichem Umfang der Arbeitszeiten. Beam-
tinnen und Beamte mit Anspruch auf Besoldung haben
die Möglichkeit, auf Antrag für die Dauer von längs-
tens 48 Monaten Teilzeitbeschäftigung als Familien-
pflegezeit zur Pflege von pflegebedürftigen Angehöri-
gen in häuslicher Umgebung zu nehmen. Dabei
werden sie in der Pflegephase finanziell gefördert. In
der anschließenden Nachpflegephase wird diese För-
derung wieder zurückgeführt. Die hierzu notwendigen
besoldungsrechtlichen Aspekte werden im Bundesbe-
soldungsgesetz sowie einer sich hierauf stützenden
Verordnung geregelt werden.

Uns ist dabei bewusst: Die Familienpflegezeit ist
ein Angebot, das neben bereits bestehende Möglichkei-
ten wie Teilzeit- und/oder mobiles Arbeiten oder Frei-
stellungen, wie zum Beispiel Sabbatjahr, tritt und sich
im Bewusstsein von Beschäftigten und Dienststellen
erst etablieren muss. In den Medien ist im Dezember
letzten Jahres kritisiert worden, dass in der privaten
Wirtschaft Familienpflegezeit bislang noch wenig ge-
nutzt wird. Das ist bedauerlich, sollte uns aber nicht
davon abhalten, „Zeitsouveränität“ für Beschäftigte
auch im öffentlichen Dienst flexibel und zukunftsfest zu
gestalten.

Ein zweiter Aspekt des Ihnen vorliegenden Gesetz-
entwurfs ist die Einführung eines neuen Anspruchs auf
Dienstzeitverlängerung. Damit möchten wir die Rechte
derjenigen Beamtinnen und Beamten stärken, die Ein-
bußen bei der Versorgung aufgrund familienbedingter
Teilzeit- oder Beurlaubungszeiten oder aufgrund der in
diesem Gesetz neu eingeführten Familienpflegezeit mit
längerer Lebensarbeitszeit kompensieren wollen. Die-
ser Anspruch ist auf höchstens drei Jahre begrenzt und
besteht auch höchstens für die Dauer der familienbe-
dingten Teilzeitbeschäftigung, Beurlaubung oder
Familienpflegezeit beim Bund. Hierbei werden selbst-
verständlich auch familienbedingte Abwesenheitszei-
ten in einem Beamtenverhältnis zu einem anderen
Dienstherrn wie zum Beispiel zum Land berücksich-
tigt.

Wir reden hier – das ist immer noch die Realität –
hauptsächlich über Frauen, die ihre berufliche
Karriere für die Kindererziehung oder zur Pflege von
Angehörigen ganz oder teilweise unterbrochen haben.
Wir setzen hier auf die Anreize durch die längere Be-
soldung und das Schließen der Versorgungslücken.

Die Herausforderungen des demografischen Wan-
dels werden perspektivisch noch eine Vielzahl ver-

schiedener Handlungsinstrumente erfordern. Mit dem
Gesetzentwurf haben wir im Bund hierzu einen ersten
Schritt unternommen. Wir sind uns bewusst, dass die-
sem Schritt noch viele weitere folgen müssen. Daran
arbeiten wir mit Hochdruck.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722538600

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/12356 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für
die Bundeswehr

– Drucksache 17/12437 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1722538700

Um eines gleich zu Beginn klarzustellen: Es steht

momentan weder eine Beschaffung von unbewaffneten
noch von bewaffneten Drohnen an. Die Diskussion da-
rum, wie wir sie jetzt führen, ist noch gar nicht rele-
vant. Die SPD hätte das Thema zugunsten ihres Wahl-
kampfes am liebsten sogar ganz ausgeklammert. Nicht
zuletzt deshalb halte ich es auch für gut und wichtig,
dass wir nun heute darüber debattieren. Gerade für
die Linke besteht jedoch offensichtlich großer Erklä-
rungsbedarf. Dies erklärt auch, warum sie die Realität
komplett verkennt und von Killerwaffen spricht, die zu-
künftig von den Soldaten vom Sofa aus mal eben ge-
zündet werden. Ich zitiere Frau Höger: „Zwischen-
durch wird vielleicht ein Computerspiel gespielt oder
das Baby gewickelt.“ Das ist eine Unverschämtheit
unseren Soldaten gegenüber. Lassen Sie uns doch be-
sonders bei diesem sensiblen Thema sachlich und ehr-
lich bleiben.

Die Vorteile des Einsatzes von bewaffneten Drohnen
überwiegen die Argumente der Zweifler und Zukunfts-
verweigerer. Derzeit haben wir unbewaffnete Drohnen
im Einsatz, die der Aufklärung bei den Einsätzen unse-
rer Soldaten dienen. Sie können drohende Gefahren
frühzeitig erkennen und schützen somit die Truppe im
Einsatz.

Skizzieren wir nun dieses Szenario ein wenig weiter:
Bei einem Einsatz gerät eine Einheit in einen Hinter-
halt von Terroristen. Sie sind eingekesselt und können
nicht mehr entfliehen. Eine Flucht ließe sich nur unter
großer Gefahr bewerkstelligen. Durch die eingesetzte
unbewaffnete Drohne können mehrere terroristische





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

Gruppen in der Umgebung aufgeklärt werden. Darauf-
hin wird bemannte und bewaffnete Luftunterstützung
angefordert. Dadurch wird erstens ein weiterer Soldat
der Gefahr eines Abschusses ausgesetzt. Zweitens ver-
gehen viele wichtige Minuten zwischen dem Start und
der Ankunft des Kampfflugzeugs im Einsatzgebiet. Mi-
nuten, die über Leben und Tod entscheiden können.

Dieses Szenario verdeutlicht den Sinn und Zweck
der Anschaffung bewaffneter Drohnen. Sie dienen der
Sicherheit unserer Soldaten am Boden und in der Luft.
Eine Drohne hat viel längere Stehzeiten, als ein Kampf-
flugzeug jemals haben kann. Somit können auch lang-
fristige Einsätze durchgängig mit bewaffneter Luft-
unterstützung abgesichert werden. Durch die optimale
Kombination aus Aufklärung und Waffenwirkung er-
höhen wir den Schutz unserer Soldaten signifikant.

Die Kritik, dass durch den Einsatz von bewaffneten
Drohnen eine zu große emotionale Distanz des Solda-
ten zum Kampfgeschehen entsteht, halte ich nicht nur
für falsch, sondern für überaus zynisch und verantwor-
tungslos. Für falsch halte ich sie, weil auch der Pilot
eines Flugzeuges dem Menschen nicht in die Augen
sieht, bevor er die Rakete abschießt. Bei nahezu jeder
indirekten Waffe, nicht nur bei einer Drohne, ist ein
Monitor zwischengeschaltet. Der Marinesoldat, der
einen Torpedo abschießt, der Schütze, der eine Inter-
kontinentalrakete oder eine Patriot-Rakete abfeuert –
alle schauen auf einen Monitor. Von daher hat jede in-
direkte moderne Waffe eine technische Überbrückungs-
möglichkeit für denjenigen, der sie auslöst.

Den Vorwurf der emotionalen Distanz nur auf den
Einsatz von Drohnen zu beziehen, ist somit sehr einge-
schränkt und kurzsichtig. Was den Vorwurf aber gänz-
lich absurd macht, ist die Tatsache, dass auch bei her-
kömmlichen Flugzeugen der Pilot ohnehin nicht über
den Abschuss einer Rakete entscheidet, sondern der
befehlshabende Einsatzführer am Boden. Der Pilot lie-
fert lediglich die Waffenwirkung, die meist von den Bo-
dentruppen angefordert wird. In Afghanistan muss so-
gar jeder Schießbefehl vom Hauptquartier freigegeben
werden. So unterscheiden sich unbemannte bewaffnete
Luftfahrzeuge in ihrer Wirkung nicht von bemannten.
Das soll nun aber nicht heißen, dass die Zurechenbar-
keit des Abschusses nicht möglich ist. Auch diesen Vor-
wurf habe ich einige Male gehört, und ich halte ihn für
abstrus. Am Schluss der Befehlskette entscheidet ein
Mensch, eine Rakete abzuschießen, und nicht ein Ro-
boter oder eine Maschine. Es ist nur eben nicht der Pi-
lot.

Bis hierhin kann ich die haltlose Kritik der Linken
an der Anschaffung bewaffneter Drohnen noch mit Un-
wissenheit und mangelndem Interesse an der Materie
erklären. Was mich bei dieser Diskussion jedoch so
wütend macht, ist der unverhohlene Zynismus und die
Verantwortungslosigkeit gegenüber unseren Soldaten,
die bei den Argumenten mitschwingen.

Ich möchte Ihnen deshalb die Frage stellen: Wieso
sollten wir unsere Soldaten unnötig in Lebensgefahr

bringen? Weil es nicht fair ist, dass sie dank unserer
technischen Möglichkeiten ein kleineres Risiko einge-
hen als ihre terroristischen Gegner? Wollen wir unse-
ren Soldaten vorwerfen, sie würden leichtfertig töten,
wenn sie sich nicht direkt im Kampfgeschehen befin-
den? Sollen wir in Zukunft auf die Panzerung von
Fahrzeugen verzichten, weil sie das Risiko für unsere
Soldaten zu klein hält?

Die Einsätze belasten unsere Soldaten enorm. Es ist
doch nicht nachteilig, wenn sie weniger in direkte
Kampfhandlungen verwickelt werden. Außerdem kann
man eine derart essenzielle Entscheidung wie den Ab-
schuss einer Rakete besser und ausgewogener treffen,
wenn man sich nicht direkt in der Kampfhandlung be-
findet. Angst ist nämlich nie ein guter Ratgeber. Wir
dürfen außerdem auch nicht vergessen, dass es sich
bei unseren Gegnern um Terroristen handelt, deren
Hemmschwelle ohnehin ungemein niedriger ist als die
unserer Soldaten.

Zuletzt möchte ich noch auf den Vorwurf eingehen,
mit Drohnen werde gezielt getötet. Ja was denn sonst?
In welcher Welt leben sie, meine Damen und Herren
von den Linken? Wollen Sie mit großflächigen Bom-
bardements in Afghanistan die Zivilbevölkerung auslö-
schen, nur damit Sie danach behaupten können, unsere
Soldaten würden nicht gezielt töten? Wer nicht will,
dass wir Unbeteiligte gefährden, der muss Waffensys-
teme entwickeln und einsetzen, die nicht flächig, son-
dern gezielt wirken. Natürlich verlangen wir von unseren
Soldaten, dass sie unter Beachtung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit agieren.

Damit sind wir auch schon bei dem weiteren Kritik-
punkt, bewaffnete Drohnen seien völkerrechtlich pro-
blematisch. Drohnen unterscheiden sich zunächst
rechtlich in keiner Weise von anderen fliegenden Platt-
formen. Ob Sie eine Rakete am Boden oder von einer
Drohne aus abfeuern, unterliegt den gleichen Regeln.
Natürlich ist es so, das zeigt auch die Realität, dass je-
des Waffensystem auch völkerrechtswidrig eingesetzt
werden kann, auch eine Drohne. Sie sollten jedoch
nicht von der Einsatzart und der Einsatzmethode ande-
rer Staaten auf das Einsatzmittel selbst schließen. Es
ist ausschlaggebend, für welchen Zweck und mit wel-
cher Legitimierung wir eine Drohne nutzen. Grund-
lage für jeden deutschen Einsatz sind die Einsatzre-
geln und letztlich unser Grundgesetz. Und daran
halten wir uns.

Ich denke, meine Darlegung der Argumente für die
Anschaffung bewaffneter Drohnen haben Sie teilweise
und in anderer Form auch schon von unserem Minister
gehört. Ich kann mich da nur wiederholen: Die Zu-
kunft der Fliegerei wird in den nächsten 50 Jahren
auch von der unbemannten Luftfahrt geprägt sein. Der
Krieg der Zukunft wird vermehrt durch bewaffnete
Drohnen geführt werden. Wir können es uns nicht leis-
ten, als Anlehnungsmacht im europäischen Gefüge auf
die Drohnentechnologie zu verzichten. Deshalb ist es
mir ein Anliegen, dass wir unsere deutschen und euro-
päischen Kompetenzen für die zukunftsweisende For-
Zu Protokoll gegebene Reden





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

schung und Entwicklung in diesem Bereich nutzen. Es
liegt an uns, ob wir uns fortschrittspessimistisch und
technologiefeindlich gegen alles Neue verwehren oder
ob wir neue Technologien als Chance für unsere Zu-
kunft und für die Sicherheit unseres Landes begreifen.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1722538800

Den unbemannten Flugzeugen – zivil und militä-

risch – gehört die Zukunft: Sie sind verhältnismäßig
preiswert, brauchen weder fliegendes Personal noch
teuren Eigenschutz. Die Vorteile von Drohnen sind un-
bestritten, gerade im Bereich der Aufklärung haben sie
einen besonders großen Nutzen. Auf der ILA in Berlin
konnten Besucher unlängst Drohnen verschiedenster
Größe und Bauart gleich in zweistelliger Zahl betrach-
ten. Wer hier vonseiten der Industrie nicht mithält, ist
aus dem Rennen.

Das heißt aber nicht, dass die Politik deshalb unter
Zugzwang steht. Das Vorhaben der Bundesregierung,
jetzt bewaffnete Drohnen zu beschaffen, macht poli-
tisch überhaupt keinen Sinn. Die Bundeswehr hat we-
der eine Fähigkeitslücke noch verfügt die Luftwaffe
über ein Konzept, in welchen Szenarien Drohnen
notwendig sind und wie sie eingesetzt werden sollen.
Es gibt derzeit in Europa nicht einmal Regularien, wie
Drohnen in den Luftraum integriert werden können.
Deshalb gilt gerade hier der Satz: Eile mit Weile.

Bevor über solche Systeme entschieden wird, brau-
chen wir eine gesellschaftspolitische Debatte darüber,
ob, wann und wie wir bewaffnete Drohnen einsetzen
wollen. Hier stehen völkerrechtliche und ethische Fra-
gen im Vordergrund. Die illegalen Drohnenangriffe
der USA in Jemen und Pakistan verdeutlichen, wie not-
wendig es ist, solche Einsätze einzugrenzen, ob im Völ-
kerrecht oder durch Instrumente der Rüstungskon-
trolle.

Bewaffnete Drohnen sind eben keine unbemannten
Flugzeuge, sie sind mehr. Sie sind der Einstieg in eine
vollautomatisierte Kriegsführung. Wir müssen uns
doch fragen, ob Parlamente und Regierungen ohne
das Risiko, die eigenen Soldaten zu gefährden, nicht
schneller über Auslandseinsätze entscheiden. Werden
militärische Befehlshaber nicht rascher einen tödli-
chen Einsatz anordnen nach dem Motto „kill before
capture“, verändert sich nicht auch die Kriegsführung
der Militärs?

Die Gefahr, dass am Ende dieser technologischen
Entwicklung automatisierte Systeme stehen, die vom
Schreibtisch aus auf bestimmte Merkmale hin pro-
grammiert und eingesetzt werden, sehe ich mit großer
Besorgnis. Zu dieser Debatte gehört deshalb eine klare
völkerrechtliche Ächtung von vollautomatisierten
Systemen. Wenn die Bundesregierung glaubt, sich
diese Fragen nicht stellen zu müssen, ermuntert sie uns
Sozialdemokraten, hier ganz genau draufzuschauen.

Sollte sich am Ende dieser Debatte erweisen, dass
bewaffnete oder waffenfähige Drohnen einen wichti-
gen und angemessenen Beitrag zu einer umfassenden

Sicherheits- und Verteidigungspolitik darstellen, kann
immer noch eine gezielte Entwicklungskooperation
zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutsch-
land eingeleitet werden. Ein Kauf von der Stange auf
dem amerikanischen Markt würde den Weg für eine
mögliche europäische Lösung erschweren, wenn nicht
gar verbauen. So lange kann die Bundeswehr ohne
Schwierigkeiten die bislang geleasten Aufklärungssys-
teme Heron weiterverwenden. Weil Frankreich über
die gleichen Systeme verfügt, ist eine europäische
Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich
bei der Entwicklung von Drohnen auch später immer
noch möglich. Das würde auch industriepolitisch Sinn
machen. Was die Fraktion Die Linke allerdings zu die-
sem Thema beiträgt, ist fern aller Wirklichkeit. Wenn
ich den Kopf in den Sand stecke, lösen sich Probleme
nicht von selbst.


Rainer Erdel (FDP):
Rede ID: ID1722538900

Es ist nicht ganz drei Wochen her, da haben Sie,

liebe Kollegen von der Linken, das Thema Ausrüstung
der Bundeswehr mit bewaffneten sogenannten Droh-
nen in einer aktuellen Stunde im Bundestag diskutieren
lassen. Alle Fraktionen haben die Möglichkeit genutzt,
ihre jeweiligen Positionen auszutauschen. Mehrfach
wurde betont, dass die Debatte über den Einsatz von
bewaffneten unbemannten Luftfahrzeugen noch am
Anfang steht. Ich bin daher sehr verwundert, dass Sie
mit Ihrem Antrag die Debatte bereits beenden wollen,
bevor wir sie überhaupt richtig angefangen hat. Un-
sere Position als FDP ist klar: Wir wollen und werden
uns der Debatte nicht verschließen, weil wir davon
überzeugt sind, dass sie im Sinne unserer Parlaments-
armee genau hier im Bundestag geführt werden muss.

Wir sind aber auch der Meinung, dass die Debatte
über die Beschaffung von bewaffneten Drohnen für die
Bundeswehr auch auf der richtigen Grundlage geführt
werden sollte. Diese Grundlage kann nur in einer
klaren sicherheitspolitischen Begründung des Verteidi-
gungsministeriums zur Beschaffung und Nutzung sol-
cher Systeme bestehen.

Fakt ist, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol-
legen von den Linken: Unbemannte Systeme stellen ei-
nen wesentlichen Technologiesprung in der Luftfahrt
dar. Dabei ist es unwesentlich, ob es sich um eine
kleine Drohne oder ein unbemanntes Luftfahrzeug von
der Größe eines A319 handelt. Unabhängig von einem
militärischen Einsatz sind unbemannte Luftfahrzeuge
in der Lage, eine langandauernde und großräumige
Überwachung sicherzustellen und dabei sehr detail-
lierte Informationen zu liefern. Bereits heute werden
unbemannte Systeme bei großen Menschenansamm-
lungen in Deutschland genutzt, um tragische Ereig-
nisse wie etwa bei der Loveparade in Duisburg ver-
meiden zu helfen. Auch bei der Meereserkundung und
speziell der Verschmutzungskontrolle der Meere wer-
den unbemannte Systeme bereits genutzt. Die Techno-
logie bietet eben gerade durch den Verzicht auf lebens-
erhaltende Systeme im Flugzeug kostengünstige
Zu Protokoll gegebene Reden





Rainer Erdel


(A) (C)



(D)(B)

Chancen. Die Bedienung sowie die zeitnahe Auswer-
tung der Daten vom Bodenpersonal ist besser zu ge-
stalten, als dies vom fliegenden Personal zu leisten ist.

Aus diesen Erkenntnissen heraus bietet sich eine
militärische Nutzung an. Im Einsatz werden die unter-
schiedlichen Ausführungen von unbemannten Luftfahr-
zeugen bereits genutzt. Ob Aladin oder Heron 1: Alle
Systeme haben ihre Leistungsfähigkeit und ihren
Mehrwert für die Bundeswehr bewiesen. Und es stellt
sich natürlich die Frage, ob nicht dort, wo heute be-
mannte Flugzeuge, wie zum Beispiel bei der Unterstüt-
zung aus der Luft, künftig unbemannte Systeme zum
Einsatz kommen können.

Ihren Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, vom Drohneneinsatz der US-Streitkräfte
als auch des US-Geheimdienstes auf den Einsatz der
Bundeswehr mit solchen Systemen zu schließen, kann
ich allerdings nicht nachvollziehen. Sie schreiben zum
Beispiel in Ihrem Antrag, dass unbemannte Luftfahr-
zeuge konzipiert seien, um über neutralem Gebiet ein-
gesetzt zu werden. Alleine die Tatsache, dass diese Sys-
teme im Einsatz sind, bedeutet doch nicht, dass sie sich
in einem rechtsfreien Raum bewegen. Sie unterliegen
den Rules of Engagement.

Auch führen Sie das Thema „gezielte Tötungen“ ins
Feld. Auch hier wird offenbar angenommen, dass sich
die Bundeswehr ebenso wie die US-Streitkräfte verhal-
ten würde, wenn sie in den Besitz solcher Systeme
käme. Ich frage mich, woher Sie diese Gewissheit neh-
men. Bereits heute können präzise Schläge durch die
Bundeswehr ausgeführt werden. Dies geschieht immer
auf der Basis unseres Grundgesetzes und deshalb sind
Einsätze wie Sie sie unterstellen, auch heute durch den
Bundestag nicht mandatierbar. Ich frage mich daher:
Warum fehlt Ihnen das Vertrauen in das Parlament?

Ich bin der festen Überzeugung, dass das Thema
unbemannte Luftfahrzeuge uns in Zukunft noch stärker
als bisher beschäftigen wird. Gerade auch mit Blick
auf die enormen zivilen Nutzungsmöglichkeiten sollten
wir nicht den Fehler machen, uns hier Denkverbote zu
verordnen.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz unbe-
waffneter Drohnen in Afghanistan sind darüber hinaus
überaus positiv. Sie bieten unseren Soldatinnen und
Soldaten letzten Endes ein deutliches Plus an Sicher-
heit. Gerade bei der militärischen Nutzung muss aber
klar sein, was wir mit bewaffneten Systemen im Einsatz
machen wollen. Hier muss eine klare sicherheitspoliti-
sche Begründung stehen, die letztendlich auch mit dem
humanitären Völkerrecht im Einklang stehen muss.


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722539000

Um es gleich vorwegzunehmen: Drohnen sind nicht

per se Teufelszeug. Das behauptet hier auch keiner.
Und natürlich ist in erster Linie der Mensch bzw. die
Regierung verantwortlich, die den Einsatz von bewaff-
neten Drohnen befiehlt.

Aber tun wir doch auch nicht so, als ob Technologie
und insbesondere Waffentechnologie immer nur neu-
tral ist. Unsere Auffassung ist, dass bewaffnete Droh-
nen als neue Waffentechnologie in ähnlicher Weise wie
Atomwaffen, Landminen oder Streumunition nur nach-
teilige Konsequenzen haben werden. Zudem ändert
sich der Blick der politischen und militärischen
Führung auf den Waffeneinsatz. Drohnen schaffen
neue, vermeintlich attraktive Optionen für den Einsatz
von Gewalt und senken damit die Hemmschwelle. Die
Bundesregierung sollte deswegen auf die Beschaffung
solcher Waffensysteme verzichten.

Nach einem Jahrzehnt Kampfdrohnen im Einsatz
– vor allem der US-Drohnen in Afghanistan, Pakistan
oder Jemen – sieht man doch ganz klar, wohin die
Reise geht: Kampfdrohnen braucht man nicht zur Lan-
desverteidigung, auch nicht zur Grenzsicherung. Nein,
bewaffnete Drohnen machen vor allem Sinn für offen-
sive klandestine Operationen in Drittstaaten, das heißt
also in der Regel unter Verletzung der Souveränität
des Staates. Wichtiger noch: Bewaffnete Drohnen ver-
leiten die Streitkräfte zu einer Form von Menschen-
jagd, die immense zivile Opfer in Kauf nimmt und sich
oft genug außerhalb des Rechts abspielt.

Akkurate Zahlen sind leider nicht bekannt – die
Geheimhaltung macht einen Strich durch die Rech-
nung. Außerdem machen es sich USA und NATO
leicht, indem sie pauschal jede männliche Person im
kampffähigen Alter den Terroristen oder Aufständi-
schen zurechnen.

Die pakistanische Regierung geht davon aus, dass
in den vergangenen vier Jahren 22 al-Qaida-Komman-
deure und 800 Zivilisten durch Drohnenangriffe in ih-
rem Land getötet wurden. Das Bureau of Investigative
Journalism kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen
2 500 und 3 300 Menschen in Pakistan seit 2004 durch
Drohnen getötet worden sind, davon zwischen 470 und
880 Zivilisten, inklusive 176 Kinder. Hinzu kommen
noch mehr als tausend Verletzte.

Jetzt kann man zynisch mit den Schultern zucken
und sagen: So ist das eben im Krieg und bei der
Bekämpfung des Terrorismus. Damit liegt man aber
falsch: Zum einen herrscht weder in Pakistan, Jemen
oder Somalia völkerrechtlich gesehen Krieg. Zum
anderen gilt Terrorismus hoffentlich auch noch bei den
anderen Fraktionen hier im Bundestag als krimineller
Akt, der vor Gericht zu ahnden ist und nicht per fern-
gesteuerter Rakete.

Das Problem liegt doch auf der Hand: „Gelegen-
heit macht Diebe“ gilt eben auch für die Militärs. Im
Kern dominiert bei den USA, aber auch den anderen
NATO-Staaten die Einstellung „Wir tun es, weil wir es
können“. Aus militärischer Sicht scheint sich eine
Automatisierung der Kriegsführung zu rechnen: Die
Waffensysteme kosten weniger, man kann Personal
einsparen, und es ist sicherer für die eigene Armee.

