Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen
Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Jahresabrüstungsbericht 2012.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister des Auswärtigen, Herr Michael
Georg Link. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bun-deskabinett hat heute den 30. Jahresabrüstungsberichtder Bundesregierung verabschiedet. Er ist Ihnen heuteMorgen sofort nach der Kabinettssitzung zugegangen.Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungsind vorrangige Handlungsfelder deutscher Außen- undSicherheitspolitik. Die Bundesregierung ist dem Ziel ei-ner nuklearwaffenfreien Welt verpflichtet. Sie setzt sichfür mehr Sicherheit und Stabilität durch weniger Waffenund höhere Transparenz und die Verhinderung von Proli-feration ein.und weiter auf die Reduzierung der in Europa stationier-ten Waffen hinarbeiten.Zu einem anderen wichtigen Feld des Jahresabrüs-tungsberichts: konventionelle Rüstungskontrolle. Die Bun-desregierung ist für Fortschritte bei der konventionellenRüstungskontrolle in Europa als ein zentrales und unver-zichtbares Element kooperativer europäischer Sicher-heitsarchitektur eingetreten. Eines ist klar: Mehr Sicher-heit und Stabilität in Europa kann es nur mit und nichtgegen Russland geben. Deshalb setzt sich die Bundesre-gierung auch bei der Raketenabwehr konsequent für einekooperative Lösung und den Dialog mit Russland ein.Die Proliferationsfälle Iran und Nordkorea – ein wei-terer wichtiger Teil des Berichts – erfüllen uns weiterhinmit großer Sorge. Bei der laufenden Verhandlungsrundemit Iran in Almaty – heute Nacht bzw. gestern wurdeweiter verhandelt – haben die E 3 plus 3 ein Angebot un-terbreitet, von dem wir uns den Einstieg in substanzielleVerhandlungen erhoffen.Um Proliferationsrisiken tatsächlich und effizient ein-dämmen zu können, müssen wir den Nuklearen Nicht-verbreitungsvertrag stärken. Dies tun wir mit unserenPartnern der Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitia-tive, NPDI, vor allem mit Blick auf eine reduzierte RolleDie Erfolge im Berichtszeitraum können sich sehenlassen. Trotzdem wären wir in manchen Bereichen gernenoch wesentlich weiter gegangen. Abrüstungspolitik istaber das Bohren dicker Bretter. Viele Entscheidungenkönnen und wollen wir nur im Konsens mit unserenPartnern treffen.Ein wichtiges Schlüsseldatum im aktuellen Berichts-zeitraum war der NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012.Durch den erfolgreichen Abschluss der Überprüfung desNATO-Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivsbeim NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 wurde dasProfil der Allianz auch in Abrüstungs- und Rüstungs-kontrollfragen deutlich gestärkt. Jetzt gilt es, den Dialogmit Russland zu substrategischen Nuklearwaffen voran-zubringen. Damit können wir künftige Abrüstungs-schritte zwischen den USA und Russland unterstützenvon Nuklearwaffen. Gerade hier zählen wir auf die engeZusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.Die Bundesregierung hat – um zu einem weiteren Be-reich zu kommen – in Libyen und dessen Nachbarstaatenerheblich zur Sicherung und Vernichtung von Waffenbeigetragen. Damit hat sie einen wichtigen Beitrag zurKonfliktprävention und Postkonfliktbewältigung in derGesamtregion, die weiterhin sehr volatil bleibt, geleistet.Kolleginnen und Kollegen, auf dem Weg zu eineratomwaffenfreien und sicheren Welt liegen noch großeHerausforderungen vor uns. Die Bundesregierung zähltbei den erwähnten Themen – ich darf persönlich hinzu-fügen, dass ich froh bin, dass wir hier über die Fraktions-grenzen hinweg viele dieser Themen durch die Bank tei-len – weiterhin auf die Unterstützung des Bundestages.Für das Auswärtige Amt, das die Erstellung dieses Be-
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27828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Staatsminister Michael Link
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Dazu möchte ich an dieser Stelle auf den Rüstungs-
exportbericht verweisen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Djir-Sarai.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,
wir haben vorhin über das Thema Iran gesprochen. Wir
haben sowohl im Auswärtigen Ausschuss als auch hier
im Plenum in diesem Zusammenhang häufig über das
Thema Sanktionen gesprochen. Selbstverständlich müs-
sen wir uns gelegentlich die Frage stellen, wie sich diese
Sanktionen vor Ort auswirken. Mich interessiert: Wie
schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der
Sanktionen ein? Sind die Sanktionen in dieser Form not-
wendig? Und vor allem: Wie werden sie bewertet?
Herr Kollege, die Dauerdiskussion bezüglich Sanktio-
nen dreht sich immer um die Frage: Treffen sie die Rich-
tigen, oder treffen sie die Falschen? – Hier sind keine
klaren Schwarz-Weiß-Antworten möglich. Wir gehen
davon aus, dass die Sanktionen, die gegen den Iran ver-
hängt wurden, wirken, insbesondere dadurch, dass sie
mittlerweile ein umfassendes Ausmaß erreicht haben.
Wir haben bei vielen EU-Partnern, die am Anfang von
weiteren Sanktionen nicht begeistert waren, aktiv dafür
geworben. Es ist ganz wesentlich das Verdienst Deutsch-
lands, dass die Sanktionen ausgeweitet werden konnten.
Wir sind der Ansicht, dass sie von Dauer und Ausmaß
her jetzt tatsächlich so zu wirken anfangen, dass eine ira-
nische Verhandlungsbereitschaft entstehen könnte.
Die E-3-plus-3-Gespräche in Almaty würde ich des-
halb jetzt per se weder positiv noch negativ bewerten.
Wichtig ist, dass es – das läuft bereits über die Agentu-
ren – eine Fortsetzung geben soll. Über die Agenturen
laufen auch bereits Daten, wann es die nächsten Gesprä-
che geben soll: am 18. März und am 5./6. April,
zunächst in Istanbul, dann in Almaty. Das können wir
bestätigen. Es gibt insofern zumindest einen Schritt in
die richtige Richtung: im Gefolge der Verhandlungsan-
gebote, die in München ausgetauscht wurden, den
Verhandlungsfaden jetzt tatsächlich wieder aufzuneh-
men. Aber wohlgemerkt: Es ist noch zu früh, um konkret
etwas Positives oder Negatives zu sagen.
Kollege Wolfgang Gehrcke, bitte.
Danke sehr, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,
wenn man seriös über den Abrüstungsbericht, der heute
auf den Tisch gekommen ist und über 200 Seiten
umfasst, debattieren will, sollte man überlegen – ich
erlaube mir diese Anregung an die Parlamentarischen
Geschäftsführer –, ob nicht eine vereinbarte Debatte der
Bedeutung des Berichts angemessen wäre.
– Die machen wir sowieso? Prima!
Ich möchte gerne nach der Glaubwürdigkeit der
Bundesregierung fragen. Die Bundesregierung wird
mehr als Aufrüstungspartei statt als Abrüstungspartei
wahrgenommen. Wäre die Bundesregierung zu folgen-
den drei Schritten bereit: erstens auf die Anschaffung be-
waffneter Drohnen zu verzichten, zweitens sich an die
USA mit der Bitte zu wenden, die Atomwaffen aus
Deutschland abzuziehen, und drittens das Raketen-
abwehrsystem, das einen tiefen Bruch mit Russland
darstellt, erneut zur Disposition zu stellen? Das wäre ein
Akt der Glaubwürdigkeit. Dann könnte man gelassener
über den Bericht reden.
Herr Staatsminister.
Kollege Gehrcke hat jetzt doch fast schon die politi-
sche Debatte – eine kleine Aktuelle Stunde – eröffnet.
Kollege Gehrcke, die Fraktionen sind natürlich frei,
eine vereinbarte Debatte zu dem Bericht durchzuführen.
Der Bericht ist heute Morgen im Bundeskabinett be-
schlossen worden. Wir stellen ihn hier kurz im Rahmen
der normalen Regierungsbefragung vor. Ansonsten
möchte ich nur darauf hinweisen: Er lohnt wirklich die
Lektüre, gerade weil die Sprache des Berichts keine
Rhetorik ist, sondern in ihm wichtige Fakten dargelegt
werden, die in diesem Bereich im letzten Jahr erreicht
wurden. Wo Sie das Thema der Raketenabwehr im Hin-
blick auf Russland ansprechen, muss ich sagen: Ja, auch
über diese Frage sprechen wir intensiv mit Russland,
weil wir eine kooperative Lösung für berechtigte Sicher-
heitsinteressen Russlands finden wollen. Es darf hier
aber auch keine Vetoposition eines Spielers geben.
Jetzt ist Kollegin Inge Höger an der Reihe.
Herr Staatsminister, einerseits loben Sie sich in IhremJahresabrüstungsbericht besonders dafür, dass Sie sichfür das Zustandekommen eines Waffenhandelsvertrages,ATT, eingesetzt haben. Er ist ja nun am Widerstand unteranderem der USA, Russlands, Chinas und Ägyptens ge-scheitert. Andererseits tut sich die Bundesregierungnicht gerade dadurch hervor, dass sie weniger Waffenexportiert. Vielmehr hat die deutsche Rüstungsindustrielaut den neuesten Zahlen gerade im letzten Jahr gute
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27832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Inge Höger
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Konkret wird hierzu zum Beispiel im Bereich des VN-
Waffenregisters in Kürze Gelegenheit sein. Die Bundes-
regierung wird 2013 bei der Regierungsexpertengruppe
der Vereinten Nationen – 15 Staaten nehmen teil –
mitmachen. Damit haben wir die Möglichkeit, an der
Anpassung dieses wichtigen Transparenzinstrumentari-
ums an technologische Weiterentwicklungen und tech-
nologische Neuerungen mitzuwirken. Da wird sich ins-
besondere die Frage der Meldepraxis bei bewaffneten
Drohnen stellen.
Die nächste Frage geht an Christoph Schnurr.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister, ich würde gerne
wissen, wie es um das Ottawa-Übereinkommen zur Äch-
tung von Antipersonenminen steht, ob es hier weitere
Entwicklungen gibt und wie der Stand der Dinge ist.
Danke, Herr Kollege Schnurr. – Was das Ottawa-
Übereinkommen zur Ächtung von Antipersonenminen
angeht, hat sich die Bundesregierung von Anfang an mit
Nachdruck für sein Zustandekommen, seine Umsetzung
und vor allem die Universalisierung des Übereinkom-
mens eingesetzt; hier gibt es allerdings noch viele Lü-
cken. Wir verfolgen unsere Ziele gerade mit unseren
engsten Verbündeten weiterhin. Für weltweite Projekte
der humanitären Minen- und Kampfmittelräumung hat
die Bundesregierung seit 1992 – das nur informandi
causa – 224 Millionen Euro aufgewendet.
Die nächste Frage geht an Kollegen van Aken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27833
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man sollte zunächst vor der eigenen Tür kehren. Wenn
ich vor der Tür Deutschlands kehre, dann finde ich da et-
was so Unappetitliches wie US-Atomwaffen. Deshalb
meine Frage – sie ist ganz konkret gemeint –: Wann hat
das letzte Gespräch stattgefunden, bzw. wann sind Sie,
der Außenminister oder die Bundeskanzlerin zum letzten
Mal bei den USA und bei der NATO vorstellig gewor-
den, um diese Waffen loszuwerden? Wurde in diesem
Gespräch auch angesprochen, dass der Deutsche Bun-
destag in diesem Punkt fast einhellig – vielleicht sogar
einhellig – der Auffassung ist, dass wir die Dinger los-
werden sollten, und dass in der deutschen Bevölkerung
niemand versteht, dass ein souveränes Land wie
Deutschland diese Waffen nicht loswerden kann?
Herr Kollege Ströbele, ich habe ja schon einmal ge-
sagt: Bei diesem Punkt muss man das inhaltliche Ziel,
das man erreichen will, trennen von der Frage: Wie geht
man vor? Für uns ist nicht vorstellbar, so etwas einseitig
und ohne Konsens unter den Verbündeten voranzutrei-
ben. Wir haben vor dem NATO-Gipfel in Chicago, also
im letzten Mai, an verschiedensten Stellen intensiv mit
den USA darüber gesprochen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Chicago ge-
lungen ist – das war sehr wichtig, und das hätten nicht
alle gedacht –, das Ziel einer atomwaffenfreien Welt
festzuschreiben; das ist ein wichtiger Punkt, den die
NATO festgehalten hat. Bis dahin war es allerdings ein
weiter Weg.
Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Aber noch ein-
mal: Wir gehen nicht einseitig vor. Das geht nur im Kon-
sens. Das gebietet der Respekt unter den Verbündeten,
den wir uns gegenseitig schuldig sind. Daran arbeiten
wir weiter.
Danke schön. – Jetzt hat Kollegin Uta Zapf Gelegen-
heit, zu fragen.
Herr Staatsminister, Sie haben geschildert, dass Sie
konventionelle Abrüstung für einen wichtigen Bestand-
teil halten. Nun ist es eine Tatsache, dass die konventio-
nelle Abrüstung zumindest in Europa – ich weiß auch
nicht, an welchem anderen Ort konventionell oder nu-
klear abgerüstet würde – ziemlich darniederliegt, seit der
KSE-Vertrag durch Russland aufgekündigt worden ist.
Der Vorlauf war allerdings, dass die NATO-Staaten
den AKSE-Vertrag nicht ratifiziert haben. Das hat natür-
lich dazu geführt, dass die Russen sagen: Ihr seid nicht
interessiert; dann nehmen wir das ganze Ding zurück.
Wie wollen Sie denn bewirken, dass wir neue Ab-
kommen oder eine Restitution des Abkommens im kon-
ventionellen Bereich bekommen? Es wäre, denke ich,
angesichts der allgemeinen Situation dringend notwen-
dig, gerade in diesem Bereich neue Regelungen zu fin-
den.
Frau Kollegin Zapf, Neuregelungen wären in der Tatwichtig. Die konventionelle Rüstungskontrolle in Eu-ropa ist und bleibt für uns unverzichtbar. Um eine wei-tere Erosion – die in der Tat droht – zu verhindern, arbei-tet die Bundesregierung mit Nachdruck an einerumfassenden Modernisierung, die die heutigen Sicher-heitsbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und auf einemSystem verifizierbarer Transparenz aufbaut. Das ist eineAufgabe, die insbesondere jetzt, in diesem Jahr, nocheinmal extrem wichtig ist; ansonsten – da stimme ich Ih-nen zu – droht hier in der Tat eine weitere Erosion.
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27834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
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Kollege Djir-Sarai ist der Nächste.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister Link, Sie haben
vorhin das Thema OSZE angesprochen. Mich würde
Ihre Einschätzung bezüglich einer Modernisierung des
Wiener Dokuments interessieren.
Herr Kollege Djir-Sarai, das Wiener Dokument ist in
der Tat eines der Kerndokumente der OSZE. Die Bun-
desregierung ist ohnehin zurzeit in vielen Bereichen da-
bei, um eine weitere Steigerung der Relevanz der OSZE
zu ringen, nachdem in einigen Bereichen immer wieder
gefragt wurde: Wo ist die Relevanz der OSZE?
Wir sehen die Relevanz der OSZE; die OSZE ist für
uns absolut unverzichtbar. Das Wiener Dokument – es
ist ja mittlerweile sehr betagt – wäre in der Tat enorm
wichtig, um eine neue Antwort auf die veränderte sicher-
heitspolitische Lage in Europa zu geben. Deshalb unter-
stützen wir auch die Modernisierungsvorschläge.
Die Bundesregierung hat einen eigenen Vorschlag zur
Modernisierung des Wiener Dokuments eingebracht, der
die Transparenz auf ausgewählte militärische Ausbil-
dungs- und Unterstützungseinheiten erweitern soll.
Damit wollen wir dem Wiener Dokument zu einer neuen
Relevanz verhelfen, die den Fragen, die sich uns in den
Jahren 2012, 2013, 2014 stellen, gerecht wird.
Letzte Frage zu diesem Thema: Inge Höger.
Herr Staatsminister, Sie haben sich vorhin noch ein-
mal für eine atomwaffenfreie Welt ausgesprochen, und
in der letzten Woche hat zu diesem Thema im Außen-
ministerium eine internationale Konferenz stattgefun-
den. Mir kommt das nur immer so vor: nette Worte, un-
verbindliche Worte; aber nichts folgt daraus.