Das ist eine Milchmädchenrechnung – und das wis-
sen Sie. Diese geht nur auf, solange die Asymmetrie
Zu Protokoll gegebene Reden





Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

bestehen bleibt. Hier die USA, die NATO und ihre
Verbündeten, die alles können und dürfen, dort die
Aufständischen und anderen Streitkräfte, die mit ein
paar Raketenwerfern und Gewehren zurückschießen.
Es wird ein böses Erwachen geben, wenn andere Staa-
ten anfangen, bewaffnete Drohnen nach dem gleichen
Muster einzusetzen wie die USA und die NATO-Staa-
ten.

Andere Staaten sind schon dabei, aufzurüsten und
mehr in Drohnentechnologie zu investieren. Das führt
zu einer gefährlichen Aufrüstungsspirale vor der
Haustür. Das mag gut für die Rüstungsindustrie sein;
es ist aber schlecht für die Menschen. Und dabei sollte
nicht vergessen werden, dass Drohnen auch Massen-
vernichtungswaffen transportieren können.

Auf sämtliche dieser Risiken hat im Übrigen auch
der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung
des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2011 hinge-
wiesen. Leider haben wohl weder die Regierungsfrak-
tionen noch das BMVg den Bericht gelesen. Das sollte
nachgeholt werden.

Bewaffnete Drohnen stehen für eine unheilvolle Au-
tomatisierung der Kriegsführung. Verteidigungsminis-
ter de Maiziére kann noch so oft betonen, dass immer
ein Mensch die Entscheidungen treffen wird: Allein die
steigende Informationsflut und die Leistungsfähigkeit
der Computer wird zur Verselbstständigung der Droh-
nen führen. Im Englischen bereits so griffig als „man
in the loop“, „man on the loop“, „man out of the loop“
bezeichnet. Am Ende steht der Waffeneinsatz aufgrund
einer automatischen Computerauswertung von Bewe-
gungsprofilen. Klingt bekannt, klingt nach moderner
Variante der Selbstschussanlage an der Mauer. Für
mich klingt das erschreckend. Ungeachtet dessen hat
Verteidigungsminister de Maiziére klargestellt, dass
die Bundeswehr jetzt auch hier mitspielen will.

Deutsche Firmen stehen schon in den Startlöchern.
Rheinmetall, Diehl und EADS haben entsprechende
Vereinbarungen mit ausländischen Drohnenherstel-
lern getroffen. Mit Hunderten von Millionen Euro soll
mitgerüstet werden, egal ob man für die Sicherheit
Deutschlands diese Drohnen braucht oder nicht. Denn
auch dem Verteidigungsminister sind außer Sicherung
von Geiselbefreiungen oder Patrouillen in besetzen
Gebieten keine sinnvollen Szenarien eingefallen.

Unsere Position als Linke ist klar: Statt mitzurüsten,
ist es an der Zeit, über Rüstungskontrolle, Abrüstung
und vertrauensbildende Maßnahmen nachzudenken.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, jetzt
ein klares Zeichen zu setzen und auf die Beschaffung
von Kampfdrohnen zu verzichten.


Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722539100

Bislang nutzt die Bundeswehr Drohnen ausschließ-

lich zu Aufklärungszwecken. Der Verteidigungsminis-
ter hat jedoch angekündigt, bald über die Beschaffung
waffenfähiger Drohnen entscheiden zu wollen. Dabei
zeichnet sich klar ab, in welche Richtung diese Ent-

scheidung gehen soll. Wiederholt hat Minister de
Maizière erklärt, dass er bewaffnete Drohnen für
ethisch neutral hält und ihr Einsatz nur Vorteile
bringe. Über die Risiken, die mit diesem neuen Waffen-
system verbunden sind, verliert er kein Wort, ebenso
wenig wie über die Möglichkeiten und den Bedarf an
internationalen Regeln, obwohl diese dringend gebo-
ten wären. Ein lapidarer Verweis auf bestehendes Völ-
kerrecht entschuldigt diese Ignoranz keinesfalls.

Vor der Beschaffung eines neuen bewaffneten Sys-
tems muss genau geprüft werden, ob dieses wirklich
erforderlich ist und welche Folgen sein Besitz und
möglicher Einsatz nach sich ziehen. Die gegenwärtige
Praxis zeigt: Der zunehmende Einsatz ferngesteuerter
Waffensysteme hat schwerwiegende Auswirkungen auf
die Kriegsführung, fordert zahlreiche zivile Opfer und
führt zu einer Entgrenzung der Kriege.

Die USA verüben mithilfe bewaffneter Drohnen
„gezielte Tötungen“ außerhalb von bewaffneten Kon-
flikten, die – und das muss man doch auch mal klipp
und klar sagen – völkerrechtswidrig sind! Gleichzeitig
fördert der zunehmende Einsatz von Kampfdrohnen
die Eskalation bewaffneter Konflikte und treibt die Re-
krutierung neuer Kämpfer in terroristischen Netzwer-
ken voran.

Die von den USA durchgeführten Drohneneinsätze
in Pakistan, in Somalia und im Jemen machen deut-
lich, wie schnell die Hemmschwelle zur Anwendung
bewaffneter militärischer Gewalt bei den politischen
Entscheidungsträgern sinkt, wenn die eigenen Streit-
kräfte dabei kein Risiko eingehen müssen. Vor dem
11. September 2001 erklärte die damalige US-Admi-
nistration die von Israel durchgeführten gezielten Tö-
tungen mit bewaffneten Drohnen noch für illegitim.
Heute steigt die Zahl der völkerrechtswidrigen Droh-
nenangriffe unter US-Präsident Obama rasant an.

Deutschland sollte sich für eine Beendigung dieser
gezielten Tötungen einsetzen. Wo Völkerrecht gebro-
chen wird, erwarte ich klare Worte und nicht Still-
schweigen von dieser Bundesregierung!

Diese höchst bedenkliche und gefährliche Entwick-
lung in den USA muss uns zum Nachdenken über die
grundsätzliche Frage bewegen, welchen Einfluss die
Verfügbarkeit bestimmter Waffensysteme und Fähig-
keiten auch auf die politischen Entscheidungen über
den Einsatz militärischer Mittel haben kann. Denn be-
waffnete Drohnen werden de facto eben nicht wie ge-
wöhnliche Waffensysteme eingesetzt, sondern immer
wieder wird bei ihrem Einsatz gegen geltendes Völker-
recht verstoßen. Diese Realität kann man nicht aus-
blenden!

Dem völkerrechtswidrigen Einsatz von bewaffneten
Drohnen muss endlich entgegengewirkt werden. Die
klaffenden Lücken in der Rüstungskontrolle müssen
geschlossen werden. Anstatt sich in eine riskante Spi-
rale des Wettrüstens zu begeben und schwammige Lip-
penbekenntnisse zur Rüstungskontrollpolitik zu machen,
Zu Protokoll gegebene Reden





Agnes Brugger


(A) (C)



(D)(B)

erwarte ich von der Bundesregierung klare Initiativen
auf internationaler Ebene.

So müssen wir auch verbindliche Regeln finden, die
die Gefahr einer Proliferation unbemannter waffen-
fähiger Systeme an Staaten oder substaatliche Akteure
eindämmen. Und wir müssen dem Problem begegnen,
dass die technische Entwicklung zu immer komplexe-
ren Systemen führt, bei denen mehr und mehr Ent-
scheidungsprozesse auf Basis von Programmierungen
ablaufen, in die der Mensch nicht mehr involviert ist.
Stimmen aus den USA zeigen, dass die Entwicklung
dort genau in diese Richtung gehen soll. Aber damit
wird es zunehmend schwieriger, Verantwortlichkeiten
beim Verstoß gegen geltendes humanitäres Völkerrecht
zuzurechnen und schließlich auch zu ahnden. Hier tun
sich also völlig neue Risiken auf, wie mühsam errun-
gene Regeln zur Einhegung der Kriegsführung ausge-
hebelt werden können. Das kann und darf in nieman-
des Interesse sein.

Deshalb setzten wir uns dafür ein, auf Ebene der
Vereinten Nationen Regeln und Restriktionen für den
Einsatz von bewaffneten unbemannten Systemen zu
setzen, um die Aufrüstung einzudämmen und einer Zu-
nahme bewaffneter Gewalt vorzubeugen. Der Einsatz
bewaffneter unbemannter Systeme muss international
so reguliert werden, dass das Gebot des Schutzes der
Bevölkerung, das Unterscheidungsgebot und das Ver-
hältnismäßigkeitsgebot in vollem Umfang erfüllt sind –
das gilt ganz besonders für weitere technologische
Entwicklungen.

Diese schwarz-gelbe Bundesregierung hat nur un-
kritisch den eigenen Beschaffungswunsch im Blick und
verschließt ihre Augen vor den gravierenden Verlet-
zungen von wichtigen völkerrechtlichen Normen, die
nur durch die neue Technologie von unbemannten be-
waffneten Systemen in diesem Ausmaß möglich gewor-
den sind. Das finde ich unerträglich!

Meine Damen und Herren von der Koalition, eine
solche Politik, die vor allem von einer Logik des Wett-
rüstens getrieben ist und die gravierenden negativen
Folgen des Einsatzes bewaffneter Drohnen ausblen-
det, tragen wir Grüne nicht mit.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722539200

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/12437 an den Verteidigungsausschuss
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Filmförderungsgesetzes

– Drucksache 17/12370 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1722539300

Das zukünftige Filmförderungsgesetz ist ein Fort-

schritt für das Filmland Deutschland, darüber sind
sich die Beteiligten wie Betroffenen einig. Es stärkt das
Kino, es gibt dem Kinderfilm wieder eine Perspektive,
es verbessert grundlegend die Teilhabe behinderter
Menschen, es konzentriert die Förderschwerpunkte
wie die Absatzstrategie und es sorgt für die Aufnahme
der Digitalisierung des Filmerbes in das Aufgaben-
spektrum der FFA.

Der Verwaltungsrat der FFA, gewissermaßen „das
Filmparlament“ der Bundesrepublik, hat die Novellie-
rung für gut befunden, weil damit den Filmschaffenden
wie dem Kino eine Perspektive gegeben wird. Begrüßt
wird von diesem Gremium auch die Aufstockung des
Deutschen Filmförderfonds, DFFF, von 60 auf 70 Mil-
lionen Euro. Ein Erfolg von Kulturstaatsminister
Bernd Neumann. Seine Absicht den DFFF zu versteti-
gen, ihm keine zeitliche Befristung mehr zu geben,
wird von uns nachdrücklich unterstützt.

Dieser Fonds ist ein Erfolgsmodell für den Produk-
tionsstandort Deutschland geworden. Von 2007 bis
Ende 2012 wurden 642 „Zelluloid-Initiativen“ mit fast
360 Millionen Euro gefördert; davon etwa zwei Drittel
nationale Vorhaben und ein gutes Drittel internatio-
nale. Diese Gelder haben Gesamtinvestitionen von
knapp 3 Milliarden Euro ausgelöst. Ein eingezahlter
Euro hat sich versechsfacht. Das sind Leistungen für
die Sicherung von circa 50 000 Arbeitsplätzen, eine
gute Botschaft für alle Filmbeschäftigten.

Erfolge bei der diesjährigen, gerade beendeten
Oscar-Verleihung in Los Angeles hatte unsere Film-
gemeinde dagegen nicht. Dafür aber unser Nachbar-
land Österreich, gleich zweimal, mit Haneke und
Christoph Waltz. Wir gratulieren herzlich.

Vielleicht sollten wir doch ab und zu mehr über den
Tellerrand sehen: denn unsere Nachbarn, ob im Süden
oder Norden mit Dänemark, abgesehen von Frank-
reich und Polen, warten regelmäßig bei Filmfestivals
mit aufsehenerregenden Produktionen von hoher Qua-
lität auf.

Uns sollte auch beunruhigen, dass der Marktanteil
deutscher Filme im vergangen Jahr von rund 22 auf
18 Prozent gegenüber 2011 gesunken ist. Im Durch-
schnitt der vergangenen 10 Jahre sind wir bis auf we-
nige Ausreißer über diesen Anteil nie hinausgekom-
men. Das ist in Frankreich anders. Dort macht die
nationale Filmproduktion mindestens 40 Prozent aus.
Das wäre auch für die Bundesrepublik anzustreben.

Wir haben großartige Schauspielerinnen und
Schauspieler und eine hohe Kompetenz bei allen Film-
schaffenden, von den Drehbuchautoren bis hin zu den
Produzenten. Wenn wir deren Arbeitsplätze sichern
und ausbauen wollen und auch unsere Werte, die wir
vertreten, und unsere Filmkultur in die erste Reihe





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)

befördern wollen, sind offensichtlich auch bei uns Ziel-
vorgaben notwendig. Allein auf den Markt zu setzen,
reicht nicht aus. Hollywoods Macht reicht weiter.

Es wäre durchaus angemessen, wenn sich die Film-
szene selbst, von der Filmakademie über das „Film-
parlament“ bis hin zu den Produzenten, mit der Frage
einer Quote für den deutschen Film befassen würde.
Dazu sollte auch der Tatbestand Anlass geben, dass es
von den insgesamt 19 Filmen im Wettbewerb der dies-
jährigen Berlinale nur einen deutschen Film gegeben
hat. In den Vorjahren war das Resultat nicht wesent-
lich besser.

Die Berlinale entwickelt sich immer mehr zu einem
Bürgerfest für den Film. 400 000 Besuche und
404 Filme aus 70 Ländern beweisen, dass das Kino als
Kulturereignis angenommen wird. Für das Filmland
Deutschland ist das Berlinale-Filmfest eine Visiten-
karte ersten Ranges. Dass erstmals in vielen Städten
der Bundesrepublik zeitgleich ein Berlinale-Film
vorgeführt wurde, macht das Filmvergnügen zu einem
Republikereignis. Dieses gilt es weiter auszubauen.
4 000 Journalisten haben weltweit von diesem Festival
berichtet. Was Dieter Kosslick mit seinem Team auf die
Beine gestellt hat, wird mit Respekt und Lob von den
Filmemachern anerkannt, und auch von uns, der
Union.

Trotz allen Lobs bleibt das Hauptstadt-Februar-
Event bei Schnee, Frost und Schietwetter ein Wagnis-
festival. Kurz vor der Oscar-Verleihung, gleichfalls im
Februar, kommt selten eine wirkliche Filmsensation an
die Spree. Viele Produktionen haben bereits wegen des
vorgezogenen Starts in anderen Ländern ihre Un-
schuld verloren. Die gebrauchte Ware nimmt zu, damit
auch das Risiko, den Status als ein A-Festival zu ver-
lieren. Es muss ernsthaft eine Verlegung der Berlinale
in einen geeigneteren Monat erwogen werden. Dabei
geht es nur vordergründig um das Berlinale-Wetter,
sondern um die Zukunft dieses Filmfestivals.

Das Kino wird immer stärker zu einem kulturellen
Freizeiterlebnis für Millionen unserer Mitbürgerinnen
und Mitbürger. Im Durchschnitt besucht jeder Bewoh-
ner unseres Landes viermal im Jahr einen „Filmtem-
pel“. Den größten Anteil hat dabei die Altersgruppe
von 20 bis 29 Jahren. Kein Kulturbereich schafft
derzeit jährlich durchschnittlich 130 Millionen Besu-
cher – nicht einmal die Fußballbundesliga oder die
Museen. Die Kinobranche selbst hat gut davon.
Erstmals, das gilt für 2012, übersteigt ihr Umsatz
1 Milliarde Euro. Die Betreiber der Kinos wissen sehr
wohl die Politik, ob auf Bundes- oder Landesebene,
auf ihrer Seite – noch.

Ob die reduzierte Mehrwertsteuer, die Unterstüt-
zung bei der Digitalisierung, allein vom Bund mit
20 Millionen Euro, oder auch die staatliche Förderung
des Filmerbes: alle drei Maßnahmen sind Beispiele
einer umsichtigen direkten wie auch indirekten Kultur-
kinoförderung.

Umso unverständlicher ist es, dass seit Jahren ei-
nige große Kinounternehmen, die ihren Hauptsitz im
Ausland haben, gegen diese Förderer zu Felde ziehen,
Jahr für Jahr die Gerichte auf allen Ebenen mit Kla-
gen konfrontieren, um sich ihrer Abgaben an die FFA
zu entziehen. Fachkritiker sehen darin den Versuch,
aus Profitgier die mittelständische Kinostruktur in der
Bundesrepublik zu zerstören. Damit schadet man unse-
rem Kinoland. Gleichzeitig stellt man damit das
Selbsthilfeprinzip der FFA infrage, und schließlich
gräbt man der Filmförderung das Wasser ab.

Es ist hoch anzuerkennen, dass die anderen Einzah-
ler in den FFA-Fördertopf, die Videoprogrammanbie-
ter, das öffentlich-rechtliche wie das private Fernse-
hen an ihrer grundsätzlichen Einstellung, den Film in
unserem Land zu stabilisieren, sich durch die Kinofrei-
beuter nicht irritieren lassen.

In der Debatte um das neue FFA darf das Thema
Raubkopien nicht unerwähnt bleiben. Eine Geißel für
alle Filmschaffenden, für alle Kreativen! Die Internet-
piraterie ist unverändert eines der Hauptprobleme der
Filmwirtschaft. Der Film in Deutschland erleidet
durch Piraterie bittere Einnahmeverluste in Höhe von
mindestens 100 Millionen Euro jährlich, weil
„schwarz“ kopiert wird mit hoher krimineller Energie.
Vor allem Special-Interest-Filme bzw. Filme mittlerer
Größe sind davon betroffen. Auf jeden zahlenden
Kinobesucher kommt nach Erkenntnissen der SPIO
mittlerweile ein illegaler Download.

Die Kreativen werden dadurch besonders geschä-
digt. Diese Einschätzung von Manuela Stehr, der
Vorsitzenden des Verbandes, teilen wir. Wir von der
Union anerkennen das Engagement der SPIO für ein
modernes Urheberrecht, das die Leistung der Kreati-
ven würdigt. Wir erwarten, dass der 3. Korb zur Urhe-
berrechtsreform endlich umgesetzt wird. Die Initiati-
ven dazu vonseiten des Staatsministers Neumann wie
vom Parlamentarischen Staatsekretär Hans Joachim
Otto finden unsere volle Unterstützung.

Wer auch von der Filmförderung gut hat, neben an-
deren Institutionen, ist auch das Flaggschiff der Film-
geschichte unseres Landes, die Deutsche Kinemathek.
Sie konnte jetzt ihren 50. Geburtstag feiern. Seit 1963
kümmert sie sich um die Archivierung und Vermittlung
der deutschen Filmgeschichte. Sie trägt in hervorra-
gender Weise unter Leitung von Rainer Rother und sei-
nen Mitarbeitern zum Erhalt unseres kulturellen Erbes
bei. Die Deutsche Kinemathek ist Filmmuseum, Ar-
chiv, Verleih und vieles mehr. 2006 eröffnete die Kine-
mathek die Ständige Ausstellung zum Fernsehen. Seit
1977 erstellt sie die Retrospektive-Reihen der
Berlinale. Der Bundestag fördert die Stiftung Deutsche
Kinemathek mit 8,7 Millionen Euro.

Weitere Mittel fließen in den Erhalt und die Digita-
lisierung des filmischen Erbes. Dieser Aufgabe widmet
sich der Kinematheksverbund, in dem die Deutsche
Kinemathek zusammen mit dem Bundesarchiv-Filmar-
chiv und dem Deutschen Filminstitut Frankfurt her-
Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)

vorragende Arbeit leistet. Auch die FFA beteiligt sich
an der Sicherung des Filmerbes. Ihre Kernkompetenz
ist jedoch die jährliche Filmförderung mit mehr als
100 Millionen Euro. Ihr Präsidium wie der Verwal-
tungsrat entscheiden über die Umsetzung der Filmab-
gabe.

Wir halten eine flexiblere Handhabung der Sperr-
fristen ebenso für notwendig wie die Berücksichtigung
der Kreativen im Präsidium sowie eine Stärkung des
Vorstandes. Es muss in Zukunft sichergestellt werden,
dass das Präsidium, demokratisch vom Filmparlament
gestützt, bei Konfliktfragen die abschließende Ent-
scheidung haben muss.

Wer will, dass der Film in Deutschland als Kultur-
wie auch als Wirtschaftsgut eine gute Perspektive be-
kommen soll, der wird aufgefordert, dem neuen FFG
zuzustimmen.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1722539400

An den deutschen Kinokassen klingelte es 2012 wie

nie zuvor. Leider trug der deutsche Film anders als
2011 weniger dazu bei. Dass aber auch das Filmge-
schäft zyklischen Einflüssen unterliegt, beweist der
Start ins Jahr 2013, der sehr verheißungsvoll stimmt:
Den „Schlussmacher“ wollten in sieben Wochen fast
zweieinhalb Millionen Zuschauer sehen. Mit Til
Schweigers „Kokowääh II“ steht aktuell ein deutscher
Film auf Platz 1 der Kinocharts.

Die internationalen Festivalerfolge deutscher
Filme in den vergangenen Jahren, das gestiegene aus-
ländische Interesse an deutschen Filmen und Serien,
vor allem aber das wachsende Engagement von deut-
schen Produzenten und Schauspielern in internatio-
nalen Koproduktionen zeugen grundsätzlich von einem
selbstbewussten und erfolgreichen Filmstandort
Deutschland. Diese Erfolge sind unmittelbare Folge
des über Jahrzehnte fortentwickelten nationalen För-
derungsrahmens, der in Europa seinesgleichen sucht.
Er ist gerade in jüngeren Jahren Folge der zusätzli-
chen gezielten Förderung durch die christlich-liberale
Bundesregierung.

Die Deutsche Filmförderung ist eine langfristige,
kontinuierliche Unterstützung, die sich von zyklischen
Betrachtungen kurzfristig nicht beeinflussen oder beir-
ren lässt. Dafür sorgen die verschiedenen Säulen, die
sie tragen. Neben dem Deutschen Filmförderfonds und
der beachtlichen Länderförderung ist die Filmförder-
anstalt, eine Organisation der Filmwirtschaft, das
Kernelement, weil der wirtschaftliche Garant der
Filmförderung. Dank der in wirtschaftlicher wie in
technischer Hinsicht fortschreitenden Dynamik der
Branche muss jedoch regelmäßig hier und dort nach-
justiert werden.

Wir diskutieren daher heute den Entwurf eines
7. Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes,
der Rechtsgrundlage für die Einrichtung der FFA. Das
FFG nimmt alle beteiligten Branchenbereiche, die das
Produkt „Film“ verwerten, in die Pflicht, einen ange-

messenen Beitrag zur Erhaltung und Förderung des
deutschen Films zu leisten. Die FFA finanziert sich au-
tark mittels einer Filmabgabe durch die beteiligten
Verwerter. Das sind die Kinos, Unternehmen der Vi-
deowirtschaft einschließlich Onlineanbieter, Fernseh-
veranstalter und Vermarkter von Pay-TV-Program-
men. Diese Abgabe ist nach dem geltenden FFG bis
zum 31. Dezember 2013 befristet. Mit dem vorliegen-
den Entwurf wollen wir deren Erhebung fortführen, um
hierdurch die Finanzierung der FFA weiterhin zu si-
chern.

Gerne hätten wir die aktuelle Novelle bereits für
eine grundsätzliche Überarbeitung des gesamten Ab-
gabensystems genutzt, um hier für noch mehr Gerech-
tigkeit zu sorgen. So war beispielsweise eine Heranzie-
hung auch der Telekommunikationsanbieter, der
sogenannten Access Provider, die Filminhalte durch-
leiten, angedacht, mit den gegenwärtigen Vorgaben
der Europäischen Kommission jedoch nicht vereinbar.
Auch vor dem Hintergrund der ausstehenden Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts zum Abgaben-
system sind tief greifende Änderungen mit einem un-
kalkulierbaren und daher zu vermeidenden Risiko
verbunden. Sowohl diese juristisch unsichere Entwick-
lung, aber auch die zu erwartenden dynamischen wirt-
schaftlichen und technischen Marktentwicklungen las-
sen es sinnvoll erscheinen, das ab 2014 geltende FFG
zunächst auf nur zweieinhalb Jahre statt bisher fünf zu
befristen. Auf diese Weise können wir kurzfristige Er-
eignisse schneller und sachgerechter aufbereiten und
das System gegebenenfalls flexibler anpassen.