Wie ist es denn mit den Beschlüssen der Überprü-
fungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag und einer
atom- und massenvernichtungswaffenfreien Zone im
Nahen Osten bestellt – anstatt immer nur mit dem Finger
auf den Iran zu zeigen?
Danke. – Frau Kollegin Höger, zu dem Punkt „Atom-
und massenvernichtungswaffenfreie Zone Naher Osten“
und zu den genauen Hintergründen habe ich ja bereits
ausgeführt und insbesondere die Tatsache erwähnt, dass
wir die Verschiebung der Konferenz nicht für glücklich,
sondern ganz deutlich für schädlich halten.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Thema Atomwaf-
fenteststopp-Vertrag sei hinzugefügt – das war ja Ihre
andere Frage –, dass dem Vertrag, obwohl er formal
noch nicht in Kraft ist, aus unserer Sicht bereits jetzt eine
enorme faktische Wirkung zukommt. Wir haben das zum
Beispiel beim letzten Atomtest Nordkoreas im Februar
2013 gesehen. Obwohl der Atomwaffenteststopp-Ver-
trag noch nicht in Kraft getreten ist, hat er in Bezug auf
das Überwachungssystem faktisch bereits eine wesentli-
che Rolle gespielt.
Ich hatte eine Wortmeldung übersehen. Kollegin Keul
als letzte Fragestellerin, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,Sie haben in Ihrem Bericht erwähnt, wie wichtig es ist,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27835
Katja Keul
)
)
Nächste Frage Kollege van Aken.
Herr Link, das ist auch eine Frage an Sie.
Mich erreichte gerade die Nachricht, dass Herr
Westerwelle sich in zwei Wochen mit dem de facto am-
tierenden paraguayischen Außenminister treffen möchte.
War das Thema heute im Kabinett? Sie wissen: Das ist
eine Putschregierung, die in Lateinamerika komplett iso-
liert ist. Paraguay ist wegen des Putsches aus Mercosur
ausgeschlossen.
Was beabsichtigt Herr Westerwelle damit, nun ausge-
rechnet diesen illegitimen Außenminister aus Paraguay
zu empfangen? Der gehört zwar zu seiner Schwesterpar-
tei, ist aber trotzdem illegitim. Ist das heute im Kabinett
nicht vielleicht auch von der anderen Koalitionsfraktion
kritisiert worden?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege van Aken, ich weiß nicht, woher Sie
diese Information konkret haben. Ich kann nur feststel-
len: Es handelt sich nicht um eine illegitime Regierung.
Sie sagen, das Land sei in Südamerika komplett isoliert.
Das ist mitnichten der Fall. Im Gegenteil: Seit einigen
Wochen und Monaten gibt es hier wieder eine Normali-
sierung der Beziehungen der Nachbarstaaten zu Para-
guay. Deshalb weise ich das ausdrücklich zurück.
Darüber hinaus war das im Kabinett auch kein
Thema.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/12439 –
Wir kommen zu den mündlichen Fragen auf der
Drucksache 17/12439.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Max Stadler zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Ingrid
Hönlinger:
Weshalb hat die Bundesregierung am 30. November 2012
per E-Mail die Vorschläge zu „Änderungen im Umwand-
lungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechts-
sierten Verbände geschickt und diese um Stellungnahmen ge-
beten?
D
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich bin Frau Kollegin Hönlinger sehr dankbar für
die Frage, die einen Vorgang betrifft, der neulich schon
im Rechtsausschuss geklärt worden ist. Auf diese Weise
können wir den Vorgang aber auch hier in der Öffent-
lichkeit noch einmal darstellen.
Da die Fragen des Kollegen Montag denselben Vor-
gang betreffen, schlage ich vor, wenn es gestattet ist,
diese im Zusammenhang gleich mit zu beantworten. Es
geht nämlich darum, wie bestimmte Vorschläge zum
Umwandlungsrecht zustande gekommen sind und wie
damit verfahren wurde.
Dann rufe ich jetzt auch die Fragen 2 und 3 des Kolle-gen Jerzy Montag auf:
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27836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Erwägt die Bundesregierung, die vom Bundesjustizminis-terium am 30. November 2012 an die am Gesellschaftsrechtinteressierten Verbände versandten „Änderungen im Um-wandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktien-
fahren zu geben, und, wenn ja, in welcher Form?D
Bekanntlich ist im parlamentarischen Verfahren die
Aktienrechtsnovelle 2012 seit einiger Zeit anhängig. Die
Berichterstatter der Regierungskoalition zu diesem Re-
gierungsentwurf haben das Bundesministerium der
Justiz gebeten, zu den von ihnen als Berichterstatter ini-
tiierten Vorschlägen zum Umwandlungsrecht Stellung-
nahmen der Bundesländer und der fachlich betroffenen
Verbände einzuholen. Dieser Bitte hat das Ministerium
entsprochen.
Das Bundesministerium der Justiz hat in der Mail
vom 30. November 2012, mit der diese Vorschläge ver-
sandt worden sind, darauf hingewiesen, dass diese Re-
gelungsvorschläge auf Wunsch der Rechtspolitiker der
Regierungskoalition vom Vorsitzenden des Handels-
rechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins unter-
breitet worden sind.
Die Rechtspolitiker der Regierungskoalition prüfen
derzeit im Lichte der Sachverständigenanhörung – dies
war, genauer gesagt, ein erweitertes Berichterstatterge-
spräch – vom 18. Februar 2013, ob sie diese Vorschläge
in die parlamentarischen Beratungen über die ursprüng-
liche Aktienrechtsnovelle 2012 einbeziehen.
Dies ist der Sachverhalt.
Zu einer Zusatzfrage erteile ich Frau Ingrid Hönlinger
das Wort.
Zunächst vielen Dank für die Antwort. – Mich hat
Folgendes erstaunt: Die beiden Entwürfe, die über das
Bundesjustizministerium versandt worden sind, sind
Blankoentwürfe. Sie tragen keinen Briefkopf; das heißt,
kein Abgeordneter hat sich persönlich damit identifi-
ziert. Außerdem tragen die Papiere keine Drucksachen-
nummer. Ich frage mich, inwiefern ein solches Vorgehen
üblich ist, dass das BMJ Gesetzentwürfe, die nicht aus
dem Haus stammen, an Verbände verschickt. Inwiefern
ist so etwas schon in der Vergangenheit passiert, und in-
wiefern müssen wir in der Zukunft damit rechnen?
D
Frau Kollegin Hönlinger, das ist ein Vorgehen, über
das immer im Einzelfall zu entscheiden ist. Eine Druck-
sachennummer haben die Vorschläge naturgemäß des-
wegen nicht getragen, weil es sich nicht um einen Ge-
setzentwurf gehandelt hat. Vielmehr haben aus Anlass
eines ohnehin laufenden Gesetzgebungsverfahrens Kol-
legen aus dem Rechtsausschuss zusätzliche Vorschläge
zur Debatte gestellt, die vom renommierten Handels-
rechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins erarbeitet
worden waren. Der Deutsche Anwaltverein hatte bereits
im Jahre 2007 solche Vorschläge zum Umwandlungs-
recht vorgelegt. Aufgrund der aktuellen Gesetzgebung
hat der Kollege, der Berichterstatter der CDU/CSU-
Fraktion ist, den Handelsrechtsausschuss des Deutschen
Anwaltvereins um eine Aktualisierung des früheren Vor-
schlags gebeten. Um in Erfahrung zu bringen, auf wel-
che Resonanz ein solcher Vorschlag stößt, ob es Kritik
gibt, ob es Zustimmung gibt, hat das Bundesministerium
der Justiz der Bitte entsprochen, die Vorschläge zu ver-
senden, damit man diese dann mit einer umfassenderen
Meinungsbasis bewerten kann.
Danke schön. – Frau Hönlinger hat noch eine weitere
Nachfrage. Bitte schön.
Es geht ja in der Aktienrechtsnovelle sowie in den
Gesetzentwürfen um das Umwandlungsrecht, um Kon-
zernausgliederung und um das Spruchverfahrensgesetz.
Inwieweit wird im Bundesjustizministerium in diesen
Bereichen noch an Gesetzesvorlagen gearbeitet, und in-
wiefern plant das Haus, externen Sachverstand hinzuzu-
ziehen?
D
Es ist insofern externer Sachverstand vom Rechtsaus-schuss beigezogen worden, als es eine kleine Sachver-ständigenanhörung gegeben hat, das heißt, ein erweiter-tes Berichterstattergespräch zu den Vorschlägen, dievom Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltver-eins stammen und die sich die Abgeordneten zu eigengemacht haben.In dieser Anhörung gab es übrigens überwiegend einepositive Reaktion, aber durchaus auch Kritik. Einer derPunkte bestand darin, dass der Vorschlag gemacht wor-den ist, im Spruchverfahren die erste Instanz beim Land-gericht abzuschaffen und gleich beim Oberlandesgerichteinzuführen. Hierzu haben einige der Sachverständigengesagt, dass es aber sinnvoll sei, dass das Landgericht alserste Instanz bestehen bleibe, weil dort eine umfänglicheSachverhaltsklärung vorgenommen werden könne, wäh-rend dann in der nächsten Instanz das Oberlandesgerichtsich auf die Rechtsfragen beschränken könne.Wie ich schon erwähnt habe, überlegen derzeit dieBerichterstatter der Koalitionsfraktionen, ob sie über-haupt das Thema weiterbetreiben und, wenn ja, ob sie
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27837
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
)
)
Aber vielleicht können Sie sie in einer großen Frage
zusammenfassen.
Herzlichen Dank. – Herr Staatssekretär Stadler, zu-
allererst noch einmal zu der Versendung durch Sie und
den Anlagen dazu: Ich würde gerne wissen, wie die Bun-
desregierung und auch Sie persönlich das bewerten. Die
Berichterstatter – nennen wir Ross und Reiter – sind die
Kollegen Buschmann und Dr. Harbarth. Das, was an die
am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände verschickt
worden ist, wird in dem Anschreiben des Justizministe-
riums tituliert als ein Vorschlag des Vorsitzenden des
Handelsrechtsausschusses.
D
Nein.
Doch. So jedenfalls habe ich das verstanden. Wenn
man sich allerdings diese Anlagen anschaut, dann sind
es – Sie kennen den Sprachgebrauch – Non-Paper. Es
sind weder Stellungnahmen des Deutschen Anwaltver-
eins noch eines seiner Ausschüsse. Einen Briefkopf gibt
es nicht. Es ist kein Briefkopf irgendeines Rechtsanwalts
oder irgendeines Vorsitzenden eines Ausschusses; es ist
überhaupt kein Briefkopf, sondern lediglich ein Non-
Paper. Aber in den Unterzeilen der E-Mail lesen wir die
Namen Brügel und Hoffmann-Becking. Das sind zwei
Anwälte, wobei zumindest der Kollege Buschmann, ei-
ner der Berichterstatter, entweder in der Kanzlei des An-
walts Brügel tätig oder mit ihr verbunden ist. Das alles
wird den am Gesellschaftsrecht interessierten Verbänden
nicht offengelegt.
Wie bewerten Sie es, dass solche Non-Paper vom
Bundesjustizministerium verschickt werden, hinter de-
nen sich möglicherweise berufliche oder persönliche In-
teressen gerade dieser beiden Berichterstatter verste-
cken?
Das war jetzt schon die Redezeit für gut zwei Fragen,
nur damit Sie es wissen.
Danke.
D
Herr Kollege Montag, ich bewerte es selbstverständ-lich positiv, dass das Ministerium als Dienstleister Vor-schläge, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages indie Debatte einführen, einer breiteren Fachöffentlichkeitzugänglich gemacht hat, damit dazu Stellung genommenwerden kann.Es ist nicht so – wenn man das Anschreiben genauliest, wird es deutlich –, dass wir gesagt haben: Das istein Vorschlag des Vorsitzenden des Handelsrechtsaus-schusses des Deutschen Anwaltvereins. Vielmehr habenwir wahrheitsgemäß und völlig offen bei der Versendungdarauf hingewiesen, dass dieser Vorschlag vom Vorsit-zenden des Handelsrechtsausschusses des DeutschenAnwaltvereins unterbreitet worden ist.Frau Kollegin Hönlinger weiß aus der Erörterung imerweiterten Berichterstattergespräch, wie der Vorschlagdort zustande gekommen ist. Wie ich schon sagte, gab esvon diesem renommierten Handelsrechtsausschuss einenVorschlag aus dem Jahr 2007. Dieser ist aktualisiert wor-den. Der Vorsitzende hat uns allen im Rechtsausschussgeschildert, dass mehrere Mitglieder dieses Ausschusses– wie sonst üblich – daran arbeiten, dass er die Stellung-nahmen – so in etwa hat er es geschildert – sozusagen ineiner Schlussredigierung zusammenfassen und dann denAbgeordneten zur Verfügung stellen kann. Ich kann da-rin nichts Verwerfliches sehen, ganz im Gegenteil. Wirbedienen uns doch oft des Sachverstands beispielsweisedes Deutschen Anwaltvereins und werden dort gut be-raten. Ich darf vielleicht als Beispiel aus dem Strafrecht– weil Sie da besonders engagiert sind – darauf verwei-sen, dass der Strafrechtsausschuss des Deutschen An-waltvereins uns gebeten hatte, für eine frühzeitigere Ver-teidigerbestellung in Haftsachen zu sorgen. Das istmittlerweile Gesetz. Es ist also ein völlig alltäglicherVorgang, dass wir uns diese Expertise in der Gesetzge-bung zunutze machen. Die Vorschläge sind verschicktworden.
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27838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
)
)
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27839
)
(C
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27840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
)
(C
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27841
)
(C
, und ist die Bundes-
Herr Staatssekretär, muss ich davon ausgehen, dassdie Bundesregierung und auch die Europäische Gemein-schaft unbelehrbar sind, wenn im IWF, von dem in derVergangenheit immer die schärfsten Sparauflagen ver-treten wurden, zumindest Zweifel aufgekommen sind?Ich will diese Gutachten gar nicht überbewerten. Ist dieBundesregierung nicht langsam bereit, die konkreten
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27842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Hans-Christian Ströbele
)
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Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwick-
lung, also zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts und
der Arbeitslosigkeit, Ihrer Aussage von soeben eklatant
widersprechen?
S
Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal bin ich ver-
wundert, dass Sie das Bruttosozialprodukt als Indikator
für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wählen, wo
doch gerade die Grünen fundamentale Kritik daran geäu-
ßert haben, das BSP als Indikator zu wählen.
Etwas seriöser darauf geantwortet: Die Schrumpfung
des Bruttoinlandsprodukts wurde in den Prognosen der
Kommission bzw. der Troika vorausgesagt. Wir halten
es für notwendig, dass die nicht wettbewerbsfähigen
Teile der griechischen Volkswirtschaft schrumpfen. Jetzt
findet eine Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitä-
ten auf die wettbewerbsfähigen Teile der Volkswirtschaft
statt. Das führt dazu, dass die Exporterfolge steigen und
die Haushaltskonsolidierung zum Erfolg führt. Manch-
mal bedarf es einer bitteren Medizin, bevor es dem
Patienten gut geht.