Die Dynamik der Marktentwicklung hängt zweifels-
ohne auch mit der fortschreitenden Digitalisierung im
Filmbereich zusammen. Standen in den vergangenen
Jahren insbesondere die Kinos im Fokus unserer Digi-
talisierungsoffensive, so nehmen wir mit der heutigen
Novelle nun auch die Digitalisierung des Filmerbes
explizit in den Aufgabenkatalog der FFA auf. Bei der
Weiterentwicklung der technischen-digitalen Abspiel-
möglichkeiten dürfen wir nicht vergessen, die Klassi-
ker des deutschen Films so zu formatieren, dass diese
auch in Zukunft noch wirtschaftlich ausgewertet und
öffentlich zugänglich gemacht werden können. Hier
besteht seitens des Publikums weiterhin ein großer Be-
darf. Damit nehmen wir aber auch die Filmbranche in
die Verantwortung, einen substanziellen Beitrag dazu
zu leisten, damit das Filmerbe nicht nur in den auf di-
gitales Abspiel umgerüsteten Kinos, sondern auch auf
den weiteren Verwertungsstufen, insbesondere Video
und Fernsehen, weiterhin gezeigt werden kann.

Mit der Novelle des FFG wird ferner die Teilhabe
behinderter Menschen an geförderten Filmen verbes-
sert. Künftig – und dafür hatten wir bereits in einem
entsprechenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP geworben – muss von allen FFA-geförderten
Filmen auch eine barrierefreie Fassung mit Audio-
deskription für sehbehinderte Menschen und Unterti-
teln für hörgeschädigte Menschen hergestellt werden.
Trotz Sensibilisierung der relevanten Akteure der
Zu Protokoll gegebene Reden





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)

Filmbranche, der Videowirtschaft und der Rundfunk-
anstalten für eine Notwendigkeit der barrierefreien
Ausstattung von Filmen ist die aktuelle Zahl der ent-
sprechend ausgestatteten Filme übersichtlich. Die be-
stehenden Fördermöglichkeiten, unter anderem seit
der letzten Novelle des FFG, wurden fast überhaupt
nicht genutzt. Angesichts des Anteils der mit einer Be-
hinderung lebenden Menschen in Deutschland von
über zehn Prozent ist dies ein unhaltbarer Zustand. Mit
dem neuen Entwurf wird jeder Produzent, der öffentli-
che Förderung erhält, verpflichtet, barrierefreie Fas-
sungen seines Films zu erstellen. Die Einführung die-
ses gesetzlichen Zwangs begrüßen wir ausdrücklich.

Ebenso stärkt die FFG-Novelle den Bereich des
deutschen Kinderfilms. Schon heute können Kinder-
filme im Rahmen der allgemeinen Förderung durch die
FFA unterstützt werden. Aber auch hier ist die tatsäch-
liche Inanspruchnahme von Förderungen wenig aus-
geprägt. Um künftig ein größeres Augenmerk auf
Kinderfilmprojekte, die sich der Gegenwart und Le-
benswirklichkeit von Kindern in besonderem Maße
widmen, zu richten, sollen im Rahmen der Projektfilm-
förderung in angemessenem Umfang auch Kinder-
filme, die auf originären Stoffen beruhen, gefördert
werden. Angesichts der großen Qualität des deutschen
Kinderfilms hatten wir die Forderung nach einer
grundsätzlichen Stärkung des Kinderfilms bereits in ei-
nem Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und
FDP formuliert. Die Verfilmungen bekannter Kinder-
bücher und Märchen sind auch heute noch an den
Kinokassen erfolgreich und im Fernsehen zu sehen.
Allerdings werden Filme mit zeitgenössischen Stoffen
immer seltener. Die FFA hat in den vergangenen drei
Jahren 31 Kinderfilme gefördert. Von diesen hatten je-
doch nur vier einen originären Stoff zum Thema. Das
FFG schafft an dieser Stelle wichtige neue Anreize.

Ich freue mich auf das parlamentarische Verfahren.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1722539500

Das Kinojahr in Deutschland hat ausgezeichnet

begonnen. Gerade was den deutschen Film betrifft,
können wir sehr zufrieden sein. Es gibt schon zwei
Besuchermillionäre und zahlreiche andere deutsche
Produktionen mit beeindruckenden Zahlen. Die
Palette reicht von gut gemachter Unterhaltung bis zu
anspruchsvollem Arthouse-Film. Das ist echte Kino-
vielfalt.

Aber nicht nur der ökonomisch orientierte Blick auf
den Kinomarkt stimmt zuversichtlich. Auch auf inter-
nationalem Parkett hält der Erfolg des deutschen
Films an. Bei der Oscar-Verleihung am vergangenen
Sonntag hat er wieder einen glänzenden Auftritt hinge-
legt. Die deutsch-österreichisch-französische Kopro-
duktion „Liebe“ von Regisseur Michael Haneke unter
Beteiligung der deutschen X-Filme von Stefan Arndt
hat den Oscar für den besten nicht englischsprachigen
Film bekommen. Auch von dieser Stelle meinen herzli-
chen Glückwunsch zu diesem Erfolg!

Diese beeindruckende Zwischenbilanz für den deut-
schen Film ist aber nicht vom Himmel gefallen. Sie ist
natürlich zuallererst der Kreativität, dem Ideenreich-
tum und auch dem unternehmerischen Mut in der
Filmbranche zu verdanken. Aber möglich wurde das
letztlich erst durch unser Filmförderungssystem in
Deutschland. Das steht mit den Standortförderungen
der Länder, dem Deutschen Filmförderungsfonds,
DFFF, der BKM-Förderung und der Filmförderungs-
anstalt, FFA, auf mehreren Beinen. Unbestritten ist,
dass die FFA-Förderung dabei ein unverzichtbarer
Pfeiler in diesem System ist.

Es ist kein Geheimnis, dass die Filmförderung in
den vergangenen Jahren in unruhige Gewässer gera-
ten ist. Immer noch ist das sichere Ufer nicht erreicht;
denn wir warten auf das ausstehende Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts zur Kinoklage. Davon hängt
nichts weniger als die Zukunft der FFA ab. Egal wie
der Richterspruch ausfällt, dann wird ein Neuanfang
nötig sein; denn unübersehbar hat die Solidarität in
der Branche durch die jahrelangen Klagen und Vorbe-
halte gelitten. Viel Unzufriedenheit hat sich aufge-
staut.

Wenn Karlsruhe gesprochen hat, werden wir das
FFG auf neue Füße stellen müssen. Deshalb ist es be-
sonders wichtig, dass wir mit der siebten FFG-Novelle
diese Phase der Ungewissheit überbrücken und schon
ein paar Pflöcke für die Zeit nach dem Urteil einschla-
gen. Unter dieser Maßgabe kann der Vorschlag der
Bundesregierung, den wir heute beraten, nicht zufrie-
denstellen. Da wäre mehr möglich gewesen.

Uneingeschränkt zu begrüßen ist es, dass künftig
auch Video-on-Demand-Anbieter, die ihren Sitz im
Ausland haben, zur Abgabe herangezogen werden
sollen. Das ist dringend erforderlich, um die Markt-
verzerrungen zuungunsten der deutschen Anbieter
endlich zu korrigieren. Ich kann nur hoffen, dass die
Vereinbarkeit mit der EU-Richtlinie über audiovisuelle
Mediendienste nicht in Zweifel gezogen wird. Dann ist
die angedeutete Klagebereitschaft der betroffenen Un-
ternehmen gegenstandslos. Denn wir wollen doch dem
Prinzip, auf dem das FFG beruht, weiterhin Geltung
verschaffen, wonach sich jeder an den Abgaben betei-
ligen muss, der am deutschen Film verdient.

Genau aus diesem Grund bleibt die Novelle in ei-
nem entscheidenden Punkt hinter dem Erforderlichen
zurück. Denn die rasanten technologischen Verände-
rungen der vergangenen Jahre haben dazu geführt,
dass sich neue Anbieter auf den Kommunikations-
märkten etabliert haben, national wie international.
Dabei profitieren die großen Plattformen, die Internet-
und Kabelzugangsanbieter direkt oder indirekt davon,
dass sie deutsche Kinofilme durch ihre Netze leiten und
damit Umsatz machen. Deshalb lautet die Forderung
meiner Fraktion: Auch diese neuen Akteure müssen
mit einer Abgabe für die Filmförderung in Deutsch-
land herangezogen werden.
Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Krüger-Leißner


(A) (C)



(D)(B)

Frankreich ist da bereits deutlich weiter als wir und
hat entsprechende Abgaben vorgesehen. Auch Portu-
gal hat solche Pläne. Mir ist nicht entgangen, dass
Brüssel die Notifizierung für Frankreich seit über ei-
nem Jahr hinauszögert, weil die Wettbewerbskommis-
sion ihre schützende Hand über die Access-Provider
hält. Dagegen hat die EFAD, die Vereinigung der euro-
päischen Filmförderungseinrichtungen, darunter auch
die FFA, geschlossen Protest bei der Kommission ein-
gelegt.

Selbst wenn Brüssel noch kein grünes Licht gibt,
halte ich es für erforderlich, dass man mit den Zu-
gangsanbietern Gespräche aufnimmt, die zumindest
einen freiwilligen Beitrag an die FFA zum Ziel haben.
So haben wir es doch auch mit den Sendern gehalten.
Inzwischen sind sie in die gesetzliche Abgabe einbezo-
gen. Mit der letzten, der sogenannten kleinen FFG-
Novelle, haben wir das beschlossen.

In einem weiteren Punkt nutzt der vorliegende Ge-
setzentwurf nicht die Gelegenheit zu einer Verbesse-
rung, die mir und meiner Fraktion besonders wichtig
ist: Immer wieder kommt es bei den Dreharbeiten zu
Verstößen gegen soziale und tarifliche Standards. Vor-
geschriebene Ruhezeiten werden nicht eingehalten,
Überstunden bleiben unbezahlt, und immer wieder
werden den Filmschaffenden Dumpinglöhne zugemu-
tet. Wenn das da passiert, wo öffentlich gefördert wird,
dann ist es unsere politische Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass das abgestellt wird. Um es ganz klar zu
sagen: Bei öffentlich geförderten Produktionen müssen
die sozialen Standards eingehalten werden.

Schon bei der letzten großen FFG-Novelle habe ich
mich für eine entsprechende Regelung eingesetzt. Da
waren wir in der Großen Koalition, und herausgekom-
men ist ein Kompromiss, der in der Praxis nicht funk-
tioniert hat, wie wir heute wissen. Die Verstöße gab es
nicht nur bei Low-Budget-, Nachwuchs- oder Kurz-
filmproduktionen, wie immer wieder angenommen
wird. Deshalb müssen wir bei der laufenden Novelle
nachlegen. Beim FFG ist das allerdings gar nicht so
einfach. Hier werden auch deutsche Koproduktionen
mit internationaler Beteiligung gefördert. Das EU-
Recht – genauer gesagt: die Entsenderichtlinie und die
zu erwartende neue Kinomitteilung – verbietet, dass
nationale Standards auch für ausländische Produzen-
ten verbindlich gemacht werden. Ich bin in Gesprä-
chen, einen Weg zu finden, bei dem zwar keine Sanktio-
nen greifen, der aber doch für eine große Transparenz
sorgen könnte und damit den Druck auf das Einhalten
von Standards deutlich erhöht. Wir werden einen ent-
sprechenden Änderungsantrag einbringen.

Änderungen halten wir auch im Bereich des Film-
erbes für erforderlich. Das FFG ist ein zentrales In-
strument, um auch die Branche stärker für den Erhalt
unseres Filmbestandes zu motivieren. Der Gesetzent-
wurf sieht auch eine Beteiligung der Branche an der
Digitalisierung des alten Filmerbes vor; das ist gut,
reicht aber nicht aus. Denn ungelöst bleibt weiter die
Frage der Langzeitsicherung der geförderten und zu

hinterlegenden Gegenwartsproduktionen. Das muss
gemeinsam mit der Branche geleistet werden. Deshalb
muss die Sicherung geförderter Filme in den Förder-
richtlinien von Anfang an mitgedacht werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammen-
hang: Die nachhaltige Bewahrung der geförderten
Filme setzt voraus, dass nicht nur, wie bisher, eine ar-
chivfähige Kopie hinterlegt wird, sondern gesichert
werden muss auch das digitale Master, das alle Daten
der Produktion ohne Abstriche umfasst; natürlich erst
nach einer gewissen Auswertungsfrist.

Eine eher technische Änderung am Gesetzentwurf
halten wir für geboten, was die vorgesehene Laufzeit
der Novelle betrifft. Nach jetzigem Stand soll das Ge-
setz statt der üblichen fünf Jahre nur zweieinhalb
Jahre gelten; das hängt mit dem ausstehenden Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zusammen. Das ist für
die Antragsteller aus der Branche abrechnungstech-
nisch äußerst ungünstig, weil hier mit Jahresabschlüs-
sen operiert wird. Die Beantragung von Fördermitteln
würde also unnötig kompliziert gemacht. Wir empfeh-
len also dringend, die Laufzeit auf zwei oder drei Jahre
festzulegen.

Auch mit der Kinoförderung werden wir uns im
Zusammenhang mit der Novelle noch einmal beschäf-
tigen müssen. Hintergrund ist das aktuelle Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin, das erfreulicherweise
unsere Digitalisierungsförderung für die Kriterien-
kinos bestätigt hat. Allerdings hat es zugleich die
Kinoförderung nach § 56 FFG auch für die digitale
Zweitausstattung geöffnet. Das werden wir uns noch
einmal genau anschauen und gegebenenfalls bei der
Novellierung mit berücksichtigen.

Wir sehen: In der Novelle steckt noch ein ganzes
Stück Arbeit. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält
viele sinnvolle Ansätze. Da sind vor allem zu nennen:
die Verpflichtung der geförderten Produzenten und
Verleiher, barrierefreie Fassungen der geförderten
Produktionen bereitzustellen, also Filme mit Untertite-
lungen für hörgeschädigte und mit Audiodeskription
für sehbehinderte Mitmenschen zu versehen.

Ausdrücklich zu begrüßen ist die verbesserte Förde-
rung von Kinderfilmen, die auf originären Stoffen be-
ruhen. In anderen Punkten muss allerdings noch nach-
gelegt werden; ich habe das oben ausgeführt.

Wir werden unseren Beitrag dazu leisten und hoffen,
am Ende im Interesse der Filmförderung in Deutsch-
land wieder zu einer einvernehmlichen Novellierung
unseres Filmförderungsgesetzes zu kommen.


Dr. Claudia Winterstein (FDP):
Rede ID: ID1722539600

Die 63. Berlinale war wieder einmal ein überwälti-

gender Erfolg für das Publikumsfestival. Die langen
Schlangen vor den Kinokassen belegten erneut, dass
die Internationalen Filmfestspiele Berlin nach wie vor
das Publikum begeistern. Mit etwa 300 000 verkauften
Eintrittskarten wurde eine neue Rekordmarke auf-
gestellt; ganz Berlin war zehn Tage regelrecht im
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Claudia Winterstein


(A) (C)



(D)(B)

Kinorausch. Das Drama „Child’s Pose“ von Calin
Peter Netzer erhielt zu Recht den Goldenen Bären für
den besten Film. Auch der deutsche Film war wieder
zahlreich und mit herausragenden Produktionen auf
dem Festival vertreten.

Wir können insgesamt auf ein erfolgreiches Kino-
jahr 2012 zurückblicken. Die Kinos haben mit über
1 Milliarde Euro Umsatz die höchsten Einnahmen ih-
rer Geschichte erzielt; so die Zahlen der Filmförde-
rungsanstalt, FFA, die kurz vor der Berlinale veröf-
fentlicht wurden. Nach Aussagen der FFA hat die von
Bund und Ländern getragene Digitalisierungsförde-
rung der Kriterienkinos zu diesem Erfolg beigetragen.
Aktuell hat die FFA 1 000 Anträge auf Digitalisie-
rungsförderung mit einem Gesamtvolumen von 10 Mil-
lionen Euro bewilligt.

Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf
eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Filmförde-
rungsgesetzes hat das Ziel, die Leistungsfähigkeit und
die Strukturen der deutschen Filmwirtschaft weiter zu
verbessern und das Gesetz den neuesten technischen
und wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Wir
werden die Erhebung der Filmabgabe zunächst einmal
auf zweieinhalb Jahre befristen und nicht wie bei vor-
hergehenden Verlängerungen auf fünf Jahre. Damit
tragen wir den sich durch den technischen Wandel ab-
zeichnenden hochdynamischen Marktveränderungen
Rechnung. Eine zeitnahe Evaluation in eineinhalb
Jahren wird nötig werden und, sofern die Überprüfung
dies ergeben sollte, gegebenenfalls eine Anpassung
des Abgabensystems bei der nächsten Novelle notwen-
dig machen.

Ein ganz wichtiger Punkt im vorliegenden Gesetz-
entwurf ist für die Koalition, aber auch fraktionsüber-
greifend die bessere Teilhabe behinderter Menschen
an den geförderten Filmen. Circa 1,2 Millionen blinde
und sehbehinderte Menschen sowie weitere Millionen
gehörlose, schwerhörige und ertaubte Menschen in
Deutschland können das Filmerlebnis nur einge-
schränkt erleben, da das Angebot von barrierefreien
Filmen in Deutschland bisher leider sehr gering ist.

Aus Art. 30 der UN-Behindertenrechtskonvention
ergibt sich, dass Kunst und Kultur sich ohne Abstriche
auch für Menschen mit Behinderungen erschließen
lassen müssen. Das schließt den Film mit ein. So ist es
nur folgerichtig, dass in den Katalog der zwingenden
Fördervoraussetzungen durch § 15 Abs. 1 Ziffer 7 die
Anfertigung einer barrierefreien Fassung – Audio-
deskription und mit deutschen Untertiteln – aufgenom-
men wurde. Positiv ist auch zu bewerten, dass Kino-
modernisierungsmaßnahmen, die der Herstellung von
Barrierefreiheit dienen, zukünftig als Zuschüsse und
nicht als Darlehen vergeben werden.

Zu begrüßen ist auch, dass der fraktionsübergrei-
fende Wunsch nach der neuen Aufgabenfestschreibung
der FFA hinsichtlich des Filmerbes im Gesetzentwurf
festgeschrieben ist. Es ist gut, dass Maßnahmen zur
Digitalisierung und zur Zugänglichmachung des deut-

schen Filmerbes als neue Kernaufgabe der FFA in den
Katalog aufgenommen wurden, und zwar in § 2 Abs. 1
Ziffer 3. Bereits im Jahr 2012 förderte die FFA die
Digitalisierung des Filmerbes mit 1 Million Euro im
Jahr.

Auch die neuen Regelungen zum Kinderfilm in § 32
Abs. 1 FFG passen gut zu den Forderungen der Koali-
tionsfraktionen, wonach im Rahmen der Projektfilm-
förderung auch Kinderfilmprojekte, die auf Original-
stoffen beruhen, in angemessenem Umfang gefördert
werden sollten.

Des Weiteren erachten wir eine Flexibilisierung der
Sperrfristen für die Video-on-Demand-Auswertung,
die mit den Sperrfristen für die Verwertung auf DVD
gleichgesetzt wurde, als äußerst positiv. Wichtig ist
aber, dass an der Exklusivität der Kinoauswertung
festgehalten wurde und beide Produkte erst sechs
Monate nach der Erstaufführung im Kino heraus-
gebracht werden dürfen.

Im Ausschuss zu diskutieren ist gegebenenfalls noch
über die angebrachten Kritikpunkte bei einigen
Gremienänderungen. Zudem sollte, entsprechend dem
Antrag der Koalition mit dem Titel „Originäre Kinder-
filme aus Deutschland stärker fördern“ auf Drucksa-
che 17/12381, eine Verlängerung des Zeitraums zur
Erreichung von 25 000 Zuschauern von zwei auf drei
Jahre in der Referenzfilmförderung in § 23 Abs. 1 FFG
geprüft werden.

Wir freuen uns auf die gemeinsame Beratung im
Ausschuss und nehmen die Kritikpunkte der Kollegen
aus den anderen Fraktionen zur Kenntnis. Lassen Sie
uns all dies in einer Anhörung erörtern.


Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722539700

Der Entwurf des Siebten Gesetzes zur Änderung des

Filmförderungsgesetzes, FFG, wirft einige Fragen auf,
die für die Fraktion Die Linke ungeklärt sind. Es
handelt sich dabei durchweg um Punkte, die von der
Koalition entweder gar nicht mehr oder in merkwürdig
geringschätzender Weise berücksichtigt werden. Film-
förderung heißt ja nicht in erster Linie Marktförde-
rung, sondern ohne Wenn und Aber Kulturförderung,
die nun einmal als gesamtgesellschaftliche Maßgabe
auch gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen entspre-
chen muss. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzent-
wurf nicht hinreichend durchdacht oder offensichtlich
bewusst fahrlässig konzipiert. Konkret geht es uns
dabei um Folgendes:

In den Aufgaben der Filmförderungsanstalt, FFA,
findet sich unter § 2 Abs. 1, 2, 5 und 6 – Förderung,
Strukturverbesserung, gesamtwirtschaftliche Belange
sowie internationale Zusammenarbeit und Koopera-
tion mit Rundfunkanstalten – keine angemessene
Berücksichtigung der Beschäftigungssituation von
Kreativschaffenden in der Filmbranche. Hier besteht
die Linke, im Übrigen im Einklang mit der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und weiteren Inte-
ressenverbänden der Beschäftigten, auf zusätzlichen
Zu Protokoll gegebene Reden





Kathrin Senger-Schäfer


(A) (C)



(D)(B)

Vereinbarungen im Rahmen des FFG, um eine signifi-
kante Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu ge-
währleisten.

In der Antwort der Bundesregierung auf die Befra-
gung zur Novellierung des FFG nach dem Kabinetts-
beschluss führte der BKM, Staatsminister Neumann,
hier im Plenum am 7. November 2012 mir gegenüber
aus, dass meine Fraktion dahin gehend auf das falsche
Gesetz abzielen würde. Das sehen wir definitiv anders.
Das FFG als Steuerungsinstrument zur Förderung der
Filmkultur in Deutschland kann nicht von denjenigen
absehen, die überhaupt erst mit ihren Ideen, Fähig-
keiten und professionellen Fertigkeiten das Produkt
Film erzeugen, das dann der Verwertung zugeführt
wird, um für Produzenten und Filmverleiher Gewinne
abzuwerfen.

Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit über die
schlechte Bezahlung der Kreativen im Film- und Fern-
sehbereich debattiert. Auch, dass etwas Nachhaltiges
für sie getan werden muss, ist eigentlich Konsens.
Wenn dann aber, wie jetzt, die konkrete legislative
Umsetzung ansteht, bleiben die Beschäftigten wieder
auf der Strecke. Das ist für die Linke untragbar und be-
darf einer sofortigen Neujustierung im FFG.

Das Gleiche gilt für den Wegfall der Förderung der
filmberuflichen Weiterbildung, die in früheren Fassun-
gen des FFG unter § 59 immerhin als strukturelle
Einzelregelung erkennbar war. Im Gesetzentwurf der
Bundesregierung wird lapidar die Aufhebung des Pa-
ragrafen verfügt. Der BKM begründete die Streichung
bereits am 29. Juni 2012 nach der Vorstellung des
Referentenentwurfes damit, „dass die Förderung der
Weiterbildung mit Blick auf die Kernaufgaben der FFA
vergleichsweise wenig Wirkung zeigt, insbesondere
wegen der starken Zersplitterung der für diesen För-
derzweck zur Verfügung stehenden Mittel“, vergleiche
Begründung BKM-Referentenentwurf FFG 2014,
29. Juni 2012, Seite 24. Diese Begründung ist schwer
einzusehen. Die Kernaufgaben der FFA bestehen doch
nach § 2 FFG unter anderem in der Förderung des
deutschen Films als Kulturgut und in der
Unterstützung der gesamtwirtschaftlichen Belange des
Films, wobei unter die gesamtwirtschaftlichen Be-
lange eben auch im Normalfall die Verpflichtung zum
Angebot filmberuflicher Weiterbildungsmaßnahmen
gefasst werden muss. Wir von der Linken sind jeden-
falls davon überzeugt, dass die Weiterbildung Bestand-
teil der Filmförderung sein sollte, und halten daher die
ersatzlose Streichung von § 59 für ein völlig falsches
Signal.

Das FFG ist darüber hinaus in Bezug auf die
Digitalisierung des Filmerbes deutlich zu stärken und
viel präziser auszurichten. Eine bloße Aufnahme die-
ses Titels in den Aufgabenkatalog der FFA wird nicht
genügen. Ebenso hat der Koalitionsantrag zum Thema
„Originäre Kinderfilme“ aufgezeigt, dass in den
§§ 15, 23 und 53 FFG auf diesem Spezialfeld Nach-
besserungen durchzuführen sind. Ich habe an anderer
Stelle in Reden zu beiden Themen für meine Fraktion

das Nötige gesagt und weise hier erneut auf unsere
plausiblen Finanzierungsvorschläge hin.

Letzten Endes wartet der Gesetzentwurf noch mit ei-
ner erstaunlichen Regelung auf: Der § 75 Abs. 1 legt
das Auslaufen der jetzigen Novellierung des FFG auf
den 30. Juni 2016 fest. Das bedeutet eine Verkürzung
der Gültigkeitsdauer um die Hälfte von fünf auf zwei-
einhalb Jahre. Zusätzlich dazu soll spätestens bis zum
30. Juni 2015 ein Evaluierungsbericht zur Entwick-
lung des Abgabeaufkommens erarbeitet und veröffent-
licht werden. Zur Begründung führt die Bundesregie-
rung an, dass die Halbierung der Befristung sich
abzeichnenden Marktveränderungen geschuldet ist,
die vor allem durch den technischen Wandel bedingt
sind und die gegebenenfalls eine Anpassung des Abga-
besystems erforderlich machen. Auch die Folgen der
neuen Rundfunkgebühr könnten danach Änderungen
an den Abgabemaßstäben hervorrufen.