Wie gesagt, die Medizin war für Griechenland sehr bit-
ter; aber der Patient befindet sich eindeutig auf dem Weg
der Besserung.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Ströbele:
Welche in Deutschland niedergelassenen oder tätigen gro-
ßen Unternehmen – wie etwa Google, Apple, Amazon, Star-
bucks –, die in einem der wichtigsten Börsenindizes geführt
werden – der Deutschen Börse AG, zum Beispiel DAX,
SDAX, MDAX, TecDAX; in EURO STOXX 50, Dow Jones,
Nikkei 225, S&P 500, NASDAQ 100, FTSE 100, SMI, AEX
oder in RTS –, führen nach Kenntnis der Bundesregierung auf
ihre im Ausland und speziell in Deutschland erzielten Unter-
nehmensgewinne Steuern lieber in anderen Staaten nur in
Höhe von unter 20 Prozent ab – etwa in den USA, Irland, den
Niederlanden, Zypern oder den karibischen Staaten –, und
welche Maßnahmen wird die Bundesregierung kurz- und mit-
genannten Staaten mit solchen Niedrigsteuerangeboten, vor
allem der EU-Staaten, die EU-Finanzhilfen erhielten, erhalten
bzw. wünschen, ergreifen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
S
Herr Kollege Ströbele, ich bedanke mich für dieseFrage; denn sie gibt mir die Möglichkeit, hier die umfas-senden Aktivitäten des Bundesfinanzministers WolfgangSchäuble im Hinblick auf eine anständige Besteuerungder multinationalen Konzerne deutlich darzulegen.Ich will Sie darauf hinweisen, dass es aufgrund derdeutsch-britischen Initiative, bei diesem Thema im Rah-men der G 20 noch in diesem Jahr zu einer Entscheidungzu kommen, gerade beim letzten Treffen der Finanz-minister der G 20 – und dieses Thema wird von denG 20 zu adressieren sein – zu einem erheblichen Fort-schritt in der Debatte gekommen ist. Uns geht es um einefaire Besteuerung und ein gemeinsames, internationalabgestimmtes Vorgehen gegen aggressives Verhaltenmultinationaler Unternehmen im Hinblick auf Steuern.Deswegen beabsichtigen wir, auf dem nächsten G-20-Finanzministertreffen wichtige Schlussfolgerungen ausdem Projekt „Base Erosion and Profit Shifting“ zu zie-hen, das die OECD für die G 20 durchführt und sich mitder Erosion der Steuerbasis und der Verlagerung vonProfiten beschäftigt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27843
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
)
)
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort ist keine Antwort
auf meine Frage. Lesen Sie doch einmal den ersten Teil
meiner Frage durch. Da steht sinngemäß: Welche der
aufgeführten DAX-Unternehmen versteuern nach
Kenntnis der Bundesregierung ihre Gewinne, die sie
auch in Deutschland erzielen, nicht in Deutschland, son-
dern allenfalls irgendwo im Ausland, und zwar zu einem
Steuersatz von unter 20 Prozent? Ich habe jetzt von Ih-
nen erwartet, dass Sie die einzelnen von mir genannten
Unternehmen und auch andere aufführen und sagen, auf
welche dies zutrifft, und vielleicht auch gleich die
Summe hinzufügen, die hier nicht versteuert wurde und
in Sicherheit gebracht worden ist.
S
Herr Kollege Ströbele, da Sie im Zivilberuf Rechts-
anwalt sind, wissen Sie aufgrund Ihrer umfassenden
juristischen Expertise, dass die Bundesregierung Ihnen
aufgrund des Steuergeheimnisses keine Information über
eine einzelne in Deutschland ansässige Gesellschaft ge-
ben darf. Von daher verwundert es mich, dass Sie von
mir hier einen Rechtsbruch vor dem Deutschen Bundes-
tag erwarten.
Ich darf Ihnen aber ausdrücklich bestätigen, dass wir
die internationale Debatte über die steuerrechtlich offene
Bilanzanalyse der internationalen Konzerne zum Anlass
genommen haben, das Projekt BEPS auf die Tagesord-
nung zu setzen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Erkennt-
nisse der Steueranalysten – nicht die der Bundesregie-
rung – über die erschreckend niedrige Besteuerung von
in Europa erwirtschafteten Gewinnen zur Verfügung zu
stellen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird beispiels-
weise davon ausgegangen, dass Microsoft den im Aus-
land erwirtschafteten Gewinn in den USA mit ungefähr
1 Prozent versteuern muss, Google mit 3 Prozent. Dies
liegt deutlich unter den von uns angestrebten Unterneh-
mensteuersätzen. Deswegen überprüfen wir im Rahmen
des BEPS-Projektes die Angaben der wissenschaftlichen
Literatur, um daraus die notwendigen steuerpolitischen
Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wenn man seine Gewinne lediglich mit 1 Prozent ver-
steuern muss, dann empfinden wir das als unangemessen
niedrig. Deshalb werden wir uns von keinem überholen
lassen, wenn es darum geht, diese unfaire und unge-
rechte Benachteiligung, beispielsweise der vielen
anständigen, in Deutschland Steuern zahlenden Unter-
nehmen, zu beseitigen.
Zweite Nachfrage, Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie
wenigstens ein Unternehmen nennen und auch die
Steuersätze benennen, die tatsächlich gezahlt werden,
nämlich 1 Prozent. Das ist immerhin eine kleine An-
fangsinformation; ich bin damit aber nicht zufrieden.
Sind Sie denn wenigstens bereit, Gesamtsummen zu
nennen? Wie viele Milliarden an Gewinnen werden ins
Ausland transferiert und dort mit 1, 3 oder 15 Prozent
versteuert? Wie viele Steuereinnahmen entgehen dem
deutschen Fiskus durch diese Steuerflucht?
S
Herr Kollege Ströbele, ich wiederhole, dass ich Ihnen
keine Primärerkenntnisse nennen kann. Ich habe nur auf
die Analyse von Bilanzen durch Steuerjuristen und Steu-
erökonomen abgehoben, die in der wissenschaftlichen
Literatur bisher vorhanden sind.
Wir werden uns dieses Problems innerhalb der G 20
annehmen müssen. Sie sind nicht der Erste, dem das auf-
gefallen ist. Die Bundesregierung hat in dieser Hinsicht
keinerlei Nachholbedarf. Vielmehr haben wir mit unse-
ren europäischen Partnern, die am Anfang der Debatte
überhaupt nicht begeistert waren – in Teilen zumin-
dest –, hier die Dinge etwas voranzutreiben, im Rahmen
der G 20 einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Wir
wollen eine faire Besteuerung. Wir wollen, dass die in
Deutschland erwirtschafteten Gewinne möglichst umfas-
send durch das deutschen Steuerrecht erfasst werden, so-
dass es keine Erosion der Steuerbasis und keine von den
europäischen Steuerbürgern als illegitim empfundene
Verschiebung von Profiten innerhalb oder außerhalb der
Europäischen Union geben wird.
Nochmals: Wir bedanken uns für die Möglichkeit,
unsere Aktivitäten darzulegen, und hoffen bei unseren
internationalen Bemühungen auch auf die Unterstützung
der Opposition.
Danke schön. – Die Fragen 12 und 13 der KolleginBarbara Höll, die Fragen 14 und 15 des Kollegen AxelTroost und die Frage 16 der Kollegin Monika Lazar wer-den schriftlich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
27844 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
ihnen eine EQ nicht zugewiesen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.D
Vielen Dank, Herr Kollege Brase. – Ich antworte Ih-
nen wie folgt: Die Frage kann von der Bundesregierung
deshalb nicht umfassend beantwortet werden, weil
hierzu nicht für alle Fallgestaltungen einer Einstiegs-
qualifizierungsmaßnahme, einer sogenannten EQ-Plus-
Maßnahme, statistische Daten vorliegen.
EQ Plus ist ein Angebot der Wirtschaft im Rahmen
des Ausbildungspaktes. Bei EQ Plus handelt es sich um
Einstiegsqualifizierungen speziell für förderungsbedürf-
tige Jugendliche, im Rahmen derer gezielte Unterstüt-
zungsangebote, zum Beispiel ausbildungsbegleitende
Hilfen, genutzt werden.
Zu den gezielten Unterstützungsangeboten zählen
aber auch ergänzende berufsschulische Angebote, zum
Beispiel zum Abbau schulischer Defizite – dazu zählt
zum Beispiel das EQ-Plus-Konzept in Sachsen-Anhalt –,
die Betreuung durch ehrenamtliche Mentoren- bzw. Pa-
tenprogramme, gegebenenfalls die Fortsetzung der Be-
treuung durch Berufseinstiegsbegleiter, die betriebliche
Nachhilfe oder vergleichbare private Unterstützungs-
maßnahmen zur Förderung leistungsschwächerer Ju-
gendlicher, zum Beispiel über Stiftungen, Verbände und
Kammern.
Über die zahlenmäßige Umsetzung wird in den ge-
meinsamen Erklärungen der Partner des Ausbildungs-
pakts berichtet. In der gemeinsamen Erklärung vom
6. Februar 2013 ist keine auf EQ Plus bezogene Aussage
getroffen worden. Von der Statistik der Bundesagentur
für Arbeit werden EQ-Plus-Maßnahmen nur erfasst,
wenn eine Einstiegsqualifizierung mit einer ausbildungs-
begleitenden Hilfe gefördert wird. Endgültige Daten
zum Ende des sogenannten fünften Quartals, also zum
Ende der Nachvermittlung im Februar eines Jahres, lie-
gen erst drei Monate später vor, in diesem Fall also Ende
April 2013.
Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 SGB III können nur lernbe-
einträchtigte und sozial benachteiligte Teilnehmer einer
Einstiegsqualifizierung mit ausbildungsbegleitenden
Hilfen gefördert werden. Sofern diese Voraussetzungen
im Einzelfall nicht vorliegen, ist eine Förderung in Form
einer Einstiegsqualifizierung in Kombination mit einer
ausbildungsbegleitenden Hilfe rechtlich nicht möglich.
Kollege Brase.
He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Bündel an Maßnahmen, das Sie hier be-
schrieben haben, ist bekannt. Es gibt sicherlich unter-
schiedliche Auffassungen dazu, welche Maßnahme den
Jugendlichen tatsächlich dient oder nicht. Aber es muss
doch möglich sein, herauszubekommen, wie viele Ju-
gendliche nach dem Durchlaufen von EQ- und EQ-Plus-
Maßnahmen tatsächlich in eine duale Ausbildung gehen.
Wenn ich mich richtig erinnere, Herr Staatssekretär, hat
Ihr Haus dies in der Vergangenheit evaluiert und unter-
sucht. Wir haben hier im Parlament darüber diskutiert
und festgestellt, dass 60, 65, 67 Prozent der Jugendli-
chen, die eine EQ-Maßnahme absolviert haben, in eine
duale Ausbildung gingen. Mich erstaunt, dass Sie dies
nicht erforschen. Mich wundert, dass Sie das nicht nach-
halten können. Ich will gleich eine Frage nachschieben:
Worin besteht eigentlich der reale Unterschied zwischen
EQ-Plus- und EQ-Maßnahmen? Ist das nicht eher wieder
eine Zersplitterung? Ist es nicht eher schlecht, dass wir
zusätzlich noch ein weiteres kleines Sonderprogramm
haben? Reicht es nicht, dass es EQ-Maßnahmen gibt?
D
Herr Kollege Brase, Sie haben ganz gezielte Fragen
zu EQ Plus gestellt. In diesem Zusammenhang habe ich
darauf hingewiesen, dass wir aufgrund der Datenlage
nicht auf jede Detailfrage eine Antwort liefern können.
Ich bestätige Ihnen allerdings sehr gerne, dass das Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales eine Evaluation
der Einstiegsqualifizierung vorgenommen hat. Der eva-
luierte Zeitraum umfasste die Jahre 2009 bis 2012. Ich
kann Ihnen versichern und bestätigen, dass diese Evalua-
tion insgesamt ein gutes Ergebnis an den Tag gebracht
hat. Der jahresdurchschnittliche Teilnehmerbestand bei
der Einstiegsqualifizierung lag im Jahr 2011 bei 16 493,
und wir haben eine Eingliederungsquote von 66,3 Pro-
zent. Das ist ein gutes Ergebnis für die Einstiegsqualifi-
zierung insgesamt.
Ich denke, dass es durchaus Sinn macht, dass es da-
rüber hinaus für Jugendliche, die einer besonderen För-
derung bedürfen, ein entsprechendes zusätzliches Ange-
bot gibt. Dieses zusätzliche Angebot wird unter anderem
mit dem Begriff „EQ Plus“ umschrieben.
Der Hinweis darauf, dass wir nicht für jedes Detail
statistische Angaben haben, soll in der Tat nicht den Ein-
druck überdecken – deshalb bin ich für die Frage dank-
bar; sie gibt mir Gelegenheit, das noch einmal klarzu-
stellen –, dass dieses Instrument erfolgreich ist. Das
zeigt auch unsere Evaluation.
Bitte schön, Kollege Brase.
Ich will doch noch einmal nachfragen, weil in derFrage auch stand, nach welchen Kriterien den betroffe-nen Jugendlichen EQ-Maßnahmen angeboten werden.Dafür muss es doch zumindest bei der Agentur für Ar-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27845
Willi Brase
)
)
2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kinder haben schät-zungsweise im Jahr 2012 keine ihnen zustehenden Leistungenaus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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27846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
)
)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27847
)
(C
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27848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
)
(C
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27849
)
(C
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27850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
)
(C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27851
)
(C
Wenn man – worauf ich mich jetzt gar nicht festlege –eine rentenrechtliche Lösung will, dann kann man ei-gentlich nicht überrascht sein, wenn das Rentenrechtauch angewandt wird, was in diesem Fall die auf vierJahre begrenzte rückwirkende Zahlung bedeutet.Dabei ist der finanziell entscheidende Punkt – auchdas will ich deutlich sagen –, dass rentenmathematischvöllig korrekt auch Zuschläge gewährt werden. Dasheißt, wenn man zu einer Regelung käme, die sozusagenüber einen Vierjahreszeitraum hinaus eine rückwirkendeZahlung vorsähe, dann müssten die laufenden Renten-zahlungen entsprechend gekürzt werden. Es wird ab2005 rückwirkend gezahlt. Der einschlägige davorlie-gende Zeitraum, über den wir reden, beträgt 7,5 Jahre.Pro Jahr wird ein Zuschlag von 6 Prozent gewährt. Dasergibt die rentenmathematisch korrekte Summe.Bei diesem Zeitraum von 7,5 Jahren geht es also umeinen Zuschlag von 45 Prozent, der jetzt gewährt wird.Dieser käme nicht zur Anwendung, wenn man sozusa-gen rückwirkend ab dem Jahr 1997 die Renten zahlenwürde. Das heißt, im Durchschnitt handelt es sich beidieser Rentenberechnung mit den entsprechenden zu-grunde gelegten Zuschlägen und Abschlägen um einemathematisch neutrale Lösung.Ich habe großes Verständnis dafür, wenn man ausgrundsätzlichen, übergeordneten Gründen argumentiert,dass wir für Menschen, die zumindest mit einem Rest anFreiwilligkeit und gegen Entgelt gearbeitet haben, keineentschädigungsrechtliche, sondern eine rentenrechtlicheLösung wollen. Ich habe große Sympathie und großesVerständnis dafür. Aber wenn man sich im Rentenrechtbewegen will, muss man das auch konsequent tun, dasheißt mit der Vierjahresfrist, zu der ich noch einmalsage: Sie benachteiligt finanziell niemanden. Der Zeit-raum, für den nicht rückwirkend angepasst werden kann,wird finanziell durch einen entsprechend höheren Zu-schlagsfaktor ausgeglichen.
Nächster Fragesteller Kollege Max Straubinger.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass es für
Renten, die erst nach dem Bundessozialgerichtsurteil be-
willigt worden sind, Zuschläge gibt. Können Sie präzi-
sieren, in welchem Umfang hier Zuschläge auf die Rente
erfolgt sind, und gleichzeitig darlegen, dass hier auch
eine pauschale Entschädigungszahlung erfolgt ist?
D
Ich sage gern noch einmal deutlich: Das Ziel des Ge-
setzgebers ist es damals auf breiter Basis gewesen, über
das entsprechende Gesetz zur Zahlbarmachung dieser
Renten eine rentenrechtliche Lösung für Menschen zu
finden, die entsprechende Arbeit außerhalb des damali-
gen deutschen Staatsgebiets geleistet haben und heute
außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes
leben. Hier gab es Probleme, derentwegen dieses Gesetz
erarbeitet wurde.
Unter Würdigung des Umstands, dass in der Praxis
diese neue gesetzliche Rechtsgrundlage in rund 90 Pro-
zent der Fälle nicht dazu geführt hat, dass eine Rente
anerkannt worden ist, hat die Bundesregierung über eine
entsprechende Verordnung, zu der sie gesetzlich ermäch-
tigt ist, dann die Grundlage dafür geschaffen, dass in den
Fällen der Ablehnung eine Pauschale in Höhe von 2 000
Euro gezahlt werden konnte.
Nach der geänderten Rechtsprechung vom 3. Juni
2009 hat sich dann die Rentenversicherung alle be-
standskräftig abgelehnten Fälle – es waren 50 000 – vor-
genommen. In rund der Hälfte der Fälle ist dann eine Be-
willigung erfolgt, in der anderen Hälfte nicht, und zwar
aus verschiedenen Gründen. Aber auch in den Fällen, in
denen eine Bewilligung nach dem Gesetz nicht erfolgt
ist, besteht gleichwohl für jeden, der freiwillig in einem
Getto gearbeitet hat, ein Anspruch auf Entschädigung in
Höhe der erwähnten 2 000 Euro. Dieser Anspruch ist
also ursprünglich als Ersatz geschaffen worden und gilt
jetzt zusätzlich für alle, die einmal freiwillig in einem
Getto gearbeitet haben, auch dann, wenn ihnen im Nach-
hinein eine Rente nach dem hier einschlägigen Gesetz
gewährt worden ist.