Ich finde, dass diese Begründungszusammenhänge
nicht überzeugend sind. Wenn man die beschriebenen
möglichen Effekte bereits ahnt oder sogar voraussieht,
dann hätte sich ihre Berücksichtigung doch im Gesetz-
entwurf selbst niederschlagen können. Evaluierungen
sind ja gut und schön, sofern sie mit einer bestimmten
Zielvorgabe ausgestattet werden. Hier jedoch wird
höchst vage auf einen technischen Wandel zurück-
gegriffen, der sich sowieso abspielt und der für mich
eher als Ausrede erscheint, damit allein die Verwer-
tungsmodalitäten in einem kürzeren Zeitabschnitt ver-
feinert werden können.

Verräterisch wirkt der Hinweis auf die Folgen der
Haushaltsabgabe des öffentlich-rechtlichen Rund-
funks. Offensichtlich ist sich die Koalition bewusst,
dass die Rundfunkgebühr in ihrer derzeitigen Form
unter Umständen keine positiven Rückkopplungen auf
die Filmwirtschaft haben wird. Die Verkürzung des
Geltungszeitraums ist aber unseres Erachtens auch
ganz allgemein problematisch, weil Planungsunsi-
cherheiten entstehen und der Novellierungsprozess un-
verhältnismäßig die verknappte Geltungsdauer über-
lagert.

Ohne substanzielle Änderungen ist daher der vor-
gelegte Entwurf des FFG für die Linke nicht zustim-
mungswürdig.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Die Filmförderung des Bundes ist ein unverzicht-
bares Element in der deutschen Filmförderlandschaft.
Bei allem Reformbedarf im Detail steht diese Filmför-
derung für uns Grüne nicht zur Disposition. Und ich
möchte sehr betonen, dass wir hier in engem Schulter-
schluss mit den anderen Fraktionen des Hauses ste-
hen – und auch mit den Ländern. Wir werden die Film-
förderung des Bundes nicht kaputtmachen lassen, auch
von einer Klagewelle nicht, die von großen Kinoketten
losgetreten wurde. Dazu ist dieses Förderinstrument
zu wichtig: als Faktor in einem Wirtschaftsbereich, der
von besonderen Herausforderungen und Risiken ge-
Zu Protokoll gegebene Reden





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)

prägt ist und eine große Bedeutung für die kulturelle
Identitätsbildung und die ästhetische Kommunikation
hat.

Wir sind für eine starke Filmförderung des Bundes
und für eine Novellierung des FFG, die die Stell-
schrauben in Richtung Qualität und Nachhaltigkeit
dreht. Und das heißt vor allem die Weiterentwicklung
der eigenen Handschrift – für eine Unterscheidbarkeit
des deutschen und europäischen Kinos in der interna-
tionalen Film- und Kinowelt.

Deswegen stellen wir Qualitätsfragen nach vorne.
Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch wollen wir
hochwertige Produkte, Filme, die anspruchsvollen
Maßstäben genügen. Hier liegt die Zukunft und nicht
in einer Nivellierung des Angebots. Hohe künstleri-
sche und kulturelle Maßstäbe sind eine entscheidende
Grundlage für den langfristigen wirtschaftlichen Er-
folg des deutschen und europäischen Films.

Deswegen halten wir die Absenkung der möglichen
Referenzpunkte für Filme, die mit Auszeichnungen ver-
sehen wurden, für problematisch. Denn hiermit werden
„Exzellenz“-Kriterien abgesenkt, was auch mit Blick
auf den zuletzt schweren Stand deutscher Filme bei
großen internationalen Filmfestivals falsche Anreize
schafft.

Problematisch ist auch, dass die von uns Grünen zu-
sammen mit vielen Kreativen im Filmbereich gefor-
derte Beteiligung der Kreativen an der Referenzfilm-
förderung nicht berücksichtigt wird. Eine solche
Einbeziehung wäre wichtig, gerade um erfolgreiche
Drehbuchautoren und Regisseure langfristig an den
Kinofilm zu binden und ihre Abwanderung in Bereiche,
die kontinuierlichere Verdienstmöglichkeiten bieten,
zu verhindern.

Ein Problem sehen wir auch in der Sperrfristverkür-
zung für die Fernsehauswertung von geförderten
Filmen von zwölf auf sechs Monate. Damit wird die
Anzahl von sogenannten Amphibienproduktionen noch
vergrößert. Mittel aus dem Bereich der Filmförderung
werden noch stärker in den Bereich von Fernseh-
produktionen abfließen.

Der Wegfall der Förderungshilfen für die Fortent-
wicklung von Drehbüchern und auch von Fördermaß-
nahmen zur Weiterbildung sowie für Forschung, Ra-
tionalisierung und Innovation sollte noch einmal
überdacht werden, auch wenn die Nachfrage nach den
entsprechenden Förderungen teilweise nicht ausrei-
chend war. Angesichts der Qualitätsanforderungen
und der großen Umbrüche im Filmbereich werden ge-
rade diese Bereiche immer wichtiger.

Wir sollten darüber nachdenken, wie diese Mittel
sinnvoll für die vorgesehenen Zwecke eingesetzt wer-
den können. Bei der Drehbuchförderung sollten die
Kreativen die Möglichkeit erhalten, ihre Projekte
selbstständig bei der FFA einzureichen. Auch interne
Veränderungen in der FFA sind sinnvoll, etwa ver-
stärkte Kompetenzen der Unterkommission „Dreh-
buch“ bei der Drehbuchfortentwicklung.

Wir begrüßen, dass die Novelle Maßnahmen zur
Förderung der Digitalisierung und der Zugänglich-
machung des Filmerbes beinhaltet. Auch das ist über-
fällig. Mit dem Antrag „Umfassende Initiative zur
Digitalisierung des Filmerbes starten“, Bundestags-
drucksache 17/8353, hat die grüne Fraktion ja ein-
dringlich auf die Bedeutung des Themas hingewiesen.
Während der Beratungen des Kultur- und Medienaus-
schusses des Bundestags zum Thema im Dezember 2012,
Bundestagsdrucksache 17/11933, zeigte sich, dass die
Vorstellungen der Bundesregierung hier immer noch
viel zu vage und unkonkret sind.

Wir brauchen eine breite Digitalisierungsinitiative,
die alle Gruppen und Akteure in die Verantwortung
einbezieht – „Runder Tisch“ –, so wie das etwa in den
Niederlanden mit Erfolg geschehen ist. Die FFA muss
hierzu einen Beitrag leisten. Nötig sind schlüssige
Konzepte und ausreichende Finanzmittel, damit wir
rasch vorankommen und nicht weiter hinter Nachbar-
länder zurückfallen.

Wir begrüßen, dass nun auch eine Vertreterin bzw.
ein Vertreter der Kreativen Mitglied im Präsidium der
FFA sein soll. Auch das ist eine alte Forderung von uns
Grünen. Diese positive Entwicklung wird allerdings
durch die Streichung eines Sitzes der Kreativen in der
Vergabekommission wieder konterkariert, wobei die
AG „Kurzfilm“ ganz aus der Vergabekommission he-
rausfallen soll. Das kritisieren wir.

Auch die Übernahme des Vorsitzes der Vergabekom-
mission durch den FFA-Vorstand erscheint uns
fragwürdig, weil in dieser Kommission doch eher die
filmpraktischen Kompetenzen im Mittelpunkt stehen
sollen. Bei der Besetzung des Verwaltungsrates for-
dern wir eine Berücksichtigung aller Fraktionen des
Bundestages, was über grundständige Mandate oder
zumindest sprechberechtigte Stellvertreterinnen und
Stellvertreter erreicht werden kann.

Wir begrüßen schließlich, dass Audiodeskriptionen
für Menschen mit Sehbehinderungen und Untertitelun-
gen für Menschen mit Hörschäden nun verpflichtend
werden. Das ist ein großer Erfolg auch für unsere
grüne Initiative zum barrierefreien Film, Bundestags-
drucksache 17/8355, und die Initiative der filmpoliti-
schen Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen,
die in einem gemeinsamen Brief auf das Problem auf-
merksam gemacht haben. Ebenso begrüßen wir die
Verbesserungen bei der Herstellung von Barrierefrei-
heit von Kinos im Zuge von Modernisierungsmaß-
nahmen. Die Ausnahmeregelungen zu den nun vor-
gesehenen Regelungen dürfen allerdings zu keiner
Aufweichung bei den angestrebten Verbesserungen
führen.

Ein Problembereich der Filmförderung sind die
„originären“ Kinderfilme, also Filme, die sich auf un-
sere Lebenswirklichkeit beziehen und dabei nicht nur
Kinoadaptionen von bekannten Kinderbüchern oder
Märchenstoffen sind. Nur 4 der über 30 FFA-geförder-
ten Kinderfilme in den letzten drei Jahren waren in
dieser Weise „originär“. Ein Antrag der Koalition hat
Zu Protokoll gegebene Reden





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)

gerade auf diesen Missstand hingewiesen, Bundes-
tagsdrucksache 17/12381. Die dort vorgeschlagenen
Problemlösungen sind jedoch sehr inkonsequent.

In der FFG-Novelle könnte für den Kinderfilm eini-
ges getan werden, wenn zum Beispiel auf die in § 23
beabsichtigte Verschlechterung bei den Aufstockungs-
möglichkeiten für Referenzpunkte verzichtet wird.
Denn diese Absenkung dürfte sich gerade für originäre
Kinderfilme negativ auswirken.

Besonders wichtig ist es, beim § 15 FFG, den allge-
meinen Förderungsvoraussetzungen, anzusetzen. In
der FFG-Novelle der Regierung taucht hier jedoch
keine Verbesserung für den Kinderfilm auf. Eine bloße
Klarstellung in § 32, wonach auch „Kinderfilm-
projekte, die auf Originalstoffen beruhen“, angemes-
sen im Rahmen der Projektfilmförderung berücksich-
tigt werden sollen, ist viel zu unbestimmt.

Was uns in der FFG-Novelle ganz fehlt, sind An-
sätze zur Ökologisierung der Filmproduktion, „Green
Film“. Eine klimafreundlichere Filmproduktion mit
deutlich abgesenkten CO2-Emmissionen ist möglich.
In verschiedenen Staaten haben sich Initiativen zu die-
sem Thema gebildet; Firmen bieten ihre Dienstleistun-
gen an. Auch Landesfilmförderanstalten sind hier
schon aktiv, zum Beispiel die FFHSH in Hamburg und
Schleswig-Holstein. Die geplante Novelle des FFG
versäumt es, Anreize zu schaffen, um die nötige Ökolo-
gisierung der Filmproduktion voranzutreiben.

Insgesamt sehen wir einige gute Ansätze in der
FFG-Novelle, aber auch eine Reihe von Problemen.
Ich fände es gut, wenn wir in den parlamentarischen
Beratungen gemeinsame Lösungen erarbeiten könn-
ten. Wir Grünen sind jedenfalls bereit, starke gemein-
same Signale für die Filmförderung des Bundes auszu-
senden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722539800

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/12370 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch
dazu gibt es offensichtlich keine anderweitigen Vor-
schläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Daniela Wagner, Oliver Krischer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Energetische Quartierssanierung sozialgerecht
voranbringen

– Drucksache 17/11205 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.


Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1722539900

Energetische Gebäudesanierung, hier auch Quar-

tierssanierung genannt, ist uns allen ein großes Anlie-
gen. Es ist aber scheinbar nicht groß genug, als dass
sich die Länder im Vermittlungsausschuss mit uns hätten
einigen wollen. Dass wir immer noch kein Gesetz zur
Förderung der energetischen Gebäudesanierung haben,
liegt nicht am Bund, sondern eindeutig an den SPD-
regierten Ländern, die sich querstellen.

Doch das ändert leider nichts an den Tatsachen. Der
Energieverbrauch in unseren Städten ist hoch. Das Ein-
sparpotenzial in unseren Häusern und Wohnungen ist
hoch; der Sanierungsbedarf und die Kosten sind es
ebenfalls. Sie fordern von der Bundesregierung, eine
sozial gerechte energetische Quartierssanierung als
neuen Förderschwerpunkt mit soliden Finanzmitteln für
die Kommunen, eine verstetigte Städtebauförderung un-
ter stärkerer Berücksichtigung des Klimaschutzes und
stärkere Nutzung von EU-Fördermitteln für diesen Be-
reich. Das sind gute Ideen. Die hatten auch wir. Deshalb
machen wir ja all das auch schon.

Fangen wir doch einmal bei einer grundlegenden Sa-
che an: Wie soll man einen Hauseigentümer oder Ver-
mieter, seien es Private oder Kommunen, dazu bewegen,
in die energieeffiziente Sanierung ihrer Gebäude zu in-
vestieren, also Ausgaben zu tätigen, wenn sie diese nicht
beispielsweise über die Miete wieder „reinholen“ kön-
nen? Da kann man nicht nur an den guten Willen, die
gute Tat für die Umwelt und die Energiewende appellie-
ren. Dazu gehört mehr, und das machen wir auch.

Eine steuerliche Förderung energetischer Sanie-
rungsmaßnahmen, zusätzlich zu den Programmen der
KfW-Bankengruppe, hätte insbesondere für selbst
nutzende Eigentümer und für private Vermieter ein ent-
scheidender Anreiz sein können, die energetische Sanie-
rung ihrer Gebäude in Angriff zu nehmen. Aber der
Bund konnte, wie eingangs schon gesagt, hier nicht auf
die Mitwirkung der Länder zählen. Eine warmmieten-
neutrale Sanierung wird also schwierig.

Insgesamt kommt es nicht nur darauf an, dass hier
und da ein Eigentümer ein Haus energetisch saniert.
Deshalb stehen wir auch städteplanerisch vor großen
Herausforderungen. Es sind die Städte und Kommunen
gefragt, entsprechende Schritte einzuleiten bzw. erfolg-
reich begonnene fortzuführen. Es geht dabei auch nicht
nur um Bestandsimmobilien, sondern auch um die künf-
tige soziale Wohnraumförderung. Erst in dieser Woche
hat Minister Ramsauer angekündigt, dass, wenn es nach
ihm ginge, die Bundesmittel auch 2014 wieder bei
518 Millionen Euro festgelegt werden sollten, unter der
Bedingung, dass die Länder diese Mittel zweckgebunden
einsetzen. Unsere jetzt schon vorhandenen zahlreichen
Fördermittel dienen ganz klar dazu, genau diese Anreize
zu setzen und dabei die Belastungen der Eigentümer,
Nutzer und Mieter möglichst gering zu halten.

Wir unterstützen die Kommunen dabei, die Quartiers-
sanierung auf eine solide finanzielle und organisatori-
sche Basis zu stellen. Dazu hat das Bundesministerium





Daniela Ludwig


(A) (C)



(D)(B)

für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ihnen zahlreiche
Arbeitshilfen gegeben, zum Beispiel den „Handlungs-
leitfaden zur Energetischen Stadterneuerung“, der be-
reits seit 2011 für die Kommunen eine gute Informa-
tionsbasis für Energieeinsparmaßnahmen auf allen
Gebieten darstellt und erfolgreich angewandt wird. Es
ist außerdem bekannt, dass im Rahmen des Forschungs-
projekts „Anforderungen an energieeffiziente und kli-
maneutrale Quartiere“ des Experimentellen Wohnungs-
und Städtebaus die Erkenntnisse aus diesem Leitfaden
für die Quartiersebene stetig verfolgt, ausgewertet und
verfeinert werden.

Zu den jetzt schon sehr effizienten und erfolgreichen
Fördermaßnahmen, die vom Bund aufgesetzt wurden,
zählen zum Beispiel das bewährte CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm, die Vor-Ort-Energieberatung, das
Marktanreizprogramm sowie das KfW-Programm
„Energetische Stadtsanierung“. Es ist nämlich nicht nur
wichtig, das Haus von außen zu dämmen, was momentan
als einfachste Methode des Energieeinsparens angese-
hen wird. Es gibt ja noch viel mehr.

Die Vor-Ort-Energieberatung, gefördert durch das
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, zielt auf
die Energieberatung für Wohnimmobilien ab. Dem
Immobilieneigentümer werden energetische Schwach-
stellen seines Objektes aufgezeigt, und es werden ent-
sprechend passgenaue effiziente Modernisierungsmaß-
nahmen konzipiert, deren Wirtschaftlichkeit mittels
einer Nutzen-Kosten-Analyse geprüft werden. Der Bera-
tungsbericht der Vor-Ort-Energieberatung wird von der
KfW-Bank als Nachweis für die Beantragung eines KfW-
Kredits „Energieeffizient sanieren“ akzeptiert, und so
führt dann eines zum anderen.

Viele der Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag auf-
zählen, sind also von uns schon in bestehendes Recht
umgesetzt worden bzw. sind Teil des Energiekonzepts der
Bundesregierung. Wir stehen ja nicht still. Es werden
immer wieder bestehende Programme überprüft und
verbessert, neue Programme ersonnen und neue Wege
ermittelt, wie der Bund gemeinsam mit den Ländern
oder diese unterstützend die Bezahlbarkeit von Energie
und die Bezahlbarkeit von Wohnraum sichern kann.

Wir alle können nicht leugnen: Wird energetisch sa-
niert, so profitiert der Vermieter, weil seine Immobilie an
Wert gewinnt. Gleichzeitig profitiert auch der Mieter:
von sinkenden Nebenkosten und von einer Verbesserung
der allgemeinen Wohnqualität. Aus diesem Grund hat
der Mieter energetische Modernisierungsmaßnahmen
auch zu dulden, sofern diese keine unbillige, nicht zu
rechtfertigende Härte für ihn oder einen Angehörigen
seines Haushalts darstellen. Es kann auch nicht immer
sein, dass es sich überhaupt nicht auf die Mietkosten
auswirkt; aber das muss sozialverträglich sein. Da
stimme ich Ihnen zu.

Wir schützen Mieter weiterhin vor unberechtigten
Mieterhöhungen. Dies geschieht dadurch, dass nach
§ 559 Abs. 4 BGB-E eine Mieterhöhung ausgeschlossen
wird, soweit sie auch unter Berücksichtigung der vo-

raussichtlichen künftigen Betriebskosten für den Mieter
eine nicht gerechtfertigte Härte darstellt. Benötigt ein
Mieter dennoch Unterstützung bei der Mietzahlung, so
besteht wie bisher die Möglichkeit, Wohngeld zu bean-
tragen. Diese staatliche Hilfe sowie die Übernahme der
Kosten der Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung
federt im Rahmen der Höchstbeträge bei Menschen mit
geringem Einkommen zum Beispiel Mieterhöhungen ab,
die nach Modernisierungen entstehen können und die fi-
nanzielle Belastbarkeit des Mieters übersteigen.

Bund, Länder und Kommunen wenden erhebliche
Haushaltsmittel dafür auf, dass sich einkommensschwa-
che Haushalte angemessenes Wohnen zu tragbaren Be-
dingungen leisten können. Da ist der Bund im Jahr mit
17 Milliarden Euro in der Pflicht, die soziale Wohn-
raumförderung der Länder mit 1 Milliarde Euro. Eines
dürfen wir bei dieser Diskussion auch nicht vergessen:
die Pflichten der Länder. Mit der Änderung des Grund-
gesetzes im Rahmen der Föderalismusreform I sind
Zuständigkeiten im Wohnungswesen, etwa die für die so-
ziale Wohnraumförderung, vom Bund auf die Länder
übertragen worden. Dies geschah aus dem einfachen
Grund, dass angesichts zunehmend differenzierterer
Wohnungsmärkte vor Ort am besten über die sachge-
rechten Maßnahmen entschieden werden kann.

Der Bund hat daher weder die Möglichkeit, auf die
Stärkung der öffentlichen Wohnungswirtschaft durch die
Länder einzuwirken, noch kann er diese zum Erlass von
Wohnraumschutzgesetzen veranlassen. Wir können le-
diglich Hilfestellungen geben, die zum Teil gerne ange-
nommen werden. Die Einflussmöglichkeit des Bundes ist
auch beim Einsatz der sogenannten EFRE-Mittel für
Zwecke der Energieeffizienz im Wohnungsbestand be-
grenzt. Inwieweit also diese Mittel zulasten von Struk-
turförderungsmaßnahmen umverteilt werden, liegt al-
lein bei den Ländern.

Ich meine, die Ansätze der Bundesregierung und der
Regierungskoalition sind überzeugend, vielseitig und er-
folgreich. In diesem Sinne wollen wir fortfahren.


Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1722540000

Die christlich-liberale Koalition hat Klimaschutz,

Energiewende und Effizienzsteigerung zu zentralen
Punkten der politischen Agenda gemacht. Dabei
haben wir stets die wirtschaftlichen und die sozialen
Aspekte einfließen lassen. Deshalb haben wir das
Programm „Energetische Stadtsanierung – energie-
effiziente kommunale Versorgung“ gestartet. Es ist
verbunden mit dem Programm „IKK – Energetische
Stadtsanierung – Quartiersversorgung“. Wir eröffnen
damit die Möglichkeit, gezielt ganze Gebiete energe-
tisch zu sanieren. Nicht das Einzelgebäude steht dabei
im Fokus, sondern ein ganzes Quartier.

Die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen fordern
einen Energiesparfonds von 3 Milliarden Euro jähr-
lich. Das klingt natürlich gut. Die Kollegen scheinen
allerdings vergessen zu haben, dass es bei den Haus-
haltsverhandlungen großer Anstrengungen bedurfte,
um die Mittel, die wir bereits bereitstellen, auch
Zu Protokoll gegebene Reden





Volkmar Vogel (Kleinsaara)



(A) (C)



(D)(B)

weiterhin bereitzustellen. Ich frische aber gerne die
Erinnerung weiter auf: Wir haben die energetische
Sanierung fortgeschrieben. 1,5 Milliarden Euro stehen
jährlich aus dem Energie- und Klimafonds für 2013
und 2014 für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfü-
gung. Hieraus wird auch das bereits erwähnte Pro-
gramm gespeist.

Dieselben Grünen, die jetzt mehr Mittel fordern,
waren es doch, die Sonderabschreibungen für die
energetische Sanierung im Vermittlungsausschuss ver-
hindert haben. Das wäre ein guter Anreiz für Selbst-
nutzer und kleine Vermieter gewesen. Stattdessen
mussten wir unter größten Mühen über acht Jahre die
bestehenden Programme zur CO2-Gebäudesanierung
um 300 Millionen Euro jährlich aufstocken.

In ihrem Antrag wollen die Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen energetische Sanierungen mit sozialen As-
pekten verbinden. Das leisten diese Programme be-
reits.

Mit den erwähnten Programmen bezuschusst die
KfW-Bankengruppe die quartiersbezogene Wärmever-
sorgung sowie Investitionen in energieeffiziente Was-
server- und Abwasserentsorgung. Damit ermöglichen
wir ein technologieoffenes Vorgehen. Wir legen nicht
bestimmte Formen der Effizienzsteigerung oder der
Wärmeversorgung fest. Vielmehr soll mit den Akteuren
vor Ort abgestimmt werden, was gemacht wird und
sinnvoll ist. Somit eröffnen wir die Chance, stärker auf
standortspezifische Gegebenheiten und Bedürfnisse
der Anwohner einzugehen, als dies starre Vorgaben
leisten können.

Dies ist die Aufgabe des Sanierungsmanagers. Die-
ser wird durch das erstgenannte Programm ebenso wie
der Erstellungsprozess des Sanierungskonzepts finan-
ziert. Der Sanierungsmanager soll vor Ort in den
Quartieren die unterschiedlichen Akteure zusammen-
führen. Dabei entwerfen sie gemeinsam das Sanie-
rungskonzept. Er führt hierfür Wohnungsunternehmen,
private Vermieter und Selbstnutzer zusammen. Die He-
rangehensweise, mit der wir nicht nur einzelne Ge-
bäude betrachten, sondern ganze Quartiere, eröffnet
neue Möglichkeiten und entspricht ganzheitlichen
Grundsätzen.

So sind beispielsweise Anlagen zur Nutzung von
Erdwärme zur gebäudeübergreifenden Wärmeversor-
gung integrierbar. Solche Zusammenschlüsse und auf-
einander abgestimmte Sanierungen führen zu einem
besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Die soziale Komponente vergessen wir nicht. Wohn-
wirtschaftliche Konzepte finden nämlich ebenso ihre
Berücksichtigung in den jeweiligen Sanierungsplänen.
Denn bei ihrer Erstellung sollen bereits vorhandene
Quartierskonzepte oder Milieuschutzgebiete nach
§ 172 Baugesetzbuch Berücksichtigung finden. Da-
durch sind die spezifischen Probleme einkommens-
schwacher Gebiete bereits beachtet und finden somit
Eingang in das Sanierungskonzept. Wir wollen durch
die energetische Sanierung keine Verdrängungseffekte

erzeugen. Ganz im Gegenteil, wir tun etwas für das so-
ziale Gleichgewicht.