Im Jahr 2010 hat das Bundeskabinett diese Verord-
nung entsprechend geändert, um die Zahlung von 2 000
Euro in allen Fällen, in denen Arbeit in einem Getto mit
einem Minimum an Freiwilligkeit – so schwer es fällt,
dieses Wort hier zu verwenden; aber es gehört nun ein-
mal in den rechtlichen Zusammenhang – geleistet wor-
den ist, zu gewährleisten.
Das heißt, es sind Zahlungen in mehreren Schritten
geleistet worden. Es geht nicht um die Frage, ob wir die
Menschen mit ihrem Schicksal finanziell allein lassen.
Nächster Fragesteller ist Peter Weiß.
Herr Staatssekretär, es ist – wie schon ausgeführt –Wille des Deutschen Bundestages, dass die Menschen,die von der Nazidiktatur in Gettos gezwungen wurden,aus der Deutschen Rentenversicherung eine Rente erhal-ten können. Sie haben dargelegt, wie die unterschiedli-chen Gruppen, was den Bewilligungszeitraum angeht,behandelt werden.Meine Frage lautet: Wenn man denjenigen, der mitseinem ersten Antrag Erfolg gehabt hat und rückwirkendab dem Jahr 1997 eine sogenannte Gettorente aus derDeutschen Rentenversicherung monatlich erhält, mitdemjenigen, der leider das Pech hatte, dass sein ersterAntrag abgelehnt wurde, der dann aber bei der Überprü-fung seines Antrags – Gott sei Dank – später Erfolghatte, aber nur für vier Jahre rückwirkend – allerdingsmit einem höheren Zahlbetrag – eine Gettorente erhaltenhat, vergleicht: Kann man sagen, dass sich die Leistun-gen aus der Rentenversicherung bei einer durchschnittli-
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27852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Peter Weiß
)
)
Auch wenn Sie es jetzt schon ein paarmal wiederholt
haben, Herr Staatssekretär: Es ist schlicht falsch; es ist
rentenmathematisch nicht neutral. Die Mathematik lässt
sich da nicht austricksen, auch wenn Sie das vielleicht
gern so sehen möchten. Diese Berechnungsweise ist ren-
tenmathematisch neutral für die Menschen, die 1997
65 Jahre alt waren, also für die, die 1932 geboren wor-
den sind. Die meisten, die in einem Getto gearbeitet ha-
ben, sind früher geboren, das heißt, sie haben eine kür-
zere Restlebenserwartung. Für diese Gruppe ist das
Ganze rentenmathematisch also nicht neutral. Sie be-
kommen, über die gesamte Laufzeit betrachtet, im
Durchschnitt weniger Geld. Sie können das nachrech-
nen. Gegebenenfalls kann ich Ihnen das noch einmal er-
klären.
Es hat in der Tat etwas mit der Lebenserwartung zu
tun. Jemand, der 65 ist, hat eine andere Restlebenserwar-
tung als jemand, der schon 70 oder 80 ist. Daraus erge-
ben sich die Unterschiede. Das haben alle Experten in
der Sitzung gesagt. Auch der von Ihnen heute im Aus-
schuss genannte Sachverständige Plagemann hat nicht
bestritten, dass dem so ist, sondern er hat Skepsis hin-
sichtlich der beiden Wege geäußert. Es gab eigentlich
niemanden, der bestritten hat, dass es Handlungsbedarf
gibt. Sehe ich es richtig, dass Sie nach Ihrer Logik da
keinen Handlungsbedarf sehen, oder wie ist Ihre Ein-
schätzung dazu?
D
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, unabhängig von
dem, was Sie öffentlich zu diesem Thema verlautbaren
oder auch hier fragen, bleibt es bei dem, was ich Ihnen
auch im Ausschuss heute Morgen gesagt habe: Die Bun-
desregierung prüft respektvoll jede Meinung, die von
Sachverständigen in der Anhörung geäußert worden ist
– die, die Ihnen passen, und die, die Ihnen nicht
passen –, alle gleichermaßen mit dem gleichen Respekt.
Diese Haltung würde ich mir im Übrigen von allen an
dieser Debatte Beteiligten wünschen, wenn ich mir hier
irgendetwas wünschen darf.
Man kann unterschiedliche Meinungen haben, wie
man dem schrecklichen Schicksal dieser Menschen, die
in einem Getto gelebt haben, am besten gerecht werden
kann. Dass wir uns mit „Unverschämtheit!“ und Ähnli-
chem gegenseitig bedenken, wie das leider auch von Ih-
nen heute Morgen im Ausschuss der Fall war, worauf
der amtierende Vorsitzende dankenswerterweise ange-
messen reagiert hat, sollte, finde ich, nicht vorkommen.
Ich lasse mir jetzt hier von Ihnen auch nichts anderes
in den Mund legen als das, was ich für die Bundesregie-
rung bisher gesagt habe: Die Bundesregierung prüft
respektvoll sämtliche in der Anhörung geäußerten Vor-
schläge und Stellungnahmen, die im Detail sehr unter-
schiedlich waren.
Nächste Nachfrage, unser Kollege Anton Schaaf.
Wieman in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. – Aberdas nur am Rande.Würden Sie mir recht geben, dass der Gesetzgeber2002 in Bezug auf die Gettorenten und die Zahlbarma-chung dieser Renten den Willen hatte, dass für alle, dieeinen Antrag gestellt und eine Rente bewilligt bekom-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27853
Anton Schaaf
)
)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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27854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
)
(C
So beginnt ein Artikel, in dem der Kollege
Strengmann-Kuhn zitiert wird. Deswegen habe ich nicht
aus Daffke, sondern aus gegebenem Anlass darauf hin-
gewiesen, dass Menschen hier eine Rentenzahlung nicht
verweigert wird,
sondern dass aufgrund der gesetzlichen Grundlagen, die
wir seinerzeit gemeinsam geschaffen haben, Renten ge-
zahlt werden.
Aus gegebenem Anlass wiederhole ich auch das, was
ich heute Morgen im Ausschuss gesagt habe. Ich habe
nicht über das Ob oder das Wie gesprochen, sondern ich
habe darüber gesprochen, dass es in der Sachverständi-
genanhörung im letzten Jahr unterschiedliche Auffas-
sungen darüber gegeben hat, wie in dieser Frage verfah-
ren werden soll, und dass die Bundesregierung mit dem
gebotenen Respekt sämtliche dort gemachten Äußerun-
gen von Sachverständigen in ihre Erwägungen und auch
in die Gespräche, die sie führt, miteinbezieht.
Bevor ich dem Kollegen Anton Schaaf das Wort zu
einer weiteren Nachfrage gebe, weise ich darauf hin,
dass wir pünktlich um 15.35 Uhr mit unserer Aktuellen
Stunde beginnen wollen. – Bitte, Kollege Anton Schaaf,
Ihre zweite Nachfrage.
Ja, Sie haben heute Morgen darauf hingewiesen, dass
Sie aus Respekt vor den Sachverständigen selbstver-
ständlich alle Anregungen und Vorschläge, die es in der
Anhörung gegeben hat, in angemessener Weise berück-
sichtigen. Das ist aber nicht die Frage. Ich unterstelle ei-
ner Bundesregierung generell, dass sie das tut. Daher
bräuchte man diesen Hinweis nicht. Wir als Fragestel-
lende in diesem Parlament benötigen zudem den Hin-
weis nicht, dass natürlich Renten gezahlt werden, dass
die Betroffenen sozusagen nicht mittellos dastehen, was
die Rentenzahlungen angeht. Das wissen wir; da brau-
chen wir keine Belehrung.
Vielmehr geht es hier um die Frage, ob man für einen
Personenkreis, der in der Sache den gleichen Schaden
erlitten hat, aber rentenrechtlich unterschiedlich behan-
delt wird, nicht etwas machen muss. Ich möchte von Ih-
nen hier klipp und klar wissen – ich frage das noch ein-
mal, weil sich mir das in Ihrer Antwort nicht erschlossen
hat –, ob die Bundesregierung plant, zu diesem Sachver-
halt zeitnah einen Lösungsvorschlag vorzulegen.
D
Kollege Schaaf, ich sage es noch einmal deutlich: In
der von mir aus gegebenem Anlass angesprochenen
Meldung wird der Kollege Strengmann-Kuhn mit den
Worten zitiert:
Die Bundesregierung muss endlich handeln und ihr
zynisches Spiel auf Zeit aufgeben.
Ich weise die Unterstellung, dass die Bundesregierung
ein zynisches Spiel betreibt, mit aller Entschiedenheit
zurück. Sie ist abwegig. Deswegen sage ich Ihnen noch
einmal: Es ist in der Vergangenheit gehandelt worden.
Es hat in der Vergangenheit Gesetzgebung gegeben. Es
hat Urteile gegeben. Es ist ein deutlich günstigeres Urteil
im Jahre 2009 ergangen, aufgrund dessen die Deutsche
Rentenversicherung tätig geworden ist. Aufgrund dieses
Urteils ist die Bundesregierung im Jahr 2010 tätig ge-
worden, indem sie den Kreis der Begünstigten, die eine
Entschädigungspauschale in Höhe von 2 000 Euro erhal-
ten, auf alle Verfolgten ausgeweitet hat, die freiwillig in
einem Getto gearbeitet haben. Das heißt, es hat umfang-
reiche Aktivitäten gegeben. Ich wiederhole: Wir werden
Gespräche darüber führen, welche Konsequenzen ange-
sichts der unterschiedlichen Vorschläge, die wir in der
Anhörung erhalten haben, zu ziehen sind. Diese sind
noch nicht abgeschlossen. Wir streben selbstverständlich
an, das Ergebnis, wenn wir es gefunden haben, politisch
unverzüglich umzusetzen.
Danke. – Die nächste Nachfrage hat unser Kollege
Peter Weiß.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf
eine Presseveröffentlichung aufmerksam gemacht, in der
der Kollege Strengmann-Kuhn zitiert wird. In dieser
wurde der Verdacht geäußert, es würden Antragsberech-
tigte keine Gettorente erhalten. Auch in einigen Briefen
und Publikationen wird diese Vermutung immer wieder
geäußert. Darf ich Sie fragen: Ist es richtig, dass nach der
neuen, sogenannten Gängigmachung der Zahlbarkeit
von Gettorenten alle Berechtigten diese durch die Deut-
sche Rentenversicherung genehmigt und ausbezahlt be-
kommen? Der einzige Unterschied ist, dass es Fälle gibt,
denen diese Rente rückwirkend ab 1997 genehmigt
wurde, und es gibt Fälle, die sie vier Jahre rückwirkend
mit einem höheren Zahlbetrag bekommen haben.
D
Das ist richtig, Herr Kollege Weiß. Alle Anträge, dievor dem 3. Juni 2009 gestellt worden sind, sind inzwi-schen auch beschieden. Aufgrund dessen hat es über die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27855
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!74 Prozent der Deutschen fänden es gut, wenn die Le-benspartnerschaften von gleichgeschlechtlichen Paarenvollkommen der traditionellen Ehe gleichgestellt wür-den; 23 Prozent sind dagegen, und 3 Prozent wissen esnoch nicht genau. Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU gehören entweder zu den 23 Prozent oder den3 Prozent – macht zusammen 26 Prozent. Das ist es, wasSie aufzubieten haben, wenn es um dieses wirklichwichtige Thema geht.
Eine Gleichstellung der Homoehe wollen dabei dieAnhänger aller im Bundestag vertretenen Parteien, na-türlich am meisten die der Grünen. Aber auch rund zweiDrittel der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSUsind dafür, zu einer solchen Gleichstellung zu kommen.Ich finde, darauf könnten Sie wenigstens einmalschauen, wenn Ihnen schon alles andere egal ist.
Ich habe aufgehört, mitzuzählen, wie oft diese Bun-desregierung eigentlich schon ihre Meinung geänderthat. Das Schlimme an den ständigen Windungen, im ak-tuellen Fall beim Adoptionsrecht, ist aber: Die Regie-rung Merkel handelt nicht überlegt, aus einem politi-schen Willen heraus oder weil es um die Situation derMenschen geht, sondern sie handelt aus keinem anderenGrund als dem, dass es Druck von außen gibt. Es kanndoch nicht sein, dass die Koalition politische Entschei-dungen in die Gerichte outsourct und sich selber weg-duckt.
Muss denn tatsächlich das Bundesverfassungsgerichtdieser Regierung beibringen, was Diskriminierung ist?
Noch im Dezember 2012 hat die Bundeskanzlerin ge-sagt: Ich bin nicht dafür, dass die Privilegierung der Eheauf die homosexuellen Partnerschaften ausgeweitetwird. –
Das kann ich nicht verstehen. Was tun Sie denn, wennMann und Mann oder Frau und Frau zusammenlebenund sich lieben? Sie behindern diese Liebe. Sie sabotie-ren die Bereitschaft – das ist eigentlich konservativ,meine Damen und Herren –, füreinander Verantwortungzu übernehmen und Werte zu leben.
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27856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Katrin Göring-Eckardt
)
)
Wenn es Ihnen um die Kinder geht, dann sorgen Sie end-lich für die Gleichstellung!Jetzt blinken Sie in Richtung Adoptionsrecht, weil Ih-nen das Verfassungsgericht die Aufgabe gegeben hat,hier nachzubessern. Was ist die Wahrheit? Man mussnur die Zeitung aufschlagen: Herr Dobrindt warntvor „Schnellschüssen bei der Gleichstellung der homo-sexuellen Partnerschaft mit der Ehe“.
Herr Bosbach fordert eine „sehr grundsätzliche Diskus-sion“. Frau Hasselfeldt sieht „keinen Grund für eineKehrtwende bei diesem Thema“. Was Norbert Geis sagt,zitiere ich hier, ehrlich gesagt, lieber nicht.
Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch warten, aus-loten, diskutieren? Sie können sich das sparen.
Wir nehmen Ihnen gern die Arbeit ab. Was zu tun ist? Esist ganz einfach: Öffnen Sie endlich die Ehe für homo-sexuelle Paare!
Beenden Sie die unglaubliche Ungerechtigkeit, die Siebisher fortgeschrieben haben, die Ungerechtigkeit, wennes um Liebe und Zusammenleben geht. Herr Dobrindtsagt:Für uns gilt der Grundsatz, dass Ehe und Familieauch künftig besonders privilegiert, gefördert undgeschützt sind.Da kann ich nur mit Ihrem Kollegen Jens Spahn antwor-ten, der am Wochenende twitterte:Welchen Schaden nimmt die Ehe? Wer bekommtein Kind weniger, weil Schwule heiraten?Recht hat Herr Spahn. Genau so ist es. Die Ehe nimmtkeinen Schaden. Im Gegenteil: Sie wird von noch mehrMenschen gelebt als bisher.
Die Diskriminierung muss aufhören. Sie muss aufhö-ren beim Adoptionsrecht und beim Steuerrecht. Die Dis-kriminierung muss aufhören beim Kindergeld und beiden Kinderfreibeträgen und, und, und. Sie müssen nichtweiter prüfen. Sie müssen einfach umsetzen. Wir habenim Rechtsausschuss einen Gesetzentwurf vorgelegt.Dem können Sie einfach zustimmen, dann ist das erle-digt.Zum Schluss. Frau Steinbach hat getwittert:Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor Ver-fassungsrichtern?
Ich frage: Wer schützt uns eigentlich vor dem Demokra-tie-, Ironie- und Rechtsstaatsverständnis von FrauSteinbach?Wir wollen endlich die Gleichstellung! Gleiche Liebeverdient gleiche Rechte. Sorgen Sie dafür, dass die Ehegeöffnet wird! Sorgen Sie endlich dafür, dass Sie bei derMehrheit der Deutschen, was die Gleichstellung angeht,ankommen. Sie könnten dabei sein! Ducken Sie sichnicht weg! Folgen Sie dem Verfassungsgericht! MachenSie nicht weiterhin eine Politik aus dem vergangenenJahrhundert!
Als Nächster hat das Wort für die Fraktion von CDU/
CSU Kollege Dr. Günter Krings. Bitte schön, Kollege
Günter Krings.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das warschon ein bemerkenswerter Auftakt. Frau Kollegin, Siehaben uns vorgeworfen, dass wir Politik an die Gerichteoutsourcen wollten, und Sie beginnen Ihre Rede, indemSie Politik an die Demoskopen outsourcen, indem SieDemoskopen zitieren und das offenbar für maßgeblichhalten.