Denn energetische Sanierung bedeutet die Erhö-
hung der Energieeffizienz. Die Erhöhung der Energie-
effizienz ist gleichzeitig gut für den Geldbeutel, denn
die Nebenkosten sinken. Diese sind mittlerweile oft-
mals in Größenordnungen einer zweiten Miete ange-
wachsen. Soziale Aspekte sind für uns zentral. Dies
äußert sich am eindrucksvollsten im Wirtschaftlich-
keitsgebot. Aber das ist den Grünen offenbar nicht so
wichtig. Energetische Sanierung geht nur dann sozial
gerecht zu, wenn wir sie unter dem Aspekt der
Wirtschaftlichkeit betrachten. Eine nicht darstellbare
Wirtschaftlichkeit ist für Vermieter und Mieter glei-
chermaßen schlecht. Gezielte Anreize zu eigenverant-
wortlichem Handeln stehen für uns über unwirtschaft-
licher Zwangsbeglückung.

In dem vorliegenden Antrag mahnen die Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen eine Verzahnung von
energetischer Quartierssanierung mit anderen Berei-
chen wie altersgerechtem Umbauen an. Auch dies
praktizieren wir bereits. Das von mir eben skizzierte
Programm ist nämlich mit anderen Förderungen kop-
pelbar. Die KfW bietet auch in diesem Bereich entspre-
chende Programme.

Der Sanierungsmanager führt die unterschiedli-
chen Faktoren zusammen und bringt sie in das Sanie-
rungskonzept ein. Auch an Barrierefreiheit und Denk-
malschutz denken wir. Diese müssen bei der Erstellung
des Konzeptes einfließen.

Sie sehen also, dass die christlich-liberale Koalition
das Sinnvolle aus dem Forderungskatalog bereits um-
setzt. Die vorhandenen Mittel sollen planvoll, gezielt
und effizient eingesetzt werden. Dies machen wir. Die
sozialen Aspekte werden berücksichtigt. Dies machen
wir. Andere Programme und Aufgabenstellungen einer
vielfältigen Gesellschaft sollen einfließen. Dies ma-
chen wir.

Der Antrag ist daher überflüssig, und deshalb leh-
nen wir ihn ab.


Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1722540100

Die energetische Sanierung von Gebäuden ist ein

wichtiger Baustein zur Erreichung der europäischen
und nationalen Energieeffizienzziele. Wir als SPD-
Bundestagsfraktion haben bereits frühzeitig festge-
stellt und thematisiert, dass neben der Sanierung einzel-
ner Gebäude und Gebäudekomplexe dem ganzheitlichen
Ansatz im Quartiersbezug stärker als bei früheren Maß-
nahmen und Programmen das Augenmerk gelten muss.
Im Eckpunktepapier zur energetischen Gebäudesanie-
rung der SPD-Bundestagsfraktion haben wir uns be-
reits vor zwei Jahren mit den sozialen Aspekten der
Maßnahmen intensiver beschäftigt. Erst jetzt – kurz
vor der Wahl – entdeckt die Fraktion Bündnis 90/ Die
Grünen die sozialen Aspekte von energetischen Sanie-
rungen.
Zu Protokoll gegebene Reden





Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)

Bereits in anderen Plenardebatten habe ich mehr-
fach darauf hingewiesen, dass sich die energetische
Sanierung in der heutigen Form nicht rechnet – weder
für den Mieter und die Mieterinnen noch für den Ver-
mieter oder die Vermieterinnen. Mit der Mietrechts-
novelle hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die
Sanierungslasten noch einmal eindeutig in Richtung
der Mietrinnen und Mieter geschoben. Bei ohnehin be-
reits regional sehr hohen Mietbelastungen führt dies
zur finanziellen Überforderung nicht nur von Gering-
verdienern, sondern auch Familien mit mittleren Ein-
kommen können sich qualitativ gute Wohnungen nicht
mehr leisten. Die durchschnittlichen Bruttolöhne sind
seit 2000 faktisch gesunken. Für die Wohngesamtkosten
werden heute zwischen 30 und 50 Prozent vom Haus-
haltseinkommen aufgezehrt.

Dabei sind lebenswerte und sozial ausgeglichene
Städte die Grundlage für den sozialen Zusammenhalt
unserer Gesellschaft. Bezahlbare und gute Wohnungen
sind ein grundlegendes Bedürfnis. Städte sind mehr als
Stein und Beton. Lebenswerte Stadtquartiere zeichnen
sich durch nachbarschaftliches Miteinander, durch so-
ziale Infrastruktur, durch angenehmes Wohnumfeld,
Angebote von Bildung, Kultur, Sicherheit und Inte-
gration aus. In der jetzigen Politik steht dies nicht im
Mittelpunkt. Unter der jetzigen Bundesregierung ver-
kümmerte die Stadtentwicklungspolitik; Städtebauför-
derung besteht nur noch aus Investitionen und musste
den ressortübergreifenden und sozialen Weg verlassen.
Energetische Sanierung wird zum rein investiven Maß-
nahmenpaket. Dabei gilt es einerseits den steigenden
Energiepreisen entgegenzuwirken, aber andererseits
den Wohnanforderungen unserer heutigen Zeit gerecht
zu werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher
beschlossen, die Städtebauförderung zu stärken und
verlässlich zu finanzieren. Das Programm „Soziale
Stadt“ wird zusammen mit den Ländern und Kommu-
nen zum Leitprogramm ausgestaltet. Die positive Wir-
kung durch die ressortübergreifende Zusammenarbeit
auf allen Ebenen machen den Erfolg der Programme
der sozialen Stadt aus. Die energetische Stadtsanie-
rung muss aus unserer Sicht in die Städtebauförderung
integriert werden und finanziell verstärkt werden. Es
gilt neben dem energetischen Ansatz auch demogra-
fische Aspekte, regional extrem unterschiedliche Woh-
nungsmärkte, Barrierefreiheit sowie soziale Stadt- und
Quartiersentwicklung unter einen Schirm zu bringen.
Unsere Städte und Gemeinden leben durch und mit den
Menschen und werden nicht alleinig durch Dämm-
dicken bestimmt. Wir als SPD haben fest beschlossen,
die Kommunen zu stärken, sie nicht im Stich zu lassen.
Dies bedeutet auch, sie bei den unterschiedlichen
Wegen und Stadtentwicklungskonzepten mit den geeig-
netsten Maßnahmen zu unterstützen und unter ande-
rem auch die Kommunen in Haushaltsnotlage in die
Lage zu versetzen, an den Bund-Länder-Programmen
der Städtebauförderung mithilfe eines Eigenanteil-
fonds teilzuhaben.

Quartierssanierung wird niemals nur energetisch
stattfinden. Die energetische Quartierssanierung bleibt

trotzdem ein grundlegender Baustein für bezahlbaren
Wohnraum. Hier gilt es dezentrale Strukturen für Ener-
giegewinnung, -speicherung und -nutzung zu schaffen.
Ich möchte hier ausdrücklich auch noch auf die heute
Morgen in der Plenardebatte diskutierten Anträge
„Bezahlbare Mieten in Deutschland“ und „Bezahlba-
res Wohnen in der sozialen Stadt“ verweisen.

Jeder muss im Quartier motiviert werden, im Rah-
men seiner Möglichkeiten einen Beitrag zur Energie-
einsparung beizutragen – wirtschaftlich sinnvoll und
sozial gerecht.


Petra Müller (FDP):
Rede ID: ID1722540200

Mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen scheint

nun ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der quar-
tiersbezogenen Betrachtung von Stadtentwicklungspro-
zessen auch in der Opposition Nachhall zu finden. Die
christlich-liberale Koalition, insbesondere das liberale
Konzept zur energetisch-dynamischen Stadtentwick-
lung, verfolgt den breiten Ansatz der Quartiers-
betrachtung seit längerem. Denn eine der größten
Herausforderungen für den Klimaschutz und die Um-
setzung der Energiewende liegen im Gebäudebestand.
Um die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu errei-
chen, müssen wir eine Politik der Energieeffizienz-
steigerung im Gebäudebestand voranbringen und nicht
nur auf das einzelne Gebäude, sondern auch auf quar-
tiersbezogene Lösungen, beispielsweise bei der Wär-
meversorgung aus erneuerbaren Energien, setzen.

Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt daher die No-
vellierung des BauGB und die enthaltene Ergänzung
einer klimagerechten Stadtentwicklung und somit den
energieeffizienten und klimaneutralen Quartiersumbau.
Hier finden sich wichtige und inhaltlich abgestimmte
Schritte, der Quartiersentwicklung einen gesicherten
rechtlichen Rahmen zu geben. Wir schaffen damit einen
funktionierenden Bau- und Wohnungsmarkt, der sich
in einem stabilen und verlässlichen gesetzlichen Rah-
men entwickelt.

Die FDP-Bundestagsfraktion setzt hier aber auf An-
reize und nicht auf Zwang, auf unternehmerische Ini-
tiative, nicht auf Staatswirtschaft. Es ist erstaunlich,
dass SPD und Grünen nicht mehr einfällt, als wieder
und wieder mehr Steuergeld in die Hand zu nehmen,
um vermeintlich neue Subventionsprogramme oder
Förderprojekte staatlich zu alimentieren. Die Höhe
der neuerlichen Forderungen in den hier diskutierten
Anträgen beläuft sich locker auf 430 Millionen Euro.
Der Energiesparfonds, den Sie fordern, soll allein mit
1,8 Milliarden Euro jährlich ausgestattet sein. Für
den, der fordert, liegt es dankbarerweise in der Natur
der Sache, über die Quellen, aus denen die Mittel flie-
ßen sollen, nichts oder wenig sagen zu müssen. Nichts-
destotrotz sollten Forderungen einen Anspruch erfül-
len: Sie sollten realistisch sein. Aber das sind die
beantragten Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen
nicht. Aber auch seitens der SPD hört man keinen Wi-
derspruch. Das deutet darauf hin, dass man sich ge-
samtwirtschaftlich schon längst mit einem Programm
Zu Protokoll gegebene Reden





Petra Müller (Aachen)



(A) (C)



(D)(B)

abgefunden zu haben scheint, das im Schuldenmachen
seine einzige Kraftquelle sieht.

Mit der FDP-Bundestagsfraktion wird eine so ver-
antwortungslose Politik nicht zu machen sein. Wir
werden weder den Bundeshaushalt noch die Haus-
haltskonsolidierung aus dem Blick verlieren, auch
nicht angesichts noch so wünschenswerter Ziele. Wir
dürfen aber auch nicht die Hausbesitzer und Kommu-
nen überfordern, sondern müssen sie bei der Quar-
tierssanierung unterstützen. Inhaltliche Forderungen,
die der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen aufstellt,
sind durchaus zu unterstützen. Jedes Quartier muss in-
dividuell betrachtet werden, da es in unterschiedlichen
Bauphasen entstanden ist und somit unterschiedliche
Gebäudestrukturen aufweist. Insoweit sind quartiers-
bezogene Konzepte erforderlich, die die unterschiedli-
chen Anforderungen eines energieeffizienten Quartiers
miteinander verbinden. Auch hat der Bundeswirt-
schaftsminister Peter Altmaier bereits auf die Bedeu-
tung der Energieberatung für Verbraucher hingewie-
sen. Dies sollte in der Stadtentwicklungspolitik
verstärkt auch in den Bereichen Bauen, Sanieren und
Wohnen in den Fokus genommen werden. Die Ände-
rungen im Mietrecht sollten ebenfalls auf die klima-
neutrale Quartierssanierung erweitert werden.

Die FDP-Bundestagsfraktion ist zur inhaltlichen
und sachbezogenen Zusammenarbeit bereit. Forderun-
gen aber, die ungeachtet der Haushaltslage aufgestellt
werden, müssen als vorgezogene Wahlkampfmanöver
zurückgewiesen werden. Wer Systeme nicht in ihren
Wirkungszusammenhängen sehen kann oder sehen will,
hat in Regierungsverantwortung nichts zu suchen. Da-
her wird die christlich-liberale Koalition ihre erfolg-
reiche Politik fortsetzen und weiterentwickeln.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722540300

Der jetzt vorgelegte Antrag der Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen soll offenbar die Vielzahl der An-
träge zur Energiewende, zur energetischen Sanierung
weiter komplettieren und untersetzen. Er steht im
Kontext zu dem vor kurzem vorgelegten Antrag „Ener-
giewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umwelt-
freundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umset-
zen“. Diesem Antrag haben wir als Fraktion bereits
zugestimmt, weil wir die energiepolitischen Zielsetzun-
gen für richtig halten. Da der neue Antrag im Wesent-
lichen die gleichen Ziele wieder aufgreift, werden wir
uns hier nicht anders verhalten.

Es ist richtig, dass die Energiewende im Gebäude-
bereich beschleunigt werden muss. Allerdings sei die
Frage erlaubt, ob die geforderten finanziellen Mittel
ausreichen, um mit der energetischen Sanierung im
Gebäudebereich den erforderlichen Beitrag zu den in-
ternational verpflichtenden Klimaschutzzielen zu leis-
ten.

Die Antragsteller verzichten leider darauf, darzule-
gen, was mit den eingeforderten Mitteln von 3 Milliar-
den Euro jährlich in einem neu zu schaffenden Klima-
fonds erreicht werden soll und welchen darüber

hinausgehenden Beitrag die Akteure, die auch nicht
näher bezeichnet werden, leisten sollen.

„Sozial gerecht“ heißt für uns nämlich nicht nur,
dass mit den Kosten der Energiewende verbundene so-
ziale Härten abgemildert werden, sondern auch, dass
die sozialen Belange aller betroffenen Menschen von
vornherein Bestandteil des Sanierungskonzepts sein
müssen. Deswegen sind uns solche Formulierungen
wie „ohne wesentliche Erhöhung der Warmmiete“
oder „Ziel ist, wo immer möglich, die warmmietenneu-
trale Sanierung“ nicht verbindlich genug. Was bedeu-
tet „wesentlich“? Was passiert dort, wo nicht „warm-
mietenneutral“ saniert werden kann?

Der Erhalt des Gebietscharakters und der Schutz
gewachsener sozialer Strukturen dürfen kein zufälliges
Nebenprodukt der energetischen Quartierssanierung
sein, auf das man gegebenenfalls auch verzichten
kann. Wenn die Antragsteller dafür keine konzeptio-
nelle und finanzierbare Lösung bereithalten, kann die
energetische Quartierssanierung nicht sozial gerecht
gelingen.

Wenn „sozial gerecht“ ernst gemeint sein soll und
nicht nur als Feigenblatt, dann darf die Sozialverträg-
lichkeit keinesfalls den energiepolitischen Zielen geop-
fert werden. Sie muss genauso konsequent in einem
Quartierssanierungskonzept verankert sein. Sie muss
als Zielsetzung den gleichen Stellenwert haben wie die
energetische Sanierung. Wenn es daran nur den ge-
ringsten Zweifel gibt, verliert die energetische Sanie-
rung an Akzeptanz und ist nicht durchsetzbar. Deshalb
ist der Anspruch im Antrag richtig, dass das Pro-
gramm zur Quartierssanierung von einer umfassenden
Bürgerbeteiligung begleitet werden soll. Das muss
aber mehr sein als die bisher übliche formale Akten-
einsichtnahme im Planverfahren, wo sie Anregungen
und Bedenken im Verfahren äußern können.

In die Erarbeitung eines Quartierssanierungskon-
zepts müssen von Beginn an alle handelnden Akteure
und die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner
einbezogen werden. Zu leisten wäre das nach meinem
Dafürhalten am ehesten durch eine kommunale Koor-
dinierungsstelle oder einen Quartiersmanager. Die Fi-
nanzierung einer solchen Stelle oder einer solchen
Funktion sollte aus dem Energiesparfonds, nicht zulas-
ten der Kommunen, erfolgen.

Aufgabe dieser Einrichtung wäre zum Beispiel vor
Beginn einer Sanierungsmaßnahme die Definition ei-
nes Sanierungsquartiers, die Bestandsaufnahme und
energetische Bewertung der Gebäude sowie die Auf-
nahme der Eigentümer- und Bewohnerstruktur. Da-
raus abgeleitet könnten dann im Weiteren Finanzie-
rungspläne, Bauablaufpläne, Sozialpläne usw. erstellt
werden.

Es ist also nichts gewonnen, wenn der Bund einer-
seits anspruchsvolle Energiespargesetze erlässt und
andererseits unzureichende Fördermittel bereitstellt.
Das wäre der erste Anspruch an die Politik: Ziele und
Mittel in Übereinstimmung zu bringen. Das müssen
Zu Protokoll gegebene Reden





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

und können nicht allein Bundesmittel sein. Aber wenn
man, wie in diesem Antrag, einen konkreten finanziel-
len Betrag einfordert, muss konsequenterweise auch
weitergerechnet werden: Was müssen die Länder bei-
steuern, was die Kommunen, was muss aus der Immo-
bilienwirtschaft selbst beigetragen werden? Was kön-
nen die betroffenen Bürger leisten und wirtschaftlich
tragen? Welche Auswirkungen werden die Sanierungs-
kosten auf die Mietenentwicklung haben? Es ist wich-
tig, das von vornherein zu bedenken und nicht nach
dem Motto zu verfahren: Erst mal schießen und dann
gucken, was der Ball macht.

Ebenso wie energetische Quartierssanierung sozial
gerecht stattfinden muss, muss auch klar sein, dass
eine Sanierungsmaßnahme effektiv, kostensicher und
mit dem geplanten Ergebnis zu Ende gebracht werden
kann und nicht auf halbem Wege verebbt. In dieser
Hinsicht schwächelt der Antrag noch etwas; aber da
die Zielrichtung stimmt, wollen wir gern dazu beitra-
gen, ihn zum Leben zu erwecken.


Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722540400

Mit der Förderung der Kreditanstalt für Wiederauf-

bau, KfW, wurden 2011 etwa 200 000 Wohnungen ener-
getisch saniert und der CO2-Ausstoß um 540 000 Ton-
nen reduziert. Die Zahlen belegen die Breitenwirkung
und den Erfolg des Programms. Aber wir sind zu lang-
sam. Bei diesem Tempo dauert es 100 Jahre, bis wir
unsere Wohnungen zukunftsfähig umgebaut haben. Die
Sanierungsquote ist noch deutlich zu niedrig, um die
Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen. Eine Verdopp-
lung ist notwendig.

Es wird jedoch auch deutlich, dass der isolierte Ein-
zelansatz der finanziellen Förderung auf einzelne Ge-
bäude nicht ausreicht; denn die Widerstände sind sehr
vielfältig. Denkmalschützer üben harsche Kritik an der
Dämmung historischer Fassaden. Besonders Gebäude,
die erhaltenswert sind, jedoch nicht unter Denkmal-
schutz stehen, sind gefährdet. Steigende Mieten nach
der Sanierung führen zu Kritik durch Mieterinnen und
Mieter sowie Verbände und teilweise sogar zu einer
Verdrängung der Bewohnerinnen und Bewohner. Das
hat nun auch die Regierung erkannt. Sie will steigende
Mieten als Vorwand nutzen, um die Energiewende zu
bremsen.

Dabei gibt es Konzepte, mit denen Sanierung und
Mieterschutz zielgenau betrieben werden können. Die
finanziellen Mittel müssen da eingesetzt werden, wo
sie gebraucht werden. Werden bei der energetischen
Sanierung nur einzelne Gebäude betrachtet, werden
im schlechtesten Fall Gebäude saniert, für die in weni-
gen Jahren schon kein Bedarf mehr auf dem Woh-
nungsmarkt besteht.

Hier setzt die energetische Quartiers- bzw. Stadtteil-
sanierung an. Die Mittel werden da eingesetzt, wo sie
wirklich gebraucht werden. Durch begleitende Pla-
nungen können Maßnahmen sozialverträglich umge-
setzt werden. Löst man sich von dem jetzigen Ansatz
der Energiewende in den Städten – „Mein Haus, mein

Auto“ etc. – und denkt an das Viertel, das Quartier, die
Kleinstadt als Ganzes, ergeben sich weitere Vorteile:

Der Mitteleinsatz im Quartierszusammenhang ist
effektiver. Innovative Konzepte entstehen, wenn Maß-
nahmen auf Stadtteilebene geplant werden und alle
Akteure wie Bürgerinnen und Bürger, Hausbesitzerin-
nen und Hausbesitzer, Wohnungsbaugesellschaften,
Energieversorger, Vereine und Fachämter mit dabei
sind. Maßnahmen wie Nahwärmenetze, Wärmerückge-
winnung im Abwassersystem, die Erzeugung erneuer-
barer Energien und dezentrale Wärmespeicher können
die Gebäudedämmung sinnvoll ergänzen. Durch ge-
zielte Beratungsangebote erfahren die Bürgerinnen
und Bürger, welche Maßnahmen für sie die besten
sind. Es findet eine Bündelung von Wissen statt, die bei
der Einzelsanierung nicht zu leisten wäre. Maßnah-
men, die für einen einzelnen Hausbesitzer nicht renta-
bel sind, rechnen sich für mehrere Häuser; so ergeben
sich auch im Sanierungsprozess Synergien. Auch die
Baukultur profitiert. Aus einem Mix von energetischen
Sanierungen, effektiven und effizienten Gebäudetech-
niken und dem Einsatz von erneuerbaren Energien ent-
stehen Gesamtenergiebilanzen eines Viertels.

Profitieren sollen von diesem Ansatz besonders ein-
kommensschwache Mieterinnen und Mieter oder in-
vestitionsschwache Eigentümerinnen und Eigentümer.
Wir wollen für entsprechende Gebiete aus dem grünen
Energiesparfonds 1,8 Milliarden Euro bereitstellen.
Wir fördern Quartiersenergiekonzepte sowie entspre-
chende Investitionen in Wohngebäude, öffentliche Ge-
bäude und Leitungen wie zum Beispiel Nahwärme-
netze, mit dem Ziel, Warmmietensteigerungen nach
einer Sanierung zu vermeiden. Dabei setzen wir auf
die Qualitätsstandards der Städtebauförderung: starke
Bürgerbeteiligung, vernetztes strategisches Handeln,
Sozialpläne und eine starke Rolle der Kommunen.

Eine solche ganzheitliche kommunale Betrachtung
des Wohnungs- und Gebäudebestandes in Bezug auf
den Klimaschutz ist bislang eher die Ausnahme. Beste-
hende Ansätze wie das von der Koalition ins Leben ge-
rufene Programm zur energetischen Stadtsanierung
sind in ihrer Ausgestaltung unzulänglich. Die geför-
derten Investitionen müssen nicht auf kommunalen
Konzepten zur energieeffizienten Stadtsanierung ba-
sieren. Bürgerbeteiligung ist freiwillig. Die Förderung
erfolgt nach dem Gießkannenprinzip. Sozialpläne sind
Fehlanzeige. Es profitieren sogar fossile Energien. Die
Finanzierungsbasis des Energie- und Klimafonds bricht
weg. Wegen des geringen Preises für CO2-Zertifikate
herrscht ein Förderstopp.

Die Energiewende und eine sozialgerechte Stadtent-
wicklungspolitik dürfen nicht länger gegeneinander
ausgespielt werden. Sie müssen zusammengedacht
werden. Ich hoffe, unser Antrag und die anschließen-
den Beratungen im Ausschuss tragen dazu bei.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722540500

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/11205 an die in der Tagesordnung aufge-





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidun-
gen sichern – Korruptives Verhalten effektiv
bekämpfen

– Drucksache 17/12451 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel
Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Bestechung und Bestechlichkeit im Gesund-
heitswesen unter Strafe stellen

– Drucksache 17/12213 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir
die Reden zu Protokoll.


Dietrich Monstadt (CDU):
Rede ID: ID1722540600

Wir beschäftigen uns heute zum wiederholten Mal

mit dem Thema „Korruption im Gesundheitswesen“.
Gleichwohl darf ich Ihnen die Ausgangssituation
nochmals in Erinnerung rufen. Im Jahr 2012 erregten
mehrere Fälle von Fehlverhalten negatives öffentli-
ches Interesse: Bei Organtransplantationen wurden
Patientenakten verfälscht, um Wartezeiten zu beein-
flussen, eine Studie des GKV-Spitzenverbandes zu
Fangprämien wurde veröffentlicht, Ärzte nahmen Geld
eines bekannten Generikaherstellers für das Verschrei-
ben dieser Präparate an, und zahlreiche Gutachten
lassen vermuten, dass in Krankenhäusern medizinisch
nicht indizierte Operationen vorgenommen werden,
um Umsatzquoten zu erfüllen.

Besonders das unerwartete BGH-Urteil vom 22. Juni
2012, welches definierte, dass freiberufliche Ärzte
keine Amtsträger oder Beauftragten der Krankenkas-
sen sind, hat einige in der Gesundheitspolitik zu über-
eifrigen Forderungen verführt. Sowohl die Opposition
im Bundestag als auch Politiker einiger Bundesländer
haben im Skandalklima voreilig die Schaffung eines
gesonderten Straftatbestandes für freiberufliche Ärzte
im Strafgesetzbuch gefordert.

Eines haben bei diesen Vorfällen die Opposition, die
Regierungskoalition, die Ärzte- und Zahnärzteschaft
und sonstige Leistungserbringer, Krankenkassen und
die Patienten gemeinsam: Sie ärgern sich zu Recht
massiv über diese Vorfälle von Fehlverhalten. Bei der
Bewertung und den Schlussfolgerungen kommen die
Beteiligten zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb

wir heute über den Antrag der Fraktionen von SPD
und Linken diskutieren.

Als Conclusio aus dem BGH-Urteil und den Vorfäl-
len sofort ein Sondergesetz für Ärzte zu schaffen, ist al-
lerdings nicht zwangsläufig der richtige Weg. So
würde die Berufsgruppe der freiberuflichen Ärzte, die
sich überwiegend korrekt verhält, zu Unrecht krimina-
lisiert. Auch ordnungspolitisch halte ich dies für pro-
blematisch.

Natürlich muss Fehlverhalten konsequent verfolgt
und geahndet werden. Wie ich bereits in mehreren Re-
den deutlich gemacht habe, bedeutet der BGH-Be-
schluss nicht, das dies nicht möglich war oder in der
Zukunft sein wird. Zunächst betrifft der Beschluss aus-
schließlich den strafrechtlichen Bereich, nicht den be-
rufsrechtlichen, nicht den wettbewerbsrechtlichen,
nicht den Bereich des Heilmittelwerbegesetzes oder
den sozialrechtlichen Bereich.

Nach wie vor macht sich der Arzt, der dem Patien-
ten einen Gesundheitsschaden zufügt, der Körperver-
letzung strafbar. Nach wie vor ist ein Verhalten des
Arztes, das zu einem Vermögensschaden etwa der
Krankenkasse führt, als Untreue nach § 266 StGB
strafbar. Der BGH-Beschluss hat daran nichts geän-
dert. Bedeutung entfaltet der BGH-Beschluss nur dort,
wo weder ein Gesundheitsschaden noch ein Vermö-
gensschaden eintreten.

Der BGH-Beschluss bedeutet ebenfalls nicht, dass
rechtsfreie Räume entstehen und etwa ein Pharmaher-
steller einem Kassenarzt für die Verschreibung seiner
Produkte Vorteile gewähren darf. Vielmehr ist die Fak-
tenlage auch und gerade durch die BGH-Entscheidung
gleich geblieben: Fehlverhalten kann bestraft werden
und wird bestraft.

So bestimmt etwa die ärztliche Berufsordnung in
§ 31 Abs. 1, dass es Ärztinnen und Ärzten nicht gestat-
tet ist, Patientenzuweisungen oder Verordnungen
durchzuführen und Entgelt oder andere Vorteile zu for-
dern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu
lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.
Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschrift
der Berufsordnungen obliegt den Landesärztekam-
mern. Bei Verstößen als Folge berufsunwürdigen Ver-
haltens kommen Maßnahmen wie Geldbußen bis
50 000 Euro oder Entzug der Approbation in Betracht.

Sozialrechtlich sind die kassenärztlichen Vereini-
gungen durch § 81 a SGB V verpflichtet, Stellen zur
Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
einzurichten. Sie haben dabei mit den Krankenkassen
und ihren Verbänden zusammenzuarbeiten. Diese Stel-
len informieren die Staatsanwaltschaft, wenn es einen
Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen gibt.

Weiter gibt es die Regelung im Arzneimittelgesetz,
die in § 67 Abs. 6 die Anzeige jeder Anwendungsbeob-
achtung vorschreibt. Sozialrechtliche Sanktionen erge-
ben sich aus § 128 SGB V.





Dietrich Monstadt


(A) (C)



(D)(B)

Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern und
Kassen können auf sinnvolle berufs- und sozialrechtli-
che Regelungen zurückgreifen. Die aktuellen Entwick-
lungen und der BGH-Beschluss geben jedoch Anlass,
die bisherigen berufs- und sozialrechtlichen Regelun-
gen, auf die die Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärz-
tekammern und Kassen zurückgreifen können, zu über-
arbeiten. Das Bundesministerium für Gesundheit prüft
und erarbeitet derzeit Vorschläge. Auch bei der konse-
quenten Umsetzung der bereits existierenden berufs-
und sozialrechtlichen Regeln will und wird die Regie-
rungskoalition unterstützen.

Ich darf nun auf die vorgelegten Anträge eingehen:

Zunächst zum Antrag der SPD. Die Kollegen der
Opposition haben bereits mit einem Antrag vom No-
vember 2012 als Konsequenz aus dem BGH-Urteil un-
ter anderem die Schaffung eines Sonderstraftatbestan-
des gefordert. Der nun vorliegende Antrag beinhaltet
keine neue Erkenntnis oder setzt sich mit diskussions-
würdigen Vorschlägen für die Änderung im Berufs-
recht auseinander. Der SPD-Antrag wiederholt nur
stoisch die Forderung an die Bundesregierung, einen
Gesetzentwurf zur Schaffung eines Straftatbestandes
im StGB vorzulegen. Dass dies jedoch vor dem Hinter-
grund des Grundsatzes der Freiberuflichkeit und The-
rapiefreiheit zumindest nicht unproblematisch und
diskussionswürdig ist, lassen die Kollegen außer Acht.
Die SPD ist scheinbar nicht gewillt, die Vorschläge des
Gesundheitsministeriums abzuwarten. Dieser Eindruck
verstärkt sich noch, beachtet man, dass zwischen dem
ersten und dem heute vorliegenden Antrag gerade ein-
mal gut drei Monate und ein Jahreswechsel liegen.

Auch wenn der Antrag keine konkreten neuen For-
derungen enthält, so finden sich doch im Feststel-
lungsteil erwähnenswerte Punkte. Zunächst dokumen-
tiert die SPD ganz richtig, dass es aktuell einen
intensiven Dialog zwischen Bundesregierung, Regie-
rungskoalition, den Ärztekammern, Kassenärztlichen
Vereinigungen und Krankenkassen gibt. Die Ergeb-
nisse dieser Auswertung und Aufarbeitung sollte man
abwarten.

Die SPD formuliert weiter: „Es ist notwendig, in
unserer rechtlichen Werteordnung klar zum Ausdruck
zu bringen, dass Bestechung und Bestechlichkeit hin-
ter dem Rücken von Patientinnen und Patienten und
zulasten des Gesundheitssystems kein Kavaliersdelikt
ist …“. Damit wird suggeriert, das Gegenteil sei ge-
lebter Normalfall im deutschen Gesundheitssystem.
Diesem Gedanken muss ich an dieser Stelle vehement
widersprechen. Das wird der Realität des Arbeitsall-
tags der Mehrheit von Ärzten, Zahnärzten und Pflege-
und Sprechstundenpersonal schlicht nicht gerecht. Da
nützt auch ein Folgesatz, es werde „kein Spezialgesetz
gegen Ärzte, wohl aber eine spezielle Regelung, die für
alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen gilt“,
angestrebt, nichts. Im Gegenteil, das offensichtliche
Spezialgesetz, das Sie wünschen, soll noch ausgeweitet
werden. Damit würden dann ein Sondergesetz und ein
Generalverdacht auf eine noch größere Personen-

gruppe ausgedehnt. Der Angestellte in der Apotheke,
im Sanitätsfachgeschäft, der Pflasterhersteller und die
Nachtschwester werden sich fragen, weshalb ihre Be-
rufsgruppe ein Sondergesetz benötigt.

Der Antrag der Fraktion Die Linke erkennt hinge-
gen wenigstens im Titel schon die Problematik. Er lau-
tet „Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung si-
chern – Korruptives Verhalten effektiv bekämpfen“. Es
ist richtig, dass die Bundesregierung nur wenig Daten-
material von den Stellen zur Bekämpfung von Fehlver-
halten im Gesundheitswesen hat. Die Forderung, die
Berichtspflichten in §§ 81a und 197 a SGB V zu kon-
kretisieren, ist sinnvoll. Hilfreich wäre selbstverständ-
lich ein genauer Vorschlag im Hinblick auf die Form
der Konkretisierung gewesen.

Darüber hinaus fordert die Linke dann ebenfalls die
Schaffung eines Sonderstraftatbestandes im StGB.
Dieser jedoch solle dann ebenfalls für alle Ärzte, alle
selbstständigen und angestellten Ärzte gelten. Auch
die Linke holt also zum Generalverdacht gegen alle im
Gesundheitswesen Tätigen aus. Ebenso wolle man
über den § 130 OWiG die Haftung der Unternehmen
für Fehlverhalten der Mitarbeiter absichern. Spätes-
tens durch die unpräzise Formulierung, was ein ange-
nommener Vorteil überhaupt sei, ist diese Forderung,
juristisch betrachtet, jedoch nur ein zahnloser Tiger.
Mehr noch: Die Auslegung im Wortsinn des Punktes
1 a würde bedeuten, dass ein Arzt gar keine Vergütung
mehr annehmen darf.

Wie wird nun weiter vorgegangen? Die Bundesre-
gierung prüft derzeit, welche sinnvollen Möglichkeiten
für den Gesetzgeber bestehen, die aktuellen Rahmen-
bedingungen zu verbessern. Ich halte es für absolut
richtig, das ärztliche Berufsrecht zu stärken und den
Kammern mehr Möglichkeiten zu geben, Fehlverhal-
ten zu verfolgen. Einzelne Harmonisierungen im Be-
rufsrecht der Bundesländer sind nach meiner Auffas-
sung ebenfalls eine sinnvolle Möglichkeit. Die bereits
bestehenden weitreichenden Vorgaben wie berufsge-
richtliche Maßnahmen und Verfahren, Befugnisse im
berufsrechtlichen Ermittlungsverfahren, Verjährungs-
vorschriften oder Rügerechte der Kammern sind der-
zeit innerhalb der Länder sehr unterschiedlich.

Die Forderung der KBV nach einer öffentlich zu-
gänglichen Datenbank beim BfArM zu Anwendungsbe-
obachtungen muss genauer geprüft werden. Allerdings
erhält die KBV schon heute umfangreiche Daten zu
den Anwendungsbeobachtungen.

Den von der Ärztekammer vorgebrachten Vor-
schlag, die Befugnisse bei den Ermittlungen der
Staatsanwaltschaften zu erweitern, ist ordnungspoli-
tisch verfehlt und in der Umsetzung abwegig. Es ist
nicht Aufgabe der Ärztekammern, staatsanwaltliche
oder polizeiliche Ermittlungen durchzuführen. Die
Ärztekammern, denen die Ausübung der Berufs-
aufsicht obliegt, beklagen, dass mitunter viel Zeit ver-
geht, bis Sachverhalte hinreichend vorliegen oder die
Staatsanwaltschaft ermittelt, um berufsrechtlich vor-
Zu Protokoll gegebene Reden





Dietrich Monstadt


(A) (C)



(D)(B)

zugehen. Hier sollten allerdings Mechanismen zur Ver-
besserung geschaffen werden. Wechselseitige Informa-
tionspflichten können hier ausgebaut werden. Die
Kammern und KVen sind wie die Krankenkassen auf-
gefordert, in der Organisation der Selbstverwaltung
Regeln und Mechanismen zu entwickeln, die Fehlver-
halten erkennen und im Ergebnis unterbinden können.
Diesen Anspruch haben sowohl die Ärzte selbst als
auch Patienten und GKV-Beitragszahler.

Innerhalb des gesetzlichen Rahmens kann die Poli-
tik hier unterstützen. Man darf die Schaffung eines
Sonderstraftatbestandes allenfalls als Ultima Ratio in
Betracht ziehen, wenn sich alle anderen Möglichkei-
ten, die eindeutig noch nicht ausgeschöpft wurden, als
wirkungslos gezeigt haben. Voraussetzung hierfür
wäre allerdings die hinreichende Begründung eines
tatsächlichen und rechtlichen Bedürfnisses, bestimmte
Handlungen der Strafbarkeit zu unterstellen. Diese
sehe ich derzeit noch nicht.

Zusammenfassend darf ich festhalten, dass beide
hier vorliegenden Anträge daran kranken, nachvoll-
ziehbare, umsetzbare und verfassungsrechtlicher Prü-
fung standhaltende Vorschläge zu liefern. Als Gesund-
heitspolitiker der Union setze ich mich mit meinen
Kollegen für den Erhalt und die Weiterentwicklung der
freiberuflichen Selbstverwaltung ein. Mit ihren Rech-
ten und auch Pflichten ist die eigenverantwortliche
freiberufliche Selbstverwaltung ein wichtiges Merkmal
der sozialen Marktwirtschaft. Mit der christlich-libe-
ralen Koalition im Deutschen Bundestag möchte ich
rein staatlich organisierte Systeme weiterhin verhin-
dern. Aus der Geschichte haben wir lernen können,
dass der Staat berufsständische Mechanismen noch
nie besser regulieren konnte.

Es ist unumstritten, dass sich die überwiegende
Mehrheit der Ärzte in Deutschland korrekt verhält.
Der niedergelassene Arzt ist aus gutem Grund Freibe-
rufler; denn er muss unabhängig sein. Aus dieser Un-
abhängigkeit generiert sich das Vertrauen, das die Pa-
tienten in Deutschland ihrem Arzt täglich entgegen-
bringen. Nicht nur die Patienten sind darauf angewie-
sen, sondern auch die Ärzteschaft ist darauf angewie-
sen, dass die Basis dieses Vertrauens nicht durch ein
Spezialgesetz gegen Ärzte zerstört wird. Wir werden
deshalb die Anträge von SPD und Linken ablehnen.


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1722540700

Korruption im Gesundheitswesen beschäftigt seit

langem nicht nur die Fachleute, sondern auch die Ge-
sellschaft insgesamt – bis hin zum Boulevard. Die
Gründe sind ganz einfach: Das Gesundheitssystem ist
ein hochkomplexes, ausdifferenziertes und vor allen
Dingen auch intransparentes System. So rechnen be-
kanntlich bspw. Ärzte mit der Kassenärztlichen Verei-
nigung ab und kein Patient sieht im Regelfall eine Ab-
rechnung.

Dass in einem solchen System, in dem bei Fehlver-
halten keine erheblichen Sanktionen drohen, dem
Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist, versteht sich von

selbst. Zumindest ist die Hemmschwelle, rechtswidrig
Geld zu kassieren, relativ gering. Die weiteren Gründe
sind auch ganz einfacher Natur:

Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist klein. Und we-
der standes- bzw. berufsrechtliche Sanktionen drohen
in der Praxis noch greift das Strafrecht. Im Übrigen:
Ein Kassenarzt löst durch sein Tun vom Rezept bis zur
Krankenhauseinweisung im Schnitt locker rund fünf-
mal so hohe Kosten aus, wie er an Honorar bekommt.
Die Liste der Abhängigen ist lang: vom orthopädi-
schen Schuhmachermeister über den Augenoptiker bis
zum Sanitätshaus oder dem Hörgeräteakustiker. Dass
hier Geld fließt, ist bekannt und bestreitet zumindest
hinter verschlossenen Türen niemand mehr. Und all
das geschieht oft genug ohne jedes Unrechtsbewusst-
sein.

Zuweisungen gegen Entgelt konnte auch die
Bussmann-Studie der Uni Halle-Wittenberg vom
24. Oktober 2012 nochmals ausdrücklich belegen. Aus
all diesen Gründen hat die SPD Bundestagsfraktion
schon im Jahr 2010 den Antrag „Korruption im Ge-
sundheitswesen wirksam bekämpfen“ eingebracht. In
unserem Antrag haben wir bereits damals unter ande-
rem einen speziellen Korruptionstatbestand gefordert.
Wir haben vorgebracht, dass durch Korruption und
Abrechnungsbetrug jedes Jahr Milliardenverluste bei
der Versichertengemeinschaft, also letztlich der Soli-
dargemeinschaft, eintreten.

Ich habe persönlich 2010 betont, dass eine Rege-
lungslücke im StGB besteht und deshalb Schmiergeld-
zahlungen nicht strafrechtlich sanktioniert werden
können. Zudem folgen weder aus dem Berufsrecht der
Ärzte noch aus den Spezialnormen des SGB V tatsäch-
liche Sanktionen; in der Praxis gibt es im Vergleich zu
den prognostizierten Schäden nur wenig Verfahren. Im
Übrigen werden so gut wie nie Approbationen durch
die zuständigen Landesbehörden entzogen. Nachdem
uns auch hier neuere Daten vorliegen, wissen wir:
Auch hier hatten wir recht.

Zwar hat die Mehrheit im Bundestag unseren An-
trag mit den Stimmen der Regierungskoalition sowohl
in der 1. als auch in der 2./3. Lesung vor allem mit der
Begründung abgelehnt, dass korruptives Verhalten
insbesondere bei Ärzten nur ganz selten auftrete und
insofern der Antrag diesen Berufsstand unter General-
verdacht stelle und damit Ärzte pauschal diffamiere.
Das Gegenteil aber ist richtig. Wir haben immer wie-
der deutlich gemacht, dass korrupte Ärzte gerade die
ehrlich abrechnenden Ärzte schädigen, da es eine Ge-
samtvergütung gibt.

Wir wollen und wir müssen die ehrlich abrechnen-
den Ärzte vor den schwarzen Schafen schützen. Wer
dagegen untätig bleibt, riskiert den guten Ruf der Ärz-
teschaft. Wir brauchen eine Abschreckung, eine Gene-
ralprävention gegenüber denjenigen, die ganz bewusst
das System ausnutzen.

Ferner wurde auch insbesondere vonseiten der
Rechtspolitiker der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Edgar Franke


(A) (C)



(D)(B)

vorgetragen, ein spezieller Korruptionstatbestand sei
entbehrlich, da ein Vorlagebeschluss beim Großen
Strafsenat des BGH in Karlsruhe vorläge und dort si-
cherlich eine Strafwürdigkeit bejaht werden würde.
Doch in 2012 kam es dann, wie wir es vorausgesagt
und in unserem Antrag bereits zwei Jahre vorher for-
muliert hatten.

Der BGH hat im Frühjahr 2012 nicht nur bestätigt,
dass es eine Regelungslücke im Strafgesetzbuch gibt. Er
hat sogar Bezug genommen auf unseren Antrag von
2010 und wie folgt in der Presseerklärung (Nr. 97/2012)

formuliert: „… darüber zu befinden, ob Korruption im
Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung
entsprechender Straftatbestände eine effektive straf-
rechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Auf-
gabe des Gesetzgebers.“ Hieraus kann man eindeutig
erkennen, dass auch aus Sicht des BGH gesetzlicher
Handlungsbedarf besteht.

Eins darf allerdings nicht vergessen werden: Dass
die Ärzte bzw. die Pharmavertreter nicht bestraft wer-
den konnten, hatte allein rechtsdogmatische Gründe.
Die in Rede stehenden Vorschriften der §§ 299, 331 ff.
StGB sind in erster Linie Wettbewerbsvorschriften.

Bei Schmiergeldzahlungen an Ärzte zum Beispiel im
Bereich der Onkologie, also in der Krebsbehandlung,
wo es um Leben und Tod geht, muss aber der Patien-
tenschutz an erster Stelle stehen. Auch hier kann ein
freiberuflicher Arzt bisher nicht bestraft werden, wenn
er Schmiergeldzahlungen annimmt. Er kann nicht ein-
mal dann bestraft werden, wenn er aus diesem Grund
Medikamente verschreibt, die schlechter wirken und
im Vergleich zu Konkurrenzprodukten auch noch teu-
rer sind.

Patientensicherheit ist ein hohes Gut. Hier geht es
gerade auch um das Vertrauensverhältnis behandeln-
der Arzt – Patient. Der Patient muss immer sicher sein,
dass allein medizinische und nicht monetäre Gründe
für eine Behandlung, Therapie oder Verordnungsent-
scheidung des Arztes maßgebend sind.

Insofern muss auch ein Spezialstraftatbestand für
das Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch diesen
Schutz gewährleisten. Wir brauchen eine Norm, die
nicht nur den Wettbewerb, sondern insbesondere auch
den Patienten schützt.

Was passiert aber dagegen jetzt? Über Tausend Ver-
fahren wegen Bestechlichkeit gegen niedergelassene
Vertragsärzte und wegen Bestechung gegen Mitarbei-
ter von Unternehmen der Gesundheitsbranche werden
aufgrund der höchstrichterlichen Entscheidung aus
Karlsruhe nunmehr eingestellt. Da kann man nur sa-
gen: Na, bravo! Den Handlungsbedarf hat ja selbst
unser Gesundheitsminister erkannt, als er Anfang die-
sen Jahres darauf hingewiesen hat, dass gesetzgeberi-
sche Maßnahmen drohen könnten.

Aus all diesen Gründen haben wir unseren Antrag
von 2010 noch einmal erneuert und präzisiert. Mit Er-
staunen haben wir zur Kenntnis genommen, dass nun

auch die Fraktion der Linken einen Antrag vorgelegt
hat. Dieser deckt sich aber inhaltlich weitgehend mit
unseren beiden Anträgen.

Dass Deckungsgleichheit der beiden Anträge be-
steht, lässt sich schon daran erkennen, dass der Antrag
der Linken nach dem Spiegelstrich „Korruptives Ver-
halten effektiv bekämpfen“ heißt. Unser erster Antrag
hieß: „Korruptives Verhalten wirksam bekämpfen“.
Das hätte zu Guttenberg nicht besser abschreiben kön-
nen. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
ihr hättet einfach nur mit uns stimmen sollen.

Uns Sozialdemokraten ist wichtig: Wir wollen nicht
pauschal alle Ärzte oder andere Berufsgruppen und
schon gar nicht die Pharmaindustrie verunglimpfen.
Wir wollen alle im Gesundheitssystem ehrlich Abrech-
nenden vor den schwarzen Schafen des Systems schüt-
zen. Und wir wollen Rechtsklarheit. Insofern sollte
man dem Original und nicht der Kopie zustimmen.


Heinz Lanfermann (FDP):
Rede ID: ID1722540800

Wir alle im Deutschen Bundestag sind uns einig,

dass wir uns entschieden gegen jedes korruptive Ver-
halten im Gesundheitswesen stellen und wirksame
Sanktionsmechanismen brauchen. Wir sollten uns aber
auch alle einig sein, dass ein Generalverdacht gegen-
über allen Ärzten nicht gerechtfertigt ist. Von den gut
450 000 Ärzten in Deutschland arbeitet die ganz große
Mehrheit im besten hippokratischen Sinne.

Das von Ihnen angesprochene BGH-Urteil hat klar-
gestellt, dass neben den bereits bestehenden Regelun-
gen im SGB V und im Berufsrecht nicht auch noch ein
Verstoß gegen das Strafgesetzbuch vorliegt, wenn ein
Arzt Zahlungen von Dritten erhält. Das liegt darin be-
gründet, dass niedergelassene Ärzte eben keine Amts-
träger und Beauftragte von Krankenkassen, sondern
unabhängige und nur ihren Patienten verpflichtete
Dienstleister sind. Wer daraus den schnellen Schluss
zieht, man müsse nur einen passenden Strafrechts-
paragrafen formulieren, läuft ebenso schnell Gefahr,
die Freiberuflichkeit der Ärzte und die Therapiefrei-
heit zu gefährden. Das gilt es auf jeden Fall zu vermei-
den.

Dieses BGH-Urteil hat natürlich auch eine breite
Diskussion darüber angestoßen, welche Maßnahmen
erforderlich sind. Die Standesvertretung der Ärzte hat
die Debatte aufgenommen und unterstützt die Forde-
rungen nach besserer Durchsetzbarkeit der vorhande-
nen Regelungen wie auch ihre Weiterentwicklung. Die
KBV setzt sich beispielsweise für eine stärkere Sensibi-
lisierung der niedergelassenen Ärzte ein, um nicht aus-
reichendes Problembewusstsein zu schärfen.

Die von Pharmaunternehmen bzw. -verbänden an-
gekündigten Maßnahmen und Selbstverpflichtungen
wie zum Beispiel Transparenzkodizes sind positiv zu
werten.

Der Bundesminister für Gesundheit hat die Prüfung
eingeleitet, welche Rechtsänderungen sinnvoll sind,
um besser gegen Verfehlungen vorgehen zu können
Zu Protokoll gegebene Reden





Heinz Lanfermann


(A) (C)



(D)(B)

bzw. sie zu verhindern. In einem ersten Schritt haben
wir im Krebsregistergesetz dafür gesorgt, dass der
wichtige Datenfluss zwischen Ärztekammern und
kassenärztlichen Vereinigungen möglich wird.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Sachlage und
die zu bedenkenden Rechtsfragen durchaus kompli-
ziert sind. So gilt es auch zu klären, wie mit den ande-
ren freien Berufen zu verfahren wäre. Deshalb werden
wir Schnellschüsse vermeiden und lehnen Ihre Anträge
ab.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722540900

Im letzten Jahr hat der Bundesgerichtshof festge-

stellt, dass Korruption von niedergelassenen Ärzten
nach derzeitigem Recht nicht bestraft werden kann.
Das halte ich für ein fatales Zeichen: Viele Pharma-
referenten verstehen dieses Urteil als Freibrief, den
Ärzten Geld und Sachwerte zukommen zu lassen, um
sie damit zur Verschreibung besonders neuer und
teurer Produkte zu motivieren.