Das ist nicht unser Politikverständnis.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27857
Dr. Günter Krings
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Sie müssen sich langsam überlegen, was Sie eigent-lich wollen. Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es umdie Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe,und Sie sprechen von der Öffnung der Ehe. Das sindzwei verschiedene Dinge. Sie sind sich offenbar selbstnicht im Klaren darüber, was Sie eigentlich wollen. Ichweiß auch nicht genau, was die Intention der von Ihnengeforderten Aktuellen Stunde ist. Eine sachliche Debatteist es offensichtlich nicht, sondern eher eine polemisie-rende Debatte. Das wird der Sache aber nicht gerecht.Es ist auffällig, dass kaum ein anderes politischesThema so sehr dadurch gekennzeichnet ist, dass keinevernünftige, sachliche Debatte zustande kommt. Dabeigibt es durchaus berechtigte Fragen, zum Beispiel, ob esneben der durchaus vorhandenen Vergleichbarkeit vonEhe und Lebenspartnerschaften bei vielen Werten, etwaim Füreinandereinstehen, im Einzelfall aber nicht dochAnknüpfungspunkte für Differenzierung gibt. Darüberdarf man Ihres Erachtens offenbar nicht einmal mehrnachdenken oder gar reden.
Diejenigen, die das tun, werden in beispielloser Weiseattackiert, was oft in einem Automatismus gipfelt. HerrBeck hat sich zu diesem Thema gemeldet. Er ist einMeister darin, den Vorwurf der Homophobie zu erheben,dem auch ich mich schon bei einer betont sachlichenAuseinandersetzung ausgesetzt sah. Herr Kollege, dastut der Debatte nicht gut. Das tut im Übrigen auch IhremAnliegen nicht gut.
Wir erleben oft, auch durch Zwischenrufe, das Gegenteileiner demokratischen Diskussionskultur. Ich fordere da-her mehr Respekt für alle Meinungen in der Debatte ein.
Dieser Respekt gehört gerade auch in die Debatte überdas Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Partnern.
Es ist selbstverständlich, dass wir eine zügige Umset-zung der Vorgaben des Verfassungsgerichts von letzterWoche zur Sukzessivadoption vornehmen wollen. Voll-kommen richtig hat das Verfassungsgericht entschieden:Wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Partner-schaft lebt, dann dient es dem Kindeswohl, wenn dasKind zu beiden Partnern eine rechtlich verfestigte Ver-bindung erhält.
Die Frage der Volladoption ist aber etwas schwieriger zuentscheiden. Hier würde der Staat von außen und aus ei-gener Entscheidung heraus ein Kind nicht einem Mannund einer Frau anvertrauen, sondern zwei Männern bzw.zwei Frauen.
Der Maßstab dafür, ob das richtig ist – hoffentlich sindwir uns darüber noch einig –, kann nicht der Adoptions-wille der Erwachsenen sein, sondern immer nur das Kin-deswohl.
Ich habe, um das gleich klarzustellen, nicht die Sorge,dass Homosexuelle weniger gute Eltern wären. Ichdenke, dass ein Kind dort ebenso gut aufgehoben, geliebtund versorgt werden kann. Ich halte es aber für besser– aus dem Blickwinkel des Kindes betrachtet –, wennein Kind nicht zwei Männer oder zwei Frauen, sonderneinen Vater und eine Mutter als Eltern hat.
Zu Recht wird im Scheidungsverfahren immer wiederdie Bedeutung von Vater und Mutter für ein Kind betont.In Kindergärten und Grundschulen suchen wir auch des-halb händeringend nach männlichen Erziehern und Leh-rern, um den Kindern beiderlei Rollenbilder vorzufüh-ren, um die Kinder damit zu konfrontieren.
– Jetzt hören Sie doch erst einmal zu.Ich folgere daraus nicht zwingend ein Votum gegendie Fremdadoption in Lebenspartnerschaften; aber ichbin der Überzeugung, dass wir uns diese Entscheidungnicht zu leicht machen dürfen.
Deshalb bin ich an einer Stelle über das Urteil des Bun-desverfassungsgerichts enttäuscht. Es geht um die Stelle,an der das Gericht sagt: Die Förderung eines Kindes inEhe und Lebenspartnerschaft ist absolut gleichzusetzen.
Ich will da gar nicht widersprechen, aber das ist ein ein-ziger dürrer Satz in der Entscheidung, ohne jegliche Be-gründung. Ich glaube, es trägt der Sache einfach nichtRechnung, wenn man das mit einem Halbsatz oder ei-nem knappen Satz abtut, ohne es zu begründen.
Soweit ersichtlich gibt es nur eine einzige Studie, inder weniger als 100 Kinder dazu befragt worden sind.Ich glaube nicht, dass ein Artikel in der SüddeutschenZeitung ein Äquivalent für eine solche Studie ist.
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– Da Sie das Stichwort „Anhörung“ gerade nennen:Auch in der letzten Anhörung des Rechtsausschusses imJahre 2011 haben Sachverständige gesagt, man braucheweitere Studien. Sie haben eine bessere Datengrundlagegefordert und angemahnt. Ich halte das für richtig.Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigendrei Finger zurück. Ich will kurz etwas zur Haltung vonGrünen und SPD zum Thema Gleichstellung sagen. DerKollege Beck, der sich so lautstark meldet, ist besondersprädestiniert für einen Zickzackkurs. Er hat noch 2001 ineiner juristischen Fachzeitschrift – das ist bemerkens-wert – geschrieben – ich zitiere wörtlich –:Denn das Lebenspartnerschaftsgesetz sieht wesent-liche Unterschiede zur Ehe vor und wahrt damitauch die nach Auffassung der Kritiker notwendigeDifferenz zum Institut der Ehe.
Diese Unterschiede sind im Übrigen auch nichtmarginal.Er zitiert die Unterschiede. Als Erstes nennt er übrigensdas Ehegattensplitting als besonders positives Beispielfür einen Unterschied.
Es gibt hier offenbar ein besonders trickreiches Vor-gehen der Opposition: Zunächst sagt man: „Das ist etwasganz anderes“, um ein paar Jahre später die Begründungauszutauschen. Sie mögen das für besonders schlau undtrickreich halten. Ich halte das für das Gegenteil vonwahrhaftiger Politik. Ich halte das für ein Vorgehen, daswesentlich zum Politikverdruss in der Bevölkerung bei-trägt. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sa-gen: Politiker tun alles, sie bleiben nur nicht bei einerehrlichen, klaren Position. Genau das haben Sie bei die-ser Frage getan, und das ist meines Erachtens skandalös.
Im gleichen Atemzug könnte man die Position derSPD zum Ehegattensplitting nennen: Einerseits fordertsie die Erweiterung, auf der anderen Seite fordert sie dieAbschaffung. Wenn man ein Beispiel für schizophrenePolitik sucht, dann findet man es in Ihrer Haltung zumThema Ehegattensplittung.Vielen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der SPD unser Kollege Thomas Oppermann.
– Bitte schön, Kollege Thomas Oppermann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen undHerren! Eingetragene Lebenspartnerschaften gehörenzehn Jahre nach ihrer Einführung zum Alltag inDeutschland. 75 Prozent der Deutschen wollen, dass Le-benspartnerschaften ohne Diskriminierungen gleichge-stellt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht willdas. In fünf Entscheidungen hat es diskriminierende Vor-schriften für Lebenspartnerschaften festgestellt und ver-fassungskonforme Regelungen angemahnt. Der ehema-lige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, HerrPapier, bringt das auf den Punkt. Er fasst diese Recht-sprechung zusammen. „Die Würfel sind gefallen“, sagter.Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zu einge-tragenen Lebenspartnerschaften ist rechtlich nichtmehr zu halten.Der Mann hat recht.
Die Zeit ist reif für eine umfassende Gleichstellung vonLebenspartnerschaften und Ehe.
Obwohl das schon im Januar in der Luft lag, haben beider namentlichen Abstimmung über das Jahressteuerge-setz die Abgeordneten der FDP und 219 Abgeordnetevon CDU und CSU gegen die steuerliche Gleichstellungvon Lebenspartnerschaften gestimmt.Nur wenige Wochen vorher, im Dezember auf demCDU-Parteitag, hat sich Frau Merkel dafür feiern lassen,dass es ihr als CDU-Vorsitzender gelungen war, zweiDrittel der Delegierten auf dem Parteitag für ihre Posi-tion zu gewinnen. Die Position lautete: Auf keinen Falleine steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaf-ten! – Frau Merkel kann auch konservativ, wurde in denReihen der CDU anerkennend gesagt.Und jetzt? Jetzt schlägt Ihnen das Bundesverfas-sungsgericht Ihr konservatives Weltbild um die Ohren.
Nichts gegen Konservative – wenn damit eine wertge-bundene Haltung verbunden ist. Aber bei Ihnen ist indieser Frage keine wertgebundene Haltung zu erkennen.Sie wollen Ehe und Familie schützen. Sie wollen die Eheschützen und fördern. Das bedeutet für Sie automatischund gleichzeitig die Diskriminierung der Lebenspartner-schaft.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27859
Thomas Oppermann
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Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Sie die Ehefördern wollen. Aber wenn Sie das in Zukunft im Ein-klang mit dem Grundgesetz tun wollen, dann müssen Siesich von der Vorstellung verabschieden, dass die Ehe nurgeschützt werden kann, wenn gleichzeitig andere For-men des Zusammenlebens diskriminiert und zweitklas-sig gestellt werden.Ich finde, Sie sollten sich einmal ein Beispiel anDavid Cameron nehmen.
Das ist ein gestandener Konservativer. Er eignet sich fürmich überhaupt nicht als Vorbild, wenn es um Europa-fragen geht. Auch sind die Tories ganz stramm gegenFrauenquoten. Ich teile seine Auffassungen also nicht.
Aber er lässt sich nicht von Gerichten abnötigen, Le-benspartnerschaften Schritt für Schritt gleichzustellen.Vielmehr hat er sich an die Spitze der Bewegung inGroßbritannien gesetzt. Ich war zufällig in London imUnterhaus, als dort Anfang Februar die Entscheidungfiel. David Cameron ist mutig vorangeschritten. Er hatsich nicht einmal davon abschrecken lassen, dass mehrals die Hälfte seiner Tory-Abgeordneten gar nicht mitihm gestimmt haben. Das ist mutig, meine Damen undHerren.Frau Merkel hingegen schickt jetzt – nach der Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichtes – FrauKlöckner, Herrn Grosse-Brömer und Herrn Kauder vor,um die Stimmung für eine 180-Grad-Wende auszuloten.Das nenne ich feige, meine Damen und Herren. Ichfinde, die Bundeskanzlerin sollte sich einmal ein Bei-spiel an David Cameron nehmen.
Aber da ist am Ende auf jeden Fall noch HorstSeehofer. Auf den kann man sich verlassen. Der gibt dieParole aus: Die CSU bleibt bei ihrer Linie, „wie auchimmer die Richter entscheiden“. Diesem Mann fehltganz offensichtlich nicht nur der Respekt vor dem Bun-desverfassungsgericht,
er hat auch ein gestörtes Verhältnis zur Verfassung.
Aber bei Horst Seehofer – er trägt jetzt ja den Spitzna-men „Horst Drehhofer“ – kann man natürlich nicht aus-schließen, dass er die Kurve noch kriegt.Ich finde es jedenfalls gut, dass im Bundesrat amFreitag ein Gesetzentwurf zur Abstimmung steht, mitdem die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartner-schaften beschlossen werden soll. Da haben Sie dieMöglichkeit, einmal zu schauen, wie viele CDU-regierteLänder da mitmachen.Es ist an der Zeit, dass wir Lebenspartnerschaften um-fassend gleichstellen: im Sozialrecht, im Familienrecht,im Steuerrecht. „Gleiche Rechte für alle“ heißt die Pa-role in Deutschland.
Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kol-
lege Stephan Thomae.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Wer gleiche Pflichten hat, verdient auchgleiche Rechte.
Menschen, die Verantwortung füreinander und für Dritteübernehmen, verdienen unser aller Respekt und gesell-schaftliche Anerkennung.
Der Staat sollte es unterstützen und nicht behindern,wenn Menschen füreinander und für Dritte Verantwor-tung übernehmen wollen.
Wenn diese Menschen das gleiche Geschlecht haben,dann fragen wir Liberale: Wo liegt eigentlich das Pro-blem? Schadet das irgendjemandem? Wenn sich in sol-chen Fällen zwei Menschen um ein Kind kümmern, woliegt dann für das Kind der rechtliche Nachteil, wenndurch Adoption ein rechtliches Verwandtschaftsverhält-nis begründet wird? Nun mag es ja sein, dass sich gleich-geschlechtliche Lebenspartnerschaften als unvereinbarmit einem bestimmten Familienbild erweisen, aber esgeht bei dieser Frage nicht um Familienbilder, sondernes geht bei der Adoption von Kindern jedes Mal, in je-dem Einzelfall um das Kindeswohl.
Nun mag wiederum jemand der Auffassung sein, dassdas Aufwachsen in einer gleichgeschlechtlichen Le-benspartnerschaft für ein Kind schädlich oder nachteiligsein könnte. Nur, meiner Wahrnehmung entspricht dasnicht. Abgesehen davon lässt es sich auch gar nicht ver-hindern. Denn wenn nun jemand in eine Lebenspartner-schaft ein Kind einbringt, dann wächst dieses Kind ganzeinfach faktisch in einer solchen Lebenspartnerschaftauf.
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27860 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Stephan Thomae
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Wenn die Sukzessivadoption nun aber den Kindern nichtschadet, dann ist die Frage, warum nicht Jugendämterbei jeder Einzelfallprüfung, die bei Adoptionen ange-bracht ist und vorgenommen werden muss, mit prüfen,ob in bestimmten Fällen ein zur Adoption stehendesKind auch in einer Lebenspartnerschaft voll adoptiertwerden kann.
Deshalb kann ich für meine Fraktion und meine Parteierklären: Die FDP hat mit einer Sukzessivadoption keinProblem, und sie hat auch mit einer Volladoption keinProblem. Sie hat nicht nur kein Problem damit, nein, wirwürden sie sogar begrüßen.
Wir finden aber momentan in unserer Regierungskoali-tion dafür noch keine breite Mehrheit,
registrieren jedoch erfreut, dass auch in der Union seis-mische Bewegungen stattfinden. Wir wollen uns Zeitnehmen, um diese Bewegungen zu beobachten.Alle, die noch zögern, möchte ich ermutigen: Für dieKindeswohlprüfung sorgt das Adoptionsrecht ausrei-chend. Wenn die Kindeswohlprüfung im Einzelfall er-gibt, dass ein Kind bei zwei Partnern gleichen Ge-schlechts am besten aufgehoben ist, dann sollte dasGesetz solche Lösungen erlauben und nicht verbieten.Wir machen die Gesellschaft durch solch eine Lösungnicht weniger christlich, aber wir können ihr mehrMenschlichkeit verleihen.
Wenn wir schon dabei sind: Im Sommer ist ein weite-res Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu erwarten.Diesmal geht es um die steuerrechtliche Gleichbehand-lung von Lebenspartnerschaften und Ehen. Ich will demnicht vorgreifen, aber die letzten Entscheidungen desBundesverfassungsgerichtes zu gleichgeschlechtlichenLebenspartnerschaften gingen immer in die gleicheRichtung. Sie gingen immer in die Richtung: mehrGleichstellung. So spricht eine erhöhte Wahrscheinlich-keit dafür, dass es auch im Sommer dieses Jahres so seinwird.Ich denke, dass der Gesetzgeber die Umsetzung derFingerzeige aus Karlsruhe nicht böswillig weiter auf dielange Bank schieben sollte. Denn die Menschen dürfenzu Recht erwarten, dass der Gesetzgeber ohne schuld-haftes Zögern handelt. Warum werden Eheleute nachdem Einkommensteuergesetz bessergestellt? Weil Ehe-leute füreinander in Wechselfällen des Lebens finan-zielle Verantwortung übernehmen und damit auch dieSozialkassen entlasten. Das honoriert der Staat, indem erEhen im Steuerrecht besserstellt.
Für Lebenspartner gilt nichts anderes. Auch Lebenspart-ner gleichen Geschlechts übernehmen in den Wechsel-fällen des Lebens, wenn sie es vermögen, füreinander fi-nanzielle Verantwortung,
entlasten damit ebenfalls die Sozialkassen und habendeswegen ebenfalls Anspruch auf steuerrechtlicheGleichstellung.
Damit komme ich zum Fazit, Herr Präsident, und er-kläre für meine Fraktion, dass wir eine Gleichstellunglieber gestern als heute gehabt hätten. Wir wären auchmorgen noch damit einverstanden, aber meinen, dass wirdamit nicht bis übermorgen warten sollten;
denn das wird den Menschen im Lande immer schwererzu erklären.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara
Höll.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Thomae, es gab da mal 2009 einen Ko-alitionsvertrag, der von zwei Partnern unterschriebenwurde.
– Drei: CDU, CSU und FDP. – Da steht drin, dass Siesich für die steuerliche Gleichbehandlung von eingetra-gener Lebenspartnerschaft und Ehe einsetzen wollen.
Davon war bisher noch überhaupt nichts zu spüren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27861
Dr. Barbara Höll
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Seit 2009 gibt es dazu fünf Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts. In allen fünf Urteilen wurde festgestellt,dass eine Benachteiligung der eingetragenen Lebenspart-nerschaft nicht durch Art. 6 des Grundgesetzes gedecktist. Es ist dadurch nicht gedeckt, dass die eingetrageneLebenspartnerschaft schlechtergestellt wird, weil Eheund Familie der Gesellschaft besonders viel wert sind.Das ist die Realität.
Herr Papier sagt, die Würfel sind gefallen – schon vorüber zehn Jahren. Herr Voßkuhle wundert sich, warumdiese Diskussion jetzt auf einmal losgeht, da doch klarsei, dass das Bundesverfassungsgericht noch vor derSommerpause entscheiden wird. Jetzt wird Herr Kauderganz mutig und sagt: Natürlich setzen wir das Urteil zurSukzessivadoption um.Es war in der Zeitung zu lesen, dass es bei der Uniongestern eine heftige Fraktionssitzung gab. Herr Schäublehat sich positiv zur Gleichstellung geäußert. Frau Reichesah das Abendland bedroht. Das war pure Entrüstung.Man sagte, dass die Ehe bedroht ist und die bürgerlicheEhe dadurch unterhöhlt werden soll. Was Sie machen, istpure Ideologie; das gilt für alles, was Sie hier gesagt ha-ben, etwa zum Thema Kindeswohl. Das haben doch Siein den letzten Jahren sträflich missachtet. Sie haben dochbisher verhindert, dass für adoptierte Kinder eines Part-ners oder einer Partnerin innerhalb einer eingetragenenLebenspartnerschaft Rechtssicherheit geschaffen wird.Herr Krings, ich muss mich schon sehr wundern, dassSie den Unterschied zwischen dem Kampf um die einge-tragene Lebenspartnerschaft und dem Kampf um dieÖffnung der Ehe bis heute nicht verstanden haben.
Ich muss wirklich sagen: Da habe ich sehr gestutzt. Ichdachte, da sind auch Sie ein bisschen weiter.
Es war ja vor etwas mehr als zehn Jahren nicht mög-lich – in keiner Weise –, die Ehe zu öffnen,
weil Ihnen der Begriff heilig ist; nun gut. Es gab dannviele Verhandlungen. Man hat es geschafft, die eingetra-gene Lebenspartnerschaft als Rechtsinstitut zu installie-ren. Natürlich ist es jetzt das Einfachste und Beste, fürdie Öffnung der Ehe zu streiten.Auch wenn öffentlich vor allem über das Adoptions-recht und das Ehegattensplitting diskutiert wird, gibt esdarüber hinaus eine Vielzahl anderer Regelungen, beidenen eingetragene Lebenspartnerschaften heute nochbenachteiligt werden. Sie haben sich entschieden, immernur Widerstand zu leisten. Erst dann, wenn das Bundes-verfassungsgericht eine Entscheidung getroffen hat, ge-ben Sie wieder ein Stückchen preis. Es interessiert Sieeben nicht, dass sich die gesellschaftliche Realität verän-dert hat. Deshalb ist es das Beste, die Ehe zu öffnen, ja.Wir Linken haben das bereits im Juni 2010 als ersteFraktion hier im Bundestag beantragt. Ich bin sehr, sehrfroh, dass das inzwischen auch die SPD-Fraktion und dieGrünen so sehen. Es gibt ja selbst in Ihren Reihen, beiden Schwulen und Lesben in der Union, sehr, sehr großeUnterstützung für diesen Ansatz. Vielleicht hören Sieauch einmal auf die Menschen, die selber betroffen sind;
das wäre für Ihre Politik nicht ganz uncharmant.
Ich muss Ihnen sagen: Dass wir heute hier diskutie-ren, ist nicht nur ein Zeichen Ihrer Feigheit und IhrerUnzuverlässigkeit im Hinblick auf das, was Sie in Koali-tionsverträgen vereinbaren, sondern auch ein ZeichenIhrer Demokratiefeindlichkeit. Ich glaube, Sie habenkein richtiges Verständnis von Ihrem Tun als Parlamen-tarierinnen und Parlamentarier. Es steht nirgends ge-schrieben, dass wir immer erst dann etwas machen dür-fen – nein, dann müssen wir es machen –, wenn dasBundesverfassungsgericht entschieden hat. Wir als Le-gislative sind gewählt, um Gesetze zu machen, abernicht, um nur zu warten, bis wir zu etwas gezwungenwerden. Überlegen Sie doch mal, was Sie der Öffentlich-keit damit demonstrieren!
Ich sage Ihnen auch: Das, was Sie machen, ist homo-phob. Sie befördern damit homophobe Tendenzen in un-serer Gesellschaft, die – das wissen wir – immer noch dasind,
wenn Sie unterschwellig immer weiter versuchen,Schwulen bzw. Lesben, die eine eingetragene Le-benspartnerschaft eingegangen sind, per se abzuspre-chen, dass sie vielleicht genauso gute Eltern sind.
Wahrscheinlich sind sie sogar bessere; denn Schwulemüssen sich sehr genau überlegen, ob sie ein Kind adop-tieren – ein Kind kann bei ihnen nicht einfach so passie-ren.
Ich möchte abschließend sagen: Ich bin froh, dass dieDiskussion, die wir jetzt führen, gleichzeitig die Diskus-sion über das Ehegattensplitting eröffnet.
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27862 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Dr. Barbara Höll
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Das Ehegattensplitting hat nicht mehr die Zielstellung,die es einmal hatte: Bei der Einführung des Ehegatten-splittings ging es um die Förderung von Kindern.
Nicht einmal die Ehen sind Ihnen gleich viel wert: VieleVerheiratete in Deutschland, ob mit oder ohne Kinder,haben von Ihrem Ehegattensplitting überhaupt nichts,weil sie nämlich so wenig verdienen, dass sie gar keineSteuern zahlen können.
Also lassen Sie das Thema Familienförderung beim Ehe-gattensplitting weg, und werden Sie auch da modern: In-dividualbesteuerung für alle!Genauso müssen wir endlich aus dem Status einesEntwicklungslandes herauskommen bezüglich der Be-handlung von Schwulen und Lesben, so sie miteinanderleben wollen und das auch rechtlich demonstrieren wol-len.Danke.
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion von CDU und CSU Kollege Norbert Geis.
Bitte, Kollege Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie hätten michruhig zitieren können; aber ich muss wissen, um welchesZitat es sich handelt, damit ich mich auch entsprechendwehren kann. Aber so, diese Andeutung, das halte ichnicht für sehr korrekt.
Ich gebe Ihnen recht: Die Lebensform der gleichge-schlechtlichen Lebensgemeinschaften hat sich nicht indem Maße durchgesetzt, wie sich das manche vielleichterwartet haben.
Denn immer noch 17,3 Millionen Ehen stehen etwa23 000 eingetragene Lebenspartnerschaften gegenüber;das bewegt sich im Promillebereich. Das gleiche Bild er-gibt sich bei Kindern, die in solchen Lebensgemeinschaf-ten leben: 9,3 Prozent der Kinder leben in nichtehelichenLebensgemeinschaften. Zu den nichtehelichen Lebensge-meinschaften werden auch die gleichgeschlechtlichenLebensgemeinschaften gezählt; von der Statistik herspielt das allerdings eine ganz geringe Rolle.
Von dieser Seite her ist es in der Tat schon ein wenigfragwürdig, weshalb wir dann eine solche Diskussionhaben.
Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Es geht Ihnen da-rum, ein Institut neben die Ehe zu setzen und damit diePrivilegierung der Ehe zu untergraben. Sie wollen diePrivilegierung der Ehe abschaffen.
Um nichts anderes geht es Ihnen; das kann man aus jederWortmeldung von Ihnen erkennen. Anders kann ich dasnicht wahrnehmen.Denselben Versuch gab es in der Gemeinsamen Ver-fassungskommission, die von 1992 bis 1994 tagte. Da-mals kam der Antrag, man möge Art. 6 Grundgesetz fürandere Lebensgemeinschaften öffnen.
Dieser Antrag ist damals an der erforderlichen Zweidrit-telmehrheit gescheitert. Seitdem versucht man, die Ver-fassung auf dem Wege über einfachgesetzliche Regelun-gen doch noch zu ändern.
Das ist, wogegen wir uns wehren. Wer die Verfassungändern will, der muss den normalen Weg gehen, nämlichüber eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und übereine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.
Das darf aber nicht auf dem Wege eines Gesetzes, das– wie das Lebenspartnerschaftsgesetz – unterhalb derVerfassung rangiert, erfolgen.
Genau das versuchen Sie aber. Sie bekommen dafür– ich will Ihnen das zugestehen – den Segen des Bundes-verfassungsgerichts.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27863
Norbert Geis
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zumLebenspartnerschaftsgesetz vom 17. Juli 2002 aber ganzklar erklärt – das sei Ihnen auch gesagt –, dass es demGesetzgeber nicht erlaubt ist, ein Institut neben die Ehezu stellen, das der Ehe gleich ist, das austauschbar ist.Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil ausdrück-lich – wörtlich – geschrieben: Es handelt sich bei dergleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft um einAliud, nicht vergleichbar mit der Ehe.Genau diese Position hat das Verfassungsgericht infünf Urteilen – sie sind schon zitiert worden;
es geht um die Schenkung, um das Erbrecht, um die be-triebliche Altersversorgung, um das Beamtenrecht undschließlich um das sukzessive Adoptionsrecht – ge-räumt.
– Sie müssen uns gestatten, dass wir damit nicht einver-standen sind. Wir sind der Meinung, dass das Verfas-sungsgericht mit diesen fünf Urteilen auf einem Irrwegist,
und das sagen wir auch laut.
Wir sagen das laut: Wir halten fest daran, dass die Eheprivilegiert ist. Da kann das Verfassungsgericht nichtkommen und den Versuch unternehmen – Sie auchnicht –, mithilfe der Rechtsprechung die Verfassung zuändern. Sie wollen die Verfassung ändern.
– Da können Sie noch so laut rufen; das ist der Sachver-halt.
– Sie können ruhig laut reden; ich werde es noch lautersagen: Gegen diesen Sachverhalt wehren wir uns. Wirsind der Auffassung, dass wir an der Privilegierung derEhe festhalten müssen.Zum Ehegattensplitting. Ich frage mich: Was machenSie eigentlich mit dem Ehegattensplitting, wenn es auchandere Einstandsgemeinschaften gibt, wie zum Beispieldann, wenn die Tochter bei der Mutter wohnt oder wennzwei Geschwister zusammenwohnen, die ein Leben langfüreinander einstehen? Ich möchte einmal wissen, wasdas Verfassungsgericht dazu sagt. Sie müssen gleichbe-handelt werden.
– Ja, gut, aber dann müssen Sie eine ganze Mengegleichbehandeln.
Zur Volladoption. Bei der Volladoption geht es Ihnendoch nicht um das Kind, sondern um nichts anderes alsum einen weiteren Schritt zur Gleichstellung des Insti-tuts der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mitdem der Ehe. Das Kind ist nicht gefragt. Aber ich sageIhnen noch einmal: Für das Kind ist es nach wie vor ambesten, wenn es mit Vater und Mutter aufwächst undnicht mit „Papa, Papa“ oder „Mama, Mama“. Das ist nuneinmal von der Natur so gegeben.
Im Übrigen: Seien Sie zufrieden, und hören Sie sichdas einmal an: In Belgien gibt es diese Regelung schon.Und es gibt fast keine Adoptionen in dieser Hinsicht,weil die Eltern, die ihr Kind zur Adoption freigeben, na-türlich wollen, dass das Kind in einer vernünftigen Ge-meinschaft lebt, nämlich bei Vater und Mutter und nichtbei „Papa, Papa“ oder „Mama, Mama“.Danke schön.
Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Frau Christel
Humme für die Fraktion der SPD. Bitte schön, Frau Kol-
legin Christel Humme.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Lieber Herr Geis, es nützt nichts.
Sie können sich noch so aufregen: Das Verfassungsge-richtsurteil hat eindeutig bestätigt: Die Gleichstellungeingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist ver-fassungsrechtlich geboten.
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Christel Humme
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Beide sind auf Dauer angelegt und gründen auf der fürden Partner übernommenen Verantwortung. Kinderwachsen in diesen Beziehungen so gut auf, dass von ei-ner Gefährdung des Kindeswohls, wie es konservativeGegner – auch Sie, Herr Geis – behaupten, nicht dieRede sein kann. Schauen Sie in ein Gutachten des Bun-desjustizministeriums von 2009. Darin wird Ihnen daseindeutig belegt.Ich sage Ihnen: Für eine Diskriminierung von einge-tragenen Lebenspartnerschaften, wie Sie das tun, HerrGeis, gibt es keinerlei rationale Argumente.
Darum sage ich Ihnen: Die Position der SPD ist eindeu-tig. Wir fordern die Öffnung der Ehe, das heißt, wir wol-len eine völlige rechtliche Gleichstellung der Ehe undder eingetragenen Lebenspartnerschaft.Wir freuen uns natürlich, dass der ParlamentarischeGeschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, ankündigt, seine Fraktion wolle in Kürze einenGesetzentwurf zur Gleichstellung der Homoehe vorle-gen. Das finden wir gut. Aber hat er das mit der Kanzle-rin abgesprochen? Die hat sich doch unmittelbar – dashaben wir heute schon gehört – vor dem CDU-Parteitagvor gut zwei Monaten eindeutig gegen die Gleichstel-lung positioniert. Mich würde es nicht wundern, wennsie wieder nach dem System Merkel verfährt: Was küm-mert mich das Geschwätz von gestern?
Und was ist jetzt? Sie bittet um zehn Tage Bedenkzeit.Wofür? Worüber wollen Sie denn diskutieren? Es gibtdoch nur eine einzige Entscheidung, die Sie treffen müs-sen: Wollen Sie Lesben und Schwule weiterhin verfas-sungswidrig diskriminieren, oder sind Sie bereit, sie alsgleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anzuerken-nen? Nur diese Entscheidung müssen Sie treffen.
Die gesellschaftliche Debatte dagegen ist viel weiterals Sie. Wir haben gerade schon gehört: 74 Prozent derDeutschen fänden es gut, wenn es eine Gleichstellungder eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehegäbe. Und man staune: 64 Prozent der Unionswähler,Ihrer Wähler also, finden eine völlige Gleichstellung derHomoehe gerecht.Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, darum ist es rich-tig, dass im Bundesrat am kommenden Freitag ein Ge-setz zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit derEhe im Einkommensteuerrecht vorgelegt wird. Hier gibtes endlich die Chance für Sie, nicht nur Getriebene desBundesverfassungsgerichts zu sein, sondern endlichzuzustimmen. Denn Mitte des Jahres erwarten wir einweiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts zumEinkommensteuerrecht. Wie das ausgehen wird, könnenwir uns heute schon vorstellen und ist zu prognostizie-ren. Auch hier wird es für CDU und CSU eine Nieder-lage geben. Sie wissen das, Sie wissen das sehr genau.Denn nicht umsonst rechnet das Finanzministerium be-reits für diesen Fall die Zahlen aus.Gleichzeitig mit der Debatte über die Gleichstellungeingetragener Lebenspartnerschaften beginnt in derUnion, auch von Ihnen geführt, Herr Geis, eine, wie ichmeine, sehr scheinheilige Debatte über das Ehegatten-splitting. Was haben Ehegattensplitting oder Familien-splitting mit der heutigen Auseinandersetzung zu tun?Nichts. Gleichstellung ist Gleichstellung, Punktum!