Die vorhandenen Regelungen im Berufs- und So-
zialrecht gegen Bestechlichkeit von Ärzten gleichen
zahnlosen Tigern. Deswegen meint Die Linke: Es führt
kein Weg an neuen und wirksamen Regelungen vorbei.

Warum ist das so wichtig? Zum einen, weil Korrup-
tion im Gesundheitswesen erheblichen finanziellen
Schaden anrichtet. Laut einer Studie aus dem letzten
Jahr gehen in Europa 3 bis 10 Prozent der Gesund-
heitsbudgets für Korruption, Betrug und Falschab-
rechnung drauf. In Deutschland wären das pro Jahr
allein bei den gesetzlichen Kassen 5 bis 18 Milliarden
Euro – Geld, das wir lieber für Prävention oder für
bessere Bezahlung von Pflegekräften einsetzen wür-
den.

Aber es geht um mehr. Ein Drittel aller neu zugelas-
senen Medikamente sind Scheininnovationen. Sie sind
teurer, aber auch weniger erprobt und daher mögli-
cherweise für die Patientinnen und Patienten unsiche-
rer als bewährte Mittel. Wenn Ärztinnen und Ärzte von
der Industrie dafür bezahlt werden, vor allem solche
Mittel zu verschreiben, kann es sein, dass Patientinnen
und Patienten die optimale Therapie vorenthalten
wird. Die möglichen gesundheitlichen Folgen von
Korruption im Gesundheitswesen halten wir für Grund
genug, energisch und wirkungsvoll dagegen vorzuge-
hen.

Außerdem ist es schlicht ungerecht, wenn ein ange-
stellter Klinikarzt für dasselbe Vergehen vor den Kadi
zitiert werden kann, bei dem seine niedergelassene
Kollegin vollkommen straffrei davonkommt.

Darum fordert die Linke, korruptes Verhalten in
Praxen und Kliniken konsequent unter Strafe zu stel-
len. Weniger schwere Fälle sollen mit einer Geldbuße
geahndet werden. Da der juristische Straftatbestand
„Bestechung“ oft schwer nachzuweisen ist, fordern
wir, dass auch die Annahme und die Gewährung von
Vorteilen belangt werden. Dann muss die Staatsan-
waltschaft nicht im Einzelfall nachweisen, dass die

Verschreibung eines Medikaments einer bestimmten
Firma ursächlich auf den Umschlag mit Geld zurück-
zuführen ist, den ein Vertreter dieses Unternehmens in
der Arztpraxis freundlicherweise liegengelassen hat.

Insbesondere wollen wir aber nicht nur die Zuwen-
dungsempfänger, also die Ärztinnen und Ärzte, belan-
gen, sondern vor allem diejenigen, die aktiv bestechen
und Vorteile gewähren. Neben den Beauftragten der
Pharma- und Medizinprodukteindustrie sollen auch
die Unternehmen selbst und deren Management in
Haftung genommen werden können.

Es geht uns übrigens an dieser Stelle, das möchte
ich in Richtung der Ärzteschaft sagen, nicht um Stim-
mungsmache und Vorverurteilungen. Jeder Arzt und
jede Ärztin, die ihren Beruf gewissenhaft im Sinne der
Patientinnen und Patienten ausübt, muss doch ein In-
teresse daran haben, dass Korruption unterbunden
wird. Leider glauben noch viel zu viele Medizinerinnen
und Mediziner daran, dass die Annahme von Geschen-
ken und Vergünstigungen ihre therapeutische Unab-
hängigkeit nicht beeinflusst – darin ähneln sie viel-
leicht Politikerinnen und Politikern.

Weil die Bundesregierung trotz gelegentlicher An-
kündigungen bisher untätig geblieben ist, drängen wir
mit unserem Antrag zum Handeln; denn wir wollen
noch in dieser Legislaturperiode Fortschritte sehen.

Der SPD ist dazu leider nichts anderes eingefallen
als die sehr allgemeine Forderung, „Korruption im
Gesundheitswesen generell unter Strafe stellen.“ Wie
das konkret aussehen soll, bleibt bei Ihnen im Nebel.
Der Kollege Lauterbach hat nun in der Presse kriti-
siert, die Linke wolle die SPD immer überbieten. Ich
gebe zu: Es fällt uns schwer, die Substanzlosigkeit Ih-
res Antrags nicht zu überbieten. Das ist ja, als wollte
man bei eBay ein Einstiegsgebot von einem Euro mit
99 Cent kontern. Im Nachhinein erklärte Lauterbach
dann noch, dass bei der SPD privat praktizierende
Ärzte nicht gemeint seien, weil dies juristisch angeb-
lich nicht möglich sei. Diese Behauptung ist natürlich
Humbug, und auch Ihr Antrag gibt das nicht her.

Die Linke will erreichen, dass alle Ärztinnen und
Ärzte genau das verschreiben, was den Patientinnen
und Patienten wirklich hilft, dass sie Therapieent-
scheidungen unabhängig nach dem Stand der medizi-
nischen Wissenschaft und im Sinne des Patientenwohls
treffen, statt von gut geschulten Pharmavertretern ma-
nipuliert und im Sinne der Industrie geschmiert zu
werden.

Ich finde, dass unser Antrag da gute Ansatzpunkte
bietet, und freue mich auf die weitere Beratung im Aus-
schuss.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Fraktionen von SPD und den Linken legen
heute jeweils Anträge zur Bekämpfung von Korruption
im Gesundheitswesen vor. Auch meine Fraktion wird
in Kürze dazu einen Antrag einbringen. Diese Anträge
Zu Protokoll gegebene Reden





Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)

sind notwendig, weil diese Regierungskoalition seit ei-
nem halben Jahr untätig geblieben ist.

Kern des politischen Streits ist seit Verkündung des
BGH-Urteils im Juni letzten Jahres die Frage, ob der
Gesetzgeber eine gesetzliche Strafnorm schafft, die
Korruption und Vorteilsnahme von niedergelassenen
Ärzten und anderen Leistungserbringern im Gesund-
heitswesen auch strafrechtlich ahndet. Denn der BGH
hat mit seinem Urteil abschließend dargelegt, dass
sich Kassenärzte anders als ihre angestellten Kollegen
nicht strafbar machen, wenn sie als Gegenleistung für
die Verordnung von Arzneimitteln von einem Pharma-
unternehmen Vorteile wie Geldzuwendungen oder
Geschenke annehmen. Dabei hat das höchste Gericht
ausdrücklich darauf verwiesen, dass es Sache des Gesetz-
gebers sei, entsprechende Straftatbestände zu schaf-
fen, die eine strafrechtliche Ahndung ermöglichen.

Minister Bahr hatte anlässlich der Debatten im letz-
ten Jahr angekündigt, zu prüfen, ob und welche Maß-
nahmen zur Korruptionsbekämpfung im Lichte dieses
Urteils zu ergreifen sind. Diese Prüfung ist mehr als
ein halbes Jahr nach Verkündung des Urteils, wie es
scheint, noch immer nicht abgeschlossen. Wahrschein-
licher ist jedoch, dass der politische Wille zum Han-
deln nicht vorhanden ist.

Wir erinnern uns an die Diskussion im Dezember:
Die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition sahen
keinen rechtlichen Handlungsbedarf und warfen der
Opposition dagegen einseitige Diffamierung der Ärzte-
schaft vor. Mit Erstaunen konnten wir dann nur wenige
Wochen später nach der Jahreswende einen Sinnes-
wandel innerhalb der CDU registrieren, als der ge-
sundheitspolitische Sprecher Jens Spahn öffentlich
strengere Regelungen gegen Korruption einforderte.
Wir begrüßen diese späte Einsicht; denn es ist Aufgabe
des Gesetzgebers, durch geeignete Normen sicherzu-
stellen, dass es bei einer Behandlung ausschließlich
um das Wohl des Patienten und nicht um materielle
Vorteile des Behandlers geht. Aber wir fordern, diesen
Ankündigungen vonseiten der CDU noch in dieser
Wahlperiode auch konkrete gesetzliche Regelungen
durch die noch amtierende Regierungskoalition folgen
zu lassen. Denn es wäre ein schweres Versäumnis der
Politik, nicht klar und entschlossen Maßnahmen zu er-
greifen, die das sensible und für die Heilbehandlung so
grundlegende Vertrauensverhältnis zwischen Arzt oder
sonstigen medizinischen Leistungserbringern und dem
Patienten schützen.

Wir wissen, dass es Handlungsbedarf gibt. Der
Bundesgerichtshof hat den Gesetzgeber aufgefordert,
die Strafrechtslücke zu schließen. Die Anträge vonsei-
ten der SPD und der Linken enthalten beide eine ent-
sprechende Forderung, der wir uns anschließen. Des
Weiteren werden wir Vorschläge zur stringenteren
Handhabung der berufsrechtlichen Regelungen und zu
mehr Transparenz über Zuwendungen aller Art zwi-
schen Leistungserbringern, Herstellern und Hilfsmit-
telerbringern vorlegen. Wir hoffen, dass die Schaffung
einer datenschutzrechtlichen Grundlage zur Übermitt-

lung von approbationsrechtlich oder berufsrechtlich
relevanten Daten zwischen den Kassenärztlichen Ver-
einigungen und den Landesärztekammern im Krebsre-
gistergesetz nicht das Einzige bleibt, was diese Koali-
tion zum Schutz der Patienten, der korrekt handelnden
Ärzte und sonstigen Leistungserbringer und der Versi-
chertengelder zuwege bringt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722541000

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen

auf den Drucksachen 17/12451 und 17/12213 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Gunkel, Heinz-Joachim Barchmann, Gabriele
Fograscher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Übermittlung von Fluggastdaten nur nach
europäischen Grundrechts- und Daten-
schutzmaßstäben
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EU-
ZBBG zum Richtlinienvorschlag
KOM(2011) 32 endg.

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland,
Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Vorratsspeicherung von Fluggastda-
ten – Richtlinienvorschlag über die Verwen-
dung von Fluggastdatensätzen

KOM(2011) 32 endg.; Ratsdok. 6007/11
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EU-
ZBBG

– Drucksachen 17/6293, 17/5490, 17/12473 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Jan Korte
Dr. Konstantin von Notz

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1722541100

Ich habe volles Vertrauen in die Bundesregierung,

und ich habe volles Vertrauen, dass sich Deutschland
unter Federführung des Bundesinnenministers auf
EU-Ebene erfolgreich für eine Fluggastdaten-Richtli-





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)

nie einsetzt, die praktikabel ist, die unserer Sicherheit
dient und die gleichzeitig angemessene Datenschutz-
standards gewährleistet.

Die Auswertung von Fluggastdaten ist nämlich un-
verzichtbar. Terrorismus und organisierte Kriminalität
machen nicht an Landesgrenzen halt, sondern sind im-
mer stärker international vernetzt. Wenn wir Sicher-
heit unter diesen sich verändernden Voraussetzungen
gewährleisten wollen, müssen wir unseren Behörden
auch Instrumente an die Hand geben, um angemessen
Gefahren abwehren und Straftaten verfolgen zu kön-
nen.

Fluggastdaten geben hier Auskunft über Reiserou-
ten von Tatverdächtigen und Terrorverdächtigen. Das
sind Erkenntnisse, die von enormer Bedeutung sind
und die in dieser Form nicht anders in Erfahrung ge-
bracht werden können. Die Erkenntnisse aus diesen
Daten tragen auch entscheidend dazu bei, Kriminelle
oder Terroristen zu identifizieren. Immer mehr Staaten
– darunter auch viele unserer Partner – nutzen Flug-
gastdaten zur Verfolgung und Abwehr von Terrorismus
und schweren Straftaten wie etwa Menschenhandel
oder Drogenschmuggel. Heute schon profitieren Si-
cherheitsbehörden in Europa von entsprechenden
Rückmeldungen. Die EU-Staaten und unsere Partner-
länder können auf Erfolge bei der Aufdeckung und Be-
kämpfung terroristischer und krimineller Netzwerke
verweisen, für die Fluggastdaten von großer Bedeu-
tung waren. Deshalb ist die Verwendung von Fluggast-
daten unverzichtbar. Und deshalb diskutieren wir über
die Fluggastdaten-Richtlinie der EU auch im Deut-
schen Bundestag.

Es freut mich, dass SPD und Grüne das genauso se-
hen und die Richtlinie über die Verwendung von Flug-
gastdaten in ihren Anträgen nicht grundsätzlich ableh-
nen. Alles andere wäre auch unglaubwürdig,
schließlich waren es SPD und Grüne, die die Fluggast-
datennutzung in Deutschland eingeführt haben. 2004
hat die damalige rot-grüne Bundesregierung dem ers-
ten PNR-Abkommen mit den USA zugestimmt, das als
eine der Grundlagen für den Richtlinienentwurf, den
wir heute debattieren, gelten darf. Es handelte sich da-
bei allerdings um ein Abkommen, das in keiner Weise
den Datenschutzanforderungen genügt hat, die SPD
und Grüne heute in ihren Anträgen fordern. Insofern
dokumentieren die vorliegenden Anträge auch einen
gewissen Lernprozess, was man auch einmal positiv
festhalten darf.

Alle Verbesserungen im Bereich des Datenschutzes,
die es auf diesem Feld seither gab – also im Abkom-
men mit den USA 2007, im neuen Abkommen mit den
USA, das im letzten Jahr vom Europäischen Parlament
verabschiedet wurde, in den Abkommen mit weiteren
Staaten –, wurden von Bundesinnenministern der
CDU/CSU auf europäischer Ebene verhandelt. Das
gilt auch für den Richtlinienentwurf, über den wir
heute sprechen. Deshalb braucht diese Bundesregie-
rung keine formale Aufforderung von SPD und Grünen
und auch keinen Parlamentsvorbehalt für die Verhand-

lungen. Daher werden wir die beiden Anträge ableh-
nen.

Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung
für Sicherheit und Grundrechtsschutz auch ohne sol-
che Hinweise sehr wohl bewusst. So hat sie sich im
Zuge der Beratungen neben vielen anderen daten-
schutzrechtlichen Verbesserungen insbesondere dafür
eingesetzt, die erhobenen PNR-Daten so weit wie mög-
lich nur in anonymisierter oder pseudonymisierter
Form vorzuhalten und auszuwerten, die Speicherfris-
ten deutlich zu reduzieren und für die sogenannte reak-
tive Nutzung hohe Eingriffsschwellen vorzusehen.

Im Europäischen Parlament liegen noch etliche Än-
derungsanträge zur PNR-Richtlinie auf dem Tisch, die
debattiert werden müssen und die sich teilweise mit
dem decken, was die beiden Anträge fordern. Ich
möchte dabei nur auf drei zentrale Punkte eingehen.

Mir stellt sich die Frage, ob die Speicherdauer
– 30 Tage offen, dann pseudonymisiert für fünf Jahre –
notwendig oder zu lange ist. Hier muss sehr genau
überlegt und begründet werden, ob es wirklich fünf
Jahre sein sollen. Aus meiner Sicht könnten es auch
weniger sein. Ehrlicherweise ist aber auch festzuhal-
ten: Diese Daten werden nicht gespeichert, weil der
Staat es will. Diese Daten sind alle schon heute bei den
Fluggesellschaften vorhanden und werden dort auch
heute schon mehrere Jahre gespeichert. Es geht also in
erster Linie um die Frage, ob wir unter bestimmten Vo-
raussetzungen den Sicherheitsbehörden diese Daten
zur Verfügung stellen, um Anschläge zu verhindern,
schwere Straftaten aufzuklären oder Verdächtige zu
identifizieren.

Eine weitere Frage: Sollen nur Flüge von außer-
halb in die EU erfasst werden oder auch Flüge inner-
halb der EU? Letzteres lehnen SPD und Grüne ab.
Diese Argumentation ist unlogisch, denn wir müssen
uns darüber klar sein, dass die Gefährlichkeit etwa
von Terrorverdächtigen nicht geringer wird, weil sie
von Barcelona nach Berlin fliegen statt von Beirut
nach Berlin. Die Beantwortung dieser Frage muss sich
meiner Einschätzung nach deshalb an der Gefährlich-
keit der Personen orientieren. Aus gutem Grund hat
das Vereinigte Königreich – unterstützt von einer gan-
zen Reihe EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spa-
nien, Italien, Tschechien, Irland, Niederlande, Estland
oder Dänemark und Zypern – eine Einbeziehung inner-
europäischer Flüge gefordert.

Für mich ganz persönlich stellt sich auch eine dritte
Frage, bei der ich auch Bedenken, die in den beiden
Anträgen angesprochen werden, ein Stück weit auf-
greifen möchte. Das oberste Ziel ist, zu verhindern,
dass ein Terrorverdächtiger ein Flugzeug besteigt. Da-
ran kann es keinen Zweifel geben. Auch um schwere
Straftaten aufzuklären, ist die Verwendung der Daten
absolut berechtigt. Deshalb ist es eine wesentliche
Zielrichtung bei der Nutzung von Fluggastdaten, Kri-
terien zu erkennen, mit denen Verdächtige identifiziert
werden können, was am Ende einer Art Rasterfahn-
Zu Protokoll gegebene Reden





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)

dung gleichkommt. Hier hat uns das Bundesverfas-
sungsgericht ganz klar aufgegeben: Die Rasterfahn-
dung ist zulässig, sie muss aber an eine konkrete
Gefahr geknüpft sein. Das heißt, eine pauschale Er-
mächtigung, diese Daten quasi jede Woche auf irgend-
welche Auffälligkeiten hin zu durchleuchten, ist recht-
lich nach unserem Verständnis schwer abzubilden.
Deshalb ist es notwendig, dass ein Bezug zu einer kon-
kreten Gefahr, dem begründeten Verdacht auf Terroris-
mus oder schwere Straftaten besteht.

Diese und andere Fragen müssen noch auf europäi-
scher Ebene gemeinsam geklärt werden. Wir müssen
dabei auch akzeptieren, dass unsere Partner in Europa
dabei teilweise unterschiedlicher Ansicht sind. An den
Grundzielen der PNR-Richtlinie gibt es aber nichts
mehr zu rütteln. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass
mit dieser PNR-Richtlinie eine echte Chance verbun-
den ist, weil damit ein einheitlicher Rahmen geschaf-
fen werden kann, in dem einheitliche Standards defi-
niert werden. Es gab und gibt zurzeit zwischen
einzelnen Staaten einen Wildwuchs bilateraler Abkom-
men. Es war in der Vergangenheit und teilweise bis
heute völlig unklar, wer wie viele Daten aus welchen
EU-Staaten bekommt, wie lange sie gespeichert wer-
den, wie sie genutzt werden und ob sie an Dritte wei-
tergegeben werden. Insofern ist die Richtlinie, durch
die Einheitlichkeit hergestellt wird, sehr zu begrüßen.
Und ich bin sicher, dass wir am Ende auch zu einem
guten Ergebnis kommen werden.


Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1722541200

Einmal mehr, aber bestimmt nicht zum letzten Mal

diskutieren wir die Problematik der Fluggastdaten.
Auch der Innenausschuss des Europäischen Parla-
ments wollte im vergangenen Dezember kurz vor der
Weihnachtspause den Vorschlag der Europäischen
Kommission für die Fluggastdaten-Richtlinie debattie-
ren. Die Debatte wurde nun auf unbestimmte Zeit ver-
schoben, da diese Richtlinie im Parlament höchst um-
stritten ist. Es bleibt also zu hoffen, dass die Parla-
mentarier mehr datenschutzrechtlichen Weitblick be-
sitzen als die Regierungsvertreterinnen und -vertreter,
die auf dem Rat der Justiz- und Innenminister im April
2012 die Richtlinie billigten.

Auch wenn die Bundesregierung in dieser Frage
ähnlich zerstritten ist wie bei der Richtlinie zur Vor-
ratsdatenspeicherung, können wir davon ausgehen,
dass die Speicherung von Fluggastdaten innerhalb Eu-
ropas kommen wird. Pauschale Ablehnung nutzt an
dieser Stelle nicht viel. Vielmehr ist es geboten, die da-
tenschutzrechtlichen Belange so zu stärken, dass die
Speicherung mit geringstmöglichen Eingriffen erfolgt.

Die SPD fordert deshalb die Bundesregierung auf,
unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes einige
Punkte in den Beratungen zu dem Richtlinienentwurf
dringend nachzuverhandeln. In dem heute hier von der
SPD-Fraktion eingebrachten Antrag werden diese
Punkte konkret aufgeführt.

Ich möchte noch einmal betonen, dass für mich
Maßstab für Art und Umfang der erhobenen Daten die
API-Daten sind. § 31 a Bundespolizeigesetz beschreibt
völlig ausreichend, wann welche Daten erhoben wer-
den und vor allem, wie lange sie gespeichert werden.

Es handelt sich dabei um zehn Datensätze, wie per-
sönliche Angaben, aber auch Abflugsort und -zeit so-
wie Details über die Reisedokumente. Gespeichert
werden diese Daten 24 Stunden, außer sie werden für
Grenzkontrollen oder zur Strafverfolgung wegen ille-
galer Einreise benötigt.

Diese Daten können ohne Weiteres auch für die Ter-
rorismusbekämpfung oder Fälle schwerer Kriminalität
anwendbar gemacht werden.

Die Europäische Kommission hat nicht ausreichend
begründet, warum dieser Datenbestand ungenügend
sein soll. Zwar erlaubten es die API-Daten der KOM
zufolge nicht, „,unbekannte‘ Verdächtige so zu identi-
fizieren wie dies mit einer Auswertung von PNR-Daten
möglich ist“ – KOM(2011) 32 endg., S. 5. Diese Aus-
sage wird jedoch nicht näher belegt.

Ich dagegen denke nicht, dass der Verwendung der
API-Daten ein plausibler Grund entgegensteht. So ist
auch der Bundesrat in seinem Beschluss zum Richtlini-
envorschlag vom 18. März 2011 zu dieser Schlussfol-
gerung gekommen.

Die Speicherfrist ist zu lang und sollte aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit verändert werden. Sie beträgt
grundsätzlich 30 Tage und soll dann noch einmal mit
Verschlüsselung um fünf Jahre verlängert werden. Tat-
sächlich kann aber auf diese Daten unter bestimmten
Voraussetzungen im Klartext zugegriffen werden.

Die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der auf
europäischer Ebene erfolgten Evaluierung haben er-
geben, dass eine Speicherfrist von sechs Monaten zur
Strafverfolgung nicht erforderlich ist. Circa 70 Prozent
der Abfragen von Daten erfolgen in den ersten drei
Monaten; der Anteil steigt auf 85 Prozent, wenn die
Daten maximal sechs Monate alt sind. Dieses Ergebnis
deckt sich mit den Erfahrungen auf nationaler Ebene.

In den USA, wo die Speicherung der PNR-Daten
nun schon seit einigen Jahren erfolgt, gab es genau ei-
nen Fall, in dem die Überprüfung sämtlicher Passa-
giere zu einem Gerichtsverfahren führte. Wenn man
das an den Millionen Daten misst, die seitdem abge-
speichert wurden und weiterhin werden, muss man die
Sinnhaftigkeit dieses Verfahrens stark bezweifeln.

Da in der Richtlinie bisher nicht eindeutig erkenn-
bar ist, wie die Übermittlung der Daten erfolgt, stellt
unser Antrag klar, dass die Beantwortung individueller
Anfragen der zuständigen Sicherheitsbehörden an-
hand des sogenannten Push-Systems zu erfolgen hat.
Bei diesem hat die anfragende Behörde keinen direk-
ten Zugriff auf die Daten. Vielmehr werden ihr diese
auf Anfrage von der speichernden Behörde übermit-
telt.
Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Gunkel


(A) (C)



(D)(B)

Ich habe einige Punkte, die der SPD-Bundestags-
fraktion wichtig sind, herausgegriffen. Die Fluggast-
daten werden kommen. Fraglich ist, wie sie gestaltet
werden. Eine grundsätzliche Ablehnung, so wie im An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschrie-
ben, teilen wir nicht. Dieser Antrag ist abzulehnen.
Für den Antrag der SPD-Fraktion bitte ich um Zustim-
mung.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1722541300

In meiner Rede zur ersten Lesung zum Antrag der

SPD-Fraktion habe ich versprochen, dass die FDP-
Fraktion hier im Bundestag wie schon bisher auch
künftig gemeinsam mit der Bundesregierung und der
liberalen Fraktion im Europaparlament die Entwick-
lungen in Sachen Fluggastdaten kritisch und genau
betrachten wird und zugleich die Bundesregierung da-
rin unterstützen wird, im Falle einer Mehrheit in Eu-
ropa sich mit aller Kraft für ein hohes Niveau an Da-
tenschutz und Rechtsschutz einzusetzen und so
wenigstens das, was nach dem rot-grünen Sündenfall
in Sachen PNR noch zu retten ist, auch tatsächlich im
Sinne unseres Rechtsstaates zu retten.

Denn das muss an dieser Stelle noch einmal aus-
drücklich betont werden: Wer hat’s erfunden? Die Ant-
wort ist ganz klar und eindeutig: Rot-Grün. Denn zu
Zeiten der rot-grünen Bundesregierung wurde erst-
mals ein PNR-Abkommen, damals zwischen EU und
USA, beschlossen. Damit war der Damm gebrochen –
und heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen und
müssen uns mit dem Vorschlag der Kommission, auch
innereuropäisch auf Vorrat die Daten von Flugpassa-
gieren zu sammeln und zu speichern, auseinanderset-
zen.