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Herr Geis hat vondem Schutz der Ehe gesprochen; Art. 6 Grundgesetzwird ja immer gerne zitiert. Ich rate Ihnen: Schauen Siedoch mal in eine Stellungnahme des Bundesverfassungs-gerichts von 1957 hinein. Darin stand schon: Der Schutzder Ehe erfordert nicht, dass nur einer der Ehepartnerwirtschaftlich tätig ist. – Das fanden Sie damals unterAdenauer schon viel zu progressiv. Ich denke, an dieserStelle sind Sie über die Diskussion der 50er-Jahre ein-fach noch nicht hinausgekommen.
Ich glaube, es ist richtig, über das Ehegattensplitting zudiskutieren – klar, keine Frage –: Ist es noch zeitgemäß?Ist es sozial gerecht? Ist es sozial gerecht, wenn nur dereinen Steuervorteil von 15 000 Euro bekommt, der250 000 Euro im Jahr verdient, während die anderen, dieunteren Einkommen, leer ausgehen oder nur einen gerin-gen Steuervorteil haben? Ist das gerecht? Das müssenwir uns natürlich fragen.Wir müssen uns auch fragen, ob der Staat in Bezie-hungen hineinregieren darf.Das Gleiche gilt allerdings auch für das Familiensplit-ting. Frau Ministerin Schröder, die hier sitzt, hat mal ge-sagt: Das geht überhaupt nicht mit dem Familiensplit-ting; das würde 10 Milliarden Euro zusätzlich kostenund die hohen Einkommen noch zusätzlich fördern. – Istdas sozial gerecht?Ich glaube, diese Frage sollten wir uns auch stellen,aber eben nicht heute. Heute geht es um ein eindeutigesThema, heute geht es um die Gleichstellung von Ehe undeingetragenen Lebenspartnerschaften. Ich wünsche mirvon Ihnen einen Gesetzentwurf. Und dafür brauchen Sieeigentlich keine zehn Tage Bedenkzeit mehr.Danke schön.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27865
Christel Humme
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Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unser Kollege Michael Kauch.
Bitte schön, Kollege Michael Kauch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis,Sie haben über Rechtsinstitute gesprochen. Es geht nichtum Rechtsinstitute oder um Ideologie, sondern es gehtum Menschen, um Menschen, die Gefühle haben, umMenschen, die Lebensentwürfe leben, und zwar ihre ei-genen. Die Frage ist, ob der Staat fair mit ihnen umgeht,ihnen alle Pflichten aufzuladen, aber ihnen nicht diegleichen Rechte zu geben. Das ist die Frage, um die esgeht. Um diese Menschen in unserem Land geht es undnicht um die Frage von Ideologie, von Rechtsinstitut,von Ehe oder Lebenspartnerschaft. Wir müssen das ameinzelnen Menschen diskutieren. Dann kommen wirvielleicht auch zu einem sachlichen Ergebnis.
Der Schutz der Ehe ist nicht betroffen, wenn man Le-benspartnerschaften gleichstellt. Menschen entscheidensich nicht, ob sie schwul oder lesbisch sind; sie sind es.Deshalb werden sie auch nicht die Ehe eingehen, wennman ihnen kein angemessenes alternatives Rechtsinstitutanbietet. Auch bisexuelle Männer und Frauen werdennicht nach Steuervorteilen entscheiden, wen sie heiratenwollen.Deshalb müssen wir die Frage anders stellen, näm-lich: Was begründet die Privilegierung von Ehegattenoder Lebenspartnerschaften im Steuerrecht? Dazu hatdas Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entschei-dung von 2010 zur Erbschaftsteuer gesagt: Wenn dieFörderung der Ehe mit einer Benachteiligung andererLebensformen einhergeht, obgleich diese nach dem ge-regelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierungverfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, ist das nichtgerechtfertigt durch die bloße Verweisung auf dasSchutzgebot der Ehe.Deshalb müssen wir uns daran orientieren, was ei-gentlich der Grund für das Ehegattensplitting ist. Das isteine unterschiedliche steuerliche Leistungsfähigkeit.Denn durch die Unterhaltsverpflichtung, die ich gegen-über dem Lebenspartner oder dem Ehegatten habe, ver-mindere ich meine steuerliche Leistungsfähigkeit, unddadurch, dass der andere Unterhaltsrechte bekommt, er-höht er seine. In einem progressiven Steuersystem machtdas einen Unterschied. Das ist die Rechtfertigung, undzwar gilt das sowohl für die Ehe als auch für dieLebenspartnerschaft, meine Damen und Herren.
Wenn wir uns die Frage des Adoptionsrechts an-schauen, dann geht es entscheidend um das Kindeswohl.Es geht ausdrücklich nicht allein um die Frage, dass sichMenschen selbst verwirklichen wollen, sondern es gehtum die Frage: Was ist das Kindeswohl? Ich sage Ihnen:Es ist im Kindesinteresse, dass es in einer behüteten Um-gebung aufwächst statt in staatlicher Obhut. Das ist dieFrage, über die wir streiten.
Wenn das Bundesverfassungsgericht die Sukzessiv-adoption aus Kindesinteresse zulässt, dann macht esdoch keinen logischen Sinn, zu sagen: Dann muss erstder eine Lebenspartner das Kind einzeln adoptieren,zwei Jahre warten, und dann gibt es eine Sukzessivadop-tion. Auch hier ist es im Kindesinteresse, dass von An-fang an beide Verantwortung für das Kind übernehmenund Unterhaltspflichten haben und dass im Fall des To-des desjenigen, der das Kind alleine adoptiert, der anderedann tatsächlich das Sorgerecht bekommt und das Kindin seiner stabilen Umgebung bleibt. Das dient Kindes-wohl.
Im Übrigen wird die Diskussion um die Regenbogen-familien immer wieder verkürzt geführt. Die meistenKinder in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaf-ten sind nicht dort hineinadoptiert worden. Denn auchSchwule und Lesben können Kinder kriegen, und dastun sie, nicht mit ihrem Partner, aber vielleicht mit je-mand anderem, oder sie haben ein Kind aus einer frühe-ren Beziehung.Diesen Menschen gegenüber finde ich es völlig unan-gemessen, wie darüber gesprochen wird, dass KinderVater und Mutter haben sollen. Ja, die Kinder habenVater und Mutter; sie sind nur nicht miteinander verhei-ratet. Das ist der Unterschied. Aber das ist doch keineFrage des Kindeswohls, sondern das ist die Frage einerbestimmten Ideologie, die hier verbreitet wird, meineDamen und Herren.
Ich möchte aber auch ein paar Dinge zu Frau Göring-Eckardt sagen. Sie haben sich hier hingestellt und für dievolle Gleichstellung plädiert. Sie sind Präses der Synodeder Evangelischen Kirche in Deutschland. In Sachsenwurde vorgeschlagen, dass die Lebenspartner endlich insPfarrhaus einziehen dürfen. Die Synode hat sich bisherdagegengestellt. Ich bin der Auffassung, dass Sie alsPräses der Synode in der Verantwortung sind, dassendlich in Sachsen und sonst wo in der Republik die Le-benspartner ins Pfarrhaus können und dass die KircheLebenspartner genauso bezahlt wie Verheiratete. Das istIhre Verantwortung in Ihrem Aufgabenbereich.
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27866 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Michael Kauch
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Vielen Dank.
Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen: Kollege Volker Beck.
Obwohl ich nicht Mitglied der evangelischen Kirchebin und dort auch keine Verantwortung trage, muss ichSie leider darüber informieren, dass selbst in der Landes-kirche in Sachsen die Uhren schon einen Schritt weitersind. Dort wurde kürzlich ein Missionar seines Dienstesenthoben, weil er sich dagegen gewehrt hat, dass diesächsische Landeskirche akzeptiert, dass schwule undlesbische Paare in den Pfarrhäusern leben und dass dasPfarrerdienstrecht das auch entsprechend vorsieht. Dieevangelische Kirche ist viel weiter als Ihr Koalitions-partner.
Und das ist auch gut so. Ich wünsche mir, dass die katho-lische Kirche bald nachzieht. Das sage ich, obwohl wirhier Politik machen. Diese richtet sich nach dem Grund-gesetz und nicht nach den individuellen religiösenÜberzeugungen der hier im Haus an den EntscheidungenBeteiligten.Die verfassungsrechtliche Lage ist glasklar. Das hatuns Herr Voßkuhle mit auf den Weg gegeben, und dashat Herr Papier noch deutlicher ausgesprochen. HerrPapier hat gesagt:Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur einge-tragenen Lebenspartnerschaft ist rechtlich nichtmehr zu halten.
Weiter hat er gesagt:Der Gesetzgeber hat nach geltendem Verfassungs-recht bei der Gleichstellung keine Wahl mehr.Herr Voßkuhle hat das etwas vornehmer ausgedrückt,aber uns das Gleiche gesagt, als er sein Unverständnisdarüber geäußert hat, dass der fünfte Schlag auf den Hin-terkopf des Gesetzgebers dazu geführt hat, dass in derUnion eine Debatte begonnen hat, ob man sich endlichmal an die Verfassung halten möchte.
Ich wundere mich, dass Sie Debatten darüber führen,ob Sie das machen oder nicht machen. Bei der Sukzes-sivadoption müssen Sie gar nichts mehr tun. Diese istmit dem Urteil vom letzten Dienstag ab sofort erlaubt.
Dazu haben Sie keine Alternative. Bis 2014 müssen Siedas Adoptionsrecht für Lebenspartner in Ordnung brin-gen. Ich rate Ihnen, das noch in dieser Wahlperiode zumachen. Das Bundesverfassungsgericht sagt in derRandnummer 104 des Urteils glasklar und völligunmissverständlich:Unterschiede zwischen Ehe und eingetragenerLebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausge-staltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigenkönnten, bestehen nicht;
insbesondere sind beide Partnerschaften glei-chermaßen auf Dauer angelegt und rechtlich ver-festigt …Die Debatte, die die CSU noch führt, ob man dasmachen soll oder nicht, können Sie sich glatt sparen. Siemüssen es machen, und zwar spätestens bis zu demDatum, das das Bundesverfassungsgericht vorgegebenhat. Sie können auch bis zum 30. Juni 2014 warten oderes jetzt einfach tun.Zur Einkommensteuer. Es gibt schon ein Urteil zurErbschaft- und Schenkungsteuer. Ich lese Ihnen – mitder Ersetzenfunktion bei Word können Sie sich schoneinmal darauf vorbereiten, wie das Urteil im Sommerlauten wird – nur den Urteilstenor vor. Damals, am21. Juli 2010, hieß es:Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetrage-ner Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- undSchenkungsteuergesetz in der bis zum 31. Dezem-ber 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1GG unvereinbar.Ersetze „Erbschaftsteuer“ und „Schenkungsteuer“ durch„Einkommensteuer“, und wir haben das Urteil vomkommenden Sommer.
Deshalb: Es ist doch gar keine politische Frage mehr. Esgeht nur noch um den Zeitpunkt, wann Sie das machen.Herr Krings, Sie haben uns vorhin angegriffen undgesagt, wir hätten eine perfide Strategie gehabt.
In der Tat haben Margot von Renesse und ich uns damalsbeim Lebenspartnerschaftsgesetz verschworen. Ichwollte immer die Öffnung der Ehe. Die Lebenspartner-schaft war für mich in rechtspolitischer Hinsicht immernur eine Art Übergangstechnologie hin zur vollständigenGleichberechtigung. Meine Partei hat schon 1990 imWahlprogramm die Öffnung der Ehe beschlossen.Mittlerweile sind auch die Sozialdemokraten dafür. DerBundesrat wird wahrscheinlich noch in diesem Monateine entsprechende Initiative beschließen. Aber wirwollten immer – so kompromisslerisch und realpolitisch,wie die Grünen nun einmal sind –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27867
Volker Beck
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hart am Inhalt um jedes Stück Fortschritt kämpfen. Da-mals haben wir gesagt: Okay, es geht nicht mit der Ehe,machen wir das mit der Lebenspartnerschaft. – Diedamalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin – dieheutige fehlt komischerweise –
hatte große Bedenken, ob das Verfassungsgericht dasmitmachen würde. Darauf haben wir gesagt: Dannschreiben wir in das erste Gesetz an ein paar Stellen an-dere Begriffe hinein, zum Beispiel beim Güterstand, beider Art, wie die Partnerschaft zustande kommt und wiedas getrennt wird. Das war zwar immer mit den glei-chen Rechtsfolgen verbunden, aber die Begriffe warenunterschiedlich, damit wir so tun konnten, als ob es ei-nen Abstand gibt.
– Doch, Herr Krings, das war schon ehrlich; denn wir ha-ben dem Gericht gesagt: Wir brauchen das nicht. – Aberwir haben es gemacht, nach dem Motto: Wenn ihr der ir-rigen Ansicht der klagenden unionsregierten Freistaaten– Bayern, Sachsen, Thüringen – seid, die damals vor dasBundesverfassungsgericht gerannt sind, dann müsst ihrdas Gesetz unverändert lassen. – Wir sind eigentlich derAuffassung: Man darf die Lebenspartnerschaften mit derEhe gleichstellen, weil es ein anderer Adressatenkreis ist.Übrigens beinhaltet der Begriff „Aliud“ in diesem Urteilnichts anderes. Vielleicht haben Sie es nicht verstanden,Herr Geis.
Insofern können wir diese Partnerschaftsformen gleich-stellen.Ich habe das Bundesverfassungsgericht damals in derVerhandlung aufgefordert, zu sagen – es hat es erst 2009umgesetzt –: Das, was wir nicht gleichgestellt haben, istverfassungswidrig. Verfassungswidrig ist nicht, dass Rot-Grün das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedethat. – Das Bundesverfassungsgericht ist unserer Weisheitgefolgt. Wir haben damals alle Pflichten übertragen undhaben gesagt: Wenn wir gegen den Bundesrat, der damalsschwarz-gelb dominiert war, die infrage stehendenRechte nicht vollständig durchsetzen, werden wir dieBetroffenen dabei unterstützen, vor dem Bundesverfas-sungsgericht ihre Rechte einzuklagen: bei der Beamten-versorgung, beim Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht,bei der Grunderwerbsteuer, beim Familienzuschlag undbei der Hinterbliebenenversorgung. Überall ist uns dasBundesverfassungsgericht gefolgt, letzte Woche auchbeim Adoptionsrecht.In der Tat, unsere Strategie war schlau, aber sie warehrlich und transparent, und wir haben uns durchgesetzt.Vor allen Dingen haben wir damit den gesellschaftlichenWandel beim Respekt vor den Schwulen und Lesben indieser Gesellschaft organisiert, und das ist weit bedeu-tender als die Rechtsfolgen für die Betroffenen. Auchdeshalb sagen wir: Wir wollen keine Homoehe. Wir wol-len die Ehe für alle Paare, die sich dafür entscheiden– wir wollen, dass die Differenzierung mit einem Son-derinstitut aufgehoben wird –; denn das drückt Respektaus, das ist dem gesellschaftlichen Prinzip der Gleichheitvor dem Gesetz geschuldet. Das werden wir in dernächsten Wahlperiode zusammen mit den Sozialdemo-kraten durchsetzen, wenn Sie dazu in dieser Legislatur-periode wieder nicht in der Lage sind.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Olav Gutting.
Bitte schön, Kollege Olav Gutting.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Die gleichgeschlechtliche Lebenspartner-schaft ist seit über einem Jahrzehnt gesellschaftlicheRealität in unserem Land. Im Erbschaftsteuerrecht, beider Rente und bei der Grunderwerbsteuer gibt es bereitsdie Gleichstellung. Jetzt geht es um die Frage der ge-meinsamen steuerlichen Veranlagung.
Es geht mir ausdrücklich nicht darum, die Volladop-tion von Kindern zu ermöglichen. Es geht auch nicht umeine absolute Gleichstellung
der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Es ist nicht dasGleiche. Die Lebenspartnerschaft ist und bleibt etwasanderes als die Ehe. Das sagt auch das Bundesverfas-sungsgericht.
Dennoch gibt es Parallelen. Wir in der Union glauben anden Wert der menschlichen Bindung. Wir glauben anden Wert der menschlichen Verpflichtung. Wir glaubendaran, dass unsere Gesellschaft stärker ist, wenn wir unsgegenseitig binden, wenn wir uns unterstützen. Wir er-warten auch von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern,dass sie füreinander einstehen.
Wer diesen Pflichten nachkommt, wer füreinander ein-steht, der sollte meines Erachtens auch als gleichge-schlechtliche Lebenspartnerschaft ein Anrecht darauf
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27868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Olav Gutting
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Was ich bei dieser Debatte allerdings nicht ganz ver-stehe: Die Opposition setzt sich zwar vehement undmassiv für die Ausdehnung des Ehegattensplittings ein,gleichzeitig fordert sie aber die Abschaffung des Ehegat-tensplittings.
Ich kann Ihnen an dieser Stelle nicht die Frage ersparen:Was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie es abschaf-fen, oder wollen Sie es ausdehnen?
Ich kann Ihnen sagen: Sie können das Ehegattensplit-ting nicht einfach abschaffen; denn es ist nach unsererVerfassung zwingend geboten, um steuerliche Neutrali-tät herzustellen. Eine ersatzlose Streichung des Ehegat-tensplittings,
wie Sie es ja fordern, hätte zur Folge, dass zahlreiche Fa-milien, gerade solche mit mittlerem Einkommen, eineenorme zusätzliche Steuerbelastung hätten.
Diejenigen, die diese Steuerbelastung tragen müssten,sind die normalen Familien in Deutschland, auch wennbeide Partner arbeiten.
Deswegen sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der Opposition: Lassen Sie die Finger vom Ehe-gattensplitting!
Wichtig erscheint mir in dieser Debatte noch, dass wirfesthalten, dass das Ehegattensplitting zunächst über-haupt nichts mit Familienförderung zu tun hat. Ich haltees für falsch, in dieser Debatte Ehe und Familie in einenTopf zu werfen und sie automatisch gleichzusetzen. Wirhaben zur Familienförderung viele Maßnahmen, zielge-naue Maßnahmen, die meisten übrigens von Unionsre-gierungen beschlossen. Ich will hier nur das Elterngeld,die massive Erhöhung des Kindergelds, die wir in dieserKoalition beschlossen haben, den Kinderfreibetrag, diebeitragsfreie Familienmitversicherung, das BAföG, dasBetreuungsgeld, den massiven Ausbau der Kindertages-betreuung, das Mutterschaftsgeld, den Unterhaltsvor-schuss und den Kinderzuschlag nennen. Alles das sindMaßnahmen, die Familien stärken und schützen. Wirkönnten diese Liste beliebig fortführen.Es ist immer die Politik der CDU/CSU und dieser Ko-alition gewesen, Familien zu fördern. Wir stehen für Fa-milienförderung. Wir schützen und wir fördern die Fa-milie als Keimzelle unserer Gesellschaft.
Weil wir die Familienpartei sind und bleiben,
sind wir noch lange nicht homophob.
Ich finde es schlimm, wenn hier immer wieder der Ein-druck erweckt wird, dass man, wenn man für Familie ist,automatisch gegen Schwule und Lesben wäre
und homophob wäre. Das ist einfach nicht richtig, meineDamen und Herren.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Beim Ehegatten-splitting geht es vor allem um den Grundsatz der Besteu-erung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.
Die entsprechende Anwendung auf homosexuelle Paare,die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben,die füreinander einstehen müssen, halte ich deswegenfür ein Gebot der Steuergerechtigkeit.Ja, wir sind in unserer Fraktion, in der CDU/CSU-Fraktion, nicht alle einer Meinung. Wir diskutieren die-ses Thema. Ich glaube aber, wir müssen uns nicht dafürentschuldigen, Kollege Beck, dass wir uns in der Uniondie notwendige Zeit lassen, um diese Debatte ausführ-lich zu führen.Vielen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist fürdie Fraktion der SPD unser Kollege Johannes Kahrs.Bitte schön, Kollege Johannes Kahrs.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27869
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Die Freie und Hansestadt Hamburg hat jetzt beschlos-
sen, im Bundesrat den Antrag zur Öffnung der Ehe zu
stellen. Ich bin Olaf Scholz und Jana Schiedek, unserer
Justizsenatorin, dankbar dafür, dass sie die Initiative er-
griffen haben. Ich glaube, dass es eine Mehrheit dafür
geben wird. Dann werden Sie sich hier wieder mit die-
sem Thema auseinandersetzen müssen. Meine Bitte ist:
Bewegen Sie sich! Wenn eines verlässlich ist, dann ist es
doch die Wankelmütigkeit, die Sprunghaftigkeit der
Bundeskanzlerin. Vielleicht ist es diesmal für Menschen
und für etwas Gutes. Ich hoffe darauf.
Vielen Dank.
Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist
Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege Karl
Schiewerling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich bin einigermaßen über-rascht, dass diese Diskussion, die für uns in der Union– keine Frage – eine schwierige Diskussion ist, genutztwird, um daraus wahlkampftechnische oder strategischeVorteile zu ziehen.
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27870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Karl Schiewerling
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Ich sage Ihnen sehr deutlich: Diese Diskussion ist des-wegen so emotional – nicht nur hier im Bundestag, son-dern auch bei uns in der Fraktion –, weil es nicht nur umgesetzestechnische Vorgänge geht oder im Falle desSteuerrechts um steuertechnische Vorgänge, sondernweil es aus unserer Sicht um grundsätzliche Fragen derzukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft geht.
Herr Kollege Beck und Herr Kollege Kahrs, ich be-stätige Ihnen ausdrücklich, dass es natürlich zuerst undzuvorderst um Menschen und deren Zusammenlebengeht. Es kommt aber auch darauf an, wie wir den Kerndieses Zusammenlebens gestalten. Wir alle, die hier sit-zen, verdanken unser Leben Vater und Mutter. Ich gehedavon aus, dass wir alle aus einer Familie kommen, inder wir geborgen aufgewachsen sind, indem wir dieNähe von Vater und Mutter erlebt haben. Wir nehmenzur Kenntnis, dass sich Entwicklungen in unserer Ge-sellschaft auftun, bei denen dieses selbstverständlicheZusammenleben von Vater und Mutter mit ihren Kindernoffensichtlich nicht die Realität ist, was wir respektierenund anerkennen.Ich sage sehr deutlich: Für mich ist der Kern des Zu-sammenlebens der Schutz von Ehe und Familie; er istnicht von geschlechtlichen Fragen abhängig. Aber ichrespektiere – weil es bei der Ehe um die Frage geht, die-sem Zusammenleben einen gesetzlichen Rahmen zu ge-ben, der für das Leben in der Familie Verlässlichkeitschafft –, dass es eingetragene Lebenspartnerschaftengibt; denn wenn sich zwei Menschen zusammentun, fürsich planen und organisieren, dann brauchen sie diesenRechtsrahmen, um Verlässlichkeit für das Zusammenle-ben zu haben.Ich sage an dieser Stelle aber sehr deutlich: Das Urteildes Verfassungsgerichts ändert nach meinem Verständ-nis die Grundlagen des Art. 6 unserer Verfassung – Eheund Familie stehen unter dem besonderen Schutz derVerfassung –, indem es daneben gleichberechtigt dieEingetragene Lebenspartnerschaft und deren Zusam-menleben mit Kindern stellt. Das ist eine Veränderunginnerhalb unserer Verfassung. Das habe ich als Politikerund Demokrat zur Kenntnis zu nehmen. Ich muss diesesUrteil nicht lieben. Ich liebe es auch nicht; im Tiefstenmeines Herzens halte ich es für falsch. Ich habe es aberzu akzeptieren und auch zur Grundlage für politischeEntscheidungen zu nehmen.Für mich geht es in der Urteilsbegründung um einenPassus zu der Frage der Adoption. Das Bundesverfas-sungsgericht schreibt in seiner Begründung ausdrück-lich, dass man davon ausgeht, dass gleichgeschlechtlichePaare bei der Adoption von Kindern einer sorgsamenPrüfung unterzogen werden. Das ist richtig. Das gilt jaauch für alle anderen Paare.
Was mich aber umtreibt – das sage ich nicht nur mitBlick auf gleichgeschlechtliche Paare, sondern auch mitBlick auf Ehen und andere –, ist die Frage, ob bei einerAdoption im Ausland ernsthaft und gründlich geprüftwird, wie mit Kindern umgegangen wird und wie vielKäuflichkeit dabei ist.
– Herr Kollege Beck, ich habe gerade gesagt: Dies giltfür alle. – Was mich umtreibt, ist die Rolle des Kindes,ist die Rolle des Kindeswohls. Die Frage des Kindes-wohls steht für mich bei den zukünftigen Entwicklungenim Mittelpunkt. Wenn es darum geht, sich ein Kind an-zuschaffen, obwohl die Voraussetzungen nicht stimmen,
dann werden Kinder offensichtlich angeschafft, um dereigenen Selbstverwirklichung der Menschen zu dienen.Kinder sind dann nicht mehr selbstverständlicher Be-standteil im Leben von Menschen.Für mich ist die Kernfrage: Werden wir Politik mitden Augen der Kinder gestalten, die ein Recht auf ihrLeben haben, und zwar nicht nur als Kind, sondern auchals Jugendlicher, als Heranwachsender und als Erwach-sener? Bei allen Untersuchungen, die uns vorliegen,wird lediglich geprüft, ob sich Kinder bei gleichge-schlechtlichen Paaren wohlfühlen. Wir haben keine Un-tersuchung dazu, wie sich die Lebenssituation der He-ranwachsenden, der Jugendlichen darstellt, die dieAuseinandersetzung mit Vater und Mutter suchen. Wirhaben überhaupt keine Untersuchung dazu, welche Aus-wirkungen dies hat, wenn sie erwachsen werden.Mich treibt das Urteil des Oberlandesgerichtes Hammum: Eine junge Frau, die erwartete, dass man ihr endlichsagt, wer ihr Vater ist, hat recht bekommen; ihre Mutterhat sich künstlich befruchten lassen, weil sie auf ande-rem Wege kein Kind bekommen konnte oder wollte. Siewill endlich wissen, welche Herkunft, welchen Vater siehat.
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr.
Nehmen wir mit Blick auf diese Kinder, die bald Ju-gendliche und Erwachsene werden, zukünftige politi-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013 27871
Karl Schiewerling
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Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der SPD unsere Kollegin Ingrid Arndt-
Brauer. Bitte schön, Frau Kollegin Arndt-Brauer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich persönlich lebe recht konservativ:Ich bin seit 28 Jahren verheiratet, habe ehelich vier Kin-der bekommen und bin seit meiner Eheschließung geför-dert worden. Ich gehöre also zu den Privilegierten. Wennman mir zusagt, dass ich nichts von meiner Förderungverliere, habe ich überhaupt nichts dagegen, dass auchandere gefördert werden. Warum auch? Warum solltenwir die Ehe, so wie ich sie führe, nicht in dem Sinne öff-nen, dass wir sagen: „Andere, die ähnliche Lebensent-würfe mit Kindern oder mit Partnern, für die sie sich ein-setzen, haben, sollten ebenfalls gefördert werden“? – Danimmt man mir nichts weg; man gibt anderen etwasdazu. Das finde ich sehr positiv. Ich denke, alle drei Op-positionsfraktionen sehen das ähnlich.
Ich finde es etwas befremdlich, dass die FDP sagt: Ei-gentlich sehen wir das auch so – es müsste zu einerGleichstellung kommen, alle müssten die Möglichkeiteiner Adoption erhalten –; aber wir sind noch nicht soweit, dass wir das regeln können. – Ich befürchte: WennSie es jetzt nicht regeln und Ihren Koalitionspartner da-bei mitnehmen, haben Sie in der nächsten Legislaturpe-riode keine Chance mehr, es zu tun, und werden am wei-teren Vorgehen nicht mehr beteiligt sein.
Das ist bedauerlich; aber das kann man dann nicht än-dern.Bei der CDU/CSU finde ich es noch schwieriger. Daweiß ich, ehrlich gesagt, nicht, ob das, was der KollegeGeis hier gesagt hat, wirklich die Meinung der CDU/CSU ist, ob es im tiefsten Inneren die Meinung derMehrheit der Wähler ist, oder ob es schon ein bisschenan der Zeit vorbeigeht. Natürlich verändern sich Gesell-schaften und Werte; man muss diesen Wandel auch alsPolitiker akzeptieren und sich ihm ein Stück weit anpas-sen. Nur bin ich mir nicht sicher, inwieweit die CDU/CSU in dem Prozess, den hier einige andere Kollegenangedeutet haben, schon mitgenommen worden ist. Na-türlich haben Sie ein Werte- und Menschenbild; Sie wol-len alle Menschen gleich behandeln. Aber wenn es da-rauf ankommt, dann wollen Sie einen Unterschiedmachen, dann sagen Sie immer noch: Die Ehe ist privile-giert, alles andere nicht. – Es ist schwierig, das gegen-über der Gesellschaft durchzuhalten.Ich erinnere an Themen, bei denen Sie auch einmaletwas anderes postuliert haben, bei denen sich aber dieSituation im Verfahren des politischen Prozesses so ent-wickelt hat, dass Sie komplett umgesteuert haben. Ichnenne stichwortartig, was Sie einmal hochgehalten ha-ben: Die Wehrpflicht war Ihnen einmal wichtig; Sie ha-ben sie komplett aufgegeben bzw. ausgesetzt. Energie-politik: Atomausstieg, was haben Sie für Verrenkungengemacht! Ihre Politik haben Sie aufgegeben. In der Bil-dungspolitik haben Sie mal eben die Hauptschule aufge-geben. In der Familienpolitik sind Sie jetzt auch so weit,dass Sie die Zahl der Kitaplätze ausbauen wollen, dassSie sagen: Nein, wir wollen nicht nur die Betreuung zuHause; hier müssen wir uns ändern. – Bei der Rente gibtes Umschwünge. Beim Mindestlohn sind Sie plötzlichdabei; das freut mich. – Sie haben schon so viele Dingeaufgegeben, dass Ihre Wählerschaft Schwierigkeiten hat,Ihnen zu folgen.Sie müssen sich einmal entscheiden: Was haben Sieeigentlich für ein Leitbild? Laufen Sie den Demoskopenhinterher, nach dem Motto: „Ich muss mal sehen, wiesich die Umfragen in den nächsten Tagen entwickeln;danach richte ich meine Politik aus“?
Schauen Sie, was eigentlich die Werte der CDU sind,und stehen Sie zu ihnen? Oder erfinden Sie eine neueCDU? – Sie machen es dem Wähler an dieser Stellenicht ganz leicht. Das Ergebnis lässt sich an den letztenLandtagswahlen ablesen, die Sie alle mehr oder wenigerverloren haben. Daran können Sie deutlich erkennen,dass der Wähler bei Ihnen nicht mehr weiß: Wo ist ei-gentlich die Linie? Was ist CDU-Politik?Dieses Thema verlangt eine sehr ernsthafte Debatte;viele Kollegen haben das eingefordert. Es eignet sichüberhaupt nicht zum Klamauk. Ein paar Bemerkungen,die hier gefallen sind, fand ich ziemlich daneben. Des-wegen möchte ich festhalten: Es gibt Lebensentwürfe,wo sich Menschen für andere Menschen einsetzen, inwelcher Form auch immer: indem sie als Mütter oderVäter Menschen pflegen oder vielleicht als Kinder dieEltern. Es gibt ähnliche Lebensentwürfe; nur sind es danicht Mutter und Vater, sondern vielleicht zwei Mütteroder zwei Väter. Können wir nicht einfach sagen: „Wirmüssen die Leistung, die im Rahmen dieser Lebensent-würfe erbracht wird, in irgendeiner Form fördern“? Das
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27872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Februar 2013
Ingrid Arndt-Brauer
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ist doch eine sinnvolle Sache; denn unsere Gesellschaftbraucht solche Lebensentwürfe.Ich habe nichts dagegen, wenn jemand sagt: Das Idealist Mutter, Vater, Kind. – Aber dieses Ideal gibt es nichtimmer. Seitdem Sie an der Regierung sind, gibt es ei-gentlich überhaupt keine Ideale mehr.
Wir mussten so viele Kompromisse schließen, und dieGesellschaft musste so viel akzeptieren. Ich denke, Siesollten Ihre Haltung überdenken, über Ihren Schattenspringen und die zehn Tage nutzen, um mit Ihren Wäh-lern zu sprechen. Ich garantiere Ihnen: In zehn Tagen ha-ben Sie den Sprung gemacht und tragen die Gleichstel-lung mit. Nutzen Sie die zehn Tage, um dengesellschaftlichen Wandel aktiv zu begleiten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin.
Wir sind am Ende unserer Aktuellen Stunde und
gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, den 28. Februar
2013, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.