Deshalb ist es schon erstaunlich, dass ausgerechnet
SPD und Grüne heute so tun, als seien sie besonders
kritisch. Sie sind es nicht. Sie haben den Grundstein
gelegt für diese verfehlte Politik der EU.

Die Bundesregierung hat sich bei der – allerdings
noch nicht abschließenden – Abstimmung im Rat für
Justiz und Inneres der Stimme enthalten, zum einen,
weil es generelle Zweifel an der Verhältnismäßigkeit
gibt, zum anderen, weil die Gesamtspeicherdauer von
fünf Jahren zu lang erscheint. Eine Mehrheit für Flug-
gastdatenspeicherung gab es unter den Mitgliedstaa-
ten dennoch. Leider, muss man sagen. Besonders
bedauerlich ist, dass sich die Mitgliedstaaten mehr-
heitlich sogar für ein Weniger an Datenschutz aus-
sprechen als die Kommission. Statt wie von der Kom-
mission vorgeschlagen für 30 Tage, sollen die
Passagierdaten nun für ganze zwei Jahre im Klartext
und ohne Anonymisierung oder Pseudonymisierung
gespeichert werden. Neu ist zudem, dass die Mitglied-
staaten entscheiden können sollen, ob oder ob sie nicht
Daten für innereuropäische Flüge erheben. Der Vor-
schlag der Kommission hatte innereuropäische Flüge
außen vor gelassen. Beide Mehrheitsvorschläge wi-
dersprechen diametral dem Ziel der schwarz-gelben
Koalition, im Falle, dass es überhaupt eine EU-Flug-

gastdatenspeicherung gibt, wenigstens ein hohes Da-
tenschutzniveau zu verankern. Für die FDP-Fraktion
sage ich an dieser Stelle ganz klar: Für Deutschland
lehnen wir eine Speicherung von Daten auch inner-
europäischer Flüge strikt ab.

Wann der Rat endgültig entscheiden wird, ist nicht
absehbar. Auch ist nicht absehbar, wie es im Europa-
parlament weitergeht. Der Ausschuss für bürgerliche
Freiheiten hat noch nicht entschieden und auch noch
keinen abschließenden Zeitplan vorgelegt. Die deut-
schen Liberalen im Europaparlament – allen voran
der deutsche Vizepräsident Alexander Alvaro, dem ich
an dieser Stelle nach einem schweren Autounfall die
besten Genesungswünsche übermitteln möchte, ebenso
wie den anderen, die bei dem schrecklichen Unfall ver-
letzt wurden – haben sich kritisch zu den Vorschlägen
geäußert. Wie auch die Liberalen im Bundestag sehen
sie das anlasslose Sammeln von Fluggastdaten als
höchst problematisch an.

Ich will auch gar nicht verhehlen, dass wir in vielen
Punkten die Kritik in den hier zu beratenden Anträgen
durchaus teilen. Wenn es nach der FDP-Fraktion
ginge, würden wir auf diese neuerliche Vorratsdaten-
speicherung insgesamt gut und gerne verzichten. Wir
müssen nur leider anerkennen, dass die Mehrheiten in
der EU anders sind. Daran ändert leider auch die
Stimme der Bundesregierung im Rat nichts. Damit
müssen wir umgehen. Und es muss uns mindestens ein
Anliegen sein, dann das zu retten, was zu retten ist und
eine verfehlte Maßnahme mit hohen Datenschutzstan-
dards zu flankieren. Im aktuellen Vorschlag gibt es da
noch viel zu tun. Die Speicherfristen sind zu lang. Die
Weiterleitung an Drittstaaten muss deutlich restrikti-
ver geregelt werden. Die Einbeziehung innereuropäi-
scher Flüge und erst recht die Schaffung eines Präze-
denzfalls für andere Verkehrsmittel muss unter allen
Umständen verhindert werden. Die FDP-Fraktion ist
deshalb froh, dass die Bundesregierung im Rat auf ein
hohes Datenschutzniveau dringt.

Aber zugleich muss ich doch feststellen, dass der
Antrag, den die SPD hier vorlegt, an Heuchelei kaum
zu überbieten ist. Die SPD, die sich für die Vorratsda-
tenspeicherung einsetzt, hat auch kein grundsätzliches
Problem mit der Fluggastdatenspeicherung auf Vor-
rat, und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht,
als es das Gesetz der damaligen SPD-Justizministerin
Zypries für nichtig erklärte, ausführte, dass „die Spei-
cherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht
als Schritt hin zu einer Gesetzgebung verstanden wer-
den“ darf, „die auf eine möglichst flächendeckende
vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung
oder Gefahrenprävention nützlichen Daten zielte“.
Wenn die SPD fordert, sich an dem Urteil zu orientie-
ren, dann sollte sie auch konsequent sein.

Im Mai 2004 haben die Grünen gegen einen Antrag
der FDP-Fraktion gestimmt, in dem wir rechtstaatli-
che Garantien und Datenschutz bei dem Abkommen zu
Fluggastdaten, das damals von der rot-grünen Regie-
rung in Brüssel abgenickt worden war, gefordert ha-
Zu Protokoll gegebene Reden





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)

ben. Heute erinnern sich die Grünen daran nicht mehr
und wollen uns hier Nachhilfe in Bürgerrechten ertei-
len. Das haben wir nicht nötig. Unsere Bundesjustiz-
ministerin hat in Brüssel nicht zugestimmt und wird
dies auch nicht tun.

Wir haben – auch das haben Sie ohnehin alle
geahnt – in Sachen Fluggastdatenspeicherung unter-
schiedliche Haltungen zwischen FDP und Union. Das
kommt ja durchaus vor, dass auch Wunschkoalitions-
partner nicht immer ein und derselben Meinung sind;
man sieht ja beispielsweise auch, dass die SPD Flug-
gastdatenspeicherungen nicht grundsätzlich ablehnt,
die Grünen aber genau das in ihrem Antrag fordern.
Aber in der schwarz-gelben Koalition halten sich alle
Koalitionspartner an den Koalitionsvertrag. Und dort
heißt es, dass wir im Falle eines EU-Vorschlags für ein
hohes Datenschutz- und Rechtschutzniveau eintreten
werden. Das ist – vor dem Hintergrund der nicht zu
leugnenden Realität in der EU – immerhin richtig.
Und da sind wir auch auf dem richtigen Weg, wenn die
Bundesregierung im Rat ihre Zustimmung verweigert
zu Vorschlägen, die diesem Anspruch nicht gerecht
werden. Mit unserer Justizministerin erreichen wir da
sicherlich mehr, als Rot-Grün es in vergleichbaren
Fällen in der Vergangenheit getan hat.

Um zum anfänglichen Versprechen zurückzukom-
men: Wir haben das eingehalten. Und deshalb kann
die Koalition den Anträgen von SPD und Grünen nicht
zustimmen. Viele Kolleginnen und Kollegen der FDP-
Fraktion haben jedoch, wie auch ich, eine persönliche
Erklärung abgegeben, in der wir deutlich machen,
dass unsere Haltung zu Fluggastdatenspeicherung un-
verändert ablehnend ist.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722541400

Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Verwen-

dung von Fluggastdaten soll die anlass- und ver-
dachtsunabhängige Erfassung der Daten aus den
Buchungssystemen der Fluggesellschaften an eine
deutsche Zentralstelle der Sicherheitsbehörden ermög-
lichen, die dort fünf Jahre gespeichert werden. Vorran-
giges Ziel soll dabei die Identifizierung in terroristische
Straftaten oder schwere Kriminalität verwickelter, bis-
her aber unerkannter Verdächtiger sein.

Das in der Richtlinie gewählte Verfahren führt – wie
die 81. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des
Bundes und der Länder zu Recht und nachdrücklich
festgestellt hat – zu einem systematischen Zusammen-
spiel von Vorratsdatenspeicherung und Rasterfahn-
dung.

Die Datenübermittlung, wie auch die Länge der
Speicherfristen, verstoßen gegen die EU-Grund-
rechtecharta und das in der Bundesrepublik Deutsch-
land verfassungsmäßig garantierte Recht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung. Das ist nicht hinnehmbar
und zumindest für meine Fraktion auch schon im An-
satz nicht diskussionsfähig. Denn: Die Richtlinie ver-
stößt insbesondere gegen das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 2. März 2010, 1BvR 256/08, zur

Vorratsdatenspeicherung. Das erklärt nämlich Spei-
cherfristen von maximal sechs Monaten nur unter be-
stimmten Bedingungen für zulässig und fordert zudem
kategorisch, dass die Bundesregierung sich auf euro-
päischer Ebene für die Wahrung der verfassungsrecht-
lichen Identität der Bundesrepublik Deutschland und
ihrer Bürgerinnen und Bürger einzusetzen hat.

Ein konkreter Nachweis über die Effektivität und die
Notwendigkeit einer Fluggastdatenvorratsspeiche-
rung bei der Vorsorge und Bekämpfung von Terroris-
mus wurde bisher nicht erbracht; eine konkrete Evalu-
ierung der existierenden Abkommen mit den USA,
Kanada und Australien liegt nicht vor. Eine Evaluie-
rung der Änderungen im Bundespolizeigesetz, wie sie
im Dritten Gesetz zur Änderung des Bundespolizeige-
setzes, BGBl. Teil I 2007 Nr. 70, 31.Dezember 2007,
zur Einführung einer kleinen PNR-Regelung vorge-
nommen wurden, liegt ebenfalls nicht vor. Eine Aus-
weitung im Sinne der Richtlinie kann also auch nicht
mit möglichen Defiziten dieser Regelungen begründet
werden.

In der Antwort auf meine Schriftliche Frage im
März 2011, Arbeits-Nr. 3/243, wurde bereits eine viel
zu passive Rolle der Bundesregierung in der Diskus-
sion zur Ausweitung der PNR-Regelungen auf innereu-
ropäische Flüge oder gar auf Bahn- und Schiffsver-
kehr deutlich, die unverzüglich korrigiert werden
muss.

Den Bedenken, die der Bundesrat für die Länder in
seiner Pressemitteilung vom 18. März 2011 zu dem
Richtlinienvorschlag geäußert hat und mit denen er
eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Vor-
schlags einleuchtend begründete, kann nur sinnvoll
stattgegeben werden, wenn die Bundesregierung dem
Richtlinienvorschlag auf keinen Fall zustimmt. Es
müsste hier und heute also darum gehen, dass der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert,
erstens dem Vorschlag auf Ratsdok.-Nr. 6007/11 vom
4. Februar 2011 auf keinen Fall zuzustimmen und das
Inkrafttreten zu verhindern und zweitens jeglichen
Überlegungen auf europäischer Ebene nach einer
Ausweitung von PNR-Verfahren auf innereuropäische
Flüge und auf den Bahn- und Schiffsverkehr aktiv ent-
gegenzutreten.

Was bieten uns in dieser Hinsicht die vorgelegten
Anträge von SPD und Grünen? Der Antrag der Grü-
nen fordert die Bundesregierung unter anderem auf,
die in der Richtlinie der EU-Kommission zur Fluggast-
datenerfassung angelegte Vorratsdatenspeicherung ab-
zulehnen, einen staatlichen Datenpool nicht zuzulas-
sen und die Speicherfristen von anfallenden Daten
drastisch zu kürzen.

Geltend gemacht werden dazu eine Reihe verfas-
sungsmäßiger Bedenken, darunter Verstöße gegen das
von mir schon erwähnte Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts in Sachen Vorratsdatenspeicherung sowie
gravierende Lücken im zugrunde gelegten Rahmenbe-
schluss 2008/977/JI bei den Datenschutzvorschriften.
Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)

Dieser Analyse des Antrags ist wenig hinzuzufügen,
und auch der Antragstitels lässt eigentlich hoffen:
„Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten“. Wäre
dies also tatsächlich im Forderungsteil umgesetzt,
könnte man dem ja ohne Wenn und Aber zustimmen.
Der Sieben-Punkte-Forderungskatalog des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird dem Titel
leider nicht mehr gerecht. Im Gegenteil: Der grüne
Antrag ist eine Demonstration des schrittweisen Rück-
zugs mit vollen Backen. Sehen wir uns Punkt 6 an:
Falls ein Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung
nicht durchsetzbar ist, soll deren Ausdehnung auf inner-
europäische Flüge abgelehnt werden. Oder Punkt 7:
Falls ein Verzicht einer Vorratsdatenspeicherung bei
Flügen nicht durchsetzbar ist, sollen jedenfalls die
Passagierdaten, die bei Nutzung anderer Verkehrsmit-
tel anfallen, verschont werden.

Hier wird zwar der zu Recht geringe Glaube in den
Verhandlungswillen der Bundesregierung deutlich,
trotzdem klingt es doch sehr nach der Bestellung der
Henkersmahlzeit: Nun auch jeweils schon die nächste
Verhandlungslinie vorzuschlagen, ist im Rahmen einer
solchen Stellungnahme nicht besonders sinnvoll.

Nun zum Antrag der SPD: Wie die Grünen wendet
sich auch die SPD mit ihrer Stellungnahme gegen den
Richtlinienvorschlag, da die Richtlinie eine klassische
Vorratsdatenspeicherung fordere. Da die dafür vom
Bundesverfassungsgericht vorgegebenen strengeren
Vorgaben nicht berücksichtigt sind, fordert die SPD
eine datenschutzrechtliche Nachbesserung. Daneben
wird zu Recht auch der Umfang der zu speichernden
und zu übermittelnden Daten kritisiert. Des Weiteren
werden Speicherfristen, rasterfahndungsähnliche Ab-
gleichverfahren und die drohende Einführung eines
solchen Verfahrens für innereuropäische Flüge und
andere Verkehrsmittel kritisiert.

So sinnvoll einzelne Forderungen der SPD in ihrem
Katalog sind, so problematisch ist ihre Grundan-
nahme, die uns hier wieder einmal begegnet, nämlich
dass es eine datenschutz- und grundrechtskonforme
Vorratsdatenspeicherung überhaupt geben kann. Und
dieser naiven Vorstellung schließt sich die nicht be-
legte Annahme an, dass die Passagierdatenspeiche-
rung tatsächlich ein wirkungsvolles Mittel im Kampf
gegen den Terrorismus oder andere schwere Krimina-
lität sei.

Wenn alle hier im SPD-Antrag vorgelegten Verbes-
serungsvorschläge in der Richtlinie aufgenommen
werden würden, würde sich überhaupt nichts daran
ändern, dass jeder und jede, der und die in ein Flug-
zeug steigt, einem Generalverdacht ausgesetzt und da-
tenschutzrechtlich diskriminiert wird. Sie ändern rein
gar nichts an der Tatsache, dass hier eine anlasslose
Vorratsdatenspeicherung stattfindet, deren Nutzen
sachlich nicht nachgewiesen ist.

Wir werden weder einer Vorratsdatenspeicherung
light zustimmen, noch der sicherlich nett gemeinten
Verhandlungsstrategie der Grünen für die Bundesre-

gierung, die aber wenigstens verstanden zu haben
scheinen, dass die Vorratsdatenspeicherung ein Pro-
blem ist. Den Antrag der SPD-Fraktion lehnen wir ab.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten, ihre
Verwendung zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Kri-
minalitätsbekämpfung in ganz Europa und ihre Weiter-
leitung in die USA und Australien haben uns hier
schon mehrfach beschäftigt. Heute diskutieren wir zum
zweiten Mal über den grünen Antrag zum EU-Richtli-
nienentwurf zur Vorratsdatenspeicherung von Flug-
gastdaten.

Mit diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung
schlicht auf, ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht nach-
zukommen, bei den Verhandlungen in Brüssel eine ver-
fassungskonforme Position zu vertreten. Die einzig
verfassungskonforme Position zu diesem Richtlinien-
entwurf ist seine Ablehnung, da der Richtlinienentwurf
den EU-Grundrechten widerspricht und weil er auch
nicht verfassungskonform umsetzbar ist. Denn es sind
keine behebbaren Kleinigkeiten, die im Richtlinienent-
wurf falsch liegen; es ist das Gesamtkonzept des Vor-
habens, das völlig konträr zu deutschen und europäi-
schen Grundrechten liegt.

Noch nicht einmal die Erforderlichkeit der Flug-
gastdatenspeicherung für die Verhütung und Bekämp-
fung des Terrorismus und der schweren Kriminalität
ist nachgewiesen, geschweige denn, dass die enorm
hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts
an Vorratsdatenspeicherungen und präventive Raste-
rung von Daten auch nur annähernd erfüllt wären. Sie
finden eine eingehende rechtliche Argumentation zur
EU-Grundrechtswidrigkeit und zur Verfassungswid-
rigkeit dieses Richtlinienentwurfs in unserem Antrag.
Wir haben diese übrigens auch gegenüber Vertretern
der Bundesregierung in den Ausschüssen des Bundes-
tages mehrfach vorgetragen.

Ich spare mir die Mühe, diese Argumente hier alle
noch einmal vorzutragen; denn sie sind ja, auch bei
CDU/CSU und FDP, durchaus bekannt. Wir haben es
schon seit zwei Jahren schwarz auf weiß, dass ein Teil
der Bundesregierung beim Richtlinienentwurf eben-
falls massive verfassungsrechtliche Bedenken hat.

Ich spare mir auch die Mühe der weiteren verfas-
sungsrechtlichen Argumentation, weil ich zu dem Schluss
gekommen bin, dass diese schwarz-gelbe Merkel-Re-
gierung gar kein Interesse daran hat, den Schutz der
Grund- und Bürgerrechte des Grundgesetzes als Maß-
stab der EU-Politik durchzusetzen. Die Argumente
müssten ja sonst langsam zu allen durchgedrungen
sein. Nicht nur der Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz, sondern auch die europäischen Datenschutzbe-
auftragten und die EU-Grundrechteagentur, selbst der
juristische Dienst des Rates der EU – ja, genau des Or-
ganes der EU, in dem die Regierungen der Mitglied-
staaten vertreten sind – halten den Richtlinienentwurf
für grundrechtswidrig. Auch der Bundesrat ist, im We-
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)

sentlichen wegen datenschutzrechtlicher Bedenken,
dagegen.

Dennoch: Schwarz-Gelb mit Merkel an der Spitze
setzt offenbar lieber auf den Grundrechteabbau durch
die europäische Hintertür. Man glaubt es kaum: Da
wird in Brüssel eine Richtlinie verhandelt, die allem
widerspricht, was das Bundesverfassungsgericht uns
zum Datenschutz aufgegeben hat. Und was macht die
schwarz-gelbe Merkel-Regierung im Wissen um diese
verfassungsrechtlichen Probleme? Wie immer: Sie sitzt
aus, sie schweigt, sie enthält sich – das haben wir dank
einer Kleinen Anfrage der Linken nun öffentlich und
schriftlich – in der entscheidenden Frage der Stimme.

Es geht hier nicht um ein Detail oder eine kleine Be-
sonderheit des deutschen Datenschutzrechts, die es zu
schützen gilt. Es geht um den elementaren, in der Men-
schenwürde begründeten Schutz der Bürgerinnen und
Bürger vor Rundumüberwachung. Es geht um eine an-
lasslose Überwachung und Rasterung von Daten, die
höchst anfällig ist für unzulässig diskriminierende
Praktiken der Sicherheitsbehörden. Berührt sind hier
die Grundfesten unseres Verfassungsstaates. Das Bun-
desverfassungsgericht hat zu Recht deutlich gemacht,
dass weitere Vorratsdatenspeicherungen gegen das
zentrale Gebot des Grundgesetzes verstoßen – ich zi-
tiere –: „Die Freiheitswahrnehmung der Bürger darf
nicht total erfasst und registriert“ werden. Da das Ge-
richt die unsichere Haltung der Bundesregierung in
derartigen Fragen kennt, hat es versucht, ihr die Fol-
gen ganz deutlich zu machen: Für die Wahrung dieses
Grundsatzes hat sich – Zitat – „die Bundesrepublik in
europäischen und internationalen Zusammenhängen
einzusetzen“. Die Stimmenthaltung in Brüssel ist also
nicht nur politisch ein verheerendes Signal, sondern
sie ist auch verfassungswidrig.

Leider müssen wir auch bei der laufenden Diskus-
sion über die Harmonisierung des EU-Datenschutzes
berücksichtigen, dass die Bundesregierung sich nicht
für den Datenschutz einsetzt und die Schaffung starker
Datenschutzstandards eher blockiert, als sie zu beför-
dern. Es gibt also in Wirklichkeit auch keine Abstufung
des Handelns dieser Bundesregierung in Sachen Da-
tenschutz der Wirtschaft und Datenschutz der öffentli-
chen Verwaltung. In beiden Fällen versucht sie, zu-
gunsten der Bürgerinnen und Bürger bestehende
rechtliche Bindungen aufzuweichen. Dabei geht es ihr
wechselweise um die öffentliche Sicherheit oder die In-
teressen der Unternehmen. Das Allgemeinwohl oder
die Grundrechte werden stets nachrangig eingestuft.

Dass die Bundesregierung die Verhandlungen über
die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten so gesche-
hen lässt, erzeugt ein politisches Klima, das es der EU-
Kommission ermöglicht, schon vor Verabschiedung
der Fluggastdatenrichtlinie eine Ausschreibung in
Höhe von 50 Millionen Euro zu veröffentlichen, um die
Schaffung der staatlichen Fluggastpools, die die Richt-
linie vorschreibt, zu fördern. In diesem politischen
Klima hat die International Air Transport Association,
die IATA, nun auch ein Konzept für eine New Distribu-

tion Capability, NDC, entwickelt. Hinter diesem Pro-
jekt verbirgt sich eine private Vorratsspeicherung von
Fluggastdaten, die dazu dienen soll, maßgeschnei-
derte Preisangebote je nach Geldbeutel des Kunden zu
machen. Die Pläne der IATA widersprechen dem gel-
tenden europäischen Datenschutzrecht. Aber wen stört
das, wenn die Mitgliedstaaten im Rat seelenruhig über
grundrechtswidrige Richtlinien beraten?

Die Enthaltung der Bundesregierung bei der Flug-
gastdatenrichtlinie zeigt ihre Handlungsunfähigkeit
und ihre mangelnde Sensibilität für Grund- und Bür-
gerrechte. Sie zeigt aber vor allem auch eine erschre-
ckende europapolitische Blindheit. Müsste das Bun-
desverfassungsgericht über ein Gesetz zur Umsetzung
der Fluggastdatenrichtlinie entscheiden, könnte das
massive Folgen für den rechtlichen Zusammenhalt in
der Europäischen Union haben. Denn das Bundesver-
fassungsgericht stünde dann vor der Wahl, entweder
erstmals das Europarecht direkt anzugreifen, weil es
keinen angemessenen Grundrechtsschutz gewährleis-
tet, oder aber sich in Widerspruch zu seiner eigenen
jüngsten Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung
und zur präventiven Rasterfahndung zu setzen. Erspa-
ren Sie sich und uns diese Niederlage für die Grund-
rechte des Grundgesetzes und die europäische Harmo-
nisierung!

Für die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus
und der schweren Kriminalität brauchen wir sie nicht,
diese Speicherung von 19 Datenkategorien von mehr
als 1 Milliarde Flugpassagieren in der EU in einem
staatlichen Datenpool. Wir brauchen auch nicht den
Zugriff unzähliger Sicherheitsbehörden aus allen
27 EU-Staaten auf deutsche Datenpools, schon gar
nicht, solange es für diese keine adäquaten EU-Daten-
schutzstandards gibt. Wir brauchen ihn nicht, diesen
präventiven Abgleich mit anderen Datenbeständen.
Und wir wollen sie nicht, diese zusätzliche anlasslose
Überwachung zulasten des Datenschutzes und um den
Preis der Diskriminierung.

Noch ist die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von
Fluggastdaten nicht verabschiedet. Deswegen heute
noch einmal mein Appell an die schwarz-gelbe
Merkel-Regierung: Tragen Sie die Maßstäbe des
Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung
aus dem Grundgesetz nach Europa, statt den politi-
schen Grundrechteabbau durch die europäische Hin-
tertür zu betreiben! Positionieren Sie sich klar gegen
diesen Richtlinienentwurf, und setzen Sie Ihre Ver-
handlungsmacht ein. Hinter Ihnen steht nicht nur das
Bundesverfassungsgericht, sondern hinter Ihnen ste-
hen auch die Verfassungsgerichte anderer EU-Mit-
gliedstaaten, zum Beispiel von Österreich und Rumä-
nien.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722541500

Mir liegt eine Vielzahl von Erklärungen zur Ab-

stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1) Wir

1) Anlage 17





Vizepräsidentin Petra Pau

(A) (C)



(D)(B)


nehmen all diese zu Protokoll und kommen zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses auf Drucksache 17/12473. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/6293.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion
angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/5490. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer

enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich danke Ihnen für die gute Zusammenarbeit bei un-
serem Ritt durch nahezu alle Politikbereiche am Ende
unserer Sitzung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 1. März 2013, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.